LWL-Museum für Kunst und Kultur Westfälisches Landesmuseum

Das Kunstwerk des Monats Dezember 2017

Fritz Winter (1905–1976) Große Konstruktion, 1932 Öl auf Papier, auf Leinwand aufgezogen, H. 115,0 cm, B. 140,0 cm Inv.-Nr. 2461 LM Erworben mit Unterstützung der Freunde des Museums Im Januar 2017 konnte das LWL-Museum für Kunst und Kultur mit Unterstützung des Freundeskreises des Museums eine frühe Arbeit von Fritz Winter (1905–1976) aus den 1930er Jahren erwerben. Auf ei- ner monochrom wirkenden, aber durch Farbnuancen charakterisierten blau-grauen Fläche ist ein schwar­- zes Liniengerüst zu sehen. Die hellere Farbigkeit des Grundes funktioniert dabei als Folie für die vor ihr schwebenden linearen Formen.

Den filigranen und zarten Monotypien und Ritzzeich- nungen seiner Bauhauszeit, die sich durch eine zuneh- mend komplexe farbliche und technische Gestaltung auszeichnen, ließ Winter eine Gruppe von auffallend großen Zeichnungen folgen, die schwarz eingefasste Grundformen – Oval, Kreis, Dreieck, Rechteck – über einen einfarbigen, meist hellbraun bis grau getönten Grund legen. Die auf dem graufarbigen Papier additiv angeordneten Bildflächen und schwarzen Konturli­ Abb. 1: , Der Hörende, 1930, Öl auf Pappe, H. 42,5 cm, nien wirken formal und farblich reduziert. Dabei bilden B. 42,5 cm, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, Inv.-Nr. die geschlossenen, weichen Bänder Innenformen, 1122 LM die dem leichten Gerüst eine gewisse Schwere ge- ben. Die Trennung von malerischen Elementen und der Vergleich der Großen Konstruktion von 1932 mit schwarzem Liniengerüst tritt in dem Bild ebenso wie dem sich ebenfalls in der Sammlung des LWL-Muse- die monochrome Farbgestaltung deutlich hervor. ums für Kunst und Kultur befindlichen Hörenden von Klee deutlich macht (Abb. 1). Unregelmäßig geboge- Fritz Winter wurde am 22. September 1905 als erstes ne Linien verteilen sich über eine Fläche, ohne dabei von acht Kindern in Altenbögge bei Unna geboren. eine klare Abgrenzung zu formen. Dennoch schließt 1919 begann er eine Elektrikerlehre und arbeite- sich diese Formstruktur zu einer Figuration, zu einem te zunächst als Bergmann. Erste zeichnerische und Ohr, zusammen. Klee förderte bei seinen Schülern malerische Versuche entstanden Anfang der 1920er vor allem ihre Eigenständigkeit. Er begann – wie Jahre. 1927 bewarb er sich erfolgreich am Kandinsky – im Unterricht mit dem Punkt, von dem in Dessau und studierte dort drei Jahre lang unter ausgehend er zur Linie, zur Fläche und zum Raum anderem die Form- und Farbenlehre bei Josef Albers schritt. Als Vorbild für den künstlerischen Schaffens- (1888–1976) und (1866–1944) so- prozess sah er das natürliche Wachsen. Nicht nach wie das Akt- und Figurenzeichnen bei Oskar Schlem- der Natur, sondern wie die Natur sollte ein Künstler mer (1888–1943). Winter erhielt am Bauhaus eine arbeiten. Die Werke aus Klees letztem Schaffensjahr- fundierte handwerkliche Ausbildung. Neben dem von zehnt weisen eine ähnlich dichte methodische Ge- abstrakten Formen ausgehenden Unterricht gab es schlossenheit auf wie die Winters. Die Formen sind bis zum Weggang Schlemmers 1929 auch die Kurse zumeist schwarz gemalt und gegen einen farbigen Akt- und Figurenzeichnen sowie „der Mensch“. Dabei Hintergrund gesetzt, der entweder glüht oder matt schematisierte Schlemmer die Darstellung des Aktes und kreidig erscheint. Auch die Wahl des Malgrunds mit Linie und Fläche nach Zahl, Maß und Proportion. variierte bei Klee – vom Zeitungspapier bis zur groben Die Darstellung des menschlichen Körpers wurde Leinwand verwendete er eine Vielzahl von Materiali- trotz des Antiakademismus am Bauhaus nicht aufge- en. Klee schätzte Winter vor allem auch wegen des- geben. Albers’ Intention wiederum war es, die Studie- sen innovativer Ansätze. Winters im Vergleich zu Klee renden auf die handwerkliche Arbeit in den einzelnen großformatige Werke fallen vor allem durch ihre klare Bauhauswerkstätten vorzubereiten. Sie lernten, mit Komposition sowie die schwere Form- und Farbge- Holz, Metall, Glas, Stein, Stoff und Farbe auf elemen- bung auf. tare Weise zu arbeiten. Kandinsky dagegen legte Wert auf den Umgang mit Farbe und erprobte diesen vari- 1929 nahm Winter erstmals an der Ausstellung Junge antenreich und von Grund auf. Es ging ihm vor allem Bauhausmaler teil, die in verschiedenen Städten – um das Wesen der Farbe und ihre Eigenschaften. Halle, Braunschweig, Erfurt und Krefeld – gezeigt wurde. Die Impulse und Erfahrungen, die er am Bau- Die wichtigsten und nachhaltigsten Anregungen erhielt haus erhalten hatte, begleiteten ihn sein Leben lang. Winter jedoch von Paul Klee (1879–1940), wie auch Nach Abschluss seines Studiums 1930 arbeitete er zunächst mit (1890–1977) als freischaf- fender Künstler in und besuchte (1880–1938) mehrfach in Davos. Seine Be- schäftigung mit ausdrucksstarken künstlerischen Mit­- teln ließ ihn den Kontakt mit Kirchner suchen, der auch Klee und Kandinsky schätzte, wie aus einem Brief Kirchners an den Sammler Carl Hagemann (1867–1940) von 1926 herauszulesen ist: „Leute wie Klee, Kandinsky etc. sind mir wieder viel näher ge- kommen, überhaupt schätze ich das Bauhaus immer mehr.“

Souverän kombinierte Winter die Anregungen von Hans Arp (1886–1966), Kandinsky, Klee und auch Kirchner mit seinen eigenen künstlerischen Vorstel- lungen. Die veränderten Lebensumstände nach sei- ner Zeit am Bauhaus führten anfangs allerdings zu einer Schaffenskrise, aus der ihn seine Lehrtätigkeit in Halle 1931 wieder herausholte; anknüpfend an seine Bauhauserfahrungen, inspirierte sie ihn zu neuem, in- novativem Schaffen. Er löste sich von allen figurativen Elementen, um das Organische der Formen zu beto- nen. 1932 reiste Winter nach Südtirol und Norditalien und malte seine sogenannten Sternbilder. Seitdem wird das Lineare – wie auch bei der Großen Konstruk- Abb. 2: Fritz Winter, Triebkräfte der Erde (Weiß mit Gelb), 1943/44, tion –, auf dunkle Flächen aufgesetzt, zum Mittelpunkt Öl auf Papier, H. 31,7 cm, B. 23,2 cm, LWL-Museum für Kunst der Bildgliederung, wodurch sich die Durchdringun- und Kultur, Münster, Inv.-Nr. KdZ 5001 WPF, Dauerleihgabe aus gen von Linearität und Farbflächen ergeben. Die line- der Kunstsammlung der Westfälischen Provinzial Versicherung aren Flächen liegen über oder vor den Farbflächen, Aktiengesellschaft und aus dem Dialog beider formte Winter einen be- grenzten Farbraum, in dem sich das malerische Er- die seine berühmte Werkgruppe Triebkräfte der Erde eignis definiert. Seine Werke weisen dabei einen indi- vorbereiteten (Abb. 2 und Abb. 3). Maler, Schriftstel- rekten Bezug zu geometrischen Grundformen auf und ler, Musiker und Philosophen, die in Deutschland ge- werden durch den Zusammenklang der Fläche mit blieben und nicht emigriert waren, jedoch kritisch und den sich in ihr vollziehenden Akkorden geprägt. ablehnend dem Regime gegenüberstanden, zogen sich nach innen zurück. Sie wählten den abgekehr- Schon in den 1930er Jahren entwickelte Winter die ten Weg des Arbeitens, leisteten keinen offenen Wi- Grundlagen seiner auf den gegenstandslosen, infini- derstand. Zusammen mit den im Exil entstandenen ten Bildraum gerichteten Bildsprache. Trotz der Prä- Bildern Max Beckmanns (1884–1950), Max Ernsts gung durch seine Bauhauslehrer Klee und Schlemmer (1891–1976) oder Klees sind die in der beständigen behalten seine Werke ihre eigenständige Position. Gefährdung der inneren Emigration geschaffenen Maltechnisch und in ihrer Formensprache vielseitig, Arbeiten – die Serie der Ungemalten Bilder von Emil sind die Werke Winters aus dem Jahr 1932 der Kunst Nolde (1867–1956), die Fensterbilder von Schlemmer, des Blauen Reiters und des Bauhauses gleicher­ die Ideogramme von (1889–1955) maßen verpflichtet, sie nehmen die Rhythmisierung und die Triebkräfte der Erde von Winter – Werke, die der Fläche und des Raumes auf. Dennoch gibt es für die durch den Nationalsozialismus bedrohte Kontinui­ diese tektonischen Linienbilder in den Arbeiten von tät der deutschen Kunst nicht ganz abreißen ließen. Arp, Kandinsky, Klee oder Albers keine vergleichba- ren Kompositionen. Die abstrakte Kunst leistete Gegnerschaft, indem sie unpolitisch auf niemanden Rücksicht nahm. Das Die Kunst Winters wurde von den Nationalsozialisten gegenstandslose Arbeiten, zu dem sich die Kunst für „entartet“ erklärt, er erhielt Malverbot. Im Krieg der inneren Emigration in Deutschland durch ihre dreimal verwundet, geriet er kurz vor Kriegsende noch wesentlichen Vertreter – Baumeister, Ernst Wilhelm in russische Gefangenschaft, aus der er erst 1949 ent- Nay (1902–1968), Theodor Werner (1886–1969) und lassen wurde. In kleinen Skizzenbüchern entstanden Winter – entwickelt hatte und die auf eine Kunst der während der Kriegsjahre die sogenannten Feldskizzen, Urkräfte, Triebkräfte und Entkörperlichung abzielte, neuen Ausdrucksformen einer ungegenständlichen Kunst. Diese Abkehr vom Gegenständlichen spiegel- te sich in dem aus buddhistischen Lehren entlehnten, mit Meditation in Verbindung stehenden japanischen Begriff „Zen“. Im Rückgriff auf seine vom Bauhaus beeinflussten Arbeiten der 1930er Jahre entwickelte Winter hier seine eigene Formensprache, die ihm ne- ben dem Informel eine Sonderstellung zuwies.

Spätestens seit seinem vielbeachteten Auftritt auf der 1 in Kassel 1955 galt Winter als einer der wichtigsten deutschen Vertreter der abstrakten Male- rei und als Aushängeschild der Nachkriegsmoderne in der Bundesrepublik Deutschland. Neben Nay und Baumeister wurde er zu einer der Identifikationsfigu- ren einer neuen Künstlergeneration. Seine informel- le, zunehmend grafisch geprägte Malerei der 1950er Jahre wurde ab 1960 durch neue Impulse noch ein- mal entscheidend verändert. Das Medium Farbe tritt in den Vordergrund, die malerische Handschrift wird freier und experimenteller. An seine Bildraumkonzepte der 1930er Jahre anknüpfend, die Naturformen und Abb. 3: Fritz Winter, Triebkräfte der Erde (Weiß, mit rotem Punkt), Bilder innerer Landschaften, bedeutete dies einen 1943/44, Öl auf Papier, H. 27,6 cm, B. 21,7 cm, LWL-Museum für neuen Ansatz im Werk des ehemaligen Bauhaus- Kunst und Kultur, Münster, Inv.-Nr. KdZ 5003 WPF, Dauerleihgabe schülers Winter und zugleich eine Rückbesinnung auf aus der Kunstsammlung der Westfälischen Provinzial Versicherung Aktiengesellschaft seine Lehrer Kandinsky und Klee.

Fritz Winter und sein Werk sind eng mit Westfalen wurde nach 1945 die Malerei der Zukunft, zumindest verbunden. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur im westlichen Teil Deutschlands. Aus den Jahren besitzt insgesamt neun Werke, die mit Ausnahme des Nationalsozialismus mit seiner Betonung der völ- der drei Arbeiten aus der Folge Triebkräfte der Erde kischen Kunst war ein Vorbehalt gegen die gegen- und des neu erworbenen Werkes alle aus den 1950er ständlich abbildende Kunst geblieben. und 1960er Jahren stammen und zusammen mit den Arbeiten von Baumeister und Nay einen wichtigen Unmittelbar nach seiner Heimkehr wurde Winter Bestandteil der Nachkriegskunst in der Sammlung Gründungsmitglied der Künstlergruppe ZEN 49 und bilden. Winter war darüber hinaus 1952 der erste fand schnell Anschluss an die europäische Avantgar- Preisträger des bedeutenden und für Westfalen pres- de. ZEN 49 wurde im Juli 1949 in der Galerie Stangl in tigeträchtigen Konrad-von-Soest-Preises, der für he- München zunächst unter dem Namen Gruppe der Ge- rausragende künstlerische Leistungen vergeben wird. genstandslosen gegründet. Die Initiatoren waren die Er wurde damit für sein in der inneren Emigration ent- frühen informellen Künstler Baumeister, Rolf Cavael standenes malerisches Werk ausgezeichnet. Winter (1898–1979), Gerhard Fietz (1910–1996), Rupprecht war einer der Künstler, die trotz Malverbots nach 1933 Geiger (1908–2009), Willy Hempel (1906–1985), die Traditionen des Bauhauses bewahrt und weiter- Brigitte Meier-Denninghoff (1923–2011) und Winter. entwickelt haben. Auf künstlerischer Ebene strebten die Mitglieder nach Tanja Pirsig-Marshall

Literatur Klee, Winter, Kirchner, 1927–1934 [Ausst.-Kat. LWL-Landes­ museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Münster / Pinako­ Baerlocher, Herbert: Fritz Winter. Ausgewählte Werke aus den thek der Moderne, München, 2001], München 2001. Jahren 1928 bis 1934, Bern 1963. Fotos: LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster / Han- Lohberg, Gabriele: Fritz Winter – Leben und Werk. Mit einem na Neander (Titel) und Sabine Ahlbrand-Dornseif (Abb. 1–3); Werkverzeichnis der Gemälde und einem Anhang der sonsti- Titel, Abb. 2 und 3: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017 gen Techniken, München 1986. Druck: Druckerei Kettler GmbH, Bönen Fritz Winter [Ausst.-Kat. Galerie der Stadt Stuttgart, 1990], Stuttgart 1990. © 2017 Landschaftsverband Westfalen-Lippe, LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster