Plenarprotokoll 876

BUNDESRAT Stenografischer Bericht 876. Sitzung

Berlin, Freitag, den 5. November 2010

Inhalt:

Amtliche Mitteilungen ...... 395 A 4. Bundesbesoldungs- und -versorgungs- anpassungsgesetz 2010/2011 (BBVAnpG 2010/2011) (Drucksache 619/10) .... 400 D Zur Tagesordnung ...... 395 B Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 GG ...... 427*A

1. Ansprache der Präsidentin ...... 395 B 5. Viertes Gesetz zur Verbesserung rehabi- Präsidentin Hannelore Kraft ... 395 B litierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der Ronald Pofalla, Bundesminister für ehemaligen DDR (Drucksache 620/10) . 401 A besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ...... 397 A Uta-Maria Kuder (Mecklenburg- Vorpommern) ...... 401 A Dr. Jürgen Martens (Sachsen) ... 401 C 2. Gesetz zur Umsetzung der geänderten Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 84 Bankenrichtlinie und der geänderten Absatz 1 Satz 5 und 6 GG ..... 402 A Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksache 656/10) ...... 399 A 6. Gesetz über die weitere Bereinigung von Michael Boddenberg (Hessen), Be- Bundesrecht (Drucksache 621/10) ... 400 D richterstatter ...... 399 B Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin) ... 399 D Absatz 2 GG ...... 427*A Michael Boddenberg (Hessen) ..425*A 7. Neuntes Gesetz zur Änderung des Bun- Dr. Hans Bernhard Beus, Staats- des-Immissionsschutzgesetzes (Drucksa- sekretär im Bundesministerium che 622/10) ...... 400 D der Finanzen ...... 426*A Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 84 Beschluss: Kein Einspruch gemäß Arti- Absatz 1 Satz 5 und 6 GG .....426*B kel 77 Absatz 3 GG ...... 400 D 8. Gesetz zu dem Änderungsprotokoll vom 21. Januar 2010 zum Abkommen vom 3. Gesetz zum Vorschlag für eine Verord- 11. April 1967 zwischen der Bundesrepu- nung des Europäischen Parlaments und blik Deutschland und dem Königreich des Rates über Finanzbeiträge der Euro- Belgien zur Vermeidung der Doppelbe- päischen Union zum Internationalen steuerungen und zur Regelung verschie- Fonds für Irland (2007-2010) (Drucksa- dener anderer Fragen auf dem Gebiete che 618/10) ...... 400 D der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbe- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 23 steuer und der Grundsteuern sowie des Absatz 1 GG ...... 426*B dazugehörigen Schlussprotokolls in der

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon: (02 21) 97 66 83 40, Telefax: (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7999 II Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

Fassung des Zusatzabkommens vom des Landes Rheinland-Pfalz – (Drucksa- 5. November 2002 (Drucksache 623/10) . 400 D che 149/10) Beschluss: Zustimmung gemäß Arti- Mitteilung: Absetzung von der Tagesord- kel 108 Absatz 5 GG ...... 426*B nung ...... 395 B

9. Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Fe- 15. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung bruar 2010 zwischen der Bundesrepublik der Strafprozessordnung – Neuordnung Deutschland und der Arabischen Repu- der Anordnungskompetenz für die Ent- blik Syrien zur Vermeidung der Doppel- nahme von Blutproben – Antrag des Lan- besteuerung und Verhinderung der Steu- des Niedersachsen – (Drucksache 615/10) 403 A erverkürzung auf dem Gebiet der Jörg-Uwe Hahn (Hessen) . .... 403 A Steuern vom Einkommen (Drucksache Dr. Jürgen Martens (Sachsen) ... 403 D 624/10) ...... 400 D Dr. Till Steffen (Hamburg) ....428*B Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 105 Absatz 3 und Artikel 108 Absatz 5 GG 426*B Beschluss: Einbringung des Gesetzent- wurfs gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG beim Deutschen Bundestag in der fest- 10. Gesetz zu dem Abkommen vom 23. Fe- gelegten Fassung – Bestellung von Mi- bruar 2010 zwischen der Bundesrepublik nister Bernd Busemann (Niedersach- Deutschland und Malaysia zur Vermei- sen) zum Beauftragten des Bundesrates dung der Doppelbesteuerung und zur gemäß § 33 GO BR ...... Verhinderung der Steuerverkürzung auf 405 B dem Gebiet der Steuern vom Einkommen 16. Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung (Drucksache 625/10) ...... 400 D bezahlbarer Mieten und zur Begren- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 105 zung von Energieverbrauch und Ener- Absatz 3 und Artikel 108 Absatz 5 GG 426*B giekosten – gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG – Antrag des Landes Berlin gemäß 11. Gesetz zum Abkommen vom 25. Januar § 36 Absatz 2 GO BR – (Drucksache 637/ 2010 zwischen der Bundesrepublik 10) ...... 405 B Deutschland und der Republik Bulgarien Ingeborg Junge-Reyer (Berlin) .. 405 C zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Jörg-Uwe Hahn (Hessen) .... 406 B und der Steuerverkürzung auf dem Ge- biet der Steuern vom Einkommen und Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär vom Vermögen (Drucksache 626/10) .. 400 D bei der Bundesministerin der Jus- tiz ...... 407 A Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 105 Absatz 3 und Artikel 108 Absatz 5 GG 426*B Mitteilung: Überweisung an die zustän- digen Ausschüsse ...... 407 D 12. Gesetz zu dem Abkommen vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik 17. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung Deutschland und dem Vereinigten Kö- der Strafprozessordnung – gemäß Arti- nigreich Großbritannien und Nordirland kel 76 Absatz 1 GG – Antrag der Freien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Hansestadt Hamburg gemäß § 36 und zur Verhinderung der Steuerverkür- Absatz 2 GO BR – (Drucksache 670/10) . 407 D zung auf dem Gebiet der Steuern vom Dr. Till Steffen (Hamburg) .... 407 D Einkommen und vom Vermögen (Druck- Mitteilung: Überweisung an den zustän- sache 627/10) ...... 400 D digen Rechtsausschuss ...... 408 C Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 105 Absatz 3 und Artikel 108 Absatz 5 GG 426*B 18. a) Entschließung des Bundesrates zur Kompensation eines Wegfalles des 13. Gesetz zu dem Abkommen vom 19. März Zivildienstes durch Stärkung der 2010 zwischen der Regierung der Bun- Jugendfreiwilligendienste FSJ und desrepublik Deutschland und der Regie- FÖJ – Antrag des Freistaates Bayern – rung von Anguilla über den steuerlichen (Drucksache 567/10) Informationsaustausch (Drucksache 628/ 10) ...... 400 D b) Entschließung des Bundesrates für ei- nen einheitlichen „Freiwilligen sozia- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 108 len Dienst“ – Antrag des Landes Absatz 5 GG ...... 426*B Rheinland-Pfalz – (Drucksache 576/10) 409 B Dr. Monika Stolz (Baden-Württem- 14. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung berg) ...... 409 B des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Werbung für Suizidbeihilfe (... StRÄndG) Margit Conrad (Rheinland-Pfalz) . . 429*C – gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG – Antrag Gisela von der Aue (Berlin) .... 430* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 III

Josef Hecken, Staatssekretär im Dr. Till Steffen (Hamburg) .... 419 C Bundesministerium für Familie, Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekre- Senioren, Frauen und Jugend...431*A tär beim Bundesminister des In- Beschluss zu a) und b): Annahme einer nern ...... 420 D Entschließung in der festgelegten Fas- Dr. Holger Poppenhäger (Thüringen) 435*A sung ...... 410 B Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- 19. Entschließung des Bundesrates zum kel 76 Absatz 2 GG ...... 422 A Energiekonzept der Bundesregierung – Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, 25. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bran- rung des Straßenverkehrsgesetzes und denburg – (Drucksache 633/10) .... 410 C anderer Gesetze (Drucksache 585/10) .. 400 D Margit Conrad (Rheinland-Pfalz) . 410 C Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- Jürgen Seidel (Mecklenburg-Vor- kel 76 Absatz 2 GG ...... 427*A pommern) ...... 412 B Tanja Gönner (Baden-Württemberg) 413 B 26. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung Peter Hintze, Parl. Staatssekretär der Dienstleistungsrichtlinie im Eichge- beim Bundesminister für Wirt- setz sowie im Geräte- und Produkt- schaft und Technologie ..... 414 B sicherheitsgesetz und zur Änderung des Verwaltungskostengesetzes (Drucksa- Beschluss: Die Entschließung wird nicht che 586/10) ...... 400 D gefasst ...... 415 C Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- 20. Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Än- kel 76 Absatz 2 GG ...... 427*A derung des Zweiten Buches Sozialge- setzbuch (Drucksache 635/10) .... 400 D 27. Vorschlag für eine Verordnung des Euro- Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- päischen Parlaments und des Rates über kel 76 Absatz 2 GG ...... 427*A Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps – gemäß Arti- 21. Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes zur kel 12 Buchstabe b EUV und §§ 3 und 5 Änderung des Arzneimittelgesetzes EUZBLG – (Drucksache 562/10, zu (Drucksache 582/10) ...... 400 D Drucksache 562/10) ...... 422 A Michael Boddenberg...... (Hessen) 436*D Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- kel 76 Absatz 2 GG ...... 427*A Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG ...... 422 B 22. Entwurf eines Gesetzes zur bestätigen- den Regelung verschiedener steuerlicher 28. Vorschlag für eine Verordnung des Euro- und verkehrsrechtlicher Vorschriften des päischen Parlaments und des Rates über Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (Drucksa- OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien che 583/10) ...... 416 D und Transaktionsregister – gemäß Arti- Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden- kel 12 Buchstabe b EUV und §§ 3 und 5 Württemberg) ...... 431*D EUZBLG – (Drucksache 563/10, zu Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- Drucksache 563/10) ...... 400 D kel 76 Absatz 2 GG ...... 417 A Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG ...... 427*B 23. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der 29. Vorschlag für einen Beschluss des Euro- Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts päischen Parlaments und des Rates über (Anlegerschutz- und Funktionsverbesse- das erste Programm für die Funkfre- rungsgesetz) (Drucksache 584/10) ... 417 A quenzpolitik – gemäß Artikel 12 Buch- Harry Kurt Voigtsberger (Nordrhein- stabe b EUV und §§ 3 und 5 EUZBLG – Westfalen) ...... 417 A (Drucksache 565/10) ...... 422 C Michael Boddenberg (Hessen) ..432*D Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- und 5 EUZBLG ...... 422 C kel 76 Absatz 2 GG ...... 418 C 30. Mitteilung der Kommission an das Euro- 24. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des päische Parlament, den Rat, den Europäi- Beschäftigtendatenschutzes (Drucksa- schen Wirtschafts- und Sozialausschuss che 535/10, zu Drucksache 535/10) .. 418 C und den Ausschuss der Regionen: Euro- Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-An- päische Breitbandnetze – Investition in halt) ...... 418 C ein internetgestütztes Wachstum – ge- IV Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

mäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache Buchstabe b EUV und §§ 3 und 5 566/10) ...... 400 D EUZBLG – (Drucksache 574/10, zu Drucksache 574/10) ...... 400 D Beschluss: Stellungnahme ...... 427*B Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 31. Mitteilung der Kommission an das Euro- und 5 EUZBLG ...... 427*B päische Parlament, den Rat, den Europäi- schen Wirtschafts- und Sozialausschuss 37. Mitteilung der Kommission an das Euro- und den Ausschuss der Regionen: „Ju- päische Parlament, den Rat, den Europäi- gend in Bewegung“ – Eine Initiative zur schen Wirtschafts- und Sozialausschuss Freisetzung des Potenzials junger Men- und den Ausschuss der Regionen: Strate- schen, um in der Europäischen Union in- gie für die Gleichstellung von Frauen telligentes, nachhaltiges und integrati- und Männern 2010 – 2015 – gemäß §§ 3 ves Wachstum zu erzielen – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 575/10) . 423 A und 5 EUZBLG – (Drucksache 561/10) . 422 C Beschluss: Stellungnahme ...... 423 A Beschluss: Stellungnahme ...... 422 D 38. Mitteilung der Kommission an das Euro- 32. Vorschlag für eine Empfehlung des Ra- päische Parlament, den Rat, den Europäi- tes: „Jugend in Bewegung“ – die Mobili- schen Wirtschafts- und Sozialausschuss tät junger Menschen zu Lernzwecken und den Ausschuss der Regionen: Leitini- fördern – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – tiative der Strategie Europa 2020 – Innova- (Drucksache 597/10) ...... 400 D tionsunion – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 616/10) ...... 423 A Beschluss: Stellungnahme ...... 427*B Beschluss: Stellungnahme ...... 423 B 33. Vorschlag für eine Verordnung des Euro- päischen Parlaments und des Rates über 39. Mitteilung der Kommission an das Euro- ein Unterstützungsprogramm zur Weiter- päische Parlament, den Rat, den Europäi- entwicklung der integrierten Meerespo- schen Wirtschafts- und Sozialausschuss litik – gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV und den Ausschuss der Regionen: Regio- und §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache nalpolitik als Beitrag zum intelligenten 599/10) ...... 402 A Wachstum im Rahmen der Strategie Eu- (Schleswig- ropa 2020 – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – Holstein) ...... 402 A (Drucksache 629/10) ...... 423 B Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 Beschluss: Stellungnahme ...... 423 C und 5 EUZBLG ...... 403 A 40. Dritte Verordnung zur Änderung der 34. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- Sozialversicherungsentgeltverordnung schen Parlaments und des Rates zur (Drucksache 577/10) ...... 400 D Schaffung eines einheitlichen europäi- schen Eisenbahnraums (Neufassung) Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 – gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV und Absatz 2 GG ...... 427*D §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 564/ 10, zu Drucksache 564/10) ...... 422 D 41. Erste Verordnung zur Änderung der Ernährungswirtschaftsmeldeverordnung Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 (Drucksache 591/10) ...... 400 D und 5 EUZBLG ...... 423 A Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 35. Vorschlag für eine Verordnung des Euro- Absatz 2 GG nach Maßgabe der be- päischen Parlaments und des Rates über schlossenen Änderung ...... 427*B die statistische Erfassung des Güter- kraftverkehrs (Neufassung) – gemäß Ar- 42. Verordnung zur Änderung steuerlicher tikel 12 Buchstabe b EUV und §§ 3 und 5 Verordnungen (Drucksache 587/10) .. 400 D EUZBLG – (Drucksache 592/10, zu Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 Drucksache 592/10) ...... 400 D Absatz 2 GG ...... 427*D Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG ...... 427*B 43. Zweiundzwanzigste Verordnung zur Än- derung der Risikostruktur-Ausgleichs- 36. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- verordnung (Drucksache 578/10) ... 423 C schen Parlaments und des Rates zur Än- Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden- derung der Richtlinie 2001/112/EG des Württemberg) ...... 437*C Rates über Fruchtsäfte und bestimmte gleichartige Erzeugnisse für die mensch- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 liche Ernährung – gemäß Artikel 12 Absatz 2 GG ...... 423 D Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 V

44. Verordnung zur landesrechtlichen Rege- Beschluss: Dr. Joachim Nagel wird vor- lung von Ausnahmen von der Fahrzeug- geschlagen ...... 428*A Zulassungsverordnung (Drucksache 579/ 10) ...... 400 D 49. Verfahren vor dem Bundesverfassungs- gericht (Drucksache 617/10) ..... 400 D Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 Absatz 2 GG ...... 427*D Beschluss: Von einer Äußerung und ei- nem Beitritt wird abgesehen ....428*B 45. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Monitorings von Le- 50. Entwurf eines Gesetzes zur Einbezie- bensmitteln, kosmetischen Mitteln und hung von Empfängern von Krankenhilfe- Bedarfsgegenständen für die Jahre 2011 leistungen nach dem Zwölften Buch bis 2015 (AVV Monitoring 2011-2015) Sozialgesetzbuch, dem Achten Buch So- (Drucksache 588/10) ...... 400 D zialgesetzbuch und § 2 des Asylbewer- berleistungsgesetzes in die gesetzliche Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 84 Kranken- und Pflegeversicherung (GKV- Absatz 2 GG nach Maßgabe der be- Einbeziehungsgesetz – GKV-EBG) – ge- schlossenen Änderungen .....427*B mäß Artikel 76 Absatz 1 GG – Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg gemäß 46. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur § 36 Absatz 2 GO BR – (Drucksache 673/ Änderung der Lohnsteuer-Richtlinien 10) ...... 408 C 2008 (Lohnsteuer-Änderungsrichtlinien Dietrich Wersich (Hamburg) ... 408 C 2011 – LStÄR 2011) (Drucksache 589/10, zu Drucksache 589/10) ...... 400 D Mitteilung: Überweisung an die zustän- digen Ausschüsse ...... 409 B Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 108 Absatz 7 GG ...... 427*D 51. Entschließung des Bundesrates über ein Gesetz zur Stärkung der Patientenrechte 47. a) Benennung von Beauftragten des Bun- – Antrag der Länder Berlin, Brandenburg desrates in Beratungsgremien der Eu- gemäß § 36 Absatz 2 GO BR – (Drucksa- ropäischen Union für den Ausschuss che 676/10) ...... 415 C nach Artikel 13 der Richtlinie 93/15/ Katrin Lompscher (Berlin) .... 415 C EWG (Explosivstoffe für zivile Zwe- cke) – gemäß § 6 Absatz 1 EUZBLG Mitteilung: Überweisung an die zustän- i.V.m. Abschnitt I der Bund-Länder- digen Ausschüsse ...... 416 D Vereinbarung – (Drucksache 570/10) 52. Benennung eines Mitglieds und eines b) Benennung von Beauftragten des Bun- stellvertretenden Mitglieds für den Beirat desrates in Beratungsgremien der Eu- der Bundesnetzagentur für Elektrizität, ropäischen Union für die Beratungs- Gas, Telekommunikation, Post und gruppe der Kommission für den Eisenbahnen – gemäß § 5 Absatz 1 Bereich chemische, biologische, radio- BEGTPG – Antrag des Landes Mecklen- logische und nukleare Sicherheit burg-Vorpommern gemäß § 36 Absatz 2 („CBRN-Beratungsgruppe“) – gemäß GO BR – (Drucksache 672/10) . .... 400 D § 6 Absatz 1 EUZBLG i.V.m. Ab- Beschluss: Es werden erneut vorgeschla- schnitt I der Bund-Länder-Vereinba- gen: Minister Jürgen Seidel (Mecklen- rung – (Drucksache 572/10) .... 400 D burg-Vorpommern) als Mitglied und Beschluss zu a): Zustimmung zu der Staatssekretär Dr. Stefan Rudolph Empfehlung in Drucksache 570/1/10 . 428*A (Mecklenburg-Vorpommern) als stell- vertretendes Mitglied ...... 428*A Beschluss zu b): Zustimmung zu der Empfehlung in Drucksache 572/1/10 . 428*A Nächste Sitzung ...... 423 D 48. Vorschlag des Bundesrates für die Bestel- lung eines Mitglieds des Vorstandes der Beschlüsse im vereinfachten Verfahren ge- Deutschen Bundesbank – gemäß § 7 Ab- mäß § 35 GO BR ...... 424 A/C satz 3 BundesbankG – (Drucksache 593/ 10) ...... 400 D Feststellung gemäß § 34 GO BR ..... 424 A/C VI Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

Verzeichnis der Anwesenden

Vorsitz: Brandenburg:

Präsidentin H a n n e l o r e K r a f t , Minister- Anita Tack, Ministerin für Umwelt, Gesundheit präsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen und Verbraucherschutz

Amtierender Präsident Pe t e r H a r r y C a r s t e n s e n , Ministerpräsident des Lan- des Schleswig-Holstein – zeitweise – Bremen:

Jens Böhrnsen, Präsident des Senats, Bürger- Schriftführerinnen: meister, Senator für kirchliche Angelegenhei- ten und Senator für Kultur Dr. Beate Merk (Bayern) Karoline Linnert, Bürgermeisterin, Senatorin für Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt) Finanzen

Dr. Kerstin Kießler, Staatsrätin, Bevollmächtigte Baden-Württemberg: der Freien Hansestadt Bremen beim Bund

