Plenarprotokoll 15/152

Deutscher

Stenografischer Bericht

152. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 16: Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Abgeordneten Antrag der Abgeordneten , , Hermann Bachmaier, Sabine Hartmut Koschyk, (Heil- Bätzing, weiteren Abgeordneten und der bronn), weiterer Abgeordneter und der Frak- Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten tion der CDU/CSU: Probleme mit der Tür- Irmingard Schewe-Gerigk, kei nicht ausblenden (Köln), Jutta Dümpe-Krüger, weiteren Abge- (Drucksache 15/4496) ...... 14279 A ordneten und der Fraktion des BÜNDNIS- Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 14279 A SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung euro- (Pforzheim) (SPD) ...... 14281 B päischer Antidiskriminierungsrichtlinien (Drucksache 15/4538) ...... 14257 A Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 14282 A Dr. Lale Akgün (SPD) ...... Olaf Scholz (SPD) ...... 14257 B 14282 C (FDP) ...... 14284 C Ina Lenke (FDP) ...... 14259 C Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Maria Eichhorn (CDU/CSU) ...... 14260 A DIE GRÜNEN) ...... 14285 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 14287 A DIE GRÜNEN) ...... 14262 B Günter Gloser (SPD) ...... 14287 D (CDU/CSU) ...... 14263 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) ...... 14289 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 14263 D Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . 14289 D Christel Humme (SPD) ...... 14266 A Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) ...... 14267 D Tagesordnungspunkt 22: Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Erste Beratung des von der Bundesregierung DIE GRÜNEN) ...... 14269 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (fraktionslos) ...... 14271 A Umsetzung des Urteils des Bundesverfas- sungsgerichts vom 3. März 2004 (akus- Renate Gradistanac (SPD) ...... 14271 C tische Wohnraumüberwachung) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 14272 C (Drucksache 15/4533) ...... 14291 C Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/ , Bundesministerin BMJ . . . . 14291 D DIE GRÜNEN) ...... 14274 A Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 14292 D (SPD) ...... 14276 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14294 D (FDP) ...... 14277 D Petra Pau (fraktionslos) ...... 14295 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Joachim Stünker (SPD) ...... 14296 B neter und der Fraktion der FDP: Transparenz und Wettbewerb im öffentlichen Schienen- (FDP) ...... 14297 B personennahverkehr (Drucksache 15/2752) ...... 14308 D Tagesordnungspunkt 19: Nächste Sitzung ...... 14309 C Antrag der Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), , , weiterer Abgeordneter und der Frak- Anlage 1 tion der CDU/CSU: Energieforschung zu- kunftsfähig gestalten Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14311 A (Drucksache 15/4507) ...... 14298 A Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Anlage 2 (CDU/CSU) ...... 14298 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Dr. (SPD) ...... 14300 C – Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung Hellmut Königshaus (FDP) ...... 14302 D der Übergangsfrist bei der Weiterbil- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ dungsförderung im Falle gesetzlich festge- DIE GRÜNEN) ...... 14304 A legter Ausbildungsdauer Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . 14305 C – Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Weiterbildungsförderung bei gesetzlich Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ festgelegter Ausbildungsdauer DIE GRÜNEN) ...... 14306 A (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Dieter Grasedieck (SPD) ...... 14307 A Hans-Werner Bertl (SPD) ...... 14312 A (CDU/CSU) ...... 14313 A Tagesordnungspunkt 21: Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ a) Erste Beratung des von den Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 14314 A Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, , weiteren Abgeordne- Gudrun Kopp (FDP) ...... 14314 D ten und der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Übergangsfrist bei Anlage 3 der Weiterbildungsförderung im Falle gesetzlich festgelegter Ausbildungs- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung dauer des Antrags: Transparenz und Wettbewerb im (Drucksache 15/4385) ...... 14308 C öffentlichen Schienenpersonennahverkehr (Ta- gesordnungspunkt 23) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten , (Münster), Karin Rehbock-Zureich (SPD) ...... 14315 B Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 14316 B und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/ der Weiterbildungsförderung bei ge- DIE GRÜNEN) ...... 14317 B setzlich festgelegter Ausbildungsdauer (Bayreuth) (FDP) ...... 14317 D (Drucksache 15/4147) ...... 14308 C Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 14318 C Tagesordnungspunkt 23:

Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich Anlage 4 (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeord- Amtliche Mitteilungen ...... 14319 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14257

(A) (C) Redetext

152. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. : freiheiten und Grundrechte eingesetzt. Viele der Dinge, Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen ei- die damals gesehen worden sind, sind noch heute Be- nen guten Morgen und uns gute Beratungen. standteil unserer Verfassungsordnung und der Verfas- sungsprinzipien. Dazu gehört auch und ganz zentral, Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 16: dass der Staat niemanden wegen seines Geschlechts, we- Erste Beratung des von den Abgeordneten Olaf gen seiner Behinderung, wegen seines Alters, wegen der Scholz, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, sexuellen Identität oder ethnischen Herkunft diskrimi- weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD nieren darf. sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe- (Beifall bei der SPD und der FDP) Gerigk, Volker Beck (Köln), Jutta Dümpe- Krüger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Heute, etwa 200 Jahre später, besteht eine Situation, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- in der wir das so selbstverständlich finden, dass wir sa- (B) brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- gen: Solche Prinzipien sollen nicht nur gelten, wenn es (D) zung europäischer Antidiskriminierungsricht- um die Beziehung zwischen Staat und Bürgern, wenn es linien um Abwehrrechte geht, sondern auch dann, wenn es um – Drucksache 15/4538 – die Beziehung von Bürgerinnen und Bürgern, jedenfalls mächtigeren Bürgerinnen und Bürgern, zu anderen geht. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Das heißt, solche Prinzipien, wie sie unsere Verfassungs- Innenausschuss ordnung mittlerweile für jeden von uns selbstverständ- Rechtsausschuss lich hat werden lassen, sollen auch im Zivilleben und in Finanzausschuss der Zivilgesellschaft gelten. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Das ist die mittelbare Wirkung der Grundrechte, et- Landwirtschaft Verteidigungsausschuss was, das wir unterstützen, das aber niemals oder fast nie Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung unmittelbar durchgesetzt wird; der Gesetzgeber muss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen aber auch etwas tun, damit es dazu kommt. Die in man- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe chem Kommentar gern geschriebene und an vielen Stel- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung len wiederholte Behauptung, dass durch unsere Gesetz- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union gebung bereits alles geregelt sei, ist nicht richtig. Haushaltsausschuss gemäß § 96 Manche künstliche Aufregung wäre nicht erklärbar, wenn sie richtig wäre. Was wir hier tun, ist also schon et- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für was Notwendiges. die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schlossen. DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Worum geht es? Wir als anständige Bürgerinnen und Olaf Scholz für die SPD-Fraktion das Wort. Bürger wollen Folgendes einfach nicht mehr hinnehmen: Eine Gruppe Behinderter hat ein Hotel gebucht, er- Olaf Scholz (SPD): scheint dort und dann wird ihr gesagt: Ihr könnt hier Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas nicht sein; wir wollen nicht, dass ihr als behinderte Men- mehr als 200 Jahren haben die Menschen in Frankreich, schen, als Rollstuhlfahrer die übrigen Gäste stört. – Das in England und in den späteren Vereinigten Staaten von ist die Situation, die unerträglich ist und die wir nicht Amerika die Demokratie erkämpft und sich für Grund- mehr hinnehmen wollen. 14258 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Olaf Scholz (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nierungsgesetz vor?“ Das ist verschwendetes Geld; das (C) DIE GRÜNEN) sollten die sparen. Meine Damen und Herren, das ist die Situation, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie immer vor Augen haben müssen, wenn Sie das, was DIE GRÜNEN) Sie hier vorhaben zu sagen, sagen, Wer sich schon angemeldet hat, sollte sich wieder ab- (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Ina Lenke melden. Das ist nicht notwendig. Wenn Sie einen [FDP]: Warten Sie doch erst einmal ab!) Rechtsanwalt gefunden haben, der sagt, man müsse vor- sorgen und dokumentieren – was man überhaupt nicht wenn Sie aufschreiben, was Sie an verschiedenen Stellen muss –, schon aufgeschrieben haben und was Sie auch anderswo nachlesen können, nämlich dass es uns angeblich darum (Markus Grübel [CDU/CSU]: Aber beweisen gehe, in die Privatbeziehungen der Bürger hineinzu- muss man es können!) gehen. dann sollten Sie ihn auf Schadenersatz verklagen, weil er (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da meldet Sie falsch beraten hat. Das ist die Situation. sich Ihr schlechtes Gewissen!) (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Wenn man sich klar macht, was die Gefühle eines behin- DIE GRÜNEN – Markus Grübel [CDU/CSU]: derten Menschen sind, der dort nicht eingelassen wird, Haben Sie das Gesetz überhaupt schon einmal gelesen?) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen Herrn Schröder verklagen!) Ich glaube, dass wir uns in einer rechtlichen Kultur befinden, die man folgendermaßen beschreiben kann: dann kommt man zu dem Schluss, dass es zynisch ist, Verbandsvertreter, Rechtsanwälte und alle, die einen be- wenn man liest und hört, dass es ein unangemessenes raten – auch Politiker –, handeln ganz marktwirtschaft- Vorgehen des Staates wäre, sich in diese Angelegenheit lich: Wenn man laut schreit, gibt es mehr Geld. Sicher- einzumischen. Wir wollen uns einmischen – im Sinne lich hat die Tatsache, dass wir unseren Gesetzentwurf des Anstands, den wir hier in diesem Land zu vertreten vor Weihnachten vorgestellt haben, auch dazu beigetra- haben. gen, dass mancher Verbandsvertreter mehr an die Weih- nachtsprämie und an die Zusatzvergütung gedacht hat, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ als er gesagt hat: Ihr müsst noch einmal Geld an meinen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Verband überweisen, weil ich euch vor etwas warnen FDP) muss. Das war aber falsch und nicht notwendig. (B) (D) Es ist auch so, dass wir ein sehr pragmatisches Gesetz (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der gemacht haben. Das wichtigste Kennzeichen für den SPD) Pragmatismus, den wir in diesem Gesetz haben walten lassen, Insofern, glaube ich, ist hier eine angemessene Betrach- tung angebracht. (Dirk Niebel [FDP]: Definieren Sie doch ein- mal bitte „pragmatisch“!) Das beliebteste Beispiel zu diesem Thema – ich will es gerne aufgreifen; jeder darf dabei etwas Falsches sa- ist, dass man sich ohne besondere Lektüre dieses Geset- gen und sich dennoch gut fühlen – ist immer wieder – in zes gesetzeskonform verhalten kann. verschiedenen Varianten falsch nacherzählt –, dass je- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mand, der sich um eine Wohnung beworben und sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La- nicht bekommen habe, nur behaupten müsse, er werde chen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf diskriminiert, weil er homosexuell sei; schon müsse der von der CDU/CSU: Dann können wir es ja Vermieter beweisen, dass das Gegenteil der Fall sei. Das gleich lassen! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: ist grober Unfug. Das steht nicht im Gesetz. Das Gesetz Wozu brauchen wir dann überhaupt ein Ge- wird auch niemals so ausgelegt werden können. Aber all setz?) die, die das immer wieder behaupten, leben davon, dass sie auf lauter Leute treffen, die erst einmal annehmen: Wer so ist, wie wir alle sein wollen – trotz Ihrer Aufre- Ein Abgeordneter lügt nicht. gung glaube ich, dass Sie persönlich etwas für das Ge- setz übrig haben – und wie ein anständiger Bürger sein (Zurufe von der CDU/CSU) sollte, der wird mit diesem Gesetz keine Probleme haben Diese Leute denken sich: Wenn er das sagt, wird das und braucht auch keinen Rechtsanwalt. wohl so im Gesetz stehen. – Es steht aber nicht im Ge- setz. Deshalb sage ich Ihnen: Das werden Sie im Gesetz (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb nicht finden. [FDP]: Montesquieu! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wer sich an die zehn Gebote (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hält, braucht auch keine Gesetze!) DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Das ist ja eine Faschingsrede!) Es ist auch nicht notwendig, dass jetzt viele Unterneh- men die teuren Seminare besuchen, die überall angebo- Damit Sie es nicht so leicht haben, haben wir uns bei ten werden: „Wie bereite ich mich auf das Antidiskrimi- der Gesetzgebung einen ganz wichtigen Schritt überlegt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14259

