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Gadmen, Wendenboden

Eine alpine Siedlungswüstung im

Brigitte Andres Sustenpass. Trotz der Bekanntheit der Kletter- routen an den das Tal überragenden Wen- denstöcken ist der enge Talkessel mit Wan- Lage derwegen wenig erschlossen. Vereinzelt wird die Alp von der Schweizer Armee als Minen- Im östlichen Zipfel des Berner Oberlands in werfer-Stellungsraum genutzt. Der Ausbau zu einem kleinen Seitental des Gadmertals liegt einem Schiessplatz wurde vor einigen Jahren die Siedlungswüstung Wendenboden. Die aus Naturschutzgründen abgelehnt. Fundstelle befindet sich auf Alp Wenden, knapp 700 Meter östlich der heutigen Alpkä- Die Wüstung Wendenboden gehört zu den serei auf Wendenläger und etwas oberhalb der über 170 Fundstellen, die der Archäologische Fahrstrasse (Abb. 1). Im Nordosten, wo der Dienst des Kantons im Rahmen der al- das Tal abschliesst, stösst die Alp bis an pinen Prospektion in der Region Oberhasli in den Wendengletscher, im Südwesten gelangt den Jahren 2003, 2004 und 2006 neu erfasst man über die Fahrstrasse hinunter ins Gad- und ins archäologische Fundstelleninventar mertal und von dort nach oder zum aufgenommen hat. 670 000 675 000

Wendengletscher

d e n n Wendenboden W e 178 000 Wendenläger

Gadmen

Abb. 1: Gadmen, Wendental. Luftbild vom Wendental mit der Lage der Fundstelle Wen- denboden und den heutigen Alphütten auf Wendenläger. Fundberichte Archäologie Bern/Archéologie bernoise – 2011 49

178 500

Dokumentation Abb. 2: Gadmen, Wendenbo-

673 100 den. Luftbild der Wüstung. Südöstlich der markanten Die Dokumentation der Fundstelle Wenden- Felsnase sind die einzelnen boden fand im Jahr 2004 statt. Die leicht mit Strukturen eingezeichnet. Lägerflora überwachsenen Ruinen wurden – wo nötig – vom Bewuchs befreit, anschlies- send beschrieben, fotografiert und vermessen. Es sei festgehalten, dass hier keine Grabungs- ergebnisse präsentiert werden, sondern ledig- 6 7 lich eine Beschreibung der oberirdisch noch 1 3 erkennbaren Strukturen. Dabei handelt es sich 178 400 um vier Gebäudegrundrisse, einen Unterstand 2 4 unter einem Steinblock, einen Pferch sowie ei- 5 nen fraglichen Pferch. Die Bauten liegen auf knapp 1600 müM. am Rand eines Schuttfä- chers, der mit Steinen, darunter einige grös- Abb. 3: Gadmen, Wenden- sere Steinblöcke, übersät ist, und unterhalb ei- boden. Ansicht des aus zwei ner grossen Felsnase, die Schutz vor Lawinen Felsblöcken gebildeten na- bietet (Abb. 2). Im Folgenden werden die ein- türlichen Unterstands von Osten, im Vordergrund links zelnen Strukturen gemäss der Felddokumen- befindet sich der Grundriss tation kurz vorgestellt. von Struktur 2.

Strukturen

Der Unterstand 1 wird von zwei natürlich ab- gelagerten Sturzblöcken gebildet. Es ist anzu- nehmen, dass kleinere Steine unter den gros- sen Blöcken weggeräumt und so künstlich eine kleine Höhlung geschaffen wurde. Vor der Öffnung, die von Südosten her zugänglich ist, befindet sich noch ein grösserer Mauerrest aus trocken aufgeschichteten Steinen (Abb. 3).

Beim Gebäudegrundriss 2 befindet sich der Zugang im Osten. Die Nord- und Ostwand des Gebäudes werden von 1 bis 2 m3 grossen Sturzblöcken gebildet, während die Fläche im Süden und Westen durch Trockenmau- ern begrenzt wird. Die Mauern von Grund- riss 3 wirken relativ unregelmässig und wer- den im Norden etwa zur Hälfte aus grossen Sturzblöcken gebildet. Kleinere, trocken auf- geschichtete Steine bilden das talseitige Mau- erwerk. Im Innern des ehemaligen Gebäudes ist in der Südwestecke ein noch gut erhaltener Mauereckverband erkennbar.

