DIKTATUR, BEHÖRDEN, WISSENSCHAFT GBA und ZAMG im Schatten des Nationalsozialismus

Broschüre zur Ausstellung: 15.11.2018 bis 20.02.2019 Geologische Bundesanstalt, Neulinggasse 38, 1030 Wien und Johannes Thaler Zentralanstalt für Meteorologie und Gunnar Mertz Geodynamik, Hohe Warte 38, 1190 Wien Christa Hammerl (ab 30.11.2018) Oliver Rathkolb

Die Geschichte Österreichs im 20. Jahrhun- wir mit Ausstellung und Publikation „Berg- dert ist mit dem Übergang von der Monar- Wetter 1938“ einen Impuls für institutionelle chie zur Republik und mit zwei Diktaturen Selbstreflexion setzen. Mein Dank für ihr En- durch mehrere Brüche gekennzeichnet. An gagement gilt den Mitarbeitern und Mitar- den Beispielen der Geologischen Bun- beiterinnen meines Ressorts und der beiden desanstalt und der Zentralanstalt für Me- wissenschaftlichen Anstalten sowie des Ins- teorologie und Geodynamik, zwei nach- tituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. geordneten Dienststellen meines Ressorts, zeigt die Ausstellung „BergWetter 1938“ Durch die Ergebnisse dieser Studie lernen das Verhältnis von Diktatur, Behörden und wir unter anderem, wie wesentlich die indi- Wissenschaft. Sie verdeutlicht die radikale viduelle Verantwortung einzelner Personen Unterordnung von Wissenschaft und For- ist. Heute würden wir sagen, es geht um schung unter die Zwecke von menschen- Menschlichkeit, Mut, Zivilcourage. Institu- verachtender Ideologie und Krieg. Zu- tionen wiederum dürfen niemals aufhören, gleich werden aber auch die individuellen ihre (eigene) Geschichte zu reflektieren Handlungsspielräume von Personen augen- und Erinnerung zu pflegen. Damit leisten sie scheinlich, die ihre Stellung dazu benutzten, einen wesentlichen Beitrag zur Förderung politisch Verfolgte zu schützen. verantwortungsvoller Wissenschaft und zur Stärkung der Demokratie in unserem Land. Politischem Radikalismus vorzubeugen, verlangt von staatlichen Behörden die Be- Heinz Faßmann reitschaft zu Selbstreflexion und kritischer Bundesminister für Bildung, Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Im Wissenschaft und Forschung Erinnerungsjahr 2018 – Anschluss 1938, und Gründung der Republik 1918 – wollen Wien, Oktober 2018

3 „Lernen Sie Geschichte“, dieses Zitat von Die Geologische Bundesanstalt hat sich Bruno Kreisky aus dem Jahr 1981 ist legen- punktuell schon mit der Zeit des Nationalso- där. 2017 wurde es zum Titel einer Sende- zialismus befasst. 2016 erschien im GBA-ei- reihe in Ö1; die Worte des damaligen Bun- genen Verlag die Publikation „Görings deskanzlers wurden zum Programm, zum Geologen in der Ostmark“. Ein Team von Auftrag. Historikerinnen und Historikern hat nun eine Eine Gesellschaft ohne Geschichtsbewusst- Aufarbeitung der Zeit des politischen Um- sein ist gefährdet, ihre Orientierung an all- bruchs und des Krieges vorgenommen. Die gemein gültigen Werten zu verlieren, die vorliegende Studie, die auf Unterlagen aus das Zusammenleben der Menschen er- dem Archiv der Geologischen Bundesan- möglichen und garantieren. stalt beruht, aber auch andere verfügbare Die Generation der ersten Hälfte des 20. Quellen berücksichtigt, wurde aus Anlass Jahrhunderts, die Irrwege, Kriege und Ka- des Gedenkjahres 2018 durchgeführt. Sie tastrophen persönlich erlebt hat, konnte ihr zeigt die Handlungsspielräume und die Erleben und ihre Erkenntnisse persönlich individuellen Positionen von Wissenschaft- weitergeben. Die übernächste Generation lerinnen und Wissenschaftlern in staatlichen kann nur durch Aufbereitung der schreck- Institutionen in einer politisch brisanten Zeit. lichen Ereignisse, die durch menschliches Versagen verursacht wurden, zum Hinhören Peter Seifert, und Verstehen gebracht werden. Dies kann Direktor der Geologischen Bundesanstalt insbesondere durch Aufzeigen von Me- chanismen der Macht verbunden mit dem totalitären Anspruch auf Wahrheit erreicht werden.

4 Thomas Carlysles Konzept, dass „große his- Gleichzeitig wird bei der Betrachtung der torische Figuren Geschichte schreiben“ fin- größeren Rahmenbedingungen in diesem det sehr rasch seine Grenzen am Boden der sehr kurzen Zeitraum von nur 7 Jahren deut- Realität, wenn man die Ausstellung „Berg- lich, wie rasch rechtsstaatliche Grundlagen, Wetter 1938“ genauer betrachtet. Persön- Moralvorstellungen, Existenzgrundlagen lichkeiten, wie sie in dieser Ausstellung sehr und vor allem die zunächst selbstverständli- aufschlussreich sichtbar werden, gestalten che Kategorie Menschenwürde ausgehöhlt ihre Umgebung stark durch ihre morali- und schließlich über Bord geworfen wurde. schen Konzepte, Werte und Handlungen: Dies aus Sicht einzelner Betroffener zu be- Karrierismus, Charakterstärke, Zivilcourage, trachten und nachzuvollziehen, gibt nicht Nutzung der knappen Handlungsmöglich- zuletzt für die heutige Zeit zu denken. keiten – all dies zeigt, wie sehr das Leben in einer Gemeinschaft wie den beiden Institu- Michael Staudinger, tionen Geologische Bundesanstalt und Zen- Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie tralanstalt für Meteorologie und Geodyna- und Geodynamik mik durch das Verhalten jedes Einzelnen in diesen Institutionen bestimmt wurde. Es gab starken Druck von außen, aber auch Men- schen, die sich schützend vor andere Mit- arbeiter stellten. Geschichte ist immer auch die Geschichte Einzelner und wird durch die Beschreibung der einzelnen Schicksale in ganz anderer Art deutlich, als dies bloße Zahlen oder historische Bruchlinien zeigen könnten.

5 WOZU eine politische Geschichte der Wissenschaft?

Die Ausstellung geht der Frage nach, wie Wissenschaft in Diktaturen praktiziert wird. Die Untersuchung ist ein Beitrag zum Ju- Die Geologische Bundesanstalt (GBA) und biläumsjahr 2018 und setzt sich mit dem die Zentralanstalt für Meteorologie und Problemkreis „Behördengeschichte – Geodynamik (ZAMG) sind staatliche For- Wissenschaftsgeschichte – Diktaturfor- schungseinrichtungen und Dienste, die auf schung“ auseinander. fast 170 Jahre Geschichte zurückblicken. Gegründet im Zuge der Reformen nach dem Konkret werden die bereits in der Monar- Revolutionsjahr 1848 (k.k. Geologische chie in einer gemeinsamen Abteilung (heute Reichsanstalt gegr. 1849, k.k. Central-An- BMBWF Abt. V/4) verwalteten staatlichen stalt für Meteorologie und Erdmagnetismus Forschungseinrichtungen GBA und ZAMG gegr. 1851) erreichten die beiden Institutio- hinsichtlich ihrer NS-Vergangenheit unter- nen internationales Renommee. sucht. Vor der Ausgliederung der Wissen- schaftsagenden in ein eigenes Ministerium

6 1848 1849 1851 1918 1919 1920 1921 1930 1931 im Jahr 1970 unterstanden sie dem Bundes- Es war ein Charakteristikum des 1932 ministerium für Unterricht. Neben der Frage nationalsozialistischen Regimes, 1933 nach der Instrumentalisierung von Wissen- sowie faschistischer Regime im All- 1934 schaft für Krieg und Diktatur (etwa in der gemeinen, zuvorderst die Gewalt 1935 kriegsorientierten Ausbeutung der Boden- als Mittel der politischen Auseinan- 1936 schätze oder in der Instrumentalisierung des dersetzung zu gebrauchen. Innen- 1937 Wetterdienstes für die Luftwaffe) werden politisch bedeutete das eine von die politischen Vorgänge innerhalb der For- Gewalt geprägte Auseinanderset- 1938 schungseinrichtungen beleuchtet. zung und, soweit möglich, Unter- 1939 drückung des politischen Gegners. 1940 Außenpolitisch führte dies stets zu 1941 Hierbei soll den Fragen territorialem Expansionsbestrebun- 1942 gen und Krieg. Diesem innen- und 1943 nachgegangen werden: außenpolitischen Politikstil der Ge- 1944 • Welchen Handlungsspielraum walt, also der gewaltsamen Umset- 1945 hatten leitende Beamte und zung der eigenen Ideen, wurden 1946 Direktoren? alle anderen gesellschaftlichen, 1947 • Welche politischen Grabenkämpfe politischen und wirtschaftlichen Be- 1948 gab es innerhalb der Anstalten? reiche untergeordnet: Alles hatte 1949 • Welche politischen Typologien den Zwecken des nationalsozialis- 1950 lassen sich auf Seiten der tisch-faschistischen Staates zu die- 1951 Mitarbeiter/innen ausmachen? nen. Hinsichtlich der Wissenschaft 1952 • Was kann die heutige moderne bedeutete dies eine klare Unter- 1953 Verwaltung aus den historischen ordnung der Forschung und der 1954 Vorgängen lernen? wissenschaftlichen Tätigkeit unter 1955 die Zwecke des Krieges. 1970 7 INHALT

KONTINUITÄT DER STAATLICHEN VERWALTUNG VON GBA UND ZAMG 10

„...DIE ERGEBNISSE FESTZUHALTEN UND DER ALLGEMEINHEIT 12 ZUGÄNGLICH ZU MACHEN...“ - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Geologische Reichsanstalt“ ab 1849

„… VON DEM GROSSEN EINFLUSSE AUF DIE WICHTIGSTEN GESCHÄFTE UND 15 VERHÄLTNISSE DES MENSCHLICHEN LEBENS ...“ - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus” ab 1851

HERMANN GOERINGS GRIFF NACH ROHSTOFFEN UND 19 NS-KOLLABORATION IN ÖSTERREICH „I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“

EINGEGLIEDERT FÜR DIE KRIEGSWIRTSCHAFT 24 - Die GBA im Nationalsozialismus

HANDLUNGSSPIELRÄUME IM NS-REGIME 28 - Heinrich Beck und Franz Lotze an der Spitze der Zweigstelle Wien

GEOLOGISCHE ARBEIT STATT „SCHUTTSCHAUFELN“ NACH 1945 31 - NS-Angehörige in der GBA

8 1848 1849 1851 1918 1919 VICTOR CONRAD 34 1920 - Ein beachtenswertes Forscherleben zwischen Diskriminierung, 1921 Vertreibung und Großmut 1930 1931 DEGRADIERT UND INSTRUMENTALISIERT 38 1932 - Die ZAMG im Nationalsozialismus 1933 1934 HANDLUNGSSPIELRÄUME IN DIKTATUREN 42 1935 - Heinrich Ficker 1936 1937 „MEINE ARISCHE ABSTAMMUNG UND DIE MEINER FRAU 45 1938 KANN ICH JEDERZEIT NACHWEISEN“ 1939 - Parteiopportunismus bei Mitarbeitern der ZAMG 1940 ENTNAZIFIZIERUNG UND WIEDERAUFNAHME DER 48 1941 UNABHÄNGIGEN FORSCHUNGSTRADITION 1942 - Die GBA nach dem Krieg 1943 1944 „WETTERBERICHT KEIN GEHEIMNIS MEHR“ 53 1945 - Die ZAMG in der Nachkriegszeit 1946 1947 LERNEN AUS DER GESCHICHTE? 58 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1970 9 KONTINUITÄT der staatlichen Verwaltung von GBA und ZAMG

Die Amtskalender verdeutlichen die Kontinuität der staat- lichen Verwaltung der beiden Forschungseinrichtungen und Dienste. In Zeiten der Monarchie, der Ersten und der Zwei- ten Republik wurden GBA und ZAMG stets in der gleichen Abteilung des Unterrichts- bzw. Wissenschaftsministeriums betreut (früher k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht, später Bundesministerium für Unterricht, ab 1970 Bundesmi- nisterium für Wissenschaft und Forschung und heute Bundes- ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung). Die NS-Zeit stellte durch die Eingliederung unter die Berliner Behörden verwaltungstechnisch einen Bruch dar.

