Plenarprotokoll 19/71

Deutscher

Stenografischer Bericht

71. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- in Verbindung mit neten . 8187 A Begrüßung der neuen Abgeordneten Nina Tagesordnungspunkt 15: Warken. 8187 A Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- , , Nicole ­Bauer, nung...... 8187 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Folgen des Brexit für Deutschland und Absetzung der Tagesordnungspunkte 12, 16, Europa 25 a und 25 b. 8190 A Drucksachen 19/1932, 19/5892 . 8190 C , Bundesminister AA. 8190 C (AfD) . 8191 D Tagesordnungspunkt 3: Alexander Graf Lambsdorff (FDP). 8192 D Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Dr. (CDU/CSU) . 8193 D SPD: Den Brexit geordnet vollziehen – Das Austrittsabkommen und die Politische Er- Alexander Graf Lambsdorff (FDP). 8195 A klärung als Voraussetzung für eine künftige (DIE LINKE). 8195 D enge und vertrauensvolle Partnerschaft der EU mit dem Vereinigten Königreich Dr. (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/6412. 8190 B DIE GRÜNEN). 8197 A Dr. (SPD) . 8198 B Dr . (AfD). 8199 D in Verbindung mit (CDU/CSU) . 8200 C Dr. (FDP). 8201 D

Zusatztagesordnungspunkt 1: Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU). 8202 C (CDU/CSU) . 8203 D Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Marco Buschmann, , (CDU/CSU). 8204 D Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Ge- Tagesordnungspunkt 4: waltenteilung bei internationalen Entschei- a) Antrag der Abgeordneten , dungsprozessen Dr. , , wei- Drucksache 19/6399. 8190 B terer Abgeordneter und der Fraktion der II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. , Donnerstag, den 13. Dezember 2018

AfD: Meisterpflicht wieder einführen – GRÜNEN: Bedarfsgerechte Versorgung Handwerk stärken für alle Patientinnen und Patienten si- Drucksache 19/4633. 8206 B cherstellen und therapeutische Berufe durch attraktive Arbeits- und Ausbil- b) Antrag der Abgeordneten Manfred dungsbedingungen aufwerten Todtenhausen, , Grigorios Drucksache 19/6130. 8221 C Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ausbildung und beruf- liche Aufstiegsfortbildung in Deutsch- land und Europa stärken in Verbindung mit Drucksache 19/6415. 8206 B Tino Chrupalla (AfD). 8206 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Astrid Grotelüschen (CDU/CSU). 8208 D Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Katrin Helling-Plahr, Michael Theurer, (FDP). 8210 B Christine Aschenberg-Dugnus, weiteren Ab- (SPD). 8211 A geordneten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (DIE LINKE) . 8212 A Änderung des Fünften Buches Sozialge- Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ setzbuch – Krebspatienten die Chance auf DIE GRÜNEN). 8213 C eigene Kinder ermöglichen, fertilitätsbe- wahrende Behandlung zur Regelleistung (CDU/CSU). 8215 A machen Thomas L. Kemmerich (FDP) . 8216 A Drucksache 19/2689. 8221 C (SPD). 8216 D (CDU/CSU) . 8217 B in Verbindung mit (fraktionslos). 8217 D Zusatztagesordnungspunkt 3: (CDU/CSU) . 8218 C Antrag der Abgeordneten Dr. , Klaus Ernst (DIE LINKE) . 8219 A , Jürgen Braun, weiterer Ab- (SPD). 8220 A geordneter und der Fraktion der AfD: Bevor- zugung von Importarzneimitteln beenden, Importquote abschaffen, Arzneimittelsi- Tagesordnungspunkt 18: cherheit verbessern Drucksache 19/6419. 8221 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes für schnelle Termine und bessere in Verbindung mit Versorgung (Terminservice- und Versor- gungsgesetz – TSVG) Drucksachen 19/6337, 19/6436. 8221 B Zusatztagesordnungspunkt 4: b) Antrag der Abgeordneten Dr. Achim Antrag der Abgeordneten Dr. Axel Gehrke, Kessler, , Doris Paul Viktor Podolay, Dr. , wei- Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Fraktion DIE LINKE: Flächendeckende Einheitliches Prüfverfahren zur fachlichen Versorgung mit Physiotherapie und an- Eignung ausländischer Ärzte aus Drittstaa- deren Heilmitteln sichern ten Drucksache 19/4887. 8221 B Drucksache 19/6423. 8221 D c) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein-Schmeink, in Verbindung mit Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Im Notfall gut versorgt – Pa- Zusatztagesordnungspunkt 5: tientengerechte Reform der Notfallver- Antrag der Abgeordneten Christine sorgung Aschenberg-­Dugnus, Michael Theurer, Drucksache 19/5909. 8221 B Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- und der Fraktion der FDP: Regionalisierung Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, der Bedarfsplanung, Niederlassungsfreiheit Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- als Regelfall neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Drucksache 19/6417. 8221 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 III

Jens Spahn, Bundesminister BMG. 8222 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Dr. Robby Schlund (AfD). 8223 C setzes zu dem Abkommen vom 14. Au- Dr. (SPD). 8224 A gust 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mauriti- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). 8225 B us über den Luftverkehr Dr. (DIE LINKE). 8226 B Drucksache 19/6289. 8250 A Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ d) Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN). 8227 C , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (CDU/CSU) . 8229 A Meeresvermüllung durch Plastik (AfD). 8230 C Drucksache 19/3172. 8250 B (SPD). 8231 B e) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. , Dr. Manuela Dr. (FDP). 8232 B Rottmann, weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU). 8233 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unerlaubte Telefonwerbung und unse- Dr. (FDP). 8233 C riöse Geschäftspraktiken wirksam be- Bettina Müller (SPD) . 8234 B kämpfen Drucksache 19/3332. 8250 B Alexander Krauß (CDU/CSU). 8235 A f) Antrag der Abgeordneten , , , weiterer Abge- Tagesordnungspunkt 6: ordneter und der Fraktion der FDP: 20 Jah- Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- re Washingtoner Erklärung – Wirksa- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- mere Aufarbeitung der NS-Raubkunst ordneten , Sabine Zimmermann durch Restrukturierung und Digitalisie- (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordne- rung ter und der Fraktion DIE LINKE: Einführung Drucksache 19/5423. 8250 B eines Kinderweihnachtsgelds g) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Drucksachen 19/101, 19/6276 . 8236 A SPD: Schutz von Weltnaturerbe und (SPD). 8236 A Entwicklungsziele in Einklang bringen – Alternativen zum geplanten Bau des (AfD) . 8237 C Megastaudamms „Stieglers Schlucht“ (CDU/CSU). 8238 C im tansanischen UNESCO-Weltnaturer- be Selous Wildreservat suchen (FDP). 8240 A Drucksache 19/6414. 8250 C Katja Kipping (DIE LINKE) . 8241 A Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn Zusatztagesordnungspunkt 6: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 8242 D a) Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Ingrid Arndt-Brauer (SPD). 8244 A Köhler, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, (AfD). 8245 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftlicher und ef- (CDU/CSU)...... 8246 C fizienter Klimaschutz – Wie wir mit we- Grigorios Aggelidis (FDP). 8247 C niger Geld mehr Klima schützen können Drucksache 19/6286. 8250 D (CDU/CSU) . 8248 B b) Antrag der Abgeordneten Christian Dürr, Grigorios Aggelidis, Christine Aschenberg-­ Tagesordnungspunkt 24: Dugnus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion FDP: Kapitalmarktunion ver- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten tiefen, Staatsschulden entprivilegieren, , Dr. André Hahn, Gökay TARGET2-Salden verringern Akbulut, weiteren Abgeordneten und der Drucksache 19/6416. 8250 D Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Tagesordnungspunkt 24: Aufhebung des Genehmigungsvorbe- halts der Krankenkassen bei der Ver- a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ordnung von Cannabis ten Tabea Rößner, , Luise Drucksache 19/6196. 8250 A Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusatztagesordnungspunkt 9: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Wahlen zu Gremien zum Auskunftsrecht der Presse gegen- a) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl über Bundesbehörden (Presseauskunfts- eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gesetz) gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- Drucksache 19/4572 (neu) . 8249 D haltsordnung Drucksache 19/6402. 8254 D b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Tagesordnungspunkt 25: Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß c)–n) § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Beratung der Beschlussempfehlungen des Drucksache 19/6403. 8255 A Petitionsausschusses: Sammelübersich- c) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: ten 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, Wahl von Mitgliedern des Sondergremi- 153, 154, 155 und 156 zu Petitionen ums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Drucksachen 19/6115, 19/6116, 19/6117, rungsmechanismusgesetzes 19/6118, 19/6119, 19/6120, 19/6121, Drucksache 19/6404. 8255 B 19/6122, 19/6123, 19/6124, 19/6125 (neu), 19/6126. 8251 B d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus ­Hirschfeld“ Drucksache 19/6405. 8255 D Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von der Wahlen . 8254 D, 8255 A, 8255 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes Ergebnisse. 8271 C, 8271 D, 8271 D Drucksachen 19/5463, 19/6288, 19/6466. 8252 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Zusatztagesordnungspunkt 10: Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Aktuelle Stunde auf Verlangen der Frakti- Abgeordneten Dr. Harald Weyel, Norbert on der AfD: Forderung der Jungsozialisten Kleinwächter, , weiterer nach Abschaffung des § 218 Strafgesetz- Abgeordneter und der Fraktion der AfD: buch – Abtreibung bis zum neunten Monat Keine EU-Steuern – Für Sparsamkeit (AfD). 8256 B bei dem mehrjährigen Finanzrahmen Elisabeth Winkelmeier-Becker der EU (CDU/CSU). 8257 D Drucksachen 19/2572, 19/6400. 8252 C Katrin Helling-Plahr (FDP). 8258 C c)–o ) Dr. Karl Lauterbach (SPD). 8259 D Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- Cornelia Möhring (DIE LINKE) . 8261 B ten 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168 und 169 zu Petitionen (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8262 C Drucksachen 19/6442, 19/6443, 19/6444, 19/6445, 19/6446, 19/6447, 19/6448, (CDU/CSU). 8263 D 19/6449, 19/6450, 19/6451, 19/6452, (AfD) . 8264 D 19/6453, 19/6454. 8252 D (SPD) . 8266 B Dr. (fraktionslos). 8267 B Zusatztagesordnungspunkt 8: Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 8268 A Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten (SPD) . 8269 A (2. Wahlgang) (CDU/CSU). 8270 C Drucksache 19/6401. 8254 A

Tagesordnungspunkt 5: Wahl . 8254 B Vereinbarte Debatte: 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Ergebnis . 8271 C Heiko Maas, Bundesminister AA. 8272 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 V

Jürgen Braun (AfD) . 8274 A Tagesordnungspunkt 7: Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU). 8276 A Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- teidigungsausschusses zu der Unterrichtung (FDP). 8278 B durch den Wehrbeauftragten: Jahresbe- Zaklin Nastic (DIE LINKE). 8279 B richt 2017 (59. Bericht) Drucksachen 19/700, 19/5126 . 8299 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8280 D Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . 8299 A (SPD). 8282 B Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU). 8304 A Dr. Lukas Köhler (FDP). 8283 B Berengar Elsner von Gronow (AfD). 8304 D Dr. , Parl. Staatssekretärin (SPD). BMZ. 8284 A 8306 A Alexander Müller (FDP). 8307 A Dr. Frauke Petry (fraktionslos). 8285 B (DIE LINKE) . 8308 A Sebastian Brehm (CDU/CSU) . 8286 A Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8309 A Tagesordnungspunkt 8: Dr. , Bundesministerin a) Zweite und dritte Beratung des von den BMVg. 8309 D Abgeordneten , Christian Mario Mieruch (fraktionslos). 8310 D Dürr, , Dr. Marco Buschmann und der Fraktion der FDP ein- Dr. (CDU/CSU). 8311 C gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlagge- setzes 1995 Tagesordnungspunkt 9: Drucksachen 19/1038, 19/6406, 19/6440. 8287 C Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Gesetzes zur Durchführung von Verord- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- nungen der Europäischen Union zur Bereit- ordneten , Albrecht Glaser, stellung von Produkten auf dem Markt und , weiterer Abgeordneter zur Änderung des Neunten und Zwölften und der Fraktion der AfD: Antrag auf so- Buches Sozialgesetzbuch fortige und uneingeschränkte Abschaf- Drucksachen 19/5456, 19/6465 . 8312 B fung des Solidaritätszuschlags Drucksachen 19/1179, 19/6406, (SPD) . 8312 C 19/6440. 8287 C Norbert Kleinwächter (AfD). 8313 B Dr. (SPD). 8287 D (CDU/CSU). 8314 D Stefan Keuter (AfD). 8288 D (FDP). 8315 C Olav Gutting (CDU/CSU)...... 8289 D Sören Pellmann (DIE LINKE). 8316 C Christian Dürr (FDP) . 8291 A Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8317 B Fabio De Masi (DIE LINKE). 8292 A Angelika Glöckner (SPD). 8318 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 8293 A (CDU/CSU). 8319 A (Heidelberg) (SPD). 8294 B (CDU/CSU). 8319 D Wolfgang Kubicki (FDP). 8295 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD). 8296 B Tagesordnungspunkt 11: Dr. h. c. (CDU/CSU). 8296 C Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Christian Dürr (FDP) . 8297 A ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. , , Dr. Danyal Namentliche Abstimmung . 8298 D Bayaz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Finanzwende anpacken – Den nächsten Crash verhindern Ergebnis . 8300 D Drucksachen 19/4052, 19/6469 . 8321 A VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 in Verbindung mit Dr. Frauke Petry (fraktionslos). 8338 A Bettina Margarethe Wiesmann Zusatztagesordnungspunkt 11: (CDU/CSU). 8338 D Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordne- Tagesordnungspunkt 22: ten Jörg Cezanne, Fabio De Masi, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Antrag der Abgeordneten Dr. , Fraktion DIE LINKE: Zehn Jahre nach der , Stefan Keuter, weiterer Abge- Pleite der Investmentbank Lehman Bro- ordneter und der Fraktion der AfD: Rote Lini- thers – Finanzkrisen durch strikte Regulie- en gegen die europäischen Haftungsrisiken rung und Umverteilung verhindern Deutschlands – Ausbau der Bankenunion Drucksachen 19/4241, 19/6469 . 8321 A stoppen und rückabwickeln, der EZB die Bankenaufsicht entziehen und Deutsch- (SPD) . 8321 B lands EZB-Stimmrechtsanteil erhöhen Dr. Bruno Hollnagel (AfD). 8322 A Drucksache 19/6418. 8340 C (CDU/CSU). 8323 A Dr. Bruno Hollnagel (AfD). 8340 C Dr . (FDP). 8324 C Metin Hakverdi (SPD) . 8341 D Jörg Cezanne (DIE LINKE). 8342 D Jörg Cezanne (DIE LINKE). 8325 C Sepp Müller (CDU/CSU). 8343 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8326 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD). 8327 C Tagesordnungspunkt 14: (CDU/CSU). 8328 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Ge- setzes zur Änderung des Telekommunika- Tagesordnungspunkt 10: tionsgesetzes (5. TKG-Änderungsgesetz – 5. TKGÄndG) a) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 19/6336, 19/6437 . 8345 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Anga- in Verbindung mit ben Drucksachen 19/4669, 19/5422, 19/5647 Nr. 19, 19/6467. 8330 A Zusatztagesordnungspunkt 12: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Antrag der Abgeordneten , Ausschusses für Inneres und Heimat Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Ab- zu dem Antrag der Abgeordneten Doris geordneter und der Fraktion der FDP: Digita- Achelwilm, Dr. Achim Kessler, Dr. Petra lisierung im 21. Jahrhundert – Digitale In- Sitte, weiterer Abgeordneter und der Frak- frastruktur im Glasfaserausbau tion DIE LINKE: Selbstbestimmung, Drucksache 19/6398. 8345 B Gleichbehandlung, körperliche Unver- , Parl. Staatssekretär BMVI . 8345 B sehrtheit – Die Grund- und Menschen- rechte zur geschlechtlichen Vielfalt ge- (AfD). 8346 C währleisten Daniela Kluckert (FDP) . 8347 A Drucksachen 19/4828, 19/6467. 8330 A (CDU/CSU) . 8330 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Beatrix von Storch (AfD). 8331 C Antrag der Abgeordneten Stephan Thomae, (SPD). 8332 D Grigorios Aggelidis, Christine Aschenberg-­ Dr. (Rhein-Neckar) Dugnus, weiterer Abgeordneter und der Frak- (FDP). 8334 C tion der FDP: § 219a StGB unverzüglich streichen – Informationen über Schwanger- (DIE LINKE). 8335 C schaftsabbrüche zulassen Drucksache 19/6425. Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ 8347 D DIE GRÜNEN). 8336 B (FDP) . 8348 A (CDU/CSU). 8337 B Ingmar Jung (CDU/CSU). 8348 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 VII

Dr. Marco Buschmann (FDP). 8349 C Anlage 3 (AfD) . 8350 C Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- der des Deutschen Bundestages, die an der Dr. (SPD). 8351 C Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums Cornelia Möhring (DIE LINKE) . 8352 D gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushalts- ordnung teilgenommen haben (BÜNDNIS 90/ (Zusatztagesordnungspunkt 9 a). 8395 A DIE GRÜNEN). 8353 D (CDU/CSU). 8354 C Anlage 4 Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU). 8355 B Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Gülistan Yüksel (SPD). 8356 C der des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilge- Zusatztagesordnungspunkt 14: nommen haben Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. (Zusatztagesordnungspunkt 9 b). 8398 B Neu, Matthias Höhn, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: USA zur Rückkehr in den INF-Vertrag auf- Anlage 5 fordern – Stationierung neuer Atomwaffen in der Bundesrepublik Deutschland aus- Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mit- schließen glieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums Drucksache 19/6422. 8357 D gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 8357 D nismusgesetzes teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 9 c). 8402 A Armin-Paulus Hampel (AfD). 8358 D (CDU/CSU). 8359 D Anlage 6

Tagesordnungspunkt 17: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten , Dr. André Berghegger, Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten , Astrid Grotelüschen, Fritz Kappert-­Gonther, Maria Klein-Schmeink, Güntzler, und Eckhard Pols (alle Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr über den von den Abgeordneten Christian Frauen in Führungspositionen zur Organi- Lindner, Christian Dürr, Wolfgang Kubicki, sation des Gesundheitswesens Dr. Marco Buschmann und der Fraktion der Drucksache 19/4855. 8361 C FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggeset- Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ zes 1995 DIE GRÜNEN). 8361 D (Tagesordnungspunkt 8 a ). 8405 B Rudolf Henke (CDU/CSU). 8363 A Detlev Spangenberg (AfD). 8364 B Anlage 7 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Nächste Sitzung . 8367 C chen Abstimmung über den von den Abge- ordneten Christian Lindner, Christian Dürr, Wolfgang Kubicki, Dr. Marco Buschmann und Anlage 1 der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf Entschuldigte Abgeordnete. 8391 A eines Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritäts- zuschlaggesetzes 1995 (Tagesordnungspunkt 8 a ). 8406 B Anlage 2 Sebastian Brehm (CDU/CSU). 8406 B Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- (CDU/CSU). der des Deutschen Bundestages, die an der 8406 C Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Michael Kießling (CDU/CSU). 8407 A teilgenommen haben (2. Wahlgang) (Zusatztagesordnungspunkt 8). 8391 B Dr. (CDU/CSU) . 8407 A VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Anlage 8 Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung 8412 D des Antrags der Abgeordneten Dr. Bruno Hollnagel, Kay Gottschalk, Stefan Keuter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Anlage 10 AfD: Rote Linien gegen die europäischen Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Haftungsrisiken Deutschlands – Ausbau der des Antrags der Abgeordneten Dr. Alexander Bankenunion stoppen und rückabwickeln, S. Neu, Matthias Höhn, Heike Hänsel, weiterer der EZB die Bankenaufsicht entziehen und Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutschlands EZB-Stimmrechtsanteil erhöhen USA zur Rückkehr in den INF-Vertrag auffor- (Tagesordnungspunkt 22). 8407 B dern – Stationierung neuer Atomwaffen in der Alexander Radwan (CDU/CSU)...... 8407 C Bundesrepublik Deutschland ausschließen (Zusatztagesordnungspunkt 14). 8413 B Sarah Ryglewski (SPD)...... 8408 B Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU). . . 8413 C Frank Schäffler (FDP)...... 8408 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 8414 B Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 8409 B Dr. (SPD)...... 8414 D (FDP)...... 8415 C Anlage 9 Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . 8416 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Anlage 11 Änderung des Telekommunikationsgeset- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung zes (5. TKG-Änderungsgesetz – 5. TKG- des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten ÄndG) Kappert-Gonther, Maria Klein-Schmeink, – des Antrags der Abgeordneten Daniela Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Kluckert, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Frauen in Führungspositionen zur Organisati- FDP: Digitalisierung im 21. Jahrhundert – on des Gesundheitswesens Digitale Infrastruktur im Glasfaserausbau (Tagesordnungspunkt 17). 8416 D (Tagesordnungspunkt 14 und Zusatztagesord- nungspunkt 12). 8410 B (CDU/CSU)...... 8416 D Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 8410 C (SPD)...... 8417 D (SPD)...... 8411 C Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). . . . 8419 B Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE). . . . . 8412 B Doris Achelwilm (DIE LINKE)...... 8419 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8187

(A) (C)

71. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich der ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Kollegin Kersten Steinke nachträglich zu ihrem 60. Ge- Gehrke, Stephan Brandner, Jürgen Braun, weite- burtstag. Alle guten Wünsche im Namen des Hauses! rer Abgeordneter und der Fraktion der AfD (Beifall) Bevorzugung von Importarzneimitteln been- Für den ausgeschiedenen Kollegen Dr. Stephan den, Importquote abschaffen, Arzneimittelsi- cherheit verbessern Harbarth ist die Kollegin als Mitglied des Deutschen Bundestages nachgerückt. Im Namen des ge- Drucksache 19/6419 samten Hauses begrüße ich die alte und neue Kollegin (B) Überweisungsvorschlag: (D) sehr herzlich und wünsche eine gute Zusammenarbeit. Ausschuss für Gesundheit (Beifall) ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Dann gibt es eine interfraktionelle Vereinbarung, die Gehrke, Paul Viktor Podolay, Dr. Robby Schlund, verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkte- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD liste aufgeführten Punkte zu erweitern: Einheitliches Prüfverfahren zur fachlichen ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten Eignung ausländischer Ärzte aus Drittstaaten Dr. Marco Buschmann, Stephan Thomae, Drucksache 19/6423 Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs Überweisungsvorschlag: eines Gesetzes zur Sicherung der Gewalten- Ausschuss für Gesundheit teilung bei internationalen Entscheidungspro- ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine zessen Aschenberg-Dugnus, Michael Theurer, Grigorios Drucksache 19/6399 Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on der FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- Regionalisierung der Bedarfsplanung, Nieder- nung (f) lassungsfreiheit als Regelfall Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 19/6417 ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Katrin Helling-Plahr, Michael Theurer, Christine Ausschuss für Gesundheit Aschenberg-Dugnus, weiteren Abgeordneten ZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- fahren wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünf- ten Buches Sozialgesetzbuch – Krebspatienten (Ergänzung zu TOP 24) die Chance auf eigene Kinder ermöglichen, fertilitätsbewahrende Behandlung zur Regel- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten leistung machen Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Drucksache 19/2689 tion der FDP 8188 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Marktwirtschaftlicher und effizienter Klima- e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (C) schutz – Wie wir mit weniger Geld mehr Kli- onsausschusses (2. Ausschuss) ma schützen können Sammelübersicht 159 zu Petitionen Drucksache 19/6286 Drucksache 19/6444 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- heit (f) onsausschusses (2. Ausschuss) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Sammelübersicht 160 zu Petitionen wicklung Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Drucksache 19/6445 munen Haushaltsausschuss g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Dürr, Grigorios Aggelidis, Christine Sammelübersicht 161 zu Petitionen Aschenberg-Dugnus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion FDP Drucksache 19/6446 Kapitalmarktunion vertiefen, Staatsschulden h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- entprivilegieren, TARGET2-Salden verrin- onsausschusses (2. Ausschuss) gern Sammelübersicht 162 zu Petitionen Drucksache 19/6416 Drucksache 19/6447 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Haushaltsausschuss onsausschusses (2. Ausschuss) ZP 7 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Sammelübersicht 163 zu Petitionen sprache Drucksache 19/6448 (Ergänzung zu TOP 25) j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- onsausschusses (2. Ausschuss) regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten (B) Sammelübersicht 164 zu Petitionen (D) Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsge- setzes Drucksache 19/6449 Drucksachen 19/5463, 19/6288 k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Sammelübersicht 165 zu Petitionen schuss) Drucksache 19/6450 Drucksache 19/6466 l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- onsausschusses (2. Ausschuss) richts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Sammelübersicht 166 zu Petitionen Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Weyel, Drucksache 19/6451 Norbert Kleinwächter, Corinna Miazga, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Keine EU-Steuern – Für Sparsamkeit bei dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU Sammelübersicht 167 zu Petitionen Drucksachen 19/2572, 19/6400 Drucksache 19/6452 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- n) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 157 zu Petitionen Sammelübersicht 168 zu Petitionen Drucksache 19/6442 Drucksache 19/6453 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- o) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 158 zu Petitionen Sammelübersicht 169 zu Petitionen Drucksache 19/6443 Drucksache 19/6454 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8189

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ZP 8 Wahlvorschlag der Fraktion der AfD ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, Christine Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Aschenberg-­Dugnus, weiterer Abgeordneter und (2. Wahlgang) der Fraktion der FDP Drucksache 19/6401 § 219a StGB unverzüglich streichen – Infor- ZP 9 Wahlen zu Gremien mationen über Schwangerschaftsabbrüche zulassen a) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksache 19/6425 Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi- ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- Dr. Alexander S. Neu, Matthias Höhn, Heike haltsordnung Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Drucksache 19/6402 USA zur Rückkehr in den INF-Vertrag auffor- b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD dern – Stationierung neuer Atomwaffen in der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß Bundesrepublik Deutschland ausschließen § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Drucksache 19/6422 Drucksache 19/6403 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) c) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Verteidigungsausschuss Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums ZP 15 a) – Zweite und dritte Beratung des von der gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs nismusgesetzes eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Drucksache 19/6404 Kindertagesbetreuung d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksachen 19/4947, 19/5416, 19/5647 Nr. 14 Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Drucksache 19/6405 (B) Frauen und Jugend (13. Ausschuss) (D) ZP 10 Aktuelle Stunde Drucksache 19/6471 auf Verlangen der Fraktion der AfD – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Forderung der Jungsozialisten nach Abschaf- fung des § 218 Strafgesetzbuch – Abtreibung Drucksache 19/6472 bis zum neunten Monat b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senio- ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu Antrag der Abgeordneten , dem Antrag der Abgeordneten Jörg Cezanne, Katja Dörner, Dr. , weiterer Fabio De Masi, Christine Buchholz, weiterer Ab- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ geordneter und der Fraktion DIE LINKE DIE GRÜNEN Zehn Jahre nach der Pleite der Investment- Qualität in der Kindertagesbetreuung ver- bank Lehman Brothers – Finanzkrisen durch bindlich und dauerhaft sicherstellen strikte Regulierung und Umverteilung verhin- dern Drucksachen 19/5078, 19/6471 Drucksachen 19/4241, 19/6469 ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. , Dr. Götz Frömming, ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und der Kluckert, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, wei- Fraktion der AfD terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschaftlichem Nachwuchs in Deutsch- Digitalisierung im 21. Jahrhundert – Digitale land eine Perspektive geben Infrastruktur im Glasfaserausbau Drucksache 19/6424 Drucksache 19/6398 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Überweisungsvorschlag: schätzung (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ausschuss Digitale Agenda 8190 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- Überweisungsvorschlag: (C) weit erforderlich, abgewichen werden. Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung (f) Der Tagesordnungspunkt 3 soll zusammen mit dem Auswärtiger Ausschuss Tagesordnungspunkt 15 aufgerufen und an dessen Stel- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union le der Antrag auf der Drucksache 19/6425 mit dem Titel 15. Beratung der Antwort der Bundesregierung auf „§ 219a StGB unverzüglich streichen – Informationen die Große Anfrage der Abgeordneten Grigorios über Schwangerschaftsabbrüche zulassen“ im Umfang Aggelidis, Renata Alt, Nicole Bauer, weiterer von 38 Minuten debattiert werden. Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vor dem Tagesordnungspunkt 5 soll auf Verlangen Folgen des Brexit für Deutschland und Europa der Fraktion der AfD eine Aktuelle Stunde mit dem Ti- tel „Forderung der Jungsozialisten nach Abschaffung Drucksachen 19/1932, 19/5892 des § 218 Strafgesetzbuch – Abtreibung bis zum neunten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Monat“ stattfinden. die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Der Tagesordnungspunkt 12 – Stellungnahme des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem zum Peer Review 2018 zur Deutschen Nachhaltigkeits- Bundesminister des Auswärtigen, Heiko Maas. strategie – soll abgesetzt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 16 – An- der CDU/CSU) trag mit dem Titel „Eurozone zukunftsfest machen – Kürzungspolitik beenden“ – abgesetzt und stattdessen Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: der Antrag auf der Drucksache 19/6422 mit dem Titel Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten „USA zur Rückkehr in den INF-Vertrag auffordern – Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stationierung neuer Atomwaffen in der Bundesrepublik Die Debatten in den letzten Tagen über den Brexit wa- Deutschland ausschließen“ mit einer Debattenzeit von ren in Großbritannien außerordentlich intensiv, und sie 38 Minuten aufgerufen werden. waren auch sehr emotional – und das ist noch sehr diplo- Schließlich sollen der Tagesordnungspunkt 25 a – ab- matisch ausgedrückt. Aber angesichts der Tragweite der schließende Beratung des Entwurfs eines Fünften Ge- Entscheidungen, um die es da geht, ist das vielleicht auch setzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngeset- gar nicht so verwunderlich. zes – und der Tagesordnungspunkt 25 b – abschließende (B) Das gestrige Misstrauensvotum gegen Theresa May (D) Beratung einer Stellungnahme gegenüber der Bundesre- war wohl einfach nur der sichtbarste Ausdruck dieser gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes enormen Spannungen. Es sind historische Tage für Groß- zum Verbraucherschutz – abgesetzt werden. britannien, aber auch für uns. Dass Theresa May dieses Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte- Misstrauensvotum überstanden hat, ist erfreulich; das liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Ergebnis bietet aber keinen Grund, darauf schließen zu können, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen im bri- Sind Sie mit all diesen Veränderungen einverstan- tischen Unterhaus hinsichtlich des Austrittsabkommens den? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so irgendetwas verbessert hätte. beschlossen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kol- Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 3, Zusatz- leginnen und Kollegen, die Europäische Union hat sich punkt 1 sowie den Tagesordnungspunkt 15 auf: in den Verhandlungen zum Brexit-Abkommen bisher äu- ßerst geschlossen gezeigt. Und auch nach der Verschie- 3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ bung der geplanten Abstimmung im britischen Unter- CSU und SPD haus – vermutlich wird sie im Januar stattfinden – gibt Den Brexit geordnet vollziehen – Das Aus- es keinen Anlass, von dieser Linie abzurücken. Unser trittsabkommen und die Politische Erklärung klares Interesse ist weiter eine Einigung mit Großbritan- als Voraussetzung für eine künftige enge und nien. Das gemeinsam über Monate hinweg ausgehandel- vertrauensvolle Partnerschaft der EU mit te Abkommen ist dafür ein wirklich fairer Kompromiss. dem Vereinigten Königreich Er liefert eine gute Basis für einen geordneten Austritt und für den Aufbau enger künftiger Beziehungen. Es gibt Drucksache 19/6412 keine Grundlage dafür, dieses Abkommen wieder aufzu- dröseln. Dies haben wir in den vergangenen Tagen noch ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten einmal deutlich gemacht. Daran wird sich auch nichts Dr. Marco Buschmann, Stephan Thomae, ändern. Grigorios Aggelidis, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs (Beifall bei der SPD) eines Gesetzes zur Sicherung der Gewalten- teilung bei internationalen Entscheidungspro- Die kommenden Tage und Wochen werden sicherlich zessen Aufschluss über den weiteren Verlauf der Debatte geben, vor allen Dingen in London. Wir sollten uns, wie ich fin- Drucksache 19/6399 de, gar nicht groß mit Spekulationen über mögliche Sze- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8191

Bundesminister Heiko Maas (A) narien in der britischen Innenpolitik aufhalten. Letztlich delns. Unabhängig davon, ob es Mitglied der Europäi- (C) gebietet das schon der Respekt vor unseren britischen schen Union ist: Großbritannien bleibt ein Teil unserer Partnern. Der weitverbreitete und sicherlich nachvoll- europäischen Werte- und Handlungsgemeinschaft. Wir ziehbare Wunsch, den Brexit rückgängig zu machen, ist werden auch in Zukunft viele Ziele gemeinsam verfol- etwas, dem wir alle außerordentlich nahestehen, aber gen. wenn man sich die gegenwärtigen Umfragen in Großbri- tannien anschaut, dann stellt man fest, dass sich seit dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Referendum trotz einer außerordentlich chaotischen De- CDU/CSU) batte, die dort geführt wird, nicht viel geändert hat. Auch Denn letztlich stehen wir in Europa – und nicht nur in das muss man zur Kenntnis nehmen. Europa, aber in Europa ganz besonders – vor immensen Herausforderungen, die alle keine Grenzen kennen: Glo- Entscheidend ist letztlich, liebe Kolleginnen und Kol- balisierung, Klimawandel, Migration, die Verteidigung legen, dass wir als 27 in der Europäischen Union weiter- der multilateralen Weltordnung. Auf all diese Fragen hin geschlossen auf die gegenwärtigen Ereignisse reagie- werden wir in Europa mit Großbritannien nur gemeinsam ren. Das gilt ganz besonders natürlich auch mit Blick auf Antworten finden können: auf einer anderen Basis, zuge- den Europäischen Rat, der heute beginnt. Für uns in der gebenermaßen, aber auf jeden Fall als enge Partner und Europäischen Union sind dabei folgende Punkte zentral: auch als Freunde. Das gilt für das Verhältnis der Europä- Unsere klaren Positionen aus den Leitlinien des Euro- ischen Union zu Großbritannien. Das gilt aber natürlich päischen Rates gelten unverändert nach wie vor. auch für unser bilaterales Verhältnis zu Großbritannien. Die im Austrittsabkommen definierte Lösung für ei- Deshalb haben wir schon im April dieses Jahres mit nen funktionierenden Backstop für Nordirland steht nicht dem damaligen Außenminister Großbritanniens einen zur Disposition. Auf dieser Basis sind wir natürlich be- strategischen Dialog vereinbart. Gemeinsam werden reit, uns britische Überlegungen anzuhören, welche zu- wir uns intensiv und konstruktiv zu außen- und sicher- sätzlichen Klarstellungen gewünscht werden, ohne aber heitspolitischen wie globalen Herausforderungen weiter in der Substanz das, was innerhalb der Europäischen austauschen und austauschen müssen. Eine gemeinsame Union vereinbart worden ist und was im Kabinett in Erklärung und ein Arbeitsprogramm sollen diesen Dialog London Zustimmung gefunden hat, grundsätzlich noch um konkrete Projekte ergänzen, zum Beispiel durch eine einmal zu verändern. Stabilisierungspartnerschaft zur Konfliktvermeidung und Friedenssicherung. Die bilaterale Zusammenarbeit Schließlich bleibt die Einheit der EU‑27 von überra- wird genauso eng fortgeführt. gender Bedeutung. Das wird ganz wichtig für die kom- (B) menden Tage und Wochen. Diese Einheit ist auch des- Dieser Austausch ist umso wichtiger vor dem Hin- (D) halb so wichtig, weil es um die Glaubwürdigkeit und die tergrund unserer anstehenden Mitgliedschaft im Sicher- Zukunft des europäischen Projektes geht. Das hat bisher heitsrat der Vereinten Nationen. Dort werden wir mit bemerkenswert gut funktioniert. Letztlich kann bei ei- Großbritannien als ständigem Sicherheitsratsmitglied nem Austritt aus der Europäischen Union, von wem auch eng zusammenarbeiten. Das haben wir auch schon ver- immer darüber entschieden wird, niemand darauf setzen, einbart, völlig unabhängig vom Brexit. die Verpflichtungen loszuwerden, die Rechte und Vortei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) le einer Mitgliedschaft aber behalten zu können. Wir haben ein gemeinsames Ziel, das auch nach einem Meine Damen und Herren, ein ungeregelter, ein har- vollzogenen Brexit erhalten bleibt: die Verteidigung der ter Brexit hätte schwerwiegende Konsequenzen. Er liegt regelbasierten internationalen Ordnung als wichtige Auf- nicht im britischen, aber er liegt auch nicht im europäi- gabe gleichgesinnter demokratischer Staaten. Sosehr wir schen und im deutschen Interesse. auch den Brexit bedauern, in der Debatte dürfen wir ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nes, glaube ich, nicht vergessen: Weiterhin wird uns mit ten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Marco Großbritannien mehr einen, als uns trennt. Auch wenn Buschmann [FDP]) Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist, bleibt es immer noch ein Teil Europas, und zwar ein Teil, den wir Angesichts der schwierigen politischen Lage, die wir in auch weiterhin brauchen. Großbritannien Tag für Tag mitverfolgen können, müs- sen wir unsere Planungen wie bisher auch für den Fall Herzlichen Dank. fortsetzen, dass es zu einem harten Brexit kommt. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben gestern im Kabinett zwei Gesetzespakete verab- der CDU/CSU) schiedet, mit denen wir sicherstellen, dass auch in ei- nem solchen Fall größtmögliche Rechtsklarheit für die Bürgerinnen und Bürger herrscht. Auch die praktischen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Vorbereitungen laufen. So stellen wir zum Beispiel meh- Nächster Redner ist Martin Hebner, AfD. rere Hundert Zollbeamte zusätzlich ein, um das Mehr an (Beifall bei der AfD) Arbeit, das kommen wird, zu bewältigen. Damit sind wir auch für den Worst Case gerüstet. Solange das Austritts- abkommen nicht ratifiziert und unterzeichnet ist, werden Martin Hebner (AfD): wir diese Vorbereitungen konsequent fortführen. Auch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie das ist ein Gebot verantwortungsvollen Regierungshan- mich zu Beginn meiner Rede der Opfer der letzten Tage 8192 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Martin Hebner (A) gedenken. Wieder mal hat auf einem christlichen Weih- Fremdbestimmung durch ein bürokratisches und refor- (C) nachtsmarkt ein islamischer Attentäter Bürger ermordet. munfähiges Brüssel. So weit klar und verständlich! Wieder einmal war der Täter schon mehrfach auffällig, auch in Deutschland. Und wieder einmal sollte er eigent- (Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP] lich schon längst verhaftet sein. meldet sich zu einer Zwischenfrage) Kommen wir zum vorliegenden Antrag der Regie- Was Sie, meine Damen und Herren auf der Regie- rungskoalition. Man könnte den Antragstext als „Much rungsbank, nie verstanden haben, ist: Großbritannien und Ado About Nothing“ oder „Viel Lärm um nichts“ be- übrigens auch viele andere haben nichts gegen Europa – zeichnen; Gott behüte! –; sie wollen nur raus aus dieser in dem Fal- le zentralistischen und einschränkenden EU. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Mit „Viel Lärm um nichts“ kennen Sie sich aus!) (Beifall bei der AfD) denn dieser Antragstext sagt eigentlich nur, dass es ein Genau dieser Austrittswunsch aus einem überbordenden, Austrittsabkommen gibt – und das auf mehreren Seiten. unkontrollierbaren Bürokratismus nicht demokratisch In einem – so könnte man sagen – larmoyanten Stil wird gewählter Politkommissare der EU-Kommission wird hier der Austrittswunsch Großbritanniens aus der EU be- ihnen definitiv erschwert. klagt. Es wird bedauert, es würden nur Verlierer zurück- gelassen. Es wird das Ergebnis der Verhandlungen mit der EU als Kompromiss bezeichnet, was es im Übrigen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auch ist. Dann wird in dem Fall noch konstatiert, dass Herr Kollege Hebner, der Kollege Graf Lambsdorff alle auf der EU-Seite gut gearbeitet hätten; sprich: Das würde gerne eine Zwischenfrage stellen. loben diejenigen, die dieses Problem eigentlich verur- sacht haben. Martin Hebner (AfD): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aus Aber gern. Ihrer Sicht alles Gewinner, oder?)

Neu- und Nachverhandlungen des Austrittsvertrages Alexander Graf Lambsdorff (FDP): werden verdammt. Mit einem weinerlichen Schlusssatz, Großbritannien könne ja wieder an die Pforten der EU Wir haben uns eben beide angeschaut. klopfen, wird dieser Antrag, der auf drei Seiten vorliegt, beendet. Martin Hebner (AfD): (B) (D) Meine Damen und Herren, dieser Antrag selber ist Das ist gut. irrelevant. Relevant ist das Austrittsabkommen, das al- lerdings natürlich nicht öffentlich ist und über das wir Alexander Graf Lambsdorff (FDP): jetzt hier auch nicht im Detail diskutieren, das auf gut 522 Seiten, die, wie gesagt, hier nicht behandelt werden, Ihre Bemerkung, dass das Abkommen über den Aus- weil nichtöffentlich, die Gesamtregelung beinhaltet. tritt Großbritanniens aus der Europäischen Union an- geblich nicht öffentlich sei, womit Sie hier so einer Art ( [CDU/CSU]: Das ist Verschwörungstheorie den Boden zu bereiten versuchen, doch Quatsch! – Zuruf des Abg. Christian konnten wir irgendwie nicht glauben. Wir haben es gera- Petry [SPD]) de überprüft: Sie können es googeln. Wir sollen – das ist eigentlich der Antrag der Union (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und der SPD – dieses Austrittsabkommen hiermit nur NEN]: Das ist schwer! – Zuruf von der SPD: schlicht zur Kenntnis nehmen. Das ist der Punkt. Das ist im Internet!) (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Völliger Es ist für alle Bürgerinnen und Bürger öffentlich einseh- Unsinn, was der erzählt!) bar. Es hat 585, nicht 522 Seiten. Würden Sie so nett sein, Deswegen steht auch in diesem Antrag von Union und das zur Kenntnis zu nehmen, Herr Hebner? SPD, Frau Nahles, nur: Der Bundestag möge beschließen. Dann folgt der Satz: Der Bundestag möge zur Kenntnis (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nehmen. – Im Prinzip, im Endeffekt ist das nichts anderes der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und als: Nehmt es in diesem Fall einfach an! des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD – Gunther Krichbaum (AfD): [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Das ist Martin Hebner doch völliger Unsinn! Das kann doch so nicht Herr Graf Lambsdorff, ich nehme zur Kenntnis, dass stehen bleiben!) Sie das jetzt hier so sagen und dass Sie sich das ange- schaut haben. Das Anliegen der Briten – halten wir das schlicht einmal fest –: Die Briten wollen raus aus der EU, raus (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aus einer Zentralisierung, weg von bürgerferner und re- NEN]: Haben Sie sich das nicht angeschaut, alitätsferner Gesetzgebung, weg von Zentralismus und Herr Hebner?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8193

Martin Hebner (A) Der Punkt ist schlicht und ergreifend: Es wird ja hier gar handlungen unsere Bundesregierung – Herr Maas hat (C) nicht behandelt. eben darüber gesprochen – leider keinerlei Input mit- geliefert und keinerlei Steuerung vorgenommen. Wir (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Sie insze- möchten ganz klar betonen: Von diesem Vertrag sind nieren hier etwas! – Katrin Göring-Eckardt natürlich gerade die Vertreter der deutschen Wirtschaft [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Gela- schwer betroffen. Sie müssen bitte zur Kenntnis nehmen, ber!) Herr Maas, dass unser Außenhandelsüberschuss gegen- Sie werden in dem Antragspapier vonseiten der Union über Großbritannien im Moment – Stand letzten Jahres – nur einen Verweis auf das Austrittabkommen lesen, auf 47 Milliarden Euro beträgt. Davon leben auch Sie. Das einen Kompromiss. Sie haben aber hier keinerlei Ver- heißt, auch Sie profitieren mit Ihrem Gehalt von diesem handlung. Überschuss. ( [SPD]: Mein Gott, wie pein- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – lich! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Christian Petry [SPD]: Oh Mannomann!) GRÜNEN]: Worüber reden Sie denn da? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Dass sich keiner Gedanken darüber gemacht hat, was GRÜNEN]: Nur Gelaber! Null Kenntnis!) mit diesem Abkommen alles an Problemen verursacht wird, vor allem auf Dauer, und dass nicht mal ein Plan B Sie haben hier in dem gesamten Antrag der Union kei- für einen harten Brexit existiert, Herr Maas, das ist ein nerlei Sequenzen dieses Abkommens. Es wird nicht öf- absolutes Versäumnis. fentlich diskutiert. ( [SPD]: Ihre Schnittchen werden (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie haben hier auch davon bezahlt!) einen falschen Eindruck erweckt!) Herzlichen Dank. Es wird von uns in dem Fall nur beschlossen, dies zur Kenntnis zu nehmen. Das ist das Antragspapier der Uni- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer on. [CDU/CSU]: Mann, Mann! So was Gedan- kenloses habe ich selten gehört!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie haben Unsinn erzählt!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Danke schön. Dr . Katja Leikert, CDU/CSU, ist die nächste Redne- (Beifall bei der AfD – Gunther Krichbaum rin. [CDU/CSU]: Das ist doch völliger Quatsch, (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) was Sie hier erzählen! Das ist völliger Unsinn! Alles Verschwörung, klar! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Die haben nichts anderes als Verschwörung!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen – Herr Krichbaum, ich finde Ihre Äußerungen nett. Aber und Herren! Das, was diese Woche in Großbritannien gleichwohl steht in dem Papier, in Ihrem Antrag, den Sie passiert ist, haben wir uns alle so nicht gewünscht. Wir hier vorgelegt haben, nichts zu den – ich nehme es gern sehen in diesen Tagen politisches Chaos in London. Wir zur Kenntnis – 585 Seiten des Abkommens. Ergo gibt es sehen ein Land in eine beispiellose Krise taumeln. keine Diskussion darüber. Wir nehmen es zur Kenntnis. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- AfD findet das toll!) NEN]: Nur schlecht vorbereitet!) Poetisch könnte man formulieren, dass wir live dabei Was ich in dem Fall ganz klar sagen möchte, ist, dass zuschauen können, wie populistische Dummheit seine hier die EU-Kommission, die natürlich keinerlei Interes- hässliche Gestalt annimmt. se hat, ein funktionierendes Gegenmodell zur EU sich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der entwickeln zu lassen, FDP) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wahr- Das alles hätte Shakespeare nicht besser inszenieren scheinlich im Geheimen, oder?) können. Aber leider ist das eben kein Schauspiel, sondern für die Verhandlungen autorisiert und von Ihnen ermäch- bittere Realität, und es betrifft Millionen von Menschen. tigt wurde. Sie haben damit schlicht und ergreifend, was Es zeigt einmal mehr, sehr geehrter Herr Hebner, warum die gesamte Verhandlung anbelangt, den Bock zum Gärt- wir gegen jegliche Form dieser populistischen Zerstö- ner gemacht. rungswut mit aller Macht jeden Tag kämpfen müssen. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es ordneten der SPD und der FDP) sich noch nicht mal angeguckt und reden da- Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Sie mich am rüber!) Montag gefragt hätten, wie diese Woche verlaufen wür- Was die deutschen Interessen anbelangt – ich will es de, dann hätte ich Ihnen geantwortet, dass das Unterhaus noch mal betonen –, so hat während der gesamten Ver- am Dienstag das Abkommen mit der Europäischen Uni- 8194 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Katja Leikert (A) on ratifiziert und dass es dann, was schon traurig genug An dieser Stelle auch mal ein herzliches Dankeschön (C) gewesen wäre, zu einem geordneten Brexit kommt. an die SPD für ihre immer klare proeuropäische Haltung. Diese gibt es hier an vielen Stellen, auch bei der FDP und Wir erinnern uns – ich erkläre Ihnen das an der Stelle bei den Grünen, in diesem Hohen Haus. gerne noch mal –, was so eine Europäische Union leistet: Die Europäische Union hat selbst in so einer schweren (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Stunde ein großes Abkommen von über 580 Seiten – das bei Abgeordneten der FDP – Armin-Paulus haben Sie jetzt auch gerade gelernt – verhandelt. Genau Hampel [AfD]: Kuschelkurs! Macht nur wei- das macht nämlich die Europäische Union aus: dass Kon- ter!) flikte kommunikativ und vertragsmäßig verhandelt wer- den. Diese Woche kam schnell die Frage nach Nachver- handlungen auf. An dieser Stelle kann man wirklich nur (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sagen: Wesentliche Nachverhandlungen kann es nicht ge- Bis zu einer Übergangsfrist wäre Großbritannien ben. Das liegt nicht daran, dass wir das den Briten nicht in der Zollunion verblieben, und damit wäre auch eine gönnen würden in irgendeiner Form. Das liegt einfach harte Grenze auf der irischen Insel vermieden worden. daran, dass das Verhandlungsergebnis eben ein gutes Er- Auch die Frage, wie es nach einer Übergangszeit weiter- gebnis ist und vor allem den Frieden in Irland, auf der gehen würde, wurde geklärt. Es sollte ein umfassendes irischen Insel garantiert, und dazu stehen wir. Der Ball Freihandelsabkommen mit Großbritannien verhandelt liegt ganz klar im Feld von London. werden. Und wenn man sich die Position von Großbri- tannien anschaut, sieht man: Genau das war das Ziel von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Großbritannien. Wir alle wissen auch: Das war schon die ordneten der SPD) äußerste Grenze dessen, was die Europäische Union hät- te zulassen können. Es ist insgesamt also ein fairer, ver- Abschließend möchte ich noch sagen, dass wir in Eu- nünftiger Deal – so beurteilen wir das; Sie beurteilen das ropa ja nicht nur den Brexit haben. Wir haben populis- anders –, soweit man in dieser Lose-lose-Situation davon tische Bewegungen von links und rechts. Wir kämpfen überhaupt sprechen kann. gegen diese Art von Politik auch hier im Deutschen Bun- destag. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das Gegenteil ist richtig, Frau Leikert! Sie haben gemauert (Dr. [AfD]: Na, da bis zum Gehtnichtmehr!) kämpft mal schön!) Für uns als Koalitionsfraktionen ist klar: Wenn Lon- Wir lassen es uns nicht nehmen, offensiv für unser Eu- (B) don die Gemeinschaft der Europäischen Union verlässt, ropa und die Europäische Union zu kämpfen. Wir sind (D) dann heißt das noch lange nicht, dass die Europäische uns hier über ein Euro-Zonenbudget, eine gemeinsame Union ihre eigene Identität aufgeben muss, weder den Arbeitslosenversicherung oder eine Einlagensicherung Binnenmarkt mit seinen vier Freiheiten noch den An- nicht immer einig; aber wir kämpfen für die besten Kon- spruch an die Europäische Union als Friedensprojekt. zepte, die Europa stark machen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Friedenspro- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wo leben Sie jekt? Die bricht doch gerade auseinander, die eigentlich? Europa fliegt Ihnen gerade um die Union!) Ohren, und Sie machen hier Weihnachtsmär- Es ist unsere Aufgabe, die Europäische Union zu schüt- chen und „Wünsch dir was“!) zen, insbesondere vor politischer Dummheit. Genau so werden wir in den Europa-Wahlkampf ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hen. Wir als CDU/CSU werden es mit unserem Spit- ordneten der SPD – Armin-Paulus Hampel zenkandidaten tun, einem echten Brü- [AfD]: Paris brennt, und Sie reden von Frie- ckenbauer. den!) ( [CDU/CSU]: Guter Mit dem Antrag, den wir, SPD, CDU/CSU, heute ge- Mann! – Gegenruf des Abg. Armin-Paulus stellt haben – vielleicht sind Sie ja einfach nur traurig, Hampel [AfD]: Ja, genau! Ganz wunderbar!) Herr Hebner, dass Sie Ihren Antrag nicht zustande be- kommen haben; immerhin war er ja angekündigt –, – Er ist ein guter Mann; da hat Ralph Brinkhaus recht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. müssen sie ja mal inhaltlich arbeiten! Das Beatrix von Storch [AfD]) klappt nicht!) stehen wir für einen geordneten Brexit, für Planungssi- – Schreien Sie hier nicht so rum! – Manfred Weber ist cherheit für Bürgerinnen und Bürger und die Unterneh- ein echter Kämpfer für den European Way of Life, wie er men, für den Frieden auf der britischen Insel und vor al- immer auf Bayrisch sagt. lem für langfristige, gute, freundschaftliche Beziehungen Ich möchte abschließend, weil ich es so toll fand, ger- zu Großbritannien. ne auch mal Franziska Brantner an dieser Stelle danken (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schön reden für eine fraktionsübergreifende Initiative, den Wahl- und hinten mauern! So geht es!) kampf unter Demokraten fair zu führen, sich gegen Hetze Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8195

Dr. Katja Leikert (A) und Fake News einzusetzen. Ich wünsche Großbritanni- Aber die Menschen in unserem Land brauchen eine (C) en und uns Good Luck! klare Ansage. Auch die Menschen aus unserem Land, die in Großbritannien leben – Studierende, Familien, Ar- Herzlichen Dank. beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Rentner –, sind nicht sicher, was eigentlich mit ihren bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Überweisungen, den Renten oder den Studiengebühren GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie passiert. Bei den Patientinnen und Patienten wird es ganz haben die Nazis vergessen!) besonders schlimm, und da geht es auch schon in die Wirtschaft rein. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Was ist eigentlich mit der Zulassung von Medikamen- Nächster Redner ist Alexander Graf Lambsdorff, FDP. ten auf dem Kontinent und in Großbritannien nach einem harten Brexit? Und wie sieht es in der Automobilwirt- (Beifall bei der FDP) schaft, in der Landwirtschaft, im Tourismus mit dem im- mer schwächer werdenden Pfund aus? Es gibt so viele Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Konsequenzen eines Brexits, insbesondere eines harten Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedau- Brexits, auf die die Bundesregierung bisher überhaupt ern, glaube ich, nahezu alle hier den Austritt Großbritan- nicht eingegangen ist. Die Europäische Kommission und niens; aber ich will ein paar Worte aus der Sicht meiner interessanterweise die britische Regierung haben Hand- Fraktion sagen: Großbritannien ist das Mutterland des reichungen ausgegeben – „Preparedness Notices“ heißen Liberalismus. Für uns ist es ganz besonders schmerzhaft, die –: Was müssen wir erwarten? Was haben wir im Falle dass die Briten gehen wollen. Die parlamentarische De- eines harten Brexits zu gewärtigen? Von der Bundesre- mokratie stammt aus Großbritannien. Die Menschenrech- gierung gibt es solche Handreichungen nicht. te, Habeas Corpus, Industrie und Freihandel: Großbritan- nien hat unglaublich viel zur europäischen Geschichte, zur Meine Damen und Herren, Katja Leikert hat hier eben europäischen Kultur und zum Liberalismus beigetragen. gesagt, dass Ganze erinnert an Shakespeare. Mich erin- Für uns ist es ein ganz besonders schwerer Verlust, und nert es eher an Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“, wir bedauern es außerordentlich, dass Großbritannien der was wir hier die letzten Tage gesehen haben, sozusagen Europäischen Union den Rücken kehren will. „Theresa im Wunderland“ mit Jacob Rees-Mogg als Hut- macher und Boris Johnson als Märzhasen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der FDP, der CDU/CSU und der AfD) (B) Wir haben gestern hier die Bundeskanzlerin in der Re- (D) gierungsbefragung gehört. Sie hat gesagt: Auch die Bun- Das war ja ein Spektakel, das wir uns da angucken muss- desregierung will, dass Großbritannien bleibt; und sie ten. Wir dachten eigentlich, wir hätten heute eine Ent- arbeitet weiter für einen geordneten Austritt. Aber, meine scheidung, über die wir debattieren können. Jetzt dauert Damen und Herren, der Wahrheit die Ehre: Zurzeit ist es bis Januar. keine Mehrheit in London – nirgends – für den ausgehan- Wir werden das respektvoll machen; denn eines – das delten Deal für das Abkommen mit Großbritannien über will ich hier am Ende sagen – ist auch klar – ich glaube, den Austritt erkennbar. Wir müssen uns als Land und als da spreche ich für viele hier –: Insgeheim ist die britische Union auf einen harten Brexit einstellen. Hier komme ich Queen eigentlich eine Königin auch unserer Herzen. Wir nicht umhin, die Bundesregierung wirklich zu kritisieren mögen die Briten weiterhin. Sie bleiben unsere Partner, für die mangelhafte Vorbereitung, mit der sie in dieser unsere Freunde, unsere Alliierten. Wir müssen in Euro- Angelegenheit unterwegs ist. pa mit Deutschland und Frankreich gemeinsam arbeiten, (Beifall bei der FDP) und wir müssen die Regierung dazu anhalten, unser Land endlich auf einen harten Brexit einzustellen. Wir als Fraktion der Freien Demokraten haben schon vor mehreren Monaten eine Große Anfrage gestellt, weil Herzlichen Dank. uns klar war: Es gibt verschiedene Szenarien. Ein Szena- (Beifall bei der FDP) rio ist das, das sich jetzt als wahrscheinlichstes heraus- stellt: ein harter Brexit. Was hat uns die Bundesregierung Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: als Frist zur Beantwortung angeboten? Das muss man sich mal vorstellen: Am 29. März nächsten Jahres findet Fabio De Masi, Fraktion Die Linke, ist der nächste der Brexit nach dem Artikel 50 statt, und die Antwort auf Redner. unsere Große Anfrage zur Vorbereitung unseres Landes (Beifall bei der LINKEN) auf die Konsequenzen wollte die Bundesregierung am 31. Mai 2019 vorlegen. Ja, herzlichen Dank, liebe Bun- Fabio De Masi (DIE LINKE): desregierung! Das ist keine Vorbereitung. Das ist ein Herr Präsident! Ladies and Gentlemen! Der Vorsitzen- Nachklapp. Das brauchen wir nicht. de von Labour, Jeremy Corbyn, der Oppositionsführer in (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Großbritannien, sagte auf dem Kongress der europäi- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der schen Sozialdemokraten: Die extreme Rechte wird durch AfD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist sinkenden Lebensstandard, kaputte Kommunen, unsi- eine Verhöhnung des Parlaments!) chere Jobs und unterfinanzierte öffentliche Dienste ge- 8196 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Fabio De Masi (A) stärkt. Er fuhr fort: Die Kürzungspolitik in der EU hat zu um ihre sozialen Rechte gebracht werden, wie etwa bei (C) Leid der Arbeitnehmer geführt und eine erhebliche Rolle der EU-Richtlinie gegen Höchstarbeitszeiten. beim Ja der Briten zum Brexit gespielt. – Die wichtigste Aufgabe angesichts des Austritts der Briten aus der EU (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ist es daher nach Überzeugung unserer Fraktion, dass wir neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Europa neu erfinden, damit es zu einer sozialen Schutz- All diese Dinge sind im Austrittsabkommen aber nicht macht über Menschen wird. geregelt, auch nicht in der Protokollerklärung. Sie wer- den in einem Abkommen über die zukünftigen Beziehun- (Beifall bei der LINKEN) gen mit dem Vereinigten Königreich geregelt. Und hier muss das Parlament dann wirklich Zähne zeigen und der Jahrelang wurde etwa behauptet, wir könnten eine Bundesregierung auch sagen, dass sie ihren Job zu tun Finanztransaktionsteuer nicht machen, weil die Briten hat. dann ihr Veto wegen der City of London einlegen. Jetzt gehen die Briten raus, und Deutschland und Frankreich (Beifall bei der LINKEN) machen zehn Jahre nach der Finanzkrise, die dem Brexit vorausging, eine reine Aktiensteuer, die 98 Prozent der Leider hat die Bundesregierung gegen unseren Rat Finanztransaktionen ausnimmt. Die Begründung lautet die sozialen Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien wieder, man könne das nicht machen wegen des Wettbe- in diesem Austrittsabkommen verankert. Wir halten das werbs mit den Briten und der City of London. nicht für klug, ich will auch sagen, warum: Wenn der Deal jetzt scheitert, sind die EU-Bürger in Großbritanni- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist absurd; en nicht hinreichend geschützt. Wir sehen auch kritisch, denn die Aufblähung der Finanzmärkte und die Deindus- dass in diesem Austrittsabkommen die Möglichkeit trialisierung im britischen Norden ist ja einer der Grün- Großbritanniens, eine aktive Industriepolitik zu nutzen, de, warum eine Mehrheit der Briten letztlich für diesen durch die Koppelung an das EU-Beihilferecht beschränkt bedauerlichen Brexit stimmte. Wer Europa retten will, wird; denn Großbritannien hätte es bitter nötig, eine In- muss daher – auch hier in Berlin – endlich eine neue dustrie zu entwickeln, die eben nicht von den aufgebläh- Schallplatte auflegen. ten Finanzmärkten abhängig ist, oder die die Möglichkeit einräumt, die chaotische Eisenbahn wieder zu verstaat- (Beifall bei der LINKEN) lichen. Es gibt nun vier Möglichkeiten: Entscheidend ist, was die EU unternimmt, um zu ver- hindern, dass Großbritannien über eine Absenkung der Erstens. Der Brexit-Deal bekommt eine Mehrheit im (B) Unternehmensteuern Steuerdumping weiter anheizt. Da britischen Unterhaus. Dann kommt der Brexit, und es (D) muss es eine klare Botschaft geben, auch hier aus Berlin: wird über einen zukünftigen Vertrag verhandelt. So lange Wenn ihr das macht, liebe Freundinnen und Freunde auf sind die Briten mit der Zollunion verheiratet und dürfen der Insel, dann wird es auch von Deutschland Quellen- sich auch nicht scheiden lassen, weil die EU ein Veto hat. steuern auf Finanzflüsse in die Steueroase Großbritanni- So wird verhindert, dass die Briten eigene Handelsab- en geben. kommen schließen und es eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland gibt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Es gibt keinen Deal; das würde Chaos be- deuten – ich komme aus , der vielleicht bri- Entscheidend ist, dass wir den britischen Banken und tischsten Stadt in Deutschland – und hätte in der Tat Fonds sagen: Ihr bekommt nur eine Geschäftslizenz in Konsequenzen, die wir alle nicht wollen. der EU, wenn ihr euch hier an die Spielregeln auf dem Drittens. Der Deal scheitert. Dann wird es Neuwah- Finanzmarkt haltet, wenn ihr euch der Finanzaufsicht vor len geben. Sollte Labour gewinnen, würde Corbyn eine Ort unterwerft und alle Finanzmarktgesetze der EU be- dauerhafte Zollunion mit der EU anstreben. Eine neue achtet. Regierung braucht dafür aber Zeit und kann nicht für die (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- alte Regierung verhaftet werden. Die EU sollte dann be- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gesine Lötzsch reit sein, die Artikel‑50-Periode zu verlängern. [DIE LINKE]: Nicht nur beachten, sondern Es gibt auch eine vierte Möglichkeit: ein zweites Re- auch einhalten!) ferendum in Großbritannien über den Verbleib in der EU und die unilaterale Kündigung des Antrags auf Austritt Entscheidend ist, dass wir Rechtsstreitigkeiten mit bri- aus der EU durch die Briten. Ich halte das in der Tat nicht tischen Unternehmen nicht über Investor-Staat-Schieds- für realistisch, und der Ausgang wäre auch nicht sicher. gerichte regulieren, wo Investoren Staaten verklagen Aber sicher ist: Auch ein zweites Referendum würde zu- können, wenn Gesetze ihre Profite hemmen. Gegen sol- nächst eine Ablehnung des Deals und Neuwahlen erfor- che privaten Konzerngerichte sind viele Menschen in Eu- dern; auch hier wäre also mehr Zeit erforderlich. ropa bei Investitionsabkommen wie TTIP oder CETA auf die Straße gegangen. Ich respektiere die inneren Angelegenheiten der Bri- ten; aber man sollte auch nicht ein ganzes Land für seine Entscheidend ist, dass EU-Bürger, die in Großbritan- schlechte Regierung verantwortlich machen. Ich bete da- nien arbeiten, nicht durch eine konservative Regierung her täglich zu Gott oder zur Queen, dass es Neuwahlen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8197

Fabio De Masi (A) in Großbritannien gibt und die Briten endlich von dieser der Schweiz. Wie wäre denn die Grenze zwischen Nord- (C) Regierung erlöst werden. irland und Irland? Sie wäre so wie zwischen der Euro- päischen Union und Russland; das wäre die Situation, in Vielen Dank. der sich Nordirland und Irland befinden würden. Und das (Beifall bei der LINKEN) geht eben nicht, das haben die Iren und die Europäische Union ganz klar gesagt. Und das ist auch richtig so. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Was würde es bedeuten, würden wir einfach sagen: Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, ist „Die Grenzen bleiben offen“? Das ist das, was die Bri- die nächste Rednerin. ten häufig sagen: Dann lasst halt die Grenzen einfach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) offen. – Na ja, dann kann von Schweinepest bis Waffen alles in die Europäische Union reinkommen, ohne dass es irgendjemand kontrolliert hat. Das ist auch nicht im Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Interesse der Europäischen Union. NEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Herren! Es ist jetzt der zweite Europäische Rat ohne Regierungserklärung. Das ist auch nicht ersetzbar Deswegen haben wir einen sogenannten Backstop, der durch eine Fragestunde, wie wir sie gestern hatten, wo bedeutet: Es ist eine offene Grenze, Nordirland und UK drei Minuten über den Rat geredet wurde. Daher finden bleiben Teil einer Zollunion, und Nordirland hält sich an wir es richtig, dass die FDP einfordert, es fester und ver- einen Teil der Binnenmarktregeln. Das ist unserer Mei- pflichtender zu etablieren, dass vor den Räten und da- nung nach schon ziemlich schwach ausgerichtet; aber es nach hier im Haus debattiert werden muss. ist immerhin eine Antwort. Das ist aber nur die Antwort, wenn wir mit den Briten keine bessere finden. Das Ziel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist natürlich, dass man sich am Ende auf eine bessere Ver- bei der FDP und der LINKEN) einbarung einigen kann, zum Beispiel wie mit Norwegen oder der Schweiz. Aber falls wir uns nicht einigen kön- Wenn man sich den Brexit anschaut, dann ist das ein nen, ist das unsere Rückversicherung – im schlechtesten einziges Trauerspiel, über das sich nur noch Zyniker oder Fall kommt das. Nationalisten freuen können. Wahrscheinlich ging es Ih- nen allen gestern Abend so wie mir. Ich war erleichtert Was macht May? Ich vergleiche es mal mit einer darüber, dass May das Misstrauensvotum überstanden Brandschutzversicherung. Frau May sagt: Wir haben hat. Es ist irgendwie schon absurd, dass man sich darüber jetzt eine Brandschutzversicherung abgeschlossen, aber (B) freut und denkt: Eine Verrücktheit weniger, es bleiben in den AGBs steht drin, dass, wenn das Haus wirklich (D) nur noch die von Montag, dem 10. Dezember, die ja auch brennt, der Chef der Versicherung entscheiden kann, ob schon alle unlösbar sind. Das ist der Zustand der Ver- die Versicherung auch wirklich gilt. – Dazu kann ich nur rücktheit, den wir gerade auf der britischen Insel haben. sagen: Das können Sie sich in die Haare schmieren. Das Was will Frau May? Alles, was wir bis jetzt gehört ist dann keine Versicherung mehr, sondern nur noch ein haben, ist, dass sie die rechtliche Zusicherung haben Ausnutzen der europäischen Solidarität. Das geht nicht, möchte, dass der Backstop nicht dauerhaft gilt oder – das sehr geehrte Frau May. ist das andere, was man hört – dass der Backstop nur in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kraft treten kann, wenn das Unterhaus darüber noch mal und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der abgestimmt hat. Da kann ich nur sagen: Beides wäre der CDU/CSU) Wahnsinn. Die Europäische Union darf nicht das vitale Interesse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Mitgliedslandes über die Interessen von verrückten sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]) Tories oder einem unverantwortlichen Corbyn stellen. Worum geht es denn eigentlich? Es gab den Konflikt, Das wäre doch der Wahnsinn, wenn die EU jetzt bereit den Krieg, zwischen Irland und Nordirland, der zum wäre, diese Interessen preiszugeben für etwas, bei dem Glück beendet wurde. Dieser Frieden hat einiges mit der man noch nicht mal sicher ist, dass May am Ende dafür Europäischen Union zu tun; auch wenn es einige auf der eine Mehrheit in ihrem Haus hätte. Das wäre doch der Insel erst jetzt entdecken oder erst jetzt bereit sind, darü- absolute Wahnsinn. ber zu reden. Dass der Frieden möglich ist, hat viel da- mit zu tun, dass es zwischen Nordirland und Irland keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grenzen gibt. Und es ist auch ein vitales Interesse von sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU]) Irland und der Europäischen Union, diese offene Grenze Daher, Herr Maas, bin ich wirklich der festen Über- zu behalten, damit es nicht wieder zu Konflikten, zum zeugung, dass da rechtlich nichts verändert werden darf. Krieg, auf der Insel kommt. Sie können politisch noch zehnmal deklarieren, dass es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für uns nur eine Versicherung ist und dass wir eigentlich sowie der Abg. Dr. Katarina Barley [SPD]) etwas Besseres wollen; aber die Versicherung muss auch wirklich als Versicherung gelten. Alles andere wäre für Jetzt sagen manche: Na ja, das ist doch nicht so die Europäische Union einfach nur fahrlässig. schlimm, dann gibt es keinen Deal, dann ist es halt so wie mit der Schweiz. – Nein, es ist eben nicht so wie mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 8198 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Franziska Brantner (A) Es ist übrigens interessant, warum das so schwierig beschäftigt, ist: Wenn das jetzt alles so weitergeht, was (C) ist: Die Briten wollen rausgehen aus diesem Haus, aber macht dann eigentlich Schottland? Werden wir vielleicht gleichzeitig drin wohnen bleiben. Das ist wie mit einem irgendwann Ausländer im eigenen Land sein? – Dieser Teenager, der mit 18 auf Randale aus ist und sagt: „Jetzt „Wahnsinn“, von dem die Kollegin Franziska Brantner aber raus, ich möchte Kontrolle über mein Leben haben, zu Recht gesprochen hat, hat Dimensionen, die wir, wie alles alleine machen“, aber auch sagt: „Mama und Papa, ich glaube, im Moment noch gar nicht alle absehen kön- also, wenn ihr noch die Versicherung weiter für mich nen. zahlt und irgendwie guckt, dass ich weiterhin ein Dach Fakt ist, dass noch gar nicht klar ist, wohin die Reise über dem Kopf habe, und zum Essen würde ich ab und am Ende gehen wird. Wir haben noch immer ganz, ganz zu auch gerne bei euch vorbeischauen, so am Sonntag, in viele Optionen offen; viele Rednerinnen und Redner ha- gemütlicher Runde. Ginge das?“ ben das schon gesagt. Jeden Tag erleben wir eine neue (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und kleine Wendung. Dadurch, dass das Misstrauensvotum Wäsche waschen!) gestern gescheitert ist, ist in diesem ganzen Prozess eine kleine Atempause entstanden; aber es bleibt ein großes Das ist die Situation, die wir haben. Da kann ich den Chaos. Briten nur sagen: Das macht es halt schwierig. Ihr könnt gerne weiter sonntags mit uns essen, und wir sind gerne Was haben wir jetzt? Das fertig ausgehandelte Aus- bereit, euch Sicherheit mit zu garantieren; alles möglich. trittsabkommen. Dieser Prozess war die Quadratur des Aber was nicht geht, ist, dass ihr am Sonntag abhaut, Kreises. Man konnte nicht ein Ergebnis schaffen, mit ohne den Tisch mitabgeräumt zu haben. Ihr könnt nicht dem am Ende alle zufrieden sein konnten; das war völlig alle Rechte haben und keine Pflichten. Das geht nicht, in klar . Aber es ist so gut gelungen, wie es eben möglich einer Familie nicht und in der Europäischen Union auch war . Das war ein fairer Prozess, ein geschlossener Pro- nicht. zess innerhalb der Europäischen Union – das war auch nicht selbstverständlich –, und vor allen Dingen konnte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die so schwierige Frage des Verhältnisses zwischen der sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Republik Irland und Nordirland zufriedenstellend geklärt Das haben wir bis jetzt auch immer durchgezogen, mit werden, zumindest aus unserer Sicht; sie wird hoffentlich der Schweiz, mit Norwegen. Wir haben gerade einen gro- auch aus britischer Sicht noch zufriedenstellend geklärt ßen Konflikt mit der Schweiz. Ich kann Ihnen sagen: Die werden. Schweizer gucken sehr genau, was gerade mit den Briten Das ist wirklich das Existenzielle. Daran lässt sich passiert. Die warten nämlich nur darauf, dass wir Son- festmachen, worum es bei einer Institution wie der Eu- (B) derausnahmen für die Briten machen. Dann werden die ropäischen Union, worum es bei der europäischen Eini- (D) Schweizer sagen: Das hätten wir auch gerne. Und dann gung eigentlich geht: Es geht darum, dass wir in einer werden die Norweger kommen und sagen: Das hätten wir Staatengemeinschaft friedlich miteinander leben können. auch gerne. Und dann kommt Le Pen und sagt: Das hätte ich auch gerne. – Das ist das große Risiko. Deswegen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther darf es da keine Rabatte geben, keine Rosinenpickerei. Krichbaum [CDU/CSU]) Wir müssen unseren Kontinent retten, unsere Europäi- Dass wir das können, hat damit zu tun, dass wir in der sche Union. Auf Wahnsinn darf man nicht mit Wahnsinn Lage sind, durch Gespräche, durch Verhandlungen mit- antworten, sonst kriegt man nur noch mehr Wahnsinn. einander Kompromisse zu finden, und nicht mehr an Ich danke Ihnen. Grenzen hart aufeinanderprallen, wie das früher zwi- schen Irland und Nordirland der Fall war. Wir haben es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschafft, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – die aus Großbritannien in ein anderes EU-Land gezogen Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist der grü- sind und dort weiterleben wollen – das gilt auch für die ne Wahnsinn!) umgekehrte Richtung –, gewahrt werden. Wir werden weiterhin ganz enge Handelsbeziehungen haben. Das Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wird eine Partnerschaft sein, wie es sie noch nie mit ei- Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Katarina nem Drittstaat gegeben hat, so eng und hoffentlich auch Barley, SPD. so vertrauensvoll. All das liegt im gemeinsamen Interesse Deutschlands, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Großbritanniens und der gesamten EU. Ich bin sicher, Krichbaum [CDU/CSU]) egal wie das jetzt weitergeht und ausgeht, es wird immer eine ausgestreckte Hand zu unseren britischen Freundin- Dr. Katarina Barley (SPD): nen und Freunden geben. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mich per- Krichbaum [CDU/CSU]) sönlich schmerzt der Brexit jeden Tag. Ich habe Familie dort. Ich habe auch einen britischen Pass; die meisten Was ist jetzt der aktuelle Befund? Der aktuelle Befund hier wissen das. Ein Teil der Familie, die ich dort habe, ist: Wir haben eine EU, die eher noch geschlossener ist ist innerhalb Großbritanniens vor einiger Zeit von Eng- als vorher. Das hat etwas mit den Verhandlungen zu tun. land nach Schottland gezogen. Eine der Fragen, die sie Das hat aber auch etwas damit zu tun, dass den Bürge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8199

Dr. Katarina Barley (A) rinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten deutlicher ge- – Bei den CDU-Männern auch, lieber Herr Grosse- (C) worden ist, was eigentlich auf dem Spiel steht, sogar in Brömer . – Was passiert, wenn man seine demokrati- Ländern wie Polen, wo es ja teilweise große Vorbehalte schen Rechte nicht wahrnimmt, auch das zeigt dieses gibt; zumindest denkt man das, wenn man sich anhört, Referendum. Wir sehen das insbesondere bei den jungen was die Regierung sagt. Auch da ist das Bewusstsein da- Menschen. Drei Viertel der Britinnen und Briten unter für gestiegen, welche Errungenschaft auch für das polni- 25 wollten in der EU bleiben, und nur ein Drittel ist zur sche Volk die Europäische Union darstellt. Die Zustim- Wahl gegangen. Allein diese Gruppe hätte das Referen- mungswerte steigen in vielen Mitgliedstaaten. dum entscheiden können. Ich bin wirklich froh, dass da- durch ein höheres Bewusstsein entstanden ist – so erlebe Auf der anderen Seite haben wir ein zutiefst gespalte- ich das jedenfalls; gerade bei den jungen Menschen in nes Großbritannien, wie ich persönlich es nicht für mög- der Europäischen Union, aber nicht nur bei ihnen –, dass lich gehalten hätte – das hat sich schon im Referendum es sich lohnt, für diese Europäische Union zu streiten und selbst gezeigt –: zwischen den einzelnen Landesteilen, auch zur Wahl zu gehen. zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt. Jetzt haben wir diejenigen, die am liebsten alles rückgängig (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther machen würde, wir haben diejenigen, die vernünftig ver- Krichbaum [CDU/CSU]) handeln, und wir haben diejenigen, die am liebsten den harten Cut wollen. Ein weiterer Punkt ist: Wir müssen besser werden. Wir Was lernen wir daraus? Das ist heute noch gar nicht müssen besser erklären, aber wir müssen auch dieses Eu- zur Sprache gekommen. Ich glaube, wir müssen uns ropa besser machen. Wir müssen es sozialer machen. Wir wirklich fragen, was wir aus diesem ganzen Prozess ler- müssen eine kulturelle Union schaffen. Wir brauchen nen können. Es ist ziemlich viel, was man daraus lernen eine Union des Fortschritts, der Jugend. Wir müssen uns kann: weiterentwickeln, weg von der reinen Wirtschaftsunion. Man kann zum einen daraus lernen, was passiert, wenn man von innenpolitischen Schwierigkeiten ablen- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ken will und dafür die Europäische Union missbraucht. Die Redezeit ist um. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Gunther Krichbaum Dr. Katarina Barley (SPD): [CDU/CSU]) Das ist eine Aufgabe, die bleibt. Was aber auch immer Vergegenwärtigen wir uns doch noch einmal, wie es bleiben wird, ist die enge Freundschaft zu Großbritan- (B) überhaupt zu diesem Referendum gekommen ist: David nien. (D) Cameron hat es im Wahlkampf auf die Tagesordnung gesetzt in dem vermeintlichen Bewusstsein, es gar nicht (Florian Hahn [CDU/CSU]: Und zur Queen!) abhalten zu müssen. Dafür werde ich auch persönlich alles geben. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ge- nau!) Danke schön. Nigel Farage hat gezündelt und sich dann nachher vom Acker gemacht, als das Referendum überaschenderweise (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten so ausgegangen ist, wie er es sich gewünscht hat. der CDU/CSU) (Beatrix von Storch [AfD]: Er ist nicht die Regierung!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Und Theresa May muss das jetzt aufräumen. Wie immer: Nächster Redner ist Dr. Harald Weyel, AfD. Die Männer haben den Unfug angerichtet, und die Frau- en müssen aufräumen. Sie tut es so gut, wie sie es eben (Beifall bei der AfD) kann. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie der Dr. Harald Weyel (AfD): Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] – Zurufe Geehrter Herr Präsident! Damen und Herren! Liebe von der AfD: Oh! – Michael Grosse-Brömer Zuschauer, auch draußen im Lande! Der Antrag ist zu- [CDU/CSU]: Diese Aussage hat keine Allge- vörderst ein hochoffizielles Eigenlob und eine erwartbare meingültigkeit! – Weitere Zurufe) Verbeugung vor dem vermeintlichen Verhandlungsgenie Das zeigt aber auch, was passiert, wenn man nicht eines Herrn Barnier. Weiterhin ist er eine interessante wählen geht. Ich glaube, auch das sollte man an einem Gratwanderung zwischen Drohgebärde gegenüber dem Tag wie diesem einmal sagen. – Oh, Aufruhr bei den britischen Parlament – es wird keine Neuverhandlung Männern im Parlament! Ich bitte, das zu Protokoll zu geben – und Schuldzuweisung an die britischen Wähler. nehmen. Der Brexit lässt nur Verlierer zurück. Beides erinnert ein bisschen an „Gott strafe England“ auf der einen Seite und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei Kontinentalsperre à la Napoleon I. auf der anderen. den SPD-Männern vor allem! – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der AfD) 8200 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Harald Weyel (A) Was wollen Sie da tun? Beides erinnert an das sprich- gentliche faule Kern des vermeintlich gesunden EU-Eu- (C) wörtliche Pfeifen im Walde, mit dem man seiner Angst ropa-Apfels. vor dem, was da kommt, Herr werden will. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU/ ( [FDP]: „Pfeife“ ist zutref- CSU und der SPD: Oh!) fend! Ich will nicht sagen, bei wem!) Lassen Sie die Briten gehen und aufzeigen, dass es Was da auf die Europaideologen zukommt, ist nicht sehr wohl ein Leben nach der EU gibt und dass nach nur der Austritt der Briten, sondern auch die alte Frage eventuellen Dellen in einem Umstellungsprozess sich nach der Reformfähigkeit und vor allem nach der Re- bald keiner mehr daran erinnern kann, warum in aller formwilligkeit der EU. Diese Frage treibt nicht nur die Welt man diesen kontinentaleuropäischen Zirkus über- britischen Wähler um, sondern eben auch die deutschen. haupt so lange mitgemacht hat. Hätten die antragstellenden Parteien, insbesondere die (Beifall bei der AfD) mit dem C, es jemals ernst gemeint mit intelligenten Sub­stanzreformen einer völlig verfahrenen EU oder In den zurückliegenden zweieinhalb Jahren seit dem Euro-EU, so wären sie schon einem Premierminister Referendum haben sich die Aktienmärkte vor Ort phasen- Cameron entsprechend entgegengekommen. Stattdessen weise sogar besser entwickelt als der EU-Durchschnitt. haben Sie es wieder einmal den Franzosen recht machen Endlich kühlt vor allem auch der überhitzte Immobilien- wollen mit unserem Steuerzahlergeld, ein ums andere markt ein bisschen ab. So sehen sie aus, die Kräfte des Mal. Marktes, wenn man sie nur lässt. (Beifall bei der AfD) Danke und Good Luck nach Großbritannien. Die schier überbordende Spendierwilligkeit auch aller (Beifall bei der AfD) Scheinoppositionsparteien hier im Parlament, die alle- samt links von uns sitzen, hat die Briten letztlich in ihre Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schon intern missliche Verhandlungsposition gebracht. Florian Hahn, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Als deutsche Hauptlastträger aller negativen Folgen ha- ben Sie es nicht einmal für nötig befunden, einen deut- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schen Verhandlungsführer durchzusetzen, so wie Sie ordneten der SPD) einfach alles Verunstalterische, alles, was die Idee von Freiheit, Markt und Lastengerechtigkeit einer nicht ma­ Florian Hahn (CDU/CSU): roden EU angeht, sowieso den Franzosen und ihren zahl- (B) reichen Trittbrettfahrern kampflos überlassen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr (D) Dr. Weyel, ich weiß nicht, ob Sie in der Tagesordnung die (Beifall bei der AfD) Überschrift zu dieser Debatte gelesen haben. Sie lautet: Brexit. In Ihrem Beitrag aber habe ich nichts zum Brexit Apropos: „Kennst du das Land, wo die Zitronen und zur Frage, wie der Brexit gestaltet werden soll, der so blühn?“ würde bei Goethe heute wohl heißen müssen: ungeheuerliche Konsequenzen auch für unser Land hat, Kennst du das Land, wo nicht nur die Mülleimer bren- gehört. Nichts! Sie haben dafür keine Idee. Sie betreiben nen? allein EU-Bashing. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Pein- schreibt Ihnen den Unsinn eigentlich auf?) lich!) Damit würde er insbesondere Frankreich umschreiben. Sie haben in dieser Debatte versagt. Sie haben keinerlei Wieso sollte sich also jemand an eine ungut durchpoli- Beitrag dazu geleistet, zu klären, wie wir den Brexit ge- tisierte Wirtschaftsraumverwaltung namens EU binden, stalten sollten. die mit gemeinsamen, gemeinsamer, gemeinsamster Ar- beitslosenversicherung, steuerfinanzierten Sonder- und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Pseudoinvestitionsvehikeln sowie mutierten Dauerret- ordneten der SPD – Armin-Paulus Hampel tungsfonds à la ESM oder EWF und noch viel mehr an [AfD]: Das war eine intellektuelle Herausfor- grobem Unfug sozusagen die natürliche Schwerkraft der derung! Das stimmt!) Konjunkturen und des Haftungsprinzips außer Kraft set- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten am An- zen will? fang eines Wortbeitrags zum Brexit das hervorheben, was für alle Beteiligten einschließlich des Vereinigten König- (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD) reiches am besten wäre, nämlich der Exit vom Brexit, die Dieses Europa soll doch letztlich in Staatswatte ge- Abkehr vom EU-Austritt. packt werden, weil man dem EU-Berufspolitikmoloch (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das hättet ihr und seinen Profiteuren und Claqueuren auf den Leim gerne!) geht, die behaupten, sie können besser wirtschaften als Unternehmer und Konsumenten. Derweil kriegt der Mo- Die Umkehr Londons wäre sogar unproblematisch und loch nicht mal seine elementarsten Hausaufgaben hin, einseitig von London noch bis Ende März umsetzbar. Be- effektiven Grenzschutz beispielsweise. Hier erweist sich ginnen möchte ich deshalb mit dem Text am Ende unse- das dysfunktionale Weltsozialamt Deutschland als der ei- res Antrags, über den wir heute debattieren: Die Tür zur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8201

Florian Hahn (A) Europäischen Union muss für das Vereinigte Königreich schaue, bin ich mir nicht sicher, ob die britische Bevöl- (C) auch in Zukunft offengehalten werden. kerung sich das so vorgestellt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Stand heute, zweieinhalb Jahre später, wissen wir und der SPD sowie des Abg. Dr. Marco vor allem, was London nicht will: Es will nicht in der Buschmann [FDP]) EU bleiben. Es will das vorliegende Austrittsabkommen nicht. Aber die innenpolitischen Probleme des Vereinig- Im gleichen Atemzug sollte aber auch klargestellt wer- ten Königreichs können wir nicht lösen, schon gar nicht den – und das sollten wir nicht vergessen, wenn wir über dadurch, dass wir sehenden Auges Gefahr laufen, in eini- die Konsequenzen debattieren –, wer uns die Suppe ein- gen Jahren entweder die Integrität des EU-Binnenmark- gebrockt hat: tes oder den Frieden auf der irischen Insel aufs Spiel set- (Zuruf von der AfD: Frau Merkel!) zen zu müssen. die britische Regierung, wenn auch nicht die von Theresa Fazit: Mehrheiten gegen alles Mögliche gibt es in May, sondern die des Vorgängers. London, aber keine für etwas. Der Ball liegt bei London: harter Brexit, weicher Brexit, kein Brexit – das sind die (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Falsch! Frau Optionen. Wir wollen endlich wissen, was London will. Merkel!) Wir wissen, was wir wollen. Wenn es zu einem Brexit Die Lage wird jeden Tag komplexer und unübersicht- kommt, dann wünschen wir uns einen weichen Brexit. licher. Ich möchte deshalb einige aktuelle Fragen auf- Dafür haben wir ein gutes Abkommen. Wir wünschen greifen. Warum darf das Austrittsabkommen nicht mehr uns eine friedliche Lösung für Irland. Und wir wünschen aufgeschnürt werden, wie London es gerne hätte? Bis uns ein gutes Verhältnis zum Vereinigten Königreich, zum Ende der Verhandlungen zum Austrittsabkommen auch wenn es außerhalb der Europäischen Union ist, galt: Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist. ohne dass der Austritt zum attraktiven Prototyp für eine Umgekehrt muss es dann auch heißen: Einen wichtigen Auflösung der EU wird. So haben wir das auch im vor- Einzelaspekt infrage zu stellen, bedeutet, das Gesamtpa- liegenden Antrag deutlich gemacht. Ich bitte deshalb um ket infrage zu stellen. Das kann doch jetzt niemand ernst- Zustimmung. haft wollen. Es geht dabei nicht um Prinzipienreiterei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und auch nicht darum, jemanden zu bestrafen. ordneten der SPD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Doch, darum geht es dauernd!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) Das zeigt die jetzt laufende Debatte über den Backstop. Dr. Marco Buschmann, FDP, ist der nächste Redner. (D) Warum brauchen wir den Backstop? Beim Backstop (Beifall bei der FDP) geht es ganz konkret um die eminent wichtige Frage der Bewahrung des Friedens auf der irischen Insel und die Dr. Marco Buschmann (FDP): Bewahrung des Karfreitagsabkommens. Weder London Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Großbri- noch wir wollen, dass der Backstop in Kraft tritt. Er wäre tannien ist das Mutterland der Demokratie. Großbritan- nur eine Zwischenlösung für den Fall der Nichteinigung. nien ist das Mutterland des Parlamentarismus. Bedenkt Besser wäre es natürlich, wenn sich Brüssel und London man John Lockes großen Satz, dass Leben, Freiheit und innerhalb der Übergangsphase auf ein dauerhaftes neues Besitztümer zum Menschen gehören, ist Großbritannien Regime verständigen würden. auch das Mutterland der Grund- und der Menschenrech- Warum ist der Backstop nicht befristet und sieht kei- te. Wenn ein solches Land seine Zukunft nicht mehr im ne Kündigungsrechte für London vor? Weil wir auf der Kreise der EU sieht, sondern außerhalb, dann ist das ein irischen Insel dauerhaft, unwiderruflich und wasserdicht Anlass, der mich nicht nur besorgt, er macht mich trau- Zollgrenzkontrollen verhindern wollen. Das wäre nicht rig. Ich möchte fast sagen: Es zerreißt einem das Herz. gewährleistet, wenn der Backstop befristet wäre oder (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann sollte London ihn einseitig kündigen könnte, ohne dass es eine man darüber nachdenken!) Anschlussregelung gibt. Zudem würden wir uns in den Verhandlungen über das Zukunftsabkommen in dieser Deshalb sollten wir trotzdem, auch wenn es einige Frage von London abhängig machen. schon mehrmals gesagt haben, klar zum Ausdruck brin- gen: Wenn das britische Volk nach seinen eigenen verfas- Sind das nicht theoretische Gedankenspiele? Muss sungsmäßigen Regeln zu dem Ergebnis kommen sollte, die EU nicht trotzdem einlenken angesichts des Chaos dass es seine Entscheidung korrigieren möchte, dann in London? sollte es kein Triumphgeheul geben, dann darf es keine (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie wollen das Arroganz geben, sondern dann sollten wir uns freuen und immer noch!) es wie den verlorenen Sohn im Kreise der Familie will- kommen heißen, und zwar ohne jegliche Überheblich- Wir sind für dieses Chaos nicht verantwortlich. Das Bes- keit. Dieses Signal sollte von dieser Debatte ausgehen. te für alle wäre eine Abkehr vom Brexit. Das britische Volk hat zwar vor gut zwei Jahren für den EU-Austritt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gestimmt, aber es waren viele Falschinformationen im der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Spiel. Wenn ich mir das aktuelle Chaos in London an- SES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abge- 8202 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Marco Buschmann (A) ordneten der AfD – Armin-Paulus Hampel was sie vorhat, und sich anhören muss, was wir dazu zu (C) [AfD]: Das wollen die nicht!) sagen haben, und zwar als Vertreter des deutschen Vol- kes. Das ist angemessen für demokratischen Parlamen- Es zerreißt einem nicht nur das Herz, wenn man die tarismus. Entwicklung beobachtet, sondern der harte Brexit würde auch Lieferketten zerreißen. Alexander Graf Lambsdorff (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und andere Redner haben darauf hingewiesen: Es betrifft der AfD, der LINKEN und des BÜNDNIS- das Familienrecht, das Gesellschaftsrecht, Medizinpro- SES 90/DIE GRÜNEN) duktezulassung – unzählige Lebensbereiche sind betrof- fen. Und wir sind uns in Wahrheit doch einig: Angesichts Ich möchte schließen mit einer Bemerkung, die nicht dieses Ereignisses, das so tiefgreifende, einschneidende von einem Mitglied meiner Fraktion stammt. Mein Bü- Veränderungen im Leben nicht nur der britischen Bürger, ronachbar Norbert Lammert hat stets gesagt – – sondern auch unserer Bürger bedeuten könnte – wenn es beispielsweise bei Ford demnächst Produktionsdros- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: selungen gibt, wenn Zulieferer betroffen sind –, müssen wir alle gemeinsam von der Bundeskanzlerin eine Regie- Herr Kollege Buschmann, der Kollege Grosse-Brömer rungserklärung verlangen, aus der hervorgeht, wie sie die würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lage beurteilt, was die Instrumente wären, um Schaden von uns abzuwenden, und wie sie diese Instrumente um- Dr. Marco Buschmann (FDP): setzen würde. Ich freue mich darauf. Ich kann nicht verstehen, dass die Bundeskanzlerin bis heute angesichts dieser historischen Entwicklung – der (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und Außenminister hat es selbst „historisch“ genannt – eine ich erst! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Man Regierungserklärung in diesem Haus verweigert. Das ist sieht es! Er ist noch nicht ganz so überzeugt!) inakzeptabel. (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ich freue mich auch, dass Sie, Herr Kollege, diese GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Frage zulassen. – Sind Sie mit mir einer Auffassung, CSU]: Sie hat doch gestern ausführlich Stel- dass das deutsche Parlament zu den Parlamenten zählt, lung genommen!) das klare Regeln hat zur Beteiligung in Angelegenheiten (B) Wir werden als Parlament hier trotz dieser histori- der Europäischen Union – ja, dass man fast sagen kann: (D) schen Entwicklung wie Bittsteller behandelt, als ob wir Kein Parlament ist eigentlich so intensiv beteiligt an der um eine Audienz bei einem Gutsherren bitten; und es Einflussnahme auf die Regierung, wenn es um Entschei- wird in Gutsherrenmanier darüber entschieden. Das ist dungen in Europa geht? Würden Sie bestätigen, dass die angesichts einer so bedeutenden Frage ein Modus im Bundeskanzlerin hier regelmäßig Stellung nimmt vor Umgang, den wir uns als selbstbewusstes Parlament großen Gipfeln, dass sie das zu G 20 getan hat, nicht bieten lassen können. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NEN]: Das haben wir erstritten vor dem Bun- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE desverfassungsgericht! – GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon lange nicht mehr!) Und wenn das so ist, dass sie das natürlich nicht zu jedem Gipfel macht, weil (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das mancher Gipfel natürlich auch eine gewisse Routine ist, ist nicht so!) und dass es möglicherweise auch Sinn macht, dass die dann ist der Weg, darauf zu antworten, der, ein Gesetz Bundesregierung in ihrer eigenen Kompetenz entschei- zu machen: Wir wollen und schlagen deshalb dem Par- det, ob sie gewisse Sachen für so bedeutsam hält, dass sie lament vor, dass dieses Parlament bei solchen Entschei- dazu eine Regierungserklärung abgibt? dungen, solchen Entwicklungen mit solcher Tragweite (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist der entschei- nicht mehr betteln muss um eine Regierungserklärung, dende Punkt!) (Zuruf von der CDU/CSU: Dass man wegen Wenn das alles zutrifft, würden Sie dann vielleicht jedem Dreck eine Regierungserklärung ma- mit mir der Auffassung sein, dass eine gesetzliche Re- chen muss!) gelung – zumal es auch schwierig ist, zu sagen, wann es sondern dass dieses Parlament einen Anspruch darauf wichtig und wann es unwichtig ist; hat, dass die Bundesregierung vor Räten und vor großen Entscheidungen mit internationalen Bezügen durch die (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das glau- Regierungschefin hier erklärt, be ich! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich denke an unsere Klage (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das und das Urteil vom Bundesverfassungsge- findet doch statt!) richt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8203

Michael Grosse-Brömer (A) wahrscheinlich gibt es dazu sehr unterschiedliche Auf- Donald Trump abzugeben, der die Existenz des Nordat- (C) fassungen – in diesem Fall wirklich unsinnig wäre? lantischen Bündnisses infrage gestellt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hat gestern dazu Stellung genommen!)

Dr. Marco Buschmann (FDP): Ja wenn man selbst bei solchen Dingen hier die Regie- Ich bin sehr dankbar für diese Frage; sie war nämlich rungserklärung verweigert, dann ist es Zeit, eine gesetz- zu erwarten, und sie gibt mir Gelegenheit, einen Teil mei- liche Verpflichtung einzuführen; daran führt kein Weg ner Argumentation vorzutragen, die ich sonst in vier Mi- vorbei. nuten nicht hätte unterbringen können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Deshalb bin ich Ihnen erstens sehr dankbar und kom- CSU]: Nein!) me jetzt zweitens zur materiellen Beantwortung dieser Frage. Lieber Michael, das Bundesverfassungsgericht Und deshalb möchte ich mit den Worten des ehemali- hat uns als Parlament aufgegeben, dass wir hier aufgrund gen Präsidenten dieses Hauses schließen – Michael, der unserer Verfassung eine Integrationsverantwortung ha- deiner Fraktion angehört –: „Nicht die Regierung hält ben sich ein Parlament“, sondern ein Parlament hält sich eine Regierung. – Und dieses Selbstbewusstsein fordern wir (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das über unseren Gesetzentwurf ein. ist doch klar!) Herzlichen Dank. und dass deshalb der alte Modus, europäische Angele- genheiten wie Außenpolitik zu betrachten, verfassungs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rechtlich inakzeptabel ist. Und deshalb haben wir hier der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE das EUZBBG durchgesetzt. GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Das haben wir auch! – Matthias W. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das hat bis jetzt keiner bestritten!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) (D) Und deshalb ist es auch richtig, dass der Deutsche Nächster Redner ist der Kollege Detlef Seif, CDU/ Bundestag eingebunden ist in Angelegenheiten der Eu- CSU. ropäischen Union, (Beifall bei der CDU/CSU) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da geben Sie mir also schon einmal recht!) Detlef Seif (CDU/CSU): dass diese Regelung jedoch zu einer Lücke führt: Die In- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen formationspolitik ist intransparent, Große Anfragen wer- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Ausfüh- den so beantwortet, dass sich dieses Parlament verhöhnt rungen unserer Kollegen Marco Buschmann und Graf fühlen muss, und eine Regierungserklärung wird verwei- Lambsdorff können so natürlich nicht stehen bleiben. gert, obwohl es um einen historischen Vorgang geht. Das führt dazu, dass eine Lücke an Aufklärung entsteht, in (Zuruf von der FDP: Doch!) die dann die Fake News der Freunde vom rechten Rand Einzug halten. Hier wird der Eindruck erweckt, als ob die Bundes- regierung völlig überrascht sei und sagt: Jetzt haben wir Und deshalb wäre es klug – in Anbetracht der Inte- eventuell einen harten Brexit; jetzt müssen wir uns vor- grationsverantwortung, der Transparenz und des Selbst- bereiten. Tatsache ist doch, dass sich kein Mitgliedstaat bewusstseins dieses Parlaments –, eine gesetzliche Re- schon zu Beginn der Verhandlungen nach außen erkenn- gelung zu treffen. Und jetzt sage ich dir, Michael – ich bar im Sinne eines Hard Brexit betätigt. Das würde doch bin noch nicht zu Ende –: Die Frau Bundeskanzlerin hat den Eindruck erwecken, wir gingen von vornherein da- verweigert, hier eine Regierungserklärung abzugeben, von aus, dass es nichts wird. obwohl wir am 1. Dezember 2016 die G‑20-Präsident- schaft übernommen haben – eine ganz außergewöhnliche (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Da muss man Entwicklung. informieren!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Und wenn Sie einmal genau hinschauen, sehen Sie, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE dass sich diese Bundesregierung seit Sommer 2016 auf GRÜNEN ) die Konsequenzen vorbereitet: Es fanden Ressortab- stimmungen statt. Es wurde Personalbedarf ermittelt. Es Die Frau Bundeskanzlerin hat verweigert, hier eine wurde Anpassungsbedarf ermittelt. Es gab eine enge Zu- Regierungserklärung vor dem ersten NATO-Gipfel mit sammenarbeit mit den Verbänden ZDH und DIHK. Es 8204 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Detlef Seif (A) gibt – wenn Sie sich einmal die Mühe machen – auf der und auch in den Mitgliedstaaten einige Absagen an Groß- (C) Seite des Wirtschaftsministeriums eine E‑Mail-Adresse britannien erteilt, was Nachverhandlungen über den In- halt des Austrittsabkommens angeht. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie reden nicht über die Regierung, (Zuruf von der FDP: Was?) sondern über das Parlament!) Ich habe mich am Samstag mit einem britischen und das Bürgertelefon „Brexit“, über die Sie sich als Un- Staatssekretär unterhalten, und er hat mir gesagt: Ach, ternehmer mit Ihren Fragen dorthin wenden können. das war doch immer so. Im letzten Moment, wenn es da- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Als Parlamen- rauf ankommt, da gibt die EU doch nach. tarier offenbar nicht!) Ich kann an unsere britischen Freunde nur die Erklä- Wir als Parlament haben in Verbindung mit der Bun- rung abgeben: Macht keinen Fehler! Nachverhandlungen desregierung jetzt auch bereits vieles zu den Bürgerrech- sind ausgeschlossen. Es wurden bereits rote Linien über- ten auf den Weg gebracht – ich darf daran erinnern –: schritten. Durch das Ergebnis dürfen weder das Projekt Staatsangehörigkeitsrecht, Beamtenstatusgesetz, Um- EU noch die Integrität des Binnenmarktes beeinträchtigt wandlungsgesetz, Brexit-Steuerbegleitgesetz, Bauspar- werden. kassengesetz, Pfandbriefgesetz, Regelungen für grenz­ übergreifende Finanzdienstleistungen, Bestimmungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, und der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Berufsausbildungsgesetz, Regelungen zum Arbeits- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) marktzugang, zu aufenthaltsrechtlichen Fragen. Ja, wie kommen Sie auf die Idee, dass wir nicht vorbereitet sind? Deshalb gibt es auch keine Nachverhandlungen. Natürlich sind wir das. Und jetzt sehen wir, dass der Hard Brexit eventuell kommt; und die drei, vier Mona- Die Bedenken der britischen Seite bei der Notfalllö- te werden ausreichen, damit wir uns nach diesen guten sung müssen wir natürlich ernst nehmen. Dort ist der Vorbereitungen national, in der Bundesregierung und im Eindruck entstanden: Man will uns innerhalb der Europä- Bundestag, dann auch letztlich an die wichtigen Gesetze ischen Union halten durch eine Zollunion, durch Binnen- begeben können. marktregelungen für Nordirland. – Diesen Eindruck – das ist ganz wichtig – müssen wir im Weiteren zunichtema- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und chen, indem wir unseren Freunden aus Großbritannien der SPD) deutlich machen, dass auch wir – die Europäische Uni- on, aber auch Deutschland – ein großes Interesse daran (B) Und an die AfD gerichtet: Es ist ja nicht so, dass wir haben, möglichst schnell innerhalb der Übergangsphase (D) die Erkenntnis haben: Das ist ein Lose-lose-Ergebnis, tatsächlich zu einem Freihandelsabkommen zu kommen. also beide werden verlieren. Ich darf daran erinnern: In den Jahren 2012 bis 2015 hat die britische Regierung Abschließend kann ich an die britischen Freunde nur selbst eine Untersuchung der Kompetenzverteilung der appellieren, die uns an dieser Stelle – das ist richtig – ei- Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf den Weg nen Vertrauensvorschuss geben müssen, in ihrem eigenen gebracht. Ergebnis: wunderbar, auch im Interesse Groß- Interesse und auch im Interesse der angestrebten beson- britanniens. – Kurz vor dem Referendum über den Brexit ders engen, freundschaftlichen und maßgeschneiderten schlussfolgerte die britische Regierung, dass kein beste- zukünftigen Beziehungen zur EU dem ausgehandelten hendes Modell außerhalb der Europäischen Union auch Austrittsvertrag und der politischen Erklärung zuzustim- nur annähernd dieselben Vorteile und denselben Einfluss men, gegebenenfalls noch mit den Zusicherungen, die bieten könne wie die Mitgliedschaft in der Europäischen ich gerade aufgezeigt habe. Union. Vielen Dank. Und dann gibt es noch einen geleakten Bericht vom Januar 2018; den wollte die britische Regierung zunächst (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- verstecken und geheim halten. Daraus folgt: Bei allen ordneten der SPD) Brexit-Szenarien wird der Verlierer auch eindeutig Groß- britannien sein, und die wirtschaftliche Entwicklung wird deutlich zurückgehen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Meine Damen und Herren, wenn wir nach Großbri- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege tannien schauen, dann habe ich den Eindruck, dass den Philipp Amthor, CDU/CSU. dortigen Politikern doch eines verloren gegangen ist: der klare Kompass für ein Handeln aus Überzeugung und für (Beifall bei der CDU/CSU) ein Handeln auf der Grundlage von Daten und Fakten. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass die Erkenntnis- Philipp Amthor (CDU/CSU): se aus den Berichten nicht umgesetzt und nicht berück- sichtigt wurden. Es ist schade, dass man hier seinen Weg Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die stur weitergeht. Debatte zum Brexit hat uns gezeigt – und ich glaube, so sollten wir auch immer differenzieren –, dass wir dieses Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor. Problem auf mehreren Ebenen angehen müssen. Natür- Wir haben jetzt in Europa, in der Europäischen Union lich – das müssen wir gerade auch als selbstbewusste Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8205

Philipp Amthor (A) Parlamentarier sagen – ist die allererste Ebene, auf der wir sind nicht bereit, nur aus einer Abwehrhaltung heraus (C) wir uns diesem Thema nähern, die nationale Perspektive: Freihandel zu betreiben und eine Kooperation einzuge- hen. Das ist nicht der richtige Weg auf der internationalen (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sehr gut! In Ebene. jungen Jahren kann man noch lernen! Sehr schön!) Deswegen geben wir ein klares Bekenntnis zum Mul- tilateralismus ab. Das ist auch der Geist, den unser Ab- Was ist zu tun für unser Land, was müssen wir anpassen, kommen trägt. Aber wir sagen – das haben die Kollegen welche Konsequenzen sind im deutschen Interesse? Ich Florian Hahn und Detlef Seif zu Recht gesagt –: Wir wol- will entgegen aller Kassandrarufe, die es hier in der De- len keine Nachverhandlungen. – Es gilt am Ende eines batte gab, deutlich sagen: Die Bundesregierung ist vor- langen Abstimmungsprozesses: Take it or leave it. – So bereitet, und wir werden auch auf die neuen Entwicklun- ist es auch mit diesem ausgehandelten Abkommen. Der gen reagieren. Wir werden hier im nationalen Interesse Entwurf, der auf dem Tisch liegt, ist fair, er ist ausge- agieren. wogen, und beide Seiten haben auch Zugeständnisse ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) macht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Vor allem wir!) Hinzu kommt aber – das ist völlig klar; Herr Buschmann, Sie haben das zu Recht angesprochen –: Ich kann nur sagen: Wenn die Briten glauben, dass sie Natürlich gibt es die europäische Dimension des Brexits. durch den Brexit gewonnen haben, dann ist das die völlig Der Brexit ist für uns kein europapolitisches Tagesge- falsche Grundannahme. Das Grundübel waren schon die schäft, sondern im Moment wirklich eine der wichtigsten Kampagne für den Brexit und die Entscheidung für den Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union, die Brexit. uns natürlich auch Sorge macht. Gerade deshalb haben wir als selbstbewusste Parlamentarier auch gesagt, dass (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Warum haben wir uns mit einem Antrag, aus den Fraktionen heraus die Engländer das gemacht?) erarbeitet, mit diesem Thema beschäftigen wollen. Ich Man kann, wenn man eine falsche Grundentscheidung weiß ja nicht; aber die FDP scheint wirklich Sehnsucht getroffen hat, nicht erwarten, als Gewinner vom Platz zu danach zu haben, dass die Bundesregierung hier die De- gehen. batten aufwirft. Wir machen das bei uns in der Fraktion selbst und haben einen eigenen Antrag vorgelegt, und das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ist auch ein guter Weg. Zuruf von der AfD: Aha!) (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dass die Briten am Ende Einschnitte hinnehmen müssen, Dr. Marco Buschmann [FDP]: Schauen Sie war schon in ihrer Entscheidung am Anfang begründet. sich mal die Media Coverage an! – Manuel Was ist unsere Erwartung auch als Europäer? Ich sage Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ganz klar, gerade auch mit Blick auf das nächste Jahr: Nehmen Sie heute am Gipfel teil?) Es muss einen Unterschied machen, ob man in der Eu- Ich will auch sagen: Der Antrag, den wir vorgelegt ropäischen Union ist oder nicht, und wenn man die Eu- haben, enthält vor allem einen Anspruch, den wir haben ropäische Union verlassen will, dann darf man sich nicht müssen, nämlich den Anspruch, den Blick auf eine mul- wundern, dass das negative Konsequenzen hat. tinationale Welt zu lenken. Das ist auch wichtig. Wir se- Es geht mir nicht darum, die Briten zu bestrafen, wie hen bei den Briten in der Innenpolitik im Moment eine mancher kokettiert; gewisse Verunsicherung, und wir sehen in der britischen Innenpolitik vor allem – das darf nicht die Herangehens- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein!) weise des Deutschen Bundestages sein –, dass man sich schneller einig darin ist, gegen etwas zu sein, als für et- aber ich will auch nicht am Ende von Verhandlungen die was zu sein. Die Briten sind gegen das Abkommen, sie Bilder sehen, auf denen Nigel Farage und Boris Johnson sind zum Teil gegen Theresa May, aber trotzdem auch mit dem Union Jack in der Hand über die Straßen von gegen ein Misstrauensvotum, aber sie sagen uns nicht, London laufen und rufen: „We are free“. – Das ist das für was sie sind. falsche Bild, und das werden wir auch nicht produzieren. Wir wollen in den Verhandlungen vielmehr erreichen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da dass sich die Gemeinschaft zu Multilateralismus, zu sind sie wie die AfD! – Martin Hebner [AfD]: Freihandel und zu Wachstum bekennt. Das ist ein Weg, Für Selbstständigkeit!) wie man Europa gestalten kann. Dafür steht den Briten unsere Tür offen. Hier ist es wichtig, zu formulieren: Für was wollen wir eintreten? Wir sagen hier: Wir wollen eine Zusammenarbeit mit (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Für Eigen- Großbritannien, wir wollen die deutsch-britische Freund- ständigkeit!) schaft; aber wir wollen keine faulen Kompromisse auf Kosten der Europäischen Union. Es ist etwas wert, wenn Für uns ist ganz klar: Wir wollen hier für Freihandel, man in der Europäischen Union ist. Diese Erfahrung ma- für eine Sicherheitskooperation und für Wachstum ein- chen die Briten zurzeit, und sie ist schmerzlich. Ich hätte treten. Da ist die Tür auch für Großbritannien offen; aber es mir für sie anders gewünscht. Nun hoffen wir, dass wir 8206 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Philipp Amthor (A) auf dem Weg vorangehen und dass die europäische Idee Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C) auch in Zukunft gewinnt. Dafür arbeitet meine Fraktion. die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist auch das so be- Herzlichen Dank. schlossen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dann bitte ich, die notwendigen oder offenbar ge- wünschten Veränderungen zügig vorzunehmen. – Bitte Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nehmen Sie wieder Platz oder verlassen Sie den Saal, Damit schließe ich die Aussprache. wenn Sie nicht Platz nehmen wollen, Herr Kollege Röttgen und Frau Kollegin Brantner. – Danke sehr. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Das Wort hat der Kollege Chrupalla, AfD. Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa- che 19/6412 mit dem Titel „Den Brexit geordnet voll- (Beifall bei der AfD) ziehen – Das Austrittsabkommen und die Politische Erklärung als Voraussetzung für eine künftige enge und Tino Chrupalla (AfD): vertrauensvolle Partnerschaft der EU mit dem Vereinig- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe ten Königreich“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer Landsleute! Die rot-grüne Regierung hat im Jahr 2004 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der An- die Meisterpflicht für 53 Handwerksberufe abgeschafft. trag mit den Stimmen von CDU/CSU gegen die Stimmen Damit hat sie den Handwerksmeistern ihre Berufsehre von AfD und Fraktion Die Linke bei Enthaltung von FDP und die Wertschätzung ihrer Arbeit genommen. und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben die SPD vergessen! – Ein starkes Stück, wenn man sich überlegt, dass die SPD Armin-­Paulus Hampel [AfD]: Die SPD, Herr mal eine Arbeiterpartei war! Präsident!) (Beifall bei der AfD) – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und Die Abschaffung des Meistersbriefs traf Gewerke, in SPD angenommen. denen die Unfallgefahr als gering eingestuft wurde – als Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs ginge es nur um Sicherheit –, darunter Metall- und Glo- auf der Drucksache 19/6399 an die in der Tagesordnung ckengießer, Gold- und Silberschmiede, Holzbildhauer, aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu Buch- und Siebdrucker, Korbmacher, Schneider, Weber, Kürschner, Schuhmacher, Sattler, Müller, Brauer und (B) anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann (D) ist die Überweisung so beschlossen. Mälzer, Glas- und Porzellanmaler und viele mehr, die ich jetzt nicht alle aufzählen kann, die aber alle gleich wert- Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b voll sind. auf: (Beifall bei der AfD) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tino Damit hat die Bundesregierung einer der tragenden Chrupalla, Dr. Bernd Baumann, Marc Bernhard, Säulen der deutschen Wirtschaft – und der deutschen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Kultur – erheblichen Schaden zugefügt. 53 Handwerke Meisterpflicht wieder einführen – Handwerk sind aufgrund der seit 14 Jahren nicht mehr geltenden stärken Zulassungspflicht in ihrem Kern destabilisiert. Drucksache 19/4633 (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hört! Hört!) Überweisungsvorschlag: Ich betone bewusst den kulturellen Wert handwerkli- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) cher Fertigkeiten, mit dem wir unseren Antrag auch be- Ausschuss für Arbeit und Soziales gründen. Ich denke hier vor allem an die vielen kunst- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- handwerklichen Berufe und Gewerke zur Herstellung schätzung von Musikinstrumenten wie Geigenbauer, Orgelbauer, b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Klavier- und Cembalobauer und andere: In all diesen Ge- Todtenhausen, Michael Theurer, Grigorios werken wurden mit der Abschaffung des Meisterbriefs Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- wertvolles Wissen und Tradition vernichtet. Über viele tion der FDP Jahrhunderte gewachsenes kulturelles Kapital geht hier verloren. Das kommt dabei heraus, wenn Rot-Grün an Ausbildung und berufliche Aufstiegsfortbil- die Macht kommt. dung in Deutschland und Europa stärken (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten Drucksache 19/6415 der FDP – [Erfurt] [SPD]: Wir stehen kurz davor!) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Das deutsche Handwerkswesen ist auch Ausdruck Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- unseres kulturell tief verankerten Qualitätsbewusstseins. schätzung Dazu gehört eine bestimmte Haltung zur Arbeit, zum Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Beispiel die typisch deutsche Gewissenhaftigkeit, die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8207

Tino Chrupalla (A) auch viel mit Verantwortungs- und Gemeinschaftsgefühl Der entstand ja nur deshalb, weil junge Leute in die Aka- (C) zu tun hat. demisierung getrieben wurden und viele Handwerksbe- rufe in der Öffentlichkeit gar nicht bekannt sind. Es ist unsere historische Pflicht, diese kulturellen Wer- te zu erhalten. Das sind wir den großen Meistern vor uns (Beifall bei der AfD) und den Generationen, die nach uns kommen, schuldig. Als Ursache für den Fachkräftemangel ist das viel (Beifall bei der AfD) schlüssiger als der gebetsmühlenartig wiederholte Ge- burtenrückgang, der so dramatisch eigentlich gar nicht Dafür setzt sich die AfD ein, und unsere Position ist da- ist. Den Begriff vom „Akademisierungswahn“ präg- bei nicht verhandelbar. te wohlgemerkt ein Professor, Herr Nida-Rümelin, der ehemalige Kulturstaatsminister. Er hat schon vor Jahren Ja, Frau Özoğuz, es gibt eine deutsche Kultur, und sie vor dieser Entwicklung gewarnt, aber er wurde offenbar ist auch identifizierbar: Sie zeigt sich nicht zuletzt in un- nicht gehört. serer Handwerkstradition. Ich kann den Kollegen der Altparteien nicht den Vor- (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) wurf machen, dass Sie die Relevanz des Handwerks und der dualen Ausbildung für die deutsche Wirtschaft leug- Das erschließt sich vielleicht nur denjenigen, die einen nen. Schon im Jahr 2014 haben Sie hier im Plenum über Sinn für deutsche Wertarbeit haben. das Handwerk debattiert. Sie waren sich größtenteils ei- nig, dass die Abschaffung des Meisterbriefs ein Fehler (Beifall bei der AfD) war. Da gibt es natürlich große kulturelle Unterschiede. Hier Inzwischen sind vier weitere Jahre vergangen, und müssen wir offenbar noch einiges an Integrationsarbeit nichts ist geschehen. leisten und unseren ausländischen Mitbürgern deutlicher vermitteln, was unsere Kultur ausmacht, die sich ja nicht (Beifall bei der AfD) in Folklore erschöpft. Warum eigentlich nicht? In allen Koalitionsverträgen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nach 2004 hat sich die Bundesregierung zur Stärkung des NEN]: Warum sprechen Sie jetzt Frau Özoğuz Handwerks bekannt. an? Was soll das? – Sören Bartol [SPD]: Brau- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und ner Typ! Durch und durch braun!) viel dafür getan!)

(B) Abgesehen davon können wir es uns gar nicht leisten, Im Jahreswirtschaftsbericht 2018 sucht man jedoch ver- (D) diese Werte und diese Standards aufzugeben. Sie sind un- geblich nach dem Wort „Handwerk“. Stattdessen haben ser Kapital. Sie tatenlos zugesehen, wie deutsche Handwerksbetriebe zunehmend durch EU-Regularien und Bürokratie stran- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- guliert werden. NEN]: Warum sprechen Sie Frau Özoğuz an?) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Anders als Afrika und Indien haben wir keine wertvollen Bodenschätze wie Gold und Diamanten. Wir haben auch Es handelt sich bei der Meisterpflicht fürs Handwerk kein Erdöl wie Saudi‑Arabien. nicht um eine überkommene Tradition, sondern um eine bewährte Tradition, die es zu erhalten gilt. Unser Geist, unsere Kreativität und unsere Schaffens- (Beifall bei der AfD) kraft, das ist alles, was wir haben. Die negativen Folgen der Abschaffung des Meisterbriefs (Sören Bartol [SPD]: Eure Schaffenskraft? bestätigen dies. Sie sind durch zahlreiche Studien belegt Was ihr habt, ist Destruktion!) und wurden schon in der Debatte im Jahr 2014, insbeson- Diese Dinge dürfen wir nie und nimmer aufgeben und dere von der Kollegin Strothmann von der CDU/CSU, preisgeben; denn das wäre der Untergang einer Kultur- klar benannt. nation im Herzen Europas. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Gute Frau!) (Beifall bei der AfD – Sören Bartol [SPD]: Es ist inzwischen erwiesen, dass Betriebe, deren Inhaber Schlechte Menschen seid ihr!) einen Meisterbrief besitzen, größere Chancen auf nach- haltigen wirtschaftlichen Erfolg haben. Die Handwerks- Das Handwerk ist eine tragende Säule des deutschen novelle hat weder die Beschäftigungs- noch die Ausbil- Mittelstands. Mehr als 5,3 Millionen Erwerbstätige ar- dungsrate im Handwerk erhöht. beiten im Handwerk. Das haben Sie im Koalitionsvertrag ja selbst geschrieben. Wenn man die jungen Leute an den Die Wiedereinführung des Meisterbriefs würde sich Schulen aber richtig über Ausbildungsmöglichkeiten im auch positiv auf den ländlichen Raum auswirken, ins- Handwerk informieren würde, dann wären noch mehr besondere auf die historisch gewachsenen Handwerks- Stellen im Handwerk besetzt; da bin ich mir sicher. Und regionen. Das sind nämlich die Regionen, in denen ein dann hätten wir auch keinen Fachkräftemangel. Großteil der Erwerbstätigen im Handwerk beschäftigt ist. Viele Landkreise in Bayern und Sachsen sind stark von (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!) dieser Struktur geprägt. Wenn Sie den ländlichen Raum 8208 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Tino Chrupalla (A) stärken wollen, dann sollten Sie sich als Erstes darum zurück und zitiere den Meistersinger und Schuhmacher (C) kümmern, dass das Handwerk wieder die gesellschaftli- Hans Sachs aus dem 16. Jahrhundert: che Würdigung erfährt, die ihm zusteht. Ehre, deutsches Volk, und hüte (Beifall bei der AfD) getreulich deinen Handwerksstand. Als das deutsche Handwerk blühte. Das sind nämlich die Betriebe, die vielleicht nicht ganz blühte auch das deutsche Land. so exorbitante Gewinne einfahren wie internationale Großkonzerne, die dafür aber solide und nachhaltig wirt- (Beifall bei der AfD) schaften und vielen Bürgern auf dem Land eine zuverläs- sige, sinnstiftende Existenz sichern. Da kriegen die Grünen fast Schnappatmung. – Hans Sachs würde sich im Grabe umdrehen wenn er sähe, wie In der handwerklichen Tätigkeit sind Körper und hier mit diesen ehrbaren Berufen umgegangen wird, erst Geist gefragt. Viele Handwerksberufe erfordern neben recht, wenn er sich die neusten Ideen von Frau Karliczek Körperkraft und Geschicklichkeit auch ein hohes Maß an anhören müsste, die ja vorgeschlagen hat, die neudeut- Konzentration. Wissen über die physikalischen Eigen- schen akademischen Abschlüsse – Master und Bachelor – schaften von Materialien ist wesentlich. Aber sehr wich- auf das Handwerk zu übertragen. Damit werten Sie das tig ist die effiziente Kommunikation im Team. Handwerk doch nicht auf, sondern ab, Frau Karliczek. Das alles sind Eigenschaften, die auch im sonstigen (Beifall bei der AfD) Leben sehr nützlich sind. Gerade das Handwerk hat einen starken Gemeinsinn geprägt. Ich denke hier an die Gilden Ich hoffe, dass wir mit unserem Antrag den Anstoß und Zünfte. dazu geben, längst überfällige Korrekturen vorzunehmen und die Handwerksnovelle von 2004 rückgängig zu ma- Und das Handwerk förderte von jeher den grenzüber- chen. Das sind Sie den fleißigen Handwerkern in unse- schreitenden, kulturellen Austausch, wenn zum Beispiel rem Land schuldig. Zimmermänner auf Wanderschaft gingen, um in der Fer- ne andere Arbeitsweisen kennenzulernen. Allen Meistern, Gesellen und Lehrlingen in unserem Land wünsche ich friedliche und besinnliche Weih- (Astrid Grotelüschen [CDU/CSU]: Das ma- nachtsfeiertage. chen sie heute auch noch!) Ich danke Ihnen. Der fahrende Geselle brauchte jedenfalls noch keine Be- lehrungen über den europäischen Geist. (Beifall bei der AfD) (B) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer (D) [CDU/CSU]: Das sind doch Binsenweishei- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ten!) Nächste Rednerin ist die Kollegin Astrid Grotelüschen, CDU/CSU. Diesen gesellschaftlichen Wert des Handwerks sollten doch gerade diejenigen zu schätzen wissen, die immer (Beifall bei der CDU/CSU) von Menschenwürde, sozialem Miteinander und Europa reden. Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Wenn übrigens die EU mit dem deutschen Handwerk Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ein Problem hat, dann muss die EU ihre Haltung ändern Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ist noch und nicht wir. kein Meister vom Himmel gefallen. Es wäre schön, aber so einfach geht es dann doch nicht. Fakt ist, dass wir als (Beifall bei der AfD) Kunden und auch als Verbraucher, aber vor allen Dingen Deutschland zahlt die höchsten Beiträge an die EU. Von auch das Handwerk selbst mehr Meister brauchen. Denn daher wäre es eigentlich angebracht, dass wir den Kom- die Zahl derer, die eine Meisterprüfung ablegen, ist in missaren sagen, wo es langgeht, und nicht umgekehrt. den letzten 20 Jahren stetig gefallen: (Sören Bartol [SPD]: Das Handwerk war (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wieso denn schon immer international! Sie sind wirklich nur?) verblendet! Gesellen auf Wanderschaft – das von knapp 34 000 in den zulassungspflichtigen Gewer- können die alles nicht mehr machen, wenn es ken der Anlage A auf heute nur noch 19 500. Das ist nach Ihnen geht!) ein Rückgang um rund 43 Prozent, und das ist volks- Zeigen Sie endlich Rückgrat, und machen Sie den Kom- wirtschaftlich gesehen ein schlechtes Signal, das wir als missaren klar, dass wir uns nur für Europa einsetzen kön- CDU/CSU-Fraktion deshalb gerne umkehren möchten. nen, wenn unsere Wirtschaft funktioniert, und dass wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – das Recht haben, diese nach unseren Regeln zu gestalten! Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie regieren (Beifall bei der AfD) doch die ganze Zeit!) Frau Strothmann hat damals die „Meistersinger“ von Doch der Weg zum Meistertitel ist kein Spaziergang. Richard Wagner zitiert und berief sich auf eine Tradition, Übung, Fleiß, Disziplin und Können sind gefragt. Das die sich 150 Jahre lang bewährt hat. Ich gehe noch weiter zeichnet eine Meisterin, das zeichnet einen Meister aus. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8209

Astrid Grotelüschen (A) Daher ist es uns als Union wichtig – quasi zur besten Maße negative Zustände, stellen dann dieser Beschrei- (C) Redezeit heute –, über ein Anliegen zu diskutieren, das bung Forderungen zur Seite, zeigen aber nicht einmal wir gemeinsam mit den vielen Millionen Beschäftigten ansatzweise detaillierte Lösungen auf. und auch selbstständigen Frauen und Männern im Hand- werk verfolgen, die täglich unseren Alltag sprichwörtlich Meine Kritik kommt nicht von ungefähr. So fordern am Laufen halten, denen wir signalisiert haben, dieser Sie im ersten Punkt Ihres Antrags – ich zitiere –, „die Verknüpfung von Tradition und Innovation ein Stück Meisterpflicht im Sinne § 45 Handwerksordnung für ihrer Identität und ein Stück des verlorengegangenen alle zulassungspflichtigen Handwerksberufe wiederein- ordnungspolitischen Rahmens zurückzugeben, und zwar, zuführen“. Wer das mit Verstand liest, bemerkt sofort, indem wir mehr Gewerken als aktuell einen Weg aufzei- dass da nur eine unsinnige Wortklauberei formuliert wor- gen, wieder zulassungspflichtig zu werden. den ist, da die Definition „zulassungspflichtiges Hand- werk“ das Vorliegen eines Meisterbriefes voraussetzt. Aus diesem Grund haben wir in unserem Koalitions- Für alle zulassungspflichtigen Handwerksberufe besteht vertrag die Aussage verankert: die Meisterpflicht bereits. Hier muss also nichts wieder- Wir werden den Meisterbrief erhalten und verteidi- eingeführt werden. Das nenne ich „handwerklich ganz gen. Wir werden prüfen, wie wir ihn für einzelne schlecht gemacht“. Berufsbilder EU-konform einführen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Und in diesem Prozess, meine lieben Kollegen, sind wir ordneten der FDP und der LINKEN) als Regierungskoalition mittendrin. Warum schlagen wir diesen sicher nicht einfachen Wir in der Union hingegen wollen ernsthaft und mit Weg ein? Weil der Meisterbetrieb aus Sicht der CDU/ Sorgfalt die Fehlentwicklungen, die seit der rot-grünen CSU-Fraktion für Qualität, für Verbraucherschutz und Reform sichtbar werden, angehen. Gleichzeitig geht es als Garant für die duale Ausbildung mit ihrer Spitzen- aber auch darum, dass wir den Rechtsstaat achten, dass qualifikation, der Meisterin und dem Meister, steht. Hier wir jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, in- gibt es – das haben die Erfahrungen der letzten 15 Jah- dem wir die Betriebe kaputt machen, die sich in den letz- re gezeigt – deutlich negative Entwicklungen durch die ten 15 Jahren erfolgreich etabliert haben, oder die Bran- unter Rot-Grün erfolgten Liberalisierungsreformen im chen blockieren, die mit der Liberalisierung gut gefahren Jahr 2004, als da wären – um nur einige zu nennen – sind. Kurzum: Wir wollen eine gute und differenzierte die Verdrängung etablierter und qualifizierter Betriebe Lösung, die dem Handwerk wirklich nützt und es vor al- durch Billigkonkurrenz ohne entsprechende Qualifikati- len Dingen nicht zusätzlich belastet. Daher plädieren wir, on oder zum Beispiel der Boom bei der Gründung von genauso wie im Übrigen das Handwerk selbst, für eine (B) Ein-Mann-Betrieben mit mangelnder sozialer Absiche- offene, transparente und ausgewogene Entscheidungsfin- (D) rung. dung. Keine Passepartout-Lösung, wie von Ihnen vorge- schlagen – einfach 53 Handwerksberufe wieder zurück Diese Fehlentwicklungen gilt es zu stoppen. Es gilt, in die Meisterpflicht nehmen –, sondern eine Lösung, die sie umzukehren, und zwar, um die sehr gute Reputation, die mit dem Meisterbrief seit jeher verbunden wird, zu mit Experten aus der handwerklichen Praxis und Hand in erhalten, meine Damen und Herren. Hand mit der Politik – an der zukünftigen Ausgestaltung des ordnungspolitischen Rahmens orientiert – erarbeitet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wird. Konkret geschieht dies in einer Arbeitsgruppe der Koa- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das lition, die in enger Zusammenarbeit mit dem ZDH, mit ist wesentlich klüger!) Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaftsseite die Vor- und Nachteile sowie rechtliche Möglichkeiten auslotet. Wir haben mit unseren Gesprächen den Anstoß ge- Es gilt nämlich, das Ziel europarechts- und grundgesetz- geben für die Ausarbeitung eines Kriterienkatalogs, der konform zu erreichen. Es ist bezeichnend, dass man dazu die Basis für die Wiederaufnahme einiger Gewerke in im vorliegenden Antrag der AfD nichts findet. die Meisterpflicht sein kann. Wenn dieser Katalog steht, Aus meiner Arbeit als Berichterstatterin für die freien meine Damen und Herren, plädieren wir dafür, dass wir Berufe und auch für das Handwerk in den letzten Jahren mit den Branchen reden, die dann jeweils darlegen kön- weiß ich sehr wohl, dass wir mit Blick auf die rechtli- nen, warum eine Wiederaufnahme erforderlich ist oder che Seite sauber arbeiten müssen, um nicht zu unrealis- gewünscht wird. Das kann man sicherlich im Rahmen tischen Forderungen zu gelangen oder EU-Verfahren zu einer Anhörung machen. Wir brauchen eine klare Opera- pro­vozieren, die nachher nur kontraproduktiv sein kön- tionalisierbarkeit einer begrenzten Anzahl rechtlich rele- nen. Das öffentlich einsehbare Gutachten von Professor vanter Kriterien, deren Erfüllung empirisch nachweisbar ­Burgi – das sage ich in Richtung AfD – zur verfassungs- sein muss. So kommen wir dann zu einer Lösung, die das und europarechtlichen Statthaftigkeit der Wiedereinfüh- Handwerk dort unterstützt, wo diese Wiedereinführung rung der Meisterpflicht kann ich nur empfehlen; lesen nötig und sinnvoll ist. Das, meine Damen und Herren, Sie es, es gibt wirklich eine gute Orientierung. Der An- muss unser gemeinsames Ziel sein. trag der AfD tut dies leider nicht. Deshalb werden wir ihn auch – das wird Sie nicht verwundern – ablehnen. Sie So verstehe ich im Übrigen auch den Antrag der machen eigentlich immer wieder das gleiche Prozedere, FDP-Fraktion, der unseren Arbeitsprozess, den ich eben egal zu welchem Thema: Sie beschreiben in höchstem beschrieben habe und in dem wir schon seit mehreren 8210 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Astrid Grotelüschen (A) Monaten stecken, einfach wiedergibt. Er kommt aus mei- aber – auch das ist Ihnen völlig egal –, welche rechtli- (C) ner Sicht verspätet und setzt keine neuen Impulse. chen Rahmenbedingungen es gibt. Das ist gefährlich für das deutsche Handwerk, dem Sie mit diesem Antrag (Reinhard Houben [FDP]: Ja, dann stimmen mehr schaden als nutzen. Sie doch einfach zu!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme der SPD) zum Schluss. Man kann durchaus zusätzliche Impul- se setzen. Meisterbonus und Meister-BAföG sind ganz Denn bei einer solchen Frage kann, nein, muss man Ge- wichtige Aspekte. Wir sind in meinem Heimatbundes- nauigkeit erwarten. Eingriffe in die Berufsfreiheit müs- land Niedersachsen hier mit gutem Beispiel vorangegan- sen begründet werden; das verlangt das Grundgesetz. Sie gen. Wenn es einen gibt, dem die Zukunft des Handwerks würden mit Ihrem Antrag am Ende dem gesamten Meis- am Herzen liegt, dann der Union. Um es mit dem Motto terwesen sogar bedenkenlos erheblich schaden; selbst einer Glaserei aus Bremerhaven zu sagen, die es bei der das ist Ihnen egal. Azubisuche über YouTube zum Hit gebracht hat: Aufge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ben ist keine Option! Wir sind Handwerker, wir können der SPD) das! – Und ich ergänze: Die Union versteht ihr Handwerk auch! Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Hand- werksnovelle war Teil der Agenda 2010 von Gerhard (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schröder und wurde im Bundestag zusammen mit ande- Ich wünsche uns in diesem Sinne eine gute, eine ehrli- ren Ideen am 14. März 2003 vorgetragen. Damals hatten che und eine zielgerichtete Debatte, die dazu beiträgt, das wir 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Die mittel- Handwerk zu stärken. Ich lade Sie alle dazu ein. und osteuropäischen Staaten waren noch nicht Mitglied der EU, und eine Freizügigkeit gab es für deren Arbeit- Herzlichen Dank fürs Zuhören. nehmer erst recht nicht. Heute ist die Situation eine völlig (Beifall bei der CDU/CSU) andere. Es fehlen Facharbeitskräfte. Der demografische Wandel ist in allen Berufszweigen spürbar. Betriebe finden keine Auszubildenden. Insofern muss man nach Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: 15 Jahren einmal genau hinschauen und sorgfältig prü- Nächster Redner ist der Kollege Manfred fen, welche Korrekturen im Rahmen von Artikel 12 des Todtenhausen, FDP. Grundgesetzes und der EU-Dienstleistungsrichtlinie not- (Beifall bei der FDP) wendig, sinnvoll und vor allem rechtlich machbar sind. Das geht aber nur durch die Einzelfallprüfung und nicht (B) pauschal mit Bernds Schaufel. (D) Manfred Todtenhausen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der FDP) ren! Um das deutsche Handwerkswesen, besonders um Wir als Freie Demokraten sind angetreten, weil wir den Ausbildungsbereich, beneidet uns die ganze Welt. die weltbeste Bildung wollen. Dazu gehört auch die be- Gerade das Handwerk bietet jungen Menschen, die kein rufliche Bildung. Studium anstreben, eine qualifizierte, hochwertige Aus- bildung und Beschäftigung. Das Handwerk trägt erheb- (Beifall bei der FDP) lich zum Wohl unseres Landes bei. Daher verdient es Wir wollen jedem, je nach Begabung, den persönlichen auch unsere Unterstützung bei der Erhaltung der Qualität. Weg und damit seine individuelle Entwicklung offen- Als Bundestag müssen wir diese Unterstützung aber mit halten. Nicht jeder kann oder will ein Studium machen. Verstand und Augenmaß angehen. Bei diesen Begriffen Manche stellen erst später fest, dass sie mit ihrer Situati- fällt mir der Übergang zum Antrag der AfD sehr schwer. on nicht zufrieden sind oder dass sie sich einfach weiter- Er erinnert mich an Bernd; Bernd kennen wir alle. Bernd bilden wollen. Dafür ist es wichtig, dass es den Meister ist der Nachbarsjunge. Wenn die Kinder im Sandkasten gibt. Ja, für mich persönlich war es ein Fehler, die Meis- gespielt haben und dort die Burg aufgebaut, Türmchen terpflicht in einigen Gewerken abzuschaffen. gemacht, Fensterchen eingebaut, die Zugbrücke gemacht haben, dann kam Bernd mit seiner großen Schaufel, und (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aha!) übrig blieb ein großer Sandhaufen. Genauso ist dieser Ausbildungszahlen und Unternehmensentwicklungen Antrag. zeigen das in vielen Fällen. Aber warum sollen wir nicht aus Fehlern lernen? (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bernd von der AfD! – Jens (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Koeppen [CDU/CSU]: War Tilo! – Jürgen SPD sowie der Abg. Astrid Grotelüschen Braun [AfD]: Können Sie das wiederholen?) [CDU/CSU]) Ob Handwerkskammern oder Handelskammern zu- Bundesminister Altmaier hat gesagt, er werde der ständig sind, ob fehlende Ausbildungsplätze oder feh- Meisterpflicht für einige Berufe nicht im Wege stehen. lende Azubis das Problem sind, das ist für Sie egal. Sie Das bedeutet letztendlich: Er stellt sich an die Seite und werfen das alles in einen Topf. Ob europäischer Binnen- wartet ab, was passiert. Es wäre aber gerade seine Auf- markt oder Dienstleistungsfreiheit, auch das ist Ihnen gabe, diesen Weg zu bereiten. Das erwarte ich von ihm. völlig egal. Ein viel größeres Problem Ihres Antrags ist Er soll der Motor sein, wenn es um Wirtschaftsförderung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8211

Manfred Todtenhausen (A) geht. Nur durch das duale Ausbildungssystem und den sollen. Da frage ich mich: Was passiert denn mit den (C) Meister kommen wir dahin, dass das Handwerk der Aus- Gewerken, die es nicht in die Anlage A schaffen? Diese bilder der Nation bleibt. würden ja dann der Industrie- und Handelskammer zuge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ordnet werden, was das Handwerk nachhaltig schwächen der SPD) würde. Da wundere ich mich schon sehr. Ich komme zum Schluss. Wir fordern Herrn Altmaier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf: Werben Sie auch in Europa für den Meisterbrief! Le- der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol gen Sie dem Bundestag bis Mai ein Gesetz vor, das das [SPD]: Ohne Sinn und Verstand!) Meisterwesen in Deutschland und Europa stärkt! Außerdem kommen Sie bei allen Problemen, die Sie Vielen Dank. nennen, zu dem Schluss, dass die Wiedereinführung der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Meisterpflicht das Allheilmittel ist. Damit machen Sie es der SPD) sich zu einfach. Ja, der Meisterbrief ist ein Gütesiegel und ein Qualifikationsrahmen für alle Handwerksbetrie- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: be; aber der Meisterbrief ist nur eine von vielen Stell- Sabine Poschmann, SPD, ist die nächste Rednerin. schrauben, die wir drehen müssen, um es bei den Themen „Rückgang der Zahl der Auszubildenden“ und „Fach- (Beifall bei der SPD) kräftesicherung“ nach vorne zu schaffen.