An der Ostseite von Grundriss 4 führt eine Art Stützmauer wie eine Rampe zum Ein- gang im Südosten. Das im Schutz eines gros- sen Sturzblocks erbaute Gebäude weist eine Trockenmauer aus unterschiedlich grossen 50 FundberichteGadmen

Steinen auf (Abb. 4). Eine ähnliche Anlage ist ist aus grossen Steinen errichtet. Das Trocken- bei Haus H3 der Wüstung Blumenhütte UR mauerwerk ist teilweise noch über 1 m hoch er- zu beobachten. Dort ist das Mauerwerk eben- halten. Die Südwestmauer, die gleichzeitig den falls an einen grossen Steinblock gebaut, der oberen Abschluss des Pferches 6 bildet, weist vor Lawinen und Steinschlag schützt, und der im Gebäudeinnern eine gerade Flucht auf und Zugang ist rampenartig von Steinen begrenzt. besteht aus grossen plattigen Steinen. An der Der leicht ovale Grundriss 5 besteht besonders Basis ist diese Mauer fast drei Meter mäch- bergseitig aus grossen, in die Trockenmauer in- tig, was angesichts der Lage am Hang wohl tegrierten Steinblöcken bis 2 m³ (Abb. 5). Die als notwendige Baumassnahme zu deuten ist. Innenfläche, die von Westen her zugänglich Die Nordwestmauer erscheint durch Schnee- ist, gleicht eher einer Mulde. Es ist nicht ganz und Bergdruck stark deformiert. Der Zugang klar, ob es sich hier um einen Pferch für Klein- befindet sich im Südosten. vieh oder um einen Hüttengrundriss handelt. Die südliche Mauer der als Pferch interpretier- Die Grundrisse 2, 3, 4 und 7, die vermutlich ten ovalen Struktur 6 durchquert eine Mulde wegen des unebenen Geländes nicht streng und ist stellenweise noch ca. 80 cm hoch er- rechteckige, sondern leicht unregelmässige For- halten. Als nördlicher Abschluss des Pferches men aufweisen, stammen alle von einräumigen diente einst vermutlich die Südwestmauer von Hütten. Topografisch bedingt liegen die Ein- Gebäude 7. Der treppenartig wirkende Durch- gänge im Osten und Südosten dem Talboden lass, der im Osten in den Pferch hinabführt, zugewandt. Die Innenflächen der Gebäude be- liegt vor Gebäude 7. Der Hüttengrundriss 7 wegen sich zwischen 6,25 und 12,25 m². Der

Abb. 4: Gadmen, Wenden- boden. Ansicht der an einen grossen Sturzblock angebau- ten Mauer 4. Gut erkennbar sind die in die Trockenmauer integrierten grösseren Stein- blöcke.

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Abb. 5: Gadmen, Wendenbo- den. Ansicht der Struktur 5 von Nordosten. Es könnte sich hier um einen Pferch oder einen Hüttengrundriss handeln.

fragliche Pferch 5 ist mit etwa 20 m² bereits raumhütten als die ältere, mittelalterliche Bau- deutlich grösser. Die Fläche von Pferch 6 be- form (vgl. z. B. die Fundstellen Bergeten ob trägt rund 50 m². Eindeutige Aussagen über Braunwald GL, Spilblätz auf Charetalp SZ, die Nutzung der einzelnen Gebäude können Blumenhütte in Hospental UR). kaum gemacht werden. Fundobjekte liegen keine vor. Der Unterstand 1 diente vermutlich Die Alp Wenden war 1391 gemäss Schrift- als Lagerraum für Milch und gehörte vielleicht quellen noch im Besitz der Herrschaft von zu Gebäude 2. Innerhalb der Grundrisse fan- Ringgenberg. In den folgenden Jahrhunderten den sich keine Hinweise auf weitere Strukturen wurde die Alp und ihre Nutzung immer wie- oder Einrichtungen. Auch Feuerstellen konn- der im Zusammenhang mit Mannlehen ver- ten keine beobachtet werden. schiedener Obrigkeiten erwähnt. Erst 1846 wird eine Ablösesumme zur Aufhebung der Datierung und Nutzungszeit Mannlehenpflicht bezahlt, und von da an ge- hörte die Wendenalp als freies Eigentum den Zur genauen Datierung der heute noch sicht- bei Gadmen lebenden Talbewohnern. Einen baren Strukturen kann wenig gesagt werden. Hinweis auf Anzahl oder Lage von Gebäuden Wie bereits erwähnt, sind keine Funde als An- auf der Alp geben die Quellen indes nicht. haltspunkte vorhanden. Es liegen zudem noch keine Radiokarbondatierungen vor und auch Einen zugegeben sehr groben Anhaltspunkt, sonst sind an den Gebäuderesten keine kon- zumindest was das Ende der Benutzungszeit kreten Datierungshinweise vorhanden. Bisher der Alpsiedlung betrifft, liefern die alten Lan- gelten in der alpinen Archäologie die relativ deskarten. Während die Erstausgabe der so- kleinen und unregelmässig anmutenden Ein- genannten Siegfriedkarte auf anderen Alpen raumgrundrisse im Gegensatz zu den Mehr- die Standorte von Gebäuden ziemlich genau 52 FundberichteGadmen