10 KONTINUITÄT der staatlichen Verwaltung von GBA und ZAMG

11 „… DIE ERGEBNISSE FESTZUHALTEN UND DER ALLGEMEINHEIT 1849, 1851, 1918, 1919, 1920, 1921, 1922, 1923 ZUGÄNGLICH ZU MACHEN …“ - Der Arbeitsauftrag an die „k.k. Geologische Reichsanstalt“ ab 1849

Bei der Gründung der heuti- Bei der Gründung der „k. k. geologischen gen GBA wie auch der heutigen Reichsanstalt“ kamen dem Mineralogen ZAMG sind ähnliche Dynamiken Wilhelm Karl Ritter von Haidinger (1795– auszumachen. Beide Forschungs- 1871, Direktor 1849–1866) und dem einrichtungen entstanden in der für 1848 zum Minister für Landeskultur und den Liberalismus opportunen Zeit Bergwesen ernannten Ferdinand Freiherr der Umbrüche von 1848/49 und von Thinnfeld Schlüsselrollen zu. Thinnfeld danach. An der Modernisierung galt im Bereich der Landwirtschaft und des des Staates, der Verwaltung und Montanwesens als sehr bewandert und er- der Wissenschaft interessierte hohe strebte die Errichtung einer staatlichen geo- Beamte und einzelne (zum großen logischen Anstalt, wie sie zur damaligen Teil aus dem Adel stammende) For- Zeit bereits in Frankreich und in England scherpersönlichkeiten nutzten die bestanden. Haidinger leitete seit 1840 die Bereitschaft des damals jungen k. k. Mineraliensammlung, die auch als Aus- Wilhelm Haidinger, Monarchen Franz Joseph I., um bildungsstätte für Bergleute unter der Be- Mitbegründer und nachhaltige wissenschaftliche For- zeichnung „k. k. montanistisches Museum“ erster Direktor der schungseinrichtungen zu gründen. bekannt war. Es war Minister Thinnfeld, der Geologischen Haidinger in einer politisch opportu- Reichsanstalt (GBA) nen Zeit unmittelbar nach dem Regie- rungsantritt des jungen Kaiser Franz Joseph I. dazu aufforderte, ein umfas- Gründung der sendes Konzept auszuarbeiten, wie Geologischen Reichsanstalt „die geognostischen Verhältnisse des durch Franz ganzen Reiches fortwährend auf das Joseph I. Genaueste zu durchforschen“ seien. (Österreichi- Staatlicherseits wurde hier durchaus sches Staats- archiv) Weitsicht bewiesen. Thinnfeld argu- mentierte hinsichtlich der Erschlie- ßung und Benützung der Boden- schätze, dass die unorganische Natur „nicht reproductiv“ sei, und

12 1849, 1851, 1918, 1919, 1920, 1921, 1922, 1923 „so gebietet es die Vorsicht und Vorsorge für setzt: in der Frühzeit ihres Bestehens von ihre möglichst dauernde Benützung, dass Seiten akademischer Kreise, insbesondere sie die Staatsverwaltung ihrer besonderen der Akademie der Wissenschaften, die die Aufmerksamkeit unterziehe.“ Die kaiserliche Genehmigung einer geologischen Reichs- anstalt erfolgte schließlich am 15. Novem- Erläuterungen zu einer geologischen ber 1849. Übersichtskarte von Franz Hauer 1858 Allgemeine Aufgabe der neu gegründeten (GBA) Anstalt war es „das Kaiserreich geologisch zu durchforschen, […] die Ergebnisse festzu- halten und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.“ In einem weiteren Schreiben an Darstellung zu Braun- kohlevorkommen im den nunmehr zum Direktor ernannten Wil- Jahresbericht der helm Haidinger erteilte Minister Thinnfeld Geologischen detaillierte Aufgaben zur geologisch-wis- Reichsanstalt 1866 senschaftlichen Arbeit der neuen Anstalt. (GBA) Darüber hinaus hielt er fest: „Alle gesam- melten Wahrnehmungen und wissenschaft- lichen Forschungen sind in ausführlichen Abhandlungen zur allgemeinen Kenntnis zu bringen“. Staatlicherseits war also zum einen eine starke Tendenz hin zur Institutionalisierung selbständige Tätigkeit der Geologen mit und Professionalisierung der Wissenschaft Misstrauen beobachtete. vorhanden. Außerdem war auch das Be- Einige Jahrzehnte später, um 1900, trat au- streben deutlich, wissenschaftliche Erkennt- ßerdem ein Konfliktfeld hervor, das auch in nisse und wissenschaftlichen Fortschritt der der Zeit der NS-Diktatur an Vehemenz ge- Allgemeinheit nutzbar zu machen. winnen sollte: der wirtschaftliche Nutzen der Geologie. In einer Zeit verstärkter Industria- Die Geologische Reichsanstalt konnte sich lisierung stand die Reichsanstalt unter Emil in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens bis Tietze (1845–1931, Direktor 1902–1919) zum Ende der Habsburgermonarchie inter- dem Vorwurf gegenüber, rein wissenschaft- national einen bedeutsamen wissenschaftli- lich tätig zu sein und zu wenig für die ange- chen Ruf erarbeiten und trieb insbesondere wandte Geologie und den Bergbau zu tun. die Erstellung von geologischen Karten des Die Beschwerden, die insbesondere aus gesamten Reiches effektiv voran. Dennoch dem privatwirtschaftlichen Bereich kamen, war sie bereits sehr früh Angriffen ausge- führten zu politischen Debatten im Reichs-

13 Zusammenbruch der Monarchie hatten die in der Reichsanstalt beschäftigten Geolo- gen entlegene und auch verkehrstechnisch schwer zugängliche Gebiete der k. u. k. Monarchie bereist. Nach 1918 beschränk- ten sich Untersuchungen auf das wesentlich kleinere Gebiet der jungen Republik. Der politische Umbruch brachte auch eine entsprechende Schrumpfung staatlicher Emil Tietze, Einrichtungen. Für die GBA bedeutete dies Direktor während des Umbruchs 1918 (GBA) unmittelbar eine Verkleinerung des Perso- nalstandes von 19 Geologen im Jahr 1914 rat (1902 bezüglich Erzvorkommen in Dal- auf 13 Ende 1919 und später auf 7 im Jahr matien, 1905 während der Errichtung der 1929. Der allgemeine Arbeitsauftrag blieb Alpenbahnen und später 1911 betreffend jedoch gleich, bzw. wurde durch staatliche Kohlebergwerken in Galizien). Der Konflikt Förderprogramme sogar ausgeweitet. We- löste sich schließlich damit auf, dass seitens sentlich waren hierbei etwa geologische des Reichsrats der Vorrang des wissen- Expertisen zu den geplanten Tauernkraft- schaftlichen Charakters der Geologischen werken, wie auch das Mitwirken an Projek- Reichsanstalt bestätigt wurde. Erst in zweiter ten im Ausland zu Rohstofferschließung und Linie sollte sie in ihrer Tätigkeit nach Mög- Kraftwerksbau (etwa im Gebiet des heuti- lichkeit auch praktischen bergbaulichen An- gen Kroatien, in der Tschechoslowakei und sprüchen entgegenkommen. in Rumänien). Die Amtszeit des ersten in der Zeit der Re- Das Jahr 1918 bedeutete einen vehementen publik eingesetzten Direktors Georg Geyer Einschnitt auch für staatliche wissenschaft- (1857–1936, Direktor 1919–1923) endete liche Einrichtungen wie der k. k. Geologi- bereits im Jahr 1923. Neuer Direktor, der schen Reichsanstalt. Dies aus verschiedenen die Bundesanstalt über das Ende der Ersten Gründen: Zum einen rekrutierte sich das wis- Republik hinaus bis in die Zeit des autori- senschaftliche Personal aus dem Gebiet der tären Dollfuß/Schuschnigg-Regimes leitete gesamten Monarchie. Angestellte, die nach war Wilhelm Hammer (1875–1942, Direk- 1918 etwa für die ungarische, polnische tor 1924–1935). oder tschechoslowakische Staatszuge- hörigkeit optierten, verloren ihre Beschäfti- gung. Direktor Tietze suchte im Zuge der po- litischen Umwälzungen am 31. Jänner 1918 um Versetzung in den Ruhestand an. Mit den politischen Umbrüchen wandelte sich das geografische Betätigungsfeld. Bis zum

14 1851,1854,1865, 1866,1873, 1918,1919,1922 „… VON DEM GROßEN EINFLUSSE AUF DIE WICHTIGSTEN GESCHÄFTE UND VERHÄLTNISSE DES MENSCHLICHEN LEBENS ...“ - Der Arbeitsauftrag an die „k. k. Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus“ ab 1851

Die „k. k. Central-An- für öffentliche Arbeiten und das Bergwe- stalt für Meteorologie sen, regte die Errichtung eines landesweiten und Erdmagnetismus“, meteorologischen Beobachtungssystems die heutige ZAMG, entlang des Eisenbahnnetzes an. Karl Kreil wurde 1851 auf Anre- (1798–1862, Direktor 1851–1862), wirk- gung der „kaiserlichen liches Mitglied der Akademie und Direktor Akademie der Wis- der „k. k. Sternwarte zu Prag“, wurde da- senschaften in Wien“ mit beauftragt, die Errichtung eines der- (seit 14. Mai 1847) artigen Systems umzusetzen. Eingerichtet gegründet. Sie kann wurden Messstationen an geografisch somit als Teil einer all- wichtigen Bahnhöfen. Außerdem wurden gemeinen Tendenz zur über das gesamte Gebiet der Monarchie Aufwertung der institu- Freiwillige gewonnen, die meteorologische tionalisierten Wissen- Messungen durchführten. Kreil betonte von schaft in der Mitte des Anfang an die Wichtigkeit einer „Central- 19. Jahrhunderts ver- station in Wien“. Kreils Vorschlag für die standen werden. Der anzustellenden regelmäßigen Beobach- Vizepräsident der Aka- tungen in einer derartigen Zentrale zeugen Karl Kreil, demie, Andreas Frei- insofern von Weitblick, als fast alle davon Mitbegründer und erster herr von Baumgartner, auch heute noch durchgeführt werden. Der Direktor 1851-1862 (ZAMG) damals auch Minister Minister für Cultus und Unterricht Leo Graf

15 Ähnlich wie die heutige GBA erlangte die ZAMG in den ersten sechs Jahrzehnten ihres Bestehens internationales Renommee. Die anfängliche Unterkunft der heutigen ZAMG in 1865 wurde die erste Wetterkarte der ge- der Favoritenstraße in Wien (ZAMG) samten k. u. k. Monarchie herausgegeben. Mit der Gründung einer „Österreichischen von Thun-Hohenstein befürwortete den Gesellschaft für Meteorologie“ im Jahr entsprechenden Antrag der Akademie der 1865 begann 1866 auch die Herausga- Wissenschaften 1851: „Die Ansichten der be einer periodischen Meteorologischen Akademie über die Wichtigkeit eines gere- Zeitschrift, die, nach einer kriegsbedingten gelten und über die ganze Monarchie aus- Unterbrechung ab 1944, erst wieder 1992 gebreiteten Systems von meteorologischen in Kooperation mit der Deutschen Meteoro- und magnetischen Beobachtungen theile logischen Gesellschaft und der Schweize- ich vollkommen“. Er argumentierte, dass die rischen Gesellschaft für Meteorologie her- Wetterverhältnisse schließlich einen wichti- ausgegeben wird. Im Jahr 1873 wurde der gen Einfluss „auf die wichtigsten Geschäfte „Erste internationale Meteorologen-Con- und Verhältnisse des menschlichen Lebens gress“ in Wien abgehalten. Beschlüsse ausüben“. während des Kongresses waren die Basis Zu beachten ist in diesem ministeriellen Ent- für eine weltweite internationale Zusam- wurf zum einen das klare Bekenntnis zur menarbeit der meteorologischen Dienste, Förderung einer Wissenschaft, die dem die IMO – Internationale Meteorologische Wohl der Allgemeinheit dienen soll („die Organisation –, Vorläuferin der WMO war wichtigsten Geschäfte und Verhältnisse des gegründet. menschlichen Lebens“). Zum anderen wird hier trotz der geplanten staatlichen Unter- stützung vordergründig auf weitergehende Unter Julius Hann (1839–1921, Direktor staatliche Einflussnahmen verzichtet. Diese 1877–1897) erfolgte ein starker landeswei- Haltung unterscheidet sich sowohl von der ter Ausbau des meteorologischen Stations- Skepsis gegenüber der Wissenschaft in netzes und die Errichtung bestens ausge- vorangehenden Epochen absolutistischer rüsteter Gipfelstationen zur Erforschung der Herrschaft, als auch von der massiven staat- Vorgänge in der Atmosphäre. Besonders lichen Einflussnahme auf die Wissenschaft in hervorzuheben ist das unter Hann auf einer den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, insbe- Höhe von 3106m im Jahr 1886 errichtete sondere im Nationalsozialismus. Sonnblick-Observatorium. Die bis heute Franz Joseph I. bewilligte die Gründung der höchste Gipfelwetterwarte Europas blickt „Central-Anstalt“ am 23. Juli 1851. heute auf 132 Jahre ununterbrochener Be-

16 obachtungsreihen zurück. Eine Erweiterung nischen) Reichshälfte ausdehnen konnte, der Aufgaben ergab sich durch die Über- wurde sie danach in ihren Forschungen auf nahme des Erdbebendienstes von der Aka- das wesentlich kleinere Gebiet der neuen demie der Wissenschaften im Jahr 1904. Republik beschränkt. Während kriegsbe- Erster Leiter wurde der später international dingt 1914–1918 bereits eine Reihe von anerkannte Seismologe Victor Conrad Wetterstationen ihren Betrieb einstellten, (1876–1962). Dies zog die Umbenennung so bedeutete die Aufteilung der öster- in den noch heute gebräuchlichen Namen reichisch-ungarischen Monarchie für die „Zentralanstalt für Meteorologie und Geo- ZAMG den Verlust weiterer 189 Stationen dynamik“ nach sich. an die Nachfolgestaaten. Auch in personel- ler Hinsicht waren starke Einschnitte hinzu- Während etwa die ZAMG bis 1918 ihr nehmen. Der ehemalige Leiter des seismi- meteorologisches Beobachtungsnetz über schen Dienstes Rudolf Schneider, Conrads das Gebiet der österreichischen (zisleitha- Nachfolger, wurde aufgrund seiner Natio- nalität 1918 des Dienstes enthoben und übernahm 1919 die Leitung der neubegründeten Tschechoslowaki- schen Meteorologischen Anstalt. Direktor Felix Maria Exner (1876– 1930, Direktor 1916–1930) be- mühte sich, den im Wetterdienst beschäftigten Wenzel Janda im Dienst zu halten, was aber seitens des Staatsamtes für Unterricht aufgrund seiner tschechischen Nationalität abgelehnt wurde. Ebenso galt es nun, eine Güter- trennung unter den Nachfolge- staaten vorzunehmen.