Olaf Scholz (A) Wir haben nämlich gesagt: In der Frage der Beweis- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) erleichterung, die uns die EU in vielen Fällen vorge- Herr Kollege Scholz, gestatten Sie eine Zwischen- schrieben hat und die wir auch gerne umsetzen wollen, frage der Kollegin Lenke? greifen wir das auf, was wir schon in unserer Rechtsord- nung haben. In § 611 a BGB steht, dass es eine Beweis- Olaf Scholz (SPD): erleichterung gibt, wenn jemand im Arbeitsleben wegen Ich bin zwar fast am Ende meiner Rede, aber bitte. seines Geschlechts diskriminiert worden ist. Das ist eine pragmatische Regelung, bei der man all die unwahren, schrillen Töne abtesten kann, die jetzt erklungen sind. Es Ina Lenke (FDP): gab wegen dieses Paragraphen nämlich keine Prozess- Herr Scholz, vielleicht sind Sie gleich mit Ihrem La- flut. Es hat auch keine Dokumentationspflichten und tein am Ende, wenn Sie auf meine Frage antworten sol- keinen strukturellen Missbrauch wegen dieser Regelung len. Ich frage Sie, ob es richtig ist, dass Sie die Richtlinie gegeben. Ja, am Anfang haben sich fünf naseweise 2000/78/EG vom 27. November 2000 nicht, wie die EU es vorgeschrieben hat, bis zum Dezember 2003 umge- männliche Jurastudenten auf Frauenjobs beworben, in setzt haben. Sie sagten, dass Sie die Vorgaben der EU der Hoffnung, dass jemand sagt: Ich nehme keine Män- gar nicht brauchten; aber bis 2003 haben Sie gar nichts ner. Das hat halb geklappt, halb nicht. Nun hat die gemacht. Rechtsprechung das klargestellt. Sie können jedenfalls an wenigen Händen abzählen, wie viele Verfahren es zu (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE diesem Thema gibt. Dann wissen Sie, dass es einfach die GRÜNEN]: Frau Lenke, guten Morgen! – Zu- Unwahrheit ist, zu sagen, hier drohe Bürokratie und hier rufe von der SPD: Oh!) drohe eine Prozessflut. Das ist nichts weiter als Propa- Es war fast ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig. ganda, die keine Rechtfertigung in diesem Gesetzesvor- Vielleicht können Sie sich einmal dazu äußern. haben hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Olaf Scholz (SPD): DIE GRÜNEN) Ich bedanke mich für Ihre Frage. Die letzte der beliebten falschen Behauptungen lautet, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) wir gingen hier unglaublich über die Vorgaben der Euro- Es ist in der Tat so, dass mittlerweile eine ganze Reihe päischen Union hinaus. Zunächst einmal ist dazu zu sa- von Richtlinien, die umgesetzt werden müssen, aufge- gen: Wir machen das Gesetz nicht, weil die EU uns dazu (B) laufen ist, und manche davon hätten schon umgesetzt (D) zwingt, sondern deshalb, weil wir das für richtig halten. sein müssen. Das ist gar nicht zu bestreiten. Wir bekennen uns zu dem, was wir da machen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ihnen aber völlig egal!) DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Das hat ja Ein wenig müssen Sie sich – ich weiß nicht, wie Sie sich lange gedauert! Sie hatten fast ein Verlet- hier einlassen wollen – oder wenigstens die Vertreter Ih- zungsverfahren am Hals! – Dr. Heinrich L. rer Partei und von der Union schon darauf verständigen, Kolb [FDP]: Warum lassen Sie sich dann so was Sie sagen wollen. Wollen Sie sagen, wir gingen zu viel Zeit?) weit, oder wollen Sie sagen, wir seien nicht rechtzeitig Es ist auch richtig, dass es mittlerweile vier Richtlinien genug fertig geworden? Beides ist nicht dasselbe. gibt, die wir umsetzen müssen. Aber jeder, der den Satz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sagt oder schreibt, wir gingen über die Vorgaben hinaus, DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: hofft, dass ihn keiner fragt, was er eigentlich damit Das eine hat mit dem anderen doch nichts zu meint. Denn dann müsste man antworten, dass damit tun! Ganz unterschiedliche Zusammenhänge, nicht gemeint ist, wir gingen bei der Ausgestaltung der Herr Scholz! – Zurufe von der CDU/CSU) Rechte zu weit, etwa in Bezug auf Beweiserleichterung, Deshalb will ich Ihnen gerne sagen, dass wir das sehr in Bezug auf die Unterstützung durch Antidiskriminie- bewusst so gemacht haben. Manchmal ist es nämlich so, rungsverbände oder in Bezug auf ähnliche Dinge – diese dass eine längere Beratungszeit dazu beiträgt, dass man sind ja vorgeschrieben; das sollen wir machen –, sondern einen umfassenden und sorgfältig abgewogenen Gesetz- dass wir in dem Punkt darüber hinausgehen, dass wir entwurf zustande bringt, so wie wir es jetzt geschafft ha- zum Beispiel Menschen mit Behinderungen einbezie- ben. hen. Wenn Sie der Meinung sind, wir sollten für die Menschen mit Behinderungen nichts tun, dann sagen Sie (Markus Grübel [CDU/CSU]: Die Regierung das auch, statt sich auf einen so abstrakten, nicht hinter- hat das nicht zustande gebracht!) fragbaren Satz wie den zurückzuziehen, wir gingen über Deshalb glaube ich, dass sich die lange Beratungszeit in die Vorgaben hinaus. einem guten Ergebnis niedergeschlagen hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 14260 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Olaf Scholz (A) Letzte Bemerkung: Wir hielten es für richtig, auf der Mit der Ausweitung der Diskriminierungstatbestände (C) Ebene der Zivilgesellschaft und des Privatrechts zu blei- auf Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, ben. sexuelle Identität und Geschlecht verfolgen Sie eine be- stimmte Ideologie (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt auch Straf- recht!) (Sebastian Edathy [SPD]: Eine demokratische Wir haben uns das, was die französischen konservativen Ideologie!) Juristen im Rechtsausschuss vorgetragen haben, nicht zu und ändern die Wertmaßstäbe. Eigen gemacht. Diese haben vorgeschlagen, eine hohe Behörde einzurichten, die in alle Privatbeziehungen in- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE tervenieren kann, und das Strafrecht zu verschärfen. Wir GRÜNEN]: Das heißt, in diesem Bereich wol- haben gesagt, die Menschen sollen das untereinander re- len Sie das Recht auf Diskriminierung!) geln. Dabei helfen wir ihnen. Das ist ein Fortschritt für Es drängt sich die Frage auf, ob das Ziel wirklich die Be- dieses Land. seitigung von Diskriminierung ist oder bereits der Schritt Schönen Dank. zur Bevorzugung von Bevölkerungsgruppen mit be- stimmten Merkmalen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Nicolette Kressl [SPD]: So ein Blödsinn!) Diese Frage muss erlaubt sein. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/ So sucht man den Schutz der Familie bei den ge- CSU-Fraktion. schützten Gruppen vergeblich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP]) Maria Eichhorn (CDU/CSU): Sie bildet unverändert auch heute noch die Basis unserer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gesellschaft und die Basis der Finanzierung unserer So- Scholz, wir sind zwar in der Faschingszeit, aber dieses zialversicherungssysteme. Es stellt sich daher die Frage, Gesetz ist so weit reichend, dass es es verdient hätte, ob nicht auch gesellschaftliche Gruppen ohne politische sich ernsthaft mit ihm auseinander zu setzen. Das wer- und weltanschauliche Extrempositionen den Schutz un- den wir tun. serer Gesellschaft verdienen. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (Nicolette Kressl [SPD]: Was sind das denn für ruf von der SPD: Davon haben wir bisher Extrempositionen bei Behinderten? Was soll nichts gehört!) das denn?) Meine Damen und Herren, vor dem Gesetz sind alle Das Gesetz bringt weit gehende Einschnitte im ar- Menschen gleich. Art. 3 unseres Grundgesetzes und ver- beitsrechtlichen Bereich mit analoger Anwendung auf schiedene Vorschriften schützen die Bürgerinnen und Beamte. Im Zivilrecht sind das Versicherungs- und das Bürger vor Benachteiligungen aufgrund bestimmter Mietrecht besonders betroffen. So schaffen Sie zusätz- Merkmale wie Geschlecht, Abstammung, Religion, Be- liche Bürokratie und sorgen für eine noch stärkere Über- hinderung usw. Dieses unbestrittene Grundrechtsprinzip regulierung unserer Gesellschaft. hat Konsequenzen: Einer Frau darf nicht deshalb ein Ar- beitsplatz verweigert werden, weil sie eine Frau ist. Wie (Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!) lässt sich dieses nachweisen? Steht dem nicht das Prin- zip der Vertragsfreiheit entgegen? Es sollte doch jeder Kleine und mittelständische Betriebe werden besonders Verträge abschließen können, mit wem er will. darunter leiden. Das Gesetz ist ein Arbeitsplatzverhinde- rungsgesetz, Die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien durch das vorliegende Gesetz gibt der Politik der Anti- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – diskriminierung in Deutschland einen völlig neuen Stel- Zurufe von der SPD: Ha, ha!) lenwert. Der Gesetzentwurf geht weit über die von der und das bei einer Rekordzahl von 4,4 Millionen Arbeits- EU vorgeschriebenen notwendigen Regelungen hinaus. losen. Das ist unverantwortlich. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Christel Humme [SPD]: Also diskriminieren GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, wo!) wir weiter!) Das gilt sowohl für die Diskriminierungstatbestände als Mit der Einrichtung einer Antidiskriminierungs- auch für die betroffenen Rechtsgebiete. Die EU verlangt stelle, die beim Familienministerium vorgesehen ist, nur ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot auf- geht der Gesetzentwurf ebenfalls über die EU-Richtli- grund der Rasse und der ethnischen Herkunft. nien hinaus. Diese Richtlinien sehen eine solche Stelle (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ nur für die Benachteiligung wegen Rasse, ethnischer DIE GRÜNEN]: Und Sie wollen die Behin- Herkunft und Geschlecht vor. Zusätzliche Bürokratie derten weiter diskriminieren!) entsteht bei dieser Stelle durch die detaillierte Regelung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14261

Maria Eichhorn (A) der Rechtstellung des Leiters und durch einen 16-köpfi- Trotz aller Gleichstellungsbemühungen seit Jahrzehn- (C) gen Beirat, der Anspruch auf umfangreiche Geldleistun- ten fließt das Merkmal „Geschlecht“ in die Bewertungs- gen hat. praxis der Arbeit, die überwiegend von Frauen verrichtet wird, immer noch mit ein. Eine der Hauptaufgaben dieser Stelle ist die Öffent- lichkeitsarbeit, und das für schätzungsweise 5,6 Mil- (Elke Ferner [SPD]: Aha!) lionen Euro jährlich. Aber bei unserer hervorragenden Frauenarbeit wird systematisch unterbewertet. Selbst- Haushaltslage sind das ja nur Peanuts. verständlich gilt der Rechtsanspruch „gleiches Entgelt Wenn man die eigentlichen Aufgaben der Stelle nach- für gleichwertige Arbeit“. Doch gibt es andere Möglich- liest, stellt sich zugleich die Frage nach der Wirksamkeit keiten, Frauen- und Männerarbeit unterschiedlich zu be- dieser Einrichtung. Erfahrungen mit der Ombuds- zahlen. Das gilt auch bei höherem Ausbildungsniveau. mannstelle in Schweden zeigen jedoch, dass diese Stelle So lag der durchschnittliche Nettoverdienst im zwar vermittelt, aber faktisch nichts durchsetzen kann. Jahre 2002 bei Männern in höheren Positionen bei Also viel Wind, aber kein Erfolg. 2 454 Euro und bei Frauen in gleicher Position bei durchschnittlich nur 1 626 Euro. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also die Stelle stärken! Wir sind uns einig: Auch hier gibt es noch viel zu tun. Sie wollen, dass sie überall interveniert! Inte- (Zurufe von der SPD: Aha!) ressante Position!) Aber gibt das Antidiskriminierungsgesetz darauf die Was ist Diskriminierung? Diskriminieren bedeutet richtige Antwort? Das ist die Frage. herabsetzen, herabwürdigen. Eine Rollstuhlfahrerin be- richtet, ein Hotelbetreiber, der nach seinen eigenen Wor- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten über einen barrierefreien Zugang verfügt und auch NEN]: Geben Sie mal eine Antwort!) Zimmer anbietet, die für Rollstuhlbenutzer geeignet sind, habe ihr mitgeteilt, dass er nicht gerne Zimmer an Die unklaren Definitionen im Gesetzentwurf werfen Rollstuhlfahrer vermiete. Weiter sagte er zu der darauf- viele Fragen auf. Die Formulierungen sind vielfach we- hin sprachlosen Frau, nebenan gebe es ein Altenheim; der rechtlich noch fachlich durchdacht. Rechtsanwälte sie solle doch dort nachfragen, ob ein Zimmer zur An- und Gerichte können sich über viel zusätzliche Arbeit mietung frei sei. freuen. Wer meint, diskriminiert worden zu sein, braucht diesen Verdacht nur noch glaubhaft zu machen. Der Be- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schuldigte muss dann vor Gericht seine Unschuld bewei- NEN]: Deshalb wollen Sie es so lassen?) sen. Dies führt zu langen und schwierigen Gerichtsver- (B) handlungen. (D) Behinderte erfahren ebenso Diskriminierungen zum Beispiel bei Reisen, bei Veranstaltungen, in der Gastro- Ein Vermieter wird danach künftig nachweisen müs- nomie, beim Abschluss von Versicherungsverträgen. sen, dass er einen Mieter abgelehnt hat, weil er an seiner Dies wurde bei einem Werkstattgespräch der CDU/CSU- Zahlungsfähigkeit zweifelt, und nicht etwa deswegen, Fraktion im Oktober bestätigt. weil er zum Beispiel eine dunkle Hautfarbe hat. Die Beweislastumkehr wird für viele zur Diskriminierungs- (Sebastian Edathy [SPD]: Sie reden mit den falle. Leuten und wir handeln! Das ist der Unter- schied!) (Sebastian Edathy [SPD]: Wo steht die denn? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Diese Diskriminierungen müssen wir aufdecken und für NEN]: Wenn die im Gesetz stünde, dann wäre Abhilfe sorgen. es schon schlimm!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Das zeigen Erfahrungen in den USA und in Großbritan- GRÜNEN]: Dann wollen Sie doch über die nien. EU-Richtlinie hinausgehen!) Die Behindertenverbände haben zum vorliegenden Ge- Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Regelungen, die eigentlich schützen sollten, kontrapro- setzentwurf bereits Verbesserungsvorschläge gemacht. duktiv waren. Ich erinnere nur an die von Ihnen einge- Diese werden wir aufgreifen und im Gesetzgebungsver- fahren wohlwollend prüfen. führte gesetzliche Regelung zur Teilzeitarbeit. Ich will einen weiteren Fall schildern. Einem 70-jäh- Meine Damen und Herren, das Ziel des vorliegenden rigen Bankkunden wurde mit Hinweis auf sein Alter der Gesetzentwurfes, bestimmte Personenkreise umfassend Dispositionskredit gekündigt, obwohl sich seine Vermö- zu schützen, mag vielleicht juristisch erreicht werden. Es gensverhältnisse nicht geändert hatten. Auch Jüngere ist jedoch äußerst zweifelhaft, ob der Schutz dieser Per- sind von Diskriminierung betroffen. Über 50-Jährige sonen tatsächlich erreicht werden kann. Hinzu kommt, – das wissen wir – haben kaum noch Chancen auf dem dass das Risiko von Schadensersatzansprüchen dazu Arbeitsmarkt. führen kann, dass der Kontakt mit den Geschützten von vornherein vermieden wird. So sagt der Haus- und (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Grundbesitzerverein: Die geplanten gesetzlichen Verän- GRÜNEN]: Deshalb haben wir das Alter mit derungen im Bereich des Mietrechts helfen nicht den ge- aufgenommen!) schützten Personen, sondern erschweren die Integration 14262 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Maria Eichhorn (A) von Minderheiten. Andere wiederum, die wie der Deut- tungen und zum Arbeitsmarkt, zu verschaffen. Ziel die- (C) sche Juristinnenbund das Gesetz begrüßen, stellen fest, ses Gesetzes ist es nicht, den Bürgerinnen und Bürgern dass die Verbesserungen gering ausfallen. vorzuschreiben, wie sie zu denken haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist großzügig!) GRÜNEN]: Die wollen weitergehen! Wollen Sie auch weitergehen? Sagen Sie doch einmal, Ein gleichberechtigter Zugang zum Markt gewinnt in was Sie wollen! Minus und Plus kann man Zeiten, in denen sich der Staat aus immer mehr Berei- nicht gleichzeitig wollen!) chen zurückzieht und das Angebot privaten Trägern überlässt, zunehmend an Bedeutung. Wer heute keinen Nikolaus Piper warnt in einem Kommentar der „SZ“ gleichberechtigten Zugang zu Waren und Dienstleistun- vom 1. Dezember 2004 – Herr Scholz, die „Süddeutsche gen und zum Arbeitsmarkt hat, hat keine Chance, sich in Zeitung“ ist ja keine Zeitung, die Ihnen schlecht geson- dieser Gesellschaft frei zu entfalten und sich selbstver- nen ist – vor einer überzogenen Antidiskriminierungs- antwortlich zu engagieren, wie wir es aber bei der politik, die in eine Falle gerate. Ich zitiere: Agenda 2010 von den Menschen erwarten. Deshalb ist Das gut Gemeinte richtet sich in der Überdosis ge- das, was wir mit diesem Gesetz bewirken wollen, nur gen das eigentlich verfolgte Ziel. Nicht der Erfolg fair. der potenziell Diskriminierten ist das Ergebnis, son- Man muss die Dinge auch zu Ende denken, Frau Kol- dern die ökonomische und gesellschaftliche Läh- legin Eichhorn. Es ist richtig: In diesem Gesetzentwurf mung. steht nicht das Verbot der Diskriminierung aufgrund des (Sebastian Edathy [SPD]: So ein Unsinn!) Familienstandes. Würden wir dies aber in das Gesetz aufnehmen, handelten wir mit Zitronen. Dann dürfte Er fährt fort: nämlich niemand mehr Ehepaare und Familien bevorzu- Die Bundesregierung wäre gut beraten, die von gen, sie würden den Sanktionen dieses Gesetzes unter- Brüssel verordnete Politik so behutsam wie mög- liegen. lich umzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir respektieren den verfassungsrechtlichen Schutz neten der FDP) von Ehe und Familie. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass dies offensichtlich nicht mehr Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der Frauenpolitik der Union entspricht. Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck, (B) Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) sowie bei Abgeordneten der SPD) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Tat gehen wir mit diesem Gesetz an einer Stelle Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bei- deutlich über das uns von der EU Vorgeschriebene hi- trag der Union lässt mich – das muss ich Ihnen geste- naus: Wir wollen die Diskriminierung im Zivilrecht hen – etwas ratlos zurück. nicht nur hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und, wie wir dies neuerdings tun müssen, Geschlecht untersa- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ gen. Man soll auch Behinderte, alte Menschen, religiöse DIE GRÜNEN und bei der SPD) Minderheiten wie Juden und Muslime sowie Homo- Man sollte sich schon entscheiden, ob man, wie es man- sexuelle nicht diskriminieren dürfen; das scheint Sie, che, insbesondere die betroffenen Verbände, tun, kritisie- wenn ich das richtig vernommen habe, am meisten zu ren will, dass man noch mehr hätte machen können und stören. wir nicht weit genug gegangen seien, oder ob man kriti- Ich kann mir angesichts unserer Geschichte – wir sieren will, dass wir viel zu weit gegangen seien. Da werden jetzt den 60. Jahrestag der Befreiung vom Fa- sollte man sich schon entscheiden. schismus begehen – schlichtweg nicht vorstellen, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz ver- abschieden, nach dem Behinderte und Juden nicht vor Die Tatsache aber, dass es in beide Richtungen Kritik Diskriminierung geschützt werden. an unserem Gesetzentwurf gibt, zeigt, dass wir einen ausgewogenen Kompromiss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Werteordnung des Grundgesetzes erteilt der Dis- kriminierung und der Ausgrenzung aufgrund bestimmter zwischen einerseits einem wirksamen Diskriminierungs- Persönlichkeitsmerkmale eine klare Absage. Das ist in schutz und andererseits keiner unnötigen Belastung der Art. 3 des Grundgesetzes geregelt. Art. 3 des Grundge- Wirtschaft und der Anbieter von Dienstleistungen gefun- setzes bindet aber unmittelbar nur den Staat und seine den haben. Organe. Das heißt: Der Staat darf den Bürger nicht dis- Ziel dieses Gesetzes ist es, jedem Bürger und jeder kriminieren. Wir wollen aber, dass die Bürger die glei- Bürgerin in unserem Land einen gleichberechtigten Zu- chen Möglichkeiten haben, wenn es zum Beispiel darum gang zum Markt, zum Handel mit Waren und Dienstleis- geht, Versicherungsverträge abzuschließen oder eine Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14263

