ROHLEDERS ABC KULTUR

Eh groß Großer Maler Bisky + Biskys Bilder + Norbert Bisky, Galerie König = ganz Jahrgang 1970, schön groß. Norbert Kindheit in , Biskys Ausstellung Großes Bild aufgewachsen in „Trilemma“ kann bis Bisky vor der größten , Anfang dieser zum 8. Oktober in Arbeit seines aktuellen Woche beim Aufbau Kreuzberg besucht Zyklus. Sie heißt „Big seiner Ausstellung werden Trilemma“, ist 3 Meter „Trilemma“ in der auf 7,50 Meter groß, Galerie König gemalt in Öl und dürfte ziemlich wahrschein- lich rund 200 000 Euro kosten

Der Bilderträumer Dies ist die Geschichte eines Mannes, der ohne den Mauerfall sein Leben verpasst hätte. Es ist eine Geschichte, die in Grautönen beginnt und in den Farben der Freiheit explodiert. Dies ist die Geschichte von Norbert Bisky. Wir trafen den Maler vor seiner großen Einzelausstellung während der Berlin Art Week

TEXT VON JÖRG HARLAN ROHLEDER FOTOS VON DAVID FISCHER

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genau auf diese Einschätzung keinen Ein- jeder bitteschön selbst auskundschaften. mehr als 20 Jahren im Friedrichshain – nie „Malerei in Zeiten von Instagram zu machen ist völlig absurd“, sagt Bisky fluss. Wie prägt der Ausstellungsort ein Bild? Ich war immer Fan von ’ Vagi- war das Leben dort besser als heute. Bitte Der Lichteinfall verändert immer die Wahr- na, die einst die Gäste der „Panorama Bar“, ähm, glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede! as letzte Mal, dass der Autor die- B wie Bisky Haushalt. Deshalb die Bitte um eine kurze Ein- nehmung, letztendlich besitzen Bilder grüßte. Das hätte ich nicht besser ausdrü- ser Zeilen den Maler Norbert Bis- Welche Frage langweilt mehr: Die nach dem schätzung: Herr Bisky, wie geht es Deutschland aber, wenn sie stark sind, eine völlig aut- cken können. H wie Helden ky persönlich traf, war ziemlich berühmten Vater – oder die nach den fast so dieser Tage? Ich glaube, es geht historisch arke Realität. Das ist ja das Faszinierende: Wer waren die Helden Ihrer Jugend? Meine Hel- genau vor drei Jahren. Wir tanzten berühmten Bisky-Boys? Beide okay, ich vielen Menschen ausgesprochen gut in Leinwände wurden dafür erfunden, Bilder F wie Farben den trugen russische Vornamen, allesamt Dmiteinander auf der 50. Geburtstagsparty habe halt manchmal keine Lust, darauf unserem Land. Leider erleben wir auf der transportfähig zu machen, also als mobiler Herr Bisky, verraten Sie uns Ihre Lieblingsfar- russische Partisanen. Und die Helden Ihrer des Literaturagenten Matthias Landwehr zu antworten. Wir sind permanent von Bil- anderen Seite zum ersten Mal eine Situati- Gegenentwurf zum Bild, das für immer be? Derzeit mag ich transparente Far- Kunst? Sind schwerer zu benennen, es sind auf der Terrasse des Hotels „Helenekil- dern umgeben, Social Media, Kino, Fernsehen, on, in der unheimlich böse Leute aus ihren fix auf einer Mauer gefangen ist. Man ben, also Farben wie Lasur Türkis oder so viele. Angefangen bei Goya, Balthus und de“, hoch oben auf der Steilküste von Magazine, Werbung. Fällt es da schwer, eigene Löchern kriechen, das Maul aufreißen und könnte fast sagen, Leinwände sind histo- Italian Brown, die Flächen nicht gänzlich Picasso – bis hin zu meinem Lehrer Georg Tisvilde, einem sehr erbaulichen Bade- Bilder gegen die Bilderflut