Erstes Jahrbuch der ZAMG, 1854 (ZAMG)

17 Von Heinrich Ferstel errichtetes und 1872 bezogenes Gebäude der ZAMG auf der Hohen Warte in Wien (ZAMG)

Dies betraf insbesondere Archivmaterial Im Gegensatz zur Gepflogenheit anderer und Messgeräte. Länder wurde in Österreich der Flugwetter- Die Jahre der Zwischenkriegszeit brach- dienst nicht in den bestehenden staatlichen ten trotz der wirtschaftlichen Not eine ge- Wetterdienst der ZAMG eingegliedert, wisse Stabilisierung und teilweise sogar sondern als eigenständige Einrichtung dem Ausbau der wissenschaftlichen Arbeit und Bundesministerium für Handel und Verkehr den Ankauf modernerer Arbeitsgeräte an unterstellt. der ZAMG mit sich. Ein Höhepunkt jener Zeit war außerdem eine beachtenswer- te internationale Tagung, die im Jahr 1922 auf dem Sonnblick-Observatorium abge- halten wurde. Die Wetterprognosen der ZAMG erlangten eine stärkere Bedeutung durch den in den 1920ern stark anwach- senden Tourismus, der für die junge Repu- blik große wirtschaftliche Bedeutung hatte. Zunehmend waren Wetterprognosen auch für den wachsenden Flugverkehr gefragt.

18 1851,1854,1865, 1866,1873, 1918,1919,1922 „HERMANN GOERINGS GRIFF NACH ROHSTOFFEN UND NS-KOLLABORATION IN ÖSTERREICH“ „I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“

Diese beiden Aufgaben für die Zukunft hielt Ziele sollte die geologische Forschung Adolf Hitler im August 1936 in einer gehei- vereinnahmt und instrumentalisiert werden. men Denkschrift zum Vierjahresplan fest, der Göring, der durch die Verquickung seiner 1933 und 1936 propagandistisch intendiert militärischen, außenpolitischen und wirt- vom NS-Regime ausgerufen wurde. Im schaftspolitischen Zuständigkeiten eine ein- Deutschen Reich sollten wirtschaftspolitische zigartige Stellung im NS-Staat einnahm, Maßnahmen getroffen werden, die eine machte Wilhelm Keppler zu seinem Berater vorübergehende Entlastung bringen, aber in für die Erforschung des deutschen Bodens. der Zukunft eine endgültige Lösung ermög- lichen würden. Die „endgültige Lösung“ sah Mit Blick auf die österreichischen Rohstoffe Hitler in einer gewaltsamen Erweiterung des bestimmte der Vierjahresplan ab Frühsom- deutschen Lebens- und Wirtschaftsraumes. mer 1936 auch zunehmend die deutsche Einer der Kernpunkte des Vierjahresplanes Außenpolitik. In einer Sitzung des Arbeits- war daher die Erweiterung der Rohstoff- kreises der eisenschaffenden Industrie im basis. Hitler bestellte Hermann Göring zur März 1937 erklärte Göring, dass sich die obersten koordinierenden Instanz in allen Versorgungssituation eines von der Welt Rohstoff- und Devisenfragen. Nach der abgeschlossenen Deutschlands durch Ös- Einrichtung einer eigenen Behörde wurde terreich erheblich verbessern ließe. Speku- Göring im Oktober 1936 offiziell mit der liert wurde mit den Lagerstätten für Eisen, Durchführung des Vierjahresplanes betraut. Magnesit, Antimon und Erdöl. Göring gilt Zum Erreichen der kriegswirtschaftlichen als einer der wesentlichen Initiatoren des

19 Unmittelbar nach dem „Anschluss“ trat Göring eine Reise zu Erzlagerstätten in Kärnten und Steiermark an (MuseumsCenter Leoben/Stadtarchiv)

20 21 „Anschlusses“. Nach dem gescheiterten Kenntnisstand Geologen der Bundesanstalt Putschversuch 1934 sollte die nationalso- nicht in illegale Aktivitäten für die ab 1933 zialistische Machtübernahme in Österreich in Österreich verbotene NSDAP involviert. auf evolutionärem Weg, also durch die Un- Ein wesentlicher österreichischer Beitrag für terwanderung Österreichs erfolgen. Dazu den Vierjahresplan des NS-Regimes wurde wurde neben staatlichen und privaten Insti- in Leoben geleistet. tutionen die österreichische Wirtschaft infilt- riert und unterwandert. Mit Staatskapital zu- sätzlich aufgerüstete deutsche Unternehmen Illegale Lagerstättenforschungsstelle kauften finanzschwache österreichische Unternehmen oder stiegen in Beteiligungen in Leoben ein, um dann die Aktienmajoritäten zu erlan- Die Montanistische Hochschule Leoben und gen. Eine Schlüsselfigur war dabei Wilhelm die Technische Hochschule Graz waren Keppler. von 1935 bis 1937 zusammengelegt, was

„Karte der wichtigsten Erzlagerstätten Deutschösterreichs“ der Lagerstättenforschungsstelle Leoben, 12. März 1938 (GBA)

Der Griff nach den österreichischen Rohstof- eine letztlich wenig wirksame Kontrollmaß- fen wurde jedoch auch von österreichischer nahme zur Überwachung der nationalso- Seite unterstützt. So stand der österreichi- zialistischen Umtriebe in diesen Institutionen sche Geologe Artur Winkler-Hermaden sein sollte. Im Juli 1937 sprach Wilhelm Pe- (1890–1963) in deutschen Diensten. Er trascheck (1876–1967), Leobener Professor wurde wegen der Beteiligung am national- für Geologie, Paläontologie und Lagerstät- sozialistischen Putschversuch 1934 von der tenlehre, in Berlin bei Keppler vor und be- Bundesanstalt entlassen. Durch den Salz- richtete über österreichische Lagerstätten. burger Nationalsozialisten Erich Saffert Auf Antrag seines ebenso an der Hoch- (1896–1976) wurde bei einem Vortrag für schule tätigen Sohnes Walter Walther Emil Keppler über verschiedene Erzvorkommen Petrascheck (1906–1991), einem illegalen im Land Salzburg Wissen in das nationalso- Nationalsozialisten und späteren Preisträ- zialistische Deutschland transferiert. Außer ger der Haidinger-Medaille der GBA, stell- Winkler-Hermaden waren nach bisherigem te die Deutsche Forschungsgemeinschaft im

22 Winter 1937/38 Mittel für die Lagerstätten- sammeln und karteimäßig zu ordnen. Laut forschung bereit. Dadieu wären die Vorbereitungsarbeiten so rasch durchgeführt worden, dass 1937 Dem Historiker Peter Danner zufolge, be- noch vor dem „Anschluss“ mit praktischen gannen in Graz und Leoben schon 1936 Schurfarbeiten begonnen werden konnte. einige Professoren, Assistenten und Absol- venten mit geheimen Vorarbeiten für eine Die Forschungsstelle war in eine Abteilung systematische Erforschung der österreichi- „Lagerstättenforschung“ und in eine Ab- schen Lagerstätten im Hinblick auf die Be- teilung „Aufbereitung und Verhüttung, ana- dürfnisse des deutschen Vierjahresplanes. lytische Arbeiten“ untergliedert. Sie hatte Armin Dadieu (1901–1978) war persönlich 1938 einen Personalstand von neun haupt- von Hermann Göring beauftragt worden, amtlichen, sieben ehrenamtlichen und acht eine vom Deutschen Reich finanzierte For- auswärtigen Mitarbeitern. Bei 20 der 24 schungsstelle im Rahmen des Vierjahrespla- Männer ist eine NS-Angehörigkeit bekannt nes in Österreich zu schaffen. Dezidiertes (83%). Die Mehrzahl gehörte schon vor Ziel dieser Forschungsstelle war eine sys- 1938 der NSDAP oder einer ihrer Glie- tematische rohstoffwirtschaftliche Bestands- derungen an. Mit dem „Anschluss“ am 12. aufnahme der Erzreserven in Österreich. März 1938 legte die Forschungsstelle den Stand ihrer bisherigen Arbeit in der „Karte Mit den der Hochschule zur Verfügung der wichtigsten Erzlagerstätten Deutschös- stehenden umfangreichen Aufzeichnungen terreichs“ vor. Nach der Gleichschaltung und Karteien sowie den persönlichen Ver- der GBA in der NS-Zeit wurde die For- bindungen zum Bergbau konnten in knapp schungsstelle Leoben in die Wiener Anstalt einem halben Jahr die nötigen Vorarbeiten eingegliedert. geleistet werden. Diese bestanden daraus, das vorhandene Material und die Litera- tur, ergänzt durch persönliche Berichte zu

Armin Dadieu Geboren 1901 in Marburg/Maribor, 1932–1940 Ao. Prof. für anorganische und physikalische Chemie an der Technischen Hochschule Graz, 1940–1945 o. Prof. für theoretische und physikalische Chemie an der Universität Graz, 1932 Mitglied der NSDAP, 1936 Mitglied der SS, Sprengstoffherstellung am Universitätsinstitut für die illegale NSDAP, 1937–1938 Leiter des Volkspolitischen Referats der Vaterländischen Front in der Steiermark, 1938–1940 Landesstatthalter von Steiermark, 1940–1945 Gauhauptmann von Steiermark, 1938–1941 Gauwirtschaftsberater der NSDAP, 8. Mai 1945 Übergabe der Regierungsgeschäfte, 1946 als Kriegsverbrecher gesucht, 1948 Flucht nach Südamerika, danach Professor für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart, verstorben 1978 in Graz.