Volker Beck (Köln) (A) Wohnung zu mieten, und nicht aufgrund bestimmter Kürzlich lief bei RTL eine Fernsehsendung, in der (C) Merkmale, zum Beispiel weil sie zu alt sind, weil sie zehn Versicherer befragt wurden, wie sie es mit Lebens- eine Frau oder eben ein Mann sind, weil sie schwul oder versicherungen für Homosexuelle, die eine eingetra- heterosexuell sind oder weil sie behindert sind, davon gene Partnerschaft haben, halten. Das Ergebnis war: ausgeschlossen sind. Wir wollen jedem die gleichen Lebensversicherungen und Krankenversicherungen ver- Chancen und Möglichkeiten eröffnen. weigern einen Vertrag, weil sie Homosexuelle offen- Was ist heute Realität? Es ist zwar nicht flächen- sichtlich für krank halten und deshalb ein höheres Ri- deckend der Fall, kommt aber immer wieder vor, dass siko befürchten. Frauen höhere Tarife bei Kranken- und Lebensversiche- Wenn Sie einmal unsere Frauenpolitiker fragen, wie rungen zahlen. Homosexuellen werden Lebensversiche- die Konditionen für Versicherungsverträge aussehen, rungsverträge pauschal verweigert. Menschen nicht dann werden sie Ihnen sagen, dass Frauen bei Verträgen deutscher Herkunft, Schwule und Lesben sowie Behin- im Bereich der Lebensversicherung einfach überall mehr derte erfahren vergleichbare Diskriminierungen im Gas- zahlen als Männer. – Sie bleiben bitte stehen, bis ich Ihre tronomiebereich. Solche Leute will man nicht bedienen, Frage beantwortet habe, Herr Scheuer. Wenn man eine man will sie dort nicht haben. Ausländisch aussehenden Frage stellt, muss man die Antwort aushalten. Das ist jungen Männern wird der Zugang zu einer Diskothek unsere Regel hier. verweigert. Behinderte Menschen werden oft in einem Ferienhotel nicht aufgenommen, weil man unterstellt, sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN würden die anderen Gäste stören. Das wollen wir abstel- und bei der SPD) len. Bislang ist dies durch unsere Rechtsprechung ge- Gibt es dafür, dass Frauen mehr zahlen als Männer, ei- deckt. Es gibt Gerichtsurteile, nach denen der Wert der nen guten Grund? Wir wissen aus versicherungsmathe- Leistung eines Reiseveranstalters gemindert werden kann, wenn Behinderte am Nebentisch ihre Mahlzeit matischen Berechnungen, dass es andere Kriterien gibt, einnehmen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie können die für den Schadensverlauf und für das Risiko des Ver- doch nicht wollen, dass das so bleibt. sicherers wesentlich relevanter sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir werden mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass und bei der SPD) Versicherer in Zukunft nur aufgrund von versicherungs- mathematischen Kriterien unterschiedliche Tarife auslo- Besonders gravierend sind die Benachteiligungen im ben können. – Sie wollen nicht mehr lernen, deshalb er- Arbeitsleben, bei der Einstellung, beim beruflichen Auf- spare ich Ihnen den Rest. Bitte setzen Sie sich, Herr stieg, bei den Arbeitsbedingungen und bei der Entloh- Kollege! (B) nung. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das abge- (D) stellt wird. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie mich kurz zum Schluss kommen. Geschlechtergerechtigkeit und der Ausbau des Diskri- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: minierungsschutzes sind keine Luxusartikel, sondern Möchten Sie, bevor Sie zum Schluss kommen, eine notwendige Zutaten einer wirksamen Modernisierungs- Zwischenfrage zulassen? politik. International kann keine Volkswirtschaft beste- hen, die nur nach Altvätersitte geführt wird. Im Zeitalter der Globalisierung ist die Anerkennung von Diversity Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein wichtiges Element für wirtschaftlichen Erfolg. Nie- Aber selbstverständlich. mand hat die Illusion, dass Diskriminierung nun per Knopfdruck über Nacht verschwindet. Ein Antidiskrimi- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: nierungsgesetz ist aber ein wichtiges gesellschaftspoliti- Der Kollege Scheuer hatte sich gemeldet. Bitte schön. sches Signal der Integration: ein Signal für das ernsthafte Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit und ein Signal Andreas Scheuer (CDU/CSU): gegen die Herabwürdigung und Ausgrenzung von Men- Herr Kollege Beck, Sie malen hier das Bild von einer schen, weil sie anders sind. Es wäre schön, wenn wir we- Gesellschaft in Deutschland, die voller diskriminierter nigstens darüber einer Meinung wären. Gruppen und voller ekliger verschiedener Auffassungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist. Sind Sie allen Ernstes der Meinung, dass in Deutsch- und bei der SPD) land solch eine Gesellschaft voller Diskriminierung, Neid und Hass vorherrscht? Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wort hat nun der Kollege Heinrich Kolb für die Ich bin der Meinung, dass ich die Gesellschaft richtig FDP-Fraktion. beschrieben habe und dass sie nicht voller Diskriminie- rung ist. Ich habe das eben in meiner Rede ausgeführt: Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Solche Diskriminierungen kommen nicht flächen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich deckend vor, aber in bestimmten Bereichen immer wie- will zu Beginn meiner Rede hier sehr deutlich und un- der. missverständlich sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion 14264 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Heinrich L. Kolb (A) wendet sich wie schon bisher auch heute und in der Zu- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (C) kunft mit aller Entschiedenheit gegen Diskriminierung GRÜNEN]: Aber nicht nur für Behinderte, und Intoleranz. sondern auch für Juden und für Schwule und Lesben!) (Beifall bei der FDP) und zwar nicht nur diejenigen, die überfällig sind, weil Wir treten dafür ein, bestehende Diskriminierungen zu ihre Umsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, sondern beseitigen und die Rechte von Minderheiten zu stärken. auch die Richtlinien, deren Umsetzungsfrist noch läuft. Wir wollen die gleichen Rechte und auch die gleichen Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, jetzt nur das Chancen für alle Menschen, Überfällige zu erledigen und in einem Jahr oder in zwei (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahren wieder anzufangen. NEN]: Und jetzt kommt das Aber!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und das unabhängig von ihrer Rasse, ihrer ethnischen GRÜNEN]: Das Gesetz ist ja noch nicht ein- Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion, ihrer Welt- mal verkündet!) anschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer Wir sagen Ja zur Umsetzung der Richtlinien aus einem sexuellen Identität. Guss. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die FDP-Bundestagsfraktion steht auch für EU-Ver- Die FDP-Bundestagsfraktion – Herr Beck, das unter- tragstreue. Herr Kollege Beck, für uns folgt daraus un- scheidet uns; ich bitte Sie, jetzt zuzuhören – will eine zweifelhaft, dass die geltenden EU-Antidiskriminie- Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinien – nicht weni- rungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen sind, ger, aber auch nicht mehr. und zwar in einer Weise, die sicherstellt, dass die mit den Richtlinien verbundenen Zielsetzungen erreicht werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Dabei fangen wir übrigens nicht bei null an; denn schon GRÜNEN]: Das heißt also: nicht für Behin- bisher tragen viele Vorschriften unseres deutschen derte, nicht für Schwule und Lesben und nicht Rechts dazu bei, Diskriminierung und Benachteiligung für Juden!) zu verhindern und Chancengleichheit zu fördern. Wir lehnen den Gesetzentwurf der Koalition ab, weil er (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nach unserer Auffassung – das will ich in der Folge be- der CDU/CSU) leuchten – weit über die EU-Richtlinien hinausgeht. Die- ser Gesetzentwurf ist für uns ein erneuter Ausdruck der (B) Ich denke, die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert mit rot-grünen Staatsgläubigkeit. Er atmet den Geist der (D) Recht, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zur Gutmenschen, die den widerspenstigen Bürger mit der Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG Keule des Gesetzes Mores lehren wollen. nicht rechtzeitig nachgekommen und erst nach Andro- hung eines Vertragsverletzungsverfahrens tätig gewor- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Volker den ist. Das steht doch in klarem Widerspruch dazu, dass Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie, Herr Scholz, und Sie, Herr Beck, sich hier hinstellen Das ist der Ansatz der Union! Da müssen Sie und sagen: Das ist uns ein wichtiges Anliegen. – Wenn sich schon in Brüssel beschweren!) ich heute hier auf die Regierungsbank schaue, muss ich Aber wir meinen: Der Abbau von Diskriminierungen feststellen: Nicht ein Minister Ihrer Regierung ist hier lässt sich nicht – jedenfalls nicht allein – per Gesetz ver- vertreten! Das zeigt, wie ernst und wie wichtig Sie die- ordnen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. ses Thema nehmen. Wir brauchen eine Veränderung des Bewusstseins, keine (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Prozessflut; denn damit wäre niemandem, der diskrimi- Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- niert wird, geholfen. Was wir brauchen und entwickeln NEN]: Wo ist Ihr Partei- und Fraktionsvorsit- müssen, ist eine Kultur des Miteinanders, in der Dis- zender?) kriminierung und Vorurteile geächtet und Vielfalt und Unterschiedlichkeit akzeptiert und toleriert werden. Wahrscheinlich sind Frau Renate Schmidt und Frau Zypries gerade noch dabei, sich über die Zuständigkeit (Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] zu streiten; sonst wären sie möglicherweise hierher ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn kommen. Die Besetzung der Regierungsbank ist ein nun?) Skandal, Herr Beck. – Ich will Ihnen ja sagen, was unserer Meinung nach ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tan werden kann und soll. der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜND- Bei der Umsetzung der Richtlinien muss man eines NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Ihnen sonst sehen: nichts einfällt!) (Zuruf von der SPD: Was denn?) Die FDP-Bundestagsfraktion – Herr Beck, das sage ich, um Gemeinsamkeiten festzuhalten – will, dass die Nicht alles, was im Hinblick auf die EU-Richtlinien neu geltenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umge- zu regeln ist, muss in einem eigenen Gesetz geregelt hend umgesetzt werden, werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14265

Dr. Heinrich L. Kolb (A) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ser Vorschrift zufolge sollen sie, wenn ich das richtig (C) GRÜNEN]: Jetzt geht es also um Gesetzes- lese, quasi als arbeitsrechtlicher Antidiskriminierungs- ästhetik! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/ verband auch ohne den Willen oder die Zustimmung ei- DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein reines Ab- nes Benachteiligten tätig werden und vor Gericht Rechte lenkungsmanöver!) geltend machen können. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen – wahrscheinlich insbesondere von der SPD –, das Wir glauben zum Beispiel, dass der zivilrechtliche Rege- mag ja als ein Stärkungsmittel für die an Mitglieder- lungsteil der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien – so- schwund leidenden Gewerkschaften gedacht sein, ist wohl aus rechtssystematischer Sicht als auch um für die aber weder erforderlich noch sachgerecht. Bürger die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Rechtssystems zu erhalten und zu vergrößern – besser (Beifall bei der FDP) im BGB als in einem Antidiskriminierungsgesetz enthal- ten sein sollte. Die Schaffung einer neuen Antidiskriminierungs- stelle als eigener Behörde mit umfassendem bürokrati- (Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] schen Apparat und Stellenkegel ist wahrscheinlich der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir ei- Beitrag der Grünen zum Antidiskriminierungsgesetz. nen anderen Standort finden, dann stimmen Hier wird erneut – ich will sagen: ziemlich hemmungs- Sie also zu?) los – die grüne Klientel bedient. – Herr Beck, am Schluss meiner Rede mache ich Ihnen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ein Angebot. der CDU/CSU) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Schewe-Gerigk hat, wie es heute Morgen in einer NEN]: Darüber können wir reden!) Tickermeldung hieß, gesagt, dass sich die Grünen noch Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den von der Koali- mehr Stellen gewünscht hätten. Auch diese Aussage tion vorgelegten Entwurf eines Antidiskriminierungsge- spricht Bände. setzes insbesondere aufgrund folgender Regelungen des Wir meinen, die EU-Richtlinien machen diese Büro- Gesetzentwurfs ab: kratie nicht erforderlich. Stattdessen wäre nach unserer (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Auffassung die inhaltliche Stärkung der auch schon bis- GRÜNEN]: Weil Sie es im BGB haben wol- her vorhandenen Beauftragten sinnvoll; Frau Beck und len!) Herr Haack sind ja heute Morgen hier oder waren zu- mindest hier. Eventuell auftretende Lücken hinsichtlich (B) (D) Die nach § 24 des Entwurfs vorgesehene Unterstützung der nach EU-Recht notwendigen Kompetenzen und Ziel- durch Antidiskriminierungsverbände und die Ermög- gruppen können durch eine Stelle im Bundesministerium lichung der Abtretung der Forderung Benachteiligter auf für Familie, Frauen, Senioren und Jugend geschlossen Schadensersatz oder Entschädigung in Geld an diese werden. Verbände führt zu einem modernen Ablasshandel in Sa- chen Antidiskriminierung. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Aber wir brauchen kein neues bürokratisches Monstrum, keine neue Behörde. Es mag sein – ich bin mir sogar sicher –, dass hier ein neuer, blühender Wirtschaftszweig einstehen würde und Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, will dass es in Antidiskriminierungsverbänden und in der ich an Sie appellieren – Herr Kollege Beck, wenn Sie Folge auch in Rechtsanwaltskanzleien und bei Gerichten mir freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit schenken zu Beschäftigungswundern käme. Aber die Wirkung der würden –: Es wäre schön, wenn es gelingen könnte, für Regelungen des § 24 auf weite Bereiche unseres Alltags- das wichtige Vorhaben der Umsetzung der EU-Anti- und Wirtschaftslebens wäre verheerend. Hier – das muss diskriminierungsrichtlinien einen breiten Konsens in man sagen – schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. diesem Hause herzustellen. Unsere Zustimmung bekommen Sie für diese Regelung (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE nicht. GRÜNEN]: Dann müssen Sie sich aber ein (Beifall bei der FDP) bisschen bewegen!) Die im Gesetzentwurf vorgesehene Umkehr der Be- Wir sind dazu bereit, bisher wollen Sie das aber offen- weislast geht nach unserer bisherigen Einschätzung zu sichtlich nicht. Jedenfalls ist der Entwurf, den Sie, ohne weit. Sie öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Hier müs- auch nur ansatzweise Rücksprache mit der Opposition sen im Hinblick auf die im deutschen Rechtssystem an- zu halten, vorgelegt haben, hierfür keine Basis. Das ist sonsten geltende Unschuldsvermutung die in den Richt- bedauerlich, weil wir in der Vergangenheit bei ähnlichen linien vorgesehenen Spielräume bei der Anpassung des Vorhaben, etwa bei der Verbesserung der Rechte behin- nationalen Rechts genutzt werden. derter Menschen, einen solchen Konsens immer haben herstellen können. Mit dem § 18 des Gesetzentwurfs werden den Ge- werkschaften neue Rechte im Betrieb zugewiesen. Die- (Beifall bei der FDP) 14266 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Deswegen meine Bitte, bei den jetzt anstehenden den Schutz vor Diskriminierung als allgemeines Men- (C) Ausschussberatungen den Versuch dazu zu unterneh- schenrecht anerkannt und zu einem zentralen Wert unse- men – auf der Basis des jetzt gültigen Rechts wird un- rer Gesellschaft gemacht. Auf der Grundlage internatio- sere Zustimmung zum ADG jedenfalls nicht möglich naler Verpflichtungen haben wir Gott sei Dank schon sein. viele Vorschriften zur Antidiskriminierung entwickelt. Danke schön. Die Richtlinien gehen aber darüber hinaus: Einen um- (Beifall bei der FDP – Abg. Volker Beck fassenden arbeits-, sozial- und zivilrechtlichen Schutz, [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] mel- wie ihn die europäischen Richtlinien jetzt vorschreiben, det sich zu einer Zwischenfrage) gibt es bei uns in Deutschland noch nicht. Diesen schaf- fen wir jetzt mit diesem Antidiskriminierungsgesetz. Wir wollen, dass es Diskriminierung wegen des Geschlechts, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschau- Ich hätte die Redezeit des Kollegen Kolb ja allzu gern ung, der sexuellen Identität, des Alters und der Behinde- durch eine Zwischenfrage verlängert. Der Wunsch nach rung künftig nicht mehr gibt. Dazu setzen wir die Richt- einer Zwischenfrage hätte aber rechtzeitig angezeigt linien im Arbeitsrecht eins zu eins um. Im Zivilrecht werden müssen. gehen wir über die Richtlinien hinaus: Wir nehmen die (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Lassen Sie ihn Behinderung als Merkmal hinzu. doch eine Kurzintervention machen und ich Ich frage Sie: Wollen Sie denn allen Ernstes, dass in antworte danach!) Zukunft ein Mensch mit Behinderung und weißer Haut- – Um Gottes Willen, diese Anregung habe ich nicht ein- farbe weniger geschützt ist als ein Mensch mit Behinde- mal gehört. rung und dunkler Hautfarbe? Das wäre die Konsequenz Ihres Vorschlages! Nun hat die Kollegin Christel Humme für die SPD- Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir müssen uns gemeinsam überlegen, Christel Humme (SPD): wie wir das machen!) Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe gestern Ich freue mich von ganzem Herzen, dass es uns gelun- mit Erstaunen in der „Welt“ gelesen, die Arbeitgeber gen ist – nach zähem Ringen; das gebe ich zu –, heute fühlen sich durch unser Antidiskriminierungsgesetz dis- endlich ein Antidiskriminierungsgesetz in der ersten Le- kriminiert. (B) sung im Bundestag zu haben. Ich danke beiden Fraktio- (D) nen und allen Beteiligten recht herzlich dafür. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da geht es schon los!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Diese Arbeitgeber sagen, wir brauchten kein neues Ge- setz, unsere gesetzlichen Regelungen seien ausreichend. Denn ich weiß ganz genau, dass dieses Antidiskriminie- Genau diese Arbeitgeber frage ich, warum Frauen – Frau rungsgesetz von den Betroffenen wirklich sehr ungedul- Eichhorn hat das bestätigt – für eine gleichwertige Ar- dig erwartet worden ist. Leider zeigt ein Blick in die beit heute noch immer im Durchschnitt 30 Prozent weni- Wirklichkeit – Frau Eichhorn, Sie haben das ja schon ger Gehalt bekommen als Männer. Im europäischen Ver- durch viele Beispiele beschrieben –, dass dieses Antidis- gleich ist das übrigens ein Negativrekord. Warum kriminierungsgesetz dringender denn je vonnöten ist. verdienen Frauen weniger, haben aber höhere Aufwen- Erst im letzten Jahr wurde eine Studie von Professor dungen für die Kranken- und Rentenversicherung? Wa- Heitmeyer von der Universität Bielefeld veröffentlicht, rum müssen Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Kin- die bestätigt hat, dass wir es in unserer Gesellschaft zu- der bekommen, noch immer Benachteiligungen am nehmend mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben. Was Arbeitsplatz befürchten? uns fehlt, ist eine Antidiskriminierungskultur, wie sie in angelsächsischen Ländern und auch in nordeuropäi- Ich frage die Arbeitgeber, die so argumentieren, wei- schen Ländern in den letzten 30 bis 50 Jahren zu einer ter: Wie erklären Sie den Menschen, die über 50 Jahre Selbstverständlichkeit entwickelt worden ist. Darum alt sind, dass sie allein aufgrund ihres Lebensalters und – das sage ich Ihnen ganz offen – habe ich überhaupt völlig unabhängig von ihrem Können, ihrer Erfahrung kein Verständnis dafür, dass Sie, meine Herren und Da- und ihrer Einsatzbereitschaft aus dem Arbeitsleben aus- men von der Opposition, mit so einer Vehemenz und mit gegrenzt werden? Welche Begründung geben Sie den viel Polemik gegen unser Gesetz agieren. Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe als nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutsch wahrgenommen werden und denen die Teil- DIE GRÜNEN) nahme am öffentlichen Leben – in Discos und Kneipen, bei der Wohnungssuche, bei Auswahl- und Bewerbungs- Denn Schutz vor Diskriminierung sollte unsere gemein- gesprächen – allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu ei- same Aufgabe sein. Diesem Schutz haben wir uns ver- ner ethnischen Gruppe erschwert wird? Ich denke, diese pflichtet – Sie in Ihrer Regierungszeit auch –: In den Beispiele machen deutlich, dass wir unserer Verantwor- letzten 50 Jahren haben wir die verschiedensten völker- tung, die Menschen vor Diskriminierung zu schützen, rechtlichen Übereinkommen ratifiziert. Wir haben damit noch nicht ausreichend gerecht geworden sind. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14267

Christel Humme (A) Kritiker – vor allen Dingen Sie von der Opposition – kussion des Antidiskriminierungsgesetzes positiv beglei- (C) warnen davor, dass Unternehmen durch eine Klageflut, tet haben, sage ich auch an dieser Stelle noch einmal durch Bürokratie und durch Verwaltungsaufwand belas- herzlichen Dank. tet würden. Ich halte das für Horrorszenarien und vorge- schobene Argumente. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/ Lassen Sie mich zum Abschluss noch zu einem wich- CSU]: Sie sind realitätsfremd!) tigen Baustein des Gesetzes kommen, nämlich der Ein- richtung der nationalen Gleichstellungsstelle. Ich halte Ich möchte das anhand eines Beispiels belegen. diese Stelle wirklich für den wichtigsten Baustein; denn dort werden die Betroffenen nicht nur beraten, sondern Am vergangenen Dienstag hat die Bundesvereini- dort wird auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Herr gung der Deutschen Arbeitgeberverbände eine Veran- Scheuer, Sie haben vorhin gesagt, dass unsere Gesell- staltung zum Antidiskriminierungsgesetz durchgeführt. schaft umdenken muss und dass wir eine Antidiskrimi- Ziel war es natürlich, das Antidiskriminierungsgesetz in nierungskultur benötigen. Nur diese Stelle kann das er- wesentlichen Punkten zu kritisieren. Erstaunlich dabei reichen. Dieser Stelle wird ein Beirat zugeordnet, in dem war, dass am Nachmittag, als die eingeladenen Unter- Nichtregierungsorganisationen zusammen mit den Tarif- nehmer zu Wort kamen und ihr Unternehmenskonzept parteien vertreten sind. Dadurch haben die Tarifparteien vorstellten, ganz schnell klar wurde, dass sie sich vor Einflussmöglichkeiten und die Chance – das werden wir dem Gesetz nicht fürchten. Gerade die mittelständische mit dieser Stelle bewirken –, präventive Streitschlich- Industrie ist im Großen und Ganzen sehr gut vorbereitet; tung zu erreichen. Darum geht es. denn viele Unternehmer haben bereits heute erkannt, dass es ihnen auch ökonomisch nützt, wenn sie dazu bei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben es in tragen, ein tolerantes, offenes und familienfreundliches der Hand. Die Gleichbehandlung aller Menschen muss Arbeitsklima mit dem Blick auf Vielfalt zu schaffen. selbstverständlich sein. Damit dies selbstverständlich Kurzum: Wer eine Personalpolitik betreibt, die den Plus- wird, brauchen wir dieses Gesetz. punkt Vielfalt in der Personalstruktur erkennt, der wird bereits präventiv Benachteiligungen verhindern. Vielen Dank. Lassen Sie uns das ganze Gesetz ein wenig unaufge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ regter diskutieren. Ich glaube zwar, dass die gesell- DIE GRÜNEN) schaftliche Wirklichkeit auf der einen Seite viel Diskri- (B) minierung widerspiegelt, auf der anderen Seite gibt es in Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (D) ihr aber bereits Entwicklungen, die sehr weit über das hi- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort Karl- nausgehen, was wir hier diskutieren. Es geht um Schutz Josef Laumann. vor Diskriminierung. Dieses Ziel erreichen wir mit unse- rem Gesetz, wenn es nicht mehr zu Klagen und Scha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) densersatzprozessen kommt. Optimal wäre es deshalb, wenn sich Arbeitgeber und Tarifparteien bereits im Vor- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): feld für Antidiskriminierung einsetzen würden, wie es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich im Gesetz ja auch vorgesehen ist. glaube, dass wir einvernehmlich der Debatte vorwegstel- len dürfen, dass die Diskriminierung eines Menschen An dieser Stelle sage ich aber auch sehr deutlich: wegen äußerer Merkmale oder Veranlagung für einen Funktioniert das im Vorfeld, also präventiv, nicht, dann anständigen Menschen schlicht und ergreifend etwas nützt den Benachteiligten ein Gesetz als Papiertiger Unanständiges ist. überhaupt nichts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN) und der FDP) In Konfliktsituationen brauchen sie Hilfe und Beistand Gerade für uns Unionsabgeordnete hängt das zutiefst durch Verbände, um ihre Rechte durchzusetzen. Ich mit unserem christlichen Menschenbild zusammen; denke, das ist von großer Bedeutung; denn Personen, die denn das christliche Menschenbild ist immer von der un- sich, allein auf sich gestellt, gegen eine Benachteiligung verletzbaren Würde eines jeden Menschen ausgegangen wehren müssen, schrecken zunächst einmal vor einer und hat im Übrigen immer ein sehr tolerantes Menschen- Durchsetzung ihrer Rechte zurück, weil sie wiederum bild vertreten. Das wird es auch in Zukunft tun. persönliche Benachteiligungen erfahren bzw. befürch- ten. Das hat die jetzige Praxis gezeigt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist – das sage Ich halte es für völlig richtig, dass sich eine Gesell- ich hier noch einmal ganz deutlich –, mit dem Gesetz schaft Regeln gibt, die allen deutlich machen, dass Dis- auch die Verbände zu stärken, die sich seit Jahrzehnten kriminierung schlecht ist und geahndet werden muss. Ich in verantwortungsbewusster und beeindruckender Weise habe also im Grundsatz nichts gegen ein Antidiskrimi- für die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminie- nierungsgesetz. Uns liegt heute ein Gesetzentwurf vor, rung eingesetzt haben. Diesen Verbänden, die die Dis- mit dem wieder einmal EU-Recht umgesetzt wird. Wir 14268 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Karl-Josef Laumann (A) wissen, dass Brüssel gerne und viel regelt. Das ist auch die gemessen an den objektiven Kriterien vielleicht nicht (C) hier passiert. so gute Bewerbungsunterlagen haben, aber durch ihre Persönlichkeit einiges wettmachen könnten, bei denjeni- Es liegen uns drei EU-Richtlinien vor, die die Diskri- gen, die jetzt nur noch formal entscheiden, den Kürzeren minierung wegen des Geschlechtes, die Diskriminierung ziehen. Glauben Sie bloß nicht, dass diese Regelung für wegen Rasse und ethnischer Herkunft und die Diskrimi- alle nur gut ist. nierung wegen Religion, Weltanschauung, Alter, Behin- derung und sexueller Ausrichtung verbieten und sanktio- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nieren. Diese Richtlinien betreffen überwiegend den neten der FDP) Bereich des Arbeitsrechtes, also das Verhältnis zwischen Der Mensch ist mehr als die Summe formaler Kriterien. Arbeitgeber und Beschäftigten. Die Richtlinie zur Nicht- Er ist vielmehr – das wissen wir alle – auch eine Persön- diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft lichkeit. Ich finde, sie darf dabei nicht auf der Strecke betrifft darüber hinaus auch den zivil- und sozialrechtli- bleiben. Letzten Endes können Kriterien wie Persönlich- chen Bereich. In einem vereinten Europa, in dem die na- keit, Sympathie und Teamfähigkeit vor Gericht nicht so tionalen Grenzen immer mehr an Gewicht verlieren, ist eindeutig nachgewiesen werden wie Examensnoten, es richtig und im Interesse aller, einheitliche Regelungen Schulnoten oder Noten von Gesellenbriefen. festzuschreiben. Trotzdem betreffen die drei EU-Richt- linien Deutschland in anderer Weise als andere Länder. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht alles nicht im Gesetz, So kennen zum Beispiel der angloamerikanische, aber was Sie hier erzählen!) auch der skandinavische Rechtsraum kaum Arbeit- nehmerschutzrechte. Sie haben den Arbeitnehmer- Deswegen geht damit ein gutes Stück Menschlichkeit in schutz vorwiegend über Antidiskriminierungsgesetze der Arbeitswelt verloren. geregelt. Was hier bei uns passiert, ist, dass wir im Grunde unserer Rechtstradition eines ausgeprägten Ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beitnehmerschutzes die Antidiskriminierungsgesetze an neten der FDP) die Seite stellen, die teilweise den gleichen Sachverhalt Es gibt noch einen weiteren Punkt. Natürlich sieht die regeln. Da haben jetzt die Arbeitgeber – das kann ich EU-Richtlinie vor, dass Diskriminierung geahndet wer- auch nachvollziehen – das Gefühl, von zwei Rechtsräu- den muss. Aber es wäre richtig gewesen, wenn wir, wie men eingeschränkt zu werden. Ich finde, das hätten Sie es bisher in Deutschland in § 611 a des Bürgerlichen Ge- schlicht und ergreifend bedenken müssen. setzbuches geregelt ist, die Höhe des Schadenersatz- anspruchs begrenzt hätten, damit das kalkulierbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (D) Was ziehe ich daraus für eine Schlussfolgerung? GRÜNEN]: Das ist jetzt Zivilrecht und nicht Wenn unsere Rechtstradition nun einmal so ist, dass sie Arbeitsrecht!) Schutzrechte vorsieht, dann hätten Sie bei der Umset- zung der EU-Richtlinie darauf achten müssen, dass Sie Die unbegrenzte Höhe des Schadenersatzes schreibt die sie restriktiv umsetzen. Dass die EU-Richtlinie umge- EU-Richtlinie nicht zwingend vor. setzt wird, ist in Ordnung. Aber Sie hätten nicht über den Standard der EU-Richtlinie hinausgehen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Sie hätten sich an dem § 611 a orientieren und damit GRÜNEN]: Sagen Sie uns einmal, wo wir im mehr Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit in den Ar- Arbeitsrecht mehr gemacht haben! Das wüsste beitsbeziehungen erreichen können. ich doch gerne!) Ich will ein anderes Beispiel nennen. Ich meine die so – Dazu komme ich gleich. genannten Abmahnvereine. Sie wissen, dass ich immer dafür war, dass Verbände ihre Mitglieder vor Gericht Ein weiterer Tatbestand: So wie die Bundesregierung vertreten können. Ich habe es immer für richtig gehalten, das EU-Recht umsetzen will, befürchte ich, dass sich das dass Gewerkschaften, Behindertenverbände oder der Zusammenleben in den Betrieben in Deutschland verän- VdK ihre Klientel vor Sozialgerichten oder Verwal- dern wird. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Ein vor- tungsgerichten in ihren sozialen Angelegenheiten vertre- sichtiger Arbeitgeber wird in Zukunft bei Einstellungen ten, weil ich weiß, dass viele kleine Leute nicht vor Ge- immer darauf achten, sich an formale, objektiv nach- richt gehen würden, wenn sie das Prozessrisiko tragen weisbare Kriterien zu halten. müssten. Es ist völlig in Ordnung, dass das über einen Beitrag beispielsweise zum VdK geschieht. Ich habe (Christel Humme [SPD]: Das sollte er doch auch nichts dagegen, dass Antidiskriminierungsver- auch heute schon tun!) bände die Vertretung ihrer Leute vor Gericht überneh- Das sind – das ist auch die Einstellungspraxis des öffent- men. Was aber machen Sie? Sie haben die neue Idee, lichen Dienstes – vor allen Dingen Zeugnisnoten und dass ein Mensch einem Verband seinen Schadenersatz- Benotungen von Abschlüssen. Auf der anderen Seite anspruch abtreten kann, der Verband diesen Anspruch wissen wir doch auch, dass bei jeder Einstellung neben vor Gericht geltend macht und unter Umständen das den Noten die Sympathie, Empfehlungen und die Frage, Geld oder Teile des Geldes behält, das als Schaden- ob der Bewerber ins Team passt, wichtig sind. Dieses ersatz gezahlt wird. Das ist gegenüber dem bisherigen Gesetz wird in Wahrheit dazu führen, dass diejenigen, Zustand eine ganz andere Qualität. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14269

Karl-Josef Laumann (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir hingegen trauen den Menschen zunächst einmal (C) und setzen auf wenige Regelungen und Grundsätze, die Damit tun Sie sich keinen Gefallen. Viele Antidiskri- durchschaubar sind. Machen Sie sich klar, dass es bei minierungsverbände werden in Zukunft geradezu für diesen Fragen nicht in jedem Punkt der Keule des Geset- Fälle werben. Sie werden medienwirksam Prozesse füh- ren, um weitere Fälle zu finden. Sie werden sich daran zes bedarf! Das hat sich schon in der Vergangenheit ge- auch noch bereichern. Ich verstehe nicht, was an dieser zeigt. Erforderlich ist vielmehr die Zivilcourage der Politik sozial sein soll. Menschen, die sich einmischen, wenn sie Diskriminie- rungen beobachten, und deutlich machen, dass ein sol- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ches Verhalten zu weit geht. Das ist viel wirksamer. neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich befürchte, dass Sie auch noch auf die Idee kommen, neten der FDP) das Klagerecht im Sozialrecht und im Verwaltungsrecht für den VdK und andere in dieser Weise zu ändern. Wir trauen den Menschen in Deutschland etwas zu. Wir wollen keinen Staat, der in jeden Lebensbereich hi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neinplant und mit der Gesetzeskeule kommt. Wir haben Sie sollten sich wegen dieser Denke wirklich schämen, Vertrauen zu unseren Bürgern und deswegen können wir weil Sie das Kind mit dem Bade ausschütten. es uns auch erlauben, in vielen Punkten auf staatliche Eingriffe zu verzichten. Das unterscheidet uns sehr von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rot-Grün. Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Die EU- Schönen Dank. Richtlinie sieht auch nicht die Haftung der Arbeitgeber wegen des diskriminierenden Verhaltens Dritter vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Nicolette Kressl [SPD]: Peinlich, Herr NEN]: Warum haben Sie denn nichts zu Be- Laumann!) hinderten gesagt? Zu den Behinderten haben In Ihrem Gesetzentwurf ist sie aber enthalten. Das hätten Sie nichts zu sagen!) Sie nicht zu tun brauchen. Unterstellt, in eine Bank, in der viele weibliche Mitarbeiter beschäftigt sind, kommt Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ein muslimischer Mitbürger – das ist ein sehr realer Fall, Nächste Rednerin ist die Kollegin Schewe-Gerigk, den ich jetzt beschreibe –, der sich in Geldangelegenhei- Bündnis 90/Die Grünen. ten nicht von einer Frau beraten lässt. Es ist völlig klar, (B) dass das eine Diskriminierung ist. Das ist nicht in Ord- (D) nung. Da sind wir uns völlig einig. Aber was soll jetzt Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE der arme Arbeitgeber machen? Er könnte die Frau auf GRÜNEN): einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt versetzen und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr einen Mann mit ihrer Aufgabe betrauen, damit das Pro- Laumann, Sie haben sich heute nicht gerade als Vorsit- blem für diesen Kundenbereich – diese Kunden will man zender des Arbeitnehmerflügels geoutet. ja behalten – gelöst wird. Wenn die Frau aber mit dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versetzung nicht einverstanden ist und der Kunde sein sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von Verhalten nicht ändert, ist der Arbeitgeber dafür haftbar. der CDU/CSU: Was?) Er kann aber für diese Situation nichts. Es ist doch gera- dezu irrsinnig und weltfremd, was Sie hier vorschlagen. Es waren die Grünen, die vor 20 Jahren als erste ein Dafür werden wir Ihnen unsere Hand nicht reichen kön- Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt haben, das den nen. Schutz vor Ungleichbehandlung von Frauen zum Ziel (Beifall bei der CDU/CSU) hatte. Heute beraten wir ein umfassendes Antidiskrimi- nierungsgesetz, Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf sehr deutlich macht, dass Rot-Grün von unserer Gesellschaft ein völ- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach wie vor lig anderes Bild hat als wir von der Unionsfraktion und ohne sonderliches Interesse seitens der Bun- wahrscheinlich auch die FDP-Fraktion. desregierung!) (Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt!) das alle Diskriminierungsmerkmale erfasst und sowohl für das Arbeits- als auch für das Zivilrecht gilt. Dieses Bild beruht auf der Vorstellung, dass man alles bis in die letzte Kleinigkeit durch Gesetze regeln und Ich frage Sie, Herr Laumann, welchen Sinn es ma- strafbewehren muss. chen soll, wenn man Frauen vor Diskriminierung schützt, aber behinderte Menschen nicht. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn bei den Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – hinderten machen, Herr Laumann? Wollen Sie [CDU/CSU]: Wieso denn nicht? Das die im Regen stehen lassen?) stimmt doch überhaupt nicht!) Das würde bedeuten, dass man den Menschen nicht – Weil das im Zivilrecht nicht zwingend vorgeschrieben mehr traut. ist. Wir machen ein Gesetz, das Diskriminierung und 14270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Irmingard Schewe-Gerigk (A) Ausgrenzung aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerk- wenn Versicherungsunternehmen aber wegen des Ge- (C) male eine klare Absage erteilt. Es ist ein Gesetz mit schlechts differenzieren, unterliegen sie einer gesteiger- Augenmaß, das nicht jegliches unterschiedliches Han- ten Darlegungspflicht. Künftig können auch Frauenver- deln verbietet, sondern Differenzierung zulässt, wenn es bände benachteiligte Personen in zivilrechtlichen dafür eine sachliche Begründung gibt. Ich nenne nur die Verfahren unterstützen oder eine Abtretung verlangen. Stichwörter Jugendtarife, Seniorenteller und Frau- Von großer Bedeutung ist für uns die Einrichtung ensauna. All dies wird noch möglich sein. Trotzdem einer Antidiskriminierungsstelle. Frau Eichhorn, Sie macht der von uns eingebrachte Gesetzentwurf deutlich, haben gesagt, das alles sei aufgeblasen. Wir haben je- dass Privatautonomie da endet, wo andere Menschen denfalls die bestehenden Strukturen mit den Behinder- diskriminiert werden. Das Gesetz wird zur Modernisie- tenbeauftragten und den Integrationsbeauftragten ge- rung der Gesellschaft beitragen. nutzt, damit das Modell möglichst klein bleibt. Ich frage mich, was der Hauptgeschäftsführer der Ar- 30 Personen für das gesamte Bundesgebiet sind sicher- beitgeberverbände und CDU-Abgeordnete Göhner – lei- lich nicht zu viel. Alle Opfer von Diskriminierung wer- der ist er heute nicht anwesend, aber wir wissen ja, dass den dort eine Anlaufstelle haben. er sein Abgeordnetenmandat als Nebentätigkeit betreibt; Wichtig ist uns Grünen auch ein wirksamer Schutz wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, kann vor Altersdiskriminierung. Frau Eichhorn, das haben man wohl nicht immer hier sein – mit seinen Horror- Sie ebenfalls aufgegriffen. Obwohl Sie vorhin Beispiele szenarien über das Gesetz beabsichtigt. Ich halte das, für die Diskriminierung alter Menschen genannt haben, was in diesem Zusammenhang betrieben wird, für eine wenden Sie sich gegen unser Gesetz. Sie sollten sich ent- ganz miese Stimmungsmache. scheiden, welche Linie Sie verfolgen wollen. Gerade bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – der Altersdiskriminierung belegt Deutschland einen Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das, traurigen Spitzenplatz. 60 Prozent der Betriebe beschäf- was Sie machen, ist Stimmungsmache!) tigen keine über 50-jährigen Menschen mehr. Ich finde, das können wir nicht länger hinnehmen. Selbstverständlich ist auch mit Klagen zu rechnen. Blieben diese aus, dann wäre ein solches Gesetz gar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht notwendig; dann hätten wir uns die Arbeit sparen sowie bei Abgeordneten der SPD) können. Aber von einer Klagewelle zu sprechen soll nur Für mich ist das Entscheidende an dem Gesetz der die Menschen im Lande verunsichern. Perspektivwechsel. Bisher waren Diskriminierte Opfer Gerade für die Geschlechtergerechtigkeit ist das Anti- und Bittsteller. Nun sind sie es nicht mehr. Sie können mithilfe des Gesetzes ihre Rechte einfordern und durch- (B) diskriminierungsgesetz ein wichtiger Baustein. Darum (D) war uns Grünen der horizontale Ansatz – das heißt, dass setzen. alle Diskriminierungsmerkmale erfasst werden – beson- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich möchte ders wichtig. Denn gerade Frauen sind häufig von Mehr- nur noch darauf hinweisen, dass 2005 nicht nur das fachdiskriminierung betroffen. Frauen mit Migrations- Einstein-Jahr, sondern auch – das wird oft vergessen – hintergrund oder Behinderung sowie ältere Frauen das Schiller-Jahr ist. Da wir in diesem Jahr den tragen das höchste Risiko, auf dem Arbeitsmarkt be- 200. Todestag Schillers begehen, haben wir darüber nachteiligt zu werden. nachgedacht, ob es nicht sinnvoll ist, einige seiner Zitate Das schon bestehende arbeitsrechtliche Verbot der hier im Bundestag zu verwenden. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts werden (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sollten Sie ma- wir jetzt erweitern. Vor Benachteiligung im Arbeitsle- chen, wenn Sie wieder mehr Zeit haben!) ben, bei der Einstellung, dem beruflichen Aufstieg, den Arbeitsbedingungen, aber auch bei der Entlohnung, gibt – Nein, es ist ganz kurz. – Ich finde, zu unserer heutigen es jetzt einen wirksamen Schutz. Dieser ist gerade bei Debatte passt nach 20-jähriger Diskussion über ein Anti- der Entlohnung notwendig; denn heute, im diskriminierungsgesetz folgendes Schiller-Zitat ganz 21. Jahrhundert, verdienen Frauen im Durchschnitt im- gut: „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasset Taten mer noch 30 Prozent weniger als Männer. Ich finde, es folgen.“ ist an der Zeit, dies zu beenden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht das Originalzitat!) und bei der SPD) – Doch, das ist das Original. Bei einem groben Verstoß gegen das Diskriminie- Ich danke Ihnen. rungsverbot können jetzt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft vom Arbeitgeber ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN langen, die Benachteiligung zu unterbinden. Das ist doch und bei der SPD) wohl eine Selbstverständlichkeit. Anderenfalls können sie auch dagegen klagen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe keinen Zweifel, dass uns der gute Schiller in Das Benachteiligungsverbot gilt nun auch für privat- diesem Jahr noch sehr oft begleiten wird. rechtliche Versicherungen aller Art. Unisextarife wer- den damit zwar noch nicht automatisch durchgesetzt, (Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14271

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich weise nur vorsichtshalber darauf hin, dass das inner- Renate Gradistanac (SPD): (C) halb der Redezeit erfolgen sollte. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beginne nicht mit Schiller, sondern mit (Heiterkeit) Kant: Ich erteile nun das Wort der Kollegin Petra Pau. Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben. Petra Pau (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Das ist ein hartes Wort. Aber wir alle wissen, wie es ist, PDS im Bundestag begrüßt, dass endlich der Entwurf ei- wenn wir ungerecht behandelt werden, und wie sensibel nes Antidiskriminierungsgesetzes zur Beratung vorliegt; wir reagieren, wenn wir das Gefühl haben, einer Benach- denn ein solches Gesetz ist überfällig. Der Anspruch auf teiligung oder einer Diskriminierung ohnmächtig gegen- Schutz vor Diskriminierung ergibt sich aus Art. 1 des überzustehen. Mit der heutigen ersten Lesung unseres Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen un- Antidiskriminierungsgesetzes wollen wir erreichen, dass antastbar ist, und zwar die Würde jedes Menschen, und die Antidiskriminierungskultur in Deutschland einen hö- aus Art. 3 des Grundgesetzes, wonach alle Menschen heren Stellenwert erfährt. vor dem Gesetz gleich sind. Der Anspruch auf recht- (Beifall bei der SPD) lichen Schutz ergibt sich aber vor allem aus dem tägli- chen Leben. Denn es gibt vielfach Diskriminierungen im Die Antidiskriminierungskultur muss als wesentlicher Alltag und im Arbeitsleben: Diskriminierung von gesellschaftlicher Wert gesehen werden. Dazu braucht es Frauen, Migranten, Juden sowie Menschen mit Behinde- eine breite öffentliche Unterstützung und auch Ihre Un- rungen. Man könnte diese Liste ohne weiteres fortsetzen. terstützung, Herr Kolb. Wir begrüßen ebenfalls, dass SPD und Bündnis 90/ Mit diesem Gesetz werden wir nicht nur vier EU- Die Grünen den umfassenden Entwurf eines Antidiskri- Gleichbehandlungsrichtlinien umsetzen; es steht darüber minierungsgesetzes vorgelegt haben. Das war nicht im- hinaus in engem Zusammenhang mit der internationalen mer so beabsichtigt, obwohl es die PDS ständig gefor- Weiterentwicklung des Schutzes aller Menschen vor dert hat. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht die Diskriminierungen. Das Gesetz verbietet – das ist heute Ahndung von Diskriminierungen wegen der ethnischen schon mehrmals angesprochen worden – die Benachtei- Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Welt- ligung von Menschen aufgrund des Geschlechts, der eth- anschauung, einer Behinderung, des Alters oder der se- nischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschau- xuellen Identität vor. Diesem komplexen Ansatz stim- ung, des Alters, aufgrund einer Behinderung oder der (B) men wir zu, allemal weil es bereits hinreichend sexuellen Identität. (D) Widerspruch dagegen gibt, und zwar nicht nur aus der Wirtschaft. Als Sozialdemokratin bin ich stolz auf unser Lebens- partnerschaftsgesetz und das Ergänzungsgesetz mit Ver- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- besserungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. tionslos]) (Beifall bei der SPD) Unsere grundsätzliche Zustimmung gilt dem Anlie- gen und dem Ansatz, nicht aber allen Details und vorge- Es geht doch darum, dass zwei erwachsene Menschen schlagenen Lösungen. Der Entwurf lässt zum Beispiel füreinander Verantwortung übernehmen. Im Gegensatz zu viele und zu vage formulierte Ausnahmen zu. Wir ha- zu Frau Merkel bin ich der Meinung, dass auch hier ben außerdem Fragen zur Berechnung und zur Wirksam- Treue, Verlässlichkeit, Bindung, Geborgenheit, Halt und keit der Sanktionen, wenn wider das Gesetz diskrimi- soziale Verantwortung weitergegeben werden. niert wird. Wir haben des Weiteren Diskussionsbedarf Nach der Ermordung von Rudolph Moshammer geis- hinsichtlich der Ausgestaltung und der Arbeitsweise der terten Begriffe wie – ich zitiere – „Ermittlungen im Ho- Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Darüber sollten mosexuellenmilieu“ durch die Medien. Niemand titelte wir in den kommenden Wochen im Interesse der Men- später „Täter aus dem Heterosexuellenmilieu“. Dies schen, deren Würde im Alltag durch das Gesetz ge- käme uns auch absurd vor. Dass Homosexualität da- schützt werden soll, sachlich streiten. durch in die Nähe von Kriminalität gerückt wurde, ha- Die PDS ist jedenfalls bereit, den Gesetzentwurf zu ben nur die Betroffenen, also die Schwulen und ihre Ver- verbessern. Deshalb werden wir uns zugleich gegen alle bände, öffentlich kritisiert. Versuche wenden, den Entwurf zu verwässern. Der CSU-Kollege bezeichnete Homo- Danke schön. sexualität gar als Perversion der Sexualität. Für andere ist Homosexualität immer noch wider die Natur, eine (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Sünde, eine Krankheit oder eine Krise der Identität. tionslos]) Rückblickend auf meine sechs Jahre Abgeordnetentätig- keit muss ich feststellen: Ich habe bei keinem anderen Thema so viele unangemessene und abstoßende E-Mails Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: und Briefe erhalten, vor allem von Männern. Das Wort hat nun die Kollegin Renate Gradistanac für SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 14272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Renate Gradistanac (A) Ich wünsche mir, dass sich die Menschen endlich mit Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): (C) ihren eigenen Ängsten und Vorurteilen auseinander set- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- zen und sie nicht auf andere projizieren. Und ich wün- ren! Wir reden heute in dieser Debatte der Sache nach sche mir, dass zu guter Letzt auch die Kirchen ihre über ein Gesetz zur Bekämpfung der Vertragsfreiheit. Standpunkte überdenken. Das ist das Thema dieses Gesetzes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy DIE GRÜNEN – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ [SPD]: Das ist Unsinn! – Volker Beck [Köln] CSU]: Eine Moralpredigt!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Wir jedenfalls setzen mit unserem Antidiskriminierungs- – Das ist kein Unsinn. – Kollege Scholz, wenn sich in gesetz ein weiteres Zeichen zur Anerkennung unter- Zukunft, nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten sein schiedlicher sexueller Identitäten. wird, die Vermieter in Deutschland nicht mehr den als Lesben und Schwule, aber auch bisexuelle, transsexu- Mieter aussuchen können, den sie gern als Mieter hätten, elle und zwischengeschlechtliche Menschen dann hat Vertragsfreiheit in unserem Land nicht mehr die gleiche Qualität. ( [CDU/CSU]: Kümmern Sie sich um die Mehrheit in der Gesellschaft, nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ständig um die Randgruppen! Nur noch Rand- Ernst Burgbacher [FDP]) gruppen!) Sie legen die Axt an die Vertragsfreiheit in unserem können künftig selbstbewusster und selbstverständlicher Land. ihre Identität leben und besser am gesellschaftlichen Le- ben teilnehmen, so auch am Arbeitsplatz. Viele Schwule (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und Lesben verheimlichen ihre sexuelle Identität, weil GRÜNEN]: Sie wissen, dass Sie die Unwahr- sie Diskriminierungen durch Kollegen und Kolleginnen heit sprechen!) oder auch durch Vorgesetzte befürchten. Eine Studie Einen vergleichbar massiven Angriff auf die Vertrags- kommt zu dem Ergebnis, dass nur 4 Prozent am Arbeits- freiheit in unserem Land hat es seit Jahren, selbst in Ihrer platz immer offen mit ihrer Homosexualität umgehen Regierungszeit, nicht gegeben. konnten. Man könnte jetzt einwenden, dass die sexuelle Identität etwas Privates ist. Dieser Einwand kann nicht (Beifall bei der CDU/CSU) gelten, wenn Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identi- tät gegen Vorurteile und Benachteiligungen im Beruf zu Vertragsfreiheit ist nicht irgendeine Petitesse. Ver- kämpfen haben, wenn sie in der Angst leben, den Ar- tragsfreiheit ist ein elementarer Bestandteil der Freiheit (B) beitsplatz zu verlieren oder erst gar nicht zu bekommen. der Person. Unsere Rechtsordnung basiert auf den (D) Grundrechten. Unser Grundgesetz nennt das Recht auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die freie Entfaltung der Persönlichkeit gleich nach Lesben und Schwule sollen zukünftig auch weniger Art. 1, ganz vorn. Das ist ein Basiswert unserer Grund- Probleme bei der Wohnungssuche, beim Abschluss von rechtsordnung. Versicherungen, bei der Hotelsuche und bei Restaurant- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE besuchen haben; da würde sich noch einiges mehr anfüh- GRÜNEN]: Dann kommt die Gleichheit! Das ren lassen. gehört alles zusammen!) Als Feministin mit dem typisch schwäbischen Namen Unsere Gesellschaftsordnung, unsere Wirtschaftsverfas- Gradistanac sung sind ohne Freiheit nicht denkbar. (Heiterkeit bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – weiß ich, dass Gesetze Diskriminierungen, die Herabset- Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE zung und Entwürdigung von Menschen nicht immer ver- GRÜNEN]: Ohne Menschenwürde auch hindern. Aber künftig können sich die Betroffenen bes- nicht!) ser und wirkungsvoller zur Wehr setzen. Unterstützung erfahren sie einmal durch die Antidiskriminierungs- Darauf zielen Sie ab. stelle, die berät, informiert und vermittelt, und zum an- Die Freiheit ist Element der Menschenwürde. deren durch die Verbände, die Diskriminierte ermutigen – das wünsche ich mir jedenfalls –, damit Diskriminierte (Beifall bei der CDU/CSU) zu ihrem Recht kommen. Unsere Vorstellung vom Menschen ist die, dass er ein Vielen Dank. freier Mensch ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zurufe von der SPD: Von allen!) DIE GRÜNEN) – Ich komme gleich auf die Normierung im Grundgesetz zum Thema Diskriminierung zu sprechen. – Weil das so Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ist, weil Freiheit ein Fundamentalwert in unserer Gesell- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen schaft ist, weil unsere Gesellschaft davon lebt, macht für die CDU/CSU-Fraktion. dieser Gesetzentwurf die grundlegend unterschiedlichen (Beifall bei der CDU/CSU) gesellschaftspolitischen Vorstellungen von CDU/CSU, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14273

Dr. Norbert Röttgen (A) auch FDP, auf der einen Seite und Rot-Grün auf der an- juristen, die vielleicht zuhören, möchte ich erklären, was (C) deren Seite deutlich. das wirklich heißt. In der Realität heißt das, dass derje- nige, mit dem kein Vertrag abgeschlossen wurde, der (Markus Grübel [CDU/CSU]: Und PDS!) also nicht durch einen Vertragsabschluss begünstigt Wir wollen diese Gesellschaft, die sich vom Einzel- wurde, nur noch plausibel Tatsachen behaupten muss, nen ableitet, die sich von der Autonomie des Einzelnen die für eine Diskriminierung sprechen. Er muss die Tat- ableitet, die auf die Freiheit des Einzelnen setzt, sachen nicht beweisen, er muss nur die Behauptung auf- stellen, er sei diskriminiert worden. Danach muss sich (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE derjenige, der den Vertrag abgeschlossen hat, vor Ge- GRÜNEN]: Dazu gehört auch die Freiheit, richt entlasten. eine Chance am Markt zu haben, finde ich!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE auch auf die Verantwortungspflicht des Einzelnen setzt. GRÜNEN]: Sie reden Unfug!) Wir wollen sie, weil wir dem Einzelnen etwas zutrauen. Wir trauen ihm Leistung zu. Wir trauen ihm allerdings Er muss den Beweis führen, dass er sich nicht diskrimi- auch Anstand zu. Dafür braucht er nicht einen Gesetz- nierend verhalten hat. Sie bringen den Bürger in eine Be- geber, der ihn über das belehrt, was anständiges Verhal- klagtenposition, er muss sich für sein Verhalten rechtfer- ten ist. tigen. Das ist das Gegenteil von Freiheit, wie wir sie (Beifall bei der CDU/CSU) definieren. Sie trauen dem Einzelnen offenbar nicht. Sie sind da- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rin auch ganz offen. Herr Kollege Ströbele hat eben da- Ich will noch einmal betonen: Wir führen heute eine zwischengerufen: Kontrolle ist besser als freie Entschei- fachliche Debatte, aber es ist auch eine Grundsatzdebatte dung des Einzelnen. – Sie haben ein anderes gesellschaftspolitischer Art. Der intellektuelle Keim Ih- Staatsverständnis. Sie wollen den Staat, der den Einzel- res Gesetzentwurfs ist das Misstrauen. Wer die fachliche nen bevormundet, der den Einzelnen erzieht, der den Debatte verlässt und ideologisch anfängt, den Menschen Einzelnen moralisch bewertet. Sie wollen sozusagen den zu misstrauen, der handelt in dem Geist Ihres Gesetzent- freien Menschen überwinden zu einem guten Menschen. wurfs. Was gut ist, bestimmt die rot-grüne Regierung. Darin kommt Ihre politische Ideologie zum Ausdruck. (Sebastian Edathy [SPD]: Unsinn!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wer anfängt, das Misstrauen zu organisieren, der endet Widerspruch bei der SPD) ganz zwangsläufig in Bürokratie, (B) (D) – Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen. Sie sind in der (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE heutigen Debatte sehr offen gewesen – das begrüße ich GRÜNEN]: Wir sind nicht so blauäugig wie sehr –; damit werden die fundamentalen Unterschiede Sie!) deutlich. in Regulierungswut, in Absurditäten und am Ende auch Kollege Scholz hat hier wörtlich gesagt „Wir“ – also in Ungerechtigkeiten, von denen ein paar schon darge- Sie, der eine Teil des Hauses und der Bevölkerung – „als stellt worden sind. anständige Bürgerinnen und Bürger“. Ihr Kollege Beck sagte – ich habe das mitgeschrieben –: Wir wollen doch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – den Menschen nicht vorschreiben, was sie denken. Wel- Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE che Großzügigkeit spricht daraus, dass Sie den Men- GRÜNEN]: Das muss ein Paradies sein, in schen das Denken nicht vorschreiben können! dem ihr lebt!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Dass kein einziges Mitglied der Bundesregierung an dieser Debatte teilnimmt, unterstreicht die Bedeutung Ich möchte Sie als Kollege im Haus und als Bürger des Gesetzentwurfs. dieses Landes fragen: Wer gibt Ihnen das Recht zu einer derartigen Hybris und Arroganz, wissen zu wollen, was (Zuruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]) für die Menschen gut ist und wie der Einzelne leben soll. – Vielleicht schauen Sie einmal ins Grundgesetz. Die Wie können Sie wollen, dass es der Staat ihnen vor- Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und schreiben soll? Wer gibt Ihnen das Recht zu einer sol- den Bundesministern. Manche fühlen sich vielleicht wie chen Hybris und Arroganz? Mitglieder der Bundesregierung, sind es gleichwohl (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute nicht. Kein Mitglied der Bundesregierung ist bei dieser Kumpf [SPD]: Sie sind keine Frau! Sie wissen Debatte anwesend. Sie sollten sich also überlegen, ob es nicht, was Diskriminierung ist!) gerechtfertigt ist, die Abwesenheit einzelner Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion in denunziatorischer Weise zu Sie wollen nicht die Freiheit des Einzelnen. kritisieren, wie das die Kollegin getan hat. (Ute Kumpf [SPD]: Doch!) (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Sie setzen den Einzelnen, der von seiner Freiheit Ge- Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr brauch macht, auf die Beklagtenbank des Gerichts. Göhner verdient auch mehr als der Bundes- Technisch heißt das Beweislastumkehr. Für die Nicht- kanzler! Das ist das Problem!) 14274 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Norbert Röttgen (A) Sie werden in Ungerechtigkeit landen und die Verlie- Wir (C) rer sind diejenigen, die unternehmerische Freiheit gel- – die amerikanische Handelskammer – tend machen wollen oder Mietverträge abschließen wol- len. Die Bürger sind die Verlierer. Eine Familie, die sich sind aber der Meinung, dass das deutsche Rechts- nicht auf eine diskriminierende Eigenschaft berufen system einen wirksamen Schutz gegen Diskriminie- kann – Familien gehören in diesem Land nach Ihrer Auf- rungen jeglicher Art bietet. fassung nicht zu den Diskriminierten –, hat keinen Schutz vor Ihnen. Normale Bürger, die nicht irgendeinen (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!) Minderheitenstatus aufweisen, sind die Verlierer Ihres Wir befürchten, dass der Gesetzentwurf der Bun- Gesetzentwurfs. Die Mehrheit ist der Verlierer. desregierung die Wirtschaft belasten wird. Das Ge- setzgebungsvorhaben könnte eine massive Ein- (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck schränkung der unternehmerischen Freiheit [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bedeuten. heißt, wir würden Familien bevorzugen!) (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Nun sagen Sie, dagegen sei schon argumentiert wor- den. Diese Sorgen machen sich amerikanische Unternehmer in Deutschland. Deren Interessen werden nämlich von Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dieser Handelskammer vertreten. Herr Kollege Röttgen, gestatten Sie eine Zwischen- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- frage des Kollegen Rezzo Schlauch? NEN]: Er hat nach Amerika gefragt!) Das ist also eine klare Aussage darüber, wie amerikani- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): sche Unternehmer in Deutschland dieses Gesetzge- Ja, gern. bungsvorhaben beurteilen. Es handelt sich völlig zutref- fend um eine Einschränkung von Freiheit, Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Ute Kumpf [SPD]: Sie haben die Frage nicht Herr Kollege Röttgen, ich gehe davon aus, dass Sie beantwortet!) mit mir der Meinung sind, dass ein Land, das wir alle die es in Amerika in dieser Weise nicht gibt. Sie gibt es, kennen, nämlich die USA – das von sich selber behaup- wie Kollege Laumann dargestellt hat tet, es sei der Hort der Freiheit; ob das so ist, kann jeder selber beurteilen –, und seine Repräsentanten den Ge- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (B) danken der Antidiskriminierung in viel schärferem Maße GRÜNEN]: Stimmt nicht! – Volker Beck (D) als wir gesetzlich festgelegt haben. Würden Sie daraus [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie den Schluss ziehen, dass dieses Land die Freiheit ge- haben die Frage nicht beantwortet!) nauso missachtet, wie Sie es unserem Gesetzentwurf un- terstellt haben? – vielleicht hören Sie einfach einmal zu –, in Form einer Kumulation und Kombination eines hohen, detailorien- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tierten Arbeitsschutz- und Kündigungsschutzrechts mit und bei der SPD – Olaf Scholz [SPD]: Das ist einem Diskriminierungsrecht in den USA definitiv nicht. antiamerikanisch! – Josef Philip Winkler Die Kombination beider Rechte gibt es nirgendwo. So [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört! etwas wird es in Zukunft nur in Deutschland geben. Antiamerikanisch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist Ihr Verständnis Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): von Freiheit!) Ich bedanke mich für die Frage, die Sie mir als Abge- ordneter gestellt haben. Ich möchte sie Ihnen auch unter Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Berücksichtigung Ihrer Eigenschaft als Parlamentari- Herr Kollege Röttgen, lassen Sie eine weitere Zwi- scher Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium schenfrage zu? beantworten. Ich will die Antwort offen gestanden nicht selbst formulieren, sondern antworten, indem ich Ihnen Teile eines Schreibens der amerikanischen Handels- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): kammer in Deutschland, das an mich gerichtet ist, zi- Die lasse ich gerne zu. tiere. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Bitte schön. Ich glaube, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland eine Vorstellung vom amerikanischen Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diskriminierungsrecht hat. Herr Kollege Röttgen, ich kann Ihnen in diesem Punkt nicht folgen, Ich zitiere nun aus dem Schreiben, das an mich und sicherlich auch an viele andere gegangen ist – vielleicht (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der hören Sie zu, Herr Schlauch, während ich zitiere –: CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14275

Rezzo Schlauch (A) und zwar deswegen, weil das amerikanische Antidiskri- Was es im geltenden Recht allerdings nicht gibt – in- (C) minierungsgesetz, wie Sie genau wissen, viel schärfere sofern ist die Aussage richtig, dass Ihr Gesetz etwas Normen vorsieht als unseres. Stimmen Sie mit mir über- Neues bringt –, ist die so genannte Beweislastumkehr. Es ein, dass die amerikanische Handelskammer in Deutsch- wurde ja schon darüber gesprochen, dass sich nun der land eine eindeutige Interessenvertretung der Industrie Einzelne rechtfertigen muss. Was es im geltenden Recht ist und dass ihre Aussagen nicht mit den Intentionen ei- nicht gibt, ist der so genannte Kontrahierungszwang mit nes amerikanischen oder deutschen Gesetzgebers zu ver- Schadensersatzfolge, dass also einem ein Vertragspart- gleichen sind, der selbstverständlich die politische Auf- ner durch ein Gerichtsurteil aufgezwungen werden kann. gabe hat, unterschiedliche Interessen auszugleichen? Das gibt es bislang nicht. Was es im geltenden Recht nicht gibt, ist die Möglichkeit zur Verbandsklage in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Form, dass Ansprüche abgetreten werden können und sowie bei Abgeordneten der SPD – Nicolette unter dem Vorwand des Diskriminierungsschutzes Ge- Kressl [SPD]: So hat er seinen Freiheitsbegriff schäfte gemacht werden können. Es besteht die Gefahr, definiert!) dass sich hier ein eigener Geschäftszweig in Deutsch- land entwickelt. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass die ameri- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ganz genau!) kanische Handelskammer in Deutschland die Interessen All das haben wir nicht und es ist gut, dass wir das nicht amerikanischer Unternehmen und Investoren in haben. Deutschland repräsentiert. Darum ist dieses Gesetz, das Sie heute einbringen, ein schlechtes Signal für den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Standort Deutschland, wenn es darum geht, für Investi- Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wollen es tionen ausländischer Unternehmen in Deutschland zu auch nicht!) werben. Ihr zweiter Vorwand lautet, dass Sie europäische (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Richtlinien umsetzen müssen. Dazu will ich Ihnen zwei chen bei der SPD) Punkte sagen. – Ja, meine Damen und Herren, so ist es. Erstens. Es gibt drei europäische Richtlinien, die frist- gerecht umzusetzen Sie versäumt haben. Das lässt zu- Sie sagen immer, das Gesetz sei gut. Wir reden heute mindest Rückschlüsse auf Ihre Motivation und Ihr En- aber nicht allein über einen innenpolitischen Tatbestand, gagement zu. Wenn die CDU/CSU die Bundesregierung sondern auch über Wirtschaftspolitik, lieber Kollege gestellt hätte, dann hätte sie anders verhandelt. Die (B) Schlauch aus dem Wirtschaftsministerium. Richtlinien hätten dann im Ergebnis anders ausgesehen. (D) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) Auch das wäre eine Einwirkungsmöglichkeit gewesen. Zweitens. Sie setzen nicht nur diese Richtlinien um. Wir sind eine exportorientierte Nation. Wir brauchen Sie gehen sogar weit über das hinaus, was das europäi- ausländische Investitionen. Wir als CDU/CSU wollen, sche Recht verlangt. dass Deutschland attraktiv für Investitionen ausländi- scher Unternehmen ist, weil diese Arbeitsplätze in (Christel Humme [SPD]: „Weit“ ist übertrie- Deutschland schaffen. Deshalb dürfen wir sie nicht ab- ben!) schrecken. Nun mögen Sie nicht akzeptieren, dass wir es sind, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die das kritisieren. Darum möchte ich an dieser Stelle die Bundesjustizministerin als Zeugin sprechen lassen. Mit diesem Gesetz schrecken Sie aber Unternehmen, insbesondere auch ausländische, von Investitionen in (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die wahrschein- Deutschland ab. Darum ist dieses Gesetzesvorhaben lich aus eben diesem Grund nicht hier ist!) falsch. Es ist ganz interessant, was sie zu diesem Thema gesagt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – hat. Im Übrigen hätte ich es gut gefunden, wenn sie Widerspruch bei der SPD) heute an dieser Debatte teilgenommen hätte. Ein weiterer Gesichtspunkt: Sie wollen dieses Gesetz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dadurch rechtfertigen, dass Sie auf die Bedeutung des neten der FDP) Schutzes vor Diskriminierung verweisen. Das war Denn die Minister haben auch Pflichten gegenüber dem durchgängig Ihr Argument. Gegen dieses Argument Parlament. muss ich Ihnen vortragen – Sie selber haben das zum Teil ausgeführt –, dass im geltenden deutschen Recht, Die Bundesjustizministerin Zypries hat dieses Gesetz vom Zivil- über das Arbeitsrecht bis hin zum Grundge- von Anfang an und bis zum heutigen Tage abgelehnt. setz – die Vorschriften sind zitiert worden –, ein umfas- Man stelle sich einmal vor: Die verantwortliche Ministe- sender Diskriminierungsschutz gewährleistet ist. Dieser rin der von Ihnen gestellten Bundesregierung lehnt die- reicht vom einfachen Recht bis hin zum Grundgesetz. ses Gesetz dezidiert ab. Sie hat sich auch – das ist nichts Art. 3 und Art. 1 des Grundgesetzes bilden schon die Neues – in vielen anderen Punkten in der Koalition nicht Grundlage für einen umfassenden Diskriminierungs- durchgesetzt. Aber dieser Gesetzentwurf ist das wahr- schutz. scheinlich wichtigste rechtspolitische Vorhaben in dieser 14276 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Dr. Norbert Röttgen (A) Legislaturperiode, das nicht von der Bundesjustizminis- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) terin getragen wird. Dass die Federführung vom Justiz- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der ministerium auf das Familienministerium übertragen Kollege Edathy für die SPD-Fraktion. wurde, dokumentiert ihre Niederlage und ihre Schwä- chung als politisches Führungsorgan in dieser Bundesre- Sebastian Edathy (SPD): gierung. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der CDU/CSU) Herren! Herr Kollege Röttgen, ich bin nicht ganz sicher, was ich für schlimmer halten soll: Ihre unsägliche Rede Da die Ministerin in dieser Debatte nicht anwesend oder den starken Beifall, den Sie für diese Rede bekom- ist, möchte ich wenigstens zitieren, was sie in der men haben. „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8. März 2003 geäußert hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE von der CDU/CSU: Oh! – Manfred Grund GRÜNEN]: Wir kennen das, Herr Röttgen! [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie doch auf! Un- Sie können sich setzen!) glaublich!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Wer sagt, wir wollen den Geist des Grundgesetzes auch zur Grundlage für das Arbeits- und Zivilrecht nehmen, Herr Kollege, Sie müssen jetzt gegebenenfalls die der hat Recht. Aber wer sagt, das sei wider die Freiheit Kurzfassung dieses Zitats vortragen. Sonst klappt es gerichtet, der hat Unrecht. Der Freiheitsbegriff, den auch bei großzügiger Interpretation Ihrer Redezeit nicht Herr Röttgen hier für die CDU/CSU vorgetragen hat, be- mehr. inhaltet die Freiheit, zu diskriminieren. Das ist aber nicht (Heiterkeit) die Freiheit, die wir meinen. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): CSU: So ein Schwachsinn!) Ich denke, dass es alle – insbesondere die Kollegin- nen und Kollegen von SPD und Grünen – interessiert, Ich finde die Rolle der Liberalen in diesem Bereich was die Justizministerin dazu sagt. Ich verkürze das Zitat besonders problematisch. Ich werde gleich noch darauf und führe nur die schönsten Passagen an. Sie wendet eingehen. sich gegen das Gesetz ihrer Amtsvorgängerin Däubler- (Ina Lenke [FDP]: Sie haben nicht zugehört, Gmelin (B) Herr Edathy!) (D) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE – Frau Lenke, schreien Sie hier bitte nicht herum! GRÜNEN]: Das haben wir auch nicht einge- bracht!) (Ina Lenke [FDP]: Bleiben Sie mal sachlich! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer nichts zu sa- mit dem Argument, es würde die Privatautonomie in gen hat, poltert ein bisschen mehr herum!) weiten Bereichen aushebeln. Wir sind der Gesetzgeber in diesem Land. Was wäre ( [CDU/CSU]: Da hat sie Recht!) eine zentralere Aufgabe des Gesetzgebers in Deutsch- Weiterhin sagt sie, dass zudem etliche Ausnahmerege- land, als Bürgerrechte zu sichern und gerade denen bei- lungen erforderlich seien, etwa um Frauenparkplätze zustehen, die in einem freien Markt immer die Schwä- und Altenrabatte zu gestalten. Ohnehin glaube sie nicht, cheren sind? Es ist Aufgabe der Demokratie und des dass es im Alltagsleben so viele Diskriminierungen sozialen Rechtsstaates Bundesrepublik, für einen Aus- gebe, dass neue Vorschriften erforderlich seien. Sie gleich zu sorgen. Das kann man doch nicht ernsthaft in- glaube ebenfalls nicht, dass man durch Rechtspolitik frage stellen. eine Gesellschaft gestalten könne. Frau Zypries hat (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Recht. Aber sie ist bei Ihnen zum Schweigen verurteilt. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir handeln übrigens – das sei in Richtung einiger Eine allerletzte Bemerkung. Kollegen gesagt, die gemeint haben, wir gingen zu weit – lange nicht so weitgehend wie zum Beispiel (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Großbritannien und die Niederlande. Auch die USA sind GRÜNEN]: Schluss!) in diesem Zusammenhang vom Kollegen Schlauch mit Recht erwähnt worden. Es ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische De- batte, die wir führen werden. Ihr Gesetzentwurf ist eine Wir handeln mit Grund. Kampfansage an die Freiheit in unserem Land. Dement- sprechend werden wir diese Debatte mit Ihnen führen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich bin nicht dabei! Ich möchte nicht in Haftung genommen Herzlichen Dank. werden!) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Wir tun gut daran, an einer Stelle über eine Eins-zu-eins- fall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Umsetzung der EU-Richtlinien hinauszugehen, nämlich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14277

Sebastian Edathy (A) an der Stelle, wo es um die Frage geht: Schaffen wir Herr Röttgen, auch sittenwidrige Verträge sind nicht zu- (C) durch eine Beschränkung auf den Aspekt „Diskriminie- lässig. rung wegen ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit“ und durch Ausblendung anderer Diskriminierungsmerkmale (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Eben!) eine Hierarchisierung von Diskriminierungsopfern Wer für eine maximale Vertragsfreiheit ist, ist vielleicht oder wollen wir das nicht? Wir wollen das nicht. auch dafür, den Drogenhandel freizugeben; auch das wollen wir nicht. Es ist doch vollkommen klar, dass die Frau Eichhorn, mich würde einmal interessieren, was Vertragsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat Sie der Behinderten antworten, die sich an Sie gewandt der Ausgestaltung bedarf. Das, was wir tun, ermöglicht und gesagt hat, es sei für sie verletzend, nicht nachzu- vollziehen und empörend, dass sie von einem Hotel es erst ganz vielen Menschen, Vertragsfreiheit überhaupt nicht aufgenommen wurde. Was sagen Sie ihr denn? Sie in Anspruch zu nehmen. sehen zwar das Problem. Aber wie sieht Ihre Antwort (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rot-Grün gibt eine Antwort. Was ist denn mit der Vertragsfreiheit der Behinderten, die abgewiesen worden ist, des Jugendlichen, der auslän- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten disch aussieht und nicht in die Diskothek kommt, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des älteren Menschen, dem der Dispositionskredit ge- Es soll keine Selektion mehr in Diskotheken und keine kündigt wird? Abweisung von Behinderten und homosexuellen Paaren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in Hotels geben. Das alles, Herr Röttgen, ist nicht durch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst das Grundgesetz gedeckt; das wissen Sie doch ganz ge- Hinsken [CDU/CSU]: Wenn es geht, noch ein nau. bisschen lauter!) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Natürlich ist es gedeckt!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischen- Art. 3 des Grundgesetzes bindet die staatlichen Organe frage des Kollegen Fricke? bzw. staatliches Handeln. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn dies nicht Sebastian Edathy (SPD): durch das Grundgesetz gedeckt wäre, könnten Ja. (B) Sie nicht ein solches Gesetz vorlegen!) (D) Es ist aber so, dass das Zivilrecht kein grundrechtsfreier Otto Fricke (FDP): Raum in diesem Land sein kann. Lieber Kollege Edathy, man kann auch durch eine ge- wisse Lautstärke andere Leute diskriminieren. Auch das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist eine Art Diskriminierung. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: So ein Quatsch! – Dr. Heinrich (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ L. Kolb [FDP]: Sie hatten wohl keine Zeit, DIE GRÜNEN: Oh!) sich auf Ihre Rede vorzubereiten!) Ich frage Sie, ob Sie es vorhin wirklich ernst gemeint Ich will etwas zum Thema „Angriff auf die Freiheit“ haben, als Sie gesagt haben, dass das Zivilrecht der sagen. Herr Röttgen hat gesagt, das, was wir machten, Bundesrepublik Deutschland ein grundrechtsfreier sei ein Angriff auf die Freiheit. Er hat weiter ausgeführt, Raum sei. Ist es nicht vielmehr so, dass wir dahin ge- die Vertragsfreiheit in diesem Land nehme, wenn der hend übereinstimmen, dass die Regelungen des Grund- Entwurf, den wir vorgelegt haben, beschlossen werde, gesetzes in das Zivilrecht an sehr vielen Stellen dadurch Schaden. hineingekommen sind, dass wir dort Allgemeinklauseln haben, in denen klar geregelt wird, dass das Grundrecht (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Genauso Drittwirkung auch zwischen Zivilpersonen entfaltet? ist es!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gott sei Dank!) Herr Röttgen, dazu will ich sagen: Zur Vertragsfreiheit gehören immer zwei Parteien. Wenn Sie sagen, Sie woll- Sebastian Edathy (SPD): ten die Vertragsfreiheit wahren, dann heißt das für mich, Herr Kollege, ich will Ihnen eine Geschichte erzäh- dass Sie den Regelungen, die wir schaffen wollen und len; ich versuche, mich kurz zu fassen. die den Menschen die Gewährleistung geben, dass sie nicht aufgrund eines bestimmten Merkmales willkürlich (Otto Fricke [FDP]: Wenn Sie dabei antwor- von der Eingehung eines Vertrages ausgeschlossen wer- ten, ist das okay!) den dürfen, zustimmen müssten. Denn, Ich habe zu Beginn dieser Wahlperiode in Berlin die (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da bin ich Wohnung wechseln wollen. Ich habe mir eine Wohnung aber gespannt! Jetzt muss das Argument kom- angesehen. Der Hausbesitzer wohnt in Frankfurt. Es men!) ging also nicht um eine Einliegerwohnung; ihm gehört 14278 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005

Sebastian Edathy (A) vielmehr ein ganzes Mietshaus. Ich habe dann ein ent- Sie wissen ganz genau, dass dies auch für Betriebe gilt, (C) sprechendes Formular ausgefüllt und Angaben zu mei- auch für das Angebot und das Entgegennehmen von nen Einkommensverhältnissen und zu dem, was ich be- Leistungen. ruflich tue, gemacht. (Otto Fricke [FDP]: Und wie heißt der zweite (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oje, SPD-Abge- Teil?) ordneter!) Diese Gleichheit bei der Wahrnehmung von Chancen muss durch Spielregeln unterstützt werden, die der Ge- Ich dachte, es würde ein paar Tage dauern und dann be- setzgeber mit Augenmaß definiert. Genau dies machen käme ich den Mietvertrag zugeschickt. Stattdessen rief wir mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben. der Hausbesitzer meine Mitarbeiterin in meinem Büro an und sagte: Edathy, das klingt irgendwie ausländisch. Was (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist das denn für einer? Meine Mitarbeiterin hat am Tele- DIE GRÜNEN) fon geantwortet: Der Vater ist gebürtiger Inder. Dann Ich wünsche uns intensive Beratungen. Wir werden kam die Nachfrage, ob auch ich Inder sei. Daraufhin uns natürlich in den Ausschüssen hinreichend Zeit neh- meinte meine Mitarbeiterin richtigerweise, dass man men, um mit den Vertreterinnen und Vertretern der Op- deutscher Staatsbürger sein müsse, um Mitglied des position darüber zu diskutieren. Eines aber müssen wir Bundestages werden zu können. Daraufhin sagte dieser im Auge behalten: Dieses Gesetz ist kein Selbstzweck. Vermieter: Wenn der Vater Inder ist, kocht der Sohn Es wird, soll und muss einen Beitrag dazu leisten, dass doch bestimmt mit ganz scharfen Gewürzen. Den Ge- wir unserer Gesellschaft einen besseren Rahmen für ihr stank bekomme ich nicht mehr aus der Wohnung, ver- Handeln geben. mutlich muss ich den Putz abklopfen. – Ich habe die Wohnung nachher zwar angeboten bekommen – ich Damit ist kein Misstrauen verbunden. Herr Röttgen, habe sie aus Anstand nicht genommen –, aber eines kann es hat mich gewundert, dass Sie als Rechtspolitiker – das ich Ihnen sagen: Wäre ich nicht der Abgeordnete Edathy war einer Ihrer zentralen Vorwürfe – gesagt haben, in diesem Gesetz werde unterstellt, die Menschen verhiel- gewesen, sondern der Schlossermeister oder der Student ten sich falsch. Dass ein anständiger Mensch nicht Mord Edathy, wäre mir die Wohnung nicht angeboten worden und Totschlag verübt, ist klar. Trotzdem sind Mord und und das ist eben keine schützenswerte Freiheit im Zivil- Totschlag verboten. Dass man, wenn man eine Dienst- rechtsverkehr, sondern diskriminierendes Handeln. leistung anbietet, einen Menschen mit Behinderung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht ablehnt, muss auch klar sein. Ebenso muss selbst- DIE GRÜNEN) verständlich sein, dass kein Mensch wegen seines Alters, (B) seiner sexuellen Orientierung oder seines Geschlechts (D) Wir sollten Diskriminierungsopfern die Möglichkeit in abgelehnt werden darf. In vielen Fällen ist dies auch die Hand geben, dagegen tätig werden zu können. Das selbstverständlich. Ich bin ganz sicher, dass dieses Ge- muss möglich sein. setz nur zur Anwendung kommen wird, dann aber eben begründet, wo diese Selbstverständlichkeit im Handeln Ich würde gar nicht in einem Land leben wollen, in verletzt wird. Ich glaube daher auch nicht, dass wir Pro- dem der reine Markt herrscht. Es kann doch nicht sein, zesslawinen zu erwarten haben. Aber jedem Bürger in dass wir in diesem Hause grundsätzlich darüber diskutie- diesem Lande, egal in welcher Eigenschaft er auftritt, ob ren müssen, dass auch der Markt Regelungen braucht. als Arbeitgeber, als Kneipenbesitzer oder als Wohnungs- Ich persönlich halte es für überfällig – das hat auch et- vermieter, muss klar sein, dass die Grundlagen des Zu- was damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu anderen sammenlebens in diesem Land Respekt und Achtung europäischen Ländern keine Kultur der Antidiskriminie- sind. Nichts anderes als die Erreichung von Respekt und rungsgesetzgebung haben –, die Bestandteile des Grund- Achtung und die Durchsetzung von Bürgerrechten ist gesetzes, die staatliches Handeln im Sinne einer fairen Ziel dieses Gesetzes. demokratischen Gesellschaft binden, auf den Zivil- Noch einen Satz zum Schluss: Es ist mehrfach gesagt rechtsverkehr zu übertragen. Ich verstehe nicht, was da- worden, dass Ministerin Renate Schmidt heute nicht hier gegen einzuwenden ist, es sei denn, Sie sagen, dass Sie ist. Sie ist erkrankt und daher entschuldigt. auch in Zukunft wollen, dass sich der Gastwirt aufgrund bestimmter Merkmale wie Behinderung, ausländisches (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo ist Frau Aussehen oder offensichtliche Homosexualität aussu- Zypries? Wo ist der Bundeskanzler?) chen kann, wen er bedient und wen nicht. Das kann aber Diese Diskriminierung gegenüber einem Mitglied der doch nicht ernsthaft die Position der Liberalen sein. Bundesregierung wollen wir Ihnen bis zur Verabschie- dung des Gesetzes noch durchgehen lassen. Lassen Sie mich als Abschluss der Beantwortung Ih- rer Frage einen Satz von Hannah Arendt zitieren, der in Vielen Dank. der Bibliothek des Bundestages im Marie-Elisabeth- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Lüders-Haus nachgelesen werden kann. Dieser Satz DIE GRÜNEN) – man kann ihn nur unterstreichen – lautet: Freiheit ist denkbar als Möglichkeit des Handelns Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: unter Gleichen. Ich schließe die Aussprache. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2005 14279

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Davon ist diese rot-grüne Bundesregierung allerdings (C) wurfs auf Drucksache 15/4538 an die in der Tagesord- meilenweit entfernt. nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Sie haben sich dafür entschieden, einen EU-Beitritt der Türkei zu unterstützen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Beratung des Antrags der Abgeordneten GRÜNEN]: Wie ! – Hans- Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Strobl (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und NEN]: Auch ältere Männer können sich irren!) der Fraktion der CDU/CSU Sie haben sich in der EU massiv dafür eingesetzt, Ver- Probleme mit der Türkei nicht ausblenden handlungen mit der Türkei zu führen, die einen Beitritt dieses großen Landes in die EU zum Ziel haben. Beides – Drucksache 15/4496 – sind politische Entscheidungen, die diese Bundesregie- Überweisungsvorschlag: rung kraft ihres Mandates fällen kann. Sie wird sie aller- Innenausschuss (f) dings 2006 vor den Wählerinnen und Wählern auch zu Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss verantworten haben. Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Zuruf von der SPD: Keine Bange!) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Eigenartig mutet jedoch die Art und Weise an, mit der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die diese Regierung einen EU-Beitritt offensichtlich erzwin- Aussprache 45 Minuten dauern. – Ich höre dazu keinen gen will. Während bei innenpolitischen Reformen zwi- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. schenzeitlich wieder des Kanzlers ruhige Hand zu spü- Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem ren ist, wird der EU-Beitritt der Türkei mit großem Kollegen Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion das Druck und einer fast schon fahrlässigen Leichtfertigkeit Wort. im Umgang mit den Problemen, die die Türkei nach wie vor hat und macht, betrieben. Viel schlimmer noch: Es scheint, als würden jegliche Bedenken und viele doch Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): tatsächlich vorhandenen Probleme mit der Türkei Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und schlicht unbeachtet beiseite geschoben. Es hat doch Herren! Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsi- wahrlich nichts mehr mit vernünftiger und verantwortli- (B) denten mit einem Zitat beginnen: cher Politik zu tun, wenn Berichte und Fakten über mas- (D) Die leitenden Staatsmänner der europäischen Na- sive Verletzungen von deutschem oder internationalem tionen und die Mitglieder der bisherigen wie der Recht und internationalen Gepflogenheiten durch die neuen EU-Kommission sind im Begriff, uns alle Türkei von der Bundesregierung offiziell nicht zur leichtfertig zu überfordern. Überforderung und Kenntnis genommen werden. Übereifer können zum Zerfall des Jahrhundert-Vor- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) habens der Integration Europas führen. Am Ende könnte eine bloße Freihandelszone übrig bleiben. Manche solcher Vorgänge werden von der Bundesregie- rung regelrecht vertuscht und vor der deutschen Öffent- Das war am 25. November vergangenen Jahres in einem lichkeit zurückgehalten. großen Artikel in der „Zeit“ nachzulesen. Der Artikel (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Wie beim stand unter der Überschrift: „Bitte keinen Größenwahn“. Visum!) Der Verfasser dieses Artikels ist kein Geringerer als Alt- bundeskanzler , der ja bekanntermaßen Rot-grüne Politiker sprechen immer gern davon, man der Sozialdemokratischen Partei angehört. müsse die Menschen mitnehmen, wenn man sie von et- was überzeugen wolle. Das ist wahr. Aber in Sachen Nun, die SPD hat nicht immer auf Helmut Schmidt Türkei-Beitritt haben Sie sich offensichtlich dazu ent- gehört und auch in dieser Frage scheint sie es nicht zu schlossen, gar nicht erst zu versuchen, die Menschen von tun. Denn in dem Artikel warnt Helmut Schmidt ein- Ihrer ja wahrlich falschen und unvernünftigen Politik zu dringlich vor einem Beitritt der Türkei zur EU und am überzeugen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen las- Ende des Artikels lehnt er ihn mit guten Argumenten sen. rundweg ab. Ich zitiere nochmals aus demselben Artikel: (Beifall bei der CDU/CSU) Monnet und Schuman, Adenauer und de Gaspari, Churchill und de Gaulle waren Staatsmänner von Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie müssen ungewöhnlichem Weitblick – keiner von ihnen hat sich den Problemen schon stellen und deswegen haben die europäische Integration bis über die kulturellen wir heute diesen Antrag eingebracht. Grenzen Europas ausdehnen wollen. Die heutigen Eines der genannten Probleme betrifft die Praxis Epigonen sollten jedenfalls wissen: Nur dann, wenn rechtsmissbräuchlicher Wiedereinbürgerungen ehe- sie sorgfältig einen Schritt nach dem anderen tun, mals Türkischer mit deutschem Pass. Was ist gesche- können sie hoffen, ihre Nationen auf dem Wege hen? – In § 25 des deutschen Staatsangehörigkeitsgeset- mitzunehmen. zes ist vorgesehen, dass ein Deutscher seine