Sabine Poschmann (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, laut DGB wandern Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- zwei von drei jungen Leuten, die im Handwerk ausge- ren! Wenn ich mir den AfD-Antrag, über den wir heute bildet werden, in die Industrie ab, gehen in den Handel zu beraten haben, so anschaue, kann ich nur sagen: Doch oder bilden sich weiter. Da muss man doch fragen: Wa- noch wach geworden, meine Damen und Herren?! Ihr rum? Alle Maßnahmen von der Ausweitung der Meister- Papier kommt reichlich spät. Ich empfehle Ihnen einen pflicht bis zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz werden Blick in den Koalitionsvertrag aus dem Frühjahr. Dort nur ein Tropfen auf den heißen Stein bleiben, wenn wir heißt es wörtlich: nicht endlich in einen breiten Dialog darüber eintreten, wie wir die Attraktivität des Handwerks als Arbeitgeber Wir werden den Meisterbrief erhalten und verteidi- insgesamt stärken. gen. Wir werden prüfen, wie wir ihn für einzelne Berufsbilder EU-konform einführen. (B) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. (D) (Beifall bei der SPD – Tino Chrupalla [AfD]: Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU] und Manfred Wo ist der Antrag?) Todtenhausen [FDP]) Ihr Antrag ist einmal mehr blanker Populismus. Laut einer Studie des Göttinger Volkswirtschaftlichen (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Dann haben Instituts für Mittelstand und Handwerk werden nur noch wir alles richtig gemacht!) 30 Prozent der im Handwerk Beschäftigten nach Tarif- vertrag bezahlt. Wer aus Tarifverträgen flüchtet, darf sich Sie versuchen in aller Eile, auf einen Zug aufzuspringen, nicht wundern, wenn ihm auch das Personal von der Fah- den wir schon längst in Fahrt gebracht haben. Vielleicht ne geht. ist es Ihnen ja schlicht entgangen, dass wir innerhalb der Koalitionsarbeitsgruppe „Meisterbrief“ schon viele Ge- (Beifall bei der SPD) spräche mit dem Handwerk, mit den Verbänden und na- türlich mit den Gewerkschaften geführt haben. Wenn das Handwerk im Wettbewerb um die besten Köp- Es kann gut sein, dass Ihnen auch die neuen Gutachten fe mithalten will, braucht es neben einer qualifizierten durchgegangen sind, die der Zentralverband des Deut- Ausbildung und einer modernen Weiterbildungsstrategie schen Handwerks in Auftrag gegeben hat. So simpel, wie zwischen Innung und Gewerkschaften verbindlich aus- Sie die Gewerke zur Meisterpflicht zurückführen wollen, gehandelte Tarifverträge. ist die Sache nicht. Im Gegensatz zu Ihnen streben wir eine Handwerksreform an, die mit den Spielregeln der (Tino Chrupalla [AfD]: Die gibt es doch!) EU einhergeht. In Richtung FDP sage ich: Natürlich wol- len auch wir eine verfassungskonforme Lösung erzielen. Das sind die Ebenen, die miteinander verbunden werden müssen: Meisterbrief, Fachkräfteeinwanderungsgesetz Das sind Begriffe, die ich in dem AfD-Antrag nicht wie- und eine funktionierende Sozialpartnerschaft. Hier sind derfinden kann. Aber das ist nicht der einzige Grund, wa- auch die Innungen gefragt. Sie sollten sich wieder ver- rum wir den AfD-Antrag ablehnen werden. mehrt als Tarifpartner zur Verfügung stellen. (Stephan Brandner [AfD]: Schade!) Meine Damen und Herren von der AfD, Sie sehen: Sie scheinen auch sonst nicht ganz im Thema zu sein. Das Thema ist etwas komplexer, als Sie uns das hier ver- So planen Sie im ersten Schritt, die Gewerke aus der An- mitteln wollen. lage B zu löschen. Erst im zweiten Schritt wollen Sie da- rüber nachdenken, welche B1-Gewerke in die Anlage A (Tino Chrupalla [AfD]: Wir sind blöde!) 8212 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Sabine Poschmann (A) Wenn Sie dem Handwerk helfen wollen, sollten Sie sich on zu tun haben muss, ist der Antrag, den Sie eingebracht (C) besser ein paar Gedanken mehr machen. haben. Den FDP-Antrag lehnen wir ebenfalls ab, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Stephan Brandner [AfD]: So, jetzt seid ihr dran! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Die Ich habe nämlich den Eindruck, dass das nicht so richtig müssen sich auch ein paar Gedanken mehr beachtet wurde. machen!) Was ist eigentlich die Folge der Regelung, die 2004 weil es bereits verschiedene Ausarbeitungen über dieses geschaffen wurde? Das Erste ist: Man kann sich nicht Thema gibt. mehr sicher sein, dass die Leistung qualifiziert ausgeführt wird. Zweitens haben wir eine Veränderung der Qualifi- (Michael Theurer [FDP]: Das versteht nie- kation der Beschäftigten in diesen Bereichen. Rund zwei mand! Sie sind dafür und lehnen ab!) Drittel aller Beschäftigten in den Betrieben, die vom Ich empfehle einen Blick auf die Antwort auf die Kleine sogenannten Meisterzwang ausgenommen werden, sind Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Meines Erachtens inzwischen ungelernt oder angelernt. Zwei Drittel! Das würden weitere Gutachten in diesem Bereich das Ganze Problem ist auch, dass die meisten Unternehmen nicht nur unnötig in die Länge ziehen. mehr ausbilden. Nur 7,2 Prozent der Betriebe mit bis zu vier Beschäftigten bilden überhaupt aus. Die Zahl der Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Auszubildenden hat sich drastisch reduziert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das hat übrigens auch die Bundesregierung gemerkt. der CDU/CSU) Sie stellt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen einen durch die HwO-Novelle ausgelösten Ni- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: veauunterschied fest. Es geht sicher nicht um ein höheres Nächster Redner ist Klaus Ernst, Die Linke. Niveau, sondern eher um ein niedrigeres. Aktuell kon- stituiert sich anscheinend eine Koalitionsarbeitsgruppe (Beifall bei der LINKEN – Stephan Brandner „Meisterbrief“. [AfD]: Jetzt kommt der Theoretiker!) (Sören Bartol [SPD]: Arbeitet schon!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Sie soll die rechtssichere Wiedereinführung des Meister- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- briefs als verpflichtende Voraussetzung für eine Betriebs- (B) ren! Es ist schon wirklich merkwürdig. Wir reden regel- gründung in einigen Gewerken des Handwerks prüfen. (D) mäßig darüber, dass SPD und Grünen mit der Änderung Auch wir als Linke sagen dazu eindeutig und klar: Bei der Handwerksordnung 2004 wirklich kein großer Wurf der Liberalisierung 2004 wurde das Kind mit dem Bade gelungen ist – das muss man ja zugeben –; ausgeschüttet. Sie war ein Fehler, meine Damen und Her- ren. (Tino Chrupalla [AfD]: Wann denn!) (Beifall bei der LINKEN) aber es ändert sich nichts. Sie hatten mal einen Vorsitzenden, der gesagt hat: Fehler (Stephan Brandner [AfD]: Einfach zustim- kann man machen, aber man muss sie korrigieren. men! Dann ändert sich etwas!) (Beifall bei der LINKEN) Deshalb ist es natürlich schon sinnvoll, dass das Thema noch einmal auf der Tagesordnung steht. Ich kann Ihnen das nur empfehlen. Wo ist eigentlich das Problem? Bis 2004 war die Welt Jetzt komme ich dazu, warum Ihr Antrag, Kolleginnen für die Handwerksmeister, aber auch für die Kunden und Kollegen der AfD, nicht nur handwerklich, sondern weitgehend in Ordnung. Wenn Sie einen Fliesenleger or- auch inhaltlich am Problem vorbeigeht. ganisierten, der Ihnen Fliesen an die Wand klebte, konn- ten Sie nämlich einigermaßen sicher sein, dass diese Flie- (Lachen des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD]) sen auch ein Jahr später noch an der Wand waren. Auch – Vielleicht lachen Sie hinterher nicht mehr. Das könnte wenn Sie jemanden holten, der Parkett verlegte, konnten sein. – Die Meisterpflicht ist nämlich nicht die Lösung Sie sicher sein, dass sich dieses Parkett nicht nach zwei aller Probleme. Der DGB sagt dazu: Tagen wölbte und neu gemacht werden musste. Das alles war eigentlich einigermaßen vernünftig geregelt. Eine auf die Wiedereinführung der Meisterpflicht reduzierte Betrachtung des Reformbedarfs im Dann hat man es im Jahre 2004 geändert, und die Welt Handwerk ist … nicht ausreichend. war anders. 53 Gewerke sind aus der Regelung, eine vernünftige Berufsausbildung zur Voraussetzung für die (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Kann ja trotz- Ausübung einer Tätigkeit bzw. eines Berufs zu machen, dem richtig sein!) herausgenommen worden. Damit hat sich natürlich tat- Warum? Das Handwerk ist für viele Jugendliche nicht sächlich einiges geändert. Damit mich die Kollegen von mehr attraktiv. der AfD nicht falsch verstehen: Das beste Beispiel dafür, dass die Ausübung einer Tätigkeit etwas mit Qualifikati- (Tino Chrupalla [AfD]: Ja, warum wohl?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8213

Klaus Ernst (A) – Das werde ich Ihnen jetzt erklären, Herr Chrupalla. – wundern, dass im Handwerk das eine oder andere nicht (C) Es gelten nämlich nur noch für 30 Prozent der Beschäf- mehr funktioniert, meine Damen und Herren. tigten Tarifverträge. In der gesamten Wirtschaft sind es (Beifall bei der LINKEN) 53 Prozent. Die Handwerksbetriebe müssen selbst die Einsicht ent- (Tino Chrupalla [AfD]: Unsinn!) wickeln, dass sie Tarifverträge brauchen, um die Attrak- Die Folge: Die große Mehrheit der Beschäftigten im tivität ihrer Arbeitsplätze zu sichern und dann vielleicht Handwerk verdient nicht nur teilweise weit unter Tarif- auch wieder genügend Mitarbeiter zu bekommen, die lohn, sondern hat auch überlange Arbeitszeiten und we- vernünftig beschäftigt werden. niger Urlaubstage als andere Beschäftigte. – Sie schüt- Ganz zum Schluss, meine Damen und Herren. Auf all teln den Kopf: Auch wieder ein Beweis für fehlende diese Fragen haben Sie von der AfD keine Antwort. Qualifikation in diesem Bereich! (Beifall bei der LINKEN – Tino Chrupalla (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- [AfD]: Darum geht es nicht!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ist Sie interessiert das auch nicht. Sie haben mit Ihrem An- ein anderes System!) trag wieder bewiesen, dass Sie von dem Thema eigent- lich nur einen kleinen Ausschnitt verstehen. Mit mehr Kein Tarifvertrag, meine Damen und Herren von der Qualifikation werden Ihre Anträge vielleicht besser. AfD – überwiegend ja Herren –, bedeutet in der Regel weniger Geld und schlechtere Arbeitsbedingungen. Das Ich danke fürs Zuhören. ist das Problem im Handwerk. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall der Abg. Dr. [DIE LINKE] – Sonja Amalie Steffen [SPD]: Rich- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: tig!) Claudia Müller, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächs- Wir haben inzwischen im Handwerk 20 Prozent nied- te Rednerin. rigere Löhne als in vergleichbaren Industriebereichen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übrigens bei ähnlicher Qualifikation. 20 Prozent weniger Geld! Kein Wunder, dass nur etwa jeder Dritte der aus- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gebildeten Gesellen des Handwerks in diesem Bereich Claudia Müller bleibt. Sie suchen sich einen anderen Job, zum Beispiel Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Klappern gehört zum Handwerk. (B) am Band in der Industrie. Sie geben sozusagen ihre Qua- (D) lifikation, die sie erworben haben, auf und gehen dort- Aber bei diesem Antrag hat die AfD eindeutig die Rüttel- hin, wo sie besser verdienen. Der viel beklagte Mangel platte rausgeholt. Die Handwerksnovelle als Vernichter an Nachwuchs- und Fachkräften ist damit direkte Folge des Handwerks, das ist das Bild, das Sie hier zeichnen. jahrelanger Tarifflucht und schlechterer Bezahlung im Das ist – die Vorrednerinnen und -redner haben das dar- Handwerk. gestellt – deutlich überzeichnet. (Beifall bei der LINKEN – Tino Chrupalla (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [AfD]: Anderes Thema!) sowie bei Abgeordneten der SPD) – Nein, nicht anderes Thema! Das gehört zusammen. Es Die FDP hingegen ist deutlich vorsichtiger. Man muss ist ja genau das Problem, dass Sie nicht erkennen, dass sich schon bemühen, die klare Positionierung zu erken- das zusammengehört. nen. Ihr Antrag enthält die Forderung nach Überprüfung der Ausweitung der Meisterpflicht auf Verfassungs- und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Europarechtskonformität und Bestandsschutz für Betrie- neten der SPD) be der Anlage B1 ohne Meisterpflicht. Ich muss geste- hen: Ich finde es durchaus ein bisschen ironisch, dass Sie meinen, dass das nur am Meisterzwang liegt. Es liegt die selbsternannte Freiheitspartei hier anstatt auf positive aber auch daran, dass wir diese Arbeitsbedingungen im Anreize tatsächlich auf eine Rückkehr zur Zwangsver- Handwerk haben. pflichtung, wie Gegner es nennen, setzt. Das entbehrt Meine Damen und Herren, zwar hat das Bundesver- nicht einer gewissen Ironie. waltungsgericht mittlerweile verboten, dass man Mit- (Manfred Todtenhausen [FDP]: Wie hätten glied einer Innung sein kann, aber die Tarifverträge der Sie es denn gerne?) Innung nicht anwendet, also eine sogenannte OT-Mit- gliedschaft, eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung, hat. Immerhin haben Sie den Punkt des Bestandsschutzes Aber wie haben die Innungen darauf reagiert? Sie lagern drin. Das ist etwas deutlich Positives, woran die AfD ja die Aufgaben der Tarifverträge einfach aus und sagen: noch nicht einmal denkt. Wir bilden Tarifgemeinschaften. – Diese sollen dann die Ihnen von der AfD scheint es vollkommen egal zu Tarifverträge aushandeln. Wozu führt das? Nach Zahlen sein, was Ihr Antrag für Tausende von Betrieben und So- des DGB von 2017 sind zum Beispiel im Kfz-Handwerk lo-Selbstständige bedeuten würde, nämlich den Verlust Hessen von 2 600 Betrieben der Innung nur 130 in Tarif- der Zulassung. Das ist Ihnen vollkommen egal. gemeinschaften organisiert und wenden Tarifverträge an. Vor diesem Hintergrund braucht man sich doch nicht zu (Tino Chrupalla [AfD]: Unsinn!) 8214 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Claudia Müller (A) Man sieht wieder: Ihr Antrag besteht nur aus Plattitüden, rangehen und dürfen das nicht so populistisch machen (C) enthält keine Ideen zur Lösung des Problems und ist zum wie Sie. Teil wieder einmal kompletter Unsinn. Von Ihnen ist auch nichts anderes zu erwarten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein Gegenbeispiel: Wir haben diese Einbrüche auch sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD]) in zulassungspflichtigen Bereichen. Meine Kollegin ist eine Vertreterin des Bäckerhandwerks. Was Sie können, ist dramatisieren. Die AfD spricht Auch dort haben wir extreme Einbrüche gehabt, sowohl davon, dass das Handwerk nur wegen der Handwerks- in der Ausbildung als auch in den Betrieben. Aber einer novelle 2004 im Kern so destabilisiert ist, dass es keinen der Hauptgründe ist hier die deutliche Ausweitung der in- gesicherten Fortbestand der zulassungsfreien traditionel- dustriellen Fertigung. Das treibt die kleinen Handwerks- len B2-Gewerke gibt. Sie haben sie ja genannt: Sattlerei, betriebe aus dem Markt. Seriöse Studien, wie zum Bei- Glockengießerei, Siebdruckerei, Uhrmacherei. In allen spiel die von Klaus Müller aus dem Jahre 2018, weisen diesen Bereichen arbeiten also nur noch so wenige Men- darauf hin – ich zitiere –: schen wegen der Handwerksnovelle 2004. Veränderte Lebensgewohnheiten, die Ausweitung von industrieller Es ist anzunehmen, dass das veränderte Ausbil- Fertigung, all das hat in Ihren Betrachtungen keinen Ein- dungsinteresse der Jugendlichen an einzelnen Beru- fluss. Der Antrag zeigt wieder einmal Ihre Haltung: Zu- fen eine sehr viel größere Rolle spielt als die Novel- rück zum Anfang des 20. Jahrhunderts, wenn nicht sogar lierung der HwO. zurück ins 19. Jahrhundert! Die Novellierung der Handwerksordnung wird in diesem Mit den Methoden der Verkürzung und Überdrama- Punkt also deutlich überschätzt. Und: Ja, die Anzahl der tisierung kennen Sie sich ja aus. Schauen wir uns doch Klein- und Kleinstbetriebe hat sich erhöht, allerdings mal die Ausbildungszahlen an. Ihrer Meinung nach san- ebenfalls in den zulassungspflichtigen Bereichen. Sie hat ken die ja erst seit der Handwerksnovelle 2004. Das ist sich in den Jahren 1995 bis 2015 in beiden Bereichen übrigens ein tolles Beispiel, wie man mit Verkürzungen fast verdreifacht. Sie lag allerdings bei den Betrieben aus manipulieren kann. Es ist ja vollkommen unbestritten, dem B1-Bereich schon vor 1995 deutlich höher als in den dass die Ausbildungszahlen im Handwerk sinken, und anderen Bereichen. das schon seit vielen Jahren, in den alten Bundesländern (Manfred Todtenhausen [FDP]: Ja!) übrigens seit Mitte der 80er-Jahre, in den neuen Bundes- ländern seit dem Jahre 2000. Das gilt übrigens sowohl für Sie sehen: Es ist also deutlich komplizierter als ge- (B) die zulassungsfreien als auch für die zulassungspflichti- dacht. Die Antwort auf die Kleine Anfrage, die wir ge- (D) gen Berufe. Es gibt sogar einige Bereiche, in denen die stellt haben – mehrere Kollegen haben ja schon darauf Zahlen vorher sogar noch stärker gesunken sind. hingewiesen –, gibt eine breite Antwort auf viele Fragen. Allerdings ist es ein Sammelsurium. Wir wünschen uns, Ich habe mal ein Beispiel rausgesucht – ich habe das dass wir, bevor wir hier Schritte unternehmen, noch mal eigentlich für Herrn Linnemann rausgesucht; denn er einen deutlichen Blick darauf werfen, insbesondere was nimmt es auch sehr gerne –: die Fliesen-, Platten- und die Evaluation im Hinblick auf die Einhaltung von Arti- Mosaikleger. 1998 hatten wir in diesem Bereich noch kel 12 GG und die Europarechtskonformität angeht. Es 8 114 Auszubildende, im Jahre 2004 3 029. Es ist nicht gibt Experten, die hier von der Büchse der Pandora spre- so, dass die Zahlen die ganze Zeit ein Plateau gebildet chen. Frau Grotelüschen hat das angesprochen: Das kann haben und dann 2004 schlagartig absanken. Vielmehr tatsächlich genau das Gegenteil von dem bewirken, was war es ein gradueller Rückgang. 2004 hatten wir nur wir wollen. Da müssen wir sehr vorsichtig sein. noch 37 Prozent der Auszubildenden, die wir 1998 hat- ten, und das innerhalb von sechs Jahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Todtenhausen [FDP]: Absolut! Da (Manfred Todtenhausen [FDP]: Genau!) müssen wir vorsichtig sein!) Bis 2017 sank die Zahl dann auf 2 353. Aber Sie sehen: Was wir tun sollten, ist, den Meisterbrief zu stär- Das ist ein deutlich geringerer Abfall als in der Zeit da- ken, Anreize zu setzen. Es gibt Bundesländer – Frau vor. Grotelüschen, Sie haben darauf hingewiesen –, die durch Ausbildungsprämien – ähnlich dem Meister-BAföG – (Manfred Todtenhausen [FDP]: Vielleicht hat unterstützen, allen voran Niedersachsen mit 4 000 Euro das was mit der Konjunktur zu tun!) und Mecklenburg-Vorpommern auf Platz zwei mit Das heißt, hier zu sagen, die Handwerksnovelle sei ver- 2 000 Euro und 5 000 Euro für die Jahrgangsbesten. Wir antwortlich für diesen Einbruch, ist schlicht und ergrei- sollten Anreize schaffen und zeigen, dass der Meister- fend falsch. Monokausales Denken hilft uns an dieser brief nicht nur Qualität bedeutet, sondern auch Chancen Stelle nicht weiter. für einen Bildungsaufstieg eröffnet, dass er den Einstieg für alle Bildungswege offenhält, dass die Entscheidung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für eine Ausbildung oder ein Handwerk in jungen Jahren gleichbedeutend damit ist, dass einem später alle Türen Wenn wir über den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel für den beruflichen Werdegang offenstehen. Darauf soll- reden, dann müssen wir analytisch an dieses Thema he- ten wir einen Blick werfen. Insofern brauchen wir hier Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8215

Claudia Müller (A) keine Schnellschüsse, sondern eine ernsthafte Auseinan- Umsatz. Es gibt über 21 000 bestandene Meisterprüfun- (C) dersetzung mit dem Thema. gen, über 96 000 bestandene Gesellenprüfungen, und – das finde ich sehr gut; das passt vielleicht auch für die Vielen Dank. Politik; diese Zahl wünscht sich jeder – 85 Prozent der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschen vertrauen nach Umfragen immer noch dem deutschen Handwerk. Das ist eine absolut klasse Zahl und Entwicklung. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- CSU. wie bei Abgeordneten der FDP – Manfred Todtenhausen [FDP]: Das ist gut!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wie können wir jetzt diese Fehlentwicklung stoppen Jens Koeppen (CDU/CSU): und möglicherweise umdrehen? Zwei Anträge liegen vor. Ich möchte zu den Anträgen sagen: Ja, das, was dort Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und beschrieben wurde – auch im Antrag der AfD –, kommt Kollegen! Vor fast genau 15 Jahren, am 1. Januar 2004, von den Verbänden, den Kammern. Das, was dort steht, hat die damalige rot-grüne Bundesregierung eine neue ist letztendlich eine Binsenwahrheit. Aber, was bei Ihrem Handwerksnovelle auf den Weg gebracht. Diese Hand- Antrag zu kritisieren ist, ist, dass Sie eine sogenannte werksnovelle hatte zum Ziel, 53 Handwerksberufe aus Rückvermeisterung wollen. Das geht in die Hose; das der Anlage A der Handwerksordnung in die Anlage B kann ich Ihnen sagen. Wir müssen schauen, wie wir das einzutragen und die Meisterpflicht für diese 53 Berufe machen. Eine Rückvermeisterung kann nicht stattfin- abzuschaffen. Ich mache es mir jetzt nicht einfach, und den; denn viele Betriebe wollen gar nicht zurück in die es ist auch nicht trivial, wenn ich sage: Da wurde falsch Anlage A und viele Betriebe, wenn wir es richtig sehen, gehandelt. Zur damaligen Zeit – das muss man denjeni- können auch nicht zurück. Da geht es nicht um den Ins- gen, die diese Änderung gemacht haben, zugestehen – trumentenbauer; da geht es auch nicht um verschiedene gab es eine verdammt hohe Arbeitslosigkeit, gab es viele Gewerke, die das wollen. Wir müssen dies mit Sinn und Ausbildungswillige, die zu Hause gesessen haben und Verstand angehen. Es nützt uns auch kein Aktionismus. ausgebildet werden wollten. Deswegen war das, obwohl Wir müssen hier behutsam und mit einem transparenten ich es für falsch hielt, aus damaliger Sicht absolut nach- Verfahren vorgehen. Es ist nun einmal rechtlich, insbe- vollziehbar und verständlich. sondere europarechtlich, eine sehr heterogene Gemenge- Aber die Erwartungen, die daran geknüpft wurden – lage. Wir müssen schauen, was mit dem Bestandsschutz (B) das ist nun einmal bei Gesetzen und Verordnungen so –, ist – Astrid Grotelüschen hat es gerade angesprochen –, (D) wurden nicht erfüllt. Es gab – wie soll ich sagen? – eine weil sich gerade viele Betriebe eingerichtet haben und Fehlentwicklung. Was ist passiert? Die Gesellen sind aus so weiter agieren wollen. Das ist auch möglich. Die Be- den guten Meisterbetrieben abgewandert und haben ge- triebe, wie Sie beschrieben haben, alle aus der Anlage B sagt: Das, was der Alte kann, kann ich schon lange. – Sie zu löschen und in die Anlage A einzutragen, wird nicht haben sich letztendlich selbstständig gemacht. Das führ- funktionieren. Das kann auch gar nicht funktionieren, te dazu, dass die Zahl der Auszubildenden zurückging; schon gar nicht, wenn sie einmal gelöscht sind. Wo sol- denn als Nichtmeisterbetrieb haben sie nicht die Voraus- len sie hin, etwa zur IHK? Frau Kollegin Poschmann hat setzung gesehen, auszubilden. Es gab einen Qualitätsver- es schon angesprochen. Also, kein Aktionismus, sondern lust, der nachweisbar ist. Es gab einen Ausbildungsrück- behutsames Vorgehen. gang. Viele Betriebe haben sich neu gegründet, aber es waren in erster Linie Solo-Selbstständige, unter anderem Sie haben auch – deswegen erledigt sich der FDP-An- auch aus Osteuropa. Es entstand ein Lohndumping, eine trag ein bisschen – gefordert, dass die Entwicklung durch Preisspirale nach unten, ein Preiswettbewerb, der die Gutachten begleitet werden soll. Diese beiden Gutachten Qualität beeinflusst hat. Deswegen sagen wir schon län- sind auf dem Weg. Es hat sich jetzt ein bisschen über- ger: Wir müssen etwas tun. Das haben wir im Koalitions- schnitten. Haben Sie noch nicht beide Gutachten? Sind vertrag auch so festgehalten. sie schon da? Das weiß ich jetzt gar nicht. Ich selbst bin gelernter Elektromonteur und Elektro- (Manfred Todtenhausen [FDP]: Doch!) meister für Industrieelektronik und Elektromeister für Professor Burgi untersucht die rechtlichen Möglichkei- das Elektroinstallateurhandwerk. Ich habe diese Ent- ten, und Professor Haucap und Professor Rasch überprü- wicklung immer für falsch gehalten. Herr Todtenhausen, fen die ökonomischen, die volkswirtschaftlichen und die da haben wir etwas gemeinsam. betriebswirtschaftlichen Auswirkungen. Diese Gutach- (Manfred Todtenhausen [FDP]: Ja!) ten sind auf dem Weg. Wir werden jetzt eines machen: Wir werden mit allen Branchen Anhörungen durchfüh- Aber was mich besonders bedrückt: Warum haben wir ren. Das ist eine Menge Arbeit. Wie wir das machen, verlernt, wirklich stolz auf das deutsche Handwerk zu wissen wir noch nicht. Aber wir müssen es machen, um sein und zu sagen, es ist systemrelevant? den Leuten das Gefühl zu geben, dass wir es ernst mei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen. Dabei werden wir klare Kriterien festlegen. Die Ge- fahrengeneigtheit wird immer wieder genannt, sie wird Es gibt 1 Million Betriebe mit 5,5 Millionen Beschäftig- in diesen Kriterien enthalten sein, auch der Vertrauens- te. Das deutsche Handwerk macht 560 Milliarden Euro schutz. Was nützt es uns, wenn die Gewährleistung bei 8216 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Jens Koeppen (A) so vielen Solobetrieben, die in die Insolvenz gehen, nicht Wir brauchen eine zeitgemäße Berufsausbildung. Es (C) mehr vorhanden ist? Hier spielt die Bestandsfestigkeit ist gesagt worden, es muss für die jungen Menschen der Betriebe eine Rolle. Die Ausbildung wird eine Rolle attraktiv sein, sich im Handwerk zu tummeln und aus- spielen. Die Qualität wird eine Rolle spielen. bilden zu lassen. Eine klare Zukunftsperspektive muss gewährt werden. Wir brauchen weniger belastende Bü- Alles in allem bitte ich darum, nicht das Kind mit dem rokratie. Wir brauchen mehr Vertrauen in die Unterneh- Bade auszuschütten, sondern behutsam an die Thema- mer und Unternehmerinnen. Wir brauchen die Förderung tik heranzugehen. Von mir aus können wieder so viele der Meisterausbildung in Form von BAföG oder Meis- Meisterbetriebe wie möglich zugelassen werden, damit terprämien. Das ist gesagt worden. Der Meisterbrief ist die Qualität wieder steigt, aber wir müssen hier mit der unverzichtbarer Bestandteil der beruflichen Bildung, Spitzzange statt mit dem Brecheisen oder mit der Holz- gerade in kleinbetrieblichen und KMU-Strukturen. Er ist hammermethode agieren. zu erhalten. Natürlich macht es Sinn, ihn auch noch wei- Vielen Dank. ter auszuweiten. Es ist gesagt worden, dass der ZDH ein Gutachten in Auftrag gibt. Es gibt Berufe, die hier sehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- geeignet sind. Man muss dies im Jahre 2018/2019 neu geordneten der SPD und des Abg. Manfred überdenken, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Todtenhausen [FDP] – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Gut, wenn einer etwas von der (Beifall bei der FDP) Sache versteht!) Das ist das, was das Handwerk braucht. Wir brauchen keine Anträge, wie sie die AfD formuliert. Dazu ist von Vizepräsidentin : meinem Kollegen alles gesagt worden. Das Wort hat der Abgeordnete Lassen Sie uns daran arbeiten, dass wir mehr Meister für die FDP-Fraktion. statt Master schaffen. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Kemmerich. Thomas L. Kemmerich (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der deutsche Handwerksmeister, das Handwerk, Thomas L. Kemmerich (FDP): die duale Ausbildung stehen weltweit für deutsche Quali- Das Handwerk hat goldenen Boden, aber es sollte ihn tät, für made in , ja, für German Mittelstand. Wo auch behalten. (B) (D) wir heute noch gute Auslastungen verzeichnen können, Vielen Dank. sehe ich morgen sehr große Probleme. Strukturprobleme, Ausbildungen, Weiterbildungen, die ehrenamtliche Or- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ganisation, Nachfolge und natürlich der Fachkräfteman- der CDU/CSU) gel sind die Probleme, die das Handwerk belasten. Aber es gibt auch viele hausgemachte Probleme, die Vizepräsidentin Petra Pau: die Großen Koalitionen seit 2005 verursacht haben. Be- Das Wort hat die Kollegin Gabriele Katzmarek für die trachten wir einmal einen modernen Handwerksbetrieb, SPD-Fraktion. einen modernen Handwerksmeister. Was haben sie alles (Beifall bei der SPD) auszuführen? Sie sind gleichzeitig Rechtsanwalt, Müll­ experte, Arbeitsschutzobmann, Datenschützer, Buchhal- ter, Steuerberater, Seelsorger, Verkehrssicherheitsexper- Gabriele Katzmarek (SPD): te, Zollbeamter, oftmals noch Berufslehrer. All das sind Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Dinge, die sie von ihren eigenen Tätigkeiten abhalten. Kollegen! Bei meinen Schulbesuchen und in Gesprä- Noch schlimmer: Diese Tätigkeiten müssen sie mit einer chen mit Schülerinnen und Schülern frage ich regelmä- hohen Akribie ausführen; denn sonst drohen durch die ßig nach, welchen Berufswunsch die Schülerinnen und öffentliche Hand drakonische Strafen. Schüler denn haben und welchen Beruf sie erlernen wol- len, wenn sie die Schule zum Beispiel nach dem folgen- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Schuljahr verlassen. Ich bekomme ganz, ganz selten der CDU/CSU) eine Antwort, die lautet: Ich will in einem Handwerksbe- Da mag es nicht verwundern, dass die Jugendlichen heu- ruf meine Ausbildung machen, ich will ein Handwerk er- te oftmals nicht mehr in handwerkliche oder gewerbliche lernen. – Jetzt kann man sagen, das sei nur meine Wahr- Berufe streben, sondern eine akademische Ausbildung nehmung oder habe etwas mit der Struktur der Schulen bevorzugen. Da müssen wir ansetzen. bei uns in Baden-Württemberg zu tun. Aber nein, das ist keine subjektive Wahrnehmung. Die Zahlen von 2017 Das Handwerk braucht heute neue politische Unter- besagen, dass 19 000 Ausbildungsplätze im Handwerk stützung. Das Handwerk braucht in dieser neuen Zeit vor nicht besetzt wurden. allen Dingen eines: mehr gesellschaftliche Anerkennung. Da muss man sich natürlich fragen, warum das Hand- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werk nicht attraktiv ist, warum die jungen Leute nicht der CDU/CSU) ins Handwerk gehen und ob das daran liegt, dass es in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8217

Gabriele Katzmarek (A) bestimmten Gewerken keine Meisterpflicht mehr gibt. Eckhard Pols (CDU/CSU): (C) Das könnte ja, auch wenn man der Logik der Anträge Na ja, die Frau Präsidentin hat sie ja auch zugelas- folgt, durchaus dahinterstecken. Aber dann, meine sehr sen. – Frau Kollegin, ich habe bei Ihren Ausführungen geehrten Damen und Herren, müsste es ja signifikante gerade so ein bisschen gestutzt. Ist Ihnen eigentlich be- Unterschiede zwischen den Berufen geben, in denen es kannt, dass man im Handwerk nur ausbilden kann, wenn eine Meisterpflicht gibt, und denen, in denen es keine man auch eine Meisterprüfung hat? Meisterpflicht gibt. Dann müsste man feststellen, dass die Berufe ohne Meisterpflicht nicht so attraktiv sind und (Beifall der Abg. Astrid Grotelüschen [CDU/ die Auszubildenden nicht in diese Berufe hineingehen. CSU] und Tino Chrupalla [AfD]) So ist es aber bei weitem nicht. Die vielen Betriebe im Handwerk, die ohne Meister geführt werden, dürfen überhaupt keine Lehrlinge aus- Deshalb ist die Frage der Attraktivität des Handwerks bilden. Da wir im Handwerk das Problem haben, dass weiterzufassen. Grundprobleme des Handwerks wur- Nachwuchs fehlt und wir diesen generieren müssen, geht den hier schon aufgezeigt, einmal von meiner Kollegin die Diskussion bei Ihnen ein bisschen daran vorbei. Ist Poschmann, aber auch von Klaus Ernst, aber auch ich Ihnen das bekannt? will sie wiederholen, damit deutlich wird, worüber wir reden müssen, wenn es um die Attraktivität im Hand- werk geht. Die Beschäftigten im Handwerk verdienen Gabriele Katzmarek (SPD): im Durchschnitt 20 Prozent weniger als die Beschäftig- Mir ist bekannt, dass es eine Ausbildereignungsprü- ten in allen anderen Branchen. Nur noch 30 Prozent der fung nach der Ausbilder-Eignungsverordnung braucht. Beschäftigten fallen unter einen Tarifvertrag. Da frage Ich hoffe, das ist Ihnen auch bekannt. ich mich: Ist das attraktiv? Wenn ich mich frage, wo ich arbeiten gehen will, dann muss ich feststellen: garantiert (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht dort. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im „handwerk magazin“ wird geschrieben – es sind Sie ist die Voraussetzung für die Ausbildung. Es muss also keine Zahlen, die wir selbst erstellt haben –: Der also erst eine Ausbildereignungsprüfung vorliegen, erst Durchschnittsverdienst eines Handwerkers liegt zwi- dann kann man ausbilden. schen 1 800 und 2 900 Euro brutto. Jetzt soll mir bitte schön mal jemand erklären, wie attraktiv das ist, wie es (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Eben nicht!) möglich sein soll, eine Familie mit 1 800 Euro brutto zu – Doch! Ich fang mit Ihnen hier jetzt keine Kontroverse versorgen, und warum man in einem solchen Beruf, auch an. (B) wenn er wieder durch die Meisterpflicht aufgewertet (D) wird, eine Ausbildung machen soll. Das muss mir mal (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- jemand erklären. Ich kann es nicht. SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Tino Chrupalla [AfD]) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen wir über die Einführung Da können wir gerne noch mal nachschlagen. der Meisterpflicht in einigen Gewerken nachdenken. Das Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen tun wir; das wurde heute auch schon erwähnt. Letztend- und Kollegen, zum Schluss lassen Sie mich bitte noch auf lich geht es bei der Steigerung der Attraktivität des Hand- einen Punkt hinweisen: Für die Menschen, die im Hand- werks aus meiner Sicht aber um mehr. Das Handwerk ist werk arbeiten, ist es wichtig, dass wir über sie reden, aber wichtig, das hat heute jeder Redner hier gesagt. Das ist schöne Worte alleine helfen ihnen natürlich nicht. Was keine Frage. diese Menschen brauchen, ist, dass ihre Arbeit, die gut, richtig und wichtig ist, auch wertgeschätzt wird, wert- Vizepräsidentin Petra Pau: geschätzt wird zum Beispiel durch Tarifverträge, durch gute Bezahlung, durch faire Arbeitszeiten und durch gute Frau Kollegin Katzmarek, gestatten Sie eine Frage Rahmenbedingungen. Das Ziel muss es sein, die Arbeit oder Bemerkung aus den Reihen des Koalitionspartners? dieser Menschen in unserem Land wertzuschätzen. Die beiden Anträge, die uns vorliegen, gehen darauf absolut nicht ein. Deshalb werden wir sie ablehnen. Gabriele Katzmarek (SPD): Wenn der Koalitionspartner mit mir hier heute disku- Herzlichen Dank. tieren will, dann soll er es bitte tun. (Beifall bei der SPD)

Eckhard Pols (CDU/CSU): Vizepräsidentin Petra Pau: Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie diese Zwi- Das Wort hat der Abgeordnete Mario Mieruch. schenfrage zulassen. Mario Mieruch (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen (SPD): Gabriele Katzmarek und Herren! Das Handwerk hat goldenen Boden. Und so Nein, Frau Katzmarek lässt sie zu. Aber macht nichts. wunderbar vielfältig und leistungsfähig unser Handwerk 8218 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Mario Mieruch (A) ist, so komplex ist das Thema, das wir heute hier disku- Karl Holmeier (CDU/CSU): (C) tieren. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her- Mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, mehr ren! Das deutsche Handwerk bildet das Rückgrat unse- Innovation hatte sich die damalige rot-grüne Bundesre- rer Wirtschaft und auch unseres Wohlstandes. Das deut- gierung erhofft. Wir erlebten stattdessen eine Explosion sche Handwerk ist vor allem in ländlichen Regionen ein der Zahl der Betriebe und eine Implosion der von ihnen wichtiger Arbeitgeber. Handwerklich geprägte Regionen geleisteten Qualität. Kunden haben keine Gewissheit weisen eine geringere Arbeitslosigkeit und auch eine mehr, ob die Leistung stimmt. Pfusch beim Fliesenlegen höhere Ausbildungsquote bei Jugendlichen auf. Die her- oder unzureichendes Wissen über Parkettboden waren vorragende Arbeit des deutschen Handwerks ist über die die Paradebeispiele, die heute schon mehrfach genannt Landesgrenzen hinaus bekannt und Synonym für höchste wurden. Viele Solo-Selbstständige, die massenweise auf Qualität. den Markt drängten, hielten sich nicht einmal an die Ge- währleistungspflicht. Das entstandene Preis- und Lohn- Grundlage hierfür ist die ausgezeichnete Ausbildung dumping führte letzten Endes dazu, dass es für Betriebe vor allem im dualen Bildungssystem. Der Meisterbrief mit qualitativem Anspruch – und somit letztlich auch die bildet die höchste Ausbildungsstufe im Handwerk und Entscheidung, selbst ein Unternehmen in diesem Markt­ ist ein besonderer Qualitäts- und Qualifizierungsnach- umfeld zu gründen – immer schwerer wurde. weis. Der Meisterbrief ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher zudem ein wichtiger Anhaltspunkt, um eine Insofern ist es sehr begrüßenswert, dass die Problem­ qualifizierte und hochwertige handwerkliche Leistung lage erkannt wurde und dass man sich willens zeigt, zu erhalten. Durch den Meisterbrief wird die Qualität Lösungen zu finden. Eines ist dabei sicher: Für eine ge- der handwerklichen Arbeiten gesichert und der Verbrau- sunde Wirtschaft müssen wir unnütze Vorschriften strei- cherschutz garantiert. Untersuchungen haben ergeben, chen, bürokratische Hürden abbauen und leistungsberei- dass die Bestandsfestigkeit eines Handwerksbetriebs mit ten Bürgern Wege ebnen. Beim Meister war das früher Meisterbrief höher ist als bei Handwerksbranchen ohne einfach: Er sicherte vergleichbare Qualität und die Wei- Meisterpflicht. tergabe von Geschick und Tradition. Er hat das Wissen von Jahrhunderten an zukünftige Generationen weiterge- Die Meisterausbildung vermittelt nicht nur Praxis, geben und war lange Zeit ein Stück unserer deutschen sondern vor allem auch kaufmännische Ausbildung und Identität. Geiz war halt früher nicht immer geil. Mitarbeiterführung. Die Meisterausbildung bereitet her- vorragend auf die Selbstständigkeit vor. Die Zeit läuft jedoch weiter. Seit der Abschaffung der Meisterpflicht hat es durchaus Veränderungen gegeben, Die Wiedereinführung der Meisterpflicht für einzel- (B) (D) die wir bei einer konstruktiven Lösungsfindung beach- ne Berufsfelder im Handwerk ist auch der Koalition ein ten sollten: Wie binden wir zum Beispiel die seit Jahren wichtiges Anliegen. Es wurde auch schon mehrfach ge- erfolgreichen und leistungsfähigen Betriebe ein, die sich sagt: Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, ohne Meisterpflicht etabliert haben? Wie unterstützen den Meisterbrief zu erhalten und zu verteidigen. Wir wir eine Wiederbelebung der Meisterprüfung, die Aus- werden prüfen, wie wir den Meisterbrief für einzelne bildung von Lehrlingen und die Weiterbildung von Ge- Berufsfelder EU-konform wieder einführen können. Das sellen, wie das heute auch schon mehrfach angesprochen Bundesministerium für Wirtschaft kommt dem Prüfauf- wurde? Muss es künftig überall zwingend der Meister trag aus dem Koalitionsvertrag derzeit nach. Wir führen sein, oder finden wir innovative Lösungen, die Lebens- bereits in einer Arbeitsgruppe die notwendigen Gesprä- leistung langjähriger Gesellen und Facharbeiter wertzu- che und werden dann im Deutschen Bundestag eine An- schätzen und entsprechend zu würdigen? Wie schaffen hörung dazu durchführen. wir einen verlässlichen Rahmen, klassisches Handwerk Zurückblickend: Die Novellierung der Handwerks- auch im Zuge der Digitalisierung innovativ weiterentwi- ordnung im Jahre 2004 war Teil der Agenda 2010 der ckeln zu können? Wie gehen wir mit Subunternehmern damaligen rot-grünen Bundesregierung. In Deutschland um, die sich nicht an tarifliche Absprachen halten, um war damals die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie heu- Preise zu drücken? Das alles sind Fragen, die beantwortet te. Vorrangiges Ziel war es, Arbeitslose zur Gründung werden wollen. selbstständiger Existenzen anzuregen und zu motivieren. Meine Damen und Herren, die letzten 15 Jahre wa- Dass die Arbeitslosigkeit nicht durch die Abschaffung ren nicht immer optimal, aber wir müssen uns darüber der Meisterpflicht wirksam bekämpft werden kann, war im Klaren sein, dass die Wiedereinführung des Meisters der CDU/CSU-Fraktion damals schon bewusst, und wir alleine nicht der Schlüssel zum Glück sein wird. Es lohnt haben dagegengestimmt. sich aber immer wieder, jene zu fragen, die es betrifft. Seit 2004 ist in den zulassungsfreien Handwerksbran- chen teilweise ein starker Rückgang der Ausbildungs- Vielen Dank. leistung festzustellen. Vor diesem Hintergrund halten wir die Wiedereinführung des Meisterbriefs für einzelne Vizepräsidentin Petra Pau: zulassungsfreie Handwerke für richtig und für wichtig. Das Wort hat der Abgeordnete Karl Holmeier für die Der heute vorliegende Antrag der AfD enthält jedoch ei- CDU/CSU-Fraktion. nige gravierende handwerkliche Fehler. Es ist kein gu- ter Ansatz, für alle 53 zulassungsfreien Handwerke den (Beifall bei der CDU/CSU) Meisterbrief wieder einzuführen. Dies müssen wir in ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8219

Karl Holmeier (A) zelnen Berufsfeldern sorgfältig prüfen. Wir können das bestimmte Sachen verbessern? Da spielt die Bezahlung (C) nicht pauschal für alle fordern. Dazu brauchen wir auch sicherlich eine Rolle, ganz klar. den Antrag der AfD nicht. Wir arbeiten bereits in einer Arbeitsgruppe, und wir werden die gefundenen Ergeb- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nisse auch umsetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das deut- sche Handwerk befindet sich momentan auf einem kon- Vizepräsidentin Petra Pau: junkturellen Hoch. Der Indikator für die Geschäftslage im Handwerk befindet sich im Herbst dieses Jahres zum Kollege Holmeier, gestatten Sie eine Frage oder Be- vierten Mal in Folge auf einem Allzeithoch. Ebenso merkung des Kollegen Klaus Ernst? stieg die Zahl der Beschäftigten. Das Handwerk hat im Jahr 2018 circa 30 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaf- Karl Holmeier (CDU/CSU): fen. Die Mehrzahl der Handwerksbetriebe beurteilt auch Bitte, ja. für die Zukunft die wirtschaftliche Lage als sehr gut. Es gibt viele Herausforderungen, denen sich das Klaus Ernst (DIE LINKE): Handwerk und auch die Politik stellen müssen. Wir werden alles daransetzen, dass wir das Handwerk dabei Lieber Kollege Holmeier, danke, dass Sie die Frage unterstützen. Hierzu gehören neben der Stärkung des zulassen. – Ich möchte Sie auf Folgendes aufmerksam Meisterbriefs noch zahlreiche zusätzliche Maßnahmen. machen: Als ich noch in Stuttgart gearbeitet habe, ging Der Handwerksberuf muss zudem für junge Menschen ein Spruch durch Stuttgart. Er hieß: Die größte Bäckerei wieder attraktiver werden und ihr Interesse wecken. und die größte Metzgerei in Stuttgart ist Daimler-Benz. – Dort arbeiteten nämlich sehr viele ausgebildete Metzger Entscheidend für unser Handwerk und für die Be- und ausgebildete Bäcker am Band. Ich habe versucht, da- rufsentscheidung junger Menschen für das Handwerk rauf aufmerksam zu machen. sind die Wertigkeit und die Qualität der Ausbildung. Des- halb ist die beste Ausstattung unserer Berufsschulen von Sind Sie denn mit mir der Auffassung, dass wir, wenn entscheidender Bedeutung. Ein guter baulicher Zustand, wir das ändern wollen, wenn wir also Leute in ihrem bestmögliche Ausstattung und gut ausgebildete und mo- erlernten Beruf halten wollen, auch über die Frage der tivierte Lehrkräfte sind ein wichtiger Grund für die Ak- Tarifverträge reden müssen? Ich habe das angesprochen. zeptanz des Handwerks und damit entscheidend für die Ich habe jetzt noch niemand aus Ihrer Fraktion gehört, Berufswahl junger Menschen. der sich dazu geäußert hat. (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) Ist es nicht notwendig, dass Sie, wenn Sie mit Ihrem der SPD) Koalitionspartner diese Frage klären, auch darüber nach- denken, wie wir in diesen Bereichen mehr vernünftige Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: In meinem Arbeitsbedingungen, einen vernünftigen Urlaub, ver- Wahlkreis bauen wir gerade den letzten Abschnitt einer nünftige Regelungen organisieren können, damit wir die neuen Berufsschule. Das ist die modernste Berufsschu- Fähigkeiten, die es bei den Menschen gibt, zum Beispiel le Deutschlands mit der modernsten digitalen Ausstat- beim Bäcker, wirklich erhalten. Ich bin für kleine Bäcke- tung. Wir haben zusätzlich Berufswahltage. Wir haben reien, absolut. Aber dann muss man doch die Arbeitsbe- zusätzlich Baufachtage, die das Handwerk in den Schu- dingungen so attraktiv gestalten, dass die Leute ihren Job len durchführt. Wir stellen fest, dass das Interesse der mit Lust und Freude ausüben. Schulabgänger für das Handwerk enorm gestiegen ist. Die Zahl der Auszubildenden steigt, und das Interesse (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. am Handwerk ist bei weitem größer geworden, als es vor Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE einiger Zeit war. GRÜNEN]) Wir werden mit einem Berufsbildungspakt die be- rufliche Bildung stärken und modernisieren, damit wir Karl Holmeier (CDU/CSU): uns den Wettbewerbsvorteil und vor allem das duale Ich glaube, man darf nicht generell sagen: Die Hand- Ausbildungssystem erhalten. Die berufliche und die aka- werksbetriebe zahlen schlecht und sind schlechte Arbeit- demische Bildung müssen gleichwertig sein; denn ohne geber. – In keinster Weise. Das Handwerk ist ein hervor- qualifizierte Fachkräfte verliert Deutschland enormes ragender Arbeitgeber. Sicherlich spielt die Bezahlung in wirtschaftliches Potenzial. Die berufliche Ausbildung den Berufen eine ganz entscheidende Rolle. Wir wissen muss auch für Abiturienten eine Möglichkeit darstellen auch ganz klar, dass viele Ausgebildete den Handwerks- und Karrierechancen bieten. Wir werden die berufliche betrieb verlassen, aus ihrem Handwerksberuf aussteigen Qualifizierung zum Meister besser finanziell fördern und und in die Industrie wechseln, weil gerade in der Indus- dem kostenlosen Hochschulstudium angleichen. trie in den letzten Jahren viele, viele Arbeitsplätze ent- standen sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden die Wiedereinführung des verpflichtenden Meisterbriefs Aber zu den Bäckern. Die Arbeitszeit spielt dort si- für einzelne Handwerksbranchen umfassend prüfen. Bei cherlich auch eine Rolle – nicht nur die Bezahlung, den Berufen, bei denen dies geboten und rechtlich auch sondern auch die Arbeitszeit. Deshalb müssen wir uns möglich ist, werden wir den verpflichtenden Meisterbrief insgesamt fragen: Wie können wir in einzelnen Berufen wieder einführen. Wir müssen da sehr behutsam vorge- 8220 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Karl Holmeier (A) hen. Die Anträge der AfD und der FDP zur Wiederein- Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, das ist uns (C) führung des Meisterbriefs lehnen wir deshalb ab. also insgesamt ein wenig zu dünn. Deshalb handeln wir als Koalition; auch das ist deutlich geworden. Richtig, Vielen Dank. wir haben keinen Antrag formuliert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Manfred Todtenhausen [FDP]: Es liegt gar nichts vor!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun Martin Rabanus das Aber klar geworden ist doch, dass sich die Koalition mit Wort. dem Bereich Handwerk intensiv auseinandersetzt. Das ist hier auch mehr als deutlich vorgetragen worden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. [FDP]: Ihr Aufstieg ist unaufhaltsam!) Martin Rabanus (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unterstützen die Menschen auch dabei, Meister Am Ende einer solchen Debatte ist man ein bisschen in zu werden, und zwar – auch darauf will ich noch einmal der Versuchung, eine Zusammenfassung zu liefern, was hinweisen – nicht erst seit jetzt, seit gestern, sondern seit natürlich nur schwer möglich sein wird. der letzten Wahlperiode mit der Reform des Aufstiegs- fortbildungsförderungsgesetzes. Und das wirkt. Beginnen will ich mit dem AfD-Antrag. Da haben meine Kollegin Sabine Poschmann, aber auch alle an- deren Redner völlig zu Recht festgestellt: Er kommt Vizepräsidentin Petra Pau: spät um die Ecke und ist oberflächlich. Der Antrag ist Kollege Rabanus, ich habe die Uhr angehalten und schlecht gemacht. frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn (Tino Chrupalla [AfD]: Wo ist denn Ihrer?) Chrupalla zulassen. Er ist insbesondere von Unkenntnis geprägt. – Dem will Martin Rabanus (SPD): ich nicht viel hinzufügen, außer einen Ausspruch, der wohl auf Konrad Adenauer zurückgeht, der da lautet: Nein. Das wollen wir jetzt nicht in die Länge ziehen, „Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir ha- und das wird es auch nicht besser machen. ben nicht alle den gleichen Horizont.“ – Das beschreibt ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Antrag, finde ich, ganz gut. NEN]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Um (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gottes willen! – [SPD]: Der (D) hat schon genug dummes Zeug erzählt!) Der zweite vorliegende Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, hätte auch ein bisschen substanzieller Also: Die Reform des Aufstiegsfortbildungsförde- sein können; das hätten wir uns jedenfalls gewünscht. rungsgesetzes wirkt. Wir haben 2017 in diesem System 165 000 Menschen mit insgesamt 640 Millionen Euro (Reinhard Houben [FDP]: Bringen Sie doch gefördert. Das ist etwas, was auch einen Unterschied selbst einen ein! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: markiert: Wir haben hier auf der einen Seite Anträge, und Sie arbeiten ja gar nicht!) auf der anderen Seite wird gehandelt. Das ist die Politik Sie bringen sechs – auf Neudeutsch – Bullet Points zu- und die Linie der Koalition. sammen, in denen Sie ein bisschen Bestandsaufnahme, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Astrid ein wenig Gutachten haben wollen, und das mit einem Grotelüschen [CDU/CSU]) Schuss Kopenhagen-Prozess verrühren. Wir werden das fortführen. Wir werden in dieser Wahl- (Manfred Todtenhausen [FDP]: Wo ist denn periode eine weitere Reform des Meister-BAföGs auf Ihr Vorschlag?) den Tisch legen. Die SPD-Fraktion hat erste Eckpunkte Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist wirklich er- dazu beschlossen. Wir sind uns klar, dass wir die Förder- nüchternd. zahlen weiter erhöhen müssen, dass wir den Weg zum Meister für diejenigen attraktiver und möglich machen Mir hat übrigens auch der freundliche Hinweis von müssen, die Familie und Fortbildung vereinbaren wollen, Ihnen gefehlt, dass Sie 2004 – jedenfalls nach meiner und dass wir das System insgesamt flexibler machen und Kenntnis – der Handwerksnovelle zugestimmt haben. aufeinander bezogene Fortbildungen förderfähig machen (Reinhard Houben [FDP]: Ja, warum damals müssen. Das nur zu diesem Bereich als ein Schlaglicht. auch nicht? – Manfred Todtenhausen [FDP]: Vieles andere könnte man noch nennen. Wichtig für Das war aus damaliger Sicht auch richtig!) uns als SPD – aber das ist in der Koalition auch unstrei- Es hat auch der freundliche Hinweis gefehlt, dass Sie tig – ist, dass wir die Gleichwertigkeit der beruflichen 2009 bis 2013 mitregiert haben und etwas hätten bewe- und der akademischen Bildung erreichen wollen. Das gilt gen können. Der freundliche Hinweis, dass Sie letztes für das Handwerk – das ist der Schwerpunkt der heutigen Jahr etwa um diese Zeit entschieden haben, nicht Verant- Debatte –, und das gilt genauso für die anstehende Re- wortung für Deutschland zu übernehmen, hat auch ge- form des BBiG für eine Mindestausbildungsvergütung in fehlt. Auch das hätte man sagen können – aber gut. anderen Berufen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8221

Martin Rabanus (A) Damit bin ich dann auch am Ende meiner Ausfüh- d) Beratung des Antrags der Abgeordne- (C) rungen angekommen. Meine sehr verehrten Damen und ten Maria Klein-Schmeink, Dr. Kirsten Herren, ja, wir haben uns viel vorgenommen, aber hier Kappert-­Gonther, Kordula Schulz-Asche, zeigt sich der Unterschied: auf der einen Seite Anträge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion die uns nicht weiterbringen, auf der anderen Seite eine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Koalition, die handelt. Und das ist auch gut so. Bedarfsgerechte Versorgung für alle Pati- Herzlichen Dank. entinnen und Patienten sicherstellen und therapeutische Berufe durch attraktive (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Arbeits- und Ausbildungsbedingungen ten der CDU/CSU – Manfred Todtenhausen aufwerten [FDP]: Ihr hättet die Chance gehabt! Jetzt habt ihr sie verpasst!) Drucksache 19/6130 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Vizepräsidentin Petra Pau: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ich schließe die Aussprache. abschätzung Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten den Drucksachen 19/4633 und 19/6415 an die in der Katrin Helling-Plahr, Michael Theurer, Christine Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Aschenberg-Dugnus, weiteren Abgeordneten gen. Die Vorlage auf Drucksache 19/6415 – Tagesord- und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- nungspunkt 4 b – soll federführend beim Ausschuss für wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünf- Wirtschaft und Energie beraten werden. Sind Sie damit ten Buches Sozialgesetzbuch – Krebspatienten einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über- die Chance auf eigene Kinder ermöglichen, weisungen so beschlossen. fertilitätsbewahrende Behandlung zur Regel- leistung machen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d sowie die Zusatzpunkte 2 bis 5 auf: Drucksache 19/2689 Überweisungsvorschlag: 18. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Gesundheit (f) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schnelle Termine und bessere Versorgung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (B) (Terminservice- und Versorgungsgesetz – ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel (D) TSVG) Gehrke, Stephan Brandner, Jürgen Braun, weite- Drucksachen 19/6337, 19/6436 rer Abgeordneter und der Fraktion der AfD

Überweisungsvorschlag: Bevorzugung von Importarzneimitteln been- Ausschuss für Gesundheit (f) den, Importquote abschaffen, Arzneimittelsi- Haushaltsausschuss cherheit verbessern b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/6419 Dr. Achim Kessler, Susanne Ferschl, Doris Überweisungsvorschlag: Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Gesundheit Fraktion DIE LINKE ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel Flächendeckende Versorgung mit Physio- Gehrke, Paul Viktor Podolay, Dr. Robby Schlund, therapie und anderen Heilmitteln sichern weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Drucksache 19/4887 Einheitliches Prüfverfahren zur fachlichen Eignung ausländischer Ärzte aus Drittstaaten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Drucksache 19/6423 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Überweisungsvorschlag: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Gesundheit Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein- ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Aschenberg-Dugnus, Michael Theurer, Grigorios Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frakti- NIS 90/DIE GRÜNEN on der FDP Im Notfall gut versorgt – Patientenge- Regionalisierung der Bedarfsplanung, Nieder- rechte Reform der Notfallversorgung lassungsfreiheit als Regelfall Drucksache 19/5909 Drucksache 19/6417 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Gesundheit 8222 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Dazu gehört im Übrigen auch die Terminservicestelle. (C) die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Diese ist unter der Nummer 116 117 schon heute zu errei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. chen. Aber das, was wir da jetzt im Ausbau miteinander schaffen wollen – 24 Stunden, sieben Tage die Woche, Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den einheitlich in Deutschland erreichbar, Vermittlung auch Fraktionen zügig vorzunehmen. zu Haus- und Kinderärzten, auch ein Onlineangebot und als App verfügbar –, ist ein richtiger Quantensprung im Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- Angebot einer Dienstleistung für Patientinnen und Pati- minister für Gesundheit, . enten. Wenn wir in einem nächsten Schritt auch noch die (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Notfall- und Notdienstversorgung, die wir stärker zusam- Sabine Dittmar [SPD]) menführen wollen, integrieren, dann ist das ein echter Strukturwandel im Sinne der Patientinnen und Patienten und ein besseres Serviceangebot, das insbesondere im Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Notfall wie bei der Suche nach Terminen unterstützen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! soll. Bei dem Gesetz für schnellere Termine und eine besse- (Beifall bei der CDU/CSU) re Versorgung geht es um konkrete und auch im Alltag spürbare Verbesserungen für Patientinnen und Patienten. Es geht in diesem Paket auch um die elektronische Wir wollen das zusammen mit denen erreichen, die in der Patientenakte ab 2021, die in diesem Gesetzentwurf als ambulanten ärztlichen Versorgung jeden Tag tätig sind, Verpflichtung der Kassen gegenüber ihren Versicherten den Ärztinnen und Ärzten; denn – und das weiß, denke vorgesehen ist. Es wird in Deutschland nirgendwo mehr ich, jeder, der in der Gesundheitspolitik tätig ist – eine so viel gefaxt wie im Gesundheitswesen. gute Versorgung und zufriedene Patienten schaffen wir (Stephan Brandner [AfD]: Doch! Im Bundes- nur mit zufriedenen Ärzten, zufriedenen Apothekern und tag!) Pflegekräften sowie zufriedenen anderen Menschen, die im Gesundheitswesen jeden Tag tätig sind. Deswegen – Im Bundestag faxen wir auch manchmal noch zu viel; geht es natürlich um gute Rahmenbedingungen für die das ist wohl wahr. tägliche Arbeit und auch um eine angemessene Vergü- tung. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das müssen wir sogar!) Wenn es jetzt darum geht, Termine schneller und bes- Es ist mir ein besonderes Anliegen, die elektronische ser möglich zu machen, sehen wir im Gesetzentwurf – Patientenakte mit Behandlungsdaten, Röntgendaten und (B) das zu sagen, sei mir gestattet; das geht nämlich, wenn (D) Arzneidaten für jeden, der behandelt, mit Zustimmung ich manche Pressemitteilungen sehe, auch heute wieder, des Patienten verfügbar zu machen, um die Kommunika- etwas unter – auch umfangreiche Verbesserungen bei der tion zu verbessern, eine effizientere Versorgung möglich Vergütung vor: Für die Annahme neuer Patienten und für zu machen und um vor allem eben auch Patientendaten eine schnellere Terminvergabe wird es in Zukunft zusätz- gut und zügig verfügbar zu haben. lich Geld geben. Es soll sich natürlich auch lohnen. Es soll niemand bestraft werden, wenn es darum geht, neue Wir haben, auch mit den Koalitionsfraktionen im par- Patienten anzunehmen. Es gibt zusätzlich eine Vergütung lamentarischen Verfahren, schon in den Blick genom- für die Hilfe bei der Vermittlung eines Facharzttermins men, auch Physiotherapeuten, Logopäden, Ergothera- für den Hausarzt. Es geht auch darum, mit zusätzlichen peuten, Podologen und Diätassistenten, den sogenannten Vergütungsanreizen und Zuschlägen Ärzten einen guten Heilmittelerbringern, bessere Arbeitsbedingungen, eine Grund dafür zu bieten, Regionen mit Unterversorgung in bessere Vergütung und auch eine bessere Unterstützung den Blick zu nehmen, wenn es um die eigene Niederlas- möglich zu machen, etwa wenn es darum geht, diese we- sung geht. niger mit Bürokratie zu belasten. Was wir mit diesem Paket wollen – es sind viele wei- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das tere Maßnahmen darin enthalten –: die vertragsärztliche ist überfällig!) Versorgung verbessern und insbesondere die Ärztinnen Heilmittelerbringer werden im Zusammenspiel mit den und Ärzte unterstützen, die heute schon weit über das ärztlichen und anderen Behandlern gebraucht: nach Ope- Maß, auch über das Mindestmaß, das gesetzlich vorge- rationen, bei Verletzungen oder bei Sprachschwierigkei- geben ist, hinaus Patienten versorgen. ten. Es ist mir echt ein besonderes Anliegen – weil wir (Beifall bei der CDU/CSU) ja alle auch vor Ort in den Wahlkreisen gespürt haben: da besteht Handlungsbedarf –, dass wir dort was tun. Ich Wir haben viele Ärzte, die abends um 7 Uhr, um 8 Uhr finde, es ist ein starkes Zeichen, dass wir auch das mit noch Patientinnen und Patienten im Wartezimmer, in der diesem Gesetzentwurf zügig angehen wollen. Versorgung haben – Haus- wie Fachärzte –, und diese (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ärzte sollen natürlich auch eine angemessene Vergütung ordneten der SPD) bekommen. Sie sollen übrigens auch sicher sein können, dass auch die Ärzte in der Nachbarschaft mit ähnlich gu- Ich will noch kurz einige weitere Inhalte des Gesetz- tem Einsatz unterwegs sind. Auch dafür haben wir ent- entwurfs anreißen. Es ist ein sehr umfangreicher Entwurf, sprechende Regelungen vorgesehen. unser umfangreichster bisher, sodass man all die auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8223

Bundesminister Jens Spahn (A) wichtigen und guten Verbesserungen zum Teil nur kurso- Dr. Robby Schlund (AfD): (C) risch erwähnen kann, so zum Beispiel die Erhöhung der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie- Festzuschüsse für Zahnersatz. Hier geht es immerhin um be Gäste auf den Rängen! Die Weihnachtszeit ist eine 700 Millionen Euro im Jahr an Entlastung für die Versi- Zeit der Besinnung, eine Zeit der Geschenke. Aber bei cherten. Es geht um Betreuungsdienste in der Pflege. Das mancher Art von Beschenkungen fürchtet man sie. Wis- ist ein Thema in Regionen, in denen Familien zum Teil sen Sie auch, welche? Das ist die Mogelpackung. Sie ist sehr verzweifelt gerade nach Pflegediensten und Unter- in ihrer luxuriösen und schillernden Hülle die heilige stützung für Pflege in der Familie suchen. Diese Dienste Verkündung einer freudigen Überraschung, die jedoch wollen wir zusätzlich zulassen, etwa die Haushaltshilfe, beim Auspacken eine Enttäuschung wird. So eine Ent- zum Beispiel für zwei, drei Nachmittage in der Woche. täuschung ist der Entwurf des Terminservice- und Ver- Es geht auch um den Kampf gegen HIV und Aids mit sorgungsgesetzes. Unsere Menschen und ganz besonders PrEP, der Präexpositionsprophylaxe. Es geht auch – das unsere Patienten sollen über die substanziellen Probleme ist mir ein persönliches Anliegen – um die sogenannte des Gesundheitswesens nämlich getäuscht werden. Kryokonservierung. Es geht darum, dass insbesondere (Beifall bei der AfD) Frauen, die etwa durch eine Krebsbehandlung die Fä- higkeit verloren haben, Kinder zu bekommen, Eizel- Das TSVG ist auch eine Diskreditierung aller in len einfrieren können, um sich später tatsächlich ihren Deutschland praktizierenden Ärzte. Mit einer Anhebung Kinderwunsch zu erfüllen. Ich weiß aus persönlichen der Mindestsprechstundenzahl von 20 auf 25 Stunden Gesprächen – es sind auch Betroffene heute da –, wie wollen Sie, Herr Spahn, weismachen, die Ärzte wären emotional wichtig das in dieser Situation ist. Das ist viel- faul. leicht nur eine kleine Regelung in diesem Gesetz, aber eine wichtige für jede einzelne Betroffene und jeden ein- (Zuruf des Abg. [DIE zelnen Betroffenen. Deswegen ist es mir ein besonderes LINKE]) Anliegen, dass wir das hier mit regeln. Doch arbeiten niedergelassene Ärzte bereits statistisch (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der circa 50 Stunden pro Woche. Offene Sprechstunden mit FDP) besserer Honorierung, die Sie fordern – das ist ein klassi- scher Fehlanreiz. Die Folgen sind: katastrophale Zustän- Frau Präsidentin, gestatten Sie mir, ein letztes The- de in den Arztpraxen und stundenlange Wartezeiten. Das ma kurz anzusprechen: die Psychotherapie. Das will ich ist ein Schlag ins Gesicht der chronisch kranken Men- ganz ruhig und sachlich, aber auch persönlich machen, schen in Deutschland. weil ich in diesen Tagen manches an Vorwürfen und (B) (D) Unterstellungen lese. Ich kann Ihnen sagen – auch aus (Beifall bei der AfD) persönlichem Erleben in der eigenen Familie, im engsten Der Thüringer Hartmannbund hat Ihnen ja bereits Umfeld –, dass ich weiß, was eine psychische Erkran- geschrieben, Herr Spahn, dass durch diese staatsdirigis- kung für den Betroffenen und die Familie bedeutet. Ich tische Einengung die Leistungsbereitschaft im Gesund- weiß auch, was es bedeutet, nicht schnell eine entspre- heitssystem sinken wird. 2017 haben Vertragsärzte und chende Versorgung zu finden, einen entsprechenden Ter- Psychotherapeuten rund 562 Millionen Fälle behandelt. min zu bekommen. Deswegen lassen Sie uns bitte bei der Durch Terminservicestellen wurden nur 190 000 Termi- Debatte zu diesem Thema uns gegenseitig unterstellen – nanfragen bearbeitet; das entspricht einem Anteil von das wäre schon mal was –, dass wir alle gemeinsam das lediglich 0,03 Prozent. Statt Fremdzuweisung durch Ter- Richtige wollen, nämlich eine bessere Versorgung. minservicestellen zu schaffen, schaffen Sie doch bitte Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass die hier einfach ganz pragmatisch die Budgetierung für Ärzte ab. vorgeschlagene Regelung verbesserungsfähig ist: Prima! (Beifall bei der AfD) Ich bin der Erste, der für eine Verbesserung zu haben ist. Aber ich würde mir sehr wünschen – übrigens auch mit Mit Ihrer Politik sind Sie mitverantwortlich, dass der Blick auf das, was in sozialen Medien zum Teil so in Arztberuf für deutsche Ärzte in Deutschland nicht mehr der Wortwahl abgeht –, auch sehr persönlich wünschen, attraktiv ist. Das Defizit decken Sie dann mit ausländi- dass wir das in einer Art und Weise machen, die diesem schen Ärzten ab. Derzeit arbeiten rund 51 000 ausländi- Ziel Rechnung trägt, nämlich Patienten mit psychischen sche Ärzte in Deutschland; das sind circa 11,8 Prozent. Erkrankungen besser zu versorgen, und uns nicht die Sprachbarrieren und ungleiche ärztliche Fähigkeiten, ja schlimmsten Dinge unterstellen. Wenn wir mit diesem sogar gefälschte Zertifikate führen zu gravierenden Be- Geist in die Debatte gehen, dann wird das ein gutes Ge- handlungsfehlern. Deshalb fordern wir, die Alternative setz werden. für Deutschland, dass Ärzte aus Drittstaaten eine Appro- bation grundsätzlich erst nach dem entsprechenden drit- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ten Staatsexamen in Deutschland erhalten können.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der AfD) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Robby Schlund für Das ist übrigens gängige Praxis im Einwanderungsland die AfD-Fraktion. USA. (Beifall bei der AfD) ( [SPD]: Das war ja klar!) 8224 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Robby Schlund (A) Weiterhin finden wir Regelungen zu den medizinischen unterversorgten Gebieten leben, sehr, sehr lange warten, (C) Versorgungszentren und zu den Praxiskliniken völlig in- zum Teil Monate, sie aber einen großen Teil des Solidar- akzeptabel. Damit aber nicht genug: Sie wollen mit ge- systems bezahlen. Sie zahlen mit für die Einkommens- stufter und gesteuerter Versorgung die Fähigkeiten unse- schwachen, die die Beiträge, die kostendeckend wären, rer Psychotherapeuten infrage stellen. Gerade Patienten nicht selbst erbringen können. Somit ist es ungerecht, mit hochkomplexen psychologischen Krankheitsbildern dass ausgerechnet hier die Wartezeiten so lang sind. werden sich kaum einer dritten Person offenbaren. Das ist der Grund, weshalb sich die SPD seit Jahren Dennoch finden wir auch positive Ansätze im TSVG, konsequent für die Bürgerversicherung einsetzt. Das die ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sind, wäre das richtige System; zum Beispiel die Honorarsteigerungen bei Physio-, Er- (Beifall bei der SPD – Lachen der Abg. Karin gotherapeuten, Logopäden und Diätassistenten sowie die Maag [CDU/CSU]) Abschaffung des Schulgeldes für Heilmittelerbringer. Die Idee, mit einem Gesetz den Service im Gesundheits- denn wir brauchen keine zwei Gesundheitssysteme in wesen zu verbessern, ist gut; aber dieser Entwurf hat mit einem Land. Es muss jeder so behandelt werden, wie der Realität und der Lebenswirklichkeit von Patienten, es medizinisch notwendig ist, nicht, wie er versichert Ärzten, Psychologen und Therapeuten nicht viel gemein. ist oder wo er wohnt. Von diesen Zufällen darf es nicht Der Überweisung stimmen wir zu. abhängen, insbesondere nicht für ältere Menschen und Kinder. Vielen Dank. (Markus Herbrand [FDP]: Sie regieren (Beifall bei der AfD) 20 Jahre!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Der Schritt, der jetzt durch die Terminservicestellen und die Aufwertung der Bezahlung für die Behandlung Das Wort hat Dr. Karl Lauterbach für die SPD-Frak- neuer Patienten, die gesetzlich versichert sind, gemacht tion. wird, ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Bürger- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin versicherung, Maag [CDU/CSU]) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aha! Interessant!) Dr. Karl Lauterbach (SPD): weil wir nämlich die Behandlung von gesetzlich Ver- Frau Präsidentin! Nur ganz kurz zu Herrn Schlund: sicherten beim Facharzt deutlich besser vergüten. Das Sie sagen, dass die Tätigkeit als Arzt für deutsche Ärzte (B) muss man einräumen: Es ist ein großes Unrecht, auch für (D) nicht mehr attraktiv sei. Es bewerben sich bis zu zehn Ärzte, dass derzeit für die Behandlung eines gesetzlich Deutsche auf einen Studienplatz und bekommen ihn Versicherten viel weniger bezahlt wird als für die eines nicht. Das heißt, wenn wir mehr Ärzte sehen wollen, Privatversicherten. müssen wir die Zahl der Studienplätze erhöhen; das wäre die Maßnahme, die wir hier benötigen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Es wird bezahlt! Das ist das Entscheidende!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Diesem Problem begegnen wir hier ein Stück, indem wir die gesetzlich Versicherten besserstellen: Die gesetz- Zum Zweiten: Ich finde es nicht angemessen – es gibt lich Versicherten, die über diese Terminservicestellen gute Ärzte aus jedem Land; ich habe zehn Jahre in den aufgenommen werden, werden über das Budget hinaus Vereinigten Staaten gelebt; es gibt gute Ärzte überall –, finanziert. Das heißt, es gibt einen besonderen Anreiz, Ärzte aufgrund ihrer Nationalität gegeneinander auszu- diese neuen Patienten aufzunehmen. Das wird in der Pra- spielen. Das müssten Sie als Arzt zuerst einräumen. xis die Beschleunigung (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Und LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) die chronisch Kranken?) Wir haben heute ein wichtiges, ein großes Gesetz der Terminvergabe beim Facharzt für gesetzlich Versi- einzubringen, und in der Tat stimme ich Minister Spahn cherte deutlich verbessern. Das ist ein wichtiger Schritt zu: Das Gesetz umfasst so viele Bereiche, dass man es nach vorne. in der kurzen Zeit nicht komplett vorstellen kann. Daher konzentriere ich mich auf die Punkte, die mir besonders (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael wichtig sind. Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Wir haben in Deutschland zwar eine sehr hohe Arzt- Wir sind uns auch einig, dass bei den psychisch Kran- zahl, die höchste Facharztdichte in Europa, trotzdem ken etwas passieren muss. Die Psychosen gehören tat- gibt es aber zum Teil sehr lange Wartezeiten, um einen sächlich zu den schwersten Erkrankungen überhaupt. Facharzttermin zu bekommen. Hier gibt es große Un- Was wenig bekannt, aber richtig ist: Wenn ich mir die terschiede zwischen Stadt und Land; aber es gibt auch chronischen Erkrankungen anschaue, stelle ich fest, dass große Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Ver- im Bereich der psychischen Erkrankungen die Sterb- sicherten. Das ist ungerecht, und zwar deshalb, weil gera- lichkeit mit die höchste ist. Es sterben also sehr viel de die gesetzlich Versicherten, die auf dem Land oder in mehr Menschen an psychischen Erkrankungen als an Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8225

Dr. Karl Lauterbach (A) organischen Erkrankungen wie zum Beispiel Rheuma, Ich beginne, weil mir das sehr wichtig ist, mit der (C) die allerdings viel bekannter sind; viel mehr Menschen Regelung zur psychotherapeutischen Behandlung. Herr sterben an Depressionen als an Rheuma. Wir haben in Spahn, ich unterstelle Ihnen hier überhaupt nichts Böses diesem Bereich aber eine massive Unterversorgung. Es oder irgendeine Absicht. Aber Sie müssen sich schon ge- wird monatelang gewartet. Hier unternehmen wir einen fallen lassen, dass wir das kritisieren; denn der Ansatz ei- sehr wichtigen Schritt: Für denjenigen, der eine aku- ner gestuften und gesteuerten Versorgung von psychisch te Versorgung benötigt, werden die neugeschaffenen Kranken verfehlt doch das Ziel einer besseren Versor- Terminservicestellen, die online 24 Stunden pro Tag an gung – aber komplett! sieben Tagen pro Woche erreichbar sind, innerhalb von zwei Wochen eine Akutversorgung organisieren. Das ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten eine deutliche Verbesserung der akuten Versorgung von der AfD) Menschen mit psychischen Erkrankungen, die dringend Wenn in einer Voruntersuchung erst mal entschieden nottut. werden soll, welche Therapie der Betroffene erhält, dann ist das eine zusätzliche, überhaupt nicht notwendige Hür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der de für den Erkrankten. Was muten wir den Patienten ei- CDU/CSU) gentlich zu? Psychisch Erkrankten fällt es doch ohnehin Ich komme zum Abschluss auf etwas zu sprechen, schwer, über ihre Probleme zu reden und sich überhaupt was eben schon angesprochen worden ist. Wir müssen Hilfe zu suchen. Und dann müssen sie sich noch zusätz- auch etwas tun, um die Versorgung in der Psychotherapie lich vorweg, bevor sie behandelt werden, einem Behand- besser zu organisieren. Es ist tatsächlich so, dass wir auf- ler öffnen, den sie überhaupt nicht kennen, den sie auch grund der bestehenden Anreize zum Teil eine Unterver- nie wiedersehen und den sie sich auch nicht selbst aus- sorgung haben. Es gibt tatsächlich Bereiche, in denen der gesucht haben. Versorgungsbedarf als gedeckt gilt, es aber viel zu wenig (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was Psychotherapeuten, es gibt da zu wenige Zulassungen. Es schlagen Sie denn vor?) ist darüber hinaus so, dass sich die Vergütung zum Teil zu wenig nach der Schwere der Erkrankung richtet. Hier – Hören Sie mir einfach zu. – Das ist ein Nadelöhr vor müssen wir eine große Reform vorbereiten. Das, was der eigentlichen Behandlung, und das, meine Damen und im Gesetzentwurf dazu stand – Sie haben vorhin selbst Herren, widerspricht dem Grundsatz, dass der Patient von der Wortwahl gesprochen, Herr Spahn –, war von sich den Arzt seines Vertrauens selbst aussuchen kann, der Wortwahl her nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen. gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Psycho- Wir brauchen daher mehr Zeit. Wir müssen das mit den therapie. (B) Betroffenen und mit den Verbänden diskutieren. Dann (Beifall bei der FDP) (D) werden wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Die Probleme sind wirklich, und sie sind zu wichtig für einen Meine Damen und Herren, die seit der Strukturreform, Schnellschuss. Ich bin sicher, dass wir noch zu einer sehr seit April 2017 geltende Psychotherapie-Richtlinie sieht guten Lösung kommen. doch bereits eine gestufte Versorgung vor – das steht doch schon drin –, und zwar mit den Elementen Sprech- Insgesamt zeigt dieser Gesetzentwurf: In der Großen stunde und Akutversorgung. Lassen Sie das doch erst Koalition wird konkret gearbeitet, und wir verbessern die einmal wirken. Es zeigt sich doch schon jetzt, dass das Versorgung der Patienten mit chronischen Erkrankungen, positive Ergebnisse bringt. Das, was Sie da vorhaben, mit psychischen Erkrankungen und auch mit schweren benötigen wir also gar nicht. Ich fordere Sie daher nach- organischen Erkrankungen. drücklich auf, den Zusatz „gestufte Steuerung“ ersatzlos zu streichen – im Sinne der Patientinnen und Patienten. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir werden dazu einen ent- Vizepräsidentin Petra Pau: sprechenden Antrag einbringen. Für die FDP-Fraktion spricht nun Christine Außerdem könnten mit unserem vorliegenden Antrag ­Aschenberg-Dugnus. zur Regionalisierung der Bedarfsplanung die Möglich- (Beifall bei der FDP) keiten zur Niederlassung von Psychotherapeuten sofort verbessert werden. Das wäre auch mit Blick auf andere Arztgruppen, zum Beispiel Kinderärzte, von denen wir ja Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): auch zu wenige haben, ein nachhaltiger Beitrag zur Lö- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen sung der Versorgungsprobleme. und Kollegen! Lieber Herr Minister Spahn! Wenn wir (Beifall des Abg. Dr. Andrew Ullmann uns den Titel des heute vorliegenden Gesetzentwurfs an- [FDP]) schauen, stellen wir fest, dass es um eine bessere gesund- heitliche Versorgung der Bevölkerung geht. Ich glaube, Ein nächster Punkt, bei dem ich eine Verbesserung der dieser Wunsch eint uns alle in diesem Haus. Die Frage Versorgung entschieden infrage stelle: Mit der Erhöhung ist aber, ob wir mit diesem Gesetz wirklich eine bessere der Mindestsprechstundenzeit von 20 auf 25 Stunden pro gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung erreichen. Woche erreichen Sie doch nur eines: Sie frustrieren die 8226 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Christine Aschenberg-Dugnus (A) niedergelassenen Ärzte, die diese Vorgabe bereits mehr- Sie wollen Ärztinnen und Ärzten einen Aufschlag (C) heitlich erfüllen. Lieber Herr Lauterbach, bei dem, was zahlen, wenn sie neue Patientinnen und Patienten behan- Sie heute Morgen im „Morgenmagazin“ gesagt haben, deln, wenn sie Patientinnen und Patienten behandeln, die ist mir fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen. Sie von Terminservicestellen vermittelt werden, oder für die haben die von der Kassenärztlichen Vereinigung erhobe- Behandlung von besonders dringenden Fällen. Ich frage nen Zahlen öffentlich infrage gestellt. Das ist eine Sache, Sie: Ist es nicht so, dass Ärztinnen und Ärzte schon heu- die ich wirklich sehr kritisiere. Legen Sie da bitte einmal te gut bezahlt sind? Ist es denn wirklich gerechtfertigt, konkrete Zahlen vor! Ärztinnen und Ärzten Aufschläge zu zahlen, nur weil sie ihre Arbeit machen? Ich finde, wir dürfen nicht verges- (Beifall bei der FDP) sen: Das ist das Geld der Versicherten, und das ist hart Fest steht auch, dass mit dem TSVG die Niedergelas- erarbeitet. senen mit sehr viel mehr Bürokratie überschüttet werden. (Beifall bei der LINKEN) Schon heute müssen die Ärzte und Psychotherapeuten 60 Tage allein für den Verwaltungsaufwand arbeiten. All Ihre Maßnahmen sind nur Flickschusterei, weil Das kann doch nicht sein. Diese Zeit brauchen wir für Sie sich wieder nicht an das zentrale Problem ranwa- die Patientenversorgung, meine Damen und Herren. Und gen, an die Ungleichheit in unserem Gesundheitssystem. deswegen kritisieren wir das auch. Solange Ärztinnen und Ärzte für die Behandlung von Privatpatientinnen und ‑patienten viel höhere Honorare (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Karin erhalten, werden gesetzlich Versicherte immer den Kür- Maag [CDU/CSU]) zeren ziehen. Mit unserem Antrag auf Entbudgetierung und Entbü- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Es geht rokratisierung haben wir konkrete Vorschläge vorgelegt, nicht um höhere Honorare, sondern darum, wie die Versorgung der Patientinnen und Patienten auf dass sie es überhaupt bezahlt bekommen!) jeden Fall verbessert werden kann. Und mit unserem An- Deshalb wird dieses Gesetz kaum etwas bewirken. Nur trag zur Regionalisierung – ich habe ihn schon erwähnt – wenn alle Patientinnen und Patienten gleich versichert kann die Niederlassungsfreiheit besser gestärkt werden sind, werden sie auch den gleichen Zugang zum Gesund- als durch Ihre Regelungen im TSVG. heitssystem bekommen. Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die An- (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. hörung im Januar. Herr Spahn, Sie haben ja immer ge- Birkwald [DIE LINKE]: Das ist so!) sagt, dass Sie für konstruktive Vorschläge offen sind. Ich (B) hoffe, Sie stehen dazu. Wir haben mit unseren Anträgen Schauen wir uns die Versorgung auf dem Land an: Es (D) konstruktive Vorschläge vorgelegt. ist doch so, dass Ärztinnen und Ärzte sich bevorzugt in reichen Regionen mit vielen lukrativen Privatpatientin- Ich bedanke mich bei Ihnen. nen und Privatpatienten niederlassen. Ärmere Regionen (Beifall bei der FDP) dagegen haben einen massiven Ärztemangel. Die einzig konsequente Antwort darauf ist, die private Krankenver- sicherung abzuschaffen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Achim Kessler für die Fraktion Die Linke. Alle Menschen müssen in einer solidarischen Gesund- heits- und Pflegeversicherung abgesichert sein. Gewerk- (Beifall bei der LINKEN) schaften, Sozialverbände und Die Linke sprechen in die- ser Frage schon lange mit einer Stimme. Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister! Auf dem Tisch liegt heute ein umfangrei- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich cher Gesetzentwurf zu zahllosen, so möchte man sagen, verstehe Sie wirklich nicht mehr. Sie haben 2017 laut- Themen. Sie wollen damit wichtige Ziele erreichen: Ge- stark gegen die Zweiklassenmedizin gewettert. Sie haben setzlich Versicherte sollen schneller Termine bekommen, eine Bürgerversicherung verlangt; Herr Lauterbach hat die Versorgung im ländlichen Raum soll verbessert wer- es eben wiederholt. Sie wissen, wie es besser geht, aber den. Sie machen es nicht. Das verzeihen Ihnen die Menschen nicht. Um das zu erreichen, wollen Sie zum Beispiel die Sprechzeiten von Ärztinnen und Ärzten für gesetzlich (Beifall bei der LINKEN – Versicherte von 20 auf 25 Stunden erhöhen. Das hört [SPD]: Ist wie bei Ihnen!) sich gut an. Aber wie wollen Sie das sicherstellen? Wie Setzen Sie sich endlich für die Interessen der Patientin- wollen Sie überprüfen, dass diese Zeit nicht doch genutzt nen und Patienten ein, anstatt die Interessen der Versiche- wird, um privat Versicherte zu behandeln oder andere rungswirtschaft zu bedienen. Dinge zu erledigen? Herr Minister, das ist blinder Aktio- nismus, was Sie da machen. Doch nun zum nächsten Versorgungsnotstand, der sich ankündigt. Wegen der miserablen Vergütung kön- (Beifall bei der LINKEN) nen viele Therapeutinnen und Therapeuten in Gesund- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8227

Dr. Achim Kessler (A) heitsberufen ihre Praxen nicht halten. So verdienen zum nem Änderungsantrag versuchen, den Direktzugang zu (C) Beispiel Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten erhalten. Ich bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung. im Mittel 2 100 Euro, und zwar brutto. Das reicht nicht zum Leben, und das führt direkt in die Altersarmut. Für Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ihre Ausbildung zahlen sie ein Schulgeld von bis zu (Beifall bei der LINKEN) 20 000 Euro. Wen wundert es, dass die Zahl der Schü- lerinnen und Schüler in den entsprechenden Schulen seit

vielen Jahren kontinuierlich sinkt? Da zeichnet sich ein Vizepräsidentin Petra Pau: neuer Notstand an. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Kirsten Kappert-Gonther das Wort. Herr Minister Spahn, noch im Juni hatten Sie keine Zeit, die „Therapeuten am Limit“ zu empfangen, die Ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen 1 000 Protestbriefe übergeben wollten. Nach massi- vem Druck haben Sie jetzt immerhin Änderungsanträge Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE zu Ihrem Gesetzentwurf angekündigt. Es freut mich, dass GRÜNEN): Sie damit auf unseren Antrag vom 10. Oktober reagieren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, meine Damen und Herren: Links wirkt! Was sind die großen Baustellen des Gesundheitssystems? (Beifall bei der LINKEN) Worauf müssen wir endlich gute gesundheitspolitische Antworten finden? Ihre angekündigten Verbesserungen reichen aber bei weitem nicht aus; denn die Vergütungen der Therapeu- Die Zahl der älteren Menschen und der chronisch tinnen und Therapeuten müssen schnell auf das Niveau Kranken nimmt zu. Auf dem Land finden sie kaum noch der Einkommen ihrer Kolleginnen und Kollegen in den einen Arzt, eine Ärztin. Das ist besonders für die Älteren Krankenhäusern steigen. Diese verdienen nämlich sage und die chronisch Kranken ein riesiges Problem. und schreibe bis zu 1 000 Euro mehr. Wir fordern deshalb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die sofortige Erhöhung der Vergütung für Therapeutin- nen und Therapeuten um 30 Prozent. Es fehlen Tausende von Pflegekräften. Die Kluft zwi- schen ambulant und stationär ist nach wie vor viel zu (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) groß. Die Notaufnahmen platzen aus allen Nähten. Und Die Vergütungen müssen bundeseinheitlich sein, und nun, Herr Minister Spahn, legen Sie diesen Gesetzent- zwar auf dem Niveau der jeweils höchsten Sätze. Sie wurf vor, der auf alle diese Fragen keine strukturellen dürfen aber – das geht auch in Richtung der Grünen – Antworten findet. (B) (D) nicht bei der Vergütung der Selbstständigen haltmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besonders wichtig ist uns – deswegen haben wir dazu einen Antrag eingebracht –: Auch die in den Praxen an- Stattdessen haben Sie es geschafft, mit Ihrem Gesetzent- gestellten Therapeutinnen und Therapeuten müssen so wurf schon vor der Einbringung in den Bundestag rund viel bekommen wie ihre tariflich bezahlten Kolleginnen 200 000 Menschen – mindestens – gegen sich aufzubrin- und Kollegen in den Krankenhäusern. gen. Die Petition gegen Ihre Vorschläge, psychisch Kran- ken neue Hürden zuzumuten, ist damit eine der erfolg- (Beifall bei der LINKEN) reichsten Petitionen aller Zeiten, Herr Minister, Ihre vollmundige Ankündigung, das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schulgeld abzuschaffen, haben Sie nicht eingelöst. Ich sowie der Abg. Kersten Steinke [DIE LINKE]) fordere Sie auf: Setzen Sie diese Ankündigung endlich um! und das zu Recht; denn Menschen in einer seelischen Krise brauchen Hilfe und Unterstützung und keine zu- (Beifall bei der LINKEN) sätzlichen Hürden. Auch der Zugang zu Heilmitteln, zum Beispiel zu Phy- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN siotherapie, darf nicht vom Geldbeutel und auch nicht sowie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus vom Wohnort abhängen. [FDP] und Kersten Steinke [DIE LINKE]) (Beifall bei der LINKEN) Aus meiner langjährigen Arbeit als Psychiaterin und Die Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung muss be- Psychotherapeutin weiß ich: Es darf nicht sein, dass ge- seitigt werden. Auf gar keinen Fall dürfen neue Hürden rade den Menschen, denen es besonders schwerfällt und aufgebaut werden. die lange zögern, sich die dringend benötigte Hilfe zu ho- len, zusätzlich Steine in den Weg gelegt werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie wollen einen gestuften und gesteuerten Zugang sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- zur Psychotherapie. Wir und viele Expertinnen und Ex- KEN) perten, aber vor allen Dingen auch viele Betroffene – das dürfen Sie nicht vergessen –, fürchten, dass dadurch neue Es ist schwierig, über das Innerste zu sprechen. Es ist Hürden entstehen, egal ob Sie das wollen oder nicht. Wir emotional eine Zumutung, das nun auch noch vor einer aber brauchen einen besseren und leichteren Zugang für zusätzlichen Distanz tun zu müssen, um überhaupt einen die betroffenen Menschen. Deshalb werden wir mit ei- Therapieplatz zu bekommen. Es ist diskriminierend, ge- 8228 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) rade den psychisch Kranken, den Menschen in einer see- nen und Ärzte werden in Zukunft im ländlichen Raum (C) lischen Krise, zusätzliche Hürden aufzubürden. fehlen. Das macht doch gar keinen Sinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Neh- KEN) men Sie doch einfach unseren Antrag an! Der regelt das!) Der entsprechende Passus, den Sie für das TSVG vor- schlagen, gehört gestrichen. Ich habe wohl gehört, dass Der Vorschlag der FDP bringt wirklich gar nichts. Er Sie Gesprächsbereitschaft signalisiert haben. würde das Problem sogar noch verschärfen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Haben es!) Sie ihn gelesen?) Das finde ich gut; denn wir müssen das ändern. Dieser Das ist reine Klientelpolitik, liebe Kolleginnen und Kol- Passus muss raus! legen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- NEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE KEN) LINKE]) Was wir stattdessen brauchen, sind mehr Psychothera- Auch die Idee, Ärztinnen und Ärzte durch regionale Ho- peutinnen und -therapeuten, gerade im ländlichen Raum. norarzuschläge zu unterstützen, wird das Problem nicht Seit Jahren warten wir auf eine angemessene Bedarfspla- beheben. nung. So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Darum (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Stim- geht es doch gar nicht! Sie haben den Antrag men Sie einfach unserem Antrag zu!) gar nicht gelesen!) Gleichzeitig sieht Ihr Gesetzentwurf viel zusätzliches – Klar habe ich den gelesen, gestern Abend. Das ist Kli- Geld für bestimmte Facharztgruppen vor, bezahlt von den entelpolitik. Er verstärkt das Problem. Wir werden ihn gesetzlich Versicherten. Durch die Bonuszahlungen wer- ablehnen. den in erster Linie die Ärztinnen und Ärzte belohnt, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – bisher weniger Sprechstunden anbieten. Wer leer ausge- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Un- hen wird, sind die Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte, glaublich!) und das ist ungerecht. Das schadet der Versorgung. (B) Dabei gibt es kluge Ideen zur Neustrukturierung, um (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Versorgung im ländlichen Raum endlich zu verbes- NEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE sern: mehr Kooperation zwischen ambulant und statio- LINKE]) när, mehr Kooperation zwischen den Gesundheitsberu- Für Patientinnen und Patienten ist es letztlich egal, fen! Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeuten, Pfleger, wie eine medizinische Leistung abgerechnet wird, nicht Hebammen arbeiten Hand in Hand! So sieht die Gesund- egal ist, wie die Qualität der Versorgung ist, nicht egal ist, heitsversorgung der Zukunft aus, liebe Kolleginnen und wie die Anschlussbehandlung nach einem Krankenhaus- Kollegen. aufenthalt funktioniert, nicht egal ist, ob im ländlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Raum noch ein Arzt, eine Ärztin zu finden ist, und nicht egal ist, ob ich im Notfall adäquate Hilfe bekomme. Stichwort „Physiotherapeuten“. Sie müssen genau wie alle anderen Heilmittelerbringer endlich ihrer Kompetenz Ihr Vorschlag, durch finanzielle Anreize die Termin- entsprechend arbeiten dürfen. Eine adäquate Bezahlung, vergabe zu verbessern, klingt nur im ersten Moment gut. Hausbesuche – das würde die Versorgung unmittelbar Wie stellen Sie sicher, dass diese Regelungen nicht zulas- verbessern. Davon steht bisher leider nichts im Gesetz- ten der chronisch Kranken gehen? Gerade die körperlich entwurf, Herr Minister Spahn. Sie haben eben gesagt, und psychisch chronisch Kranken brauchen bessere An- die Bedingungen für die Heilmittelerbringer würden gebote als bisher. aufgrund Ihres Gesetzentwurfes deutlich besser werden. Bisher ist das nicht der Fall. Aber es liegt ja ein Antrag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von uns Grünen vor, über den wir debattieren können. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Last, but not least: die Notfallversorgung. Auch hier Nächste Baustelle: die ungleiche Verteilung der Arzt- ist Ihr Gesetzentwurf leider – es wäre so dringend, dass praxen. In strukturschwachen, in ländlichen, in ärmeren sich in diesem Bereich etwas verbessern würde – eine Regionen ist der Zugang zu Ärztinnen und Ärzten zuneh- absolute Nullnummer. Auch hierzu haben wir Grüne in mend schwieriger. Da sind Sie nun mit der Gießkanne einem Antrag Reformvorschläge gemacht: integrierte unterwegs. Die pauschale Aufhebung von Zulassungs- Leitstellen, eine Anlaufstelle, eine medizinische Erstein- sperren für bestimmte Arztgruppen wird den Mangel an schätzung, die den Menschen hilft, genau dorthin zu ge- Ärztinnen und Ärzten in den unterversorgten Regionen langen, wo sie die passende medizinische Hilfe bekom- noch verstärken. Das wird dazu führen, dass sich noch men. So gelingt eine gute Reform. mehr Ärztinnen und Ärzte in den Städten niederlassen, wo es jetzt schon viele Praxen gibt. Genau diese Ärztin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8229

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) Ihr Gesetzentwurf wird den großen Aufgaben des Ge- Deshalb zum Stichwort „Steuerung“. Aus Sicht der (C) sundheitswesens leider nicht gerecht – im Gegenteil –, Ärzte ist die Forderung nach einer koordinierten, ge- und das ist schlecht. Ich hoffe sehr, dass wir in den Bera- steuerten Inanspruchnahme der Ressource „Arzt“ sicher tungen im Ausschuss noch zu deutlichen Verbesserungen richtig. kommen; denn das wäre für die Patientinnen und Patien- ten dringend notwendig. Vizepräsidentin Petra Pau: Vielen Dank. Kollegin Maag, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- kung aus der FDP-Fraktion? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Karin Maag (CDU/CSU): Vizepräsidentin Petra Pau: Wir machen das nachher, am Ende, Herr Kollege. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Karin Also: Die koordinierte, gesteuerte Inanspruchnahme der Maag das Wort. Ressource „Arzt“ ist aus Sicht der Ärzte sicher richtig, aber genauso richtig ist es aus Sicht der Kassen und der (Beifall bei der CDU/CSU) Beitragszahler, den Grundsatz der Beitragsstabilität zu erhalten. Und wir in der Politik – vor allen Dingen, wenn wir eine Fraktion mit Verantwortung sind – müssen die- Karin Maag (CDU/CSU): sen Spagat gestalten. Das ist das Wesentliche. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor allem: Lieber Kollege Lauterbach! Ich war ja wirk- Jetzt fordern AfD und FDP die Entbudgetierung. Of- lich beeindruckt und freue mich, dass Sie jetzt endlich fensichtlich ist für Sie die Beitragssatzstabilität also herz- mit uns der Meinung sind, dass gesetzlich Versicherte lich überflüssig. auch ohne Bürgerversicherung bessergestellt werden (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein können. Quatsch!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Karl Offensichtlich ist es Ihnen entgangen, dass bereits heu- Lauterbach [SPD]: Aber noch nicht ausrei- te ein Drittel aller vertragsärztlichen Leistungen extra- chend!) budgetär vergütet werden. Offensichtlich ist Ihnen auch entgangen, dass der Anteil der so geförderten Leistungen Schon das war wirklich ein erkennbarer Fortschritt. seit Jahren zunimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dann (D) können Sie es gleich richtig machen!) Wir schaffen jetzt gemeinsam einen besseren Zugang zur ambulanten Versorgung für alle und verkürzen die Warte- Offensichtlich ist Ihnen gar nicht bekannt, dass in den zeiten für alle, genau so wie wir es den Wählerinnen und Fällen des § 87b und § 100 die Fallzahlenbegrenzungen Wählern versprochen haben. Das setzen wir jetzt zügig heute gar nicht angewendet werden dürfen. und konkret um. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Wie wir das umsetzen, haben wir adressiert: Die Ter- Sabine Dittmar [SPD]) minservicestellen zum Beispiel vermitteln bereits heute Und offensichtlich ignorieren Sie, dass mit unserem Ent- innerhalb einer Woche den Termin beim Facharzt, mit ei- wurf bereits verbindliche Vorgaben zur Anerkennung ner Wartezeit von maximal vier Wochen. Künftig werden von Praxisbesonderheiten festgestellt werden, und das die Termine bei Haus- und Kinderärzten vermittelt, und finde ich einfach jammerschade. die Terminservicestellen unterstützen unter der Telefon- nummer 116117 künftig auch die Suche nach dem dauer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. haft betreuenden Haus- und Kinderarzt. Diese und viele Sabine Dittmar [SPD]) weitere Verbesserungen – zum Beispiel beim Zahnersatz, Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teil des TSVG ist bei der Versorgung von Versicherten mit HIV-Risiko auch das Heilmittelpaket. Für unsere Physiotherapeu- oder bei der Ermöglichung künstlicher Befruchtung nach ten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen heben schweren Krankheiten – sieht dieser Gesetzentwurf vor. wir die Obergrenze für Vertragsverhandlungen an. Wir Nun geht mein Appell an die Ärzteschaft: Wir wollen kehren von der Anbindung an die Grundlohnsumme gerne mit Ihnen Versorgung gestalten. – Deshalb folgt komplett ab, heben zusätzlich die Honorare an, übertra- der Gesetzentwurf einer sehr einfachen Logik: Dort, wo gen ihnen die Versorgungsverantwortung für die Art der wir mehr Leistung adressieren, wird selbstverständlich Leistungserbringung auch mehr Leistung bezahlt. Wir schätzen und anerken- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE nen die Leistungen und den außerordentlichen Einsatz GRÜNEN]: Was für eine Leistung?) der Vertragsärzteschaft. Gleichzeitig bitte ich aber auch um Verständnis, dass es unsere Aufgabe ist, Zugangshür- und gehen einen wichtigen und richtigen Schritt in Rich- den für alle Patienten abzuschaffen. tung Digitalisierung. Es wird eine elektronische Patien- tenakte geben, und die elektronische Arbeitsunfähigkeits- (Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP] meldet bescheinigung sowie das elektronische Rezept werden sich zu einer Zwischenfrage) dann im Jahr 2021 zur Verfügung stehen. Smartphones 8230 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Karin Maag (A) und Tablets – auch das ist eine schöne Botschaft – wer- den Rednerinnen und Rednern. Das sollten wir auch im (C) den es künftig möglich machen, dass die Versicherten auf Laufe des weiteren Tages beachten. ihre Daten zugreifen können. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben gemeinsam ein Interesse, dass die Ver- NEN]: Und der Nacht!) sorgung in ländlichen und strukturschwachen Regionen Dann kommen wir durch unsere Tagesordnung und un- erhalten werden muss. Auch dort muss sich jeder Bür- seren Zeitplan. ger auf eine wohnortnahe, zügige und gute Versorgung verlassen können. Auch dort muss es attraktiv bleiben, Das Wort hat der Abgeordnete Detlef Spangenberg für sich als Arzt niederzulassen. Deswegen heben wir dort die AfD-Fraktion. die Zulassungssperren für Neuniederlassungen auf. Mehr noch: Für Ärzte, die dort praktizieren, werden die regio- (Beifall bei der AfD) nalen Zuschläge verpflichtend bezahlt. Detlev Spangenberg (AfD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Stichwort „flä- chendeckende Versorgung“ ist mir und meinen Kollegen Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im aus der AG Gesundheit auch die aktuelle Diskussion Rahmen dieses Gesetzesvorhabens haben wir den An- um die Versorgung mit Apotheken ein Anliegen. Mei- trag „Einheitliches Prüfverfahren zur fachlichen Eignung ne Haltung zum Versandhandelsverbot ist bekannt. Die ausländischer Ärzte aus Drittstaaten“. Zuerst stellt sich Diskussion über die Gleichpreisigkeit kann man führen; die Frage: Wer ist für wen da? Der Patient für den Arzt aber Boni, die ausschließlich ausländische Versandhänd- oder der Arzt für den Patienten? Ich denke, die Antwort ler gewähren sollen, tragen ganz sicher nicht dazu bei, ist einfach: Der Arzt sollte für den Patienten da sein. dass eine flächendeckende Apothekenversorgung erhal- Die Rechtsgrundlage, um eine Approbation zu erhal- ten bleibt. ten, ist § 3 der Bundesärzteordnung. Und üblicherweise (Beifall bei der CDU/CSU) ist es so: Wenn jemand drei Mal durch die Prüfung ge- fallen ist, dann hat er in Deutschland kein Recht mehr, Meine Damen und Herren, ein letztes Thema: Die den Arztberuf zu ergreifen. Das dient der Sicherheit der MVZ-Gründung durch Kapitalinvestoren macht uns Sor- Patienten. Das sind strenge Maßstäbe, meine Damen und gen. Herren, aber wenn Ärzte das deutsche Prüfungssystem nicht absolviert haben, dann müssen wir handeln, weil da Gefahren bestehen. Vizepräsidentin Petra Pau: (B) Kollegin Maag. Der Deutsche Ärztetag vom Mai 2018 hat Folgendes (D) festgestellt: Überprüfungen haben bestätigt, dass teilwei- se unzureichende Kenntnisse bei ausländischen Ärzten Karin Maag (CDU/CSU): vorliegen. Es gab mehrere Fälle, wo ausländische Stu- Ich komme gleich zum Schluss. dienbescheinigungen gefälscht waren oder nicht den deutschen Anforderungen oder der Qualifikation gene- rell genügten, mit der Folge von Behandlungsfehlern und Vizepräsidentin Petra Pau: sogar nachgewiesenen Todesfällen. – Meine Damen und Moment. – Sie können gerne weiterreden. Das geht Herren, das Patientenwohl geht hier vor. dann aber auf Kosten Ihrer Kollegen. Der Deutsche Ärztetag hat weiterhin festgestellt: Die Integration ausländischer Ärzte ist unzureichend. Die Karin Maag (CDU/CSU): tatsächliche Qualifikation reicht oft nicht aus, trotz Be- scheinigungen. Auch Fälschungen auf Originalpapier Ich komme zum Schlusssatz. – Wir werden uns dieses sind nachgewiesen worden, und das auch bei Ärzten aus Themas annehmen. Wir wollen keine Katalysatoren zur europäischen Staaten. Gewinnmaximierung in unserem Gesundheitssystem. – Ich freue mich auf die Beratungen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Holland!) Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, § 3 Absatz 1 der Bun- desärzteordnung beinhaltet eine Ausnahmeregelung (Beifall bei der CDU/CSU) für Ärzte aus dem europäischen Ausland. Wenn sie in Deutschland durchgefallen sind, können sie trotzdem, Vizepräsidentin Petra Pau: wenn sie die Prüfung im europäischen Ausland bestan- den haben, als Arzt arbeiten. Aber, wie ich eben sagte, Bevor wir weitermachen, ein kleiner Hinweis: Ich gab es auch bei diesen Fällen Unzulänglichkeiten, die zu werde, wenn sich jemand zu einer Frage oder Bemerkung Fehlbehandlungen geführt haben. Ich betone noch ein- meldet, immer fragen, ob das zugelassen wird. Eine Ab- mal das Patientenwohl. lehnung einer solchen Frage oder Bemerkung zieht aber nicht nach sich, dass ich dann das Wort zu einer Kurzin- Die mangelnden Sprachkenntnisse des ausländischen tervention erteile; das wird je nach Situation entschieden. Arztes ermöglichen keine ausreichende Kommunikation Das heißt: Kurzinterventionen werden jeweils vom Prä- zwischen Arzt und Patient. Es kann auch keine psycho- sidenten bzw. von der Präsidentin gewährt und nicht von logische Betreuung bzw. kein fachliches, verständliches Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8231

Detlev Spangenberg (A) Erläutern während der Behandlung stattfinden. Auch das status einen guten Zugang zur medizinischen Versorgung (C) ist eingeschränkt oder nicht möglich. erhält. Da gibt es, obwohl wir unbestritten eine sehr hohe Versorgungsqualität haben, nach wie vor Defizite. Ver- Jetzt komme ich zum Kernsatz: Ausländische Ärzte, mutlich kann jeder von uns aus seinem eigenen Umfeld, meine Damen und Herren, sind nicht ideologisch als aus persönlichen Erfahrungen berichten, wie schwie- förderwürdige Ausländer zu sehen. Der Patient und die rig es oftmals ist, einen Facharzttermin zu bekommen. Sicherheit unseres Gesundheitswesens stehen im Vorder- Auch wenn es die verfasste Ärzteschaft anders darstellt: grund, nicht die Integration des ausländischen Arztes am Wartezeiten von mehreren Monaten sind für gesetzlich Krankenbett. Krankenversicherte keine Seltenheit. Das ist nicht hin- (Beifall bei der AfD) nehmbar. Das kann es nicht sein. Wenn wir das zulassen, schwindet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das Vertrauen der Patienten in ausländische Ärzte, und der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE das wollen wir doch bestimmt alle gemeinsam nicht. GRÜNEN) Deswegen sind unsere Forderungen: Nachweis des Deshalb werden wir mit dem Terminservice- und Versor- fachlichen Kenntnisstandes auf deutschem Niveau ohne gungsgesetz dafür sorgen, dass der Zugang zur ärztlichen jedwede Zugeständnisse einfordern, gegebenenfalls die Sprechstunde deutlich schneller und spürbar besser wird. Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe, GfG, ausbauen und keine Gleichwertigkeit ärztlicher Kenntnisse nach (Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Das ist Aktenlage anerkennen. Es gibt tatsächlich Fälle, in de- doch Augenwischerei!) nen Sachbearbeiter nach Aktenlage die Gleichwertigkeit Im Gesetzentwurf sind hierfür verschiedene Einzelmaß- anerkannt haben, mit den eben genannten Folgen. Die nahmen vorgesehen: Der Ausbau der Terminservicestel- Sprachkenntnisse eines praktizierenden Arztes sollten len, die Ausweitung der Mindestsprechstundenzeiten und mindestens auf dem Niveau der Stufe C 1 des Gemein- vor allem auch die mit Aufschlag und Extrabudget vergü- samen europäischen Referenzrahmens für Sprachen sein. tete Neuaufnahme von Patientinnen und Patienten sind Weiterhin muss sichergestellt werden, dass ein Antrag- hier sicherlich von zentraler Bedeutung. steller bei Ablehnung nicht in einem anderen Bundesland die Möglichkeit bekommen kann, es dort noch mal zu Besonderes Augenmerk werden wir auch auf die psy- versuchen. chotherapeutische Versorgung legen. Häufig müssen Patienten und Patientinnen trotz neuer Psychotherapie- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. leitlinie, trotz Akutsprechstunde monatelang auf die Ärztemangel ist nur durch eine deutliche Erhöhung der notwendige Weiterbehandlung warten. Das ist nicht zu- (B) Zahl der Studienplätze zu beheben. Die Attraktivität mutbar, und hier haben wir – das ist ja schon von vielen (D) des Arztberufes auch im ländlichen Raum – so auch die festgestellt worden – unbestritten Handlungsbedarf. Des- Forderung von Professor Montgomery, Präsident der halb sage ich jetzt hier in aller Deutlichkeit – auch der Bundesärztekammer – muss erhöht werden. Gesund- Minister hat es ja zwischenzeitlich angedeutet –: Die im heitspolitik dürfte keine Parteienpolitik sein. Wenn wir Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen werden dieses Ärzte aus Ländern holen, in die wir Entwicklungshilfe Problem nicht lösen, sondern eher verschärfen. schicken, wird diese dadurch an und für sich konterka- riert; das ist doch logisch. Außerdem ist das, was wir da (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des machen, Neokolonialismus. Wir sollten die Ärzte ermun- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der tern, in ihrem eigenen Land zu praktizieren. Dort werden Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]) sie gebraucht. Erst heute Morgen wurde eine Petition mit fast Recht vielen Dank. 200 000 Unterschriften übergeben. Den Betroffenen kann ich eine Botschaft mitgeben. Für uns als SPD ist (Beifall bei der AfD) klar: Statt zusätzliche Hürden aufzubauen, müssen wir dafür sorgen, dass es einen flächendeckenden und zeit- Vizepräsidentin Petra Pau: nahen Zugang zur psychotherapeutischen Therapie gibt, Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Sabine einer Behandlung, die sich in Art und Umfang an den Dittmar das Wort. Bedürfnissen der Patienten orientiert. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die Be- Sabine Dittmar (SPD): darfszahlen anpassen! Das geht ganz schnell!) Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich wer- Fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es auch de jetzt wieder zum Thema der aktuellen Aussprache zu- bei den vorgesehenen Regelungen für Medizinische Ver- rückkommen. sorgungszentren. MVZs spielen in der Versorgungsland- schaft eine wichtige Rolle sowohl für die Patientinnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Patienten, die sehr viel einfacher interdisziplinär be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und handelt werden können, als auch für viele Ärztinnen und des Abg. Alexander Krauß [CDU/CSU]) Ärzte, denen dieses Versorgungsangebot, das flexible Für uns Sozialdemokraten ist es wichtig, dass jeder Arbeitszeiten und Teamarbeit ermöglicht, sehr entgegen- unabhängig von Wohnort, Einkommen und Versicherten- kommt. Insofern sind MVZs in vielen Gebieten aus der 8232 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Sabine Dittmar (A) Versorgung nicht mehr wegzudenken. Deshalb werden meint, aber nicht gut gemacht! Denn um die Erstattung (C) wir im parlamentarischen Verfahren sehr genau darauf der Kosten fertilitätserhaltender Maßnahmen bei Krebs­ achten, dass keine bürokratischen Hürden aufgebaut wer- patienten zu ermöglichen, ist der von der Bundesregie- den, die diese Versorgungsform gefährden, zum Beispiel rung gewählte § 27a SGB V ein denkbar ungeeigneter dann, wenn es um die Nachbesetzung von Arztstellen Regulierungsort. geht. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Dieser bezieht sich nämlich auf den Prozess einer künst- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz ist ein lichen Befruchtung. Die Kryokonservierung gehört je- echtes Omnibusgesetz – es ist schon gesagt worden – doch nicht zu diesem Prozess. Sie ist eine Vorabmaß- mit sehr vielen Detailregelungen. Ich möchte explizit nahme, die neben der künstlichen Befruchtung ebenfalls ein Thema herausgreifen, weil es mir sehr wichtig ist: für eine Wiederherstellung der natürlichen Fertilität der die Kryokonservierung. Patienten, die in jungen Jahren Betroffenen sorgen kann. Faktisch ist das Gesetz nicht eine Diagnose erhalten – Krebs, aber auch andere Di- auf die Kryokonservierung anwendbar; das ist keine agnosen wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis – und juristische Spitzfindigkeit. Es stellen sich neue Fragen: sich einer Therapie unterziehen müssen, die die Fertili- Wie lange dürfen beispielsweise konservierte Zellen und tät oder Zeugungsfähigkeit beeinträchtigt, haben neben Zellgewebe auf Kassenkosten eingelagert werden? Wie vielen anderen Sorgen auch die Frage: Werde ich nach soll mit der für eine künstliche Befruchtung geltenden erfolgter Therapie eigene Kinder haben können? Bislang Altersgrenze umgegangen werden? Für die künstliche mussten die Kosten für die Ei- und Samenzellkonservie- Befruchtung setzt das Gesetz ein verheiratetes Paar vo- rung selbst bezahlt werden, und hier, meine Damen und raus. Es bleibt unklar, inwieweit das für die Kryokonser- Herren, sprechen wir von mehreren Tausend Euro. Für vierung gilt. viele war und ist das nicht leistbar. Mit dem Gesetz, das hier als Entwurf vorliegt, schließen wir endlich eine nicht (Jens Spahn, Bundesminister: Alles klar ge- hinnehmbare Regelungslücke. Künftig wird die Kryo- regelt!) konservierung Kassenleistung. Damit nehmen wir den Was ist mit unverheirateten Paaren oder Singles? Sollen Patientinnen und Patienten in einer ohnehin schwierigen sie etwa keinen Anspruch haben? Hier wollen wir als Situation die finanzielle Sorge und schenken Hoffnung Freie Demokraten mit unserem Antrag Klarheit schaffen. und Möglichkeit, nach der Genesung den Kinderwunsch zu erfüllen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Wir wollen, dass die Übernahme der Kosten für die (B) (D) Auch das ist soziale und patientenorientierte Gesund- notwendige Kryokonservierung im Rahmen einer zyto- heitspolitik, auf die wir stolz sein können. reduktiven Therapie durch die Krankenkassen in einer Weise herbeigeführt wird, die allen Betroffenen tatsäch- Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen; lich Rechtssicherheit verschafft. denn da werden wir aus einem guten Gesetzentwurf ein noch sehr viel besseres Gesetz machen. Ein weiterer sehr heikler Punkt im TSVG ist die Impf- stoffversorgung. Hier habe ich vor vier Wochen schrift- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich nachgefragt: Hat die Bundesregierung aus ihrer Sicht der CDU/CSU) alles Erforderliche zur Prävention einer Grippewelle in der aktuellen Grippesaison getan? Nicht überraschend ist Vizepräsidentin Petra Pau: die Antwort der Bundesregierung: Wir haben alles richtig Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Andrew gemacht. – Fakt ist aber: Es besteht wieder ein Mangel ­Ullmann das Wort. an Vierfach-Grippeimpfstoff in Deutschland, verursacht durch eine Fehl- und Überregulierung, die Sie mit diesem (Beifall bei der FDP) Gesetz weiter verschärfen wollen. Sie wollen auf dem Rücken der Patienten mit zusätzlichen Zwangsrabatten Dr. Andrew Ullmann (FDP): die Kosten drücken und damit Versorgungsunsicherhei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen ten und zukünftige Lieferengpässe weiter in Kauf neh- und Herren! Es lohnt sich durchaus, das TSVG im Gan- men. Der bessere Weg wäre gewesen, Rabatte an Erfolg zen anzuschauen. zu koppeln. Das wäre sinnvoll, möglich und zum Wohle der Patientinnen und Patienten. So würde die Impfstoff- (Sabine Dittmar [SPD]: Das ist ja auch Ihre versorgung sichergestellt und der Gesundheitsschutz der Aufgabe!) Versicherten gewährleistet. Hier versucht Bundesminister Spahn, uns allen einiges unterzujubeln. So lösen Sie kein Problem, sondern schaf- (Beifall bei der FDP) fen neue Probleme. Denn, meine Damen und Herren, für uns gilt: Gesund- Da wäre zum einen, was Sie gerade angesprochen ha- heitspolitik für den Patienten. Ich freue mich auf die Aus- ben, die Kryokonservierung. Das ist ein wichtiges Thema einandersetzung in den Ausschüssen. für Patienten, die eine Chemotherapie erhalten. Es freut Herzlichen Dank. mich außerordentlich, dass das Ministerium diesen Punkt aufgenommen hat. Doch da zeigt sich deutlich: Gut ge- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8233

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: me natürlich Ihre Auffassung zur Kenntnis – diskutieren (C) Das Wort hat der Abgeordnete Erich Irlstorfer für die sollte. Lassen Sie uns das doch diskutieren. CDU/CSU-Fraktion. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ger- (Beifall bei der CDU/CSU) ne! Jederzeit!) Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie werden doch Erich Irlstorfer (CDU/CSU): auch die Einwände der Kinder- und Jugendärzte bekom- Verehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen men haben, die bei uns in einer hohen Anzahl eingegan- und Kollegen! In der heutigen Debatte befassen wir uns gen sind. mit dem Regierungsentwurf eines Gesetzes für schnelle- re Termine und eine bessere Versorgung in Deutschland. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich möchte hier schon die Grundsätzlichkeiten dieses Kollege Irlstorfer, ich habe die Uhr angehalten und Gesetzentwurfs herausstellen, und ich möchte vorab frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kolle- klarstellen: Wir schätzen die ärztlichen und die medizi- gen Schinnenburg zulassen. nischen Berufe und wollen dieses System verbessern und zukunftsfähig machen; wir wollen nicht irgendjemanden anprangern, gängeln oder sonst irgendetwas. Erich Irlstorfer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Bitte, gerne. ­Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das haben Sie aber nicht geschafft!) Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): Ich möchte aber auch klarstellen, meine sehr geehr- Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas- ten Damen und Herren – denn hier wird immer wieder sen. – Sie haben gesagt, Sie wollen ein Gesetz machen, das Thema Bürgerversicherung angedeutet –: Das ist das den Menschen nützt. Stellen Sie sich einen Moment jetzt kein Einstieg in eine Bürgerversicherung, sondern vor, ein enger Verwandter von Ihnen hat ein psychisches es sind Zukunftsmaßnahmen in einem System. Es geht Problem. Was sagen Sie dem, wenn er nun hört, dass darum, dass wir hier zu einer gerechten Lösung kommen. er ab 1. April nicht mehr direkt in eine Therapie gehen Diese Verbesserung der Situation von gesetzlich Versi- kann, sondern dass er sich erst einem Dritten offenbaren cherten war überfällig, und deshalb haben wir hier einen muss. Wie können Sie das verantworten? Plan und einen Vorschlag. (Alexander Krauß [CDU/CSU]: Das ist doch (B) Ich möchte aber auch ganz klar sagen, dass aus meiner Quatsch! Lesen Sie doch erst mal den Gesetz- (D) Sicht dieses Gesetz der richtige Ansatzpunkt sein kann, entwurf durch, ehe Sie so eine Frage stellen!) um den Alltagsproblemen der Menschen entgegenzu- kommen. Es ist doch kein Widerspruch, dass man ver- Erich Irlstorfer (CDU/CSU): sucht, für gesetzlich Versicherte einen Vorteil und eine Verbesserung zu schaffen, ohne dass man sofort den gan- Herr Kollege, ich habe das so nicht wahrgenommen. zen medizinischen Betrieb gegen sich aufbringt. Sie nehmen das so wahr. Ich kenne diese Briefe auch; ich bekomme sie natürlich ebenfalls. Es ist doch unsere Ich finde es auch nicht negativ, meine sehr geehrten Aufgabe als Parlamentarier – dafür ist der parlamenta- Damen und Herren, dass wir einen Vorschlag präsen- rische Prozess da –, dann, wenn wir der Meinung sind, tieren, den wir jetzt auch mit aller fachlichen Expertise dass das, was in dem Gesetzentwurf verankert ist, rich- diskutieren. Das ist doch notwendig, und ich glaube, das tig und notwendig ist, aber dass es von der Formulierung zeichnet auch eine gute und lebendige Demokratie aus. her Ungereimtheiten gibt, diese Dinge klarzustellen; das können wir als Politiker doch im Endeffekt zurechtzur- Wir haben einen Grundsatz, und dieser Grundsatz ren. Deshalb müssen wir mit den Menschen reden. Wir lautet: Wer mehr und zusätzlich leistet, soll auch dafür müssen diese Einwände ernst nehmen und dementspre- vergütet werden. Das ist anständig, meine sehr geehrten chend behandeln. Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Oh! Da ist aber Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass wir die noch ganz viel zu tun!) Einwände, die aus der Ärzteschaft, aus der Bürgerschaft und von den Betroffenen kommen, nicht einfach ad acta Die einzelnen Verbesserungen wurden schon angespro- legen, sondern dass wir im parlamentarischen Verfahren chen. Sie kennen das Ganze ja. und natürlich auch in der Anhörung sehr genau diesen Ich möchte noch einmal das Thema Kinderwunsch Dialog führen werden. herausstellen, das von meinem Vorredner Herrn (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wun- Dr. ­Ullmann angesprochen worden ist. Damit wird doch derbar!) eine Lücke geschlossen, die wir bis jetzt hatten. Ich den- ke, dass man in diesem parlamentarischen Prozess Ihre Wir haben kein Interesse, irgendetwas zur reinen Selbst- berechtigten oder unberechtigten Punkte – ich habe das darstellung auf die Piste zu bringen, das den Menschen nicht so gesehen, das sage ich ganz ehrlich, aber ich neh- nicht weiterhilft. Das ist die Unterstellung, die in dieser 8234 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Erich Irlstorfer (A) Debatte mitschwingt, und die stört mich, meine sehr ge- bei älteren Patienten machen, ist durch dieses Gesetz (C) ehrten Damen und Herren. jetzt auch der Regress kein Thema mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD) Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das hat niemand behauptet!) Die Einzelpraxis auf dem Land ist für viele Ärzte nicht mehr attraktiv. Deshalb sind MVZs eine sinnvolle – Aber es schwingt mit, Frau Kollegin. Ergänzung der Versorgung. So kann man als junger Arzt (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nee, auch einmal den Schritt aufs Land wagen, ohne sich als nee! Da stimmt was mit Ihren Schwingungen Einzelkämpfer bis zur Rente zu verpflichten. Hier soll- nicht!) te zwischen den Versorgungsformen kein Stellungskrieg geführt werden, sondern es sollte zusammengearbeitet Dies ist unsere vorderste Aufgabe. Wir haben ein gu- werden. Mit lokalen Gesundheitszentren beispielsweise tes Grundlagenpapier. Ich danke dem Minister und dem können wir hier viel erreichen. Ministerium ausdrücklich dafür, dass wir hier ein ordent- liches Papier haben, das die Diskussionsgrundlage für Die Länder werden bei der ärztlichen Versorgung vor die nächsten Monate sein wird. Ich kann nur parteiüber- Ort ein Wort mitreden und natürlich auch in der Pflicht greifend alle darum bitten, diesen Prozess zu unterstüt- sein. Sie können Gebiete von Zulassungsbeschränkun- zen und ihn aufrecht und ehrlich zu führen. Ich hoffe, das gen befreien, damit die Menschen im ländlichen Teil ei- wird uns gelingen, und wir werden dann ein ordentliches nes Bedarfsplanungsbezirks nicht das Nachsehen haben, Gesetz verabschieden. wenn viele Ärzte in die Stadt abwandern. In diesem Sinne herzlichen Dank. Einige KVen empfinden das vielleicht als Einmi- schung in die Selbstverwaltung. Aber wir sind inzwi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schen ja schon so weit, meine sehr verehrten Damen und ordneten der SPD) Herren, dass beispielsweise die KV Hessen im Dezem- ber 2017 die Politik ausdrücklich um Unterstützung ge- Vizepräsidentin Petra Pau: beten hat, weil sie die Versorgung in einigen Bereichen nicht mehr sicherstellen kann. Politik sollte nicht alles Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Bettina regulieren – das ist ein Grundsatz erfolgreicher Selbst- Müller das Wort. verwaltung –, aber wir müssen dort eingreifen, wo dieses (Beifall bei der SPD) System an seine Grenzen stößt. (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin Bettina Müller (SPD): Maag [CDU/CSU]) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Längere Öffnungszeiten, offene Sprechstunden, eine Ein Teil der Ärzteschaft schlägt derzeit schrille Töne Terminhotline und auch mehr Geld für Ärzte, die mehr an: Staatsdirigismus, Degradierung Niedergelassener Patienten behandeln wollen, sind unser Sofortprogramm zu Scheinselbstständigen, Beleidigung der Würde eines für die Versorgung gesetzlich Versicherter. Mit der Kom- ganzen Berufsstandes. – Wer uns so heftig Einmischung mission für ein Vergütungssystem und der Arbeitsgruppe in die Selbstorganisation der Ärzte vorwirft, den frage von Bund und Ländern zur sektorenübergreifenden Ver- ich: Wo bleibt die Perspektive der Patientinnen und Pa- sorgung schaffen wir die Grundlage für weitere Weichen- tienten? stellungen. (Beifall bei der SPD) Einen wichtigen Hinweis, wie wir unser gutes Ge- Damit habe ich es als Kommunalpolitikerin in einem sundheitssystem zukunftsfest machen können, hat der sehr ländlichen Wahlkreis in Hessen regelmäßig zu tun. jüngste OECD-Bericht geliefert: Bei der Arztdichte und Die Menschen machen sich Sorgen um die ärztliche Ver- den Ausgaben für unser Gesundheitssystem liegen wir sorgung oder haben schon Probleme, zum nächsten Arzt ganz weit vorne, aber die häufigen Besuche bei teuren zu kommen. Jeder Dritte der rund 4 000 Hausärzte in Spezialisten machen uns nicht gesünder. Gleichzeitig Hessen ist 60 Jahre oder älter. Ein Drittel der Ärzte wird herrscht – auch das ist festgestellt worden – akute Knapp- in den nächsten zehn Jahren die Praxis schließen. Nur heit beim nichtärztlichen Personal. Wir brauchen hier un- jeder Zweite wird einen Nachfolger finden. Die meisten bedingt eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Fachärzte sind sowieso in der Großstadt und Gesundheitsberufe. Umgebung angesiedelt. (Beifall bei der SPD) Deshalb wollen wir mit dem TSVG die Versorgung gerade in den ländlichen und strukturschwachen Ge- Wir werden daher im Verfahren noch Regelungen bieten verbessern. Wir verpflichten die KV zu Eige- zu den Heilmittelerbringern ergänzen, zum Beispiel die neinrichtungen und Sicherstellungszuschlägen dort, wo Blankoverordnung als Regelverordnung. Das stärkt die Unterversorgung droht. Wir erweitern den Strukturfonds Therapieberufe und verbessert die Versorgung im länd- und machen mobile und telemedizinische Behandlungen lichen Raum, auch wenn wir hier aus meiner Sicht lang- möglich. Auf dem Land, wo Ärzte häufig Hausbesuche fristig einen Direktzugang anstreben sollten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8235