23 EINGEGLIEDERT FÜR DIE 1937,1938,1939, KRIEGSWIRTSCHAFT 1942, 1943,1944 - Die GBA im Nationalsozialismus

Bereits wenige Tage nach dem „Anschluss“ „Die Wiener Anstalt, das älteste geologi- am 12. März 1938 kam es zwischen dem sche Staatsinstitut auf dem Kontinent, sollte noch amtierenden österreichischen Wirt- entgegen aller Wirklichkeit als belang- schaftsminister Hans Fischböck und dem los gegenüber dem viel jüngeren und an Wirtschaftsbeauftragten Hitlers Wilhelm wissenschaftlicher Bedeutung bei Weitem Keppler zu einer Grundsatzbesprechung nicht gleichwertigen Berliner Institut zu- über die neuen Aufgaben der Geologi- rückgedrängt werden.“ schen Bundesanstalt. Sie sollte die zentrale Stelle der ostmärkischen „Bodenforschung“ Am 20. Mai 1938 trat mit der Bergrechts- werden. Direktor Gustav Götzinger wurde verordnung für das Land Österreich das zum Rücktritt gezwungen und zum Chef- deutsche Lagerstättengesetz in Kraft, wo- geologen degradiert. Die kommissarische durch das Schurfwesen in Österreich eine Leitung der Anstalt übernahm Heinrich Ausdehnung erfuhr und die geowissen- Beck. Mit dem Eintreffen der Beauftragten schaftlichen Untersuchungsarbeiten bei der der Berliner Reichsstelle für Bodenforschung Wiener Landesanstalt konzentriert wurden. Bernhard Brockamp (1902–1968) und Das NS-Regime stellte die geologischen Erich Haberfelner (1902–1962) sowie dem Geländearbeiten in Hinblick auf den Vier- Erdölexperten Erwin Veith (1909–?) wurde jahresplan in den Dienst der Erforschung die massive Umorganisation der Anstalt fort- nutzbarer Lagerstätten und der großen Bau- gesetzt. Sie verlor den autonomen Anstalts- vorhaben. Die bisherige Gliederung nach status und wurde erst zur Geologischen geologischen Einheiten und Kartenblättern Landesstelle Wien, dann zur Zweigstelle der ehemaligen Geologischen Bundes- Wien der Reichsstelle für Bodenforschung anstalt wurde aufgelöst und nach Boden- unbenannt. Die Zentrale der Reichsstelle für schätzen und der Steinbruchkartei neu Bodenforschung in Berlin hatte die Aufsicht gegliedert. Der Druck der geologischen und Kontrolle über die Zweigstelle Wien Kartenwerke musste eingestellt werden und einen bestimmenden Einfluss. Die De- und die Rohstoffsuche wurde im Sinne der gradierung der Geologischen Bundesan- kriegswirtschaftlichen Aufrüstung zum priori- stalt kommentierte der spätere Leiter Hein- tären Aufgabenbereich gemacht. rich Beck folgendermaßen: Die rasch anlaufenden Prospektions- und Schurfarbeiten waren mehrschichtig organi- siert. Neben der Tätigkeit der Lagerstätten- abteilung in Wien und der Zweigstelle Leo- ben erfolgte die Forschungstätigkeit durch

24 1937,1938,1939, 1942, 1943,1944

Steinsammlung mit einer Karte der Steinbrüche im Hintergrund (GBA)

neu eingerichtete Bergbauunternehmungen Ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld der (z.B. Hermann-Göring-Werke), durch zahl- Landesanstalt bzw. der Zweigstelle Wien reiche neu gegründete Schurfgesellschaften war die systematische Erfassung der Na- und durch die gesteuerte Schurftätigkeit von tursteinvorkommen in Österreich und die Privatpersonen. Insgesamt wurden von der Beratung der verschiedenen Steinverbrau- Reichsstelle für Bodenforschung zwischen cher. Angeblich wurde mit den Arbeiten zur 1939 und 1943 in Österreich, im Gebiet Steinbruchkartei schon vor dem „Anschluss“ des heutigen Slowenien und der Slowakei begonnen. Bis Ende 1938 waren 514, bis 132 Lagerstätten montangeologisch unter- Ende 1939 über 1750 Steinbrüche erfasst. sucht und teilweise bergbautechnisch be- Das in der Zweigstelle Wien untergebrach- treut. Die Schurfprogramme wurden ab te, aber der Reichsstelle Berlin unterstellte 1944 kriegsbedingt stark reduziert. Institut für Erdölgeologie leistete mit der 25 Förderung der Ölproduktion einen wesent- lichen kriegswichtigen Beitrag. Die Jahres- erdölproduktion lag 1938 bei 32.000 Ton- nen und konnte 1943 auf 1,1 Mio. Tonnen gehoben werden. Mit dieser 34-fachen Produktionssteigerung stieg Österreich zum drittgrößten Erdölproduzenten Europas auf.

Stellt man die Mitarbeiter/innen des Jahres 1937 jenen von 1939 gegenüber, ist in Hin- blick auf die Personalentwicklung im Zuge Ölförderung in Zistersdorf, Oktober 1939 des „Anschlusses“ die Entlassung von 5 von (Österreichische Nationalbibliotek) 18 Personen feststellbar. Von den vor März 1938 beschäftigten Geologen wurde aber niemand aus politischen Gründen ent- lassen oder in den Ruhestand versetzt. 29 neue Bedienstete wurden eingestellt, drei davon allerdings nur vorübergehend. Die Landesanstalt bzw. die Zweigstelle Wien erfuhr in den Jahren des NS-Regimes eine Aufstockung des Personals auf etwa das Doppelte gegenüber den Vorjahren. Seit Kriegsbeginn unterlag der Personalstand der Zweigstelle Wien starken Fluktuationen. Mit Franz Lotze (1903–1971) bekam die Zweigstelle Wien der Reichsstelle für Bo- denforschung im März 1941 einen neuen Leiter. Dieser rief wegen seiner fehlenden Österreich-Erfahrung und seinem geringen Alter von 36 Jahren bei vielen im Haus Ab- lehnung hervor.

Zwischen den Beschäftigten entstan- den in der Arbeitspraxis zahlreiche Reibungsflächen. Einzelne Geologen waren nicht kooperativ und mussten ermahnt werden und es kam zu Mei- nungsverschiedenheiten zwischen dem österreichischen Stammpersonal und zugeteilten „Altreichsdeutschen“, die Fragebogen für die Steinbruchkartei (GBA) zum Teil außerhalb der Hierarchie stan- den und ihre Direktiven direkt aus Berlin

26 erhielten. Die Forschungsstel- le Leoben – Arbeitsgruppe „Dadieu“ stand in Konflikt mit der Wiener und der Berli- ner Stelle. Erstgenannte sah sich wegen ihrer illegalen Tätigkeit als primäre Koor- dinationsstelle der Lager- stättenforschung und Mei- nungsverschiedenheiten in der Bewertung einzelner Lagerstätten führten zu Konflikten bei der Mittel- zuteilung.

Ab 1942 wurden die Mitarbeiter zunehmend zum Wehrdienst ein- gezogen, sodass die Aufgaben der Zentral- stelle nur mehr einge- schränkt wahrgenom- men werden konnten. Direktor Lotze wurde ab 1943 von Hans Peter Cornelius (1888–1950) ver- treten, der 1944 wiederum diese Funktion Josef Schadler (1899-1978) übergeben musste. Das Palais Rasumofsky, Arbeitsbericht der Sitz der Zweigstelle Wien, wurde mehr- von Hans Peter Cornelius, 1939 (GBA) mals durch Bombentreffer schwer beschä- digt und in Folge wurde versucht, das wert- volle Material teilweise auszulagern. Die Versuch der Übersiedlung von Wien nach kurz vor der Befreiung vom Nationalsozia- Oberösterreich durch den kurzzeitig an die lismus angeordnete Vernichtung der wert- Zweigstelle zurückgekehrten Franz Lotze vollen Archiv-, Karten- und Aktenmaterialien scheiterte. Mit dem Zusammenbruch des konnte vor allem durch die Mitarbeiterinnen Nationalsozialismus fand die aus Berlin ge- Hedwig Horvath (1922–2009) und Maria steuerte Bodenforschung in Österreich ein Rösler (1908–?) verhindert werden. Der Ende. 27 HANDLUNGSSPIELRÄUME 1937, 1938, IM NS-REGIME - Heinrich Beck und Franz Lotze an 1941, 1945 der Spitze der Zweigstelle Wien

Heinrich Beck , Franz Lotze, Chefgeologe und Kommissarischer Leiter der Direktor der Zweigstelle Wien 1941-45 (GBA) Zweigstelle Wien 1938-41 (GBA)

Die Vorgänge in der Geologischen Bundes- schluss“ des Amtes enthoben. Er verblieb anstalt antizipierten die Umbrüche des Jah- an der Anstalt, aber kommissarischer Leiter res 1938. Direktor Otto Ampferer (1875– wurde vorerst der dienstälteste Geologe 1947, Direktor 1935–1937), der dem Heinrich Beck (1880–1979, Kommissari- Dollfuß/Schuschnigg-Regime nahestand, scher Leiter 1938–1941). Auf Wunsch des trat aus bis heute nicht eindeutig geklärten Staatssekretärs Wilhelm Keppler, Industriel- Gründen Ende des Jahres 1937 zurück. ler und enger Vertrauter Hermann Görings Ihm folgte Gustav Götzinger (1880–1969, bei der Umsetzung des Vierjahresplans, Direktor 1937–1938 und 1945–1949) als war der reichsdeutsche Geologe Franz Direktor bis zum „Anschluss“ im März 1938. Lotze (1903–1971, Direktor 1941–1945), Aufgrund seiner ebenfalls vorhandenen Professor an der Universität Göttingen, als Nähe zum österreichischen Regime, wur- Direktor der nunmehrigen Zweigstelle Wien de Götzinger unmittelbar nach dem „An- vorgesehen. Vorläufig hatte er Verpflichtun-

28 1937, 1938, 1941, 1945

gen bei einer deutsch-spanischen Bergbau- en Umstände zu fügen und reichte umge- gesellschaft nachzukommen und löste Beck hend sein Rücktrittsgesuch ein. erst 1941 als Leiter ab. Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee in Lotze war aufgrund seiner mangelnden Wien Mitte April 1945 ereigneten sich dra- fachlichen Profilierung, seiner Unkenntnis matische Szenen in der Zweigstelle Wien. der österreichischen Gegebenheiten und Lotze, sichtlich besorgt, sich selbst wie auch fachlichen Tradition und nicht zuletzt auf- seinen Status als Leiter der Anstalt zu retten, grund seines geringen Alters (immer wie- verließ Wien gemeinsam mit einigen ande- der wurde erwähnt, dass er mit 36 Jahren ren reichsdeutschen Angestellten in Richtung der jüngste Geologe der Anstalt war) als Kremsmünster in Oberösterreich. Die An- Leiter der nunmehrigen Zweigstelle Wien staltskasse und wertvolles Kartenmaterial unbeliebt. Beck kommentierte nach 1945, nahm er mit. Die in Wien zurückbleibenden dass Lotze „Österreich nie gesehen hatte“ Beschäftigten wies er an, Akten- und Karten- und bezeichnete ihn als einen „auf österrei- material im Hof der Anstalt zu verbrennen, chische Belange nicht bedachten fremden was jedoch insbesondere aufgrund des Herrn“. Beck weigerte sich, sich in die neu-

Beitragszahlungen Becks an die NSDAP. In der NS-Zeit war er nur Parteianwärter, sein Aufnahmegesuch wurde abgelehnt (Wiener Stadt- und Landesarchiv)

29 Bemühens der Mitarbeiterin Maria Rösler tionalsozialismus wegen Hochverrats an- verhindert werden konnte. In Kremsmünster geklagte Direktionssekretärin Margarete trachtete Lotze danach, eine eigene „Geo- Girardi (1888–1964) an der Anstalt ver- logische Anstalt für Österreich“ aufzubauen. bleiben konnten. Ebenso bestand er bis ins Es gelang ihm sogar, wahrscheinlich unter Jahr 1939 auf die Veröffentlichung von Bei- Ausnutzung der unklaren politischen Lage trägen eines Geologen jüdischer Abstam- nach 1945, außerhalb der sowjetischen mung, Georg Rosenberg (1897–1969), im Besatzungszone Landeszweigstellen seiner Jahrbuch der nunmehrigen Zweigstelle Wien. neuen Anstalt zu errichten. Seitens der Bundesanstalt wurde nach Beck war bereits im Jahr 1932 der NSDAP 1945 ein Antrag auf Wiedereinstellung von beigetreten, hatte allerdings in der vier Jahre Heinrich Beck gestellt, der jedoch seitens währenden „Verbotszeit“ der Partei, die auf des zuständigen Ministeriums abgelehnt die Ermordung Kanzler Dollfuß‘ im Juli 1934 wurde „im Hinblicke auf dessen Eigenschaft folgte, keine Beitragszahlungen geleistet. als Anwärter der NSDAP und auf sein vor- Als Beck gemeinsam mit seiner Frau Berta gerücktes Lebensalter“ (Beck befand sich in nach dem „Anschluss“ erneut um Aufnahme seinem 66. Lebensjahr). in die Partei ansuchte, wurde ihm dies als Verfehlung vorgehalten. Becks Aufnahme- gesuch wurde schließlich mit dem Hinweis auf seine Unterbrechung der Beitragszah- lungen und damit, dass er auch sonst „keine besonderen Leistungen in der Verbotszeit“ aufzuweisen habe, abgewiesen.

Beck: NSDAP-Parteianwärter und sein Handlungsspielraum

Nach 1945 wurde Beck vorläufig als re- gistrierungspflichtiger ehemaliger National- sozialist geführt. In der Tat dürfte er jedoch seinen Status als kommissarischer Leiter der Zweigstelle Wien und als NSDAP-Partein- anwärter dazu benutzt haben, so manche Mitarbeiter vor politischer Verfolgung zu schützen. So konnte er erreichen, dass der im Zuge des „Anschluss“ abgesetzte Di- Direktionssekretärin Margarete Girardi (Österreichische Nationalbibliothek) rektor Götzinger, ebenso wie die im Na-

30 1941, 1945 GEOLOGISCHE ARBEIT STATT „SCHUTTSCHAUFELN“ NACH 1945 - NS-Angehörige in der GBA

Eine in den Kriegsjahren zentrale Persönlich- keit hinsichtlich regimetreuer Ausrichtung der geologischen Arbeit war Erich Haberfelner (1902–1962). Er wurde dem kommissari- schen Leiter Heinrich Beck als Vertreter des Berliner Reichsamtes für Bodenforschung zur Seite gestellt. Zugleich übernahm er die Leitung der Lagerstättenabteilung der Zweigstelle Wien.