zu stellen? Es gibt sich trauen, Dinge zu sagen und Sachen rische E-Mails. Wo Bilder hängen, ist also egal? decken, vielmehr Farbschimmer sind. Baselitz, dem ich sehr viel verdanke. Es ort vor den Toren Kopenhagens, und da heute unendlich viel mehr Bilder als vor zu fordern, die all das bedrohen, was zum Theoretisch könnten sie in jedem Drecks- Dafür wirken Ihre Bilder aber ziemlich energe- heißt, Sie hätten Ihre Nachmittage als Student im dieses Fest so erinnerungswürdig war, 20 Jahren, aber diese sind tisch. Ich benutze ja viele Prado zu verbracht. Ich war schrecklich wollte es sich der Autor nicht verkneifen, viel vergänglicher. Sie rau- Farben. Auch neue? Mein arm, mein Studio kleiner als die Leinwand, Norbert Bisky noch einmal aufzufordern – schen im Feed durch und Farbflirt der Saison heißt also ging ich in den Prado und kopierte die dieses Mal allerdings auf einen flotten werden dem Vergessen Bisky, Bisky Kobalt-Violett. Welcher Meister. Welche Bilder haben Sie dort beson- Tanz durch das Alphabet seines Lebens. preisgegeben. Deshalb ist Bisky Farbton ist schwierig? Grün. ders beeindruckt? Die schwarzen Bilder von Malerei herrlich anachro- Der Maler in Und welcher besonders trau- Goya, besonders „Der Saturn verschlingt A wie Ausstellung nistisch – die Halbwerts- den Räumen rig? Violettes Grau. Welche eines seiner Kinder“ – aber ich habe auch Dieses Wochenende eröffnen Sie „Trilemma“, zeit ist ungemein höher. von St. Agnes Farbe geht immer zuerst aus? viel Zeit mit Jacob Jordaens und Jusepe de Ihre bisher größte Einzelausstellung in Berlin. Die Sind Bilder mächtiger als Wor- Blauschwarz. Sie malen in Ribera verbracht. Für wen malen Sie eigentlich Bilder, die hinter uns im Raum lehnen und darauf te? Unbedingt. Schon aus Öl. Haben Sie, wie einst War- in erster Linie? Für mich. warten, in den nächsten Tagen gehängt zu wer- meiner Biografie heraus: hol, mal versucht, in Pixeln zu den, sind spektakulär kraftvoll. Der neue Bisky- Ich musste viel Wortmüll malen? Sicher spannend, I wie Israel Zyklus ist abgeschlossen. Sind Sie erleichtert? über mich ergehen lassen. aber nicht meine Diszip- Vor ein paar Sommern tauschten Sie Ihr Ate- Ja, und ich liebe dieses Gefühl. Natürlich Dafür tragen Ihre Bilder ziem- lin. Können wir an dieser Stelle lier gegen ein Atelier in Tel Aviv. Wie hat diese gibt es immer eine Art der Kontinuität im lich sprachverliebte Namen. kurz über die Bukkake-Bilder Erfahrung Sie verändert? Um das adäquat Werk, aber eigentlich ist jedes neue Bild Sie heißen „Zentrifuge“ , „Rotz sprechen? Wir sollten sogar! zu besprechen, fehlt uns heute die Zeit. eine neue Herausforderung – und damit und Wasser“ „Quasar“, „Viren- Mir ist erst bei der Recherche Brutal heruntergebrochen: Ich bin nach auch die Chance, immer wieder neu anzu- schleuder“, „Freund Feind“ für dieses Gespräch aufgefal- Israel gefahren und erkannte dort, wie fra- fangen. Das kann auch Druck erzeugen. Klar, und so weiter. Ich führe eine len, dass die weißen Flecken gil und ausgesprochen einzigartig kostbar aber wenn Druck Adrenalin bedeutet, fin- ständige Namensliste – in den Gesichtern der Knaben unsere Lebensrealität doch ist. Gleichzei- de ich das gut. Wie lange haben Sie an Ihrem allerdings neige ich gera- keine lustgetriebenen Rück- tig