Bettina Müller (A) Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf men, die medizinische Versorgung sicherzustellen. Ich (C) die Beratung. Eine schöne Weihnachtszeit! bin dankbar, dass die ärztliche Selbstverwaltung das ge- macht hat, weil ich finde, sie können das dreimal bes- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ser, als die Politik es könnte. Aber wir müssen dann auch Wert darauf legen, dass dieser Auftrag erfüllt wird, dass Vizepräsidentin Petra Pau: die Kassenärztlichen Vereinigungen das auch wirklich Der letzte Redner in dieser Debatte ist Alexander machen. Das tun wir mit diesem Gesetz. Krauß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU) Sabine Dittmar [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Alexander Krauß (CDU/CSU): noch zwei, drei Sätze zu dem sagen, was die AfD aus- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und geführt hat. 95 Prozent der AfD-Reden kann man immer Herren! Ich habe die Ehre, abschließend die Thematik in zwei Wörtern zusammenfassen: Ausländer raus. – Das zusammenfassen zu dürfen. Das Gesetz für schnelle Ter- wird dann durchexerziert an verschiedenen Beispielen, mine und bessere Versorgung ist das wichtigste Gesetz in dieser Wahlperiode im Bereich der medizinischen Ver- (Zuruf von der AfD: Schlecht!) sorgung. mit denen man diese Kernbotschaft letzten Endes immer (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE irgendwie untermauert. Hier hat man es an den ausländi- GRÜNEN]: Das schlechteste!) schen Ärzten festgemacht. Es ist ein Gesetz, das wirklich jeden Bürger in diesem Hier arbeiten 51 000 ausländische Ärzte. Das sind Land betrifft. statistisch so viele Ärzte, wie in 500 Krankenhäusern arbeiten. Ich müsste 500 Krankenhäuser vollkommen Wir haben einen Sack voller Geschenke; für jeden ist schließen, wenn ich keine ausländischen Ärzte mehr hät- etwas dabei. In erster Linie natürlich für die Patienten: te. Wir könnten 5 Millionen Patienten nicht mehr adäquat Sie sollen leichter einen Facharzttermin bekommen, sie betreuen; die würden im Krankenhausbereich gar keine bekommen kürzere Wartezeiten, sie bekommen mehr Behandlung bekommen. Sie würden also die medizini- Sprechstunden bei den Ärzten, und sie werden weniger sche Versorgung ernsthaft gefährden, wenn man so etwas zuzahlen, zum Beispiel beim Zahnersatz. machen würde. Aber auch für die Ärzte ist etwas dabei: Sie bekom- Ich finde, wir können froh sein, dass wir ausländische men mehr Geld, zum Beispiel, wenn sie neue Patienten Ärzte haben. Sie haben kein lobendes Wort über die aus- (B) (D) aufnehmen. Das ist ein Ansporn gerade für die Ärzte, die ländischen Ärzte verloren. Sie haben nur so getan, als ob besonders viel leisten oder die sich im ländlichen Raum das alles Kurpfuscher sind und Leute, die die Zeugnisse niederlassen. Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Lo- fälschen. gopäden – eher Berufsgruppen, die bislang ein Schat- tendasein hatten – bekommen die gleiche Bezahlung in (Zuruf des Abg. Dr. Axel Gehrke [AfD]) Ost und West, in Nord und Süd. Das kostet Geld. Wir Einmal zu sagen, dass wir sehr dankbar sind, dass wir können uns das leisten, weil die Arbeitnehmer und die 51 000 Ärzte aus dem Ausland haben, das möchte ich an Unternehmer in unserem Land das erarbeitet haben. dieser Stelle tun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum ist LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Gesetz so notwendig? Ganz einfach: weil Patienten NEN) heute nicht immer die medizinische Versorgung bekom- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben men, die sie verdient haben und die sie brauchen. Keine heute über unsere Vorschläge gesprochen, wie wir die Frage, wir haben eines der besten Gesundheitssysteme medizinische Versorgung verbessern können. Sie haben auf der Welt. Dennoch gibt es Verbesserungsbedarf. darüber gesprochen, wie Sie unser Gesundheitswesen In meine Bürgersprechstunde im Erzgebirge kamen gegen die Wand fahren würden. Ich finde, auf diese Vor- viele Menschen, nicht nur einer, die gesagt haben: Ich be- schläge sollten wir uns nicht einlassen. komme keinen Termin beim Augenarzt. – Ich finde, das Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. geht nicht. Die Leute haben einen Anspruch darauf, dass sie zeitnah einen Termin beim Augenarzt bekommen. Bei (Beifall bei der CDU/CSU) mir war ein Pfarrer, der zu uns ins Erzgebirge gezogen ist und einen Hausarzt für sich und seine Familie gesucht Vizepräsidentin Petra Pau: hat. Er hat keinen Hausarzt gefunden. Man hat ihm ge- Ich schließe die Aussprache. sagt, er soll doch bitte dorthin gehen, wo er bislang war. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Das geht nicht. Deswegen müssen wir etwas ändern, des- den Drucksachen 19/6337, 19/6436, 19/4887, 19/5909, wegen müssen wir uns anstrengen und dieses Gesetz auf 19/6130, 19/2689, 19/6419, 19/6423 und 19/6417 an den Weg bringen. die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kassen­ geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der ärztlichen Vereinigungen haben den Auftrag übernom- Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. 8236 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Drittens. Die von uns beschlossenen und auf den Weg ge- (C) brachten Gesetze unterstützen und entlasten Kinder und Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Familien weitaus mehr, als das Ihr Antrag tut. richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, der CDU/CSU) weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Zum Beispiel bringt das Familienentlastungsgesetz ab LINKE Mitte 2019 eine Entlastung von 10 Euro pro Monat. Das sind im Jahr dann nicht, wie bei Ihnen, 97 Euro, sondern Einführung eines Kinderweihnachtsgelds 120 Euro mehr in der Tasche. Drucksachen 19/101, 19/6276 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Kersten Steinke [DIE Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für LINKE]: Dann haben sie aber dieses Jahr die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Weihnachten nichts davon!) nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Im Starke-Familien-Gesetz, das wir auf den Weg brin- Ich bitte auch hier wieder, die nötigen Umgruppierun- gen, werden wir gerade Familien in der Grundsicherung gen zügig vorzunehmen. und mit kleinem Einkommen entlasten, zum Beispiel mit kostenlosem Mittagessen, kostenlosem Bus- und Bahnti- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- cket, und wir werden den Kinderzuschlag auf 185 Euro ordnete Michael Schrodi für die SPD-Fraktion. im Monat erhöhen. Wir wollen das vereinfachen. Das kommt dann bei denen in der Grundsicherung an. Auch (Beifall bei der SPD) da tun wir was – und mehr als das, was Sie tun, meine sehr geehrten Damen und Herren. Michael Schrodi (SPD): (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr Dazu kommen auch weitere Leistungen. Ich will nur geehrten Damen und Herren! Weihnachten und die Ad- das Baukindergeld und die Förderung des sozialen Woh- ventszeit sind für Kinder eine wunderbare Zeit. Das sehe nungsbaus zur Schaffung von mehr bezahlbarem Wohn- ich an meinen beiden Kindern, 4 und 7 Jahre alt. Die raum für Familien erwähnen. freuen sich jeden Tag, wenn sie ein Türchen im Kalender Eines sei Ihnen auch noch gesagt: In den sozialen Ar- aufmachen können, und die sagen einen im Advent im- beitsmarkt, um den wir lange gekämpft haben, werden (B) mer beliebten Kinderreim auf – den kennen Sie auch –: (D) wir bis 2021 4 Milliarden Euro investieren, um reguläre, „Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann ordentlich bezahlte Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zwei …“ Am Schluss heißt es dann: „Und wenn das fünf- zu schaffen. Wir wissen, dass Arbeitslosigkeit ein Ar- te Lichtlein brennt, dann hast du Weihnachten verpennt.“ mutsrisiko für Kinder ist. Deshalb ist das ein wichtiger Auf dem Adventskranz der Linken brennen inzwi- Beitrag, um etwas für Kinder, die in Armut leben, zu tun schen 55 Kerzen; denn der Antrag, den Sie einbringen, und sie da herauszuholen. Meine sehr geehrten Damen stammt vom 22. November 2017. Die Linke hat also nicht und Herren, auch das ist sozialdemokratische Arbeits- nur eine Woche, sondern über ein ganzes Jahr verpennt, marktpolitik. was hier in diesem Hohen Haus beschlossen wurde. (Beifall bei der SPD) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So ein In Ihrem Antrag schreiben Sie übrigens ganz richtig: Quatsch!) Nur „etwas mehr als die Hälfte aller sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigten“ erhält Weihnachtsgeld. Um das In diesem Jahr haben wir zahlreiche Gesetze verabschie- mal zu aktualisieren: Die Hans-Böckler-Stiftung schreibt det und auf den Weg gebracht, die Kinder und Familien unter dem Titel „Froheres Fest dank Tarif“: konkret helfen. Das sollten Sie mal zur Kenntnis neh- Von den Beschäftigten mit Tarifvertrag erhalten men, meine sehr geehrten Damen und Herren. 77 Prozent ein Extra zum Jahresende, ohne Tarif- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) vertrag sind es lediglich 42 Prozent. Wir müssen dabei aber auch zwischen Männern und Frau- Wir lehnen den Antrag aus mehreren Gründen ab. en unterscheiden. 57 Prozent der Männer und 49 Prozent Erstens. Sie setzen den falschen Hebel an. Kindergeld der Frauen bekommen Weihnachtsgeld. Das heißt für und Freibetrag sollen das Existenzminimum steuerlich uns: a) Es lohnt es sich, sich gewerkschaftlich zu orga- freistellen; das ist an Weihnachten nicht anders als zu nisieren. b) Es zeigt sich, wie wichtig die Tarifbindung anderen Zeiten. Zweitens. Ihr Vorschlag sieht eine Ein- und die Stärkung der Tarifbindung sind. c) Es ist es auch malzahlung in Höhe von 97 Euro vor. Dazu sagt selbst unsere Aufgabe gerade bei öffentlichen Aufträgen, mit der Kinderschutzbund: Das ist kein großer Beitrag zur gutem Beispiel voranzugehen. Bekämpfung der Kinderarmut. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kin- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: der sollen sich gewerkschaftlich organisieren, Aber es ist ein Beitrag!) oder wie soll ich das verstehen? Hallo?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8237

Michael Schrodi (A) Deswegen muss es in allen Bundesländern ein Tariftreue- munen, also der Schulen und Kindergärten und damit den (C) gesetz geben, damit bei öffentlichen Aufträgen Tarifver- familiären Zusammenhalt. Wir werden dabei aber auch träge eingehalten werden. Da sollten der Freistaat Sach- darauf achten müssen, dass die Grundstückseigentümer, sen und der Freistaat Bayern nachziehen, meine sehr die große Wertsteigerungen in den letzten Jahren und geehrten Damen und Herren. Jahrzehnten verzeichnen konnten, mehr zur Finanzie- rung von Schulen und Schwimmbädern oder Bibliothe- (Beifall bei der SPD) ken beitragen als weniger leistungsstarke Menschen. Die Linke verliert sich in ihrem Antrag wieder in ganz (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist aber kleinem Karo. Sie haben einen Ansatz; wir machen viel nicht im Gesetz! Das ist aber nicht die Recht- mehr . Sie wollen immer nur auf Hartz IV hinaus und boh- sprechung des Bundesverfassungsgerichts!) ren dort immer wieder. Wir machen aber mehr. Verteilungsgerechtigkeit ist eben komplexer als solch (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie ein besinnlicher Adventsantrag. Ich lade Sie ein, diese wollen nur etwas für die Mittelschicht tun und Debatte mit uns zu führen. Aber Ihr Antrag ist in diesem nichts für das Prekariat!) Sinne nicht zielführend. Es wird in den nächsten Jahren darum gehen, den Sozial- Danke schön. staat der Zukunft zu entwickeln und das Sozialstaatsver- sprechen und übrigens auch das Versprechen von gutem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Lohn für gute Arbeit zu erneuern und auszubauen. ten der CDU/CSU – Sebastian Brehm [CDU/ CSU]: Ihre Argumentation war jetzt auch Mir gefällt das Bild von Norbert Walter-Borjans, den nicht zielführend!) ich zitieren darf, ganz gut. Er sagte: Deutschland galt wirtschaftlich als der kranke Mann Vizepräsidentin Petra Pau: Europas. Er hatte quasi Grippe. Deshalb ist ihm ein Das Wort hat der Abgeordnete Albrecht Glaser für die Grippemittel verordnet worden. Es hat gewirkt. AfD-Fraktion. Aber ist das eine Begründung dafür, zwanzig Jahre später immer noch das gleiche Grippemittel in der (Beifall bei der AfD) gleichen Dosierung zu verabreichen wie damals? Stattdessen sollten wir unvoreingenommen auf die Albrecht Glaser (AfD): Risiken und Nebenwirkungen blicken. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Beim Kin- Herren! Ein Gespenst geht um in Europa: der Populis- (B) derweihnachtsgeld!) mus. (D) Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich tun (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und dem wir das. Die Nebenwirkungen bestehen darin, dass es im- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes mer mehr prekäre Beschäftigung gegeben hat. Wir müs- Steiniger [CDU/CSU]: Das stimmt! Er steht sen in diesem Zusammenhang auch darüber diskutieren, am Rednerpult!) wie wir Einkommens- und Vermögensungleichheit in Er ist überall anzutreffen. Niemand weiß jedoch, wer er Zukunft verringern und wie wir 2 Millionen Kinder, die eigentlich ist. Zurzeit scheint er in Frankreich sein Unwe- in Bedarfsgemeinschaften leben, aus der Armut heraus- sen zu treiben, und auch dort weiß man nicht so genau, holen. Das tun wir übrigens, und es würde mich freuen, wer oder was er ist. Auf alle Fälle ist er eine große Be- wenn Sie sich daran beteiligen. Unsere Fraktionsvorsit- drohung, wird gesagt, so eine Art Waldsterben der poli- zende hat deutlich gemacht, dass wir eine tischen Kultur. eigenständige Kindergrundsicherung brauchen, die Kin- der aus der Sozialhilfe holt und Teilhabe schafft. In früherer Zeit verwendete man den Begriff des De- magogen und den des Populisten synonym. Utopische Das sind die Zukunftsdebatten, die wir hier führen politische Forderungen, die breiten Bevölkerungsschich- wollen. Wir wollen eine Stärkung der gesetzlichen Si- ten gefallen, ja, sie in ihrem Wahlverhalten zugunsten cherungssysteme und mehr Verteilungsgerechtigkeit; der Populisten manipulieren sollten, wurden schon im- denn starke Schultern können mehr tragen und sollten mer als „Wahlversprechen“ oder etwas deutlicher als das auch tun. „Wählertäuschung“ bezeichnet. Häufig ging es dabei (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja um Versprechen von Geldleistungen für möglichst viele eine Oppositionsrede!) Wähler. Die Finanzierungslast solcher Versprechen blieb typischerweise im Dunkeln oder wurde einem anonymen – Nein, wir tun das. Wir tun das jetzt im Kleinen und dis- Kollektiv zugeordnet: dem Staat, der Gesellschaft oder kutieren genau diese Frage im Großen. Sie sind herzlich dem Großkapital. eingeladen, sich daran zu beteiligen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer (Beifall bei der SPD) zieht hier die Steuern ein in diesem Land? Hallo?) Das gilt auch für die Frage der Verteilungsgerechtig- keit. Vor uns liegt die Reform der Grundsteuer. Dabei Langfristige Statistiken zur nationalen Staatsverschul- wird es genau diese Debatte auch geben. Die Grundsteu- dung zeigen, dass fast immer nach Wahlen – etwa Bun- er sichert nämlich die finanzielle Ausstattung der Kom- destagswahlen – die Staatsverschuldung besonders ra- 8238 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Albrecht Glaser (A) pide zunahm. Versprechenspolitik und Schuldenpolitik, Vizepräsidentin Petra Pau: (C) meine Damen und Herren, oder eben diese Art von Popu- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete lismus, standen und stehen stets in einem Ursachen- und Johannes Steiniger das Wort. Wirkungsverhältnis zueinander. Man könnte es auch so formulieren: Stimmenkauf durch Schuldenpolitik ist die (Beifall bei der CDU/CSU) schlimmste Form von Populismus. Johannes Steiniger (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD – Sebastian Brehm [CDU/ Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- CSU]: Genau deswegen machen wir es nicht! legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzli- Wir tilgen Schulden!) chen Glückwunsch, Herr Glaser! Sie haben es tatsächlich Sie hat bekanntlich schon viele Staaten in den Abgrund gepackt, hier vier Minuten zu reden, ohne überhaupt auf gerissen, und Deutschland hat bekanntlich seit Jahren das Thema einzugehen. unverändert 2 Billionen Euro Staatsschulden. Erstaun- (Beifall bei der LINKEN) licherweise hat sich für dieses Phänomen, für diese Art von Politik, welche zuletzt 2008 die ganze Euro-Zone in – Noch klatscht die Linke. – Ich komme jetzt zurück zur eine Existenzkrise gestürzt hatte, zu keiner Zeit der Po- Sache und möchte gleich zu Beginn in aller Deutlichkeit pulismusbegriff durchgesetzt, obwohl diese Charakteris- sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, tik offen zu Tage tritt. diesen Antrag hätten Sie heute eigentlich zurückziehen können; denn im Kern fordern Sie ungefähr 100 Euro (Beifall bei der AfD) mehr Kindergeld pro Kind. Wir haben aber schon vor Wochen mehr beschlossen: Es gibt ab kommendem Jahr Wir haben nun einen Antrag der Linken vorliegen, der 120 Euro mehr Kindergeld pro Kind. Ab 2021 erhöhen zwar nicht vom Volumen des Versprechens, jedoch von wir das Ganze auf 300 Euro. seiner Art und seinem Zeitpunkt offensichtlich ein popu- listischer ist. Wie wir seit Monaten erleben, werden der- (Beifall bei der CDU/CSU) lei Anträge von den Linkspopulisten gewohnheitsmäßig Wir haben also viel mehr für die Familien und Kinder in gestellt. So zu verfahren, liegt gewissermaßen in ihrer Deutschland getan, als Sie hier vorschlagen. Ihr Antrag politisch linken Natur bzw. in der Natur linker Politik. ist deshalb eigentlich erledigt, erledigt durch die gute Ar- beit in unserer Regierungskoalition. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) Kuba, Venezuela, Nicaragua und viele andere Fälle funk- ordneten der SPD) (D) tionieren nach dem immer gleichen Strickmuster. Dass Sie diesen Antrag nicht zurückziehen und uns (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Wir sind aber stattdessen vielleicht sogar für unsere Politik loben, zeigt in Deutschland im Moment!) doch eines: Das Ganze ist ein reiner Schaufensterantrag. Pünktlich zur Adventszeit 2017, im vergangenen Jahr, Ein Weihnachtsgeld für alle Kinder oder fast alle – wurde dieser Antrag eingebracht. Er hat dann hier im nicht natürlich für diejenigen, deren Eltern diesen Staat Parlament ein Jahr lang geschlummert. Pünktlich zur in hohem Maße finanzieren – wird gefordert. Es ist dabei Adventszeit 2018 wird er wieder herausgekramt, zur Begründung von der „wichtigsten Familienfeier“ die Rede und von Weihnachten als „zentralem Bestandteil (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es des religiösen Lebens“ für viele Menschen. Die Linke geht um Weihnachtsgeld!) und das religiöse christliche Leben vieler Menschen in und wir diskutieren ihn heute hier im Plenum. Ihnen geht diesem Lande, das gehört irgendwie zusammen; wenn es also weniger um die Kinder in diesem Land, sondern Sie mir diese ironische Bemerkung gestatten. eher um Ihre eigene Publicity. (Beifall bei der AfD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht nicht mal Ihre Fraktion!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausge- staltung des Sozialstaates ist ein wichtiges Thema, aber Wenn man sich Ihren Antrag anschaut, dann liest die Verquickung angemessener Sozialpolitik mit Sankt man darin relativ viel Weihnachtsprosa. Da geht es um Nikolaus und Weihnachten ist eher Blasphemie, in jedem Dekoration, da geht es um Festschmuck, Geschenke, Fall aber Linkspopulismus. Weihnachtstradition und vieles andere. Ich habe mich da, ehrlich gesagt, etwas gewundert. Die Kommunisten und (Beifall bei der AfD) Sozialisten sind ja nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie christliche Feste besonders wertschätzen, meine sehr Es ist daher der Beschlussempfehlung des Finanzaus- geehrten Damen und Herren. schusses zu folgen und der Antrag der Linken abzuleh- (Beifall bei der CDU/CSU) nen. Schauen wir uns den Antrag jetzt im Einzelnen an: Herzlichen Dank und fröhliche Weihnachten! Erstens. Wie lustlos dieser Antrag geschrieben ist, (Beifall bei der AfD) sieht man ja allein daran, dass Sie sich nicht mal die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8239

Johannes Steiniger (A) Mühe gemacht haben, kurz auszurechnen, was der ganze zusätzlicher Entlastung hier auf den Weg bringen, helfen (C) Spaß kostet. den Familien in Deutschland wirklich mehr als ein Kin- derweihnachtsgeld von 100 Euro. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Doch!) (Zuruf von der LINKEN: Großer Beifall!) Die Linke fordert – ich habe es gerade eben schon er- wähnt – im Monat Dezember eine einmalige Leistung Mir ist aber auch wichtig, dass wir noch ein anderes von rund 100 Euro für diejenigen – und nur für dieje- Thema ansprechen. Denn statt über das Verteilen von nigen –, die Kindergeld beziehen. Was das kosten soll: Weihnachtsgeschenken sollten wir lieber darüber spre- keine Angabe. Typisch Linkspartei! Im Antrag fehlen chen, wie wir Kinderarmut effektiv bekämpfen können. komplett die Kosten. Wie soll sich die Bevölkerung, wie (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sollen sich die Herrschaften auf der Tribüne denn eine NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mal eine gute Meinung bilden, wenn Sie hier gar keine haushalteri- Idee!) sche Hausnummer haben? Meine sehr geehrten Damen und Herren, etwas zu beantragen, ohne es einmal vorher Dass Ihr Vorschlag im Übrigen hier keine Abhilfe bringt, durchzurechnen, ist schwach und einfach unseriös. liegt auf der Hand. Das sagt sogar der Deutsche Kinder- schutzbund, der darauf hinweist, dass Ihr Vorschlag über- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haupt keinen Beitrag leistet, um Kinderarmut in Deutsch- ordneten der SPD) land nachhaltig zu bekämpfen. An dieser Stelle kann ich Aber wir sind ja Serviceregierungskoalition und haben dem Deutschen Kinderschutzbund nur zustimmen. deshalb Pi mal Daumen ausgerechnet, dass das Ganze (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- 1,7 Milliarden Euro kosten würde. Gegenfinanzierung in ordneten der SPD) Ihrem Antrag: Fehlanzeige! Nirgends auch nur ein Wort dazu, wo das Geld herkommen soll. Ja, wir haben in Deutschland Kinder in schwierigen sozialen Lagen. Um sie müssen wir uns kümmern. Wir Dieser Antrag verstrickt Sie zweitens in Widersprü- müssen den Kindern in Deutschland deshalb Chancen che. Sie wollen uns diese 100 Euro hier als großen Wurf bieten. Ein Kinderweihnachtsgeld bringt da aus meiner verkaufen. Auf der anderen Seite haben Sie, als wir vor Sicht nichts. Der Schlüssel ist vielmehr: Bildung, Bil- einigen Wochen über die Frage der Kindergelderhöhung dung, Bildung. Bildung ist Länderaufgabe. Aber wir in zwei Schritten diskutiert haben – erst um 120 Euro pro nehmen uns als Bund hier nicht aus der Verantwortung, Jahr, ab 2021 dann um 300 Euro pro Jahr –, nicht mit- Stichwort „DigitalPakt“. Daher an dieser Stelle noch mal gestimmt. Das muss ja mal einer kapieren, dass Sie hier der Appell an die Länder – den können Sie dann gerne etwas fordern und dann, wenn wir es einbringen, nicht auch mitnehmen –: Die Länder dürfen den DigitalPakt (B) mitstimmen. Ist ja klar: Kommt von der Regierung; dann im Bundesrat nicht weiter blockieren, sondern das Geld (D) kann man als Opposition nicht zustimmen. – Also: Wi- muss jetzt schnell in die Schulen. dersprüche. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Drittens ist dieser Antrag auch steuersystematisch ein der SPD) Widerspruch in sich; denn wir haben ja seit vielen Jahren ein bewährtes Verfahren. Wir prüfen zunächst, wie viel Im Koalitionsvertrag steht der einfache, aber klare eine Familie für die Finanzierung eines Kindes jährlich Satz: „Wir bekämpfen Kinderarmut“. Es wurde schon mindestens braucht. Das stellen wir dann über den Kin- erwähnt: Wir werden hier demnächst das Familienstär- derfreibetrag steuerfrei. Das nennt sich Freistellung des kungsgesetz auf den Weg bringen und im Schulstar- Existenzminimums. Dazu passen wir seit vielen Jahren terpaket die Unterstützung für Ranzen, Federmappen, das Kindergeld für diejenigen entsprechend an, die von Stifte, Hefte, Lern-Apps und anderes von 100 Euro auf der Steuerfreiheit nicht profitieren. Das nennt sich sozi- 150 Euro erhöhen. Wir werden zusätzlich die vollen Kos- ale Gerechtigkeit. Beides haben wir gerade erst wieder ten für die Fahrkarten zur Schülerbeförderung überneh- gemacht, und das sollten Sie eigentlich mitbekommen men. Wir wollen das Mittagessen in Schulen und Kitas haben. kostenlos machen. Am Ende des Tages profitieren bis zu 1 Million Kinder davon, und das ist, glaube ich, richtig, Warum soll das im Übrigen zu Weihnachten anders um in Deutschland Kindern und Jugendlichen Chancen sein? Das Existenzminimum ist über das Jahr hinweg ge- zu geben. nau gleich, auch in der Adventszeit. Natürlich ist es an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Weihnachten ein bisschen anders: Es gibt ein bisschen der SPD) anderes Essen, eine andere Stimmung, vielleicht auch ein bisschen anderes Wetter. Sicher ist es aber nicht anders, Wir werden darüber hinaus auch am Kinderzuschlag was die Logik des Steuerrechts angeht. Auch wir wollen arbeiten. Der ist ja geschaffen worden für diejenigen, natürlich alle Familien fördern, und das auch zu Weih- die ein geringes Einkommen haben. Mit dem neuen Ge- nachten. Deswegen passt uns an Ihrem Antrag auch nicht setz wollen und werden wir dafür sorgen, dass wir mit dieser einseitige Fokus nur auf diejenigen, die Kinder- dem Zuschlag 500 000 Kinder mehr erreichen als bisher. geld beziehen. Es passt uns nicht, dass Sie diejenigen, die Mehr Kindergeld, Erhöhung des Kinderfreibetrages, Fa- vom Kinderfreibetrag profitieren, hier überhaupt nicht milienentlastungsgesetz, das haben wir bereits beschlos- adressieren. Wir als Koalition machen lieber echte Ent- sen. Mehr Unterstützung für den Schulstart, Erweiterung lastungspolitik. Ich habe das Familienentlastungsgesetz des Kinderzuschlags im Familienstärkungsgesetz, das genannt. 10 Milliarden Euro, die wir im nächsten Jahr an werden wir bald beschließen. Das hilft allen Kindern und 8240 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Johannes Steiniger (A) Familien in Deutschland, und deswegen lehnen wir die- Nein, so löst man wirklich keine Probleme. (C) sen Antrag ab. Er hilft uns hier nicht weiter. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die anderen Ich wünsche Ihnen allen noch eine schöne Restad- Anträge kommen dann nächstes Jahr!) ventszeit und dann ein frohes Weihnachtsfest. Ihr Vorschlag verteilt einmalig Geld mit der Gießkan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ne, bietet aber, ehrlich gesagt, überhaupt kein Angebot, ordneten der SPD – Susanne Ferschl [DIE die Kinderarmut gezielt zu reduzieren. LINKE]: Den Kindern nicht!) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes Steiniger [CDU/CSU]) Vizepräsident : Es ist, wenn überhaupt, nur ein unbeholfener, wenig Vielen Dank dafür. – Nächster Redner ist für die Frak- nachhaltiger Versuch, ausgewählten Familien zu helfen. tion der FDP der Kollege Markus Herbrand. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der FDP) Nein! Allen!) Natürlich muss gerade bei der Förderung von Familien Markus Herbrand (FDP): etwas passieren; da sind wir uns einig. Die FDP-Fraktion Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen hat deshalb nicht nur Anträge im Rahmen des Familien­ und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass aus- entlastungsgesetzes eingebracht, denen Sie ja auch zum gerechnet die Linkspartei, Teil zugestimmt haben, sondern mit dem Elterngeld Plus und dem Kinderchancengeld auch Konzepte entwickelt, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die um das Problem strukturell und nachhaltig anzugehen. Linke! „Linkspartei“ heißen wir schon seit elf Da werden Sie noch die Gelegenheit haben, zuzustim- Jahren nicht mehr!) men. dass ausgerechnet Die Linke hier einen Antrag einbringt, (Beifall bei der FDP) der einen so religiösen Bezug hat, ist schon echt verwun- derlich. Unser Ziel muss es ja sein, dass Kinder in Deutsch- land mindestens eine warme Mahlzeit am Tag bekom- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wa- men und die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe rum?) erhalten. Das kann aber nicht alles sein, liebe Kollegin- Die religiöse Tradition Ihrer Partei, der Linken, ist uns nen und Kollegen. Unser Fokus, der der Freien Demo- kraten, lag schon immer auf einer Förderung der Chan- (B) jedenfalls neu. Der Antrag instrumentalisiert das vor uns (D) stehende Weihnachtsfest für parteipolitische Spielchen; cengerechtigkeit. Richtig und zielführend ist, jedem die denn im Grunde genommen wollen Sie nur eins: Sie wol- gleichen Chancen einzuräumen. Der Schlüssel dazu – da len, dass morgen in der Zeitung steht, dass Sie die Guten bin ich bei dem Kollegen Steiniger – ist Bildung. Des- sind und wir die Bösen. halb müssen wir jedem Kind beste Kitas, beste Schulen, beste Universitäten, beste Ausbildungsplätze zur Verfü- (Beifall bei der FDP – Dr. Gesine Lötzsch gung stellen. [DIE LINKE]: Sie können ja unserem Antrag (Beifall bei der FDP) zustimmen!) Liebe Kollegen, Ihr Vorhaben würde übrigens dieses Warum beantragen Sie eigentlich nicht zur Bekämp- Jahr – da bin ich auf die gleiche Zahl wie Herr Steiniger fung der Altersarmut auch noch ein Weihnachtsgeld für gekommen – 1,7 Milliarden Euro kosten. Die Antwort die Rentner? Das wäre auch noch eine Möglichkeit. darauf, wie Sie das finanzieren wollen, bleiben Sie uns (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Brin- mal wieder schuldig. gen Sie mich nicht auf Ideen! – Bettina Stark-­ (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da kommt Watzinger [FDP]: Wir sind sozialistischer als noch eine Rede! Ich verstehe das gar nicht! Sie!) Die Rede kommt noch!) Aber ich möchte Sie gar nicht auf so schlechte Ideen Das passt auch zu Ihren abenteuerlichen Forderungen bringen. während der Haushaltsberatungen. Da haben Sie mehr Der Antrag der Linken hat mit christlichen Werten als 30 Milliarden Euro Mehrausgaben gefordert, ohne die nichts zu tun, dafür umso mehr mit Populismus; denn Finanzierung darzustellen. Im Zweifel heißt es bei Ihnen er nähert sich einem ohne Zweifel bestehenden Problem immer: Steuern erhöhen. nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit. Tatsache ist: (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Bei den rich- Obwohl wir schon sehr viel Geld und Mittel in die Be- tigen!) kämpfung der Kinderarmut stecken, sind mehr als 2 Mil- lionen Kinder immer noch von Armut betroffen. Das ist Was anderes fällt Ihnen da nicht ein. ein Befund, der uns alle hier wirklich nicht zufriedenstel- (Beifall bei der FDP) len kann. Wollen Sie allen Ernstes dieses Problem mit einer Einmalzahlung lösen? Eines sollte dem Antragsteller meines Erachtens auch noch zu denken geben. Ist es nicht verantwortungslos, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Quatsch!) möglicherweise auch demokratieschädlich, wenn Sie Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8241

Markus Herbrand (A) trotz besserem Wissen mit Hoffnungen von Menschen einem halben Kindergeld entsprechen. Wir reden also (C) spielen, die Sie erkennbar nicht erfüllen werden können? von rund 100 Euro pro Kind – und das ohne Anrechnung So befeuern Sie die Politikverdrossenheit und nutzen auf Sozialleistungen. Das ist der große Unterschied zur möglicherweise genau denjenigen – das behaupte ich je- Kindergelderhöhung. denfalls –, denen Sie gar nicht nutzen wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Gucken Sie neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mal in den Antrag!) Unser Ansatz ist dabei inklusiv; denn es soll verschie- Zusammenfassend: Ihr Antrag ist wenig glaubwürdig denen Kindern zustehen: sowohl Kindern, die in Sozial- begründet. Probleme werden damit überhaupt nicht be- leistungsbezug sind, hoben, sie werden noch nicht mal angegangen, und er ist finanziell nicht durchdacht und unseriös. (Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Das Kin- dergeld ist das falsche Instrument!) (Zuruf von der LINKEN – Grigorios Aggelidis [FDP], an DIE LINKE gewandt: Aber Sie ma- als auch Kindern von Geflüchteten und Asylbewerbern chen es!) und Asylbewerberinnen, auch wenn Weihnachten für sie ein neuer Brauch ist, sowie Kindern von Eltern mit mitt- Es handelt sich um einen schlechten Schaufensterantrag. lerem Einkommen, Herr Schrodi. Wir wollen nicht die Herzlichen Dank. Gruppen gegeneinander ausspielen. Lediglich die reichs- ten 25 Prozent wären draußen, die zusätzlich zum Kin- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dergeld noch vom Steuerfreibetrag profitieren; denn sie der CDU/CSU) profitieren schon besonders. Nach unseren Berechnun- gen würden 13 Millionen Kinder und Jugendliche in den Vizepräsident Thomas Oppermann: Genuss eines solchen Kinderweihnachtsgeldes kommen. Als Nächstes spricht für die Fraktion Die Linke die Ich finde, das sollten wir in Angriff nehmen. Abgeordnete Katja Kipping. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Nun haben einige von Ihnen – wie überraschend und wie unoriginell! – unseren Antrag als Populismus ge- (DIE LINKE): Katja Kipping brandmarkt. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele von uns freuen sich schon auf die bevorstehenden Weih- (Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Ist er ja (B) nachtsfeiertage. Ich auch; denn die Erinnerungen an auch! – Grigorios Aggelidis [FDP]: Ist er ja (D) Weihnachten in Familie in Dresden gehören für mich zu auch!) den schönsten Kindheitserinnerungen. Aber einst gab es für Menschen mit Sozialhilfebezug (Zuruf von der AfD: Arbeiterlieder!) eine Weihnachtsbeihilfe. Anerkannte Institutionen wie Doch bei all dieser Vorfreude sollten wir eins nicht ver- der Deutsche Verein haben Empfehlungen für die Höhe gessen. Für viele Eltern stellen sich angesichts des bevor- dieser Weihnachtsbeihilfe gegeben. Mit der Einführung stehenden Festes viele sorgenvolle Fragen: Wie beschere von Hartz IV wurde diese Weihnachtsbeihilfe eingestellt, ich meinem Kind ein schönes sorgenfreies Fest, obwohl außer für junge Menschen in stationären Einrichtungen, das Geld schon so vorne und hinten nicht reicht? Wie und das, obwohl nicht klar ist, dass bei der Berechnung verhindere ich, dass der Mangel, der bei uns beständiger des Hartz-IV-Regelsatzes die Weihnachtsbeihilfe ab- Gast ist, wenigstens in dieser Zeit nicht so sichtbar ist? gedeckt wird. Also, es ist unter Fachleuten sehr wohl umstritten, ob die Einstellung der Weihnachtsbeihilfe Ja, viele Menschen in diesem Land haben Probleme, überhaupt rechtens ist. Ich meine, die Unterschlagung mit ihrem Einkommen bis zum Monatsende über die der Weihnachtsbeihilfe für die Ärmsten ist vor allem Runden zu kommen. „Monatsende“ bedeutet für diese eins: Leistungsraub. Diese Bundesregierung enthält den Menschen vor allem eins: dass man jeden Cent dreimal Ärmsten das vor, was ihnen zusteht, und das zur Weih- umdrehen muss. Das Monatsende bedeutet für diese nachtszeit. Menschen, dass die Kinder besonders häufig Geburts- tagsfeiern ihrer Schulfreunde absagen müssen, weil das (Beifall bei der LINKEN – Sepp Müller Geld nicht mehr für ein Geschenk reicht und die Scham [CDU/CSU]: Sie sind die größte Populistin verhindert, dass man offen damit umgeht. Das, was für nach da vorn!) das Monatsende gilt, schlägt mit voller Härte am Jahres- Sicherlich, eine besinnliche Weihnachtszeit ist nicht ende zu. Das kann uns nicht kaltlassen. nur eine Frage des Geldes. Aber wenn hier irgendjemand (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- von Ihnen behauptet, es käme überhaupt nicht auf das neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Geld an, kann ich nur sagen: Versuchen Sie doch mal, mit Sepp Müller [CDU/CSU]: Deswegen machen einem Kind über den Weihnachtsmarkt zu gehen, wenn wir eine Kindergelderhöhung!) es von allen Seiten lecker duftet, ohne auch nur einen Euro ausgeben zu können! Um wenigstens Familien mit Kindern zu helfen, schlagen wir ein Kinderweihnachtsgeld vor – für ein sor- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- genfreies Fest für alle. Dieses Kinderweihnachtsgeld soll SES 90/DIE GRÜNEN) 8242 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Katja Kipping (A) Das ist für Sie vielleicht ein theoretisches Experiment; Katja Kipping (DIE LINKE): (C) für Menschen in Hartz IV ist das bittere Realität; denn Herr Präsident, ich glaube, es war wichtig, hier mal zu alle bisherigen Bundesregierungen haben Dinge, die verdeutlichen, was alles gestrichen wurde. zur Weihnachtszeit einfach dazugehören, aus dem Hartz-IV-Regelsatz herausgestrichen. (Sepp Müller [CDU/CSU]: So ein Schwach- sinn!) Um das zu verdeutlichen, habe ich Ihnen was mitge- bracht. Ich sage noch mal: Auch ein kandierter Weihnachts- apfel gilt als Verpflegung außer Haus und ist von allen (Die Rednerin hält ein Plakat hoch) bisherigen Sozialministern und Sozialministerinnen für Menschen im Hartz-IV-Bezug gestrichen worden. Das, Man sieht, welche Dinge, die zu Weihnachten gehören, finde ich, musste hier angedeutet werden. aus dem Hartz-IV-Regelsatz gestrichen wurden. (Beifall bei der LINKEN) (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Tiere gehö- ren nicht unter den Weihnachtsbaum!) Die Linke beantragt heute eine ganz konkrete Hilfe für Menschen, für Familien mit geringen bis mittleren Ein- Haustiere sind nicht regelsatzrelevant nach dem Willen kommen in der Weihnachtszeit. Aber ja, darüber hinaus aller bisherigen Sozialminister und Sozialministerinnen. brauchen wir grundlegende Veränderungen. Ich bin froh, Wer also Katzenfutter kaufen möchte, muss sich das vom dass Bewegung in die Debatte über grundlegende Alter- Munde absparen. Ein Weihnachtsbaum gilt genauso wie nativen zu Hartz IV gekommen ist. Blumen für Menschen in Hartz-IV-Bezug als nicht regel- satzrelevant. Liebe SPD, liebe Grüne, wenn euch das wirklich ernst ist, was es an interessanten Vorschlägen gibt – die sind (Grigorios Aggelidis [FDP]: Ist das jetzt er- mir oft nicht weitgehend genug, aber sie sind diskussi- laubt, was sie macht? Was soll das denn? – onswürdig –, dann muss doch auch eins klar sein: An der Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ist Seite der Union wird man von diesen Vorschlägen nichts, das nach der Geschäftsordnung erlaubt?) aber auch gar nichts umsetzen können. Wir wissen, dass sich Menschen, die auf Hartz IV ange- (Sepp Müller [CDU/CSU]: Genau!) wiesen sind, oft ein Geschenk nicht leisten können. Das heißt, wenn das ernst gemeint ist, müssen wir jetzt (Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Populis- gemeinsam den Kampf aufnehmen um andere Mehrhei- tisch! Nur Effekthascherei! – Weitere Zurufe ten in der Gesellschaft, um fortschrittliche Mehrheiten. (B) von der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen hinarbeiten auf einen grundlegenden Politik- (D) und Regierungswechsel, und zwar nicht um unseretwil- Ja, auch der kandierte Weihnachtsapfel – – len, sondern für die vielen Menschen, die Monat für Mo- nat darum kämpfen, über die Runden zu kommen; denn Vizepräsident Thomas Oppermann: diese Menschen verdienen mehr: mehr, als ihnen diese Frau Kipping, hören Sie mir bitte zu. Regierung bereit ist zuzugestehen. Vielen Dank. Katja Kipping (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ja. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Thomas Oppermann: Vizepräsident Thomas Oppermann: Wir haben in unserer Geschäftsordnung nicht vorgese- Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Wolfgang hen, dass demonstrative Bekundungen über Plakate oder Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ähnliches hier im Plenum vorgenommen werden. nen. (Beifall bei der AfD und der FDP sowie bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abgeordneten der CDU/CSU) (BÜNDNIS 90/ Zur Unterstützung Ihrer Argumentation können Sie Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn DIE GRÜNEN): durchaus eine Grafik hochhalten, aber Sie können hier nicht über Minuten hinweg als Plakatfrau stehen. Das ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht der Geist unserer Geschäftsordnung, nach dem wir Kinderweihnachtsgeld, das klingt erst einmal super. Das über das gesprochene Wort die inhaltliche und geistige klingt nach einem Staat, der ein Herz für Kinder hat. Man Auseinandersetzung suchen. Deshalb bitte ich Sie, das stelle sich Olaf Scholz vor, verkleidet als Weihnachts- Plakat nicht weiter hochzuhalten. mann, wie er durch das Land zieht, zu den Familien, anklopft und sagt: Hohoho, ich bringe hier das Kinder- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – weihnachtsgeld! Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Sie hat sich selbst entlarvt! Das war nur Populismus!) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Will man das wirklich? – Heiter- Sie können fortfahren. keit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8243

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) Ein solches Bild der Regierung, die Geschenke verteilt, abgeordnete, mit den Kinderfreibeträgen oben noch was (C) müsste doch eigentlich die SPD in schwierigen Zeiten draufbekommen. Wie schön ist das denn!? freuen. Aber das ist das völlig falsche Bild; denn das Kin- (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Dafür wurde dergeld ist kein Geschenk. mir vorher auch oben was weggenommen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das müssen wir nicht mal beantragen: Wenn wir eine Das Kindergeld ist nicht mal eine Sozialleistung. Einkommensteuererklärung machen, prüft das Finanz- Wenn man im Bundeshaushalt bei den sozialen Leistun- amt, ob wir einen Anspruch haben, der höher ist als das gen guckt, dann stellt man fest, dass das Kindergeld dort Kindergeld, und dann bekommen wir das automatisch nicht auftaucht. ausgezahlt. Wenn man ein geringes Einkommen hat, dann muss man das alles beantragen. Die mit ganz ge- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!) ringem Einkommen bekommen das sogenannte Sozial- geld – wenn die Eltern Hartz-IV-Empfänger sind –; das Das Kindergeld ist im Einkommensteuergesetz geregelt. muss man beantragen. Die Bildungs- und Teilhabeleis- Es ist ein Freibetrag, der an diejenigen ausgezahlt wird, tungen muss man beantragen. Das machen ganz viele die vom Kinderfreibetrag nicht ausreichend profitieren. nicht. Und für die, die ein bisschen mehr als Hartz IV ha- Das bekommen alle, bedingungslos. Es wird an alle aus- ben, gibt es eine Leistung, die heißt „Kinderzuschlag“ – gezahlt, egal ob mit geringem oder hohem Einkommen, eine völlig komplizierte Geschichte, völlig bürokratisch; in gleicher Höhe. Das macht das Kindergeld aus. Es ist nimmt auch nur ein Drittel der Eltern, die einen Anspruch kein Geschenk, keine Wohltat, sondern es ist ein Anrecht, darauf haben, an. Daran ändert auch Ihr Starke-Famili- das alle Kinder in diesem Land haben. en-Gesetz – so heißt es, glaube ich –, das Sie im nächsten Jahr einbringen wollen, überhaupt nichts; es wird eher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch komplizierter als einfacher. sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern ist der Antrag völlig schräg, aber er weist auf Probleme hin, und er passt in der Tat gut zur Weihnachts- Die Familienkasse bietet jetzt sogar eine Videobera- zeit. tung an: Man kann sich per Skype mit der Familienkasse verbinden, um sich bezüglich des Kinderzuschlags bera- Schauen wir uns die Berechnung des Regelsatzes ten zu lassen. Das zeigt, wie irrsinnig diese Sozialleis- an. Vorhin gab es den Zwischenruf aus der CDU/CSU: tung ist. Es sollte mindestens mal so sein wie bei uns mit Das stimmt alles gar nicht, was die Katja Kipping da er- dem hohen Einkommen, dass das vom Finanzamt, wenn zählt! – Doch, es stimmt, was nicht drin ist im Regelsatz: man eine Einkommensteuererklärung macht, geprüft und (B) Es sind keine Malstifte drin, mit denen Kinder als Weih- automatisch ausgezahlt wird. Automatische Auszahlung (D) nachtsgeschenk ein Bild für ihre Eltern malen können; des Kinderzuschlags, das wäre ein Mindestschritt, den man gehen müsste. (Grigorios Aggelidis [FDP]: Malen die Stifte, die sie sonst haben, nicht?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) es ist nicht drin, dass, wenn man auf den Weihnachts- markt geht, die Kinder auch mal gebrannte Mandeln be- Aber es ist ja so: Die Ungerechtigkeit, dass wir mehr kommen. bekommen als Menschen mit mittlerem Einkommen, die muss beseitigt werden; zumindest wir Grüne finden das (Tino Chrupalla [AfD]: Karussell fahren!) völlig ungerecht. Deswegen schlagen wir vor, dass die Kinderfreibeträge in einen Auszahlbetrag umgewandelt Das ist nicht im Regelsatz drin. Auch der Weihnachts- werden, im Prinzip so ähnlich wie das Kindergeld, aber baum – das sollte gerade der CDU, der Christlich Demo- in einer Höhe, dass Menschen mit hohem Einkommen kratischen Union, viel wert sein – ist nicht im Regelsatz und Menschen mit mittlerem Einkommen das Gleiche drin; den müssen sich die Leute tatsächlich vom Mund bekommen; dass der Betrag ausgezahlt wird an alle – an absparen – und sie tun das auch; dazu gibt es genügend die Reichen, an die mit mittlerem Einkommen und auch Studien. an die mit geringerem Einkommen –; denn jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. Das wäre eigentlich was gewesen, was in diesem An- trag hätte stehen müssen: die Anhebung und Neuberech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nung des Kinderregelsatzes, sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Grigorios Aggelidis [FDP]: Wer bezahlt den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mehraufwand?) damit sich Kinder wirklich ein vernünftiges Leben leis- Zusätzlich sollte es einen Aufschlag für Menschen ten können. Das steht leider nicht drin. Und es verweist mit geringem Einkommen geben, der automatisch ausge- darauf, dass wir in unseren Familien/Kinder-Leistungen zahlt wird. Das gehört zur Kindergrundsicherung dazu, insgesamt ein hohes Maß an Ungerechtigkeit haben, ein wie wir Grüne das vorschlagen, diese Basis in Höhe des hohes Maß an Wirrwarr und Nichtsystematik. Das mit Regelbedarfes an alle, damit der tatsächlich für alle ge- dem Kindergeld ist ja prima; das ist die Basis, bekom- deckt ist, für alle gleich, und dann das Existenzminimum, men alle. Und dann ist es so, dass alle Menschen, die einkommensabhängig, für Menschen mit geringem Ein- ein hohes Einkommen haben, wie wir als Bundestags- kommen zusätzlich. Das wäre ein gutes Konzept: eine 8244 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) richtige Kindergrundsicherung für alle, die vor Armut – Nein, nicht nur deswegen. Ich finde es auch nicht in (C) schützt, die konsistent ist, und die tatsächlich Gerechtig- Ordnung, dass Sie hier diesen religiösen Gedanken her- keit herstellt. ausstellen. Den hat Weihnachten. Aber wenn man diesen Gedanken herausstellt, erkennt man: Das hat nichts mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konsum zu tun. Das, was Die Linke vorschlägt, ist so was wie eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Kindergrundsicherung für einen Monat. Weil das so CSU, der AfD und der FDP) schräg ist, können wir dem nicht zustimmen. Aber weil es immerhin eine Kindergrundsicherung für einen Monat Sie unterstellen den Leuten, dass sie nichts Besseres zu ist, werden wir auch nicht dagegenstimmen, sondern uns tun haben, als Bratäpfel zu kaufen und Geschenkkartons enthalten. zu transportieren. Ich finde, wenn Ihnen der religiöse Gedanke wichtig ist, dann gehen Sie bitte auch auf den Vielen Dank. Grund des Weihnachtsfestes zurück! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Was machen Sie auf dem Weihnachtsmarkt? Geben Sie da Vizepräsident Thomas Oppermann: kein Geld aus, oder was?) Vielen Dank. – Als Nächste spricht Ingrid Arndt-­ Ansonsten: Was mich wirklich stört, ist, dass Sie sich Brauer für die Fraktion der SPD. in Ihrem Antrag überhaupt nicht an die Systematik halten, die wir hier haben. Es ist von meinen Vorrednern schon (Beifall bei der SPD) gesagt worden: Wir haben hier eine Systematik: Kinder- freibetrag; Freistellung des Existenzminimums; die Leu- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): te, die nicht freibetragsberechtigt sind, bekommen Kin- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- dergeld. Wenn Sie eine Leistung für Kinder zusätzlich be Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! haben wollen, dann nennen Sie die anders, und betiteln Sie die anders, und bitte bringen Sie sie auch anders ein! (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Auch Zuschauerinnen und Zuschauer!) Frau Kipping hat vorhin davon geredet, dass es früher eine Weihnachtsbeihilfe gegeben hätte, bei der Sozialhil- – Von mir aus: Auch die seien gegrüßt von mir! fe. Darf ich an diese tolle Sozialhilfe erinnern: Da gab es Der Antrag, der uns hier vorliegt – Einführung eines einen Rückgriff bei Bedürftigkeit: wenn die Eltern genug Kinderweihnachtsgelds – kommt sehr sensibel daher, ist Geld hatten, den Rückgriff bei den Kindern, und auch an- (B) aber wirklich populistisch, und er ist wirklich schlecht dersherum den Rückgriff bei den Eltern. Von daher: Bitte (D) gemacht: Sie haben es noch nicht mal geschafft, das nicht wieder zurück zur Sozialhilfe! Kindergeld von im Moment 194 Euro pro Monat – für (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie das erste und zweite Kind – richtig durch zwei zu teilen. vergleichen Äpfel und Birnen!) Sie kommen in Ihrem Antrag auf 96 Euro. Es kostet aber 97 Euro. Wahrscheinlich ist dadurch auch die Differenz Wenn Sie bei der Weihnachtsbeihilfe für Kinder bleiben entstanden zwischen Ihren 1,3 Milliarden Euro, die das wollen, dann frage ich mich ernsthaft: Warum nicht auch angeblich kostet, und den 1,7 Milliarden Euro, die wir für Rentner, ausgerechnet haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In (Widerspruch der Abg. Katja Kipping [DIE Österreich gibt es das!) LINKE]) warum nicht auch für andere Menschen, die Ihnen viel- Also, ich finde, diesen Antrag haben Sie sehr schnell da- leicht gerade so einfallen? Dann fordern Sie sie doch hingehuscht. generell, Weihnachtsbeihilfe für alle, damit wir alle ein konsumorientiertes Weihnachtsfest feiern können. – Ich (Widerspruch bei Abgeordneten der LIN- meine, das ist nicht im Sinne der Sache. KEN) Gehen wir mal zurück zu dem, was uns wirklich wich- Was mich auch stört: Es ist natürlich schön, wenn man tig ist. Uns ist wichtig, dass die Kinder, die mehr Unter- kurz vor Weihnachten – es passt zur Stimmung – mit so stützung brauchen, auch mehr Unterstützung bekommen. einem Antrag kommt. Aber was ist denn die Erwartung, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Sie den Menschen vermitteln? Die Erwartung ist: Wir debattieren heute, verabschieden das, morgen steht es im Dafür machen wir eine ganze Menge: Wir haben das Fa- Gesetzblatt, und übermorgen wird es ausgezahlt. – Oder milienentlastungsgesetz gemacht. Sie wissen ganz ge- was wollen Sie den Leuten suggerieren, wie wir hier mit nau, wir haben das Kindergeld erhöht – wir haben natür- solchen Anträgen umgehen können? Also, ich finde das lich auch die Freibeträge erhöht –, wir haben es wirklich schon populistisch. Deswegen lehne ich das auch ab für massiv erhöht. Solange ich hier bin, haben wir es noch meine Fraktion. nie um so viel erhöht, wie wir es nächstes Jahr erhöhen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Nur (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der deswegen also!) CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8245

Ingrid Arndt-Brauer (A) Und wir werden mit dem Starke-Familien-Gesetz gerade Das Kindergeld soll für alle gelten, ja, aber es gibt nichts (C) Familien, die Sie vielleicht im Fokus hatten mit Ihrem umsonst. Jeder Cent, den der Staat ausgibt, der muss von populistischen Antrag, mehr stärken. Wir werden den irgendjemandem in diesem Land erarbeitet werden. Kinderzuschlag vereinfachen, und wir werden ihn erhö- hen. Wir werden Menschen natürlich nicht das Geld hin- (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Ulrich terhertragen können – natürlich werden sie es weiterhin Kelber [SPD]) beantragen müssen –; aber es wird einfacher werden für Und selbst wenn man es über Schulden finanziert, dann die Menschen, und sie werden auch eher darauf hinge- müssen diese Schulden von der arbeitenden Bevölkerung wiesen werden, dass es ihnen zusteht. Wir werden auch irgendwann beglichen werden. beim Bildungs- und Teilhabepaket mehr machen. „Teil- habe“ bedeutet nicht nur, einen Christbaum aufstellen zu Es sind vor allem die 4 Millionen Selbstständigen und können, sondern tägliche Teilhabe an dem, was über das die 22 Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeit- ganze Jahr auf die Kinder einprasselt und für die Kinder beschäftigten in diesem Land, die die finanzielle Last gemacht werden muss. in diesem Staat tragen; 26 Millionen Menschen sind das. 1,7 Milliarden Euro würde das Kinderweihnachts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – geld pro Jahr kosten. 1,7 Milliarden Euro geteilt durch Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das sind 26 Millionen ergibt für jeden Leistungsträger in diesem keine Argumente gegen den Antrag!) Land im Schnitt 66 Euro an Belastung. Das heißt, eine deutsche Familie mit einem Kind, dessen Eltern Vollzeit – Ich finde, das ist ein Argument. Es ist das ganze Jahr arbeiten, bekommt gegebenenfalls 97 Euro extra, wird über nötig, dass wir was für Kinder tun, und das tun wir zugleich aber mit 132 Euro belastet. Es ist für sie also auch. Wir machen hier massiv Politik für Familien und kein Weihnachtsgeschenk, sondern Ihr Antrag kommt die stärken gerade Familien im unteren Einkommensseg- fleißige Familie teuer zu stehen. ment. (Beifall bei der AfD – Sebastian Brehm [CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) CSU]: Diesen Dreisatz habe ich nicht verstan- den!) Wir erhöhen sogar die Regelsätze, nicht nur bei Hartz IV Und Eltern, die den Kinderfreibetrag nutzen, die bekom- für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Das könnten men gleich gar nichts, die zahlen bei dieser Umverteilung Sie auch erwähnen; dann hätten Sie mit Ihrem Antrag nur drauf. auch ein bisschen tiefer steigen können. Auf der anderen Seite: Eine frisch eingereiste Asylbe- (B) Also wir machen eine ganze Menge. Ich denke, das werberfamilie mit 23 Kindern, vier Müttern und einem (D) ist immer noch ausbaufähig – keine Frage –; aber nicht Vater, mit so einer populistischen Maßnahme anderthalb Wo- chen vor Weihnachten, um den Leuten zu suggerieren: (Widerspruch bei der SPD und der LINKEN Wir können mal eben hier 1,7 Milliarden Euro übers Volk sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schütten. Das ist nicht ehrenwert, und ich denke, das soll- SES 90/DIE GRÜNEN) te man auch nicht tun. die bekommt 2 413,50 Euro extra durch Sie. Diese Per- version muss man sich einfach einmal vor Augen führen: Trotzdem wünsche ich allen schöne Weihnachten. Die Eltern, die arbeiten, um ihrem Kind etwas zu er- Vielen Dank. möglichen, müssen den Gürtel enger schnallen, und das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weihnachtsgeschenk fällt für dieses Kind gegebenenfalls der CDU/CSU) geringer aus, damit eine frisch zugewanderte Familie von Muslimen, die nicht einmal Weihnachten feiern, mehrere Tausend Euro zusätzlich bekommt. Das ist keine soziale, Vizepräsident Thomas Oppermann: sondern eine asoziale Politik. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- Martin Sichert für die AfD. KEN) (Beifall bei der AfD) Ihnen von der Linken geht es nicht um das Kindes- wohl, Ihnen geht es darum, möglichst viele Menschen in diesem Land vom Staat abhängig zu machen. Immer Martin Sichert (AfD): mehr Geld soll den Menschen aus den Taschen gezogen Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Manche und umverteilt werden. Bilden Sie sich nicht ein, dass Eltern denken sicher: Kinderweihnachtsgeld klingt gut, Sie gute Menschen sind! Denn gute Menschen helfen mit das hätte ich auch gerne. – Was aber wie eine schö- ihrem eigenen Vermögen, mit ihrem eigenen Geld, Sie ne Geste des Staates aussieht, ist nichts anderes als die aber geben ständig nur Geld aus, das Ihnen weder gehört Umverteilung von arbeitender Bevölkerung an jene, die noch das Sie erarbeitet haben. nicht arbeiten. (Beifall bei der AfD) (Widerspruch bei Abgeordneten der LIN- Anstatt dass Sie sich bei den Menschen bedanken, KEN) dass ihre Arbeit Ihre Wahlgeschenke überhaupt erst er- 8246 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Martin Sichert (A) möglicht, bekommen die Leistungsträger unserer Gesell- Olav Gutting (CDU/CSU): (C) schaft nur eine Watsche nach der anderen. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Be- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE sucherinnen und Besucher des Hohen Hauses! Pünktlich GRÜNEN]: Was ist mit den schwarzen Kas- zu den Festtagen haben wir heute diesen Antrag der Frak- sen? Sagen Sie mal was dazu!) tion Die Linke zur Einführung eines Kinderweihnachts- geldes auf der Tagesordnung. Zugleich – und das ist fast Die Leistungsträger unserer Gesellschaft, das sind nicht noch interessanter – soll der Bundestag feststellen, dass die Menschen auf der linken Seite hier in diesem Parla- Weihnachten „für viele Menschen die wichtigste Famili- ment, die Leistungsträger unserer Gesellschaft sind jene, enfeier“ ist und „die Möglichkeit, Weihnachten zu feiern, die mit ihrer Hände Arbeit Wohlstand schaffen: elementar zur gesellschaftlichen Teilhabe gehört“. Das nenne ich mal gute Symbolpolitik zum richtigen Zeit- (Zuruf der Abg. Dr. Franziska Brantner punkt. Mir war bisher jedenfalls nicht bewusst, dass sich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Linke so intensiv um christliche Feiertage bemüht Der Arbeiter, der seine Familie nur am Wochenende sieht und dass sie die Bedeutung von Weihnachten als christli- und unter der Woche müde ins Bett fällt, weil er jeden chem Feiertag in den Fokus stellt. Tag stundenlang hart körperlich arbeitet. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Olav, da hast du was gelernt!) GRÜNEN]: Die können davon profitieren!) Bei den endlosen Diskussionen der letzten Monate Der Polizist, die Hebamme, die Kindergärtnerin, die in hier in Berlin von Rot-Rot-Grün über die zusätzliche der Freizeit, die eigentlich der Erholung dienen sollte, Einführung eines Feiertages war Die Linke jedenfalls einen Zweit- oder gar Drittjob brauchen, weil sie sich nicht dadurch aufgefallen, dass sie sich zum Beispiel für sonst ihr Leben gar nicht leisten könnten. Wer bilden den christlichen Reformationstag ausgesprochen hätte. Sie sich eigentlich ein zu sein, diesen Menschen immer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr Geld wegzunehmen und damit staatliche Almosen ordneten der FDP – Dr. Gesine Lötzsch [DIE zu finanzieren, die es gar nicht bräuchte, wenn Sie den LINKE]: Weihnachten ist ja schon ein Feier- Mitbürgern nicht ständig tiefer in die Taschen greifen tag!) würden? Aber ich nehme zur Kenntnis, dass Ihnen das christliche (Beifall bei der AfD) Weihnachtsfest wichtig ist, und ich will sagen: Das freut Um es auf den Punkt zu bringen: Was hier im Bundes- mich. (B) (D) tag betrieben wird, insbesondere auf der linken Seite, ist (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist die moderne Form der Sklaverei. Die letzten 100 Jahre doch schön!) haben jeden bei Verstand eines gelehrt: Sozialismus ist keine Lösung, Sozialismus ist eine Katastrophe. Sozia- Vor etwa drei Jahrzehnten haben nämlich noch viele aus lismus bedeutet nicht Reichtum, sondern Armut für alle. Ihren Reihen über das Weihnachtsfest schmunzelnd als Ich bin sehr froh, dass die normalen Arbeitnehmer in die- Jahresendfeier gesprochen und es so verspottet. Das hat sem Land wieder eine Stimme haben, eine Stimme der sich offensichtlich geändert. Das nehme ich erfreut zur Freiheit, die sie vor der Ausbeutung und der Versklavung Kenntnis. durch den Staat schützt. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Was Sie im- (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der mer erzählen!) SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Aber lassen Sie uns sachlich argumentieren. Sie DIE GRÜNEN) wissen, dass die Entkoppelung des geforderten Kinder- Liebe Mitbürger in diesem Land, ich wünsche Ihnen weihnachtsgeldes vom Kinderfreibetrag der steuerlichen allen frohe Weihnachten! Und ich verspreche Ihnen: Systematik komplett widerspricht. Unser Steuerrecht Wir werden auch im nächsten Jahr den feuchten sozia- fordert eine steuerliche Freistellung des Existenzmini- listischen Träumen sowohl der Linkspartei als auch der mums. Was die Große Koalition im Rahmen des Fami- anderen Altparteien Einhalt gebieten. Freiheit statt Sozi- lienentlastungsgesetzes hier umgesetzt hat, ist mehr als alismus braucht dieses Land. ausreichend. Ihr Vorschlag würde zu einer maximalen Erhöhung des Kindergeldes um circa 100 Euro pro Jahr (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Sie führen; das haben wir hier schon gehört. Durch das von verteilen von unten nach oben mit Ihrer Steu- uns gerade beschlossene Familienentlastungsgesetz wird erreform!) das Kindergeld in der Endstufe aber um 300 Euro pro Kind erhöht werden. Ihr Vorschlag hinkt, wie wir hier Vizepräsident Thomas Oppermann: sehen, unserer Gesetzgebung erstaunlich hinterher. Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was der Kollege Olav Gutting. kommt davon bei den Hartz-IV-Betroffenen an?) (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was Was Sie fordern, ist systemwidrig. Das Kindergeld zu Ihren sozialistischen Träumen!) wird mit dem Kinderfreibetrag abgeglichen und verrech- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8247

Olav Gutting (A) net. In Ihrem Antrag schreiben Sie, der Kinderfreibetrag Ihr Antrag ist rein populistischer Natur. In der Re- (C) solle im Zuge der Zahlungen nicht angehoben werden, gel fordern Sie immer Freibier für alle. Heute variieren darüber hinaus solle Ihr Kinderweihnachtsgeld nicht auf Sie und sagen: Weihnachtspunsch für alle. Aber was Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch und auf den Un- Sie machen, ist, planlos umzuverteilen. Sie wollen vor terhalt angerechnet werden. Auch das ist systemwidrig. Weihnachten noch mal für gute Stimmung sorgen. Es in- teressiert Sie dabei nicht die Bohne, ob unsere Rechts- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das Sys- systematik durch die von Ihnen vorgeschlagene Ent- tem stimmt nicht!) koppelung des Kindergeldes vom Kinderfreibetrag zu Ich weiß, dass Sie es als Ungerechtigkeit betrachten, dass Schaden kommt. Um das zu verhindern, muss dem ein Kindergeld auf Hartz IV angerechnet wird, aber das ist Riegel vorgeschoben werden. Das genau tun wir heute systematisch völlig korrekt. mit der Ablehnung Ihres Antrags. In diesem Zusammenhang wird immer wieder be- (Beifall bei der CDU/CSU) hauptet, dass uns die Kinder von Hartz-IV-Familien we- niger wert wären als andere. Aber genau das Gegenteil ist Vizepräsident Thomas Oppermann: doch der Fall; denn gerade die Kinder aus Hartz-IV-Fa- Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der milien sind uns fiskalisch am teuersten und wichtigsten. Kollege Grigorios Aggelidis für die Fraktion der FDP. Sie bekommen am meisten vom Fiskus. Was Sie dagegen machen, ist: Sie werfen alles in einen Topf, rühren kräftig (Beifall bei der FDP) um, versuchen, von oben nach unten zu verteilen, ohne sich über die Kosten überhaupt Gedanken zu machen. In Grigorios Aggelidis (FDP): Ihrem Antrag – wir haben es schon gehört – findet sich Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen nichts über die haushälterischen Auswirkungen, nichts und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wün- über die Kosten. sche allen, dass sie in der Weihnachtszeit zur Ruhe kom- Es ist hier auch nicht zu erkennen, warum wir zum men und mit den Menschen wertvolle Zeit verbringen, Beispiel Leistungen für Kinder von Geflüchteten und die ihnen besonders am Herzen liegen. Menschen suchen Asylbewerbern nach Ihrem Vorschlag über das Hilfskon- ganz besonders und bewusst in dieser Zeit im Familien- strukt Einkommensteuergesetz erbringen sollen. Das eine und Freundeskreis das Miteinander, das Gefühl von Ge- hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Dies hat im borgenheit, ganz bewusst weg vom Kommerz und vom Einkommensteuerrecht überhaupt nicht zu suchen. Hier Materiellen. besteht überhaupt kein Anknüpfungspunkt. Deswegen ist Die Linke dagegen benutzt mit ihrem Antrag Weih- auch das abzulehnen. (B) nachten nur als einen weiteren Anlass, ihren Reflex nach (D) Wenn dieses Kinderweihnachtsgeld, das Sie hier vor- mehr Transferleistungen in eine andere, wie es tatsäch- schlagen, wenigstens dazu beitrüge, Kinderarmut zu be- lich hier anklang, populistische Verpackung zu stecken. kämpfen. Aber auch das ist nicht der Fall. Selbst der Kin- Denn Ihr Antrag ist nichts weiter als eine Erhöhung des derschutzbund – wir haben es vorhin schon gehört – sieht Kindergeldes ohne entsprechende Anpassung des Kin- darin gerade keinen Beitrag zur Bekämpfung der Armut derfreibetrages. von Kindern. Es ist schlichtweg der falsche Ansatz. Die Verbände, die Sie zitieren, fordern übrigens – so Wichtiger als den Weihnachtskonsum zu fördern, ist steht es in Ihrem eigenen Antrag – „eigenständige Leis- nämlich die Verbesserung der Bildungschancen, gerade tungen an Kinder, die nicht die Bedürftigkeit der Eltern für Kinder aus finanziell schwachen Familien. Dazu dis- voraussetzen“. kutieren wir in der Großen Koalition derzeit den Entwurf (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) eines Gesetzes zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinder- Sie machen genau das Gegenteil. Sie schließen dabei zuschlages und die Verbesserung der Leistungen für Bil- einen Großteil der Kinder in unserem Land aus. Wenn dung und Teilhabe. Sie für Kinder und ihre Familien nachhaltig was Gutes schaffen wollen, wenn Sie Kinderarmut endlich effektiv Mit diesem Starke-Familien-Gesetz wird gerade die bekämpfen wollen, dann müssen Sie weg vom Hamster- Gruppe, über die wir hier sprechen, deutlich höhere Un- rad der simplen Erhöhung, in der Hoffnung – seit vie- terstützung bekommen als das, was Sie hier vorschlagen. len, vielen Jahren in der vagen Hoffnung –, dass damit Das ist sachlich und fachlich missraten. Deswegen wer- irgendetwas passiert. den wir Ihren Antrag ablehnen. Kinderarmut und fehlen- de Teilhabemöglichkeiten – das will ich hier noch mal (Beifall bei der FDP) betonen – sind wichtige Themen. Das sind Herzensthe- men, auch bei uns in der Union. Wir von den Freien Demokraten jedenfalls denken da größer und radikaler. Wir, die Fraktion der Freien De- (Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] mokraten, haben deshalb einstimmig das Kinderchan- [DIE LINKE]) cengeld beschlossen. Dieses Konzept bietet nämlich den Kindern endlich nachhaltige Chancengerechtigkeit, und Uns allen hier ist doch daran gelegen, dass wir Kinder- zwar weit über das Materielle hinaus, was Sie nur im armut bekämpfen, aber mit den richtigen Ansätzen be- Blick haben. kämpfen, jedenfalls nicht so, wie Sie das hier vorschla- gen. (Beifall bei der FDP) 8248 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Grigorios Aggelidis (A) Im Kinderchancengeld werden alle bisherigen kin- behandlung vornimmt, weil das eben im Steuergesetz so (C) desbezogenen Leistungen endlich, muss man sagen, ge- überhaupt nicht vorgesehen ist. bündelt, vernetzt und vereinfacht. So entstehen eben drei Ich glaube, richtig ist, dass wir junge Familien ent- aufeinander abgestimmte Säulen, die zusammen die neue lasten wollen und dass wir natürlich auch Kinderarmut Förderung bilden und Kinderarmut effektiv bekämpfen. bekämpfen müssen. Doch was Sie fordern, haben wir in (Beifall bei der FDP) diesem Jahr schon lange umgesetzt, und zwar ohne Zu- stimmung der Linken. Ich will nur zwei Gesetzesinitiati- Die erste Säule ist der klar definierte Grundbetrag, ven aus diesem Jahr rausgreifen – eine kommt übrigens den alle Kinder automatisch bekommen. Die zweite Säu- auch morgen dran –, mit denen man genau entlarvt, wie le ist der Flexibetrag, der ganz bewusst die jeweiligen Sie Politik machen. Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern berücksichtigt. Die wichtigste Säule aber ist das Chancenpaket, das den Einmal das Familienentlastungsgesetz. Wir haben im Kindern endlich Bildung, Teilhabe und Chancengerech- ersten Schritt eine Kindergelderhöhung ab dem 1. Juli tigkeit bringt. Wir geben damit den Eltern das ganze Jahr 2019 in Höhe von 120 Euro im Jahr vorgenommen. In über die Sicherheit, dass ihre Kinder einen guten Start ins einem zweiten Schritt kommt es noch mal zu einer Erhö- Leben haben, und zwar jenseits der Entwicklung eines hung von 180 Euro, Familieneinkommens. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie (Beifall bei der FDP) viel kriegen die Hartz-IV-Kinder ausgezahlt? Wie viel?) Ihre übliche Forderung jetzt mit einer populistischen Schleife zu Weihnachten vorzulegen, ist ja vielleicht gut also insgesamt eine Erhöhung um 300 Euro pro Jahr. Das gemeint, liebe Kollegen von den Linken; aber das Ge- ist der dreifache Betrag von dem, was Sie fordern. Und genteil von gut gemacht. Ihre Geschenke, die abhängig was haben Sie gemacht? Sie haben diesem Gesetz nicht machen und im Zweifel nur eine Belastung für genau zugestimmt. Das ist letztlich irgendwo grotesk. diese Kinder in der nächsten Generation sind, gehören ( [DIE LINKE]: Was Sie ma- deshalb in die Tonne. chen, ist grotesk!) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Der Kinderfreibetrag wird erhöht. Die Entlastungen be- Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]) tragen 10 Milliarden Euro für junge Familien und für ein- Wir hingegen müssen Kindern alle Möglichkeiten bie- kommensschwache Familien. Dem hätten Sie bitte auch ten, ihren Weg zu gehen, ihre Zukunft zu gestalten. Dafür zustimmen müssen. setzen wir Freie Demokraten uns ein – das ganze Jahr (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) über und nicht nur zu Weihnachten. der SPD) Vielen Dank. Die zweite Gesetzesinitiative ist das Gute-Kita-Ge- (Beifall bei der FDP) setz, das morgen behandelt wird. Auch da kommt es bis zum Jahr 2022 zu einer Entlastung für Familien von 5,5 Milliarden Euro. Es geht genau darum, Familien mit Vizepräsident Thomas Oppermann: geringerem Einkommen komplett zu entlasten und auch Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der die Kitagebührenfreiheit herzustellen. Kollege Sebastian Brehm von der Fraktion CDU/CSU. Sie haben im Vorfeld in der Diskussion über den Ge- (Beifall bei der CDU/CSU – setzentwurf Ablehnung signalisiert. Also, wenn Sie wirk- [CDU/CSU]: Guter Mann!) lich Familien entlasten wollen, dann müssten Sie morgen zustimmen und nicht ablehnen. Daran wird sich zeigen, Sebastian Brehm (CDU/CSU): wie Ihre geistige Haltung ist. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tri- Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) büne! Wir sprechen heute mal wieder über den Antrag der Linken, der im November 2017 ja schon einmal vor- Sie werden morgen wohl ablehnen. Das ist genau das- gestellt wurde. Aber, liebe Kollegen: Wenn man einen selbe Prinzip wie bei dem Weihnachtskindergeld: Ableh- Antrag zweimal vorstellt, wird er leider trotzdem nicht nung am Morgen, und am Nachmittag fordern Sie genau besser. dasselbe in einem eigenen Antrag. Das ist Populismus in Reinform. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Scheinheilig!) Gern nutze ich noch mal die Gelegenheit, um über die Bitte, wenn Sie eine Entlastung wollen, müssen Sie mor- Systematik des Kindergelds zu sprechen. Beim Kinder- gen zustimmen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. geld geht es um die Freistellung des Existenzminimums (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und nicht um eine Sozialleistung. So ist es im Einkom- mensteuergesetz niedergeschrieben. Deswegen passt Anstatt Schaufensteranträge zu stellen so wie Sie, auch Ihr Antrag nicht, nämlich dass man ein Weihnachts- handeln wir. Übrigens dort, wo Sie Regierungsverant- geld eben nur segmentweise einführt und eine Ungleich- wortung tragen – in Berlin, Brandenburg und Thürin- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8249

Sebastian Brehm (A) gen –, ist die Kinderarmut am höchsten und wird am Mein letzter Punkt ist: Wenn Sie schon einen Antrag (C) wenigsten getan. durchbringen wollen, dann müssen Sie auch bitte sagen, wie Sie es finanzieren. Einfach einen Antrag ohne eine (Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Aha!) Gegenfinanzierung zu stellen, ist unseriös. Das gehört in dieser ganzen Debatte auch zur Wahrheit. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Unseriös! Ge- Dort, wo wir Verantwortung tragen, ist nämlich eine Ent- nau!) lastung von jungen Familien garantiert. Ich kann Ihnen ein Beispiel aus Bayern geben: Ab Wir haben jedes Gesetz gegenfinanziert. Wir haben einen dem 1. September 2018 ist ein Familiengeld in Höhe von Haushalt, der sogar Schulden zurückführt. Deswegen 250 Euro pro Monat eingeführt worden – nicht 96 Euro können wir auch diesen Schritt gehen und die Familien pro Jahr, sondern 250 Euro pro Kind und Monat. Das entlasten, und an diesem Schritt werden wir auch weiter- bedeutet 3 000 Euro pro Jahr und für das dritte Kind so- arbeiten. gar 3 600 Euro. Es kommt genau so an, wie Sie es wol- (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ len, nämlich ohne Anrechnung auf SGB-Leistungen. Da CSU]) müssen wir uns in der Tat noch durchsetzen. Das ist bay- erische Politik. Wahrscheinlich haben Sie gehofft, dass das Christkind einige Milliarden unter den Weihnachtsbaum legt. Aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ich will den Weihnachtsfrieden nicht länger stören, son- Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Genau!) dern will einfach sagen: Sie können reden. Wir setzen es um. Wir handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vizepräsident Thomas Oppermann: ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit. Fröhliche Herr Kollege Brehm, gestatten Sie eine Zwischenfra- Weihnachten! ge der Kollegin Lötzsch? Danke schön.

Sebastian Brehm (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ich würde jetzt fortfahren. Ingrid Arndt-Brauer [SPD])

Vizepräsident Thomas Oppermann: Vizepräsident Thomas Oppermann: Bitte sehr. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Kurzinterventionen lasse ich mit Blick auf die be- (B) reits erhebliche Zeitüberschreitung nicht zu. (D) Sebastian Brehm (CDU/CSU): Danke. – Also nicht 96 Euro, wie von Ihnen gefordert, Wir sind damit am Ende der Debatte und kommen zur sondern 3 000 Euro bzw. 3 600 Euro im Jahr: Das ist Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanz- Politik. ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einführung eines Kinderweihnachtsgeldes“. Übrigens: Die Kollegen in Sachsen und auch in Thü- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- ringen überlegen, ob man diesem Vorbild aus Bayern lung auf Drucksache 19/6276, den Antrag der Frakti- folgt. Deswegen: Anstatt Ihr Plakat hochzuhalten, hätten on Die Linke auf Drucksache 19/101 abzulehnen. Wer Sie lieber einen CDU-Aufkleber hochhalten müssen. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Wenn Sie junge Familien wirklich entlasten wollen, dann Grünen ist der Antrag mit der Mehrheit des Hauses an- müssen Sie nächstes Jahr in Thüringen und in Sachsen genommen. CDU wählen; dann werden Familien entlastet. Das ist vielleicht mal eine Anregung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis g sowie die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf: (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) 24. a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Tabea Rößner, Margit Stumpp, Luise Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können das in Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Bayern umsetzen, weil wir eben genau nicht die Neidde- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- batte führen, die Sie führen. Bei uns können Menschen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Geld verdienen; aber durch die soziale Marktwirtschaft Auskunftsrecht der Presse gegenüber leisten sie natürlich auch einen Beitrag für diejenigen, die Bundesbehörden (Presseauskunftsgesetz) weniger verdienen. Das nennt sich Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das ist ein Grundprinzip der sozialen Drucksache 19/4572 (neu) Marktwirtschaft. Es ist richtig, und es ist Vorbild für ganz Überweisungsvorschlag: Deutschland. Nicht Ihr System der Umverteilung, son- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) dern Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist, glaube Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ich, genau der richtige Weg. Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Federführung strittig 8250 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Überweisungsvorschlag: (C) Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Akbulut, weiteren Abgeordneten und der Ausschuss Digitale Agenda Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- Haushaltsausschuss wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Auf- g) Beratung des Antrags der Fraktionen der hebung des Genehmigungsvorbehalts der CDU/CSU und SPD Krankenkassen bei der Verordnung von Schutz von Weltnaturerbe und Entwick- Cannabis lungsziele in Einklang bringen – Al- Drucksache 19/6196 ternativen zum geplanten Bau des Me- gastaudamms „Stieglers Schlucht“ im Überweisungsvorschlag: tansanischen UNESCO-Weltnaturerbe Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Selous Wildreservat suchen c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 19/6414 rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Überweisungsvorschlag: setzes zu dem Abkommen vom 14. Au- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) gust 2017 zwischen der Bundesrepublik Auswärtiger Ausschuss Deutschland und der Republik Mauritius Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare über den Luftverkehr Sicherheit Ausschuss für Tourismus Drucksache 19/6289 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) ZP 6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Judith Skudelny, Olaf in der Beek, Frank Fraktion der FDP Sitta, weiterer Abgeordneter und der Frak- Marktwirtschaftlicher und effizienter Kli- tion der FDP maschutz – Wie wir mit weniger Geld mehr Meeresvermüllung durch Plastik Klima schützen können Drucksache 19/6286 (B) Drucksache 19/3172 (D) Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare heit (f) Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Entwicklung Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Haushaltsausschuss Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. , weiterer Abgeord- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Christian Dürr, Grigorios Aggelidis, Christine GRÜNEN Aschenberg-Dugnus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion FDP Unerlaubte Telefonwerbung und unseriö- se Geschäftspraktiken wirksam bekämp- Kapitalmarktunion vertiefen, Staatsschul- fen den entprivilegieren, TARGET2-Salden verringern Drucksache 19/3332 Drucksache 19/6416 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Finanzausschuss (f) Haushaltsausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut Ebbing, Katja Suding, Nicola Beer, Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der ten Verfahren ohne Debatte. FDP Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- 20 Jahre Washingtoner Erklärung – sungen; das sind die Tagesordnungspunkte 24 b bis 24 g Wirksamere Aufarbeitung der NS-Raub- sowie die Zusatzpunkte 6 a und 6 b. Interfraktionell wird kunst durch Restrukturierung und Digi- vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung talisierung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlos- Drucksache 19/5423 sen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8251

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (C) Federführung strittig ist; das ist der Tagesordnungspunkt hält sich? – Gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke 24 a. Interfraktionell wird Überweisung des Entwurfs und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen mit der eines Presseauskunftsgesetzes der Fraktion Bündnis 90/ Mehrheit des Hauses angenommen. Die Grünen auf Drucksache 19/4572 (neu) an die in der Tagesordnungspunkt 25 f: Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- rung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Die Frak- onsausschusses (2. Ausschuss) tion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Sammelübersicht 148 zu Petitionen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Drucksache 19/6118 Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also hält sich? – Gegen die Stimmen der AfD von der Mehr- Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbrau- heit des Hauses angenommen. cherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schlag? – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grü- Tagesordnungspunkt 25 g: nen, Die Linke und AfD. Wer stimmt dagegen? – Das Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- sind die SPD, die CDU/CSU und die FDP. Das Zweite onsausschusses (2. Ausschuss) war die Mehrheit. Damit ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt. Sammelübersicht 149 zu Petitionen Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Drucksache 19/6119 schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Feder- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer führung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen der Linken von der stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt Mehrheit des Hauses angenommen. dagegen? – Gegen die Stimmen der Fraktionen Bünd- nis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD mit der Mehrheit Tagesordnungspunkt 25 h: des Hauses angenommen. Damit ist so überwiesen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 25 c bis 25 n sowie den Zusatzpunkten 7 a bis 7 c. Es handelt Sammelübersicht 150 zu Petitionen sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen Drucksache 19/6120 keine Aussprache vorgesehen ist. (B) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (D) Wir fangen an mit den Beschlussempfehlungen des hält sich? – Gegen die Stimmen der AfD von der Mehr- Petitionsausschusses; das sind die Tagesordnungspunk- heit des übrigen Hauses angenommen. te 25 c bis 25 n. Tagesordnungspunkt 25 i: Tagesordnungspunkt 25 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 151 zu Petitionen Sammelübersicht 145 zu Petitionen Drucksache 19/6121 Drucksache 19/6115 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen? – Gegen die Stimmen der Fraktionen Bünd- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- nis 90/Die Grünen und Die Linke von der Mehrheit des tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 145 angenom- übrigen Hauses angenommen. men. Tagesordnungspunkt 25 j: Tagesordnungspunkt 25 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 152 zu Petitionen Sammelübersicht 146 zu Petitionen Drucksache 19/6122 Drucksache 19/6116 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Enthaltungen gibt es nicht. Gegen die Stim- tungen? – Einstimmig angenommen. men von AfD, Bündnis 90/Die Grünen und Linken von der Mehrheit des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 25 e: Tagesordnungspunkt 25 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) onsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 147 zu Petitionen Sammelübersicht 153 zu Petitionen Drucksache 19/6117 Drucksache 19/6123 8252 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wir kommen nunmehr zur (C) hält sich? – Gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung von FDP und Fraktion Die Linke von der Mehrheit des dritten Beratung übrigen Hauses angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Tagesordnungspunkt 25 l: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Grünen und der CDU/CSU. – Wer stimmt dagegen? – onsausschusses (2. Ausschuss) Das ist die Fraktion der FDP. – Wer enthält sich? – Das sind die Fraktionen der AfD und Die Linke. Damit ist der Sammelübersicht 154 zu Petitionen Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen. Drucksache 19/6124 Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Drucksache 19/6466 empfiehlt der Ausschuss, eine tungen? – Gegen die Stimmen von AfD, FDP und Frak- Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- tion Die Linke von der Mehrheit des übrigen Hauses an- schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun- genommen. gen? – Bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der AfD ist Tagesordnungspunkt 25 m: die Beschlussempfehlung von der Mehrheit des übrigen Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Hauses angenommen. onsausschusses (2. Ausschuss) Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 7 b: Sammelübersicht 155 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksache 19/6125 (neu) richts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Weyel, tungen? – Gegen die Stimmen von FDP, Bündnis 90/Die Norbert Kleinwächter, Corinna Miazga, weiterer Grünen und Die Linke von der Mehrheit des Hauses an- Abgeordneter und der Fraktion der AfD genommen. Keine EU-Steuern – Für Sparsamkeit bei dem Tagesordnungspunkt 25 n: mehrjährigen Finanzrahmen der EU Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Drucksachen 19/2572, 19/6400 (B) onsausschusses (2. Ausschuss) (D) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- Sammelübersicht 156 zu Petitionen fehlung auf Drucksache 19/6400, den Antrag der Frak- Drucksache 19/6126 tion der AfD auf Drucksache 19/2572 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist damit gegen gen? – Gegen die Stimmen von AfD, FDP, Bündnis 90/ die Stimmen der AfD angenommen und der Antrag ab- Die Grünen und Fraktion Die Linke von der Mehrheit gelehnt. des Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zu weiteren Beschlussempfehlun- Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 7 a: gen des Petitionsausschusses, Zusatzpunkte 7 c bis o. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Zusatzpunkt 7 c: regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsge- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- setzes onsausschusses (2. Ausschuss) Drucksachen 19/5463, 19/6288 Sammelübersicht 157 zu Petitionen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Drucksache 19/6442 ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- schuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Einstimmig angenommen. Drucksache 19/6466 Zusatzpunkt 7 d: Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- auf Drucksache 19/6466, den Gesetzentwurf der Bun- onsausschusses (2. Ausschuss) desregierung auf Drucksachen 19/5463 und 19/6288 an- zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Sammelübersicht 158 zu Petitionen zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt Drucksache 19/6443 dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von AfD und Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP von Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- der Mehrheit des übrigen Hauses angenommen. gen? – Einstimmig angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8253

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Zusatzpunkt 7 e: Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- (C) gen? – Gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- und der Fraktion Die Linke von der Mehrheit des übrigen onsausschusses (2. Ausschuss) Hauses angenommen. Sammelübersicht 159 zu Petitionen Zusatzpunkt 7 k: Drucksache 19/6444 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- onsausschusses (2. Ausschuss) gen? – Einstimmig angenommen. Sammelübersicht 165 zu Petitionen Zusatzpunkt 7 f: Drucksache 19/6450 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- onsausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Gegen die Stimmen von AfD, FDP, Bünd- nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke von der Sammelübersicht 160 zu Petitionen Mehrheit des übrigen Hauses angenommen. Drucksache 19/6445 Zusatzpunkt 7 l: Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- gen? – Bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ge- onsausschusses (2. Ausschuss) gen die Stimmen von den Fraktionen Die Linke und AfD von der Mehrheit des übrigen Hauses angenommen. Sammelübersicht 166 zu Petitionen Zusatzpunkt 7 g: Drucksache 19/6451 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- onsausschusses (2. Ausschuss) gen? – Gegen die Stimmen der Fraktionen der AfD und Die Linke von der Mehrheit des übrigen Hauses ange- Sammelübersicht 161 zu Petitionen nommen. Drucksache 19/6446 Zusatzpunkt 7 m: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- tungen? – Gegen die Stimmen der AfD von der Mehrheit onsausschusses (2. Ausschuss) (B) des übrigen Hauses angenommen. (D) Sammelübersicht 167 zu Petitionen Zusatzpunkt 7 h: Drucksache 19/6452 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Gegen die Stimmen von AfD, Bündnis 90/ Sammelübersicht 162 zu Petitionen Die Grünen und der Fraktion Die Linke von der Mehrheit des übrigen Hauses angenommen. Drucksache 19/6447 Zusatzpunkt 7 n: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Bei Enthaltung der Grünen gegen die Stimmen Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- der Fraktion Die Linke von der Mehrheit des übrigen onsausschusses (2. Ausschuss) Hauses angenommen. Sammelübersicht 168 zu Petitionen Zusatzpunkt 7 i: Drucksache 19/6453 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- onsausschusses (2. Ausschuss) hält sich? – Gegen die Stimmen von AfD und FDP bei Sammelübersicht 163 zu Petitionen Enthaltung der Fraktion Die Linke ist die Sammelüber- sicht mit der Mehrheit des übrigen Hauses angenommen. Drucksache 19/6448 Zusatzpunkt 7 o: Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Von der Mehrheit des Hauses und bei Enthaltung Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- der Fraktion Die Linke angenommen. onsausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 7 j: Sammelübersicht 169 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Drucksache 19/6454 onsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Sammelübersicht 164 zu Petitionen hält sich? – Gegen die Stimmen von AfD, FDP und der Fraktion Die Linke von der Mehrheit des übrigen Hauses Drucksache 19/6449 angenommen. 8254 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Damit sind wir mit den Sammelübersichten und Peti- Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkar- (C) tionen durch. ten abgegeben? – Sind da noch Kolleginnen und Kolle- gen in den Wahlkabinen? – Das ist nicht der Fall. Dann Ich rufe Zusatzpunkt 8 auf: schließe ich den Wahlgang. Das Ergebnis der Wahl wird Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Ich rufe die Zusatzpunkte 9 a bis 9 d – Wahlen zu (2. Wahlgang) Gremien – auf. Wir kommen zunächst zu zwei offenen Drucksache 19/6401 Wahlen und einer geheimen Wahl, jeweils mit Stimmkar- ten und Wahlausweisen. Danach folgt eine Wahl mittels Die Fraktion der AfD schlägt auf Drucksache 19/6401 Handzeichen. Bitte nehmen Sie dafür nach der geheimen die Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel vor. Wahl ihre Plätze wieder ein. (Beifall bei der AfD) Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinwei- Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmkarten, also se. Sie benötigen jetzt drei Wahlausweise in den Farben geheim. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Grün, Gelb und Blau. Bevor Sie bei dem jeweiligen Mitglieder des Bundestages erhält. Für diese Wahl benö- Wahlgang Ihre Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- tigen Sie Ihren rosa Wahlausweis aus Ihrem Stimmkar- fen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einer der tenfach. In Ihrem Stimmkartenfach finden Sie auch drei Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer an der weitere Wahlausweise für die nachfolgenden Gremien- Wahlurne. Die Stimmkarten in den Farben Grün und wahlen. Ihre Wahlausweise können Sie, – soweit noch Gelb sind für die offenen Wahlen; diese wurden bereits nicht geschehen, – den Stimmkartenfächern in der Lobby ausgegeben. Wer noch keine Stimmkarte hat, kann diese entnehmen. jetzt von den Plenarassistentinnen und Plenarassistenten Die jetzt folgenden Hinweise sind Ihnen vielleicht erhalten. schon geläufig, ich muss sie trotzdem verlesen. Sie gel- ten jeweils entsprechend für die nachfolgenden Gremi- Die Wahlen werden einzeln aufgerufen und durchge- enwahlen. führt. Gewählt ist jeweils, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags auf sich vereint. Das heißt, Die für die Wahl einer Vizepräsidentin gültige rosa wer mindestens 355 Stimmen erhält. Auf den Stimmkar- Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhalten ten sind die Namen der vorgeschlagenen Kandidatinnen Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an und Kandidaten aufgeführt. Sie können zu jedem Kan- den Ausgabetischen neben den Wahlkabinen. Die Wahl didatenvorschlag entweder „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte (B) ist geheim. Sie dürfen Ihre Stimmkarte daher nur in der mich“ ankreuzen. (D) Wahlkabine ankreuzen und müssen die Stimmkarte eben- falls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Die Wir kommen jetzt zu Zusatzpunkt 9 a, zur ersten of- Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflichtet, fenen Wahl: jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzuwei- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD sen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall jedoch vor- schriftsmäßig wiederholt werden. Gültig sind nur Stimm- Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi- karten mit einem Kreuz bei entweder „Ja“, „Nein“ oder ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- „Enthalte mich“. Ungültig sind Stimmen auf nichtamtli- haltsordnung chen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthal- Drucksache 19/6402 ten. Für die nun folgende Wahl brauchen Sie die grüne Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, Stimmkarte und Ihren grünen Wahlausweis. Auf Druck- müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer sache 19/6402 schlägt die Fraktion der AfD den Abgeord- an der Wahlurne Ihren rosa Wahlausweis übergeben. Die neten Marcus Bühl vor. Diese Wahl findet offen statt. Die Abgabe des Wahlausweises dient als Nachweis für die Stimmkarten können Sie also auf Ihrem Platz ankreuzen. Beteiligung an der Wahl. Kontrollieren Sie daher bitte, Bitte geben Sie an der Urne zuerst Ihren grünen Wahlaus- ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. weis ab, bevor Sie Ihre grüne Stimmkarte einwerfen.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer die nunmehr, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be- Schriftführer haben ihre Plätze eingenommen. Damit er- setzt? – Das ist noch nicht der Fall, und zwar fehlen noch öffne ich die Wahl und bitte Sie, zu den Ausgabetischen Vertreter der Opposition und der Koalition auf der rech- zu gehen. ten Seite des Hauses. Aufgrund mehrfacher Nachfragen will ich zwischen- durch für alle anderen, die nicht persönlich nachgefragt Ich sehe, wir sind komplett. Alle Urnen sind besetzt. haben, mitteilen: Wir setzen unmittelbar nach dem Ende Ich eröffne die erste Gremienwahl, Farbe Grün, Vertrau- dieser Wahl die Tagesordnung mit weiteren Wahlgängen ensgremium. fort. Es gibt also keine Pause. Wir werden das Ergebnis dieser Wahl erst später bekannt geben. 1) Ergebnis Seite 8271 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8255

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte Das heißt, Sie dürfen Ihre beiden Stimmkarten nur in der (C) eingeworfen, auch die Schriftführer? – Jetzt sehe ich nie- Wahlkabine ankreuzen und müssen beide Stimmkarten manden mehr, der hier mit einer Stimmkarte herumläuft, ebenfalls noch in der Wahlkabine in einen Umschlag le- die noch nicht abgegeben ist. Ich schließe den Wahl- gen. gang.1) Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 9 b: die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das der Fall? – Überall sind Schriftführer an den Wahlurnen. Dann eröff- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD ne ich den Wahlgang, Farbe Blau. Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß Ich mache darauf aufmerksam, dass wir nach diesem § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Wahlgang eine weitere Wahl durchführen werden, und Drucksache 19/6403 zwar die Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Bun- desstiftung Magnus Hirschfeld“. Diese werden wir hier Für die Wahl der zwei Mitglieder benötigen Sie nun in offener Abstimmung wählen. Ich bitte diejenigen, die eine gelbe Stimmkarte und Ihren gelben Wahlausweis. fertig sind, doch noch einmal ihre Plätze für diesen ab- Auf Drucksache 19/6403 schlägt die Fraktion der AfD schließenden Wahlgang einzunehmen. die Abgeordneten Albrecht Glaser und Volker Münz vor. Sie können bei beiden Kandidaten entweder „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“ ankreuzen. Auch diese Wahl fin- Vizepräsidentin Petra Pau: det offen statt. Das heißt, es kann wieder am Platz ge- Das Präsidium hat inzwischen gewechselt. wählt werden. Denken Sie an die Abgabe Ihres gelben Wahlausweises vor dem Einwurf der gelben Stimmkarte. Ich sehe, dass noch einige Abgeordnete herbeieilen, um natürlich von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Alle besetzt? – Das Ich mache darauf aufmerksam, dass wir unmittelbar ist der Fall. Dann eröffne ich den Wahlgang, Farbe Gelb, nach Schließung dieses Wahlganges noch eine Wahl vor- Gremium gemäß § 3 Bundesschuldenwesengesetz. zunehmen haben. Diese wird in offener Abstimmung hier im Plenum stattfinden. Um das Abstimmungsergebnis Haben alle ihre Stimmkarten abgegeben? – Da haben eindeutig feststellen zu können, wäre es sehr gut, wenn Sie aber ganz großes Glück gehabt. Ich habe noch nicht Sie, nachdem Sie gewählt haben, Ihre Plätze bitte wieder geschlossen. – Ist jetzt jemand da, der noch nicht abgege- einnehmen, sodass wir zügig in unseren Verhandlungen ben hat? – Das ist jetzt der allerletzte Aufruf. – Ich sehe fortfahren können. niemanden mehr. Damit ist der Wahlgang geschlossen. 2) (B) Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schrift- (D) Wir kommen nun unverzüglich zum Zusatzpunkt 9 c: führerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarten abgege- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD ben? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums mit der Auszählung zu beginnen.3) Die Ergebnisse aller gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- Wahlen werden Ihnen später bekannt gegeben. nismusgesetzes Wir kommen zu Zusatzpunkt 9 d: Drucksache 19/6404 Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Wir wählen in geheimer Wahl ein ordentliches Mit- glied sowie ein stellvertretendes Mitglied. Auf Drucksa- Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der che 19/6404 schlägt die Fraktion der AfD als Mitglied „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ den Abgeordneten und als stellvertre- Drucksache 19/6405 tendes Mitglied die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack-­ Winkemann vor. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/6405 vor. Wer stimmt für diesen Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für ergänzende Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Hinweise zum Wahlverfahren. Für diese Wahl benöti- sich? – gen Sie Ihren blauen Wahlausweis. Weiterhin benöti- gen Sie zwei Stimmkarten in Blau und Rot sowie einen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wahlumschlag. Die blaue Stimmkarte ist für die Wahl des ordentlichen Mitgliedes, die rote ist für die Wahl des Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen der Fraktion Die stellvertretenden Mitglieds. Beide Stimmkarten müssen Linke, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die in den einen Umschlag gelegt werden. Diese Unterlagen Grünen, der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion und der erhalten Sie von der Schriftführerin oder dem Schriftfüh- FDP-Fraktion gegen die Stimmen der AfD-Fraktion rer an den Ausgabetischen vor den Wahlkabinen. Zeigen (Jürgen Braun [AfD]: Nicht die Mehrheit der Sie dort bitte Ihren blauen Wahlausweis vor. Sie können CDU/CSU-Fraktion!) zu jedem Kandidatenvorschlag entweder „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“ ankreuzen. Die Wahl ist geheim. und bei Enthaltung einer erheblichen Anzahl von Mit- gliedern der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. 1) Ergebnis Seite 8271 C 2) Ergebnis Seite 8271 D 3) Ergebnis Seite 8271 D 8256 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf: zentrale Frage auf: Was passiert denn, wenn die Spätab- (C) treibung schiefgeht und das Kind nicht getötet wird und Aktuelle Stunde stirbt, sondern geboren wird und lebt? auf Verlangen der Fraktion der AfD (Zuruf von der LINKEN: Der Fötus!) Forderung der Jungsozialisten nach Abschaf- Dann liegt es auf dem OP-Tisch, 50 Zentimeter groß, fung des § 218 Strafgesetzbuch – Abtreibung 3 000 Gramm schwer und kämpft um sein Leben. Der bis zum neunten Monat Arzt, der dieses Kind gerade noch zerstückeln wollte, Bevor ich diese Aussprache eröffne, nutze ich die Zeit, muss es nun retten. die offensichtlich benötigt wird, um die entsprechende (Zuruf von der SPD: Übel! – Monika Lazar Ordnung in allen Fraktionsreihen herzustellen, für einen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist wi- Hinweis sowohl an alle Kolleginnen und Kollegen, die derlich, was Sie vortragen! – Weitere Zurufe aber sicherlich wissen, nach welchen Regeln eine Aktu- von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE elle Stunde abläuft, als auch an die Besucherinnen und GRÜNEN) Besucher. In der nun folgenden Aktuellen Stunde gibt es keine Möglichkeit für Zwischenfragen oder -bemer- Die Fragen der Delegierten haben genau gezeigt, dass die kungen oder Kurzinterventionen. Bis auf eine Ausnahme Jusos exakt wussten, was sie da beschlossen haben. Sie haben alle Rednerinnen und Redner der Fraktionen fünf wollten das Töten von Babys erlauben. Minuten Redezeit, und ich bin auch fest entschlossen, hier Gerechtigkeit walten zu lassen. Das heißt, wenn ich (Zuruf von der AfD: Pfui!) Sie darauf aufmerksam mache, dass Sie auf die Redezeit Was ist das für ein Menschenbild? Es ist nicht das Men- achten sollen, sind Sie tatsächlich am Ende Ihrer Rede- schenbild unserer Kultur und auch nicht das Menschen- zeit. Und wenn Sie sich nach diesem Hinweis trotzdem bild unserer Zivilisation. nicht vom Rednerpult trennen können, werde ich Ihnen dabei Hilfe leisten (Beifall bei der AfD) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und Der Skandal ist aber nicht nur der Beschluss, son- der FDP) dern das laute Schweigen der Presse, des SPD-Bundes- vorstands, der SPD-Familienministerin und auch das mit dem Knopf, den ich hier vor mir habe, mit dem ich Schweigen der Union und der Amtskirchen. dann das Mikrofon abschalten kann. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der NEN]: Sie können nur diffamieren! Das ist (B) FDP) das Einzige, was Sie können!) (D) So viel zum Prozedere. Wir appellieren an Sie: Nehmen Sie diese Aktuelle Stun- Wir kommen jetzt zur Aktuellen Stunde, welche auf de heute zum Anlass, Ihr Schweigen zu beenden. Ich Verlangen der Fraktion der AfD stattfindet. weiß, dass Kollegen von CDU und CSU über diesen Be- schluss genauso schockiert sind wie wir. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge- ordnete Beatrix von Storch für die AfD-Fraktion. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir sind über Sie schockiert!) (Beifall bei der AfD) Sagen Sie das auch! Auch Koalitionspragmatismus hat Grenzen. Beatrix von Storch (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der AfD) Worum geht es? Die Jusos haben auf ihrem Bundeskon- Weichen Sie nicht aus! Relativieren Sie nicht, indem Sie gress am 1. Dezember die Streichung der §§ 218 und sagen, der Beschluss der Jusos sei unangemessen! 219 StGB beschlossen. (Jürgen Braun [AfD]: Verfassungsfeindlich (Beifall bei der LINKEN) sind die Jusos!) Für die Nichtjuristen: Eine Streichung des § 218 bedeutet Dieser Beschluss ist nicht unangemessen, sondern ein die Legalisierung der Abtreibung bis zum neunten Mo- Anschlag auf das Leben und auf das Grundgesetz. nat. (Beifall bei der AfD) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lesen hilft bekanntlich! Im Antrag In Artikel 2 des Grundgesetzes heißt es: steht was ganz anderes!) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Un- Ein lebensfähiges, voll ausgewachsenes Kind darf dann versehrtheit … auch noch eine Minute vor der Geburt getötet werden. Deswegen ist Abtreibung eine Straftat und nur unter ganz (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- bestimmten Bedingungen straffrei gestellt. Den Lebens- NIS 90/DIE GRÜNEN) schutz zu streichen, ist ein Anschlag auf das Herz der Verfassung. Um nicht ungerecht zu sein: Es gab auf dem Juso-Kon- gress auch Gegenstimmen. Eine Delegierte warf die (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8257

Beatrix von Storch (A) Wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der sprechend vortragen. Ich bitte trotzdem darum, sich einer (C) SPD, von dieser Forderung nicht distanzieren, müssen parlamentarischen Ausdrucksweise zu befleißigen. Sie sich diese Forderung zuschreiben lassen. Sie sollten sehr gut darüber nachdenken, ob Sie die Chance jetzt (Widerspruch bei der AfD) nicht nutzen wollen, sich von der Babymörderfraktion in Die Bezeichnung einer wie auch immer verfassten Grup- Ihrer Jugendorganisation abzugrenzen; pe als „Babymörderfraktion“ zähle ich persönlich nicht (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD, dazu, und diesen Hinweis stelle ich jetzt hier in den der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Raum. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, denn Ihr Schweigen macht einen verheerenden Eindruck. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn die Jusos mit breiter Mehrheit das Recht auf Ab- GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Das ist völ- treibung bis unmittelbar vor der Geburt, also das Töten liger Unsinn! Die Zwischenrufe waren ganz von lebensfähigen Kindern, fordern und sich die SPD anders hier aus Ihrer Fraktion, Frau Pau!) davon nicht distanziert, sondern gleichzeitig die Legali- – Auch den Parlamentarischen Geschäftsführern der sierung der Werbung für Abtreibung zur Schicksalsfrage Fraktion der AfD dürfte bekannt sein, wie und wo Kritik ihrer Koalition macht, dann drängt sich der Schluss ge- an der Amtsführung der Präsidentinnen und Präsidenten radezu auf: Die Entwertung und Zerstörung ungeborenen vorgetragen und verhandelt wird, jedenfalls nicht hier im menschlichen Lebens ist für die SPD und ihre Parteiju- Plenum. gend offensichtlich ein politisches Herzensanliegen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Beifall bei der AfD) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn Sie diesem Eindruck entgegentreten wollen, GRÜNEN) dann handeln Sie. Die Forderung, die Kindstötung zu le- Sollten Sie dieses wünschen, haben wir dazu ein ande- galisieren, rechtfertigt Parteiausschlussverfahren. res Gremium, welches auch in dieser Woche noch tagen (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kann, gar kein Problem. NEN]: Es geht nicht um Kindstötungen!) Wir fahren jetzt in der Debatte dort. Das Wort hat Sie wollten Thilo Sarrazin ausschließen wegen kritischer die Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker für die Äußerungen zum Islam. Wenn Sie jetzt nicht gegen die- Fraktion der CDU/CSU. jenigen vorgehen, die die Babytötung legalisieren wol- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) len, dann ist die Botschaft der SPD klar. (D) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): GRÜNEN]: Hören Sie mal auf, so einen Mist Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hier zu erzählen! Steht überhaupt nicht drin in Wir erinnern uns vielleicht: Im September 2017 – das dem Antrag!) war im Wahlkampf – sprach eine junge Frau mit Down- Die Kritik am Islam ist gegen die Parteilinie, syndrom die Kanzlerin darauf an, dass Menschen wie sie durch Spätabtreibung bis unmittelbar vor der Geburt (Helin [DIE LINKE]: Das getötet werden können, ihnen das Lebensrecht abgespro- war billiger Rassismus!) chen wird. Ich glaube, Natalie Dedreux hatte damals alle die Legalisierung von Kindermord offenbar nicht. Es Sympathien auf ihrer Seite, und ich finde, sie hatte vor geht um Kinder, die neun Monate alt und voll lebensfä- allem recht: Es ist schwer erträglich, es ist ein Zynismus, hig sind. dass Menschen, weil sie krank sind, weil sie behindert sind, durch Spätabtreibung sozusagen am Leben gehin- (Beifall bei der AfD) dert werden können aus dem Gedanken heraus, dass es ihren Eltern, ihrer Mutter nicht zuzumuten sei, mit Die AfD gibt Ihnen durch diese Aktuelle Stunde die diesem Kind zu leben. Es ist deshalb ein Skandal, weil Chance, sich von den Jusos zu distanzieren und eine rote das Potenzial, das diese Menschen mitbringen, total ab- Linie zu ziehen. Nutzen Sie sie. Ich will Ihnen gerne gewertet wird, nicht anerkannt wird, und es ist deshalb glauben, dass auch die übergroße Mehrheit der SPD kei- ein Skandal, weil hier im Ergebnis unterschieden wird ne Babymörderpartei sein will. Sie haben jetzt die Gele- zwischen gesunden und behinderten Babys. Deshalb genheit, das zu zeigen. hier noch einmal ganz klar: Ein behindertes Kind hat ein Vielen Dank. Lebensrecht um seiner selbst willen. Es ist Mensch, un- abhängig davon, ob es für seine Eltern oder die Gesell- (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- schaft eine positive Erfahrung bedeutet oder mit Lasten NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!) verbunden ist.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Es ist hier natürlich möglich und auch notwendig, Die Jusos haben nun einen Vorschlag gemacht, der dass jede Fraktion und jede Rednerin und jeder Redner auch für mich schwer erträglich ist, der unter anderem jeder Fraktion die Sachverhalte, die den Fraktionen am dazu führen würde, die Ungleichbehandlung aufzuheben. Herzen liegen und die sie hier thematisieren wollen, ent- Sie schlagen vor, für alle Kinder Regeln gelten zu lassen, 8258 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) nach denen ohne jede Beratung, ohne jede Befristung Basis zu einer Versachlichung der Debatte kommen und (C) eine Abtreibung bis unmittelbar vor der Geburt möglich dass wir gemeinsam überlegen können, wie wir die Infor- wäre. Sie bestreiten das Lebensrecht des Kindes bis zur mationen über die Praxen, in denen Abtreibungen durch- Geburt. Es wurde gesprochen von irgendwelchen Unge- geführt werden, verbessern. Ich glaube, da haben wir uns borenen, die doch keine Rechte haben. Dementsprechend etwas vorgenommen. Auf diesem Weg wollen wir auch kommt das ungeborene Kind in dem ganzen Beschluss konstruktiv zusammenarbeiten. auch nirgendwo vor. Anscheinend kommt es in der Ge- dankenwelt der Jusos überhaupt nicht vor. So ist jeden- Danke. falls die Diskussion verlaufen. (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Den Gegnerinnen der Jusos, die das dann auch ange- Vizepräsidentin Petra Pau: merkt und kritisiert haben, wurde vorgeworfen, sie hätten Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Katrin nicht das richtige feministische Bewusstsein. Ich glaube, Helling-Plahr das Wort. das ist die Höchststrafe bei den Jusos, wenn man vor- (Beifall bei der FDP) geworfen bekommt, nicht das richtige feministische Be- wusstsein zu haben. Katrin Helling-Plahr (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Ich glaube, das war ziemlich neben der Sache. Herren! Aktuelle Stunden können verlangt werden, um Themen von allgemeinem, aktuellem Interesse zu debat- Unser Recht, unsere Verfassung sieht es jedenfalls tieren. Solche Themen betreffen regelmäßig das Verhal- anders. Nach unserem Verfassungsauftrag haben wir ten der Bundeskanzlerin oder der Bundesregierung, oder als Staat von Anfang an die Pflicht, ein Kind, auch ein es geht auch um Einsätze unserer Truppen im Ausland. ungeborenes Kind, zu schützen. Das Verfassungsgericht Für die AfD gibt es diese Woche offenbar nichts Wich- sagt eindeutig, dass sich das Ungeborene als Mensch und tigeres als einen Beschluss des Bundeskongresses der nicht zum Menschen entwickelt, von Anfang an, und da- Jungsozialisten. raus wird sein Lebensrecht, seine Würde abgeleitet. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Nun habe ich mich selbst jahrelang intensiv in einer Ich glaube, jeder, der einmal in das Gesicht eines politischen Jugendorganisation, bei den Jungen Libera- neugeborenen Kindes geblickt hat, hat ein unmittelbares len, engagiert. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist ohne Verständnis davon, dass da eine kleine Person mit ho- (B) Zweifel von hoher Bedeutung und immenser Wichtig- (D) hem Selbstbestimmungsrecht und Anspruch liegt und keit. Dass sich nun der Bundestag mit einem Beschluss dass sich das nicht erst im Moment der Geburt entwi- des Juso-Bundeskongresses befassen soll, ist aber doch ckelt, sondern in einer kontinuierlichen Entwicklung von ein bisschen viel des Guten. Und, sehr geehrte Damen Anfang an, von dem Beginn an, wo das Individuum mit und Herren von der AfD, ich will lieber gar nicht wissen, seinem Bauplan praktisch feststeht. Wenn wir davon re- was die Junge Alternative auf ihren Kongressen alles so den, dass Frauen es sich nicht leicht machen, dass sie den beschließt. Konflikt spüren, dann setzt das doch gerade voraus: Ein Konflikt besteht nur dann, wenn auf der anderen Seite (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD auch ein Rechtsträger steht. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Ulle bei Abgeordneten der LINKEN – Alexander Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Graf Lambsdorff [FDP]: Niemand will das sollten den Antrag einmal lesen!) wissen!) Wenn Frauen hier einen Konflikt empfinden, dann ha- Offenbar jedenfalls Sprengstoff genug, um den Verfas- ben sie das Gespür dafür, dass in ihrem Bauch ein Kind sungsschutz in einigen Ländern auf den Plan zu rufen. heranwächst, das eigene Rechte hat. Deshalb hat der Staat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten eine Schutzpflicht, und dieser müssen wir nachkommen. der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und Es ist ein tragfähiger Kompromiss, dass wir in den ersten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zwölf Wochen diesen Schutz nicht durch das Strafrecht anbringen wollen, sondern durch die Beratung. Aber es Aber nun zur inhaltlichen Fragestellung: ist eine Pflicht des Staates, hier eine Beratung zum Leben (Beifall bei Abgeordneten der AfD) zu ermöglichen und diese vorzusehen. Das Bundesverfassungsgericht hat wie folgt ausgeführt: (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als Es muss dazu kommen, dass es Hilfen gibt, und das alles selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Ver- vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass jedes Kind real fassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Die nur mit der Mutter und nicht gegen sie geschützt werden Schutzpflicht des Staates verbietet nicht nur unmit- kann. Insofern ist das ein guter Kompromiss. telbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Ganz kurz zu den neuen Eckpunkten, die uns die Mi- Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schüt- nister vorgelegt haben. Ich hoffe, dass wir auf dieser zend und fördernd vor dieses Leben zu stellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8259

Katrin Helling-Plahr (A) Die Forderung der Jusos ist mithin offensichtlich die frühzeitige Aufklärung unserer Kinder unterbinden (C) verfassungswidrig und dementsprechend eigentlich gar wollen. nicht diskussionswürdig. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN (Jürgen Braun [AfD]: Ach!) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen wäre es zunächst einmal vornehmste Auf- Da nutzt es nichts, wenn Ihre Jugendorganisation seri- gabe der Jusos gewesen, ihre Mutterpartei anzutreiben. öse Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Liebe Jusos, mit etwas weniger radikalen Forderungen Aufklärung, Kondome zu benutzen, skandalisiert. Aber wäre es euch vielleicht auch gelungen, eure Mutterpartei der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, so war der Pres- davon zu überzeugen, bei § 219a StGB den Rücken gera- seberichterstattung ja auch zu entnehmen, dass Frau von dezumachen und sich nicht von der CDU ins Bockshorn Storch die Wirksamkeit von Kondomen angezweifelt hat. jagen zu lassen. (Heiterkeit bei der FDP und der SPD – Bei- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ fall des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Es fragt sich, ob sie dafür eigentlich einen goldenen LINKEN) ­Aluhut erhalten hat. Der langersehnte GroKo-Kompromiss schafft nun Abschließend: In der ethisch bedeutsamen Abtrei- leider nur eine Scheinlösung. Denn so falsch die Forde- bungsthematik brauchen wir einen breit getragenen ge- rungen der Jusos sind, so wichtig ist es, dass Frauen ein sellschaftlichen Konsens. Den haben wir – von Rege- umfassendes sachliches, auch ärztliches Informations- lungsbedarf rund um § 219a StGB abgesehen – erreicht. angebot erhalten, wenn sie eine Abtreibung in Betracht ziehen. Denn bei dem ethisch so bedeutsamen Thema (Jürgen Braun [AfD]: Unterirdisch! – Abtreibung geht es gerade auch um das Thema Selbstbe- ­Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schämen soll- stimmungsrecht der Frau. ten Sie sich!) Deutsche Frauen haben bereits in den 70er-Jahren Es braucht Zeit, und wir haben eine Lösung, die so- erstritten, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht in die wohl den Lebensschutz als auch das Selbstbestimmungs- Hände von Engelmacherinnen in Hinterzimmern gehö- recht berücksichtigt. Aufgeregte Schaufensterdiskussio- ren. nen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der AfD: Läppisch dummes Ge- der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- tue!) SES 90/DIE GRÜNEN) (B) wie Sie sie hier heute veranstalten, nützen niemandem (D) Noch heute sind unter medizinisch schlechten Bedingun- und werden dem Thema nicht gerecht. gen durchgeführte Abbrüche eine der häufigsten Todes- ursachen für Frauen weltweit. Ich behaupte: Keine Frau Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. hat sich je und wird sich eine Entscheidung gegen das (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- ungeborene Leben in ihrem Bauch leicht machen. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei neten der LINKEN – Armin-Paulus Hampel Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE [AfD]: Schämen Sie sich!) GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn wir eines nicht brauchen, liebe AfD, dann ist es Nächster Redner ist Dr. Karl Lauterbach für die die gesellschaftliche Rolle rückwärts, zurück ins Mittel- SPD-Fraktion. alter. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Un- Dr. Karl Lauterbach (SPD): glaublich! Zum Thema! Sie drücken sich um Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen eine Stellungnahme!) und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen: Die Debatte, die wir hier führen, betrifft ein wichtiges Es ist gut und wichtig, dass wir in einer Gesellschaft ethisches Thema, aber die Sprache, in der sie seitens der leben, in der offen über Sexualität und auch Verhütung AfD geführt wird, ist schockierend, nicht angemessen gesprochen wird – auch um einer späteren Abtreibung und ein Tiefpunkt der Debattenkultur. vorzubeugen. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ­Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sagen Sie das GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ihren Jusos!) Peinlich! Peinlich!) Sie werfen alles durcheinander. Da nutzt es nichts, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, dass Sie im Kampf gegen von Ihnen zu Wahl- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sagen Sie das kampfzwecken erfundene angebliche Frühsexualisierung Ihren Jungsozialisten!) 8260 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Karl Lauterbach (A) Sie machen keinen Unterschied zwischen einem Fötus, Das heißt, das Informationsangebot wird besser. (C) einem Baby und einem Kind. Sie machen keinen Unter- schied. (Zuruf der Abg. [DIE LINKE]) (Zurufe von der AfD) Das Ergebnis ist, dass wir mehr Informationen haben und Bevor das Kind geboren ist, ist es ein Fötus. Es macht keine Werbung. Das ist genau das, was wir benötigen. einen Unterschied, ob ein Kind oder ein Fötus abgetrie- Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. ben wird. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nehmen Sie (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Unglaublich! Stellung zu Ihrem Juso-Beschluss und nicht Das sagen Sie als Arzt! Peinlicher geht es zu § 219a! Sie Drückeberger!) doch gar nicht!) – Ich komme jetzt zu Ihrer Hetze, keine Sorge. Nicht jede Tötung ist ein Mord. Die Art und Weise, wie Sie die Debatte hier führen, vergiftet jede ethische Debat- Bei § 218 ist es in der Tat eine Ethikentscheidung. Das te, eine ethische Debatte, wie wir sie hier im Haus drin- ist eine Gewissensentscheidung. Sie haben gezeigt, wie gend benötigen. man diese Debatte hier nicht führen sollte. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ausgerechnet [AfD]: Ah!) die AfD sich darüber Sorgen macht, dass die Jusos auf Was hier passiert, ist doch ganz einfach: Die von Ihnen dem Boden des Grundgesetzes stehen. bekannte allgemeine Hetze gegen Flüchtlinge wird jetzt (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie haben ausgedehnt auf eine Hetze gegen schwangere Frauen. einen Eid geleistet! Unerhört!) Das ist doch, was hier abgeht. Das ist ein Hohn. Es hat doch keine Jugendorganisation (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem von Parteien dieses Parlaments mehr Probleme mit dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Grundgesetz als Ihre Jugendorganisation. der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist das Letzte! – Jürgen Braun [AfD]: Das ist (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN eine Zumutung!) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin ebenfalls im Inhalt nicht der Meinung des Ju- (B) Der Hintergrund der Debatte ist doch § 219a. Bei (D) sos-Antrags. Als Arzt sage ich: Abtreibung im achten § 219a ist meine Position als Arzt ganz simpel. Monat ohne medizinische Indikation würde ich persön- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Es geht um lich ablehnen. Trotzdem ist das Anliegen der Jusos ein Ihre Jusos, es geht nicht um 219! Nicht um nobles Anliegen. Werbung, um Mord!) (Lachen bei der AfD – Selbstverständlich ist es richtig, dass wir Ärzte über [CDU/CSU]: Jetzt ist aber gut!) Eingriffe, die wir legal durchführen können, auch infor- mieren dürfen. Das ist eine Selbstverständlichkeit, eine – Ja, es ist ein nobles Anliegen. – Worum geht es denn? Klarheit. Die Jusos wollen verhindern, dass Frauen kriminalisiert werden, an den Pranger gestellt werden, mit dieser Ent- (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN scheidung alleingelassen werden, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Es ist genauso selbstverständlich, dass wir für solche neten der SPD) Eingriffe nicht werben dürfen. Wir dürfen für keinen unserer Eingriffe werben. Wir sind keine Kaufleute. Wir Entscheidungen, die durch Männer mit verursacht wer- sind Ärzte. Daher ist es auch falsch, zu sagen: Das ist den, wahrscheinlich auch durch Mitglieder Ihrer Frakti- eine Gewissensentscheidung. – Ich brauche mein Gewis- on. sen nicht zu konsultieren, um zu wissen, dass ein legaler Eingriff durch einen Arzt auch der Information durch den (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Arzt bedarf. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen diese Debatte ohne Polemik führen. Wir (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem brauchen eine Debatte, die den ethischen Charakter wür- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- digt. Bei § 219a haben wir eine gute Lösung: Werbung geordneten der FDP) nein, Information ja. Es ist daher auch ein guter Kompromiss. Wir stellen (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir sind bei Informationen zur Verfügung, wir stellen sie durch die § 218!) Ärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitli- che Aufklärung zur Verfügung. Wir müssen aber vorsichtig sein, dass wir nicht auf ein Niveau herabrutschen, wo ethische Debatten im Bun- (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) destag unmöglich werden durch eine Verhetzung von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8261

Dr. Karl Lauterbach (A) Menschen und insbesondere durch die Verhetzung von fordert. Völlig richtig! Von Abbrüchen bis zum neunten (C) Frauen. Schwangerschaftsmonat steht da kein Ton drin, Frauen an den Pranger zu stellen, ist unwürdig. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) NEN) Jede Frau macht sich diese Entscheidung schwer, und die das ist wirklich Ihrer voll kranken Fantasie entsprungen. Zahl der Abtreibungen ist seit 1995 um 25 Prozent zu- rückgegangen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Warum haben dann die jungen Sozialdemokraten genau so (Jürgen Braun [AfD]: Was sind Sie denn für argumentiert?) ein furchtbarer Mediziner?) Die AfD meint jetzt, die Aktuelle Stunde nutzen zu müs- Ich kenne keine Frau, die sich diese Entscheidung leicht sen, um davor zu warnen, dass bald womöglich schwan- macht. gere Frauen im achten Monat plötzlich feststellen: Ach, (Zuruf von der AfD: Darum geht es hier nicht! ich will jetzt keine weiteren Wochen schwanger sein, ich Hier geht es um das Kind! Interessiert Sie das mache mal eine Spätabtreibung. – Das ist doch Schwach- überhaupt?) sinn! Sie tun hier, als wenn es eine Entscheidung wäre, die mit (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie Mord und Totschlag gleichzusetzen ist. Das ist schäbig, bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- meine sehr verehrten Damen und Herren. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Güte, welche Frau würde das tun! Und welcher der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Arzt, welche Ärztin würde das zulassen! Das ist völlig GRÜNEN) irre. Aber es war zu erwarten, dass wir von der AfD hier Vizepräsidentin Petra Pau: solche Aktuellen Stunden beschert kriegen. Das rechte und rückschrittliche Frauenbild geht nun mal von der Das Wort hat die Abgeordnete Cornelia Möhring für Vorstellung aus, dass Frauen ohne Pflichtberatung und die Fraktion Die Linke. ohne willkürlich festgelegte Fristen nicht selber entschei- (B) (Beifall bei der LINKEN) den können, ob sie ein Kind wollen oder nicht – eine Vor- (D) stellung, die meint, dass Frauen nicht in der Lage sind, selbst einzuschätzen, wann sie medizinischen Rat brau- Cornelia Möhring (DIE LINKE): chen und oder nicht. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das grenzt ja an Absurdistan. Hier werden Vermutlich ist es leider verschwendete Lebenszeit, kranke Zerstückelungsfantasien zum Besten gegeben. erneut zu erklären, dass auch Frauen vernunftbegabte Sie, Frau Winkelmeier-Becker, machen aus einer Debat- Wesen sind. te, in der es um etwas völlig anderes geht, eine ethische (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Debatte zur Spätabtreibung und zucken nicht mal, wenn neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Sie nur Beifall von der AfD bekommen. Das erschüttert GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: mich wirklich. Bei einigen Exemplaren habe ich meine Zwei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- fel! – Weiterer Zuruf von der AfD: Unglaub- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- lich!) SES 90/DIE GRÜNEN) Das wollen aber leider die AfD und anscheinend auch Ich finde, diese Debatte ist echt eine Farce. große Teile der Union nicht verstehen. Der Beschluss der Jusos ist eigentlich so, dass er hier Ich versuche es mal mit einem positiven Beispiel aus verabschiedet werden sollte. dem befreundeten Ausland: In Kanada gibt es die Hal- tung, dass auch Frauen Menschen sind, die nicht erst (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der durch überwiegend von Männern gemachte Gesetze vor AfD) sich selbst geschützt werden müssen. Dort gilt: Schwan- gerschaftsabbrüche sind einfach eine ärztliche Leistung – Ich zitiere einmal: Dort steht, dass „die aktuellen gesetz- ohne gesetzliche und erst recht ohne strafrechtliche Ein- lichen Regelungen in den §§ 218 ff. und §§ 219 ff. StGB schränkung. Die Folge: sinkende Abbruchraten, und zu rechtlicher Unsicherheit, Kriminalisierung und gesell- die meisten Schwangerschaftsabbrüche werden bis zur schaftlicher Stigmatisierung nicht nur für (ungewollt) zwölften Woche vorgenommen und mitnichten später. Schwangere, sondern eben auch für Ärzt*innen“ führen. Zitat Ende. Dann wird in dem besagten Beschluss skiz- Das interessiert aber unsere ideologisch verblendeten ziert, welche Folgen dieser Zustand hat, und die Strei- Hardliner wohl wenig, und es interessiert anscheinend chung beider Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch ge- auch nicht diejenigen, denen das Kindeswohl nur so 8262 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Cornelia Möhring (A) lange am Herzen liegt, solange sie damit Kontrolle über Vizepräsidentin Petra Pau: (C) weibliche Körper erlangen können. Das Wort hat die Abgeordnete Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: SES 90/DIE GRÜNEN) Himmel, lass Hirn regnen!)

Ehrlich gestanden kann ich mir die Doppelmoral der Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Union anders nicht erklären. Sie verantworten, dass Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2,4 Millionen Kinder in Armut leben; Sie verantworten, Was wir heute hier erleben, ist ein Paradebeispiel für das, dass Familien über Kontinente getrennt sind und sich was die AfD-Fraktion als politischen Auftrag versteht, nicht wiedersehen können; nämlich Skandale herbeizureden, wo es keine gibt. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der Sie verantworten, dass schwangere Frauen in Abschiebe- LINKEN – Armin-Paulus Hampel [AfD], auf haft genommen werden – ich finde, es ist pure Heuchelei, die linke Seite des Hauses zeigend: Da ist der was Sie hier zum Lebensschutz erzählen. Skandal, Frau Schauws! Da sitzt er! Ist doch nicht unser Beschluss!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Es ist kein Skandal, dass die Jusos auf ihrem Parteitag GRÜNEN) ein gesellschaftlich wichtiges Thema, nämlich einen An- trag auf straffreien Schwangerschaftsabbruch von Frau- Eine weitere Farce, liebe Kolleginnen und Kollegen en, debattieren und über den Antrag abstimmen. Aber es von der SPD, wäre es aber auch, wenn Sie all das mit- wird zum Skandal, wenn Sie diesen Beschluss nehmen tragen und die Eckpunkte, die gestern zum Kompromiss und daraus Fake News machen, vorgeschlagen wurden, stimmen. Denn dann wäre das kein Kompromiss, sondern vor allem der Beweis Ihrer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eigenen Schwäche und Ihres Opportunismus. Angesichts sowie bei Abgeordneten der SPD und der dieses möglichen erneuten Versagens der SPD, Haltung LINKEN) zu zeigen, hilft dann auch der wirklich gute Beschluss (B) der Jusos nicht. Denn das, was gestern Abend als Eck- wenn Sie mit bösartigen Verdrehungen und fehlerhafter (D) punkte für die lange versprochene Lösung präsentiert Wiedergabe des Inhalts falsche Behauptungen aufstellen. wurde, ist schlechter als ein fauler Kompromiss, es ist Das ist nicht nur hoch kritikwürdig, das ist unverantwort- eine volle Nullnummer. lich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sowie bei Abgeordneten der SPD und der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) LINKEN) Es ändert sich nichts, der § 219 bleibt im Strafgesetz- Wir wissen – und Sie wissen –, dass im Juso-Antrag buch. Und als wäre der Union damit nicht schon ausrei- nirgendwo was von einer Abtreibung bis zum neunten chend gedient, es werden sogar Geschenke für die selbst- Monat steht. Was hingegen dort steht, ist, dass man eine ernannten „Lebensschützer“ aufgenommen, indem ihr Neuregelung finden will, die man noch diskutieren muss. Vokabular sogar übernommen wird. Sie schreien ungeachtet dieser Zeilen „Skandal!“, ob- wohl Sie gar nicht wissen können, wie diese Neurege- Ich muss gestehen: Auch wenn das Verhalten der Mi- lung außerhalb des Strafgesetzbuches aussehen soll. Sie nisterinnen jetzt keine so große Überraschung für mich verzerren Wahrheiten, weil Sie ganz offensichtlich über war, hatte ich doch auf mehr Konsequenz von den Sozial- das Thema Abtreibung in einer skandalisierenden Weise demokraten gehofft. Aber nun gut! Die Abschaffung des reden wollen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen! § 219a, die wir ja nachher noch mal diskutieren, hätte ein gemeinsamer Sieg hier sein können. Jetzt habt ihr euch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anscheinend auf die falsche Seite gestellt. Ich sage aber: sowie bei Abgeordneten der SPD und der Die Linke gibt nicht auf. Wir wollen, dass Schwanger- LINKEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja, schaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch stehen. klar!) Übrigens freue ich mich sehr, dass auch die Jugendor- Im Landtag von Baden-Württemberg hat Ihr Kollege ganisation der Linken, Solid, und der Studierendenver- von der AfD es diese Woche so auf die Spitze getrieben, band SDS genauso gute Beschlüsse gefasst haben wie die genau bei diesem Thema, sich dermaßen danebenbenom- Jusos. men, dass er mit Polizeibegleitung aus der Sitzung gelei- tet werden musste. Vielen Dank. ( [AfD]: Das hat jetzt nichts (Beifall bei der LINKEN) mit dem Thema zu tun!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8263

Ulle Schauws (A) Ich kann nur sagen: Das ist megapeinlich für die AfD. rechtes Hexenwerk. Bei Ihren Wahnvorstellungen – ich (C) kann das nicht anders bezeichnen – fühlt es sich so an, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dass Sie wirklich im Mittelalter stehen geblieben sind; SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der zumindest kann ich das jeden Tag bei den Debattenbei- LINKEN) trägen von Ihrer Seite so wahrnehmen. Ich sehe es wie der Kollege von der SPD: Es könnte auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Ablenkungsmanöver von Ihrer rechtsradikalen Ju- sowie bei Abgeordneten der SPD und der gendorganisation sein; dieses Eindrucks kann man sich LINKEN) hier nicht erwehren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Für uns Grüne steht das Ziel einer gleichberechtigten SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- Gesellschaft im Mittelpunkt. Wir wollen eine Gesell- KEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hat keiner schaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind Kindermord vorgeschlagen!) und auf Augenhöhe. Wir wollen endlich gleichen Lohn Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber auch (Zuruf von der AfD: Es geht um die Kinder!) ganz klar, worüber wir hier heute reden müssen – ohne für gleichwertige Arbeit, eine paritätische Besetzung die Skandalisierungsversuche der AfD –: Wir müssen in den Parlamenten, in Wirtschaft, Kultur und Medien. reden über eine gute, umfassende Versorgung von unge- Wir sollten das Ehegattensplitting endlich angehen, für wollt Schwangeren, über Rechtssicherheit von Ärztinnen mehr Prävention und Schutz bei Gewalt sorgen – auch in und Ärzten; bundespolitischer Verantwortung –, für alle Frauen. Di- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Denken Sie gitalisierung mit Diversität, Armut von Frauen im Alter mal an die Kinder!) und bei Alleinerziehenden – da fehlen immer noch gute Lösungen. Die bedrückenden Probleme des Sexismus – wir müssen reden über eine Haltung, in der ungewollt das hat uns die Me-too-Debatte eindrucksvoll vor Augen Schwangere nicht diffamiert und moralisch verurteilt geführt –, auch hierfür brauchen wir Lösungen. Das Glei- werden, che gilt für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind Themen, über die wir reden sollten, wo wir Konzep- sowie bei Abgeordneten der SPD und der te und Lösungen vorlegen müssen. Dafür würde es sich LINKEN) lohnen, auch sehr kontrovers hier zu streiten. über reproduktive Rechte von Frauen, die ohne unein- Aber das interessiert Sie als AfD alles nicht, Sie nut- geschränkte Selbstbestimmung nicht denkbar sind, über zen diese Aktuelle Stunde für Lösungsvorschläge für (B) (D) eine emanzipatorische, positive, stärkende Gesellschaft. Frauen jedenfalls nicht, sondern nur, um Ihre Hetze los- zuwerden. Ich hoffe auf eine qualifiziertere Debatte heu- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, man sollte mei- te Abend über § 219a. nen, aus den vielen Debatten um den § 219a in den letz- ten 13 Monaten und den vielen Informationen auch aus Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. der Fachanhörung seien Erkenntnisse bei der Regierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angekommen. Darum ist es auch für mich umso unglaub- sowie bei Abgeordneten der SPD und der licher, dass es in dem auf den allerletzten Drücker gefun- LINKEN) denen Kompromiss zu § 219a nicht zu einer klaren Re- gelung und zu Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte gekommen ist. Stattdessen tun Sie als Bundesregierung Vizepräsidentin Petra Pau: alles, um auf keinen Fall den § 219a streichen zu müs- Das Wort hat der Abgeordnete Ingmar Jung für die sen – nur um dieses Tabu aufrechterhalten zu können. CDU/CSU-Fraktion. Das ist absurd, das ist unausgegoren – aber diese Debatte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) führen wir heute zu einem späteren Zeitpunkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AfD unterstellt Ingmar Jung (CDU/CSU): Frauen bei den Debatten um den § 218 doch, verant- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss wortungslos zu handeln; Sie haben es gerade genau so sagen: Als ehemaliger Landesvorsitzender der Jungen gemacht. In Ihrer Vorstellung brauchen Frauen Geset- Union bin ich schon ein bisschen neidisch, dass es die ze, und am besten das Strafgesetzbuch mit Gefängnis­ Jusos geschafft haben, dass wir hier eine Aktuelle Stunde androhung. In Ihrer Vorstellung gibt es jedes Jahr über am Donnerstagmittag darauf verwenden, um über einen 100 000 Mörderinnen in Deutschland. – Das ist das Bild Beschluss des Juso-Bundeskongresses zu reden. Das von Schwangeren in einer ungewollten Notsituation, das Thema, um das es hier geht, ist ein wichtiges; damit müs- ist das Bild von Schwangeren, die abtreiben müssen. Sie sen wir uns beschäftigen, und das tun wir auch dauernd. reden von Tötungskliniken, von Kindstötung, und Sie ha- Aber ob es dabei unbedingt um Anträge der Jusos gehen ben heute noch ganz andere Begriffe verwendet; das ist muss, weiß ich nicht. das Vokabular, das Sie benutzen. In Ihrer Vorstellung ist der Feminismus an all dem schuld; bei Ihnen ist allein der Die Jusos beschließen doch jedes Jahr, irgendet- Begriff „Feminismus“ schon ein rotes Tuch. Für Sie ist was abzuschaffen: Einmal waren es die Noten, dann, das Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft mit Selbst- 2016, wollten sie die Grenzen abschaffen. 2015 haben bestimmung, sexuell-reproduktiven Rechten ein regel- sie beschlossen, den Tatbestand der Staatsbeleidigung 8264 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Ingmar Jung (A) abzuschaffen – mit einem Antrag unter dem Titel „Ey, spätestens seit gestern nach dem gemeinsamen Auftritt (C) Deutschland, du mieses Stück Scheiße“. Das alles ist ein der Ministerinnen und Minister wissen, ist das doch auch Stück weit untergegangen, weil es keiner so hochgeho- keine Position, die von der SPD hier geteilt wird. Das ben hat wie die AfD. Sie haben es geschafft, dass wir wird niemand behaupten. mitten im Bundestag über Juso-Anträge reden. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Da haben Sie (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es geht um Kin- bei Herrn Lauterbach nicht zugehört!) dermord!) Ich verstehe, Herr Kollege Lauterbach, dass Sie ver- Ich kann nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, Kevin suchen, die eigene Jugendorganisation zu schützen und Kühnert! deswegen ein bisschen drumrum argumentiert haben; das würden wir vielleicht auch so machen. Aber man muss (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der doch sagen: Wir verschwenden hier wirklich viel Zeit CDU/CSU und der SPD) auf einen Antrag der Jusos. Es wäre besser, wir könn- Wenn man sich den Antrag genau anschaut – ich weiß ten uns dem Problem sachgemäß, ordentlich und verant- nicht, wer das alles gemacht hat –, wortungsvoll widmen, meine Damen und Herren. Ob die SPD das anders sieht – da bin ich bester Dinge. Das (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE werden wir, glaube ich, heute Abend in der Debatte um GRÜNEN]: Wahrscheinlich die Wenigsten!) § 219a sehen. Deswegen gehe ich jetzt nicht weiter da- rauf ein, wir werden heute Abend noch über § 219a spre- dann stellt man fest, dass das echt schräg ist, was dort chen können. drinsteht. Er beginnt mit der Forderung, für ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung einzutreten. Aus dieser Aber eines will ich noch sagen: Wenn man sich die- Überschrift kann man schon eine gewisse Zielrichtung sen Antrag und diesen Beschluss anschaut, dann erkennt ablesen. Dann beschäftigt man sich im gesamten An­ man ein klassisches Muster. Es wird ein hochemotional tragstext nur mit der einen Seite des Problems, näm- besetztes Thema genommen, man nimmt eine plakati- lich mit der Selbstbestimmungsfrage. Das verfassungs- ve Überschrift, man geht bewusst über die Grenzen des rechtlich garantierte Recht auf Leben und die staatliche Comment hinaus, provoziert noch ein bisschen, am Ende Schutzpflicht für das ungeborene Leben werden im macht man ein paar Fake News hinein, wie mit dieser ganzen Antrag mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das Bundestagsdrucksache – und wunderbar, es wird sich ein macht diesen Antrag und diesen Beschluss auch so in- politischer Gegner finden, der am Ende darauf anspringt. diskutabel. Sie haben das gemacht. Wenn Sie mich fragen, ob das eine Art ist, Politik zu betreiben, die wir gutheißen soll- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) ten, dann meine ich: Nein. Dass aber ausgerechnet die (D) ordneten der FDP) AfD auf dieses Muster reinfällt, das ist wirklich erstaun- Das sollte eigentlich gesellschaftlicher Konsens sein. lich und abenteuerlich. Nur sollten Sie sich das nächste Mal vielleicht ein anderes Thema suchen. Es geht aber so weiter. Es werden einige Dinge ge- streut, und dann hat man als großen Beweis eine Bun- Herzlichen Dank. destagsdrucksache herangezogen, die die Meinung der (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Jusos bestätigen soll. Das klingt so offiziell, so formal, AfD: Ihre Kollegin war besser!) eine Bundestagsdrucksache! Wenn man sich diese Bun- destagsdrucksache aber heraussucht, dann stellt man fest, dass es sich um einen Gesetzentwurf von 1991 von der Vizepräsidentin Petra Pau: damaligen Bundestagsgruppe der Grünen handelt. Darin Das Wort hat der Abgeordnete Martin Reichardt für erklären sie, dass es in der DDR zwar besser war als in die AfD-Fraktion. der BRD, aber auch nicht gut genug, und legen einen Ge- (Beifall bei der AfD) setzentwurf vor, in dem in § 1 ein Rechtsanspruch auf Schwangerschaftsabbruch konstituiert wird. Das ist diese Martin Reichardt (AfD): formale Bundestagsdrucksache. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Der beste Vorschlag – im ironischen Sinne – ist dann, und Herren! im weiteren Verlauf das Schwangerschaftskonfliktgesetz in Schwangerschaftsgesetz umzubenennen, weil es ja (Dr. [DIE LINKE]: Ein keinen Konflikt zwischen den widerstreitenden Rechts- Mann redet von Schwangerschaft!) gütern gibt. Das ist im Ergebnis alles schon ziemlich Walnussbäume mit einem Umfang von mehr als 60 Zen- schräg. timetern dürfen ohne Genehmigung nicht gefällt werden. Autobahnen werden nicht gebaut, weil eine Fledermaus- Wenn man die Debatten, die wir in den letzten Wo- kolonie schützenswert ist. Der Juso-Beschluss ermög- chen hier miteinander geführt haben, noch ein bisschen licht es nun, dass eine Nadel durch den Bauch der Mutter in Erinnerung hat, dann weiß man, dass eine solche Po- in das Herz des Ungeborenen gestoßen wird, um dessen sition weder irgendetwas mit dem gesellschaftlichen Tod durch das Injizieren von Kochsalzlösung herbeizu- Konsens zu tun hat noch irgendetwas mit einer mögli- führen. chen Verfassungsmäßigkeit und insofern eigentlich auch wirklich nicht ernst zu nehmen ist, hier im Parlament (Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜND- möglicherweise nur von der Linkspartei. Aber, wie wir NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8265

Martin Reichardt (A) Meine Damen und Herren, dieser Beschluss der Jusos ist Jusos offensichtlich die Mehrheit stellen, meine Damen (C) eine Grausamkeit und Unmenschlichkeit, wie sie in der und Herren. Nachkriegsgeschichte Deutschlands einmalig ist. (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei Abge- (Beifall bei der AfD – Dr. Karl Lauterbach ordneten der SPD) [SPD]: Das sagen Sie!) Im „Handelsblatt“ ruderte der Juso-Vorsitzende Er ist ein Beschluss, dessen Umsetzung zu einer Auf- ­Kühnert denn auch politisch zurück. Er sagte: nahme in die Reihe der größten Unmenschlichkeiten und Es mag naiv ... gewesen sein zu glauben, man kön- Kulturbrüche der ganzen Menschheitsgeschichte führen ne die Zurücknahme der geltenden Regeln fordern, würde. ohne gleichzeitig einen konkreten Vorschlag zu un- terbreiten ... (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wer will das denn Ein paar Sätze weiter sagt er: umsetzen? Kein Mensch will das umsetzen! Das wissen Sie ganz genau!) Uns ging es darum, in einer sensiblen ethischen Fra- ge klar Position zu beziehen … Ungeborene Babys mit Armen und Beinen, die ihre Die klare Position der Jusos kennen wir: Ein ungebore- Augen zum Schlafen schließen und die Berührungen nes Leben hat eben keine Rechte und ist infolgedessen durch die Bauchdecke wahrnehmen können, sollen laut auch nichts wert, meine Damen und Herren. diesem Beschluss keine Rechte in Deutschland mehr ha- ben. Zitat: Irgendwelche Ungeborenen haben juristisch (Beifall bei der AfD) eh keine Rechte, sagte eine Genossin von Ministerin Giffey und von Frau Nahles. Gegnern, die dem wider- Weiterhin beklagt Herr Kühnert einen Shitstorm von sprachen, wurde pathetische Rhetorik vorgeworfen. Ich vermeintlich Rechten, die mit „widerlichsten Methoden“ nenne die Rhetorik der Jusos in der Frage zu werdendem auf die notwendige Diskussion reagieren. Widerlich, Leben eine entmenschlichte Rhetorik, eine Rhetorik, die meine Damen und Herren, ist nur eines, widerlich ist der ans Ende der humanen Gesellschaft führt, meine Damen Beschluss der Grünen – der Jusos. und Herren. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) – Aber die Grünen passen da ja auch mit rein.

(B) In China und auf dem Balkan werden Mädchen abge- (Beifall bei der AfD) (D) trieben, weil Väter einen Stammhalter wollen, weil Mäd- Was Herr Kühnert einen Shitstorm nennt, das ist ein chen dort nichts wert sind. Aufstand der Anständigen, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) NEN]: Was hat das jetzt mit dem Thema zu tun?) ein Aufstand, der zeigt, dass die Zeit zu Ende geht, in der linke Ideologen jede Form der Perversion in gesellschaft- In Deutschland stellen die Jusos ein von Linken perver- lichen Fortschritt umdeuten können. tiertes Selbstbestimmungsrecht der Frau über das unge- borene Leben. (Beifall bei der AfD) Es ist ein Aufstand derer, die anders als die Jusos noch (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: über Menschlichkeit verfügen und den Willen haben, die Übelst!) Menschenrechte in Deutschland zu verteidigen und zu Das ist ein Angriff auf das ungeborene Leben. Ich sehe schützen. dort keinen Unterschied zu jenen Vätern, die ihre Töchter (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- abtreiben wollen, um einen Stammhalter zu zeugen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und an der Grenze schießen sie auf Kinder!) (Beifall bei der AfD) Auf dem Bundeskongress der Jusos hat sich die un- Ich hätte von meinen ehemaligen Genossen – zum menschliche Fratze linker Ideologie gezeigt, die Kinder Glück sind sie es nicht mehr – eine klare Aussage erwar- tötet und überall von Humanität faseln will. tet, ein klares Nein zu diesem Beschluss, (Beifall bei der AfD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Die Menschen wollen kein pervertiertes Selbstbestim- ein klares Nein zum Töten von Kindern und ein lautes Ja mungsrecht, das sich über ungeborenes Leben setzt. Sie zum Schutz menschlichen Lebens. wollen eine Familienministerin, die sich schützend vor kleine Hände, kleine Arme, kleine Beine stellt, vor he­ (Beifall bei der AfD) ranwachsendes Leben. Das wollen die Menschen. Ihr bis heute letztlich andauerndes Schweigen macht Sie (Beifall bei der AfD – Dr. Karl Lauterbach zum Komplizen jener Menschenverächter, die bei den [SPD]: Abstoßend!) 8266 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Martin Reichardt (A) Die wichtigste Diskussion, die wir hier ethisch im Ich gehe nicht leichtfertig mit dem Thema um, weil (C) Bundestag zu führen haben, meine Damen und Herren, ich mich noch gut erinnern kann, wie wir Jahrzehnte um ist die Diskussion, warum Frauen in Deutschland über- den Kompromiss des § 218 StGB gerungen haben, den haupt zur Abtreibung genötigt sind. wir heute haben. Wir haben ihn mühsam miteinander er- stritten. Wenn man die Debatten heute und auch in den (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE letzten Monaten verfolgt hat, kann man sich vorstellen, GRÜNEN]: Schreien Sie doch nicht so!) was das für eine Leistung war. Trotzdem sage ich: Na- türlich hat jede Generation das Recht, solche gefunde- Vizepräsidentin Petra Pau: nen Kompromisse infrage zu stellen. Das ist eigentlich Herr Reichardt, setzen Sie bitte einen Punkt. auch die Pflicht jeder Generation. Ich freue mich, dass die Jusos das im Kern tun und dass wir die Debatten noch Martin Reichardt (AfD): einmal führen. Das ist mir allemal lieber als Junge Li- berale, die mir ihrer rückwärtsgewandten, strukturellen Ich schließe mit dem Talmud – da werden Sie mich Nähe zum Rechtsextremismus frauenfeindlich bis zum wohl nicht unterbrechen –: Abwinken sind. Deshalb freue ich mich, dass die Jusos Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es ange- vielleicht auch mal übers Ziel hinausschießen. rechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Was? – Zuru- es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört. fe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: – Junge Alternative. Entschuldigen Sie bitte ausdrück- Sie kommen jetzt zum Schluss. lich!

Martin Reichardt (AfD): (Lachen bei der AfD – Dr. Alexander Gauland Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen und Ih- [AfD]: Man sollte denken in seiner Rede! ren Familien ein frohes Weihnachtsfest. Hören Sie auf! Gehen Sie weg vom Pult! So was Dämliches! – Gegenruf der Abg. Dagmar (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann Ziegler [SPD]: Ach, Herr Gauland! Lachen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten Sie nur!) sich schämen! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) So ist es halt; ich meinte Sie. Aber ich habe ja sofort ge- (D) merkt, dass Sie sich angesprochen gefühlt haben. Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Die reaktio- Das Wort hat die Abgeordnete Leni Breymaier für die nären Liberalen! Ich wusste es doch!) SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ich finde, dass wir auch berücksichtigen sollten, dass wir es mit der Debatte um den § 218 StGB und seiner Beratungspflicht bundesweit und auch in Baden-Würt- Leni Breymaier (SPD): temberg zusammen geschafft haben, dass wir inzwischen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die historisch niedrigste Abbruchrate haben, die wir je Meine Damen und Herren! Herr Reichardt, auch wenn hatten. Sie Ihre kruden Argumente in den Saal brüllen, haben Sie nicht für 5 Cent mehr recht. (Tino Chrupalla [AfD]: Was hat das damit zu (Martin Reichardt [AfD]: Ich habe drei Kin- tun? – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die Ju- der! Deswegen stehe ich hier!) sos werden das ändern! Da haben Sie recht!) Das ist ja wirklich unerträglich. Insofern sollten wir das, was als Kompromiss gefunden wurde, nicht infrage stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich weiß auch gar nicht, wie es bei der AfD zugeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Armin-­ Bei uns werden Anträge geschrieben, werden Konferen- Paulus Hampel [AfD]: Das muss doch umzu- zen abgehalten. Die Jusos haben einen Beschluss gefasst. drehen sein, Frau Breymaier! – Dr. Alexander Dieser Beschluss wird dem SPD-Bundesparteitag vorge- Gauland [AfD]: Ja, wir schaffen das!) legt; da wird er diskutiert werden, da gehört das hin. Ich weiß gar nicht, was dieses Thema heute hier verloren hat. Meine Kolleginnen und Kollegen, Ziel jeder Debat- te über Abtreibungen muss es sein, dass Frauen selbst- (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) bestimmt entscheiden können, und jede Frau trifft ihre Entscheidung nicht leichtfertig, sondern verantwortungs- Aber den Herrn Kühnert wird es sicher freuen. bewusst. Wir wissen auch, dass die Anzahl der Abtrei- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Zum Thema, bungen in den unterschiedlichen Ländern nicht unbe- Frau Kollegin!) dingt davon abhängt, ob Straffreiheit vorherrscht oder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8267

Leni Breymaier (A) nicht. Die Anzahl der Abtreibungen hängt davon ab, was und konservative Politiker vorwerfen lassen, sie führten (C) Frauen für ihre Kinder an Rahmenbedingungen sehen. Scheingefechte. Das Werbeverbot für Schwangerschafts- abbrüche sei nicht so schlimm. Heute, nach dieser Aktu- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulle ellen Stunde, weiß das ganze Land, was Ihre eigentliche Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Agenda ist. Wer hier heute bestreitet, dass die rechtliche Zu diesen Rahmenbedingungen gehören natürlich Dinge Konsequenz der Streichung des § 218 StGB die Lega- wie: Finde ich eine bezahlbare Wohnung für die größer lisierung der Abtreibung – im schlimmsten Fall bis zur werdende Familie? Gibt es eine anständige Kinderbe- Geburt – ist, ist entweder naiv oder grob unehrlich. treuung? Das sind Dinge, an denen wir arbeiten. Niemand soll vermuten, dass deswegen die Diskussi- Die Anzahl der Abtreibungen hängt auch davon ab, on derer, die das wünschen, nach der Abschaffung des wie gut oder schlecht und wie flächendeckend die Sexu- § 219a StGB vorbei sei. Niemand soll vermuten, bei der alaufklärung an den Schulen ist und wie niedrigschwel- Abtreibung bis zum neunten Monat sei das Ende der De- lig der Zugang zu Verhütungsmitteln. Darüber haben wir batte erreicht. Es stellt sich dann die zwingende Frage, uns zu unterhalten und nicht über irgendwelche Fantasi- warum ein Kind, das vielleicht mit acht Monaten auf die en, die Sie hier ausleben. Welt kommt, mehr Recht auf Leben haben soll als eines, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das mit acht Monaten noch im Mutterleib lebt. Die logi- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sche Folge – sie ist Realität, nicht Fiktion –: Im „Journal of Medical Ethics“ vertraten bereits 2011 zwei australi- Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Gauland: Mit sche Forscher den Standpunkt, dass die Tötung von Kin- einer Partei, die es gerade einmal schafft, 10,6 Prozent dern auch nach der Geburt möglich sei, als sogenannte – Frauen in dieses Parlament zu schicken, rede ich nicht man höre – postnatale Abtreibung; denn eine Person ist über eine so elementare Frauenfrage. ein Baby nach Auffassung der Lebensfeinde ebenso we- nig im Mutterleib wie auch in den ersten Monaten nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Geburt. der LINKEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Doch! Gerade reden wir darüber! Sie merken Wir hören heute viel von Selbstbestimmungsrechten ja, wie gut es ist, dass wir reden!) der Frau. Tatsache ist jedoch: In 50 Prozent der Fälle ste- Was mir noch wichtig ist und vielleicht dazu führt, hen Frauen unter externem Druck. Ich rede von Arbeitge- dass die Anzahl der Abtreibungen auch bei uns sinkt, ist, bern, von Vätern und von anderen, die Druck auf Frauen, dass sich die Männer nicht nur als Erzeuger sehen, son- auf Mütter ausüben, die gerade deshalb zu keiner freien dern auch das Selbstverständnis haben, sich an der Sor- Entscheidung mehr kommen. Wenn es Ihnen also heu- (B) gearbeit zu beteiligen. te tatsächlich um die Selbstbestimmtheit der Frau geht, (D) dann erwarte ich Sie an dieser Stelle an unserer Seite, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- an der Seite der blauen Partei, dann erwarte ich, dass ten der LINKEN und der Abg. Ulle Schauws der externe Druck auf Frauen endlich aufhört. Wir müs- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sen diejenigen unter Strafandrohung stellen, die diesen Ich schließe mit dem Satz: Meine lieben Kolleginnen Druck auf Frauen in einer emotionalen Ausnahmesituati- und Kollegen, jedes Kind hat das Recht, erwünscht zu on ausüben. Wer auch immer Druck auf eine schwange- sein. re Frau ausübt, damit diese eine Abtreibung durchführt, muss bestraft werden. Wir können damit vermutlich bis (Zuruf von der AfD: Recht auf Leben!) zur Hälfte aller Abtreibungen in Deutschland verhindern. Ich freue mich, die Debatte dort fortsetzen zu können, Schwangerschaft ist keine Krankheit, kein Schönheits- wo sie hingehört, nämlich beim SPD-Bundesparteitag. fehler und kein Mangel. Sie ist der Ausdruck natürlichs- Da werden Sie leider nicht dabei sein. ter Weiblichkeit. Bismarck hat gesagt: Einer Frau mit (Dagmar Ziegler [SPD]: Gott sei Dank!) Kinderwagen hat selbst der stolzeste Soldat von Sedan aus dem Weg zu gehen. – Das ist ein Gesellschaftsbild, Schönen Dank. von dem wir meilenweit entfernt sind. Helfen wir dabei, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass wir den Wert neuen Lebens wieder wertschätzen. der LINKEN) Lassen Sie uns dafür sorgen, dass Frauen wieder mehr Vertrauen haben, das Leben mit Kind zu meistern. Besei- tigen wir auch praktische Hemmnisse für Familien mit Vizepräsidentin Petra Pau: kleinen Kindern; in Zügen, Flughäfen und Taxen kom- Das Wort hat Dr. Frauke Petry. men sie sich oft – das weiß ich aus eigener Erfahrung – (Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktions- wie Behinderte zweiter Klasse vor. Sorgen wir mit einem los]) Familiensplitting und mit Abgabensenkungen dafür, dass die familiäre Abhängigkeit von staatlicher Umverteilung beendet wird. Stellen wir heute gemeinsam die Weichen Dr. Frauke Petry (fraktionslos): dafür, dass der Begriff „Menschenwürde“ Kindern wie Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Da- Müttern wieder gerecht wird. men und Herren! Ich möchte meine Rede mit einem Dank beginnen. Er geht überraschenderweise an die (Harald Weinberg [DIE LINKE]: An der Gren- Jungen Sozialisten. Jahrelang mussten sich christliche ze schießen wollen und hier Reden halten!) 8268 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn ich das auf meinen Regierungsbezirk runterbre- (C) Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die che, bekomme ich in derselben Zeit 16 900 Treffer, und CDU/CSU-Fraktion. wenn ich die Suche auf meinen Wahlkreis beschränke, bekomme ich 2 130 Treffer. Das sind natürlich nicht alles (Beifall bei der CDU/CSU) Beratungsstellen, (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja! Aha!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- aber es sind zahlreiche unabhängige Beratungsstellen da- nen und Kollegen! Ich glaube, das Thema Lebensschutz bei, die man mit Adresse und Telefonnummer aufgeführt muss für uns alle so wichtig sein, dass wir auch an die bekommt, unterlegt mit einer Landkarte, die zeigt, wie Debatte den Anspruch erheben, sie ohne Provokation zu man hinkommt. Dort bekommt man dann neutrale Be- führen und ohne spalten zu wollen. Ich will Ihnen ganz ratung, kostenlose Beratung und auf Wunsch eben auch ehrlich sagen: Das ist Ihnen von der AfD heute bei wei- anonyme Beratung. tem nicht gelungen. Aber das ist auch Ihnen von den (Dr. Eva Högl [SPD]: Sie sollten sich schämen Linken nicht gelungen. Und ja, selbstverständlich: Den den Frauen gegenüber! Ehrlich! – Helin Evrim Jusos ist es schon gar nicht gelungen. Sommer [DIE LINKE]: Was haben Sie denn Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gegen Beratung? – Gegenruf des Abg. Stefan will ich sagen: Schauen Sie sich diese Debatte an. Was Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das haben mir da zu sagen bleibt, ist: Das sind die Geister, die Sie wir doch auch gar nicht gesagt!) gerufen haben, Dann wird gesagt: Die Rechtsunsicherheit für Ärztin- nen und Ärzte – auch das ist heute wieder angeklungen – (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – in unserem Land ist viel zu groß. Die wissen gar nicht, Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist unverschämt! was sie tun sollen. – Das kann ich überhaupt nicht teilen. Ehrlich!) Die Regelung in § 219a ist so klar, dass es klarer gar nicht und zwar an dem Tag, an dem Sie eine Gemeinschaft geht. Das zeigt im Übrigen auch die juristische Relevanz geschlossen haben mit den Linken, den Grünen und dieser Norm. In Bayern hat es in den Jahren 2010 bis der FDP zur Abschaffung von § 219a. Da haben Sie die 2017 einen einzigen Fall strafrechtlicher Art gegeben, wo Büchse der Pandora geöffnet. Und diese Debatte ist über- § 219a eine Rolle gespielt hat. Das spricht meines Erach- flüssig; denn wer sich mit der Materie beschäftigt, der tens schon dafür, dass die Regelung offensichtlich sehr muss sagen: Die §§ 218 bis 219 sind ein sehr austariertes klar sein muss. (B) System und wirklich feingliedrig unterlegt mit der Recht- (Zuruf von der SPD: Das ist einer zu viel!) (D) sprechung des BGH und auch des Bundesverfassungs- gerichts. Und dann heißt es: Ja, aber bei einer Knie-OP ist es ja auch so, dass der Arzt, der mich informiert, auf seine Man muss ehrlicherweise sagen, dass es denjenigen, Homepage schreiben kann, dass er diese Leistung anbie- die die ganze Zeit für die Abschaffung des § 219a einge- tet. – Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen treten sind, eigentlich nur gelungen ist, diese Debatte am uns schon einmal vor Augen führen – das ist heute auch Leben zu halten, indem sie immer wieder Falschbehaup- angeklungen –, dass das Bundesverfassungsgericht ge- tungen ins Feld geführt haben. sagt hat: Ein Schwangerschaftsabbruch darf keine Nor- (Sönke Rix [SPD]: Weil Sie nicht fähig wa- malität sein. ren, was zu machen! Das war der Grund!) (Sönke Rix [SPD]: Aber es gibt einen gesetz- Da ist zum Beispiel gesagt worden – auch heute wie- lichen Rahmen!) der –: Schwangere in unserem Land bekommen ja keine Er darf eben nicht kommerzialisiert werden. Und das ausreichenden Informationen, wenn sie über eine Abtrei- unterscheidet den Schwangerschaftsabbruch von einer bung nachdenken. Knie-OP. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das bekommen sie (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Was nicht!) erzählen Sie hier? Jetzt reicht’s aber!) Das sagt sogar die FDP. Es ist nämlich ein Eingriff in menschliches Leben. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, das sagen wir alle (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie re- hier! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: den über Dinge, von denen Sie keine Ahnung Das stimmt ja auch!) haben!) Die FDP will die Partei der Digitalisierung sein. Kollege Und man merkt an Ihrer Erhitzung, Thomae, Sie werden Google kennen. Wenn Sie das Wort (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja, weil „Schwangerschaftskonfliktberatung“ bei Google einge- Sie keine Ahnung haben!) ben, dann bekommen Sie in 0,43 Sekunden 293 000 Tref- fer. dass Sie das offensichtlich überhaupt nicht verstanden haben. (Dr. Eva Högl [SPD]: Herr Hoffmann, das ist zynisch! Echt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8269

Alexander Hoffmann (A) Wir leben in einem Land, in dem wir Werbeverbote für Im besten Falle schweigen Sie dazu. Im schlimmsten Fal- (C) Arzneimittel, Tabak und Glücksspiel haben, und ich sage le wird das von Ihnen noch begleitet mit einer Aussage Ihnen: Das muss dann erst recht im Bereich der Abtrei- nach dem Motto: Wer sich in Gefahr begibt, der kommt bung gelten. eben darin um. – Ich unterstelle einfach einmal, dass Sie da mit zweierlei Maß messen, weil es sich bei den einen (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) um Menschen in Deutschland handelt und bei den ande- In der Vergangenheit hieß es dann immer: Ja, aber den ren um Musliminnen und Muslime, und die haben ja bei Lebensschutz wollen wir ja nicht antasten. Aber wenn Ihnen eh relativ wenig Rechte. wir den nicht antasten wollen, warum reagieren Sie denn (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dann jetzt so erhitzt? LINKEN) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Weil Sie nur Unwahrheiten erzählen!) Frau Storch ist ja sogar der Meinung, dass man auf Frau- en und Kinder, die die deutsche Grenze überschreiten Ich hoffe, dass wir mit dem Kompromiss, wie er jetzt wollen und die vor Not, Krieg und Vertreibung geflohen vorliegt, tatsächlich zu einer sachgerechten Lösung kom- sind, schießen solle. So viel zum Thema Lebensschutz men. Ich bedauere, dass die Debatte heute gezeigt hat, und zu den Maßstäben, mit denen Sie messen. dass wir in Sachen Lebensschutz offensichtlich in man- chen Bereichen immer noch keinen gesellschaftspoliti- (Beifall bei der SPD – Helin Evrim Sommer schen Konsens haben. Den hätte ich gerne hergestellt. [DIE LINKE]: Kinder töten, ja? Kinder und Frauen!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Kommen wir einmal zu der Grundlage, die diese De- (Beifall bei der CDU/CSU) batte ausgelöst hat. Das kann man gar nicht oft genug betonen; denn es ist einfach peinlich, was Sie sich da Vizepräsidentin Petra Pau: rausgegriffen haben. Ja, es gibt einen Beschluss der Ju- Das Wort hat die Abgeordnete Sarah Ryglewski für sos, §§ 218 und 219 zu streichen und in das Schwanger- die SPD-Fraktion. schaftskonfliktgesetz zu überführen. Darüber kann man streiten. Aber es gibt diesen Beschluss, und alles andere, (Beifall bei der SPD) was Sie hier ausgeführt haben, sind einfach Fake News. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Sarah Ryglewski (SPD): bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Blödsinn!) (B) Ich muss ganz ehrlich sagen: Jetzt, am Ende dieser De- (D) batte, bin ich doch einigermaßen erschüttert, wie unwür- Im Beschluss der Jusos steht nichts, aber auch gar nichts dig sie teilweise gerade von denen geführt wurde, von Abtreibung im neunten Monat. Der Vorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, hat am 11. Dezember 2018 im (Beifall bei der SPD und der LINKEN so- „Handelsblatt“ – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsiden- wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des tin – gesagt: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nichts dergleichen wollen wir, nichts dergleichen die den Begriff „Lebensschutz“ im Munde geführt ha- haben wir beschlossen. ben. Meine Damen und Herren von der AfD, das gilt für Sie im Besonderen. Ich sage Ihnen auch ganz genau, (Beifall bei der SPD – [AfD]: warum. Ich finde es wirklich erschütternd, welch unter- Sie können ja Ihre eigenen Beschlüsse nicht schiedliche Maßstäbe Sie als AfD im Allgemeinen und lesen!) ganz besonders Sie, Frau Storch, an das menschliche Le- Klarer kann man es nicht formulieren. ben anlegen. Für mich gelten die Beschlusslage und die Aussagen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Vorsitzenden der Jusos. Dieser ist demokratisch ge- der LINKEN) wählt. Die Beschlüsse sind demokratisch gefasst worden. Auf der einen Seite wird von Ihnen das ungeborene So funktioniert das in der SPD. So funktioniert das auch menschliche Leben absolut gesetzt. Die Rechte von Frau- bei den Jungsozialistinnen und Jungsozialisten. Wenn en und die Auswirkungen, die eine ungewollte Schwan- Sie das bei der AfD nicht kennen, kann ich Ihnen nicht gerschaft vielleicht auf ihr weiteres Leben hat, spielen weiterhelfen. bei Ihnen keine Rolle. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Aber es gilt nicht Ihre Interpretation der Beschlusslage Auf der anderen Seite schweigen Sie zu vielen Tausend der Jusos. So viel zur dünnen Grundlage Ihrer Aktuellen Menschen, die jedes Jahr im Mittelmeer ertrinken; Stunde. (Martin Reichardt [AfD]: Was hat denn das Ich möchte einfach noch einmal darauf hinweisen, damit zu tun?) was die Auswirkungen der Art und Weise sind, wie Sie diese Debatte führen. Die Kollegin Kiziltepe hat mir ge- auch das ist menschliches Leben. rade gesagt, dass die Jungsozialistin, die auf dem Bun- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) deskongress dafür gesprochen hat, mittlerweile Mord- 8270 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Sarah Ryglewski (A) drohungen bekommt. Da sind wir wieder beim Thema Rudolf Henke (CDU/CSU): (C) Lebensschutz. Man kann über dieses Thema streiten und Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- über die Frage, wann Abtreibungen erlaubt sind und wie gen! Meine Damen und Herren! Das heutige Recht, die sie geregelt sind. Das ist eine zutiefst ethische Debatte, §§ 218, 218a, 219, 219a, ist Resultat einer großen gesell- etwas, was unser persönliches Empfinden anrührt wie schaftlichen Auseinandersetzung und das Ergebnis der nichts anderes. Konsequenzen, die der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Es gibt aber auch Frauen – das muss man einfach vom 28. Mai 1993 gezogen hat. einmal so deutlich sagen, Herr Hoffmann –, für die eine Schwangerschaft vielleicht nicht ein Geschenk ist, wie Ich finde, dass es dieser Debatte guttut, an die Wer- bei vielen anderen Frauen, die sich ein Kind wünschen, tungen, die das Bundesverfassungsgericht damals vor- für die das eine Konfliktsituation bedeutet. Dann findet genommen hat, zu erinnern; denn ich glaube, dass diese doch genau derselbe Abwägungsprozess statt, den wir Wertungen, die Grundlage waren für die Schaffung des hier immer im Parlament zu führen haben. Natürlich heutigen Rechts, auch heute noch Bestand haben. fragt sich eine Frau: Was für ein Empfinden habe ich ge- Das Grundgesetz genüber dem Kind, das in meinem Körper ist? Wie steht das im Verhältnis zu dem, was ich mir vielleicht für mein – so heißt es im ersten amtlichen Leitsatz dieses Urteils – eigenes Leben in Zukunft wünsche? – Das ist ihr gutes verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch Recht. Wir haben zum Glück reproduktive Selbstbestim- das ungeborene, zu schützen. Diese Schutzpflicht mung in diesem Land; dafür haben wir lange gekämpft hat ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG; ihr Gegenstand als Frauen und zum Glück auch mit vielen Männern. und – von ihm her – ihr Maß werden durch Art. 2 Natürlich stellt sich eine Frau auch die Frage – und das Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde ist, finde ich, eine richtige Frage –: Bekomme ich Un- terstützung, wenn ich ein Kind habe? Kann ich diesem – so das Bundesverfassungsgericht – Kind überhaupt etwas bieten? – Das ist der Konflikt, in dem diese Frauen sind und den sie am Ende immer mit kommt schon dem ungeborenen menschlichen Le- sich alleine werden austragen müssen. Was wir brauchen, ben zu. Die Rechtsordnung muß die rechtlichen ist eine vernünftige Unterstützung für die Frauen, die in Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines diese Konfliktsituation kommen. eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleis- ten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Einen Satz noch zu § 219 a, und damit komme ich Annahme seitens der Mutter begründet. dann auch zum Schluss: Ich möchte nicht, dass Frauen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (B) während eines individuellen Entscheidungsprozesses vor (D) einem Computer sitzen und Google konsultieren müssen Dass die Annahme seitens der Mutter eine gewisserma- und dabei möglicherweise auf die Seiten selbsternann- ßen unerlässliche Voraussetzung für das Gedeihen des ter Lebensschützer kommen, die genau das machen, was Kindes ist, stimmt; aber sie wird nicht erst dadurch be- Sie, Frau von Storch, am Anfang ausgeführt haben, näm- gründet, dass die Mutter das Kind annimmt. lich zerstückelte Föten zeigen und Frauen, die abtreiben Im zweiten amtlichen Leitsatz heißt es: wollen, mit Mörderinnen gleichsetzen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist nicht das, was wir wollen. Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist be- zogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf mensch- liches Leben allgemein. Vizepräsidentin Petra Pau: Dritter Leitsatz: Frau Kollegin. Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz ist nur Sarah Ryglewski (SPD): möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwan- Wir wollen, dass Frauen durch einen vernünftigen In- gerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr formationsprozess zu einer guten Entscheidung für sich damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, und das ungeborene Leben kommen. das Kind auszutragen. Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die grundsätz- Vielen Dank. liche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente des verfassungs- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie rechtlich gebotenen Schutzes. bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP Im Weiteren führt das Bundesverfassungsgericht aus, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass es bei der Reichweite der Schutzpflicht im Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des Kindes auf Vizepräsidentin Petra Pau: die Abwägung damit kollidierender anderer Rechtsgüter ankommt: Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol- lege Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion. Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kommen dabei – ausgehend vom An- (Beifall bei der CDU/CSU) spruch der schwangeren Frau auf Schutz und Ach- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8271

Rudolf Henke (A) tung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) vor Rudolf Henke (CDU/CSU): (C) allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unver- Das will ich gern tun. – Ich werbe dafür, diese Debatte sehrtheit … sowie ihr Persönlichkeitsrecht … in so zu führen, wie ich versucht habe sie zu beenden, und Betracht. – Dagegen kann die Frau für die mit dem nicht, wie sie gestartet ist. Schwangerschaftsabbruch einhergehende Tötung des Ungeborenen nicht eine grundrechtlich in Art. 4 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition in Anspruch DIE GRÜNEN) nehmen.

Ich glaube, es ist relativ wichtig, sich diesen Rahmen, Vizepräsidentin Petra Pau: in dem wir handeln, noch einmal vor Augen zu führen. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Abgesehen davon, wie Einzelne zu der Frage stehen: „Wollen wir da etwas ändern oder nicht?“, glaube ich, Ich habe die von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelten Wahlergebnisse bekannt zu geben dass dieser Rahmen ein Bezugspunkt ist, der auch ver- und bitte um die notwendige Aufmerksamkeit. hindert, dass diese Debatte zu einer gesellschaftlichen Polarisierung führt, die mehr Unfrieden als Hilfe erzeugt. Wir kommen zum Ergebnis des zweiten Wahlgangs einer Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Jetzt zu diesem Juso-Beschluss. Ich glaube, richtig ist, Bundestages: Im Deutschen Bundestag haben wir aktu- dass die Jusos wahrscheinlich nicht festlegen wollten, ab ell 709 gewählte Mitglieder; es wurden 659 Stimmzettel welchem Zeitpunkt der strafrechtliche Schutz gelten soll. abgegeben, es gab keine ungültige Stimme. Mit Ja ha- Sie haben im Grunde genommen die Dreimonatsfrist ben 241 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 377 Ab- problematisiert. Es gab auf dem Juso-Bundeskongress geordnete gestimmt, und es gab 41 Enthaltungen. Die mehrere Anträge, andere Fristen zu nennen. Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel hat die erfor- derliche Mehrheit von mindestens 355 Stimmen nicht (Beatrix von Storch [AfD]: Alle abgelehnt!) erreicht. Sie ist zur Stellvertreterin des Präsidenten nicht gewählt.1) Es gab auch Anträge, die dafür geworben haben, es an Ich komme zum Ergebnis über die Wahl eines Mit- bestimmte Konditionen zu binden. Aber das größte Pro- glieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a der Bundes- blem ist, finde ich jedenfalls, die Zustimmung zu einem haushaltsordnung: abgegebene Stimmen 650, ungültig Satz des Grünen-Gesetzentwurfs von 1991, Bundestags- war 1 Stimmzettel. Mit Ja haben 224 Abgeordnete ge- drucksache 12/696. Darin steht, dass „die Festlegung stimmt, mit Nein 386 Abgeordnete, 39 haben sich enthal- (B) (D) einer Frist, nach deren Ablauf eine Abtreibung verboten ten. Der Abgeordnete Marcus Bühl hat die erforderliche ist, unterstellt, daß Frauen nicht dazu in der Lage sind, Mehrheit von mindestens 355 Stimmen nicht erreicht. Er selbständig die für sie richtige Entscheidung zu treffen“. ist als Mitglied des Vertrauensgremiums gemäß § 10a der Das kann man in der Tat als Absage an jede Frist wer- Bundeshaushaltsordnung nicht gewählt.2) ten, selbst wenn das die Autoren, die ja darauf verweisen, dass es ein anderes Gesetz brauche, in dem man die Din- Wir kommen zum Ergebnis der Wahl von zwei ge regelt, so nicht aussprechen wollten. Der Gesetzent- ­Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundes- wurf, der zustimmend zitiert wird, enthält eine Absage schuldenwesengesetzes, Bundesfinanzierungsgremium: abgege­­be­ne Stimmen 647. Mit Ja haben für den Abge- an jede Frist. ordneten Albrecht Glaser 157 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 445, 45 Abgeordnete haben sich enthalten. Auf Vizepräsidentin Petra Pau: den Abgeordneten Volker Münz entfielen 225 Jastim- men. 369 Abgeordnete haben mit Nein gestimmt. 48 Kollege Henke, achten Sie bitte auf die Zeit. haben sich enthalten. In diesem Fall gab es 5 ungültige Stimmen. Die Abgeordneten Albrecht Glaser und Volker Münz haben die erforderliche Mehrheit nicht erreicht.3) Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Damit sind die Jusos, auch Wir kommen zum Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- wenn sie das Problem inzwischen registriert haben, ein sierungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stimmzet- Mitauslöser dafür, dass der Eindruck entstehen konnte, tel 647, ungültig war keine. Mit Ja haben 212 Abgeord- es würde an keine Frist gedacht. nete gestimmt, mit Nein 403 Abgeordnete, 32 haben sich enthalten. Der Abgeordnete Peter Boehringer hat die er- (Beifall des Abg. Martin Hebner [AfD]) forderliche Mehrheit von mindestens 355 Stimmen nicht Ich glaube, dass – – erreicht. Er ist als Mitglied des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes nicht gewählt.4) Vizepräsidentin Petra Pau: 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 Kollege Henke, tun Sie mir bitte den Gefallen, dass 2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3 ich jetzt nicht auf den Knopf drücken muss, und setzen 3) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4 Sie selbst den Punkt. 4) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 5 8272 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir kommen zum Ergebnis der Wahl eines stellver- Staaten die Würde und die unveräußerlichen Rechte ei- (C) tretenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Ab- nes jeden einzelnen Menschen – ein Bekenntnis und ein satz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes: abge- Auftrag zugleich. Seitdem haben wir, wie ich finde, viel gebene Stimmzettel 646, ungültig waren 2 Stimmzettel. erreicht. Mit Ja haben 203 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 403 Abgeordnete. Es gab 38 Enthaltungen. Die Abgeordne- (Beifall bei der SPD) te Dr. Birgit Malsack-Winkemann hat die erforderliche Wir können heute auf ein stabiles System zum Schutz Mehrheit von mindestens 355 Stimmen nicht erreicht. der Menschenrechte zurückgreifen: der Menschenrechts- Sie ist als stellvertretendes Mitglied des Sondergremi- rat der Vereinten Nationen in Genf, die Hochkommissa- ums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanis- rin für Menschenrechte, die Überwachungsausschüsse, musgesetzes nicht gewählt.1) die es gibt, und die vielen Mandatsträgerinnen und Man- Das sind die Ergebnisse der heute durchgeführten datsträger der Vereinten Nationen. Doch wir wissen mitt- Wahlgänge. lerweile: Dieses System ist auch nicht unumstößlich. Mit den USA ist ausgerechnet einer der traditionell stärksten Die AfD-Fraktion hat mir den Wunsch auf Unterbre- Partner in der Menschenrechtspolitik aus dem Menschen- chung der Sitzung zur Durchführung einer Fraktions- rechtsrat ausgetreten. Das zeigt, dass wir in Zeiten leben, sitzung übermittelt. Ich gehe davon aus, dass alle Frak- in denen es keine Selbstverständlichkeiten gibt. Vielmehr tionen damit einverstanden sind. – Ich unterbreche die müssen wir das Erreichte entschieden verteidigen. Sitzung bis 17 Uhr. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (Unterbrechung von 16.32 bis 17.27 Uhr) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der FDP) Vizepräsidentin : Wir sehen besorgt weltweit dramatische Menschen- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es noch nicht ganz rechtsprobleme, in China und Myanmar bis Saudi-Arabi- halb sechs, aber es sind alle Rednerinnen und Redner im en und bei vielen anderen. Wir nutzen die Kanäle, die wir Saal. Deswegen eröffne ich die Sitzung wieder. haben, natürlich auch den Menschenrechtsrat, um Miss- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: stände anzusprechen. Aber das ist keine Einbahnstraße. Auch wir wurden zum Beispiel nach den Vorfällen in Vereinbarte Debatte Chemnitz mit deutlicher internationaler Kritik im Rah- 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Men- men des Staatenüberprüfungsverfahrens konfrontiert. Ja, schenrechte auch das zeigt, dass die Gremien, die wir haben, funkti- (B) onieren. Wir müssen auch vor unserer eigenen Haustür (D) Hierzu liegen je ein Entschließungsantrag der Frakti- kehren, wenn wir weltweit für Menschenrechte eintreten on der FDP, der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion wollen; denn nur so bleiben wir wirklich glaubwürdig. Bündnis 90/Die Grünen vor. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- die Debatte 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich kei- geordneten der CDU/CSU) nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Deshalb hat die Bundesregierung – um nur ein Bei- Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Bundesminister spiel zu nennen – in der vergangenen Woche 7 000 deut- Heiko Maas. sche Unternehmen angeschrieben und für die weltweite (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Umsetzung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht geworben. Denn eines ist doch klar: Ohne die Umset- zung der Menschenrechte bleiben Frieden und Sicherheit Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: fragil und auch Entwicklung und Wohlstand nicht nach- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und haltig gesichert. Dafür braucht es nicht nur Regierungen, Kollegen! Schön, dass Sie alle wieder da sind. die ihre Verpflichtungen ernst nehmen, und eine unab- hängige Justiz. Es braucht vor allen Dingen auch eine Anfang Oktober sind fast eine Viertel Million Men- engagierte Zivilgesellschaft. schen in Berlin auf die Straße gegangen. Sie haben mit ihrer Präsenz dort ein Zeichen gegen Rassismus und Ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schottung gesetzt, für Toleranz und Weltoffenheit, dafür, der CDU/CSU) dass Menschenrechte unteilbar sind. Was für ein großar- tiger Tag war das in Berlin! In vielen Teilen der Welt – auch das darf nicht unaus- gesprochen bleiben – sehen wir jedoch, wie sich die Frei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten räume der Zivilgesellschaft verengen. Menschenrechts- der FDP) verteidiger, Journalisten und NGOs werden an vielen Diese Erkenntnis verdanken wir der Weltgemeinschaft, Stellen der Welt eingeschüchtert und drangsaliert. Auch die sich vor 70 Jahren auf die Allgemeine Erklärung der für deren Schutz müssen wir uns einsetzen, wenn wir es Menschenrechte geeinigt hat. Gerade einmal drei Jahre mit den Menschenrechten ernst nehmen. nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschworen die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 5 bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8273

Bundesminister Heiko Maas (A) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum sen begabt und sollen einander im Geiste der Brü- (C) haben wir als Europäische Union eigentlich kein Instru- derlichkeit begegnen. ment – wir haben keines! –, um Menschenrechtsverlet- So heißt es im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung zer weltweit mit Sanktionen zu belegen? Genau darüber der Menschenrechte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir in den nächsten Wochen mit unseren europä- dieser Satz meint alle – hier, aber auch draußen und über- ischen Partnern reden; denn es gibt eine entsprechende all auf der Welt. Das Bekenntnis zu unverletzlichen und Initiative aus den Niederlanden, die auch wir unterstüt- unveräußerlichen Menschenrechten ist der Kern dessen, zen werden. was unsere Gesellschaft zusammenhält. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Nee!) Wir unterstützen außerdem die Initiative eines Peer – „Nee“ ruft da einer dazwischen? Review, eines Mechanismus, in dem sich alle teilneh- menden EU-Mitgliedstaaten gegenseitig einer Überprü- (Sören Bartol [SPD]: Ja! Das ist unglaublich! fung der Rechtsstaatlichkeit unterziehen. Rechtsstaat- Schämen Sie sich! – Michael Brand [Fulda] lichkeit als Grundwert sollte nämlich in der EU einen [CDU/CSU]: Nicht zu glauben! – Dr. Karamba und nicht spalten. Diaby [SPD]: Eine Schande!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Das Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen wie bei Abgeordneten der FDP) Menschenrechten ist der Kern dessen, was unsere Gesell- schaft zusammenhält. Wer das nicht erkennt und wer das Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Herausforde- nicht für richtig hält, stellt sich außerhalb unserer Gesell- rungen ändern sich auch. Wir sind heute mit Herausfor- schaft, meine sehr verehrten Damen und Herren. derungen konfrontiert, die so vor 70 Jahren noch nicht bestanden. Globalisierung, Digitalisierung, Migration, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Klimawandel – alles ist grenzenlos. Das Klima der Welt und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie verändert sich rasant, auch wenn mancher noch immer bei Abgeordneten der LINKEN) Klima und Wetter verwechselt. Es darf deshalb keine Rolle spielen, woher man (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeord- kommt. Es darf auch keine Rolle spielen, woran man neten der FDP – Beifall bei Abgeordneten glaubt. Es darf auch keine Rolle spielen, wen man liebt. der AfD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ich Wenn wir uns heute weltweit für Menschenrechte enga- finde, das war ein schöner Sommer! – Helin gieren, dann machen wir das auch aus dieser Überzeu- Evrim Sommer [DIE LINKE], an die AfD ge- gung heraus. Ich frage: Wer, wenn nicht wir, die freiheit- (B) wandt: Sie brauchen gar nicht klatschen! Den lichen Demokratien, soll das machen? (D) Joke haben Sie gar nicht verstanden!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Es ist nicht nur ein Umweltproblem, um das es da geht, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- sondern es ist längst auch ein Menschenrechtsproblem, geordneten der FDP) wenn der Meeresspiegel steigt und Wetterextreme den Ich weiß, dass auch hier im Deutschen Bundestag Zugang zu sauberem Wasser gefährden. Das zeigt, dass wichtige Beiträge dazu geleistet werden, nicht nur in es bei den Menschenrechten um viel mehr geht als das, den Debatten und mit dem, was wir hier beschließen. Ich was wir den klassischen Menschenrechtsschutz nennen. denke auch an das Programm „Parlamentarier schützen Vielmehr gibt es eine Vielzahl von neuen Themen. Die Parlamentarier“, bei dem einige von Ihnen Patenschaften Verbindung von Klima und Sicherheit ist darunter eines, für gefährdete Abgeordnete anderer Länder übernehmen. das wir zu einem Schwerpunktthema unserer Mitglied- Auch das hat etwas mit Freiheit und mit Menschenrech- schaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erklärt ten zu tun. haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wie bei Abgeordneten der FDP) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Für Menschenrechte muss man überall eintreten: in Berlin, in Peking, in Chemnitz genauso wie in Moskau. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklung, Am Schluss liegt es an uns selbst, die Allgemeine Erklä- der Zusammenhang zwischen Klima und Sicherheit, rung der Menschenrechte mit Leben zu füllen. führt unweigerlich dazu, dass es mehr Migration geben wird. Umso gewichtiger erscheint das, was wir jetzt mit Herzlichen Dank. dem Globalen Migrationspakt erreicht haben. Er ist näm- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem lich eine Voraussetzung dafür, auch auf diese globale BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Entwicklung eine Antwort zu geben. geordneten der FDP) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Vizepräsidentin Claudia Roth: geordneten der FDP) Vielen Dank, Heiko Maas. – Nächster Redner in der Debatte: Jürgen Braun für die AfD-Fraktion. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewis- (Beifall bei der AfD) 8274 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Jürgen Braun (AfD): rellen und sozialen Menschenrechte berufen, um abzu- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr verehr- lenken von ihrer Schreckensherrschaft. ten Damen und Herren! Vor 70 Jahren wurde die Allge- (Dr. [SPD]: Menschenrechte meine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet. Sie sind unteilbar!) ist eines der großen Dokumente der Menschheit. Der große Staatsrechtslehrer Josef Isensee nannte sie eine Artikel 13 Absatz 2 der Allgemeinen Erklärung der Men- Weltmission. Diese Menschenrechte wurden unter dem schenrechte lautet – ich zitiere wörtlich mit Erlaubnis der unmittelbaren Eindruck des barbarischen Mordens der Präsidentin –: NS-Diktatur und anderer totalitärer Regime verfasst. Sie Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließ- haben geholfen, Generationen von Menschen in vielen lich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land Ländern ein friedliches und freiheitliches Leben zu er- zurückzukehren. möglichen. Das können wir mit großer Dankbarkeit heu- te feststellen. Ich sage Ihnen das gerne nochmals konkret: Es gibt kein Menschenrecht auf das Eindringen in ein fremdes Land. (Beifall bei der AfD) Es gibt dagegen sehr wohl ein Recht, sein Land zu ver- Die Menschenrechte haben eine tiefe Wurzel in Eu- lassen und in Freiheit wieder zurückzukehren. Die Opfer ropa. der SED-Diktatur wissen ganz genau, wovon ich spreche. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- Wie passt das hier rein mit Ihren Zwischenru- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui!) fen vorhin?) Auch die Täterseite, die vierfach umbenannte SED hier links von mir, Ihre Partei hat dieses Menschenrecht Die Magna Charta libertatum datiert bereits aus dem jahrzehntelang mit Füßen getreten. Sie hat auf Menschen 13. Jahrhundert. Martin Luther, John Locke und schießen lassen, die von Deutschland nach Deutschland Charles-Louis Montesquieu – das wahre Europa ist mehr wollten und von einem Teil in den anderen, hier als das Verteilen von Geldern und die Befriedigung im- vor unserer Tür, hier direkt am Reichstag, wenige Meter mer neuer Ansprüche. von uns entfernt. (Sören Bartol [SPD]: Ja, jetzt kommen wir (Zuruf von der AfD: Pfui! – Sören Bartol doch wieder zum Kern! – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Sagen Sie mal was zu Ihren Vorgän- [SPD]: Alles relativiert sich!) gern!) (B) Es geht um die Unverletzlichkeit des Lebens und der Heute ist es wieder die mehrfach umbenannte SED, die (D) körperlichen Unversehrtheit, Schutz vor politischer Ver- die Erinnerung an die kommunistischen Verbrechen folgung, Freiheit der Meinung und viele andere Grund- tilgen möchte. Der Mann, der am meisten für die Auf- rechte. arbeitung des SED-Unrechts getan hat, wird entlassen: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Freiheit der Hubertus Knabe. Meinung!) (Beifall bei der AfD – [DIE Wenn ich mir aber den heutigen Antrag der Grünen LINKE]: So ein Quatsch! Haben Sie sich ein- anschaue, stelle ich fest, dass es nur um Befriedigung mal mit dem Sachverhalt befasst?) von immer neuen Ansprüchen geht. Sie, liebe Grüninnen Hubertus Knabe wird aus der von ihm geschaffenen und und Grüne, geleiteten Gedenkstätte hinausgedrängt. Dieses Beispiel der Schande macht Schule. (Heiterkeit des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Jetzt müssen wir Hubertus Knabe schützen! Sie begreifen doch die große Tradition der Menschenrechte, dürfen den nicht vereinnahmen!) die große Tradition hier in Europa, gar nicht. – Ja, Herr Brand. – Sie haben Helfershelfer in den ande- (Beifall bei der AfD) ren Parteien, auch in den Unionsparteien, sogar auf der Die Menschenrechte sind in Gefahr. Sie werden umin- Regierungsbank, Frau Grütters. terpretiert und entstellt, und das nicht nur von den Ver- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Keine tretern der linksgrünen Hypermoral hier im Deutschen Lügen!) Bundestag, sondern auch von deren neuen Verbündeten, den radikalen Moslems. Die Menschenrechte sind im Ihr Verhalten in dieser Sache ist enttäuschend, um es vor- Zangengriff der Menschenfeinde. sichtig auszudrücken, verdammt vorsichtig. (Sören Bartol [SPD]: Sie sitzen im Deutschen (Beifall bei der AfD – Stefan Liebich [DIE Bundestag, die Menschenfeinde! Mitten unter LINKE]: Einfach falsch, was Sie erzählen! – uns!) Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Herr Knabe würde sich jetzt wehren gegen Sie! – Seit Generationen haben sich die schlimmsten Dikta- Ulli Nissen [SPD]: Ihre Rede ist nicht nur ent- turen übrigens immer wieder auf die sogenannten kultu- täuschend, sie ist ätzend!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8275

Jürgen Braun (A) Meine Damen und Herren, schauen Sie sich dieses Unverbindlich ist er nur nach der Lesart weniger, nach (C) winzig kleine Deutschland doch mal auf dem Globus an. der Lesart der Physikerin Merkel und des Wirtschaftsan- walts Harbarth (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Mir kommen die Tränen! Bei Ihnen ist die Erde (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Verfas- noch eine Scheibe! – Michael Brand [Fulda] sungsrichter!) [CDU/CSU]: Das ist Ihr Horizont!) zum Beispiel. Führende Völkerrechtler sehen das ganz anders. Lassen Sie mich es klar und deutlich sagen: Die- Oft genug ist dennoch Gefahr ausgegangen vom deut- ser Pakt wird leider sehr bald seine Verbindlichkeit ent- schen Größenwahn. Und heute? Der aktuelle Größen- falten – leider. wahn ist die linksgrüne Hypermoral. Geld umverteilen und mannigfaltige Rechte gleich mitverschenken. Mit (Beifall bei der AfD) deutschem Geld, am deutschen Geld und deutschen We- sen soll die ganze Welt genesen offenbar. Für die universellen Menschenrechte gibt es noch eine weitere Gefahr. Sie kommt aus dem Islam. Verräterisch (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Igitt!) ist da die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Is- lam. Nirgendwo auf der Welt gibt es ein umfassendes subjek- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tives Grundrecht auf Asyl. Nur hier bei uns in Deutsch- Sie vergessen den Rechtsextremismus!) land ist das anders. Nur unter dem Vorbehalt der Scharia sollen die Men- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schenrechte gelten. Sie sind ein Tiefpunkt des Parlamentarismus!) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das Und dann wird auch noch so getan, als sei es das selbst- steht gar nicht da drin! Was erzählen Sie da verständliche Recht aller illegalen Migranten, hier Geld- für einen Mist? – Ulli Nissen [SPD]: Sie sind leistungen und Wohltaten zu erhalten. eine Gefahr!) Hören wir der iranischen Friedensnobelpreisträgerin (Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schirin Ebadi zu – Zitat –: NEN]: Und so reden Sie hier zu diesem An- lass! Was für eine Schande! – Armin-Paulus Wenn diese Länder ihre Erklärung aber als Ge- Hampel [AfD]: Hört! Hört!) genentwurf zur Allgemeinen Menschenrechtserklä- rung verstehen, sind sie auf einem Irrweg. (B) Vor dem Missbrauch des Menschenrechts für alles und (D) jedes, für Kleinigkeiten warnte schon der große Staats- In Kairo habe ich im November den ranghöchsten rechtslehrer Günther Dürig. Geistlichen der sunnitischen Moslems weltweit gefragt, Großscheich Ahmad al-Tayyib von der Al-Azhar-Uni- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie re- versität. Persönlich fragte ich ihn nach der Gültigkeit den von Menschenrechten! Wie heuchlerisch der Menschenrechte für die islamische Welt. Der Groß- ist das denn bitte schön?) scheich sagte wörtlich – ich zitiere –: Die Menschenrech- te schätzen wir, sofern sie mit den Grundsätzen des Islam Er verwahrte sich dagegen, mit der Menschenwürde, so konform gehen. – Der Großscheich gibt es damit zu: Die wörtlich, in „kleiner Münze“ zu handeln, den Begriff Scharia steht für Moslems als Rechtsnorm über den inter- „Menschenwürde“ für alles und jedes zu missbrauchen. national anerkannten Menschenrechten. Und genau das tun Sie hier tagtäglich im Deutschen Bun- destag – genau das. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist aber nicht unsere Meinung! Die Menschen- (Beifall bei der AfD) rechte stehen drüber!) Der Großscheich vertritt die inzwischen größte ideolo- Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war gische Staatengruppe innerhalb der Vereinten Nationen, zunächst formal nicht bindend, aber weite Teile gelten die islamische, höchstgefährlich für den Erhalt der Men- heute als Völkergewohnheitsrecht. Nun schauen Sie auf schenrechte weltweit. Nennen wir das Kind also beim den Migrationspakt. Namen: Die islamische Welt arbeitet an der faktischen (Zurufe von der SPD: Ah!) Abschaffung der universalen Menschenrechte. (Beifall bei der AfD – Sören Bartol [SPD]: Ist Angeblich ist der auch nicht verbindlich; so will es uns das nicht Volksverhetzung pur?) Frau Merkel verkaufen. Noch einmal: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist verbindlich geworden. Islamische Staaten, aber auch Diktaturen wie Nord- Wie lange wird also der Migrationspakt wohl angeblich korea und Venezuela, weite Teile der Welt missachten unverbindlich bleiben? Frau Merkel hat diesen Pakt maß- heute die Menschenrechte. Eine Mehrheit der Staaten der geblich betrieben. Vereinten Nationen bricht sie, und auch eine Mehrheit im UN-Menschenrechtsrat hält sich nicht daran. Für eine (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Aus Verklärung der Rolle der Vereinten Nationen besteht also guten Gründen!) kein Anlass. Aus 100 Diktaturen wird in einem multilate- 8276 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Jürgen Braun (A) ralen Zusammenschluss mitnichten eine großartige frei- Die Kodifizierung von Menschenrechten war nicht weni- (C) heitliche Gesellschaft. ger als die echte Globalisierung von Grundrechten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Armin-Paulus Hampel Multilateralismus löst die Probleme der Welt allein [AfD]: Nennen Sie mal Beispiele!) nicht. Auch hat zu Recht auf die Notwen- Selbst in Ländern, in denen brutale Diktatoren herrsch- digkeit eines stabilen deutschen Nationalstaats verwie- ten, haben wir unter Berufung auf die UN-Menschen- sen. Das Streben nach einer mächtigen und vermeintlich rechtscharta in vielen Einzelfällen und insgesamt Mil- weisen Weltregierung ist irreal und menschenverachtend lionen Menschen dabei geholfen, sich gegen autoritäre zugleich. und brutale Regime besser zu wehren, ihre Rechte besser (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Utopia!) durchsetzen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei sind wir nicht Schon viel zu oft wurde das Paradies auf Erden verkün- blind. Wir sehen Menschenrechtsverletzungen auf der det und die Hölle auf Erden geschaffen. radikalen Seite von links, auf der radikalen Seite von (Beifall bei der AfD – Dr. Karamba Diaby rechts, auf der islamistischen Seite und auf der nationa- [SPD]: Eine Schande! Ihre Rede war eine listischen Seite. Hier gilt der alte Satz: Wir sind auf kei- Schande!) nem Auge blind! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Vizepräsidentin Claudia Roth: geordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aber nicht genug! – Helin Vielen Dank, Herr Braun. – Nächster Redner für die Evrim ­Sommer [DIE LINKE]: Keine Gleich- CDU/CSU-Fraktion: Michael Brand. setzung!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Allerdings müssen wir wachsam bleiben. Wir be- ordneten der SPD) finden uns international in einer akuten Phase, in der autoritäre Herrscher und autoritäre Staaten stärker als zuvor versuchen, die freiheitliche Gesellschaft zu be- Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): schränken, zu bekämpfen und sogar zu vernichten. Es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist ein schreiendes Alarmsignal, dass inzwischen sicher Wir wollen den Horizont wieder weiten. Mit dieser Be- geglaubte Standards für Menschenrechte auf internatio- (B) grenzung, mit dieser falschen Haltung, lieber Kollege nalem Parkett ganz offen oder scheibchenweise infrage (D) Braun, hätten wir es vor 70 Jahren garantiert nicht ge- gestellt oder mit Füßen getreten werden, ob in Russland, schafft, dieses wichtige und wertvolle Dokument auf den in China, der Türkei oder selbst von Mitgliedstaaten der Weg zu bringen. Europäischen Union. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Kay Gottschalk [AfD]: Auch in Deutsch- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE land!) GRÜNEN) Wie ein Krebsgeschwür breiten sich vielerorts mas- Was war das eigentlich für eine revolutionäre Vision: sive Einschränkungen von Rechtsstaat, von Zivilgesell- nach den beiden Weltkriegen eine neue Weltordnung, ge- schaft, von Medien aus. Wir müssen die Mutigen, die gründet auf den Rechten der Menschen, auf den Weg zu sich dagegen wehren, unterstützen. Die Einschränkung bringen. der Religionsfreiheit – ich freue mich, dass Markus Grübel, der Beauftragte für weltweite Religionsfreiheit, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das machen bei der heutigen Debatte dabei ist –, die Sicherheitsgeset- Sie doch gerade kaputt!) ze als Vorwand für den totalen Überwachungsstaat wie in China sowie wachsender Populismus und Rassismus Die Welt hat mit der Allgemeinen Erklärung der auch in Europa bedrohen den Konsens über den Schutz Menschenrechte eine universale Antwort auf die globa- von universellen Menschenrechten. len Kriege gegeben. Wir haben als Staatengemeinschaft eine Antwort gegeben auf die Frage, was der Mensch an Und Ihre Zwischenrufe, dass die Menschenrechte unveräußerlichen Rechten hat und welche Ziele sich die nicht für alle gelten würden, zeigen, dass Sie eine Be- Menschheit setzen soll. Damit hat die Welt auch Grenzen drohung sind. festgelegt für das, was der Mensch dem Menschen zumu- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ten darf und was nicht. Diese Grenzen sind in den letzten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Jahren massiv unter Druck geraten. Zur Ängstlichkeit geordneten der FDP – Dr. Karamba Diaby gibt es keinen Grund, schon gar nicht zum Wegducken; [SPD]: Genau so ist das! Da hast du recht, denn wir haben in der Tat, Herr Außenminister Maas, ge- Michael!) waltige Erfolge vorzuweisen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten der universellen Bedeutung der Menschen- Natürlich haben Sie es gesagt. und zwar bei dem Zwi- rechte weltweit immer mehr Geltung verschafft. schenruf während der Rede des Außenministers. Und jetzt lügen Sie auch noch! Das ist Strategie: Sie setzen (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wo denn?) Dinge in den Raum und bestreiten sie anschließend. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8277

Michael Brand (Fulda) (A) Der Kampf gegen die Freiheit und die Menschenrech- men, ob sie rechts, links, Islamisten oder Nationalisten (C) te findet heute nicht nur mit Armee, Polizei oder Zensur sind. Das unterscheidet uns im Übrigen auch. statt. Der Kampf gegen Freiheit und Menschenrechte, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen von allen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Staaten der Erde formal anerkannt werden, hat sich in SPD und der FDP) einem hybriden Krieg mit Mitteln der digitalen Propa- Die Menschenrechte sind für uns als CDU/CSU vor al- ganda und der Versuche zur Umdeutung von Freiheit und lem aus dem C und unseren Grundwerten abgeleitet. Wir Menschenrechten verwandelt. kennen die Erfahrung, dass Menschlichkeit und Toleranz Nicht dass das für uns neu wäre: Alle von uns, die Dik- diejenigen provozieren, die Hetze und Agitation als ein- tatur, Teilung und Repression auf der anderen Seite des fache Lösungen betrachten und die Mühe des menschli- Eisernen Vorhangs oder von Militärdiktaturen überall auf chen Miteinanders nicht auf sich nehmen wollen. der Welt kennen, wissen: Freiheit und Menschenrechte (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Legen Sie mal müssen in der Tat jeden Tag, jede Woche und jedes Jahr eine neue Platte auf!) verteidigt und gefestigt werden. So ist dieser Jahrestag kein Tag der übergroßen Freude, allerdings ist er ein Tag Wo menschliches Miteinander und Menschenrechte der Freude. Er ist kein Tag des Triumphs, sondern es ist durch Ideologie, Intoleranz und Repression unterdrückt ein Tag der Erinnerung. Jahrestage wie diese ermahnen oder gar aggressiv ausgerottet werden sollen, ist die Un- uns alle daran, dass wir diese ungeheure neue Qualität terdrückung und Vernichtung der Menschen selbst nicht an Menschlichkeit und Würde nicht umsonst geschenkt mehr weit. bekommen haben. Wir müssen uns gerade als die, die in der privilegierten Welt, der Freiheit, leben, dieser Frei- Die Brutalität der Feinde der Menschenrechte in Wort heit und dieser Menschenwürde als würdig erweisen. Wir und Tat haben wir alle vor Augen. Der brutale syrische erweisen uns dieser Rechte als würdig, wenn wir nicht so Verbrecher wie sein ebenfalls brutaler engster Alliierter tun, als wären sie selbstverständlich, in Moskau sind keine Freunde der Menschen, sie sind erklärte und praktizierende Feinde der Menschenrechte, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nicht nur in Syrien. Der salafistische saudische Kron- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- prinz musste nicht erst mit dem brutalen Mord an dem NISSES 90/DIE GRÜNEN) Publizisten Khashoggi ausgerechnet in einer diplomati- schen Mission beweisen, zu welcher brutalen Verletzung wenn wir nicht so tun, als wären wir weltweit in der Min- der Menschenrechte er offenkundig mit einem Wimpern- derheit und als würde unsere Freiheit und die Menschen- zucken bereit ist. rechte nicht durch Autokraten und Hetzer gefährdet. Wir (B) erweisen uns dieser Rechte als würdig, wenn wir im (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sagen Sie das (D) Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv auch für die Rechte Ihrer Bundeskanzlerin!) aller Menschen eintreten. Der selbst für dortige Verhältnisse ungewöhnlich brutale (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Krieg im Jemen unter der Führung des saudischen Re- wie bei Abgeordneten der FDP) gimes mit entsetzlichen Folgen für die Zivilbevölkerung „Aller Menschen“ bedeutet, dass wir die Freiheit nicht zeigt, wes Geistes Kind dieses Regime ist, denjenigen absprechen, die nicht so sind wie wir. Men- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Heiße Luft!) schenrechte gelten universal. das nicht nur Öl, sondern auch Salafismus, Indoktrinati- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der on und Gewalt exportiert. FDP) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sagen Sie das Sie gelten für Deutsche wie für Nichtdeutsche. Sie gelten Ihrer Bundeskanzlerin!) für Christen wie für Muslime, für Buddhisten, für Juden, für Sikhs und für Agnostiker. Ja, die grundlegenden Men- Der Regisseur Oleg Senzow wurde Opfer der erklär- schenrechte, die jedem Menschen zu eigen sind und die ten Feindschaft des russischen Präsidenten. Er sitzt ohne ihm nicht abgesprochen werden können, gelten für De- Grund und unschuldig in russischer Haft. Autoritäre mokraten wie für Antidemokraten, für Angeklagte und Führer haben Angst vor Menschenrechten. Sie haben Ankläger, für Opfer und Täter, für Friedfertige wie für Angst davor, dass dieser Bazillus der Freiheit und der Hetzer . Sie gelten selbst für diejenigen, die Menschen- Menschenrechte ihre Macht, ihr Geld und ihre Geltung rechte abschaffen oder einengen wollen, gefährden könnte. Dass sie zu solch brutalen Methoden greifen, ist doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) leg für die Wirkung der Menschenrechte und der Kämp- wie für eine ganze Reihe von Hetzern und Funktionären fer für Menschenrechte. Seit dem Mittelalter wissen die auf der rechten und linken Seite. Despoten und Diktatoren, dass die Menschenrechte sich auf Dauer nicht unterdrücken lassen. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Hallo? Widersprüchlich! Die Gleichsetzung ist dane- (Beifall bei der CDU/CSU) ben!) – Sind Sie etwa für linke Extremisten? Ich nicht. Ich habe Vizepräsidentin Claudia Roth: kein Verständnis für Extremisten, egal woher sie kom- Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. 8278 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): schaftlichen Idealen, denen Menschen weltweit folgen. (C) Sie können immer nur versuchen, einzelne Exempel Darauf können wir zu Recht stolz sein. zu statuieren, um Angst zu verbreiten. Dabei schaffen sie (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der nur neue Märtyrer für die Menschenrechte. SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ich komme zum Schluss. Was bedeutet es für uns, die SES 90/DIE GRÜNEN) wir für Menschenrechte in den Kampf ziehen? Es bedeu- Meine Damen und Herren, damit das auch so bleibt, tet, dass wir nicht am Ende der ideologischen Auseinan- müssen wir Menschenrechte auch in das digitale Zeitalter dersetzung angekommen sind. In der Zeit der Globali- übersetzen; denn die Realität ist die Folgende: anlasslo- sierung haben sich auch die Gegner einer freiheitlichen se kommerzielle oder staatliche Datensammlung, Aus- Gesellschaft internationalisiert. Die Rollen sind klar spähsoftware und diverse Überwachungstechnologien – verteilt. Die einen sind Dirigenten und die anderen die von Lauschangriffen bis hin zu Trojanern –, die Sperrung nützlichen Idioten. von sozialen Medien und Nachrichtenseiten unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung, digitale Kriegs- Vizepräsidentin Claudia Roth: führung. Herr Kollege. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Endlich mal Fakten!) Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): Putin ist einer der Dirigenten, Herr Gauland und Frau Werte wie Selbstbestimmung, digitale Partizipations- Weidel sind es nicht, Frau Le Pen und Herr Wilders sind rechte und die Privatheit auf internationaler Ebene müs- es auch nicht. sen in der analogen wie in der digitalen Welt gleicherma- ßen gelten. Anders gesagt: Privatheit darf nicht nur ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Button in den Privatsphäreeinstellungen bei Facebook der SPD) sein. Am 70. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der diesem unendlich wichtigen und wertvollen Dokument AfD) der Menschheitsgeschichte, sollten wir als Deutscher Bundestag, als Mehrheit derer, die die Menschenrechte Es muss als Grundrecht im Bewusstsein der Menschen für den fundamentalen Wert einer Gesellschaft schlecht- verankert sein und Staaten dazu verpflichten, danach zu hin halten, aufhören, mit den Feinden der Menschenrech- handeln. te zu sanft umzugehen – heute und jeden Tag. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ar- (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) min-Paulus Hampel [AfD]) Wir Freie Demokraten fordern deshalb von der Bun- Vizepräsidentin Claudia Roth: desregierung, sich für eine Ergänzung des UN-Zivilpak- Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich tes einzusetzen, eine Art Genfer Konvention 4.0 für einen habe schon öfter gesagt: Wenn es am Rednerpult blinkt, zeitgemäßen Schutz von Privatsphäre, Selbstbestimmung dann heißt es, dass die Redezeit zu Ende ist. Wenn die und Partizipation im digitalen Zeitalter. Wir müssen digi- Redezeit überzogen ist, wie jetzt, ziehe ich Ihrer Fraktion tale Schutzräume für diejenigen schaffen, die von digita- entsprechend Redezeit ab. ler Überwachung bedroht sind, und weltweit Netzwerke für Menschenrechtsverteidiger schützen und fördern. (Beifall bei Abgeordneten der AfD und der FDP) Deutschland muss sich die Gestaltung internationaler Politik endlich wieder zutrauen. Wir Freie Demokraten Wir wollen versuchen, konkreter und besser durchzu- machen mit unserem Antrag konkrete Vorschläge: zum kommen. Das haben wir verabredet. Deswegen hat Kol- Beispiel mit einem gezielten Monitoring durch die Stär- lege Brehm nicht mehr sechs Minuten, sondern maximal kung des Mandats der europäischen Grundrechteagentur, fünf Minuten Redezeit. aber auch für ein gemeinsames Bewusstsein gegen Cyber­ Nächste Rednerin: Gyde Jensen für die Fraktion der attacken, mit der Stärkung des Programms – der Minister FDP. hat es schon angesprochen – „Parlamentarier schützen Parlamentarier“, das Öffentlichkeit für Menschenrechts- (Beifall bei der FDP) verteidiger weltweit schafft und Menschenrechte mit Gesichtern verbindet – nicht nur für Parlamentarier welt- Gyde Jensen (FDP): weit, auch für alle anderen – , mit einem globalen Fonds Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen für gesicherte Vernetzung besonders für Journalisten, für und Kollegen! Die größte Errungenschaft in 70 Jahren Blogger und für Whistleblower unter der Aufsicht eines Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist, dass sie UN-Sonderbeauftragten für Presse- und Meinungsfrei- Menschen weltweit bis heute Orientierung für ein frei- heit, der eigeninitiativ tätig werden kann. es und menschenwürdiges Leben bietet. Die Erklärung (Beifall bei der FDP) ist ein bis heute gültiger Wertekatalog, ein historischer Erfahrungsschatz menschlicher Zivilisation und ein ge- Wir brauchen eine neue Menschenrechtsbewegung, meinsames Sicherheitsnetz in einer immer stärker ver- an der Spitze die Europäischen Union, die ein neues Be- netzten Welt, mit positivem Menschenbild und gesell- wusstsein dafür schafft und alle Staaten nach ­Teheran Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8279

Gyde Jensen (A) ­1968 und Wien 1993 zu einer weiteren, einer dritten aber auch dafür, dass in diesem reichen Land fast 20 Pro- (C) Weltkonferenz für Menschenrechte an einen Tisch bringt. zent der Kinder in Armut leben müssen, und übrigens auch dafür, dass Deutschland mit seinen billigen Agrar­ Jedes Vorhaben der deutschen und europäischen Au- exporten in die Länder des Südens die lokalen Märkte ßenpolitik für eine vernetztere Welt auf Basis von frei- und damit auch die Existenz der Bauern zerstört. heitlichen Werten ist aber nichts als heiße Luft, wenn wir unsere Hausaufgaben hier nicht machen. Wir sehen heu- Es ist wohlfeil, an diesem Mikro Menschenrechtsver- te, dass China die Erfindung des NetzDG des damaligen letzungen in ärmeren Ländern anzuprangern, wie zum Justizministers Heiko Maas zum Vorbild für Zensur und Beispiel auf Kuba. Aber die kostenlose medizinische digitale Überwachung der eigenen Bürger nimmt. Das- Versorgung im armen, kleinen Kuba lebt Deutschland selbe gilt für die verfassungswidrige und europarechts- noch einiges vor in Sachen Menschenrechte. widrige Vorratsdatenspeicherung. Wir machen etwas (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand falsch, wenn sich Diktaturen an unseren Überwachungs- [Fulda] [CDU/CSU]: Ach je! Jetzt auch noch gesetzen ein Beispiel nehmen. Venezuela, oder wie? Meine Güte, Sie sind ja (Beifall bei der FDP) so was von auf dem linken Auge blind! Men- schenrechte sind universell! Da muss Ihre ei- Der Kampf für die Übersetzung von Menschenrechten gene Fraktion lachen, vor Scham!) ins digitale Zeitalter, für Werte wie Freiheit, Demokra- tie und Rechtsstaatlichkeit ist der Kampf von uns allen, Meine Damen und Herren, in Artikel 23 steht: der Kampf für universelle Rechte. Sorgen wir dafür, dass Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen die Kraft der Allgemeinen Erklärung der Menschenrech- Lohn für gleiche Arbeit … auf gerechte … Entloh- te wieder spürbarer wird! Bereits Timothy Garton Ash nung, die ihm und seiner Familie eine der … Würde wusste, dass die Idealisten in der Geschichte sich als die entsprechende Existenz sichert … besseren Realisten erwiesen haben: indem sie wertebe- wusst immer auf Veränderung gepocht haben. Wir po- Das ist der krasse Gegenentwurf zu Hartz IV, aber auch chen mit diesem Antrag auch auf Veränderung. Ich würde dazu, dass auf unsere Rentnerinnen und Rentner eine mich über Ihre Zustimmung freuen. Welle der Altersarmut zukommt. Vielen Dank. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist so primitiv!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch das, was Sie als „Leiharbeit“ beschönigen, ist eine reine Menschenrechtsverletzung. (B) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Gyde Jensen. – Nächste Rednerin: Die Leiharbeit hat in Deutschland in den vergangenen Zaklin Nastic für die Fraktion Die Linke. Jahren um 40 Prozent zugenommen. Leiharbeit verleiht (Beifall bei der LINKEN) nichts, Leiharbeit raubt. (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand Zaklin Nastic (DIE LINKE): [Fulda] [CDU/CSU]: Ich frage mich, warum Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Sie nicht nach Kuba oder nach Venezuela rei- Herren! Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sen und da leben wollen!) ist leider ein reines Kontrastprogramm zur deutschen Re- Mehr als 1 Million Menschen in Deutschland sind Leih- gierungspolitik. arbeiter und Leiharbeiterinnen. Davon profitiert unter an- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Marianne derem die Firma Randstad mit einem Umsatz 2017 von Schieder [SPD]: Man kann schon übertrei- allein 23,3 Milliarden Euro, ben!) (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Die zahlen So haben die Vereinten Nationen erst kürzlich die Bun- auch Steuern!) desregierung dafür gerügt, mit einem Geschäftsmodell namens Sklavenarbeit. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der LINKEN – Norbert Maria ja so daneben! Völlig maßlos!) ­Altenkamp [CDU/CSU]: Ist doch völlig über- dass es immer noch ungleichwertige Lebensbedingungen zogen! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Nor- in Ost und West gibt, dafür, dass 1,2 Millionen Menschen maler Wirtschaftsteilnehmer!) wohnungslos sind Meine Damen und Herren, in einer Welt, in der alle (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es gibt fünf Sekunden ein Kind stirbt, klingt Artikel 28 so uner- doch Treffer zwischen Ihnen und der AfD!) füllt wie revolutionär. Darin heißt es: und dass es nicht genug bezahlbaren Wohnraum gibt, Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vor- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Rechts und liegenden Erklärung angeführten Rechte und Frei- links schließt sich der Kreis!) heiten voll verwirklicht werden können. 8280 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Zaklin Nastic (A) Stattdessen hungern 840 Millionen Menschen auf der Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Welt – obwohl man die Menschheit zweimal ernähren Frau Kollegin, erlauben Sie? könnte. Warum? Weil vor den Menschenrechten der Konzernprofit regiert. Zaklin Nastic (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Nein. – Oder fahren Sie die Rüstungsexporte nur für FDP: Venezuela!) zwei, drei Monate runter, bis Gras über Khashoggis Lei- Wann endlich findet sich in diesem Hohen Hause eine che gewachsen ist? Die Linke sagt grundsätzlich Nein; Mehrheit, diesen Räubern in den Chefetagen mit dem Menschenrechte und Rüstungsexporte vertragen sich scharfen Schwert der Gesetze endlich entgegenzutreten, nicht. zum Beispiel dem Konzern Bayer-Monsanto mit einem (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der AfD: jährlichen Gewinn von 3 Milliarden Euro – mit Glypho- Was sagen Sie denn den Arbeitnehmern?) sat, mit krebserregenden Chemikalien, mit gentechnisch veränderter Baumwolle und Mais, mit Missernten und Meine Damen und Herren, die Präambel der Allge- Selbstmorden von indischen Bauern. Würden wir diesen meinen Erklärung der Menschenrechte stellt zudem fest, Völkermördern in Nadelstreifen es ist notwendig, (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Achtung! … Menschenrechte … zu schützen, damit der Achtung!) Mensch nicht gezwungen wird, als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung endlich entschlossen entgegentreten, dann müssten sich zu greifen. auch nicht 70 Millionen Menschen auf die Flucht bege- ben. Nun werden Sie sagen: Emmanuel Macron ist doch kein Tyrann, und die Gelbwesten haben auch deshalb (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nicht das Widerstandsrecht als letztes Mittel. Aber wenn Diese Konzerne machen satte Gewinne an der Börse man tagtäglich mit der Angst und Panik leben muss: „Wie mit Krieg, Hunger und Flucht. Und wenn dann Menschen bezahle ich mein Essen, meinen Strom, meine Miete?“, davor fliehen müssen, machen rechte Parteien Gewinne (Zuruf von der AfD: Meinen Diesel!) auch noch auf dem Rücken der Geflüchteten. Darum sind deren Profite übrigens der AfD so heilig; denn sie haben auch das ist eine Art der Tyrannei. ein gemeinsames Geschäftsmodell, und das heißt Elend. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb können übrigens Rechtsparteien auch niemals (B) Menschenrechtsparteien werden. Jetzt hat Macron etwas nachgeben müssen. Aber was (D) zeigen uns die Gelbwesten? Dass Menschenrechte eben (Beifall bei der LINKEN) nicht in einer Glasvitrine ausgestellt sein sollten, ab und Ja, meine Damen und Herren, man muss die Feinde zu hier zitiert und gelobt werden sollten, sondern dass der Menschenrechte auch beim Namen nennen: Goldman Menschenrechte tagtäglich erkämpft werden müssen Sachs, BlackRock, Daimler, Heckler & Koch, die Deut- (Norbert Maria Altenkamp [CDU/CSU]: Aber sche Bank und noch so manch ein Konzern, der schon nicht mit Gewalt! – Sebastian Brehm [CDU/ früher, wie thyssenkrupp zum Beispiel, auf der Spenden- CSU]: Gewaltfrei und mit Respekt!) liste von Faschisten und Rechtsparteien gestanden hat. und mit Leben ausgestattet sein müssen, auch auf der (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: SED!) Straße und auch hier in Deutschland! Im Übrigen betrifft das nicht nur die AfD. Weisen Sie (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Parteispenden von Menschenrechtsverletzern zurück! Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Auch auf (Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Ruppert Kuba und in Venezuela! Überall!) [FDP]: Das ist eine Unverschämtheit, was Sie Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sagen!) (Beifall bei der LINKEN) Oder machen Sie endlich eine Politik, dass die Ihnen gar nichts mehr spenden wollen! Nehmen Sie sich an den Linken ein Beispiel! Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Nastic. – Nächste Rednerin: (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abge- Margarete Bause für Bündnis 90/Die Grünen. ordneten der CDU/CSU – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: SED-Nachfolgepartei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rheinmetall zum Beispiel hat einen Jahresumsatz von 6 Milliarden Euro – mit nichts anderem als dem Export Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): von Mordwerkzeug in alle Welt, an Saudi-Arabien zum Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beispiel, Deutschlands zweitbesten Kunden. Die Bun- Letzte Woche durfte ich eine unglaublich mutige und ein- desregierung sonnt sich ja gerade darin, einen Rüstungs- drucksvolle Frau kennenlernen: Lamija Adschi Baschar. exportstopp an Saudi-Arabien verhängt zu haben. Gilt Lamija ist Jesidin, und sie ist Trägerin des Sacharow-­ das übrigens auch für deren Tochterunternehmen? Preises, den sie zusammen mit Nadia Murad, der diesjäh- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8281

Margarete Bause (A) rigen Friedensnobelpreisträgerin, im Jahr 2016 erhalten nalistinnen und Journalisten ermordet und Minderheiten (C) hat. unterdrückt. Lamija war Festrednerin bei der Menschenrechtskon- Und wir in Deutschland? Wie steht es um unsere ferenz unserer Fraktion hier im Bundestag. Sie hat un- Glaubwürdigkeit? Minister Maas hat das Thema Glaub- vorstellbare Gräueltaten erleiden müssen: Mit 15 Jahren würdigkeit vorhin in seiner Rede erwähnt. Wie ist das wurde sie von Schergen der IS-Milizen verschleppt. Sie zum Beispiel mit den Rüstungsexporten nach Saudi-Ara- wurde versklavt, misshandelt, vergewaltigt, immer wie- bien? Im Jemen leiden 11 Millionen Kinder an Hun- der an andere Männer verkauft. Ihr Martyrium dauerte ger und Krankheit. Alle zehn Minuten stirbt dort ein fast zwei Jahre, bis sie endlich fliehen konnte und bis Kind. „Jemen ist eine Hölle auf Erden für Kinder“, sagt sie im Mai 2016 nach Deutschland, genauer gesagt: nach UNICEF. Diese Kinder sind Opfer eines Krieges, der Baden-Württemberg, ausreisen konnte. maßgeblich betrieben wird vom Abnehmer unserer Waf- Ich habe sie gefragt, wie sie es denn eigentlich ge- fen, von Saudi-Arabien. Und wie glaubwürdig ist denn schafft hat, dass sie angesichts dieser entsetzlichen Ge- eigentlich ihr viel zu spät verkündeter Exportstopp – erst walt, die sie erleiden musste, nicht innerlich zerbrochen nach der Ermordung von Khashoggi –, wenn Rheinme- ist. Sie hat gesagt: Ich wollte überleben, damit ich meine tall nun offenkundig über ausländische Tochterfirmen Stimme erheben kann gegen die Verbrechen an mir und weiter tödliche Waffen an die Saudis liefern kann? Da all den anderen Frauen und Kindern und damit sich diese stellt sich in der Tat die Frage der Glaubwürdigkeit. Verbrechen nicht wiederholen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Oder: In seinem jüngsten Bericht hat das Deutsche der SPD und der Abg. Gyde Jensen [FDP]) Institut für Menschenrechte darauf hingewiesen, dass Liebe Kolleginnen und Kollegen, Lamijas Schicksal Arbeitsmigranten in Deutschland schwerer Ausbeutung zeigt uns: Menschenrechte gehören nicht ins Museum ausgesetzt sind. Und auch die menschenrechtlichen Stan- oder ins Schaufenster; sie müssen täglich neu erkämpft dards deutscher Unternehmen im Ausland beruhen im- und verteidigt werden, mer noch auf Freiwilligkeit. Auch da brauchen wir end- lich klare gesetzliche Regelungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gyde Jensen [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der und wir, wir haben die Verantwortung, alles zu tun – was LINKEN) (B) wir nur können –, ihnen Geltung zu verschaffen, hier bei (D) uns und weltweit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) te sind kein Nice-to-have, sondern die völkerrechtliche Grundlage unserer Zivilisation. Amnesty International Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrech- hat soeben eine Umfrage veröffentlicht, wonach 86 Pro- te feiern wir wirklich eine Sternstunde der Menschheit. zent der Deutschen wollen, dass wir hier im Bundestag Ihre Verabschiedung stellt bis heute eine der größten und Sie in der Regierung eine aktivere und offensivere Errungenschaften unserer Zivilisation dar. Ihre Annah- Menschenrechtspolitik machen und dass wir solche Staa- me vor 70 Jahren war ein Kraftakt, den wir auch einer ten, die Menschenrechte verletzen, stärker unter Druck bewundernswerten und starken Frau verdanken: Eleanor setzen. Ich finde, das ist ein klarer Handlungsauftrag an Roosevelt. Dafür auch nach 70 Jahren noch ganz herzli- uns alle. chen Dank! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN) SPD, der FDP und der LINKEN) Wenn wir glaubwürdig sein wollen, dann müssen wir Und heute? Regierungen wenden sich vom Multi- eine Menschenrechtspolitik aus einem Guss machen, lateralismus ab, Menschenrechte und deren Institutio- und dann darf nicht das Wirtschaftsministerium bei Rüs- nen werden offen infrage gestellt. Freiheitsrechte und tungsexporten das letzte Wort haben und auch nicht das Handlungsräume der Zivilgesellschaft werden unter dem Innenministerium bei Abschiebungen in Konfliktstaaten Vorwand nationaler Sicherheit beschnitten. Menschen- oder Unrechtsstaaten, rechtsverteidiger werden drangsaliert, eingesperrt oder gar ermordet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es geht hier auch um die Menschenrechte in Syrien, und bei der LINKEN sowie des Abg. Martin in China, in Myanmar, in Ägypten oder der Türkei und Patzelt [CDU/CSU]) vielen anderen Ländern – aber nicht nur. Auch in den und dann dürfen wir dem Sterben im Mittelmeer nicht USA oder in Europa – wo wir uns immer unsere Werte länger tatenlos zusehen. so sehr zugutehalten –, auch hier geraten die Menschen- rechte zunehmend unter Druck. Auch in der EU hetzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regierungen gegen Ausländer, auch hier im Bundestag und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten wird gegen Ausländer gehetzt. In der EU werden Jour- der CDU/CSU und der SPD) 8282 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Margarete Bause (A) Zu einer erfolgreichen Menschenrechtspolitik gehört Die Wunden des Zweiten Weltkriegs waren noch of- (C) es auch, gute Arbeitsstrukturen zu haben. Deutschland fen; aber die Menschenrechtserklärung führte die Men- tut sicher einiges, um Menschenrechtsverteidiger in vie- schen zusammen. Sie war und ist Ordnungspolitik – für len Ländern zu unterstützen; aber dieser Einsatz darf ein gutes Zusammenleben und für die individuelle Frei- eben nicht vom Engagement einiger motivierter Diplo- heit. Sie liefert Regeln gegen Diskriminierung, Hass und maten abhängen. Deswegen sollte es an allen deutschen Gewalt, Regeln, die uns ganz klar sagen: Der, den du Auslandsvertretungen Menschenrechtsreferentinnen und nicht kennst, auch der, den du nicht magst, der ist immer -referenten geben und Schutzräume für Aktivistinnen und überall ganz genauso viel wert wie du. und Aktivisten. Auch die Handlungsmöglichkeiten der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frank Menschenrechtsbeauftragten sollten verbessert werden; Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU] und sie sollte mehr Möglichkeiten haben. Ich finde, insge- Dr. Lukas Köhler [FDP]) samt sollte das Amt ans Bundeskanzleramt gehen, da- mit deutlich wird: Menschenrechtspolitik ist eine Quer- Heute wächst der Widerstand derjenigen wieder, die schnittsaufgabe. die Menschenrechte eben nicht für alle akzeptieren. Im- mer wieder wurde und wird versucht, die Menschenrech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – te zu relativieren. Häufig wird ein Gegensatz konstruiert: Zuruf der Abg. [SPD]) Man müsse sich entweder für soziale oder für individuel- le Menschenrechte entscheiden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Beispiel China. Dort gingen Hunger und Armut mas- Denken Sie bitte an die Redezeit. siv zurück. Immer mehr Menschen geht es dort wirt- schaftlich besser. Das ist ein Fortschritt. Aber warum Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): müssen Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Rechts- Sehr gerne. – Der Arzt Denis Mukwege, auch ein staatlichkeit dahinter zurückstehen? Friedensnobelpreisträger, hat gesagt: Nur der Kampf gegen die Straflosigkeit kann die Gewaltspirale durch- Ein weiteres großes Problem unserer Zeit betrifft den brechen. – Stärken Sie also den Internationalen Strafge- Widerstreit zwischen wirtschaftlichen Interessen und der richtshof sowie die Abteilung für Völkerstrafrecht der Bewahrung der Umwelt. Indigene Völker verlieren ihre Bundesanwaltschaft! Lebensgrundlagen, wenn reines Profitdenken das Han- deln bestimmt. Umweltaktivisten, die sich zum Beispiel Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir die in Lateinamerika dem entgegenstellen, sind massiv ge- Menschenrechte zum Kompass unseres Handelns! Das, fährdet. Viele werden getötet, und viele verschwinden. finde ich, sind wir Lamija Baschar, Nadia Murad, Oleg Oder: Menschenrechte werden als unvereinbar mit (B) Senzow, Amal Fathy, Ilham Tohti und unzähligen weite- (D) einer bestimmten Kultur, Tradition, Religion abgelehnt ren mutigen Menschen schuldig. und Veränderungen als Angriff auf Identität verstanden, Herzlichen Dank. als westliche Werte. Manche islamische Länder neigen hierzu. Wir erleben das aber auch in allen Teilen der Welt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch in Teilen Afrikas. Besonders Frauenrechte und die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Rechte von Schwulen, Lesben, Transgendern sind von SPD und der LINKEN und der Abg. Gyde solchen kulturellen Relativierungen betroffen. Jensen [FDP]) Aber – und hier sind wir in Europa angekommen –: Vizepräsidentin Claudia Roth: Identitätsbildung wird auch gerne benutzt, um sich ab- zugrenzen. Andere Kulturen und Menschen sind dann Vielen Dank, Margarete Bause. – Nächste Rednerin: plötzlich weniger wert. Andere Meinungen gelten nicht, Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion. und zentrale Werte wie die Gleichheit aller Menschen (Beifall bei der SPD) werden offen infrage gestellt. Zu beobachten ist das auch in Ungarn, in Polen, in Italien und bei Rechtspopulisten Gabriela Heinrich (SPD): in Österreich und Deutschland. Und dem müssen wir Demokratinnen und Demokraten uns entgegenstellen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und in Deutschland wie in Europa. Denn ein Angriff auf die Herren! 1948: Millionen Menschen waren tot. Millio- Menschenrechte ist immer auch ein Angriff auf die De- nen Menschen waren auf der Suche nach ihren Famili- mokratie. en. Millionen waren heimatlos. Der Kalte Krieg war in vollem Gange, und diese Stadt Berlin, die musste aus (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem der Luft versorgt werden. Und trotzdem war die Welt- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- gemeinschaft zum ersten Mal in der Lage, etwas absolut geordneten der FDP) Unglaubliches zu tun: Sie gestand mit der Allgemeinen Das Konzept der universellen, unveräußerlichen und Erklärung der Menschenrechte in 30 Artikeln jedem ein- unteilbaren Menschenrechte ist es wert, davon begeistert zelnen Menschen die gleichen elementaren Rechte zu – zu sein; und das, obwohl noch so viele verfeindet waren. Das war eine Zäsur. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten denn es verbessert das Leben von allen Menschen – in der CDU/CSU und der FDP) Europa und auf der Welt. Die Menschenrechte sind bes- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8283

Gabriela Heinrich (A) ser dazu geeignet, Identität zu stiften, als Ausgrenzung. Aber das heißt doch nicht, dass die Bundesregierung sich (C) In meiner Heimatstadt Nürnberg, der Stadt des Friedens nicht für die Menschenrechte einsetzen würde. Das ist und der Menschenrechte, ist das so. Die Auseinander- völlig absurd. setzung mit der Menschenrechtserklärung ist zu einem wichtigen Teil unserer Stadtidentität geworden; das ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auch ein Teil unserer Verantwortung. der CDU/CSU – Norbert Maria Altenkamp [CDU/CSU]: Danke! – Michael Brand [Ful- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Nürn- da] [CDU/CSU]: Das war ätzend von Frau berg ist klasse! Die machen viel für Men- Nastic!) schenrechte!) Genau das ist es, glaube ich, was wir an einem solchen Tag, am 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Aber es geht auch um Hoffnung, um die Hoffnung, Menschenrechte, tatsächlich hier diskutieren müssen. Es dass wir gemeinsam etwas erreichen können auf dem ist zwar ein Jubiläum, aber ich finde, es fordert nicht zum Weg, die 30 Artikel der Erklärung der Menschenrech- Jubeln auf, sondern es fordert dazu auf, nachzudenken, te für alle zur Geltung zu bringen. Denn wenn wir uns und zwar darüber, was im Moment auf der Welt passiert. die Welt heute anschauen, dann muss man sagen: Heute brauchen wir die Allgemeine Erklärung der Menschen- Wenn linke Intellektuelle aus Frankreich Menschen- rechte ganz bestimmt genauso wie vor 70 Jahren. rechte, Demokratie und Kapitalismus zusammendenken und sagen: „Sie müssen überwunden werden“, dann ist Vielen Dank. das ein Grund zur Sorge. Wenn der russische Präsident und die russischen Staatsmedien darüber sprechen, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie die westliche Welt verweichlicht und Kriminalität und bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- absurderweise Homosexualität dazu führen, dass wir vor NISSES 90/DIE GRÜNEN) großen Problemen, vor großen Herausforderungen in unserer Gesellschaft stehen, dann ist das ein Grund zur Sorge. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gabriela Heinrich. – Nächster Redner (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten für die FDP-Fraktion: Dr. Lukas Köhler. der CDU/CSU und der Abg. Gabriela Heinrich [SPD]) (Beifall bei der FDP) Wenn Entwicklungs- und Schwellenländer auf der Kli- makonferenz in Kattowitz davon sprechen, dass Men- (B) schenrechte in Artikel 6 des Pariser Abkommens, in dem (D) Dr. Lukas Köhler (FDP): es um die Marktmechanismen geht, nichts zu suchen ha- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten ben, dann ist das ein Problem. Deshalb ist der Kampf für Damen und Herren! Liebe Linke! Liebe Frau Nastic, ein liberales Verständnis von Menschenrechten so abso- ich hatte eigentlich einen ganz anderen Einstieg geplant. lut zentral. Aber ich muss sagen: Man kann die Bundesregierung kritisieren. Man kann sie oft kritisieren, man kann sie für Diese Menschenrechte fußen auf der Autonomie des vieles kritisieren, es ist an vielen Stellen problematisch. Menschen. Deswegen sind sie für uns wichtig. Deswegen sind sie an jedem Tag zu leben. Aber sie sind nicht nur (Zuruf der Abg. Zaklin Nastic [DIE LINKE]) juristisch umzusetzen. Sie sind zu leben, und sie müssen gelebt werden – von uns allen und das täglich. Sie gelten Aber ihr vorzuwerfen, die Regierungspolitik sei ein weltweit. Natürlich sind sie niemandem abzusprechen, Kontrastprogramm zur Allgemeinen Erklärung der Men- egal welcher Religion, welcher Herkunft oder welcher schenrechte, das wird weder der Sache gerecht, noch ist Hautfarbe. es ungefährlich. Was Sie hier tun, ist: Sie schleifen das (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael große Schwert der Menschenrechte ab. Sie machen es Brand [Fulda] [CDU/CSU]) stumpf für ihre Verteidigung. Sie müssen aber verteidigt werden. Sie müssen auch auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie neue Herausforderungen überprüft werden. bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Herr Maas hat es gesagt: Gerade der Klimawandel Jürgen Braun [AfD]) bedroht Menschenrechte an vielen Stellen. Wir müssen nicht nur weltweit darüber nachdenken, sondern auch Was die Bundesregierung an so vielen Stellen tut, ist, zeitlich darüber nachdenken, wie Menschenrechte kom- sich überall für die Menschenrechte einzusetzen. Das ist mender Generationen betroffen sind. Das ist ein Auftrag gut, und das ist richtig. Ja, wir haben Probleme. Ja, wir liberaler Demokratie. können an einigen Stellen vor unserer eigenen Haustür (Beifall bei Abgeordneten der FDP) kehren. Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur einladen: (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das war Lassen Sie uns gemeinsam für Menschenrechte einste- eine eingeschränkte Sicht! Reicht nicht über hen! Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass den Tellerrand!) Rechtsstaat und Demokratieprinzip zusammengedacht 8284 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Lukas Köhler (A) werden mit Chancen, die auch durch marktwirtschaftli- Ethnische und religiöse Minderheiten oder Menschen (C) che Prozesse entstehen! Lassen Sie uns gemeinsam dafür mit unterschiedlichster sexueller Identität sind immer kämpfen, dass wir weltweit noch weitere 70 Jahren Men- noch in weiten Teilen der Welt Diskriminierungen, Re- schenrechte feiern können! pressalien, Gewalt und unwürdiger Behandlung ausge- setzt. Und nicht nur das: Man kann, wenn man auf die Vielen lieben Dank. Zahlen schaut, mit Fug und Recht sagen: Keine Religion (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wird heute stärker verfolgt als das Christentum. Zugleich der CDU/CSU und der SPD) werden die Handlungsspielräume für die Zivilgesell- schaft in vielen Ländern signifikant eingeschränkt.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Deshalb möchte ich an dieser Stelle heute unterstrei- chen: Für uns als Bundesministerium für wirtschaftliche Vielen Dank, Dr. Köhler. – Nächste Rednerin: die Par- Zusammenarbeit und Entwicklung ist deutsche Entwick- lamentarische Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth. lungspolitik primär Menschenrechtspolitik. Menschen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rechte sind das Herzstück, aber auch der Rahmen der ordneten der SPD) Agenda 2030, die für uns die Richtschnur unseres ent- wicklungspolitischen Handelns darstellt. Über 90 Pro- zent des dazugehörigen umfangreichen Zielkatalogs Dr. Maria Flachsbarth, Parl. Staatssekretärin beim nehmen Bezug auf Menschenrechte und auf Arbeitneh- Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und merrechte. Entwicklung: Jeden Tag bedeutet das für uns im BMZ: Wir wollen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen mit unseren Projekten dazu beitragen, dass Menschen und Kollegen! Die Verabschiedung der Allgemeinen Er- überall auf dieser Welt in Würde und Freiheit leben kön- klärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 ist nen. Unsere Vorhaben sind daher so vielfältig und kom- einer der wichtigen Ecksteine internationaler Politik. Sie plex wie die dahinterstehenden Herausforderungen. war aber auch eine Reaktion auf die dunkelsten Kapitel in der deutschen Geschichte: auf die Gräuel des Zwei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ten Weltkrieges, auf die Nürnberger Gesetze, die Wann- Gabriela Heinrich [SPD]) see-Konferenz, auf die „Topographie des Terrors“, die Die Bundesregierung unterstützt zum Beispiel den Afri- wir in unmittelbarer Nähe unseres Ministeriums stets vor kanischen Gerichtshof und die Afrikanische Kommission Augen haben. für Menschenrechte. Lassen Sie mich nur in einer Fuß- note darauf hinweisen, dass der südafrikanische ANC (B) „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und (D) Rechten geboren.“ Mit diesem Satz haben die Verein- bereits am 16. Dezember 1943 in seiner Erklärung „Af- ten Nationen vor 70 Jahren jedem Menschen auf diesem ricans’ Claims in South Africa“ die Gültigkeit der Men- Planeten, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Reli- schenrechte auch für Afrika einforderte. Überlegen Sie gion oder sozialem Status, in einer Art Grundgesetz die mal, wo Europa an diesem Tag war! gleichen Rechte und Freiheiten zugesichert. Alle Staaten Anfang nächsten Jahres, im Februar, werden wir im sind mit ihrem UN-Beitritt die Verpflichtung eingegan- Rahmen des Marshallplans mit Afrika in Abidjan Mit- gen, den Menschenrechten in ihren nationalen Rechts- gastgeber einer Konferenz zum Thema „Zugang zum systemen volle Geltung zu verschaffen. Recht und Integrität der Gerichte“ sein. Wo immer mög- lich kooperieren wir mit nationalen Menschenrechtsinsti- Es war die Vision von einer besseren Welt, tutionen, zum Beispiel in Mauretanien zur Förderung der (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: So war öffentlichen Menschenrechtsdebatte, in Marokko, wo wir es!) den Menschenrechtsrat beim Aufbau eines Menschen- rechtsbildungszentrums unterstützen. In Bangladesch die im Dezember 1948 Delegationen aus allen Teilen der und auch in Lateinamerika unterstützen wir besonders Welt unter der Leitung von Eleanor Roosevelt in Paris von Diskriminierung und Marginalisierung betroffene zusammenführte: einer Welt, in der alle Menschen in ih- Bürgerinnen und Bürger, unter anderem beim Zugang rer Würde als Individuen geschützt werden, einer Welt, zum Rechtssystem. Die Bekämpfung von ausbeuteri- in der Gleichheit und Gerechtigkeit als universelle Werte scher Kinderarbeit, Kinderhandel oder geschlechtsspe- gelten. zifischer Gewalt ist zum Beispiel in Burkina Faso ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit. Derzeit beobachten wir weltweit mit großer Sorge, dass die in der Erklärung festgeschriebenen menschen- Bei humanitären Katstrophen kommt dem Schutz der rechtlichen Normen zunehmend gefährdet oder infrage Schwachen oft die größte Bedeutung zu. Hier schätzen gestellt werden. In vielen Teilen auch der westlichen wir zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Pionierorga- Welt nehmen Menschenrechtsverletzungen zu. Ange- nisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten sichts der Kriege in Syrien und im Jemen, der Situation Kreuz. der Frauen im Ostkongo, der Flüchtlinge in Nordlibyen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) oder der Versklavung von Kindern und Frauen durch is- lamistische Terrorgruppen oder Drogenkartelle in Latein- Aber wir wissen auch: Das Streben nach Menschen- amerika kann wahrlich keine Rede davon sein, dass der rechten bleibt ein gefährliches Unterfangen, gerade dort, Kampf um die Menschenrechte gewonnen wäre. wo sich Unrechtsregime festgesetzt haben. Deshalb Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8285

Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth (A) ist eine informierte, eine aktive Öffentlichkeit für den weiches Recht Bedeutung; hier in Europa sind sie sogar (C) Schutz des Individuums so unverzichtbar. zu hartem Recht geworden. Hier möchten wir ganz besonders auf die Rolle von (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wir Menschenrechtsverteidigerinnen und -anwälten auf- wissen, was Sie sagen wollen, aber es stimmt merksam machen, die in vielen Ländern dieser Welt mit nicht!) ihrem Einsatz für Menschenrechte Leib und Leben, auch das ihrer Familien, riskieren. Genau das Gleiche gilt für Das ist im Übrigen eine Wandlung von Soft Law zu Journalistinnen und Journalisten, die Menschenrechts- Hard Law, wie sie 70 Jahre später in Marrakesch für den verletzungen aufdecken, auch hier bei uns in Europa. Migrationspakt ausgeschlossen wird. Die UN-Erklärung ist damit mehr als nur ein schöner Traum. Zumindest in Ich möchte einen weiteren Punkt einführen: Das ist Teilen der Welt ist sie gesellschaftliche Realität gewor- die Rolle der globalisierten Wirtschaft. Auch Unterneh- den. men stehen in der Pflicht. Mit dem Nationalen Aktions- plan „Wirtschaft und Menschenrechte“ formuliert die Zuweilen können aber auch Träume zu Albträumen Bundesregierung daher eine klare Erwartungshaltung an mutieren, nämlich dann, wenn der Kontext verloren geht. die Privatwirtschaft. Menschenrechte sind zu achten, und 70 Jahre später muss man sich diesen Kontext in Erin- die gesamten Lieferketten sind so zu organisieren, dass nerung rufen. Die UN und ihre Charta erwuchsen aus sie menschenrechtlichen Standards genügen. den Trümmern des Zweiten Weltkriegs und im Angesicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- des Konfliktes zwischen den freien Staaten des Westens ordneten der SPD) und den sozialistischen Staaten des Ostens. Die Dekla- ration rückte den Menschen in den Mittelpunkt – eine Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- Kampfansage in jener Welt, die den Nationalsozialismus ginnen und Kollegen, auch wenn zum 70. Jubiläum der überwunden hatte, aber immer noch mit dem Kommunis- Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zweifellos mus rang. Viele Passagen der Erklärung sind wiederum große Fortschritte zu verzeichnen sind, so nehmen wir so allgemein, dass sie die damaligen sozialistischen Län- das Jubiläum in erster Linie auch zum Anlass, unser Be- der nicht ablehnen konnten. kenntnis zu den Menschenrechten zu bekräftigen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte entstand in Unter diesem Doppelgesicht leidet das Dokument einem denkbar ungünstigen Klima, das von dem herauf- bis heute. In den 50ern sollte die Allgemeine Erklärung ziehenden Kalten Krieg stark überschattet war. Dennoch der Menschenrechte die Freiheit und Selbstbestimmung hat ihr Beharren auf die unveräußerlichen Rechte eines von Regimekritikern in Ostblockstaaten stärken. Heute jeden Millionen Menschen Hoffnung und Mut gemacht entkoppeln Politiker, NGOs und andere selbsternannte (B) (D) und ihnen ihre Würde gegeben. Das sollte auch uns jetzt Menschenrechtsaktivisten den Inhalt der Erklärung zu in Zeiten neuer internationaler Krisen und Entsolidarisie- ihren Gunsten und verzerren somit ihren eigentlichen rung Inspiration und Ansporn sein. Inhalt. Das Menschenrecht auf Arbeit wird zum Men- schenrecht auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, das Danke schön. Menschenrecht auf Asyl zum Menschenrecht auf Migra- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- tion, das Menschenrecht auf Nichtdiskriminierung wird wie bei Abgeordneten der FDP) zum Menschenrecht auf die Auflösung gesellschaftlicher Standards und Normen umdefiniert. Keiner der Vertreter der damaligen 58 Mitgliedstaaten hätte sich einen sol-

Vizepräsidentin Claudia Roth: chen Missbrauch der Erklärung vorstellen können, die Vielen Dank, Dr. Maria Flachsbarth. – Nächste Red- zum Spielball linker Beglückungsfantasien geworden ist. nerin: Dr. Frauke Petry, fraktionslose Kollegin. Aber nicht nur deswegen ist die Deklaration als glo- (Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktions- bale Verfassung unbrauchbar. Mit der Kairoer Erklärung los]) der Menschenrechte und der Erklärung von Bangkok ha- ben gleich zwei Kulturkreise verdeutlicht, dass es sich Dr. Frauke Petry (fraktionslos): bei universellen Menschenrechten um eine rein westliche Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Vorstellung handelt. Wieder spielt der historische Kon- Herren! Der 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung text eine bedeutende Rolle. Ein Großteil der Welt war der Menschenrechte ist nicht nur für die Geschichte der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung kolonial aufgeteilt. Vereinten Nationen, sondern auch für Deutschland ein Demografisch, kulturell und wirtschaftlich dominierten bedeutsames Datum. Die Deklaration inspirierte und be- die USA und die westeuropäischen Staaten den Globus. einflusste den Parlamentarischen Rat, der damals noch Eine andere Zukunft als eine nach dem westlichen Vor- um das deutsche Grundgesetz rang. Der erste Artikel un- bild galt als ausgeschlossen. serer Verfassung fußt auf der Präambel und dem ersten Artikel des UN-Dokuments. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sie ha- ben die Menschenrechte nicht begriffen! Sie Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gilt haben es einfach nicht begriffen! Das ist kein aber auch als Fundament der Europäischen Menschen- Exklusivrecht für den Westen!) rechtskonvention, die bis heute vom Europäischen Ge- richtshof für Menschenrechte überwacht wird. Damit ha- Das hat sich heute gewandelt. In den letzten 70 Jahren ben die Menschenrechte nicht nur als Gewohnheits- oder hat die UN ihre Ansprüche erweitert. Ideologisch ist die 8286 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Frauke Petry (A) Welt jedoch seit Mitte der 90er-Jahre von den Zielen ab- Diskussionen geführt, unter anderem über die Menschen- (C) gerückt. rechtsverletzungen an den Uiguren in China oder an den Darüber hinaus kennt die UN-Erklärung nur die Rech- Rohingya in Myanmar und Bangladesch. Jeden Tag wer- te geborener Menschen – eine Auffassung, die auch 1959 den weltweit Menschenrechte mit Füßen getreten. Liebe bei der Erklärung der Rechte der Kinder kaum verbessert Kolleginnen und Kollegen, das dürfen wir niemals hin- wurde. Menschenrechte zu verteidigen und zu feiern, ist nehmen, und das dürfen wir niemals akzeptieren. richtig. Sie nach 70 Jahren aber auch in ihrer Entwick- lung kritisch zu beurteilen, ist Teil vorausschauender Po- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem litik. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der FDP und der LINKEN) (Beifall des Abg. Mario Mieruch [fraktions- los] – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Es Deutschland hat hier eine ganz besondere Verantwor- traut sich nur einer, zu klatschen!) tung. Wir müssen die richtigen Schlüsse aus den Lehren der Vergangenheit ziehen. Das bedeutet, die Menschen- Vizepräsidentin Claudia Roth: rechte tagtäglich zu verteidigen. Wir tun das – das ist Danke schön. – Der nächste und letzte Redner in schon erwähnt worden – im Bundestag zum Beispiel mit der Menschenrechtsdebatte ist Sebastian Brehm für die dem Programm „Parlamentarier schützen Parlamentari- CDU/CSU-Fraktion. er“. (Beifall bei der CDU/CSU) Bitte erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung. Ich konnte mit meinem Kollegen aus Nürn- Sebastian Brehm (CDU/CSU): berg, , hier die persönliche Patenschaft Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen für den Menschenrechtspreisträger 2009, Abdolfattah und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Soltani, übernehmen. Mit vereinten Kräften und übrigens Keine andere deutsche Stadt war so mit der Aufarbei- auch mithilfe der Bundesregierung wurde er nach acht tung unmenschlichen Verbrechens und millionenfacher Jahren Haft im Iran endlich freigelassen. Danke an alle Menschenrechtsverletzungen konfrontiert wie meine Beteiligten! Heimatstadt Nürnberg. Degradiert von dem Wahn der Nationalsozialisten wurde Nürnberg zur Stadt der Reichs­ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem parteitage, und durch die Ausrufung der Rassegesetze, der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Nürnberger Gesetze, rückte Nürnberg weltweit in ein ganz geordneten der FDP und der LINKEN) (B) abscheuliches Licht. (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Allgemeine 1945 begannen die Nürnberger Prozesse, zunächst ge- Erklärung der Menschenrechte ist seit mehr als 70 Jah- gen die Hauptkriegsverbrecher, dann zwölf Folgeprozes- se gegen Ärzte, Juristen, Mitglieder der SS, der Polizei, ren nicht nur einer der größten Erfolge der Weltge- Industrielle, Manager, militärische Führer und Regie- meinschaft, sondern eben auch eine Verpflichtung zum rungsvertreter. In seiner mehrstündigen Eröffnungsrede Schutz für alle Menschen. Doch der Staat alleine sieht legte der Chefankläger Robert Jackson den Grundstein eben nicht sofort alle Menschenrechtsverletzungen in der für ein modernes Völkerstrafrecht. Es war, wie er selbst Welt, und deswegen ist es, glaube ich, auch wichtig, dass sagte, eines der größten Zugeständnisse, das die Macht wir von dieser Stelle einen großen Dank richten an die jemals der Vernunft eingeräumt hat. Die Vernunft muss zivilgesellschaftlichen Kräfte, an die Nichtregierungsor- also über der Macht stehen. Das war auch der Grundge- ganisationen und an mutige Journalisten, die tagtäglich danke der Gründerstaaten der Vereinten Nationen, als sie Menschenrechtsverletzungen aufspüren und sie publik sich 1948 auf die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung machen. Danke für Ihr Engagement! der Menschenrechte einigten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Heute, 70 Jahre später, stehen im Herzen meiner Stadt LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP in der Straße der Menschenrechte Betonsäulen, auf de- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Men- schenrechte eingemeißelt sind. „Alle Menschen sind frei Aber der Dank gilt auch den Bürgerinnen und Bürgern, und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So steht es die sich täglich ehrenamtlich in unserem Land engagie- auf der ersten Säule. Diese Säulen sind sowohl eine An- ren, zum Beispiel in der Kirche, in Obdachlosenheimen, klage gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten als in der Jugendarbeit. Sie leisten auch tatkräftige Mithil- auch eine zu Stein gewordene Mahnung, dass Menschen- fe, die Würde des Menschen und die Menschenrechte zu rechte auch heute noch in vielen Staaten der Erde massiv verletzt werden. schützen. Auch hier ein großes Dankeschön! Tag für Tag hören wir von Verbrechen und abscheuli- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem chen Menschenrechtsverletzungen. Frauenrechte werden BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- missachtet. Minderheiten werden vertrieben. Andersden- geordneten der FDP und der LINKEN) kende werden verfolgt. Aktuell erreichen uns Bilder aus dem Jemen, die uns aufrütteln müssen. Wir haben in die- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen niemals sem Jahr im Plenum und in den Ausschüssen zahlreiche müde werden, wenn es um die Menschenrechte geht. Es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8287

Sebastian Brehm (A) ist unsere Aufgabe, diese 70 Jahre alte Erklärung täg- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: (C) lich mit neuem Leben zu erfüllen. Menschenrechte sind nämlich die Grundlage für Frieden. Menschenrechte sind a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- die Grundlage für Wohlstand, die Grundlage für freies geordneten Christian Lindner, Christian Dürr, und selbstbestimmtes Leben. Menschenrechte sind vor Wolfgang Kubicki, Dr. Marco Buschmann und allem eben universal und unteilbar. Lassen Sie uns ge- der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei- meinschaftlich die Menschenrechte jeden Tag aufs Neue nes Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritäts- verteidigen, zuschlaggesetzes 1995 ( [SPD]: Jawohl!) Drucksache 19/1038 und lassen Sie uns auch unsere Demokratie schützen ge- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- gen Radikale von rechts und von links. ausschusses (7. Ausschuss) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Drucksachen 19/6406, 19/6440 (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wie bei Abgeordneten der FDP) richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan Keuter, Albrecht Glaser, Franziska Gminder, weiterer Vizepräsidentin Claudia Roth: Abgeordneter und der Fraktion der AfD Vielen Dank, Sebastian Brehm. Antrag auf sofortige und uneingeschränkte (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ich habe Abschaffung des Solidaritätszuschlags sogar die Zeit eingehalten!) Drucksachen 19/1179, 19/6406, 19/6440 – Sie haben sogar noch etwas übrig gelassen. Vielen herzlichen Dank. Aber bitte, bitte nicht Herrn Brand er- Über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP werden zählen; sonst überzieht er nächstes Mal noch mehr. wir später namentlich abstimmen, und wie viel später das sein wird, haben wir in einer interfraktionellen Verein- Ich schließe die Aussprache. barung beschlossen. Für die Aussprache sind nämlich Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen, lie- 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Wi- be Kolleginnen und Kollegen. Der Entschließungsantrag derspruch. Dann bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/6455 soll zur fe- Platz zu nehmen, Gespräche – auch auf der Regierungs- derführenden Beratung an den Ausschuss für Menschen- bank – woanders zu führen. (B) (D) rechte und humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für wirtschaftli- Dr. Wiebke Esdar­ für die SPD-Fraktion. che Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und an (Beifall bei der SPD) den Ausschuss Digitale Agenda überwiesen werden. Sie sind damit einverstanden. – Dann ist die Überweisung so Dr. Wiebke Esdar (SPD): beschlossen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Weihnachtszeit, Zeit für kleine Aufmerksamkeiten, Zeit Drucksache 19/6456 soll zur federführenden Beratung an für Geschenke an die Liebsten. AfD und FDP wollen in den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hil- dieser Woche mit ihrem Antrag bzw. Gesetzentwurf gro- fe und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, ße Wohltaten für Reiche verteilen. Ich frage, ob es dafür den Ausschuss für Inneres und Heimat, den Ausschuss auch an der Zeit ist. Da sagen wir ganz klar Nein. für Recht und Verbraucherschutz, den Ausschuss für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wirtschaft und Energie, den Ausschuss für Arbeit und der LINKEN) Soziales, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit und an den Ich möchte das mit einem Rechenbeispiel verdeut- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- lichen: Die durchschnittliche Vergütung für einen Vor- wicklung überwiesen werden. Sie sind damit einverstan- standsvorsitzenden eines deutschen DAX-Konzerns den. – Dann ist diese Überweisung so beschlossen. betrug im letzten Jahr 7,4 Millionen Euro. Nehmen wir dieses Jahreseinkommen und streichen den Soli kom- Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ plett, so wie Sie es vorschlagen haben, dann spart der Die Grünen auf Drucksache 19/6457 soll zur federfüh- Herr Konzernboss 180 000 Euro Solidaritätszuschlag je- renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte des Jahr. und humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus- wärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Inneres und Hei- (Olav Gutting [CDU/CSU]: Ich dachte, die mat, den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, zahlen gar keine Steuern! – den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Entwicklung und an den Ausschuss für die Angelegen- Das ist Ihr Weg zu mehr Steuergerechtigkeit. Ich sage heiten der Europäischen Union überwiesen werden. ganz klar: Unser Weg ist es nicht. Auch damit sind Sie einverstanden. – Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) 8288 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Wiebke Esdar (A) Ihr Ziel, Steuergeschenke an Topverdiener zu verteilen, guten, differenzierten Studien dazu zeigen sehr deutlich, (C) lassen wir Ihnen und auch allen anderen Parteien in die- dass eine Senkung der Einkommensteuer vor allem bei sem Hause nicht durchgehen. den Geringverdienenden und bei der Mittelschicht zu stärkerer Konsumnachfrage führt, bei den Spitzenverdie- (Beatrix von Storch [AfD]: Linker Populis- nenden erhöhen Steuersenkungen vor allem die Sparquo- mus!) te. So ist es wirtschaftlich sinnvoll, Menschen mit einem Darum ist es gut, dass die SPD regiert. eher geringeren Einkommen zu entlasten, mit dem Ziel, dass sich Arbeit wieder mehr lohnt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Diese Diskussion um weniger Steuern für Spitzenver- diener ist meines Erachtens hier fehl am Platz, und ich Genau das, meine Damen und Herren, haben wir als werde Ihnen auch darlegen, warum: SPD mit der Union im Koalitionsvertrag festgeschrie- ben: Den Soli werden wir bis 2021 für 90 Prozent der Erstens. Viele sagen, in Zeiten von sprudelnden Steu- Menschen, die ihn heute zahlen, abschaffen. Im Gegen- ereinnahmen gebiete es die Steuergerechtigkeit, die wert von 10 Milliarden Euro werden wir damit diejeni- Menschen zu entlasten, die die höchsten Steuern zahlen, gen entlasten, die es im Portemonnaie spürbar bemerken die Vermögenden, die Einkommensstarken. werden. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Die zahlen (Beifall bei der SPD) ja hohe Einkommensteuern!) Ihr Konzept im vorgelegten Antrag, die Steuern per Ich halte Ihnen an dieser Stelle eine gerade am letzten Gießkanne für die Reichen und Wohlhabenden zu sen- Freitag veröffentlichte Studie des Deutschen Institutes ken, für Wirtschaftsforschung entgegen, die besagt, dass die Einkommensstarken seit Ende der 90er-Jahre bereits ( [FDP]: Für Gießkannen seid ihr massiv entlastet worden sind. Ich zitiere mit Erlaubnis zuständig!) der Präsidentin das DIW: wäre nichts anderes als ein Antrag gegen die Zukunfts- Der Solidaritätszuschlag wurde bei den Spitzenver- fähigkeit Deutschlands. Mindestens 8 Milliarden Euro dienenden seit 1998 schon zwei- bis dreimal abge- würden uns dann für Zukunftsinvestitionen in Bildung, schafft. Qualifizierung und Infrastruktur fehlen. Dagegen müssen einkommensschwächere Menschen (Christian Dürr [FDP]: Das ist deutlich ein heute einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens Aufruf zum Rechtsbruch, was Sie hier ma- (B) für Steuern entrichten, als es damals der Fall war. Wir chen!) (D) sagen: Das ist ungerecht. Darum stärken wir als SPD die Meine Damen und Herren, unser Staat hat wirklich Geringverdienenden und die Mittelschicht. andere Herausforderungen zu bewältigen, als sich um (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten milliardenschwere Steuersenkungen für Millionäre zu der LINKEN) sorgen. Zweitens fordern Sie, man müsse die deutschen Un- (Kay Gottschalk [AfD]: Klassenkampf!) ternehmen von Steuern befreien, damit sie im globalen Herzlichen Dank. Wettbewerb bestehen können. Dabei zeigen doch die ak- tuellen wirtschaftlichen Kennzahlen, dass die Gewinne (Beifall bei der SPD – Kay Gottschalk [AfD]: der deutschen Unternehmen unverändert hoch sind, weil Haben Sie das Skript von Frau Wagenknecht wir in den letzten zwei Jahrzehnten bereits die Unter- gehabt?) nehmensteuer gesenkt, die Vermögensteuer abgeschafft und die Erbschaftsteuer bei Unternehmensübertragungen Vizepräsidentin Claudia Roth: quasi beseitigt haben. Vielen Dank, Dr. Esdar. – Jetzt ist der nächste Redner (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Schlimm, dran, und zwar Stefan Keuter für die AfD-Fraktion. schlimm! – Kay Gottschalk [AfD]: Das hat die OECD empfohlen, Frau Kollegin!) (Beifall bei der AfD)

Darum brauchen die Unternehmen in unserem Land kei- Stefan Keuter (AfD): ne Steuersenkungen, schon gar nicht mit der Gießkanne, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und sondern eine gute Infrastruktur und gezielte Unterstüt- Herren! Seit März 2018, also seit gut neun Monaten, zung, damit sie innovativ bleiben können. Da liegen die berät der Deutsche Bundestag über die Anträge der wahren Herausforderungen, meine Damen und Herren. FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion zur Abschaffung (Beifall bei der SPD) des Solidaritätszuschlages. In dieser Zeit trägt eine Frau normalerweise ein Kind aus. Betrachten wir einmal die Und drittens meinen Sie, die Abschaffung des Soli Schwangerschaft dieses Antrags. und die damit verbundene Senkung der Einkommensteu- er würde die Konsumnachfrage steigern. Das ist auch Am 15. März hatte ich an dieser Stelle zu unserem An- auf den ersten Blick nicht falsch, aber wie so oft lohnt trag gesprochen und diesen erläutert. Das Plenum hatte es sich, ein zweites Mal genauer hinzusehen. Denn die die Überweisung in den Finanzausschuss beschlossen. In Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8289

Stefan Keuter (A) der zehnten bis zwölften Woche einer Schwangerschaft selber . Die CDU/CSU hat das Geld schon verplant. Des- (C) findet in der Regel eine große Vorsorgeuntersuchung halb will sie den Soli erst zum Ende der Legislaturperiode statt, ein Ultraschallbild wird gefertigt, und der Frauen- schrittchenweise abschaffen. Nun hat aber der CDU-Par- arzt teitag mehrheitlich beschlossen, den Solidaritätszuschlag schon zum Ende der Wahlperiode im Jahr 2021 für alle (Marianne Schieder [SPD]: Oder die Fraue- Bürger abzuschaffen. Ob dies der Koalitionspartner mit- närztin! So weit sind wir schon!) macht? Ich bin neugierig und gespannt, ob das so eintre- prüft die Gesundheit von Mutter und Kind auf Herz und ten wird. Nieren. So war es auch hier: Gut drei Monate nach mei- Die AfD steht für eine sofortige Abschaffung des So- ner Rede befasste sich der Finanzausschuss am 27. Juni lis. Die FDP möchte dies erst 2019 tun. Linke und Grüne in einer öffentlichen Anhörung mit namhaften Steuer- wollen – wen wundert es? – am Soli festhalten. Unser und Verfassungsexperten mit dem Thema Abschaffung Antrag auf sofortige Abschaffung des Solidaritätszu- des Solidaritätszuschlages. schlages wurde im Ausschuss abgelehnt. Ich befürchte (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Sie waren gar also, dass dieser Antrag eine Totgeburt sein wird. Wir nicht da!) werden es ja gleich sehen. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsge- Wir stimmen hier gegen die Beschlussempfehlung des richts, Professor Hans-Jürgen Papier, führte hier noch Ausschusses, um den Bürgern zu zeigen, dass wir diese mal sehr deutlich aus, dass die Erhebung des Solidari- verfassungswidrige Sondersteuer sofort abschaffen wol- tätszuschlages von der Verfassung nicht mehr gedeckt len. sei. Der Solidaritätszuschlag darf nur zur Deckung eines (Beifall bei der AfD) wirklich bestehenden zusätzlichen Finanzbedarfes des Bundes erhoben werden. Professor Papier erläuterte, Ich sage hier heute ganz klar: Der Soli ist überflüssig dass dieser Finanzbedarf spätestens mit dem Ablauf des wie ein Kropf. Er ist verfassungswidrig. Geben wir den Solidarpaktes II offenkundig und objektiv nicht mehr Bürgern zurück, was ihnen zusteht, und entlasten wir so- bestehen wird. Daher hat er hier verfassungsmäßige Be- mit auch die Bürokratie, und das am besten sofort. Dann denken, sollte der Solidaritätszuschlag weiter erhoben klappt es auch wieder mit dem Wähler, so wie bei der werden. – Voilà, volle AfD-Position. AfD. Der Koalitionsvertrag sieht nun eine Abschaffung des Vielen Dank, meine Damen und Herren. Solis zum Ende der Legislaturperiode vor – das ist in (Beifall bei der AfD) knapp drei Jahren –, aber nur für 90 Prozent der Steuer- (B) zahler. Die übrigen 10 Prozent zahlen weiterhin etwa die (D) Hälfte des heutigen Soli-Aufkommens, welches inzwi- Vizepräsidentin Claudia Roth: schen 18 Milliarden Euro jährlich beträgt. Dieses Vorha- Vielen Dank, Stefan Keuter. – Nächster Redner: Olav ben ist also bloße Augenwischerei. Eine echte, spürbare Gutting für die CDU/CSU-Fraktion. Entlastung der Steuerzahler findet zumindest quantitativ (Beifall bei der CDU/CSU) gar nicht statt, wenn es überhaupt dazu kommen sollte. Aber zurück zur Schwangerschaft. In den weiteren Olav Gutting (CDU/CSU): Monaten wächst und gedeiht das Kind im Bauche der Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen Mutter . Auch wieder eine Parallele zu unserem Antrag: und Zuschauer auf den Tribünen hier! Zum vierten Mal Es dauerte Monate, bis der Finanzausschuss eine Ent- in diesem Jahr diskutieren wir über Anträge von AfD und scheidung traf. Man könnte dies auch zeitlich eingren- FDP zum Soli. Ein wenig kommt man sich vor wie in zen: bis nach den Landtagswahlen in Bayern und Hes- einer Zeitschleife. Ich habe Ihnen ja schon in der letzten sen. Offensichtlich hatten die Koalitionspartner CDU, Rede zu diesem Thema zugestanden, dass es Ihr gutes CSU und SPD überhaupt gar kein Interesse, dieses für Recht in der Opposition ist, zu versuchen, die Regierung sie heikle Thema im Wahlkampf thematisiert zu wissen. zu ärgern. Es hieß immer, es gebe noch Beratungsbedarf. (Dr . Florian Toncar [FDP]: Die Regierung In fünf Sitzungen des Finanzausschusses im Septem- ärgert uns ja auch!) ber und Oktober wurde das Thema nicht beraten. Erst Ende November trug die SPD diese Verschleppungstak- Ich muss aber zugeben: Ein bissel nervt es schon, wenn tik nicht mehr mit; also bis zur letzten Sitzung vor dem Sie hier alle paar Wochen mit dem gleichen Thema kom- CDU-Parteitag. – Meine Damen und Herren, so taktie- men. Die Mittel, die Sie nutzen, werden langsam stumpf. ren Altparteien. Dies hat mit guter Politik für unser Land Sie wissen ja nur zu gut, dass die Fraktion der CDU/ nichts mehr zu tun. CSU sich festgelegt hat, die Erhebung des Solis schnellst- möglich zu beenden, und zwar für alle. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Schauen wir uns einmal die Standpunkte an: Die Beifall bei der AfD und der FDP) SPD – wir haben ja gerade gehört, welche Position sie vertritt – will den Soli am liebsten gar nicht abschaffen. Am letzten Wochenende – wir haben es eben gehört – hat Sozis glauben ja grundsätzlich, dass der Staat mit dem der CDU-Bundesparteitag in Hamburg folgenden Be- Geld der Bürger besser wirtschaften kann als der Bürger schluss gefasst: 8290 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Olav Gutting (A) Die CDU Deutschlands will den Solidaritätszu- also für die kleine Handwerks-GmbH, die beim aktuellen (C) schlag bis 2021 vollständig abschaffen. Dabei hal- Vorhaben völlig durchs Raster fällt. ten wir am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts … fest. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darüber sprechen wir mit unserem Koalitionspartner. Klarer kann eine Position nicht sein. Aber eines ist klar: Wir haben einen Koalitionsvertrag, Dieser Beschluss, den wir dort gefasst haben, ist rich- und an diesen Koalitionsvertrag halten wir uns. Da der tig. Der Solidaritätszuschlag wurde vor über 20 Jahren eine oder andere in der Opposition das mit dem Koaliti- zunächst als unbefristete Ergänzungsabgabe auf die Ein- onsvertrag vielleicht noch nicht so ganz verstanden hat, kommensteuer und die Körperschaftsteuer eingeführt. möchte ich die beiden antragstellenden Fraktionen daran Die Befristung, die er in sich trägt, kommt aus seiner erinnern, was ein Vertrag per Definition ist: Ein Vertrag Begründung; denn der Beitrag diente zur Vollendung ist die rechtsgültige Abmachung zwischen zwei oder der deutschen Einheit. Und hier haben wir in den letzten mehreren Parteien. 27 Jahren Erstaunliches geleistet. Das muss man an die- (Martin Erwin Renner [AfD]: Maastricht!) ser Stelle auch mal sagen. Dieser Vertrag, den wir geschlossen haben, könnte heute Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der neuen Län- anders aussehen. Wenn Sie von der FDP sich vor einem der hat sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt. Das ver- Jahr nicht davongestohlen hätten, hätten wir heute einen fügbare Einkommen je Einwohner hat sich um das Zwei- anderen Koalitionsvertrag. einhalbfache erhöht. Die Arbeitsmarktlage ist entspannt. Es kommen große Erfolge bei der Erneuerung und der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Erweiterung der Infrastruktur, des Wohnungsmarktes und der SPD – Lachen bei Abgeordneten der und im Städtebau hinzu. Und wir haben auch eine tolle FDP – Christian Dürr [FDP]: Dazu sage ich Verbesserung der Umweltsituation. Deshalb halten wir Ihnen gerne noch was! Ich erinnere Sie gern fest: Der Solidaritätszuschlag war wichtig; aber er hat an Ihre Meinung von vor einem Jahr!) auch sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. Aber: Verträge, die geschlossen sind, sind einzuhalten, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und daran halten wir uns in der Union. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob es der FDP wirk- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? lich politisch nützt, wenn sie hier immer wieder laut- stark indirekt die Union zum Vertragsbruch auffordert. Olav Gutting (CDU/CSU): Ich glaube, die Wählerinnen und Wähler verstehen ganz gut den Unterschied zwischen der Position einer Partei, Nein, ich möchte fortfahren. – Es ist eine steuerpoli- der klaren Position der Union und der Notwendigkeit des tisch logische Konsequenz, dass wir nach dem Auslaufen Kompromisses in einer Regierungskoalition. Verlässlich- des Solidarpaktes II eben auch den Abbau des Solidari- keit, meine Damen und Herren, ist ein Wert an sich in der tätszuschlags angehen. Politik. Es geht hierbei gar nicht so sehr um Steuersenkungen, sondern das ist eine Frage der politischen Glaubwürdig- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und keit. der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Deswegen ist für uns klar, dass wir weiter Gespräche der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Ah!) führen, dass wir weiterverhandeln, jedenfalls nicht diese Verlässlichkeit infrage stellen, dass wir unsere Verläss- Wie Sie wissen, wurde im Koalitionsvertrag zwischen lichkeit nicht wie Sie vor einem Jahr beschädigen, son- CDU, CSU und SPD vereinbart, dass wir den Ausstieg dern klar vertragstreu bleiben. aus dem Solidaritätszuschlag in Schritten vollziehen wollen, wobei wir im ersten Schritt bereits 90 Prozent Unsere Position, die Position der Union ist klar: Wir derjenigen, die heute den Solidaritätszuschlag zahlen, wollen den vollständigen Abbau des Solidaritätszu- zukünftig von dieser Zahlung befreien werden. 90 Pro- schlags bis 2021 für alle. Wir wollen den Koalitionspart- zent werden dann keinen Solidaritätszuschlag mehr zah- ner überzeugen. Daran arbeiten wir unermüdlich weiter. len. Ich glaube, das ist schon mal nicht schlecht. Aber wir werden heute und auch in Zukunft keine Koali- tionsverträge brechen, schon gar nicht in der Adventszeit. (Ulli Nissen [SPD]: Sie können auch sagen: Das ist gut so!) Ich will diesen Moment nutzen – weil das meine letz- te Rede hier in diesem Jahr sein wird –, um allen jetzt Aber wir in der Union wünschen uns mehr. Wir möch- schon ein gesegnetes und friedliches Weihnachtsfest zu ten den Abbau des Solidaritätszuschlags für alle. Insbe- wünschen. sondere wollen wir ihn nicht nur für die Einkommensteu- erzahler, sondern auch für die Körperschaftsteuerzahler, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8291

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: stimmen nach Ihrem Parteitagsbeschluss, Herr Kollege (C) Vielen Dank, Olav Gutting. – Nächster Redner: Gutting, liebe Kollegen der CDU. Christian Dürr für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie haben nicht richtig zuge- (Beifall bei der FDP) hört!) Sie haben es vorhin gesagt: Damals in den 90er-Jah- (FDP): Christian Dürr ren war es ein Versprechen der CDU Deutschlands, dass Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe der Soli abgeschafft wird, wenn die Solidarhilfen für Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie hatten am Wo- Ostdeutschland auslaufen. Es war ein Versprechen von chenende einen sehr spannenden Bundesparteitag. Helmut Kohl, der gesagt hat: Wir müssen den Soli ab- schaffen, wenn der Grund entfällt. – Der Grund entfällt (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das stimmt! Ende 2019. Deswegen darf der Soli am 1. Januar 2020 Sind Sie neidisch?) von den Menschen in Deutschland auch nicht mehr ge- Mit seinem Spitzenpersonal entscheidet man über die po- zahlt werden, um das in aller Klarheit zu sagen. litische Richtung. Wir haben davor großen Respekt – ich (Beifall bei der FDP – [CDU/ sage das in aller Klarheit – und wünschen Ihrer neuen CSU]: Sie hätten mit uns reden können!) Vorsitzenden, auch im Interesse des Landes, eine glück- liche Hand. Liebe Kollegen der CDU, das ist eine Frage des An- stands. Der Soli ist eine Sondereinkommensteuer des (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr Bundes, die im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Er ist habt immer nur einen Kandidaten!) eine absolute Ausnahme. Der Soli ist nur gerechtfertigt, wenn es für ihn einen Grund gibt. Er ist juristisch – Sie Viel eindeutiger als die Wahl der Bundesvorsitzenden haben es angedeutet, Herr Gutting – nicht mehr gerecht- war allerdings der Beschluss, den der Kollege Gutting fertigt. Wer heute gegen den vorliegenden Gesetzentwurf gerade angesprochen hat, nämlich zur Abschaffung des der FDP stimmt, der ruft offen zum Rechtsbruch gegen Solidaritätszuschlaggesetzes. Wir begrüßen den Be- die Verfassung Deutschlands auf, um das in aller Klarheit schluss des CDU-Bundesparteitags ausdrücklich. Er ist zu sagen. Das ist so. richtig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Widerspruch bei der CDU/CSU) der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] Ich wundere mich fast, dass der Kollege Michelbach so [SPD]: Wollt ihr eintreten, oder was? – Steffi (B) ruhig bleibt; (D) Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Überraschung!) (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das wundert mich auch!) Liebe Kollegen, Sie haben bereits heute die Möglich- keit, das, was Sie auf dem Bundesparteitag beschlossen eigentlich bin ich auf seine Zwischenrufe eingestellt. haben, im Deutschen Bundestag zu billigen. Ich fordere (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Der kommt Sie auf: Stimmen Sie unserem vorliegenden Gesetzent- noch!) wurf zu. Herr Kollege Gutting, Sie haben auf den November (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten letzten Jahres Bezug genommen. Wir als Freie Demokra- der AfD) ten erinnern uns sehr gut, mit welch belehrendem Ton Sie dieser Tage unterwegs sind und wie Sie sich im No- Herr Gutting, ich muss mich schon ein bisschen wun- vember letzten Jahres geäußert haben. Wir erinnern uns dern, wenn ich jetzt höre, wie Sie sich hier vorne – vor- sehr gut an die Verhöhnung der Forderung der FDP durch sichtig formuliert – etwas gewunden haben. Sie haben und die Bundeskanzlerin, dass der Soli in gerade sieben Minuten Redezeit darauf verwendet, deut- dieser Wahlperiode wegfallen muss. Ich will Ihnen vor- lich zu machen, dass die Freien Demokraten die richtige lesen, was damals vom geschätzten Kollegen Eckhardt Position vertreten, dass es richtig ist, über den vorliegen- Rehberg gesagt worden ist – Zitat –: „Der vollständige den Gesetzentwurf abzustimmen und ihm zuzustimmen. Abbau des Solidaritätszuschlags … ist für den Bundes- Wenn es Ihnen um Glaubwürdigkeit geht, Herr Gutting, haushalt nicht finanzierbar“. Das war am 10. November dann erwarte ich in der namentlichen Abstimmung eine 2017. Jetzt haben Sie die Entscheidung getroffen, dass Zustimmung der Kolleginnen und Kollegen der CDU der Soli weg muss. Deutschlands, um das in aller Klarheit zu sagen. (Beifall des Abg. Michael Schrodi [SPD]) (Beifall bei der FDP) Lassen Sie Ihren Worten heute Taten folgen. Das ist Ihre Wer am Sonntag Parteitagsbeschlüsse fällt, wer sich am bürgerliche Pflicht. Sonntag vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit (Beifall bei der FDP) dafür einsetzt, dass der Solidaritätszuschlag mit dem Ende des Solidarpaktes Ost ausläuft, wer das politisch Zum Schluss. Es gibt nur einen einzigen Grund, wa- beschließt, der muss im Bundestag politisch Taten fol- rum der Soli heute nicht abgeschafft werden kann, und gen lassen. Der Soli gehört abgeschafft. Sie müssen zu- zwar, weil Sie es eigentlich politisch nicht wollen. Vor 8292 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Christian Dürr (A) einem Jahr haben Sie sich hinter den Haushaltszahlen des Drittens. Eine vollständige Abschaffung des Soli ist (C) Bundes versteckt. Heute verstecken Sie sich hinter Ihrem daher nach Adam Riese eine Entlastung der Spitzenver- Koalitionspartner. Meine Damen und Herren, Ihr Partei- diener in diesem Land. tagsbeschluss vom Sonntag bleibt, wenn Sie heute nicht (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans zustimmen, pure Heuchelei, um das in aller Klarheit zu Michelbach [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) sagen. In den letzten 20 Jahren wurden die unteren 70 Pro- Herzlichen Dank. zent der Bevölkerung steuerlich belastet und die oberen 30 Prozent stärker entlastet. Es mag ja schlichte Gemü- (Beifall bei der FDP – Patrick Schnieder ter geben, die meinen, die Wirtschaft läuft besser, wenn [CDU/CSU]: Wir haben am Sonntag keinen der Teufel sein Geschäft immer auf dem größten Haufen Parteitag gehabt, Herr Dürr! – Olav Gutting verrichtet. Mir leuchtet das nicht ein. Bei der FDP ist es [CDU/CSU]: Das war Samstag!) konsistent; denn Sie sind die Partei der Besserverdiener. (Zurufe von der FDP: Oh! Oh!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bei der AfD ist es einfach nur verlogen; denn Sie spielen Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der den Staatsanwalt der kleinen Leute, dabei hängen Sie am Kollege Fabio De Masi. Portemonnaie bzw. am Rockzipfel des Mövenpick-Spen- ders und Oligarchen Finck. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Fabio De Masi (DIE LINKE): Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich Die Mehrheit der Bevölkerung braucht aber Straßen, habe hier 160 Euro Steuergelder aus dem Geldautoma- Brücken, Kitas oder Pflege. Bei einer vollständigen Ab- ten der Sparkasse im Reichstagsgebäude. Warum Steu- schaffung des Soli entgehen dem Bund jährlich bis zu ergelder? Wenn ein Abgeordneter wie Sie oder ich zum 20 Milliarden Euro – Jahr für Jahr. Deutschland hat ei- Geldautomaten geht, dann zieht er Steuergelder; denn die nen riesigen Investitionsstau, gerade auf dem Land, wo Menschen, die hier oben auf den Tribünen sitzen, zahlen mancherorts kaum noch Busse oder Bahnen fahren. Die unser Gehalt. Kommunen brauchen unsere Unterstützung. Sie müssen also schon beantworten, wie Sie die ganze Asche wieder (B) Warum 160 Euro? Um 160 Euro würden Bundes- reinholen wollen. Wollen wir den Laden einfach dicht- (D) tagsabgeordnete, also Spitzenverdiener wie Sie und ich, machen oder demnächst die Mehrwertsteuer erhöhen? Monat für Monat in der Spitze entlastet werden, wenn Die Mehrwertsteuer trifft die Kassiererin bei Penny, die wir den Soli abschaffen. Das gilt für Unverheiratete ohne kaum etwas sparen kann und fast ihr gesamtes Geld für sonstige Abzüge. Leistung muss sich wieder lohnen. Eine Lebensmittel oder Miete ausgeben muss. Zur Ehrlichkeit Kellnerin oder ein Paketzusteller würde für 160 Euro gehört: Sie oder ich, wir fallen weich, weil wir einen ge- zum Mindestlohn etwa zwei Tage schuften. Die Steuern ringeren Teil unseres Einkommens in den Supermarkt sind dann noch nicht bezahlt. Sie hier müssen für dieses tragen. Geld einfach nur bei den Anträgen von AfD und FDP die Es gibt gute Gründe, warum der Soli weiterhin verfas- Hand heben. Das ist bequem, aber unanständig. sungsfest begründet werden kann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Nein!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie das anders sehen, dann gehen Sie eben nach Es ist ein alter Trick: Wenn man sich selbst aus der Staats- Karlsruhe und lassen die dort ihren Job machen und ent- kasse bedient, erklärt man dem Rest der Bevölkerung, scheiden. das sei auch gut für sie. Wir sind in der Weihnachtszeit, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- da liest man sich gerne Märchen vor. Ich hingegen bin für ordneten der SPD – Bettina Stark-Watzinger Mut zur Wahrheit. [FDP]: Machen wir auch!) Ein Faktencheck. Erstens. 40 Prozent der Steuerzahler Meine Fraktion wird die Hand nicht dafür heben, dass zahlen keinen Soli, weil sie zu wenig verdienen. Der Soli wir uns selbst zu Weihnachten beschenken. wird von Ossis wie Wessis gezahlt, und er fließt nicht nur (Widerspruch bei der FDP) in den Osten, sondern auch nach Hamburg-Wilhelms- burg oder nach Duisburg-Marxloh; denn er hat im Haus- Tun Sie endlich etwas für die hart arbeitenden Menschen halt keine Zweckbindung. in diesem Land, die sich anstrengen, aber auf keinen grü- nen Zweig kommen. Bereichern Sie sich nicht selbst. Zweitens. Die einkommensstärksten 10 Prozent Vielen Dank. der Bevölkerung zahlen über 11 Milliarden Euro oder 62 Prozent des Soliaufkommens. Die ärmere Hälfte der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bevölkerung trägt nur 0,3 Milliarden Euro oder 1,7 Pro- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zent bei. GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8293

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ein Single zum Beispiel mit einem Monatsbrutto von (C) Die Kollegin Lisa Paus ist die nächste Rednerin für 1 500 Euro oder eine Familie mit zwei Kindern mit ei- Bündnis 90/Die Grünen. nem Monatsbrutto von 4 300 Euro haben keinen einzigen Euro mehr, wenn wir, wie Sie es heute wollen, den Soli (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) abschaffen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): SES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Soli- debatte, die wir in diesem Jahr in diesem Hause schon Trotzdem nehme auch ich wahr: Die Abschaffung des zum vierten Mal führen, ist ein typisches Beispiel dafür, Soli ist populär. Aber woher kommt das eigentlich? Weil was in der politischen Debatte in Deutschland schiefläuft. der Soli seit 1999 so stark in die Einkommensteuer in- tegriert ist, dass es auch verwirrende Beispiele gibt. Bei Den Soli gibt es jetzt schon seit über 20 Jahren. Wenn Singles wird er deutlich früher fällig als bei Familien mit wir uns die Verteilung der Steuerlast in Deutschland an- Kindern; und so gibt es zum Beispiel auch den Bäckerei- schauen, muss man feststellen, dass im Jahr 2018 gerade fachverkäufer mit 2 100 brutto, der doch um 9 Euro pro die Menschen mit wenig Einkommen tatsächlich 5 Pro- Monat entlastet würde, wenn der Soli abgeschafft würde, zent mehr von ihrem Einkommen zum Gesamtsteuer- und der vielleicht dafür ist, weil er es in der „Bild“-Zei- aufkommen beitragen als vor 20 Jahren. Und das macht tung gelesen hat. Das verstehe ich auch. Aber was Sie auch die Mittelschicht – also die richtige, nicht die ge- machen, ist trotzdem überhaupt nicht in Ordnung; denn fühlte von Friedrich Merz. Sie benutzen diesen Bäckereifachverkäufer. Sie veräp- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- peln ihn. Sie nutzen seinen guten Glauben, um wiede- NEN) rum die Interessen der Topverdiener, der Friedrich Merze Deutschlands, oder der geheimen Großspender durchzu- Der Bäckereifachverkäufer zahlt heute 2 Prozent mehr setzen. ins Gesamtsteueraufkommen ein als noch vor 20 Jahren. Und das, meine Damen und Herren, ist zutiefst unge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – recht. Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Klassen- kampf!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Ja, Sie von AfD, FDP und Union wissen nämlich, was LINKEN – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sie tun. Sie wissen, dass von den 20 Milliarden Euro Dann stellen Sie doch einen Antrag!) Solientlastung bei unserem Bäckereifachverkäufer und (B) all denen, die so viel verdienen wie er, eben nur ganze (D) Aber woran liegt das? Bei diesen Menschen ist die 200 Millionen Euro landen, während über 11 Milliar- Entlastung durch die rot-grüne Einkommensteuerreform den Euro an die Top 10 Prozent, an die Topverdiener in von 1999 vor allem durch die Mehrwertsteuererhöhung Deutschland gehen. der Großen Koalition von 2017 von 16 auf 19 Prozent eben mehr als aufgefressen worden; und seitdem hat sich (Zuruf des Abg. Dr. Alexander Gauland für diese Menschen nichts verbessert. Und deshalb habe [AfD]) ich wirklich tiefstes Verständnis für jeden dieser Men- Das ist das Gegenteil einer gerechten Politik; und deswe- schen, der deswegen auf uns, auf die Politik, sauer ist. gen lehnen jedenfalls wir dies ab. Wir haben da ein Gerechtigkeitsproblem. Wir brauchen die Entlastung der unteren und mittleren Einkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von der FDP: Jetzt kann jeder sehen, warum sowie bei Abgeordneten der SPD) das nicht geklappt hat!) Aber jetzt wird es schräg; denn jetzt kommen FDP, Wenn Sie damit konfrontiert werden, argumentieren AfD und Union und versprechen, genau das einzulösen, Sie gerne, ja, das stimme zwar, aber das zeige ja nur, worauf die Leute warten, nämlich endlich die unteren dass eben die Top 10 Prozent vorher so einen Riesen- und mittleren Einkommen zu entlasten, und zwar mit der beitrag zum Aufbau Ost geleistet hätten; aber auch das Abschaffung des Soli. Nur, meine Damen und Herren, ist schlichtweg falsch. Denn tatsächlich tragen die Top dieses Versprechen ist faul. Es ist schlicht nicht wahr! Es 1 Prozent – nehmen wir eine noch kleinere Gruppe – heu- ist gelogen! te sogar weniger zum Gesamtsteueraufkommen bei als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor 20 Jahren, und zwar um 4,8 Prozent. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen formuliert das Deutsche Institut für Wirt- Denn diejenigen mit der höchsten Steuermehrbelastung schaftsforschung, dass der Soli in den letzten 20 Jahren gegenüber 1998 zahlen gar keinen Soli, sie haben also bei den Spitzenverdienern sogar schon zweimal abge- auch keinen Euro mehr im Portemonnaie, wenn er abge- schafft worden sei. Der Soli selbst lag für diese Steu- schafft wird. erzahler all die Jahre zwar auch bei 5,5 Prozent, aber: Es wurde der Spitzensteuersatz von 53 auf 44,3 Prozent (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer gesenkt, und das inklusive Soli. Die Unternehmensteu- keine Steuern zahlt, kann auch nicht entlastet ern wurden zweimal gesenkt, das letzte Mal noch einmal werden!) um 10 Prozent. Die Abgeltungsteuer wurde eingeführt; 8294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Lisa Paus (A) das erleichtert die Steuerlast für Kapitalerträge. Die Ver- Frage, was schlimmer wäre. Das ist ein ganz schwieriges (C) mögensteuer wurde abgeschafft. Die Erbschaftsteuer auf Terrain. Ich glaube, da muss man ein bisschen aufpassen. Unternehmensübertragungen ist praktisch beseitigt. – All (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das hat dazu geführt, dass eben genau diese diesen Bei- der CDU/CSU und der LINKEN) trag nicht geleistet haben. Auch deswegen lehnen wir Ih- ren Gesetzentwurf ab. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE]) Kollegen Kubicki?

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. Nein, ich trage geschlossen vor. – Ich will noch etwas sagen: Dahinter verbirgt sich aber noch ein Gedanke, den Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ich ganz gefährlich finde: Der CDU-Parteitag habe das Ich komme zum Schluss. – Ginge es Ihnen wirklich beschlossen. – Natürlich, Parteitage beschließen, was um die unteren und mittleren Einkommen, dann würden Fraktionen hier machen, wenn die Partei und die Fraktion Sie die Umsatzsteuererhöhung wieder zurücknehmen. hier allein die Mehrheit hat. Aber Sie sind ja gar nicht für Der „Soli“ besteht zwar seit über 20 Jahren als Name, eine Partei hier – und das ist der Unterschied –, sondern und seine Abschaffung ist fällig. Aber er ist seit der Ein- von einer Partei. Jedenfalls ist das das Grundverständ- kommensteuerreform 1999 faktisch ein genuiner Teil der nis der SPD: Wir sind von einer Partei hier, aber für alle Einkommensteuer. Bürger. (Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Deswegen zählen unsere Parteitage nur so viel, wie sich Frau Kollegin, die Redezeit ist abgelaufen. hier im Koalitionsvertrag wiederfindet. (Zuruf von der FDP: Ja!) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen sollte er endlich vollständig in die Einkom- Das ist eine in sich konsistente Politik; und das sind mensteuer integriert und damit abgeschafft werden, und auch ein fairer Umgang und Vertragstreue. Und wenn Sie dann sollten die unteren und mittleren Einkommen ge- das mit dem Begriff der Heuchelei verbinden, dann müs- zielt entlastet werden. sen Sie das einmal genauer erklären. (B) (D) Herzlichen Dank. Seit 1995 gibt es einen Finanzierungsbedarf. Dieser ist auch begründet; das weiß jeder. Dieser wird durch den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Soli gedeckt, und dieser Bedarf nimmt stetig ab. Deshalb Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist nicht zu wollen wir auch den Soli abschaffen, aber schrittweise. fassen!) Und das ist auch verfassungsgemäß. (Christian Dürr [FDP]: Schrittweise ist ver- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fassungswidrig! – Bettina Stark-Watzinger Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Lothar Binding [FDP]: Das hört sich aber anders an!) das Wort. Und die Verfassungswidrigkeit stellt hier kein Redner (Beifall bei der SPD) fest, kein Gutachten und kein Antrag, sondern diese stellt das Bundesverfassungsgericht fest. Und darauf können Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sie sich noch nicht berufen. Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Lie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten be Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich das vorhin rich- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf tig verstanden habe, hat der Kollege Dürr die CDU-Frak- des Abg. Christian Dürr [FDP]) tion zum Vertragsbruch aufgerufen. Und im Koalitionsvertrag – das haben wir schon ge- (Christian Dürr [FDP]: Ja! – Antje Tillmann hört – – [CDU/CSU]: Ziemliche Frechheit!) (Zuruf von der FDP) Das ist für eine Rechtsstaatspartei eine interessante Sa- – Ich habe gesagt: schrittweise. – Aber ihn für 90 Prozent che. Jetzt wundert mich auch nicht mehr, warum Sie im ersten Schritt abzuschaffen, ist schon ein ziemlich Sorge hatten, mit der CDU/CSU einen Koalitionsvertrag großer Schritt. zu schließen; denn Sie hätten diese gleichzeitig aufgefor- dert, diesen zu brechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Christian Dürr [FDP]: Sie sollten sich an die Verfassung halten!) Er wird für 90 Prozent aller Solizahler abgeschafft; und die obersten 10 Prozent bezahlen das. Sie haben sich in die Falle zwischen „Appell folgen“ und „vertragstreu sein“ hineinbegeben. Es stellt sich die (Christian Dürr [FDP]: Das ist rechtswidrig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8295

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Nun sagen ja FDP und AfD, er solle vollständig abge- Vorhin wurde noch gesagt, dass es mit den Anträgen (C) schafft werden, und sie begründen das damit, dass man so lange gedauert hätte. Das stimmt wirklich. Dafür gab den Armen, denjenigen mit kleinen und mittleren Ein- es verschiedene Gründe. Ich will es einmal so sagen: Der kommen, helfen wolle. Und jetzt frage ich, wie Sie auf erste Grund war natürlich die Bayern-Wahl. Aber es gibt diese Idee kommen. noch einen viel wichtigeren Grund. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf von der FDP: Hessen-Wahl!) Es wurde eben von Lisa Paus schon vorgetragen, dass Der ganz wichtige Grund ist, dass wir überall nach einer die kleinen und mittleren Einkommen überhaupt keinen Gegenfinanzierung gesucht haben. Soli bezahlen. (Michael Theurer [FDP]: Mittelstand!) (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Was ist denn Wir haben in allen Ecken und Enden gesucht und gefragt: bei Ihnen ein kleines Einkommen?) Wer bezahlt diese 10 Milliarden eigentlich? In Ihren An- Die kleinen Einkommen bezahlen noch nicht einmal Ein- trägen sind wir nicht fündig geworden. kommensteuer. Die kleinen Einkommen bezahlen also (Christian Dürr [FDP]: Sie haben die Anträge vorher nichts, und nach Ihrer großen Reform bezahlen in den Haushaltsberatungen doch abgelehnt!) sie wieder nichts, und deshalb haben sie davon nichts. Insofern ist das relativ einfach. Mit solchen Anträgen können Sie sicher nicht auf Unter- stützung hoffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, alles Gute und ein bisschen mehr Wahr- heit. Und jetzt sagen Sie: Ja, aber wir wollen die mittleren Einkommen entlasten. – Dazu brauchen wir keinen An- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trag; dass wir die mittleren Einkommen entlasten, steht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in unserem Koalitionsvertrag. Denn die Bezieher mittle- rer Einkommen sind sicher diejenigen, die innerhalb die- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ser 90-Prozent-Zone liegen. Oder wollen Sie sagen: Die Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen obersten 10 Prozent sind schon die Mitte? – Also diese Wolfgang Kubicki das Wort. Mitte müssen Sie mir noch einmal erklären. Das ist je- denfalls nicht mein Verständnis von Mitte und daher für mich nicht ganz leicht zu verstehen. Wolfgang Kubicki (FDP): (B) Herr Kollege Binding, ich habe Ihrer Rede mit großer (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Begeisterung gelauscht. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Sie haben unseren (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Freut Antrag doch abgelehnt! Wo waren Sie bei der mich!) Abstimmung?) Dabei sind mir einige Dinge aufgefallen, an welchen ich Also insofern: Die Entlastung für die reichen Leute Sie gern teilhaben lassen möchte. wäre riesig. Aber Sie haben vielleicht auch ein bisschen Erste Anmerkung. Sie haben den Kollegen Dürr mas- recht, weil das schon ab 70 000 Euro greift. Und es gibt siv angegriffen, er fordere die Union zum Vertragsbruch Arbeitnehmer, die mit ihrem letzten, vorletzten oder auf. Ich weiß gar nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, dass die drittletzten Euro schon in dieser Progressionszone beim Union am Wochenende den Vertragsbruch beschlossen Spitzensteuersatz liegen werden. Aber für die ist das gar hat. nicht so schlimm, weil nämlich die Belastung, die dort beginnt, klein ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: (Michael Theurer [FDP]: Wo liegt denn das Nein, das hat sie nicht! – Antje Tillmann Durchschnittseinkommen des Arbeitneh- [CDU/CSU]: Haben wir nicht!) mers?) Denn sie hat beschlossen, dass bis zum Jahre 2021 der Aber – wir haben es schon gehört –: Wir als Abge- Solidaritätszuschlag vollständig abgebaut werden soll. ordnete profitieren davon sehr viel. Die Vorstände der DAX-Unternehmen profitieren davon sehr viel. Und ich (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das haben wir finde, es ist in Ordnung, dafür zu kämpfen. nicht beschlossen!) (Beifall bei der SPD) Also werfen Sie nicht Herrn Dürr etwas vor, was Sie ei- gentlich Ihrem Koalitionspartner vorwerfen müssten, der Aber sagen Sie dies. Sagen Sie: „Wir machen für 10 Pro- sich auf dem Parteitag als nicht vertragstreu erwiesen hat. zent der Reichsten Politik.“ Dann finde ich das in Ord- nung und sage: Ja, die FDP sagt die Wahrheit. – Was heu- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Lesen Sie te passiert ist, war nicht die Wahrheit. Das ist völlig klar. den Antrag! Lesen bildet!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zweite Anmerkung. Ich habe zur Kenntnis genom- der LINKEN – Zuruf des Abg. Christian Dürr men, wie schnell die SPD dabei ist, ihre Vorsitzenden [FDP]) auszuwechseln; aber ich kann mich erinnern, dass im Au- 8296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Wolfgang Kubicki (A) gust 2017 Ihr damaliger Spitzenkandidat Martin Schulz hat auch gesagt, dass wir die Einkom- (C) öffentlich erklärt hat, dass die SPD bis zum Jahre 2021 mensteuerstruktur, die Tarifkurve, ändern müssen, den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen werde. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Also Steuern (Beifall bei Abgeordneten der FDP) erhöhen?) Nun kann man sich fragen: Führt der Austausch von dass wir den Spitzensteuersatz hochziehen müssen, später Vorsitzenden dazu, dass man sich auf Aussagen der SPD beginnen lassen müssen, dass wir den Steuersatz bei den nicht mehr verlassen kann? Stehen Sie nicht mehr dazu, unteren Einkommen absenken müssen. Das hätte den Ef- oder war es eine Wählertäuschung im Jahre 2017? Dazu fekt gehabt, dass wir die mittleren Einkommen entlasten müssen Sie sich vielleicht auch verhalten. und die hohen Einkommen – da haben Sie recht – etwas (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Kay mehr belasten, weil wir der Meinung sind: Wenn jemand Gottschalk [AfD]) im Staat meint, man komme mit 12 000 Euro im Jahr aus, dann muss den anderen 10 000 Euro am Tag genügen. – Dritte Anmerkung. Ich halte es wirklich für logisch Da kommen wir hin, wenn wir den Spitzensteuersatz – und auch nachvollziehbar, dass Menschen, die keine ich würde mal sagen: noch ein gutes Stück – nach oben Steuern zahlen, von einer Steuerreform oder einer Ab- ziehen. Wenn Sie diese Hälfte mitdenken, dürfen Sie sa- senkung von Steuern überhaupt nichts haben, weil das gen: Wir wollen den Soli vollständig abschaffen. nur bei denen der Fall ist, die Steuern zahlen. Insofern ist der dauernde Hinweis darauf, dass die 40 Prozent, die (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: keine Steuern zahlen, davon nicht betroffen wären, gera- Jetzt will ihn jeder im Haus abschaffen, und dezu komisch. trotzdem haben wir keine Mehrheit!) (Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Es ist jedenfalls kein Argument dafür, dass diejenigen, der Kollege Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion. die Steuern zahlen und in der Vergangenheit belastet wurden, jetzt nicht entlastet werden müssen, nachdem (Beifall bei der CDU/CSU) ihnen das seit Jahrzehnten versprochen worden ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): der AfD und des Abg. [DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der (B) LINKE]) Gesetzentwurf der FDP und der Antrag der AfD zur Ab- (D) schaffung des Solidaritätszuschlags gleichen sich fast Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wie ein Ei dem anderen. Herr Kollege Binding, wenn Sie antworten wollen, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Deswegen haben Sie jetzt Gelegenheit. muss es ja nicht falsch sein!) Beide beschränken sich darauf, die Abschaffung zu Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): fordern, bleiben aber eine haushalterische Unterlegung Vielleicht ganz kurz. – Sie zitieren Martin Schulz, und schuldig. da muss ich sagen, dass die halbe Wahrheit auch immer die halbe Lüge ist, weil ja die eine Hälfte dann fehlt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Michael Theurer [FDP]: (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Das ist ja falsch! Das ist gelogen!) SPD) Das, meine Damen und Herren, ist unredlich und unseri- Sie haben recht: Er hat den Vorschlag gemacht, den So- ös. Das ist ein leicht durchschaubares Propagandamanö- lidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen. Übrigens ver der FDP und der AfD. Das ist die Situation. haben wir das auch in den Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen. Sie können das nicht wissen – Ihre Ko- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- alitionsverhandlungen haben Sie abgebrochen, aber bei ordneten der SPD) unseren war es so. Meine Damen und Herren, damit erweisen Sie dem (Christian Dürr [FDP]: Die Union wollte es politischen Ziel einer vollständigen Abschaffung des Soli nicht? – Heiterkeit bei der FDP) eher einen Bärendienst. Tatsache ist: Es gibt einen Koali- – Ja, da kann man sich auf die Schenkel klopfen. Das ist tionsvertrag, eine Vereinbarung zur Soliabschaffung. klar. (Christian Dürr [FDP]: Also, jetzt will wirk- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lich jeder den Soli abschaffen, aber keiner Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des stimmt dafür! Das ist geil!) Kollegen Christian Dürr? Ich bin sonst kein guter Bierzeltredner, aber heute scheint (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und es zu gelingen. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8297

(A) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Deswegen ist das unseriös und entspricht letzten Endes (C) Ich glaube, alle wollen abstimmen, aber Herr Dürr nicht stabilen haushaltspolitischen Verhältnissen. möchte noch mal deutlich machen, dass die FDP einen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schaufensterantrag gestellt hat. ordneten der SPD – Christian Dürr [FDP]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peinlich! – Michael Theurer [FDP]: Das ist Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wahrheitswidrig! – Johannes Kahrs [SPD]: Was soll denn das? Dann sitzen wir hier heute Guter Mann, der Michelbach!) Nacht bis zwei!) Ich bleibe dabei, dass Sie mit diesem Propagandama- növer der vollständigen Abschaffung des Soli eher einen Christian Dürr (FDP): Bärendienst erweisen. Tatsache ist: Es gibt einen Koali- Verehrter Herr Kollege Michelbach, da Sie die Be- tionsvertrag, eine Vereinbarung zur Soliabschaffung. Da- ratungen über den Bundeshaushalt 2019 sicherlich, wie nach soll die Belastung für 90 Prozent der Solizahler im wir alle hier, intensiv mitverfolgt haben, wissen Sie, dass ersten Schritt wegfallen. die Freien Demokraten im Deutschen Bundestag über (Johannes Kahrs [SPD]: Sehr gut!) 300 Änderungsanträge gestellt haben und Ihnen gezeigt haben, dass im Bundeshaushalt 2019 die Möglichkeit be- Aber wir wollen nach dem ersten Schritt einen Zeitplan steht, die Bundesschuld um 19 Milliarden Euro zu redu- für den endgültigen Abbau festlegen. Unsere Parteitags- zieren. Damit wäre der Soli bereits im kommenden Jahr beschlüsse sind hier ganz klar; sie sind ausdrücklich mit locker finanziert. – der Voraussetzung der Haushaltsdeckung verbunden. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Einmal!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Beerdigung Erste Bemerkung, meine Damen und Herren. zweiter Klasse!) (Beifall bei der FDP) Sie beantworten die Frage der Haushaltsdeckung nicht, meine Damen und Herren. Nur Forderungen auf- Die zweite Bemerkung. zustellen, ohne für eine Haushaltsdeckung zu sorgen, ist (Zuruf von der CDU/CSU: Frage!) einfach zu kurz gesprungen. Sie erweisen der Abschaf- fung des Soli einen Bärendienst, weil die Glaubwürdig- Herr Dr. Michelbach, nachdem jetzt die SPD erklärt hat, keit fehlt. dass der Soli abgeschafft wird, nachdem Herr Gutting erklärt hat: „Der Soli muss weg“, erklären Sie gerade: Wir wollen keine Steuersenkungen (B) (D) Der Soli muss weg. – Hier sitzt eine Fraktion, die gleich (Zuruf von der FDP: Ja!) einem Gesetzentwurf zustimmen wird – ihrem eigenen –, mit dem der Soli abgeschafft werden soll. Wie erklären durch Steuererhöhungen. wir den Menschen in Deutschland, dass heute nicht be- (Lachen bei Abgeordneten der FDP) schlossen wird, den Soli abzuschaffen, wenn doch vier Parteien und drei Fraktionen der Auffassung sind, dass er Wir wollen keine Steuersenkung auf Pump, die – ohne abgeschafft werden muss? Das hätte ich gerne gewusst. Haushaltsdeckung -haushaltspolitisch fehlgeleitet wäre. Wir wollen letzten Endes die willkürliche Spaltung der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Steuerzahler verhindern. Das ist nach meiner Ansicht aus ten der AfD – Lothar Binding [Heidelberg] verfassungsrechtlichen Gründen geboten. [SPD]: Schon wieder nur die halbe Wahrheit!) Das ist das Problem, das wir mit der SPD beraten müs- sen: Die meisten Staatsrechtler und Verfassungsrechtler (CDU/CSU): Dr. h. c. Hans Michelbach bestätigen inzwischen die Meinung, dass eine willkürli- Herr Kollege Dürr, unsere Steuerzahler wollen natür- che Teilung – 90 Prozent bzw. 10 Prozent der Steuerzah- lich eine Entlastung. Sie wollen aber auch stabile haus- ler – haltspolitische Verhältnisse. (Christian Dürr [FDP]: Ja!) (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) letzten Endes nicht verfassungskonform ist. Darüber Ich kann Ihnen nicht verwehren, die Abschaffung des werden wir reden, darüber werden wir beraten. Soli zu fordern. Aber wo ist denn im Haushaltsausschuss Ihr Vorschlag zu Einsparungen? (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Kay Gottschalk [AfD]) (Christian Dürr [FDP]: 300 Stück waren es! Sie haben das abgelehnt, Herr Michelbach! – Unser Ziel ist, auch mit dem Koalitionspartner die Argu- Weitere Zurufe von der FDP) mente auszutauschen und verfassungsrechtliche Fragen zu klären. Dafür sprechen gewichtige Gründe. Da können Sie doch mal deutlich machen, was die Lö- sung sein soll. Sie haben Haushaltskosmetik betrieben. Der Soli wurde 1991 erstmals eingeführt, um die Be- Sie haben keine klaren Einsparungen benannt. lastungen der deutschen Einheit zu finanzieren. Der So- lidarpakt II für den Aufbau Ost endet mit dem Jahr 2019. (Christian Dürr [FDP]: Natürlich! Das ist Deswegen ist es auch eine Frage der politischen Glaub- doch lächerlich, was Sie sagen!) würdigkeit, nicht nur 90 Prozent der Steuerzahler zu 8298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) entlasten bzw. verfassungsrechtlich zu prüfen, ob eine „Leistung muss sich lohnen“, das muss ein Prinzip der (C) willkürliche Teilung überhaupt rechtskonform ist, meine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bleiben, meine Damen und Herren. Damen und Herren. Deshalb werden wir mit der SPD intensiv beraten, um eine ganzheitliche Solilösung, eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und verfassungskonforme Lösung über die bisherige Formel der FDP) des Koalitionsvertrages hinaus, hinzubekommen. Dazu Ich glaube, wer soziale Gerechtigkeit mit Sozialneid gehört auch, dass wir selbstverständlich – und das be- verwechselt und deshalb die angeblichen Besserverdie- tone ich noch mal – an der soliden Haushaltspolitik der nenden schröpfen will, sollte sich gerade bei dieser Steu- schwarzen Null festhalten, also keine Soliabschaffung erfrage genau überlegen, wen er mit dem Festhalten am auf Pump. Wir werden auch nicht wegen der FDP und Soli tatsächlich trifft. wegen der AfD schon gar nicht den Koalitionsvertrag brechen oder der Koalition untreu werden. (Abg. Kay Gottschalk [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das machen wir nicht. Eine gute Sachargumentation hat Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sich schon immer den Weg gebahnt. Wir werden unsere Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Argumente einbringen, und wir werden auch in der Zu- kunft gute Lösungen finden. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!) Deshalb darf ich zur Soliabschaffung sagen: Friede sei mit euch. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Vielen Dank. Nein, danke schön. Jetzt will man endgültig abstim- men. – Es träfe nämlich nicht nur ein paar Superreiche; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es träfe 5 Millionen Menschen in diesem Land. ordneten der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Heul Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: doch!) Ich schließe die Aussprache. Sie zahlen 50 Prozent des Soliaufkommens. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Heul wurf der Fraktion der FDP zur Aufhebung des Solida- doch!) ritätszuschlagsgesetzes von 1995. Der Finanzausschuss (B) empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- (D) Das sind 10 Prozent der Steuerzahler; das sind keine Mil- lung auf Drucksache 19/6406 und Drucksache 19/6440, lionäre. den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksa- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Heul che 19/1038 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Ge- doch!) setzentwurf auf Verlangen der Fraktion der FDP nament- lich ab. Es geht hier also nicht um eine Millionärsteuer. Es gibt nicht 10 Prozent Superreiche in Deutschland. Es träfe Ich möchte darauf hinweisen, dass mir mehrere Er- die fleißigen und aufstiegsorientierten, qualifizierten Ar- klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorlie- beitnehmer und Angestellten, den Ingenieur, den Kran- gen.1) kenhausarzt, den Handwerksmeister, den risikobereiten Selbstständigen, die mittelständischen Betriebe insge- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die samt. Das sind letzten Endes die 10 Prozent, die betrof- vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen fen sind. besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf auf Drucksa- (Michael Theurer [FDP]: Deshalb: Stimmen che 19/1038. Sie zu!) Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- Das sind auch oft Arbeitgeber. Wenn ich diese Leute me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich entlaste, dann werden sie auch mehr Beschäftigung und schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- mehr Investitionen erzielen, meine Damen und Herren. nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.2) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Theurer [FDP]: Des- Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- halb zustimmen!) lung des Finanzausschusses auf Drucksachen 19/6406 und 19/6440 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- Deswegen wird ein Schuh daraus, dass wir die vollstän- stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des dige Abschaffung durchführen wollen. Antrags der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/1179 Wir schenken mit der Soliabschaffung unseren Men- mit dem Titel „Antrag auf sofortige und uneingeschränk- schen nichts. Wir geben der arbeitenden, qualifizierten te Abschaffung des Solidaritätszuschlags“. Wer stimmt Bevölkerung bzw. den Steuerzahlern einen persönlichen Freiraum. Sie wissen selbst am besten, mit ihrem Geld 1) Anlagen 6 und 7 sinnvoll umzugehen. „Mehr Netto vom Brutto“ und 2) Ergebnis Seite 8300 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8299

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) für die Beschlussempfehlung? – Das sind die Grünen, Stiefel für jede und jeden bis 2020 vollständig ausgelie- (C) FDP, Die Linke, CDU/CSU und die SPD. – Gegenpro- fert sein. Das ist okay. be! – AfD. Enthaltungen? – Keine. Damit ist die Be- Weiter das Positive. Ich hatte letzte Woche Gelegen- schlussempfehlung angenommen. heit, nach Afghanistan zu fliegen – mit der Luftwaffe, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: unserer Luftwaffe, mit dem A400M. Hin und zurück. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbe- Pünktlich ab, pünktlich an. Nonstop. Wenn ich Ihnen auftragten ein Geheimnis verraten darf: Das ist ein gutes Flugzeug, Jahresbericht 2017 (59. Bericht) schnell, groß, modern. Wer hätte das gedacht nach alle den Jahren, nach all dem Ärger? Die Elbphilharmonie Drucksachen 19/700, 19/5126 kann endlich fliegen. Interfraktionell sind 38 Minuten vereinbart. – Es gibt (Rüdiger Lucassen [AfD]: Aber Sie sind nicht keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. mit dem Fallschirm abgesprungen!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehr- Ein Teil der Soldaten, die mit uns zurückflogen, hatte im beauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Dr. Hans- Übrigen auf eine amerikanische C17 gewartet, die nicht Peter Bartels. kam. Jetzt können wir selber fliegen. Herzlichen Glück- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wunsch, Luftwaffe! der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deut- schen Bundestages: Nebenbei: Als wir wieder in Wunstorf landeten, stand vor der Halle ein A400M, der wenige Minuten zuvor aus Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! al-Asrak zurückgekommen war. Auch Gao wird inzwi- Dies ist die zweite Debatte zum Jahresbericht 2017. In- schen direkt von Deutschland aus angeflogen. So muss zwischen liegt eine Stellungnahme der Regierung vor. es sein. Wir haben sie am 17. Oktober im Verteidigungsausschuss diskutiert. Um mit dem Positiven zu beginnen: Manche Wenn jetzt also mithilfe des LTG 62 und der Flugbe- meiner Beanstandungen haben zu erfreulicher Aktivität reitschaft endlich ein stabiler Shuttlebetrieb von der geführt. Ich kann nur dazu ermuntern, die Hinweise in Heimat in die Einsatzgebiete möglich wird, dann sollte (B) den Berichten für Verbesserungen zu nutzen. Sie kom- das Gewürge mit den In- und Outflügen ein Ende haben. (D) men ja oft von den besten Experten, die dieses Land in Schluss mit Flugausfällen und Verspätungen! Unsere militärischen Fragen hat, nämlich von den Soldatinnen Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien haben gute und Soldaten selbst. Das ist, wenn Sie so wollen, sehr deutsche Planbarkeit verdient. preisgünstige Eins-a-Inhouseberatung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ingo Ich freue mich, dass das Thema der persönlichen Aus- Gädechens [CDU/CSU]: Aber das LTG 63 hat stattung – Schutzwesten, Stiefel, Bekleidung, moderne auch gute Arbeit geleistet!) Helme, Nachtsichtgeräte – jetzt ganz oben auf der Agen- – Absolut! Das macht es noch eine Weile. da des Ministeriums steht und dass das Parlament bereit ist, dafür jederzeit zusätzliche Mittel zu bewilligen. Ich Was dagegen schlecht und tendenziell immer schlech- freue mich auch, dass die Koalition einig ist, bis 2024 ter funktioniert, ist die Luftbeweglichkeit in den Einsatz- den Verteidigungsetat auf dann 1,5 Prozent des deut- gebieten selbst, in Afghanistan und Mali. Angemietete schen BIP anzuheben. Transporte in ungeschützten zivilen Hubschraubern und Flugzeugen bergen ein hohes Sicherheitsrisiko. Wir brau- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) chen mehr eigene deutsche militärische Hubschrauber im Das ist das Gute. Einsatz, aber ohne dass dann gleich zu Hause der ganze Ausbildungsbetrieb zusammenbricht. Die vorhandenen Das Ärgerliche ist: Es geht immer noch viel zu lang- Kapazitäten reichen hinten und vorne nicht. Hier geht es sam mit allen Beschaffungen. Liebe Frau Ministerin, las- nicht darum, irgendetwas neu zu erfinden, zu entwickeln sen Sie sich bitte nicht weismachen, man könne im Jahr oder zu zertifizieren, sondern einfach um mehr eigene weltweit nur 6 000 bundeswehrtaugliche Schutzwesten Kapazitäten – jetzt, so schnell wie möglich. kaufen. Dann brauchen Sie 30 Jahre, um 180 000 Sol- datinnen und Soldaten einmal auszurüsten. Und jeder Gefreut habe ich mich darüber, dass das Heer meine braucht ja seine eigene passende Weste, weil sie nun mal Forderung aus dem letzten Jahresbericht aufgegriffen für die Schießausbildung zwingend vorgeschrieben ist. hat, in den Stäben der Verbände Dienstposten für eine Art Wenn wir solche Basics nicht schneller hinbekommen, Kümmerer einzurichten, also Stabsoffiziere mit langer dann müssen wir auch nicht versuchen, Kampfflugzeuge Stehzeit am Standort, die sich um all das hauptamtlich der sechsten Generation in Auftrag zu geben, die schon kümmern, wofür der Verband selbst offiziell gar nicht zu- in 20 Jahren fliegen sollen. Also, die Priorität ist rich- ständig ist: Infrastruktur, Kinderbetreuung, WLAN, Ver- tig, aber jetzt bitte Dampf machen! Wir brauchen bessere kehrsanbindung. Denn all das ist existenziell für die Sol- Beschaffungsstrukturen. Immerhin sollen drei Paar neue datinnen und Soldaten unserer Pendler- und Elternarmee. 8300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Hans-Peter Bartels (A) Insbesondere für die vielen viel zu langwierigen Bau- Letztes Thema, das Zurruhesetzungsalter. Dieses The- (C) maßnahmen dürfte diese Initiative ein bisschen Druck ma verursachte schon im vergangenen Jahr und zuneh- aufbauen. Das wird nun erst mal an einzelnen Standorten mend auch in diesem Jahr erhebliche Unruhe unter den getestet. Andere militärische Org-Bereiche sollten sich Berufssoldaten. Was das Problem ist, kann, glaube ich, zum Mittesten eingeladen fühlen. jeder nachvollziehen. Hier sollen rückwirkend die Be- dingungen verändert werden, zu denen sich die Soldaten Dass Beschleunigung bei neuer Unterbringung mög- vor 10 oder 20 Jahren verpflichtet haben, den Dienst in lich ist, zeigen die Beispiele in Wilhelmshaven für die der Bundeswehr zu ihrem Lebensberuf zu machen. Da- Einsatzflottille 2, in Dresden bei der Heeresoffizier- mit hängen Lebensplanungen zusammen. Viele von den schule und in München an der Bundeswehruniversität. Langgedienten fragen mich, warum es Anreize und At- Fast-Track-Projekte für zusätzliche Bettenkapazitäten traktivitätsprogramme immer nur für das neue Personal brauchen wir überall. Bettenmangel ist nicht attraktiv, gibt und für sie, das Bestandspersonal, das alle Belastun- wirklich nicht! Nutzen Sie die guten Beispiele! gen aus den erweiterten Aufgaben der Bundeswehr heute Gut war auch der Pilotversuch mit einer neuen sport­ klaglos zu tragen hat, für sie, die erfahrenen Berufssolda- orientierten Grundausbildung, durchgeführt bei den Pan- ten, gibt es immer nur neue Zumutungen. So empfinden zergrenadieren in Hagenow. es viele. Ich möchte deshalb dazu raten, bei den Überle- gungen zur Anhebung der besonderen Altersgrenzen so (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weit wie irgend möglich auf Freiwilligkeit zu setzen. Für Damit hatte das Kommando Heer sehr schnell auf die im neue Berufssoldaten können dann gerne neue Regeln gel- letzten Jahr zutage getretenen Überlastungserscheinun- ten. Aber für die alten muss es Anreize geben, wenn sie gen bei der Ausbildung, insbesondere beim körperlich länger dienen sollen. Erfinden Sie, liebe Frau Ministerin fordernden Gefechtsdienst im Gelände, reagiert. Es gab von der Leyen, für eine Übergangszeit doch so etwas wie etliche Verletzte und einen Toten; das ist inakzeptabel. den „Berufssoldaten-Flex“: flexible, freiwillige Zurruhe- Das, was man an physischer Leistungsfähigkeit erwartet, setzungsgrenzen mit Anreizsystem. Ich bin sicher, dass darf man heute nicht mehr einfach voraussetzen, sondern viele Berufssoldaten, von denen manche ja heute schon man muss und kann die Leistungsfähigkeit trainieren. gern als Reservisten wiederkommen, darauf einsteigen Das geschieht nun in den ersten Wochen der allgemeinen würden. Grundausbildung. Dafür werden andere Ausbildungsin- halte gekürzt. Da aber auch etwa die umfassende Waf- Alles in allem: Vieles ist in Bewegung. Die Balance fenausbildung zu den Essentials des Soldatenberufs ge- zwischen Aufgaben und Mitteln ist aber längst noch nicht hört, muss man klären, wann und wo das systematisch erreicht. Die Stimmung ist nach wie vor angespannt. Vie- les geht zu langsam. Verzeihen Sie meine penetrante Un- (B) nachgeholt werden kann. Das scheint mir bisher noch (D) offen zu sein. Offen ist übrigens auch noch eine zu große geduld, aber es ist, glaube ich, mein Job, aufs Tempo zu Zahl von Dienstposten im Bereich PTBS-Betreuung und drücken. insgesamt im Sanitätsdienst, auch wenn es um die Basis- versorgung geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Anderes Thema. Ausgehend von dem seltsamen Fall Franco A., gibt es eine wachsende Sensibilität für Auffäl- Ich danke unseren vielen Ansprechpartnern in der ligkeiten im Bereich Rechtsextremismus. Truppe und im Ministerium, der politischen Leitung ebenso wie den engagierten Personalvertretungen und (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Aus gutem Verbänden und dem Verteidigungsausschuss. Die Zu- Grund!) sammenarbeit war durchweg angenehm. Auch meinem Mein Eindruck ist, dass viele Soldatinnen und Soldaten Team im Amt des Wehrbeauftragten, ohne das sich die genau hinschauen, wenn extremistisches Denken und Fülle der Themen überhaupt nicht bewältigen ließe, sage Handeln offenbar werden. Für viele Soldatinnen und ich: Vielen Dank. Soldaten ist es wirklich eine Frage der Ehre, dass sie Na- ziparolen, Ausländerfeindlichkeit, Judenhass, übrigens (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP auch Frauenfeindlichkeit in der Bundeswehr nicht dul- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den wollen. bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: SES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. – Bevor wir die Aussprache fortsetzen, Auch das gehört zur Inneren Führung, zum Maßstab für darf ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift- Richtig und Falsch, den jeder Soldat und jede Soldatin führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- in sich tragen muss. Extremismus, Rassismus, Antise- mung über den vom Abgeordneten Christian Lindner mitismus und Sexismus haben in der Bundeswehr nichts und von der FDP-Fraktion eingebrachten Entwurf eines verloren. Gesetzes zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggeset- zes 1995 bekannt geben: abgegebene Stimmen 626. Mit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Ja haben gestimmt 150, mit Nein haben gestimmt 475, FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Damit und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8301

(A) Endgültiges Ergebnis Manuel Höferlin Nein (C) Abgegebene Stimmen: 626; Jens Maier Dr. Christoph Hoffmann CDU/CSU davon Dr . Birgit Malsack- Reinhard Houben Winkemann ja: 150 Dr. Corinna Miazga Olaf In der Beek nein: 475 Stephan Albani Volker Münz Gyde Jensen enthalten: 1 Norbert Maria Altenkamp Sebastian Münzenmaier Dr. Philipp Amthor Ja Dr. Peter Aumer Daniela Kluckert AfD Dorothee Bär Tobias Matthias Peterka Thomas Bareiß Dr. Bernd Baumann Paul Viktor Podolay Dr. Lukas Köhler Marc Bernhard Jürgen Pohl Peter Boehringer Wolfgang Kubicki Dr . André Berghegger Stephan Brandner Martin Reichardt Jürgen Braun Roman Johannes Reusch Alexander Graf Lambsdorff Marcus Bühl Ulrike Schielke-Ziesing Ulrich Lechte Matthias Büttner Jörg Schneider Christian Lindner Marc Biadacz Steffen Bilger Tino Chrupalla (Heilbronn) Martin Sichert Dr. Detlev Spangenberg Dr. Reinhard Brandl Thomas Ehrhorn Dr. Dr . Jürgen Martens Michael Brand (Fulda) Berengar Elsner von Gronow René Springer Dr. Michael Espendiller Beatrix von Storch Alexander Müller Sebastian Brehm Dr . Harald Weyel Roman Müller-Böhm Frank Müller-Rosentritt Ralph Brinkhaus Dr . Dr. Dr . Dr. Dr. Götz Frömming (Lausitz) Dr . Christian Wirth Gitta Connemann (B) Dr. Alexander Gauland (D) Dr . Axel Gehrke FDP Albrecht Glaser Dr. Stefan Ruppert Grigorios Aggelidis Franziska Gminder Dr . h. c. Renata Alt Marie-Luise Dött Christian Sauter Christine Aschenberg- Hansjörg Durz Frank Schäffler Kay Gottschalk Dugnus Dr . Wieland Schinnenburg Armin-Paulus Hampel Nicole Bauer Hermann Färber Matthias Seestern-Pauly Mariana Iris Harder-Kühnel Jens Beeck Frank Sitta Dr. Jens Brandenburg Enak Ferlemann Judith Skudelny Dr. (Rhein-Neckar) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Land) Bettina Stark-Watzinger Martin Hebner (Südpfalz) Dr. Maria Flachsbarth Dr. Marco Buschmann Katja Suding Dr. Hans-Peter Friedrich Carl-Julius Cronenberg (Hof) Britta Katharina Dassler Michael Theurer Michael Frieser Dr. Bruno Hollnagel Bijan Djir-Sarai Stephan Thomae Hans-Joachim Fuchtel Leif-Erik Holm Christian Dürr Manfred Todtenhausen Ingo Gädechens Hartmut Ebbing Dr . Florian Toncar Dr . Fabian Jacobi Dr. Dr . Andrew Ullmann Dr. Daniel Föst Uwe Kamann Stefan Keuter Ursula Groden-Kranich Norbert Kleinwächter Katrin Helling-Plahr Hermann Gröhe Markus Herbrand Klaus-Dieter Gröhler Jörn König Fraktionslos Michael Grosse-Brömer Dr. Rainer Kraft Katja Hessel Mario Mieruch Astrid Grotelüschen Rüdiger Lucassen Dr. Dr. Frauke Petry Markus Grübel 8302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- (C) Monika Grütters Dr. Nadine Schön Becker Fritz Güntzler Olav Gutting Nikolas Löbel Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Jürgen Hardt Dr. Jan-Marco Luczak (Weil am Dr. Rhein) Karin Maag SPD Dr. Detlef Seif Dr . Thomas de Maizière Ingrid Arndt-Brauer (Chemnitz) Dr . Dr. Mark Helfrich Hans-Georg von der Marwitz Björn Simon Dr. Katarina Barley Rudolf Henke (Altötting) Jens Spahn Dr. Marc Henrichmann Dr. Sören Bartol Dr. h. c. Hans Michelbach Bärbel Bas Dr. Dr. Dr . Lothar Binding (Heidelberg) Leni Breymaier Alexander Hoffmann Axel Müller Dr. Karl-Heinz Brunner Karl Holmeier Sepp Müller Dr. Carsten Müller Johannes Steiniger Martin Burkert Erich Irlstorfer (Braunschweig) (Rostock) Dr. Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Christian Frhr. von Stetten Dr. Dr. Dr. Karamba Diaby Ingmar Jung Dr . Georg Nüßlein Sabine Dittmar Torbjörn Kartes Wilfried Oellers (B) Dr . Wiebke Esdar (D) Volker Kauder Florian Oßner Michael Stübgen Dr. Stefan Kaufmann Dr . Henning Otte Dr. Johannes Fechner Dr . Hermann-Josef Tebroke Roderich Kiesewetter Dr. Fritz Felgentreu Hans-Jürgen Thies Michael Kießling Dr. Dr . Dr. Michael Gerdes Dr . Antje Tillmann Dr. Christoph Ploß Angelika Glöckner Jens Koeppen Eckhard Pols Dr . Volker Ullrich Michael Groß Carsten Körber Alexander Krauß Alexander Radwan Rita Hagl-Kehl Gunther Krichbaum Alois Rainer Metin Hakverdi Dr. Günter Krings Dr. (Kleinsaara) Rüdiger Kruse Michael Kuffer Gabriela Heinrich Dr. Roy Kühne Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Johannes Röring Gustav Herzog Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Röttgen Albert H. Weiler Gabriele Hiller-Ohm (Hamburg) Ulrich Lange Erwin Rüddel Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Eva Högl Dr. Josip Juratovic Paul Lehrieder Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Katja Leikert Annette Widmann-Mauz Dr. Andreas Lenz Bettina Margarethe Johannes Kahrs Dr. Ursula von der Leyen Dr. Wiesmann Elisabeth Kaiser Christian Schmidt (Fürth) Klaus-Peter Willsch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8303

(A) Gabriele Katzmarek Dr. Heike Hänsel (C) Ulrich Kelber (Aachen) Matthias Höhn Kai Gehring (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Katrin Göring-Eckardt Kerstin Kassner Dr. Bärbel Kofler Michael Schrodi Dr . Achim Kessler Anja Hajduk Dr. Manja Schüle Britta Haßelmann Dr. Bettina Hoffmann Christian Lange (Backnang) Martin Schulz Dr . Dr. Karl Lauterbach (Spandau) Burkhard Lischka Dr. Kirsten Kappert-Gonther Kirsten Lühmann Stefan Liebich Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Gesine Lötzsch Katja Keul Thomas Lutze Sven-Christian Kindler Pascal Meiser Maria Klein-Schmeink Hilde Mattheis Martina Stamm-Fibich Dr. Sonja Amalie Steffen Cornelia Möhring Stephan Kühn (Dresden) Niema Movassat Christian Kühn (Tübingen) Norbert Müller (Potsdam) Renate Künast Zaklin Nastic Monika Lazar Sven Lehmann Claudia Moll Dr . Alexander S. Neu Steffi Lemke Siemtje Möller Markus Töns Bettina Müller Dr . Tobias Lindner Carsten Träger Petra Pau Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Ute Vogt Sören Pellmann Michelle Müntefering Claudia Müller Marja-Liisa Völlers Dr. Rolf Mützenich Beate Müller-Gemmeke Dirk Vöpel Tobias Pflüger Andrea Nahles Dr. Konstantin von Notz Bernd Westphal Ulli Nissen (B) Eva-Maria Schreiber (D) Thomas Oppermann Gülistan Yüksel Dr. Petra Sitte Cem Özdemir Dagmar Ziegler Helin Evrim Sommer Mahmut Özdemir (Duisburg) Lisa Paus Aydan Özoğuz Dr. Jens Zimmermann Dr . Kirsten Tackmann Christian Petry Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) DIE LINKE Kathrin Vogler Sabine Poschmann Dr. Manuela Rottmann Dr . Sahra Wagenknecht Doris Achelwilm Corinna Rüffer (Minden) Gökay Akbulut Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Dr. Sabine Zimmermann Dr. Gerhard Schick (Zwickau) Martin Rabanus Matthias W. Birkwald Stefan Schmidt Kordula Schulz-Asche BÜNDNIS 90/ Sönke Rix Christine Buchholz Dr . Wolfgang Strengmann- DIE GRÜNEN Birke Bull-Bischoff Kuhn Dr. Jörg Cezanne Margit Stumpp René Röspel Sevim Dağdelen Dr. Fabio De Masi Margarete Bause Jürgen Trittin Michael Roth (Heringen) Dr. Dr. Dr . Bernd Rützel Anke Domscheit-Berg Sarah Ryglewski Klaus Ernst Dr. Franziska Brantner Susanne Ferschl Ekin Deligöz Enthalten Axel Schäfer (Bochum) Katja Dörner Marianne Schieder Katharina Dröge AfD Dr . André Hahn

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 8304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Wir setzen die Aussprache zum Bericht des Wehrbe- ren, ist alles andere als leicht. Zwar muss man hier auch (C) auftragten fort. Das Wort hat die Kollegin Anita Schäfer, kritisch in Richtung Landesbauverwaltung blicken, aber CDU/CSU-Fraktion. Beispiele wie diese zeigen deutlich, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. (Beifall bei der CDU/CSU) In der Umsetzung von Maßnahmen müssen wir besser Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): und schneller werden. Deswegen begrüße ich, dass das Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr BMVg bereits mit der Aufstockung der für das Baupro- Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der jektmanagement zuständigen Gruppen richtige Schrit- Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2017 hat eini- te unternimmt und Infrastrukturmaßnahmen effizienter ge positive Entwicklungen bei der Bundeswehr zu ver- strukturieren wird. melden. So steigt der Frauenanteil kontinuierlich an. Zu loben ist auch die verbesserte Vereinbarkeit von Familie Zusammenfassend stelle ich fest: Der Bericht des und Beruf, ein wichtiger Faktor für die Bundeswehr als Wehrbeauftragten und mit ihm die Sorgen und Nöte der moderner und attraktiver Arbeitgeber. Fortschritte gibt Soldaten stoßen nicht auf taube Ohren. Wir sind noch es ebenso bei der Soldatenarbeitszeitverordnung. So gibt nicht am Ziel. Aber die zusätzlichen Haushaltsmittel so- es etwa einen Ausgleich für Dienste an Wochenenden. wie die Anstrengungen in der Bundeswehr, dem Minis- Mehrtägige Seefahrten werden künftig durchgängig als terium und hier im Parlament weisen den Weg zu einer solche betrachtet, und ein finanzieller Ausgleich für Ha- starken Bundeswehr und damit zu mehr Sicherheit in fenaufenthalte in Fremd- und Auslandshäfen wird mög- Deutschland und Europa. lich. Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lassen Sie mich Wichtig ist auch, dass wir eine gestiegene Sensibi- Ihnen und Ihren Mitarbeitern auch im Namen der CDU/ lisierung bei Fällen von Rechtsextremismus, sexueller CSU-Fraktion für Ihre wichtige Tätigkeit und die Arbeit Belästigung und unangemessenem Führungsverhalten am Jahresbericht 2017 sehr herzlich danken. verzeichnen können. Fragen der Inneren Führung fanden 2017 große Beachtung. Somit beschäftigt sich der Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) richt mit den Ereignissen in Pfullendorf, Illkirch, Son- Ich wünsche Ihnen sowie den Angehörigen der Bundes- dershausen und Munster. Trotz dieser Einzelfälle dürfen wehr und ihren Familien ein frohes Weihnachtsfest und wir den hervorragenden Dienst unserer Soldaten nicht ein gesundes neues Jahr 2019. unter Generalverdacht stellen. Die Bundeswehr hat kein Haltungsproblem! Herzlichen Dank. (B) Darüber hinaus verweist der Bericht darauf, dass noch (D) immer fehlende Ersatzteile oder langwierige Verfah- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ren bei der Wartung für eine zu geringe materielle Ein- satzbereitschaft sorgen. Deshalb bin ich sehr froh, dass Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Wehretat im Bundeshaushalt für das Jahr 2019 mit 43 Milliarden Euro um gut 12 Prozent aufwachsen wird. Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege Berengar Elsner von Gronow. Damit die Bundeswehr aber ein attraktiver Arbeitge- ber bleiben kann, müssen auch die Kasernen auf Vorder- (Beifall bei der AfD) mann gebracht werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Berengar Elsner von Gronow (AfD): ordneten der SPD) Herr Präsident! Werte und geehrte Kollegen! Im Das Sofortprogramm zur Sanierung von Kasernen im jüngsten, dankenswerten Bericht des Wehrbeauftragten Umfang von circa 2 Milliarden Euro ist der richtige Weg, lesen wir, dass die Lücken bei Personal und Material um große Neubau-, Umbau- und Erweiterungsmaßnah- teils noch größer geworden sind. Die Einsatzbereitschaft men anzugehen. Geld alleine ist aber noch nicht die Lö- vieler Waffensysteme sei dramatisch niedrig. Die enor- sung. me personelle Unterbesetzung habe sich verstärkt. Viele Soldaten seien überbelastet und frustriert. Es existiert ein Eine starke Bürokratisierung wird im Bericht eben- Übermaß an Zentralisierung und Bürokratisierung. Die falls angesprochen. Ein Korsett an Regeln und Vorschrif- Verregelung von allem und jedem durch Tausende von ten zieht Bauprojekte oftmals unnötig in die Länge. Ich selbstgemachten Bundeswehrvorschriften erstickt das möchte das mit einem Beispiel aus meinem eigenen Wahl- Prinzip des Führens mit Auftrag. Das Dokument ist lei- kreis veranschaulichen. In der Niederauerbach-Kaserne der ein vernichtendes Zeugnis für die jahrelange Amts- in Zweibrücken muss die Truppenküche aufgrund von führung der Verteidigungsministerin Frau Dr. von der Schimmelbefall saniert werden. Aufgefallen waren die Leyen und ihre Reform der Bundeswehr. Mängel bereits im Jahr 2016. Aber erst im Herbst 2018 wurden die Bauarbeiten begonnen. Bis zur Fertigstellung (Beifall bei der AfD) einer Interimsküche im Jahr 2019 wird das Essen von au- ßerhalb geliefert. Bis dann wiederum die neue Truppen- Kurz: Die Streitkräfte sind eine Truppe des Mangels, ein küche in Betrieb genommen werden kann, sollen ganze Sanierungsfall. So weit zunächst zum Bericht des Wehr- zehn Jahre vergehen. Das den Soldaten vor Ort zu erklä- beauftragten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8305

Berengar Elsner von Gronow (A) Wie konnte es aber so weit kommen? Seit Jahrzehnten ist das aber nicht so einfach. Obwohl unsere Soldaten (C) driftet die Gesellschaft nach links, treu und tapfer, hochmotiviert und engagiert dienen, sind sie häufig angesichts der vielen Aufgaben der Bundes- (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Wo leben Sie wehr überlastet. Wir haben jetzt schon bei weitem nicht denn?) genug Soldaten, um allein die Planstellen zu besetzen. Es besonders augenfällig auch die einst konservative CDU ist völlig fraglich, wo auf freiwilliger Basis die Soldaten seit Amtsantritt der Kanzlerin. Statt Vernunft und ge- herkommen sollen, um den geplanten Aufwuchs unserer sundem Menschenverstand wurde in allen Bereichen Streitkräfte gewährleisten zu können. immer mehr Wunschdenken Grundlage des politischen (Beifall bei der AfD) Handelns in unserem Land. Das galt auch im Bereich der Verteidigung. Nach dem Ende des Kalten Krieges Der bedauerlichen demografischen Entwicklung, dass meinten Utopisten, es sei nun die Ära des Weltfriedens es immer weniger junge Menschen in unserer Gesell- angebrochen. Wie unrealistisch das war, hätte man auch schaft gibt, entgegenzustellen, man könne ja Ausländer damals schon erkennen können. in unseren Streitkräften dienen lassen, halten wir für ver- (Beifall bei der AfD) kehrt. Wie sollte jemand schlimmstenfalls das größte Op- fer für eine Sache bringen, die nicht die seine ist? Nein, Nun, Jahrzehnte später, ist aber endlich Schluss mit lus- meine Damen und Herren, Söldner wollen wir nicht in tig. Das Ende der Spaßgesellschaft ist sicherheitspoli- der Bundeswehr. tisch schon längst erreicht. Es mag unpopulär sein, aber es ist auch Aufgabe der Politik, den Bürgern unbequeme (Beifall bei der AfD) Wahrheiten nahezubringen. Die Zeiten des „Alles geht, Hier würde vielmehr eine Wiedereinsetzung der Wehr- nichts muss!“ sind vorbei. Joko und Klaas werden euch pflicht helfen, ergänzt um eine allgemeine Dienstpflicht, nicht schützen. um es gerecht zu gestalten. Der Schutz seiner Bürger ist erste und vornehmste In einer Umfrage wurde festgestellt, dass 74 Prozent Pflicht des Staates. Um diesem Anspruch gerecht zu wer- der Finnen bereit wären, für ihre Heimat zu kämpfen, den, müssen endlich statt Ideologie und Utopie wieder aber nur 18 Prozent der Deutschen. Das ist traurig; denn Logik und Ratio Grundlage politischen Handelns in die- niemand kann erwarten, alles in Anspruch nehmen zu sem Land sein. dürfen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Wer in Freiheit (Beifall bei der AfD) und Sicherheit, Wohlstand und Demokratie leben möch- te, muss auch bereit sein, diese Werte zu verteidigen. Deutschland muss wieder eine eigene Position der Stärke (B) erreichen, um nach innen wie nach außen selbstvertei- (Beifall bei der AfD) (D) digungs- und selbstbehauptungsfähig zu sein, um aber Aber ich bin sicher, dass es möglich ist, auch den deut- auch als Verhandlungs- und Bündnispartner in der Welt schen Bürger in einer unsicherer werdenden Welt von ernst genommen zu werden. Um nicht in Abhängigkeit dieser Notwendigkeit zu überzeugen. von anderen Ländern oder Machtblöcken nur Anhängsel zu sein, muss Deutschland wieder vollumfänglich die Fä- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann fahren higkeiten aufbauen, um die eigene Landesverteidigung Sie doch mal nach Afghanistan und kämpfen gewährleisten und seinen Beitrag im Rahmen der NATO dort!) problemlos liefern zu können. Dafür braucht es allerdings mehr als Material und Perso- (Beifall bei der AfD) nal. Es braucht vor allen Dingen das Bewusstsein für die Notwendigkeit und den Willen zur Umsetzung. Beides Eine Eingliederung der deutschen Streitkräfte in eine vermisse ich in weiten Teilen der Regierung und der hier EU-Armee lehnen wir ab und fordern vielmehr die Erfül- anwesenden Fraktionen. lung der deutschen Zusagen in Wales, tatsächlich 2 Pro- zent des BIP für Verteidigung auszugeben und den euro- Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit! Sorgen päischen Teil der NATO zu stärken. Wenn jetzt vor allem Sie endlich dafür, dass Deutschland wieder glaubhaft und die Linken in diesem Haus aufheulen, meine Damen und nachhaltig für die Freiheit, die Sicherheit und den Wohl- Herren, frage ich Sie, ob es wirklich zu viel verlangt ist stand seines Volkes sorgen kann, schlimmstenfalls auch von 1 Euro ganze 2 Cent für die Sicherheit unseres Lan- militärisch. des auszugeben. – Ich denke nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Aber mit Geld allein ist es natürlich nicht getan. Das hat man auch im Verteidigungsministerium erkannt und den schönen Marketingbegriff der Trendwenden einge- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: führt. Der Wehrbeauftragte stellt hierzu fest: Die einge- Vielen Dank, Herr Kollege, für Ihre erste Rede. Sie leiteten Trendwenden müssten deutlich mehr Fahrt auf- haben die Redezeit vorbildlich eingehalten. nehmen. Eine politische Veränderungsabsicht bestehe Ich erteile das Wort dem Kollegen Josip Juratovic von zwar . Alle Maßnahmen würden aber viel zu langsam und der SPD-Fraktion. unentschlossen verwirklicht. Es müsse endlich Tempo in die Reformen kommen. Gerade im Bereich des Personals (Beifall bei der SPD) 8306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Josip Juratovic (SPD): nur ein Teil des Problems. Die strukturellen Schwierig- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen keiten in der Beschaffung sind das andere. und Kollegen! Ich freue mich immer wieder, unabhän- gig vom Inhalt den Bericht des Wehrbeauftragten in den Mein Appell geht also an Sie, Frau von der Leyen, die Händen zu halten; denn der Bericht ist Ausdruck dessen, bereits begonnenen Anstrengungen im Hinblick auf bes- was die Bundeswehr ausmacht. Sie ist eine Parlaments- sere Planung zu verstetigen. Denn wenn es uns gelingt, armee – vom Volk zum Schutze des Volkes –, und die die Bundeswehr für ihre Aufgaben anständig aufzustel- Soldatinnen und Soldaten, die ihr angehören, haben das len, bringt uns das im Zusammenhang mit dem benannten Recht, mit allem, was sie belastet oder wo sie Verbesse- Personalproblem einen großen Schritt weiter. Das besteht rungsbedarf sehen, Gehör zu finden. Die Tatsache, dass konkret darin, dass nach wie vor über 20 000 Dienstpos- über 2 500 Bundeswehrangehörige die Gelegenheit er- ten für Unteroffiziere und Offiziere nicht besetzt sind. griffen haben, eine Eingabe beim Wehrbeauftragten zu Und wer will schon seinen Dienst in einer Armee ab- machen, spricht für die Wichtigkeit dieser Funktion, aber solvieren, wenn er oder sie sich bei dieser mitunter sehr auch ganz konkret für das Vertrauen, das sie der Person gefährlichen Tätigkeit nicht ausreichend geschützt fühlt? Hans-Peter Bartels entgegenbringen. Tatsache ist doch, dass die Personalrekrutierung der (Beifall bei der SPD) Bundeswehr weniger auf werbewirksamen Maßnahmen fußt als vielmehr auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, im Namen der meisten Soldatinnen und Soldaten kommen zur Bundes- SPD-Fraktion unser Dank für Ihr Engagement und die wehr, weil sie über Freunde, Verwandte, Nachbarn auf wichtige Arbeit, die Sie und Ihr Team leisten! die Idee gekommen sind. Die Attraktivität der Bundes- wehr als Freiwilligenarmee beruht somit auf der Zufrie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) denheit der Bundeswehrangehörigen, die schon da sind. Dafür müssen wir Sorge tragen, und da macht mir der Ihr Bericht, der ja schon im Februar dieses Jahres Bericht des Generalleutnants Markus Laubenthal Hoff- erschienen ist, offenbart zwei eklatante Baustellen: den nung. deutlichen Verbesserungsbedarf bei der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten sowie die dünne Personal- Der Abteilungsleiter Führung Streitkräfte hat uns Ver- decke. Das fehlende Material ist ein absolutes No-Go. teidigungspolitikern diese Woche Bericht erstattet über Über 180 000 Menschen verrichten ihren Dienst in der die NATO-Übung „Trident Juncture“ in Norwegen. Die Bundeswehr. Sie tragen nicht nur die Last der Auslands- Bundeswehr stellte das zweitgrößte Kontingent an Sol- daten bei der Großübung. Deutschland hatte als einziges (B) einsätze, sondern gleichrangig auch die der Bündnisver- (D) teidigung. Dafür müssen sie natürlich auch entsprechend Land eine ganze Brigade verlegt. Diese Zusammenarbeit gewappnet sein. Und da geht es nicht darum, aufzurüsten, auf internationaler Ebene ist eine anspruchsvolle Aufga- liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern es geht darum, be, gerade wenn Truppen aus sehr vielen Nationen im unsere Soldatinnen und Soldaten so auszurüsten, dass sie größeren Maßstab zusammenwirken sollen. In Norwe- bei der Verteidigung von Freiheit und Recht, von unserer gen wurde dann auch der letzte Zweifel ausgeräumt über Demokratie nicht unnötigerweise Kopf und Kragen ris- die Fähigkeit Deutschlands, auch auf militärischem Ge- kieren, nur weil sie nicht die bestmögliche Ausstattung biet international bestehen zu können. haben. Wenn man den Worten des Generalleutnants Glauben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schenken darf, dann hat sich die Bundeswehr Respekt der CDU/CSU) bei den anderen Militärs der NATO-Länder verschafft. Auch sein Fazit in Bezug auf die Ausstattung während Ich rede dabei nicht nur von Großgeräten und Haupt- des Manövers war überwiegend positiv. Er sprach von ei- waffensystemen, sondern auch von Ersatzteilen und all- ner Vollausstattung bei der Übung von 100 Prozent. Auch täglichen Gegenständen wie adäquate Bekleidung und Engpässe bei Schutzwesten, Zelten und dergleichen sei- Schlafsäcke. An vielem scheint es zu fehlen. Das zeigt en behoben. Am wichtigsten war mir aber das Schluss- auch dieser Bericht. Und genau aus diesem Grund haben wort von Herrn Laubenthal, in dem er davon sprach, die wir im Haushalt für das kommende Jahr den Wehretat um Soldaten seien, aller Teufel im Detail zum Trotz, zufrie- 4 Milliarden Euro erhöht. Es geht dabei um die schnellst- den gewesen. Und das zeigt mir, dass wir uns auf dem mögliche Besserstellung der Soldatinnen und Soldaten. richtigen Weg befinden. Sie schützen uns, und wir sind ihrem Wohl verpflichtet; das ist die Gleichung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckhard der CDU/CSU) Gnodtke [CDU/CSU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stichwort „Ausrüs- Kolleginnen und Kollegen, die Weichen in Richtung tung“. Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum schneller Beschaffung notwendiger Ausstattung sind also aktuellen Aufklärungsbedarf hinsichtlich strittiger Be- gestellt. Jetzt gilt meine Bitte der Verteidigungsministe- raterverträge sagen. Ich habe hier mehrfach betont, wie rin, in ihrem Haus darauf hinzuwirken, dass diese Gelder zentral die optimale Ausstattung der Bundeswehr für den auch wirklich sinnvoll und zielführend genutzt werden. Schutz der Bundeswehrangehörigen ist. Um die zu ge- Denn bei der Beschaffung ist, wie wir ja wissen, das Geld währleisten, ist die Einhaltung von Regeln und Verfahren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8307

Josip Juratovic (A) unabdingbar, und es ist schlimm, wenn der Eindruck ent- bringen. Das Motto von Mark Zuckerberg, dem Grün- (C) steht, es sei gemauschelt oder begünstigt worden. der von Facebook, ist „Done is better than perfect“. Frei übersetzt: Entscheidend ist, dass wir fertig werden. Das (Beifall bei der SPD) wäre doch mal ein Motto für das Bundesverteidigungs- Von daher möchte ich mich auch mit dieser Bitte an die ministerium. Verteidigungsministerin, wenden: Frau von der Leyen, klären Sie die Vergabe der Beraterverträge restlos auf. Es (Beifall bei der FDP) gibt da noch zu viele Fragezeichen, die das Vertrauen in das Verteidigungsministerium und damit letztlich in die Dass die persönliche Ausrüstung mit Schutzwesten Bundeswehr schädigen könnten. und Helmen erst in 13 Jahren durchgängig für jeden Soldaten verfügbar ist, muss uns alle beunruhigen. Wir (Beifall bei der SPD) können nicht akzeptieren, dass es dermaßen lange dau- ern soll. Im Berichtsjahr flog zeitweise keine der nagel- Kolleginnen und Kollegen, ich möchte schließen mit neuen A400M-Transportmaschinen, auch keines unserer meinem Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten, wo U-Boote war einsatzfähig. auch immer sie ihren Dienst tun für unsere Sicherheit und den Schutz unserer freiheitlichen Demokratie. Ihnen ein (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Warum denn?) friedliches Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Am Geld kann es nicht liegen. Seit vier Jahren wächst das Budget des Verteidigungshaushalts spürbar an. Am (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten guten Willen, die Lage zu verbessern, liegt es sicher auch der CDU/CSU) nicht. Aber woran liegt es dann? Der Wehrbeauftragte kritisiert an vielen Stellen den hohen Grad an Bürokratis- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: mus, der sich überall in der Bundeswehr zeigt, der gute Ideen verhindert, der Kreativität hemmt und der gewiss Der Kollege Alexander Müller ist der nächste Redner auch für die extrem langen Beschaffungsprozesse sorgt. für die FDP-Fraktion. Die Bundeswehr benötigt eine Reduzierung dieser Bü- (Beifall bei der FDP) rokratie. Planungs- und Beschaffungsprozesse müssen verschlankt und beschleunigt werden. Die Chancen der Alexander Müller (FDP): Digitalisierung werden nur in Ansätzen in der Bundes- wehr genutzt. Hier besteht enormes Potenzial für Moder- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der nisierung und Verbesserung. Bericht des Wehrbeauftragten startet mit den Worten – (B) (D) ich zitiere –: (Beifall bei der FDP) Alle aus den Vorjahren bekannten Probleme der Bundeswehr – die großen Lücken bei Personal und Ich will abschließend eine besondere Wertschätzung Material und die damit einhergehende übermäßige für die Institution des Wehrbeauftragten aussprechen. Belastung vieler Soldatinnen und Soldaten – bestan- Vor 30 Jahren, als junger Wehrpflichtiger, fühlte ich mich den im Berichtsjahr fort. von Vorgesetzten unfair behandelt Die Word-Vorlage, Herr Dr. Bartels, die durchgängig (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was?) als Basis der Berichte der letzten Jahre dient, ist mittler- weile gut bekannt. Es ist aber wirklich enttäuschend, dass und habe selbst zwei Eingaben beim damaligen Wehrbe- es notwendig ist, Jahr für Jahr die gleichen Probleme auftragten eingereicht. wieder benennen zu müssen. Dass unsere Soldatinnen und Soldaten, die für unsere Sicherheit einstehen, auch (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Kann ich mir anständig mit Ausrüstung und Material versorgt werden gar nicht vorstellen!) müssen, ist nicht nur eine Frage der schlichten Notwen- Ich bin seither mit dem nötigen Respekt behandelt wor- digkeit für die Verteidigungsfähigkeit. Nein, es ist auch den, und ich konnte auch ein kleines bisschen zur Ent- eine Frage des Respekts für diejenigen, die für uns ihr bürokratisierung der Bundeswehr beitragen. Ein Schild Leben und ihre Gesundheit riskieren. mit aus meiner Sicht unnötigen Vorschriften, in der (Beifall bei der FDP) ­Boelcke-Kaserne in Koblenz, wurde nach meiner Initia- tive abgehängt. Solche Erfahrungen haben nicht nur mei- Baumaßnahmen dauern von der Planung bis zur Fer- nen Dienst, sondern auch den Dienst vieler Soldatinnen tigstellung regelmäßig länger als zehn Jahre. Das erfährt und Soldaten verbessert. man bei jedem Besuch in unseren Kasernen. Entspre- chend heruntergekommen sind viele Dienstgebäude und (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was stand auf sanitäre Einrichtungen. Der freie Zugang zu schnellem dem Schild?) Internet in unseren Kasernen soll erst 2022 gewährleistet sein. Oft hat man das Gefühl, dass es an der beabsichtig- Es zeigt uns vor allen Dingen auch, dass unsere Demo- ten Perfektion liegt, die erreicht werden soll, die die Pro- kratie stets Institutionen bietet, die gefühltes Unrecht ab- zesse dermaßen langwierig macht. Trauen wir uns doch stellen können. Diese Erfahrung hat letztlich auch dafür zu, auch mit Abstrichen in der A-Note endlich die nötige gesorgt, dass ich selbst aktiver Teilnehmer unserer De- Geschwindigkeit in die Ausstattung und Versorgung zu mokratie wurde. Ich wurde Kämpfer für die Freiheit und 8308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Alexander Müller (A) Freier Demokrat. Herr Dr. Bartels, wir danken Ihnen und müssen rückhaltlos offengelegt und bekämpft werden. (C) Ihren Mitarbeitern für ihre wertvolle Arbeit. Das fordert Die Linke. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Stattdessen taucht auf einmal der Name Franco A. wie- der CDU/CSU) der auf: im Zusammenhang mit einer ominösen Schatten- armee von sogenannten Preppern, die Waffen horten und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Todeslisten anlegen, um an einem Tag X loszuschlagen. Im Zentrum dieser Schattenarmee steht offenbar ein frü- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin herer KSK-Soldat. Und erneut waren es nicht das Minis- Christine Buchholz. terium, die Bundeswehr oder der MAD, die dieses Netz (Beifall bei der LINKEN) offenlegten, nein, es waren die Medien, beispielsweise die „taz“ oder der „Focus“. Schlimmer: Ein MAD-Mit- arbeiter warnte vielmehr die mutmaßliche Schlüsselfigur Christine Buchholz (DIE LINKE): dieser Schattenarmee vor einer bevorstehenden Razzia. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Offenbar agiert der MAD ohne effektive Kontrolle. Wir ren! Lieber Herr Bartels! Liebe Mitarbeiterinnen und sehen uns bestätigt: Die Linke fordert schon lange, dass Mitarbeiter des Wehrbeauftragten! 2017 gab es des Öfte- der MAD aufgelöst wird. ren negative Schlagzeilen für die Bundeswehr. Ich gehe auf zwei Themen ein, die auch vom Wehrbeauftragten (Beifall bei der LINKEN) aufgegriffen wurden. Mir scheint, Frau von der Leyen handelt hier nicht, Erstens. Die Bundeswehr hat ein Problem mit Rechts- weil sie eines nicht will, nämlich dass ein Schatten auf extremismus. ihre Bundeswehr fällt und vor allem auf ihr eigenes An- sehen. Dafür nimmt sie in Kauf, dass sich der braune (Beifall bei der LINKEN) Spuk weiter ausbreiten kann. Das ist gefährlich und un- verantwortlich. Bevor sich hier irgendjemand aufregt: natürlich nicht die Bundeswehr als Ganzes. Ich gebe Herrn Bartels recht: Es (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens gibt auch eine erhöhte Sensibilisierung bei diesem The- [CDU/CSU]: Das ist eine üble Legendenbil- menbereich. Aber mir ist wichtig, zu sagen: Es geht nicht dung!) nur um Einzelfälle. 2017 flog das Netzwerk um Franco A. Zweitens verdeutlicht der Bericht des Wehrbeauftrag- (B) auf. Franco A. und seine Komplizen schafften Munition (D) beiseite und erstellten Todeslisten, um Anschläge zu pla- ten, wie sehr einzelne Soldatinnen und Soldaten unter nen. Im vorliegenden Bericht des Wehrbeauftragten wird dem System Bundeswehr leiden. dieser Fall aufgegriffen, viele andere Fälle auch. Aber (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja, ich leide was lesen wir dazu in der Stellungnahme des Verteidi- unter Ihrer Rede!) gungsministeriums? Nichts! Kein Wort der Besorgnis, kein Wort über irgendeine Konsequenz. Die Zahl der auf dem Dienstweg angezeigten Vorfälle boomt. Dabei ging es unter anderem um sexuelle Über- (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Hört! Hört!) griffe oder brutale Ausbildungsmethoden. Der Fall eines Fakt ist: Wenn es um extreme Rechte in der Bundeswehr jungen Offiziersanwärters, der bei einem Gewaltmarsch geht, sitzen Sie aus, Frau von der Leyen, schweigen und in Munster zusammenbrach und später starb, ist mir, wie bagatellisieren Sie. vielen von Ihnen, sehr nahe gegangen. Er starb infolge eines Gewaltmarsches bei extremer Hitze, bei dem auch (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – fünf weitere Soldaten kollabierten. Ein halbes Jahr später Tobias Pflüger [DIE LINKE]: So ist es!) brach bei einem anderen Gewaltmarsch in Pfullendorf Dieses Nichtstun ist verantwortungslos und brandgefähr- erneut ein Soldat bewusstlos zusammen. Der Wehrbe- lich. auftragte schreibt, dass es zu klären bleibt, ob Schikane, Mängel in der Ausbildung oder das Versagen von Vor- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte gesetzten vorliegen. Aber das BMVg bleibt in seinem [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht, was Kommentar bei schwammigen Allgemeinplätzen. Ich Sie hier erzählen!) sage: Damit werden Sie nicht nur dem Leid der Betrof- fenen nicht gerecht, es wird auch zukünftig keine dieser Frau von der Leyen, Sie haben einiges getan, was rich- Fälle ausschließen. Wir sagen: Solche Ausbildungsme- tig war, beispielsweise die Wehrmachtsdevotionalien aus thoden müssen endlich ein Ende haben. den Kasernen verschwinden zu lassen, Kasernennamen zu ändern und auch den Traditionserlass zu überarbeiten, (Beifall bei der LINKEN) auch wenn es nicht in unserem Sinne war. Ich will ei- nes deutlich sagen: Damit haben Sie gleichzeitig syste- Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! matisch vom Kern des Problems des Rechtsextremismus Noch ein Wort zum Schluss. abgelenkt, weil nämlich alle Maßnahmen am Hauptpro- blem vorbeigingen, nämlich der Existenz rechtsextremer (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Gott sei Strukturen in und um die Bundeswehr. Diese Strukturen Dank!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8309

Christine Buchholz (A) Ich bin der Meinung, dass nicht Jahr für Jahr weitere Mil- müssen uns nicht nur die Fragen stellen: Passen unsere (C) liarden einer Rüstungsindustrie und einer Beraterarmee Ausbildungsstandards? Müssen wir sie vielleicht anpas- in den Rachen geworfen werden sollen. Dafür steht Die sen und verbessern? Ja, hier begrüße ich die Initiativen, Linke. die das Heer für ein neues Ausbildungskonzept ergriffen hat. Wir müssen uns auch die Fragen stellen: Warum sind Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. diese Vorgänge so spät aufgefallen? Haben die Mecha- (Beifall bei der LINKEN) nismen der Aufklärung auf dem Dienst- und Disziplinar- weg funktioniert? Was liegt im Argen, liebe Kolleginnen und Kollegen? Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Grünen. Ein letzter Punkt. Ich bin Ihnen, Herr Bartels, für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Offenheit sehr dankbar, mit der Sie sagen: Am Geld, an den Ressourcen mangelt es nicht. Natürlich muss man auch politisch die Frage stellen: Setzt das Ministerium Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hier die richtigen Prioritäten? Sie, Frau von der Leyen, Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen haben Finanzmittel wie noch nie zur Verfügung. Sie und Kollegen! Eine Debatte über den Jahresbericht des schaffen es Jahr für Jahr nicht, diese Mittel, die dem Rüs- Wehrbeauftragten ist natürlich Gelegenheit, Ihnen Dank tungsbereich zur Verfügung stehen, so auszugeben, wie zu sagen, Herr Wehrbeauftragter, aber natürlich auch es Ihnen der Haushaltsplan aufgibt. Sie müssen im Haus- Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich will heute haltsvollzug umschichten. Wir als Parlamentarierinnen eine Gruppe nicht vergessen. Das sind die Soldatinnen und Parlamentarier fragen uns natürlich: Warum setzen und Soldaten, die Eingaben gemacht haben, die sich Sie nicht eine größere Priorität, wenn es um persönliche manchmal ein Herz fassen mussten, die vielleicht ge- Ausstattung geht, wenn es um Schutzwesten geht, wenn zweifelt haben, ob ihre Eingabe etwas bringt. Ich will all es um Helme geht, wenn es um den geschützten Trans- jenen Soldatinnen und Soldaten – im Jahr 2017 gab es port in den Einsatzgebieten geht? Es herrscht in diesem 2 500 Eingaben im Amt des Wehrbeauftragten – zurufen: Haus eine sehr große Einigkeit weit über die Koalition Ihre Eingaben waren nicht sinnlos, weder in der Sache hinaus, den Soldatinnen und Soldaten, die wir, mit wel- noch im Allgemeinen; denn sie helfen uns als Parlament, chen Mehrheiten auch immer, in Auslandseinsätze schi- sie helfen diesem Deutschen Bundestag, ein ehrliches cken, Schutz und Fürsorge zukommen lassen. Meine und ungeschöntes Bild über Ihre Lage zu bekommen. Fraktion, ich, wir alle erwarten, dass in den kommenden Dafür herzlichen Dank. Jahren darauf eine höhere Priorität gesetzt wird und nicht (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auf das x-te Rüstungsgroßvorhaben, bei dem am Ende bei der SPD und der FDP sowie bei Abge- die Sachen zu spät kommen oder sie nicht funktionieren, ordneten der CDU/CSU und des Abg. Ralph liebe Kolleginnen und Kollegen. Lenkert [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum geht es auch, meine Damen und Herren, wenn In diesem Sinn, Herr Wehrbeauftragter, meine Damen man den Bericht liest. Dieser Bericht schildert konkrete und Herren, danken wir Ihnen für diesen Bericht. Wir Fälle. Manche sagen Einzelfälle, ich spreche von konkre- freuen uns auf die Zusammenarbeit, auch in den kom- ten Fällen. Bei diesen Fällen ist uns Grünen wichtig – ich menden Jahren. Sie ist uns wichtig, sie ist uns Ansporn. glaube, auch vielen anderen Kolleginnen und Kollegen –, Sie ist unsere Informationsquelle, die weit über das hi­ dass wir uns immer fragen müssen: Was ist die Struktur nausgeht, was wir manchmal aus dem Ministerium erfah- hinter dem Problem? Ein rechtsextremer Zwischenfall ren. Dafür herzlichen Dank. in der Bundeswehr ist natürlich schlimm – das Thema Franco A. ist angesprochen worden –, aber natürlich stel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len wir uns die Frage: Haben wir strukturelle Probleme, und müssen sie aufgeklärt werden? Das beginnt beim Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Thema Prävention. Brauchen wir ein Umdenken in den Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile das Wort der Köpfen? Brauchen wir mehr politische Bildung? Brau- Frau Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. chen wir mehr Fürsorge? Müssen wir junge Soldatinnen und Soldaten anhalten, sensibel zu sein und Eingaben zu (Beifall bei der CDU/CSU) machen? Es geht natürlich auch um die Frage: Funkti- onieren die Strukturen der Bundeswehr, wenn etwas Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der schiefgegangen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen? Verteidigung: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, zunächst einmal herz- Wir sehen in diesen Tagen bei einem anderen Thema, lichen Dank an Sie und Ihr Team für die gute, konstruk- das heute nicht Gegenstand der Debatte ist, dass oftmals tive Zusammenarbeit. nicht der Fehler an sich, sondern der Umgang damit das große Problem ist. Genauso müssen wir uns der Themen Da das heute die letzte Bundeswehrdebatte des Jah- Munster und Pfullendorf annehmen. Die Vorfälle bei res ist, möchte ich schlicht und einfach die Gelegenheit körperlicher Ausbildung sind angesprochen worden. Wir nutzen, den 250 000 Männern und Frauen – ob Militär 8310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) oder zivil – in unserer Bundeswehr zu danken für ihre schickt wird – und dazu sind sie bereit –, alles geben für (C) Professionalität, für ihre Leidenschaft, für die Treue, mit unseren Frieden und unsere Sicherheit, dann ist es eine der sie sich einsetzen. Das verdient unsere Anerkennung, Selbstverständlichkeit und das Mindeste, dass wir sie unseren Respekt und unsere Hochachtung. hier, zu Hause, in der Heimat mindestens genauso behan- deln wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der Dazu gehört selbstverständlich eine gute Vereinbarkeit AfD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE von Dienst und Familie. GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ja, es ist richtig, vieles muss besser werden. Es geht SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- aber auch schon vieles in die richtige Richtung, die NEN) Trendwenden greifen. Die Männer und Frauen, die ich gerade eben erwähnt habe – im Verteidigungsministeri- Herr Wehrbeauftragter, gerne nehme ich Ihre Mah- um, im BAAINBw, im Planungsamt, in den Teilstreit- nung auf, in die persönliche Ausstattung und Beklei- kräften, in den Verbänden und Organisationen –, sie alle dung zu investieren. 1,3 Milliarden Euro stehen dafür im arbeiten daran. Jahr 2019 zur Verfügung. Wir setzen die Modernisierung, die Sie zu Recht anmahnen, fort, indem wir bei der Di- Ich will einige Splitter heute einfach einmal nehmen, gitalisierung verglichen mit dem Jahr 2018 einen 30-pro- um zu zeigen, was sich bewegt: Wir haben allein im Heer zentigen Aufschlag draufsetzen. in diesem Jahr einen Zulauf gehabt von über 50 Schüt- zenpanzern Puma, 50 Füchsen mit Kampfwertsteigerung. Wir bauen unsere Strukturen und Standorte auf. Ich Am Montag ist der erste Brückenlegepanzer Leguan aus habe mich gefreut, dass wir vor etwa einer Woche ver- der Fabrik gerollt. Wir erwarten ab dem Jahr 2019 – künden konnten, dass wir ein neues Panzerbataillon auf- so geht es weiter – über 100 zusätzliche Kampfpanzer stellen, in Hardheim. Das ist ein Schritt in die richtige Leopard 2, wir werden 100 weitere in den modernsten Richtung. Rüststand versetzen. Wir erhalten 100 neue Boxer und endlich – endlich, kann man wohl sagen – 6 000 neue Herr Wehrbeauftragter, wenn ich einen letzten Punkt Nachtsichtbrillen. nehmen darf: Sie haben die Zurruhesetzung angespro- chen. Ganz wichtig ist: Wir ändern das Gesetz nicht. Ja, Herr Wehrbeauftragter, die Luftwaffe hat in die- Wer seinen Bescheid hat, kann sich auf Vertrauensschutz sem Jahr ihren fünfundzwanzigsten A400M erhalten. Ich verlassen; das ist ganz, ganz wichtig. Das Gesetz, das habe gerne gehört, wie Sie dieses Flugzeug gelobt haben. bereits vor einigen Jahren verabschiedet worden ist, ist In der Tat, wenn es mal aus den Kinderkrankheiten raus zu einer Zeit verabschiedet worden, als wir allgemein in (B) ist, dann wird es das beste, modernste Transportflugzeug Deutschland den Konsens hergestellt haben, dass behut- (D) der Welt sein. Wir freuen uns darauf, wenn wir diesen sam, sukzessive über einen langen Zeitraum – ich glau- Zustand erreicht haben. be, es sind 15 bis 20 Jahre – der Arbeitsdurchschnitt wie der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigen soll. Das Wir brauchen mehr Hubschrauber im Einsatz, haben Gesetz für die Bundeswehr ist im großen Konsens ver- Sie gesagt, Herr Wehrbeauftragter. Dank ans Parlament, abschiedet worden. Wir werden an diesem Gesetz nichts dass es gelungen ist, den Weg freizumachen, um den neu- ändern, sondern es genauso, wie die Buchstaben es her- en Schweren Transporthubschrauber anzuschaffen. geben, umsetzen. Das Gleiche gilt für die Marine, gute Nachrichten: Mit Herr Wehrbeauftragter, wenn ich das so sagen darf: diesem Haushalt haben wir auch die Möglichkeit verab- Sie haben gesagt, Sie wollen mehr Tempo. – Machen Sie schiedet, die U-Boot-Kooperation mit Norwegen auf den uns weiter Dampf; das tut uns gut. Weg zu bringen und das MKS180. Ich wünsche Ihnen allen hier im Hohen Haus, aber vor Ein Blick aufs Personal. Es ist gelungen, nachdem wir allen Dingen den vielen, vielen Männern und Frauen im im Jahr 2016 den absoluten Tiefpunkt erreicht hatten – Verteidigungsministerium, in der Verwaltung, aber auch die kleinste Bundeswehr, die wir je hatten –, jetzt wieder den Soldatinnen und Soldaten zu Hause und in den Ein- anzusteigen auf 180 000. Auch hier gilt: Dank an dieje- sätzen eine frohe Adventszeit und vor allen Dingen ein nigen im BAPersBw, die das alles leisten, die für die Re- gesegnetes Weihnachten. Bleiben Sie behütet! krutierung zuständig sind, die all die große Organisation und Logistik, die dahintersteht, bewältigen. Das ist eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- besondere Leistung. Wir sind Ihnen von Herzen dankbar ordneten der SPD) für diesen Einsatz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ordneten der SPD und der FDP) Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner: der Kollege Mario Mieruch. Herr Wehrbeauftragter, Sie haben sich gefreut, dass die Kinderbetreuung inzwischen gut läuft. Es freut mich, dass Sie das würdigen. Denn Sie haben recht: Unsere Mario Mieruch (fraktionslos): Soldatinnen und Soldaten sind eben auch Väter und Müt- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen ter, und es ist richtig, dass sie Beruf/Dienst und Fami- und Herren! Noch vor zwanzig, dreißig Jahren hätte eine lie vereinbaren können. Wenn wir von ihnen erwarten, Einschätzung wie „begrenzt einsatzbereit“ für unsere dass sie, wenn diese Parlamentsarmee in den Einsatz ge- Parlamentsarmee eine handfeste Krise ausgelöst. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8311

Mario Mieruch (A) So muss sich heute dieses Parlament am Zustand sei- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): (C) ner Parlamentsarmee auch messen lassen. Trendwenden Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- als langsamen Prozess zu begreifen und sich damit zu- gen! Herr Wehrbeauftragter, mit Ihrem Bericht für das friedenzugeben, mag manchem Bürger in Uniform oft Jahr 2017 haben Sie der Bundeswehr 120 Seiten Haus- wie Hohn vorkommen. Unsere Soldaten verdienen sich aufgaben ins Heft geschrieben. Wir sind heute schon fast international Respekt; hierzulande werden sie aber nach am Ende des Jahres 2018, wir stehen kurz vor Weihnach- wie vor kaum gewürdigt. Material-, Personalmangel ist ten. So habe ich Ihren Bericht für die Debatte heute un- ein altbekanntes Problem und bleibt es wohl auch noch ter dem Motto gelesen: Was ist denn umgesetzt worden? eine ganze Weile. 21 000 Dienstposten oberhalb der Jetzt habe ich dummerweise nur vier Minuten. Deswegen Mannschaftsebene sind vakant, einige Teilbereiche des will ich drei Punkte herausgreifen, die uns im Bundes- Heeres mit weniger als 50 Prozent besetzt. Es war lan- tag in den letzten Wochen und Monaten auch beschäftigt ge kein einziges deutsches U-Boot einsatzfähig. Und haben. Einsätze mit Hubschraubern werden niemanden mehr überraschen, da man das Gelb des ADAC kilometerweit Das Erste, was ich herausgreifen möchte, ist der Be- sehen kann. reich Beförderungen. Herr Wehrbeauftragter, Sie schrei- ben: Der Bericht des Wehrbeauftragten machte deutlich, dass der Wehretat höchstens das Niveau halten kann. Eingaben wegen nicht erfolgter Beförderung sind Nun wird investiert. Aber sich auf die Schulter zu klop- über die Jahre zum Dauerthema geworden. Erfüllen fen, weil bis 2020 jeder Soldat neue Stiefel haben soll, mehr Soldatinnen und Soldaten die Voraussetzun- zeigt im Grunde genommen den sehr traurigen Zustand gen für eine Beförderung, als Planstellen vorhanden exemplarisch auf. sind, ist nach Vorliegen der Voraussetzungen eine sofortige Beförderung im Regelfall nicht möglich. Ein Land wie Deutschland, das seit der Wiederver- Herr Wehrbeauftragter, ich melde Vollzug, wir haben es einigung den Anspruch hat, mehr Verantwortung in der aufgenommen. Sie haben angemerkt, dass es besonders Welt zu übernehmen, muss sich eben auch am Zustand im Bereich der Hauptfeldwebel zum Beförderungsstau seiner Armee messen lassen. Dass jetzt einmal einer der kommt. Mit dem Haushalt für 2019 haben wir über 1 000 A400M geflogen ist, freut mich in der Tat; denn es war zusätzliche Beförderungsstellen geschaffen, für den von schon wirklich traurig, dass wir für Truppenverlegungen Ihnen genannten Bereich 420. Den Punkt haben wir erle- bisher ständig auf die Amerikaner angewiesen waren – digt. Ich hoffe – hoffe –, dass er im Jahresbericht 2018, im Übrigen auf jene Amerikaner, die wir auch gerne spätestens im Jahresbericht 2019 dann nicht mehr vor- verteufeln und deren 2-Prozent-Ziel einige hier für über- kommt, wir dahinter einen Haken setzen können. (B) flüssig halten, obwohl eine Anhebung des Etats auch in (D) unserem eigenen Interesse läge. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der LINKEN: Warum?) Einen zweiten Punkt möchte ich herausgreifen. Ich tue das jetzt besonders deshalb, weil vor mir der Präsident An der Stelle noch einmal: 1,5 Prozent mögen gut sein, des Reservistenverbandes, Herr Oswin Veith, sitzt. Ich sind aber eben nicht 2 Prozent. zitiere wieder: Wenn der Wehrbeauftragte zu der Einsicht kommt, So beklagten sich zu Beginn des Berichtsjahrs zahl- dass das Konzept „Train as you fight“ wegen Material- reiche Reservisten beim Wehrbeauftragten, dass mangels Wunschdenken bleibt, dann ist das vielleicht bereits geplante Dienstleistungen wegen des Ver- bei Truppenübungen in der norddeutschen Ebene ärger- brauchs der Reservistendiensttage abgelehnt worden lich; im Wüstensand von Mali oder in den afghanischen seien. Diese Ablehnungen waren umso misslicher, Höhenzügen aber ist es mitunter tödlich. Ich appelliere als bereits private Vorkehrungen und Absprachen daher an die Bundesregierung – wie ich das bei der ers- mit zivilen Arbeitgebern getroffen waren. ten Debatte hierzu auch schon getan habe –, sich ihrer Fürsorgepflicht bewusst zu werden, besonders für unsere Wir haben uns das zu Herzen genommen. Wir haben Streitkräfte im Ausland; denn sie verteidigen dort unsere im Haushalt für 2019 die Veranschlagungsstärke der Re- Werte mit ihrem Leben. servisten deutlich erhöht. Wir wollen für alle Reservisten das Zeichen setzen: Wenn sie einen Dienst für unser Land Vielen Dank. tun wollen, dann soll es nicht am Haushalt scheitern. Ich hoffe, das wird im nächsten Jahr nicht wieder der Fall (Beifall der Abg. Dr. Frauke Petry [fraktions- sein und der Punkt wird in den nächsten Jahresberichten los]) des Wehrbeauftragten nicht mehr auftauchen. Auch da- ran können wir dann hoffentlich einen Haken setzen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der CDU/CSU) Der nächste Redner: der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion. Der letzte Punkt. An verschiedenen Stellen – nicht nur in diesem Bericht, auch in den Vorgängerberichten – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – taucht immer wieder die Feldpostversorgung als Grund Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Aber jetzt nicht für Eingaben bei dem Wehrbeauftragten auf. Meine Da- so schlecht wie im Verteidigungsausschuss die men und Herren, es ist gerade jetzt vor Weihnachten, wo Ministerin verteidigen!) wir viele Soldatinnen und Soldaten im Einsatz haben, 8312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Reinhard Brandl (A) wichtig und auch für das Wohlbefinden der Familien Wir beginnen mit der Aussprache, und ich erteile das (C) wichtig, dass, wenn die Familien den Soldaten etwas zu Wort dem Kollegen Michael Gerdes für die SPD-Frak- Weihnachten schicken wollen, das auch pünktlich zum tion. Fest ankommt. Drei Wochen oder vier Wochen danach ist eigentlich zu spät. Die Bundeswehr hat da in einigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bereichen Verbesserungen vorgenommen. Ich habe mich der CDU/CSU) dieser Tage erkundigt und habe die Meldung bekommen: Alles, was pünktlich zur Frist im Feldpostamt in Pfung­ Michael Gerdes (SPD): stadt eingeht, kann auch pünktlich in die Einsatzgebie- te verbracht werden. Wir können also hoffen, dass kein Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weite Tei- Soldat mehr zu Weihnachten nicht seine an ihn versand- le des aktuellen Debattenpunktes erscheinen mir hier im ten Geschenke bekommt. Einem frohen Fest steht somit Haus unstrittig, und das nicht nur, weil die EU-Verord- nichts entgegen. Auch daran kann die Bundeswehr einen nungen unmittelbar anzuwenden sind. Für Arbeitnehmer Haken setzen. Ich hoffe, dass wir dieses leidige Thema und Verbraucher geht es um Sicherheit beim Umgang bald los sind, dass die Feldpostversorgung in allen Ein- mit technischen Geräten. Arbeitgeber sind in der Für- satzgebieten funktioniert und die Soldaten in den Ein- sorgepflicht, und auch ihnen helfen wir mit zertifizierten satzgebieten ein frohes Fest haben. Produkten. Sie wollen für ihr Geld ordentliche Qualität. Einheitliche Standards helfen bei der Anwendung und (Beifall bei der CDU/CSU) erleichtern nicht zuletzt den grenzüberschreitenden Han- Wir sind jetzt am Ende des Jahres 2018. Wir erwarten del. Allein schon deshalb macht diese Verordnung durch- bald Ihren Jahresbericht für 2019. Wir freuen uns darauf. aus Sinn. Wir werden daraus auch wieder einige Punkte heraus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn etwas unstrit- nehmen und umzusetzen versuchen – zum Wohle unserer tig ist, heißt das aber noch lange nicht, dass es sich nicht Bundeswehr und unserer Soldatinnen und Soldaten. lohnt, ein wenig darüber zu debattieren. Im Gegenteil, Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen frohe ich nutze die Chance, um ein paar Gedanken zum Thema Weihnachten und bedanke mich zum letzten Mal in die- „Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit“ loszuwerden, und sem Jahr für die Aufmerksamkeit. dabei geht es nicht nur um Gasgeräte in der EU. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie finden in den Verordnungen den Begriff „Persön- liche Schutzausrüstung“. Den haben wir gerade auch im Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bericht des Wehrbeauftragten mehrfach gehört; das gilt (B) Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. aber auch für andere Arbeitnehmer. Das klingt zunächst (D) unscheinbar; aber es steckt Großes dahinter: Eine Schutz­ Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Vertei- ausrüstung kann Leben retten, Krankheiten vermeiden. digungsausschusses auf Drucksache 19/5126 zum Jah- Ohne persönliche Schutzausrüstung wären viele Berufe resbericht 2017 des Wehrbeauftragten. Der Ausschuss gefährlicher als nötig. empfiehlt, in Kenntnis des Jahresberichts auf Drucksa- che 19/700 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent- haltungen? – Dann ist die Entschließung mit den Stim- Gerne bemühe ich als Beispiel meine ursprüngliche Be- men aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die rufswelt: Für einen Bergmann sind Schutzkleidung und Linke angenommen. geprüfte technische Geräte unter Tage überlebensnot- wendig: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: (Bernd Rützel [SPD]: So ist es!) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- EX-geprüfte Schutzgeräte im Bergbau, in der Schifffahrt zes zur Durchführung von Verordnungen der oder in der chemischen Industrie verhindern schwere Europäischen Union zur Bereitstellung von Explosionen. CE-geprüfte Sicherheitsschuhe verhin- Produkten auf dem Markt und zur Änderung dern Umknicken, Ausrutschen oder Stichverletzungen. des Neunten und Zwölften Buches Sozialge- CE-zertifizierte Kleidung schützt vor Kälte oder hohen setzbuch Temperaturen. Drucksache 19/5456 Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Arbeitsschutz in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Deutschland hat sich bewährt, insbesondere wenn es um ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) technische Hilfsmittel am Arbeitsplatz geht. Mittlerweile ist es in vielen Tätigkeitsbereichen gelungen, körperliche Drucksache 19/6465 Schäden zurückzudrängen, auch wenn Erkrankungen Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der des Muskel- und Skelettsystems, etwa im Rücken oder FDP vor. am Knie, noch immer ein großer Faktor bei den Berufs- krankheiten sind. Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt dazu keinen Widerspruch. Dann ist Ich wünsche mir auch für die unmittelbare Zukunft ei- das so beschlossen. nen guten Arbeitsschutz. Das funktioniert aber nur, wenn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8313

Michael Gerdes (A) wir darüber nachdenken, welche Arbeitsschutzmaßnah- gungsthemen. Jetzt haben wir mal ein Durchführungsge- (C) men in der digitalisierten Arbeitswelt zu ergreifen sind. setz, zu dem ich sage: Ja, da hat die EU was zu suchen. Da ist es gut, dass es sie gibt. Es geht um die bekannte (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate CE-Zertifizierung, also um die Zertifizierung von elektri- Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Geräten daraufhin, dass sie sicher sind. Sie kennen NEN]) das alles vom Toaster und von der Kaffeemaschine; die All das, was ich zuvor als persönliche Schutzausrüs- haben alle eine CE-Zertifizierung. tung benannt habe, etwa Schutzhelme, Kleidung oder Atemschutz, hilft beispielsweise nicht vor der Gefahr der Aber heute geht es um Gasgeräte und um die persönli- ständigen Erreichbarkeit durch die heutigen Kommuni- che Schutzausrüstung. 2016 hat die EU zwei Verordnun- kationsmittel. Moderne Berufe brauchen andere Schutz- gen erneuert, und deswegen haben wir heute die Ehre, maßnahmen, etwa das Abschalten von E-Mail-Servern ein Durchführungsgesetz zu beschließen, womit wir ein ab einer bestimmten Uhrzeit. paar Sachen regeln, zum Beispiel, welche Marktüberwa- chungsstelle nötig ist. Das ist eigentlich auch ein ganz Hier muss ich im Übrigen mal sagen: Der heutige Tag vernünftiges System. Das wird national geregelt, natio- hier im Plenum ist auch nicht arbeitnehmerfreundlich. nal überwacht. Aber wenn einer Stelle was auffällt, dann Da denke ich nicht an uns Abgeordnete, sondern ich den- telefoniert sie mit dem anderen in der Europäischen Uni- ke an den Saaldienst, an die Putzdienste, an die Gardero- on, und dann kann ein Produkt aus dem Verkehr gezogen befrauen, die heute wieder mal länger arbeiten müssen, oder gestoppt werden. damit der Laden läuft. Danke dafür! Gleichzeitig haben wir heute die außergewöhnliche (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ehre, ein paar Bußgeldvorschriften und Ordnungswid- der CDU/CSU, der AfD, der LINKEN und des rigkeiten festzustellen. Deswegen werden wir gleich be- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schließen, dass ordnungswidrig handelt, wer „entgegen Aber, meine Damen und Herren, so geht es nicht wirk- Artikel 16 in Verbindung mit Artikel 30 Absatz 5 Satz 1 lich. Wir haben auch gegenüber den Mitarbeitern eine der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Fürsorgepflicht. Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vor- schriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 SES 90/DIE GRÜNEN) des Rates (ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30) eine Kenn- Ein moderner Arbeitsschutz muss ganzheitlich sein. zeichnung, ein Zeichen oder eine Aufschrift“ auf einem (B) Er sollte nicht nur physische Gefahren erkennen, sondern Gerät oder einer Ausrüstung anbringt. (D) auch psychischen Druck in die Gefährdungsbeurteilung (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die einschließen. Im Koalitionsvertrag finden sich einige Stenografen brechen zusammen!) Hinweise zum Thema „gesunde Arbeitswelt“: Wir haben uns unter anderem darauf verständigt, das Berufskrank- Für die, die das jetzt nicht verstanden haben: Da wird heitenrecht weiterzuentwickeln. Zudem wollen wir uns geregelt, dass man ein CE-Zeichen nur aufbringen darf, mit stressbedingten Erkrankungen am Arbeitsplatz ausei- wenn man tatsächlich zertifiziert ist, und man darf nichts nandersetzen. Aber hier ist noch sehr viel Luft nach oben. aufbringen, was so ähnlich aussieht. Ansonsten darf man aufbringen, was man will. – In Bezug auf direkte Ver- (Beifall bei der SPD) ständlichkeit und sprachliche Klarheit arbeiten wir also Wir können beim betrieblichen Gesundheitsmanage- noch ein bisschen! ment, das sich präventiv mit stressigen Bedingungen im (Beifall bei der AfD – Dr. Matthias Zimmer Job auseinandersetzt, deutlich besser werden. [CDU/CSU]: Langsamer sprechen! Die In diesem Sinne herzlichen Dank und Glück auf! Ich Stenografen kommen nicht mit! – Gegenruf wünsche uns allen frohe und besinnliche Weihnachten. der Abg. Marianne Schieder [SPD]: Oder es sein lassen! Das wäre noch besser!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wäre ja sehr schön, wenn das das Einzige wäre, wenn wir nur dieses Durchsetzungsgesetz hätten. Aber Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dann hat die Bundesregierung noch etwas in dieses Ar- Der nächste Redner ist der Kollege Norbert tikelgesetz mit reingeschmuggelt, zu dem ich sage: Die Kleinwächter, AfD-Fraktion. EU redet da gar nicht mit. Das ist gar kein EU-Thema. Es geht um ein paar kleine Änderungen im SGB IX und (Beifall bei der AfD) im SGB XII. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Langsa- (AfD): Norbert Kleinwächter mer sprechen! Arbeitsschutz für Stenografen!) Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- ren! Ich bin glücklich. Ich bin AfD-Abgeordneter, tätig Warum brauchen wir die? Die brauchen wir einfach, vor allem im EU-Ausschuss, und normalerweise werde weil die letzte Große Koalition es ein bisschen versäumt ich überflutet von Sachen, zu denen ich sage: Da hat hat, Dinge gleich ordentlich einzupflegen. Da gab es ja die EU nichts zu suchen – Migration, Bildung, Verteidi- den großen Wurf. Andrea Nahles wollte das große Bun- 8314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Norbert Kleinwächter (A) desteilhabegesetz haben. Aber man hat halt ein paar Was ich wirklich lustig finde: Sie erwarten, dass die (C) Punkte vergessen, und die werden jetzt nachgeschoben. Bundesregierung in dem Gesetzentwurf, den wir in ein paar Minuten, nachdem ich geredet habe, beschließen, Das alles sind Dinge, über die man sagen kann: Ja, noch Änderungen vornimmt. Außerdem erwarten Sie schlimm ist es nicht; es ist sinnvoll: die Klarstellung, bis zum 1. Januar 2019 Klarstellungen im Bundesteil- dass Leistungserbringer – zum Beispiel Heime, die Pfle- habegesetz. Innerhalb von zweieinhalb Wochen solche gedienstleistungen für die Eingliederungshilfe oder so Klarstellungen in irgendeinem Gesetz zu erarbeiten: Das erbringen – zur Mitwirkung an der Wirtschaftlichkeits- ist wirklich eine überdurchschnittliche Anforderung und und Qualitätsprüfung verpflichtet sind. wäre eine überdurchschnittliche Arbeitsleistung. Wir erweitern daneben die Straftatenkataloge. Es geht sozusagen um eine Unvereinbarkeit. Wenn man in einem (Zuruf von der SPD: Dass Sie das nicht gewissen Bereich was ausgefressen hat, dann darf man schaffen, ist mir schon klar!) da nicht mehr arbeiten. Das erweitern wir, auch insge- Und mal ganz ehrlich: Glauben Sie, dass diese Bundes- samt okay. regierung eine überdurchschnittliche Leistung erbringt? (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich glaube das nicht. NEN]: Das Thema interessiert Sie null! Das (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Der Nacht- merkt man!) wächter! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wichtig ist natürlich die Aufhebung der Frist, bei Ja klar!) der es darum geht, ob Kinder bei Pflegefamilien unterge- Insofern bleibt mir nur noch übrig, Ihnen allen frohe bracht werden können und dann Eingliederungshilfe be- Advents- und Weihnachtstage zu wünschen und zu wün- kommen. Es geht hier um schwerbehinderte Kinder. Da schen, dass Ihre Geräte im Betrieb technisch tatsächlich sagen wir: Natürlich ist das wichtig. Die Familie ist die beweisen, dass sie ihre CE-Zertifizierung wohlverdient Keimzelle, der Kern der Gesellschaft, und natürlich wol- haben. len auch wir, dass behinderte Kinder bei Pflegefamilien untergebracht werden. Herzlichen Dank, auf Wiedersehen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Dr. Matthias Zimmer NEN]: Wissen Sie, was Sie gerade gesagt ha- [CDU/CSU]: Dieter Thomas Heck lebt!) ben?) Und wir verstehen sowieso nicht, warum es da eine Frist Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gab. Der nächste Redner: der Kollege Wilfried Oellers, (B) CDU/CSU-Fraktion. (D) Warum gab es sie? Weil ein großer Wurf von Andrea Nahles, von der SPD kommen sollte. Er kam aber nie. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt schaffen wir die Frist ab, bevor die Regelung alter- nativ auslaufen würde. Wilfried Oellers (CDU/CSU): (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Es rauscht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wie eine Woge an mir vorbei, mir ist es gleich Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heu- und einerlei!) te beraten wir in der Tat einen Gesetzentwurf mit zwei sehr unterschiedlichen Themenbereichen. Zum einen Insofern ist das insgesamt in Ordnung. geht es um die Umsetzung einer europäischen Verord- Es ist ja bald Weihnachten, und deswegen hat uns die nung zur Bereitstellung von Produkten auf dem Markt – FDP noch einen Entschließungsantrag unter den Weih- insbesondere für persönliche Schutzausrüstungen – in nachtsbaum gelegt, bei dem sie dachte: Jetzt machen wir nationales Recht. Der Kollege Michael Gerdes ist ja mal ein echtes Meisterwerk an Populismus. schon ausführlich darauf eingegangen. Auf diese Aus- führungen möchte ich verweisen. (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Das sagen Sie! Lächerlich!) Als Behindertenbeauftragter unserer Fraktion möchte ich mein Augenmerk insbesondere auf den zweiten gro- Es gibt überhaupt keine Details, es gibt überhaupt kei- ßen Teil richten, und zwar geht es da um Lückenschlie- ne konkreten Forderungen. ßungen in den Sozialgesetzbüchern IX und XII. Was Sie malen am Anfang wirklich schwarz: heißt das im Konkreten? Vor allem wollen wir mit den Veränderungen dafür sorgen, dass Pflegefamilien weiter- Selten waren die Erwartungen von Menschen mit hin Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten können. Behinderungen ... so hoch ... Täglich wachsen nun Warum ist das wichtig? Sie sorgen sich um behinderte die Zweifel. Die Zweifel bestehen ... Vielmehr be- Kinder und Jugendliche und geben ihnen ein familiäres stehen Sorgen ... Umfeld, sodass sie nicht in stationären Behindertenein- Es geht noch weiter: richtungen aufgenommen werden müssen. Andererseits bestehen Unklarheiten ... Diese Ge- Und, ja, in der letzten Legislaturperiode war eigent- mengelage führt zu vielen offenen Fragen und Pro- lich vorgesehen, noch eine Änderung im Sozialgesetz- blemstellungen mit wachsender Verunsicherung bei buch VIII vorzunehmen, insbesondere, um eine Fristver- Betroffenen ... längerung bzw. Leistungen entsprechend aufzunehmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8315

Wilfried Oellers (A) Dazu kam es leider nicht, sodass wir diese Regelung mit zur Ruhe, schöpfen Sie Kraft für das Jahr 2019, für das (C) dem heutigen Gesetzentwurf entfristen müssen, weil die ich Ihnen alles erdenklich Gute wünsche. Frist nur noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres läuft. Herzlichen Dank. Wenn wir diese Entfristung nicht vornehmen würden, würden die genannten Familien ab dem 1. Januar 2019 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keine Leistungen mehr beziehen können. Mit der Entfris- ordneten der SPD) tung wollen wir Rechtssicherheit für diese Familien und insbesondere für die Kinder und Jugendlichen schaffen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der Kollege Jens Beeck ist der nächste Redner für die Weitere Änderungen werden wir vornehmen, indem FDP-Fraktion. wir zum Beispiel Prüfrechte für die Träger der Sozialhil- fe konkretisieren und weiterentwickeln, damit die Quali- (Beifall bei der FDP) tät der Leistungen nicht nur, wie bisher, vom Medizini- schen Dienst der Krankenkassen, sondern auch von den Jens Beeck (FDP): Leistungsträgern überprüft wird. Das sind – das muss Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kol- man betonen – anlassbezogene Prüfungen, und es sollen leginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin Griese, auch keine Doppelprüfungen stattfinden. Daher möchte wieder einmal ein Gesetzentwurf, mit dem dem Deut- ich sofort der Kritik entgegenwirken, dass es hier viel- schen Bundestag teilhabepolitische Themen zusammen leicht zu Doppelprüfungen und zu Mehraufwand kom- mit anderen Themen, die noch abzuarbeiten sind, in ei- men könnte. nem gemeinsamen Paket vorgelegt werden. Dieses Mal geht es zum einen um die CE-Kennzeichnung von Gas- Darüber hinaus werden die Erbringer der Leistun- geräten und persönlichen Schutzausrüstungen, Regelun- gen – bei Eingliederungshilfe und Pflegeleistungen – gen, an denen in der Sache nichts zu kritisieren ist. verpflichtet, Auskünfte und Unterlagen für Qualitätsprü- fungen vorzulegen. Der Datenaustausch zwischen den Dennoch fällt langsam auf: Wenn es um Politik für Behörden, der Heimaufsicht und den Einrichtungen wird Menschen mit Einschränkungen geht, dann hat es diese verbessert und soll insbesondere auch anonymisiert sein, Großen Koalition bisher nicht geschafft, auch nur eine sodass wir da auch keine datenschutzrechtlichen Schwie- einzige separate nationale Vorlage in dieses Plenum ein- rigkeiten haben. Dies dient insbesondere der Transpa- zuführen. renz für die Betroffenen, die Angehörigen, aber auch für (Zuruf von der CDU/CSU: Bundesteilhabe- die Pflegeeinrichtungen, sodass hier eine bestmögliche gesetz!) Überprüfung erfolgen kann. (B) Das unterscheidet Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen (D) Ein ganz wichtiger Punkt zum Schluss ist, dass der der Großen Koalition, übrigens von der Fraktion der Lin- Straftatenkatalog bei dem erweiterten Führungszeugnis ken, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und von um die Straftaten „Sexuelle Belästigung“, „Sexuelle der Fraktion der Freien Demokraten. Straftaten aus Gruppen“ und „Verletzung des höchstper- (Beifall bei der FDP) sönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ erwei- tert wird. Damit wollen wir verhindern, dass Personen, Heute liegen uns dennoch wichtige Regelungen vor. die wegen solcher Straftaten bereits verurteilt worden Hervorzuheben ist dabei, dass auch im Jahr 2019 Kin- sind, von Leistungserbringern beschäftigt werden oder der unter Vermeidung des Aufenthalts in vollstationären sich ehrenamtlich in die Arbeit mit Menschen mit Be- Einrichtungen der Behindertenhilfe in Pflegefamilien hinderungen begeben können. Es ist uns wichtig, dass versorgt werden können. Auch die Regelungen zum er- die Menschen mit einer Beeinträchtigung den höchst- weiterten Führungszeugnis und zur Auskunft von Kos- möglichen Schutz für ihren persönlichen Lebensbereich tenträgern im Bereich der Sozialgesetzbücher IX und XII bekommen, und hier müssen wir präventiv tätig werden. sind richtig, insbesondere dann, wenn sie nicht zu Dop- pelprüfungen führen. Es geht jetzt um erste weitere Änderungen von Ge- (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ist doch prima!) setzen. Das Bundesteilhabegesetz ist eben schon ange- sprochen worden. Das war ein erster großer Schritt, den – Ja. Und deswegen, Frau Hiller-Ohm, sage ich jetzt wir gemacht haben. Dieses Bundesteilhabegesetz erhebt auch: Im Ergebnis werden die Freien Demokraten an sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dieser Stelle heute einmal mehr Ihrem Gesetzesvorhaben muss ständig weiterentwickelt werden. Das beobachten zustimmen. So ist das. wir . Hier werden wir mit den Betroffenen, Angehörigen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der und Verbänden einen intensiven Austausch führen, um so SPD – Marianne Schieder [SPD]: Weil wir das Gesetz in den nächsten Schritten zu evaluieren und gute Politik machen!) zu verbessern. – Warten Sie, es kommt noch was. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Marianne Schieder [SPD]: Jetzt kommt es!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleibt mir Wir haben dennoch einen Entschließungsantrag vor- nur noch, Ihnen ein frohes, besinnliches und gesegnetes gelegt, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil das Pro- Weihnachtsfest zu wünschen. Kommen Sie ein paar Tage blem Ihrer Politik im Bereich der Menschen mit Behin- 8316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Jens Beeck (A) derungen nicht das ist, was Sie vorlegen, sondern das, wunsch, den ich für uns alle habe. In diesem Sinne: Las- (C) was Sie eben nicht vorlegen. Das ist das Problem. sen Sie uns gemeinsam in 2019 daran arbeiten. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Es wäre in diesem Gesetzentwurf problemlos mög- (Beifall bei der FDP) lich und auch notwendig gewesen, Frau Staatssekre- tärin, bereits für Klarstellungen, Herr Kollege Oellers, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: beim Bundesteilhabegesetz zu sorgen, mindestens doch Der nächste Redner: der Kollege Sören Pellmann, in dem Maße, wie die AG Personenzentrierung im Bun- Fraktion Die Linke. desministerium die Nachschärfungsbedarfe, Frau Kolle- gin Glöckner, bereits deutlich und klar definiert hat. Das (Beifall bei der LINKEN) wäre möglich gewesen: Abgrenzung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe zu existenzsichernden Leistun- Sören Pellmann (DIE LINKE): gen, Schnittstelle der Eingliederungshilfe zur Pflege ins- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! besondere im stationären Bereich, wenn jetzt die neuen Wenn die aktuelle Regierung Gesetze zur Behinderten- Wohnformen kommen, und Schutz der ehrenamtlichen politik einbringt, erinnert mich das an ein Klischee, und Betreuer und der Angehörigen vor den Haftungsrisiken, zwar an das Klischee von wiederkehrenden Weihnachts- die am 1. Januar 2020 auf sie zukommen, wenn die Ver- feiern bei den Schwiegereltern. Man schaut andauernd tragsfreiheit zu großen Haftungsrisiken führen kann. auf die Uhr und hofft, dass das Ganze bald vorbei ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teilhabepolitik in (Marc Biadacz [CDU/CSU]: Ich bin gern diesem Tempo kann nur zu weiteren Schnellschüssen dort! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ ohne hinreichende Beteiligung der Betroffenen führen, CSU) und das sollten wir im Interesse der Betroffenen, im In- teresse unseres Sozial- und Rechtsstaats gemeinsam ver- Meist gibt es noch nett verpackte Geschenke, bei denen hindern. zu hoffen ist, dass es nicht die Überbleibsel vom letzten Schrottwichteln sind. (Beifall bei der FDP) Genau dieses Gefühl hatte ich Anfang November, als An einer anderen Stelle ist das schon misslungen. ich diesen Gesetzentwurf in die Hände bekam. Bereits Denn die rund 85 000 Betroffenen hatten bereits zur Wahl auf Seite 1 blickte ich fasziniert auf dieses Papier. Ich des Europäischen Parlaments im nächsten Jahr darauf ge- war erstaunt, welche Dinge alle angeblich miteinander (B) hofft, die volle Wiedererlangung ihrer Bürgerrechte zu zu tun haben sollen. Das Kabinett schafft es, Begriffe wie (D) erhalten. Die FDP-Fraktion hat bereits im Sommer dazu „persönliche Schutzausrüstung“, „Gasverbrauchseinrich- einen Gesetzentwurf vorgelegt, die Einschränkung des tungsverordnung“, „Pflegeeinrichtungen“ sowie das IX. Wahlrechts wegen Vollbetreuung aufzuheben. Wir sind und XII. Sozialgesetzbuch auf einer Seite in den Entwurf der Auffassung, dass nur die vollständige Streichung der zu mischen. Das zeigt eines ganz deutlich: wie ignorant Nummer 2 des § 13 Bundeswahlgesetz der menschen- die Regierung mit den Bedürfnissen von Menschen mit rechtlichen Voraussetzung an dieser Stelle entspricht, Behinderungen umgeht. Das darf so nicht weitergehen. aus unserer Sicht im Übrigen auch die Streichung der Nummer 3 des § 13 Bundeswahlgesetz. Diese Europa- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wahl 2019 ist aber wohl nicht mehr zu erreichen. Das ist neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schon jetzt eine verpasste Chance im Bereich der Politik. Notwendige Veränderungen werden erneut einfach (Beifall bei der FDP) nur an andere Sachverhalte drangehangen. Aber schauen wir mal konkret, was im Paket sonst noch drinsteckt: Da Es bleibt zu hoffen, dass dieser Bundestag wenigstens findet sich zum einen die Aufhebung der Befristung der in der Sache die Kraft findet, selbst zu einer Überwindung Leistungsgewährung der Eingliederungshilfe für die Be- dieser grundrechtsverletzenden Wahlrechtsausschlüsse treuung von Kindern und Jugendlichen in einer Pflege- zu kommen, um dazu nicht durch das Bundesverfas- familie. Ebenso ist eine Rechtsgrundlage zum Austausch sungsgericht gezwungen zu werden. Sofern es dazu in von Sozialdaten bei der Zusammenarbeit zwischen Trä- einem der beteiligten Ministerien, im federführenden Mi- gern der Sozialhilfe, Trägern der Eingliederungshilfe nisterium, offenbar eine, wie ich finde, sehr wenig nach- und der Heimaufsicht enthalten. Gleichzeitig wird klar- vollziehbare Zurückhaltung gibt, gilt heute wie damals gestellt, dass die Leistungserbringer zur Mitwirkung bei der Satz der früheren Kollegin Anke Fuchs: Der Bundes- der Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung verpflich- tag darf sich nicht dem Regierungswillen unterwerfen; er tet sind. Ein paar nett klingende Worte! muss sich auch seiner sozialstaatlichen Tradition bewusst sein. – Das gilt an der Stelle der Wahlrechtsausschlüsse Zu einer echten Bescherung unterm Weihnachtsbaum in besonderer Weise. gehört nach Ansicht der Linken aber wesentlich mehr. Viel zu zahlreich sind die Diskriminierungen, die Men- Kolleginnen und Kollegen – ich komme zum Ende, schen mit Behinderungen weiterhin ertragen müssen. Herr Präsident –, wir müssen gemeinsam an dieser Stel- Hier wird keine Abhilfe geschaffen. Wenn das SGB IX le zu Ergebnissen kommen und gemeinsam arbeiten für schon angefasst, bearbeitet und verändert wird, dann eine Welt, in der Teilhabe für alle Menschen möglichst hätten wesentlich mehr Änderungen und vor allem auch frei möglich ist. Das wäre auch ein guter Weihnachts- Verbesserungen vorgenommen werden müssen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8317

Sören Pellmann (A) Aktuell ist Teilhabe nach Auffassung der Linken nach die Änderungen im SGB IX und im SGB XII hinter den (C) wie vor viel zu oft unter Kostenvorbehalt gestellt. Be- Regelungen zu den Gasgeräten versteckt. Da dachte ich: sonders deutlich wird das bei den Assistenzleistungen. Vielleicht möchte die Bundesregierung uns ein kleines Menschen, die ein funktionierendes Arbeitgebermodell Geschenk an Weihnachten machen und uns damit überra- leben, werden leider immer noch zu oft gezwungen, ge- schen, dass sie jetzt endlich tatkräftig die UN-BRK um- nau dieses aufzugeben. Gegen ihren Willen sollen sie setzen möchte. Aber ich habe mich getäuscht. Das war wieder ins Heim, oder ihnen wird der Bedarf so gekürzt, eigentlich auch nicht anders zu erwarten. dass ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr möglich ist. Menschen mit Behinderungen, die beispielsweise in ei- Wir haben hier so einen ganz kleinteiligen Gesetzent- ner Wohngemeinschaft leben, können auch gegen ihren wurf vor uns liegen, der natürlich notwendig ist und dem Willen zu einer gemeinschaftlichen Leistungserbringung wir am Ende auch zustimmen werden. Aber eigentlich genötigt werden. geht es doch um etwas Größeres, nämlich, wie gesagt, darum, die UN-Behindertenrechtskonvention umzuset- Die Linksfraktion wurde diese Woche erst von einem zen und endlich das zu machen, was angekündigt war: Mann im Hospiz kontaktiert, der Assistenz beantragt das Bundesteilhabegesetz zu ändern und an wesentlichen hat. Er möchte noch gelegentlich Freunde treffen oder Stellen fortzuentwickeln. Nach dem Gesetz ist vor dem die Natur genießen können. Das Ergebnis: Sein Antrag Gesetz, und das, was Sie hier vorlegen, entspricht dem wurde abgelehnt. Das ist die Realität, und das ist kein eigenen Anspruch natürlich nicht. Einzelfall. Hier ist Teilhabe klar vom Geldbeutel abhän- gig. Das Bundesteilhabegesetz ist und bleibt deshalb nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Spargesetz. sowie des Abg. Jens Beeck [FDP]) Wie sieht die behindertenpolitische Bilanz des Jah- Ich möchte das einmal an einem Beispiel deutlich res 2018 denn nun aus? Nach unserer Auffassung eher machen: Wir haben es hier mit dem erweiterten Füh- düster . Die Verpflichtung zur Barrierefreiheit der Privat- rungszeugnis zu tun, das Voraussetzung dafür ist, in Ein- wirtschaft – Die Linke hatte dazu einen Antrag hier ins richtungen der Behindertenhilfe zu arbeiten. Es ist auch Parlament eingebracht – wurde blockiert. Eine größere völlig richtig, dass dieses Führungszeugnis um diese Anzahl von in barrierefreie Formate übersetzter Lite- zwei Straftatbestände ergänzt wird. ratur nach dem Marrakesch-Vertrag wurde verhindert. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die Probleme des Bundesteilhabegesetzes wurden aus- Gut!) geblendet. Die Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse – trotz Zusage im Koalitionsvertrag – ist immer noch nicht Aber wir müssen uns schon mal vor Augen führen, was vorgenommen worden. Hier muss endlich geliefert wer- hier eigentlich los ist: dass Gewaltschutz natürlich ein (B) (D) den. Dazu liegen Vorschläge von FDP, Grünen und Lin- riesiges Thema ist im Zusammenhang mit Menschen ken auf dem Tisch. Handeln Sie jetzt! und Behinderungen, dass wir ein Konzept brauchen, eine Strategie brauchen, um diese Gewalt endlich zu beenden. (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Weihnachtsmann müsste folglich eher mit der Ich möchte diejenigen, die in der letzten Legislatur Rute als mit Geschenken bei den Verantwortlichen vor- schon hier im Deutschen Bundestag waren, an etwas er- beischauen. innern: Das Team Wallraff hat auf RTL eine ganz popu- läre Sendung gebracht – die haben viele, viele Menschen (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Knecht gesehen –, in der es darum ging, wie Menschen in Werk- Ruprecht!) stätten und Wohnheimen entwürdigt und geschlagen Die Linke wird daher im nächsten Jahr weiter für die wurden. Damals hat die Staatsanwaltschaft gegen Träger Rechte von Menschen mit Behinderungen kämpfen. Be- wie die Lebenshilfe und andere ermittelt. Das ist ein Be- troffene müssen endlich inklusiv leben können. In diesem leg dafür, dass hier Gewalt stattfindet und dass wir es mit Sinne wünsche ich Ihnen und uns frohe Weihnachten. einem strukturellen Problem zu tun haben und nicht mit Einzelfällen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will Ihnen mal was sagen, liebe Bundesregierung: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das wissen wir spätestens seit 2011. Damals haben Sie Die Kollegin Corinna Rüffer ist die nächste Rednerin selber ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich mit – für Bündnis 90/Die Grünen. ich lese den Titel vor – „Lebenssituation und Belastun- gen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen“ auseinandergesetzt hat. Sieben Jahre sind seitdem vergangen. Was hat dieses Gutachten zutage gebracht? Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass Frauen, die behindert sind, in ihrem Leben zwei- bis Sehr geehrter Herr Präsident! Einen schönen gu- dreimal häufiger als alle anderen Frauen von sexueller ten Abend an alle anderen! Ich glaube, alle hatten jetzt Gewalt nicht bedroht, sondern betroffen sind – zwei- bis Weihnachtsassoziationen, ich natürlich auch. Ich hatte dreimal so häufig. Das sind oft Frauen, die in Einrichtun- so ein bisschen Hoffnung, ehrlich gesagt. Sie haben ja gen leben, die wir immer als beschützende Einrichtungen 8318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Corinna Rüffer (A) bezeichnen. Jetzt stellen wir fest, dass diese Einrichtun- aufweisen. Meldungen über Misshandlungen oder Miss- (C) gen nicht schützen, sondern oft das Gegenteil tun. Die brauch bei pflegebedürftigen Menschen hören wir immer Bundesregierung ist gefordert, endlich eine Strategie wieder, und es erschüttert uns immer wieder. Vor allem vorzulegen. können sich Menschen mit Behinderungen, die in Ein- richtungen gepflegt werden, überhaupt nicht zur Wehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen und bedürfen eines besonderen Schutzes. Diesem und bei der LINKEN) Schutz werden wir gerecht. Deshalb ist diese Regelung Ich warte seit Jahren darauf, dass hier wirklich etwas ein ganz wichtiger und notwendiger Schritt. kommt und nicht nur gekleckert wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ein zweites Beispiel, um unseren Blick zu weiten und Als Zweites verlängern wir die Eingliederungshilfe zu verstehen, worüber wir hier eigentlich reden – ich über das Jahr 2018 hinaus für Familien, die Kinder oder glaube, das tut uns gut –: Wir haben es gerade mit einem Jugendliche mit Behinderungen in Vollzeit zu Hause jungen Mann zu tun, 31 Jahre alt, der 25 Jahre lang in pflegen und dadurch den Aufenthalt in einer Einrich- Einrichtungen gelebt und sich vor sechs Jahren aus ei- tung vermeiden oder beenden. Damit schaffen wir auch ner Einrichtung herausgekämpft hat; er hat mit Assistenz Rechts- und Planungssicherheit für diese Pflegefamilien gelebt. Was ist dann passiert? 2015 hat die Behörde an- und ihre Pflegekinder. gefangen, ihm sukzessive das Geld zu streichen. Heute bekommt er kein Geld mehr, obwohl das Bundesverfas- Zu guter Letzt beschließen wir ein anlassbezogenes sungsgericht zu seinen Gunsten entschieden hat, drei Eil- Prüfrecht für die Träger der Sozialhilfe und Eingliede- verfahren hinter uns liegen und sogar gegen eine Behörde rungshilfe. Als örtliche Träger der Sozialhilfe gewähren zwangsvollstreckt wurde. Das hilft ihm alles nichts. Die- die Städte und Landkreise mit finanzieller Unterstützung ser Mann hat riesige Schulden; ihm hilft kein Mensch. Es der Länder jährlich 4 Milliarden Euro Hilfe zur Pflege. entsteht gerade eine Bewegung, und ich möchte, dass wir Bisher tun sie das, ohne dass es ihnen möglich ist, ein heute von hier aus versprechen, dass dieser Mensch nie Prüfrecht dahin gehend auszuüben, ob die Gelder in den wieder in eine Einrichtung der Behindertenhilfe zurück Einrichtungen ordnungsgemäß verwendet werden. Die- muss und so leben kann, wie jeder andere auch, inklu- ses Recht haben bisher – das wurde gesagt – nur Pfle- siv, mit wem er möchte und mit der Unterstützung, die gekassen für die Leistungsgewährung ihrer Versicherten. er braucht. Das wollen wir ändern. Deshalb beschließen wir heute auch für die Sozialhilfeträger ein Prüfrecht. Gleichzei- Das bedeutet, dass wir Nachbesserungen im Bun- tig bedeutet das, dass bei Menschen, die vollständig oder desteilhabegesetz brauchen. Wir hätten das klar formu- teilweise vom Sozialhilfeträger Hilfe zur Pflege erhalten, lieren können. Wir wussten, dass solche Fälle vor uns (B) geprüft werden kann, ob das Geld auch vereinbarungsge- (D) liegen. Es ist jetzt Zeit. Ich wünsche mir etwas zu Weih- mäß verswendet wird. Wir folgen damit der ausdrückli- nachten, nämlich dass wir im nächsten Jahr an den zen- chen Empfehlung der Länder, die sich aufgrund etlicher tralen Stellen dieses Gesetzes so nachbessern, dass Teil- Abrechnungsskandale dafür ausgesprochen haben. habe in diesem Land endlich Realität wird und nicht eine blöde Weihnachtsgeschichte bleibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Forderung zu unterstützen, muss doch auch unser Anspruch sein; Danke. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [SPD]) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) denn nicht zuletzt handelt es sich um Steuergelder. Wir als SPD-Fraktion sorgen dafür, dass die Hilfe genau dort Vizepräsidentin Claudia Roth: ankommt, wo wir es wollen, nämlich bei den Menschen vor Ort. Vielen Dank, liebe Kollegin Corinna Rüffer. – Schö- nen Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir (Beifall bei der SPD) an Sie. Nächste Rednerin: Angelika Glöckner für die Verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie be- SPD-Fraktion. antragen, der Bundestag solle die Bundesregierung auf- (Beifall bei der SPD) fordern, sicherzustellen, dass dieses erweiterte Prüfrecht nicht zu Doppelprüfungen und Parallelstrukturen führt. Angelika Glöckner (SPD): Ihre Sorge halte ich für relativ unbegründet. Ich fasse gern noch einmal zusammen: Diese Prüfungen durch die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Sozialhilfeträger sind nur anlassbezogen möglich, und Kollegen! Nach Brückenteilzeit, Teilhabechancengesetz, sie sind auch nur möglich, soweit keine anderen Sozi- Rentenpaket I und, und, und beschließen wir heute ein alleistungsträger oder Stellen, die sie beauftragt haben, weiteres wichtiges soziales Paket. Wir reden über kleine Prüfungen vorgenommen haben. Wenn eine andere Stelle Änderungen, das ist wahr, wahr ist aber auch: mit großen diese Prüfung vorgenommen hat, dann muss diese Ein- Wirkungen. Ich möchte die Änderungen beleuchten. richtung die Prüfungsergebnisse gegenüber dem Sozial- Als Erstes erhöhen wir den Schutz für pflegebedürfti- hilfeträger offenlegen; das macht eine doppelte Prüfung ge Menschen in Einrichtungen. Wer als Pflegefachkraft entbehrlich. Und genau diesen vierten Punkt haben wir in Einrichtungen arbeiten will, darf künftig keinen Ein- auch geregelt. Sie sehen: Die Bundesregierung unter der trag im Führungszeugnis wegen sexueller Belästigung Federführung des Bundesministers und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8319

Angelika Glöckner (A) der Staatssekretärin Kerstin Griese hat an alles gedacht; Diesen zwei Anliegen wird der Gesetzentwurf ge- (C) sie haben ihre Hausaufgaben gemacht. recht: Erstens. Wir unterstützen Pflegefamilien weiterhin (Jens Beeck [FDP]: Schauen wir mal!) mit Leistungen der Eingliederungshilfe. Zweitens. Wir sorgen dafür, dass keine Gesetzeslücke entsteht; denn die Ich danke dem Bundesarbeitsminister und der Staats- bisherige Regelung ist bis Ende 2018 befristet. Der vor- sekretärin für die gute Zusammenarbeit und die Ausar- liegende Gesetzentwurf schafft somit Abhilfe. Diese Be- beitung dieses Gesetzentwurfes. In diesem Sinne wün- fristung wird nun aufgehoben. Damit werden Pflegefa- sche ich Ihnen allen eine frohe Weihnachtszeit und alles milien auch 2019 mit Leistungen der Eingliederungshilfe Gute. unterstützt, bis dann im Jahr 2020 die dritte Reformstufe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Bundesteilhabegesetzes in Kraft tritt. Das zeigt: Wir der CDU/CSU) lassen niemanden hängen. Wir fördern das Aufwachsen im familiären Umfeld.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank, Angelika Glöckner. – Nächster Redner: Marc Biadacz für die CDU/CSU-Fraktion. Die Änderungen in den Sozialgesetzbüchern IX und (Beifall bei der CDU/CSU) XII, die wir heute beraten und beschließen werden, be- kräftigen unseren Weg in der Behindertenpolitik, den wir mit dem Bundesteilhabegesetz in der letzten Legisla- Marc Biadacz (CDU/CSU): turperiode eingeschlagen haben. Lieber Herr Beeck, ich Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und weiß, da waren Sie mit der FDP im Sabbatical. Deswe- Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf mit gen haben Sie vielleicht vergessen, dass die Bundesre- einem – ja, das muss man schon sagen – sehr sperrigen gierung hier mit Blick auf Teilhabe in der Gesellschaft Namen. Dahinter verbergen sich zwei Bereiche, in denen einen großen Beitrag geleistet hat. der Gesetzgeber, also wir, aktiv werden muss. Der erste Bereich – jetzt komme ich zu dem sperrigen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Teil – ist eine Umsetzung von zwei EU-Verordnungen in ordneten der SPD) deutsches Recht: erstens die Vermarktung von Gasgerä- ten, also Kochplatten und Gasherden, zweitens die Ver- Das muss mal gesagt werden, bei aller Kritik und allen marktung von persönlichen Schutzausrüstungen. Dies Modifizierungen, die wir noch vornehmen müssen: In bedeutet Verbesserungen des Arbeits- und Gesundheits- der letzten Legislaturperiode haben wir hier viel geleis- (B) schutzes der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb sind diese tet. (D) Durchführungsbestimmungen notwendig. Also sollten wir heute hier pragmatisch handeln und diesen Gesetz- Jetzt wollen wir ein weiteres Zeichen für Inklusion entwurf beschließen. und Teilhabe in unserem Land setzen. Ich freue mich, dass wir heute einen weiteren kleinen Schritt in diese Der zweite Bereich regelt wichtige Änderungen in den Richtung machen. Sozialgesetzbüchern IX und XII. Einen Punkt hier her- auszugreifen, ist gerade für uns Sozialpolitiker ungemein Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. – Vielen Dank. wichtig: die Unterstützung von Pflegeeltern, die Kinder und Jugendliche mit Behinderungen betreuen und erzie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hen. Wir sind uns alle, glaube ich, einig: Inklusion be- ordneten der SPD) ginnt am Anfang des Lebens. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-

neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Marc Biadacz. – Der letzte Redner in Alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland sollten die Möglichkeit haben, in einer Familie aufzuwachsen, dieser Debatte: Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion. auch Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, die (Beifall bei der CDU/CSU) nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können. Sie alle brauchen besondere Zuwendung und Liebe, um ihre Persönlichkeit zu entfalten; das erfüllen Pflegefamilien. Peter Aumer (CDU/CSU): Deswegen möchte ich an dieser Stelle und zu dieser spä- ten Stunde allen Pflegeeltern und -geschwistern ein herz- Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liches Dankeschön sagen für ihre Arbeit. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, auch Pragmatismus gehört zum Regie- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der rungshandeln. Der heute vorliegende Gesetzentwurf FDP) zeigt, dass die Bundesregierung, getragen von CDU, Als Gesetzgeber, meine Damen und Herren, sind wir CSU und SPD, pragmatische Politik macht. Wenn es Re- jetzt in der Pflicht, für gute Rahmenbedingungen zu sor- gelungslücken gibt, dann gehören sie geschlossen, und gen, um Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen das schnellstmöglich. Meine sehr geehrten Damen und ein inklusives Aufwachsen und eine gleichberechtigte Herren der Linken, ich glaube, das muss man anerken- Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. nen. Und wenn man merkt, dass es bei der Eingliede- 8320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Peter Aumer (A) rungshilfe Regelungsbedarf gibt, dann ist es, glaube ich, familien, die ich vorhin schon angesprochen habe, zu (C) sinnvoll, das zeitnah zu regeln, damit keine Versorgungs- schließen, ist ein ganz wesentlicher Faktor. Die anlass- lücken für die Menschen entstehen. Das ist ein richtiger bezogenen Prüfungen sind angesprochen worden. Dass Ansatz. Insofern sind wir hier auf dem richtigen Weg. man Datenaustausch und Datenschutz bei den Trägern einführt, ist auch ein wesentlicher Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE]) Für uns war es ganz wichtig, das noch in diesem Jahr zu beschließen. Das hat nichts damit zu tun, dass die Be- – Ja, aber es eilt. Zum 31. Dezember läuft die Frist aus. hindertenpolitik nur ein kleiner Ansatz ist, der immer ir- Deswegen haben wir heute einen Gesetzentwurf vorge- gendwo mit drangehängt wird, sondern für uns ist die Be- legt, der vielleicht nicht zusammenpasst, aber durchaus hindertenpolitik ganz wesentlich und steht im Fokus. Ich Wirkung entfalten wird. glaube, da brauchen wir keine Nachhilfe von der FDP. Sehr geehrter Herr Beeck, zu dem, was Sie in Ihrer (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rede gesagt haben, und zum großen Kompass der FDP NEN]: Von den Grünen vielleicht!) in der Behindertenpolitik muss man, glaube ich, sagen: Das, was die Bundesregierung in der letzten Legislatur- Wir sind da auf dem richtigen Weg. Mit Wilfried Oellers periode mit dem Bundesteilhabegesetz auf den Weg ge- haben wir auch jemanden, der das in den Fokus seiner bracht hat, ist sozialpolitisch ein ganz wesentlicher Mei- Arbeit stellt. lenstein. Ich glaube, man sollte zumindest einen kleinen Blick auf das werfen, was hier geleistet worden ist; denn Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. das wird, wie mein Kollege Marc Biadacz zuvor gesagt hat, in Zukunft Wirkung entfalten. Sich das einmal vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Augen zu führen, gehört zu einer ehrlichen und glaub- ordneten der SPD) würdigen Politik dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wenn man Ihren Antrag liest, stellt man fest – ich habe Vielen Dank, Peter Aumer. – Damit schließe ich die mir die Stellungnahme der Wohlfahrtsverbände ange- Aussprache. schaut –, dass Sie eins zu eins das fordern, was die Wohl- fahrtsverbände gefordert haben. Dass das von einer sehr Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema zeugt, desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durch- (B) glaube ich nicht wirklich. Wenn Sie uns vorhalten, wir führung von Verordnungen der Europäischen Union (D) würden die behinderten Menschen nicht in den Fokus un- zur Bereitstellung von Produkten auf dem Markt und serer Politik stellen, sind Sie nicht ehrlich. zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches So- zialgesetzbuch. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales Ich bitte Sie, sich die einzelnen Punkte, die in diesem empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Gesetzentwurf stehen, anzuschauen. Hier wird geregelt, che 19/6465, den Gesetzentwurf der Bundesregierung was geregelt werden muss. Der Meilenstein war das Bun- auf Drucksache 19/5456 in der Ausschussfassung an- desteilhabegesetz. Das entfaltet nun seine Wirkung. Ich zunehmen. – Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- war in der letzten Woche in meinem Wahlkreis bei der wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Eröffnung einer ergänzenden und unabhängigen Teilha- ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält beberatungsstelle, die für Stadt und Landkreis Regens- sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung burg zuständig ist. Hier merkt man zum ersten Mal die angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen SPD, Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes sehr deutlich: Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und AfD. Die Die Menschen werden nach dem Peer-Ansatz eingestellt; Linke hat sich enthalten. auch zwei Menschen mit Behinderungen arbeiten dort und beraten Menschen mit Behinderungen. Ich glaube, Dritte Beratung hieran merkt man sehr konkret, dass die Bundesregie- rung und wir als CDU/CSU sehr deutliche Akzente set- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem zen. Das ist auch gut so. Das Bundesteilhabegesetz wird Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – seine Wirkung entfalten. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- Die FDP kann vielleicht bei den einzelnen Punkten, nen AfD, FDP, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD die hier geregelt werden, ansetzen, beispielsweise den bei Enthaltung der Linken. anlassbezogenen Prüfungen bei den Sozialhilfeträgern. Wir haben geschaut, dass bei diesen Prüfungen keine Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- Doppelprüfungen stattfinden, dass nicht ein Mehr an Bü- tion der FDP auf Drucksache 19/6468. Wer stimmt da- rokratie aufgebaut wird. Hier könnte die FDP vielleicht für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der einen wesentlichen Beitrag leisten. Aber darauf sind Sie Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die leider nicht eingegangen. Fraktion der FDP. Dagegengestimmt haben die SPD-, die CDU/CSU- und die AfD-Fraktion. Enthaltungen gab es Zu all den anderen Punkten, die geregelt werden: Die von den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- Regelungslücke bei den Pflegekindern und den Pflege- nen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8321

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt 11 An Ihrem Antrag erkennt man wie im Lehrbuch, wie (C) auf: sich Regierungs- und Oppositionsarbeit unterscheiden. In Ihrem Antrag fordern Sie nicht weniger als eine – mei- 11. Beratung der Beschlussempfehlung und des ne Wortwahl – Finanzrevolution. Aber – und das wissen Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Sie auch – man kann die Finanzarchitektur eines Landes zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard nicht auf der grünen Wiese planen; Bauen auf der grü- Schick, Anja Hajduk, Dr. Danyal Bayaz, weiterer nen Wiese wollen Sie als Grüner wahrscheinlich sowieso Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ nicht. Als überzeugter Europäer wissen Sie auch, dass DIE GRÜNEN wir gut beraten sind, solche Veränderungen immer in en- Finanzwende anpacken – Den nächsten Crash ger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern vo- verhindern ranzutreiben. Daher können wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen. Ich weiß aber, dass Ihnen das von Anfang Drucksachen 19/4052, 19/6469 an klar war. Daher begreife ich Ihren Antrag als Appell. Und Ihren Appell, eine Finanzwende anzupacken, finde ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ich richtig. richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg Cezanne, In Ihrem Antrag formulieren Sie, dass sich das Zeit- Fabio De Masi, Christine Buchholz, weiterer Ab- fenster für Reformen angesichts des wachsenden Popu- geordneter und der Fraktion DIE LINKE lismus zu schließen beginnt. Dazu zwei Bemerkungen. Zehn Jahre nach der Pleite der Investment- Erstens. Das Zeitfenster für gute politische Entschei- bank Lehman Brothers – Finanzkrisen durch dungen schließt sich nie. Wir haben keine Angst vor Po- strikte Regulierung und Umverteilung verhin- pulisten. dern (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir auch Drucksachen 19/4241, 19/6469 nicht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Sie werden die Menschen mit Irrungen und Wirrungen zu die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- verführen versuchen; wir aber werden mit der Wahrheit nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. kontern, und zwar gemeinsam. Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen. – Ich eröff- ne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte: Metin Zweitens – und aus meiner Sicht ist das genauso wich- Hakverdi für die SPD-Fraktion. tig –: Wir dürfen in der finanzpolitischen Debatte nicht (B) diejenigen aus den Augen verlieren, die eine Schuld an (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Finanzkrise tragen. Die Marktgläubigkeit, der neo- der CDU/CSU) liberale Glaube an die Deregulierung, versucht in der politischen Debatte auch hier im Hause wieder Fuß zu fassen. Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP Metin Hakverdi (SPD): wollen auch eine Wende, aber eine ganz andere Wende. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Sie haben das hier bereits mit mehreren Anträgen klar- Kollegen! Lieber Herr Kollege Schick, zum Jahresende gemacht. Sie wollen wieder mehr Spielraum für Zocker, werden Sie Ihr Mandat niederlegen und das Parlament weniger Regulierung und eine Entfesselung der Markt- verlassen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei kräfte. Der Markt wird es schon richten, glauben Sie. So Ihnen für die Zusammenarbeit im Finanzausschuss be- ein neoliberaler Glaube darf in diesem Hause nie wieder danken. Herr Schick, wir waren nicht immer einer Mei- die Meinungsführerschaft übernehmen. Dafür kämpfen nung. Das ist so, das ist auch richtig so. Vielleicht ist es wir. Daran arbeitet die SPD. auch ein Unterschied, ob man Mitglied einer regierungs- tragenden Fraktion ist oder in der Opposition. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Uns ist es mit der Stabilisierung des Euro-Raums Schade ist sicherlich, dass Sie nicht in den Genuss der ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auf dem De- Regierungsverantwortung gekommen sind. Das tut mir zember-Gipfel des Ecofin sind wichtige Entscheidungen für Sie persönlich leid. Dafür sind aber weder Sie noch getroffen worden. Dazu gehört – das wissen Sie – die Ihre Fraktion verantwortlich, sondern das hat Ihnen die Weiterentwicklung des ESM, dazu gehört, dass die den FDP eingebrockt. Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden vorsorglichen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Kreditlinien effektiv genutzt werden können, und dazu SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Theurer gehört der Backstop für den Bankenabwicklungsfonds. [FDP]: Was? Das glaub ich nicht!) Aber damit nicht genug. Auch bei der Finanztransak- Jetzt erklärt uns die FDP von der Oppositionsbank aus, tionsteuer sind wir ein großes Stück weitergekommen. wie die Finanzwelt zu retten ist. Trotz der unterschiedli- Unser Finanzminister Scholz bringt mit seinem französi- chen Aufgaben habe ich den Austausch mit Ihnen immer schen Kollegen eine Lösung auf den Weg, die die Chance geschätzt. Aber jetzt genug der Gemeinsamkeiten. Kom- hat, mehrheitsfähig zu werden. Herr Schäuble hatte den men wir zu Ihrem Antrag. Stillstand moderiert, Olaf Scholz schafft es trotz vieler 8322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Metin Hakverdi (A) unterschiedlicher Positionen in den Mitgliedstaaten, führten aber auch dazu, dass unangemessene Kreditauf- (C) Fortschritte zu verhandeln. blähung erfolgte. Zudem waren die Zinserträge in Rela- tion zu den Risiken viel zu gering. Beides führte dazu, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass die Kredite aufgeblasen und dadurch eine künstliche Wenn es gelingt, dass wir weitere europäische Partner Konjunktur angeheizt wurde. Hinzu kam, dass die Preise dafür gewinnen, so wird die Finanztransaktionsteuer ei- laufend stiegen und das Risikobewusstsein dadurch sank. nen Beitrag zur Finanzierung des EU-Haushaltes leisten Das heißt, die ungedeckten Risiken stiegen. Die Fehlbe- können. Ich weiß, dass das vielen nicht reicht. Ich weiß, wertung der Risiken führte zu einer Kapitalfehllenkung. dass sich viele mehr vorstellen können. Ich weiß das; auch ich gehöre zu diesen vielen. Auch ich würde gerne Die Fehleinschätzung der Risiken wurde durch den an dieser Stelle die Revolution ausrufen. Wer aber euro- dritten Grund für die Krise noch verstärkt: die Intrans- päisch denkt und für Europa ist, der nimmt seine euro- parenz. Hypotheken wurden zu speziellen Wertpapieren, päischen Partner mit und verzichtet auf Unilateralismus. indem sie gebündelt, verbrieft und tranchiert wurden. Die Wertpapierkäufer konnten das Risiko nicht sachge- Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheimnis, dass recht abschätzen. Sie zahlten deswegen überhöhte Preise die SPD der europapolitische Motor dieser Koalition ist. für diese Wertpapiere. Am Ende kam das, was kommen Das ist gut so, und das bleibt auch so. musste: die Subprime-Krise. Daraus folgte die Banken- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) krise, und da viele Banken „too big to fail“ waren, muss- ten die Staaten eingreifen. Es kam zur Staatenkrise, weil Vielen Dank. die Staaten selbst schon überschuldet waren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann hat die EU-Kommission vollkommen zu Recht gesagt: Wir müssen dem auf den Grund gehen, und die Vielen Dank, Metin Hakverdi. – Nächster Redner: Liikanen-Gruppe wurde beauftragt, Lösungen zu finden. Dr. Bruno Hollnagel für die AfD-Fraktion. Diese hat zwar Lösungen gefunden, aber sie wurden nie (Beifall bei der AfD) umgesetzt. Das Fatale an der heutigen Situation ist, dass es Paral- Dr. Bruno Hollnagel (AfD): lelen zur Subprime-Krise gibt, und zwar wiederum durch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen zu niedrige Zinsen und wiederum dadurch, dass keine und Herren! Leider müssen wir feststellen, dass die risikoadäquate Bewertung von Krediten und Anleihen (B) Anträge der Grünen und der Linken ein tiefgreifendes erfolgte. Das sehen Sie an den griechischen Staatsanlei- (D) Verständnis von den eigentlichen Problemen nicht er- hen, die angeblich nicht ausfallen können und deswegen kennen lassen. So kann es nicht verwundern, dass keine bei der Zentralbank zu 100 Prozent beliehen werden kön- wirklichen Lösungen angeboten werden. Bestenfalls la- nen. Sie sehen das an den Haftungsgemeinschaften, die borieren Sie mit Ihren Vorschlägen an Symptomen he- faktisch einen Bruch des Verursacherprinzips darstellen; rum. Erlauben Sie mir deswegen, zu erläutern, welche denn wenn alle verantwortlich sind, fühlt sich keiner ver- drei Ursachen meines Erachtens für die Subprime-Krise antwortlich. maßgeblich waren. (Beifall bei der AfD) Der erste Grund war der Bruch des Verursacherprin- zips. In diesem Sinne erinnere ich daran, dass die poli- Es gibt auch neue Risiken – durch die Zombiekredi- tische Absicht der amerikanischen Regierung war, auch te. Das sind Kredite, die nur deswegen nicht notleidend weniger vermögenden Menschen Immobilieneigentum werden, weil die Zinsen so niedrig sind. Die Struktur- zu ermöglichen. Das geschah dadurch, dass halbstaat- mängel sind aber so massiv, dass sie, sobald die Zinsen liche Unternehmen wie Fannie Mae oder Freddie Mac etwas steigen, sofort sichtbar werden. Das werden wir staatlich garantierte Anleihen herausgaben. Dieses so an den Zombiekrediten sehen, die genau dieses Problem eingenommene Geld wurde als Eigenkapital eingesetzt, haben werden. Sie können jetzt gar nicht ausfallen; denn sodass im Endeffekt der Käufer eine Immobilie ohne Ei- ein Kredit kann nur ausfallen, wenn keine Zinsen mehr genkapital erwerben konnte. gezahlt oder die Tilgung nicht mehr bedient werden (Beifall bei Abgeordneten der AfD) kann. Wenn die Zinsen aber null sind, können sie per se nicht ausfallen. Das heißt, das, was die Kommission uns Das heißt konkret: Der Verursacher, der Hauskäufer, haf- vorgaukelt, dass die anderen Loans absolut sicher seien, tete nicht für die Immobilie. Das wurde dadurch deutlich, ist schlicht und einfach falsch, einfach aus dem Grunde, dass er im Zweifelsfall einfach die Schlüssel an die Hy- weil sie gar nicht ausfallen können, weil wir Nullzinsen pothekenbank schicken, nach Hause gehen und sich eine haben. andere Immobilie, eine andere Niederlassung suchen konnte. Die Sache war für ihn erledigt. (Beifall bei der AfD) Der zweite Grund für die Probleme war die Unter- Die Lösung der Linken und der Grünen – damit kom- bewertung der Risiken. Sie waren die Folge künstlich me ich zum Ende –, mit Mindestlohn, öffentlichen Inves- gedrückter Zinsen. Ja, Niedrigzinsen hatten seinerzeit titionen, Finanztransaktionsteuer oder Millionärsteuer geholfen, die Krise zu bewältigen. Die Niedrigzinsen ändern an den Ursachen gar nichts. Sie heilen sie nicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8323

Dr. Bruno Hollnagel (A) Sie sind einfach ungeeignet. Deswegen lehnen wir den Finanzminister besprochen. Da hoffe ich noch auf ein Er- (C) Antrag ab. gebnis im nächsten Jahr. Da sind wir noch nicht ganz so gut wie in den anderen Punkten, aber als Problem ist dies Danke. erkannt. Wir sind auf dem Weg, dieses Problem zu lösen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Claudia Roth: ordneten der SPD) Vielen Dank. – Nächste Rednerin: Antje Tillmann für Endlich, nach langer Zeit, werden auch die Staats- die CDU/CSU-Fraktion. schulden in den Fokus genommen. Ab 2022 sollen (Beifall bei der CDU/CSU) Staatsanleihen durch sogenannte Single-Limb Collec- tive Action Clauses restrukturierbar werden. Das heißt, Antje Tillmann (CDU/CSU): ich kann innerhalb eines Verfahrens alle Staatsanleihen einheitlich restrukturieren, und das macht im Falle einer Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schwierigkeit einer Bank oder eines Staates die Verwer- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insbesondere Herr tung dieser Anlagen wesentlich leichter. Das ist ja auch Dr. Hollnagel, Sie haben in Ihrer Rede das getan, was die AfD immer macht. Sie haben vier Minuten lang die eine Anregung aus dem Antrag der Grünen. Das ist auf Probleme dargestellt, aber nicht mit einem Wort gesagt, dem Weg. Ich hoffe, dass das Europäische Parlament die- wie diese Probleme auch in den Griff zu bekommen wä- ses Verfahren jetzt auch unterstützt und durchsetzt. Auch ren. Dass wir da auf einem guten Weg sind, sagt Joachim da sind wir einen Schritt weiter. Wuermeling, der nämlich bei der Vorstellung der Veröf- Ich gebe zu, der heutige Tag passt gut zur Debatte. fentlichung der Stresstests in der letzten Woche gesagt Die EZB hat heute verkündet, dass sie ihre Anleihenkäu- hat – ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin –: Die fe Ende des Jahres beendet. Das zeigt deutlich, dass auch europäischen und deutschen Banken sind selbst in einem dramatischen Abschwung widerstandsfähig. die EZB in diesem Jahr Fortschritte nach der Krise sieht. Ich hoffe auch, dass die Zinsen im nächsten Jahr wieder (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – La- ansteigen werden. chen bei Abgeordneten der AfD) Bei der Bankenunion sind wir eigentlich bis auf den Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen, weil Sie na- Common Backstop am Ziel. Wir haben die gemeinsame türlich lieber Probleme schildern, aber tatsächlich haben Aufsicht. Wir haben den gemeinsamen Abwicklungsme- wir in den vergangenen zehn Jahren erheblich an diesen chanismus. Wir haben die direkte Bankenrekapitalisie- Problemen gearbeitet. Mittlerweile bezweifeln nicht ein- (B) rung. Wir haben seit dem Ecofin auch die Verabredung, (D) mal mehr die Betroffenen, dass diese Regulierung not- dass, wenn der Bankenabwicklungsfonds nicht ausreicht, wendig war. aus dem ESM Mittel kreditweise zur Verfügung gestellt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- werden. Das alles steht unter der Überschrift: Steuer- ordneten der SPD) pflichtige bzw. steuerzahlende Bürger sollen für Krisen- Wir haben damit begonnen, das Eigenkapital in den Ban- banken nicht mehr bezahlen, sondern die Banken selbst ken zu verstärken; denn Banken mit höherem Eigenka- sollen diese Kosten restrukturieren. pital sind natürlich nicht so anfällig gegen Risiken. Der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuss für Finanzstabilität bestätigt, dass die Banken, ordneten der SPD) die eigentlich 2019 10,5 Prozent Eigenkapital haben müssten, in Europa im Durchschnitt bei über 14 Prozent Es bleiben noch Themen offen; das will ich gar nicht liegen. verhehlen. Wir müssen in der Europäischen Union das Wir haben weitergemacht mit Risikoreduzierungen; Beihilferecht an die Bankenunion anpassen; denn leider Sie haben die ausfallgefährdeten Kredite angesprochen. ist es auch heute noch möglich, dass Banken, die nicht Wir sind in Bezug auf die Risiken in den Bankbilanzen europäisch beaufsichtigt werden, durch nationale Steu- einen wesentlichen Schritt weitergekommen, indem wir ern gerettet werden können. Das wollen wir nicht. Wir nämlich bei neu ausfallgefährdeten Krediten eine Rück- müssen das Beihilferecht anpassen. Das werden wir tun. stellung bilden lassen und diese auch mit Eigenkapital Auch da sind wir auf einem guten Weg. untersetzen. Das hat auch schon dazu geführt, dass die Kredite im Durchschnitt geringer geworden sind. Trotz- Unter der Krise gelitten haben auch Verbraucher. dem haben die Finanzminister beim Ecofin in der letzten Auch da haben wir über mehrere Gesetze sichergestellt, Woche besprochen, dass diese ausfallgefährdeten Kre- dass Verbraucher mehr vor den Problemen geschützt dite weiter reduziert werden müssen. Auch das ist mehr sind. Wir haben über die Geeignetheitsprüfung festge- Sicherheit in den Bankbilanzen. stellt, dass derjenige, der Verbrauchern Anleihen anbie- tet, klären muss, ob der Verbraucher vor ihm tatsächlich (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) geeignet ist, diese Anlage zu kaufen. Wir haben über Wir müssen mit dem Insolvenzrecht weitermachen; Warnhinweise bei Finanzprodukten sichergestellt, dass denn auch die übriggebliebenen Non-performing Lo- der Kunde genau weiß, was er tut, und wir haben über ans – so heißen die ausfallgefährdeten Kredite – müs- Kostentransparenz für Verbraucherinnen und Verbrau- sen noch weiter reduziert werden. Auch das haben die cher mehr Informationen sichergestellt. Der gut infor- 8324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Antje Tillmann (A) mierte Verbraucher geht weniger Risiken ein. Das haben werden hier konsequent weiter vorgehen. Dabei mitzu- (C) wir klargestellt. machen, lade ich Sie herzlich ein. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidel- Danke. berg] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aber der Verbraucher, der mit diesen Informationen noch nicht zurechtkommt, kann sich über Finanzmarktwäch- Vizepräsidentin Claudia Roth: ter, die bei den Verbraucherzentralen angesiedelt sind, Vielen Dank, Antje Tillmann. – Nächster Redner: ebenfalls zusätzliche Informationen holen. Auch das ha- Dr . Florian Toncar für die FDP-Fraktion. ben wir dargestellt. (Beifall bei der FDP) Als Allerletztes: Selbst die BaFin hat die Zuständig- keit für den Verbraucherschutz bekommen, sodass auch Dr. Florian Toncar (FDP): hier Verbraucherinnen und Verbraucher sicher sein kön- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen nen, dass sie mit ihren Problemen und Sorgen gut aufge- und Kollegen! Ich glaube, dass das gut ist, dass wir nach hoben sind. zehn Jahren Finanzkrise heute noch einmal ihre Ursachen und Konsequenzen diskutieren. Die Ursachen sind viel- (Beifall bei der CDU/CSU) fältig: ein unzureichendes Risikomanagement aufseiten der Banken, falsche Anreizsysteme, zum Beispiel auch Dieser Teil aus dem Antrag der Linken, die Verbrau- bei der Vergütung, viele Fehler im Bereich der Regulie- cherinnen und Verbraucher besser zu schützen, ist also rung, zu wenig Kapital, Intransparenz in vielen Berei- auch längst auf dem Weg bzw. von uns in den letzten chen, zum Beispiel bei Verbriefungen, und eine Aufsicht, Jahren beschlossen worden. Auch hier brauchten wir die die 2008 überfordert war, weil sie mit der Internationali- Anregung nicht. sierung und auch der Computerisierung der ganzen Bran- Aber es gibt auch neue Risiken, und da, Herr che nicht Schritt gehalten hat. Dr. Hollnagel, haben Sie völlig recht: Wir müssen jetzt Auch hatten wir nach dem 11. September ungesun- nicht nur sehen, dass wir die Risiken aus der Finanzkri- de politische Eingriffe im amerikanischen Rechtsraum, se von vor zehn Jahren in den Griff bekommen, sondern den Versuch der Notenbank, mit billigem Geld die Wirt- es drohen auch neue Krisen. Das könnte zum Beispiel schaft wieder zu stimulieren, den Versuch der Politik, im Bereich der Immobilien sein. Daher fand ich es im über staatliche Banken wie Fannie Mae und Freddie Mac Antrag der Grünen ein wenig unglücklich, dass Sie die Sozialpolitik zu betreiben und letzten Endes unabhängig (B) Bundesbank zwar zitiert haben hinsichtlich der Frage, von der Zahlungskraft der einzelnen Schuldner Kredite (D) dass die Kosten bei Grundstückspreisen gestiegen sind, unters Volk zu bringen. Das waren politische Eingriffe, aber den eigentlichen Satz aus dem Bundesbankstabi- die diese Krise mit ermöglicht haben. litätsbericht 2018 nicht zitiert haben, der nämlich be- sagt – ich zitiere –: In Deutschland übrigens waren es staatliche Landes- banken, die sich unter staatlicher Abschirmung mit Geld Insgesamt deuten die verfügbaren Daten zur Prei- vollgesogen und dann genau diese faulen verbrieften sentwicklung, Kreditvergabe und privaten Verschul- amerikanischen Immobilienkredite gekauft haben, weil dungen derzeit nicht auf einen substanziell erhöhten sie nicht wussten, wohin mit dem Geld, und es nachher Aufbau von Finanzstabilitätsrisiken aus dem Neu- in Produkte investiert haben, von denen sie nichts, aber geschäft mit Wohnimmobilienfinanzierungen hin. auch gar nichts verstanden haben. – Diese Ursachen, alle zusammen betrachtet, haben diese fatale Krise bewirkt. Also, es gibt die Blase ganz offensichtlich nicht, jeden- falls nicht mit einer Auswirkung auf Finanzkredite. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folge waren bei- spiellose Bankenrettungen und ein Rückgang des Brut- Trotzdem haben wir auch hier schon Vorsorge getrof- toinlandsprodukts in Deutschland um 4,5 Prozent. Man fen. Wir haben mit dem Finanzaufsichtsrechtergänzungs- muss eines ganz klar sagen: Bankenrettung, die Rettung gesetz der BaFin zusätzliche Möglichkeiten an die Hand von Unternehmen überhaupt durch den Steuerzahler, ist gegeben, auch Immobilienkredite zu regulieren, und die per se ein Vergehen gegen die soziale Marktwirtschaft. Wohnimmobilienkreditrichtlinie, die wir umgesetzt ha- Es steht mit der sozialen Marktwirtschaft in keiner Weise ben, führt dazu, dass die Banken sehr genau nachschauen im Einklang, wenn so etwas möglich und nötig ist. müssen, an wen sie Immobilienkredite vergeben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Insgesamt: Zehn Jahre nach der Krise haben wir an vielen Punkten an den Stellen, wo die Krise ausgebro- Deswegen will ich – das geht gerade an die Adresse chen ist, Regulierungen eingeführt. Die Finanzmärkte der Sozialdemokraten, Herr Kollege Hakverdi – an ei- sind sicher geworden. Trotzdem wissen wir: Wir sind nes erinnern: Die Banken wurden von Frau Merkel und aufmerksam, wo neue Probleme auftauchen. Ich nenne Herrn Steinbrück gerettet. Die schwarz-gelbe Koalition nur das Stichwort „Cyberkriminalität“. Wir werden uns hat 2010 in Deutschland ein Restrukturierungsgesetz be- regelmäßig weiter mit diesen Themen befassen. Banken- schlossen, das möglich machen sollte, dass die Aktionäre sicherheit, Finanzmarktsicherheit ist für einen Sozial- haften. Es wurde später Vorbild für eine europäische Re- staat immanent wichtig. Das behalten wir im Auge. Wir gelung. Jetzt sind es wieder Sozialdemokraten und auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8325

Dr. Florian Toncar (A) Christdemokraten, die über einen sogenannten Backstop Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) in Europa eine Kreditlinie aus Steuergeld in den Banken- Vielen Dank, Kollege Toncar. – Nächster Redner in restrukturierungsfonds einführen wollen. der Debatte: Jörg Cezanne für die Fraktion Die Linke. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Stimmt doch (Beifall bei der LINKEN) gar nicht!)

Sie müssen erst einmal diese Themen angehen, bevor Sie Jörg Cezanne (DIE LINKE): uns Belehrungen darüber erteilen, wie man richtig mit Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zehn Bankenkrisen umgeht. Jahre nach Lehman Brothers – ist die Gefahr gebannt? (Beifall bei der FDP) Wenn man sich die Ergebnisse der Anhörung im Finanz- ausschuss vom Montag anschaut, dann muss man sagen: Wir wollen die Steuerzahler schonen, und Sie wollen sie nein. Es ist viel passiert – das stimmt –, aber im Wesent- gerade wieder in die Haftung hineinnehmen. Es ist doch lichen handelt es sich dabei – so würde ich es jetzt formu- völlig paradox, was Sie hier vorschlagen. lieren – um einen mikroökonomischen Reparaturbetrieb (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es wird statt einen notwendigen Systemwechsel. aber nicht wahrer, wenn man das Falsche wie- (Beifall bei der LINKEN) derholt! – Zuruf von der FDP: Sie wollen die Schulden immer verstaatlichen!) Ja, die Finanzwende, wie die Grünen es nennen, wird Ein Gedanke: Nicht immer bringt mehr Regulierung gebraucht, wegen mir, Herr Hakverdi, auch gerne die bei den Banken auch mehr Finanzstabilität. Ein gutes Finanzrevolution – da bin ich nicht so. Ich möchte aber Beispiel dafür ist, was die Grünen fordern, nämlich eine kurz versuchen, aufzuzeigen, woran es hängt. Eigenkapitalquote für Banken von verpflichtend 10 Pro- Erstens. Es ist nicht gelungen, die Entkopplung des Fi- zent. Herr Kollege Schick von den Grünen, Sie kom- nanzsektors von der Realwirtschaft auch nur zu stoppen. men aus Mannheim. Ich habe mir mal die Bilanz Ihrer 2008 betrug im Euro-Raum das Volumen des Finanz- Sparkasse Rhein Neckar Nord und Ihrer Volksbank an- sektors nach Angaben der Europäischen Zentralbank geschaut. Die müssten, um Ihre Forderung zu erfüllen, 530 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. 2017 war es auf 50 Prozent mehr Eigenkapital aufnehmen oder 50 Pro- 640 Prozent angestiegen. Das erzeugt Instabilitäten; das zent weniger Kredite vergeben, und die sind noch gut kann so nicht weitergehen. aufgestellt, was die Verschuldungsquote angeht. Es kann doch nicht ernsthaft Ihr Vorschlag sein, dass die Häus- (Beifall bei der LINKEN) lebauer, dass der Mittelstand in Mannheim, im Rhein- (B) Zweiter Punkt. Das Vermögen der Schattenbanken – (D) Neckar-Raum plötzlich Not hat, Kredite zu bekommen, oder das, was man unter diesem unklaren Begriff zu- weil sie die Leverage Ratio einhalten müssen. Das ist sammenfasst – ist noch viel stärker angestiegen. Dieses doch die völlig falsche Konsequenz aus der Krise, die Vermögen bewegte sich bis 2008 bei ungefähr 30 Pro- Sie uns da vorschlagen. zent der jährlichen Wirtschaftsleistung der europäischen (Beifall bei der FDP) Staaten und des Euro-Raums im Ganzen. 2017 war es auf 150 Prozent angewachsen. In der Anhörung wurde auf Im Übrigen hätte der Vorschlag auch zur Folge, dass die negativen Folgen einer Verknüpfung der Schwierig- ganz unterschiedliche Risiken plötzlich regulatorisch keiten der Schattenbanken mit jenen des normalen Ban- gleichbehandelt werden. Das spekulative Investment kensektors hingewiesen. Hier ist bei weitem nicht genug würde wegen der Leverage Ratio den gleichen Kapital- geschehen. einsatz erfordern wie ein sehr sicheres Investment. Sie würden also, vergleichend betrachtet, das spekulative Drittens. Zu groß, um ordentlich abgewickelt wer- Investment sogar attraktiver und lukrativer machen. Das den zu können – dieses Problem bleibt ungelöst. Die ist, glaube ich, der falsche Weg. Wir brauchen eine Kapi- EU-Trennbankenverordnung ist gescheitert. Ein Umbau talausstattung der Banken, die sich am Risiko orientiert des Bankensektors steht aus unserer Sicht nach wie vor und nicht alle Risiken gleichbehandelt. dringend an. Es geht um höhere Eigenkapitalanforderun- gen. In der Anhörung – Sie waren ja dabei – wurde ja (Beifall bei der FDP) auch auf die Leverage Ratio von 10 Prozent hingewiesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns klar Das ist nach wie vor absolut dringend. machen – das soll mein Schlussgedanke sein –: Regu- lierungskosten treffen am Ende immer die Verbraucher, Punkt vier. Der Derivatehandel wurde nicht begrenzt. und hohe Regulierungskosten fördern übrigens auch die Die Derivate, jene Verbriefungen und was es dort alles Konzentration, fördern gerade, dass es größere Banken gegeben hat – aus anderen Finanzprodukten abgeleite- gibt. Wir sollten nicht durch zu viel Regulierung größere te und umgefriemelte Finanzprodukte –, werden jetzt Banken immer größer machen, sondern wir sollten gu- über zentrale Gegenparteien abgewickelt. Das ist inso- cken, dass auch kleine und mittelgroße Banken durch fai- fern schon besser, weil dann nicht gleich alles zusam- re Regulierung, durch für sie angemessene, proportionale menbricht. Aber mit den zentralen Gegenparteien sind Regulierung eine Chance haben, durch guten Service für zusätzliche systemrelevante Institutionen entstanden, die ihre Kunden am Markt zu bestehen. jetzt auch noch zusätzlich abgesichert werden müssen. Ein Finanz-TÜV, der erst mal prüft, ob man diese Pro- (Beifall bei der FDP) dukte überhaupt braucht, ob es sich hier nicht um gesell- 8326 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Jörg Cezanne (A) schaftlich nutzlose Finanzaktivitäten handelt, wie wir ihn hatte –, wird deutlich: Wir müssen endlich aus dem Kri- (C) vorschlagen, hätte dem entgegenwirken können. senmodus herauskommen, sonst wird es auch politisch und demokratisch schwierig. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Punkt fünf. Die Finanztransaktionsteuer ist nicht da, sowie des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach und sie wird auch nicht kommen. Die Schrumpfsteuer, [CDU/CSU]) die Herr Scholz jetzt verhandelt und die er einführen will, wird an den wesentlichen Grundsätzen nichts än- Es kann aber auch nur eine Mindestanforderung sein, dern. Eine Finanztransaktionsteuer, die Derivate nicht dass der Finanzsektor endlich aufhört, gigantische Pro- einschließt, ist keine Finanztransaktionsteuer. Allein das bleme, wie zum Beispiel explodierende Mietpreise, zu Volumen – Sie kennen die Zahlen doch selbst – ist hier produzieren. Ziel muss doch ein Finanzsektor sein, der ein völlig anderes: Die Finanztransaktionsteuer auf euro- Krisen vermeiden hilft, etwa die Klimakrise. Doch das päischer Ebene hätte 55 Milliarden Euro Einnahmen im geht nur mit einer Finanzwende, hin zu einer Branche, in Jahr erbracht. Wenn es gut läuft, wird diese Schrumpf- der es nicht nur darum geht, Geld mit Geld zu verdienen, steuer vielleicht 5 Milliarden Euro in den Euro-Haushalt sondern ökologische und soziale Wirkungen von Investi- spülen. tionen berücksichtigt werden. Letzter Gedanke. Blinde Flecken der Finanzmarktre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gulierung bestehen nach wie vor. Wir sind bei einer Be- sowie bei Abgeordneten der SPD und der grenzung der wachsenden Vermögensungleichheit über- LINKEN) haupt nicht weitergekommen. Wir haben nach wie vor Viele meinen ja, Finanzpolitik sei trocken; aber das Schwierigkeiten bei den sozialen Sicherungssystemen, ist falsch. Hinter all den Finanzgesetzen, die wir hier die in der Krise so wertvolle Stabilisatoren gewesen sind. diskutieren, stehen menschliche Schicksale. Schlechte Deshalb ist es dringend notwendig, dass die Finanzwen- Regeln am Finanzmarkt führen zu den Tausend kleinen de eingeleitet wird. Finanzkrisen, wenn Anlegerinnen und Anleger Opfer Ich danke Ihnen. von Lug und Betrug werden. Bei den Pensionskassen und Lebensversicherungen geht es nicht um ein bisschen (Beifall bei der LINKEN) Technik, sondern darum, ob sich die Menschen auf die Altersvorsorge verlassen können und ob es in der Krise Vizepräsidentin Claudia Roth: fair zugeht. Das ist leider nicht der Fall: Wenn einerseits Vielen Dank, Jörg Cezanne. – Jetzt kommt die Gewinne in Rekordhöhe ausgeschüttet werden, aber die letzte Rede im Deutschen Bundestag – zumindest in Kunden auf der anderen Seite immer weniger als erwar- (B) der 19. Wahlperiode, man kann ja nie wissen – von tet bekommen, stimmt etwas nicht. Es braucht angesichts (D) Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen. der Probleme in der Lebensversicherung durch die Nie- drigzinsphase endlich eine faire Lastenteilung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LINKEN) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe Sie in den letzten Jahren genervt mit Themen Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- wie den Zinsspekulationen der Kommunen, mit Cum/ legen! Seit 2007 treibt mich die Sorge um, dass aus der Ex, Cum/Cum und zuletzt Cum-Fake. Manchmal habe Weltfinanzkrise unserer Zeit eine ähnliche Menschheits- ich hören müssen: Herr Schick, haben Sie nicht einmal katastrophe entstehen könnte wie aus der Weltfinanzkrise leichtere Themen? – Aber bei diesen Themen geht es um ab 1929. Diese Sorge ist in den letzten zehn Jahren stän- die Frage, ob sich die Bürgerinnen und Bürger darauf dig gewachsen, besonders seit die Finanzkrise in Europa verlassen können, dass mit ihrem Steuergeld nicht speku- national aufgeladen wurde: Deutsche gegen Griechen, liert wird und dass es nicht an Betrüger abfließt. Deswe- Nordeuropäer gegen Südeuropäer. – Das führt zu nichts gen bin ich da so hartnäckig. Wenn wir diese Frage nicht Gutem. Uns allen in Europa wird es nur gut gehen, wenn eindeutig mit Ja beantworten können, verspielen wir das wir miteinander die gemeinsamen Probleme lösen, nicht, Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wir können diese wenn wir uns gegeneinander stellen. Frage leider – Stand heute – nicht mit Ja beantworten. Es gibt in Deutschland nicht flächendeckend ein klares Spe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kulationsverbot bei den Kommunen und Bundesländern. bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- Und wir müssen den Staat endlich mit den Finanzprofis geordneten der FDP) auf Augenhöhe bringen, damit an dieser Stelle kein wei- Diese Sorge ist auch deswegen in den letzten zehn teres Steuergeld verloren geht. Jahren ständig gewachsen, weil wir einfach den Krisen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN modus am Finanzmarkt noch nicht verlassen haben. Die sowie bei Abgeordneten der SPD und der EZB steigt jetzt langsam aus den härtesten Kriseninter- LINKEN) ventionsmaßnahmen aus. Aber wenn man sich den Zu- stand der deutschen Banken anschaut – Commerzbank, Warum konnte bisher vieles nicht umgesetzt werden? Deutsche Bank; wir sind dabei, die Rettung der Nord/LB Die Antwort ist: Die Macht der Finanzbranche ist unge- zu diskutieren, die mit dem Schiffsportfolio Probleme brochen. Auf der einen Seite stehen Hunderte gut bezahl- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8327

Dr. Gerhard Schick (A) te Lobbyisten, auf der anderen Seite einzelne unabhängi- Dafür bin ich ihm von Herzen dankbar. Vielen, vielen (C) ge Experten. Die Ergebnisse der Finanzmarktpolitik sind Dank und alles Gute, lieber Gerhard Schick. häufig schief, weil die politische Ebene durch die große (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Macht der Finanzlobby schief ist. bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Aber es ist – das muss man auch sagen – nicht die LINKEN) Schuld der Finanzindustrie, wenn ihre Vorschläge teil- Nächster Redner: Lothar Binding für die SPD-Frak- weise wortgleich in den Gesetzestext übernommen wur- tion. den. Das hätte dieses Haus verhindern müssen. Wir brau- chen endlich klare Regeln gegen Lobbyismus und ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verbindliches Lobbyregister. der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn ich zum Schluss noch ein paar persönliche Wor- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Titel des te anfügen darf: Ich war sicher manchmal anstrengend. Antrags lese – „Finanzwende anpacken – Den nächsten Aber das muss man als Oppositionspolitiker auch sein. Crash verhindern“ – finde ich, es ist ein totaler Zufall, Ich hoffe, ich habe es trotzdem fair und faktenbezogen dass der Titel genauso heißt wie der künftige Arbeitgeber gemacht. Das soll sich auch nicht ändern: Ich werde von Gerhard Schick. Das ist eine besonders interessante auch in Zukunft bei diesen Themen anstrengend sein. Im Kombination, und das fällt auch noch mit seiner letzten Dienste der Finanzwende werden wir ein starkes Gegen- Rede zusammen. So viel Zufall auf einen Schlag: Das ist gewicht zur Finanzlobby aufbauen, damit der Finanz- schon Wahnsinn. markt endlich wieder den Menschen dient. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Bei aller Kritik an Verfahren und Ergebnissen, die ich SPD und der CDU/CSU) gerade gesagt habe: Ich verlasse dieses Haus als begeis- terter Parlamentarier. Es ist eine große Ehre, an diesem Allerdings muss man sagen: Der Titel „Den nächsten Pult reden zu dürfen. Es ist eine enorme Verantwortung Crash verhindern“ ist tückisch; denn das suggeriert ein und Herausforderung, wirklich für die gute Zukunft aller bisschen, als ob das möglich wäre. Wir hatten eine An- Menschen in unserem Land zu arbeiten. hörung zu diesem Thema, und jeder von uns weiß: Es ist sehr gefährlich, zu glauben, man könnte Crashs in der Ich möchte Danke sagen für viel tatkräftige Unter- Zukunft verhindern. Das Schlimme ist ja: Sie kommen stützung kundiger Menschen aus der Finanzbranche, aus immer von einer anderen Ecke, und wenn ich glaube, (B) der Wissenschaft, aus der Aufsicht und den Ministerien, nach allen Seiten alles geregelt zu haben, dann kommt (D) aus meinem Team, aus euren und Ihren Teams. Ich dan- er von oben. ke Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit und für die Menschlichkeit jenseits unseres demokratischen Streits (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) ganz besonders. Es ist also richtig schwierig, das so dichtzumachen, wie Danke schön. wir es gerne möchten. Es ist nicht so leicht. (Langanhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/ Florian Toncar hat uns schon ein bisschen was erklärt. DIE GRÜNEN – Beifall bei der CDU/CSU, Er war ja lange bei Freshfields. Nun muss man sagen – da der SPD, der AfD, der FDP und der LINKEN – unterscheide ich mich von Gerhard –: Die Krise ist auch Die Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE von Fachleuten gemacht, und zwar eher von Fachleuten GRÜNEN erheben sich) als von Laien. Denn zu den Produkten, die da explodiert sind, muss man sagen: Auf so eine Idee wären Laien gar nicht gekommen. Die Krise ist von Fachleuten gemacht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, lieber Gerhard Schick. Ich (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ glaube, im Namen von vielen Kolleginnen und Kollegen CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ hier im Haus weit über die Fraktionsgrenzen hinaus darf DIE GRÜNEN – Michael Theurer [FDP]: ich Ihnen, darf ich dir einen erfolgreichen Neustart im Aber der Toncar war nach der Krise bei zivilgesellschaftlichen Engagement und im zivilgesell- ­Freshfields!) schaftlichen kämpferischen Leben wünschen. Ich bin mir – Nein, das ist vor der Krise. Die nächste kommt be- sehr sicher, dass Sie uns weiterhin treu verbunden blei- stimmt. Sie haben nur eine Krise im Kopf, aber ich bin ben mit konstruktiver, sachlicher, profunder Kritik und sozusagen auf der Zeitachse des Kontinuums. Alles völ- harten Anforderungen an unser Parlament. lig klar. Lassen Sie mich jetzt auch persönlich Danke sagen. (Michael Theurer [FDP]: Sie haben nur Krise Er ist ein Mensch, der es immer wieder geschafft hat, mir im Kopf!) unendlich komplexe und schwierig zu verstehende – Nein, nein, das ist klar, wenn man nur kurze Abschnitte (Heiterkeit) im Kopf hat. – da lachen Sie; ich finde es wirklich komplex und (Michael Theurer [FDP]: Aber Sie haben nur schwierig – Zusammenhänge verständlich zu machen. Krise im Kopf offensichtlich!) 8328 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Wir haben institutionell sehr viel geregelt. Wir haben Alexander Radwan (CDU/CSU): (C) Eigenkapitalanforderungen gestellt. Wir haben richtig Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir spre- viel gemacht. Wir haben Aufsichtsregime, Einlagensi- chen über das Thema „Zehn Jahre nach der Finanzmarkt- cherungssysteme und Rettungsschirme neu geschaffen. krise“. Ich finde, wir haben wirklich viel gemacht. Gucken Sie sich die Gesetze mal an! Das ist richtig viel. Ich weiß (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU], an nicht, was das in Zentimetern wäre. Es ist richtig viel. Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] ge- Die Widerstandsfähigkeit im Bankensektor ist sehr hoch wandt: So einen Zollstock will ich auch!) geworden. Der Hans Michelbach ist schon ganz neidisch auf den Der Schlüsselbegriff ist natürlich Eigenkapital. Und Zollstock. Er möchte, glaube ich, auch einen haben. doch: Wir hatten heute Morgen mit den Auslandsban- ken ein Gespräch. Da wurde zwar bestätigt, dass vieles (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU sicherer geworden ist. Man muss aber auch sagen: Die und der SPD) risikogewichtete Eigenkapitalunterlegung hat eine Tü- cke, nämlich dass wir nach der Krise interessanterweise Nach der heutigen Rede hat er es eigentlich verdient, lie- sieben oder acht Jahre Wachstumsphase haben, und in ber Kollege Binding. einer Wachstumsphase ist die Tendenz, die Risiken zu Wenn man sich die Anträge anschaut, sieht man, was unterschätzen, extrem hoch. Wenn man dann risikoad- alles hineininterpretiert wird. Der Kollege von den Lin- justiertes Eigenkapital hat, dann ist das eben zu nied- ken hat es auch gesagt: Man will eigentlich einen Sys- rig. Deshalb müssen wir zu ungewichteter Unterlegung temwechsel. – Man macht ein ganzes Potpourri von The- kommen, und deshalb ist die Leverage Ratio etwas ganz men auf, vom Mindestlohn über einen Finanz-TÜV, und Wichtiges. Über die Zahl – ob 10 oder 5 Prozent – kann man will zukünftig gesellschaftliche Ziele abklopfen. man streiten, aber dass wir sie in einer neuen Dimension Letztendlich geht es bei den Anträgen gar nicht so sehr brauchen, ist völlig klar. Auch dass wir über Einlagensi- um die Lehren aus der Finanzmarktkrise, sondern eigent- cherung erst reden, wenn die notleidenden Kredite – das lich darum: Wie kann ich ein anderes Gesellschaftsmo- hat Antje Tillmann vorgetragen – in ganz Europa und in dell entwickeln? Das ist ja ein legitimer Ansatz, aber man den einzelnen Ländern auf einem entsprechenden Niveau muss es dann auch entsprechend benennen dürfen. sind, ist völlig klar, und auch, dass wir die extrem starke Konzentration in den Banken auf heimische Staatsanlei- Wir hatten nach der Finanzkrise die Situation, dass hen absenken müssen. All das ist völlig klar. sehr viel auf nationaler Ebene gemacht wurde, sowohl im Bereich der Regulierung als auch der Aufsicht. Darum Jetzt sehe ich gerade: Ich habe nur noch 42 Sekunden wurde ein großartiger Systemwechsel vollzogen, durch (B) Redezeit. Dann lege ich mein Manuskript zur Seite, um (D) den wir eine europäische Gesetzgebung und eine europä- noch etwas anderes zu sagen. ische Aufsicht haben. Gerhard Schick, wir danken dir für viele wirklich gute Erklärungen. Meine ganz persönliche Feststellung Weil ich nachher meine Rede dazu zu Protokoll geben ist – das muss ich mit ein bisschen Verwunderung und werde, möchte ich einen Schluss daraus hier anführen: Bewunderung sagen –: Du hast es immer ohne Zollstock Die europäische Aufsicht ist ein Garant dafür, dass zu- geschafft. künftig die Märkte transparent werden, dass die Märkte verstanden werden. Der Antrag der AfD zu dem später (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- zu behandelnden Tagesordnungspunkt dazu, in dem ge- NIS 90/DIE GRÜNEN) sagt wird: „Wir wollen keine europäische Aufsicht“, be- Aber, Gerhard, man weiß nie, was die Zukunft bringt. zweckt genau das Gegenteil. Es erhöht die Risiken; es Könntest du mit Erlaubnis der Präsidentin kurz zum macht die Kapitalmärkte unsicherer. Rednerpult kommen? – Denn du weißt nie, was in der (Beifall des Abg. Metin Hakverdi [SPD]) Zukunft kommt, und einen solchen Zollstock „Für Gute Arbeit“ von der SPD kann man immer gut gebrauchen. Es wird letztendlich zulasten des Steuerzahlers gehen. (Abg. Lothar Binding [SPD] überreicht Abg. Letztendlich landet man damit im Nirwana. Das zeigt Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihre Kompetenz in dem Bereich. NEN] einen Zollstock) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schönen Dank. ordneten der SPD und des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP]) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- Wir haben hier in Europa und national konsequent an NIS 90/DIE GRÜNEN) diesem Thema gearbeitet. Die Bundesregierung, insbe- sondere Wolfgang Schäuble, und die CDU/CSU sind es Vizepräsidentin Claudia Roth: gewesen, die hier für Stabilität gesorgt haben. Die Eigen- kapitalausstattung wurde angesprochen. Die europäische Vielen herzlichen Dank, Lothar Binding. – Letzter Bankenaufsicht, der europäische Abwicklungsmechanis- Redner in der Debatte: Alexander Radwan für die CDU/ mus, der ESM – alles ist in Angriff genommen worden. CSU-Fraktion. Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist: Europäische (Beifall bei der CDU/CSU) Vorgaben, die verabredet werden, europäische Regeln Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8329

Alexander Radwan (A) müssen letztendlich eingehalten werden. Da gilt es, noch keit zu geben, schnell zu reagieren, statt vorher alles in (C) sehr stark nachzusteuern. Gesetzesform zu gießen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Metin Hakverdi [SPD] und Markus Herbrand der SPD) [FDP]) Lassen Sie mich abschließend sagen: Herr Schick – ich Meine Damen und Herren, Stichwort „Europa“. Herr gehe davon aus: wir werden uns, darauf freue ich mich Dr. Schick, auch wenn wir inhaltlich sehr viel Trennendes schon, öfters sehen –, Sie haben ja das Thema „Green haben – inhaltlich, nicht menschlich –, haben wir eines Bonds“, nachhaltige Entwicklung, angesprochen. gemeinsam – das haben, glaube ich, die meisten Frakti- onen hier –: die Sorge um Europa. Ihre Eingangsanalyse Lassen Sie mich erst mal sagen: Man kann zum The- zur möglichen Entwicklung Europas teile ich. Ich teile ma Lobbyismus stehen, wie man will; man kann es kri- nicht unbedingt den Weg. tisch oder weniger kritisch sehen. Wir hatten diese Wo- che ein Frühstück, wo zum Beispiel auch der WWF war. Wir müssen schon darüber nachdenken, dass es mo- Ich glaube nicht, dass das eine Lobbyorganisation ist, die mentan die Währungsunion und die Wirtschaft sind, die besonders schwach ist. Von daher sollten wir festhalten: die europäischen Staaten gegeneinander aufbringen. Wir In dem Bereich gibt es einigermaßen Waffengleichheit. dürfen das Maß der Solidarität der Staaten, der Bevöl- Die einen mögen halt die Ziele des einen lieber als die kerung auf der einen Seite letztendlich nicht der Eigen- des anderen. verantwortung der Staaten auf der anderen Seite opfern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Staaten, die stark Meine Damen und Herren, beim ganzen Thema „nach- sind, solidarisch bleiben, aber die anderen Staaten ihre haltige Finanzierung“ brauchen wir eine Orientierung an Hausaufgaben machen. Wenn wir das trennen, werden der Stabilität der Finanzmärkte. Was nicht geht, ist, dass die Völker Europas nicht beisammenbleiben, sondern man über nachhaltige Finanzierung im grünen Bereich sie werden noch mehr auseinandergehen. In der Analyse oder im sozialen Bereich Gesellschaftspolitik innerhalb sind wir gleich; ich glaube, wenn wir gemeinsam weiter- der Kapitalmarktregulierung abbildet. Das schwächt die hin kräftig darüber diskutieren, werden wir auch einen Kapitalmarktregulierung und bringt eine solche Bürokra- gemeinsamen Weg finden. tie, dass die Finanzmärkte und die Finanzindustrie am Schluss sagen werden: MiFID war das letzte Deregulie- Neben dem Immer-nach-hinten-Schauen – was war rungspaket der Kommission. vor zehn Jahren, und was ist gekommen? – müssen wir auch nach vorne schauen. Kurzfristig wird die große He- Besten Dank. Und, Herr Schick: Alles Gute! Auf ein (B) rausforderung für die Finanzmärkte und die Wirtschaft baldiges Wiedersehen! (D) sein: „Was bedeutet es, wenn der Brexit kommt?“, ohne (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt genau einschätzen zu können, was es bedeutet.

Die Small Banking Box. Ziel der Regulierung ist es, Vizepräsidentin Claudia Roth: dass die großen Banken risikoadäquat reguliert werden und auch die kleinen Banken risikoadäquat reguliert Vielen Dank, Alexander Radwan. – Ich schließe diese werden. Die Krisen sind nicht von den Kleinen, von den sehr nachdenkliche, spannende Aussprache. Raiffeisenbanken, von den Sparkassen, ausgegangen, Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- sondern von den Großen. Dazu brauchen wir auf euro- fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 19/6469. päischer Ebene entsprechende Vorgaben zur Proportio- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- nalität, die auch den Strukturen in den Mitgliedstaaten schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- gerecht werden. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4052 (Beifall bei der CDU/CSU) mit dem Titel „Finanzwende anpacken – Den nächsten Crash verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Wir brauchen eine intensive Auseinandersetzung mit fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – der Digitalisierung – auf europäischer Ebene, auf nati- Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. onaler Ebene. Stichwort „Aufseher“: Was bedeutet es, Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, wenn zukünftig Algorithmen dazu führen, dass die au- FDP und AfD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen tomatischen Maßnahmen kumuliert werden? Führt das und die Fraktion Die Linke. Damit ist die Beschlussemp- nicht zur Verschärfung der Risiken? Hier ist eine Aus- fehlung angenommen. einandersetzung mit dem Thema auf parlamentarischer Seite notwendig. Zusatzpunkt 11. Unter Buchstabe a seiner Beschluss- empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Der Kollege Binding hat gerade treffend gesagt: Man Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/4241 schaut nach links, man schaut nach rechts; das Problem mit dem Titel „Zehn Jahre nach der Pleite der Investm- kommt von oben. – Ist es richtig, dass wir weiterhin den entbank Lehman Brothers – Finanzkrisen durch strikte Weg gehen, jedes Problem und jedes Risiko ins Gesetz Regulierung und Umverteilung verhindern“. Wer stimmt zu schreiben? Oder wäre es nicht sinnvoller, auch mal für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- darüber nachzudenken, nach Prinzipien, nach Grundsät- gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung zen zu arbeiten, um dann, wenn es notwendig ist, dem ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von Aufseher unter parlamentarischer Kontrolle die Möglich- SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegen hat die Frak- 8330 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) tion Die Linke gestimmt. Enthalten haben sich Bünd- zur Verfügung stand. Diese Frage gehen wir mit diesem (C) nis 90/Die Grünen. Gesetz in der bis zum 31. Dezember gesetzten Frist an. Zukünftig wird bei Vorliegen einer sogenannten Varian- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: te der Geschlechtsentwicklung der Eintrag „divers“ ge- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- wählt werden können. regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Auch dieser Begriff erfüllt nicht alle Erwartungen. zes zur Änderung der in das Geburtenregister Die weitestgehende Forderung war, 20 Zeichen zur ei- einzutragenden Angaben genen Bezeichnung der sogenannten geschlechtlichen Drucksachen 19/4669, 19/5422, 19/5647 Nr. 19 Identität freizugeben. Aber das staatliche Interesse, Per- sonenstandsregister mit Beweiswert zu führen, lässt eben Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- keine subjektive Komponente oder Selbsteinschätzung ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu – und das nicht um Betroffene zu ärgern oder zu dis- Drucksache 19/6467 kriminieren, sondern auch und insbesondere um Betrof- fene zu schützen. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Inneres und Heimat (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten ordneten der SPD) Doris Achelwilm, Dr. Achim Kessler, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Das Personenstandsgesetz ist kein Schutzgesetz. Der DIE LINKE Eintrag ist nicht mal – wir haben es in der Anhörung ge- hört – konstitutiv, sondern rein deklaratorisch. Es ist for- Selbstbestimmung, Gleichbehandlung, kör- melles Registerrecht und bedeutend in jeder Frage, bei perliche Unversehrtheit – Die Grund- und der es auf ein Geschlecht ankommt: bei der Frauenförde- Menschenrechte zur geschlechtlichen Vielfalt rung, bei Gesetzen zur allgemeinen Gleichbehandlung, gewährleisten bei familienrechtlichen Fragen und, und, und. Drucksachen 19/4828, 19/6467 Ließe man subjektive Empfindungen, wie es in den Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Beratungen gefordert wurde, über das rechtliche Ge- Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Än- schlecht entscheiden, hätten wir damit handstreichartig derungsanträge und ein Entschließungsantrag der Frakti- das zweifellos reformbedürftige TSG obsolet gemacht. on Bündnis 90/Die Grünen vor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie wieder Platz neh- (B) Aber die Befürworter dieser Idee vergessen meines Er- (D) men und die Gespräche nach draußen verlagern. – Auch achtens zwei Dinge: in der Mitte darf ich um Aufmerksamkeit bitten. Zum Ersten wäre das materiell-rechtliche Schutzge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für setz TSG damit nicht aus der Welt, sondern Standesbe- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- amte müssten sich zwischen zwei gleichen gesetzlichen nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Regelungsrahmen entscheiden – unzulässig und wohl Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Marc auch praktisch unmöglich. Henrichmann, CDU/CSU-Fraktion. Zweitens. Die Rechtsfolgen einer solch übereilten (Beifall bei der CDU/CSU) TSG-Reform wären für die Betroffenen meines Erach- tens fatal. In den formellen Personenstandsgesetzen gibt es nämlich kein Offenbarungsverbot. Dürften Behörden (CDU/CSU): Marc Henrichmann dann in Zukunft über Geschlechts- oder Namensände- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rungen Auskunft geben? Liebe Besucher! Die „Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung“ – daraus ergibt sich laut § 1 Perso- Drittens. Griffe eine Änderung des Geschlechts recht- nenstandsgesetz das staatliche Interesse, überhaupt ein lich ex nunc, also ab jetzt, oder ex tunc, also rückwir- Personenstandsregister zu führen: Wann ist jemand gebo- kend? Auch das ist nicht geklärt. Das PStG sagt dazu ren, verstorben? Wann hat jemand geheiratet, den Namen nichts. gewechselt? Und viertens. In Anbetracht des zu erwartenden Be- Dem Personenstandsregister kommt als einzigem schlusses der WHA: Was ist eigentlich mit der Kosten- Register Beweiswert im Rechtsverkehr zu. Aus der Not- übernahme bei geschlechtsverändernden Operationen wendigkeit eines validen Personenstandsregisters ergibt und Folgebehandlungen? Auch das ist nicht geklärt. Das sich die verfassungsrechtliche Berechtigung, mit der Er- PStG kann das ebenfalls nicht beantworten. hebung gewissermaßen in die Freiheitsrechte jedes Ein- All diese Fragen verbieten einen Schnellschuss und zelnen einzugreifen. eben auch eine Öffnung in Richtung subjektiver Identi- Das Bundesverfassungsgericht hat bei einer Frage al- tät. Es braucht einen Personenstandseintrag mit Beweis- lerdings Handlungsbedarf gesehen, nämlich bei der Fra- kraft. Für die Änderung braucht es unseres Erachtens ge des Geschlechtseintrages intersexueller Menschen, objektive Kriterien, und das ist nach dem vorgesehenen denen bislang neben den Einträgen „männlich“ und § 45b Absatz 3 PStG die ärztliche Bescheinigung. Diese „weiblich“ jedenfalls keine positive dritte Möglichkeit muss nicht neu sein. Sie muss keine Diagnose enthalten, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8331

Marc Henrichmann (A) und sie dürfte in den allermeisten Fällen – das hat die großer Fachkunde und Geduld bei Fragen mit Antworten (C) Anhörung ergeben – bereits vorliegen. jederzeit zur Verfügung standen. Auch Ausnahmefälle haben wir geregelt, nämlich für Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. zwei spezifische Konstellationen. Erstens. Eine Variante (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Geschlechtsentwicklung ist wegen medizinischer Be- ordneten der SPD) handlung nicht mehr nachweisbar, oder – zweitens – es liegt keine ärztliche Bescheinigung vor, aber ein erneuter Arztbesuch wäre so belastend, dass er wegen der Gefahr Vizepräsidentin Claudia Roth: der Retraumatisierung unzumutbar wäre. Vielen Dank, Herr Kollege Henrichmann. – Ich will zur Erklärung sagen: Es gab gerade den Wunsch nach einer Kurzintervention. Wir hatten im Präsidium – ich Vizepräsidentin Claudia Roth: glaube, Frau Pau hat heute schon darauf hingewiesen – Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder gesagt, dass wir angesichts der fortgeschrittenen Zeit und -bemerkung von Sven Lehmann? der langen Tagesordnung, die wir noch vor uns haben, heute keine Kurzinterventionen mehr zulassen. Ich hoffe, Marc Henrichmann (CDU/CSU): Sie verstehen das. Vielen Dank. – Das Thema ist so komplex und die Zeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- knapp. Ich würde gerne im Zusammenhang reden. ordneten der SPD) Nächste Rednerin: Beatrix von Storch. Vizepräsidentin Claudia Roth: Also nein. (Beifall bei der AfD)

Marc Henrichmann (CDU/CSU): Beatrix von Storch (AfD): In diesen beiden Fällen kann eine eidesstattliche Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, der Versicherung abgegeben werden: wenn eine Variante Gesetzgeber sollte bis zum 31. Dezember dieses Jahres der Geschlechtsentwicklung vorliegt und deshalb eine eine Regelung für die Eintragung Intersexueller in das Behandlung erfolgt ist oder aufgrund traumatisierender Personenstandsregister schaffen; so das Urteil des Bun- Vorbehandlung eine neuerliche Untersuchung nicht zu- desverfassungsgerichts. zumuten ist. Verglichen mit der handwerklichen Qualität vorheri- ger Urteile ist dieser Beschluss erschreckend dürftig. Er (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Niederlanden (D) hat kürzlich ein Mann gegen sein rechtliches Alter von zeugt von der zunehmenden Politisierung des Gerichts. 69 Jahren geklagt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit des Abg. Jürgen Braun [AfD]) NEN]: Jetzt sind Sie auf dünnem Eis!) Er fühlte sich benachteiligt und diskriminiert. Sein Arzt Wenn nämlich ein Richter eher ein Aktivist als ein Jurist hatte ihm ein biologisches Alter von 45 Jahren attestiert. ist, dann wird es problematisch. (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] (Beifall bei der AfD) [FDP]: Was ist denn das für ein Vergleich?) Das Urteil trägt erkennbar die Handschrift von Rich- Vor wenigen Tagen gab es das Urteil dazu, das besagt: terin Susanne Baer und ihrer genderpolitischen Agenda. Sein Geburtsdatum zu ändern, würde bedeuten, 20 Jah- (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- re in den standesamtlichen Registern auszulöschen. Das NEN]: Das hat der Senat beschlossen!) hätte unerwünschte rechtliche und gesellschaftliche Fol- gen. Susanne Baer ist bekannte und bekennende Aktivistin auf den Gebieten Gender, Feminismus und LSBTTIQ. Ganz Meine Damen und Herren, wo es Benachteiligung klar, man kann in einem freien Land LSBTTIQ-Aktivist und Diskriminierung gibt, gehören sie schnellstmöglich sein, aber – damit wir uns an dieser Stelle nicht missver- abgeschafft, aber ein formelles Personenstandsrecht ist stehen – es fragt sich, ob ein solcher LSBTTIQ-Aktivist mangels materieller Außenwirkung nicht geeignet, jede ein Amt ausüben kann, zu dessen Wesen die Neutralität subjektiv empfundene Benachteiligung zu beseitigen. gehört. An Neutralität und Objektivität fehlt es diesem Ein Staat, der das suggerieren würde, würde sich meines Urteil vollständig. Erachtens verheben. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ihnen auch!) Wir als Union nehmen das Urteil des Bundesverfas- Das Gericht erfindet einfach eine neue Definition von sungsgerichts, auch die Sorgen und Nöte der betroffenen Intersexualität. Menschen und die staatlichen Interessen an einem va- liden Personenstand sehr ernst. Die Abwägung der drei (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Pole lässt mich zu dem Schluss kommen, für den Gesetz- NEN]: Wie wäre es mit Trennung der Gewal- entwurf entschieden zu werben. ten?) Abschließend möchte ich Danke sagen an die Mitar- Ich zitiere: Intersexuell sind Personen, „deren Ge- beiterinnen und Mitarbeiter des BMI, die wirklich mit schlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder 8332 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Beatrix von Storch (A) männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist Aber wer drei Tage arbeitsunfähig erkrankt ist, muss na- (C) und die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen türlich ein Attest vorlegen. Selbstverständlich muss er noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“. Ich wieder- das. Oder wollen Sie das auch noch abschaffen? hole: die sich selbst weder dem einen noch dem anderen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geschlecht zuordnen. NEN]: Sie müssen hier auch ein Attest vorle- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen!) NEN]: Und der Storch bringt die Kinder!) Für sehr viele andere Zwecke werden in Deutschland von Mit einem Satz aus der Feder einer Verfassungsrichterin Behörden und Gerichten amtsärztliche Gutachten ver- wird die Bestimmung des Geschlechts von seiner natur- langt. Fragen Sie mal einen Arbeitnehmer, ob er auf ei- wissenschaftlichen Grundlage gelöst. ner Gefühlsgrundlage in die Frühverrentung gehen kann oder ob er ein amtsärztliches Gutachten vorlegen muss. (Beifall bei der AfD) Das ist der Fall. Ein objektiv bestimmbarer Sachverhalt wird zu einer Sa- (Beifall bei der AfD) che der persönlichen Befindlichkeit. Das ist der Sieg des Irrationalismus über die Vernunft. Recht braucht Objektivität. Unsere Gesetze müssen auf gesicherten Tatsachen basieren. Wir fordern nicht nur (Beifall bei der AfD) einen kleinen blauen Zettel, sondern ein ausführliches Ganz vorn dabei ist natürlich die Familienministerin amtsärztliches Gutachten als Voraussetzung für den An- Giffey . Sie will das Transsexuellengesetz ersetzen; das trag. Wir wollen Objektivität im Verfahren. Geschlecht wird die Union demnächst auch noch mitmachen. Frau ist objektiv. Das hat mit Biologie und Natur zu tun und Giffey ist jetzt schon der Ansicht, dass Sachgutachten nicht mit Gefühlen. über die geschlechtliche Identität von Menschen, wie (Beifall bei der AfD) bisher vorgesehen, einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Wir wollen auch nicht, dass der positive Eintrag „di- (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie sind aber vers“ heißt, sondern „inter“; denn es gibt nur zwei natur- zeitgemäß!) wissenschaftliche Geschlechter. Das ist das Ziel linker Genderideologen. Sie wollen das (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Falsch! – Geschlecht dekonstruieren, genauso wie sie Familien de- Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: konstruieren oder – man kann auch sagen: – zersetzen Das ist falsch!) wollen. Medizin und Wissenschaft sind Ihnen im Weg. Und wenn man diesen nicht zugordnet werden kann, (B) Deshalb treiben Sie die Zerstörung der objektiven Wis- (D) senschaft voran. Sie wollen totale Subjektivierung. dann ist man zwischen den Geschlechtern und nicht ir- gendwie was anderes und etwas Diverses. Deswegen sa- (Beifall bei der AfD) gen wir zu Ihrem Gendergesetz vielen Dank, aber Nein. Die Geschlechtszugehörigkeit ist seit Bestehen der (Beifall bei der AfD) Menschheit ein objektives Faktum – so wie Alter und Körpergröße auch. Nun soll das Geschlecht zu einer Fra- Vizepräsidentin Claudia Roth: ge des subjektiven Empfindens, der Wahl und letztlich Nächster Rednerin: Elisabeth Kaiser für die SPD-Frak- der Beliebigkeit werden, umdefiniert werden – nach dem tion. Bundesverfassungsgericht. (Beifall bei der SPD) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das stimmt nicht, Frau von Storch! Sie haben Unrecht, Frau von Storch!) Elisabeth Kaiser (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Wie um das zu belegen, fordert die vereinigte Lin- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ke in diesem Haus natürlich vehement, auch noch den 70 Jahren wurde in Paris die Allgemeine Erklärung der letzten Ansatz kleinster objektiver Anhaltspunkte aus Menschenrechte durch die Generalversammlung der Ver- diesem Gesetz zu streichen, nämlich die Attestpflicht für einten Nationen verkündet. Erstmals definierte die Welt- die Änderung des Registereintrages. Tatsächlich knickt gemeinschaft in 30 Artikeln individuelle, wirtschaftliche, die CDU/CSU wieder ein; denn nach dem letzten Än- soziale und kulturelle Rechte. Diese Erklärung wirkte derungsantrag der Koalition wird kein aktuelles Attest sich auch vorbildlich auf unsere Grundgesetzartikel aus mehr verlangt. Wenn die Betroffenen kein Attest vorle- und lebt in der deutschen Rechtsprechung weiter, und das gen wollen, weil das unzumutbar sei, ist gut so. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Das ist so!) So urteilte das Bundesverfassungsgericht am 10. Ok- dann reicht eine eidesstaatliche Versicherung. tober 2017, dass unser bestehendes Personenstandsrecht Die Beibringung eines Attestes sei unzumutbar. verfassungswidrig ist; denn es fehlt die Möglichkeit der Eintragung einer weiteren Option ins Geburtenregister (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für Menschen, die weder männlichen noch weiblichen NEN]: Das ist unzumutbar!) Geschlechts sind und sich selbst dauerhaft einem weite- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8333

Elisabeth Kaiser (A) ren Geschlecht zuordnen. Den Menschen, die sich in ih- Besonders hilfreich und konstruktiv waren bei den (C) rer geschlechtlichen Identität nicht in ein binäres System Beratungen die Stellungnahmen der Sachverständigen pressen lassen, tragen wir nun mit der Neuregelung des und Interessenverbände. 42 143 Unterschriften hat die Personenstandsrechts Rechnung. Bundesvereinigung Trans* für die Kampagne „Gleiches Recht für jedes Geschlecht!“ gesammelt. 42 143 Unter- Dieses Urteil hätte es aber ohne Lucie Veith und die schriften wiegen schwer. Durch Aktionen wie diese, aber Menschen, die ihr beistehen, nicht gegeben. auch und vor allem durch unseren fachlichen Austausch haben sie es uns ermöglicht, über den Tellerrand einer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geschlechtlich binär strukturierten Gesellschaft zu bli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) cken und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die- Sie hat sich unermüdlich und trotz aller politischen, ju- ses wichtige Thema zu lenken. ristischen und gesellschaftlichen Widerstände durch die Die Sachverständigenanhörung am 26. November Instanzen gekämpft. Ihr Kampf wurde zur Aufgabe ei- 2018 – das hat auch der Parlamentarische Staatssekre- ner ganzen Community, die den nötigen Druck erzeugen tär Professor Dr. Günter Krings gestern abschließend bei konnte, um das Thema „sexuelle Selbstbestimmung“ auf den Beratungen im Innenausschuss gesagt – war gekenn- die bundespolitische Agenda zu heben und damit in die zeichnet durch die Offenheit und Unvoreingenommen- öffentliche Debatte zu tragen. „Respekt!“, kann ich da heit aller Beteiligten. Dadurch war es uns möglich, im nur sagen. Austausch mit der Union doch noch zu wesentlichen Än- derungen am Gesetzentwurf zu gelangen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Neuerungen noch mal kurz vorstellen: Wir als Gesetzgeber waren nun in der Pflicht, zu han- Mit den Änderungen im Personenstandsrecht ermög- licht der Gesetzgeber nun, dass Menschen die Möglich- deln. Bis zum 31. Dezember 2018 war es an uns, die keit haben, neben „männlich“, „weiblich“ oder „offen- Verfassungskonformität wiederherzustellen. Nach einem lassen“ die dritte Option „divers“ zu wählen. Wichtig Jahr legen wir Ihnen mit dem Gesetzentwurf das Ergeb- war uns, dass intergeschlechtliche Menschen nicht ge- nis einer intensiven und, ja, auch kontrovers geführten zwungen sind, die dritte Option zu wählen oder eine Ein- politischen Debatte zur Abstimmung vor. Auch wenn ich tragung offenzulassen; denn das hätte die Gefahr eines mir gewünscht hätte, dass der Gesetzentwurf des Innen- Zwangsoutings bedeutet. Ich bin froh, dass wir uns da ministeriums umfassender ausgefallen wäre, bin ich doch mit der Union auf eine Kann-Regelung einigen konnten. der Auffassung, dass die Politik mit dem vorliegenden Eltern sind dadurch nicht auf die Angabe „divers“ be- (B) Gesetz der gesellschaftlichen Debatte um einiges voraus schränkt, sondern können auch „weiblich“ oder „männ- (D) ist. Dennoch kann die Verabschiedung des Gesetzes heu- lich“ als Geschlecht eintragen lassen. Sie können also te auch nur ein Anfang sein. Unsere Politik orientiert sich frei entscheiden, welche Option sie für ihr Kind wählen. nach wie vor an dem Ziel, die Gesetzgebung zukünftig vor allem an der Selbstbestimmung und Selbstwahrneh- Eine weitere wesentliche Neuerung des Gesetzes be- mung der Menschen auszugestalten. steht darin, dass intergeschlechtliche Menschen zukünf- tig nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Möglich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) keit haben, die Zuordnung im Geburtenregister und auch den Vornamen selbst zu bestimmen. Vor allem für Men- Die politische und gesellschaftliche Diskussion, ob schen, die schon im frühen Alter einem Geschlecht zuge- es überhaupt ein Personenstandsrecht in dieser Form ordnet worden sind und über Jahre praktisch im falschen braucht, darf heute nicht enden, sondern muss weiter ge- Geschlecht leben mussten, ist das von Bedeutung. Die führt werden; denn nur so können wir dem Diskriminie- Änderung soll zukünftig niedrigschwellig mit Vorlage rungsverbot des Artikels 3 Grundgesetz vollends entspre- einer ärztlichen Bescheinigung möglich sein. chen und den betroffenen Menschen Respekt für einen Die SPD konnte schließlich durchsetzen, dass es nicht langen, schwierigen Weg durch eine binärgeschlechtlich in allen Fällen eines solchen ärztlichen Attestes bedarf, geprägte Gesellschaft, durch Arztpraxen und psychologi- sondern eine eidesstattliche Versicherung der betreffen- sche Gutachten erweisen. den Person ausreicht. Diese Regelung gilt in Fällen, in Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte der Bun- denen aufgrund einer früheren medizinischen Behand- desregierung an dieser Stelle heute aber auch dafür dan- lung die Vorlage eines ärztlichen Attestes faktisch nicht ken, dass sie so schnell nach dem Bundesverfassungs- möglich ist oder eine erneute Untersuchung eine unzu- mutbare Härte darstellen würde. Uns als SPD war das gerichtsurteil einen Gesetzentwurf zur dritten Option in den Verhandlungen besonders wichtig; denn die ur- vorgelegt hat. sprünglich vorgesehene starre Attestpflicht hätte für die (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Betroffenen zu erheblichen persönlichen Belastungen Schnell?) geführt, Mein Dank gilt auch den Kolleginnen und Kollegen mei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ner Fraktion, der Koalitionsfraktion sowie den Kollegin- Belastungen, die völlig unverhältnismäßig erscheinen. nen und Kollegen der FDP, der Linken und der Grünen für die gute Zusammenarbeit. (Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) frage) 8334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Elisabeth Kaiser (A) Auch hier waren die Stellungnahmen wie zum Beispiel Geltung verschafft werden; denn: Alle Menschen sind (C) des Deutschen Instituts für Menschenrechte einschlägig, frei und gleich an Würde und Rechten geboren. und auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil ist hier ganz klar. Danach soll jeder Mensch sich nach seiner Vielen Dank. nachhaltig selbstempfundenen Geschlechtlichkeit einem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Personenstand zuordnen können. der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Vielen Dank, Elisabeth Kaiser. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Dr. Jens Brandenburg. Elisabeth Kaiser (SPD): (Beifall bei der FDP) Nein, ich möchte gern fortfahren. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Gut. be Gäste! Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Anna. Sie kamen als intergeschlechtliches Kind zur Welt, waren Elisabeth Kaiser (SPD): also weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich. Die Ärzte haben Ihren Eltern damals dringend zu einer Die individuelle Zuordnung hängt also nicht von der geschlechtsangleichenden Operation geraten, hin zum körperlichen Konstitution einer Person ab. Vor diesem weiblichen Geschlecht, weil das medizinisch damals ein- Hintergrund hätten wir eine einfache persönliche Erklä- facher durchzuführen war. Ihre Eltern waren mit der Si- rung als ausreichend empfunden. Dennoch stellt das Er- tuation völlig überfordert; sie hatten ja auch keine wirk- gebnis im Gesetzentwurf nach unserer Auffassung eine liche Beratung damals. Sie haben damals einen Teil ihres Verbesserung für die Betroffenen dar. Körpers unwiederbringlich verloren. Als Kind haben (Beifall bei der SPD) Sie viele Medikamente genommen. Sie waren häufig im Krankenhaus, ohne wirklich zu wissen, warum. Als be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte es bereits sonders belastende, schmerzhafte Erfahrung bleibt Ihnen angedeutet: Die Änderung des Personenstandsrecht ist der Vaginaldehner in Erinnerung. Diesen haben die Ärz- nur ein erster Schritt im Rahmen eines umfassenden Re- te den Eltern damals mitgegeben, damit Ihr weibliches formprojektes. Deshalb möchte ich für die SPD-Bundes- Genital die äußere Erscheinungsform, die gewünscht ist, (B) tagsfraktion abschließend festhalten, dass unverzüglich erhält. Diesen Fremdkörper, den Sie täglich im eigenen (D) eine Reform des Transsexuellengesetzes nötig ist, um Körper gespürt haben, haben Sie als Kind damals zutiefst wirklich gegen die Diskriminierung von intergeschlecht- verachtet. lichen und transsexuellen Menschen vorzugehen. Diver- se Bundesverfassungsgerichtsurteile haben ja auch schon Schon früh wurden Sie in der Schule häufig gefragt: deutlich gemacht, wie reformbedürftig das TSG ist; denn Sag mal, bist du ein Junge oder bist du ein Mädchen? – einzelne Passagen sind ja bereits verfassungswidrig. Im Inneren wussten Sie, Sie sind irgendwie beides und Deshalb besteht dringend Handlungsbedarf. gleichzeitig weder das eine noch das andere wirklich. Die Pubertät kam, der Körper hat sich stark verändert, auch Keine Zeit verlieren dürfen wir zudem bei der Frage anders als teilweise erwartet. Sie sind nie zu Dates ge- von geschlechtsangleichenden Operationen an Minder- gangen, aus Angst, abgelehnt und bloßgestellt zu werden. jährigen. Erst später lernten Sie den Begriff der Intergeschlecht- (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) lichkeit kennen, haben Gleichgesinnte kennengelernt Es muss schleunigst ein gesetzliches Verbot jeglicher und so im Austausch auch Ihr eigenes Selbstbewusst- geschlechtsangleichender Behandlungen von Minderjäh- sein gestärkt. Und doch zucken Sie immer noch zusam- rigen auf den Weg gebracht werden, sofern diese nicht men, wenn Sie mit Frau Müller angesprochen werden. lebenserhaltende Maßnahmen darstellen. Sie ignorieren die fragenden Blicke auf der Damentoi- lette. Erst kürzlich hat ein Kind Sie gefragt: Bist du ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mann? – Die Mutter hat das eigene Kind etwas beschämt der LINKEN und der Abg. Bettina Margarethe zurückgezogen. Sie wissen nicht wirklich, ob Sie das Wiesmann [CDU/CSU] und Dr. Jens Bran- gut oder schlecht finden sollen; denn Kinder verstehen denburg [Rhein-Neckar] [FDP]) solche Dinge normalerweise recht gut. Nicht der interge- schlechtliche Mensch ist krank, sondern die Situation, in Denn es darf nicht länger sein, dass Menschen ihr Leben der er sich befindet. lang unter körperlichen und seelischen Schmerzen leiden müssen, weil in ihrer frühen Kindheit aufgrund von so- (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN zialem Druck voreilige Entscheidungen gefällt wurden. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, schließen möch- te ich noch einmal mit einem Blick auf die Allgemeine Warum trauen Sie, liebe Große Koalition, Menschen Erklärung der Menschenrechte. Auch bei der Frage der wie Anna nicht zu, selbst über ihr eigenes Geschlecht sexuellen Selbstbestimmung muss ihnen noch stärkere zu entscheiden? Ein Leben lang waren sie in ihrer Ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8335

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (A) schlechtlichkeit fremdbestimmt und stigmatisiert. Nun Doris Achelwilm (DIE LINKE): (C) garantiert das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! diesen Menschen endlich eine staatliche Anerkennung Hinter dem Gesetzentwurf zur dritten Option und den ihrer eigenen geschlechtlichen Identität. dazu vorliegenden Anträgen liegt ein langer Weg. Am (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ziel sind wir deswegen noch lange nicht. Nun sind wir von der Großen Koalition durchaus sehr kurze Sprün- Ihnen fällt in der Koalition nichts Besseres ein, als die ge gewohnt, aber nach all den gemeinsamen Debatten Frage des Geschlechts erneut zu reduzieren auf rein kör- und Erkenntnisgewinnen ist es schon sehr enttäuschend, perliche Merkmale und diesen Menschen abzuverlangen, dass die Einsicht in Notwendigkeiten in der jetzigen Be- auf dem Standesamt ein ärztliches Attest vorlegen zu schlussvorlage so überaus knapp ausfällt. müssen. Die leidige Attestpflicht bleibt. Die dritte Option ist (Beatrix von Storch [AfD]: Aber mit dem nur unter eng gefassten Auflagen wählbar. Wichtige Be- Alter geht es nicht!) gleitumstände wie die Umsetzung des OP-Verbots an intergeschlechtlichen Kindern waren im Gesetzgebungs- – Sie werden es auch heute nicht mehr verstehen. Die karo nicht verhandelbar. Dabei steht dieses Vorhaben im Hoffnung habe ich aufgegeben. Koalitionsvertrag. Mit unserem Entschließungsantrag haben wir uns erlaubt, solche Aufgaben im Rahmen die- (Beifall bei der FDP, der SPD und der LIN- ses sehr formellen Gesetzgebungsverfahrens mitzuden- KEN – Zuruf des Abg. Dr. Alexander Gauland ken. [AfD]) Noch einmal zur Erinnerung, was war. Das Bundes- – Das haben wir gemerkt. Aber mit der Großen Koalition verfassungsgericht hat im Oktober 2017 festgestellt, dass ist noch ein sachlicher Diskurs möglich. es nicht verfassungsgemäß ist, wenn das Personenstands- Wovor fürchten Sie sich eigentlich? Dass diese Men- recht trotz anderer Realitäten nur weiblich und männlich schen alle drei Monate ihre Geburtsurkunde ändern wol- als Geschlechterkategorie bereithält. Es geht also um das len? So schnell finden Sie auch beim Standesamt in Ber- persönliche und menschenrechtliche Thema, dass mein lin keinen Termin. tatsächliches Geschlecht, meine sogenannte Geschlech- tsidentität möglicherweise nicht mit dem Geschlecht (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) übereinstimmt, welches mit meiner Geburt in amtliche Dokumente geschrieben wurde. Sieben von acht Sachverständigen haben in der An- (B) hörung Ihren Gesetzentwurf deutlich kritisiert. Auch die Geschlecht ist ein breites Spektrum, hat der Kinder- (D) eidesstattliche Versicherung macht das nicht wirklich und Jugendpsychiater Bernd Meyenburg kürzlich in der besser . Wie man mit einer eidesstattlichen Versicherung „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gesagt. Die- ein subjektives Werturteil wie eine Unzumutbarkeit ei- sem Umstand muss der Staat anders als bisher Rechnung ner Untersuchung überhaupt darlegen und beweisen soll, tragen, entweder durch die allgemeine Abschaffung der bleibt mir ein juristisches Rätsel. Sie stellt so hohe Anfor- Geschlechterregistrierung oder durch die Schaffung ei- derungen an die Betroffenen, dass sie keine Entlastung, ner positiven Sammelkategorie jenseits von männlich sondern eher ein besonders hohes Rechtsrisiko ist, von oder weiblich, der dritten Option. dem abzuraten wäre. Dass das Verfassungsgericht diese Aufgabe so klar Ihr miserabler Gesetzentwurf ist nur eine Minimallö- benannt und mit Frist zum Jahresende 2018 dem Gesetz- sung dessen, was uns das Bundesverfassungsgericht geber anvertraut hat, war ein enormer Durchbruch. Doch ohnehin aufgetragen hat, stattdessen kein Respekt vor der hier entstandene Gesetzentwurf weist viele Hoffnun- persönlicher Selbstbestimmung, auch nicht vor ge- gen wieder in enge Schranken, was äußerst bedauerlich schlechtlicher Vielfalt, im Gegenteil, reine Schikane ist; denn niemandem soll etwas weggenommen werden. trans- und intergeschlechtlicher Menschen. Dieses Miss- Wer mit seinem bei Geburt festgestellten Geschlecht ein- trauen haben die Menschen nicht verdient. verstanden ist, darf es natürlich bleiben. Aber auch alle anderen sollten über ihr Geschlecht selbstbestimmt ent- Vielen Dank. scheiden dürfen. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Das schwerwiegendste Problem für uns ist, dass man Damit wird die FDP richtig groß! – Gegenruf weiterhin faktisch ein Attest braucht, um die dritte Opti- des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neck- on „divers“ in Anspruch zu nehmen. Das Gesetz bleibt ar] [FDP]: Ja, warten Sie mal ab!) auf Intergeschlechtlichkeit beschränkt, obwohl mehr möglich wäre. Dass medizinische Definitionsmacht über Vizepräsidentin Claudia Roth: persönliche Geschlechteranliegen gestellt wird, setzt sich Vielen Dank, Dr. Brandenburg. – Nächste Rednerin: leider fort. Wir begrüßen, dass die ursprüngliche Vorga- Doris Achelwilm für die Fraktion Die Linke. be für intergeschlechtliche Kinder, automatisch „divers“ einzutragen, in letzter Minute zu einer Kannregelung (Beifall bei der LINKEN) wurde. Hier hat die Sachverständigenanhörung aus- 8336 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Doris Achelwilm (A) nahmsweise gewirkt. Ansonsten bleibt das Ergebnis der gesetzt wird, ist ein sehr wichtiger und richtiger Schritt, (C) Bundesregierung weitgehend unsensibel und handwerk- liebe Kolleginnen und Kollegen. lich unzureichend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob dies auf hun- SES 90/DIE GRÜNEN) derttausend oder nur auf einen Menschen zutrifft. Alle Wir kritisieren, dass Menschen mit eindeutigen Kör- Menschen haben das Recht auf Anerkennung ihrer Per- permerkmalen, aber anderer Geschlechtsidentität nach sönlichkeit und auf Schutz vor Diskriminierung. Das wie vor auf das Transsexuellengesetz und seine Gut- Bundesverfassungsgericht hat das unmissverständlich achteritis verwiesen werden, wenn sie ihre Geschlechts- deutlich gemacht. angaben ändern wollen. Diese Gesetzgeberangst vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kontrollverlust spricht aus der Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichts genau nicht, ganz im Gegenteil. Aber: Zur Umsetzung dieses Urteils bräuchte es ei- Was soll Schlimmes passieren, wenn Menschen ab ei- nen Gesetzentwurf, der den Vorgaben des Verfassungs- nem gewissen Alter über ihren Geschlechtseintrag durch gerichts entspricht, und das ist mit diesem Gesetzentwurf Selbstaussage auf dem Standesamt entscheiden können? schlichtweg leider nicht der Fall. Wenn der Bundestag das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung weiter- Unter die Fortsetzung von geschlechtlicher Diskri- hin ignoriert und stattdessen versucht, Menschen durch minierung gehört ein Schlussstrich. Die gängige Praxis, ein diskriminierendes Verfahren zu schleusen, dann kön- dass sich Betroffene mehrfach von Ärzten begutachten nen wir diesem Gesetzentwurf heute leider nicht zustim- lassen mussten, hat genug Leid verursacht und auch un- men. nötig Geld gekostet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Tat- sache, dass Geschlecht aufgezwungen und wandelbar Der Entwurf sagt nämlich nicht, es gibt künftig die sein kann und selbstbestimmt sein muss, umfassend zur Option „divers“ und jeder, der das für sich entscheidet, Kenntnis nehmen und Geschlechtervielfalt ins Recht set- darf diese Option wählen. Nein, mit dem vorliegenden zen. Weil die Aufgabe, die zu erfüllen war, aus unserer Gesetzentwurf wird ein ärztliches Attest verlangt oder in Sicht wenig umgesetzt wurde, lehnen wir den Gesetzent- Ausnahmefällen eine eidesstattliche Erklärung. Das ist wurf ab. Wir wollen Geschlechtervielfalt unter anderen einfach komplett absurd. Niemand kann über sein Ge- Voraussetzungen umgesetzt sehen und werden uns dafür schlecht besser Auskunft geben als jeder Mensch selber. weiter einsetzen. Eine Fremdbestimmung mittels Attest hat in diesem Ge- setz nichts zu suchen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- Ich komme zum Schluss. Ich danke allen Aktivistin- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- nen und Aktivisten, den Expertinnen und Experten aus KEN sowie des Abg. Dr. Jens Brandenburg Recht und Wissenschaft, den Verbänden trans- und in- [Rhein-Neckar] [FDP]) tergeschlechtlicher Menschen für all die Energie und Erfahrung, die sie in Arbeitsgruppen, Anhörungen und Denn damit pathologisieren und bevormunden Sie in- Fachgesprächen, unglaublich offensiven Medienberich- tersexuelle Menschen, Sie begegnen Menschen, die die- ten und anderen Aktionen eingebracht haben. Es war sen Eintrag wählen wollen, mit Misstrauen. nicht umsonst. Es ist übrigens unübersehbar, dass dieser Entwurf aus (Beifall bei der LINKEN) dem Hause Seehofer stammt. Er errichtet so etwas wie eine Grenzkontrolle, die verhindern soll, dass Menschen, die aus Sicht der Großen Koalition nicht das Recht dazu Vizepräsidentin Claudia Roth: haben, unkontrolliert aus dem binären Geschlechtersys- Vielen Dank, Doris Achelwilm. – Nächster Redner: tem ausbrechen. Sven Lehmann für Bündnis 90/Die Grünen. Ich frage Sie: Was würden Sie eigentlich verlieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie allen Menschen, die erklären, dass sie sich als divers eintragen lassen wollen, weil das nun mal ihrer Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geschlechtlichen Identität entspricht, dies auch zugeste- Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Ich gebe zu: Es hen? Ich sage Ihnen, das würde die Weltordnung nicht ins ist schwierig, Dinge nachzuempfinden, die man selbst Wanken bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen. nicht erlebt hat. Aber nur, weil sich etwas außerhalb der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eigenen Realität abspielt, bedeutet dies nicht, dass es sowie der Abg. Elisabeth Kaiser [SPD]) nicht trotzdem ein gleichwertiger Teil der Realität ist. Wir Grüne stellen deswegen heute verschiedene Än- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) derungsanträge und einen Entschließungsantrag zur Abstimmung. Wir fordern einen selbstbestimmten Ge- Genauso ist es mit dem Geschlecht. Die Spezies schlechtseintrag ohne Attestpflicht. Mensch besteht aus mehr als aus Mann und Frau. Sie besteht aus geschlechtlicher Vielfalt. Dass diese Realität (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther nun endlich auch in deutsches Personenstandsrecht um- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8337

Sven Lehmann (A) Wir fordern, dass das Transsexuellengesetz endlich ab- ten Gründen nicht von dieser Gesetzesänderung erfasst (C) geschafft und durch ein modernes Gesetz zur Selbstbe- werden bzw. erfasst werden sollen. stimmung und zur Anerkennung der Geschlechtervielfalt ersetzt wird. Die vorliegende Änderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, widmet sich Menschen, die mit, wie es in (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- der Fachsprache heißt, Varianten der Geschlechtsent- SES 90/DIE GRÜNEN) wicklung geboren sind und somit biologisch betrachtet Wir fordern, dass Operationen und Hormonbehandlun- weder eindeutig dem weiblichen noch dem männlichen gen an Säuglingen, die nicht medizinisch notwendig Geschlecht zuordenbar sind; diese Menschen werden als sind, endlich verboten werden. intersexuell bezeichnet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist wichtig, dass wir diese Menschen rechtlich und sowie bei Abgeordneten der SPD und der auch sprachlich in der Debatte klar von Menschen un- LINKEN und des Abg. Dr. Jens Brandenburg terscheiden, die biologisch eindeutig einem Geschlecht [Rhein-Neckar] [FDP]) zuzuordnen sind, sich aber psychologisch, aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, dem anderen Geschlecht zurech- Und wir fordern, dass intersexuelle und transsexuelle nen. Ohne jede Diskriminierung, bei allem Verständnis Menschen, denen Leid zugefügt wurde, dafür entschä- für beide Phänomene: Wir müssen diese Menschen, die digt werden; denn der Staat hat sich mit seiner Gesetzge- als transsexuell bezeichnet werden, klar und eindeutig bung schuldig gemacht. von denjenigen unterscheiden, die wir als intersexuell (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bezeichnen. SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Doris Achelwilm [DIE LINKE]) (Zuruf von der LINKEN: Warum?) Transsexuelle mussten sich bis 2011 einer operativen Wir schaffen mit dem vorliegenden Entwurf in § 22 Angleichung ihrer Genitalien unterziehen; nur so durften Absatz 3 Personenstandsgesetz die Möglichkeit, bei der sie ihre falsche Geschlechtszuordnung korrigieren. Beurkundung der Geburt eines Neugeborenen neben den Angaben „weiblich“ und „männlich“ oder der Eintra- Der Staat ist seiner Schutzpflicht auch gegenüber in- gung des Personenstandsfalls ohne eine solche Angabe tersexuellen Menschen nicht nachgekommen. auch die Bezeichnung „divers“ zu wählen, wenn eine Zu- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ordnung zu einem der beiden Geschlechter nicht möglich SES 90/DIE GRÜNEN) ist. Grundlage hierfür muss eine ärztliche Bescheinigung sein, die belegt, dass die entsprechende Person über Vari- (B) Bis heute leiden viele von ihnen darunter, dass sie sich anten der Geschlechtsentwicklung verfügt. Auch die bis- (D) im Kindesalter mehrfach unumkehrbaren Operationen herige Rechtslage in § 22 Absatz 3 – darauf will ich Sie unterziehen mussten. Liebe Abgeordnete des Bundesta- hinweisen – sah bereits vor, dass für den Fall, dass nach ges, ich finde, es ist an der Zeit, dass wir uns bei diesen der Geburt das Geschlecht biologisch nicht eindeutig Menschen entschuldigen. festgestellt werden kann, eine Eintragung ohne Angabe Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. erfolgt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsge- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) richts aus dem Jahr 2017 passen wir diese Regelung nun unter anderem dahin gehend an, dass eine positive Ein- Vizepräsidentin Claudia Roth: tragung – mit „divers“ – erfolgen kann. Vielen Dank, Sven Lehmann. – Der nächste Redner: Aber ich bitte Sie wirklich noch einmal eindringlich – Michael Kuffer für die CDU/CSU-Fraktion. das sage ich insbesondere nach Ihrer Rede, Herr Kollege (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lehmann –, nicht in einer undifferenzierten Betrachtung alles miteinander zu vermischen. Ich sage Ihnen auch: Michael Kuffer (CDU/CSU): Die Umstände intersexueller Menschen sind besonders, und deren Ernsthaftigkeit verträgt sich nicht damit, dass Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das wir diesen speziellen Fall mit anderen Fallgruppen ver- Thema, mit dem wir uns heute befassen, braucht eine mischen. Deshalb bitte ich Sie wirklich noch einmal um nüchterne und eine faktengeleitete Betrachtung; das sind eine klare Unterscheidung. Wir stehen als Unionsfraktion wir den Menschen, die von dieser Regelung erfasst wer- zu dieser gesetzlichen Neuregelung – aber eben in der den, schuldig. Um eines gleich vorweg zu klären: Wir Form, wie wir sie heute vorlegen. handeln damit nicht gegen die Interessen dieser Men- schen, sondern im besten Sinne für ihre Interessen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dass diese Debatte Versachlichung dringend benötigt, Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: haben die hitzigen Debatten im parlamentarischen Ver- Reines Misstrauen!) fahren gezeigt. Ich beneide die Berichterstatter nicht und Es kommt mir schon darauf an, eine klare Unterschei- habe jeden Respekt, lieber Kollege Henrichmann, mit dung zu treffen zwischen den Menschen, für die es dieser welcher Sachlichkeit ihr das jetzt zum Abschluss bringen Gesetzesänderung bedarf, und den Menschen, die aus gu- konntet. 8338 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Michael Kuffer (A) Als Gesetzgeber sind wir verpflichtet, die Validität des alle, morgen Polyamorie und Polygamie. Gestern eine (C) Personenstandsregisters zu gewährleisten. Hier geht es Auslassung im Geburtenregister, heute „divers“, morgen um nicht weniger als einen Kern unserer Rechtsordnung. die Einführung von bis zu sechzig Geschlechtern, je nach Hierfür steht die CDU/CSU aus voller Überzeugung ein. Gefühl. Das Personenstandsregister genießt gerichtlichen Be- Der Eintrag einer Kategorie „divers“ ist damit die weiswert. Hier darf und wird es mit uns zu keiner Auf- Büchse der Gender-Pandora und zeigt deutlich, welche weichung kommen. Prioritäten in Karlsruhe und offenbar auch in Teilen die- Vielen Dank. ses Parlamentes gelten: Der Streit um die Belange (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Claudia Roth: von einigen Tausenden hat mehr Gewicht als die Sorge Vielen Dank, Michael Kuffer. – Nächste Rednerin: von Millionen Vätern oder Müttern. Liebe CDU, wären Dr. Frauke Petry. Sie im Innenausschuss standhaft geblieben, (Konstantin Kuhle [FDP]: Sie waren doch gar Dr. Frauke Petry (fraktionslos): nicht da!) Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und hätte man diesem Entwurf zustimmen können – so iden- Herren! Gender-Mainstreaming, Frühsexualisierung, tifiziere ich mich heute in diesem Fall als eine diesen Ehe für alle, heute so etwas wie das dritte Geschlecht – Entwurf ablehnende heterosexuelle Frau. Themen und Phänomene, die wir noch vor ein paar Jah- ren nicht kannten, Herzlichen Dank. (Zuruf von der SPD: Sie nicht!) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wenn Sie Frau von Storch heiraten, das welche die Bundesregierung seit Jahren fördert. wäre mal was!) Dass gesellschaftliche Veränderungen vonseiten des linken Randes vorangetrieben werden, ist kein Geheim- Vizepräsidentin Claudia Roth: nis mehr. Dass aber ausgerechnet eine christdemokrati- Letzte Rednerin in dieser Debatte: sche Partei sich dafür einsetzt, die Schöpfung der beiden für die CDU/CSU-Fraktion. Geschlechter als Mann und Frau de facto zu untergraben, das verwundert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) (D) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): – Hören Sie auf, sich aufzuregen, und hören Sie zu! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um eines klarzustellen: Intersexuelle existieren, sie Wir regeln heute die Eintragung einer Variante der Ge- haben auch jahrzehntelang zweifellos unter medizini- schlechtsentwicklung, also von Intersexuellen, in das schen Eingriffen gelitten. Der Unterschied aber zum Geburtenregister – nicht mehr, aber auch nicht weniger. heutigen Antrag: Die alte preußische Gesetzgebung zum Ich möchte gleich vorneweg betonen, dass ich dies als Eintrag „Zwitter“ oder der heutige Begriff „intersexu- den ersten von zwei zusammengehörigen Schritten be- ell“ beschränkt den Personenkreis auf genau jene rund trachte, um intersexuellen und transsexuellen Menschen 100 000 Menschen in Deutschland, auf die der Mangel ein würdiges, selbstverständliches und respektiertes Da- des bisherigen Geburtenregisters tatsächlich zutrifft. Der sein in unserer Gesellschaft – und zwar in der Mitte die- Vorschlag aber, eine Kategorie „divers“ einzuführen, ser Gesellschaft – zu ermöglichen. schießt deutlich über das Ziel hinaus. Vielleicht hätte die Union rechtzeitig ins SPD-Parteiprogramm schauen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sollen: Nicht nur die Rechte von Intersexuellen, sondern Eine umfassende Reform der materiellen gesetzlichen auch von Transsexuellen sollen weiter gestärkt werden. Regelungen, zum Beispiel das schon angesprochene Ver- (Zuruf von der FDP: Wir wird denn das in- bot geschlechtsverändernder Operationen im Kindesal- ternational gemacht? Mal Reisepässe ange- ter, das wir anstreben, steht aus und für 2019 an. guckt?) Es ist nicht redlich – wie es viele Oppositionsredner heute und auch schon im Ausschuss getan haben –, den Intersexualität ist Biologie, Transsexualität Psycholo- vorliegenden ersten Schritt als ambitionslos oder irgend- gie. Unter dem Deckmantel „divers“ tarnt sich daher der wie beschränkt zu kritisieren. Wir bekennen uns aus- nächste Schritt. Diese Strategie der Ideologen, mit klei- drücklich dazu, dass diese größere Reform jetzt kommen nen Schritte vorzugehen, kennen wir. So etwas hält man muss. Aber auch das Gesetz, das wir heute beschließen, nicht durch Zurückweichen, sondern nur durch klares bringt echte Fortschritte für die Betroffenen. Zurückweisen zurück. Das hat die Union offenbar nicht verstanden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neck- Was auf uns in den nächsten Jahren zukommt, können ar] [FDP]: Sie hätten jetzt die Chance gehabt!) Sie dem Antragspapier der Linken entnehmen. Gestern die eingetragene Lebenspartnerschaft, heute die Ehe für – Wir haben auch nächstes Jahr noch viele Chancen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8339

Bettina Margarethe Wiesmann (A) Was sind diese Fortschritte? Erstens. Intersexuelle ernsthaft vorgenommen werden. Aber zugleich müssen (C) Kinder und ihre Familien werden entlastet. Kinder sol- wir die ohnehin spezielle und oft belastende Lebenssitua- len gut aufwachsen und in ihren Familien den besonde- tion intersexueller Menschen in angemessener Weise be- ren Schutz erfahren, den ihnen sonst keiner bieten kann. rücksichtigen. Das tun wir hiermit, und deshalb ist auch Durch das Gesetz geben wir Eltern die Sicherheit, dass dieser Punkt eine gute Lösung. ihr Kind genauso normal ist wie andere, auch wenn es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht männlich oder weiblich ist. Intersexuelle Kinder der SPD) wachsen künftig nicht mehr im Gefühl einer Differenz zwischen der auch noch schriftlich attestierten Außen- Ich möchte noch einen Kritikpunkt, einen Satz er- wahrnehmung und dem eigenen, oft längere Zeit unkla- wähnen, der hier angesprochen worden ist: Es würden ja ren Empfinden auf. Die Kategorie „divers“ legitimiert nicht alle intersexuellen Menschen berücksichtigt. – Und den Prozess der Identitätsgewinnung auch in geschlecht- es ist richtig: Es gibt Varianten der Geschlechtsidentität, licher Hinsicht. Übrigens: Diesen Selbstwerdungspro- die unabhängig von einer Variante der Geschlechtsent- zess gestehen wir unseren heranwachsenden Kindern wicklung bestehen. Sie werden von diesem Gesetz nicht auch in anderer Hinsicht zu. abgedeckt. Aber auch für diese Menschen muss eine Regelung gefunden werden. Dies kann das alte Transse- Weitere Entlastung: Eltern sollen nicht für ihr Kind xuellengesetz nicht leisten, und deshalb werden wir es entscheiden, wofür sie beim besten Willen doch keine reformieren. zuverlässige Grundlage haben können. Deshalb schlagen wir die jetzt auch noch mal verbesserte Formulierung Wir werden den zweiten Schritt – „Kann … ‚divers’ …eingetragen werden“ vor. Eltern ha- ben die Möglichkeit, dem Kind eine Geschlechtsidentität Vizepräsidentin Claudia Roth: zu geben, die sein Leben zunächst bestimmen soll, sie Frau Kollegin, jetzt sind Sie deutlich über der Zeit. müssen es aber nicht – denn das Leben ist bunt, und dafür kann es auch gute Gründe geben. Später kann sich das Kind, wenn sich seine Variante ausprägt, gegebenenfalls Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): einem anderen als dem bisher eingetragenen Geschlecht – zur Gleichberechtigung von Menschen jenseits der zuordnen und dies dann eben eintragen lassen. Es ist eine binären Geschlechtlichkeit gehen – eine Aufgabe für das gute Lösung in diesem Punkt. nächste Jahr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Jetzt bleibt mir noch die Aufgabe, Ihnen ein frohes der SPD) Weihnachtsfest zu wünschen. (B) Zweitens. Die Nachweispflicht wird angemessen ge- Vielen Dank. (D) staltet; dazu ist schon vieles gesagt worden. Das Gesetz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sieht – so wie es übrigens das Urteil des Bundesverfas- der SPD sowie des Abg. Dr. Florian Toncar sungsgerichts auch vorgibt – einen Nachweis des Sach- [FDP]) verhalts vor. Bei den intersexuellen Personen, über die wir hier heute reden, liegt dieser Nachweis in der Regel vor – das hat Herr Henrichmann auch schon ausgeführt –; Vizepräsidentin Claudia Roth: denn junge Menschen sind in unserem Gesundheitssys- Vielen Dank, Frau Kollegin Wiesmann. – Ich schließe tem heute hervorragend begleitet und zumeist schon sehr die Aussprache. früh in dieser Eigenschaft identifiziert. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Etwas anderes ist es aber bei Menschen, deren ge- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung schlechtliche Variante unterdrückt oder medizinisch be- der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben. seitig worden ist. Und auch für diese muss es eine ihre Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt unter Würde wahrende Form der Erklärung ihres Geschlechts Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- für das Standesamt geben, die aber zugleich dem An- che 19/6467, den Gesetzentwurf der Bundesregierung spruch einer validen Personenstandsbestimmung ent- auf Drucksachen 19/4669 und 19/5422 in der Ausschuss- spricht. fassung anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungsan- träge vor, über die wir zuerst abstimmen werden. Ich bin überzeugt, dass die Formulierung in Punkt zwei der Beschlussempfehlung diesem vollauf Rechnung Wir beginnen mit dem Änderungsantrag der Frakti- trägt. Sie besagt – das ist schon erwähnt worden; ich er- on Die Linke auf Drucksache 19/6476. Wer stimmt für wähne es dennoch noch mal –: In den meisten Fällen gibt diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- es die Bescheinigung, und der Eintrag wird geändert. haltungen? – Keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Oder: In begründeten Ausnahmefällen, die tatsächlich Zugestimmt haben die Fraktionen Die Linke und Bünd- Härtefälle sind, genügt die eidesstattliche Versicherung. nis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt haben die Frak- tionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Der Ände- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich festhalten: rungsantrag ist abgelehnt. Es ist ein guter Kompromiss. Den Geschlechtseintrag ins Geburtenregister brauchen wir. Es ist die einzige recht- Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lich valide Bestimmung, auf der eine Vielzahl von Rege- auf Drucksache 19/6477. Wer stimmt für diesen Ände- lungen und Ansprüchen basiert in vielen Bereichen unse- rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – rer Gesetzgebung. Er muss glaubhaft sein, und er muss Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung von 8340 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und der Fraktion der die Bankenaufsicht entziehen und Deutsch- (C) FDP. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, lands EZB-Stimmrechtsanteil erhöhen CDU/CSU und AfD. Drucksache 19/6418 Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 19/6478. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag: Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Finanzausschuss (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Zugestimmt haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Haushaltsausschuss Grünen und der Linken. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und AfD. Enthalten hat Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sich die Fraktion der FDP. Damit ist der Änderungsan- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre sehr trag abgelehnt. viel, aber keinen Widerspruch dazu, und warte mit der Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Eröffnung der Aussprache, bis ein bisschen Ruhe einge- Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- kehrt ist. – Nun übergebe ich an meinen Kollegen. chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: men bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD, bei Ge- genstimmen von der Linken und der AfD und bei Enthal- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht jetzt wei- tung von FDP und Bündnis 90/Die Grünen. ter. – Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Bruno Hollnagel, AfD-Frak- Dritte Beratung tion, das Wort. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei der AfD) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- ben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung der Dr. Bruno Hollnagel (AfD): Fraktionen von SPD und CDU/CSU, bei Gegenstimmen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- der Fraktionen Die Linke und der AfD und bei Enthal- ren! Man hatte uns gesagt, der Euro sei wichtig; denn tung von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. er werde Wohlstand bringen. Aber wir hatten Wohlstand. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) che 19/6479 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs- (B) Man sagte, wir bräuchten den Euro, weil er Frieden brin- (D) antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – gen werde. Doch wir hatten Frieden. Man sagte, der Euro Zugestimmt haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die sei wichtig für uns, weil er eine stabile Währung sein Grünen und der Linken. Dagegengestimmt haben die werde. Wir hatten die stabilste Währung der Welt. Fraktionen von SPD, CDU/CSU und AfD. Enthalten hat sich die Fraktion der FDP. Der Entschließungsantrag ist (Beifall bei der AfD – Metin Hakverdi [SPD]: abgelehnt. Ist das ein Gedicht?) Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- Die Eingangsvoraussetzung für den Euro war die Ein- lung des Ausschusses für Inneres und Heimat auf Druck- haltung der Konvergenzkriterien. Inflationsrate, Neuver- sache 19/6467 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- schuldung und Schuldenstand sollten bestimmte Grenzen stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des nicht überschreiten. Kaum ein Land hatte die Konver- Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/4828 genzkriterien eingehalten. Damals machte der Ausdruck mit dem Titel „Selbstbestimmung, Gleichbehandlung, „kreative Buchführung“ die Runde. Mit solchen Tricks körperliche Unversehrtheit – Die Grund- und Menschen- hatten sich Länder, unter anderem auch Griechenland, in rechte zur geschlechtlichen Vielfalt gewährleisten“. Wer den Euro hineingelogen. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussemp- (Beifall bei der AfD) fehlung ist angenommen. Für die Beschlussempfehlung haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte die AfD gestimmt. Gegen die Beschlussempfehlung haben Gemüter beruhigen. Auch er wurde in der Folge unzäh- die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen lige Male gebrochen – ohne Folgen für die Schuldigen. gestimmt. – Vielen Dank. Das war die Abstimmung. Die Missachtung der Stabilitätskriterien wurde zur Re- gel. Es musste endlich Schluss sein mit den Vertragsbrü- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: chen. Dieser Wunsch wurde leider nicht erfüllt. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ­Bruno Hollnagel, Kay Gottschalk, Stefan In der Folge wurde der Euro immer wieder gerettet, Keuter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion nach dem Motto „Koste es, was es wolle“, und die Eu- der AfD ro-Rettung hat uns sehr viel gekostet, und sie wird uns noch mehr kosten. Rote Linien gegen die europäischen Haftungs- risiken Deutschlands – Ausbau der Banken- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Jürgen union stoppen und rückabwickeln, der EZB Hardt [CDU/CSU]: Lüge!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8341

Dr. Bruno Hollnagel (A) Es ist unbedingt eine rote Linie einzuziehen, die die Kos- Deutschland, so sagen Ökonomen, störe das Gleichge- (C) ten begrenzt. Ein Ende mit Schrecken wäre besser als ein wicht Europas. Die Handelsüberschüsse Deutschlands Schrecken ohne Ende. müssten abgebaut werden. Im Klartext: Deutschland soll an Wettbewerbsstärke verlieren, also an Wohlstand. Es (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: soll der Ast abgesägt werden, auf dem wir alle sitzen, und Wollen Sie sich selbst auflösen?) wenn wir runterfallen, dann brechen wir uns die Kno- Man beschwichtigte uns mit der No-bailout-Klausel. Wir chen. könnten ganz beruhigt sein, kein Land werde für ein an- (Johannes Kahrs [SPD]: Dummheit!) deres haften müssen – auch nicht für deren Anleihen. Mich interessiert, was Fakt ist. Fakt ist: Wir werden Das alles ist unverständlich, und es muss hier eindeu- entgegen der No-bailout-Klausel für andere haften, zum tig ein Schlussstrich gezogen werden. Beispiel für die Anleihenkäufe der EZB. Alleine daraus erwächst uns eine Haftung von 600 Milliarden Euro. Die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gemeinschaftshaftung der verschiedensten Art erleben wir bei der Bankenunion, bei den Rettungsschirmen, bei So ist es, Herr Kollege Dr. Hollnagel. Kommen Sie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus. bitte zum Schluss. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Aber Sie (AfD): wissen doch, dass das Quatsch ist!) Dr. Bruno Hollnagel Ich sehe gerade, meine Redezeit ist zu Ende. Der ESM kann bis auf 2,5 Billionen Euro gehebelt wer- den. Alleine für Deutschland würde das eine Haftungs- Ich bedanke mich recht herzlich. summe von 670 Milliarden Euro bedeuten. (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist ein- Schlechte Rede!) fach falsch!)