Hans Peter Cornelius (1888–1950) war innerhalb der GBA als überzeugter Natio- Chefgeologe nalsozialist bekannt. Er trat der Partei bereits Artur Winkler-Hermaden im Mai 1933 bei. Wochen vor dem „An- (Archiv der TU Graz) schluss“ warb er bei Kollegen für die Or- Die größeren politischen Ereignisse der Zwi- ganisation einer „nationalen Gruppe“ in schenkriegszeit übten schon sehr früh einen der Bundesanstalt. Berichten zufolge war unmittelbaren Einfluss auf die GBA aus. Auf- es auch Cornelius, der den zur Zeit des grund seiner Beteiligung am Juliputsch 1934 „Anschluss“ amtierenden Direktor Gustav wurde der nationalsozialistisch gesinnte Götzinger im Auftrag der Partei zum Rück- Chefgeologe Artur Winkler-Hermaden tritt veranlasste, was allerdings gerichtlich (1890–1963) unter der Regierung Schusch- nach 1945 nicht bestätigt wurde. Seine nigg entlassen. Nach dem „Anschluss“ wur- Tätigkeiten führten nach 1945 zu seiner Re- de er umgehend wiedereingestellt bis er gistrierung als ehemaliger Nationalsozialist. 1941 an die Technische Hochschule in Prag Cornelius bemühte sich um die Streichung wechselte. von der Liste. So betonte er einerseits sei-

31 pflichtenden Arbeitseinsatz für ehemalige NS-Angehörige schrieb Cornelius: „Ich glaube daher, durch weitere Arbeit in mei- nem Fache dem Österreichischen Staate wesentlich wertvollere Dienste leisten zu können als durch Schuttschaufeln“. Daran anknüpfend betonte der Geologe seine fachlich-kulturellen Verdienste: „Wenn ich auch politische Verdienste um den Öster- reichischen Staat nicht aufweisen kann, so doch solche kultureller Art, durch eben meine fachliche Arbeit.“ Denn: „In einem Staate, der auf seine kulturelle Sendung und Tradition – mit Recht – besonderes Gewicht legt, sollte dieser Gesichtspunkt wohl eine Rolle spielen.“

Registrierungsakt von Cornelius als ehemaliger Nationalsozialist In einem weiteren Punkt kommentiert Corne- (Wiener Stadt- und Landesarchiv) lius seine Zeit als Nationalsozialist: „Meine ne herausragende fachliche Qualifikation: Zugehörigkeit zur NSDAP ist immer – auch „Bei aller gebotenen Bescheidenheit darf in der illegalen Zeit! – eine papierene ich mich als international anerkannten Fach- Angelegenheit geblieben“. Cornelius be- mann auf meinem speziellen Fachgebiet, gründet dies einerseits mit seiner angeblich der Geologie der Alpen, bezeichnen.“ unpolitischen „Natur und Veranlagung“. Au- Ganz besonders hebt er in diesem Sinne ßerdem habe er bereits „seit vielen Jahren die von ihm erstellte geologische Karte des […] nicht einmal mehr das Parteiabzeichen Glocknergebietes als internationale „Spit- getragen, nachdem ich eingesehen, dass zenleistung auf dem Gebiete der geologi- ich mich bezüglich der von der NSDAP schen Hochgebirgsdarstellung“ hervor. erhofften Vorteile für das allgemeine Wohl getäuscht hatte“. In Würdigung seiner Verdienste sei er als Ehrenmitglied in eine „Naturforschende In die erwähnte Enttäuschung Cornelius‘ Gesellschaft“ und als Korrespondierendes über die Politik des NS-Regimes spielten Mitglied in die Akademie der Wissenschaf- möglicherweise auch seine Ambitionen ten gewählt worden (beides allerdings in zum Direktor bzw. zum Leiter der Geologi- der NS-Zeit). In Anspielung auf den ver- schen Landesanstalt/Zweigstelle Wien des

32 Reichsamts für Bodenforschung mit hinein, die bekanntlich keinen Erfolg hatten.

Im Zuge einer Polizeierhebung wird Cor- nelius zwar als ehemaliger Angehöriger der NSDAP bezeichnet, der „sich jedoch politisch nicht hervorgetan und […] in mo- ralischer Hinsicht nicht nachteilig beleumun- det“ sei. Seine Beschäftigung an der GBA wurde nach 1945 allerdings nicht mehr auf- genommen.

Geologe Hans Peter Cornelius (GBA)

33 VICTOR CONRAD - Ein beachtenswertes Forscherleben zwischen Diskriminierung, Vertreibung und Großmut zel, Habe und Vermögen“. Die geplante Er- nennung zum Ordinarius mit 1.1.1919 wurde nicht durchgeführt, Conrad wurde wieder als Beamter in der Funktion des Leiters des Erdbebendienstes eingesetzt. Dass ihm die Funktion eines Beamten und nicht die eines Victor Conrad (ZAMG) Hochschulprofessors zugewiesen wurde, empfand Conrad stets als Demütigung. Victor Conrad wurde am 25. August 1876 1926 verlieh ihm Bundespräsident Michael in Wien in eine großbürgerliche jüdische Hainisch den Titel eines ordentlichen Uni- Familie geboren. Conrad studierte Physik versitätsprofessors. an der Universität Wien und verfasste seine Dissertation am physikalisch-chemischen In- Beharrlich versuchte Conrad auch in der stitut unter dem Physiker Franz-Serafin Exner. Republik Österreich an der Universität Fuß Nach seiner Promotion 1900 wurde er ab zu fassen – 1919 wurde seine venia legen- 1901 an der ZAMG als Universitätsassistent di erneuert. Zu einer antisemitischen Diskri- angestellt. minierung kam es 1923, als er sich für die 1904 wurde der Erdbebendienst an der vakante Lehrkanzel für Meteorologie und ZAMG eingerichtet, Victor Conrad zu des- Geophysik an der Universität Graz nach sen ersten Leiter ernannt. 1906 erhielt Con- Heinrich Ficker bewarb. Die Kommission rad die venia legendi für Meteorologie an zur Wiederbesetzung der Lehrkanzel be- der Universität Wien. gründete die Nichtberücksichtigung von 1910 wurde Conrad zum Ao.Univ.Prof. Conrad im Besetzungsvorschlag folgend: der Kosmischen Physik an der Franz-Jo- sephs-Universität in Czernowitz (heute „Prof. Conrad ist Jude und seine Ernennung ) ernannt. Von 1911 bis 1914 orga- würde schweren Widerstande seitens der nisierte Conrad das neue Institut für Kosmi- Grazer Studentenschaft begegnen […] sieht sche Physik und das Observatorium. die Kommission von einer Nominierung Dr. Conrads ab und beschränkt ihren Vorschlag Nach dem Zusammenbruch der österrei- auf die übrigen drei angeführten Gelehr- chisch-ungarischen Monarchie Ende 1918 ten.“ mussten die meisten der deutschen Profes- soren Czernowitz Ende Juli 1919 verlassen, In der Publikation „Laufzeitkurven des Tau- so auch Conrad, unter „Verlust der Lehrkan- ernbebens vom 28. November 1923“

34 Personal der ZAMG um 1910 auf der Hohen Warte 38: 1. Wilhelm Trabert, Direktor der ZAMG; 2. Victor Conrad; 3. Rudolf Schneider, Conrads Nachfolger (ZAMG) 35 (1925) beschrieb Conrad die Beobachtung von P-Wel- len, die ihm schließlich zu dem Schluss eines 2-Schich- ten Aufbaus der Erdkruste führten. Die Grenzfläche die- ser Schichten wurde später als „Conrad Diskontinuität“ bekannt. Als 1926 Conrad der Herausgeber von „Gerlands Bei- trägen zur Geophysik“ – eine der ältesten Zeitschriften auf diesem Gebiet (1887) – wurde, avancierte die Zeit- schrift zum wichtigsten internationalen Publikationsorgan für geophysikalische Forschungen.

Als wahrscheinliche Folge des Bürgerkriegs im Februar 1934 wurde Conrad am 30. April 1934 an der ZAMG „mit Wartegebühr“ suspendiert, 1936 in den Ruhestand Schreiben der Kommission zur Besetzung der versetzt. Lehrkanzel für Meteorologie und Geophysik der Universität Graz unterschrieben von: /Physiker, Heinrich Ficker/ Meteorologe, Robert Sieger/Geograph (Universitätsarchiv Graz) „Anschluss“ und Emigration im Mai 1939 Conrad hielt seine letzte Vorlesung an der Universität Wien im WS 1937/38 über „Niederschlag und Son- nenschein auf der Erde“. Nachdem die Nazis an die Macht kamen, hielt der be- deutende deutsche Seismologe Beno Gutenberg – seit 1930 Professor für Geophysik am California Institute of Technology in Pasadena – seine Kontakte in Deutsch- land aufrecht. Er half vielen jüdischen Wissenschaftler/ inne/n aus Deutschland und Österreich, in die USA zu emigrieren, so auch Victor Conrad; Gutenbergs Bürg- schaft („affidavit“) für Conrad war für seine Emigration und somit für das Überleben essentiell. Mit Hilfe der Society for the Protection of Science and Learning (London) und dem Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars (New York) gelang nach umfangreichem Schriftverkehr 1939 die Flucht in die USA. Zahlreiche Wissenschaftler setzten sich für Conrad ein, darunter Ronald P. Bell (1907–1996), einer der führenden britischen Vertreter der Physikalischen Chemie an der Universität Oxford, England.

Die erste Zeit in den USA gestaltete sich fern der Heimat schwierig, wie ein Brief von Conrads Frau Ida an Ver- wandte im Februar 1946 zeigt:

36 „Victor hat ein von Jahr zu Jahr verlänger- Victor Con- tes Fellowship, da man nach 60, sicher rad verstarb aber nach 65 nicht mehr fix angestellt wird. 1962 im 86. Lebens- Solange er arbeiten kann, kriegt er dieses jahr in Cambridge, Mas- recht kärgliche Geld, was dann, wissen die sachusetts. Seine Frau Ida Götter. Wir leben sehr einfach, sparsam (1880–1969) ordnete und zurückgezogen. Victor hat sehr viel Ar- wohlüberlegt in ihrem beit und sucht sich immer noch mehr. Er hat Testament ein Legat an zwar zwei englisch geschriebene Bücher die ZAMG an, mit dem auf dem Gewissen, von denen beide schon Wunsch, „dass aus dem eine zweite Auflage haben.“ Nachlass ein Bauwerk Von 1939 bis 1940 arbeitete Conrad er- errichtet wird, das der folgreich an der Pennsylvania State Univer- geophysikalischen sity, Department of Meteorology, von 1940 oder meteorologi- bis 1942 an der , am schen Forschung dient California Institute of Technology, an der und den Namen Vic- und schließlich von tor Conrad trägt.“ Der 1944 bis 1951 an der in finanzielle Grundstein Cambridge, Massachusetts. zur Errichtung eines Observato- Conrads wissenschaftliches Lebenswerk riums war mit dieser großmütigen Zuwen- umfasst mehr als 240 Aufsätze über die dung gelegt. Meteorologie, Klimatologie und Seismo- 1975 erhielt Peter Melichar, ZAMG, den logie. Auftrag zur Errichtung des Conrad Obser- vatoriums. 2002 wurde die erste Baustufe, Ein Legat für die Wissenschaft: Conrad Ob- das seismisch-gravimetrische Observato- servatorium der ZAMG – geophysikalische rium/SGO, 2014 die zweite Baustufe, das geomagnetische Observatorium/GMO Spitzenforschung auf internationalem am Trafelberg in NÖ eröffnet. Das Ob- Niveau servatorium dient der kontinuierlichen seis- Conrad dachte wiederholt über eine Rück- mischen, gravimetrischen und geomagne- kehr nach Wien nach, letztendlich scheiterte tischen Beobachtung und ist heute ein Ort diese aus mehreren Gründen, wie einer un- der geophysikalischen Spitzenforschung auf sicheren finanziellen Lage, dem fortgeschrit- internationalem Niveau. tenen Alter und sicher auch daran, dass er http://conrad-observatory.at sich in Österreich nicht willkommen fühlte.

