.SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis

Blasi, Walter (2015): Der bedrohte Staat. Über rivalisierende Wehrverbände, ein ausgehöhltes Gewalt- monopol und die latente Bürgerkriegsgefahr in der Ersten Republik SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 86-97.

doi: 10.7396/2015_2_H

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Blasi, Walter (2015). Der bedrohte Staat. Über rivalisierende Wehrverbände, ein ausgehöhltes Gewaltmonopol und die latente Bürgerkriegsgefahr in der Ersten Republik, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 86-97, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2015_2_H.

© Bundesministerium für Inneres – Sicherheitsakademie / Verlag NWV, 2015

Hinweis: Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (http://nwv.at) erschienen.

Online publiziert: 9/2015 .SIAK -JOURNAL 2/2015

Der bedrohte Staat Über rivalisierende Wehrverbände, ein ausgehöhltes Gewaltmonopol und die latente Bürgerkriegsgefahr in der Ersten Republik

Am Ende des Ersten Weltkrieges ging aus der Konkursmasse der Donaumonarchie eine Reihe von Staaten hervor, die unter anderem auch die am 12. November 1918 gegründete Republik (Deutsch-)Österreich umfasste. Das neue Staatswesen war gleich von Beginn an mit einer Reihe von Hypotheken belastet. Die ökonomischen und gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen waren nicht grundsätzlich geändert worden, was nicht nur die in­ nere Entwicklung der jungen Republik – durch das Anschlussverbot allein und isoliert – entscheidend bestimmen, sondern auch zu verhängnisvollen Bindungen an Ungarn und Italien führen sollte. Die Arbeiterbewegung, die zwar den politischen Umsturz begrüßte, aber ernste Zweifel an der Lebensfähigkeit Österreichs hegte und den Anschluss an das Walter Blasi, republikanische Deutschland forderte, konzentrierte sich auf die vordringlichsten sozialen wissenschaftlicher Mitarbeiter und wirtschaftlichen Bedürfnisse ihrer Klasse. Bürgertum und Bauern als Vertreter des am Institut für Wissenschaft und Forschung der Sicherheitsakademie konservativen Lagers identifizierten sich weitgehend mit dem Kaiserstaat und pflegten des Bundesministeriums für Inneres. zur Republik ein rein „verstandesmäßiges“ Verhältnis. Das nationale Element wurde durch das dritte Lager, die Deutschnationalen, vertreten, die infolge der Ausrichtung auf das Deutsche Reich einem österreichischen Staatsgedanken entgegenwirkten und nach dem Anschlussverbot durch die Entente ohne überzeugende politische Linie blieben (Stadler 1983, 55 f). Als belastendes Element der Innenpolitik sollten sich jedoch die Wehrverbände erweisen, die das Gewaltmonopol des Staates in Form der Exekutive und des Bundesheeres fast bis zum Ende der Ersten Republik – konkret bis 1936 – herausfordern und durch die hohe Gewaltbereitschaft die Kluft zwischen den Lagern noch weiter vertiefen sollten. Sowohl vom Ausland als auch in Österreich selbst gab es wiederholt halbherzige Aufrufe und Ankündigungen einer Abrüstung bzw. Auflösung der paramilitärischen Formationen. Aber sowohl die Schwäche der Regierung, diese zu entwaffnen, als auch das politische Kalkül, sich ihrer zu bedienen (sie als „ultima ratio“ zurückzubehalten), ließen alle Versuche im Sande verlaufen und man trieb sehenden Auges in die Katastrophe.

1. Zum Verständnis der 20. Jahrhunderts besonders heraushebt. Der ersten repuBlik Rhythmus der Gewalt folgte den einzelnen Der Historiker Ernst Hanisch stellte fest, Phasen der Geschichte der Republik und das dass es der Verlust des staatlichen Gewalt- Grundgeflecht ließ sich jeweils in einer be­ monopols war, was die Erste Republik stimmten Konfliktkonfiguration erkennen. aus der österreichischen Geschichte des Während der österreichischen Revolution

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(1918–1920) hatte sich das Gewaltdreieck von 1913 festgelegt, um die Errichtung Linksradikale–sozialdemokratische Ar­ starker paramilitärischer Kräfte zu verhin­ beiterschaft–Bürgertum herausgebildet. dern. Die Stärke der Gendarmerie wurde In der Stabilisierungsphase (1920–1926) auf 6.449 Beamte reduziert und dem öster­ standen sich sozialdemokratische Arbei­ reichischen Staat wurde auch lediglich ein terschaft und Bürgertum gegenüber. Der Berufsheer von 30.000 Mann mit 1.500 Zeitraum 1928–1932 war von der Geg­ Offizieren, 450 Maschinengewehren, 60 nerschaft zwischen und Re­ Granatwerfern und 90 Geschützen zuge­ publikanischem Schutzband geprägt, bis standen. Ein Generalstab, Luftstreitkräf­ dann die Heimwehr von den militanten te und Waffeneinfuhren waren verboten Nationalsozialisten abgelöst wurde und (Broucek 1996, 209; ebd., 212 f). Johann das „ständestaatliche Machtpotential, in Schober, Wiener Polizeipräsident und der letzten Phase, gegen den Nationalso­ im November 1918 auch zum Leiter des zialismus antrat“ (Hanisch 1994, 287). Die öffentlichen Sicherheitswesens in ganz Politik der Ersten Republik war von einem Deutschösterreich bestellt, meinte später „Lagerdenken“ geprägt. Die politischen einmal: „Keine Behörde dient im gleichen Bindungen waren nicht an die Verfassung, Maße dem öffentlichen Wohle und der die Republik oder an Österreich geknüpft – ganzen Bevölkerung wie eine gut funktio­ die politischen Bindungen galten in ers­ nierende Polizei“1. Angesichts der Stärke ter Linie dem sozialdemokratischen, dem der Wehrverbände blieben Exekutive und christlich-sozialen oder dem deutschnatio­ Bundesheer in der Minderzahl. nalen Lager. Vor allem von Seiten der po­ litischen Führer des christlich-sozialen und 3. die WehrVerBände sozialdemokratischen Lagers wurde nichts Neben der unorganisierten, eruptiven Ge­ unternommen, die durch die Lagermenta­ walt hatte sich die organisierte Gewalt lität entstandenen tiefen Gräben zu über­ der paramilitärischen Verbände etabliert. brücken – im Gegenteil, sie reagierten mit Die größten waren die Heimwehr und einer Verschärfung des Konfliktverhaltens der Republikanische Schutzbund, von de­ (Pelinka 1993, 872–876). nen jeder weit stärker als das staatliche Machtmonopol Bundesheer (erreichte nie 2. GeWaltmonopol des die erlaubten 30.000 Mann) war (Hanisch staates 1994, 291). Das Gewaltmonopol des Staates bezeich­ net die ausschließlich staatlichen Organen 3.1 Heimwehr (wie Justiz- und Exekutivorganen) vorbe­ Die Heimwehren (Heimatwehren) wa­ haltene Legitimation, physische Gewalt ren aus den bürgerlichen und bäuerlichen auszuüben. Zur „Gewaltausübung“ wa­ Selbstschutzorganisationen der ersten ren – nicht nur in der Ersten Republik – Nachkriegszeit sowie aus den Abwehrver­ Polizei, Gendarmerie und das Bundesheer bänden gegen die Angriffe der Jugoslawen berechtigt. Allerdings bescherte der Staats­ im Süden entstanden. Es begann mit klei­ vertrag von St. Germain der jungen Repu­ nen, unübersichtlichen, bewaffneten Grup­ blik Einschränkungen im Gewaltmonopol. pen, die sich allmählich zu größeren Ver­ Die dem Innenministerium unterstehende bänden zusammenschlossen (Wiltschegg Exekutive in Form von Polizei und Gen­ 1985, 37). 1919/20 unterstützten Freikorps darmerie – letztere gehörte seit 1918 nicht aus Bayern den Aufbau der Heimwehr in mehr zur Armee – wurde auf den Stand Westösterreich durch Waffen und Kon­

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takte. Während der Stabilisierungsphase werden, die vor der ungeheuren Gefahr (1920–1926) vegetierte sie eher vor sich der Heimwehr warnten, dass nämlich die hin. Der Aufschwung sollte erst mit dem Selbstschutzverbände zum Selbstzweck 15. Juli 1927 (d.h. mit dem Justizpalast­ werden könnten. Tatsächlich begannen die brand) kommen (Hanisch 1994, 289). Bis Heimwehrführer eine Arroganz und einen dahin aber litt sie unter einem ständigen Machtanspruch (Kampf dem parlamen­ Führerstreit, einer organisatorischen Zer­ tarisch-demokratischen System) an den splitterung, einer weltanschaulichen Zer­ Tag zu legen, die zu ersten Konflikten im rissenheit (für den Zusammenhalt sorgte konservativen Lager führten. Ein Politiker, nur ihr kämpferischer Antimarxismus, der die Heimwehrbewegung am offensten der später eine antiparlamentarische, anti­ und nachdrücklichsten unterstützen sollte, demokratisch-faschistische Stoßrichtung war der Priester und Bundeskanzler Ignaz bekam) und laufenden Finanznöten. Eine Seipel. Über die Gründung einer Gewerk­ Bundesführung bestand bis zum Herbst schaft (die „Unabhängige Gewerkschaft“) 1927 nur in Ansätzen. Zwischen 1924 und konnte man auch in der Arbeiterschaft Fuß 1926 kam noch hinzu, dass sich die wirt­ fassen. schaftliche Lage besserte und die „rote Mit dem Abgang Seipels im Jahre 1929 Gefahr“ nicht mehr akut schien, was ei­ kam es zur Belastungsprobe zwischen dem nen Mitgliederschwund der Heimwehr neuen Bundeskanzler Ernst von Streeruwitz nach sich zog. Für eine Aufpäppelung der und der Heimwehr. Die Gegnerschaft von schwächelnden Heimwehrbewegung sollte Streeruwitz zu deren ruppigen Führern dann ausgerechnet die Sozialdemokratie sorgte für ein baldiges Ende seiner Kanz­ mit dem „Linzer Programm“ vom Novem­ lerschaft. Immerhin trug Streeruwitz zu ber 1926 sorgen. Parolen, wie z.B. von der einer unaufhaltsam wachsenden Oppo­ „Diktatur des Proletariats“, die im Partei­ sition gegenüber der Heimwehr bei. programm gar nicht als Forderung auf­ Der christlich-soziale Politiker Leopold schienen, verstörten die bürgerliche Welt. Kunschak z.B. griff die Heimwehr aus Auf der im Juli 1927 stattfindenden Füh­ Sorge um die Demokratie heftig an und rertagung wurde die Heimwehr als „Schutz malte u.a. das Schreckgespenst eines Bür­ der wahren Demokratie vor der roten Dik­ gerkrieges an die Wand. tatur“ proklamiert, um eine „Entwicklung Das Verhältnis der Heimwehr zur So­ aufzuhalten, die notwendigerweise zum zialdemokratie verschärfte sich weiter Bürgerkrieg führen muss“. und diese blieb medial dem ideologischen Offenbar war es gelungen, breitere Gegner („Geschmeiß“) nichts schuldig. Kreise der Bevölkerung von der Existenz­ Mit Johannes Schober trat ein Bundes­ berechtigung dieser Bewegung zu über­ kanzler sein Amt an, für den die Begeiste­ zeugen, denn in der Folgezeit strömten ihr rung in der Heimwehr sehr groß war. Bei Menschen und Geldmittel zu. Im Oktober seinem Regierungsantritt glaubte sie fest, 1927 wurde der Bund der österreichischen mit ihm einen Umsturz planen zu können. Selbstschutzverbände mit dem Zusam­ Schober wollte die Heimwehr sichtlich menschluss aller Heimwehrgruppen ge­ nur totrennen lassen und sie höchstens als schaffen. Damit begann auch die Zeit der Druckmittel gegen die Sozialdemokraten großen Aufmärsche; die Straße gehörte einsetzen. Für die Verfassungsreform nicht mehr nur dem Republikanischen verhandelte Schober wochenlang mit den Schutzbund. In den bürgerlichen Parteien Sozialdemokraten, was in den Augen der begannen jedoch bereits Stimmen laut zu Heimwehr als Verrat ausgelegt wurde. Als

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diese am 9. Dezember 1929 mit den Stim­ chischer Heimatschutz“ und im April 1936 men aller Parteien beschlossen wurde, war wurde die allgemeine Bundesdienstpflicht dies ein Triumph für die Sozialdemokra­ (eine Mischung aus Militär- und Arbeits­ tie. Die Heimwehr jedoch wurde in ihren dienst) eingeführt, gegen die die Heim­ Grundfesten erschüttert. Der Griff nach wehr heftig opponiert hatte. Schuschnigg der Macht war missglückt, was sie noch begann nun offen gegen die Heimwehr radikaler gegen alle Parteien kämpfen ließ aufzutreten.3 Im Mai 1936 wurde die (Wiltschegg 1985, 37–43; ebd., 48–53; Frontmiliz geschaffen, was das Ende der Hanisch 1994, 290). freiwilligen Wehrverbände bedeutete. Im 1930 kandidierte die Heimwehr als Hei­ Oktober desselben Jahres erfolgte schließ­ matblock gegen ihre Nährväter und orien­ lich die Auflösung aller militanten Organi­ tierte sich zunehmend am faschistischen sationen. Die Heimwehr war nun endgültig Beispiel Italiens. Von Italien und Ungarn zerschlagen (Jagschitz 1983, 506 f). Aller­ kamen Geld, Waffen und Ratschläge, end­ dings gingen damals nicht wenige Heim­ lich den Putsch gegen die Sozialdemo­ wehrangehörige auf Distanz zum Regime kraten („Marsch auf Wien“) zu wagen. Als und schlossen sich den Nationalsozialisten im Jahre 1931 der steiermärkische Heim­ an (Jagschitz 1983, 507). wehrführer Walter Pfrimer tatsächlich den Die Stärke der Heimwehr betrug zur Blü­ Putsch2 wagte, war dieser bloß ein dilet­ tezeit 1928–1930 zwischen 300.000 und tantisches Unternehmen, das rasch in sich 400.000 Mann, von denen 200.000 Mit­ zusammenbrach. glieder waren und 120.000 militärischen Die Politik der Heimwehr schwankte Formationen angehörten (Wiltschegg zwischen Regierungsbeteiligung und 1985, 292). Die Heimwehr war, anders als Putschdrohungen sowie zwischen offenen der Republikanische Schutzbund in seiner faschistischen Bekenntnissen und Anleh­ Eigenschaft als „bewaffneter Arm“ der nung an das Regierungslager (Hanisch Sozialdemokratie, eine eigenständige, au­ 1994, 290). 1932 z.B. rettete die Heimwehr ßerhalb der politischen Lager stehende Be­ mit nur einem Mandat Vorsprung das Ka­ wegung (Wiltschegg 1985, 270; Hanisch binett Dollfuß. Im Februar 1933 forderte 1994, 291). die Österreichische Heimatschutzzeitung „Fort mit dem Parlament“, was ein paar 3.2. Republikanischer Schutzbund Tage später auch prompt geschah, jedoch Der Republikanische Schutzbund wurde nicht durch das Zutun der Heimwehr, son­ 1923 ins Leben gerufen.4 Bereits in den dern auf Grund der so genannten „Selbst­ Umsturztagen des Jahres 1918 waren in ausschaltung des Parlaments“. Durch die verschiedenen Industriestädten bewaff ­ Beteiligung an den Februarkämpfen von nete Arbeiterwehren entstanden, die den 1934 gegen die Sozialdemokratie erhoffte Schutz der Fabriken vor Demontage, Plün­ sich die Heimwehr größeren Einfluss, stieß derungen und Zerstörungen übernahmen. jedoch auf heftige Widerstände (Wiltschegg Im Sommer 1919 wurden sie in Arbeiter­ 1985, 71; ebd., 83). Bundeskanzler Kurt bataillone zusammengefasst und Arbeiter­ Schuschnigg gelang nach dem Verbot räten unterstellt. Belief sich ihre Stärke En­ und der Auflösung des Republikanischen de des Jahres 1919 gerade einmal auf 2.000 Schutzbundes die Entmilitarisierung der Mann, so wurde der Gesamtstand Mitte verbliebenen Wehrverbände. Zunächst er­ 1921 mit 47.200 Mann angegeben. Es kam folgte im Oktober 1935 deren Zusammen­ auch zu ersten bewaffneten Zusammenstö­ fassung als „Freiwillige Miliz – Österrei­ ßen mit der Polizei und den bürgerlichen

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Wehrverbänden, die Tote und Verletzte Die Gliederung folgte dem militärischen forderten (Weissensteiner 1990, 98). 1920 Muster entsprechend in Kompanien, Ba­ trat Otto Bauer noch mit der Begründung taillone und Regimenter. An der Spitze der gegen eine Bewaffnung der Arbeiterschaft Organisation stand die Zentralleitung mit ein, „dass die kapitalistische Entente wohl Sitz in Wien, darunter die Landesleitungen die Bewaffnung der Bürgerlichen über­ in den neun Bundesländern. Die politische sehe, gegen die des Proletariats aber sofort Leitung lag in den Händen des Parteivor­ einschreiten würde“ (Kykal/Stadler 1976, standes. Zum Obmann des Schutzbundes 23). Tatsächlich sicherte der Schutzbund wurde Julius Deutsch gewählt. Mit der Zu­ die sozialdemokratische Dominanz auf der nahme der militärischen Agenden wurde Straße ab (Hanisch 1994, 291). der Mitarbeiterstab vergrößert und der Mit der Zunahme der militärischen ehemalige Major Alexander Eifler trat an Stärke der antimarxistischen Kräfte und die Spitze der militärischen Zentrallei­ dem Einflussverlust im Bundesheer seit tung. Eifler befürwortete eine straffe mi­ dem Ausscheiden aus der Regierung ent­ litärische Organisation des Schutzbundes; schloss sich jedoch die Sozialdemokra­ die Vertreter einer gemäßigten Linie be­ tie, die Ordnerorganisationen aufzulösen fürchteten gerade dadurch ein Wettrüsten und auf der Basis des Bekenntnisses und eine unnötige Verschärfung der politi­ zur proletarischen Wehrhaftigkeit einen schen Gegensätze. Wehrverband aufzustellen. Dieser Schritt Nach den Ereignissen vom Juli 1927 stellte die Partei, in der es eine starke pa­ wurde der Republikanische Schutzbund zifistische Tradition gab, jedoch vor große von Deutsch und Eifler reorganisiert. Man ideologische Probleme – hier eine demo­ bereitete sich auf eine offene Auseinander­ kratisch organisierte Partei und auf der setzung mit der Staatsgewalt einschließlich anderen Seite eine bewaffnete Organisa­ Heimwehr vor, was auf den Widerstand tion mit einer hierarchisch-militärischen des Generalmajors a.D. des Österreichi­ Struktur. Aufgabe des Schutzbundes schen Bundesheeres und ehemaligen k.u.k. sollte die Verteidigung der sozialen und Offiziers Theodor Körner stieß. Er lehnte demokratischen Errungenschaften von die Konfrontation mit einem überlegenen 1918/19 sein (Weissensteiner 1990, 98 f). Gegner ab und trat für eine Guerillataktik In den Statuten des Schutzbundes wurde („die passive Verteidigung ist zunächst die­ auch sein Zweck zum Schutz und zur Si­ jenige Kampfform, die anzuwenden ist“) cherung der Republik verankert (Kykal/ ein (Weissensteiner 1990, 98 ff). Die Zen­ Stadler 1976, 24). Die Mitglieder ge­ tralleitung entschied sich jedoch für Eiflers lobten, dass sie stets der Partei, der Repu­ Pläne und Körner, der unter den Schutz­ blik und der Verfassung Treue bewahren bündlern großes Ansehen genoss, zog sich wollten, sowie dass sie für den Schutz in weiterer Folge von der militärischen der verfassungsmäßigen Einrichtungen Leitung zurück (Kykal/Stadler 1976, 47). zuständig sein sollten. Gemäß Aussage Ab 1930 machte sich eine zwiespältige eines Schutzbundangehörigen aus dem Haltung der Sozialdemokraten immer be­ Jahre 1934 ging man stets von der An­ merkbarer. Einerseits ein kämpferischer, nahme aus, dass man mit der Heimwehr fast kriegerischer Ton, der die stete Kampf­ in Konflikt geraten würde und es Aufgabe und Einsatzbereitschaft des Schutzbundes wäre, das Eingreifen des Bundesheeres in hervorhob, und andererseits stets Mäßi­ den Kampf zu verhindern (Kykal/Stadler gung und Sorge um die politische Lage des 1976, 42). Landes (Kykal/Stadler 1976, 43).

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Als 1933 das Parlament ausgeschal­ im Artikel 1186 vorgesehenen Frist auf­ tet wurde, zögerte die Sozialdemokratie, gelöst“7) und Artikel 128 (Verbot u.a. zur Tat zu schreiten, hatte sie doch stets von sportlichen oder sonstigen Verei­ erklärt, dass sie unter allen Umständen nen, sich mit irgendeiner militärischen dazu entschlossen wäre, sich gegen die Frage zu beschäftigen). Zerstörung der Demokratie mit allen Mit­ 2. In der Österreichischen Bundesverfas­ teln zur Wehr zu setzen – dazu sollte auch sung von 1920 ist in Artikel 79 nur das der Schutzbund dienen. Das Zurückwei­ Bundesheer angeführt. chen der Parteiführung5 enttäuschte und 3. Dem aus der Monarchie übernommenen verbitterte nicht nur die Massen, son­ Waffengesetz aus dem Jahre 1852 zufolge dern besiegelte bereits die unabwendbare war „zum Waffentragen in der Regel eine Niederlage (Kykal/Stadler 1976, 53; ebd., besondere Bewilligung“ erforderlich. 56 f). Im Februar 1934 sollte der Schutz­ 4. Das Wehrgesetz von 1920 untersagte in bund im Kampf mit der Staatsgewalt auch § 34 das unbefugte Aufstellen einer be­ eine vollständige Niederlage erleiden waffneten Macht. (Weissensteiner 1990, 100). Die Existenz der Wehrverbände basierte lediglich auf dem Vereinsrecht (Brändle/ 4. die rechtslaGe BeZüG- Rein 2011, 40 f)8 und auf Grund der vor­ lich der WehrVerBände hin erwähnten Gesetze ergibt sich eindeu­ Wie bereits erwähnt, war die Militarisie­ tig auch ein Verbot der militärischen Betä­ rung der politischen Lager eine schwere tigung. Erst 1933 wurde die Heimwehr Belastung für das demokratische politische von der Regierung institutionalisiert, und System. Auf welcher gesetzlichen Basis zwar durch zwei Verordnungen: die 1. aber war die Existenz der Wehrverbände und 2. Assistenzkörperverordnung vom möglich? Dazu wollen wir einen Blick auf 26. Mai 1933 sowie die Schutzkorpsver­ vier Gesetzeswerke werfen: ordnung vom 7. Juli 1933; geändert durch 1. Im Staatsvertrag von St. Germain aus die Verordnung vom 1. September 1933, dem Jahre 1919 (Handlungsanleitung erlassen auf Grundlage des Gesetzes vom für die Interalliierte Kontrollkom­ 24. Juli 1917 („Kriegswirtschaftliches mission) wurden die militärischen Ermächtigungsgesetz“). Der Schutzbund Angelegenheiten genau geregelt. Was hingegen wurde verboten.9 die bewaffnete Macht (d.h. das künftige Überwacht wurden die militärischen Be­ Bundesheer) betraf, sind der Republik stimmungen des Staatsvertrages von einer Österreich sehr weitgehende Beschrän­ Interalliierten Kontrollkommission. Nach kungen der Souveränität auferlegt dem Bekanntwerden der militärischen worden, deren Einhaltung bis zehn Klauseln wurden ungeheure Mengen an Jahre nach dem Eintritt des Waffenstill­ Waffen durch Zuteilung an bewaffnete standes überwacht werden sollten. Zwei Wehrverbände (Arbeiter- ebenso wie Bür­ Artikel des Staatsvertrages verboten gerwehren) der Abgabe an die Interalli­ zudem paramilitärische Formationen: ierten Überwachungsausschüsse entzogen Artikel 124 („Jede Truppenformation, (Broucek 1996, 212). die nicht in den diesem Abschnitt bei­ gefügten Übersichten vorgesehen ist, ist 5. entWaffnunGs- und verboten. Jene, die über die gestattete aB rüstunGsVersuche Präsenzstärke von 30.000 Mann hinaus 1920 meldeten Angehörige der Militä­ vorhanden wären, werden innerhalb der rischen Kontrollkommission das Auftreten

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von Heimat- und Arbeiterwehren, deren solche Suchaktionen von Mitte 1921 bis Waffen gemäß dem Staatsvertrag der Kon­ Ende 192410 nachweisen. Die meist ver­ trollkommission übergeben hätten werden traulich erstatteten Anzeigen über Waf­ müssen. Der Jahresbericht der britischen fenlager bei der Interalliierten Militärkom­ Gesandtschaft für 1920 behauptete sogar, mission erfolgten – und das kann man als dass „die Arbeiterwehr die am besten or­ gesichert annehmen – jeweils durch den ganisierte“ und „[…] taktisch in einer viel politischen Gegner. Die österreichischen besseren Position als ihre Rivalen“ und Behörden11 scheinen eher lax an die Sache sie nicht „für umstürzlerische Zwecke or­ herangegangen zu sein – vermutlich damit ganisiert“ sei. Julius Deutsch war sich der die Depots noch geräumt und die Waffen12 Gefahr eines Bürgerkrieges durchaus be­ an einen anderen Ort verbracht werden wusst und forderte 1920 gegenüber einem konnten. Was die Erfolgsquote betrifft, britischen Offizier, die Entente solle die so wurden 1921 rund 1.500 Gewehre be­ Österreicher veranlassen, „Schluss zu ma­ schlagnahmt, Ende 1924 waren es bloß um chen mit Bürgerwehr, Heimwehr und Ar­ rund 250 Stück mehr (BPD Wien 1921). beiterwehr, und drohen, alle weiteren Kre­ Das zurückhaltende Vorgehen der alli­ dite zu sperren, wenn das nicht geschähe“. ierten Kontrolloffiziere half allerdings das Auch der britische Diplomat Francis innenpolitische Klima in Österreich wei­ Oswald Lindley in Wien sah in der Ab­ ter zu verschlechtern. Zu einer direkten hängigkeit vom Ausland die Vermeidung militärischen Konfrontation oder einem eines Bürgerkrieges. Die britischen Offi­ Lebensmittellieferstopp, wenn keine Ent­ ziere und auch das „War Office“ drängten waffnung erfolge, konnte und wollte man wiederholt auf Entwaffnung – jedoch ohne sich nicht durchringen. Anfang 1922 hatte Erfolg. Oberst Sir Thomas Cuninghame sich das War Office damit begnügt, dass wollte vor allem die Arbeiter entwaffnen, die erlaubten Stände von Heer, Gendarme­ nicht aus Furcht vor bolschewistischen rie und Polizei nicht überschritten werden Umtrieben, sondern weil das plötzliche bzw. die Vernichtung von Kriegsmate­ Anwachsen der Arbeitslosenzahlen so­ rial bis April 1922 durchgeführt werde. wie der Zusammenbruch des Eisenbahn­ Bei der Abgabe von Waffen seitens der transportwesens, u.a. wegen Streiks, Stra­ Zivilbevölkerung und der Auflösung un­ ßenkämpfe auslösen könnten. Johannes erlaubter Organisationen wäre durch die Schober meinte 1920 gegenüber dem bri­ Schwäche der österreichischen Regierung tischen Gesandten, die Regierung brauche kein Fortschritt zu erzielen gewesen, was zuerst eine zuverlässige bewaffnete Macht offenbar von den britischen Militärbehör­ und erst dann könne man an die Entwaff­ den akzeptiert wurde (Carsten 1988, 70). nung der Arbeiter und Bauern schreiten. Mit dem Zerbrechen der Regierungs­ Diese Meinung Schobers teilte auch das koalition aus Sozialdemokraten und War Office (Carsten 1988, 65–69). Christlich-Sozialen über eine Dienstvor­ Tatsächlich dürfte eine Entwaffnungs­ schrift des Bundesheeres13 im Jahre 1920 aktion nur in Wien (Johannes Schober war wurde das Heer in der Folge von sozialde­ Polizeipräsident bzw. Bundeskanzler) mit­ mokratischen Einflüssen gesäubert. Diese tels Verordnung durchgeführt worden sein. Aktion hieß zwar „Entpolitisierung“, war Angehörige der Interalliierten Militärkom­ aber in Wahrheit eine „Umpolitisierung“. mission ersuchten um polizeiliche Unter­ Die Sozialdemokratie, die bis zum Ende stützung, um nach geheimen Waffenlagern der Ersten Republik keine Regierungs­ Ausschau zu halten. Für Wien lassen sich verantwortung mehr übernehmen sollte,

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hatte damit ein staatliches Gewaltmonopol­ 1988, 93). Auf der Botschafterkonferenz instrument verloren – vermutlich ein ge­ wurde von österreichischer Seite jeden­ wichtiger Grund, sich verstärkt dem Aus­ falls versprochen, das geforderte Verbot bau des Schutzbundes zu widmen. umzusetzen; als Frist wurde Ende 1926 1926 gerieten die Entwaffnung Öster­ vorgesehen (Ministerrat 1926b). reichs und die Aktivitäten der paramilitä­ Ein entsprechendes Gesetz wurde im rischen Verbände in den Blickpunkt der Dezember 1926 erlassen und drei Monate Entente-Mächte und auf der Botschafter­ später durch eine Verordnung ergänzt. Die konferenz in Paris wurden Maßnahmen, Entente sollte mittels Liquidationsorgan d.h. die Einstellung all ihrer militärischen die Durchführung überwachen und zwar Aktivitäten, gefordert (Carsten 1988, 93). nicht die Wehrverbände selbst, sondern Diese Frage wurde dann auf der Minister­ deren militärische Seite unterdrücken (was ratssitzung vom 28. Juli 1926 diskutiert immer auch das bedeuten mochte). Für und man entschied sich, den von der Bot­ die österreichische Regierung ergab sich schafterkonferenz formulierten Text („[…] damit die willkommene Gelegenheit, die den sportlichen Vereinen und anderen das illegalen Waffenlager des Schutzbundes Verbot aufzuerlegen, sich mit irgendeiner zu beschlagnahmen; u.a. jenes im Arse­ militärischen Frage zu befassen […]“) an­ nal im Jahre 1927. Gegen die Heimwehr zunehmen. Bundeskanzler Rudolf Ramek fand eine solche Aktion nicht statt. Als meinte, mit der Zustimmung wäre die Fra­ das Liquidationsorgan auch Maßnahmen ge vom Tisch und „das andere machen wir gegen die Heimwehr forderte, wurde dies selbst“. Der Heeresminister, Carl Vaugoin, von der Regierung verschwiegen, was den der sich offen zur Heimwehr bekannte, Eindruck erweckte, die Alliierten wären vertrat die Ansicht, die Forderung der En­ hauptsächlich von einer Feindschaft gegen tente wäre überflüssig, denn gemäß § 34 den Sozialismus motiviert. Der britische des Wehrgesetzes sei die Aufstellung einer Gesandte hielt eine Auflösung der Wehr­ Formation zu militärischen Zwecken an verbände für „praktisch unmöglich“, außer sich bereits verboten. Er hielt ein eigenes mit der Androhung ernsthafter Sanktionen, Gesetz, dass sich Vereine nicht mit mili­ was jedoch nicht im Interesse der bri­ tärischen Angelegenheiten beschäftigen tischen Regierung lag (Carsten 1988, 94). dürfen, für notwendig (Ministerrat 1926a). Die innenpolitischen Folgen des 15. Juli Die österreichischen Vertreter in Paris 1927 (Justizpalastbrand) waren von waren übrigens der Meinung, dass nur der schwerwiegender Tragweite: Die Sozial­ Schutzbund Schwierigkeiten bei der Auf­ demokraten erlitten eine schwere Nieder­ lösung machen werde, nicht jedoch die lage, die Christlich-Sozialen konnten ihre Heimwehren. Die britische Gesandtschaft Machtposition im Staat ausbauen und die bezweifelte – wieder einmal –, dass die Heimwehr nahm einen bedeutenden Auf­ österreichische Regierung in der Lage sei, schwung. Bundeskanzler Ignaz Seipel die Wehrverbände zu kontrollieren. Au­ erkannte die Schwäche der Sozialdemo­ ßerdem gäbe es ihrer Ansicht nach wich­ kraten und arbeitete mit Hilfe der Heim­ tigere Fragen in der Innenpolitik. Ramek wehr auf deren Ausschaltung hin. Die meinte gegenüber dem britischen Ge­ Heimwehr geriet immer mehr unter ita­ sandten, er sehe keine Möglichkeit, wie er lienischen und ungarischen Einfluss und durch Gesetz Organisationen auflösen oder begann durch Massenaufmärsche in roten beschränken solle, die laut der Verfassung Hochburgen die Sozialdemokraten zu pro­ (eben Vereine) ganz legal seien (Carsten vozieren. Seipel informierte den britischen

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Gesandten Sir Eric Phipps, nachdem der und ihrer Befürworter gerichtet –, dass ein große Aufmarsch der Wehrverbände vom Gesetz gemacht werden müsse, das jeden 7. Oktober 1928 in Wiener Neustadt fried­ Besitz von Waffen mit drakonischen Stra­ lich verlaufen war, mit den Parteiführern fen bedrohe. Die Heimwehr, die sich zur über eine Entwaffnung der paramilitä­ Regierung bekennt, sollte eine privilegierte rischen Verbände zu diskutieren. Die Stellung erhalten, so dass sie jederzeit von Heimwehr war keinesfalls bereit, ihre Waf­ der Regierung mit Waffen ausgerüstet fen abzugeben und der Schutzbund nur, werden könne (Hasiba 1974, 287). Am wenn es die Gegenseite ebenfalls täte. Der 9. Dezember 1929 hatte Schober Besuch Brite sah nur im finanziellen Druck auf die vom französischen und vom britischen Kreise der Financiers eine Chance, eine Gesandten, Clauzel und Phipps, erhalten. Entwaffnung zu Stande zu bringen. 1928 Beide Herren informierten ihn, sie seien kamen Phipps Zweifel an Seipels Rolle in von ihren Regierungen beauftragt, vertrau­ der Entwaffnungsfrage der Heimwehr und lich auf die Entwaffnung der Selbstschutz- er vermutete, dass er voll auf deren Linie Formationen aufmerksam zu machen; man eingeschwenkt wäre (Carsten 1988, 108 f). habe nur die Verfassungsreform abge­ Im Spätherbst des Jahres 1929 kam es wartet. Der Zeitpunkt der Durchführung zu einem blutigen Zusammenstoß zwi­ bliebe Schober überlassen. Der Bundes­ schen den beiden Wehrverbänden in kanzler wusste, dass er einer Abrüstung15 St. Lorenzen im Mürztal, der ein Todes­ nun nicht mehr ausweichen würde können. opfer sowie eine Reihe von Verletzten Die britische Regierung wurde sogar noch forderte. Vizekanzler Schumy sah zur deutlicher: Wenn (überdies) eine Befrei­ Verhinderung derartiger Vorkommnisse ung Österreichs von Reparationskosten keine Möglichkeit, die Wehrverbände zu (und dem Generalpfandrecht auf der Zwei­ entwaffnen, da die Machtmittel dazu fehl­ ten Haager Konferenz im Jänner 1930) zu ten (Hasiba 1974, 90). Stande käme, so könne man als Gegenleis­ Die Abrüstungsfrage blieb jedoch 1929 tung eine Regelung der inneren Verhält­ aktuell, denn es war wieder eine Anlei­ nisse erwarten. In Ungarn glaubte man, he fällig und auf Grund des Zögerns von dass es Schobers Endziel wäre, Heimwehr Großbritannien und Frankreich für eine und Schutzbund zu entwaffnen (Hubert Garantie wurde von der österreichischen 1974, 185–187). Auch London teilte diese Regierung eine Entwaffnung der Wehrver­ Ansicht und in einem Memorandum vom bände angedacht (Wiltschegg 1985, 49). Oktober 1929 wurde festgehalten, dass Phipps sah in der Anleihe das beste Druck­ Schobers Hauptziel die gleichzeitige Ent­ mittel, um eine Entwaffnung der „öster­ waffnung der Wehrverbände sei (Carsten reichischen illegalen Vereinigungen“ zu 1988, 116). Die Briten hielten ihn für befä­ erzwingen (Britisch Foreign Policy 1975). higt, das Wunder zu vollbringen (Carsten Gleichzeitig war Bundeskanzler Schober 1988, 113) und noch Anfang 1930 war der die Verfassungsfrage angegangen, die britische Gesandte optimistisch, Schober als Kompromiss in der Zweiten Bundes- würde mit seinen Entwaffnungsplänen Verfassungsnovelle von 192914 mündete. durchkommen (Carsten 1988, 116). Die Heimwehr sollte dabei leer ausgehen Schober erklärte sich im Februar 1930 (Hasiba 1974, 93; ders., 283 f; ders., 286). gegenüber dem Völkerbund bereit, die Schober meinte in der Ministerratssitzung militärischen Klauseln des Vertrages von am 20. Dezember 1929 – offenbar in einer St. Germain genau erfüllen zu wollen. In Zwickmühle an die Adresse der Heimwehr einem Bericht vom März kündigte er ein

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allgemeines Waffenablieferungsgebot rung aufgelöst. Ein entsprechender Be­ an (Hubert 1974, 275). Beim so genann­ scheid des Wiener Landeshauptmannes ten „Entwaffnungsgesetz“ vom Mai 1930 zur Auflösung des Wiener Heimatschutzes leistete die Heimwehr erbitterten Wider­ wurde bereits am nächsten Tag durch das stand. Ein Heimwehr-Vertrauensmann Bundeskanzleramt aufgehoben. Die Maß­ müsse als Innenminister zuerst einmal alle nahmen waren einseitig gegen die Sozial­ staatsfeindlichen Parteiverbände entwaff­ demokraten gerichtet (Kykal/Stadler 1976, nen, dann könne man weiterreden. Diese 59) und die Heimwehr konnte sich als Sie­ Novelle zum „Waffenpatent“ brachte eine ger fühlen, obwohl ihr Stern, durch interne Kompetenzverschiebung der Befugnis Differenzen lahm gelegt, bereits im Sinken zum Waffentragen von den Landeshaupt­ war. Ihre Abhängigkeit vom Ausland ging leuten zum Bund (Wiltschegg 1985, 54 f; so weit, dass ihr Überleben von dessen Hubert 1974, 276). Schober führte auch Hilfe abhing (Wiltschegg 1985, 273). Verhandlungen mit Deutsch, in denen er eine Umwandlung der Selbstschutzver­ 6. faZit bände in eine Miliz zum Ausdruck brachte. Eine Entwaffnung bzw. Auflösung der Deutsch war dieser Idee gar nicht so ab­ Wehrverbände war auf Grund der Schwä­ geneigt. Otto Bauer lehnte das Entwaff­ che der österreichischen Regierungen und nungsgesetz ab, „denn schon der bloße der geringen Stärke des staatlichen Ge­ Besitz von Waffen soll verboten werden. waltmonopols nicht möglich gewesen. Das bedeutet, dass wir bestraft werden, die Auch der Druck vom Ausland sollte dazu anderen aber nicht“ (Hubert 1974, 276; nicht ausreichen – dessen waren sich auch ebd., 278 f). Auf Grund des mageren Er­ die Regierungen Großbritanniens und gebnisses des Entwaffnungsgesetzes, das Frankreichs bewusst, denn die Folgen von sich ausschließlich gegen den Schutzbund Sanktionen wären für die daraus resultie­ richtete, kam das britische Außenamt 1931 rende Situation in Österreich nicht vorher­ zu dem ernüchternden Schluss, dass kei­ sehbar gewesen und ob dies in ihrem Sinne ne österreichische Regierung stark genug gewesen wäre, sei dahin gestellt. So blieb sein würde, um je eine echte Entwaffnung auf Grund der verhärteten Gegensätze der durchzuführen (Carsten 1988, 135). beiden Lager nur eine Schaukelpolitik üb­ Eine vom damaligen Bundesminister rig. Obwohl die traditionellen Lager nach Franz Bachinger im Jahre 193216 angeregte 1945 wieder entstanden, hatten sich die allgemeine Entwaffnungsaktion wurde politischen und mentalitätsmäßigen Ver­ von der Heimwehr abgelehnt. Das beider­ hältnisse grundlegend geändert, so dass es seitige Wettrüsten ging weiter, und unter nicht die geringsten Ansätze zur Bildung diesen Umständen war es nur eine Frage von paramilitärischen Verbänden gab. Der der Zeit, wann es zum Ausbruch einer be­ Political Office Martin F. Herz an der ame­ waffneten Auseinandersetzung kommen rikanischen diplomatischen Vertretung in würde (Kykal/Stadler 1976, 56). Immer Wien (1945–1948) bescheinigte den bei­ wieder war es auch zu offiziellen Interven­ den Koalitionspartnern ÖVP und SPÖ tionen ausländischer Regierungen gegen zwar, sich ausgesöhnt zu haben, aber sich die Heimwehr gekommen (Wiltschegg dennoch zu misstrauen. Beide Parteien 1985, 272). stellten zum damaligen Zeitpunkt Überle­ Nach dem missglückten Aufstand des gungen über eine künftige Armee an. Die Schutzbundes vom Februar 1934 wurde Frage der Kontrolle über diese Armee hielt dieser am 31. März 1934 von der Regie­ Herz für explosiv – beide Seiten hatten

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unterschiedliche Vorstellungen und diese und Verteidigungsministerium) unterei­ könnten sie einander entfremden (Herz nander aufzuteilen und jeweils mit den 1984, 625). Die Lösung war offenbar, sich eigenen Parteigängern zu besetzen. das Gewaltmonopol des Staates (Innen­

1 http://www.polizei.gv.at/noe/publikatio mensetzten sowie der von christlichen Entwaffnungsaktion aus dem Nachlass nen/geschichte/gendarmerie.aspx. Gewerkschaften gebildete Wehrverband Schober). 2 Radikale Linkskreise der Sozialdemo­ „Freiheitsbund“. 11 Dazu ein Beispiel: 1922 begehrte ein kraten forderten den Einsatz des Schutz­ 4 1923 wurden die Satzungen des Repu­ italienischer Leutnant als Mitglied der bundes gegen die Putschisten, was von blikanischen Schutzbundes einheitlich für Interalliierten Militärkommission polizei­ der Parteileitung jedoch abgelehnt wur­ das ganze Bundesgebiet bei der Vereins­ liche Assistenz zur Durchsuchung eines de, die die Meinung vertrat, deren Be­ behörde zur Genehmigung eingereicht. Heeresdepots nach ablieferungspflich­ kämpfung wäre Aufgabe der Exekutive. 5 Ende der 1920er Jahre konnte der tigen elektrischen Apparaten. Als ihm Sollte diese nicht gegen die Putschisten Schutzbund etwa 80.000 bis 90.000 Mann ein bestimmter österreichischer Verbin­ vorgehen, dann würde der Schutzbund mobilisieren, im März 1933 war es nur dungsoffizier genannt wurde, meinte er, marschieren. Vizekanzler Schober be­ mehr die Hälfte. dass er sich jedoch nicht an ihn wenden schwor damals den Obmann des Schutz­ 6 „Im Verlaufe dreier Monate, gerech­ werde, weil er von vornherein wisse, dass bundes, Julius Deutsch, seine Organisa­ net vom Inkrafttreten des gegenwärtigen dieser die Sache nur verschleppen würde tion unter keinen Umständen einzusetzen, Vertrages, müssen die Streitkräfte Öster­ (siehe dazu BPD Wien 1921, Mappe Gendarmerie und Bundesheer würden reichs in der nachfolgend festgesetzten Entwaffnungsaktionen). zur Niederwerfung der Putschisten her­ Weise demobilisiert sein.“ 12 Vom 1. Mai bis 25. Juli 1921 wurden angezogen werden. Deutsch hatte den 7 http://www.ris.bka.at. 538 Gewehre, 249 Karabiner, sechs Ma­ Eindruck, der Einsatz der Gendarmerie 8 Eine Entscheidung des Verfassungs­ schinengewehre sowie 32 Pistolen und wäre nicht sehr erfolgversprechend (der gerichtshofes vom 20. März 1925 stellt Revolver beschlagnahmt (siehe dazu Gendarmeriekommandant der Steiermark u.a. fest: „Unter dem Prinzip der Ver­ BPD Wien 1921, Mappe Entwaffnungs­ war selbst Heimwehrler) und von Seiten einsfreiheit ist zu verstehen, dass die Bil­ aktionen). des Bundesheeres war ein Waffengang dung von Vereinen nicht an die in das Er­ 13 Vor dem Bundesheer war 1918 die so­ mit aufständischen Heimwehrformationen messen der Behörde gestellte staatliche zialdemokratisch dominierte Volkswehr eher unerwünscht (Tramer 1969, 82 f). Erlaubnis gebunden wird.“ aufgestellt worden. Es war das Ver­ Der Einsatz des Bundesheeres erfolgte 9 Freundliche Mitteilung von Frau Dr. dienst von Julius Deutsch, durch orga­ tatsächlich zögernd, aber selbst rechts­ Michaela Löff vom 24. Jänner 2013. nisatorische Maßnahmen die Volkswehr gerichtete Offizierskreise übten harte 10 Kurios mutet in diesem Zusammen­ so erweitert zu haben, dass sie für alle Kritik an der Extratour der steirischen hang an, dass bereits im ersten Bericht konkurrierenden Gruppierungen (Sozial­ Heimwehr („Streich der Tollhäusler“) über die Entwaffnungsaktion, also bei demokraten, Kaisertreue, Kommunisten) (Jedlicka 1955, 90). Beginn der Aktion, diese „im allgemei­ zum Auffangbecken wurde. 3 Gegner der Heimwehr im antimarxisti­ nen als abgeschlossen betrachtet werden 14 Die innenpolitischen Ereignisse sorg­ schen Lager waren die von Schuschnigg kann“ bezeichnet wurde. Immerhin ging ten dafür, dass an die Stelle der extrem gegründeten „Ostmärkischen Sturm­ diese bis Ende 1924, also rund dreiein­ gewaltenverbindenden parlamentari­ scharen“, die sich aus Angehörigen der halb Jahre. Der erwähnte Satz ist aber schen Republik die gewaltentrennende katholischen Jugendorganisationen und auf jedem Bericht zu finden (siehe da­ parlamentarische Präsidentschaftsre­ aus kirchlich gesinnten Turnern zusam­ zu BPD Wien 1921, die Berichte der publik trat (Brauneder 2001, 214 f).

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15 Was allerdings übel sei, Italien mache seine den Jahren 1929 und 1930, Dissertation an der Zustimmung zur Anleihe von der „Nicht­Entwaff­ Philosophischen Fakultät Universität, Wien. nung der Heimwehr“ abhängig, wie Phipps in Jagschitz, Gerhard (1983). Der österreichische einem Bericht nach London im November 1929 Ständestaat 1934–1938, in: Erika Weinzierl/Kurt feststellte (siehe dazu Britisch Foreign Policy Skalnik (Hg.) Österreich 1918–1938: Geschichte 1975). der Ersten Republik, Band 1, Graz u.a. 16 1932 musste wieder eine internationale An­ Jedlicka, Ludwig (1955). Ein Heer im Schatten leihe aufgenommen werden. Eine Entwaffnung der Parteien. Die militärpolitische Lage Öster­ der Wehrverbände wurde jedoch von Frank­ reichs 1918–1938, Graz/Köln. reich und Großbritannien nicht mehr als Bedin­ Kelsen, Hans (Hg.) (1922). Die Bundesverfas­ gung gefordert. sung vom 1. Oktober 1920, Wien/Leipzig. Kykal, Inez/Stadler, Karl R. (1976). Richard Quellenangaben Bernaschek. Odyssee eines Rebellen, Wien. BPD Wien/Amtsbibliothek. Nachlass Johann Lelewer, Georg (Hg.) (1920). Das Wehrgesetz Schober, Karton 48, Gr. III 1921, Mappe: Arbei­ vom Jahre 1920 mit Auszügen aus den Materi­ terbewegung, Waffen­ und Munitionstransporte, alien und mit Anmerkungen, Wien. Entwaffnungsaktionen. Ministerrat (1926a). Protokoll des Ministerrates Brändle, Klaus/Rein, Stefan (2011). Das öster­ der Ersten Republik, Nr. 448 vom 28.07.1926. reichische Vereinsrecht, Wien. Ministerrat (1926b). Protokoll des Ministerrates Brauneder, Wilhelm (2001). Österreichische der Ersten Republik, Nr. 454 vom 17.09.1926. Verfassungsgeschichte, Wien. Pelinka, Anton (1993). Gesellschaftliche Rah­ Britisch Foreign Policy (1975). Documents on menbedingungen der Ersten Republik, in: British Foreign Policy 1919–1939, Series Ia Weinzierl, Erika/Rathkolb, Oliver et al. (Hg.) Volume VII, Oxford. Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge Broucek, Peter (1996). Heerwesen, in: Stahel, 1976–1993, Band 2, Wien. Albert A. (Hg.) Klassiker der Strategie – Eine Stadler, Karl R. (1983). Die Gründung der Re­ Bewertung, Band 6, Zürich. publik, in: Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Hg.) Carsten, Francis L. (1988). Die Erste Öster­ Österreich 1918–1938: Geschichte der Ersten reichische Republik im Spiegel zeitgenössischer Republik, Band 1, Graz u.a. Quellen, Wien u.a. Tramer, Erwin (1969). Der Republikanische Hanisch, Ernst (1994). Der lange Schatten des Schutzbund. Seine Bedeutung in der politischen Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte Entwicklung der Ersten Österreichischen Repu­ im 20. Jahrhundert, Wien. blik, Erlangen­Nürnberg, Dissertation. Hasiba, Gernot D. (1974). Das Werden der Waffengesetz der Ersten Republik (Kaiserliches Zweiten Bundes­Verfassungsnovelle von 1929 Patent vom 24. Oktober 1852 betreffend die Be­ unter Berücksichtigung wesentlicher parlamen­ stimmungen über die Erzeugung, den Verkehr tarischer und verfassungspolitischer Ereignisse und den Besitz von Waffen und Munitionsgegen­ ab 1918. Inauguraldissertation an der Rechts­ ständen, dann das Waffentragen). und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Karl­ Weissensteiner, Friedrich (1990). Der ungeliebte Franzens­Universität, Graz. Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938, Wien. Herz, Martin F. (1984). Understanding . Wiltschegg, Walter (1985). Die Heimwehr. Eine The Political Reports and Analyses of Martin unwiderstehliche Volksbewegung, Wien. F. Herz Political Officer of the US Legation in http://www.polizei.gv.at/noe/publikationen/ 1945–1948, Salzburg. geschichte/gendarmerie.aspx. Hubert, Rainer (1974). Johannes Schober und http://www.ris.bka.gv.at (Staatsvertrag von St. seine Bedeutung für die österreichische Politik in Germain).

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