wiedergibt, sind an der Stelle des Fundplat- turen in den einzelnen Wüstungen stehen zes Wendenboden keine Gebäude mehr ein- und ob die ehemaligen Alpgebäude gleich- gezeichnet. Die einzigen Bauten im Wenden- zeitig und von den gleichen Leuten genutzt tal befanden sich bereits damals im Bereich wurden. der heutigen Alpgebäude auf Wendenläger. Dies lässt darauf schliessen, dass die Hütten Das Wendental ist eine schroffe Gegend mit der Fundstelle Wendenboden bei Anfertigung steilen Berghängen. Der Lawinenkataster des der entsprechenden Kartenblätter in den Jah- Berner Oberlands verzeichnet für die Hänge ren 1873 und 1875 schon längst zerfallen wa- im Gadmental und am Eingang des Wenden- ren und nicht einmal mehr mit einem Ruinen- tals eine hohe Zahl von zum Teil heftigen La- symbol erfasst wurden. winenniedergängen, wovon die Schadensbe- richte zeugen. Für das Wendental sind jedoch Im Wendental sind im Rahmen der alpinen mit einer Ausnahme bisher nur Lawinenereig- Prospektion weitere Wüstungen entdeckt wor- nisse im vorderen Tal belegt. Die fehlenden den, die alle auf der rechten Seite des Wenden- Lawinenereignisse im nördlichen Talbereich wassers am Südhang der Wendenstöcke liegen in Richtung Wendengletscher sind auffällig, (Abb. 6). Die drei weiteren Wüstungen Wen- zumal sich die Topografie hier nicht vom vor- denläger, Gries 1 und Gries 2, bei denen meh- deren Talabschnitt unterscheidet. Da nicht an- rere Gebäudegrundrisse dokumentiert wer- zunehmen ist, dass im Wendental tatsächlich den konnten, sind ebenfalls nicht mehr auf weniger Lawinen niedergehen, dürfte es sich der Erstausgabe der Siegfriedkarte abgebildet. hier in erster Linie um eine Überlieferungs- Es ist auch hier nicht auszuschliessen, dass der lücke handeln. Die Lawinen gehen unbeob- Abb. 6: Gadmen, Wenden- Bau einzelner Wüstungen bis ins Mittelalter achtet nieder, denn diese Gegend ist nur zur tal. Überblick über die bisher bekannten Fundstellen im zurückreicht. Vorderhand bleibt jedoch un- Alpzeit im Sommer bewohnt und dementspre- Wendental. klar, in welcher zeitlichen Abfolge die Struk- chend entstehen auch weniger Schäden an der 673 000 674 000 672 000

179 000 Gries 2

Gries 1

Wendenboden

Wendenläger 1

178 000 Mettlenberg

Fundstellen mit mehr als einem Grundriss Einzelstrukturen Fundberichte Archäologie Bern/Archéologie bernoise – 2011 53

Infrastruktur. Die sorgfältige Auswahl von ge- Literatur schützten Standorten für die ehemaligen Alp- gebäude auf Wendenalp ist gerade auch bei der Renate Ebersbach und Daniel Gutscher, Alpine Prospek- Fundstelle Wendenboden, die im Schutz einer tion im Oberhasli. Vorbericht 2003–2006. ArchBE 2008, 189–196. Felsnase liegt, offensichtlich. Dennoch ist eine Aufgabe einzelner Gebäude als Folge von Zer- Renate Ebersbach, Wenke Hoyer und Elisabeth Zahnd, störungen durch Lawinen oder andere Natur- Ein «Repräsentatives Inventar» für den Kanton Bern. ArchBE 2010, 249–271. ereignisse denkbar. Gottlieb Kurz und Christian Lerch, Geschichte der Land- Die durch die Prospektionskampagnen des schaft Hasli. Bearbeitet von Andreas Würgler. Meirin- gen 1979. Archäologischen Dienstes neu erfassten Sied- lungswüstungen im Oberhasli werden zurzeit Werner Meyer, Franz Auf der Mauer, Werner Bellwald, in einer Auswertung, die im Rahmen des Son- Thomas Bitterli-Waldvogel, Philippe Morel und Jakob Obrecht, «Heidenhüttli». 25 Jahre archäologische Wüs- derprojekts «Repräsentatives Inventar» läuft, tungsforschung im schweizerischen Alpenraum. Schwei- eingehender untersucht. Weitere Analysen von zer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Holzkohleproben aus den grösseren Wüstungs- Mittelalters 23/24. Basel 1998. plätzen ergeben hoffentlich aussagekräftige Ueli Ryter, Lawinenkataster Berner Oberland 1336–2008. Datierungen zumindest einzelner Struktu- Amt für Wald des Kantons Bern. Interlaken, November ren. Darüber hinaus soll unter Einbezug ver- 2009. schiedener Quellengattungen wie Schriftquel- len, mündlicher Überlieferung und bildlichen Darstellungen versucht werden, die Benut- zung der ehemaligen Alpsiedlungen zeitlich näher einzugrenzen und eine kleine Nutzungs- geschichte dieser Alpen zu schreiben.