Conrad Observatorium: Geomagnetisches Observatorium am Trafelberg in Niederösterreich (ZAMG)

37 DEGRADIERT UND 1938, 1939, INSTRUMENTALISIERT 1940, 1941,1945 - Die ZAMG im Nationalsozialismus

Die in Österreich einmarschierenden deut- Gegner definierte Menschen um ihr Leben schen Truppen brachten zum „Anschluss“ fürchten. einen Kaltlufteinbruch nach Ostösterreich mit. In Wien betrug die Temperatur am Wie nahezu alle Bereiche des öffentlichen Nachmittag des 12. März 1938 zwei Grad Lebens hatte die Eingliederung Österreichs Celsius und im Gebiet des Erzberges hatte in das Deutsche Reich auch für die ZAMG es bis Mittag geschneit. Der bewölkte Him- und ihre Mitarbeiter/innen tiefgreifende mel sollte wenige Tage später wieder auf- Folgen. Auf Aufforderung des Oberkom- klaren, doch das politische Klima hatte sich mandos der Wehrmacht wurde die ZAMG durch die Umwälzungen des „Anschlusses“ und alle Außenstellen dem Reichswetter- schlagartig verändert. Während ein großer dienst im Luftfahrtministerium unterstellt. In Teil der österreichischen Bevölkerung trotz Folge wurde der Wetter- und Klimadienst der Kälte den „Anschluss“ frenetisch beju- von der ZAMG abgetrennt und in das belte, mussten vom Nationalsozialismus als Reichsamt für Wetterdienst des Luftfahrt-

38 1938, 1939, 1940, 1941,1945

ministeriums eingegliedert. Im Jänner 1939 Dienst. Die Beteiligung am internationalen zog der Wetterdienst von der Hohen War- aerologischen Programm kam zum Still- te auf den Flughafen Aspern. Er sollte nicht stand. mehr für das gesamte Gebiet der „Ost- mark“ zuständig sein, sondern nur mehr für Der ZAMG wurde das gesamte seit der den Alpenostrand. Die Anzahl der Klima- Gründung gesammelte Material entzogen. stationen, die nun dem Reichswetterdienst Es wurde mitsamt allen Arbeitsbehelfen und unterstanden und von der Leitwetterwarte dem Archiv des meteorologischen Beob- in Wien-Aspern betreut wurden, nahm seit achtungs- und Registriermaterials im Februar dem Jahre 1938 um mehr als ein Drittel ab 1939 nach Berlin-Tempelhof übersiedelt. (1938: 240, 1941: 147). Bei der degradier- Die große Fachbibliothek blieb der ZAMG ten ZAMG verblieben das Observatorium, erhalten. Sieben Mitarbeiter wurden vom der erdmagnetische und der seismische Reichswetterdienst übernommen, sechs wei-

Wolkenhimmel beim „Anschluss“: Landung deutscher Flugzeuge in Wien, 13. März 1938 (Österreichische Nationalbibliothek)

39 tere Mitarbeiter wurden Kriegsbeginn vorerst neben Direktor Ficker zur Dienstverwendung nur Martin Kofler. Als wissenschaftlichen im Reichswetterdienst Mitarbeiter erhielt die ZAMG im Jahr 1940 versetzt. Leo Mei- Norbert Adler zugewiesen, der seinen Lehr- sels aus dem beruf nicht mehr ausüben durfte, da er mit Verwaltungs‐ einer Jüdin verheiratet war. Auf Weisung und Kanzlei- des Reichsministers für Finanzen konnte Ad- dienst sowie ler jedoch auch an der ZAMG nicht weiter Josef Strasser beschäftigt werden, doch Heinrich Ficker vom fachtech- setzte sich für ihn ein und brachte ihn als nischen Dienst Generalsekretär im Sonnblickverein unter. wurden aus dem Personalstand vo- Mit Kriegsbeginn unterstand der gesam- rübergehend aus- te Wetterdienst der nunmehrigen Ostmark geschieden. Ne- dem Luftgaukommando XVII in Wien. Für ben Direktor Ficker den Chefmeteorologen im Luftgaukomman- Schnellbrief des verblieben in der do Hermann Noth hatte der Wetterdienst Reichsministers der Luftfahrt ZAMG 17 Mitarbeiter/ die Aufgabe „zum Schutz der Heimat der und Oberbefehlshaber der innen, von denen 7 zum Wehrmacht zu dienen“ und der als Rasse- Luftwaffe betreffs Aufbau des Reichswetterdienstes im Lande wissenschaftlichen Perso- gemeinschaft verstandenen nationalsozia- Österreich, 31. Dezember nal zählten. listischen„Volksgemeinschaft zu Vorteilen zu 1938 (ZAMG) verhelfen“. Der Wetterdienst sollte nach Die ZAMG wurde in ein den Vorstellungen Noths neben militäri- Forschungsinstitut um- schen Aufgaben (z.B. zur Planung von gewandelt, aber keiner Truppenbewegungen) im Luftverkehr (z.B. Hochschule angegliedert. Über das später Unwetterwarndienst), der Wirtschaft nach eingerichtete Kuratorium der Wiener Hoch- den Vorgaben des Vierjahresplanes (z.B. schulen wurde die ZAMG unmittelbar dem Steigerung der Ernteerträge) und im Aus- Reichserziehungsministerium unterstellt. Der kunftsdienst (Ausflugs-, Flug-, Wintersport- Name blieb erhalten, dieser war aber – so wetter- und Straßenwetterdienst) seine Tä- Heinrich Ficker – „freilich nach Abgabe des tigkeit entfalten. Wetter- und Klimadienstes sinnlos gewor- den“. Wegen des Ausbruchs des Zweiten Der Personalstand der ZAMG stieg zu Be- Weltkriegs konnte aus den Resten der An- ginn des Krieges zwar kurzfristig von 15 auf stalt kein leistungsfähiges Forschungsinstitut 20 Mitarbeiter/innen an, es kam jedoch aufgebaut werden. Die ZAMG hatte für sukzessive zu Abgängen wegen des Kriegs- das NS-Regime vor allem Bedeutung als dienstes. Ein Zeitungsartikel im September Lehranstalt für die Ausbildung kriegswich- 1945 berichtete, dass das Personal der tiger Meteorologen in den sogenannten ZAMG in der NS-Zeit „illegal“ weiter ge- „Meteorologen-Anwärter-Zügen“. Vom arbeitet hätte und die täglichen Meldungen wissenschaftlichen Personal verblieb nach nicht amtlich, sondern in privaten Notizbü- 40 chern aufgezeichnet hätte. Auf diesem Weg seien die Lücken in den Tabellen aufgefüllt worden. Der Wetterdienst des Luftgaukom- mandos in Aspern konnte zu Kriegsende nur mehr durch den Einsatz von Wehrmachts- Vorlesungsplan für das Kurzstudium für helferinnen gewährleistet werden. Nach Wehrmachtsmeteorologen, 1942 (ZAMG) einem Luftangriff am 9. November 1944, bei dem das Wiechert-Horizontalpendel im Bei einem Luftangriff am 20. Februar 1945 Erdbebenkeller der ZAMG schwer beschä- wurde der Anbau der ZAMG mit einigen digt wurde, veranlasste Direktor Ficker die Dienstwohnungen, der Werkstätte und der Verlagerung der wertvollsten Instrumente Druckerei zur Hälfte zerstört. Laut Direktor und eines Teiles der Bibliotheksbestände auf Ficker sei trotz all dieser Schäden der Be- Schloss Mittersill. Das Schloss beherbergte trieb der Anstalt weiter möglich gewesen. eine Einrichtung des „Sven-Hedin-Instituts Während der Kämpfe um Wien wurde das für Innerasienforschung“, das dem „SS-Ah- magnetische Observatorium in Wien-Au- nenerbe“ unterstellt war und als Nebenla- hof samt den Instrumenten zerstört und am ger des Konzentrationslagers Mauthausen Turm des Julius-Hann-Hauses auf der Ho- geführt wurde. Es diente gegen Kriegsende hen Warte bezogen Volkssturm-Einheiten auch als Depot für Raubkunst. Stellung. Das Gelände der ZAMG erhielt mehrere Artillerietreffer.

Die geophysikalische Abteilung, im Bild vorne von links nach rechts: Viktor Mifka (1886–?), Gabriele Lukeschitz (1921–2008), hinten: Karl Plachy (1890–?) und Erich Trapp (1911–2002) (ZAMG)

41 HANDLUNGSSPIELRÄUME IN DIKTATUREN - Heinrich Ficker 1938,1939, 1940,1945

Die Berufung Heinrich Fickers (1881–1957, Direktor 1937– 1953) zum Pro- fessor für Me- teorologie an die Universität Graz gimes mit Umstrukturierungen und personal- erfolgte bereits in politischen Eingriffen an der ZAMG kon- Zeiten der Monar- frontiert. chie. Ficker selbst stammte aus einer Sehr schnell erfolgte auch innerhalb der Familie mit großer ZAMG die sogenannte „rassische“ Säu- wissenschaftlicher berung des Staatsdienstes. Leo Meisels Tradition. Profes- (1894–?), technischer Offizial im Wetter- sor am meteoro- dienst war jüdischer Herkunft und nach logischen Institut eigenen Angaben „jüdischer Konfession“. Heinrich Ficker, Direktor der ZAMG der Friedrich-Wil- 1937-53 (ZAMG) Bis zum Verbot im Februar 1934 war er helms-Universität Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. in Berlin, erhielt Im Ersten Weltkrieg hatte er als Freiwilliger Ficker 1937 den Frontdienst geleistet und galt durch Ver- Ruf als Professor wundung und Krankheit in Kriegsgefan- für Physik der Erde an die Universität Wien genschaft als 40% Invalide. und wurde gleichzeitig zum Direktor der ZAMG ernannt. Die Tradition, dass der Di- In einigen staatlichen Stellen erfolgte die rektor der ZAMG zugleich eine universitäre Beurlaubung jüdischer Mitarbeiter/innen Professur innehatte, hielt sich von der Grün- unmittelbar nach dem „Anschluss“, ohne dung bis in die 1980er Jahre. Eigenen An- dass Anweisungen aus Berlin abgewartet gaben zufolge wechselte Ficker aufgrund wurden. Auch Meisels wurde bereits im seiner „ausgesprochen antinazistischen Ein- April 1938 beurlaubt, blieb aber offiziell stellung“ nach Wien. Die historischen Ereig- noch einige Monate an der ZAMG be- nisse holten den Meteorologen jedoch im schäftigt. Seine Versetzung zum „Wetter- Jahr darauf ein und Ficker sah sich bereits dienst der Luftwaffe“ scheiterte aufgrund nach wenigen Monaten seitens des NS-Re- seiner „mangelnden Deutschblütigkeit“. 42 im Reichsdienst nicht tragbar.“ Er wurde aus dem Dienst entlassen. Es war dem Bemü- hen Direktor Fickers geschuldet, dass der Entlassungsbescheid drei Monate später Vorschlag der Berufung Heinrich Fickers an die Universität Graz durch das Professorenkollegium 1910 aufgehoben, Strasser formal wieder ein- (Österreichisches Staatsarchiv) gestellt und stattdessen in den dauernden Ruhestand versetzt werden konnte. Fickers Einsatz für seinen Mitarbeiter ging so weit, Am 12. Dezember 1938 wurde Meisels dass er sich bemühte, Strasser bei den Be- schließlich vom Dienst enthoben und im hörden auch ideologisch zu rehabilitieren: November 1939 in den Ruhestand versetzt. Strasser sei „ein Beispiel der Menschen, Er verbrachte die Kriegszeit als Heim- be- die für eine neue Weltanschauung lang- ziehungsweise Hilfsarbeiter in einer Korb- sam gewonnen werden müssen und die warenfabrik und wurde 1945 wieder in sich selbst dazu durchringen; ist ihnen dies den Dienst der ZAMG aufgenommen. gelungen, dann gehören sie zu den wert- vollsten Mitgliedern der neuen Bewegung. Ein weiteres Verfahren in der ZAMG be- [… D]ie Ereignisse des 10. November traf den politisch exponierten Sozialdemo- 1938 haben diese Entwicklung gestört.“ kraten Josef Strasser (1896–1947). Dieser wurde unmittelbar nach den November- Ficker argumentierte außerdem, dass es pogromen am 10. November 1938 verhaf- nicht möglich war, einen fachlich adäqua- tet. Seitens der NSDAP wurde festgestellt, ten Ersatz für die offene Stelle zu finden und dass sich der Beschuldigte „in abfälliger, bat in diesem Sinne um eine Genehmigung, die öffentliche Ordnung störender Weise Strasser wiedereinstellen zu dürfen. Anton über die am gleichen Tage durchgeführ- Schedler (1891-1973), Vertrauensmann te Judenaktion offenkundig in der Absicht des „Reichsbunds der Deutschen Beamten“ äusserte, um gegen diese unter den an- an der ZAMG, setzte sich durch ein wohl- gesammelten Passanten Stimmung zu ma- wollendes politisches Gutachten ebenfalls chen.“ Sechs Wochen später wurde er aus für die Wiedereinstellung Strassers ein. Die der Haft entlassen. Allerdings wurde fest- Weiterverwendung Strassers im Dienst der gehalten, Strasser sei „überzeugter Sozial- ZAMG wurde 1940 aufgrund des „kriegs- demokrat u. daher seine Weiterbelassung wirtschaftlichen Bedarfes“ genehmigt. 43 Leo Meisels im Dienst (links) (ZAMG)