Und nun kommt der liebe Draghi und will eine so- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: genannte ERL als Überbrückungskredit ins Spiel brin- Vielen Dank. – Die Kollegen Alexander Radwan, gen. Danach würden die Zentralbanken eine Summe von CDU/CSU-Fraktion, und Frank Schäffler, FDP-Fraktion, mehreren Billionen Euro schulden. Sie wissen, die Zen- haben in vorbildlicher Weise ihre Reden zu Protokoll tralbanken haften und die entsprechenden Länder haften gegeben.1) (B) für die Zentralbanken. (D) (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das glaubt (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der ihr doch selber nicht!) FDP) Wenn wir nur von 2 Billionen Euro ausgehen würden, Nach dieser Eingangsbemerkung erteile ich nun dem würde das bedeuten, dass wir in Deutschland für weitere Kollegen Metin Hakverdi von der SPD-Fraktion das 500 Milliarden Euro haften müssten. Wort. Rechnen wir nur diese Haftungen, die ich gerade (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genannt habe, zusammen und die Schulden Deutsch- der CDU/CSU) lands dazu, dann würde das pro Bürger in diesem Land 46 000 Euro ausmachen. Das ist unverantwortlich. Metin Hakverdi (SPD): (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen CSU: Und unwahr!) und Kollegen! Die Finanzkrise 2008 hat die Steuerzah- Diese Haftungen gefährden die Zukunft unseres Landes, ler weltweit viel Geld gekostet. Der Ökonom Martin unserer Kinder und unserer Enkel. Wir brauchen rote Li- ­Hellwig spricht von über 70 Milliarden Euro allein für nien, die diese Haftungen begrenzen. die deutschen Steuerzahler. Kommen wir kurz zur EZB. Sie ist das Aufsichtsin- Als wäre das nicht genug, gab es zudem einen massi- stitut für Banken. Nun sollte jemand, der eine Aufsicht ven Verlust an Vertrauen in die demokratischen Institu- ausübt, unabhängig sein. Ist die EZB unabhängig? Nein, tionen. Jenen, die damals vor der Krise warnten, wurde sie ist nicht unabhängig; denn sie ist Geldgeber. Sie ist das neoliberale Märchen von den Selbstheilungskräften befangen, und wer befangen ist, kann eine Aufsicht nicht des Marktes erzählt. In Wirklichkeit wurde das markt- neutral durchführen. Deswegen lehnen wir die Aufsicht wirtschaftliche Prinzip, dass Risiko und Haftung in eine der EZB über die Banken ab. Hand gehören, während der Finanzkrise außer Kraft ge- setzt. Gewinne wurden privatisiert, und Verluste wurden (Beifall bei der AfD) sozialisiert. Teile der Finanzelite hielten sich nicht an die Spielregeln. Sie zockten mit dem Geld der Sparer. Auch Man hört, dass Deutschland unter Beobachtung ge- deshalb gewannen populistische Kräfte an Zulauf. stellt werden soll.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Hört! Hört!) 1) Anlage 8 8342 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Metin Hakverdi (A) Mit diesem Antrag möchte die AfD sämtliche Fort- Dafür gilt es zunächst Risiken in den Bankbilanzen in (C) schritte und Lehren, die wir aus der letzten Krise gezogen ganz Europa abzubauen; das ist klar. haben, rückgängig machen. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Okay!) (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!) Die Europäische Kommission hat Maßnahmen und In- Damit verrät die AfD die Steuerzahlerinnen und Steuer- strumente vorgelegt, die den Abbau dieser notleidenden zahler in unserem Land. Kredite unterstützen sollen. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ja!) Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf einem guten Weg. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir auf zu- Man könnte meinen, die Populisten verfolgen eine per- künftige Krisen besser vorbereitet sind. Das kann man fide Strategie. nur mit Europa und nicht gegen Europa. Kann es sein, dass die AfD hofft, die nächste Krise (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der werde ihr weiteren Zulauf bringen? Und kann es sein, CDU/CSU) dass sie deshalb absichtlich die Bankenunion abschaffen will, damit die nächste Krise wahrscheinlicher wird? Ich möchte dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz ausdrücklich für die Fortschritte auf dem letzten Eco- (Zuruf von der CDU/CSU: Sonst haben die fin-Gipfel danken. Das jetzt vereinbarte Bankenpaket ja kein Thema! – Leif-Erik Holm [AfD]: Die enthält strengere Kapitalvorschriften für Banken. Vor Krise ist ja nicht weg! Verschwörungstheore- der Krise lag die Höhe des haftenden Eigenkapitals bei tiker!) manchen Banken bei nicht mal 2 Prozent. Heute müssen große Banken 8 Prozent Eigenkapital vorhalten. Das ist Egal warum Sie das wollen – ob absichtlich oder aus Un- ein Meilenstein. Auch das war nur gemeinsam in Europa vermögen –: Es ist in der Sache falsch. möglich. Mit der Weiterentwicklung des Europäischen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stabilitätsmechanismus wird die Bankenunion zusätzlich der CDU/CSU) gestärkt. Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll die Funktion der Letztsicherung für den europäischen Es macht unsere Banken und damit unsere Wirtschaft an- Bankenabwicklungsfonds übernehmen. Auch das wird fälliger für Krisen. die Banken Europas vor zukünftigen Krisen sicherer ma- chen. In Wirklichkeit ist die Bankenunion nicht das Pro- blem, sondern Teil der Lösung. In Wirklichkeit ist Euro- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten se- (B) pa nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Globale hen in der Finanzmarktregulierung eine Daueraufgabe. (D) Finanzmärkte – das ist die wichtigste Erkenntnis – lassen Diese Aufgabe packen wir Schritt für Schritt gemeinsam sich eben nicht allein durch nationale Politik regulieren. mit unseren europäischen Partnern an. Eine Rückkehr in Diese nationalistische Haltung könnte die Bürgerinnen das nationalistische Schneckenhaus ist für die Herausfor- und Bürger unseres Landes am Ende sehr, sehr teuer zu derungen von morgen keine Lösung. Der Antrag der AfD stehen kommen. ist daher abzulehnen. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!) Vielen Dank. In Wirklichkeit ist durch die Bankenunion die Wahr- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten scheinlichkeit geringer, dass der Staat zukünftig bei Ban- der CDU/CSU) kenschieflagen mit Steuergeld einspringen muss. Wir ha- ben mit der Bankenunion wichtige Lehren aus der Krise Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gezogen: die gemeinsame europäische Aufsicht über gro- Vielen Dank, Herr Kollege Hakverdi. – Als Nächster ße Banken und ein einheitlicher Abwicklungsmechanis- spricht zu uns der Kollege Jörg Cezanne, Fraktion Die mus. Das sind Krisenmechanismen, die uns nützen. Linke. Das Prinzip, dass Gläubiger und nicht die Steuerzah- (Beifall bei der LINKEN) ler haften, gilt jetzt mehr als vor der Krise. In der öf- fentlichen Anhörung des Finanzausschusses am Montag sprach ein Experte an dieser Stelle gar von einer kleinen Jörg Cezanne (DIE LINKE): Revolution. Endlich sollen Risiko und Haftung in einer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Da- Hand liegen. Diejenigen, die an den Finanzmärkten hohe men und Herren von der AfD, Ihre Position strotzt vor Risiken eingehen, sollen auch zahlen, wenn es schief- Widersprüchen. Einerseits wollen Sie sich aus der euro- geht. Das möchte die AfD rückabwickeln. Unglaublich! päischen Kooperation zurückziehen und diese am besten gleich ganz abwickeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU] – Sepp (Leif-Erik Holm [AfD]: Welche Kooperation Müller [CDU/CSU]: Ja, unglaublich!) wollen wir beenden?) Um die Bankenunion weiter voranzubringen und da- Andererseits wollen Sie die deutschen Stimmrechte in mit im Interesse der Sparer sicherer zu machen, arbeiten der Europäischen Zentralbank erhöhen. Sie wollen we- wir nun auch an einer europäischen Einlagensicherung. niger für Europa bezahlen, dafür aber mehr in Europa Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8343

Jörg Cezanne (A) zu sagen haben. Eine solche Haltung ist nicht nur wider- zialunion, eine Union der guten Arbeit und eine Union (C) sprüchlich, sondern auch politisch vollständig naiv. des Friedens haben. Die AfD hat dazu nichts beizutragen. (Beifall bei der LINKEN – Sebastian Brehm (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Gauland [AfD]: Aber Sie!) Eine Lehre aus der Finanzmarktkrise ist, dass die Ban- kenaufsicht europaweit durchgeführt werden muss, wenn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Banken sowohl im globalen Finanzsystem als auch Vielen Dank, Herr Kollege Cezanne. – Wir bedanken in der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion uns jetzt bei der grünen Kollegin Anja Hajduk, die ihre wirkungsvoll reguliert werden sollen. Der eingerichtete Rede ebenfalls zu Protokoll gegeben hat.1) Abwicklungsmechanismus ist ein Schritt in die richti- ge Richtung. Für systemrelevante Großbanken reicht er (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und allerdings nicht aus. Hier hilft auch die Letztsicherung der SPD) nicht. Diese Großbanken müssen aufgespalten werden. Ich rufe jetzt den Kollegen Sepp Müller, CDU/ Das Kredit- und Einlagengeschäft muss vom spekulati- CSU-Fraktion, auf. ven und risikoreichen Investmentbanking getrennt wer- den. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Sepp Müller (CDU/CSU): Eine europäische Einlagensicherung halten wir grund- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sätzlich für sinnvoll. Dabei muss aber sichergestellt ren! Uns liegt heute ein 18-seitiger Antrag der AfD-Frak- werden, dass diese nur für Banken mit vergleichbarem tion vor, in dem sie 17 Seiten Geschichte erzählt und Risikoprofil und Geschäftsmodell wirkt. Es darf nicht 1 Seite mit knackigen Forderungen an die Bundesregie- geschehen, dass deutsche Sparkassen für französische rung formuliert. Großbanken oder spanische Genossenschaftsbanken für die Deutsche Bank haften. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie immer!) Die Ansiedlung der europäischen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank ist tatsächlich unglück- Man erkennt auch daran den Geist der AfD, der in diesem lich. Wegen der verschiedenen Aufgaben kommt es zu Hause weht und mit dem sie auch mit wehenden Fahnen einem andauernden Konflikt zwischen den unterschied- in den Europawahlkampf geht. Ich zitiere aus dem letzten lichen Rollen, die die EZB erfüllen muss. Man müsste Punkt dieses Antrags: „... Ausstieg aus der Beteiligung (B) diese Bankenaufsicht also in einer eigenen Behörde bün- am ESM, Verhinderung der Einführung des … EWF …“ (D) deln. Dazu wären die EU-Verträge zu ändern. Der nächs- Sie meinen damit sicherlich die Letztsicherung, die ge- te Widerspruch, den die AfD klären muss, ist, wie sie das plant ist. Was heißt das für Sie, meine sehr geehrten Da- ihren rechtsextremen Freunden in Ungarn, Österreich men und Herren? Was ist die Konsequenz am Ende des und Polen beibringen will, die dann einer solchen Ver- Abends? tragsänderung zustimmen müssten. Erstens. Die AfD möchte mehr Steuermittel zur Ban- (Beifall bei der LINKEN) kenrettung zur Verfügung stellen. Das wollen wir als Noch wichtiger als die verschiedenen Einzelmaßnah- Große Koalition nicht. Die Banken haben die Krise sel- men, die unter dem Namen „Bankenunion“ zusammen- ber heraufbeschworen, und sie müssen am Ende selber gefasst werden, wäre es aus unserer Sicht allerdings, die haften. Wenn Sie Steuerzahler dafür haftbar machen wol- ökonomisch widersinnige Kürzungspolitik zu beenden, len, dann müssen Sie die AfD wählen. Wenn Sie wollen, die den Krisenländern im Süden Europas aufgezwungen dass die Banken dafür haften, dann wählen Sie die Große wurde. Das portugiesische Wirtschaftswunder, über das Koalition. jetzt berichtet wird, zeigt ja, dass mit höheren Mindest- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- löhnen und Renten sowie mehr öffentlichen Investitionen ordneten der SPD) eine schnellere Überwindung der Krise möglich ist. Das wäre auch ein guter Weg für andere Länder. Zweitens. Die AfD lehnt Europa in ihrem Antrag ein- deutig ab. Das hat sie in den sieben Punkten des Antrags (Beifall bei der LINKEN) ganz klar gemacht. Die Kollegen haben das vorher ge- Ein solcher Kurs würde es nämlich auch den Banken sagt: Man wolle austreten aus den europäischen Institu- in Zypern oder Griechenland und deren überschulde- tionen. Wir sagen: Wir wollen Europa einen – und das ten Kreditnehmern ermöglichen, durch wirtschaftliches auch mit einer Bankenunion. Wachstum aus notleidenden Krediten herauszuwachsen Ja, liebe Kollegen der AfD, es ist manchmal einfach, statt sich, die heimische Bevölkerung und die jeweilige Nein zu sagen. Schwieriger ist es, Ja zu sagen. Deswe- Wirtschaft zu Tode zu sanieren. gen sagen wir als CDU/CSU-Fraktion Ja zu Europa. Wir Ein fruchtbares und friedliches Europa kann nur ein sagen als CDU/CSU-Fraktion Ja zur Bankenunion, und Europa der Solidarität sein. Das ist im Rahmen der be- wir sagen mit unserem Spitzenkandidaten im nächsten stehenden Verträge nur begrenzt möglich. Deshalb wol- Europawahlkampf, Manfred Weber: Ja, das ist der rich- len wir die EU neu begründen. Wir wollen nicht nur eine Wirtschafts- und Währungsunion, sondern auch eine So- 1) Anlage 8 8344 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Sepp Müller (A) tige Weg. Wir wollen Europa einen und nicht, wie Sie, Jetzt geht es darum, die Bankenunion weiterzuentwi- (C) spalten. ckeln. Ja, die Kollegen haben zu Recht gesagt: Wir haben mittlerweile solch große Institute, dass die Eigenkapital- (Beifall bei der CDU/CSU) regelungen und der Abwicklungsmechanismus über den Was bedeutet Bankenunion eigentlich? Nach der Fi- Fonds nicht mehr ausreichen könnten. Deswegen wol- nanzkrise, die die Banken in den Nationalstaaten erreicht len wir die Letztsicherung. Die Letztsicherung über den hatte, hat sich Europa auf den Weg gemacht, einheitli- ESM bedeutet: Wenn das Eigenkapital und der von den che Regeln festzulegen. Beispielsweise sind die Einla- Banken selbst gefüllte Fonds nicht ausreichen sollten, gen von Kleinsparern bis zu 100 000 Euro europaweit dann wird der ESM dem Fonds einen Kredit von bis zu einheitlich gesichert. Das ist ein richtiger Weg. Für die 60 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um die Banken größeren Banken hat man die gemeinsame Aufsicht zu retten. entwickelt. Das heißt, innerhalb von Europa betrachtet man die Banken einheitlich mit einem Auge, und man Jetzt sagt die AfD, das seien Steuermittel. Ja, es ist spricht diesbezüglich eine Sprache. Das hat zur Folge: richtig: Es sind in großen Teilen Steuermittel, die im Wenn eine Bank in Schieflage gerät, dann wird sie eu- ESM sind. Da haben Sie vollkommen recht. Nur dür- ropaweit gemeinsam von den Großbanken abgewickelt. fen Sie sich da nicht unehrlich machen, sondern müssen Das ist der richtige Weg: nicht mit 28 unterschiedlichen ganz ehrlich sein und sagen: Diese Letztsicherung ist ein Augen auf die Banken schauen, sondern mit einem Auge, Kredit, der nach den Regeln, die beschlossen wurden, das reguliert, das die Richtlinien festlegt und das notfalls innerhalb von drei, maximal fünf Jahren zurückgezahlt auch abwickelt. Das ist Bankenunion, und das ist auch werden soll. Das ist die Ehrlichkeit: Das Geld wird wie- der richtige Weg. der zurückgezahlt. Es ist genauso, wie wenn man von der Bürgschaftsbank bzw. der Investitionsbank Sachsen-An- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- halt Geld bekommt und es zurückzahlt; auch da handelt ordneten der SPD) es sich am Anfang um Steuermittel, um die Wirtschaft zu unterstützen, aber das Geld fließt zurück. Wir haben in der Bankenunion weiterhin festgelegt, dass das Eigenkapital der Banken steigen soll. Warum ist (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Glauben Sie das so wichtig? Wenn Kredite in Schieflage geraten, dann den Quatsch, den Sie da erzählen? Glauben werden diese Kredite abgeschrieben. Gegen was werden Sie das selber? Das ist ein Käse! Unglaublich!) sie abgeschrieben? Gegen das Eigenkapital der Banken! Wir wussten in den letzten Jahren, dass die Banken zu – Herr Gauland, ich weiß, dass die Wahrheit in Ihren wenig kapitalisiert waren, und sie sind es in großen Tei- Augen manchmal wehtut; das ist ganz klar. Denn Fake (B) len auch immer noch. Deswegen haben wir gesagt: Wir News helfen nicht; vielmehr tut die Wahrheit hier manch- (D) müssen die Banken in Europa dazu befähigen, mit ihrem mal auch weh. Eigenkapital die Risiken selber zu bewältigen, wenn die nächste Krise kommt. Daher ist es richtig, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gesagt haben: mindestens 8 Prozent des Eigenkapitals, ordneten der SPD – Leif-Erik Holm [AfD]: wenn nicht sogar mehr. Das ist der richtige Weg; denn Sie sind ein bisschen naiv!) wir sagen nicht Nein, sondern wir sagen Ja zu Europa. Wir gehen die Probleme als Große Koalition an, und das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist der richtige Weg. Bei Ihnen jetzt auch, Herr Kollege Müller, weil Ihre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Redezeit zu Ende ist. Kommen Sie zum Schluss, bitte. ordneten der SPD)

Wir haben auch gesagt: Wir wollen zukünftig keine Sepp Müller (CDU/CSU): Steuermittel einsetzen, um Großbanken zu retten; denn die Großbanken sind selber Verursacher der Krise gewe- Eine Bitte haben wir als CDU/CSU-Fraktion noch an sen, und sie müssen zukünftig auch selbst aus der Krise die Regierung – insbesondere in Richtung Olaf Scholz –: lernen und einen Fonds anlegen, den SRF. Diesen Fonds Der Gesetzgeber, das Parlament, sitzt auf der vor mir füllen die Großbanken europaweit auf. Wenn das Eigen- liegenden Seite des Hauses, Frau Staatssekretärin. Das kapital nicht ausreicht, dann wird der von den Großban- sollte auch Ihr Minister nicht vergessen. ken gefüllte Fonds genutzt, um eine in Schieflage gera- tene Bank zu retten – nicht mit Steuermitteln, sondern Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mit dem Geld, welches die Banken selber erwirtschaftet, aber nicht an ihre Aktionäre zurückgegeben, sondern in Herr Kollege Müller, ein letzter Satz! den Sicherungsfonds eingezahlt haben. Denn wir wollen keine Steuermittel einsetzen, sondern wir als Große Koa- Sepp Müller (CDU/CSU): lition sagen: Diejenigen, die die Krise verursacht haben, sollen selber dafür haften – und nicht der deutsche Steu- Wir brauchen kein Grundgesetz 2.0 und kein Oster- erzahler. paket, sondern nehmen Sie uns mit; dann haben Sie uns auch an Ihrer Seite. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Lothar Binding [Heidel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- berg] [SPD]: Genau so ist es!) ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8345

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: frieden, und wir dürfen uns ohnehin in diesem Bereich (C) Mit diesen doch kraftvollen Worten schließe ich die niemals ausruhen, sondern wir brauchen jetzt und in Aussprache, nachdem die Kollegin Sarah Ryglewski ihre Zukunft alle Anstrengungen, um unserem Anspruch als Rede dankenswerterweise ebenfalls zu Protokoll gege- führende Industrienation gerecht zu werden, und diesem ben hat.1) Ziel fühlen wir uns als Bundesregierung und als Koaliti- on verpflichtet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Trotz aller bisherigen Anstrengungen liegt noch ein GRÜNEN) weiter Weg vor uns, bis Glasfaser in jede Wohnung und jeden Betrieb verlegt ist und ein gut ausgebautes – Man erhält manchmal mehr Beifall, wenn man nicht 5G-Netz unsere Mobilität revolutionieren kann. Egal ob redet, als wenn man redet. privatwirtschaftlich, im Rahmen der Förderprogramme (Heiterkeit) von Bund und Ländern oder als Universaldienstleistung: Jetzt müssen landauf, landab in einem bislang noch nie Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf dagewesenen Umfang Glasfasernetze gebaut werden. Drucksache 19/6418 an die in der Tagesordnung aufge- Hierfür müssen die bestehenden Tiefbaukapazitäten führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- ausgebaut und bestmöglich eingesetzt werden, mit Ver- verstanden? – Das ist erkennbar der Fall. Damit ist die fahrenserleichterungen für Genehmigungsbehörden und Überweisung so beschlossen. Netzbetreiber – wir haben ja schon einiges dafür unter- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 sowie den Zu- nommen –, mit innovativen Verlegemethoden und so viel satzpunkt 12 auf: Synergienutzung, wie nur irgendwie möglich. 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Bereits 2016 haben wir mit dem DigiNetz-Gesetz gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur gemeinsam dafür gesorgt, dass alle Baustellen der öf- Änderung des Telekommunikationsgesetzes fentlichen Hand auf potenzielle Eignung für den Breit- (5. TKG-Änderungsgesetz – 5. TKGÄndG) bandausbau geprüft und Baustellen koordiniert für den Glasfaserausbau mit genutzt werden. Die spartenüber- Drucksachen 19/6336, 19/6437 greifende Mitverlegung von Breitbandnetzen bei Bau- Überweisungsvorschlag: maßnahmen, zum Beispiel für Wasser, Abwasser, Strom Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) oder Gas, hat sich in der Vergangenheit vielfach bewährt. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausschuss Digitale Agenda Nun erleben wir aber eine öffentliche Diskussion zur (B) (D) ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Mitverlegung, die doch für große Verunsicherung sorgt. Kluckert, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, wei- Während wir an dieser Stelle zumeist über weiße Fle- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP cken diskutieren, die niemand versorgen kann oder will, diskutiert der Markt derzeit über die Gefahr eines stra- Digitalisierung im 21. Jahrhundert – Digitale tegischen Überbaus, also über die parallele Verlegung Infrastruktur im Glasfaserausbau von Glasfaser in Gebieten, die mit einem Netz gar nicht Drucksache 19/6398 wirtschaftlich zu erschließen sind. Dort, wo zuvor nie- mand mit einer Mitverlegung gerechnet hatte, weil eine Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) doppelte Verlegung wirtschaftlich unsinnig wäre, traut Ausschuss für Wirtschaft und Energie sich nun niemand mehr, auszubauen, weil Wettbewerber, Ausschuss Digitale Agenda eigene Verluste in Kauf nehmend, einen Anspruch auf Haushaltsausschuss Mitverlegung geltend machen könnten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Auch diesen theoretischen Fall haben wir 2016 bereits die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- bedacht, und wir haben die Mitverlegung auf zumutbare nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Anträge beschränkt. Die Debatte darüber, was zumutbar Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ist, dauert angesichts unserer notwendigen Beschleuni- ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Bilger gungsabsicht aber bereits zu lange. Um die klaren Inves- für die Bundesregierung das Wort. titionsanreize der Regelung zu bewahren, wollen wir da- her mit der vorliegenden Gesetzesänderung die Grenzen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Zumutbarkeit der Mitverlegung klarstellen und die Ausbaudiskussion versachlichen. Steffen Bilger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Was heißt das im Einzelnen? Aufgrund europarecht- nister für Verkehr und digitale Infrastruktur: licher Vorgaben erstreckt sich die Koordinierungspflicht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf öffentlich mitfinanzierte Baustellen für Telekommu- Über wenige Themen wird in Deutschland zurzeit so nikationsnetze. In diesem Fall senkt eine gemeinsame engagiert diskutiert wie über die Versorgung mit digita- Verlegung zwar ebenfalls die Kosten aller Beteiligten, ler Infrastruktur. Und das ist auch gut so; denn mit dem zugleich werden hierdurch aber auch die potenziellen bislang in unserem Land Erreichten sind wir nicht zu- Kunden aufgeteilt und damit die Einnahmeerwartungen gesenkt. Insbesondere in Fördergebieten, in denen eine 1) Anlage 8 Markterkundung ergeben hat, dass bereits ein Breitband- 8346 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Parl. Staatssekretär Steffen Bilger (A) netz nicht wirtschaftlich gebaut und betrieben werden Uwe Kamann (AfD): (C) kann, führt diese Verunsicherung zu einer Investitionszu- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr rückhaltung, die die gesetzgeberische Intention der Be- verehrte Bürger, die noch wach sind! Wieder wird ein seit schleunigung des flächendeckenden Breitbandausbaus kurzem bestehendes Gesetz angepasst – wieder ein Ge- konterkariert. setz, das wie viele andere Gesetzestexte ohne die nötige Weitsicht verabschiedet wurde. Dabei scheint es der Re- Der durch den vorliegenden Gesetzentwurf einzufü- gierung auch vollkommen egal zu sein, ob dieses Gesetz gende Satz stellt klar, dass Anträge insbesondere dann seinen Zweck erfüllt oder ob daraus gravierende Nachtei- unzumutbar sein können, wenn durch die zu koordinie- le für den Großteil der Betroffenen entstehen. renden Bauarbeiten ein geplantes, öffentlich gefördertes Glasfasernetz, das einen diskriminierungsfreien offenen Sie hätten wissen müssen, dass das bisherige Gesetz Netzzugang zur Verfügung stellt, überbaut würde. Der von den großen Telekommunikationskonzernen viel zu Gesetzentwurf sucht dabei einen unionsrechtlich – das oft missbraucht wird. Erst weigern sich die Konzerne, muss man natürlich auch beachten – und ordnungspoli- Glasfaserleitungen, die wirtschaftlich unrentabel sind, tisch ausgewogenen Kompromiss, und ich denke, diesen zu verlegen, dann lässt man Gemeinden, Kommunen, ausgewogenen Kompromiss haben wir nun tatsächlich städtische Tochtergesellschaften langwierige Genehmi- gefunden. gungsverfahren durchführen, um anschließend schön Huckepack seine eigenen Leitungen kostengünstig in die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- vorhandenen Rohre zu verlegen. Das nennen Sie allen ordneten der SPD) Ernstes Infrastrukturwettbewerb. Wir nennen das Lob- byismus pur. Wichtig ist, zu betonen: Die auf Einzelfälle begrenzte Ablehnung der Baustellenkoordinierung für Wettbewer- Der Entwurf des BMVI hatte noch annähernd einen ber bedeutet keine Absage an eine wettbewerbliche Er- Lösungsansatz in der Beschreibung, in welchen Fällen schließung; denn die Landes- und Bundesförderung für Anträge auf Überbauung unzumutbar sind. Aber selbst den Breitbandausbau beinhaltet aufgrund europäischer dieser Entwurf wird von Ihnen, liebe Kollegen, von einer Vorgaben ohnehin Open-Access-Vorgaben für die späte- Feststellung in eine unscharfe Formulierung geändert. re wettbewerbliche Erschließung, also Vorgaben für ei- Haben Sie die Formulierung aufgeweicht, weil die Her- nen wettbewerbsoffenen Netzzugang. ren von der Deutschen Telekom hier interveniert haben, oder ist das eine nachträgliche Mitgift an das neue Auf- Meine Damen und Herren, dankenswerterweise haben sichtsratsmitglied der Telekom Stiftung? mir CDU/CSU und SPD so viel Vertrauen entgegenge- bracht, dass ich als einziger Redner für die Koalition in (Beifall bei der AfD) (B) (D) dieser Debatte reden darf. Leider wurde mir allerdings Ihre Änderungen schaffen mehr Unklarheiten und nicht die gesamte Redezeit der anderen Kollegen übertra- Rechtsunsicherheiten statt der erforderlichen Klarheit. gen. Deswegen muss ich zum Schluss kommen. Wir benötigen keinen solchen Infrastrukturwettbewerb, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) um echten Wettbewerb zu fördern. Was wir dagegen dringend benötigen, sind klare Zielsetzungen für den Ich will abschließend herzlich danksagen an die Mit- Ausbau ohne Hintertürchen. Man stelle sich vor: Bei glieder des Bundesrats und des Bundestags, die sich be- jeder Tiefbaumaßnahme in Deutschland würden statt ei- reits mit Positionierungen zu unserem Vorhaben einge- ner einzigen mehrere Stromleitungen verlegt werden. Zu bracht haben. Recht würde man sich fragen: Was soll das? Deutsch- lands Stromanbieter kommen mit einer Leitung klar. Der (Dr . Florian Toncar [FDP]: Der Bundesrat Strom, sogar der grüne, fließt durch eine einzige Leitung. fehlt heute! Der ist gar nicht da!) Jetzt stellt man sich zu Recht die Frage, warum das beim Glasfasernetz nicht auch gehen soll. Fördern Sie einen Wir haben bisher viel Unterstützung für unser Ziel und schnellen, effizienten und flächendeckenden Ausbau mit durchaus auch für unseren Lösungsansatz erfahren. Ich nur einem einzigen Netz. Auf diesem Netz kann dann freue mich auf die weitere Debatte. Wettbewerb stattfinden in einer Form, die wirtschaftlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und ökonomisch für alle Seiten, sowohl für die Bürger ordneten der SPD) als auch für die Unternehmen, von Vorteil ist. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Unternehmen müssten den Ausbau nicht allein fi- Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Da ja kein wei- nanzieren, und die Kosten für die Infrastruktur würden terer Redner der Koalition spricht, hätte ich Ihnen auch erheblich geringer ausfallen. keine Überschreitung der Redezeit insofern gutschreiben Wir brauchen endlich verantwortungsvolles und ziel- können, als ich sie woanders hätte abziehen können. Also gerichtetes Handeln, damit wir in diesem Land nicht hätte ich Sie jetzt auch bremsen müssen. noch weiter den Anschluss verlieren. Deshalb werden Als Nächster spricht zu uns der Kollege Uwe Kamann, wir dieser weichgespülten Änderung nicht zustimmen. AfD-Fraktion. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8347

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: heit aufgebaut werden muss – denn ohne Glasfaser gibt (C) Vielen Dank, Herr Kollege Kamann. – Der Kollege es keinen Mobilfunk – und dass zweitens die Beschleu- Gustav Herzog, SPD-Fraktion, hat vorbildlicherweise nigung des Netzausbaus eben nur durch Entbürokratisie- seine Rede zu Protokoll gegeben.1) rung und eine echte Vereinfachung beim konkreten phy- sischen Ausbau der Leitungen gelingt. Drittens bitten wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie: Nutzen Sie endlich auch die marktwirtschaftlichen Deshalb rufe ich als nächsten Redner den Kollegen Mario Mechanismen, die auch auf diesem Markt funktionieren. Mieruch, fraktionslos, auf. Ist Herr Kollege Mieruch im Dafür müssen Sie die Nutzerunternehmen einbinden. Saal? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Das ist schade Wie das praktisch umgesetzt werden kann, haben wir als für ihn und für uns, dass wir seine Ausführungen nicht FDP-Fraktion diverse Vorschläge unterbreitet, für deren hören können. Unterstützung ich hier mit dem Verweis auf unseren An- trag werben möchte. Dann spricht zu uns nunmehr die Kollegin Daniela Kluckert, FDP-Fraktion. Meine Damen und Herren, stimmen Sie dem Antrag in der jetzigen Fassung zu, oder nutzen Sie auch gerne sei- (Beifall bei der FDP) ne Inhalte. Hauptsache, der Netzausbau nimmt endlich sinnvoll Fahrt auf. Daniela Kluckert (FDP): (Beifall bei der FDP) Verehrter Herr Präsident, jetzt haben ja so viele ihre Reden zu Protokoll gegeben. Jetzt habe ich ganz viel Re- Und nur wenn wir diese drei Dinge auch beherzigen, dezeit. – Nein? Okay. dann schaffen wir es, dass Begriffe wie „autonomes Fah- ren“ und „E-Health“ die Begriffe „Funkloch“ und „Über- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tragungsabbruch“ vollständig ersetzen. Sie können Ihre Rede auch zu Protokoll geben, Frau (Beifall bei der FDP) Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Kluckert. – Die Kollegin Daniela Kluckert (FDP): Anke Domscheit-Berg, die ich in besonderer Weise er- Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- wähnen möchte, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben. legen! Meine Damen und Herren! Wenn wir die Begriffe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und „schnelles Internet“ und „Digitalisierung in Deutsch- (B) der SPD) (D) land“ sagen, dann müssen wir leider auch immer noch die Begriffe „langsames Internet“ und „Funkloch“ dazu- Die Kollegin Margit Stumpp, Bündnis 90/Die Grünen, denken. Denn hier hängt die Realität im Netzausbau den die in gleicher Weise lobend erwähnt wird, hat ihre Rede Versprechungen der Regierung massiv hinterher. Und zu Protokoll gegeben, und der Kollege Ulrich Lange, wissen Sie, meine Damen und Herren, wir reden hier fast CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede ebenfalls zu Proto- wöchentlich darüber, wie der Politikverdruss in Deutsch- koll gegeben.2) land um sich greift. Leere Versprechungen, Versprechun- gen, die über Jahre nicht gehalten werden – genau das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ist nämlich das Gras, auf dem die Populisten wachsen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Auswirkungen der leeren Versprechungen sehen wir Ich beende die Aussprache. bei der digitalen Infrastruktur. Hier nimmt Deutschland einen hinteren Platz ein. Sie, die Regierung, versprechen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen in Ihren Werbekampagnen, Prospekten und Reden – und auf den Drucksachen 19/6336, 19/6437 und 19/6398 an auch heute wieder, Herr Bilger –, dass Dinge wie autono- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- mes Fahren und E-Health ganz bald kommen. Aber die schlagen. – Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe und technische Basis für eine Gigabitgesellschaft zu organi- höre, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so sieren, gelingt Ihnen seit Jahren nicht. beschlossen. (Beifall bei der FDP) Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: Die Digitalpolitik der schwarz-roten Regierung ist seit Beratung des Antrags der Abgeordneten langem ein Stückwerk aus politischen Maßnahmen, das Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, Christine dem Flickenteppich, den wir in Deutschland bei der Ver- Aschenberg-­Dugnus, weiterer Abgeordneter und sorgung mit Highspeed-Internet haben, sehr ähnelt. der Fraktion der FDP Um beim Netzausbau endlich voranzukommen, drän- § 219a StGB unverzüglich streichen – Infor- gen wir, die FDP, auf drei Themen, die wir in unseren mationen über Schwangerschaftsabbrüche Antrag geschrieben haben: dass erstens beim Netzausbau zulassen das Mobilfunknetz mit dem Glasfasernetz für den Breit- bandausbau zusammengedacht und beides auch als Ein- Drucksache 19/6425

1) Anlage 9 2) Anlage 9 8348 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ter weit weg. Das, meine Damen und Herren, darf nicht (C) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- der Normalzustand sein. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nerin der Kollegin Nicole Bauer, FDP-Fraktion, das SPD und der LINKEN) Wort. Worauf ich aber in dieser Sache ausdrücklich hinwei- (Beifall bei der FDP) sen möchte und was ich auch klarstellen möchte, weil es so gerne von verschiedenen Parteien vermischt wird – das war auch in der öffentlichen Anhörung zu erken- Nicole Bauer (FDP): nen –: Wir sprechen eindeutig nur über den § 219a und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nur darüber und nicht über § 218 ff. gut einem Jahr diskutieren wir im Rahmen der #Me- Too-Debatte über Sexismus. Es geht um Grenzen, Res- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten pekt und Würde. Es geht auch darum, dass wir Frauen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE selbst über unseren Körper bestimmen und entscheiden. GRÜNEN) Ich stehe hier als junge Frau vor Ihnen, und glauben Sie Der dort gefundene Kompromiss ist das Ergebnis von mir: Wir können selbst über uns, unser Leben und vor langen gesellschaftlichen Diskussionen. Er bleibt davon allem unseren Körper bestimmen, unberührt. Genauso wenig sprechen wir von unangemes- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sener Werbung. Sie ist und bleibt verboten, und das ist der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- auch gut so, meine Damen und Herren. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE insbesondere auch in der sensiblen Frage einer Schwan- GRÜNEN) gerschaft. Was wir aber dazu brauchen, ist die Mög- lichkeit, uns sachlich, neutral zu informieren: Wo kann Wir sprechen heute über die Zukunft von § 219a. Seit medizinisch kompetent ein Schwangerschaftsabbruch Februar liegen dazu mehrere Gesetzentwürfe vor. Die vorgenommen werden? Darum geht es. Wenn ich als Bundesregierung hat uns versprochen, dass es schnell ei- Frau vor der Entscheidung stehe, ein Kind zu behalten nen Vorschlag geben wird. Ewig ist nichts passiert. Kurz oder nicht, dann ist das höchst emotional und eine abso- vor knapp gestern Abend die vermeintlich große Eini- lute Ausnahmesituation. Und ich will nicht, dass Frauen gung! Und nun werden wir wieder vertröstet. Werden Sie (B) und Ärzte verunsichert werden durch eine unklare Ge- endlich mal konkret! Wir brauchen Klarheit, und zwar (D) setzeslage. jetzt! (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was ich mir stattdessen in so einer Situation wünsche, sind Unterstützung, Aufklärung, gute Beratung und Be- gleitung. Genau das müssen wir ermöglichen: schnell, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: niedrigschwellig und medizinisch kompetent. Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (FDP): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicole Bauer § 219a muss weg. Das fordern wir heute. Deshalb wollen wir den § 219a abschaffen. Wir dürfen die Frauen nicht länger in dieser Situation alleinlassen Liebe SPD, gehen Sie mit gutem Beispiel voran, und und kriminalisieren, auch die Ärzte nicht. stimmen Sie heute mit uns für unseren Antrag für die Ab- schaffung des § 219a. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Urteil aus Gießen führt uns vor Augen, dass die Ge- setzeslage schlichtweg nicht mehr zeitgemäß ist. An uns liegt es nun, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaf- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fen, dass Ärzte auf ihren Webseiten die Informationen Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner zur Verfügung stellen können und dass wir Frauen selbst- spricht zu uns der Kollege Ingmar Jung, CDU/CSU-Frak- bestimmt und frei entscheiden können. Im bestehenden tion. System geht das nicht. Es mangelt an Transparenz. Es (Beifall bei der CDU/CSU) mangelt an aktuellen Listen mit den Einrichtungen, die solche Eingriffe vornehmen, und es mangelt an Ärzten. In meiner Heimatregion Niederbayern gibt es genau ei- Ingmar Jung (CDU/CSU): nen einzigen Arzt. Dieser ist 70 Jahre alt und eigentlich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- schon längst im Ruhestand. Der Nächste ist 120 Kilome- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Frau Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8349

Ingmar Jung (A) Bauer, ich bin Ihnen zunächst dankbar, dass Sie klarge- Dr. Marco Buschmann (FDP): (C) stellt haben, dass es für Sie hier nur um § 219a und nicht Herr Kollege Jung, eingedenk der schweren Vorwürfe, um § 218 und § 218 ff geht. Ich gebe zu: Ich nehme Ih- die Sie der FDP-Fraktion machen, frage ich: Ist Ihnen nen das ab. Aber wir hatten heute schon eine Debatte, bei bewusst, dass wir von Anfang an eine Beschlusslage hat- der wir feststellen mussten, dass es großen Teilen dieses ten und Ihnen auch ein Angebot gemacht haben, dass wir Hauses eben nicht nur um § 219a geht, Ihnen die Hand ausgestreckt haben für einen möglichst (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- breiten Kompromiss, dass Sie aber in die Hand gebissen NEN]: Das ist doch unredlich!) haben, die wir Ihnen entgegengestreckt haben, sondern um das gesamte Schutzkonzept, das Sie eben (Beifall bei der FDP – Zurufe von Abgeord- hervorgehoben haben. Das zu schützen, ist auch unsere neten der CDU/CSU und der SPD: Oh! Oh! – Aufgabe. ­Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jung, der Bei- ßer!) (Beifall bei der CDU/CSU) und dass wir – weil Sie in diese Hand gebissen haben – Ich kann der FDP auch nicht vollständig abnehmen, jetzt auf die Position, die wir von Anfang an für diesen dass es heute Abend um die Sache geht und um die Strei- Fall in Aussicht gestellt haben, zurückgehen? Oder haben chung des § 219a. Wir haben im Geschäftsgang noch Sie es möglicherweise verpasst, sich auf Ihre Rede ent- einen Gesetzentwurf der FDP, der den § 219a gestalten sprechend vorzubereiten? will. Jetzt soll der Paragraf abgeschafft werden, und die FDP tut so, als hätte sie uns damals ja nur einen Kom- (Beifall bei der FDP) promiss vorlegen wollen und wäre schon immer für die Streichung gewesen. Ingmar Jung (CDU/CSU): (Frank Sitta [FDP]: Den haben sie angenom- Herr Kollege Buschmann, wenn Sie eben genau zuge- men!) hört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ich sogar gesagt habe, dass ich Ihr Verhalten legitim finde. Sie hätten nur Wenn es Ihnen tatsächlich um den Kompromiss gegan- nicht verschleiern sollen, worum es Ihnen heute Abend gen wäre, wenn Sie tatsächlich schon damals den § 219a geht. Sie haben einen Vorschlag gemacht, der für uns hätten abschaffen wollen, dann frage ich mich, wie es zu nicht tragfähig war, weil er nicht einen angemessenen Ihrer Begründung kommt. Ich möchte kurz, Herr Präsi- Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen geschaffen dent, aus dem Gesetzentwurf zitieren: hat. Deswegen haben wir diesem Vorschlag bisher nicht zugestimmt, und deswegen werden wir jetzt den besseren Angesichts des hohen Wertes ungeborenen Lebens Vorschlag verfolgen, den die Ministerinnen und Minister (B) und der hohen Sensibilität breiter Teile der Bevöl- (D) unterbreitet haben. Das müssen Sie uns zugestehen. Da- kerung, die Schwangerschaftsabbrüche moralisch für muss man in keine Hände beißen, bei allem Respekt. kritisch sehen, sowie der Vergleichbarkeit anderer Fälle strafbarer Werbung ist eine strafrechtliche (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Sanktionierung weiterhin angemessen. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- So die FDP in der Debatte noch vor zwei Monaten! Heu- NEN]) te sind Sie plötzlich für die Abschaffung. Meine Damen und Herrn, lassen Sie mich wenigstens Meine Damen und Herren, Sie versuchen – das ist le- kurz zusammenfassen, was uns da gestern Abend vorge- gitim –, einen Konflikt, der zwischen den Regierungs- legt wurde. Sie haben gesehen, dass mehrere Punkte ver- fraktionen in den Auffassungen besteht – das ist ja gar einbart wurden – ich versuche, das so kurz wie möglich keine Frage –, auszunutzen; aber Sie missbrauchen die- zu machen –: Dazu gehören die Fortsetzung der Vermei- ses wichtige Thema dafür, und das ist nicht angemessen. dung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten auf der einen Seite – das gehört eben auch dazu – sowie (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Schutz des ungeborenen Lebens durch Prävention, bei der FDP, der LINKEN und dem BÜND- Aufklärung, Beratung und Hilfe auf der anderen Seite. NIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist etwas, was wir schon jetzt haben; aber es ist wich- tig, das festzustellen. Vorgeschlagen wird die gesetzliche Und Sie konnten natürlich, als Sie diesen Antrag gestellt Verankerung des staatlichen Informationsauftrages, dass haben, noch nicht wissen, dass es eine Vereinbarung zwi- die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für ge- schen den Ministerinnen und Ministern gibt, die von den sundheitliche Aufklärung alle Kontaktinformationen zur Regierungsfraktionen beauftragt waren. Lassen Sie mich Verfügung stellen können. Dann ist vereinbart, dass Qua- wenigstens kurz darstellen, was da gestern Abend ver- lifizierungsmaßnahmen für Ärztinnen und Ärzte durch- einbart wurde. geführt werden.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Und § 219a StGB – jetzt komme ich zum Knack- punkt – soll dahin gehend geändert werden, dass es dem- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des jenigen, der einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen Kollegen Dr. Marco Buschmann? möchte, zum einen erlaubt ist, die Information zu ge- ben, dass er diesen Eingriff vornimmt, und es ihm zum Ingmar Jung (CDU/CSU): anderen erlaubt ist, auf die Kontaktinformationen der Ja, bitte. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der 8350 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Ingmar Jung (A) Bundesärztekammer zu verweisen. Drittens. Neben die- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) sem Informationsrecht, das wir in dieser Einigung zuge- Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Als nächster Red- stehen, bleibt aber die darüber hinausgehende Werbung ner hat das Wort der Kollege Jens Maier, AfD-Fraktion. verboten. Das ist ein Punkt, der uns natürlich nicht ganz unwichtig ist. (Beifall bei der AfD)

Ich sage Ihnen ganz offen: Auch der Kompromiss, ge- Jens Maier (AfD): rade der letzte Punkt, ist für uns in der CDU/CSU-Frak- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und tion schwierig; das wissen Sie. Ich sage aber auch, wa- Herren! Liberal ist im liberalen Sinne nicht nur liberal, rum. Weil für uns natürlich eine Aufweichung des § 219a möchte man mit Loriot sagen, wenn man nun den zwei- StGB aus vielen Gründen, über die wir hier schon mehr- ten Antrag der FDP-Fraktion zum Thema § 219a StGB mals miteinander diskutiert haben, extrem schwierig ist. sieht. Aber ich werde dafür werben, dass wir diesen Vorschlag, diesen Kompromiss am Ende umsetzen, weil ich weiß, (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es ist nicht dass es für die Kolleginnen und Kollegen der SPD an der witzig, mit Loriot zu beginnen!) Stelle genauso schwierig ist, diese Vereinbarung so zu treffen. – Deshalb bin ich Ihnen sehr dankbar, dass wir Es ist schon erstaunlich, mit welcher moralischen Be- an der Stelle zusammengefunden haben. Ich hoffe, dass weglichkeit die Liberalen unterwegs sind. Hat man im wir den Kompromiss am Ende auch so umsetzen werden. ersten Antrag, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – NEN]: Das ist ein Gesetzentwurf! Wenn Sie Dr. Florian Toncar [FDP]: Da sind wir mal nur richtig lesen würden!) gespannt!) der nach seiner Überweisung noch im Rechtsausschuss Ich will noch einmal deutlich machen, warum wir an schwebt und dort gestern wieder von der Tagesordnung der Stelle so dogmatisch sind. genommen wurde, noch eine Beibehaltung des § 219a StGB in geänderter Form gefordert, will man ihn nun (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ja, dogma- ganz streichen und schlägt sich damit vollständig auf die tisch!) Seite der Links-Grünen, die das ja auch wollen. Wir haben eben vom Selbstbestimmungsrecht der Frau (Zuruf von der LINKEN: Ist ja ganz was geredet. Frau Bauer, das ist ein hohes Rechtsgut, gar kei- Schlimmes!) ne Frage; aber wir sind hier in einer Situation, in der wir (B) – Ja, das ist schlimm. (D) widerstreitende Grundrechtsgüter haben. An dieser Stelle muss man zu einer vernünftigen Abwägung kommen, und Hier hat die FDP-Fraktion nun endgültig die Maske das Bundesverfassungsgericht – nicht nur das – hat uns fallen gelassen. deutlich gemacht: Es gibt den Schutz des ungeborenen Lebens mit Grundrechtscharakter, und aufgrund des Un- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lachen termaßverbotes gibt es auch eine staatliche Schutzpflicht bei der FDP) für das ungeborene Leben gegen den Eingriff Dritter. Das Wenn es darum geht, die eigene Klientel zu bedienen, dürfen wir an der Stelle nicht völlig vernachlässigen. dann gibt es bei den Liberalen keine Schamgrenze. In der Vergangenheit scheute man nicht davor zurück, Steuer­ (Beifall bei der CDU/CSU) erleichterungen für die Inhaber von Privatflugzeugen durchzusetzen und diese Leute zu bedienen. Nun hat man Bedenken Sie noch eines: Die Abwägung ist so pro- eine neue Klientel entdeckt: die Abtreibungsärzte bzw. blematisch, weil man das Schutzrecht, das Rechtsgut des die Abtreibungsindustrie. Denen will man helfen, die ungeborenen Lebens, in einer Abwägung eben nicht ein- will man vor Strafanzeigen schützen. Toll! schränken kann. Sie können es nur gewähren oder nicht gewähren. Wenn Sie den Schwangerschaftsabbruch für (Lachen bei Abgeordneten der FDP) zulässig erklären, wofür es in bestimmten Fällen Gründe gibt, dann führt das zum Totalverlust des Rechtsguts. Bei dieser Hilfsaktion blickt man nur auf das Kleine, aber das Big Picture wird ausgeblendet, nämlich die Frage, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) was dabei schlussendlich herauskommt. Die Streichung des § 219a StGB ist nämlich der Einstieg in den Ausstieg, Das kann in Einzelfällen zulässig sein. Aber genau des- in den Ausstieg aus dem Schutz des ungeborenen Lebens. halb – das ist für uns klar – muss es ein absoluter Aus- (Beifall bei der AfD) nahmefall bleiben. Deshalb sind wir an der Stelle so dog- matisch. Deshalb halten wir auch die Werbung durch die, Wie die Jusos über den Schutz des ungeborenen Le- die das vornehmen, für problematisch. Da werden wir bens denken, wurde auf ihrem Bundeskongress Anfang auch in Zukunft so strikt bleiben. Ich hoffe, wir kommen des Monats unverhohlen ausgesprochen und mit großer da noch näher zusammen. Mehrheit beschlossen: Streichung des § 218 StGB, was Abbrüche bis in den neunten Monat hinein erlauben wür- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. de. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8351

Jens Maier (A) Dazu hat sich die AfD-Fraktion heute in der Aktuellen Für uns von der AfD ist der Schutz des ungeborenen (C) Stunde schon ausführlich und eindeutig geäußert. Lebens nicht verhandelbar. Wir lehnen daher jeden Ein- griff in das Gesamtkonzept des Schutzes ungeborenen Auch Cornelia Möhring von den Linken, die wir heu- Lebens ab. te Nachmittag in der Aktuellen Stunde schon erleben durften, hat sich in der Laudatio – Laudatio! – zur Preis- Vielen Dank. verleihung des Clara-Zetkin-Preises an Frau Kristina Hänel – das ist die Ärztin, die alles ins Rollen gebracht (Beifall bei der AfD) hat – deutlich geäußert. Zitat: Zurzeit kämpfen wir gemeinsam darum, dass der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: § 219a StGB gestrichen wird. Und eines steht jetzt Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kol- schon fest: Er wird in der jetzigen Form nicht mehr lege Johannes Fechner das Wort. lange im Strafgesetzbuch stehen. Wir wollen, dass (Beifall bei der SPD) das Thema Schwangerschaft irgendwann ganz aus dem Strafgesetzbuch verschwindet. Dr. Johannes Fechner (SPD): Das ist das, was Sie wollen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- Lieber Gast auf der Tribüne! Die SPD-Fraktion hat eine KEN: Ja!) glasklare Haltung: Wir wollen für Ärztinnen und Ärz- te Rechtssicherheit, wir wollen keinen strafrechtlichen Wie wir sehen, soll hier nach der Salamitaktik eins nach Druck, und wir wollen, dass sich Frauen in schwieriger dem anderen kommen: erst die Abschaffung des § 219a Situation einfach informieren können. Das ist unsere StGB und dann irgendwann die Abschaffung des § 218 glasklare Position. Deshalb sind wir der Meinung, dass StGB. § 219a StGB eigentlich abgeschafft werden müsste, liebe (Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Da haben Sie ja Kolleginnen und Kollegen. was Tolles entdeckt!) (Beifall bei der SPD und der FDP) Wenn wir nun den Kompromiss der Großen Koalition betrachten, der gestern vorgestellt wurde, dann fällt vor Aber anders als die FDP, die den vorliegenden Antrag allem eins auf: Die CDU knickt wieder ein und macht eingebracht hat, haben wir uns nicht vor der Regierungs- einen weiteren Schritt nach links, in Richtung SPD. verantwortung gedrückt, (B) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: (D) Oh! Oh!) Die CDU gefährdet damit mittelfristig – weil die Diskus- sion nicht abreißen wird – den Schutz des ungeborenen sondern wir sind eine Koalition eingegangen, und das be- Lebens, und das unnötigerweise. deutet eben, dass man manchmal Kompromisse machen muss. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wann ist die Redezeit zu Ende?) Jetzt wollen wir einen Kompromiss machen, weil wir zeitnah dafür sorgen wollen, Es gibt keine nennenswerte Anzahl von Verurteilungen gemäß § 219a StGB, was darauf hindeutet, dass die Ärzte (Stephan Thomae [FDP]: Kaum ein Jahr spä- sehr wohl in der Lage sind, mit dieser Vorschrift umzu- ter!) gehen. 2016 hat es eine Verurteilung gegeben. Es exis- tiert auch kein Informationsdefizit bei Frauen, die einen dass sich die Frauen einfacher informieren können und Abtreibungsarzt suchen, wie immer behauptet wird, wie die Ärzte rechtssicher Informationen weitergeben kön- vorhin schon wieder von Ihnen behauptet wurde. nen. Das ist unser Ziel, und deswegen sind wir kompro- missbereit. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein! Pro familia!) (Stephan Thomae [FDP]: Wir haben ein gutes Angebot unterbreitet!) Wäre es anders, dann wäre es seit 1993 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nicht zu über 2,7 Mil- Nun gibt es das Papier der Bundesregierung. Und ja, lionen Abtreibungen gekommen. Gegenwärtig gibt es ich hätte mir auch gewünscht, dass dort konkreter be- 100 000 Abtreibungen auf 700 000 Geburten. Das sind schrieben ist, wie denn nun § 219a StGB aus Sicht der 100 000 Abtreibungen zu viel, meine Damen und Herren. Bundesregierung geändert werden soll. Aber immerhin ist jetzt klargestellt vonseiten der Bundesregierung, dass (Beifall bei der AfD) der Tatbestand des § 219a StGB geändert wird. Das hat Hier wäre es für die CDU dringend geboten, einmal Hal- die Union bisher immer abgelehnt. Deswegen ist das jetzt tung zu zeigen und nicht wieder des blanken Machter- ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Für die halts wegen vor den Linken auf die Knie zu gehen. Mei- SPD ist klar: Ärztinnen und Ärzte müssen rechtssicher ne Damen und Herren von der Union, wofür steht das C informieren können über Schwangerschaftsabbrüche. in Ihrem Namen? Für den Halbmond, oder wofür? Deswegen wird die SPD-Fraktion keinem Kompromiss zustimmen, der § 219a StGB nicht so abändert, dass Ärz- (Beifall bei der AfD) tinnen und Ärzte sachliche Informationen über Schwan- 8352 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Johannes Fechner (A) gerschaftsabbrüche weitergeben können. Das ist unsere scheinheilig und dem Ernst des Themas nicht angemes- (C) ganz klare Position. sen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: Dass staatliche Stellen nach dem Papier der Bundes- Wenn wir nicht tätig geworden wären, wären regierung informieren sollen, das ist gut; aber das allei- Sie es auch nicht!) ne reicht eben nicht. Zu Recht heißt es deshalb in dem Papier, dass auch staatliche Einrichtungen informieren Die Position der SPD ist klar: Wir wollen, dass Ärztin- können. Sie sollen also auch informieren, also zusätzlich nen und Ärzte über Schwangerschaftsabbrüche sachlich zu den Informationen, die die Ärzte selbst geben dürfen. informieren können und dass sie das mit Rechtssicherheit und vor allem ohne strafrechtlichen Druck tun können. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Dafür engagieren wir uns. Gerade weil es immer mehr Strafanzeigen gegen Ärztin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stephan nen und Ärzte gibt, ist es gut, dass das Gesetzgebungs- Thomae [FDP]: Stimmen Sie unserem Antrag verfahren jetzt in Gang kommt. Es ist höchste Zeit. Wir zu?) erwarten sehr gespannt den Gesetzentwurf mit den De- Deshalb werden wir keine faulen Kompromisse schlie- tailregelungen für Januar 2019. ßen, die den § 219a StGB nicht ändern und es Ärzten (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: weiterhin verbieten, sachlich über Schwangerschaftsab- Wir auch!) brüche zu informieren. Diesen heutigen Zustand wird die SPD beenden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Liebe Kollegen von der FDP, vor wenigen Monaten waren Sie noch gegen die Streichung und haben statt- Vielen Dank. dessen einen Antrag auf Tatbestandsreduzierung, also auf (Beifall bei der SPD) Beibehaltung des § 219a StGB, gestellt. (Zuruf des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Schönen Dank, Dr. Johannes Fechner. – Als Nächstes Gerade einmal zehn Monate nachdem Sie diese Position spricht zu uns die Kollegin Cornelia Möhring, Fraktion vertreten haben, ändern Sie Ihre Meinung und vertreten Die Linke. plötzlich eine neue Position. (Beifall bei der LINKEN) (B) (Stephan Thomae [FDP]: Das ist eine vermit- (D) telnde Lösung gewesen, die Sie nicht ange- nommen haben!) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Dabei haben Sie sich noch nicht einmal die Mühe ge- diskutieren jetzt schon seit über einem Jahr über die not- macht, einen eigenen Gesetzentwurf zu formulieren, wendige Streichung des § 219a StGB. sondern Sie bitten die Bundesregierung, einen Gesetz- entwurf vorzulegen. Ein kleiner Rückblick: Die Linke legt hier zeitgleich mit dem ersten Prozess gegen Kristina Hänel einen ent- (Stephan Thomae [FDP]: Gibt es denn von sprechenden Gesetzentwurf vor. Die Grünen ziehen Ihnen einen dazu? blitzschnell nach, die SPD auch. Die SPD blockiert sich dann aber ebenso blitzschnell und lässt sich seitdem von Ich finde, das ist eine schwache Leistung. Das werden der Union am Nasenring durch die Manege führen. wir so auch nicht unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die FDP hat erkannt, dass sich die Union eh nicht bewe- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vorschrift des gen wird, und legt sich heute mit ihrem Antrag auf eine § 219a StGB wurde im Mai 1933 eingeführt. Ich möchte Streichung fest. Das begrüße ich sehr. das ausdrücklich sagen, damit auch die geistige Herkunft dieses Paragrafen hier einmal genannt ist. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Stephan Thomae [FDP] und Ulle Schauws (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) LINKEN) Zwischendrin gab es zahlreiche Fachgespräche, An- Diese Vorschrift ist also viele Jahrzehnte alt. In der Bun- hörungen, Debatten hier im Plenum und eine unglaublich desrepublik hat die FDP nicht weniger als sieben Justiz- breit getragene Unterstützung der Forderung nach Strei- minister und eine Justizministerin gestellt und 30 Jahre chung des § 219a StGB von sehr vielen Verbänden und lang das Justizministerium geführt. Kein einziger dieser der Zivilgesellschaft. Justizminister hat in diesen 30 Jahren auch nur irgendei- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Die nen Versuch unternommen, diese Vorschrift zu streichen ­„Zivilgesellschaft“!) oder zu reformieren. Aber jetzt, kurz bevor die Regie- rung einen eigenen Entwurf vorlegt, kommen Sie mit Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das genauso wie dem Thema um die Ecke. Ich finde, das ist ein Stück weit wir, und morgen wird im Bundesrat wahrscheinlich auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8353

Cornelia Möhring (A) entsprechend über die Gesetzesanträge der Länder abge- den Sie mit Sicherheit auch nicht liefern können; denn (C) stimmt. das Gegenteil ist der Fall. Ungewollte Schwangerschaf- ten lassen sich übrigens immer noch am besten dadurch Aber nicht nur das: Es gibt leider auch viele neue An- verhindern, dass man aufklärt und verhütet und indem zeigen und weitere Prozesse. Die Informationsfreiheit Verhütung und Aufklärung für alle zugänglich sind. von Frauen wird immer noch nicht gesichert, und die Versorgungslage verschlechtert sich zunehmend. Welt- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- weit organisierte Gruppen, deren Ziel es ist, Frauen den neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) legalen Abbruch faktisch nicht mehr zu ermöglichen, werden immer dreister, frecher, übergriffiger und, ja, Sollte dieser sogenannte Kompromiss nicht daran ge- auch gewalttätiger. Mit Gehsteigbelästigungen werden messen werden – Johannes Fechner hat das eben noch Frauen beschimpft, und Ärztinnen und Ärzte werden mal gesagt –, ob die Informationsfreiheit von Frauen ge- durch Anzeigen schikaniert, eingeschüchtert und krimi- währleistet wird und es keinen weiteren Fall Hänel mehr nalisiert. Mein Fazit und das der Linken ist da ganz klar: geben kann? Das ist in diesem Falle aber nicht so. Die So darf es nicht weitergehen. Webseite von Kristina Hänel würde immer noch straf- rechtlich verfolgt. Beide Punkte sind nicht gewährleistet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich finde, ehrlich gestanden: Nehmt euch ein Beispiel an den Nie- Ich muss ganz ehrlich sagen: Vor diesem Hintergrund dersachsen! Gebt die Abstimmung frei! Befreit euch aus kann ich über die gestern vorgestellten Eckpunkte nur der Zwangsumarmung mit der Union! Gemeinsam kön- noch fassungslos den Kopf schütteln. Ich finde, das, was nen wir den § 219a noch abschaffen. der Kollege Jung und der Kollege Fechner hier gesagt haben, ging ziemlich weit auseinander. Vielen Dank. Der § 219a soll bestehen bleiben. Dabei wissen wir (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- alle, dass er eine völlig veraltete Norm ist und dass es NIS 90/DIE GRÜNEN) in einer digitalisierten Informationsgesellschaft geradezu anachronistisch ist, wenn sich Frauen nicht in kurzer Zeit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: selber im Internet informieren dürfen. Offensichtlich sol- Vielen Dank, Frau Kollegin Möhring. – Als Nächstes len Ärztinnen und Ärzte für weiter gehende Informatio- spricht zu uns die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die nen auf staatliche Stellen verweisen. Das heißt doch, dass Grünen. die Fachleute immer noch nicht auch über diese fachli- chen Fragen informieren dürfen. Das kann nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Sie wollen unbedingt das Werbeverbot beibehal- Kollegen! Ich bin froh, dass die FDP uns heute noch ten. Dabei ist ein Werbeverbot im Zusammenhang mit mal Gelegenheit gibt, über das zu reden, worum es beim Schwangerschaftsabbrüchen unsinnig. Keine Ärztin und § 219a StGB eigentlich geht, nämlich um das Strafrecht. kein Arzt will dafür werben. Sie können damit wahrlich auch nicht reich werden, und Frauen würden sich dafür Der ministerielle Text von gestern Abend ging leider auch nicht werben lassen. Im Übrigen noch eine Anmer- völlig am Thema vorbei. Entweder man will Informatio- kung zur Debatte: Frauen treiben nicht ab, weil sie dafür nen durch Ärztinnen und Ärzte bestrafen oder eben nicht. Infos bekommen. Beides kann man nicht nebeneinander ins Gesetz schrei- ben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, GRÜNEN) bei der FDP und der LINKEN) Hier sei mir doch mal eine Frage an die Union erlaubt: Spätestens mit der Entscheidung des Berufungsge- Wann ist die Union eigentlich gegen Werbeverbote? Ich richts in Sachen Hänel ist klar geworden: Bei dieser Ver- habe gerade gehört, beim Tabak. urteilung handelt es sich nicht um ein Fehlurteil, sondern es geht um ein fehlerhaftes Gesetz. Die Rechtsprechung (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – ist an Recht und Gesetz gebunden. Das kann man auch Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau!) durch politische Nebenabsprachen nicht ändern. In dem Zusammenhang hat der Herr Kauder gesagt – Die entsprechenden Gesetzesvorschläge liegen vor ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –, der „mündige Bürger“ und wurden bereits zu Jahresbeginn in den Bundestag habe „das Recht, sich frei eine Meinung zu bilden“. Hört! eingebracht – auch der Entwurf der SPD. Wir hatten eine Hört! Mich würde schon interessieren, wie viel ihr Bun- Expertenanhörung, in der viele Experten die Abschaf- desparteitagssponsor Philip Morris hingelegt hat. fung dieser Strafrechtsnorm nicht nur für sinnvoll, son- (Beifall bei der LINKEN) dern auch für verfassungsrechtlich geboten hielten. Ich zitiere noch einmal das Bundesverfassungsgericht: Einen Beleg für Ihr anderes Argument, dass die Ab- bruchzahlen in den Ländern hochgehen, in denen es kein Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche gibt, wer- von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröff- 8354 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Katja Keul (A) net, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen ... Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen Ja, bitte sehr. seine Dienste in Anspruch nehmen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bei der FDP und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der SPD) Bitte, Frau Kollegin Motschmann. Nichts anderes hat Frau Hänel gemacht, und dafür (CDU/CSU): musste das Gericht sie nach § 219a verurteilen. Leider Elisabeth Motschmann wurden seit Juli die überwiesenen Gesetzentwürfe im Frau Kollegin, es gibt in Deutschland 100 000 Abtrei- Rechtsausschuss von Union und SPD immer wieder von bungen im Jahr. Offenbar sind 100 000 Frauen an die der Tagesordnung gestimmt, zuletzt gerade erst gestern. nötigen Informationen gekommen. Für wie blöd halten Sie eigentlich die Frauen, dass Sie annehmen, dass sie (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufgrund der derzeitigen Rechtsprechung nicht an die NEN]: Ja!) notwendigen Informationen kommen? Das ist so leicht Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Ihre und so unkompliziert. Argumentation gegen die Abschaffung dieser Strafnorm (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist inhaltlich nicht konsistent. Sie behaupten, es gehe bei NEN]: Sie sind in der Frauen Union!) den Strafnormen zum Schwangerschaftsabbruch um eine Gesamtkonstruktion, die zusammenbrechen werde, wenn Ich habe noch nicht eine Frau getroffen, die abtreiben man einen einzigen Baustein verändere. Das Gegenteil wollte und nicht die nötigen Informationen bekommen davon ist vielmehr richtig. Der § 219a ist schon deshalb hat. keine tragende Säule des Kompromisses von 1993, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wie sollten Sie (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- auch!) SES 90/DIE GRÜNEN) Erklären Sie mir also bitte mal, warum Sie hier an diesem weil er bereits vor dieser Zeit identisch so existierte und Gesetz was ändern wollen. bei der Neuregelung schlicht vergessen worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Das zeigt sich schon daran, dass der § 219a nach wie vor Vielen Dank für diese Frage. – Das ergibt sich ja ge- (D) nicht zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Abtrei- rade aus dem Urteil gegen die Frau Hänel; denn die ak- bungen differenziert. tuelle Lage führt dazu, dass Ärztinnen und Ärzte genau wegen dieser Situation zu Freiheitsstrafen und Geldstra- Außerdem geht es hier gerade nicht darum, den befrie- fen verurteilt werden, und das kann ja wohl nicht sein. – deten Konflikt um den § 218 wieder aufzumachen, wie Damit ist Ihre Frage beantwortet. Sie es uns ständig unterstellen. Wenn Sie beim § 219a StGB jetzt allerdings nicht handeln und immer mehr an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, geklagte Ärztinnen und Ärzte verurteilt werden, dann bei der SPD, der FDP und der LINKEN) sind Sie es, die diesen Konflikt unnötigerweise eskalie- ren. Ich hatte Ihnen gerade gesagt, dass Sie es letztlich sind, die den Konflikt eskalieren, wenn Sie bei § 219a (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nicht handeln; denn die sogenannten Lebensschützer ste- bei der FDP und der LINKEN) hen schon bereit, die alten Gräben wieder aufzureißen, wie wir das heute an der Aktuellen Stunde der AfD ja Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auch sehen konnten. Diese nutzen die Defizite des Geset- Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der zes nämlich, um flächendeckend Strafanzeigen zu erstat- Kollegin Motschmann aus der CDU-Fraktion? ten, und das trifft vor allem die Ärztinnen und Ärzte, die letztlich den Kompromiss von 1993 praktisch umsetzen Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und die Durchführung legaler Abbrüche sicherstellen. Wer? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nur die Streichung dieses Straftatbestandes kann verhin- Frau Motschmann. dern, dass wir in den kommenden Monaten eine Verurtei- lung nach der anderen erleben müssen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ach Quatsch!) Die FDP wollte Ihnen mit einem Entwurf, der nur teil- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: weise Streichungen enthielt, sogar noch Brücken bauen. Sie können dann auch noch länger reden. Aber auch diesen Weg sind Sie nicht mitgegangen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8355

Katja Keul (A) Ich bin froh, dass die FDP deshalb mit dem heutigen An- Auf der einen Seite steht das Recht der Frau auf (C) trag nun auch die Streichung des gesamten Tatbestandes Selbstbestimmung – ohne jede Frage –, und auf der an- fordert. Dieser Antrag findet unsere volle Zustimmung. deren Seite steht das Recht des ungeborenen Kindes auf Schutz und Würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) (Zuruf von der FDP: Zum Thema! – Heike Nun zur SPD. Wenn Sie noch einen Funken Glaub- Hänsel [DIE LINKE]: Darum geht es doch gar würdigkeit verteidigen wollen, dann lassen Sie uns in der nicht beim § 219a!) nächsten Ausschusssitzung über unsere Gesetzentwürfe Dieser Grundrechtskonflikt wurde nach einem langen debattieren. Wir wären nach wie vor bereit, dem Ent- Ringen über 40 Jahre hinweg durch eine liberale Fris- wurf der SPD zuzustimmen. Das, was Ihre Ministerinnen tenlösung, ergänzt um die Pflicht zur Beratung, beendet. gestern Abend aufgeschrieben haben, ist rechtsstaatlich gesehen grober Unfug, und gerade die Justizministerin Die jetzige Rechtslage besagt, dass die Frau frei ist in müsste das eigentlich wissen. ihrer Entscheidung und mit ihrem Gewissen ausmachen muss, wie sie den Konflikt löst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) (Zuruf von der FDP: Zum Thema!) Ein überschießender, teilweise verfassungswidriger Aus der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Lebens- Straftatbestand wird durch eine Ergänzung nicht ge- schutz und zur Bewahrung der Würde des ungeborenen heilt. Gerade im Strafrecht, dem schärfsten Schwert des Lebens erwächst aber die Pflicht zur Beratung. Das ist Rechtsstaates gegen seine Bürger, gelten der Bestimmt- die aktuelle Rechtslage. Aus dieser Rechtslage ergibt heitsgrundsatz und das Gebot der Rechtsklarheit. sich letztlich auch ein Schutzkonzept, Stehen Sie zu Ihrem bisherigen Gesetzentwurf, und (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: So ist das!) lassen Sie uns den hier im Januar 2019 mit einer klaren Mehrheit aus FDP, SPD, Grünen und Linken verabschie- und das Werbeverbot ist Teil dieses Schutzkonzeptes. den! (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Eva Högl [SPD]: Es geht um Information, nicht um Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Werbung!) Würden Sie bitte zum Schluss kommen, Frau Kolle- gin! Der Gesetzgeber darf sich doch nicht widersprüchlich verhalten. (B) (D) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es mag sein, dass Ihre Koalition dann am Ende ist; Genau!) aber die SPD hätte im Abgang noch einmal Rückgrat be- Auf der einen Seite verlangt der Gesetzgeber eine auf wiesen und einen unhaltbaren Zustand beseitigt. Lebensschutz ausgerichtete Beratung. Wie würde der Gesetzgeber die auf Lebensschutz ausgerichtete Bera- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tung denn sicherstellen, wenn er auf der anderen Seite Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Werbung für Abbrüche erlauben würde? Das passt nicht zusammen, und deswegen gehört der § 219a StGB zum Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schutzkonzept. Die betroffenen Ärztinnen, Ärzte und Frauen würden (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Eva Högl es Ihnen danken. [SPD]: Wer wirbt denn für Abbrüche?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Meine Damen und Herren von der FDP, die verfas- bei der FDP und der LINKEN – Manfred sungsrechtliche Einordnung verbietet auch, dass Sie hier Grund [CDU/CSU]: Das war das entscheiden- einen Antrag zur Abstimmung stellen, der einzig und de Wort: „Abgang“!) allein taktisch motiviert scheint. Im Gesetzentwurf vom 20. Februar dieses Jahres haben Sie die verfassungsrecht- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: liche Einordnung noch richtig vorgenommen. Ich zitiere Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Als Nächster aus Ihrem Gesetzentwurf: spricht zu uns der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/ Angesichts der hohen Bedeutung des ungeborenen CSU-Fraktion. Lebens erscheint jedoch eine strafrechtliche Reak- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte tion ... [DIE LINKE]: Wieso spricht eigentlich nicht Frau Motschmann?) – gemeint ist § 219a – insgesamt angezeigt. (CDU/CSU): Dr. Volker Ullrich (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Hört! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Hört!) ren! Ich möchte die Debatte noch einmal grundrechtlich einordnen, weil es um Werte und Grundrechte geht. Sie führen darin weiter aus: 8356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Volker Ullrich (A) Es wäre möglich, den Straftatbestand des § 219a Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) StGB vollständig zu streichen. Dies wird jedoch Herr Kollege Dr. Ullrich, herzlichen Dank. – Als letzte nicht dem staatlichen Schutzauftrag für das ungebo- Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt spricht zu uns rene Leben gerecht ... die Kollegin Gülistan Yüksel, SPD-Fraktion. Sie zitieren dann auch noch die Fundstelle für das Ur- (Beifall bei der SPD) teil des Bundesverfassungsgerichts. Sie waren im Febru- ar also bereits klüger. Gülistan Yüksel (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Thomae Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge- [FDP]: Wir wollten Brücken bauen, die Sie ehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Auf der nicht beschritten haben!) Besuchertribüne befindet sich immerhin eine Dame: Gu- ten Abend! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Mann, Deswegen machen wir noch mal darauf aufmerksam, der Dr. Kristina Hänel aus Gießen anzeigte, erzählte in dass für die Union eine Abschaffung des § 219a nicht einem Interview mit der „taz“ freimütig – ich zitiere –: infrage kommt. Wir machen aber auch deutlich, dass wir Ich überlege mir: Wo würden schwangere Frauen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner Unwägbar- im Internet suchen? Also auf Seiten von Arztpraxen. keiten und Informationsdefizite beseitigen wollen. Ich gucke dann, ob ich auf Seiten stoße, auf denen Wir wollen, dass die Bundesärztekammer und die angegeben ist, dass Schwangerschaftsabbrüche vor- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besser genommen werden. Wenn das der Fall ist, dann er- informieren können, und wir wollen auch, dass die Ärzte statte ich online Strafanzeige. ihrer Verantwortung gerecht werden können, sodass die Diese Kaltherzigkeit halte ich für unerträglich. Information, wenn Ärzte informieren, nicht unter Straf- rechtsvorbehalt steht. Das wollen wir im Jahr 2019 ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meinsam entwickeln, und das wollen die beiden Fraktio- der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- nen der Großen Koalition auch in Gesetzesform gießen. SES 90/DIE GRÜNEN)

Aber klar sein muss auch: Ein Schwangerschaftsab- Alle, die auch nur etwas Empathie haben, müssen darü- bruch ist kein medizinischer Eingriff wie jeder andere. ber empört sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen nicht, dass für Schwangerschaftsabbrüche Eine ungewollte Schwangerschaft lässt Frauen ver- geworben wird. Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein zweifeln und bringt sie in eine sehr belastende Ausnah- normaler Eingriff; es ist nicht etwas wie Zähnebleichen (B) mesituation. In dieser Ausnahmesituation dürfen wir sie (D) oder was anderes. Es geht um den Schutz des menschli- als Gesellschaft und Politik nicht alleinelassen. chen Lebens, und da haben wir einen verfassungsrecht- lichen Auftrag. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Dr . Hänel hat auf ihrer Internetseite sachlich über die Ich bin mir sicher, dass wir dieser verfassungsrecht- von ihr selbstverständlich legal durchgeführten Schwan- lichen Pflicht gemeinsam Rechnung tragen werden. Wir gerschaftsabbrüche informiert und ist infolgedessen zu werden Informationen dort, wo sie geboten und verfas- einer Geldstrafe von 6 000 Euro verurteilt worden. Das sungsrechtlich zulässig sind, auf alle Fälle verbessern. kann nicht sein. Für uns als Gesetzgeber heißt dies: Wir Wir werden aber insgesamt an diesem Konzept nichts müssen handeln; denn leider sorgt die gegenwärtige ändern. Das Konzept heißt ganz klar, dass es eine Pflicht Rechtslage dafür, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte un- zur Beratung gibt. Diese Beratung hat den Sinn und ter Druck gesetzt fühlen und nicht offen und sachgemäß Zweck, sich für das Leben zu entscheiden. Wenn sich je- informieren dürfen. Wir wollen dies aber ermöglichen. mand nicht für das Leben entscheiden kann, ist es eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gewissensfrage, und dann muss eine Frau auch Zugang zu einem Arzt und zu Informationen haben. Aber dieses Bisher laufen Frauen Gefahr, auf zwielichtigen Web- Gesamtkonstrukt, das eben auch ein Werbeverbot bein- seiten von fundamentalistischen, selbsternannten Le- haltet, werden wir nicht zur Disposition stellen. bensschützern zu landen. Statt sachlicher Informationen im Interesse der Frauen steht hier die Missionierung für (Beifall bei der CDU/CSU) die eigene rückwärtsgewandte Ideologie im Vordergrund. Wir werden eine kluge Fortentwicklung vornehmen; (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber wir werden im Sinne des lang erarbeiteten Kom- So werden ungewollt schwangere Frauen massiv unter promisses und im Sinne des Lebensschutzes nicht darauf Druck gesetzt. verzichten können, dass dieses Konstrukt insgesamt bei- behalten wird. Lassen Sie uns gemeinsam an einer klu- Die Verfechter des § 219a stellen auch in den Raum, gen Lösung arbeiten. man würde mit der Streichung Tür und Tor für reißeri- sche Werbung öffnen. Das ist doch absurd. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der CDU/CSU) LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8357

Gülistan Yüksel (A) Wer so etwas unterstellt, hat sich noch nie ernsthaft in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) die Gefühlswelt einer verunsicherten, ungewollt schwan- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit schließe ich die geren Frau hineinversetzt und meint, dass Frauen nicht Aussprache. selbstständig verantwortlich entscheiden können. Wir kommen zum Antrag der Fraktion der FDP auf (Beifall bei der SPD) Drucksache 19/6425 mit dem Titel „§ 219a StGB un- verzüglich streichen – Informationen über Schwan- Frauen müssen die Möglichkeit haben, sich sachlich gerschaftsabbrüche zulassen“. Die Fraktion der FDP und offen zu erkundigen; denn durch das bestehende wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der Informationsverbot werden Frauen, die sich ohnehin in CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung an den einer schwierigen Situation befinden, in weitere Nöte Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. gebracht. Sie erfahren nicht die Unterstützung, die sie brauchen und die ihnen zusteht. Wir müssen deshalb den Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den strafrechtlichen Druck auf Ärztinnen und Ärzte abbauen Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: und so Rechtssicherheit schaffen. Wer stimmt für die beantragte Ausschussüberweisung? – (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörg (Zurufe von der AfD und der FDP) Cezanne [DIE LINKE]) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Damit ist Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Jahr die Überweisung mit den Stimmen von CDU/CSU- und feiern wir die Einführung des Frauenwahlrechts vor SPD-Fraktion gegen die Stimmen der anderen Fraktio- 100 Jahren und damit einen großen und wichtigen Schritt nen des Hauses so beschlossen. in Richtung Gleichberechtigung von Mann und Frau. Zur (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gleichberechtigung gehört auch die Selbstbestimmung der Frau. Eine Änderung des Gesetzes ist daher dringend Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Druck- notwendig. sache 19/6425 nicht in der Sache ab. Damit entfällt auch die von der Fraktion der AfD beantragte namentliche Ab- (Beifall bei der SPD) stimmung. Lassen Sie mich kurz eine Bemerkung zu dem ganzen Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf: Verfahren machen, das hoffentlich bald ein tragfähiges Ende findet: Die Entscheidungsfindung mit unserem Beratung des Antrags der Abgeordneten Koalitionspartner gestaltete sich leider sehr schwierig. Dr. Alexander S. Neu, Matthias Höhn, Heike Deshalb hatten wir uns darauf verständigt, dass die Bun- Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (B) desregierung einen Kompromissvorschlag zu § 219a er- DIE LINKE (D) arbeiten soll. Dieser Vorschlag liegt uns nun seit gestern USA zur Rückkehr in den INF-Vertrag auffor- Abend vor. Wir werden den Gesetzestext kritisch prüfen, dern – Stationierung neuer Atomwaffen in der beraten und dann unsere Entscheidung treffen. Bundesrepublik Deutschland ausschließen Für uns stehen die Rechtssicherheit für Ärztinnen Drucksache 19/6422 und Ärzte und Informationsmöglichkeiten für ungewollt Überweisungsvorschlag: schwangere Frauen im Mittelpunkt. Ich appelliere an un- Auswärtiger Ausschuss (f) seren Koalitionspartner, sich hierzu Gedanken zu machen Verteidigungsausschuss und die Entscheidung im nächsten Januar freizugeben. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der SPD) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ihre Blockadehaltung hilft keiner einzigen Frau und auch nicht den Ärztinnen und Ärzten. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle- ginnen und Kollegen, die den Saal mit ihrer Anwesenheit nicht mehr beglücken wollen, den Saal zügig zu verlas- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sen, damit wir auch zügig zum Abschluss der heutigen Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin. Tagung kommen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Gülistan Yüksel (SPD): Kollege Dr. , Fraktion Die Linke, das Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde es begrü- Wort. ßen, wenn wir bei diesem sehr emotionalen Thema im (Beifall bei der LINKEN) Sinne der Ärztinnen und Ärzte und der betroffenen Frau- en eine große Mehrheit hier im Parlament finden würden. Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Jetzt aber wünsche ich Ihnen allen erholsame Festtage Sehr geehrter Herr Präsident! Schönen guten Morgen, und einen guten Rutsch ins neue Jahr. sehr geehrte Damen und Herren! Wir stehen kurz vor der Danke schön. einseitigen Aufkündigung des INF-Vertrages seitens der Vereinigten Staaten. Der INF-Vertrag umfasst die voll- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ständige Abrüstung und das Verbot nuklear bestückbarer des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ballistischer Raketen und Marschflugkörper mittlerer 8358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Alexander S. Neu (A) Reichweite. Diese einseitige Aufkündigung durch die Umso erschreckender finde ich, dass die europäischen (C) USA reiht sich ein in eine Reihe weiterer einseitiger Ver- NATO-Staaten wieder mal blindlings den Amerikanern tragskündigungen der letzten anderthalb Jahrzehnte: des folgen. Damit haben sich die Europäer, insbesondere ABM-Vertrages im Jahre 2002, kürzlich des Iran-Nukle- auch die Bundesregierung, als neutrale Vermittler in die- ardeals, kürzlich des Pariser Klimaabkommens und die sem Konflikt erneut ins Abseits geschossen. Verweigerung der Ratifikation des AKSE-Vertrages sei- tens der NATO-Staaten. (Beifall bei der LINKEN) Diese Nibelungentreue gegenüber den USA und auch Sehr geehrte Damen und Herren, wir beobachten eine Trump wird sich rächen, nämlich dann, wenn die USA zunehmende bedrohliche Entrechtlichung der internatio- die Aufstellung nuklearer Mittelstreckenträgersysteme in nalen Politik, und nun soll es auch noch dem INF-Vertrag Europa und in Deutschland fordern werden. Wer A sagt, an den Kragen gehen. wird irgendwann genötigt, auch B sagen zu müssen. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Da gibt es ja wohl Die Bundesregierung wird von uns aufgefordert, un- Gründe für!) missverständlich klarzumachen, dass auf deutschem Die USA und Russland werfen sich gegenseitig einen Staatsgebiet nie wieder Mittelstreckenraketen oder Vertragsbruch vor. Angeblich lägen den Amerikanern Marsch­flugkörper stationiert werden. wieder Beweise vor, und die europäischen NATO-Mit- (Beifall bei der LINKEN) gliedstaaten inklusive der Bundesregierung verfügen selbst über keine eigenen Erkenntnisse, unterstützen aber Wir sind uns sicher, dass die Menschen in diesem Land ganz kenntnisfrei die US-Version der Geschichte und eine Stationierung auch nicht akzeptieren werden. stigmatisieren ebenso kenntnisfrei die russische Versi- on. Das ist das Ergebnis des NATO-Außenministertref- Die Linke wird sich sämtlichen Protesten, die sich fens vor wenigen Wochen. Ich finde das Verhalten der gegen eine Stationierung aussprechen, vorbehaltlos an- Europäer und auch der Bundesregierung angesichts der schließen und dabei an vorderster Front mitwirken. gemachten Erfahrungen mit den Erkenntnissen US-ame- Vielen Dank. rikanischer Nachrichtendienste – Beispiel: Irak 2003 – sehr befremdlich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Peter Beyer [CDU/CSU]: Frenetischer Ap- plaus!) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Neu. – Als Nächs- ter spricht zu uns der Kollege Armin-Paulus Hampel, (B) Sehr geehrte Damen und Herren, wir MdBs können AfD-Fraktion. (D) nicht über gesicherte Erkenntnisse verfügen, auch die USA nicht. Wir können es deshalb nicht, weil Ferndiag- (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] nosen wie Satellitenaufklärung einfach nicht ausreichend [CDU/CSU]: Oh nein!) sind. Was wir brauchen, sind Vor-Ort-Inspektionen. Nur die können Leistungsparameter und Leistungsfähigkei- Armin-Paulus Hampel (AfD): ten bei Raketen, Marschflugkörpern und Startersystemen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- überhaupt klären. ren! Liebe beide Gäste auf der Zuschauertribüne! Man (Peter Beyer [CDU/CSU]: Die Russen hatte muss betreffend des INF-Vertrages doch ein paar alte lange genug Zeit, für Transparenz zu sorgen! historische Zähne ziehen, die ja immer wieder gerne an- Aber das haben sie nicht gemacht!) geführt werden, nämlich zum Beispiel, dass es damals angeblich die Friedensbewegung war, die das Ergebnis Aber genau das findet nicht statt. Es entsteht der Eindruck, des INF-Vertrages erst möglich gemacht hat. Das Gegen- dass beide Seiten, weder die USA noch die Russische teil war der Fall, und das wissen Sie auch alle. Es war Föderation, kein Interesse daran haben, den INF-Vertrag der mutige SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt, den Sie fortzusetzen. Sie, beide Seiten, kämpfen vielmehr um die gestürzt haben Propagandahoheit in Bezug darauf, wer vor der Weltöf- fentlichkeit als Vertragsbrecher dastehen könnte. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Helmut Kohl Warum eine Wiederbelebung des INF-Vertrages und wieder vergessen?) des INF-Verifikationsregimes nicht möglich sein soll, erschließt sich mir nicht. Der Vertrag kann und muss re- der sich damals vehement dafür eingesetzt hat, dass nicht aktiviert werden, und er muss den aktuellen Herausfor- nur auf Augenhöhe verhandelt, sondern im Zweifels- derungen angepasst werden – nämlich Verifikation bei fall auch nachgerüstet wird, und das war damals, in den vermuteten Vertragsverletzungen. 80er-Jahren, richtig so. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der AfD) Ich glaube, die Europäer müssten ein Interesse daran Kein Mensch möchte in Europa wieder Mittelstrecken haben, in diesem Konflikt eine Vermittlerrolle zu spielen. stationiert haben, wie es damals die Sowjets mit der SS- 20 und der SS-22 in Osteuropa gemacht haben; keiner (Ulrich Lechte [FDP]: Vermitteln: Da haben möchte das. Wir erkennen aber auch – und das ist schon Sie recht!) längst Thema in den Diskussionen, auch in unseren Aus- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8359

Armin-Paulus Hampel (A) schüssen, gewesen –, dass es hier nicht um Europa geht, tration – den Russen anbieten: Wenn ihr die Mittelstre- (C) sondern dass beide Mächte, Russland und Amerika, mit ckenraketen wieder verschwinden lasst, dann werden wir sorgenvollem Blick auf die Entwicklung in China, in In- keine in Europa aufbauen. – dien, in Pakistan und in anderen Ländern gucken, weil (Beifall bei Abgeordneten der AfD) sie durch den Vertrag dazu verpflichtet sind, keine dieser Mittelstreckenraketen aufzubauen, während andere das Der INF-Vertrag hat damals funktioniert. Warum sollte er theoretisch könnten; sie tun es ja auch. heute nicht noch mal funktionieren? Also muss es doch in unserem Interesse sein, dass (Zuruf von der SPD) wir über den amerikanisch-russischen Horizont hinaus- blicken, und dazu ergibt sich für uns im nächsten Jahr – Mit den Mittelstreckenraketen. Genau, Frau Kollegin. – die Möglichkeit, wenn Deutschland Mitglied im UN-Si- Es müsste doch die Initiative der Deutschen sein, und es cherheitsrat ist. Wir haben dann sogar abwechselnd mit müsste doch in unserem europäischen Interesse sein, un- Frankreich den Vorsitz dort, und dann müsste man doch seren amerikanischen wie unseren russischen Freunden aus deutscher und auch aus europäischer Perspektive zu sagen: Wir wollen es nicht in Europa haben. – Herr einen Vorschlag, der vielleicht schwierig zu vermitteln, Hardt, Sie gucken mich so kritisch an. – aber zumindest den Versuch wert ist, machen und sagen: (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Ich gucke Sie Wir wollen nicht nur eine Vereinbarung zwischen den immer kritisch an!) Vereinigten Staaten und Russland, sondern wir wollen einen weltweiten Bann von Mittelstreckenraketen errei- Ist es nicht unser gemeinsames Interesse? Wir müssten chen. Das wäre ein neuer Ansatz zur weltweiten Nicht- es durchsetzen wollen; aber diese Intention erkenne ich anerkennung und vor allem zur Nichtstationierung von nirgendwo. Ich erkenne immer nur eine Verurteilung Mittelstreckenraketen. Es wäre ein guter Ansatz. Er wäre Russlands: Die haben noch die Iskander-Raketen, und schwer durchzusetzen – da gebe ich Ihnen recht –; China deswegen müssen wir sofort mit schwerstem Kaliber da- würde sich dem wahrscheinlich nicht anschließen wol- gegen vorgehen. len. Nein, überzeugen wir unsere amerikanischen Freun- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Recht- de, und schaffen wir vor allen Dingen eine europäische lich verbindlich?) Perspektive. Gehen wir nach Moskau, verhandeln wir mit den Russen auf Augenhöhe, und sagen wir ihnen: Wir Aber wenn es möglich wäre, dann wäre es doch ein er- wollen, wenn die Amerikaner nicht mitmachen können, folgreicher Schritt. eine europäisch-russische Vereinbarung. – Wir können Wenn das nicht möglich wäre, dann sollten wir uns auf es, und im Interesse unserer Völker wollen wir es auch. (B) (D) Europa konzentrieren. Danke schön, meine Damen und Herren. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Aha!) (Beifall bei der AfD) Wenn unsere amerikanischen Freunde uns in diesem Sin- ne nicht folgen wollten, dann müsste es dennoch in unse- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rem Interesse sein, dass diese Raketen auf europäischem Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Roderich Boden nicht stationiert werden, weil sie mit einer Reich- Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion. weite von 500 bis 5 000 Kilometern unser Territorium (Beifall bei der CDU/CSU) in Deutschland und Europa unmittelbar betreffen. Dann müssten wir unseren amerikanischen Freunden klarma- chen, dass wir aus einer europäischen Perspektive heraus Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): vielleicht mit den Russen verhandeln, um einen INF-Ver- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- trag zwischen Europa und Russland hinzubekommen, ren! Lieber Herr Kameramann und liebe Journalisten! wenn es zwischen den USA und Russland nicht möglich Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ist. ich mich, dass um diese Zeit, bei diesem für unsere Si- cherheit so wichtigen Thema die Besetzung überdurch- (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] schnittlich ist. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen am [CDU/CSU]: Die Freunde aus Moskau!) frühen 14. Dezember, an dem die letzte Sitzung in die- Weil das so ist, müsste es doch auch unsere Intention sem Jahr stattfindet. sein, mit Argumenten zu kommen, die die Russen verste- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) hen. Ich gebe ja vielen Kritikern Russlands recht, wenn es heißt, dass die Russen nur auf Augenhöhe verhandeln. Im Übrigen ist der 13. Dezember auch ein historischer Also müsste man im Sinne eines erfolgreichen Verhan- Tag – ich will meine acht Minuten nutzen, um es anzu- delns heute auch so konsequent sein wie damals bei dem sprechen –: Heute vor genau 116 Jahren fand die längste INF-Vertrag, als wir mit dem Doppelbeschluss klar ge- Rede in diesem Gebäude statt, die längste überhaupt in sagt haben: Wenn die SS-20 und SS-22 nicht aus Osteu- einem deutschen Parlament: acht Stunden. ropa verschwinden, rüstet der Westen mit Pershing-Ra- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: keten nach. – Erst dann – erinnern Sie sich bitte alle – hat Das muss heute nicht sein!) die Sowjetunion damals reagiert. Wir müssten also heute auch so konsequent sein und als Europäer – wenn es uns Ich versuche, meine Punkte in acht Minuten rüberzubrin- gelingt; vielleicht zusammen mit der Trump-Adminis­ gen, liebe Kolleginnen und Kollegen. 8360 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Roderich Kiesewetter (A) Wir haben hier einen sehr einseitigen Antrag. Mir geht mit Russland. Sie fordern nämlich, die nukleare Teilhabe (C) es hier nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, aufzugeben. sehr nüchtern zu analysieren. Ich möchte aus dem Antrag der Linken drei Punkte herausgreifen, an denen er erheb- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Habe ich doch liche Schwächen hat. gar nicht gesagt!) Mit der nuklearen Teilhabe erreichen wir aber, liebe Erstens. Gemäß Antrag sollen die USA dazu aufge- Kolleginnen und Kollegen, dass Länder wie Polen nicht fordert werden, zum INF-Vertrag zurückzukehren; die wollen, dass die NATO-Russland-Grundakte gebrochen Ankündigung, ihn möglicherweise aufzukündigen, sei wird, und dass Länder wie Polen nicht verlangen, Nu- sicherheitspolitisch kontraproduktiv. Das, liebe Kolle- klearwaffen auf ihrem Territorium zu stationieren. Wir ginnen und Kollegen, verkennt Ursache und Wirkung. erreichen mit der nuklearen Teilhabe, die in Europa von Warum haben denn die USA die Aufkündigung vorge- den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Italien und der nommen? Sie haben sie vorgenommen, weil die USA seit Türkei geleistet wird, dass die Proliferation von Nuklear- 2014 über 30-mal versucht haben, mit den Russen in ein waffen in Europa verhindert wird. Das ist ein Mehrwert, strategisches Gespräch über den Erhalt des INF zu kom- den wir nicht vergessen dürfen. men, und die Russen jedes Mal, 30-mal, das Gespräch abgelehnt haben. Darüber hinaus bedeutet es, dass wir die Amerikaner dazu verpflichten, auf europäischem Boden nukleare (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Waren Schutzgarantien zu übernehmen; denn es handelt sich um Sie dabei?) US-Nuklearwaffen. Deshalb ist ein Sonderweg Europas Seit dem Jahr 2007 – mit der Erklärung von Putin und mit Russland schlichtweg falsch, Lawrow bei der Münchner Sicherheitskonferenz – ist (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Begrü- klar, dass die Amerikaner den INF-Vertrag – Entschuldi- ßenswert!) gung! –, die Russen den INF-Vertrag weil er Zonen unterschiedlicher Sicherheit schafft und (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ah, die Amerikaner von Europa abkoppelt. Wir als CDU/ Freud’scher Versprecher!) CSU stehen nicht hinter solch einem Vorschlag. als ausgehöhlt betrachten. Sie haben seinerzeit klar- (Beifall bei der CDU/CSU – Armin-Paulus gemacht, dass die Art und Weise, wie der INF-Vertrag Hampel [AfD]: Mittelstreckenraketenfreies verfasst ist, in einer Zeit der multilateralen Bedrohungen Europa! Das wäre doch was!) nicht mehr passt. Aber die Zeit haben sie eben nicht ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die letz- (B) nutzt, um Gespräche zu führen und um zu versuchen, den (D) Vertrag zu erhalten, sondern die Russen haben, wie sie ten Minuten meiner Redezeit darauf verwenden, Wege im Frühjahr dieses Jahres eingeräumt haben – zumindest aufzuzeigen, wie man diesem Dilemma entkommen haben sie im Februar nicht widersprochen –, die Zeit ge- kann. Zunächst einmal brauchen wir mehr Transparenz nutzt, um ein neues System mit einer Reichweite über und Verhandlungen. Es ist ein Verdienst der Bundesrepu- 2 000 Kilometern zu entwickeln, das bereits getestet ist blik Deutschland, dass erreicht wurde, dass die Amerika- und sich in der Einführung befindet. Meine Damen und ner den Vertrag eben nicht aufgekündigt haben, sondern Herren, die Russen haben den Vertrag gebrochen, und die dass wir jetzt ein 60-tägiges Moratorium haben. Diese Amerikaner haben es offengelegt – nicht umgekehrt. Das zwei Monate müssen wir nutzen, um zu verhandeln, um gehört zur Wahrheit dazu. auf Augenhöhe, wie es mein Vorredner sagte, mit Russ- land ins Benehmen zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP – Armin-Paulus Hampel Das bedeutet aber auch – das ist die vierte Schwäche [AfD]: Das ist nicht belegt!) Ihres Antrags –, dass wir nichts von vornherein aus- schließen sollten. Die zweite Schwäche Ihres Antrags, liebe Kollegin- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha, aha!) nen und Kollegen der Linken, ist eine noch viel schwieri- gere: Sie fordern, einfach den Verifikationsmechanismus Ich bin kein Befürworter einer Nachrüstungsdebatte; des INF-Vertrags fortzusetzen. Wie Sie eigentlich wissen aber ich bin dafür, dass wir alles erwägen und überlegen. müssten, ist in den Jahren 1988 bis 2001, über 13 Jahre Wenn Russland nicht bereit ist, diese Systeme abzuschaf- hinweg, in zehn Staaten eine Abrüstung der Mittelstre- fen, sollten wir Russland dazu bringen, diese Systeme ckenraketen erfolgt, und das mit Transparenz und Über- jenseits des Urals zu stationieren, um seiner Sicherheits- prüfung. Nach Abschluss, 2001, wurden auch die Über- perzeption an der Süd- und Südostflanke nachzukom- prüfungs- und Verifikationsmechanismen abgeschafft, men. Wenn wir das aber erreichen wollen, müssen wir weil man sich vertraut hat und weil man diese Systeme das aushandeln. Wir brauchen ein vertrauensbildendes abgelöst hat. Seit 2001 sind diese Waffensysteme quasi System, mit dem auch die russischen Systeme beobach- aus Europa verschwunden. Erst mit der Aufklärung, die tet und verifiziert werden können. Umgekehrt sollten wir in diesem Jahr stattfand, hat man festgestellt, dass Russ- zulassen, dass hinsichtlich der Systeme der Raketenab- land diesen Vertrag in den letzten Jahren gebrochen hat. wehr, die die USA in Rumänien stationiert haben, geprüft wird, inwieweit Transparenzmaßnahmen zulässig sind. Der dritte Schwachpunkt Ihres Antrags ist etwas, wo die AfD Ihnen auf den Leim gegangen ist: Es ist die Ein weiterer Schritt, der erforderlich ist, ist die Wie- Hoffnung auf einen europäischen Sonderweg gemeinsam derbelebung des NATO-Russland-Rats, um auf dieser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8361

Roderich Kiesewetter (A) Ebene in den unmittelbaren militärischen Dialog zu tre- das hätten wir auch gar nicht zugelassen. Sie haben aber (C) ten. die acht Minuten durchaus ausgeschöpft. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!) Die Kollegen Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion, Ulrich Lechte, FDP-Fraktion, Katja Keul, Bündnis 90/ Denn nach Abfeuern einer Rakete – darüber müssen wir Die Grünen, Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, uns im Klaren sein – kann man in der knappen Zeit nicht und Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion, haben ihre Re- feststellen, ob es ein Test oder ein Abschuss ist. Ferner den zu Protokoll gegeben,1) kann man nicht feststellen, ob es sich um eine nukleare oder konventionelle Rakete handelt. Deswegen ist es so (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP wichtig, nicht nur das rote Telefon auf höchster politi- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) scher Ebene zu haben, sondern auf militärischer Ebene vertrauensbildende Maßnahmen, Kontakte und ständige sodass ich die Aussprache jetzt schließen kann. Kommunikation zu ermöglichen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Beifall des Abg. Dr. Andreas Nick [CDU/ Drucksache 19/6422 an die in der Tagesordnung aufge- CSU]) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Ich sehe und höre, das ist der Fall. Dann ist Ein Letztes. Die Lage ist ernst. Wir sollten uns auch die Überweisung so beschlossen. darauf einstellen, dass dieser Vertrag nicht fortgesetzt wird. Wenn er scheitert, müssen wir dafür sorgen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ein neuer Beratung des Antrags der Abgeordneten Vertrag!) Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein- Schmeink, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter dass an seine Stelle vertrauensbildende Maßnahmen und und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheitsgarantien treten, und unserer Öffentlichkeit deutlich machen, was denn das Interesse der USA und Mehr Frauen in Führungspositionen zur Or- Russlands an einer möglichen Aufhebung dieses Ver- ganisation des Gesundheitswesens trages ist: Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich Staaten wie China, Pakistan, Indien und Iran Mittelstre- Drucksache 19/4855 ckenraketen nuklearer Art zugelegt, die nicht unter das Überweisungsvorschlag: INF-System fallen. Die Ausverhandlung eines globalen Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Vertrages, der von anderen mitgetragen wird, dauert viele Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (B) Jahre. Um solche Verhandlungen zu ermöglichen, brau- (D) chen wir in der Zwischenzeit vertrauensbildende Maß- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nahmen, einen Dialog. Es ist auch die Aufgabe der Bun- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- desrepublik und der Europäischen Union, zu erreichen, nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. dass andere Staaten die sicherheitspolitischen Bedenken nicht nur teilen, sondern auch bereit sind, daran mitzu- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- wirken, dass wir ein globales Regime der Rüstungskon- nerin der Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Fraktion trolle bekommen. Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das können (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir doch machen im UN-Sicherheitsrat!) (BÜNDNIS 90/DIE Wenn uns das gelingt – da haben sich Deutschland und Dr. Kirsten Kappert-Gonther GRÜNEN): Frankreich, die im März und im April 2019 den Vorsitz im Sicherheitsrat haben, einiges vorgenommen –, haben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir den Frieden sicherer gemacht. 70 Prozent der Medizinstudierenden sind heute Frauen, 46 Prozent der niedergelassenen Ärzteschaft sind heute (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU weiblich, und natürlich sind die Hälfte der Versicherten sowie des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) Patientinnen. Aber in den Entscheidungsgremien des Ge- Das gelingt aber nicht mit einem Antrag der Linken, die sundheitswesens kommen auf eine Frau neun Männer. die Schuld einseitig den Amerikanern zuweist und gar Das kann so nicht bleiben. unsere nukleare Teilhabe aufgeben will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Zwei von drei Beschäftigten der gesetzlichen Kran- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kenkassen sind weiblich. Sie können ja mal überlegen, ordneten der SPD, der AfD und der FDP) mit welchem Anteil die Frauen in den Vorständen ver- treten sind. Sie liegen zwischen 0 und 21 Prozent. Da stimmt doch was nicht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Kiesewetter, das Präsidium ist auch zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser Tageszeit noch hellwach. Wir haben Ihre Ankün- sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) digung, keine acht Stunden reden zu wollen, interessiert zur Kenntnis genommen. Ich kann Ihnen sicher sagen, 1) Anlage 10 8362 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) Die Expertise, die Erfahrung von Frauen kommt in den Viele Männer aber wissen, dass die Frauenquote ge- (C) Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens kaum rade keine Drohung ist, sondern ein Versprechen – ein vor. Das macht doch keinen Sinn. Versprechen für mehr Gerechtigkeit, für mehr Gleich- berechtigung, und das kommt uns allen zugute: Frauen, In meiner Heimatstadt Bremen sind im Vorstand der Männern – allen. Ärztekammer drei Frauen und zwei Männer. Ich finde, das ist ja schon mal was. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch viele Männer wünschen sich mehr Zeit für Für- sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) sorge, mehr Zeit für Familie. Das geht, wenn wir alle Lebensbereiche besser und gerechter aufteilen. Das ist Trübe Sicht herrscht allerdings bei den Kassenärztlichen schöner, und die Ergebnisse sind besser. Vereinigungen: Die Mehrheit hat kein einziges weibli- ches Mitglied im Vorstand. (Zuruf des Abg. Leif-Erik Holm [AfD] – Gegenruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: In [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Männer Schleswig-Holstein schon! Wir haben eine von der AfD!) Vorstandsvorsitzende!) Wir wissen: 70 Prozent der Abgeordneten in diesem Die gläserne Decke ist im Gesundheitswesen genauso Deutschen Bundestag sind Männer. Ich bin gespannt, wie dick wie in DAX-Konzernen. Das, liebe Kolleginnen viele von ihnen realisieren, dass das Aufbrechen verkrus- und Kollegen, ist doch nicht nur ungerecht – es ist vor teter Rollenbilder allen mehr Freiheit bringt. allem unklug. Wir wissen, dass es einen erheblichen Un- terschied macht, ob Frauen mitentscheiden. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Bundeskanzlerin hat es kürzlich gesagt – ich zitiere sie –: „… das Ziel muss Parität sein, Parität über- Ohne Quote geht es offensichtlich nicht. Damit end- all“ – lich die Kompetenz von Frauen nicht mehr so oft verlo- ren geht, brauchen wir die Quote. (Fabian Jacobi [AfD]: Das Ziel ist die Dikta- tur! – Jürgen Braun [AfD]: Ihre Kanzlerin mal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wieder als Diktatorin!) Sie führt zu besseren Ergebnissen, nicht nur, weil ge- (B) mischte Teams erfolgreicher arbeiten. Gerade im Ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (D) sundheitswesen ist die Perspektive für Frauen so ent- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. scheidend.

Nehmen Sie den jüngsten Medizinprodukteskandal. Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE Frauen sind von fehlerhaften Medizinprodukten beson- GRÜNEN): ders häufig betroffen. Warum ist das so? Weil die Prothe- ob in der Politik, in der Wirtschaft, in der Verwaltung. sen und die Implantate in der Regel an Männern getestet Recht hat sie. werden, im Übrigen genau wie Medikamente. (Fabian Jacobi [AfD]: Was haben Sie nicht (Fabian Jacobi [AfD]: Ist es nicht normaler- verstanden?) weise so, dass Testpersonen das freiwillig ma- chen?) Ich ergänze: auch im Gesundheitswesen. Ich habe mich schon oft gefragt, ob die Situation der Vielen Dank. Hebammen, ob die Ausstattung in den Kreißsälen viel- leicht besser wäre, wenn Männer Kinder bekämen oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wenn eben mehr Frauen im Gesundheitswesen mitent- Fabian Jacobi [AfD]: Unglaublich!) scheiden würden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Dr. Kirsten Kappert-Gonther. – Superspannend ist eine Studie der Universität von Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Rudolf Henke, Minnesota, die an 580 000 Herzpatienten und -patientin- CDU/CSU-Fraktion. nen – über eine halbe Million – durchgeführt wurde. Das Ergebnis ist: Wenn Frauen von Frauen behandelt werden, (Beifall bei der CDU/CSU) haben sie eine deutlich höhere Überlebenschance, als Bis Sie hier sind, kann ich darauf verweisen, dass die wenn sie einen männlichen Arzt haben. Ja, manche Män- verbliebenen Vertreter der Bundesregierung darauf hin- ner erleben die Quote als Bedrohung. gewiesen haben, dass sie ausschließlich Frauen sind. (Fabian Jacobi [AfD]: Eigentlich nur als (Beifall der Abg. Christine Aschenberg-­ Dummheit! – Jürgen Braun [AfD]: Das ist ein- Dugnus [FDP]) fach nur blöd! – Weiterer Zuruf von der AfD: Das ist dummes Zeug!) Herr Kollege, Sie haben das Wort. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8363

(A) Rudolf Henke (CDU/CSU): nur mal als Hinweis darauf, dass es nicht immer nur die (C) Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen aus den anderen Parteien sind, die an der Stelle nicht han- und Kollegen! Meine Damen und Herren! Um eins vor- deln, sondern dass es durchaus auch Grüne sind, wegzusagen: Die eigentliche Intention des Antrages, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erhöhung des Anteils von Frauen in den Gremien der gesundheitlichen Selbstverwaltung, wird von uns voll- die an der Stelle vielleicht nicht der vollen Konsequenz ständig und vollumfänglich unterstützt. Ich halte das für Ihres Antrages folgen. Ich will das nur sagen. Trotzdem richtig, übrigens nicht nur in Bezug auf Gremien der ge- ist der wichtigere Punkt der: Gibt es Beispiele dafür, wie sundheitlichen Selbstverwaltung, sondern auch in Bezug man handeln kann, um die Situation zu verbessern? auf alle anderen Gremien außerhalb des Gesundheitswe- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE sens. GRÜNEN]: Ja, natürlich!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie wissen ja, dass ich auch im Marburger Bund tätig Wenn der Anteil von Frauen dort höher wäre, dann bin. Wir haben dort nach langen Widerständen und langer wäre das gut. Ich schließe auch den Deutschen Bundes- Diskussion 2016 für den Bundesvorstand eine Regelung tag ausdrücklich darin ein. Ich selbst bin Vater von vier eingeführt, die besagt: Von neun Positionen sind drei von Töchtern. Ich bin schon deswegen habituell feministisch Frauen zu besetzen, drei von Männern zu besetzen und unterwegs, weil ich will, dass die Chancen der jungen drei weitere Positionen zu besetzen. Das hat natürlich Frauen besser werden. eine Ermutigung für Frauen zum Engagement zur Folge. Diese Ermutigung wirkt sich jetzt, nachdem wir es auf Zum Thema Quote – das ist ja der technische Teil Ih- der Bundesebene gemacht haben, auch in zunehmenden res Antrags, nicht der intentionale Anteil – würde ich mal Bewerbungen von Frauen für Ämter auf den Landesver- sagen: bandsebenen und in den Regionalgliederungen aus. (Fabian Jacobi [AfD]: Statistisch!) Ich nenne ein zweites Beispiel. Wir haben in der Ärz- Bei uns in der Fraktion gibt es Befürworter von Quoten- tekammer, in der ich engagiert bin, von vielen jungen lösungen – männlich wie weiblich –, und es gibt Gegner Frauen, speziell von jungen Frauen in der ärztlichen Wei- von Quotenlösungen – männlich wie weiblich. Ich glau- terbildung, gehört: Es fällt uns sehr schwer, eure stunden- be aber, dass bei der Frage der Quoten ferner zu berück- langen Dauersitzungen zu ertragen. sichtigen ist, dass wir dabei häufig auch über Wahlämter (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja!) und über Ämter reden, die aus geheimen Wahlen hervor- gehen. Wenn ihr mit uns einen Ausschuss besetzen wollt und (B) dann Ausschusssitzungen mit offenem Ende organisiert, (D) (Fabian Jacobi [AfD]: Bringt doch nichts!) dann bringt uns das nicht nur in die Schwierigkeit: „Wie Da ist es natürlich relativ schwierig mit dem Verord- kommen wir am Arbeitsplatz zurecht? Wie kriegen wir nen einer Quote. Denn überall da, wo Urwahl herrscht, das mit unserer Abwesenheit vom Arbeitsplatz hin?“, kann man die Berechtigung des einen Menschen, zu (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Völlig kandidieren und sich um Mehrheiten zu bemühen, nicht richtig!) automatisch davon abhängig machen, dass es ein Ge- schlechtspendant gibt, das sich ebenfalls zur Wahl stellt. sondern stellt uns auch vor die Frage: Wie organisieren wir es in Bezug auf Familienleben und Kinder? (Fabian Jacobi [AfD]: Warum nicht? – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Man kann es ihnen erleichtern, zu DIE GRÜNEN]: Können ja auch mal später kandidieren!) auf die Kinder aufpassen!) – Ja, ich bin sehr dafür. – Deswegen glaube ich, dass die An der Stelle kann man Hindernisse überwinden, in- Werbung nottut, um die Akteure in der Selbstverwaltung dem man zum Beispiel sagt: Wir schaffen für bestimmte aufzufordern, eigene Konzepte zu verfolgen und Selbst- Zeiten die Möglichkeit einer Stellvertreterinregelung. verpflichtungen einzugehen, um mehr Frauen für diese (Fabian Jacobi [AfD]: Was hat das mit dem Aufgaben zu gewinnen. Quotenquatsch zu tun?) Im Übrigen sei mir der Hinweis gestattet, dass wir im Das heißt: Die Frau, die in ein Gremium berufen wird, kommenden Sommer mit einer Regelung für die Aktien- hat die Möglichkeit, zu sagen: Ich benenne eine Stellver- gesellschaften – ausgehend von keiner Quote über eine treterin, die mich für drei, vier Monate ersetzt. Flexiquote sind wir zu einer festen Quote gekommen – Ein zweites Beispiel. Wir haben überlegt: Können wir Erfahrungen sammeln und einen Bericht bekommen wer- nicht denen, die in der Betreuung von Kindern oder in den. Anhand dessen können wir beurteilen: Wie weit sind der Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen sind – wir mit der Regelung von festen Quoten gekommen? nicht nur Frauen betreffend, sondern auch junge Ärzte, Ich stelle fest: Auch zu den Zeiten, als die Grünen die Männer, betreffend –, helfen, indem wir zum Beispiel die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen mit gestellt Zusatzkosten, die durch die Betreuung durch Babysitter haben und eine grüne Gesundheitsministerin amtiert oder durch Pflegekräfte entstehen, ersetzen? Und in der hat, hat sich jedenfalls im Heilberufsgesetz in Nord- Tat: Seitdem wir das tun, sind die Bedenken geringer ge- rhein-Westfalen keine Quotenregelung eingestellt. Das worden. 8364 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

Rudolf Henke (A) Ein weiterer Weg ist der, dass man in der Organisati- generell für die Quotenregelung, die jetzt mal auf einen (C) on des Ablaufs der Gremienarbeit dafür sorgt, dass man Bereich rübergeschoben wird. das Ende von Gremiensitzungen fest kalkulieren kann. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Schließlich kann man insgesamt dadurch, dass man Wert- GRÜNEN]: Was sagt er? Ich verstehe Sie ir- schätzung für ehrenamtliches Engagement dokumentiert, gendwie nicht!) dass man bei Beratungstagen junge Ärztinnen und Ärz- te dafür wirbt, sich in Gremien zu engagieren, ebenfalls Ich erkenne das erst mal als gesellschaftlichen Unsinn, die Motivationslage verändern, weil man ausstrahlt, dass was Sie hier vortragen; das sage ich in aller Deutlichkeit. Wertschätzung für beide Geschlechter in gleicher Weise Und ich muss Ihnen einfach sagen: Sie müssen das ein- vorhanden ist. fach mal mit Arbeit probieren. Die Männer, die in diesen Positionen sind, haben sich dort hochgearbeitet, mit un- Ich glaube, das sind mögliche Wege. Wenn man sich geheurer Energie. anguckt, wo das besonders aktiv betrieben wird – ich nenne mal die Ärztekammer Schleswig-Holstein –, dann (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE stellen Sie fest, dass Sie dort eine völlig der Geschlechts- GRÜNEN]: Der ist doch besoffen, oder was?) verteilung innerhalb der Ärzteschaft entsprechende Zu- Wenn Sie das Gleiche tun, würden Sie das auch schaffen. sammensetzung der Kammerversammlung haben. Wenn Das ist einfach mit Arbeit verbunden; so einfach ist das. Sie sich die gerade zu Ende gegangenen Wahlen in der Ärztekammer in Hamburg angucken, stellen Sie fest, (Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU/ dass es heute in Hamburg eine Fifty-fifty-Besetzung zwi- CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und schen Männern und Frauen in der Kammerversammlung dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt. Sie werden doch sowieso schon immer durch alle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Instanzen durchgehoben, meine Damen. Ich will Ihnen der FDP) jetzt mal beweisen, wie das normalerweise in der Gesell- schaft läuft. Und da spreche ich auch noch mal die Män- Also, Sie können etwas erreichen, wenn Sie sich ent- ner an, die da in ihrer bewundernswerten Ritterlichkeit sprechend engagieren. Das ist jedenfalls ein Weg, der diesen ganzen Blödsinn hier mittragen, meine Damen auch dort möglich ist, wo Sie mit gesetzlichen Regelun- und Herren. gen und Quotierungen nicht weiterkommen. (Lachen bei der SPD – Katharina Dröge Wir werden den Antrag ja in die Ausschüsse über- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ir- weisen, und dann werden wir uns im Einzelnen mit den gendwie akustisch schwer zu verstehen!) (B) (D) Möglichkeiten befassen. Ich bin für meine Fraktion ein Also, fangen wir mal hier an. Grundgesetz, da haben bisschen skeptisch, ob wir schon so weit sind, dem An- wir schon den ersten Verstoß, meine Damen. Grundge- trag auf Quotierung zu folgen. Aber das werden wir dann setz, kennen Sie ja: Artikel 3. Da steht eindeutig drin: Es in der Diskussion sehen. soll niemand benachteiligt, aber auch keiner bevorzugt werden. Und Sie werden schon zweimal bevorzugt: Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: haben eine Gleichstellungsbeauftragte und eine Frauen- beauftragte, die Sie immer in die Ämter reinheben. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. (Zurufe von der SPD) Rudolf Henke (CDU/CSU): Das ist schon mal die erste Sache. Vielen Dank für den Hinweis. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Dann geht es weiter: Förderungsprogramme für Frau- en und Mädchen ohne Ende. Für Jungen, für Männer, gibt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es nicht ein einziges Förderprogramm – nur für Frauen. ordneten der FDP) Da kann ich Ihnen so eine Latte aufzählen. Dazu haben wir die Zeit nicht; aber das können wir noch machen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Herr Kollege Henke. – Als Nächs- GRÜNEN]: Reden Sie mal deutlich, bitte! – tes spricht zu uns der Kollege Detlev Spangenberg, Lachen der Abg. Hilde Mattheis [SPD]) AfD-Fraktion. Aber jetzt mache ich mal eine kleine Kurve, und jetzt gehen wir mal auf die Genderdiskussion ein. Was wollen (Beifall bei der AfD) Sie eigentlich? Angeblich keine Geschlechter mehr; dann brauchen Sie den Antrag nicht. Oder wollen Sie 50 Ge- Detlev Spangenberg (AfD): schlechter; dann reicht der Antrag nicht. Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen. Also, in irgendeine Rich- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! tung müssen Sie gehen, meine Damen. „Mehr Frauen in Führungspositionen zur Organisation des Gesundheitswesens“. Also, ich sehe den Antrag so: (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. Hilde Er ist ja an und für sich so eine Art Stellvertreterantrag Mattheis [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8365

Detlev Spangenberg (A) Jetzt sagen Sie, die Interessen von Frauen werden zen. Da wurde dann per Gerichtsurteil eine Frau in den (C) nicht gewahrt. Lächerlicher geht es gar nicht. Sie meinen Aufsichtsrat gesetzt. Die Leistung dieser Frau, die dort also, wenn in der Führungsetage in einem Unternehmen reingesetzt wurde, möchte ich gerne mal beurteilen; das eine Frau sitzt, in der Finanzabteilung oder irgendwie können Sie mir glauben. Dabei muss was Tolles raus- im Gesundheitswesen, entscheidet die anders als ein kommen. Mann. Keine Bohne! Die entscheidet genauso. Das sind fachbezogene Entscheidungen. Diesen Unternehmen ist (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) vollkommen egal, ob eine Frau oder ein Mann da sitzt. Ja, meine Damen und Herren, jetzt gehen wir mal wei- Wieder vollkommener Blödsinn, was Sie hier vortragen, ter in der Statistik. Ich will Ihnen mal was erzählen: Ich meine Damen und Herren. habe hier zum Beispiel eine Bilanz von tödlichen Unfäl- (Beifall bei der AfD) len und von nichttödlichen Unfällen, die in einer großen Schar angefallen sind. 3,2 Millionen Unfälle, davon zwei Es geht ja weiter. Die Quotenregelung wollen Sie auch Drittel Männer. nur bei angenehmen Tätigkeiten. Ich würde Sie gern mal mitnehmen zu einer Arbeit, bei der Sie das erste Mal ar- (Lachen der Abg. Hilde Mattheis [SPD] – beiten lernen. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie auf, die Frauen hier zu (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD verarschen!) und der FDP) Passen Sie mal auf! Dazu würde ich Sie gern mal mitneh- Haben Sie sich damit schon mal beschäftigt? Interessiert men, dann kann ich Ihnen das mal zeigen. Passen Sie mal Sie nicht. Bei den tödlichen Arbeitsunfällen – 3 900 pro auf! Gehen Sie mal in den Straßenbau: Quotenregelung Jahr – haben wir zu 95 Prozent Männer. Das ist auch klar im Straßenbau? Keine. Dachdecker? Keine Quotenrege- und interessant. Darüber können Sie sich totlachen; ist ja lung. Fliesenleger? Keine Quotenregelung. Baggerfah- auch klar. rer? Keine Quotenregelung. Es ist anstrengend, dabei Die Lebenserwartung der Männer ist um fünf Jahre wird man nass, dabei holt man sich blaue Flecken, es ist geringer als die von Frauen. Schon mal was davon ge- ungemütlich, da muss man im Winter raus auf die Straße. hört? Wenn das jetzt anders wäre, dann hätten Sie doch In diesem Bereich brauchen Sie keine Quotenregelung, schon eine Gleichstellungsbeauftragte für die Anhebung oder? Das ist nicht angenehm; kann ich mir gut vorstel- der Lebenszeit, oder nicht? Garantiert! Förderung von len. Frauen und Männern: uninteressant. Ich will Ihnen mal die Verteilung nennen, die wir hier Dann haben wir noch zwei Fernsehprogramme nur (B) haben. für Frauen. „ML Mona Lisa“ und „Frau tv“. Sie werden (D) (Lachen der Abg. Hilde Mattheis [SPD] – vom ZDF und vom WDR finanziert, weil Frauen ja was Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Besonderes sind bei uns. Sie kommen ja sonst nicht vor- GRÜNEN]: Das ist peinlich! – Zuruf der Abg. wärts. Karin Maag [CDU/CSU]) Jetzt kann ich Ihnen auch noch ein schönes Beispiel – Hören Sie mir erst mal zu. Sie können sich dann auf- nennen, wenn ich die Zeit noch habe. regen. – (Zurufe und Lachen von der CDU/CSU, der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege, die Zeit haben Sie leider nicht mehr. Der öffentliche Dienst ist einer der begehrtesten Ar- beitsplätze. Wen finden wir dort? Natürlich die Frauen. Detlev Spangenberg (AfD): Jetzt zähle ich es Ihnen mal auf: Bei den Grundschulen Die habe ich nicht mehr? – Gut, schade. 89 Prozent, Hauptschulen 65 Prozent, Berufsschulen 58 Prozent, Realschulen 65 Prozent, Gymnasium auch (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der 60 Prozent; Hochschulabsolventen, Abiturienten weib- CDU/CSU und der SPD) lich über 50 Prozent. Wissen Sie, die Eigenschaften von Frauen werden immer so dargestellt: „führungsstark“, Ich hätte Ihnen noch was Schönes erzählt. „Durchsetzungsvermögen“, „schmerzunempfindlicher“; in jeder Beziehung werden Superlative ohne Ende ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nannt. – Aber sie kommen einfach nicht hoch. Woran Ich habe hier nur Wasser. liegt denn das? (Lachen bei der SPD, der FDP und dem Detlev Spangenberg (AfD): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also, Schlusswort: Strengen Sie sich mehr an; dann Vielleicht liegt es daran, dass sie zu wenig Energie auf- kommen Sie auch in die Positionen rein. bringen. Das könnte doch sein. Vielen Dank. Also, meine Damen, jetzt habe ich noch ein schö- nes Beispiel zum Gleichstellungsgesetz von 2016. Ein (Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU/ bekanntes Unternehmen konnte eine Stelle nicht beset- CSU und der SPD) 8366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wer ist gegen die Ausschussüberweisung? (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann sicher (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir bezweifeln sagen, dass vom Parlamentsdienst nur Wasser ausge- die Beschlussfähigkeit! – Gegenruf des Abg. schenkt wird. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Mitten in (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der der Abstimmung geht hier gar nichts!) FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – – Das können Sie gerne machen. – Die AfD-Fraktion Unruhe bei der AfD) zweifelt die Beschlussfähigkeit in dieser Frage an. Die Kolleginnen Hilde Mattheis, SPD-Fraktion, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was Christine Aschenberg-Dugnus, FDP-Fraktion, Doris sind das denn für Arschlöcher, Mann!) Achelwilm, Die Linke, und Emmi Zeulner von der CDU/ CSU-Fraktion haben ihre Reden zu Protokoll gegeben, Ich lese dazu zunächst – – 1) was ich begrüße. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nehmen Sie das (Fabian Jacobi [AfD]: „Nur Wasser ausge- ins Protokoll auf, bitte! Haben Sie das gehört, schenkt“? Ist er noch bei Trost, solche Sprü- ja?) che zu bringen?) – Alle Zwischenrufe werden im Protokoll vermerkt, Herr – Ich darf Ihnen mitteilen: Meine Erklärungen sind nicht Baumann, und wenn da etwas gewesen sein sollte – das Gegenstand von Erörterungen, auch nicht von Ihnen. Ich werde ich ja feststellen –, was die Würde des Hauses be- weise darauf hin, dass das eine Fragestellung ist, die mit rührt, dann werde ich eine entsprechende Ordnungsmaß- einem Ordnungsruf belegt werden kann. nahme ergreifen. Die behalte ich mir ausdrücklich vor. (Fabian Jacobi [AfD]: Dann tun Sie das!) (Beatrix von Storch [AfD]: Das können Sie jetzt auch machen! Das haben Sie gehört, wie Aber da wir jetzt hier am Ende sind, will ich mal gnädig wir alle! Das ist doch völlig lachhaft!) mit Ihnen sein. – Frau von Storch, was ich höre und nicht höre, entschei- (Fabian Jacobi [AfD]: Ja, ziemlich am Ende!) de ich immer noch selbst und nicht Sie. – Mit Ihnen bin ich am Ende; das muss jetzt reichen. (Fabian Jacobi [AfD]: Halten Sie das, was Sie da gerade tun, für übereinstimmend mit der Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Würde des Hauses?) Drucksache 19/4855 an die in der Tagesordnung aufge- (B) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- – Sie haben gerade die Feststellung der Beschlussfähig- (D) verstanden? – Das ist der Fall. keit gerügt, und jetzt will ich versuchen, Ihnen zu erklä- ren, wie die Feststellung der Beschlussfähigkeit erfolgt. (Fabian Jacobi [AfD]: Nein!) § 45 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung lautet wie – Sie sind nicht damit einverstanden? folgt: (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Abstimmung in Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschluss- der Sache!) fähigkeit von einer Fraktion oder von einem anwe- – Herr Baumann, die AfD-Fraktion ist nicht damit ein- senden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bun- verstanden und wünscht Abstimmung in der Sache? destags bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder wird die Beschlussfähig- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ja! – Zuruf vom keit vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Er muss auf den Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit Entzug!) der Abstimmung die Beschlussfähigkeit durch Zäh- – Gut, dann werden wir darüber abstimmen. lung der Stimmen nach § 51, im Laufe einer Kern- zeit-Debatte im Verfahren nach § 52 festzustellen. Die AfD wünscht Abstimmung in der Sache. Zunächst Der Präsident kann die Abstimmung auf kurze Zeit einmal muss über die Ausschussüberweisung abgestimmt aussetzen. werden. Wer für die Ausschussüberweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Zuruf von der AfD) (Fabian Jacobi [AfD]: Dieses Haus ist defini- – Sie können machen, was Sie wollen. tiv nicht beschlussfähig!) Ich stelle fest, dass die Beschlussunfähigkeit nicht vor – Das können Sie gar nicht anfechten, sondern das kann Beginn der Abstimmung gerügt worden ist, sondern wäh- nur durch das Präsidium festgestellt werden. Wir finden, rend der Abstimmung, dass das Haus beschlussfähig ist. Gibt es andere Auffas- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sungen? – Das ist nicht der Fall. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Fabian Jacobi [AfD]: Absurdes Theater GRÜNEN) hier!) weshalb ich die Abstimmung jetzt wiederhole. Wer für die Überweisung an die Ausschüsse ist, den bitte ich um 1) Anlage 11 das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Ich stelle fest, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8367-8389

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) dass gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stim- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (C) men aller anderen Fraktionen die Überweisung an die tages auf Freitag, den 14. Dezember 2018, 9 Uhr, ein. Ausschüsse beschlossen ist. Die Sitzung ist geschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (Schluss: 1.04 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8391

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Beer, Nicola FDP Müller, Hansjörg AfD

Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU Müntefering, Michelle SPD

Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE Remmers, Ingrid DIE LINKE

Gremmels, Timon SPD Rüthrich, Susann SPD

Grundmann, Oliver CDU/CSU Scheer, Dr. Nina SPD

Held, Marcus SPD Schmidt, Uwe SPD

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Schulz, Jimmy FDP

Karliczek, Anja CDU/CSU Strack-Zimmermann, Dr. Marie-Agnes FDP

Kolbe, Daniela* SPD Ulrich, Alexander DIE LINKE

Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ Wadephul, Dr. Johann David CDU/CSU DIE GRÜNEN (B) Wagner, Andreas DIE LINKE (D) Kulitz, Alexander FDP Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ Maier, Dr. Lothar AfD DIE GRÜNEN

Marschall, Matern von CDU/CSU Weidel, Dr. Alice AfD

Metzler, Jan CDU/CSU Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU

Mortler, Marlene CDU/CSU Witt, Uwe AfD

*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes

Anlage 2 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten teilgenom- men haben (2. Wahlgang) (Zusatztagesordnungspunkt 8)

Abgegebene Stimmkarten: 659

Ergebnis

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Mariana Iris Harder-­ 241 377 41 0 Kühnel *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. 8392 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Namensverzeichnis (C)

CDU/CSU Klaus-Dieter Gröhler Katharina Landgraf Josef Rief Dr. Michael von Abercron Michael Grosse-Brömer Ulrich Lange Johannes Röring Stephan Albani Astrid Grotelüschen Dr. Silke Launert Dr. Norbert Röttgen Jens Lehmann Stefan Rouenhoff Norbert Maria Altenkamp Markus Grübel Paul Lehrieder Erwin Rüddel Peter Altmaier Monika Grütters Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Philipp Amthor Manfred Grund Dr. Andreas Lenz Stefan Sauer Artur Auernhammer Fritz Güntzler Dr. Ursula von der Leyen Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Aumer Olav Gutting Antje Lezius Dr . Wolfgang Schäuble Dorothee Bär Christian Haase Andrea Lindholz Thomas Bareiß Florian Hahn Dr. Carsten Linnemann Jana Schimke Norbert Barthle Jürgen Hardt Patricia Lips Tankred Schipanski Matthias Hauer Nikolas Löbel Dr. Claudia Schmidtke Sybille Benning Mark Hauptmann Bernhard Loos Patrick Schnieder Dr . André Berghegger Dr. Matthias Heider Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Melanie Bernstein Mechthild Heil Daniela Ludwig Felix Schreiner Christoph Bernstiel Thomas Heilmann Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Peter Beyer Frank Heinrich (Chemnitz) Yvonne Magwas Uwe Schummer Marc Biadacz Mark Helfrich Rudolf Henke Dr . Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am Steffen Bilger Rhein) Michael Hennrich Gisela Manderla Peter Bleser Torsten Schweiger Marc Henrichmann Dr . Astrid Mannes Michael Brand (Fulda) Hans-Georg von der Marwitz Detlef Seif Ansgar Heveling Dr. Reinhard Brandl Andreas Mattfeldt Johannes Selle Christian Hirte Dr. Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Dr. Heribert Hirte Silvia Breher Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Alexander Hoffmann Sebastian Brehm Dr. h. c. Hans Michelbach Karl Holmeier (B) Heike Brehmer Dr. Mathias Middelberg Björn Simon (D) Dr. Hendrik Hoppenstedt Ralph Brinkhaus Dietrich Monstadt Tino Sorge Erich Irlstorfer Dr. Carsten Brodesser Dr. Gerd Müller Katrin Staffler Hans-Jürgen Irmer Gitta Connemann Axel Müller Frank Steffel Thomas Jarzombek Astrid Damerow Sepp Müller Dr . Wolfgang Stefinger Andreas Jung Alexander Dobrindt Carsten Müller Albert Stegemann Marie-Luise Dött Ingmar Jung (Braunschweig) Andreas Steier Michael Donth Alois Karl Stefan Müller (Erlangen) Peter Stein (Rostock) Hansjörg Durz Torbjörn Kartes Dr. Andreas Nick Sebastian Steineke Thomas Erndl Volker Kauder Petra Nicolaisen Johannes Steiniger Hermann Färber Dr. Stefan Kaufmann Michaela Noll Christian Frhr. von Stetten Uwe Feiler Ronja Kemmer Dr . Georg Nüßlein Dieter Stier Enak Ferlemann Roderich Kiesewetter Wilfried Oellers Gero Storjohann Axel E. Fischer (Karlsruhe- Michael Kießling Florian Oßner Stephan Stracke Land) Dr . Georg Kippels Josef Oster Max Straubinger Dr. Maria Flachsbarth Volkmar Klein Henning Otte Karin Strenz Thorsten Frei Axel Knoerig Sylvia Pantel Michael Stübgen Dr. Hans-Peter Friedrich Jens Koeppen Martin Patzelt Dr . Peter Tauber (Hof) Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Dr . Hermann-Josef Tebroke Michael Frieser Markus Koob Stephan Pilsinger Hans-Jürgen Thies Hans-Joachim Fuchtel Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Alexander Throm Ingo Gädechens Gunther Krichbaum Eckhard Pols Dr . Dietlind Tiemann Dr . Thomas Gebhart Dr. Günter Krings Thomas Rachel Antje Tillmann Alois Gerig Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Markus Uhl Eberhard Gienger Dr. Roy Kühne Alexander Radwan Dr . Volker Ullrich Eckhard Gnodtke Michael Kuffer Alois Rainer Arnold Vaatz Ursula Groden-Kranich Andreas G. Lämmel Eckhardt Rehberg Oswin Veith Hermann Gröhe Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Lothar Riebsamen Kerstin Vieregge Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8393

(A) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Groß Christian Petry AfD (C) Kees de Vries Bettina Hagedorn Detlev Pilger Dr. Bernd Baumann Christoph de Vries Rita Hagl-Kehl Sabine Poschmann Marc Bernhard Marco Wanderwitz Metin Hakverdi Florian Post Andreas Bleck Sebastian Hartmann Kai Wegner Achim Post (Minden) Peter Boehringer Dirk Heidenblut Albert H. Weiler Florian Pronold Stephan Brandner Hubertus Heil (Peine) Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Sascha Raabe Jürgen Braun Gabriela Heinrich Peter Weiß (Emmendingen) Martin Rabanus Marcus Bühl Wolfgang Hellmich Ingo Wellenreuther Andreas Rimkus Matthias Büttner Dr. Barbara Hendricks Marian Wendt Sönke Rix Petr Bystron Gustav Herzog Kai Whittaker René Röspel Tino Chrupalla Gabriele Hiller-Ohm Annette Widmann-Mauz Dennis Rohde Joana Cotar Thomas Hitschler Bettina Margarethe Dr. Martin Rosemann Dr. Gottfried Curio Wiesmann Dr. Eva Högl Dr. Ernst Dieter Rossmann Klaus-Peter Willsch Frank Junge Michael Roth (Heringen) Thomas Ehrhorn Elisabeth Winkelmeier- Josip Juratovic Bernd Rützel Berengar Elsner von Gronow Becker Thomas Jurk Sarah Ryglewski Dr. Michael Espendiller Oliver Wittke Oliver Kaczmarek Johann Saathoff Peter Felser Emmi Zeulner Johannes Kahrs Axel Schäfer (Bochum) Dietmar Friedhoff Paul Ziemiak Elisabeth Kaiser Marianne Schieder Dr . Anton Friesen Dr. Matthias Zimmer Ralf Kapschack Dr. Götz Frömming Gabriele Katzmarek Udo Schiefner SPD Ulrich Kelber Dr. Nils Schmid Dr. Alexander Gauland Cansel Kiziltepe Ulla Schmidt (Aachen) Ingrid Arndt-Brauer Dr . Axel Gehrke Arno Klare Dagmar Schmidt (Wetzlar) Heike Baehrens Albrecht Glaser Lars Klingbeil Carsten Schneider (Erfurt) Ulrike Bahr Franziska Gminder Dr. Bärbel Kofler Johannes Schraps Dr. Katarina Barley Elvan Korkmaz Michael Schrodi Wilhelm von Gottberg Doris Barnett (B) Dr. Manja Schüle Kay Gottschalk (D) Dr. Matthias Bartke Armin-Paulus Hampel Christine Lambrecht Ursula Schulte Sören Bartol Mariana Iris Harder-Kühnel Christian Lange (Backnang) Martin Schulz Bärbel Bas Verena Hartmann Dr. Karl Lauterbach Swen Schulz (Spandau) Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Roland Hartwig Stefan Schwartze Leni Breymaier Jochen Haug Burkhard Lischka Andreas Schwarz Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Hebner Kirsten Lühmann Rita Schwarzelühr-Sutter Katrin Budde Udo Theodor Hemmelgarn Heiko Maas Rainer Spiering Martin Burkert Waldemar Herdt Caren Marks Svenja Stadler Dr. Lars Castellucci Lars Herrmann Katja Mast Martina Stamm-Fibich Bernhard Daldrup Christoph Matschie Martin Hess Sonja Amalie Steffen Dr. Daniela De Ridder Hilde Mattheis Nicole Höchst Mathias Stein Dr. Karamba Diaby Dr. Matthias Miersch Martin Hohmann Kerstin Tack Esther Dilcher Susanne Mittag Dr. Bruno Hollnagel Claudia Tausend Sabine Dittmar Siemtje Möller Leif-Erik Holm Michael Thews Dr . Wiebke Esdar Falko Mohrs Johannes Huber Markus Töns Saskia Esken Claudia Moll Fabian Jacobi Carsten Träger Yasmin Fahimi Bettina Müller Dr. Marc Jongen Dr. Johannes Fechner Detlef Müller (Chemnitz) Marja-Liisa Völlers Uwe Kamann Dr. Fritz Felgentreu Michelle Müntefering Dirk Vöpel Dr. Edgar Franke Dr. Rolf Mützenich Ute Vogt Stefan Keuter Andrea Nahles Gabi Weber Norbert Kleinwächter Dietmar Nietan Bernd Westphal Jörn König Sigmar Gabriel Ulli Nissen Dirk Wiese Enrico Komning Michael Gerdes Mahmut Özdemir (Duisburg) Gülistan Yüksel Steffen Kotré Martin Gerster Aydan Özoğuz Dagmar Ziegler Dr. Rainer Kraft Angelika Glöckner Thomas Oppermann Stefan Zierke Rüdiger Lucassen Kerstin Griese Josephine Ortleb Dr. Jens Zimmermann Frank Magnitz 8394 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Jens Maier Katrin Helling-Plahr Johannes Vogel (Olpe) Bernd Riexinger (C) Dr . Birgit Malsack- Markus Herbrand Sandra Weeser Eva-Maria Schreiber Winkemann Torsten Herbst Nicole Westig Dr. Petra Sitte Corinna Miazga Katja Hessel Katharina Willkomm Helin Evrim Sommer Dr. Gero Clemens Hocker Friedrich Straetmanns Volker Münz Manuel Höferlin DIE LINKE Dr . Kirsten Tackmann Sebastian Münzenmaier Dr. Christoph Hoffmann Doris Achelwilm Jessica Tatti Christoph Neumann Reinhard Houben Gökay Akbulut Kathrin Vogler Jan Ralf Nolte Ulla Ihnen Simone Barrientos Dr . Sahra Wagenknecht Ulrich Oehme Olaf in der Beek Dr. Dietmar Bartsch Harald Weinberg Gyde Jensen Matthias W. Birkwald Katrin Werner Frank Pasemann Dr. Christian Jung Heidrun Bluhm Hubertus Zdebel Tobias Matthias Peterka Thomas L. Kemmerich Paul Viktor Podolay Karsten Klein Christine Buchholz Sabine Zimmermann Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Birke Bull-Bischoff (Zwickau) Stephan Protschka Daniela Kluckert Jörg Cezanne Martin Reichardt Pascal Kober Sevim Dağdelen BÜNDNIS 90/ Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Fabio De Masi DIE GRÜNEN Roman Johannes Reusch Carina Konrad Dr. Diether Dehm Luise Amtsberg Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Anke Domscheit-Berg Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Annalena Baerbock Klaus Ernst Jörg Schneider Alexander Graf Lambsdorff Margarete Bause Susanne Ferschl Uwe Schulz Ulrich Lechte Dr. Danyal Bayaz Brigitte Freihold Thomas Seitz Christian Lindner Canan Bayram Sylvia Gabelmann Martin Sichert Michael Georg Link Dr. Franziska Brantner Detlev Spangenberg (Heilbronn) Dr. Dirk Spaniel Oliver Luksic Dr. Ekin Deligöz René Springer Till Mansmann Heike Hänsel Katja Dörner Dr . André Hahn (B) Beatrix von Storch Dr . Jürgen Martens Katharina Dröge (D) Andrej Hunko Dr . Harald Weyel Christoph Meyer Harald Ebner Ulla Jelpke Wolfgang Wiehle Alexander Müller Matthias Gastel Kerstin Kassner Dr . Heiko Wildberg Roman Müller-Böhm Kai Gehring Dr . Achim Kessler Dr . Christian Wirth Frank Müller-Rosentritt Stefan Gelbhaar Katja Kipping Dr. Martin Neumann Katrin Göring-Eckardt Jan Korte FDP (Lausitz) Erhard Grundl Hagen Reinhold Jutta Krellmann Grigorios Aggelidis Anja Hajduk Bernd Reuther Caren Lay Renata Alt Britta Haßelmann Dr. Stefan Ruppert Sabine Leidig Christine Aschenberg- Dr. Bettina Hoffmann Dr . h. c. Thomas Sattelberger Ralph Lenkert Dugnus Dr . Anton Hofreiter Christian Sauter Nicole Bauer Ottmar von Holtz Frank Schäffler Stefan Liebich Jens Beeck Dr . Wieland Schinnenburg Dr. Gesine Lötzsch Dr. Jens Brandenburg Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Rhein-Neckar) Matthias Seestern-Pauly Thomas Lutze Uwe Kekeritz Mario Brandenburg Frank Sitta Pascal Meiser Katja Keul (Südpfalz) Judith Skudelny Cornelia Möhring Dr. Marco Buschmann Dr. Hermann Otto Solms Amira Mohamed Ali Sven-Christian Kindler Karlheinz Busen Bettina Stark-Watzinger Niema Movassat Maria Klein-Schmeink Carl-Julius Cronenberg Benjamin Strasser Norbert Müller (Potsdam) Oliver Krischer Britta Katharina Dassler Katja Suding Zaklin Nastic Stephan Kühn (Dresden) Bijan Djir-Sarai Linda Teuteberg Dr . Alexander S. Neu Christian Kühn (Tübingen) Christian Dürr Michael Theurer Thomas Nord Renate Künast Hartmut Ebbing Stephan Thomae Petra Pau Markus Kurth Dr. Marcus Faber Manfred Todtenhausen Sören Pellmann Monika Lazar Daniel Föst Dr . Florian Toncar Victor Perli Sven Lehmann Otto Fricke Dr . Andrew Ullmann Tobias Pflüger Steffi Lemke Thomas Hacker Gerald Ullrich Martina Renner Dr . Tobias Lindner Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8395

(A) Dr. Irene Mihalic Lisa Paus Dr. Gerhard Schick Jürgen Trittin (C) Claudia Müller Filiz Polat Dr. Dr . Julia Verlinden Beate Müller-Gemmeke Tabea Rößner Stefan Schmidt Daniela Wagner Ingrid Nestle Claudia Roth (Augsburg) Kordula Schulz-Asche Dr. Konstantin von Notz Dr. Manuela Rottmann Dr . Wolfgang Strengmann- Fraktionslos Omid Nouripour Corinna Rüffer Kuhn Cem Özdemir Manuel Sarrazin Margit Stumpp Marco Bülow Friedrich Ostendorff Ulle Schauws Markus Tressel Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 3 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 9 a)

Abgegebene Stimmkarten: 650

Ergebnis

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Marcus Bühl 224 386 39 1

(B) *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. (D)

Namensverzeichnis

CDU/CSU Sebastian Brehm Alois Gerig Michael Hennrich Dr. Michael von Abercron Heike Brehmer Eberhard Gienger Marc Henrichmann Eckhard Gnodtke Ansgar Heveling Stephan Albani Ralph Brinkhaus Dr. Carsten Brodesser Ursula Groden-Kranich Christian Hirte Norbert Maria Altenkamp Gitta Connemann Hermann Gröhe Dr. Heribert Hirte Peter Altmaier Astrid Damerow Klaus-Dieter Gröhler Alexander Hoffmann Artur Auernhammer Alexander Dobrindt Michael Grosse-Brömer Karl Holmeier Peter Aumer Marie-Luise Dött Astrid Grotelüschen Dr. Hendrik Hoppenstedt Dorothee Bär Michael Donth Markus Grübel Erich Irlstorfer Thomas Bareiß Hansjörg Durz Monika Grütters Hans-Jürgen Irmer Norbert Barthle Thomas Erndl Manfred Grund Thomas Jarzombek Veronika Bellmann Hermann Färber Fritz Güntzler Andreas Jung Sybille Benning Uwe Feiler Olav Gutting Ingmar Jung Dr . André Berghegger Enak Ferlemann Christian Haase Alois Karl Melanie Bernstein Axel E. Fischer (Karlsruhe- Florian Hahn Torbjörn Kartes Christoph Bernstiel Land) Jürgen Hardt Volker Kauder Peter Beyer Dr. Maria Flachsbarth Matthias Hauer Dr. Stefan Kaufmann Marc Biadacz Thorsten Frei Mark Hauptmann Ronja Kemmer Steffen Bilger Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Matthias Heider Roderich Kiesewetter Peter Bleser (Hof) Mechthild Heil Michael Kießling Michael Brand (Fulda) Michael Frieser Thomas Heilmann Dr . Georg Kippels Dr. Reinhard Brandl Hans-Joachim Fuchtel Frank Heinrich (Chemnitz) Volkmar Klein Dr. Helge Braun Ingo Gädechens Mark Helfrich Axel Knoerig Silvia Breher Dr . Thomas Gebhart Rudolf Henke Jens Koeppen 8396 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Carsten Körber Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Sigmar Gabriel (C) Markus Koob Eckhard Pols Markus Uhl Michael Gerdes Alexander Krauß Thomas Rachel Dr . Volker Ullrich Martin Gerster Gunther Krichbaum Kerstin Radomski Arnold Vaatz Angelika Glöckner Dr. Günter Krings Alexander Radwan Oswin Veith Kerstin Griese Rüdiger Kruse Alois Rainer Kerstin Vieregge Michael Groß Dr. Roy Kühne Eckhardt Rehberg Volkmar Vogel (Kleinsaara) Bettina Hagedorn Michael Kuffer Lothar Riebsamen Kees de Vries Rita Hagl-Kehl Andreas G. Lämmel Josef Rief Christoph de Vries Metin Hakverdi Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Johannes Röring Marco Wanderwitz Sebastian Hartmann Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen Kai Wegner Dirk Heidenblut Ulrich Lange Stefan Rouenhoff Albert H. Weiler Hubertus Heil (Peine) Dr. Silke Launert Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Gabriela Heinrich Jens Lehmann Albert Rupprecht Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Hellmich Paul Lehrieder Stefan Sauer Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Dr. Katja Leikert Anita Schäfer (Saalstadt) Marian Wendt Gustav Herzog Dr. Andreas Lenz Dr . Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ursula von der Leyen Andreas Scheuer Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Antje Lezius Jana Schimke Bettina Margarethe Dr. Eva Högl Andrea Lindholz Tankred Schipanski Wiesmann Frank Junge Dr. Carsten Linnemann Dr. Claudia Schmidtke Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Patricia Lips Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Thomas Jurk Nikolas Löbel Nadine Schön Becker Oliver Kaczmarek Bernhard Loos Felix Schreiner Oliver Wittke Johannes Kahrs Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Daniela Ludwig Uwe Schummer Paul Ziemiak Ralf Kapschack Karin Maag Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Gabriele Katzmarek Yvonne Magwas Rhein) Ulrich Kelber (B) Dr . Thomas de Maizière Torsten Schweiger SPD Cansel Kiziltepe (D) Gisela Manderla Detlef Seif Arno Klare Ingrid Arndt-Brauer Dr . Astrid Mannes Johannes Selle Lars Klingbeil Heike Baehrens Hans-Georg von der Marwitz Reinhold Sendker Dr. Bärbel Kofler Ulrike Bahr Andreas Mattfeldt Prof. Dr. Patrick Sensburg Elvan Korkmaz Dr. Katarina Barley Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn Anette Kramme Doris Barnett Dr. Michael Meister Björn Simon Christine Lambrecht Dr. Matthias Bartke Dr. h. c. Hans Michelbach Tino Sorge Christian Lange (Backnang) Sören Bartol Dr. Mathias Middelberg Katrin Staffler Dr. Karl Lauterbach Bärbel Bas Dietrich Monstadt Frank Steffel Helge Lindh Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Gerd Müller Dr . Wolfgang Stefinger Burkhard Lischka Axel Müller Albert Stegemann Leni Breymaier Kirsten Lühmann Sepp Müller Andreas Steier Dr. Karl-Heinz Brunner Heiko Maas Carsten Müller Peter Stein (Rostock) Katrin Budde Caren Marks (Braunschweig) Sebastian Steineke Martin Burkert Katja Mast Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Dr. Lars Castellucci Christoph Matschie Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Hilde Mattheis Petra Nicolaisen Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Dr. Matthias Miersch Michaela Noll Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Susanne Mittag Dr . Georg Nüßlein Stephan Stracke Esther Dilcher Siemtje Möller Wilfried Oellers Max Straubinger Sabine Dittmar Falko Mohrs Florian Oßner Karin Strenz Dr . Wiebke Esdar Claudia Moll Josef Oster Michael Stübgen Saskia Esken Bettina Müller Henning Otte Dr . Peter Tauber Yasmin Fahimi Detlef Müller (Chemnitz) Sylvia Pantel Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Michelle Müntefering Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Dr. Rolf Mützenich Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Dr. Edgar Franke Andrea Nahles Stephan Pilsinger Dr . Dietlind Tiemann Ulrich Freese Dietmar Nietan Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8397

(A) Ulli Nissen Dagmar Ziegler Rüdiger Lucassen Torsten Herbst (C) Mahmut Özdemir (Duisburg) Stefan Zierke Frank Magnitz Katja Hessel Aydan Özoğuz Dr. Jens Zimmermann Jens Maier Dr. Gero Clemens Hocker Thomas Oppermann Dr . Birgit Malsack- Manuel Höferlin Josephine Ortleb AfD Winkemann Dr. Christoph Hoffmann Christian Petry Corinna Miazga Reinhard Houben Dr. Bernd Baumann Detlev Pilger Andreas Mrosek Ulla Ihnen Marc Bernhard Sabine Poschmann Volker Münz Olaf in der Beek Andreas Bleck Florian Post Sebastian Münzenmaier Gyde Jensen Peter Boehringer Achim Post (Minden) Christoph Neumann Dr. Christian Jung Stephan Brandner Florian Pronold Ulrich Oehme Karsten Klein Jürgen Braun Dr. Sascha Raabe Gerold Otten Dr. Marcel Klinge Marcus Bühl Martin Rabanus Frank Pasemann Daniela Kluckert Matthias Büttner Andreas Rimkus Tobias Matthias Peterka Pascal Kober Petr Bystron Sönke Rix Paul Viktor Podolay Dr. Lukas Köhler Tino Chrupalla René Röspel Jürgen Pohl Carina Konrad Joana Cotar Dennis Rohde Stephan Protschka Wolfgang Kubicki Dr. Gottfried Curio Dr. Martin Rosemann Martin Reichardt Konstantin Kuhle Siegbert Droese Dr. Ernst Dieter Rossmann Martin Erwin Renner Alexander Graf Lambsdorff Thomas Ehrhorn Michael Roth (Heringen) Roman Johannes Reusch Ulrich Lechte Berengar Elsner von Gronow Bernd Rützel Ulrike Schielke-Ziesing Christian Lindner Dr. Michael Espendiller Michael Georg Link Sarah Ryglewski Dr. Robby Schlund Peter Felser (Heilbronn) Johann Saathoff Jörg Schneider Dietmar Friedhoff Oliver Luksic Axel Schäfer (Bochum) Uwe Schulz Dr . Anton Friesen Till Mansmann Marianne Schieder Thomas Seitz Dr. Götz Frömming Dr . Jürgen Martens Udo Schiefner Martin Sichert Dr. Alexander Gauland Christoph Meyer Dr. Nils Schmid Detlev Spangenberg Dr . Axel Gehrke Alexander Müller Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Dirk Spaniel Albrecht Glaser Roman Müller-Böhm (B) Dagmar Schmidt (Wetzlar) René Springer (D) Franziska Gminder Frank Müller-Rosentritt Carsten Schneider (Erfurt) Beatrix von Storch Wilhelm von Gottberg Dr. Martin Neumann Johannes Schraps Dr . Harald Weyel Kay Gottschalk (Lausitz) Michael Schrodi Wolfgang Wiehle Hagen Reinhold Armin-Paulus Hampel Dr. Manja Schüle Dr . Heiko Wildberg Bernd Reuther Mariana Iris Harder-Kühnel Ursula Schulte Dr . Christian Wirth Dr. Stefan Ruppert Verena Hartmann Martin Schulz Dr . h. c. Thomas Sattelberger Dr. Roland Hartwig Swen Schulz (Spandau) FDP Christian Sauter Stefan Schwartze Jochen Haug Grigorios Aggelidis Frank Schäffler Andreas Schwarz Martin Hebner Renata Alt Dr . Wieland Schinnenburg Rita Schwarzelühr-Sutter Udo Theodor Hemmelgarn Christine Aschenberg- Matthias Seestern-Pauly Rainer Spiering Waldemar Herdt Dugnus Frank Sitta Svenja Stadler Lars Herrmann Nicole Bauer Judith Skudelny Martina Stamm-Fibich Martin Hess Jens Beeck Dr. Hermann Otto Solms Sonja Amalie Steffen Nicole Höchst Dr. Jens Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Martin Hohmann Mathias Stein (Rhein-Neckar) Benjamin Strasser Leif-Erik Holm Kerstin Tack Mario Brandenburg Katja Suding Claudia Tausend Johannes Huber (Südpfalz) Linda Teuteberg Michael Thews Fabian Jacobi Dr. Marco Buschmann Michael Theurer Markus Töns Dr. Marc Jongen Karlheinz Busen Stephan Thomae Carsten Träger Uwe Kamann Carl-Julius Cronenberg Manfred Todtenhausen Marja-Liisa Völlers Jens Kestner Britta Katharina Dassler Dr . Florian Toncar Dirk Vöpel Stefan Keuter Bijan Djir-Sarai Dr . Andrew Ullmann Ute Vogt Norbert Kleinwächter Christian Dürr Gerald Ullrich Gabi Weber Jörn König Hartmut Ebbing Johannes Vogel (Olpe) Bernd Westphal Enrico Komning Dr. Marcus Faber Sandra Weeser Dirk Wiese Steffen Kotré Thomas Hacker Nicole Westig Gülistan Yüksel Dr. Rainer Kraft Katrin Helling-Plahr Katharina Willkomm 8398 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) DIE LINKE Ralph Lenkert BÜNDNIS 90/ Sven Lehmann (C) DIE GRÜNEN Steffi Lemke Doris Achelwilm Michael Leutert Dr . Tobias Lindner Gökay Akbulut Stefan Liebich Luise Amtsberg Dr. Gesine Lötzsch Dr. Irene Mihalic Simone Barrientos Annalena Baerbock Thomas Lutze Margarete Bause Claudia Müller Dr. Dietmar Bartsch Pascal Meiser Dr. Danyal Bayaz Beate Müller-Gemmeke Matthias W. Birkwald Cornelia Möhring Canan Bayram Ingrid Nestle Heidrun Bluhm Amira Mohamed Ali Dr. Franziska Brantner Dr. Konstantin von Notz Michel Brandt Niema Movassat Agnieszka Brugger Omid Nouripour Christine Buchholz Cem Özdemir Norbert Müller (Potsdam) Ekin Deligöz Birke Bull-Bischoff Friedrich Ostendorff Zaklin Nastic Katja Dörner Jörg Cezanne Lisa Paus Dr . Alexander S. Neu Katharina Dröge Sevim Dağdelen Filiz Polat Thomas Nord Harald Ebner Fabio De Masi Matthias Gastel Tabea Rößner Petra Pau Dr. Diether Dehm Kai Gehring Claudia Roth (Augsburg) Sören Pellmann Anke Domscheit-Berg Stefan Gelbhaar Dr. Manuela Rottmann Victor Perli Klaus Ernst Katrin Göring-Eckardt Corinna Rüffer Tobias Pflüger Susanne Ferschl Erhard Grundl Manuel Sarrazin Martina Renner Brigitte Freihold Anja Hajduk Ulle Schauws Bernd Riexinger Dr. Gerhard Schick Sylvia Gabelmann Britta Haßelmann Eva-Maria Schreiber Dr. Frithjof Schmidt Nicole Gohlke Dr. Bettina Hoffmann Dr. Petra Sitte Stefan Schmidt Dr. Gregor Gysi Dr . Anton Hofreiter Helin Evrim Sommer Ottmar von Holtz Kordula Schulz-Asche Heike Hänsel Friedrich Straetmanns Dr. Kirsten Kappert-Gonther Dr . Wolfgang Strengmann- Dr . André Hahn Dr . Kirsten Tackmann Uwe Kekeritz Kuhn Andrej Hunko Jessica Tatti Katja Keul Margit Stumpp Ulla Jelpke Kathrin Vogler Sven-Christian Kindler Markus Tressel Kerstin Kassner Dr . Sahra Wagenknecht Maria Klein-Schmeink Jürgen Trittin (B) (D) Dr . Achim Kessler Harald Weinberg Oliver Krischer Dr . Julia Verlinden Katja Kipping Katrin Werner Stephan Kühn (Dresden) Daniela Wagner

Jan Korte Hubertus Zdebel Christian Kühn (Tübingen) Fraktionslos Jutta Krellmann Pia Zimmermann Renate Künast Caren Lay Sabine Zimmermann Markus Kurth Marco Bülow Sabine Leidig (Zwickau) Monika Lazar Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 4

Ergebnis und Namensverzeichnis

der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilgenommen haben

(Zusatztagesordnungspunkt 9 b)

Abgegebene Stimmkarten: 647

Ergebnis

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Albrecht Glaser 157 445 45 0 Volker Münz 225 369 48 5

*Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8399

(A) Namensverzeichnis (C)

CDU/CSU Michael Grosse-Brömer Dr. Silke Launert Dr. Norbert Röttgen Dr. Michael von Abercron Astrid Grotelüschen Jens Lehmann Stefan Rouenhoff Stephan Albani Markus Grübel Paul Lehrieder Erwin Rüddel Norbert Maria Altenkamp Monika Grütters Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Peter Altmaier Manfred Grund Dr. Andreas Lenz Stefan Sauer Philipp Amthor Fritz Güntzler Dr. Ursula von der Leyen Anita Schäfer (Saalstadt) Artur Auernhammer Olav Gutting Antje Lezius Dr . Wolfgang Schäuble Peter Aumer Christian Haase Andrea Lindholz Andreas Scheuer Dorothee Bär Florian Hahn Dr. Carsten Linnemann Jana Schimke Thomas Bareiß Jürgen Hardt Patricia Lips Tankred Schipanski Norbert Barthle Matthias Hauer Nikolas Löbel Dr. Claudia Schmidtke Veronika Bellmann Mark Hauptmann Bernhard Loos Patrick Schnieder Sybille Benning Dr. Matthias Heider Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Dr . André Berghegger Mechthild Heil Daniela Ludwig Felix Schreiner Melanie Bernstein Thomas Heilmann Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Christoph Bernstiel Frank Heinrich (Chemnitz) Yvonne Magwas Uwe Schummer Peter Beyer Mark Helfrich Dr . Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am Rhein) Marc Biadacz Rudolf Henke Gisela Manderla Torsten Schweiger Steffen Bilger Michael Hennrich Dr . Astrid Mannes Detlef Seif Peter Bleser Marc Henrichmann Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle Michael Brand (Fulda) Ansgar Heveling Andreas Mattfeldt Dr. Reinhard Brandl Christian Hirte Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Dr. Helge Braun Dr. Heribert Hirte Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Silvia Breher Alexander Hoffmann Dr. h. c. Hans Michelbach Thomas Silberhorn Sebastian Brehm Karl Holmeier Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Heike Brehmer Dr. Hendrik Hoppenstedt Dietrich Monstadt Tino Sorge (B) Ralph Brinkhaus Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller Katrin Staffler (D) Dr. Carsten Brodesser Hans-Jürgen Irmer Axel Müller Frank Steffel Gitta Connemann Thomas Jarzombek Sepp Müller Dr . Wolfgang Stefinger Astrid Damerow Andreas Jung Carsten Müller Albert Stegemann Alexander Dobrindt Ingmar Jung (Braunschweig) Andreas Steier Marie-Luise Dött Alois Karl Stefan Müller (Erlangen) Peter Stein (Rostock) Michael Donth Torbjörn Kartes Dr. Andreas Nick Sebastian Steineke Hansjörg Durz Volker Kauder Petra Nicolaisen Johannes Steiniger Thomas Erndl Dr. Stefan Kaufmann Michaela Noll Christian Frhr. von Stetten Hermann Färber Ronja Kemmer Dr . Georg Nüßlein Dieter Stier Uwe Feiler Roderich Kiesewetter Wilfried Oellers Gero Storjohann Enak Ferlemann Michael Kießling Florian Oßner Stephan Stracke Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr . Georg Kippels Josef Oster Max Straubinger Land) Volkmar Klein Henning Otte Karin Strenz Dr. Maria Flachsbarth Axel Knoerig Sylvia Pantel Michael Stübgen Thorsten Frei Jens Koeppen Martin Patzelt Dr . Peter Tauber Dr. Hans-Peter Friedrich Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Dr . Hermann-Josef Tebroke (Hof) Markus Koob Stephan Pilsinger Hans-Jürgen Thies Michael Frieser Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Alexander Throm Hans-Joachim Fuchtel Gunther Krichbaum Eckhard Pols Dr . Dietlind Tiemann Ingo Gädechens Dr. Günter Krings Thomas Rachel Antje Tillmann Dr . Thomas Gebhart Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Markus Uhl Alois Gerig Dr. Roy Kühne Alexander Radwan Dr . Volker Ullrich Eberhard Gienger Michael Kuffer Alois Rainer Arnold Vaatz Eckhard Gnodtke Andreas G. Lämmel Eckhardt Rehberg Oswin Veith Ursula Groden-Kranich Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Lothar Riebsamen Kerstin Vieregge Hermann Gröhe Katharina Landgraf Josef Rief Volkmar Vogel (Kleinsaara) Klaus-Dieter Gröhler Ulrich Lange Johannes Röring Kees de Vries 8400 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Christoph de Vries Sebastian Hartmann Florian Pronold Stephan Brandner (C) Marco Wanderwitz Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Jürgen Braun Kai Wegner Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Marcus Bühl Albert H. Weiler Wolfgang Hellmich Andreas Rimkus Matthias Büttner Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Barbara Hendricks Sönke Rix Petr Bystron Peter Weiß (Emmendingen) Gustav Herzog René Röspel Tino Chrupalla Ingo Wellenreuther Gabriele Hiller-Ohm Dennis Rohde Joana Cotar Marian Wendt Thomas Hitschler Dr. Martin Rosemann Dr. Gottfried Curio Kai Whittaker Dr. Eva Högl Dr. Ernst Dieter Rossmann Siegbert Droese Annette Widmann-Mauz Frank Junge Michael Roth (Heringen) Thomas Ehrhorn Bettina Margarethe Josip Juratovic Bernd Rützel Berengar Elsner von Gronow Wiesmann Thomas Jurk Sarah Ryglewski Dr. Michael Espendiller Klaus-Peter Willsch Oliver Kaczmarek Johann Saathoff Peter Felser Elisabeth Winkelmeier- Johannes Kahrs Axel Schäfer (Bochum) Dietmar Friedhoff Becker Elisabeth Kaiser Marianne Schieder Dr . Anton Friesen Oliver Wittke Ralf Kapschack Udo Schiefner Dr. Götz Frömming Emmi Zeulner Gabriele Katzmarek Dr. Nils Schmid Dr. Alexander Gauland Paul Ziemiak Ulrich Kelber Ulla Schmidt (Aachen) Dr . Axel Gehrke Dr. Matthias Zimmer Cansel Kiziltepe Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albrecht Glaser Arno Klare Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder SPD Lars Klingbeil Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg Dr. Bärbel Kofler Kay Gottschalk Ingrid Arndt-Brauer Michael Schrodi Elvan Korkmaz Armin-Paulus Hampel Heike Baehrens Dr. Manja Schüle Anette Kramme Mariana Iris Harder-Kühnel Ulrike Bahr Ursula Schulte Christine Lambrecht Verena Hartmann Dr. Katarina Barley Martin Schulz Christian Lange (Backnang) Dr. Roland Hartwig Doris Barnett Swen Schulz (Spandau) Dr. Karl Lauterbach Jochen Haug Dr. Matthias Bartke Stefan Schwartze Helge Lindh Martin Hebner Sören Bartol Andreas Schwarz (B) Burkhard Lischka Udo Theodor Hemmelgarn (D) Bärbel Bas Rita Schwarzelühr-Sutter Kirsten Lühmann Waldemar Herdt Lothar Binding (Heidelberg) Rainer Spiering Heiko Maas Lars Herrmann Leni Breymaier Svenja Stadler Caren Marks Martin Hess Dr. Karl-Heinz Brunner Martina Stamm-Fibich Katja Mast Nicole Höchst Katrin Budde Sonja Amalie Steffen Christoph Matschie Martin Hohmann Martin Burkert Mathias Stein Hilde Mattheis Dr. Bruno Hollnagel Dr. Lars Castellucci Kerstin Tack Dr. Matthias Miersch Leif-Erik Holm Bernhard Daldrup Claudia Tausend Susanne Mittag Johannes Huber Dr. Daniela De Ridder Michael Thews Siemtje Möller Fabian Jacobi Dr. Karamba Diaby Markus Töns Falko Mohrs Uwe Kamann Carsten Träger Esther Dilcher Claudia Moll Jens Kestner Marja-Liisa Völlers Sabine Dittmar Bettina Müller Stefan Keuter Dirk Vöpel Dr . Wiebke Esdar Detlef Müller (Chemnitz) Norbert Kleinwächter Ute Vogt Saskia Esken Michelle Müntefering Jörn König Gabi Weber Yasmin Fahimi Dr. Rolf Mützenich Enrico Komning Bernd Westphal Dr. Johannes Fechner Andrea Nahles Steffen Kotré Dirk Wiese Dr. Fritz Felgentreu Dietmar Nietan Dr. Rainer Kraft Gülistan Yüksel Dr. Edgar Franke Ulli Nissen Rüdiger Lucassen Dagmar Ziegler Ulrich Freese Mahmut Özdemir (Duisburg) Frank Magnitz Stefan Zierke Michael Gerdes Aydan Özoğuz Jens Maier Dr. Jens Zimmermann Martin Gerster Thomas Oppermann Dr . Birgit Malsack-

Angelika Glöckner Josephine Ortleb Winkemann Kerstin Griese Christian Petry AfD Corinna Miazga Michael Groß Detlev Pilger Dr. Bernd Baumann Volker Münz Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Marc Bernhard Sebastian Münzenmaier Rita Hagl-Kehl Florian Post Andreas Bleck Christoph Neumann Metin Hakverdi Achim Post (Minden) Peter Boehringer Ulrich Oehme Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8401

(A) Gerold Otten Gyde Jensen Michel Brandt Pia Zimmermann (C) Frank Pasemann Dr. Christian Jung Christine Buchholz Sabine Zimmermann Tobias Matthias Peterka Karsten Klein Birke Bull-Bischoff (Zwickau) Paul Viktor Podolay Dr. Marcel Klinge Jörg Cezanne Jürgen Pohl Daniela Kluckert Sevim Dağdelen BÜNDNIS 90/ Stephan Protschka Pascal Kober Fabio De Masi DIE GRÜNEN Martin Reichardt Dr. Lukas Köhler Dr. Diether Dehm Luise Amtsberg Martin Erwin Renner Carina Konrad Anke Domscheit-Berg Annalena Baerbock Roman Johannes Reusch Wolfgang Kubicki Klaus Ernst Margarete Bause Ulrike Schielke-Ziesing Konstantin Kuhle Susanne Ferschl Dr. Danyal Bayaz Dr. Robby Schlund Alexander Graf Lambsdorff Brigitte Freihold Canan Bayram Jörg Schneider Ulrich Lechte Sylvia Gabelmann Dr. Franziska Brantner Uwe Schulz Christian Lindner Nicole Gohlke Agnieszka Brugger Thomas Seitz Michael Georg Link Dr. Gregor Gysi Ekin Deligöz Martin Sichert (Heilbronn) Heike Hänsel Katja Dörner Detlev Spangenberg Oliver Luksic Dr . André Hahn Katharina Dröge Dr. Dirk Spaniel Till Mansmann Andrej Hunko Harald Ebner René Springer Dr . Jürgen Martens Ulla Jelpke Matthias Gastel Beatrix von Storch Christoph Meyer Kerstin Kassner Kai Gehring Dr . Harald Weyel Alexander Müller Dr . Achim Kessler Wolfgang Wiehle Stefan Gelbhaar Roman Müller-Böhm Katja Kipping Dr . Heiko Wildberg Katrin Göring-Eckardt Frank Müller-Rosentritt Jan Korte Dr . Christian Wirth Erhard Grundl Hagen Reinhold Jutta Krellmann Anja Hajduk Bernd Reuther Caren Lay FDP Britta Haßelmann Dr. Stefan Ruppert Sabine Leidig Dr. Bettina Hoffmann Grigorios Aggelidis Dr . h. c. Thomas Sattelberger Ralph Lenkert Dr . Anton Hofreiter Renata Alt Christian Sauter Michael Leutert Ottmar von Holtz Christine Aschenberg- Frank Schäffler Stefan Liebich (B) Dr. Kirsten Kappert-Gonther (D) Dugnus Dr . Wieland Schinnenburg Dr. Gesine Lötzsch Uwe Kekeritz Nicole Bauer Matthias Seestern-Pauly Thomas Lutze Katja Keul Jens Beeck Frank Sitta Pascal Meiser Sven-Christian Kindler Dr. Jens Brandenburg Judith Skudelny Cornelia Möhring (Rhein-Neckar) Maria Klein-Schmeink Dr. Hermann Otto Solms Amira Mohamed Ali Mario Brandenburg Oliver Krischer Bettina Stark-Watzinger Niema Movassat (Südpfalz) Stephan Kühn (Dresden) Benjamin Strasser Norbert Müller (Potsdam) Dr. Marco Buschmann Katja Suding Christian Kühn (Tübingen) Karlheinz Busen Zaklin Nastic Linda Teuteberg Renate Künast Carl-Julius Cronenberg Dr . Alexander S. Neu Michael Theurer Markus Kurth Britta Katharina Dassler Thomas Nord Stephan Thomae Monika Lazar Bijan Djir-Sarai Petra Pau Manfred Todtenhausen Sven Lehmann Christian Dürr Sören Pellmann Dr . Florian Toncar Steffi Lemke Hartmut Ebbing Victor Perli Dr . Andrew Ullmann Dr . Tobias Lindner Dr. Marcus Faber Tobias Pflüger Gerald Ullrich Dr. Irene Mihalic Daniel Föst Martina Renner Johannes Vogel (Olpe) Claudia Müller Otto Fricke Bernd Riexinger Sandra Weeser Ingrid Nestle Thomas Hacker Eva-Maria Schreiber Nicole Westig Katrin Helling-Plahr Dr. Petra Sitte Dr. Konstantin von Notz Katharina Willkomm Markus Herbrand Helin Evrim Sommer Omid Nouripour

Torsten Herbst Friedrich Straetmanns Cem Özdemir DIE LINKE Katja Hessel Dr . Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff Dr. Gero Clemens Hocker Doris Achelwilm Jessica Tatti Lisa Paus Manuel Höferlin Gökay Akbulut Kathrin Vogler Tabea Rößner Dr. Christoph Hoffmann Simone Barrientos Dr . Sahra Wagenknecht Claudia Roth (Augsburg) Reinhard Houben Dr. Dietmar Bartsch Harald Weinberg Dr. Manuela Rottmann Ulla Ihnen Matthias W. Birkwald Katrin Werner Corinna Rüffer Olaf in der Beek Heidrun Bluhm Hubertus Zdebel Manuel Sarrazin 8402 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Ulle Schauws Kordula Schulz-Asche Markus Tressel Fraktionslos (C) Dr. Gerhard Schick Dr . Wolfgang Strengmann- Jürgen Trittin Marco Bülow Kuhn Dr. Frithjof Schmidt Dr . Julia Verlinden Mario Mieruch Stefan Schmidt Margit Stumpp Daniela Wagner

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 5 Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Zusatztagesordnungspunkt 9 c)

Abgegebene Stimmkarten: 647

Ergebnis der Wahl eines ordentlichen Mitglieds

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Peter Boehringer 212 403 32 0 *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Abgegebene Stimmkarten: 646

Ergebnis der Wahl eines stellvertretenden Mitglieds

(B) Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen (D) Dr . Birgit Malsack-­ 203 403 38 2 Winkemann *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Namensverzeichnis

CDU/CSU Peter Bleser Axel E. Fischer (Karlsruhe- Manfred Grund Land) Dr. Michael von Abercron Michael Brand (Fulda) Fritz Güntzler Dr. Maria Flachsbarth Stephan Albani Dr. Reinhard Brandl Olav Gutting Thorsten Frei Norbert Maria Altenkamp Dr. Helge Braun Christian Haase Silvia Breher Dr. Hans-Peter Friedrich Florian Hahn Peter Altmaier (Hof) Sebastian Brehm Jürgen Hardt Philipp Amthor Michael Frieser Heike Brehmer Matthias Hauer Artur Auernhammer Hans-Joachim Fuchtel Ralph Brinkhaus Mark Hauptmann Peter Aumer Ingo Gädechens Dr. Carsten Brodesser Dr. Matthias Heider Dorothee Bär Dr . Thomas Gebhart Gitta Connemann Mechthild Heil Thomas Bareiß Alois Gerig Norbert Barthle Astrid Damerow Eberhard Gienger Thomas Heilmann Veronika Bellmann Alexander Dobrindt Eckhard Gnodtke Frank Heinrich (Chemnitz) Sybille Benning Marie-Luise Dött Ursula Groden-Kranich Mark Helfrich Dr . André Berghegger Michael Donth Hermann Gröhe Rudolf Henke Melanie Bernstein Hansjörg Durz Klaus-Dieter Gröhler Michael Hennrich Christoph Bernstiel Thomas Erndl Michael Grosse-Brömer Marc Henrichmann Peter Beyer Hermann Färber Astrid Grotelüschen Ansgar Heveling Marc Biadacz Uwe Feiler Markus Grübel Christian Hirte Steffen Bilger Enak Ferlemann Monika Grütters Dr. Heribert Hirte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8403

(A) Alexander Hoffmann Dr. Gerd Müller Albert Stegemann Dr. Karl-Heinz Brunner (C) Karl Holmeier Sepp Müller Andreas Steier Katrin Budde Dr. Hendrik Hoppenstedt Carsten Müller Peter Stein (Rostock) Martin Burkert Erich Irlstorfer (Braunschweig) Sebastian Steineke Dr. Lars Castellucci Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Bernhard Daldrup Thomas Jarzombek Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Dr. Daniela De Ridder Andreas Jung Petra Nicolaisen Dieter Stier Dr. Karamba Diaby Ingmar Jung Michaela Noll Gero Storjohann Esther Dilcher Alois Karl Dr . Georg Nüßlein Stephan Stracke Sabine Dittmar Torbjörn Kartes Wilfried Oellers Max Straubinger Dr . Wiebke Esdar Volker Kauder Florian Oßner Karin Strenz Saskia Esken Dr. Stefan Kaufmann Josef Oster Michael Stübgen Yasmin Fahimi Roderich Kiesewetter Henning Otte Dr . Peter Tauber Dr. Johannes Fechner Michael Kießling Sylvia Pantel Dr . Hermann-Josef Tebroke Dr. Fritz Felgentreu Dr . Georg Kippels Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Edgar Franke Volkmar Klein Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Ulrich Freese Axel Knoerig Stephan Pilsinger Dr . Dietlind Tiemann Michael Gerdes Jens Koeppen Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Martin Gerster Carsten Körber Eckhard Pols Markus Uhl Angelika Glöckner Thomas Rachel Markus Koob Dr . Volker Ullrich Kerstin Griese Kerstin Radomski Alexander Krauß Arnold Vaatz Michael Groß Gunther Krichbaum Alexander Radwan Bettina Hagedorn Kerstin Vieregge Dr. Günter Krings Alois Rainer Rita Hagl-Kehl Volkmar Vogel (Kleinsaara) Rüdiger Kruse Eckhardt Rehberg Metin Hakverdi Kees de Vries Dr. Roy Kühne Lothar Riebsamen Sebastian Hartmann Christoph de Vries Michael Kuffer Josef Rief Dirk Heidenblut Marco Wanderwitz Andreas G. Lämmel Johannes Röring Hubertus Heil (Peine) Kai Wegner Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Norbert Röttgen Gabriela Heinrich Albert H. Weiler (B) Katharina Landgraf Stefan Rouenhoff Wolfgang Hellmich (D) Marcus Weinberg (Hamburg) Ulrich Lange Erwin Rüddel Dr. Barbara Hendricks Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Silke Launert Albert Rupprecht Gustav Herzog Ingo Wellenreuther Jens Lehmann Stefan Sauer Gabriele Hiller-Ohm Marian Wendt Paul Lehrieder Anita Schäfer (Saalstadt) Thomas Hitschler Kai Whittaker Dr. Katja Leikert Dr . Wolfgang Schäuble Dr. Eva Högl Annette Widmann-Mauz Dr. Andreas Lenz Andreas Scheuer Frank Junge Bettina Margarethe Dr. Ursula von der Leyen Jana Schimke Josip Juratovic Wiesmann Antje Lezius Tankred Schipanski Thomas Jurk Klaus-Peter Willsch Andrea Lindholz Dr. Claudia Schmidtke Oliver Kaczmarek Elisabeth Winkelmeier- Dr. Carsten Linnemann Johannes Kahrs Patrick Schnieder Becker Patricia Lips Elisabeth Kaiser Nadine Schön Oliver Wittke Nikolas Löbel Felix Schreiner Ralf Kapschack Emmi Zeulner Bernhard Loos Dr. Klaus-Peter Schulze Gabriele Katzmarek Paul Ziemiak Dr. Jan-Marco Luczak Uwe Schummer Ulrich Kelber Dr. Matthias Zimmer Daniela Ludwig Armin Schuster (Weil am Cansel Kiziltepe

Karin Maag Rhein) Arno Klare SPD Yvonne Magwas Torsten Schweiger Lars Klingbeil Dr . Thomas de Maizière Detlef Seif Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Gisela Manderla Johannes Selle Heike Baehrens Elvan Korkmaz Dr . Astrid Mannes Reinhold Sendker Ulrike Bahr Anette Kramme Hans-Georg von der Marwitz Dr. Patrick Sensburg Dr. Katarina Barley Christine Lambrecht Andreas Mattfeldt Thomas Silberhorn Doris Barnett Christian Lange (Backnang) Stephan Mayer (Altötting) Björn Simon Dr. Matthias Bartke Dr. Karl Lauterbach Dr. Michael Meister Tino Sorge Sören Bartol Helge Lindh Dr. h. c. Hans Michelbach Katrin Staffler Bärbel Bas Burkhard Lischka Dr. Mathias Middelberg Frank Steffel Lothar Binding (Heidelberg) Kirsten Lühmann Dietrich Monstadt Dr . Wolfgang Stefinger Leni Breymaier Heiko Maas 8404 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Caren Marks Martina Stamm-Fibich Martin Hess Christine Aschenberg- (C) Katja Mast Sonja Amalie Steffen Nicole Höchst Dugnus Christoph Matschie Mathias Stein Martin Hohmann Nicole Bauer Hilde Mattheis Kerstin Tack Dr. Bruno Hollnagel Jens Beeck Dr. Matthias Miersch Claudia Tausend Leif-Erik Holm Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Susanne Mittag Michael Thews Johannes Huber Mario Brandenburg Siemtje Möller Markus Töns Fabian Jacobi (Südpfalz) Falko Mohrs Carsten Träger Dr. Marc Jongen Dr. Marco Buschmann Claudia Moll Marja-Liisa Völlers Uwe Kamann Karlheinz Busen Bettina Müller Dirk Vöpel Jens Kestner Carl-Julius Cronenberg Detlef Müller (Chemnitz) Ute Vogt Stefan Keuter Michelle Müntefering Britta Katharina Dassler Gabi Weber Norbert Kleinwächter Bijan Djir-Sarai Dr. Rolf Mützenich Bernd Westphal Jörn König Christian Dürr Andrea Nahles Dirk Wiese Enrico Komning Hartmut Ebbing Dietmar Nietan Gülistan Yüksel Steffen Kotré Dr. Marcus Faber Ulli Nissen Dagmar Ziegler Dr. Rainer Kraft Daniel Föst Mahmut Özdemir (Duisburg) Stefan Zierke Rüdiger Lucassen Otto Fricke Aydan Özoğuz Dr. Jens Zimmermann Frank Magnitz Thomas Hacker Thomas Oppermann Jens Maier Katrin Helling-Plahr Josephine Ortleb AfD Christian Petry Dr . Birgit Malsack- Markus Herbrand Dr. Bernd Baumann Winkemann Detlev Pilger Torsten Herbst Marc Bernhard Corinna Miazga Sabine Poschmann Katja Hessel Andreas Bleck Andreas Mrosek Florian Post Dr. Gero Clemens Hocker Peter Boehringer Achim Post (Minden) Volker Münz Manuel Höferlin Stephan Brandner Florian Pronold Sebastian Münzenmaier Dr. Christoph Hoffmann Dr. Sascha Raabe Jürgen Braun Christoph Neumann Reinhard Houben Martin Rabanus Marcus Bühl Ulrich Oehme Ulla Ihnen (B) Andreas Rimkus Matthias Büttner Gerold Otten Olaf in der Beek (D) Sönke Rix Petr Bystron Frank Pasemann Gyde Jensen René Röspel Tino Chrupalla Tobias Matthias Peterka Dr. Christian Jung Dennis Rohde Joana Cotar Paul Viktor Podolay Karsten Klein Dr. Martin Rosemann Dr. Gottfried Curio Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Dr. Ernst Dieter Rossmann Siegbert Droese Stephan Protschka Pascal Kober Michael Roth (Heringen) Thomas Ehrhorn Martin Reichardt Dr. Lukas Köhler Bernd Rützel Berengar Elsner von Gronow Martin Erwin Renner Carina Konrad Sarah Ryglewski Dr. Michael Espendiller Roman Johannes Reusch Wolfgang Kubicki Johann Saathoff Peter Felser Ulrike Schielke-Ziesing Konstantin Kuhle Axel Schäfer (Bochum) Dietmar Friedhoff Dr. Robby Schlund Alexander Graf Lambsdorff Marianne Schieder Dr . Anton Friesen Jörg Schneider Ulrich Lechte Dr. Götz Frömming Udo Schiefner Uwe Schulz Christian Lindner Dr. Alexander Gauland Dr. Nils Schmid Thomas Seitz Michael Georg Link Dr . Axel Gehrke Ulla Schmidt (Aachen) Martin Sichert (Heilbronn) Albrecht Glaser Dagmar Schmidt (Wetzlar) Detlev Spangenberg Oliver Luksic Franziska Gminder Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Dirk Spaniel Till Mansmann Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg René Springer Dr . Jürgen Martens Michael Schrodi Kay Gottschalk Alexander Müller Beatrix von Storch Dr. Manja Schüle Armin-Paulus Hampel Roman Müller-Böhm Dr . Harald Weyel Ursula Schulte Mariana Iris Harder-Kühnel Frank Müller-Rosentritt Wolfgang Wiehle Martin Schulz Verena Hartmann Dr. Martin Neumann Dr . Heiko Wildberg Swen Schulz (Spandau) Dr. Roland Hartwig (Lausitz) Dr . Christian Wirth Stefan Schwartze Jochen Haug Hagen Reinhold

Andreas Schwarz Martin Hebner Bernd Reuther FDP Rita Schwarzelühr-Sutter Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Stefan Ruppert Rainer Spiering Waldemar Herdt Grigorios Aggelidis Dr . h. c. Thomas Sattelberger Svenja Stadler Lars Herrmann Renata Alt Christian Sauter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8405

(A) Frank Schäffler Brigitte Freihold Jessica Tatti Christian Kühn (Tübingen) (C) Dr . Wieland Schinnenburg Sylvia Gabelmann Kathrin Vogler Renate Künast Matthias Seestern-Pauly Nicole Gohlke Dr . Sahra Wagenknecht Markus Kurth Frank Sitta Dr. Gregor Gysi Harald Weinberg Monika Lazar Judith Skudelny Heike Hänsel Katrin Werner Sven Lehmann Dr. Hermann Otto Solms Dr . André Hahn Hubertus Zdebel Steffi Lemke Bettina Stark-Watzinger Andrej Hunko Pia Zimmermann Dr . Tobias Lindner Benjamin Strasser Ulla Jelpke Sabine Zimmermann Dr. Irene Mihalic Katja Suding Kerstin Kassner (Zwickau) Claudia Müller Linda Teuteberg Dr . Achim Kessler Beate Müller-Gemmeke Michael Theurer Katja Kipping BÜNDNIS 90/ Ingrid Nestle DIE GRÜNEN Stephan Thomae Jan Korte Dr. Konstantin von Notz Manfred Todtenhausen Jutta Krellmann Luise Amtsberg Omid Nouripour Dr . Florian Toncar Caren Lay Annalena Baerbock Cem Özdemir Dr . Andrew Ullmann Sabine Leidig Margarete Bause Friedrich Ostendorff Gerald Ullrich Ralph Lenkert Dr. Danyal Bayaz Lisa Paus Johannes Vogel (Olpe) Michael Leutert Canan Bayram Filiz Polat Stefan Liebich Sandra Weeser Dr. Franziska Brantner Tabea Rößner Dr. Gesine Lötzsch Nicole Westig Agnieszka Brugger Claudia Roth (Augsburg) Thomas Lutze Ekin Deligöz Katharina Willkomm Dr. Manuela Rottmann Pascal Meiser Katja Dörner Corinna Rüffer Cornelia Möhring Katharina Dröge DIE LINKE Manuel Sarrazin Amira Mohamed Ali Harald Ebner Ulle Schauws Doris Achelwilm Niema Movassat Matthias Gastel Dr. Gerhard Schick Gökay Akbulut Norbert Müller (Potsdam) Kai Gehring Dr. Frithjof Schmidt Simone Barrientos Zaklin Nastic Stefan Gelbhaar Stefan Schmidt Dr. Dietmar Bartsch Dr . Alexander S. Neu Katrin Göring-Eckardt Kordula Schulz-Asche Matthias W. Birkwald Thomas Nord Erhard Grundl Dr . Wolfgang Strengmann- (B) Heidrun Bluhm Petra Pau Anja Hajduk (D) Kuhn Michel Brandt Sören Pellmann Britta Haßelmann Margit Stumpp Christine Buchholz Victor Perli Dr. Bettina Hoffmann Markus Tressel Birke Bull-Bischoff Tobias Pflüger Dr . Anton Hofreiter Jürgen Trittin Jörg Cezanne Martina Renner Ottmar von Holtz Dr . Julia Verlinden Sevim Dağdelen Bernd Riexinger Dr. Kirsten Kappert-Gonther Daniela Wagner Fabio De Masi Eva-Maria Schreiber Uwe Kekeritz

Dr. Diether Dehm Dr. Petra Sitte Katja Keul Fraktionslos Anke Domscheit-Berg Helin Evrim Sommer Maria Klein-Schmeink Klaus Ernst Friedrich Straetmanns Oliver Krischer Marco Bülow Susanne Ferschl Dr . Kirsten Tackmann Stephan Kühn (Dresden) Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 6 Zu unserer Ablehnung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung Erklärung nach § 31 GO des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 auf Drucksa- che 19/1038 erklären wir: der Abgeordneten Stephan Albani, Dr. André Berghegger, Enak Ferlemann, Astrid Grotelüschen, Der Solidaritätszuschlag wurde zunächst 1991 befris- Fritz Güntzler, Henning Otte und Eckhard Pols tet eingeführt. Er wird seit 1995 dauerhaft als Zuschlag (alle CDU/CSU) zu der namentlichen Abstim- mung über den von den Abgeordneten Christian auf die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer erho- Lindner, Christian Dürr, Wolfgang Kubicki, ben. Mit den Einnahmen sollen die Kosten der Deut- Dr. Marco Buschmann und der Fraktion der FDP schen Einheit finanziert werden. Mit dem Auslaufen des eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhe- „Solidarpakts Ost“ Ende 2019 ist eine solche finanzielle bung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 Sonderbelastung der Bürger und Unternehmen jedoch (Tagesordnungspunkt 8 a) nicht mehr länger begründbar. 8406 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Im Koalitionsvertrag haben sich CDU, CSU und SPD Forderungen nach einer sofortigen Abschaffung des (C) deshalb bereits darauf verständigt, den Solidaritätszu- Soli auf einen Schlag sind unseriös, da kurzfristig dafür schlag schrittweise abzuschaffen und ab dem Jahr 2021 nicht die notwendigen Haushaltsspielräume bestehen. mit einem deutlichen ersten Schritt im Umfang von 10 Milliarden Euro zu beginnen. Dadurch würden rund Wenn die nächste Steuerschätzung neue Haushalts- 90 Prozent aller Zahler des Solidaritätszuschlags durch spielräume aufzeigt, die zum Zeitpunkt der Koalitions- eine Freigrenze – mit Gleitzone – vollständig vom So- verhandlungen noch nicht erkennbar waren, müssen lidaritätszuschlag entlastet. Die Bundesregierung sollte diese zugunsten eines rascheren Soli-Abbaus verwendet hierzu initiativ werden und einen Gesetzentwurf vorle- werden. gen. Denn unter anderem die Unternehmensteuerreformen Gitta Connemann (CDU/CSU): Den von der in den USA, Frankreich und Großbritannien führen dazu, FDP-Bundestagsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf dass der Wirtschaftsstandort Deutschland herausgefor- lehne ich aus folgenden Gründen ab: dert wird. Mit einer vollständigen Abschaffung des So- lidaritätszuschlages würde auch ein Signal für die Wett- Der Solidaritätszuschlag wurde 1991 zunächst befris- bewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und unserer tet eingeführt. Seit 1995 wird dieser dauerhaft erhoben. Unternehmen und Betriebe gesetzt werden, indem auch Mit den Einnahmen sollen die Kosten der Deutschen für diese der Solidaritätszuschlag entfällt. Gerade auch Einheit finanziert werden. Angesichts des Auslaufens Personengesellschaften, die das Rückgrat der deutschen des „Solidarpakts Ost“ Ende 2019 kann diese finanziel- Wirtschaft sind, würden hierdurch entlastet. le Sonderbelastung für Bürger und Betriebe jedoch nicht mehr länger begründet werden. Der Koalitionsvertrag gilt selbstverständlich und ist Ausgangspunkt der Diskussion über die komplette Ab- Deshalb haben sich CDU, CSU und SPD bereits im schaffung des Solidaritätszuschlages. Durch die zusätz- Koalitionsvertrag darauf verständigt, den Solidaritäts- lichen Spielräume im Bundeshaushalt, die sich seit dem zuschlag schrittweise abzuschaffen. Ab dem Jahr 2021 Abschluss des Koalitionsvertrages ergeben haben, sollte soll mit einem deutlichen ersten Schritt im Umfang von darüber hinausgegangen werden. Es geht darum, durch 10 Milliarden Euro begonnen werden. Dadurch würden eine vollständige Entlastung vom Solidaritätszuschlag rund 90 Prozent aller Zahler des Solidaritätszuschlags allen Bürgerinnen und Bürgern ihr Geld zurückzugeben durch eine Freigrenze – mit Gleitzone – vollständig und gerade den Mittelstand in Deutschland zu entlasten. vom Solidaritätszuschlag entlastet. Die Bundesregierung Damit wird die soziale Marktwirtschaft gestärkt. Das sollte hierzu initiativ werden und einen Gesetzentwurf muss jetzt in der Koalition gemeinsam erreicht werden. vorlegen – auch zur Sicherung der Attraktivität des Wirt- (B) schaftsstandortes Deutschland. (D) Wir unterstützen daher den Beschluss der CDU Deutschlands, den Solidaritätszuschlag bis Ende 2021 Unter anderem die Unternehmenssteuerreformen in vollständig abzuschaffen. Dabei ist am Ziel eines ausge- den USA, Frankreich und Großbritannien werden diesen glichenen Haushalts ohne neue Schulden festzuhalten. nämlich herausfordern. Eine vollständige Abschaffung Allein aufgrund der bestehenden Vereinbarungen der des Solidaritätszuschlages würde die Wettbewerbsfä- Koalition von CDU/CSU und SPD lehnen wir den An- higkeit des Standorts Deutschland stärken. Gerade auch trag heute ab. Personengesellschaften, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind, würden hierdurch entlastet. Allerdings gilt der Grundsatz: Verträge sind zu halten. Anlage 7 Dies gilt selbstverständlich an erster Stelle für den Ko- alitionsvertrag. Seit Abschluss des Vertrages haben sich Erklärungen nach § 31 GO aber neue Spielräume im Bundeshaushalt ergeben. Der zu der namentlichen Abstimmung über den Koalitionsvertrag muss entsprechend angepasst werden. von den Abgeordneten Christian Lindner, Dies sollte in Form einer Verständigung auf eine kom- Christian Dürr, Wolfgang Kubicki, Dr. Marco plette Abschaffung des Solidaritätszuschlages erfolgen. Buschmann und der Fraktion der FDP einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhe- Dies entspricht der Beschlusslage der CDU Deutsch- bung des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 land, die ich unterstütze. Auf dem zurückliegenden Par- (Tagesordnungspunkt 8 a) teitag in Hamburg wurde beschlossen, den Solidaritäts- zuschlag bis Ende 2021 vollständig abzuschaffen. Dabei ist am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne neue Sebastian Brehm (CDU/CSU): Wir wollen den So- Schulden festzuhalten. Von einer vollständigen Entlas- lidaritätszuschlag abschaffen – und zwar komplett. tung vom Solidaritätszuschlag profitieren alle Bürgerin- Dabei starten wir mit einem kräftigen ersten Schritt nen und Bürgern sowie der Mittelstand in Deutschland. und einer Abschaffung des Soli für rund 90 Prozent aller Damit wird die soziale Marktwirtschaft gestärkt. Das Soli-Zahler durch eine Freigrenze (mit Gleitzone). muss jetzt in der Koalition gemeinsam erreicht werden. Gleichzeitig fordern wir als CSU, mit dem Beschluss Nur angesichts der bestehenden Vereinbarung der des ersten Schrittes einen Zeitplan für den weiteren Ab- Koalition von CDU/CSU und SPD lehne ich den Antrag bau und ein klares Enddatum festzulegen. heute ab. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8407

(A) Michael Kießling (CDU/CSU): Zu meiner Ableh- Alexander Radwan (CDU/CSU): Wir dürfen heute (C) nung des von der FDP-Fraktion eingebrachten Gesetz- einen Antrag der Fraktion der AfD diskutieren, der eine entwurfs zur Aufhebung des Solidaritätszuschlaggeset- historische Abbildung der bisherigen Maßnahmen bein- zes 1995 – Drucksache 19/10381 – erkläre ich, dass ich haltet. Er geht im Ergebnis aber dabei in die komplett den Solidaritätszuschlag grundsätzlich ebenfalls abschaf- falsche Richtung. fen will – und zwar komplett. Als Regierungskoalition starten wir mit einem kräftigen ersten Schritt und einer In den letzten zehn Jahren konnten nach der Weltfi- Abschaffung des Soli für rund 90 Prozent Soli-Zahler nanzkrise deutliche Fortschritte erzielt werden. Diese durch eine Freigrenze (mit Gleitzone). Entwicklung ist entscheidend auf Initiativen und Maß- nahmen durch europäische und internationale Zusam- Gleichzeitig fordern die CSU und ich, mit dem Be- menarbeit zurückzuführen. Die G-20-Staaten und die EU schluss des ersten Schrittes einen Zeitplan für den wei- haben den Willen gehabt, dass sich ein solches Szenario teren Abbau und ein klares Enddatum festzulegen. For- nicht wiederholt. Und dadurch konnten die Eigenkapital- derungen nach einer sofortigen Abschaffung des Soli auf quoten der Banken signifikant verbessert werden, womit einen Schlag, wie sie die FDP nun erhebt, sind unseriös, eine deutliche Steigerung der Resistenz gegen mögliche da kurzfristig dafür nicht die notwendigen Haushalts- künftige Schocks einhergeht. Ferner wird der Schaffung spielräume bestehen. der Bankenunion – mit einer gemeinsamen europäischen Daher stimme ich dem Gesetzentwurf der FDP heute Aufsicht und einem einheitlichen Abwicklungsmecha- nicht zu. Wenn die nächste Steuerschätzung neue Haus- nismus – eine immens wichtige Rolle zuteil. haltsspielräume aufzeigt, die zum Zeitpunkt der Koaliti- Die Kapitalmarktregeln, die Bankenunion und auch onsverhandlungen noch nicht erkennbar waren, müssen die intergouvernementale Zusammenarbeit wie beim diese jedoch zugunsten eines rascheren Soli-Abbaus ver- ESM stellen ein klares Regelwerk dar, und vereinbarte wendet werden. Regeln gilt es einzuhalten und im Zuge dessen auch an- zuwenden. Die zukünftige Stärkung des ESM ist hierbei Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ich will die kom- ein wichtiger Schritt, um das Funktionieren des Systems plette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. zu verbessern. Er wird hierbei die bisherige Arbeit der Kommission ergänzen. Dabei starten wir mit einem kräftigen ersten Schritt und einer Abschaffung des Soli für rund 90 Prozent aller Die Position der Union zur gemeinsamen Einlagen- Soli-Zahler durch eine Freigrenze (mit Gleitzone – wie sicherung EDIS sollte Ihnen allen hinlänglich bekannt im Koalitionsvertrag beschlossen). sein. Die Voraussetzungen für diese dritte Säule der Ban- kenunion liegen nicht vor. Einer zu einem späteren Zeit- (B) Gleichzeitig fordern wir als CSU, mit dem Beschluss (D) punkt sicherlich sinnvollen politischen Diskussion über des ersten Schrittes einen Zeitplan für den weiteren Ab- die Thematik muss zwingend eine Risikoreduzierung im bau und ein klares Enddatum festzulegen. Bankensektor vorgelagert sein. Die Priorität von Solida- Im Koalitionsvertrag wurde allerdings nicht die voll- rität und Eigenverantwortung muss erhalten bleiben. ständige Abschaffung beschlossen – zwar bin ich für die vollständige Abschaffung, allerdings in diesem Punkt Die Risikoreduzierung hat im Abbau leistungsgestör- auch koalitionstreu. ter Kredite in den Bilanzen der entsprechenden Banken zu erfolgen. Auch brauchen wir konkrete Vorgaben für Stabilität hängt eben auch davon ab, Kompromisse zu den Umgang mit zukünftigen NPL. Und dies gilt es si- machen und dann entsprechend einzuhalten – das sehe cherzustellen, bevor Diskussionen zu weiteren Vertiefun- ich auch in diesem Punkt in der momentanen Lage so. gen beginnen können. Trotzdem sollte das Thema bei einer etwaigen ande- Die gemeinsame Aufsicht und der einheitliche Ab- ren Regierungskonstellation zeitnah aufgegriffen wer- wicklungsmechanismus sind ein Gewinn, und nur mit den und der Solidaritätszuschlag vollständig abgeschafft dieser Struktur kann man dem hochkomplexen System werden. gerecht werden. Die Kapitalmärkte sind international und europäisch vernetzt und komplex. Die sinnvolle Auftei- lung der Aufsicht über Regionalbanken auf der einen und Anlage 8 größeren Geschäftsbanken auf der anderen Seite muss dem einem jeden Institut innewohnenden Risikopotenzi- Zu Protokoll gegebene Reden al gerecht werden. Die Small Banking Box ist hierfür ein guter Ansatz, der bald realisiert werden muss. zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bruno Hollnagel, Kay Gottschalk, Stefan Der europäische Kapitalbinnenmarkt benötigt auf- Keuter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion grund dessen gerade eine kongruente Beaufsichtigung. der AfD: Dies ist zwingend erforderlich. Rote Linien gegen die europäischen Haftungsri- siken Deutschlands – Ausbau der Bankenunion Die AfD fordert den Ausstieg aus der europäischen stoppen und rückabwickeln, der EZB die Banken- Aufsicht, wobei offensichtlich die bereits erwähnte Kom- aufsicht entziehen und Deutschlands EZB-Stimm- plexität der Finanzmärkte komplett verkannt wird. Derlei rechtsanteil erhöhen Unkenntnis erinnert uns alle an eine der Hauptursachen (Tagesordnungspunkt 22) der Finanzkrise – fehlendes Wissen hat zu ihr geführt. 8408 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Die Union setzt sich für eine Trennung von Geldpoli- Es war doch gerade das Fehlen wirksamer Instrumen- (C) tik und Aufsicht ein – jedoch muss die Aufsicht europä- te, die aus der Krise fast eine Katastrophe gemacht hätte. isch bleiben und weiterentwickelt werden. Ein Ziel ist an Die Währungsunion gegen Risiken abzusichern, ist doch dieser Stelle, ein gesundes Fundament für unabhängige die einzig logische Schlussfolgerung! Entscheidungen zu schaffen. Deutschland hat immer ge- Sie lehnen den Ausbau der Bankenunion ab und be- fordert, diese Trennung zu erwirken. schweren sich über die Probleme in der Euro-Zone, Letzteres ist auch in erster Linie aufgrund des offen- obwohl die Bankenunion ein wesentlicher Teil zur Be- sichtlichen Zielkonflikts relevant, weshalb die CSU-Lan- hebung dieser Probleme ist. Wer soll Ihnen diese Tour desgruppentagung vor fast einem Jahr einen so lautenden eigentlich abnehmen? Beschluss gefasst hat. Die Europäische Zentralbank hat Die SPD jedenfalls steht für eine Weiterentwicklung in erster Linie die wichtige Aufgabe der Sicherung der der Währungsunion und nicht für deren Rückabwick- gemeinsamen stabilen Währung und sollte sich hierauf lung. Die Steuerzahler in Europa dürfen nie mehr für die auch uneingeschränkt konzentrieren können. Zockerei von Pleitebanken aufkommen! Der vorliegende Antrag der AfD, der die Abschaffung Sie hingegen machen sich in Ihrem Antrag Professor der Europäisierung der Aufsicht fordert, erhöht die Ge- Hellwig zum Kronzeugen. Professor Hellwig vertritt fahren für die Finanzmärkte und in letzter Konsequenz aber exakt das Gegenteil von dem, was Sie hier fordern! für den Bürger und Steuerzahler. Sollte er in dieser Er setzt sich seit Jahren für eine starke Bankenunion ein, Form befürwortet werden, so würde er die Menschen in an der wir Sozialdemokraten Stück für Stück arbeiten. Deutschland teuer zu stehen kommen. Im letzten Teil Ihres Antrages tun Sie dann so, als Die Lehre aus der Finanzkrise ist, dass der Steuerzah- wäre der Brexit die erfolgreiche Abwehr eines übergriffi- ler nicht mehr zur Rettung der Institute aufkommen muss. gen Europas gewesen. Der Brexit hat Großbritannien in Hierfür haben wir – auf europäischer Ebene – seit zwei eine tiefe politische und wirtschaftliche Krise gestürzt! Jahren den Abwicklungsmechanismus, und die Banken Das wünschen Sie sich für Deutschland? Dann seien Sie zahlen in den dazugehörenden Abwicklungsfonds ein, aber auch so ehrlich und sagen Sie das den Menschen in eben gerade, um für künftige Krisenszenarien gewappnet diesem Land. Fragen Sie mal Frau May oder die Milli- zu sein. Hier gilt das Verursacherprinzip. Die Kontrolle onen von jungen Leuten in Großbritannien, die gerade und Steuerung dessen gehören in europäische Hände und ihre Heimat verlieren, weil sie sich eine Zukunft ohne müssen zu einer effektiven Verfolgung dieser Ziele auch Europa gar nicht vorstellen können. Das ist Ihr Rezept dort verbleiben. für Deutschland? Die SPD jedenfalls wird Ihre Angriffs- versuche auf den europäischen Zusammenhalt immer (B) Die AfD offenbart eine Ahnungslosigkeit, die in An- (D) beim Namen nennen. betracht des Antragsgegenstands erschreckend, im Hin- blick auf die bisherige parlamentarische Arbeit allerdings Das hier ist der Bundestag. Zu sagen, was man nicht wenig verwunderlich ist. will, das ist noch keine Politik, und folglich ist auch Ihr Antrag kein Beitrag zur politischen Debatte. Wenn Sie die Währungsunion nicht wollen, dann machen Sie sich Sarah Ryglewski (SPD): Die Krise im Euro-Raum hat uns die Konstruktionsfehler der Währungsunion vor wenigstens ehrlich und sagen Sie den Leuten, was Sie Augen geführt. Die Politik hat jetzt die Chance, die Wei- stattdessen anzubieten haben, und erzählen Sie uns hier chen in die richtige Richtung zu stellen. Dafür steht diese nichts von irgendwelchen roten Linien. Bundesregierung, und mit Olaf Scholz haben wir einen Bundesfinanzminister, der das aktiv vorantreibt. Frank Schäffler (FDP): Die Euro-Gruppe hat am 4. Dezember eine Reform des Europäischen Stabilitäts- Anstatt sich daran konstruktiv zu beteiligen, legen Sie mechanismus beschlossen. Unter anderem wurden darin von der AfD uns hier so ein Papier vor. Mit dem bekann- die Regelungen für die ESM-Kreditlinien reformiert. Für ten Sound, den wir gestern schon während der Befragung diese Kreditlinien galt und gilt die Prämisse, dass diese der Bundeskanzlerin erleben mussten, kommt heute die nur gewährt werden, wenn eine Gefahr für die Finanzsta- B‑Seite der immer selben Platte: Flüchtlinge raus, Euro bilität der Währungszone als Ganzes vorliegt, und dass weg. Mehr ist von Ihnen nicht zu erwarten. sie nur Ländern gewährt werden, deren wirtschaftliche Ihr ganzer Antrag strotzt vor nationalen Egoismen. und finanzielle Situation „grundsätzlich solide“ ist. Wie wir damit zu einer stabilen Währungsunion gelan- Es war bereits bislang so, dass ein Mitgliedstaat der gen sollen, ist mir völlig schleierhaft. Sie bleiben diese Euro-Zone, gegen den ein Verfahren wegen eines über- Antwort auf jeden Fall schuldig. mäßigen Defizits läuft, Zugang zu einer Kreditlinie nur erhalten kann, wenn er sich an die Beschlüsse und Emp- Die Wahrheit ist doch: Sie verfügen ja gar nicht über fehlungen des Rates zur Korrektur seines übermäßigen eigene Gestaltungsvorschläge. Ihr Papier ist eine Anei- Defizits hält. nanderreihung zerstückelter Texte, an dessen Ende ein düsteres Bild der Währungsunion gezeichnet wird. Und Mit der Reform von letzter Woche sind diese Regeln anstatt bestehende Instrumente weiterzuentwickeln oder auf den ersten Blick noch verschärft worden. Künftig Alternativen aufzuzeigen, wollen Sie alles rückabwi- sollen quantitative und qualitative Überprüfungen statt- ckeln und uns in das Jahr 2008 zurückversetzen. Aber finden, ob ein Land für eine Kreditlinie qualifiziert ist. genau da wollen wir doch gar nicht mehr hin! Quantitativ heißt, der Schuldenstand des Staates muss Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8409

(A) weniger als 60 Prozent betragen oder jährlich um 5 Pro- die Lage der Dinge falsch und zieht dementsprechend (C) zent sinken. Qualitativ meint, dass die gesamtstaatliche auch nicht die richtigen Schlüsse. Verschuldung tragfähig sein muss. Als vermeintliche einzige Antwort bieten Sie an: Allerdings erfüllen natürlich nur sehr wenige Eu- Deutschland soll alles ablehnen, so tun, als könne es sich ro-Staaten diese neuen, strengeren Zugangskriterien für abkapseln und als stünde es allein ohnehin besser da. Es die Beantragung einer solchen ESM-Kreditlinie. Italien ist aber schlichtweg realitätsfern, anzunehmen, dass ab- etwa wird die quantitativen Kriterien in den nächsten kapseln überhaupt eine Möglichkeit darstellt, insbeson- Jahren sicher nicht erfüllen können. Und die paar Staa- dere in Bezug auf den Bankenmarkt. ten, die die Kriterien erfüllen, werden sie wohl nicht be- nötigen. Denn es gibt in der Euro-Zone keine rein nationalen Bankenmärkte mehr, es ist längst ein Finanzbinnenmarkt Aber die Finanzminister der Euro-Zone haben sich na- entstanden. Uns betrifft damit, was mit den Banken in türlich eine clevere Strategie überlegt, um diese Regeln anderen Euro-Ländern passiert. Wir haben selbst enorm aufzuweichen. Die Euro-Staaten, die die Kriterien nicht große Banken, die stark innerhalb der Euro-Zone ver- erfüllen, aber „von einem negativen Schock betroffen flochten sind. Es ist daher in unserem Interesse, diesen sein könnten, der außerhalb ihrer Kontrolle liegt“, ha- Finanzbinnenmarkt stabiler und sicherer zu machen, ben trotzdem die Möglichkeit, eine solche Kreditlinie zu damit in Zukunft auch keine Steuergelder mehr für die beantragen. Durch diese Ausnahmeregel besteht also die Rettung von Banken verwendet werden müssen. Deswe- Möglichkeit, dass auch weniger solide Euro-Staaten die gen ist die Weiterentwicklung der Bankenunion dringend Kreditlinie in Anspruch nehmen können und so ein regu- notwendig; denn Sicherheit und Stabilität in einem eu- läres ESM-Darlehen samt Auflagen umgehen. ropäischen Finanzmarkt entstehen durch starke, verläss- liche und transparente gemeinsame Instrumente, nicht Die Idee der Abfederung von „negativen Schocks“ ist durch die Abwesenheit derselben. nicht neu. Europäische Politiker sehnen sich schon lange nach einem Schlechtwetterfonds, um angeblich unver- Denn es ist völlig klar: Ohne gemeinsame Regeln und schuldete Wirtschaftskrisen abzuwenden. Einen solchen Instrumente steigt die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende gibt es, so wird zumindest öfters behauptet, auch in den doch wieder Steuergelder für die Rettung von Banken USA. eingesetzt werden müssen. Vor diesem Hintergrund sind Ihre Rufe nach Abschottung schlicht verantwortungslos Doch die USA kennen gar keinen Schlechtwetter- gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. fonds auf nationaler Ebene. Was es gibt, sind zahlreiche Schlechtwetterfonds in den einzelnen Bundesstaaten. Folgende Punkte möchte ich zur aktuellen Lage der (B) Und deren Finanzierung ist von Bundesstaat zu Bun- Bankenunion sagen. (D) desstaat sehr unterschiedlich. In einigen Bundesstaaten Erstens begrüßen wir, dass sich der Rat für Wirtschaft fließen die Haushaltsüberschüsse in die Fonds, in an- und Finanzen bei seiner letzten Sitzung auf die Letztsi- deren eine feste Summe und wiederum in anderen Ein- cherung, den sogenannten Backstop, für den einheitlichen nahmen aus fest vorgeschriebenen Quellen. Es gibt auch Abwicklungsfonds geeinigt hat. Das ist ein wichtiger keine einheitlichen Auszahlungskriterien. Manch ein Schritt, damit in Zukunft nicht mehr Steuerzahler für die Bundesstaat setzt ihn für schnelle Hilfen bei Naturkata- Rettung von Banken aufkommen müssen. Es ist auch gut, strophen ein. Andere lindern damit auch wirtschaftliche dass hierdurch der ESM entscheidend in Richtung eines Verwerfungen. Festzuhalten gilt: Es gibt keinen zentralen Europäischen Währungsfonds weiterentwickelt wurde, Schlechtwetterfonds in den USA, sondern ganz viele. auch wenn wir einige Aspekte, zum Beispiel die Kriteri- Und somit bleiben auch die Anreize für die einzel- en für die Vergabe vorsorglicher Kredite, kritisch sehen. nen Bundesstaaten erhalten, eine solide Wirtschafts- und Damit nicht am Ende doch noch Steuergelder die Lücke Haushaltspolitik zu fahren. Nur in Europa wollen wir mal füllen müssen, muss die Letztsicherung jedoch glaubwür- wieder eine Vergemeinschaftung von Risiken und schaf- dig sein. Wir haben daher Bedenken, ob das geplante Vo- fen damit wieder einmal Anreize für eine falsche Politik lumen der Letztsicherung ausreicht, wenn es nicht größer in der Euro-Zone, die schon früher dafür sorgte, dass ent- sein darf als das des Abwicklungsfonds selbst. Außerdem weder der Staatsapparat, siehe Italien oder Griechenland, sind im Krisenfall klare und kurze Entscheidungsprozesse bzw. die privaten Haushalte über ihre Verhältnisse leben. wichtig, um Unsicherheit an den Finanzmärkten zu be- Die Beschlüsse vom letzten Dienstag sind somit leider grenzen. Diese Prozesse bedürfen auch bei Letztsiche- mal wieder ein Schritt in die falsche Richtung. rung noch weiterer Ausarbeitung; denn noch bleiben viele Unsicherheiten. Die Bundesregierung muss hier auch die Ohne eine Haftung derjenigen, die Risiken eingegan- Einbindung des Bundestags klären. gen sind, sowohl auf der Schuldnerseite als auch auf der Anlegerseite, wird es keine Besserung im Euro-Raum ge- Zweitens bleibt die Bankenunion ohne eine europäi- ben. An diesem Grundsatz mangelt es allen Vorschlägen, sche Einlagensicherung unvollständig. Denn Krisen wer- die uns bislang von dieser Regierung vorgelegt wurden. den unwahrscheinlicher, wenn ein Euro überall gleich si- cher ist, egal ob er bei einer deutschen, niederländischen oder slowenischen Bank angelegt ist. Das reduziert die Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gefahr nationaler „Bank Runs“. Antrag der AfD-Fraktion lässt sich wie folgt zusam- menfassen: 17 Seiten Beschwerde, 1 Seite realitätsferne Natürlich muss die genaue Ausgestaltung einer Ein- Scheinlösungen. Es zeigt sich erneut: Die AfD versteht lagensicherung diskutiert werden. Wir schlagen die 8410 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Einlagensicherung als Rückversicherung vor, damit die Ulrich Lange (CDU/CSU): Die Digitalisierung ist in (C) europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale den Wohnzimmern, Fabrikhallen und Bauernhöfen der überfordert ist. Bei so einer Versicherung muss ich nicht Republik angekommen. Für uns als Union ist dabei klar: davon überzeugt sein, dass alle Mitglieder in meinem Wir wollen den digitalen Wandel gestalten. Wir werden Interesse handeln. Sie ist trotzdem gut; denn sie schützt die Herausforderungen im Blick haben, aber die Chancen im Zweifelsfall vor Schaden. Die deutschen Sparkassen betonen und vor allem nutzen. Dafür sind die digitalen und Genossenschaftsbanken könnten in so einem System Infrastrukturen eine sehr entscheidende Komponente. auch weiter auf ihre bewährten Institutssicherungssyste- me setzen. Im Jahr 2016 haben wir mit dem sogenannten Digi- NetzG die Möglichkeit eröffnet, dass vorhandene Netz­ Es ist total unbefriedigend, dass es bei der Einlagen- infrastrukturen, wie beispielsweise Strom-, Gas- oder sicherung auf europäischer Ebene nur in Trippelschritten Abwassernetze, für den Ausbau von Telekommunikati- vorangeht: Der Rat für Wirtschaft und Finanzen hat le- onsnetzen mitgenutzt werden können. Das war und ist diglich beschlossen, eine Roadmap zu erarbeiten, um zu eine sinnvolle Regelung, um die Kosten beim Glasfa- bestimmen, wann Verhandlungen beginnen können. Die serausbau zu reduzieren. Es hat sich in der Praxis aber Bundesregierung trägt hier auch nicht zu Fortschritt und auch herausgestellt, dass diese Regelungen von einigen Klarheit bei: Sie fordert ausreichende Risikoreduzierung Marktbeteiligten missbräuchlich genutzt werden. Dies ist als Voraussetzung für Verhandlungen, nennt aber keine der Fall, wenn Dritte beim öffentlich geförderten Glas- Kriterien, wann dies erreicht ist. So droht das Thema im- faserausbau eigene Infrastrukturen mitverlegen, um kos- mer weiter in die Zukunft verschoben zu werden. tengünstig ein eigenes Netz parallel zu errichten und dem Zuletzt dürfen all diese Forderungen nicht so ver- geförderten Unternehmen Kunden abzuwerben. Solche standen werden, als wollten sie die Banken aus der Vorstöße werden getätigt, obwohl sich im Vorfeld der Verantwortung entlassen. Ihre Risiken müssen in allen Förderung kein Unternehmen dazu bereit erklärt hat, das Euro-Ländern weiter abgebaut werden, auch in Deutsch- Gebiet mit eigenen Mitteln auszubauen. Der Gesetzent- land. Was alles geschehen muss, damit die Banken siche- wurf dient damit der Stärkung des Glasfaserausbaus in rer werden, hat Gerhard Schick heute bei der Diskussion Deutschland in bisher unterversorgten Gebieten. über die Finanzwende genau erläutert. Ein Beispiel ist Lassen Sie mich jetzt noch den Fokus auf das Thema die Erhöhung des risikounabhängigen Eigenkapitals in Mobilfunkversorgung richten, da das ja auch im Zusam- Richtung 10 Prozent. In Europa müssen wir uns in die- menhang mit diesem Gesetzgebungsverfahren diskutiert sem Kontext auch die nach wie vor starke Verflechtung wird. zwischen Staat und nationalen Banken anschauen; denn ein aktueller Bericht des DIW zeigt: Übermäßiges Inves- (B) Politisch hat sich die Unionsfraktion bereits seit ihrem (D) tieren in nationale Staatsanleihen ist nach wie vor weit Beschluss im Juni 2017 und dann folgend im Koaliti- verbreitet, auch bei deutschen Banken. Damit droht eine onsvertrag dafür eingesetzt, dass beim Mobilfunknetz- Krise des Landes zu schnell automatisch auch zu einer ausbau zukünftig strenge Versorgungsauflagen gemacht Bankenkrise zu führen. werden sollen. Außerdem soll sich neben der Versorgung Wir wünschen uns, dass es in den genannten Berei- der Haushalte zukünftig der Ausbau insbesondere an den chen weiter vorangeht. Wir müssen besser vorsorgen, um Verkehrswegen ausrichten. Denn nur so werden wir si- für zukünftige Krisen besser gewappnet zu sein. Wenn cherstellen, dass die von den Bürgern oftmals beklagte wir gemeinsam in Europa die negativen Auswirkungen Mobilfunkversorgung gerade in der Fläche verbessert von Krisen auf die Bürgerinnen und Bürger verringern wird und gleichzeitig innovative Mobilitätskonzepte, wie können, würde das zeigen, dass wir im Gegensatz zur beispielsweise das automatisierte und vernetzte Fahren, AfD-Fraktion aus der Vergangenheit gelernt und für die in Deutschland Realität werden. Zukunft die richtigen Schlüsse gezogen haben. Die Bundesnetzagentur hat am 26. November die Rahmenbedingungen für die nächste Frequenzversteige- rung im Frühjahr 2019 festgelegt. Damit soll nicht nur Anlage 9 für die Versorgung der Haushalte – das heißt 98 Prozent Zu Protokoll gegebene Reden der Wohnbevölkerung – gesorgt werden, sondern es wird zusätzlich auch ein zuverlässiger 5G‑Netzausbau entlang zur Beratung: der Verkehrswege sichergestellt. So sollen bis Ende 2022 – des von der Bundesregierung eingebrach- alle Bundesautobahnen mit 100 Megabit pro Sekunde ten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur (Mbit/s) und höchstens 10 Millisekunden (ms) Latenz Änderung des Telekommunikationsgesetzes ausgebaut werden – bis Ende 2022 auch die wichtigs- (5. TKG-Änderungsgesetz – 5. TKGÄndG) ten Bundesstraßen, bis Ende 2024 alle Bundestraßen. Bis Ende 2024 kommen außerdem alle Land- und Staatsstra- – des Antrags der Abgeordneten Daniela ßen mit 50 Mbit/s hinzu. Bei der Schiene sollen eben- Kluckert, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, falls bis Ende 2022 alle Strecken mit 100 Mbit/s versorgt weiterer Abgeordneter und der Fraktion der werden, die mehr als 2 000 Fahrgäste am Tag haben; bis FDP: Digitalisierung im 21. Jahrhundert – Di- Ende 2024 folgen alle anderen Strecken mit 50 Mbit/s. gitale Infrastruktur im Glasfaserausbau Die Wasserstraßen (Kernnetz im Binnenbereich) und (Tagesordnungspunkt 14 und Zusatztagesord- Seehäfen sollen bis Ende 2024 mit 50 Mbit/s ausgebaut nungspunkt 12) sein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8411

(A) Dieser Ausbaupfad wird einen erheblichen Beitrag für Wenn wir als Bundesrepublik aufgrund europäi- (C) eine leistungsfähige und flächendeckende Mobilfunk- scher Vorgaben so oder so eine Regelung zum lokalen versorgung leisten, so wie wir sie im Koalitionsvertrag Roaming schaffen müssen, dann kann es wirklich nicht vereinbart haben. schaden, die Ärmel hochzukrempeln und das zügig und zielorientiert anzugehen. Es schafft viel zu viel Unsicher- Für unsere Wirtschaftsunternehmen gerade auch im heit im Markt, wenn wir erst einmal zwei Jahre über eine ländlichen Raum ist sehr positiv hervorzuheben, dass Regelung diskutieren. Und nur von einer Diskussion hier die BNetzA erstmals eigens Frequenzen für den Aufbau in Berlin ist da draußen auch noch kein einziger Funk- lokaler 5G‑Firmennetze reserviert hat. Damit kann die mast gebaut. neueste Mobilfunktechnik in der Fertigung und Vernet- zung von Maschinen schnell und kostengünstig zum Ein- Durch eine gesetzliche Regelung wissen die Netzbe- satz kommen, und es muss nicht auf einen bundesweiten treiber gleich zum Start ihrer Ausbauplanung, woran sie Netzausbau gewartet werden. Das ist ein echter Standort- sind. Mehr Rechtssicherheit geht nicht. vorteil für unsere Industrie 4.0. Und eines ist klar. Das lokale Roaming ist auch nur ein Einige Teile der Entscheidung sind aber gerade für weiterer Baustein von vielen. Wichtig ist beispielsweise, den ländlichen Raum leider weiterhin kritisch. So sind dass die Bundesnetzagentur durch engmaschige Kontrol- die Auflagen – außer bei der Wohnbevölkerung und den len den Ausbauwillen der Netzbetreiber überprüft und Bundesautobahnen – mit einer sogenannten Anrech- gegebenenfalls hier auch hohe Bußgelder bei Nichterfül- nungsklausel versehen. Das heißt, baut ein Anbieter aus, lung verhängen kann. reicht das, um die Versorgungsauflagen zu erfüllen. Ob In diesem Sinne: Lassen wir uns nicht vor den Karren die Kunden der nicht ausbauenden Netzbetreiber Zugang der Verzögerer spannen. Packen wir es an! zum Netz bekommen, bleibt den Verhandlungen der Un- ternehmen überlassen. Scheitern diese Verhandlungen, sitzen die Kunden immer noch im Funkloch. Gustav Herzog (SPD): Wir alle erleben, wie un- glaublich dynamisch die Telekommunikationsbranche Wir sehen daher weiterhin die Gefahr, dass in den ist – als Verbraucherinnen und Verbraucher, als Wirt- Bereichen der verpflichtenden Versorgungsauflagen ein schaft und als Politik. Heute geht es um die Fragen der Mobilfunkflickenteppich entsteht. Das betrifft insbeson- digitalen Infrastruktur im Festnetzbereich. dere den ländlichen Raum mit den vielen Bundes- und Der Einsatz technischer Erneuerungen erfolgt ebenso Landstraßen und Schienenstrecken. schnell wie das Ausrollen neuer Geschäftsmodelle und Mit dem Koalitionsvertrag haben sich die Unions- das Agieren der Marktakteure. Deshalb ist es nicht ver- (B) fraktion und der Koalitionspartner zum Ziel gesetzt, eine wunderlich, dass wir nach nur zwei Jahren wieder das (D) verlässliche und lückenlose Mobilfunkversorgung ins- DigiNetz-Gesetz anpacken. Was ist der konkrete Grund besondere in den ländlichen Räumen sicherzustellen. Es dafür? gibt keinen Grund für die Koalition, diesen Anspruch zu Mit dem DigiNetz-Gesetz wollten wir erreichen, reduzieren. dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um moderne Wir setzen dabei vorrangig auf freiwillige Koopera- Telekommunikationsnetze schneller auszubauen. Zum tionen der Mobilfunknetzbetreiber. Doch wenn diese Beispiel sollen weitere Leerrohre oder Glasfaser mit scheitern, muss die Bundesnetzagentur die Möglichkeit verlegt werden können, wenn bei Baustellen im öffent- haben, in Ausnahmefällen ein lokal begrenztes Roaming lichen Straßenraum, zum Beispiel bei der Verlegung von anzuordnen. Abwasserkanälen, ein Graben ausgehoben wird. Darum besteht seit Ende 2016 bei öffentlich (teil-)finanzierten Genauso hat sich auch der CDU-Parteitag in seinem Bauarbeiten die Pflicht, Telekommunikationsunterneh- Beschluss zum Mobilfunknetzausbau am letzten Wo- men die Verlegung von Breitbandinfrastrukturen im Rah- chenende positioniert. men der Bauarbeiten zu ermöglichen. Eines muss ich hierzu wiederholt klarstellen: Es han- Diese Pflicht zur Mitverlegung wird jedoch auch zwi- delt es sich nicht um ein nationales Roaming. Das lehnen schen konkurrierenden Telekommunikationsunterneh- wir als Instrument ab. men geltend gemacht. Wenn ein Unternehmen die Bau- arbeiten durchführt, versucht ein anderes Unternehmen Für die Einführung einer Verpflichtungsmöglich- seine Infrastruktur kostengünstig mit zu verlegen (soge- keit zum lokalen Roaming planen wir in den nächsten nannter Überbau). Das führt inzwischen zu Fehlanreizen Wochen die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Alle für das erste Unternehmen, da sich die Investition nicht Marktbeteiligten müssen zügig Rechts- und Planungssi- mehr rechnet und der Glasfaserausbau dadurch insge- cherheit haben. samt gehemmt wird. Die Aufregung bei den Telekommunikationsnetzbe- Der Gesetzentwurf zur fünften Änderung des Tele- treibern ist mir dabei unverständlich. Einerseits werden kommunikationsgesetzes, der hier in erster Lesung be- ganzseitige Anzeigen geschaltet, in denen bis 2025 ein raten wird, sieht für genau diesen Fall eine Unzumut- flächendeckendes 5G‑Netz versprochen wird. Anderer- barkeitsklausel vor: Sofern die Bauarbeiten explizit zur seits wird die Politik als unverhältnismäßig kritisiert, Verlegung von Glasfaserkabeln durchgeführt werden, wenn sie dies auch fordert und Verpflichtungen zum Aus- soll ein Überbauschutz greifen. Das soll die bestehenden bau vorsieht, die noch nicht einmal so weit gehen. Investitionshemmnisse der Telekommunikationsunter- 8412 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) nehmen vermindern. Bei anderen Bauarbeiten soll die Das heißt: Jedes Haus gehört genau ein Mal ans Glas- (C) bestehende Regelung aufrechterhalten werden. Auch der fasernetz angeschlossen, idealerweise an ein kommu- weitere Ausbau des Glasfasernetzes, der zu mehr Wett- nales. In Schweden besitzen zwei Drittel der Kommu- bewerb zwischen den Anbietern führt, ist grundsätzlich nen ihr eigenes Glasfasernetz, das Diensteanbietern im erwünscht und weiterhin möglich. So sollen einerseits Open-Access-Modell zur Verfügung steht. Das Ergebnis: Investitionshemmnisse beseitigt und andererseits Anrei- preiswerte Internetzugänge mit hohen Bandbreiten. ze für den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur durch Glasfasernetze gegeben werden. So weit der Ge- In Deutschland trug die miserable Breitbandpolitik setzentwurf der Bunderegierung. der letzten Regierungen dazu bei, dass Glasfaseran- schlüsse selten und die Preise hoch sind. Fördergelder Der Bundesrat will, dass die eigentumsrechtlichen flossen primär an den freien Markt. Kommunen konnten Verhältnisse in der kommunalen Familie alleine nicht zwar mit Fördergeldern ausbauen, aber wären gezwun- der Grund sein können, die Schutzwirkung der Regelung gen, ihr Glasfasernetz nach zehn Jahren zu verkaufen, aufzuheben. Auch der geplante Ausbau eines diskrimi- dann, wenn es sich langsam rechnet. Kein Wunder, dass nierungsfreien, offenen Netzes soll geschützt werden. weniger als 20 Prozent der Bundesmittel in den Ausbau kommunaler Netze flossen! Über 80 Prozent der Sub- Seit gestern Abend liegt uns die Gegenäußerung der ventionen finanzierten stattdessen den Gewinn privater Bundesregierung vor. Sie folgt nicht den Vorschlägen des Unternehmen. Bundesrates. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Stellungnahmen aus der Branche. Diese Argumente Von Stadtwerken und Bürgermeistern hörte ich in den werden wir in der Ausschussberatung sorgfältig abwä- vergangenen Jahren leider öfter: Wir würden gern selbst gen. ausbauen, aber die Telekom würde genau dann mit ihrem Zu dieser überschaubaren Gesetzesänderung gesellt Ausbau anfangen, wenn wir den Haushaltsbeschluss da- sich ein weiteres Anliegen, welches für öffentliche Auf- für haben. Dann stünden wir im Wettbewerb mit einem regung sorgt. Es gibt Überlegungen, zukünftige unterver- Großkonzern, den wir nicht gewinnen können. sorgte Gebiete im neuen Mobilfunkstandard 5G durch Das Telekommunikationsgesetz räumt bisher Anbie- eine Regelung im europäischen Kodex für elektronische tern das Recht ein, selbst nach jahrelanger Untätigkeit Kommunikation, EECC, für Mitbewerber zu öffnen, ihre eigene Glasfaser bequem danebenzulegen, wenn sogenanntes lokales Roaming. Brandbriefe werden ge- die öffentliche Hand Glasfaser verlegt. Auch deshalb schrieben. Die Bandbreite der Hoffnungen und Befürch- wagten viele Kommunen den Ausbau nicht. Damit wäre tungen ist kaum noch überschaubar. jetzt Schluss; denn diese Praxis wird mit der vorliegen- (B) Warum diese Aufregung? Es gibt in den Versorgungs- den Gesetzesänderung immer dann untersagt, wenn das (D) auflagen der Bundesnetzagentur eine Anrechnungsklau- Glasfasernetz, wie in Schweden, als Open Access allen sel für Bundesstraßen, Schienenwege und Wasserstraßen. Diensteanbietern zur Verfügung steht. Die Strecke gilt als versorgt, wenn einer der Anbieter ausgebaut hat. Die Kunden der Mitbewerber schauen in Weil das für die Verbraucherinnen und Verbraucher die Röhre. Es gibt begründete Zweifel, dass der Markt am besten ist und weil Steuergeld in kommunalen Haus- alleine es regelt und für einen zweiten Anbieter mit eige- halten nicht anders behandelt werden darf als Steuergeld nem Infrastrukturausbau sorgt oder eine freiwillige Ko- aus Fördertöpfen, sollte die Änderung aber auch Glasfa- operation auslöst. sernetze betreffen, die nicht mit Subventionen, sondern aus kommunalen Haushalten oder von Stadtwerken fi- Aber auch hier gilt wie beim DigiNetz-Gesetz: Vor- nanziert wurden. Wenn außerdem Förderprogramme des sicht an der Bahnsteigkante! Eine solche Gesetzesände- Bundes den kommunalen Glasfaserausbau besser unter- rung im Umfeld der Versteigerung ist eine Operation am stützen würden, kämen wir dem Grundrecht auf Inter- offenen Herzen und muss sorgfältig geprüft werden. netzugang und einer angemessenen Daseinsvorsorge für die Infrastruktur der digitalen Gesellschaft schon einen Ich denke, wir sind uns hier im Hause über das Ziel großen Schritt näher. einig: Wir wollen die Versorgung mit leistungsfähi- gem Mobilfunk für alle Haushalte – auch im ländlichen Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Informati- Raum – und der Verkehrswege. Über die passenden In- onen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ins Strafge- strumente müssen wir noch reden. setzbuch gehören. § 219a StGB gehört abgeschafft!

Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): Ein schneller Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Internetzugang muss in der digitalen Gesellschaft zur Schlucht kannst du nicht mit kleinen Schritten überwin- Daseinsvorsorge gehören wie ein Strom- oder Wasser­ den! Das ist der Gedanke, der sich bei diesem Gesetzent- anschluss. Er ist ein natürliches Monopol; denn jeder wurf angesichts der desaströsen Breitbandpolitik dieser Haushalt braucht schnelles Internet – aber nur ein Mal. Regierung aufdrängt. Bei natürlichen Monopolen, die in den Bereich der Da- seinsvorsorge fallen, sollte es keinen Wettbewerb auf der Desaströs, weil die Ankündigung aus 2013, bis Ende Infrastrukturebene geben. Es käme auch niemand auf dieses Jahres das Land flächendeckend mit mindestens die Idee, mehrere Abwasserrohre ins Haus zu verlegen. 50 Mbit zu versorgen, weit verfehlt wird. Stand Mit- Nicht Infrastruktur, sondern Dienste sollten im Wettbe- te 2018 ist in vielen Regionen gerade einmal gut die werb stehen. Hälfte der Haushalte mit 50 Mbit versorgt. Mehr als ein Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8413

(A) Viertel der Haushalte in den ländlichen Regionen haben Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Als im De- (C) nicht einmal 16 Mbit. zember 1987 der INF-Vertrag geschlossen wurde, war dies ein wichtiger Schritt in der Abrüstungspolitik. Nicht Desaströs, weil im Mobilfunkbereich derzeit nur nur wurden in der Folge alle landgestützten Mittelstre- 6,6 Prozent aller Mobilfunkkunden Datenraten über ckenraketen aus Europa abgezogen und damit die atoma- 16 Mbit erhalten. Das heißt, 14 von 15 Kunden können re Bedrohung für Mitteleuropa deutlich verringert. im Netz nicht surfen, sie saufen eher ab. Desaströs, weil die Telekommunikationsanbieter ihre Der Vertrag zeigte wieder, dass es möglich war, zwi- großspurigen Versprechen allesamt nicht einhalten. Im schen den beiden großen Blöcken zu einer politischen Festnetz bekommen gerade einmal gut zwei Drittel der Lösung zu kommen. Auch im Kalten Krieg war es gelun- Nutzer mehr als die Hälfte der vertraglich vereinbar- gen, eine internationale Übereinkunft mit verbindlichem ten Maximalbandbreite zur Verfügung gestellt. Nur bei Rechtscharakter zu treffen, weil sich der Westen nicht 12 Prozent wird sie voll erreicht. Im Mobilfunkbereich mit einer neuen Bedrohung durch atomar bestückbare liegen die Werte noch weit darunter. Mittelstreckenraketen (SS-20) durch die Sowjetunion abgefunden hatte. Diese Zahlen zeigen: Die Breitbandpolitik der GroKo ist krachend gescheitert. Dieser Zustand des Vertrauens und der Sicherheit ist gegenwärtig in großer Gefahr. Es spricht für sich, wenn Und nun? Sie legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem die USA sich nach jahrelangen Konsultationen mit der Sie den sogenannten strategischen Überbau verhindern Russischen Föderation – dem heutigen Vertragspartner – wollen. Das ist besser als nichts; wir weisen schon lange veranlasst sehen, diesen Vertrag kündigen zu wollen. Der darauf hin. Aber die Kernprobleme gehen Sie damit nicht Befund, dass die russische Seite den Vertrag verletzt, ist an. evident. Sie schlagen eine Einzelfallprüfung vor, die Kommu- Dies ignoriert der Antrag der Linksfraktion völlig: nen durchführen sollen und die damit die ohnehin leidge- Russland trägt durch seine Mittelstreckenrüstung die prüften Verwaltungen belastet. Besser wäre, die privaten Verantwortung, dass wir überhaupt über eine Beendigung Unternehmen zu verpflichten, sich an die abgefragten des Vertrages reden. Nach allen Erkenntnissen, die wir Aussagen im Markterkundungsverfahren zu halten. Das haben, hat Russland mit seiner Entwicklung von landge- ist einfach, zielführend und wälzt das Problem nicht auf stützten, mobilen und nuklearfähigen Marschflugkörpern die Kommunen ab. den INF-Vertrag gezielt unterlaufen. Der von russischer Übrigens hat der Deutsche Landkreistag bereits 2017 Seite jetzt erhobene Vorwurf, die von den USA in Ru- ein Modell vorgestellt, nach dem es möglich wäre, Ge- mänien stationierten Raketenabwehrwaffen verstießen (B) biete, für die das Markterkundungsverfahren keinen ihrerseits gegen den Vertrag, ist ein Hilfsargument, das (D) geplanten Ausbau ergeben hat, in Anknüpfung an das Winkeladvokaten in Argumentationsnotlage verwenden telekommunikationsrechtliche Wegerecht für exklusive würden. Netzkonzessionen auszuschreiben. Aber die guten Lö- sungen sind Ihnen zu radikal, Sie machen lieber schlech- Das russische Vorgehen ist dabei ziemlich leicht zu te Kompromisse. Deshalb sieht es in Deutschland mit der durchschauen. Es funktioniert ganz ähnlich wie beim Breitbandversorgung auch so desaströs aus. Ukraine-Konflikt: Die eigenen Provokationen und Rechtsverstöße werden erst bewusst verschleiert. Lässt Ihre Breitbandpolitik ist an Konzeptlosigkeit kaum sich dann nichts mehr leugnen, wird achselzuckend ein noch zu überbieten. Wie ein blindes Huhn, das auch mal neuer Status quo festgestellt. Ein Spieler hält sich ein- ein Korn findet, sind Sie jetzt auf den „strategischen fach nicht mehr an die Regeln und gibt den anderen die Überbau“ gestoßen. Ja, das ist ein Problem. Aber wie im- Schuld, wenn sie die Regeln überdenken wollen. mer tun Sie viel zu spät viel zu wenig. Da ein bestehender Vertrag immer noch die beste Pro- Wir werden uns bei dieser Vorlage enthalten, und ich jektionsfläche für Verifikation und Konsultationen ist, kann nur hoffen, dass Sie im neuen Jahr mit neuen Ide- sind wir nicht der Ansicht, dass der Vertrag gekündigt en um die Ecke kommen. Sinnvolle Vorschläge finden werden sollte. Er sollte als Rahmen für Rüstungskontrol- Sie in unserem Antrag „Breitband für alle“. Die Lektüre le bestehen bleiben. Wir sollten den USA Unterstützung lohnt sich! dabei anbieten, dass das vertragliche Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime erhalten bleibt. Den Blick müssen wir übrigens jenseits von INF auch auf die START-Ver- Anlage 10 träge zur Begrenzung von strategischen Interkontinen- Zu Protokoll gegebene Reden talwaffen richten. Das zeigt, dass der Westen insgesamt betroffen ist, auch jenseits der Reichweite von 500 bis zur Beratung des Antrags der Abgeordneten 5 500 Kilometer, für die der INF-Vertrag gilt. Dr. Alexander S. Neu, Matthias Höhn, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Verifikation von Waffensystemen muss zukünftig DIE LINKE: stärker beachtet werden, aber im Rahmen der bestehen- USA zur Rückkehr in den INF-Vertrag auffor- den Verträge. Wir müssen uns darüber klar werden, dass dern – Stationierung neuer Atomwaffen in der die Einteilungen der 80er- und 90er-Jahre im Bereich der Bundesrepublik Deutschland ausschließen Rüstungskontrolle nicht mehr ausreichen: sowohl tech- (Zusatztagesordnungspunkt 14) nisch als auch hinsichtlich der globalen Akteure. 8414 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) Das heißt konkret: Durch den INF-Vertrag sind ver- hen beim INF ablehnen. Uns bleibt letztendlich wieder (C) mutlich weder alle Waffen, die zur Anwendung kommen nur der eben schon angesprochene beschwerliche, lang- können, abgedeckt noch andere Staaten einbezogen. Des- same, frustrierende Weg der Diplomatie. Was den vorlie- halb müssen wir auch andere Teile der Welt in den Blick genden Antrag angeht, so habe ich das leise Gefühl, dass nehmen. Es ist zwar unklar, inwiefern sich China, Indien sich Die Linke nicht so ganz entscheiden konnte, was sie oder Pakistan in der momentanen Lage dem INF-Vertrag eigentlich möchte: Eskalation und Alleingänge im Stile oder einer modifizierten Variante anschließen würden. Trumps oder zielführende Diplomatie? Es ist schon ein Aber ohne einen bestehenden Vertrag wird auch bei ih- argumentatives Kunststück, Heiko Maas eine „hastige“ nen die Motivation sicher nicht steigen. Ebenso muss die abrüstungspolitische Initiative zu unterstellen, gleichzei- Raketenrüstung im Iran und in anderen Ländern auf die tig aber zu meinen, man solle notfalls auch „im Allein- Beobachtungsagenda. gang“ Washington zur Umkehr bewegen. Deutschland im diplomatischen Alleingang zwischen Russland und Ja, es ist richtig: Wir wollen keine Aufrüstungsspira- den USA, darauf hat die Welt nur gewartet! le. So haben wir uns auch als Regierungskoalition ge- äußert und im Februar einen entsprechenden Antrag ein- Aber Ironie beiseite: Wir müssen doch ehrlich bleiben gebracht. Das heißt aber nicht, dass wir drohende oder bei unserer Selbsteinschätzung in der augenblicklichen gar schon bestehende Sicherheitsrisiken für den Schutz außenpolitischen Situation. Ich hoffe, dass sich nie- Deutschlands und unseres Bündnisses handlungslos hin- mand in diesem Hause die Rückkehr des Kalten Krieges nehmen. wünscht. In unterschiedlicher Form fordern wir alle von unserem Land, als Vermittler aufzutreten. Wenn wir dies Nun müssen wir alle diplomatischen Kanäle nutzen. ernst meinen, dann müssen wir uns auch die Glaubwür- Wir müssen aber alle Optionen auf dem Tisch behalten. digkeit bewahren und vor allem auch die falschen Signale Deutschland hat das größte sicherheitspolitische Interes- auf beiden Seiten anerkennen – und nicht Trump, weil es se, den Vertrag zu erhalten und dann zu modernisieren. gerade so opportun ist, die Schuld einseitig zuschieben. Deswegen ist es gut und richtig, dass die Bundesregie- rung die Initiative ergriffen hat und so ein Moratorium Die vermuteten russischen Verstöße gegen den von zwei Monaten für Entscheidungen auf amerikani- INF-Vertrag dürfen wir doch nicht ignorieren. Außer- scher Seite erreicht hat. dem gehen die Probleme in der amerikanisch-russischen Beziehung weit über einzelne Administrationen hinaus. Aber wir müssen über Verteidigungssysteme reden, In gewissem Sinne bilden Trump und Putin ja ein un- ebenso wie über die strategische Aufstellung der NA- gewöhnliches Team – bei aller Gegensätzlichkeit spielen TO-Streitkräfte hinsichtlich neuer Bedrohungen, gerade sie sich letztlich auch Bälle zu, die die internationale, mit Blick auf Osteuropa. Wir müssen diese Frage in- multilaterale Ordnung zum Gegner erklären. Da dürfen (B) tensiv bearbeiten. Eine sicherheitspolitische und strate- (D) wir uns nicht beteiligen, sondern müssen dagegenhalten, gische Debatte über neue Risiken und Bedrohungen in ohne die USA oder Russland am Verhandlungstisch zu Deutschland und im Bündnis tut not. verlieren. Auch deshalb ist es natürlich alles andere als zielführend, die Frage eines Endes der Stationierung von Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Es ist besorgniserre- Atomwaffen auf unserem Boden mit der aktuellen De- gend und auch traurig, wie leichtfertig sowohl Russland batte zum INF-Vertrag zu vermischen. Natürlich ist das als auch die Vereinigten Staaten von Amerika die inter- auch mein langfristiges abrüstungspolitisches Ziel. Aber nationale Sicherheitsarchitektur ins Wanken bringen. wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass wir Besorgniserregend ist es, weil ohne Not ein bewehrtes zunächst einmal die drohende nukleare Aufrüstung ver- Abrüstungsregime unterwandert und außer Kraft ge- hindern müssen. Das steht jetzt im Zentrum; dafür arbei- setzt wird und weil dies unser aller Sicherheit gefährdet. ten auch die Regierungsfraktionen und das Auswärtige Traurig ist es, weil gerade die Annäherung von USA und Amt unter Heiko Maas. Russland zum Ende des Kalten Krieges hin so ein star- kes Beispiel dafür war, wie friedensstiftend Diplomatie Beschwerlich, langsam, manchmal frustrierend, aber wirken kann. im Gegensatz zu diesem Antrag ehrlich und multilateral, innerhalb unserer Bündnisse: Das ist der Weg der Diplo- Diplomatie ist zwar ein beschwerliches, ein langsa- matie. Diesen Weg müssen wir weitergehen. mes und ein manchmal frustrierendes Geschäft, aber ge- rade der INF-Vertrag war bisher ein leuchtendes Beispiel dafür, dass sich Diplomatie lohnt. Es ist daher selbstver- Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Vor genau zehn Ta- ständlich, dass sich Deutschland sowohl vonseiten des gen, am 4. Dezember, haben die NATO-Außenminister Parlaments als auch der Regierung für den Erhalt des geschlossen und gemeinsam die Feststellung getroffen, INF und aller anderen Abrüstungsregime einsetzt. Wo dass die neuen russischen Marschflugkörper vom Typ immer nötig, sind wir bereit, die Rolle des Vermittlers Iskander gegen den INF-Vertrag verstoßen. Dieser Ver- einzunehmen und uns gegen die bedenklichen Aufrüs- trag ist die wahrscheinlich größte Errungenschaft der tungstendenzen auf dieser Welt zu stellen. Was die deut- Entspannungspolitik der 70er- und 80er-Jahre des letzten sche Regierung von der angedrohten Aufkündigung des Jahrhunderts. Die Vereinigten Staaten von Amerika und INF-Vertrages hält – nämlich nichts –, hat insbesondere die Sowjetunion, der Vorgängerstaat der heutigen Russ- Außenminister Heiko Maas mehrfach deutlich gemacht. ländischen Föderation, verpflichten sich darin, alle land- gestützten Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 Eines ist aber auch klar: Es ist eben nicht damit getan, und 5 000 Kilometern zu vernichten, die Atomspreng- möglichst laut zu verlautbaren, dass wir Trumps Vorge- köpfe tragen können. Mit dem INF-Vertrag schlug der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8415

(A) Höhepunkt der Rüstungsspirale und der Abschreckung Wenn die Krise des INF-Vertrages uns in der Euro- (C) im Kalten Krieg, die Stationierung amerikanischer Mit- päischen Union, in der NATO und in den Ländern, die telstreckenraketen in der Bundesrepublik, ins Gegenteil heute auch mit militärischer Gewalt ihre eigenen Ziele um. Das zwischen den Machtblöcken gewachsene Ver- verfolgen, dazu aufrüttelt, dann hat sie vielleicht auch trauen war zugleich eine Voraussetzung für die friedliche ihr Gutes. Wir haben heute gute Gründe, besorgt zu sein. Wiedervereinigung Deutschlands und Europas und für Aber gerade deshalb haben wir kein Recht, zu verzagen. das Vierteljahrhundert der europäischen Friedenskoope- ration, das sich anschloss. Kein Wunder, dass dieser Tri- Ulrich Lechte (FDP): Die Entwicklung beim umph der Entspannungspolitik für uns mehr ist als nur INF-Abrüstungsvertrag zeigt leider wieder einmal, dass eine völkerrechtliche Vereinbarung. Er ist ein Symbol die Bundesregierung ihrer Verantwortung als einer der dafür, dass eine Verständigung sogar unter Feinden mög- wichtigen Akteure auf dem internationalen diplomati- lich ist, wenn der politische Wille und das nötige Vertrau- schen Parkett nicht gerecht wird. Seit 2014 hat sich der en vorhanden sind. damalige US-Präsident Barack Obama öffentlich darüber Heute stehen wir vor einer Situation, in der wir das beklagt, dass Russland den INF-Vertrag mit dem neuen Ende des INF-Vertrags vor Augen haben. Die NATO-Au- Raketensystem SSC-8 – russische Bezeichnung 9M729 – ßenminister haben Russland eine Frist von zwei Monaten verletzt. Schon da war klar, dass diese Angelegenheit eingeräumt, um zur Einhaltung der Vertragsbedingungen nicht nur die Vertragsparteien USA und Russland betrifft, zurückzukehren. Bisher signalisiert die Regierung in sondern ganz erheblich auch die Sicherheit in Europa. Moskau keine Bereitschaft, der NATO-Forderung entge- Aber die Bundesregierung ist trotzdem untätig geblieben. genzukommen – oder auch nur anzuerkennen, dass die Wegen dieser Untätigkeit der Bundesregierung haben neuen Raketen der russischen Streitkräfte überhaupt eine wir als Bundestag einen Beschluss dazu gefasst. Die Frak- Vertragsverletzung darstellen. Mit Schrecken erkennt tionen CDU/CSU und SPD hatten im März den gemein- nun auch der Letzte: Sehr wahrscheinlich werden die samen Antrag „Den INF-Vertrag als Grundpfeiler atoma- USA den Vertrag kündigen, weil er Europa schon heute rer Sicherheitsarchitektur und Kernelement europäischer nicht mehr vor nuklearer Aufrüstung schützt. Und damit Sicherheit erhalten“, Drucksache 19/956, eingebracht, kehren möglicherweise all die Debatten zurück, die vor um der Regierung, die sie ja selber stützen, ein wenig 35 Jahren, auf dem Höhepunkt der Rüstungsspirale – Beine zu machen. Das fanden wir von der FDP-Fraktion aber auch der Friedensbewegung! –, Europa auf beiden richtig und haben diesem Antrag daher auch zugestimmt. Seiten des Eisernen Vorhangs in Atem gehalten haben. Aber auch das hat leider nicht geholfen. Unsere heutige Debatte ist davon ein Vorgeschmack. Es war erst der Druck von Donald Trump, der hier Be- (B) Für die SPD ist in dieser Lage klar: Wir wollen den wegung in die Sache gebracht hat. Bitte verstehen Sie (D) Schutz wirksamer internationaler Verträge nicht preisge- mich nicht falsch. Die Drohung, aus dem INF-Vertrag ben. Und wir wollen keine Stationierung neuer Mittel- auszusteigen, halte ich für falsch. Aber ich muss doch streckenraketen in Europa: weder im Regierungsbezirk zur Kenntnis nehmen, dass Donald Trump es mit seiner Kaliningrad noch in Deutschland, weder auf der Halbin- Vorgehensweise geschafft hat, auch unserer trantütigen sel Kola noch in Polen oder im Baltikum. Stabile, dau- Regierung Beine zu machen. Erst als Reaktion auf seine erhafte Sicherheit gründet sich auf Vertrauensbildung, Drohung haben die NATO-Außenminister am 4. Dezem- Rüstungskontrolle und Abrüstung, nicht auf ein Gleich- ber erstmals offiziell festgestellt, dass Russland mit sei- gewicht des Schreckens. nem Raketensystem den INF-Vertrag bricht. Außenminister Heiko Maas hat deshalb vor wenigen Heute diskutieren wir einen Antrag der Linken, in dem Wochen an diesem Rednerpult vier zentrale Anliegen der so getan wird, als seien die USA schuld am Scheitern deutschen Außenpolitik benannt: Erstens: einen neuen des INF-Vertrags. Damit zeigt die SED-Nachfolgepartei Dialog über die unteilbare europäische Sicherheit zwi- aber nur, dass sie weiter fest an der Seite ihrer russischen schen den Ländern Europas, Russland und den USA. Freunde steht. Inhaltlich ist diese Aussage Unsinn. Russ- Zweitens: die Herstellung weltweiter Transparenz über land hat den Vertrag seit langem verletzt, und die USA Raketen und Marschflugkörper. Drittens: die Rückkehr haben das lediglich beklagt. Mit der Drohung der Ver- zur Rüstungskontrolle als ein Herzstück von Friedensdi- tragskündigung wird dieser Klage jetzt Nachdruck ver- plomatie. Und viertens: die Anpassung völkerrechtlicher liehen. Eine tatsächliche Kündigung des Vertrags wäre Standards an den technischen Fortschritt. Überschall-, aber gar nicht im Interesse der USA; denn Russland hat Cyber-, Weltraum- und autonome Waffen: Sie alle sind bereits jetzt entsprechende Mittelstreckenraketen mit von bestehenden Regeln und Verträgen gar nicht oder je- mobilen Abschussrampen, während die USA diese erst denfalls nicht ausreichend erfasst. noch entwickeln müssten. Wladimir Schamanow, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsdu- Die letzten drei Ziele gelten einem weltweiten An- ma, hat auch schon erklärt, dass man diese Raketen nach spruch, den der INF-Vertrag noch nicht gestellt hat. einer Kündigung des INF-Vertrags auf Kuba stationieren Der Aufstieg Chinas auch als Militärmacht, neue Nuk- solle. Er droht also absurderweise mit einer Neuauflage learmächte wie Indien und Pakistan, die Gefahren des der Kubakrise. Klimawandels und die zerstörerischen Potenziale neuer Technologien zwingen uns, für die Sicherheit aller Men- Die Russen hingegen beklagen eine Vertragsver- schen, nicht nur bei uns in Europa, grundsätzlich neu letzung der USA durch das Mk 41 Vertical Launching nachzudenken und zu handeln. System in Rumänien, mit dem Abfangraketen abgefeu- 8416 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) ert werden, die den INF-Vertrag nicht verletzen. Dieses Deswegen wäre es auch so wichtig, dass die Bun- (C) System müsste erst umgerüstet werden, um Mittelstre- desregierung und dass die Europäer gegenüber unse- ckenraketen abfeuern zu können. Und selbst dann wäre ren amerikanischen Partnern deutlich machen, dass der es als stationäres System – auch im Hinblick auf eine INF-Vertrag in unserem ureigenen sicherheitspolitischen Zweitschlagfähigkeit – militärisch viel weniger wertvoll Interesse ist und dass wir alles tun werden, um Mittelstre- als das mobile System der Russen. ckenraketen in Europa zu verhindern. Da höre ich viel zu wenig! Im Gegenteil: Die Äußerungen der Bundesre- Wenn es zu einem Scheitern des INF-Vertrags kommt, gierung lassen befürchten, dass man sich auch für diesen dann ist Russland der Schuldige und der Profiteur, nicht äußersten Fall den Schulterschluss in der NATO an der die USA. Trump hätte sich dann also nur zum Erfüllungs- Seite der USA offenhalten will. gehilfen Putins gemacht. Das muss man auch so ganz klar benennen. Was wir jetzt brauchen, sind keine Fristen und Droh- gebärden, sondern Gespräche über gegenseitige Inspek- Die Zukunft der nuklearen Abrüstung insgesamt be- tionen. Ich sage „gegenseitig“, weil beide Seiten die darf zudem einer Einbindung weiterer Atommächte, Vorwürfe nicht ausräumen können. Russland muss sein allen voran Chinas. Das Reich der Mitte hat die letzten Raketenprogramm offenlegen und Raketen mit mehr Jahrzehnte dazu genutzt, gerade im Bereich der Mittel- als 500 Kilometer Reichweite vernichten. Und wenn es streckenraketen kräftig aufzurüsten. Die aktuelle Sicher- stimmt, dass die amerikanische Raketenabwehr in Ost- heitslage bedarf daher auch neuer Abrüstungsbemühun- europa wirklich nicht mit Offensivsprengköpfen bestückt gen. Die Bundesregierung sollte dabei helfen, dass die werden kann, müssen auch hier Inspektionen möglich Sicherheit Europas und der Welt auch durch neue nukle- sein. are Abrüstung gestärkt wird. Wir brauchen Gespräche auf allen Ebenen – im ­NATO-Russland-Rat, aber vor allem auch wieder auf mi- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die nu- litärischer Ebene. Ich halte es für einen Fehler, dass die kleare Aufrüstungsspirale dreht immer schneller. Und NATO gerade die Gespräche auf militärischer Arbeits­ die Bundesregierung dreht einfach mit. Nach den ersten ebene wegen der Ukraine-Krise eingestellt hat. Hier Ankündigungen der US-Administration, den INF-Ver- könnte es eher zu vertrauensbildenden Maßnahmen kom- trag zu kündigen, haben Sie das noch zu Recht laut und men als auf politischer Ebene. vernehmbar kritisiert. Und nun zum Antrag der Linken. Bisher haben die Und jetzt? Beim NATO-Außenministertreffen am Linken-Anträge zu INF durchaus unsere Zustimmung 4. Dezember erfolgt der Schulterschluss mit den USA, gefunden. Und ja, auch wir Grüne finden, dass die Auf- (B) weil diese die Bundesregierung durch Vorlage von Ge- kündigung des ABM-Vertrages 2002 und die Stationie- (D) heimdiensterkenntnissen überzeugt haben, dass die Rus- rung der Raketenabwehr ein Fehler waren. Aber dass die sen gegen den Vertrag verstoßen. Das macht die Kündi- USA und die NATO nun völlig allein an allem schuld gung aber doch nicht sinnvoller! Gerade wenn Russlands sein sollen und in diesem Antrag nicht ein Wort der Kri- neues Raketenprogramm tatsächlich gegen den Vertrag tik mehr an Putin und der russischen Außenpolitik, an verstößt, ist es doch erst recht wichtig, an diesem Vertrag seinem Völkerrechtsbruch auf der Krim, seinem nuklea- festzuhalten und Russland dazu zu bringen, sich wieder ren Aufrüstungsprogramm, der russischen Unterstützung vertragskonform zu verhalten. Dass Putin sich von der für Rechtspopulisten in der EU und letztlich auch zu sei- gesetzten Frist von 60 Tagen beeindrucken lässt und bis nem INF-vertragswidrigen Verhalten steht, ist wirklich Ende Januar alle Vertragsverstöße abstellt, glaubt doch enttäuschend. niemand im Ernst! Wir werden sicher noch viel über dieses Thema disku- Auf der anderen Seite ist der Vertrag den Russen tieren müssen, aber eine Zustimmung zu einem solch ein- selbst scheinbar gar nicht so unwichtig; denn dafür ge- seitigen Antrag wird es von uns da nicht geben können. ben sie sich viel zu viel Mühe, den Verstoß zu verheimli- chen. Sie hätten ja auch einfach kündigen können. Putin hat offenbar ein Dilemma: Den INF Vertrag will er nicht aufgeben, weil er kein Interesse an Mittelstreckenraketen Anlage 11 in Europa hat. Auf der anderen Seite hat er ein Interes- Zu Protokoll gegebene Reden se daran, den chinesischen Mittelstreckenraketen etwas entgegenzusetzen. Da hat er womöglich was mit Trump zur Beratung des Antrags der Abgeordneten gemeinsam. Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein- Schmeink, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter Es will ja niemand bestreiten, dass die Interessenlage und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: komplex und die Verhandlungslage äußerst schwierig ist. Mehr Frauen in Führungspositionen zur Organi- Was ich aber in dieser ganzen Gemengelage vermisse, ist sation des Gesundheitswesens die Fähigkeit aller Beteiligten, sich jeweils in die geg- nerische Interessenlage hineinzuversetzen. Das aber ist (Tagesordnungspunkt 17) Grundvoraussetzung für jegliche Verhandlungserfolge. Das hat auch nichts damit zu tun, ob man Trump- oder Emmi Zeulner (CDU/CSU): „Mehr Frauen in Füh- Putin-Versteher ist. Es geht schlicht darum, eine Lösung rungspositionen zur Organisation des Gesundheitswe- zu finden! sens“ – warum das nicht funktioniert? Schauen Sie doch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8417

(A) mal auf die Uhr: Der Tagesordnungspunkt wird nach beispielsweise keinen finanziellen Ausgleich für eine (C) 24 Uhr aufgerufen. Dass die Fraktion von Bündnis 90/ niedergelassene Ärztin, die sich in einem Gremium in Die Grünen einen solchen Antrag einbringt, ist ihr gu- Führungsposition engagiert und deswegen einen finanzi- tes Recht, aber guter Stil wäre es gewesen, wenn dies ellen Ausfall in ihrer Praxis hinnehmen muss? zu einer Uhrzeit passiert wäre, bei der Frauen nicht die Herausforderung haben, einmal mehr Familie und Beruf Meiner Ansicht nach endet die Herausforderung nicht, umständlich unter einen Hut bringen zu müssen. Denn wenn man einen Sitz bekommen hat. Es bleibt weiter- genau das ist der Hauptgrund, warum es so wenige Frau- hin schwierig. Denn wir alle wissen, dass der Kampf erst en in Führungspositionen gibt. Die Herausforderung ist richtig beginnt, wenn sie einen, wie von Ihnen, liebe Grü- beispielsweise, nach einem langen Arbeitstag nochmals ne, geforderten, Sitz im Vorstand haben und diesen mit die Abendbetreuung für die Kinder zu organisieren, um Herzblut und ganzer Kraft ausfüllen möchten, ohne in die in manchmal endlosen Gremiumssitzungen Präsenz zu bereits geschilderte Bittstellerrolle zu kommen. zeigen. Es gibt zwei Phasen im Leben einer Frau, in der sie Und dann wollen Sie mir erzählen, wir lösen das Pro- beruflich aufsteigen kann: Das ist die Phase, bevor sie blem mit ein paar festen Sitzen und Monitoring? Das Kinder bekommt, und die Lebensphase, wenn die Kinder geht an der Wahrheit und an einer Lösung vorbei. Denn groß sind. In der Zeit dazwischen ist es eine fast tägliche entscheidend ist doch nicht, wo das Problem ankommt, Zerreißprobe zwischen Beruf und Familie. sondern wo das Problem herkommt. Denn nicht die Wenn man Frauen mal wirklich fragt, was sie als Un- mangelnden Sitze, sondern die mangelnde Vereinbarkeit terstützung für eine Führungsposition brauchen, dann ist von Beruf und Familie sind der Knackpunkt. Das ist der das kein freier Sitz, sondern dann ist es der Wunsch nach Grund, warum viele Frauen sich auch bewusst – freiwil- guten Rahmenbedingungen. Und dass wir das als Union lig oder unfreiwillig – gegen eine Führungsposition ent- können, haben wir im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz scheiden. gezeigt. Hier haben wir nämlich an der Basis angesetzt Was hilft? Beispielsweise eine bessere Zeitgestaltung, und den Krankenhäusern ab 2019 jährlich bis zu 70 Mil- qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und, ja, auch lionen Euro zur Verfügung gestellt, in der Altenpflege eine unbedingte Unterstützung seitens der Gremienver- sogar bis zu 100 Millionen Euro, um die Vereinbarkeit antwortlichen beim Einberufen von Sitzungen wären der von Familie und Beruf zu ermöglichen. Grundstein für eine tatsächlich bessere Vereinbarkeit. Ich bin gerne bereit, echte Frauenpolitik zu machen Denn die Verantwortlichen entscheiden häufig, wann, und anzupacken. Ich wende mich hier gegen Augen- wo und in welchen Zeitrahmen getagt wird. Auch eine wischerei. Und das bedeutet auch, dass man nicht wie Quote stellt die angesprochenen Frauen vor die Heraus- (B) Sie einfach ignorieren kann, dass man nicht mal eben (D) forderung, alles unter einen Hut zu bringen. so leicht in geheime und freie Wahlen der Gremien der Doch stattdessen muss sich eine Frau auch noch wie Selbstverwaltung eingreifen kann. eine Bittstellerin vorkommen, wenn sie Rücksichtnahme Sie haben mich für echte Lösungen, die Frauen in ih- einfordern muss. Nicht, weil sie nicht bereit wäre, Leis- rer Lebenswirklichkeit helfen, an Ihrer Seite, aber nicht tung zu bringen, sondern weil ihr Grenzen von außen ge- für erzwungene Akzeptanz. setzt sind. Schauen wir uns Ihren Antrag doch mal an: ein Antrag, Hilde Mattheis (SPD): Der Gesundheitssektor wird der auf den ersten Blick gut klingt. Und zu Ihrer gro- hierzulande zu oft unterschätzt. Dabei lag die Bruttowert- ßen Freude, liebe Bündnis 90/Die Grünen, teilen wir das schöpfung 2016 bei 248 Milliarden Euro; das entspricht Anliegen, den bislang zu niedrigen Frauenanteil in den einem Anteil von 12 Prozent an der Gesamtwirtschaft. Selbstverwaltungsgremien im Gesundheitswesen nach- Gleichzeitig bietet der Bereich Gesundheit über 5 Mil- haltig zu erhöhen, vorbehaltlos. Und ja, es klingt nett, lionen Menschen Arbeit, Tendenz steigend. Von diesen bei den oberen 2 Prozent anzusetzen. Doch das Ganze 5 Millionen sind der überwiegende Teil Frauen, nämlich beginnt doch viel früher. Sie sagen selbst: 70 Prozent der stolze 75 Prozent. Das sind über 4 Millionen Frauen, die Beschäftigten im Gesundheitswesen sind weiblich. Doch im Gesundheitsbereich tätig sind und mit ihrer Arbeit nur 18 Prozent in der Vertreterversammlung der Kassen- dazu beitragen, dass dieses Land trotz aller Probleme ärztlichen Bundesvereinigung und lediglich 5 Prozent eine sehr gute medizinische und pflegerische Versorgung bei der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sind bietet und Forschung und Entwicklung im Gesundheits- gewählte Frauen. Und dieses Phänomen zieht sich doch bereich auf Weltklasseniveau stattfinden. in allen Gremien durch: Je höher man kommt, desto ge- ringer wird der Frauenanteil. Deswegen muss auch hier Wenn wir uns nun anschauen, wie viele von diesen an der Basis angesetzt werden, um mehr Frauen zu ha- Frauen in den Chefetagen und Vorständen sitzen, dann ben, die für eine bessere Frauenpolitik arbeiten. sehen wir ein ganz anderes Bild. Da herrscht nämlich gähnende Leere. Und das ist ein Problem. Die Grünen Und wieder kommen wir zum Ausgangspunkt: Nicht betrachten mit ihrem Antrag einen Ausschnitt im Ge- da ansetzen, wo es ankommt, sondern wo es herkommt, sundheitsbereich, die Selbstverwaltung, also genauer nämlich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. gesagt die Krankenkassen als Vertretung der gesetzlich Es klingt toll, wenn man sich die Stärkung der Frau- Versicherten in Deutschland, die kassenärztlichen Ver- en in Führungspositionen auf die Fahne schreibt; doch tretungen als Repräsentanten der ambulanten Ärzteschaft gehen Sie ehrlich an die Sache ran. Warum fordern Sie sowie die Ärztekammern. Wir könnten hier noch sehr 8418 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) viel weiter gehen und uns die diversen Berufsverbände Minderheit sind, wenn es denn überhaupt eine Frau im (C) anschauen, das Bild ist überall das gleiche: In keinem Vorstand gibt. Das zeigt: Ohne gesetzliches Eingreifen Aufsichts-, Verwaltungs- oder Führungsgremium sind geht es nicht. Frauen gleichberechtigt vertreten, sie sind überall die Minderheit. Weibliche Vorsitzende von Krankenkas- Und an all jene, die meinen: „Es sei doch alles gut, die sen oder Verbänden bilden da die Ausnahme, nicht die Besten setzen sich halt in der Hierarchie durch“: Wollen Regel – und das in einem Bereich, in dem Frauen, wie die ernsthaft behaupten, dass bei 50 Prozent Versicher- gesagt, die Mehrheit der Beschäftigten bilden bzw. die ten in der gesetzlichen Krankenversicherung, 70 Pro- Hälfte aller Versicherten Frauen sind. zent weiblichen Beschäftigen in den Krankenkassen und 46 Prozent berufstätigen Ärztinnen keine geeigneten Eine kleine Anfrage an die Bundesregierung hat dies Kandidatinnen für höhere Ämter zu finden sind? Es gibt mit Zahlen belegt. Ich möchte an dieser Stelle nicht alle so viele hochqualifizierte Frauen in diesem Land, na- Zahlen referieren, sondern nur einen Bereich herausneh- türlich und vor allem auch im Gesundheitswesen. Aber men, um das Problem hier darzustellen. Ich nehme die gleichberechtigt mitbestimmen können sie nicht, und das Verwaltungsräte der Krankenkassen, die alle sieben Jahre ist nicht in Ordnung. in Sozialwahlen gewählt werden und die unter anderem Übrigens steigt die Zahl der Frauen im Gesundheits- über den Vorstand und Etat der Kassen im Sinne der Ver- wesen. Rund zwei Drittel der Studierenden im Bereich sicherten entscheiden sollen. Unter derzeit 110 Kranken- Medizin und Zahnmedizin sind heute Frauen. Nun könn- kassen gibt es eine einzige mit einem paritätisch besetz- te man meinen, angesichts dieser Entwicklung würden ten Verwaltungsrat. Alle anderen werden von Männern die zukünftigen Ärztinnen auch entsprechend in den dominiert, zum Teil sehr deutlich – und das, obwohl der Kammern und Verbänden repräsentiert werden, aber Anteil der weiblichen Versicherten 50 Prozent erreicht, weit gefehlt. Als Reaktion auf die hohe Zahl weiblicher nicht in jeder Kasse, aber insgesamt über alle Kassen Studienanfänger forderte der niedersächsische Landes- verteilt. verband des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte vor Wenn wir uns die Kassenverbände anschauen, einigen Jahren eine Männerquote bei der Zulassung zum schwankt der Frauenanteil im Verwaltungsrat zwischen Zahnmedizinstudium. Die Forderung wurde einige Zeit 10 Prozent bei den Innungskrankenkassen und 36,6 Pro- wieder aufgegriffen, 2017 kam sie aus den Reihen des zent bei den Ersatzkassen. Die Kasse mit paritätischem Berufsverbandes Deutscher Radiologen, 2018 von einer Verwaltungsrat ist auch eine Ersatzkasse. Um zu verdeut- Bundestagskollegin der CDU. Das ist verkehrte Welt: In lichen, dass es sich nicht nur um eine Momentaufnahme zahlreichen Vorständen ist für diese Leute die Männer- handelt, möchte ich auch mal schlaglichtartig darlegen, riege kein Problem, aber wenn sich plötzlich junge, klu- (B) wie sich der Frauenanteil über die Jahrzehnte entwickelt ge Frauen aufmachen, Medizin zu studieren, dann wird (D) hat. Ich nehme dazu das Beispiel der mitgliederstärks- Alarm geschlagen. ten deutschen Krankenkasse, der Techniker, deren Ver- Ich hoffe, dass die CDU in ihrer breiten Mehrheit waltungsrat 2018 immerhin ein Drittel weiblicher Mit- zustimmt, dass die derzeitige Situation von Frauen in glieder hat. Nach den Sozialwahlen 2011 war es nur ein Führungspositionen im Gesundheitswesen nicht in Ord- Frauenanteil von 26 Prozent, davor 2005 30 Prozent nung ist. Wenn wir uns hier einig sind, sollten wir ge- und 1999 ganze 13 Prozent. Noch mal zur Erinnerung: meinsam überlegen, was wir tun können. Die Koalition Die Techniker ist eine Krankenkasse, die im Vergleich hat in der vergangenen Wahlperiode das Gesetz für die aller Verwaltungsräte als Positivbeispiel zu werten ist. gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern Im Verwaltungsrat der mitgliederstärksten Allgemeinen an Führungspositionen verabschiedet. Ich zitiere hier Ortskrankenkasse in Deutschland beträgt der Frauenan- aus dem Lösungsansatz dieses Gesetzes: „Erforderlich teil 20 Prozent, in dem der größten Innungskrankenkasse sind gesetzliche Regelungen, die den Anteil von Frau- 10 Prozent. Was heißt das ganz konkret? Das Gremium, en an Führungspositionen in der Privatwirtschaft, in der welches neben dem Vorstand ganz wesentlich über den Bundesverwaltung, in den Gerichten des Bundes sowie Haushalt, kassenindividuelle Leistungen, über Kassen- in Gremien im Einflussbereich des Bundes signifikant verträge, über Widersprüche für Millionen von Versi- erhöhen und damit das verfassungsrechtlich verankerte cherten entscheidet, wird fast immer von Männern kon- Grundrecht auf gleichberechtigte Teilhabe von Frauen trolliert. Im Jahr 2018 sollte allen klar sein, dass dieser und Männern auch für den Bereich der Führungspositi- Zustand nicht haltbar ist. onen erfüllen.“ Dies ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt, wir könn- Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen war von ten hier endlos die Zahlen aufführen; aber die Beispiele diesem Gesetz damals nicht betroffen, aber das Problem, belegen zwei Dinge glasklar: Frauen sind nicht adäquat welches in diesem Gesetz angegangen wird, besteht ge- in den Führungs- und Verantwortungspositionen im Ge- nauso in der Selbstverwaltung. Also wäre es nur folge- sundheitsbereich vertreten. Und diese Vertretung wird richtig, dass wir auch eine ähnliche Lösung angehen. auch nicht durch eine Freiwilligkeit der betroffenen Ak- teure und Institutionen geregelt. Wir reden seit Jahren In der 18. Wahlperiode haben CDU/CSU und SPD das von mehr Repräsentanz von Frauen in Führungspositi- gemeinsame Ziel einer besseren, einer repräsentativen onen – hier im Parlament und in der Gesellschaft. Und Vertretung von Frauen und Männern in den Selbstver- trotzdem findet sich kaum ein Krankenkassenvorstand waltungsgremien in den Koalitionsvertrag geschrieben. oder Ärztekammervorstand oder Vorstand einer Kassen- Wir hatten also bereits das gemeinsame Verständnis und ärztlichen Vereinigung, in dem Frauen nicht die klare das Ziel, dass wir an dieser Stelle weiterarbeiten müssen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018 8419

(A) Die Kolleginnen und Kollegen, die damals schon dabei ist nur, ob sie auch ein geeignetes Mittel ist. Denn eins (C) waren, wissen, dass wir dies im Rahmen der Modernisie- ist klar: Quote bedeutet immer auch Zwang. Es ist doch rung der Sozialwahlen angehen wollten. Diese Reform etwas vollkommen anderes, ob ein Führungsposten mit ist damals leider gescheitert – sehr zum Leidwesen aller einer Frau besetzt werden muss oder auf einer freien Ent- Verantwortlichen rund um die Sozialwahlen. Die Be- scheidung beruht. Und freie Entscheidungen sind mir als auftragte für die Sozialwahlen, Rita Pawelski von der Freier Demokratin immer besonders wichtig. CDU, hat mehrfach und eindeutig für eine Frauenquote geworben, so wie viele andere Vertreterinnen und Ver- Was wir vor allem brauchen, ist ein Umdenken in un- treter der Gewerkschaften und anderer Verbände auch. serer Gesellschaft. Zu was eine festgeschriebene Quote Werbung und freiwillige Verpflichtungen für die Sozial- in der Praxis führen kann, sehen wir zum Beispiel an der wahlen 2017 hatten keinen durchschlagenden Erfolg; die Firma Villeroy & Boch. Da blieb der Aufsichtsratsposten Zahlen habe ich schon referiert. Lassen Sie uns deshalb wegen mangelnder weiblicher Besetzung einfach leer. das Problem erneut angehen. Und was bringt das dann den Frauen? Nichts! Viel Auch wenn Union und SPD diesen Punkt bedauerli- wichtiger ist es doch, dass die Gesellschaft, also Männer cherweise nicht in der aktuellen Koalitionsvereinbarung und Frauen, dafür sensibilisiert werden, darauf zu achten, für diese Wahlperiode aufgenommen haben, heißt das ja wie zum Beispiel der Vorstand ihrer Krankenkasse be- nicht, dass wir nicht über den Koalitionsvertrag hinaus setzt ist. Warum machen wir dies – selbstverständlich ne- arbeiten können. Wenn wir als Gesetzgeber uns einig ben anderen – nicht zum Auswahlkriterium für die Wahl sind, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht, der Krankenkasse? Die Bürgerinnen und Bürger haben dann sollten wir auch den Mut und die Energie aufbrin- doch die freie Wahl. Wenn ich zum Beispiel einen Strom- gen, hier Lösungen zu präsentieren. Dazu bietet der An- anbieter mit einem hohen Anteil an Ökostrom bevorzuge, trag der Grünen eine erste Grundlage. Ich fordere alle suche ich den entsprechenden Anbieter doch auch nach Kolleginnen und Kollegen, aber insbesondere die Kolle- solchen Kriterien aus. – Ich hoffe, den Grünen gefällt ginnen und Kollegen von der CDU/CSU auf, mit uns ge- dieses Beispiel. meinsam ernsthaft und zielorientiert an diesem Problem Genauso kann ich doch bei der Auswahl meiner Kran- zu arbeiten. Wir waren uns einig, dass mehr Frauen als kenkasse darauf achten, dass diese einen höheren Anteil heute in Führungsverantwortung in der Selbstverwaltung an Frauen im Aufsichtsrat hat als andere Wettbewerber. gehören. Wir haben jetzt erneut die Chance, hier eine Lö- Eine solche Entwicklung muss gesellschaftlich gelebt sung zu finden. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbei- werden. Und da sind wir alle gefragt. ten! Ich bin mir sicher, dass in wenigen Jahren wesentlich (B) mehr Frauen in den Aufsichtsräten vertreten sein wer- (D) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Ich stimme den, bestenfalls sogar über 50 Prozent. Und wenn dann den Antragstellern in einem Punkt zu: Die Anzahl von irgendwer eine Männerquote fordert, dann gibt es richtig Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen ist Ärger mit mir. unterirdisch gering. Ich erlaube mir, das einmal so direkt auszudrücken. Doris Achelwilm (DIE LINKE): Das Gesundheits- Ich möchte als Beispiel den Fokus auf die Medizi- wesen ist in der Breite seit jeher eine klare Frauendomä- nerinnen legen. Etwa 62 Prozent der Erstsemester sind ne. Es sind Frauen, die im familiären Umfeld den größten mittlerweile weiblich. Da haben sich die Frauen ohne Teil der Sorgearbeit leisten. 73 Prozent aller Pflegebe- Quote durchgesetzt, weil sie einfach bessere Schulab- dürftigen werden zu Hause von Angehörigen versorgt, schlüsse haben. Unterdessen sind aber nur 26 Prozent der und wiederum 90 Prozent dieser pflegenden Angehöri- Leitungsfunktionen in deutschen Krankenhäusern dem gen sind Frauen – Töchter, Ehefrauen, Mütter. „Deutschen Ärzteblatt“ zufolge mit Frauen besetzt. Der Anteil der Chefärztinnen wird auf 8 bis 10 Prozent ge- Es sind ebenfalls weit überwiegend Frauen, die in Kli- schätzt. In Führungspositionen im Krankenhaus, in Vor- niken, Heimen und Arztpraxen in ganz Deutschland Blut ständen von Fachgesellschaften, Ärztekammern, Kas- abnehmen, Medikamente ausgeben, Katheter wechseln. senärztlichen Vereinigungen oder auch in universitären Auch in den Krankenkassen ist der Großteil der Beschäf- Gremien sind Medizinerinnen nach wie vor unterreprä- tigten, nämlich 70 Prozent, weiblich. Bei den Ärztinnen sentiert. findet eine deutliche Verschiebung statt: Knapp zwei Drittel der Erstsemester im Fach Medizin sind heute Das führen Sie in Ihrem Antrag treffend aus. In dieser Frauen. Die Quote von Chefärztinnen stagniert allerdings Diagnose, dass wir mehr Frauen in Führungspositionen seit Jahren bei unter 10 Prozent. brauchen, sind wir uns einig. Es gibt aber auch positive Beispiele im Gesundheitswesen, natürlich aus dem vor- Ein gesellschaftlich unhaltbarer Zustand ist, dass die bildlichen Schleswig-Holstein: Frau Schliffke, die Vor- Mehrzahl der in der Pflege tätigen Frauen einen stressi- standsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein, um nur gen Arbeitsalltag mit reichlich Verantwortung und viel zu ein Beispiel hier zu nennen. wenig Lohn hat. Ein weiterer besteht darin, dass sich mit jeder Hierarchiestufe der Anteil an Frauen verringert – Wenn es um die Lösung dieses offensichtlichen Pro- bis dann ganz oben, in den Vorständen und Führungs- blems geht, bin ich jedoch einer anderen Meinung als gremien, kaum mehr Frauen repräsentiert sind. Von den die Antragsteller. Ich gebe Ihnen recht: Eine Quote kann wichtigsten klinischen Lehrstühlen sind deutschlandweit den Frauenanteil schnell und einfach erhöhen. Die Frage nur 10 Prozent mit Medizinerinnen besetzt. Erst 1999 8420-8438 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 71. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2018

(A) wurde der erste Lehrstuhl ausgerechnet für Frauenheil- also durchaus von existenzieller Bedeutung, dass auf je- (C) kunde (!) an einer deutschen Universität durch eine Pro- der Ebene des Gesundheitswesens Geschlechtergerech- fessorin besetzt. tigkeit herrscht statt dieser völligen Unausgewogenheit zwischen überdurchschnittlich vielen Frauen am einen Und auch in den Ärztekammern, die die Aufsicht der Ende der Einkommensskala und dem entsprechenden Berufsausübung von Ärztinnen und Ärzten verantwor- Männerüberhang am anderen Ende. ten, sind Medizinerinnen meistens weit unterrepräsen- tiert. So ließe sich fortfahren und fortfahren, und ja, wir Gerade nach den Beiträgen heute zum § 219a möch- sind dieses Schneckentempo in Sachen Gleichstellung te ich nicht auf die Beschwerde verzichten, dass an den wirklich leid. Unikliniken kaum noch Lehrinhalte zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen angeboten werden. An In vielen Zusammenhängen ist auch nachweisbar, dass einigen Unis haben die Studierenden das Thema deshalb es erst Frauen braucht, damit bestimmte Krankheitsbilder schon selbst auf die Agenda gesetzt. Es wird Zeit, dass ernster genommen oder überhaupt erkannt werden. Wel- der unsägliche § 219a endlich ohne Kompromisse abge- che Folgen es hat, dass die medizinische Forschung und schafft wird. die Organisation des Gesundheitswesens seit Generatio- nen in Männerhand liegen, zeigt beispielhaft die Krank- Ein höherer Anteil von Frauen in der Organisation des heit Endometriose. Etwa 10 bis 20 Prozent der Frauen in Gesundheitswesens könnte an all diesen Stellen entschei- Deutschland leiden an dieser schmerzhaften Krankheit. dende Verschiebungen bewirken, weswegen wir dem An- Durchschnittlich dauert es zehn Jahre, bis eine Diagnose trag zustimmen. feststeht, obwohl die Signale nicht so schwer zu lesen Gleichzeitig kann der Ruf nach einer Quote in den sind. Ein höherer Anteil von Ärztinnen in den Ärztekam- Führungsebenen der Krankenkassen und den ärztlichen mern würde die Aufmerksamkeit auf diese und ähnliche Vereinigungen nur ein Baustein sein. Als Linke kämpfen Erkrankungen erhöhen und könnte Behandlungsrichtlini- wir für eine gründliche Aufwertung des Pflegesektors all- en ändern. gemein. Wir unterstützen ausdrücklich die Volksbegeh- Auch wurden in der Vergangenheit viele Studien ohne ren für mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern – zum Blick dafür durchgeführt, dass Krankheiten bei Frauen Beispiel aktuell in Bremen – und in der Altenpflege, oft anders verlaufen als bei Männern. Herzinfarkte etwa damit endlich menschenwürdige Verhältnisse für die Be- werden bei Frauen durchschnittlich später erkannt. Es ist schäftigten und Pflegebedürftigen geschaffen werden.

(B) (D)

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