vermisse ich diese Lebhaftigkeit, die neuen Zyklus gearbeitet? Seit Anfang dieses de zu englischsprachigen stände, sondern die weiße das Leben in Israel Sekunde für Sekunde Jahres. Haben Sie jeden Tag gemalt? Ja. Aber Titeln, was mit der Wahl Grundierung der Leinwand in Spannung hält. Nirgendwo habe ich ich male ohnehin jeden Tag. Schriftsteller Trumps zusammenhängen sind. Ja, und? Das ist zehn mich lebendiger gefühlt. Allein deshalb leiden unter Schreibblockaden, kennen Maler dürfte. Wegen Trump lese Jahre her. Ist Grundierung fahre ich nach der Vernissage erst einmal dieses Versagen? Wenn ich nicht weiter- ich jetzt die „Washington nicht das dialektische Gegen- nach Tel Aviv. weiß, mache ich die Musik lauter. Wie Post“ … deren Unterzeile heißt stück zu Bukkake? Haha. viele Bilder werden zu sehen sein? Acht große „Democracy Dies in Darkness“ J wie Jugend Bilder und eine Wand voll Papierarbeiten. … eine Wahnsinnszeile! G wie Galerie König Herr Bisky, wie sind Sie aufgewachsen? Sehr Was sehen wir? Das Trilemma. Wie bitte? Welcher Bisky würde passen? Wer bei König ausstellt, kann behütet – und streng kommunistisch. Viel- Situationen, in denen es drei ungünstige Er wäre hell, sehr hell. Gibt Boys, Boys, nur gewinnen. Ja, dieser leicht zu beschützt für die harte Realität. Möglichkeiten gibt, die alle als Option es Momente ohne Bilder? Ich Boys Raum ist wirklich spekta- Sie besuchten ein Elite-Gymnasium im Osten, wie ausscheiden – und trotzdem muss man träume Bilder. Die Bilder des kulär. War es Ihr Wunsch oder muss man sich den Schüler Norbert Bisky vor- sich für eine Möglichkeit entscheiden. Berliner Malers seine Idee? Johann König stellen? Unglücklich. Ich hasste die Schu- Aha. Ja (lacht). In welchem Trilemma steckt C wie Comeback strotzen vor ist einer der mutigsten le. Das Beste, was ich dort gelernt habe, Norbert Bisky denn? Es fängt damit an, über- Es gibt Menschen, die behaup- Lebenskraft Menschen, die ich ken- ist die Gabe, sich unsichtbar machen zu haupt noch Malerei zu machen, was in ten, die Ausstellung bei König ne. Wir haben uns in sehr können. Hatten Sie Ihr Coming-out als Gymna- Zeiten von Instagram und so völlig absurd sei die große Comeback-Show guten Gesprächen aufei- siast oder im späteren Leben? Real später. Was ist. Sind Sie bei Instagram? Nein. Was sollte des Norbert Bisky. Das ist nander zubewegt. Königs würde wohl der 16-jährige Norbert über den Mann ich auch posten? Ein paar Likes würden Ihre Unfug. Ich war immer hier. Warum liebt es Beispiel eine Stadt wie Berlin ausmacht. loch hängen, ja. Trotzdem empfindet man entweihte Kirche St. Agnes ist ja so etwas wie der sagen, der heute hier sitzt? Er wäre ihm wohl Bilder schon bekommen. Nee, Quatsch. Ich der Kunstmarkt so, seine Kinder hochzujubeln, zu Oder auch mein Leben. Und diese fins- Mitleid, wenn man ahnt, dass Munchs „Schrei“, Maschinenraum der Berliner Neo-Mitte, wichtiger ziemlich egal – und doch würde er Dinge habe ein ganz anderes Timing. Sind die beerdigen und am Ende triumphal wieder auszu- teren Gestalten mit ihren noch finstere- aus dem Museum in Stockholm entführt, in Teilchenbeschleuniger des magischen Vierecks in meinen Bildern erkennen, die er mag. neuen Bilder dunkler oder heller als die Arbeiten graben? Ich fürchte, das gilt für alle Märkte ren Gedanken machen mich wütend. Sie irgendeinem zwielichtigen Milliardärskeller sein St. Agnes, Schinkelpavillon, „Grill Royal“, „Berg- Stimmt es eigentlich, dass in der Wohnung Ihrer davor? Im Gesamtbild relativ ausgegli- menschlicher Eitelkeiten. Nervt es nicht, dass bedrohen all das, was mir Spaß macht, was Dasein fristen muss … Aber das Bild wird das hain“. Richtig. Ist das Ihr Berlin? Ja, natürlich. Eltern der erste Homo-Film der DDR, „Coming chen. Was sagt das über Ihre Stimmung aus? Kunst heute Spekulationsware ist? Man darf mein Leben ausmacht. Weshalb ich auch Unrecht und den Besitzer überdauern. Und Und auch auf die Gefahr hin, dass das Out“, gedreht wurde? Ja, das stimmt. Aber die Dass ich ausgeglichen bin, relativ zumin- das nicht persönlich nehmen. bereit bin, viel zu tun, sie aufzuhalten. danach noch kräftiger strahlen. Eines Ihrer falsch verstanden werden kann: Genau Dreharbeiten waren keineswegs so unpro- dest. Mir ist zudem aufgefallen, dass es explizitesten Werke grüßt monumental in der innerhalb dieser Koordinaten entsteht die blematisch, wie es heute scheinen mag. Ich dieses Mal keine abgetrennten Körpertei- D wie Deutschland E wie Ewigkeit Eingangshalle des „Berghain“. Oh, fragen Sie Melange, die das moderne, progressive musste die gesamte Zeit meinen jüngeren le gibt. Haben Sie Angst davor, wie die Kritiker Man untertreibt, würde man behaupten, Sie Was muss Kunst leisten, damit sie gut altert? jetzt nicht, was auf dem Bild zu sehen und weltoffene Berlin definiert. Mir ist Bruder, der damals sechs Jahre alt war, in auf die Ausstellung reagieren werden? Nein. kämen aus einem mäßig politisch interessierten Glücklicherweise haben wir Künstler ist … Was ist auf dem Bild zu sehen? Das soll wichtig, ein Teil davon zu sein. Ich lebe seit seinem Zimmer bespaßen, damit er die

102 FOCUS 37/2017 FOCUS 37/2017 103 Dieser Text KULTUR ROHLEDERS ABC deckt korrupte ANzeigentexte Die Offiziere erzählten dem Soldaten Bisky erst einen Tag später vom Fall der Mauer auf

Aufnahmen nicht stört. Deshalb kann ich Gibt es eigentlich ein „Urbild“ von Bisky, das Bild, kommt in meinem Werk Natur kaum vor. auch wenig darüber berichten. Ihr Vater war die eine Leinwand, die Sie auf Ihren Weg geschickt Höchstens als Feuer oder mal als Palme. damals Rektor der Filmhochschule Babelsberg. hat? Ja, dieses Bild gibt es. Allerdings trägt Mein anderes L wäre Leinwand gewesen. Nur Genau. Wie kam der Regisseur ausgerechnet auf es keinen Namen. Ausgestellt wurde es zu! Haben Sie schon einmal eine Leinwand ange- die Wohnung der Familie Bisky? Er dachte wohl, auch nie. Was ist darauf zu sehen? Eine kit- schrien? Ständig! Ich rede die ganze Zeit GUTE unsere Wohnung sei das, was man damals schige Parodie auf eine glückliche Szene: mit den Leinwänden. als klassisch intellektuell und verraucht Kindheit in der DDR. bezeichnete. Haben Sie sich jemals die Frage M wie Malerei gestellt, was aus Ihrer Kunst im Osten geworden K wie Kapitalismus Zu Anfang Ihrer Karriere erklärten Sie, Sie würden wäre? Nichts! Ich wäre in der DDR nie im Sie sind im Kommunismus erzogen worden und den „Kulturmüll der russischen Kolonie DDR“ ver- Leben Künstler geworden. Haben Sie sich unterliegen heute dem freien Spiel der Kräfte des arbeiten und sich in Ihren Bildern bewusst „die ACTION Marktes – hatten Sie sich den DDR aus der Seele“ malen. Das trifft es nach Kapitalismus als Schüler so wie vor ziemlich gut, ja. Malerei hat auch eine vorgestellt? Ganz und gar sehr technische, eine rein handwerkliche Seite: Bilder, Bilder, nicht! Ist Ihnen Geld wichtig? Wie und vor allem von welcher Seite nähern Sie Bilder Grundsätzlich nicht, nein. sich einer jungfräulichen Leinwand? Nie aus Zum neuen Ich weiß jedoch um die der Mitte heraus – das ist das erste Gebot. Werkzyklus glückliche Lage, dass mir Und welcher Rand ist am schwersten? Der rech- gehören neun Geld nicht wichtig sein te, fragen Sie mich bitte nicht, warum. große Gemälde muss und ich das Leben Mein anderes M wäre Mumbai gewesen. Okay. führen darf, das ich leben Sie waren hautnah dabei, als 2008 eine Gruppe möchte. Bevor Sie von der von Terroristen entschied, den Terror über das „Taj Malerei leben konnten, haben Hotel“ und Downtown Mumbai zu bringen. Was Sie gekellnert, Handtücher ist damals passiert? Verkürzt: Ich war in der gefaltet, sich als Hotelboy ver- Stadt, um eine Ausstellung vorzubereiten. dingt und für Bernd Eichinger Auf dem Weg ins Hotel hieß es plötzlich: Weißbier im „Schlosshotel Eine Gruppe pakistanischer Teenager Grunewald“ gezapft … Was habe schwer bewaffnet mit einem Boot mir ernsthaft misslungen im Zentrum der Stadt angelegt und sei ist. Herr Eichinger wollte dabei, vom „Taj Hotel“ aus die Stadt in es mir daraufhin beibrin- Geiselhaft zu nehmen. Wo befanden Sie sich? gen, was jedoch auch nur In einem anderen Hotel, wenige Kilometer mäßig erfolgreich verlief. entfernt. Und das war pures Glück. Die Angestellten verbarrikadierten die Türen L wie Lothar, der Vater unseres Hotels – und wir versteckten uns. Mochte Vater Bisky Ihre Meinen Galeristen habe ich erst Tage spä- Kunst? Im Großen und ter wieder in Berlin getroffen. Aufgrund von Ganzen schon, ja. Er Mumbai haben Sie den Colaba-Zyklus gemalt. mochte das Licht, die Können Bilder die Seele heilen? Unbedingt. Farben, das Mediterrane. Mit den Jungs konnte er N wie NVA weniger anfangen. Was Als die Mauer fiel, leisteten Sie gerade Ihren Wehr- total okay ist. Genau! Hat dienst in der Armee. Ja, in einem Bunker in es Sie genervt, immer als der Steffenshagen in Mecklenburg. Allerdings Sohn vom alten Bisky ange- sagte uns am 9. November gar niemand textet zu werden? Nein, ich Bescheid, das passierte erst am Morgen wusste, ich muss mich des 10. November. Wir traten an zum Früh- dazu verhalten, und mir sport, und der diensthabende Unteroffizier war immer klar, dass es verkündete: „Die Mauer ist offen.“ Wir deshalb dazu entschieden, an die Kunstakademie keinen Sinn macht, meine Biografie zu winkten müde ab, für schlechte Witze war in Charlottenburg zu gehen und nicht an die Hoch- verleugnen. Sie sind in Leipzig geboren: Wenn es definitiv zu früh.Und dann? Machten wir schule in Weißensee? Ich wollte nicht nur in Ihre Kindheit ein Bild wäre, wie sähe dieses aus? erst einmal eine Runde Frühsport. Während den Westen – ich wollte so weit wie mög- Wie der Blick aus meinem Fenster, ein um Sie herum ein Land zusammenbrach. Aber lich weg. Und das bedeutete damals: ein leicht verblichener, verrotteter Straßen- nicht sofort. Die Mauer war offen, ja, aber amerikanischer Künstler werden. Das war zug, erbaut am Ende des 19. Jahrhunderts. wir haben weiter Dienst geschoben. Wie mein Plan. Auf dem Weg dorthin landeten Sie Zerfallende Pracht, kurz davor, Ruine zu lange? Im März bin ich abgehauen – und bei in der Meisterklasse. Was war werden. Viel Grau. Viele Tauben. Haben wurde dafür verhaftet. Warum das? Klassi- das Wichtigste, was der alte Grantler Sie lehrte? Sie als Kind gemalt? Ja, vor allem Wälder und sche Fahnenflucht. Ich bin abends nach ALARM FÜR COBRA 11 Niemals Angst zu haben. Selbstbestimmt Waldwege. Klingt super! Irgendwie schon, Hause gefahren, am nächsten Morgen zu sein. Sein eigenes Ding durchzuziehen. aber irgendwie auch total krass. Heute stand die Militärpolizei vor der Tür AB 14.09. | DO | 20:15

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Vater Lothar mochte das Licht und das Mediterrane. Die Knaben eher weniger

und kassierte mich wieder ein. Wie haben so, ja. Macht es denn heute mehr oder weniger Eher hinderlich. Dabei gab es nur einen Ihre Eltern reagiert? Ach, die Zeiten waren Spaß? Gott sei Dank mehr. Viel mehr! offiziellen Termin, nachdem Westerwelle aufregend genug. Damals hatte jeder mit auf der Art Cologne zwei Bilder gekauft sich selbst zu tun. R wie Reisen hatte. Damals sagte mein Galerist: „Hey, Sie malten schon in Madrid, Mumbai, Rio und du musst mal in das Büro von Westerwelle O wie Osten Tel Aviv. Wie wichtig ist es für Sie, manchmal fahren und helfen, die Bilder aufzuhän- KNAPP. KNACKIG. Welche Farbe hat der Osten in Ihrer Erinnerung? Abstand zum eigenen Alltag zu nehmen? So gen.“ Und obwohl ich völlig grün hinter Viele Töne Grau. Wohin führte Sie Ihre erste wichtig, dass ich gern Raucher wäre, den Ohren war und keine Ahnung hatte, Reise in den Westen? Nach Rendsburg bei weil ich dann öfter bei den Bildern zwi- war mir instinktiv klar, dass das irgend- Kiel. Wow! Genau (lacht). Nein, da wohnten schendurch Pause machen könnte. Wenn wie komisch ist, und so habe ich mir eine Verwandte von uns. Mein erster wirklicher man keinen Abstand schafft, wird man Perücke aufgesetzt. Wie bitte? Ich dachte, irgendwann blind und irgendwie muss ich Distanz herstellen, versteht nicht mehr, was also habe ich mir diese Perücke aufge- man eigentlich die ganze setzt, halb lange, blonde Haare. Was dazu Zeit macht. Fällt es Ihnen führte, dass Westerwelle zwei Jahre später KNAPPIK. zunehmend schwerer, Zeit auf der Art Cologne zu mir meinte: „Sie zum Reisen zu finden? Nein, haben die Haare anders.“ Hatten Sie Sor- Jetzt im Handel die nehme ich mir. Hand- ge, als der deutsche Schwulenmaler zu gelten? gepäck oder Sperrgepäck? Mit so etwas muss Kunst umgehen kön- Lieber leicht, allerdings nen. Egal, wo sie hängt, in welchem Büro, immer mit Aquarellfarben in welcher Vorstandsetage, in welchem im Gepäck. Schlafen, malen Wohnzimmer. Passen Sie heute mehr auf, wer oder lesen Sie im Flieger? Ich Ihre Kunst kauft?Schon. In zwei Wochen ist Fragen, Fragen, schlafe. Gang oder Fenster? Bundestagswahl, wissen Sie, wen Sie wählen Fragen Fenster. Welche große Reise werden? Ja. Haben Sie schon einmal die Partei Das Gespräch mit steht noch aus? Japan. Ihres Vaters, Die Linke, gewählt? Ja, in den Norbert Bisky führte Neunzigern. FOCUS-Redakteur S wie Schwarz Jörg Harlan Rohleder Wie viele Töne Schwarz exis- X wie Xenophobie tieren in Ihrer Welt? Oha, Wenn man sich bei Facebook durchklickt, in die viele, sehr viele. Momen- digitalen Echokammern reinhört, nicht ganz und tan male ich geschätzt mit gar abwesend durch Berlin spaziert, dann spürt Urlaub war ein Trip nach Amsterdam, kurz 27 Schattierungen. Wenn Sie wählen müssten: man, dass die Aggressivität in diesem Land … bevor ich desertierte. Schwarz oder Weiß? Das kann ich nicht. Ach, Leider zunimmt. Und das bereitet mir kommen Sie! Dann Schwarz. große Sorgen. Gleichzeitig finde ich aber, P wie Politik dass die Menschen in Berlin, nein, in ganz Muss Kunst politisch sein? Und: Wird sie dadurch T wie Tag Deutschland, derzeit ziemlich reflektiert besser? Ganz komplizierte Frage, zu der Wie sieht ein Tag von Norbert Bisky aus? Vormit- und ziemlich cool sind. Ich finde, Deutsch- ich je nach Tagesform und Situation selbst tags aufstehen, frühstücken, Handy aus land ist ein richtig gutes, ein modernes immer meine Haltung neu vermesse. Ich lassen, ins Atelier gehen. Tee oder Kaffee? und offenes Land geworden. Es sind viele persönlich möchte jedoch keine Bilder Kaffee! Wie halten Sie sich fit? Ich mache Box- gute Leute unterwegs. Deshalb vertraue malen, die komplett an meiner Zeit vor- training, was gut ist, weil ich da Energie ich darauf, dass das Pendel nicht in die beirauschen und so, abgesehen vom Deko- rauslassen kann. Gehen Sie aus? Manchmal falsche Richtung ausschlägt. rationswert, völlig irrelevant sind. Kann eine schon. Gehen Sie tanzen? Sehr gern! Gesellschaft eine Haltung von ihren Künstlern Y wie YOLO einfordern? Nein. Das muss schon von den U wie Urlaub Wenn Sie noch einen Tag zu leben hätten, wie wür- Künstlern ausgehen. Beispielsweise bin Verraten Sie uns, wo Sie zuletzt im Urlaub waren? den Sie diesen verbringen? Malend im Atelier. ich großer Fan von Wolfgang Tillmans’ Über Silvester in Rio. Sind Sie eher der Stadt- Möglicherweise würde ich einen längeren intelligenter Art, sich in die Diskussion oder der Land-Typ? Stadt, Stadt, Stadt! Besser Spaziergang machen. Würden Sie noch ein um den Brexit und Europa einzumischen. noch: Stadt am Meer. Tag oder Nacht? Im neues Bild anfangen? Na klar. Urlaub gern Tag, sonst gern Nacht. Q wie Qualität Z wie Zukunft „Was, das soll Kunst sein“, sagen die Philister – V wie Vanitas Herr Bisky, wie lange kann man so kraftraubend kann man die Qualität von Kunst messen? Das Was bleibt, wenn alles zu Ende ist? Nichts. Oder energiegeladen malen? Also Karl Otto Götz ist ist eine Frage, die mich nie beschäftigt. Es Licht. gerade mit 103 verstorben. Deshalb: lange kann gar nicht genug Kunst geben. Wie noch, sehr lange. Die 100 sollten es schon sein, vieler Qual bedarf Ihre Kunst? Na ja, in meinen W wie Westerwelle oder? In jedem Fall. Medizinisch ist das ja ODER ONLINE Bildern steckt schon viel Zeit und Lebens- War die öffentliche künstlerische Zuneigung auch kein Problem mehr. In welcher Phase BESTELLEN energie. Nehmen Sie nach 20 Jahren Ihre Kunst des ehemaligen Außenministers zuträglich oder des Schaffens von Norbert Bisky befinden wir uns eigentlich ernster als früher? Das ist leider rückblickend eher hinderlich für Ihre Karriere? nach dieser Rechnung? Am Anfang! n playboy.de/magazin

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