Ficker selbst war Mitglied des Deutschen ne politische Einstellung bekannt gewesen. Luftsportverbands, der 1937 aufgelöst und Fickers Registrierung wurde amtlicherseits in das „Nationalsozialistische Fliegerkorps“ schließlich gelöscht. (NSFK) umgewandelt wurde. Scheinbar wurde Ficker auf diese Weise ohne sein weiteres Zutun in diese parteinahe Orga- nisation aufgenommen. Als ehemaliges Mitglied des NSFK galt der Direktor nach 1945 somit als registrierungspflichtiger ehemaliger Nationalsozialist. Die Regis- trierungspflicht traf Ficker persönlich und war für ihn nicht nachvollziehbar. „Dass ich mich registrieren lassen musste, empfinde ich wirklich als geradezu grotesk, weil ich ja wirklich seit dem Jahre [19]33 ständig das Damoklesschwert über mir gefühlt habe.“ In einem Gesuch um Aufhebung der Registrierungspflicht hielt Ficker fest, dass es seine „nazifeindliche Einstellung“ war, die ihn 1937 von Berlin weg an die ZAMG nach Wien geführt habe. Der Wechsel nach Wien sei zwar mit finan- ziellen Einbußen verbunden gewesen, doch betonte Ficker: „Ich wollte […] unter allen Umständen aus Deutschland weg.“ Aufforderung der Gestapo zur Entlassung Strassers Dem Wiener Unterrichtsministerium sei sei- (Österreichisches Staatsarchiv)

44 „MEINE ARISCHE ABSTAMMUNG UND DIE MEINER FRAU KANN ICH 1932, 1933, JEDERZEIT NACHWEISEN“ 1934,1935, - Parteiopportunismus bei 1936, 1937, Mitarbeitern der ZAMG 1945,1947

Wie in anderen Einrichtungen auch, wa- in einen Status als „Parteianwärter“ um- ren in der ZAMG Mitarbeiter/innen unter- zudeuten, obwohl jener Status erst 1937 schiedlichen politischen Couleurs zu finden. eingeführt wurde. Er war auch Träger der Im Vergleich mit der GBA scheinen jedoch sogenannten „Ostmark-Medaille“. Jedoch Polarisierung oder politische Konkurrenz in setzte sich Schedler bei den zuständigen der ZAMG weniger stark ausgeprägt ge- Polizeibehörden für den aufgrund seiner wesen zu sein. Dies ist daran festzustellen, politischen Überzeugungen in Schwierig- dass sich selbst aktive Nationalsozialisten keiten geratenen Kollegen Josef Strasser an der Anstalt um den Schutz jener Kolle- ein. Er kennzeichnete Strasser gegenüber gen bemühten, die mit dem NS-Regime in der Polizei zwar als „roten Ideologen“, politische Schwierigkeiten geraten waren. mit dem „in etwas aufregenden Zeiten […] Anton Schedler etwa war Vertrauensmann die Nerven durch[gehen]“. Ansonsten sei des „Reichsbunds der Deutschen Beamten“ Strasser „ungefährlich“. Ähnlich wie Di- (RDB) an der ZAMG. Als solcher kam ihm rektor Ficker (möglicherweise in Abspra- Bedeutung bei der politischen Beurteilung che mit diesem) äußerte der Vertrauens- anderer Mitar- beiter/innen der ZAMG zu. Als Registrierungs- NSDAP-Mitglied blatt Schedlers 1932 bis 1945 als ehemaliger Nationalsozia- war Schedler list nach 1945 ebenso in der Ver- (Wiener botszeit der Partei Stadt- und aktiv. Nach dem Landesarchiv) Krieg versucht er die Zeit seiner Mitgliedschaft von 1932–1938 45 mann des RDB die Hoffnung, „dass Herr je gegeben“ war. Als Kind Mitglied im Strasser für die NS-Bewegung und Idee deutschnationalen Turnerbund, trat er spä- zu gewinnen“ sei. Als registrierter Natio- ter der antisemitischen Sektion Austria des nalsozialist wurde Schedler nach 1945 an Alpenvereins und einem „deutscharischen der ZAMG nicht mehr weiter beschäftigt. Schachverein“ bei. Sein „fachlicher Rat als Physiker“ sei „‚illegalen‘ Handlungen“ der Der Fall des Klimatologen Friedrich Lau- Nationalsozialisten immer wieder dien- scher (1905–1998) gibt ein anschauliches lich gewesen. Lauscher entschuldigte sein Bild davon, wie in politischen Umbruchs- nach eigener Ansicht „spätes“ Ansuchen zeiten die eigene Biografie den jeweiligen um Aufnahme in die Partei 1938 mit der Umständen entsprechend uminterpretiert wirtschaftlichen Not seiner Familie, die ihn wurde. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ davor zu anderweitigen Beschäftigungen argumentierte Lauscher gegenüber der gezwungen habe. Nun nach dem „An- NSDAP, er sei schon seit 1923 Sympatisant schluss“ bot er sich der Partei als aktives von NS-Gedankengut gewesen. In diesem Mitglied und Redner an und schloss sein Sinne bezeichnete er sich selbst als „An- Aufnahmegesuch mit dem Satz: „Meine hänger der nationalsozialistischen Idee“, arische Abstammung und die meiner Frau dem „das nationale Bewusstsein [...] seit kann ich jederzeit nachweisen“.

Karteikarte der Wiener Staatspolizei zu Schedler (Wiener Stadt- und Landes- archiv)

46 Ganz anders stellte Lauscher seine Bio- nicht hervorgetreten“ sei. Auf eine Eintra- grafie im Jahr 1945 im Protest gegen seine gung in die Liste registrierungspflichtiger Registrierung als ehemaliger Nationalso- Nationalsozialisten wurde schlussendlich zialist dar. Gegenüber der Registrierungs- verzichtet. behörde betonte er, stets nur Parteian- wärter gewesen zu sein und niemals den Parteieid abgelegt zu haben. Lauscher stellte sich nun als „Geschädigter des ‚3. Reiches‘“ dar. Er wies darauf hin, dass sei- ne 1935 erworbene österreichische Privatdozentur nach 1938 nicht mehr anerkannt worden war und er außer- dem in der NS-Zeit bei Beförderun- gen oftmals übergangen worden sei, ihm leitende Posten gegenüber jüngeren Kollegen stets verweigert wurden. Schließlich wurde seitens der Registrierungsbehörde an- erkannt, dass Lauscher „politisch

In seinem Ein- spruch gegen die Registrierung als ehemaliger Nationalsozialist betonte Lauscher, dem NS ideo- logisch nie nahe- gestanden zu sein (Wiener Gesuch Lauschers um Aufnahme in die Stadt- und NSDAP und Betonung seiner Leistungen für den Nationalsozialismus Landesarchiv) (Wiener Stadt- und Landesarchiv)

47 ENTNAZIFIZIERUNG UND 1945, 1946, WIEDERAUFNAHME DER 1947 UNABHÄNGIGEN FORSCHUNGSTRADITION - Die GBA nach dem Krieg

48 Nach dem Zusammenbruch des NS-Re- gimes ist bei der Wiederrichtung der Geo- logischen Bundesanstalt eine vorerst zwei- gleisige Entwicklung feststellbar. Einerseits traten in Wien bereits am 24. April 1945 wieder 21 Personen ihren Dienst an. Leo Waldmann (1899–1973) übernahm für zwei Monate die interimsmäßige Leitung der Anstalt bis zur Wiedereinsetzung Di- rektor Götzingers im Juni. Andererseits konnte der nach Kremsmünster geflüchtete ehemalige Nationalsozialist Franz Lotze bei der oberösterreichischen Landesre- gierung mündlich die Anerkennung einer „Geologischen Landesanstalt für Öster- reich“ erwirken. Die Direktion der Wiener Bundesanstalt ließ wegen der gestohle- nen Amtskasse polizeiliche Ermittlungen zum Aufenthaltsort Lotzes einleiten. Dieser konnte aber nach Auflösung der in Ober- österreich aufgezogenen Landesanstalt im Herbst 1945 ungehindert nach Deutsch- land ausreisen.

Die wesentlichste unmittelbare Aufgabe für die Mitarbeiter/innen der wieder er- richteten Geologischen Bundesanstalt be- stand in den Wiederherstellungsarbeiten am Gebäude und in der Rückführung des ausgelagerten Materials. Durch alliierte Luftangriffe und Artillerietreffer sich zurück- ziehender SS-Truppen waren eine Reihe von Museumssälen, der hofseitig gelege- ne Teil des Laboratoriumgebäudes, die Bi- bliothek und das Kuppeldach im Palais Ra- Palais Rasumofsky im Wiederaufbau, 1949 (GBA) sumofsky beschädigt. Der Wiederaufbau des Hauptgebäudes dauerte bis 1951. Erst

49 in diesem Jahr konnte der Bau des Gar- tentraktes begonnen werden und die neu Ausschnitt eines Zeitungsberichtes aus dem Herbst 1945 aufgestellte Bibliothek wurde 1956 ihrer (Österreichische Nationalbibliothek) Bestimmung übergeben. Die nach Nie- Zeitgenössische Skizze der Bombentreffer, 1951 (GBA) der- und Oberösterreich ausgelagerten Bestände der Bibliothek sowie des Erd- öl- und Kartenarchivs konnten bald nach Wien zurück geführt werden. Die verla- gerte Steinbruchkartei und anderes Archiv- gut befand sich ausgelagert in der nun- mehrigen Tschechoslowakischen Republik und konnte erst – da von dort Ansprüche erhoben wurden – nach dem tschecho- slowakisch-österreichischen Kulturabkom- men 1946 rückgeführt werden. Trotzdem sich die Sammlungen der Geologischen Bundesanstalt in einem äußerst desolaten Zustand befanden, konnten schon im Sep- tember 1945 die ersten wissenschaftlichen Arbeiten anlaufen.

Die nach der Befreiung vom National- sozialismus eingeleitete Entnazifizierung brachte für die Geologische Bundesanstalt wesentliche personelle Brüche mit sich. Die Durchdringung der Anstalt mit NS-Ange- hörigen war hoch. Von den vor März 1938 bis Anfang 1945 in den Dienst der Geolo- gischen Landesanstalt/Zweigstelle Wien getretenen 28 Geologen waren nach- weislich 11 NSDAP-Mitglieder (davon

50 zwei SS- und drei SA-Mitglieder sowie zwei Parteianwärter). Nur drei Geo- logen – Gustav Götzinger, Leo Wald- mann und Oskar Hackl (1886–1962) – waren keine Parteimitglieder. Mit Wir- kung vom 6. Juni 1945 wurden die fünf Geologen Hans Peter Cornelius, Oskar Schmidegg (1899–1985), Otto Reit- hofer (1902–1965), Friedrich Czermak (1890–1960) und Harald E. Hochstetter (1902–1972) aus dem Dienstverhältnis der Geologischen Bundesanstalt entlas- sen. Die Anstellung von Sammlungsleiter Gottfried Reidl (1912–1945) und Werner Heissel (1908–1994) wurde widerrufen, da sie in der NS-Zeit eingesetzt wurden. Dienstsuspendierungen im Zuge der Ent- nazifizierung erfolgten bei Alois Kieslinger (1900–1975), Karl Lechner (1899–1958), Karl Fabich (1896–1981) und Anton Rutt- ner (1911–2006).

Einladung zur Wiederaufbau- und Hundertjahrfeier im Wegen seiner „Unentbehrlichkeit“ wur- Juni 1951 (GBA) de Rudolf Grill (1910–1987) als einziger ehemaliger Nationalsozialist mit einem Ministerialerlass im Dienst belassen. Das Interesse der österreichischen Regierung Die Geologische Bundesanstalt konnte und vieler Institutionen an einer nachhal- sich wieder als zentrale Institution für die tigen politischen Säuberung sank rasch Erforschung der Geologie und Lagerstätten ab. Einige der Genannten konnten schon in Österreich etablieren. Die rechtliche Ver- bald wieder ihren Dienst antreten. Hans ankerung und die Definition ihrer Stellung Peter Cornelius hatte sich vor dem Wiener und Aufgaben bei der Lagerstättensuche Volksgericht zu verantworten. Ihm wurde erfolgte durch das 1947 verabschiedete vorgeworfen „in Verbindung mit seiner Be- Lagerstättengesetz. In der unmittelbaren tätigung für die NSDAP Handlungen aus Nachkriegszeit war die Tätigkeit der Bun- besonders verwerflicher Gesinnung“ be- desanstalt auf angewandte geologische gangen zu haben. Er wurde freigespro- Fragestellungen ausgerichtet. Nachdem chen, trat aber nicht mehr in den Dienst der Direktor Götzinger in den Ruhestand trat, Geologischen Bundesanstalt ein. übernahm Heinrich Küpper (1904–2000)

51 die Leitung (1950–1952) und dann die (1831–1914) beim Hochstrahlbrunnen am Direktion (1952–1969) der Anstalt. Ihre Schwarzenbergplatz aufgestellte Denk- grundlegenden Tätigkeiten unterteilte er in mal, das 1938 wegen seiner jüdischen drei Bereiche: Herkunft entfernt worden war, beim Palais Rasumofsky wiederaufgestellt. Nach lan- • Die geologische Kartierung als jene ger Zeit vergab die Bundesanstalt auch Bestandsaufnahme geologischer wieder die Haidinger-Medaille. Zu den Fakten, die im Kartenbild erfasst und ersten Preisträgern der Nachkriegszeit abgegrenzt werden. zählte Walther Emil Petrascheck. Seine il- • Die Mitarbeit an Fragen der legale NS-Tätigkeit vor dem „Anschluss“ Grundlagenforschung. stellte für die Verleihung der höchsten Aus- zeichnung der Geologischen Bundesan- • Die Zusammenarbeit mit der Industrie. stalt kein Hindernis dar. Im Jahr 1951 feierte die Geologische Bun- desanstalt verspätet ihr 100-jähriges Jubi- läum. Zu diesem Anlass wurde das 1928 für den Doyen der Geologie Eduard Suess

Wiederaufbau- und Hundertjahrfeier, 1. Reihe, 2. von links: Bürgermeister Theodor Körner, 3. von links: Unterrichtsminister Felix Hurdes (GBA)

52 „WETTERBERICHT KEIN GEHEIMNIS MEHR“ - Die ZAMG in der Nachkriegszeit 1944,1945, 1946,1947,

Nach den Kampfhandlungen und der 1948,1949, Befreiung Wiens am 13. April 1945 wa- ren die Instrumente zur Aufzeichnung der 1950,1951, Lufttemperatur beschädigt und der Ro- bitzsch-Aktinograph, ein Strahlungsschrei- 1953 ber, konnte nicht mehr aufgefunden wer- den. Die Aufzeichnung der Lufttemperatur wurde nur am 14. und 15. April unterbro- chen, es entfiel aber die Beobachtung der Globalstrahlung für das Jahr 1945. Die Re- novierungsarbeiten am Julius-Hann-Haus und am Anbau dauerten bis 1948. Mit der Beschädigung des Wiechert Horizontal- pendels beim Luftangriff 1944 war Direktor Ficker zufolge der mikroseismische Dienst in Österreich für Jahre „erledigt“. Einige Teile des Pendels mussten aus dem Bom- benschutt herausgesiebt werden. Die Erd- bebenregistrierung konnte 1948 teilweise und ab Juni 1950 wieder vollständig auf- genommen werden.

Der Wiederaufbau der ZAMG gestaltete sich schwierig: Fast das ganze Fachper- sonal befand sich kürzer oder länger in Kriegsgefangenschaft, die Ernährungslage war in der unmittelbaren Nachkriegszeit katastrophal und das Material für die not- wendigen Reparaturarbeiten knapp. Den Am 9. November 1944 und am 20. Februar 1945 erlitt das Garten der ZAMG verwendeten die Mit- Hauptgebäude der Zentralanstalt schwere Bombentreffer und im April 1945 deutsche Artillerietreffer, arbeiter/innen zum Getreide- und Gemü- Ansicht des kriegsbeschädigten seanbau. Hauses, Juli 1946 (ZAMG)

53 Der Leiter der Abteilung für Bioklimatologie Franz Sauberer beim Ablesen des Bodenthermometers im Garten der ZAMG, im Hintergrund angepflanzter Mais und Schwarzkohl, 31. Juli 1946 (ZAMG)

Ausländische meteorologische Institute te Heinrich Ficker aus dem Pinzgau nach unterstützen sie mit Lebensmittel- und Klei- Wien zurück und übernahm erneut die Lei- dungsspenden mittels CARE-Paketen. Zu- tung der Anstalt. mindest eines dieser Pakete stammte von der Frau des ehemaligen Leiters des Erd- Die vier Besatzungsmächte hatten großes bebendienstes, Ida Conrad. Interesse am Wiederaufbau des Wetter- dienstes. Ab Herbst 1945 konnten die Das Staatsamt für Volksaufklärung, Unter- Fernsprech- und Telefonverbindungen richt, Erziehung und Kultusangelegenheiten wieder hergestellt werden. Während die bestätigte am 6. Juni 1945 die Bestellung sowjetische Besatzungsmacht die ZAMG von Franz Sauberer (1899–1959) als mit dem Wetterdienst in ihrer Zone betrau- provisorischen Leiter der ZAMG, der we- te, arbeiteten in der britischen (Kärnten und nig später wieder der gesamte meteoro- Steiermark), US-amerikanischen (Ober- logische Dienst übertragen wurde. Eine österreich, Salzburg) und französischen reguläre Verbindung zu den anderen Be- Besatzungszone (Tirol, Vorarlberg) die Al- satzungszonen gab es zu diesem Zeitpunkt liierten zuerst unabhängig von der ZAMG. noch nicht. Erst im September 1945 kehr- Sie übergaben der österreichischen Bun- 54 Zeitungsbericht des Wiener Kuriers, 25. September 1945 (Österreichische National- bibliothek)

desregierung den Wetterdienst im August Einsatz konnten zwei Mitarbeiter einige 1946, behielten sich aber dessen Über- der Ende 1944 in Schloss Mittersill einge- wachung durch das Direktorium der Luft- lagerten geophysikalischen Geräte retten. fahrtabteilungen vor. Die Zentralanstalt für Eine Askania-Feldwaage für magnetische Meteorologie und Geodynamik hatte den Messungen konnte etwa nach Wien ge- Bedarf der Alliierten nach Wettermeldun- bracht werden, nachdem ihre Bestandteile gen sicherzustellen und konnte nun wieder mit Abfallkübeln aus dem unter US-Verwal- als Zentralstelle angesehen werden. In der tung stehenden Schloss geschmuggelt wur- sowjetischen Besatzungszone in St. Pölten den. Den Großteil der Geräte stellte die musste sie eine Wetterstation gleich denen US-Besatzungsmacht nach langwierigen in Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck er- Verhandlungen mit der Salzburger Landes- richten, die mit dem Staatsvertrag wieder regierung der ZAMG zurück. abgebaut wurde. Die Anzahl der Mitarbeiter/innen der Ein wesentlicher Schritt beim Wiederauf- ZAMG erfuhr in den Anfangsjahren der bau der ZAMG war die Rückführung des Zweiten Republik eine große Steigerung. 1939 nach Berlin gebrachten Archivma- Zumindest 10 Personen, die während des terials. Ein Brand hatte einen Teil der Kli- Krieges in der ZAMG Beschäftigung fan- mabögen vernichtet und nur das seit 1936 den, waren bis 1947 wieder entlassen und angesammelte Material konnte gerettet zumindest 27 Mitarbeiter/innen wurden werden. Über den Central Collecting Point bis dahin neu eingestellt. Mit 49 Mitarbei- in München stellte die US-Armee das vom tenden im Jahr 1949 hatte sich der Perso- NS-Regime in den besetzten Ländern Eu- nalstand im Vergleich zu 1939 mehr als ropas geraubte meteorologische Material verdreifacht. Zu den wieder eingestellten den Herkunftsländern zurück. Mit 67 Kisten Personen zählten ab 1946 auch die ehe- war das im Sommer 1947 in Wien eintref- maligen Nationalsozialisten Friedrich Lau- fende österreichische Material mit Abstand scher und Erich Trapp (1911–2002). Die das umfangreichste. Durch ihren beherzten ersten Nachkriegsjahre standen ganz im 55 Die US-Amerikaner hatten nicht nur gro- ßes Interesse an einem funktionierenden Wetterdienst in ihrer Besatzungszone, sondern auch an dem Wissensstand der österreichischen Meteorologie. Heinrich Ficker erhielt im einsetzenden Kalten Krieg von US-Amerikanischer Seite das Angebot am Projekt „Pa- perclip“ teilzunehmen. Bei diesem Geheimprojekt ging es darum, Wis- senschaftler/innen, die militärisch anwendbares Wissen hatten, unter Umgehung der Einwanderungs- bestimmungen und ungeachtet ihrer NS-Belastung in die USA zu transferieren. Fast 70 Jahre alt, lehnte Heinrich Ficker 1949 den „Paperclip“-Vertrag ab, konnte aber dafür mit der ZAMG 1951 das 100-jährige Jubiläum ihres Bestehens feiern. Im Septem- ber 1953 emeritierte Ficker als Professor der Universität Wien und wurde als Direktor der ZAMG nach Erreichen der Altersgren- ze pensioniert. Die Leitung der ZAMG Vorschläge des kommissarischen Leiters Franz Sauberer zum übernahm der Meteorologe Ferdinand Wiederaufbau der Zentralanstalt, 2. Juli 1945 (Österreichisches Steinhauser (1905–1991). Dieser führte Staatsarchiv) die ZAMG nach dem Staatsvertrag 1955 in die Unabhängigkeit von den Alliierten. Zeichen des Wiederaufbaues sowie der Während in der Ära Ficker in der Zweiten Wiederinstandsetzung des wissenschaft- Republik der Wiederaufbau im Zentrum lichen Instrumentariums. Das zu Beginn stand, war die Ära Steinhauser durch eine 1945 aus 128 Stationen bestehende Be- personelle, wissenschaftliche und infra- obachtungsnetz war im Mai auf 53 Statio- strukturelle Erweiterung gekennzeichnet, nen reduziert. Im Jahr 1946 konnte deren die sich in zahlreichen Veröffentlichungen Zahl auf 126 gehoben werden und 1948 von Forschungsergebnissen niederschlug. standen durch die intensiven Bemühungen im Wiederaufbau bereits wieder 450 Sta- Aufruf zum Spenden für den Sonnblickverein, tionen zur Verfügung. 1949 (United States Information Service, Österreichische Nationalbibliothek)

56 Aufruf zum Spenden für den Sonnblickverein, 1949 (United States Information Service, Österreichische Nationalbibliothek) 1848 1849 1851 1918 1919 1919 1920 1921 1930 LERNEN AUS DER 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 GESCHICHTE? 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955

Die Ausstellung und die ihr zugrunde liegen- handelnden Personen beantworten. Bereits de Forschung beleuchten das Spannungs- vor dem „Anschluss“ am 13. März 1938 feld zwischen Staat und Wissenschaft. lieferte eine Gruppe von Leobener Geo- Bezogen auf die Zeit des NS-Regimes be- logen illegal Informationen über Rohstoff- deutet das konkret: „Diktatur – Behörden vorkommen in Österreich an das Deutsche – Wissenschaft“. Zur Zeit ihrer Gründung Reich. Nach dem „Anschluss“ leisteten waren GBA und ZAMG weitgehend auf loyale Anhänger der NS-Diktatur – etwa gesellschaftliche Modernisierung und wis- der Direktor Franz Lotze – ihren Beitrag zur senschaftlichen Fortschritt ausgerichtet. Die effektiven Umwandlung der „Zweigstelle Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen Wien“ in eine dem Nationalsozialismus wurde damals eindeutig zugunsten des kriegsdienliche Forschungsstelle. Auf der Vorrangs der rein wissenschaftlichen For- anderen Seite wird deutlich, dass leitende schung entschieden. Die Jahre der NS-Dik- Persönlichkeiten wie Heinrich Ficker an der tatur aber bedeuteten sowohl für die in ZAMG und Heinrich Beck an der „Zweig- „Zweigstelle Wien der Reichsstelle für Bo- stelle Wien“ nach 1938 ihre gehobene denforschung“ umbenannte GBA, als auch Stellung dazu benutzten, politisch Verfolg- für die ZAMG eine radikale Unterordnung te zu decken und nach Möglichkeit auch der Wissenschaft und Forschung unter die vor Entlassung zu bewahren. Für den Fall Zwecke des Krieges. der GBA kann beigefügt werden, dass der wissenschaftliche Ethos einzelner Wissen- Die kriegswirtschaftliche Bedeutung der schaftler dazu führte, dass bald nach dem Geologie, insbesondere von Rohstoffen, Krieg wieder Geodaten im Dienste Öster- war mit ein Grund für die starke Politisie- reichs erhoben wurden. In den Worten des rung der „Zweigstelle Wien“ und der Pola- Ministers für Bildung, Wissenschaft und risierung ihres Personals. An der ZAMG Forschung Heinz Faßmann: „Wir lernen hingegen verliefen die Jahre des NS-Re- aus diesen persönlichen Geschichten, dass gimes trotz verschiedener parteipolitischer die individuelle Verantwortung der einzel- Zugehörigkeiten einzelner Mitarbeiter/in- nen Personen wesentlich ist. Heute würden nen und trotz der Degradierung durch die wir sagen, es geht um Menschlichkeit, Ausgliederung des Wetterdienstes nach Mut, Zivilcourage. Institutionen wiederum Berlin ohne größere interne Polarisierung. dürfen niemals aufhören, ihre (eigene) Ge- schichte zu reflektieren und Erinnerung zu Welche Schlüsse können moderne Ver- pflegen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur waltungen aus den hier geschilderten his- Förderung verantwortungsvoller Wissen- torischen Vorgängen ziehen? Diese Frage schaft sowie zur Stärkung der Demokratie lässt sich am besten mit dem Hinweis auf in unserem Land.“ die konkreten Handlungsspielräume der

58 1848 1849 1851 1918 1919 1919 1920 1921 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955

Erschienen im Oktober 2018 im Verlag der Geologischen Bundesanstalt, Wien ISBN: 978-3-85316-099-2

Konzept und grafische Gestaltung: Gerhard Hampel www.lighthouse-connection.at Helga Charvat www.charv.at

Eine Ausstellung von: Geologische Bundesanstalt (GBA), Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)

Angeregt und unterstützt von: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung