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Frau , MdB Deutscher Gesundheitspolitische Sprecherin [email protected] Berlin, 13.11.2019

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Frau , MdB Deutscher Bundestag Gesundheitspolitische Sprecherin [email protected]

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Frau Martina Stamm-Fibich, MdB Deutscher Bundestag Berichterstattung Arzneimittel [email protected]

Frau Prof. Dr. med. Ulrike Schara Präsidentin der Gesellschaft für Neuropädiatrie Universitätsklinikum Essen (AöR) [email protected]

Herrn Prof. Dr. med. Janbernd Kirschner Direktor der Abteilung für Neuropädiatrie und des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) [email protected]

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Einsatz des Arzneimittels Zolgensma® ohne europäische Zulassung

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn, die Unterzeichner dieses Schreibens halten es vor dem Hintergrund der aktuellen Situation zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA) mit Zolgensma® geboten, Stellung zu beziehen und für eine gesetzliche Regelung zu werben.

Die SMA ist mit einer Inzidenz von etwa 1:10.000 Neugeborenen eine seltene Erkrankung, deren Krankheitsverlauf bei Säuglingen unbehandelt rasch fortschreitet und zu einer generalisierten Muskelschwäche und Lähmung der Atemmuskulatur mit Todesfolge führt. Seit 2017 steht mit Nu- sinersen (Spinraza®) ein auch in Deutschland zugelassenes Medikament zur Verfügung, das re- gelmäßig verabreicht werden muss und den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst. Der Gemein- same Bundesausschuss hat für Spinraza® für diese Patientengruppe einen „erheblichen Zusatz- nutzen“ festgestellt.

Im Mai 2019 hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA nun mit Zolgensma® ein gen- therapeutisches Medikament zur einmaligen Behandlung der SMA zugelassen. Zolgensma® soll das Potenzial haben, die genetische Ursache der SMA zu heilen, so dass zumindest über meh- rere Jahre keine weiteren Behandlungen erforderlich sein sollen. Allerdings ist die Therapie mit Zolgensma® keineswegs ohne Risiken. Nach Presseberichten erwartet der Hersteller ein positi- ves Votum für die europäische Zulassung des Präparats im ersten Quartal 2020.

Die Kosten für die einmalige Therapie betragen nach Ankündigung des Herstellers auch für eine Therapie in Deutschland knapp 2 Millionen Euro pro Patient. Die Wirksamkeit von Zolgensma® ist wahrscheinlich mit der Wirksamkeit von Spinraza® vergleichbar oder könnte diesem überle- gen sein. Direkte vergleichende Studien liegen jedoch nicht vor. Angesichts der erheblichen Ren- diten, die mit Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) insgesamt und bereits absehbar ins- besondere auch mit Zolgensma® erzielt werden, kann es nicht ohne Widerspruch hingenommen werden, wenn bereits ohne eine Zulassung anstelle eines Härtefallprogramms (Compassionate Use) über eine beispiellose Medienkampagne ein erheblicher Druck auf Krankenkassen und Ärzte entfaltet wird, das nicht zugelassene Medikament zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorab einzusetzen. Das gesamte Vorgehen ist kritisch zu bewerten:

• Für die SMA steht mit Spinraza® eine zugelassene, wirkungsvolle Therapiemöglichkeit zur Verfügung. Für einen Einsatz von Zolgensma® liegen insbesondere bzgl. der Be- handlungsalternative Spinraza® noch keine abschließenden Erkenntnisse für die Indikati- onsstellung unter Abwägung von Chancen und Risiken vor, auch liegen keine Vorgaben für eine zentrumsspezifische, qualitätsgesicherte Anwendung für diese komplexe Genthe- rapie vor. Außerdem fließen die Behandlungsverläufe nicht in ein verpflichtendes Regis- ter, das zur Evidenzgewinnung von erheblicher Bedeutung wäre.

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• Eine Zulassung für die Gentherapie Zolgensma® ist in Europa erst beantragt; die Nutzen- Risiko-Bewertung läuft demnach noch. Eine Anwendung in Deutschland setzt daher ei- nen Einzelimport nach § 73 Abs. 3 SGB V voraus und ist – neben den Unsicherheiten zu Wirksamkeit und Sicherheit – mit erheblichen haftungsrechtlichen Risiken für den behan- delnden Arzt verbunden. • Die aktuelle Entwicklung mit Zolgensma® dürfte zudem eine Blaupause sein, bei deren Erfolg vermutlich auch weitere neue Arzneimittel eine entsprechende relevante Marktpenetration noch vor Zulassung anstreben und damit nicht nur die Zulassung, son- dern auch die Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschuss wie auch zum geregelten Erstattungsbetrag aushebeln. • Unabhängig von Zolgensma® verletzt das hier gewählte Vorgehen die hohen Qualitäts- standards für die ordnungsgemäße Abgabe von Arzneimitteln und verlagert zudem typi- sche der Zulassung zuzurechnende Kosten auf die GKV. Sofern diesen Tendenzen kein deutlicher Einhalt geboten wird, werden die Beitragszahler hinsichtlich der Versorgungs- qualität und ökonomisch benachteiligt.

Vor diesem Hintergrund ist ein verbindliches Verfahren für den Einsatz von Zolgensma® erforder- lich, wie es bereits seitens der Gesellschaft für Neuropädiatrie e.V. GNP (Vorsitzende Prof. Dr. Ul- rike Schara, Neuropädiatrie, Essen) adressiert wurde. Darüber hinaus sind auch in Zukunft entspre- chende Regelungen für noch im Zulassungsverfahren befindliche Arzneimittel erforderlich, die sich an folgenden Grundsätzen orientieren:

• Die Indikationsstellung muss sehr kritisch im konkreten Einzelfall gestellt werden. Dabei sind die Vorteile der einmaligen Gabe den Risiken eines kaum erforschten nicht zugelas- senen Arzneimittels gegeneinander abzuwägen. Zudem ist das Vorhandensein der The- rapiealternative Spinraza® zu berücksichtigen. Die Indikationsstellung erfolgt durch Ex- perten im Benehmen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. • Die Abgabe von Zolgensma® und die weitere Therapie erfolgt ausschließlich in hochspe- zialisierten Zentren, die Behandlungsverläufe sind zu dokumentieren. Dazu sind die Rah- menbedingungen für eine qualitätsgesicherte Anwendung dieser komplexen Gentherapie zeitnah durch den Gemeinsamen Bundessausschuss unter Berücksichtigung der zustän- digen Fachgesellschaften festzulegen. • Nicht zugelassene Arzneimittel können nur in den Fällen zu Lasten der GKV verordnet werden, bei denen unmittelbare Lebensgefahr ohne erfolgversprechende Alternativthera- pie besteht (vgl. § 2 Abs. 1a SGB V). • Die Kostentragung für eine Anwendung nicht-zugelassener Arzneimittel liegt im Verant- wortungsbereich des Herstellers. Soll Zolgensma® noch vor einer europäischen Zulas- sung verabreicht werden, kann dies nur im Rahmen eines Härtefallprogramms erfolgen, bei dem unter Studienbedingungen eine qualitätsgesicherte Anwendung für diese kom- plexe Gentherapie gesichert wird. Der Hersteller von Zolgensma® wird verpflichtet, ein entsprechendes Härtefallprogramm aufzulegen.

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Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn, es ist aus Sicht der Unterzeichner zu erwarten, dass die hier vorliegende Konstellation in der nä- heren Zukunft erneut auftreten wird. Daher wird angeregt, diese Grundsätze, insbesondere die Verpflichtung der Hersteller, ein Härtefallprogramm aufzulegen, gesetzlich zu regeln. Damit würde perspektivisch für alle Beteiligten Klarheit über das Vorgehen bestehen. Die Sicherstellung und Finanzierung qualitativ hochwertiger Arzneimitteltherapie muss auf dem Stand des medizini- schen Wissens und der gesetzlichen Vorgaben erfolgen und darf nicht in die Abhängigkeit von Pressekampagnen abgleiten. Daher bitten wir Sie dringend, kurzfristig Ihre Erwartung an den Ein- satz von Zolgensma® im Sinne der oben genannten Grundsätze zu äußern und entsprechend auf das anbietende Pharmaunternehmen einzuwirken.

Mit freundlichen Grüßen

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