Stefan Mappus, Ministerpräsident

Prof. Dr. Ulrich Goll, Justizminister Hamburg:

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart, Minister für Bun- Christoph Ahlhaus, Präsident des Senats, Erster des-, Europa- und internationale Angelegen- Bürgermeister heiten und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund Dr. Till Steffen, Senator, Präses der Justizbe- hörde Tanja Gönner, Ministerin für Umwelt, Natur- schutz und Verkehr Dietrich Wersich, Senator, Präses der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Ver- Dr. Monika Stolz, Ministerin für Arbeit und braucherschutz Sozialordnung, Familien und Senioren

Bayern: Hessen: Emilia Müller, Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte , Ministerpräsident des Freistaates Bayern beim Bund Michael Boddenberg, Minister für Bundesange- Dr. Beate Merk, Staatsministerin der Justiz und legenheiten und Bevollmächtigter des Landes für Verbraucherschutz Hessen beim Bund

Jörg-Uwe Hahn, Minister der Justiz, für Integra- tion und Europa Berlin:

Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister

Dr. Ulrich Nußbaum, Senator für Finanzen Mecklenburg-Vorpommern:

Gisela von der Aue, Senatorin für Justiz Jürgen Seidel, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Ingeborg Junge-Reyer, Bürgermeisterin und Senatorin für Stadtentwicklung Uta-Maria Kuder, Justizministerin

Katrin Lompscher, Senatorin für Gesundheit, Volker Schlotmann, Minister für Verkehr, Bau Umwelt und Verbraucherschutz und Landesentwicklung Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 VII

Niedersachsen: Sachsen-Anhalt:

David McAllister, Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident

Jörg Bode, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Jens Bullerjahn, Minister der Finanzen Verkehr Prof. Dr. Angela Kolb, Ministerin der Justiz Bernd Busemann, Justizminister

Schleswig-Holstein:

Nordrhein-Westfalen: Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bun- Rainer Wiegard, Finanzminister desangelegenheiten, Europa und Medien und Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-West- falen beim Bund Thüringen: Harry Kurt Voigtsberger, Minister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin

Dr. Jürgen Schöning, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staats- kanzlei Rheinland-Pfalz: Dr. Holger Poppenhäger, Justizminister , Ministerpräsident

Margit Conrad, Ministerin für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz Von der Bundesregierung: Ronald Pofalla, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes

Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bun- Saarland: deskanzlerin

Peter Müller, Ministerpräsident und Minister der Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- Justiz desminister des Innern

Karl Rauber, Minister für Bundesangelegenhei- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der ten, Kultur und Chef der Staatskanzlei Bundesministerin der Justiz Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Peter Jacoby, Minister der Finanzen minister für Wirtschaft und Technologie

Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung

Sachsen: Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Reaktorsicherheit Arbeit und Verkehr Dr. Hans Bernhard Beus, Staatssekretär im Bun- Dr. Johannes Beermann, Staatsminister und desministerium der Finanzen Chef der Staatskanzlei Josef Hecken, Staatssekretär im Bundesministe- Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz rium für Familie, Senioren, Frauen und und für Europa Jugend

Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 395

(A) (C) Redetext

876. Sitzung

Berlin, den 5. November 2010

Beginn: 9.32 Uhr Als überzeugte Föderalistin sage ich: Die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland hat sich in Jahrzehnten trotz vieler Herausforderungen bewährt. Präsidentin Hannelore Kraft: Meine sehr geehrten Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben den Damen und Herren, ich eröffne die 876. Sitzung des Bundesrat mit Bedacht als Verfassungsorgan mit gro- Bundesrates. ßem politischen Gewicht geschaffen. Die Bundesrats- Bevor ich mich der Tagesordnung zuwende, habe präsidentschaft ist für mich Ehre und Verpflichtung ich gemäß § 23 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung zugleich – eine Herausforderung, der ich mich mit Veränderungen in der Mitgliedschaft bekanntzuge- Engagement und Pflichtbewusstsein widmen werde. ben: Ich verbinde das mit einem herzlichen Dank an Aus der Regierung des Landes Brandenburg und meinen Vorgänger Jens Böhrnsen. Mit – ich möchte damit aus dem Bundesrat ist am 23. September 2010 fast sagen – hanseatischer Klarheit und Geradlinig- Herr Minister Rainer S p e e r ausgeschieden. Die keit hat er es verstanden, die gute Tradition dieses Brandenburgische Landesregierung hat am 12. Ok- Hauses zu befördern, Politik immer an der Sache zu (B) tober 2010 Herrn Minister Dr. Dietmar W o i d k e orientieren und vom Ergebnis her zu denken. Zudem (D) zum ordentlichen Mitglied des Bundesrates bestellt. ist es ihm mit seiner Bereitschaft zum Ausgleich im- Dem ausgeschiedenen Mitglied danke ich für seine mer wieder gelungen, widerstreitende Interessen zu- Arbeit im Bundesrat und seinen Ausschüssen. Dem sammenzuführen. Damit sicherte er dem Bundesrat neuen Mitglied wünsche ich mit uns allen eine gute jene wichtige Rolle, die ihm in unserem föderalen und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Staatsaufbau gebührt. Das hat er im Frühjahr ein- drucksvoll unterstrichen, als er für einige Wochen die Ich komme zur Tagesordnung. Sie liegt Ihnen in Vertretung des Bundespräsidenten übernahm. vorläufiger Form mit 52 Punkten vor. Als er an dieser Stelle vor einem Jahr seine An- Punkt 14 wird von der Tagesordnung abgesetzt. trittsrede hielt, sagte er etwas, das heute mindestens Punkt 33 wird nach Punkt 5 aufgerufen. Punkt 50 genauso aktuell ist wie damals. Ich zitiere ihn: wird nach Punkt 17 behandelt. Punkt 51 wird nach Für mich gehören Vertrauen und Glaubwürdig- Punkt 19 aufgerufen. Im Übrigen bleibt es bei der keit zum unersetzbaren Handwerkszeug, damit ausgedruckten Reihenfolge. Politik und „die Politiker“ wieder mehr Zugang Gibt es Wortmeldungen zur Tagesordnung? – Das zu den Bürgerinnen und Bürgern finden, um ist nicht der Fall. diese zum Mitdenken und Mitmachen zu ermu- tigen. Dann ist sie so festgestellt. Damit schnitt er eine Frage an, die auch mich sehr Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1: bewegt: Wie können wir der zunehmenden Distanz Ansprache der Präsidentin zwischen Bürgern und Politik entgegentreten, wie sie sich z. B. in den Protesten aus der Mitte der Ge- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und sellschaft gegen große Infrastrukturprojekte kristalli- Kollegen, der Wechsel in der Präsidentschaft des siert? Bundesrates folgt bekanntermaßen einem festgeleg- ten jährlichen Turnus. Also alles nur demokratische Ich bin davon überzeugt: Wir, die politische Verant- Routine? Ich denke, Sie können nachvollziehen, dass wortung tragen, müssen gemeinsam mit den Bürgern das für mich nicht der Fall ist. Vielmehr empfinde ich und Bürgerinnen einen neuen Konsens darüber ent- Stolz, auf Zeit an einer so herausgehobenen und wickeln, wie wir in Zukunft leben wollen. Das Ziel ist wichtigen Position unserem Gemeinwesen und der für mich klar: Wir müssen von Anfang an aus Betrof- Gemeinschaft der Länder dienen zu dürfen. fenen Beteiligte machen, und zwar sehr nachhaltig. 396 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Präsidentin Hannelore Kraft (A) (C) Das entmündigt unser politisches System nicht, son- Bundesrecht beruhenden Kosten der Sozialleistun- dern stärkt im Gegenteil unsere Demokratie. Je häu- gen beteiligen. Mit diesem Thema muss sich der figer uns dies auf regionaler Ebene gelingt, desto Bundesrat seit vielen Jahren immer wieder befassen. besser. Es hat uns so manches nicht einfache Vermittlungs- verfahren beschert, und ich befürchte, dass sich da- Die Herausforderungen liegen auf der Hand. Ich ran so bald nichts ändern wird. nenne nur einige Beispiele: Auch die Initiativen der Europäischen Union haben Wie sichern wir ein friedliches Zusammenleben wir in diesem Hause konstruktiv und kritisch zu be- aller Bürgerinnen und Bürger, gleich woher sie gleiten und auf ihre praktischen Auswirkungen hin stammen? abzuklopfen. Im nächsten Jahr werden wir uns mit Wie schaffen wir es, die demografischen Verände- EU-Initiativen von großer Tragweite beschäftigen rungen unserer Gesellschaft für uns alle zum Ge- müssen, etwa mit dem Maßnahmenpaket zur Stär- winn zu machen? kung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, mit der europäischen Energie- und Klimapolitik bis 2050 Wie stärken wir gleichzeitig den Klima- und Um- oder mit der neuen Binnenmarktstrategie der Euro- weltschutz auf der einen und die industrielle Basis päischen Union. Mit diesen Initiativen setzt die EU – das sage ich auch als Politikerin aus Nordrhein- die richtigen Themen. Die Wirtschafts- und Finanz- Westfalen – auf der anderen Seite? krise und das Scheitern des Klimagipfels in Kopenha- Die Bürgerinnen und Bürger sind interessiert, sie gen vor einem Jahr haben sehr deutlich gezeigt, wie suchen nach Antworten. Dabei erwarten sie von uns notwendig gemeinsames Handeln in Europa ist. eine Politik, die Respekt vor ihnen zeigt. Sie wollen Der Bundesrat wird daher seine Integrationsverant- mehr Dialog statt Distanz, mehr Miteinander statt wortung wahrnehmen und seine mit dem Lissabon- Gegeneinander. Vertrag ausgeweiteten Mitspracherechte im Inte- Als Bundesratspräsidentin möchte ich einen be- resse der Bürgerinnen und Bürger aktiv nutzen. scheidenen Beitrag dazu leisten, dass das Vertrauen Eine weitere Frage treibt mich um: Wie können wir der Menschen in die Politik wieder wächst. Johannes unsere Ziele erreichen, den Zusammenhalt unserer R a u pflegte zu sagen – ich zitiere ihn –: „Tun, was Gesellschaft zu stärken, die öffentlichen Haushalte man sagt, und sagen, was man tut.“ Daran möchte zu konsolidieren und zugleich unsere wirtschaftliche ich mich halten. In Nordrhein-Westfalen bin ich als Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen? Ministerpräsidentin im Besonderen darauf angewie- sen, dass wir miteinander reden, Entscheidungen gut Mit einer Sparpolitik auf Kosten der Zukunft begründen, nicht über die Köpfe der Menschen hin- werden wir hier nicht weit kommen. Carl Christian v o n W e i z s ä c k e r hat dazu neulich in einem (B) weg entscheiden. Nur wenn wir dies beherzigen, (D) können wir es schaffen, dass Politikern wieder mehr Essay in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ et- Vertrauen entgegengebracht wird. was Kluges geschrieben. Ich zitiere ihn: Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Eine Finanzpolitik extremer Sparsamkeit wird Kollegen, es ist gute Tradition in diesem Hause, alle zu Kürzungen der öffentlichen Investitionen in politischen Vorhaben ruhig und sachlich anzugehen. die Infrastruktur führen. … Die von der öffent- Umso wichtiger ist es, dass wir in der Sache nah bei lichen Hand zu verantwortenden Engpässe den Menschen sind. Das sage ich z. B. mit Blick auf beim Ablauf des normalen wirtschaftlichen und die schwierige finanzielle Lage der Kommunen. In sozialen Lebens werden immer schmerzlicher – ihrer Stadt, in ihrer Gemeinde erleben sie Politik sehr auf Kosten künftigen Wirtschaftswachstums konkret. Sie sehen, ob sich die Lebensverhältnisse und künftiger Steuereinnahmen. verbessern oder verschlechtern. Vor Ort wird beson- Von Weizsäcker hat recht. Wir brauchen eine Poli- ders deutlich, ob Politik gestalten oder nur Mängel tik, die den oft gesagten Satz „Vorsorge ist besser verwalten kann. als Nachsorge“ mehr beherzigt und stärker auf Prä- vention statt auf Reparatur setzt. Wer frühzeitig in Nicht erst seit der Finanzkrise erleben wir, dass gute Bildung investiert, in mehr Kinder- und Ganz- viele Kommunen kaum noch handlungsfähig sind. tagsbetreuung, in passgenaue Hilfen für Alleinerzie- Viele notwendige Investitionen werden seit Jahren hende und Familien und in eine vorsorgende Sozial- zurückgestellt. Damit dürfen wir die Städte und Ge- politik, der sorgt am besten für die Zukunft vor. meinden nicht allein lassen. Die Länder können und sollten sich auch hier im Bundesrat noch stärker zum Auch Integrationspolitik ist vorsorgende Politik. Sprachrohr der Kommunen machen. Wenn wir Menschen mit Zuwanderungsgeschichte die Chance geben, sich in unsere Gesellschaft einzu- Es ist gut, dass sich immer mehr die Erkenntnis bringen, dann sichern wir den sozialen Frieden. Zu- durchsetzt, dass wir auf allen Ebenen unseres födera- gleich tun wir etwas gegen den Fachkräftemangel, len Systems für die Lebensverhältnisse vor Ort Ver- der unsere Wirtschaft schon heute in vielen Berei- antwortung tragen; die Länder schaffen das nicht chen hemmt. allein. Die Gemeindefinanzreformkommission wird hier, so hoffe ich, Zeichen setzen. Eine Konsolidie- All dies erfordert große Kraftanstrengung. Gezielte rung der Finanzen des Bundes auf Kosten von Kom- vorbeugende Politik ist eine Aufgabe, der sich die munen und Ländern darf es nicht geben. Der Bund Städte und Gemeinden, die Länder und der Bund ge- muss sich dauerhaft und angemessen an den auf meinsam widmen müssen. Dazu sind strukturelle Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 397 Präsidentin Hannelore Kraft (A) (C) Veränderungen nicht nur bei der finanziellen Aus- französischen Initiative den Versuch unternommen, stattung der Kommunen erforderlich, sondern gerade in Fragen der langfristigen Stabilität zu einer neuen auch in der Bildungspolitik. Lassen Sie uns gemein- Übereinkunft zu kommen. Die Einigung zwischen sam dafür werben! dem französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin in Deauville war dafür die Voraus- Meine Damen und Herren, ich freue mich darüber, setzung. Zum Ersten wurden die Ergebnisse der dass ich für ein Jahr Ihre Präsidentin sein darf. In den Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Präsidenten des Medien hat ja allein schon das Faktum, dass nun zum Europäischen Rates angenommen und die Stabilitäts- ersten Mal in der langen Geschichte des Bundesrates regeln in der Währungsunion verschärft. Zum Zwei- eine Frau dieses Amt übernimmt, beachtliche Auf- ten wurde beschlossen, begrenzte Vertragsänderun- merksamkeit gefunden. Vielleicht trägt dies ein we- gen vorzunehmen, um die Stabilität der Wirtschafts- nig dazu bei, dass sich noch mehr Menschen für un- und Währungsunion auf Dauer zu sichern. sere Arbeit interessieren. Doch es ist nicht von zentraler Bedeutung, ob die Politik von einem Mann Beim Europäischen Rat im Dezember werden die oder einer Frau an der Spitze vertreten wird. Ent- notwendigen Entscheidungen über die Ausgestal- scheidend ist, dass wir im demokratischen Wettbe- tung eines auf Dauer angelegten Krisenbewälti- werb darum ringen, die richtige Politik zum Wohle gungsmechanismus und über die vertragliche Veran- der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu ma- kerung eines Rahmens zu treffen sein. Für die chen. – Vielen Dank. Bundesregierung ist dabei entscheidend, dass bei ei- Das Wort hat Herr Bundesminister Pofalla (Chef nem neuen Mechanismus in einem transparenten, des Bundeskanzleramtes). nachvollziehbaren Verfahren private Gläubiger be- teiligt werden.

Ronald Pofalla, Bundesminister für besondere Auf- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die gaben und Chef des Bundeskanzleramtes: Frau Prä- Regierungskoalition hat sich zum Ziel gesetzt, in zen- sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! tralen Politikbereichen Reformen einzuleiten, um die Im Namen der Bundeskanzlerin und des gesamten Zukunftsfähigkeit Deutschlands langfristig und in Kabinetts spreche ich Ihnen, sehr geehrte Frau Kraft, umfassendem Sinn nachhaltig zu sichern. Es geht um die besten Wünsche zum Amtsantritt aus. Reformprojekte, die erheblichen Einfluss darauf ha- ben, ob und wie sich Deutschland in diesem Jahrhun- Ihnen allen darf ich für die gute Zusammenarbeit dert als Wirtschaftsnation in einem grundlegend ver- unter der Amtsführung von Herrn Bürgermeister änderten Wettbewerbsumfeld behaupten kann. Böhrnsen im vergangenen Jahr herzlich danken. Wir haben im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Erfreulicherweise bewegen wir uns in einem güns- (B) (D) Bundesrat in verschiedenen Zusammenhängen über tigen wirtschaftlichen Umfeld. Die wirtschaftspoliti- Inhalte und Verfahren miteinander gesprochen. Herr sche Lage in Deutschland hat sich deutlich besser Böhrnsen, ich bedanke mich ausdrücklich für die entwickelt als erwartet und gibt Anlass zum Optimis- wirklich gute Zusammenarbeit in den vergangenen mus. Im zweiten Quartal 2010 ist die Wirtschaftsleis- zwölf Monaten. tung so stark wie noch nie seit der Wiedervereini- Besonders bedanke ich mich für Ihre Unterstützung gung gestiegen. – darauf habe ich mich in Richtung auf Herrn Auch der Arbeitsmarkt profitiert sichtlich von der Böhrnsen gerade bezogen – der Gesetze zur Über- Konjunkturerholung. Im vergangenen Monat wurde nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines eu- die Grenze von 3 Millionen Arbeitslosen wieder ropäischen Stabilisierungsmechanismus und zur unterschritten. Dies ist auch mit Blick auf die Ent- Griechenland-Hilfe. Hier waren Bundesrat wie Bun- wicklung in anderen Ländern sensationell. destag nicht nur inhaltlich herausgefordert. Die Er- eignisse haben uns gemeinsam dazu gezwungen, die Ich erinnere mich daran, dass wir vor zwölf Mona- Verfahren in den beiden Häusern so zu verkürzen, ten im Bundesrat, als Herr Böhrnsen sein Amt antrat, dass die entsprechenden gesetzlichen Maßnahmen darüber geredet haben, welche Herausforderungen innerhalb weniger Tage eingebracht und innerhalb sich im nächsten Jahr stellen werden. Die große einer Woche beraten und verabschiedet worden sind. Sorge damals war, dass die Arbeitslosigkeit in Dafür will ich mich noch einmal ausdrücklich bedan- Deutschland im Zusammenhang mit der Weltwirt- ken. schaftskrise im vergangenen Winter und im Frühjahr Gemeinsam haben wir durch rasches Handeln die dieses Jahres deutlich ansteigt. Deshalb haben wir Krise sowohl im Zusammenhang mit Griechenland gemeinsame Überlegungen angestellt, wie wir hie- als auch mit dem Euro bewältigen können. Wenn Sie rauf zu reagieren haben. die folgenden Wochen im Einzelnen verfolgt haben, hat es sich im Nachhinein als mehr als richtig heraus- Die Bundesregierung hat mit dem Beschäfti- gestellt, dass die Mechanismen, die wir beschlossen gungschancengesetz die krisenbedingten Regelun- haben, am Ende wirken. gen noch einmal um rund zwei Jahre verlängert, um den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, auf die Wir müssen dennoch Vorsorge treffen für die Zu- Instrumente der Krisenbewältigung dann, wenn es kunft. Deshalb hat der Europäische Rat am 28. und notwendig ist, auch unter Arbeitsmarktgesichtspunk- 29. Oktober vor dem Hintergrund einer deutsch- ten zurückzugreifen. 398 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Bundesminister Ronald Pofalla (A) (C) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bun- reich, obwohl er die Hälfte – im Bundeshaushalt die- desregierung erwartet in diesem Jahr einen Anstieg ses Jahres sogar 55 % – der Bundesausgaben aus- des Bruttosozialprodukts um 3,4 %. Das wäre das macht. Schließlich werden auch die Verwaltung und größte Wirtschaftswachstum in Deutschland seit der der öffentliche Dienst ihren Beitrag leisten. deutschen Einheit. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, den Aufschwung durch mutige In der Arbeitsmarktpolitik werden wir weitere An- und zielführende Reformen zu verstetigen. strengungen unternehmen, um Beschäftigungspoten- ziale zu aktivieren und die Arbeitslosigkeit weiter Hierzu gehört zuallererst, alles dafür zu tun, damit abzubauen. Sinkende Arbeitslosenzahlen sind kein sich globale Finanz- und Wirtschaftskrise, eine wie Grund, den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu ver- wir sie erleben mussten, nicht wiederholt. Die Krise nachlässigen. Wir haben die Chance, sie in den hat gezeigt, wie groß die Defizite im Bereich der nächsten Jahren auf ein Niveau zu senken, das wir Finanzmarktregulierung sind. seit der deutschen Einheit noch nie gehabt haben. Die Staats- und Regierungschefs der G20 haben sich aus diesem Grunde Ende 2008 in Washington zu Lassen Sie uns bitte gemeinsam – Bund und Län- einer neuen globalen Finanzarchitektur verpflichtet. der – unsere Möglichkeiten nutzen, die Zahl der Inzwischen ist der damals angestoßene Reformpro- Arbeitslosen auch strukturell unter die 3-Millionen- zess weltweit in vollem Gange. Deutschland war Grenze zu drücken! Dann haben wir durchaus die hierbei von Anfang an treibende Kraft. Chance, diese Zahl in den nächsten ein, zwei oder drei Jahren – sonst ist das Ziel nicht zu erreichen – Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer stabilen auf 2,5 Millionen zu senken. Finanzordnung ist auch das von der Bundesregie- rung auf den Weg gebrachte und am Donnerstag der Deshalb werden wir die Strukturreformen am Ar- vergangenen Woche in zweiter und dritter Lesung beitsmarkt zielstrebig fortsetzen. Bereits im nächs- vom Deutschen Bundestag beschlossene Restruktu- ten Jahr werden wir die Instrumente der aktiven Ar- rierungsgesetz. Damit werden die Rechtsgrundlagen beitsmarktpolitik auf der Basis einer Untersuchung geschaffen, um systemrelevante Banken ohne Belas- weiterentwickeln. Wir sind der festen Überzeugung, tung des Steuerzahlers finanzmarktverträglich abwi- dass wir insbesondere nach der Reform der Organi- ckeln oder restrukturieren zu können. sation der Arbeitsagenturen die Chance haben, die Es ist ferner geplant, dass die Staats- und Regie- Freiheit der Agenturen, egal in welcher Organisa- rungschefs der G 20 auf der Grundlage der Arbeiten tionsform, zu stärken, vor Ort arbeitsmarktrelevante des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht neue Entscheidungen zu treffen. Weder der Landesgesetz- Eigenkapitalstandards für Banken beschließen. Da- geber noch der Bundesgesetzgeber kennt den Ar- beitsmarkt vor Ort so genau, als dass wir solche Vor- (B) mit wird die Risikotragfähigkeit der einzelnen Ban- (D) ken erhöht und das Finanzsystem widerstandsfähiger gaben machen sollten. gemacht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ende Auf dem Weg zu einer weltweiten lückenlosen Re- September hat die Bundesregierung ein umfassendes gulierung sind wir jedoch noch nicht am Ziel. Energiekonzept beschlossen. Unser Vorhaben ist Deutschland wird sich wie bisher dafür einsetzen, klar: Wir werden Deutschland so umbauen, dass wir dass der Reformprozess auf der G-20-Ebene nicht an den Eintritt in ein regeneratives Zeitalter erreichen. Dynamik verliert und internationale Vereinbarungen Mit dem Konzept haben wir uns ambitionierte Um- vollumfänglich umgesetzt werden. weltziele gesetzt. So wollen wir den Anteil der er- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die wirt- neuerbaren Energien am Endenergieverbrauch bis schaftliche Lage hilft der Bundesregierung, eine kon- 2050 auf 60 % erhöhen und die Treibhausgasemis- sequente wachstumsorientierte Politik zu betreiben. sionen um mindestens 80 % senken. Dazu gehört nach unserer Überzeugung auch die Dazu zeigen wir konkret auf, welche Maßnahmen Haushaltskonsolidierung. Die im Grundgesetz ver- wir ergreifen. Wir wollen neue Potenziale für erneu- ankerte Schuldenbremse zwingt den Bund und die Länder, in den nächsten Jahren zu ausgeglichenen erbare Energien erschließen, eine leistungsfähige Haushalten zu kommen. Jetzt ist der Zeitpunkt, um Energieinfrastruktur ausbauen, den Energiever- die Haushaltskonsolidierung wirksam in Angriff zu brauch senken sowie den Wettbewerb in den Strom- nehmen. Wir erachten die neue Schuldenregelung und Gasmärkten stärken. als Verpflichtung, die wir einhalten werden. Deshalb Dazu gehört eine begrenzte Verlängerung der ist es unser Ziel, das strukturelle Defizit des Bundes- Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke als haushalts bis zum Jahre 2016 so zurückzuführen, Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. dass die Schuldenbremse des Grundgesetzes einge- Die Verlängerung der Laufzeiten dämpft den Strom- halten wird. preisanstieg, reduziert unsere Treibhausgasemissio- Das Zukunftspaket der Bundesregierung enthält nen und verringert unsere Importabhängigkeit. Einen hierzu Konsolidierungsmaßnahmen in einem Um- wesentlichen Teil der Zusatzgewinne der Kernkraft- fang von rund 80 Milliarden Euro allein bis 2014. werksbetreiber schöpfen wir ab. Dadurch können wir Die Maßnahmen sind insgesamt ausgewogen und unter anderem die Finanzierung der erneuerbaren fair. Etwa ein Drittel der Einsparungen leistet die Energien, der Energieeffizienz und des Klimaschut- Wirtschaft. Ein weiteres Drittel trägt der Sozialbe- zes stärken. Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 399 Bundesminister Ronald Pofalla (A) (C) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Gesetz war ursprünglich der 31. Dezember 2012 als Herren, ich hatte eingangs die Frage nach der Zu- Ende der Übergangsfrist vorgesehen. kunftsfähigkeit Deutschlands im 21. Jahrhundert ge- Der Deutsche Bundestag hat den Vermittlungsvor- stellt. Hierfür sehe ich sehr gute Chancen. Deutsch- schlag am 28. Oktober 2010 angenommen. land ist zukunftsfähig, weil es nach wie vor ein hohes Maß an Innovationskraft hat. Die Politik muss aber Um dem Anliegen des Anrufungsbeschlusses zur bereit sein, grundlegende Reformen in Angriff zu Geltung zu verhelfen, soll versucht werden, den nehmen; denn die internationale Konkurrenz zwingt 10%igen Selbstbehalt EU-weit zu verabreden. Die uns unter dem Gesichtspunkt der Standortsicherheit Bundesregierung hat deshalb im Vermittlungsver- und der Standortsicherung dazu, in unseren Reform- fahren erklärt, eine Anpassung der Richtlinie mit überlegungen nicht nachzulassen. dem Ziel voranzubringen, den 10%igen Selbstbehalt für Verbriefungstransaktionen auf der EU-Ebene zu In diesem Sinne hat die Bundesregierung ehrgei- verankern. zige Reformen eingeleitet, von denen ich heute nur einige erläutert habe. Die entsprechenden Vor- Sollte dies bis 18 Monate vor Ablauf der Über- schläge liegen dem Bundesrat entweder schon zur gangsfrist nicht gelungen sein, wird das Bundes- Beratung vor oder werden Ihnen in den nächsten Wo- ministerium der Finanzen – unterstützt von der chen zugeleitet. Ich vertraue hierbei auf konstruktive Bundesbank und der BaFin – eine Bewertung der Begleitung und Unterstützung. Marktsituation für Verbriefungen durchführen. Die Bewertung wird dem Deutschen Bundestag und dem Ihnen, verehrte Frau Präsidentin, wünsche ich Er- Bundesrat zugänglich gemacht. Die Bundesregie- folg und Freude bei der Amtsführung. Ich hoffe auf rung wird dies in einer Protokollerklärung noch im gute Zusammenarbeit. – Herzlichen Dank. Einzelnen darlegen. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr ich schlage Ihnen vor, gegen das Gesetz keinen Ein- Bundesminister! spruch einzulegen. – Herzlichen Dank. Wir kommen zu Punkt 2: Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr Gesetz zur Umsetzung der geänderten Ban- Kollege Boddenberg! kenrichtlinie und der geänderten Kapital- adäquanzrichtlinie (Drucksache 656/10) Das Wort hat Senator Dr. Nußbaum (Berlin).

Zur Berichterstattung erteile ich Herrn Staatsminis- Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin): Frau Präsidentin, (B) ter Boddenberg (Hessen) das Wort. (D) meine Damen und Herren! Wenn man sich das Er- gebnis des Vermittlungsausschusses ansieht, könnte Michael Boddenberg (Hessen), Berichterstatter: man auf den ersten Blick meinen, es sei ein politi- Frau Präsidentin! Zunächst auch von meiner Seite scher Kompromiss: Die einen wollten eine laschere herzliche Glückwünsche für Sie persönlich, verbun- Regelung, die anderen eine härtere; nun gibt es zu- den mit dem Wunsch, in den nächsten zwölf Monaten nächst einmal die laschere Regelung, die nach zwei eine konstruktive und wie immer freundschaftliche Jahren auf die härtere umgestellt wird. Es ist aber ein Zusammenarbeit zu pflegen. fauler Kompromiss. Deshalb beantragen die Länder Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Bremen und Dass die Zusammenarbeit der Verfassungsorgane Nordrhein-Westfalen, das Gesetz heute nicht durch- der Bundesrepublik Deutschland gut funktioniert, laufen zu lassen, sondern Einspruch einzulegen. haben wir gerade vor wenigen Tagen im Vermitt- lungsausschuss wieder einmal eindrucksvoll unter Worum geht es? Der Bundestag hat beschlossen, Beweis gestellt. Daraus möchte ich heute berichten. dass derjenige, der einen verbrieften Kredit aus- reicht, zu einem nicht unerheblichen Teil – 10 % – am Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bun- Risiko beteiligt wird. Grund für den Selbstbehalt ist, desrat hat in seiner 874. Sitzung am 24. September die Qualität der Entscheidung, einen Kredit auszurei- 2010 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag chen, zu verbessern. Diese Entscheidung ist immer am 8. Juli 2010 verabschiedeten Gesetz zur Umset- dann besser, wenn man sich selbst ein Stück weit am zung der geänderten Bankenrichtlinie und der geän- Risiko beteiligen muss. Es geht darum, das in ver- derten Kapitaladäquanzrichtlinie den Vermittlungs- brieften Krediten liegende Risiko durch Selbstbetei- ausschuss anzurufen. Grund dafür war der in dem ligung beherrschbarer zu machen. Gesetz angelegte Alleingang Deutschlands hinsicht- lich der Höhe des Selbstbehalts bei Verbriefungs- Europaweit hat man sich auf einen Eigenbehalt transaktionen von 10 % gegenüber den europäischen von 5 % geeinigt. Der Bundestag hat richtigerweise Regelungen von 5 %. beschlossen, dass in diesem Fall „mehr ist besser“ gilt, und einen Eigenbehalt von 10 % festgeschrie- Der Vermittlungsausschuss hat am 14. Oktober ben. Es ist logisch: Je höher der eigene Schaden ist, 2010 einen Einigungsvorschlag beschlossen. Dieser wenn eine falsche Entscheidung getroffen worden sieht vor, dass für Verbriefungstransaktionen, die bis ist, desto stärker ist der Antrieb, solche Entscheidun- zum 31. Dezember 2014 durchgeführt werden, wei- gen zu vermeiden. Das ist eine Erkenntnis aus der terhin der Selbstbehalt von mindestens 5 % gilt; im Krise. Wir haben festgestellt, dass „faule Kredite“ 400 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin) (A) (C) auch deshalb massenweise vergeben worden sind, Auch wenn, wie die Steuerschätzung erfreulicher- weil systematisch Eigeninteresse statt Verantwortung weise zeigt, das Schlimmste ausgestanden zu sein bei der Kreditvergabe im Vordergrund stand. scheint, so wissen wir doch, dass der Staat langfristig nicht in der Lage ist, größere Krisen zu stemmen. Es ist selbstverständlich, dass in einer globalisier- Deswegen ist es wichtig vorzubeugen. An dieser ten Wirtschaft neue Finanzinstrumente entwickelt Stelle wiederhole ich: Wir müssen unsere öffentli- werden und sich verbreiten. Im Ergebnis dessen ist chen Haushalte in Ordnung bringen, damit wir ge- das Volumen dieser Verbriefungen angestiegen. Man rüstet sind, falls sich eine neue Krise abzeichnet. wird diese Entwicklung nicht mehr zurückdrängen können. Ich glaube, dass die Verbriefung ein richti- Ich meine, wir dürfen nicht den Fehler machen, die ges, unverzichtbares Instrument ist. Wenn dem so ist, positiven Signale der Steuerschätzung falsch zu in- muss es aber darum gehen, es ein Stück weit siche- terpretieren. Die aktuelle Steuerschätzung bedeutet keine Erleichterung für Haushaltskonsolidie- rer, beherrschbarer zu machen. die rung. Wir sind weit davon entfernt, auf den Wachs- Ich finde es nicht geglückt, dass das Land Hessen tumspfad zurückzukommen, auf dem wir uns vor der im September beantragt hat, nicht für mehr, sondern Krise befunden hatten. Die Steuerschätzung zeigt, für weniger Sicherheit auf den Finanzmärkten zu sor- dass wir 2010 gesamtstaatlich mit 525,5 Milliarden gen. Aus meiner Sicht gibt es kein Argument für we- Euro letztlich nur das eingenommen haben, was wir niger Sicherheit. Ihre Begründung trägt nicht, Herr bereits im Jahr 2009 eingenommen hatten. Das ist ein Staatsminister Boddenberg. Anzeichen für eine leichte Besserung, lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass es steil bergauf gehe, ins- Erstens wird der sogenannte Mittelstand nicht von besondere nicht hinsichtlich der Konsolidierung der Krediten abgeschnitten, bloß weil Banken ihre Risi- öffentlichen Haushalte. ken weniger gut abwälzen können. Es ist erstaunlich: Wenn man weiterhin berücksichtigt, dass wir nicht Immer dann, wenn es um Bankeninteressen geht, nur die Schuldenbremse, sondern auch den europäi- wird der sogenannte Mittelstand vorgeschoben. Er schen Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten wird instrumentalisiert nach dem Motto: Wer etwas haben, wonach die Staatsverschuldung bei maximal für den Mittelstand tun will, soll bloß die Banken för- 60 % des Bruttoinlandsprodukts liegen darf – wir sind dern. – Das ist, zumindest in diesem Fall, ein ziemlich bei knapp 74 %! –, dann wissen wir, dass insoweit durchsichtiges Manöver. noch einiges zu tun ist. Deswegen muss aus meiner Sicht der Leitsatz lauten: keine Kompromisse bei der Zum Zweiten kann man nicht argumentieren, der Regulierung, aber auch keine Kompromisse bei der Bankenplatz Deutschland werde gefährdet, wenn Konsolidierung! – Vielen Dank. man für mehr Sicherheit sorge. Sicherheit schafft (B) (D) Vertrauen, und Vertrauen ist die Basis für das Bank- geschäft. Deshalb täte es uns gut, an dieser Stelle für Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr mehr Sicherheit zu sorgen. Senator!

Nach meinem Eindruck wird durch den Antrag des Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. – Je eine Landes Hessen Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit Erklärung zu Protokoll*) haben Staatsminister des Finanzwesens zwangsläufig nicht zurückgewon- Boddenberg (Hessen) und Staatssekretär Dr. Beus nen. Das ist schade; denn es wäre unsere wichtigste (Bundesministerium der Finanzen) abgegeben. Aufgabe als Politiker, die Rahmenbedingungen so zu Zur Abstimmung liegt Ihnen ein 5-Länder-Antrag verändern, dass wieder Vertrauen entsteht. Der Kom- in Drucksache 656/1/10 vor. Darin wird beantragt, promiss ist aus meiner Sicht das völlig falsche gegen das geänderte Gesetz Einspruch einzulegen. Signal. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Es ist offensichtlich, dass die aktuellen Regulie- Das ist eine Minderheit. rungsbedingungen weder national noch europäisch, Damit stelle ich fest, dass der Bundesrat gegen das noch global ausreichen. Ich erinnere Sie daran, dass Gesetz k e i n e n Einspruch eingelegt hat. wieder billiges spekulatives Kapital in die sogenann- ten Schwellenländer strömt. Brasilien hat schon erste Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Absatz 2 Maßnahmen ergriffen; dort bildet sich die nächste der Geschäftsordnung rufe ich die in dem Umdruck ) Blase ab. Die Spekulation im Zusammenhang mit Nr. 9/2010** zusammengefassten Beratungsgegen- Irland, wo die Zinssätze ein sehr hohes Niveau errei- stände auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte: chen, zeigt, dass die Gefahr nicht ausgestanden ist. 3, 4, 6 bis 13, 20, 21, 25, 26, 28, 30, 32, 35, 36, 40 Das Ganze kommt mir so vor: 2008 hat die Hütte bis 42, 44 bis 49 und 52. gebrannt, und wir wissen nun, dass sie brennbar ist. Wer den Empfehlungen und Vorschlägen folgen Statt alles für den Brandschutz zu tun, beobachten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist wir jedoch eine Diskussion unter Feuerwehrleuten, die Mehrheit. – Vielen Dank! ob man mit Wasser oder mit Schaum, mit mehr oder mit weniger löschen solle, oder – im schlimmsten Fall – ob man mit dem Brandschutz einfach später anfan- *) Anlagen 1 und 2 gen solle, wie in diesem Fall. **) Anlage 3 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 401 Präsidentin Hannelore Kraft (A) (C) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5: Dr. Jürgen Martens (Sachsen): Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach Artikel 17 des Eini- Viertes Gesetz zur Verbesserung rehabilitie- gungsvertrages sollte eine gesetzliche Grundlage für rungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der po- die Rehabilitierung aller Personen geschaffen wer- litischen Verfolgung in der ehemaligen DDR den, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfol- (Drucksache 620/10) gungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und Hierzu liegen zwei Wortmeldungen vor. Es beginnt verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung ge- Frau Ministerin Kuder (Mecklenburg-Vorpommern). worden sind. Der Gesetzgeber ist diesem Auftrag gefolgt. Er hat Uta-Maria Kuder (Mecklenburg-Vorpommern): mit dem am 4. November 1992 in Kraft getretenen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht das Damen und Herren! Die Opfer der politischen Verfol- Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz geschaffen – gung in der ehemaligen DDR verdienen unsere Soli- die maßgebliche Grundlage für die Aufarbeitung des darität und Anerkennung. Dies erfolgt in Fällen Unrechts des stalinistischen Regimes, vor allem des rechtsstaatswidriger Inhaftierung unter anderem Justiz-Unrechts der DDR. Er hat seitdem mehrfach durch Zahlung einer Kapitalentschädigung an alle gravierende Verstöße des SED-Regimes gegen tra- betroffenen Opfer. Daneben erfolgt die dauerhafte gende Prinzipien des Rechtsstaates aufgegriffen und Zahlung einer besonderen Zuwendung, der soge- durch die verschiedenen Rehabilitierungsgesetze zu- nannten SED-Opferrente. Diese Rente wird auch als mindest dem Versuch der Wiedergutmachung zuge- Ehrenrente bezeichnet. Sie ist eine symbolische Wie- führt. Ich sage bewusst: Versuch; denn die in Frage dergutmachung für politische Verfolgung in der stehenden Unrechtsakte sind nicht wirklich wieder- DDR. gutzumachen. Mir ist es ein besonderes Anliegen, unwürdige An- Nicht nur die Rechtsanwendung, sondern schon die tragsteller von dem Privileg der SED-Opferrente Straftatbestände der ehemaligen DDR selbst verletz- auszuschließen. Die wirklich ehrenhaften und be- ten rechtsstaatliche Maßstäbe. Denken Sie nur an die dürftigen Opfer dürfen nicht durch einige Schwerkri- Norm der „Boykotthetze“, die in ihrer Unbestimmt- minelle in Misskredit gebracht werden, die sogar heit beinahe jedes beliebige Verhalten strafbar wer- noch während des Strafvollzugs – zum Teil wegen den lassen konnte, oder an das Unternehmensdelikt schwerer Sexualdelikte und Mordes – die SED-Op- der „Diversion“, nach dem sich schuldig machte, wer ferpension einfordern. Die Gewährung der Ehren- „die Volkswirtschaft, die sozialistische Staatsmacht rente an derartige Schwerkriminelle ist deshalb aus- oder die Verteidigungskraft“ der DDR untergrub. zuschließen. Das verlangt die anständige Mehrheit Die Haftbedingungen in den Gefängnissen, den (B) der Opfer politischer Verfolgung zu Recht. (D) Untersuchungshaftanstalten, der Sonderhaftanstalt Mit der nunmehr gewählten Ausschlusslösung Bautzen II und den Jugendwerkhöfen waren äußerst werden Personen, die wegen einer vorsätzlichen hart. Straftat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und mehr verurteilt worden sind, vom Bezug der Ehren- Meine Damen und Herren, seit September 2007 rente ausgeschlossen, solange das Anlassurteil in ei- können die Opfer politischer Verfolgung in der ehe- ner Auskunft aus dem Zentralregister enthalten ist. maligen DDR nach dem Strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetz eine monatliche Zuwendung in Höhe Hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass das von bis zu 250 Euro – die von Frau Kollegin Kuder Gesetz erstmals die rechtsstaatswidrige Unterbrin- bereits genannte Ehrenrente – erhalten. Allein in gung von Kindern und Jugendlichen in den Heimen Sachsen haben die Landgerichte zwischen Januar und Jugendwerkhöfen der DDR erfasst. Das, so finde 1993 und September 2010 insgesamt 17 778 Anträ- ich, ist ein Gebot der Gerechtigkeit; denn für die Be- gen auf strafrechtliche Rehabilitierung entsprochen. troffenen macht es keinen Unterschied, ob sie in Ge- fängnissen oder in geschlossenen Kinder- und Ju- Bei der Anwendung des Gesetzes haben sich aller- gendwerkhöfen der DDR ihrer Freiheit beraubt dings verschiedene Unzulänglichkeiten offenbart, wurden. die mit dem heute abschließend zu beratenden Ge- setz beseitigt werden können. Als Beispiel möchte Das vorliegende Gesetz führt als Gesamtpaket zu ich die Beseitigung der Benachteiligung solcher An- einer deutlichen Verbesserung für die Bezieher der spruchsberechtigter anführen, die Kinder haben. Opferrente und erweitert den Kreis der Opfer, die zu- Hier geht es um die Frage der Anrechnung auf das künftig anspruchsberechtigt sind – Letzteres vor al- Kindergeld. Der Anspruchsausschluss von Schwerst- lem durch den Wegfall der Anrechnung des Kinder- kriminellen ist bereits genannt worden. Zu erwähnen geldes und der betrieblichen Altersvorsorge. Die ist aber auch die Verlängerung von Antragsfristen in zahlreichen Verfahrensvereinfachungen werden sich Rehabilitierungsgesetzen. zudem im alltäglichen Leben als große Hilfe für die Opfer darstellen. – Herzlichen Dank. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass der Deutsche Bundestag unsere Bundesratsinitiative auf- gegriffen und einstimmig das Vierte Gesetz zur Än- Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Frau derung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes Ministerin Kuder! verabschiedet hat. Mit diesem Gesetz werden rehabi- Es folgt Herr Staatsminister Dr. Martens (Sachsen). litierungsrechtliche Normen verändert, angepasst 402 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Dr. Jürgen Martens (Sachsen) (A) (C) und vor allen Dingen zukunftsfähig gehalten. Das hochschulen stehen für unser Know-how in Sachen liegt im Interesse der Opfer politischer Verfolgung in Meeresforschung. der DDR, denen wir weiterhin, auch im 20. Jahr nach der Wiedervereinigung, unsere Aufmerksamkeit zu- Wir knüpfen dabei ein enges Netz zwischen der wenden müssen. – Vielen Dank. maritimen Wirtschaft und der maritimen Forschung. Die Landesregierung unterstützt den Ansatz, Kräfte und Ressourcen zu bündeln. Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr Staatsminister! Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die Absicht der Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. EU-Kommission, für die Jahre 2011 bis 2013 die Fortentwicklung und Umsetzung der integrierten Der Rechtsausschuss empfiehlt, dem Gesetz zuzu- Meerespolitik weiter zu fördern. Die integrierte stimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Hand- europäische Meerespolitik ist ein zukunftsfähiges zeichen. – Das ist die Mehrheit. Konzept für Bewirtschaftung und Politikgestaltung. Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt. Entscheidend ist die umfassende Verknüpfung der Meerespolitik mit allen relevanten Politikfeldern Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 33: der EU. Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- Die europäische Meerespolitik birgt große Chan- schen Parlaments und des Rates über ein Unter- cen für ein nachhaltiges Wachstum der maritimen stützungsprogramm zur Weiterentwicklung der Wirtschaft. Sie sichert gleichzeitig den Schutz der integrierten Meerespolitik (Drucksache 599/ Meeresumwelt und ihrer Ressourcen. 10) Dazu liegt mir eine Wortmeldung vor. Herr Minis- Wir wollen uns gerade im Bundesrat für eine wei- terpräsident Carstensen (Schleswig-Holstein). tere Finanzierung entsprechender Projekte durch die EU einsetzen; denn die integrierte europäische Meerespolitik eröffnet auch neue Beschäftigungs- Peter Harry Carstensen (Schleswig-Holstein): Frau perspektiven – nicht nur für die Küstenregionen. Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Eine integrierte Meerespolitik versetzt uns in die Um die europäische Meerespolitik fortführen zu Lage, besser, schneller und wirksamer auf die He- können, bedarf es auch weiterhin europäischer För- rausforderungen an Europas Küsten zu reagieren. dermittel für entsprechende Anschubfinanzierungen Diese Herausforderungen sind vor allem die Globali- zukunftsfähiger Projekte. Maritime Wissenschaft, sierung, der Klimawandel und damit auch die Ge- Forschung und Technologie sind für die nachhaltige (B) fährdung der Meeresumwelt sowie die Energie- und Entwicklung der meeresgestützten Tätigkeiten grund- (D) Versorgungssicherheit. legend. Die Möglichkeit der Weiterfinanzierung von So beruht das Konzept der integrierten Meerespoli- Projekten, die den Aufbau von geeigneten Wissens- tik der EU-Kommission kurz gefasst auf folgender Er- und Innovationsgrundlagen für die Meerespolitik vo- kenntnis: Alle Fragen, die Ozeane und Meere betref- ranbringen, ist daher ausdrücklich zu begrüßen. fen, sind miteinander verbunden. Die Entwicklung Meine Damen und Herren, in der europäischen meeresbezogener Maßnahmen muss deshalb auf Meerespolitik liegen große Chancen – natürlich für koordinierte Weise erfolgen. Nur so können wir un- Schleswig-Holstein und für die norddeutschen Län- sere Ziele erreichen. der, aber auch für ganz Deutschland. Diese Einsicht haben wir in Schleswig-Holstein schon lange. Wir haben erkannt, welches Potenzial In den Branchen der maritimen Verbundwirtschaft im Meer steckt. Für uns als Land zwischen den Mee- stehen die Aussichten auf Wachstum und Beschäfti- ren ist das Meer ein wichtiger Standortvorteil. gung gut. Hier liegen die Zukunftsfelder. Ich nenne als Beispiel nur die sogenannte blaue Biotechnolo- Vor uns liegt aber noch viel Arbeit, wenn wir das gie, bei der es darum geht, wie marine Wirkstoffe für Meer besser verstehen und besser nutzen wollen: Wir Arzneimittel oder technische Anwendungen nutzbar müssen mehr forschen, mehr testen und mehr entwi- gemacht werden können. Das ist in Europa ein noch ckeln. Wichtig ist daher die gezielte Förderung von wenig erschlossener Zukunftsmarkt. Exzellenz in meereswissenschaftlicher Forschung, von Technologien und von Innovation. In dem Antrag fordern wir die Bundesregierung In der maritimen Technologie steckt einerseits ein auf, sich in den Verhandlungen über den neuen enormes Potenzial. In der Öl- und Gasproduktion so- mehrjährigen Finanzrahmen der EU auch für ent- wie in der Offshore-Technik sind die Herausforde- sprechende Mittel ab dem Jahr 2014 einzusetzen. rungen andererseits gewaltig. Die europäische Meerespolitik braucht für die Zu- Schleswig-Holstein hat sich als Standort für ma- kunft Kontinuität und Durchsetzungskraft. Es geht ritime Spitzenforschung etabliert. Institute wie das uns dabei nicht um Klientelpolitik für die Küstenre- IFM-GEOMAR, das Helmholtz-Zentrum Geesthacht, gionen; denn von innovativer Forschung, Entwick- das Forschungs- und Technologiezentrum Westküste lung und Produktion im maritimen Sektor profitieren und die zahlreichen Institute an der Christian- wir alle. Meerespolitik ist Zukunftspolitik für ganz Albrechts-Universität zu Kiel sowie an unseren Fach- Deutschland. – Herzlichen Dank. Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 403

(A) (C) Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank! und entsprechend nunmehr auch in dem vorgelegten Entwurf vorgesehen ist. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Aus- schussempfehlungen. Ich rufe auf: Der Präsident des Bundesgerichtshofes hat zu Recht vor der Gefahr der Trivialisierung des Richter- Ziffern 1 bis 9! – Das ist die Mehrheit. vorbehalts gewarnt, wenn man hier der Richterin Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung oder dem Richter nur der Wahrung der gesetzlichen genommen. Form halber eine Entscheidung abverlangt, bei der sie oder er sich auf telefonische Angaben verlassen Wir kommen zu Punkt 15: muss und im Regelfall weder ein Beurteilungsspiel- Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der raum noch ein Ermessen besteht. Die Aufgabe des Strafprozessordnung – Neuordnung der Anord- Richtervorbehalts hier stärkt gerade seine Bedeutung nungskompetenz für die Entnahme von Blut- für Entscheidungen in anderen Bereichen. proben – Antrag des Landes Niedersachsen – Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, (Drucksache 615/10) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Hierzu liegen zwei Wortmeldungen vor. Zunächst die Verfahrensabläufe bei der Entnahme von Blut- Herr Staatsminister Hahn (Hessen). proben bei dem Verdacht auf Straßenverkehrsdelikte deutlich erschwert. Die Praxis hat hierauf verständli- cherweise mit großer Verunsicherung reagiert: Die Jörg-Uwe Hahn (Hessen): Frau Präsidentin! Meine Zahl der Verkehrskontrollen ist eindeutig rückläu- sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über Jahr- fig. zehnte hinweg war die Frage der Rechtmäßigkeit der Entnahme von Blutproben nach § 81a StPO bei dem Diese Entwicklung gefährdet nicht nur eine effek- Verdacht von Trunkenheitsfahrten kein Thema der tive Strafverfolgung, sondern belastet die Justiz, rechtspolitischen Diskussion. Die polizeiliche und wenn die Frage der Verwertbarkeit der im Wege der staatsanwaltliche Praxis, die im Hinblick auf den ra- Eilkompetenz angeordneten Blutentnahme erst über schen Abbau der Alkohol- bzw. Wirkstoffkonzentra- drei Instanzen geklärt werden muss. Auch die Folgen tion im Blut Gefahr im Verzug angenommen und die für die Sicherheit im Straßenverkehr sind hier zu se- Entnahme einer Blutprobe auch ohne richterlichen hen. Die Prävention in diesem Bereich lebt wesent- Beschluss angeordnet hatte, führte zu keinem Miss- lich von dem Wissen der Fahrzeugführer darum, dass brauch und insbesondere nicht zu einer rechtsstaat- im Rahmen von Verkehrskontrollen die Fahrtüchtig- lich bedenklichen Verfahrensweise. Der Richtervor- keit jederzeit überprüft werden kann. Nehmen Ver- behalt ist damit in diesem Bereich praktisch, kehrskontrollen ab, steigt auch die Bereitschaft, sich insbesondere in den Nachtstunden, nicht zum Tra- unter Einfluss von Alkohol oder Drogen hinter das (D) (B) gen gekommen. Steuer eines Fahrzeugs zu setzen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis in All dies ist angesichts der im Einzelfall verheeren- seinem grundlegenden Beschluss vom 12. Februar den Folgen eines alkohol- oder drogenbedingten 2007 – wie ich meine, aus gutem Grund – beanstan- Verkehrsunfalls natürlich nicht wünschenswert. Ge- det und auf die Notwendigkeit hingewiesen, auch in rade bei der Verfolgung von Straßenverkehrsdelikten diesen Fällen den gesetzlich vorgesehenen Richter- sind einfache und klar strukturierte Verfahrensab- vorbehalt grundsätzlich zu beachten. Dass Gesetze läufe sowie rasche Entscheidungen unabdingbar. zu befolgen sind und ein Richtervorbehalt, wenn er Dem trägt die Übertragung der Anordnungskompe- nun einmal vorgesehen ist, nicht leerlaufen darf bzw. tenz auf die Staatsanwaltschaften und ihre Ermitt- die Gründe für die Inanspruchnahme der nur als lungspersonen Rechnung. Ausnahme vorgesehenen Eilkompetenz zu doku- mentieren sind, stellt eine Selbstverständlichkeit dar. Hessen unterstützt daher die Gesetzesinitiative. Ich Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch gerade bitte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der nicht festgestellt, dass der Richtervorbehalt in die- Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag sem Bereich verfassungsrechtlich geboten ist. Er zuzustimmen, damit im Bereich der alkohol- oder steht damit zur Disposition des Gesetzgebers. Hie- drogenbedingten Straßenverkehrsdelikte wieder eine rüber reden wir heute. effektive Strafverfolgung sichergestellt wird. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wie mein Kollege Busemann in der Sitzung vom 15. Oktober dieses Jahres bereits im Einzelnen aus- geführt hat, sprechen überzeugende Gründe dafür, Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt in diesem Kollege Hahn! Bereich aufzugeben und damit die bisherige, in Jahr- Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Martens zehnten bewährte Praxis auf eine sichere gesetzliche (Sachsen). Grundlage zu stellen. Die Anordnung der Entnahme von Blutproben jedenfalls bei den hier in Frage ste- henden Delikten im Straßenverkehr, auf die sich der Dr. Jürgen Martens (Sachsen): Sehr geehrte Frau Gesetzentwurf ausdrücklich beschränkt, bedarf kei- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Freistaat ner vorbeugenden richterlichen Kontrolle. Völlig aus- Sachsen wird die Einbringung des heute zur Bera- reichend ist hier die Möglichkeit nachträglicher tung stehenden Gesetzentwurfs in den Deutschen Überprüfung, wie sie im Gesetz an anderer Stelle Bundestag nicht mittragen – nicht weil wir die Lö- 404 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Dr. Jürgen Martens (Sachsen) (A) (C) sung des von Kollegen Hahn angesprochenen Pro- Die Überschrift einer Pressemitteilung des Bundes- blems nicht als drängend ansehen, sondern weil wir verfassungsgerichts zu seinem Beschluss vom 11. Juni den vorgeschlagenen Lösungsweg letztlich nicht für 2010 in einem ähnlichen Fall lautet: „Bundesverfas- überzeugend halten. sungsgericht stärkt Richtervorbehalt“. Mit diesen Anforderungen hat das Bundesverfassungsgericht, Die Aufklärung von Straftaten ist eine elementare wie gesagt, zum einen die Beschuldigtenrechte ge- Aufgabe des Staates. Sie ist insofern Ausdruck des stärkt, zum anderen Verunsicherung bei den Betei- staatlichen Gewaltmonopols und der Pflicht des ligten, insbesondere bei Ermittlungspersonen vor Rechtsstaates, Rechte zu schützen und durchzuset- Ort, hervorgerufen. Dies liegt im Wesentlichen da- zen. Den Rechtsstaat trifft dabei aber auch die ran, dass in einer Vielzahl von Gerichtsbezirken kein Pflicht, Rechte und Freiheiten aller Bürger – Täter richterlicher Bereitschaftsdienst bzw. Eildienst in der und Opfer – zu wahren und zu schützen. Die in je- Nachtzeit eingerichtet wurde. dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geltenden prozessualen Regelungen müssen die Grundrechte Meine Damen und Herren, es ist allen bewusst, des Beschuldigten und das Interesse der Allgemein- dass diese Problematik gelöst werden muss. Die Be- heit an einer zügigen Aufklärung und an der Verhin- tonung liegt dabei aber auf „Lösung“. Wir sind uns derung von Straftaten ausgleichen. einig, dass den handelnden Ermittlungspersonen klare und eindeutige Regelungen an die Hand gege- Zu den häufigsten Straftaten zählen in der Tat ben werden müssen, um Beweise schnell und ge- Straßenverkehrsdelikte. So wurden nach der jüngs- richtsfest zu sichern. Der heute zu beratende Gesetz- ten Strafverfolgungsstatistik im Jahr 2008 bundes- entwurf will dies ganz einfach mit der Aufhebung weit 874 691 Personen verurteilt. Davon ergingen des Richtervorbehaltes in § 81a Absatz 2 für be- 204 000 Verurteilungen wegen Straftaten im Straßen- stimmte Straftaten erreichen. verkehr, hiervon wiederum alleine 111 000 wegen Trunkenheit. Ich meine, wir machen es uns hier zu leicht. Mit dieser Lösung wird lediglich die Praxis von Gerich- Meine Damen und Herren, der schnellen Siche- ten legitimiert, keinen richterlichen Bereitschafts- rung von gerichtsverwertbaren Beweisen kommt in dienst in der Nacht einzurichten – auf Kosten der diesem Bereich in der Tat erhebliche Bedeutung zu. Rechte von Bürgern, auch wenn diese möglicher- Häufig ist die festgestellte Blutalkoholkonzentration weise beschuldigt sind, Trunkenheitsfahrten began- das entscheidende Beweismittel. Auf Grund des kon- gen zu haben. tinuierlichen Abbaus von Rauschmitteln im Blut droht bei Straßenverkehrsdelikten oder sonstigen Aber es ist die Frage, ob wir als Gesetzgeber uns Straftaten unter Alkohol-, Drogen- oder Medikamen- wirklich im Rahmen einer gewissen Verhältnismäßig- (B) teneinfluss besonders die Gefahr des Beweismittel- keit bewegen. Auch wenn der Richtervorbehalt nicht (D) verlustes. Daher ist an dieser Stelle effizientes und im Grundgesetz verankert ist, darf seine Bedeutung sachgerechtes Handeln unstreitig erforderlich. nicht unterschätzt werden. Die Ziele, die der Gesetz- geber mit dieser Schranke für eine Blutentnahme § 81a Absatz 2 StPO bietet hier ein bewährtes verfolgt, liegen auf der Hand: Mit einer Blutent- rechtsstaatliches Verfahren. Danach ordnet ein Rich- nahme wird in die verfassungsrechtlich geschützte ter die körperliche Untersuchung eines Beschuldig- körperliche Unversehrtheit des Betroffenen einge- ten an. Nur ausnahmsweise, etwa bei Gefährdung griffen – ein hochrangiges Rechtsgut. Um diesem des Untersuchungserfolges durch Zeitverlust, dürfen Wert gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber die dies auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermitt- Entscheidung über einen solchen Eingriff grundsätz- lungspersonen anordnen. lich in die Hände unabhängiger Gerichte gelegt.

In der Praxis hat sich dieses Regel-Ausnahme-Ver- Dies ist nicht bloße Förmelei oder Ausdruck des hältnis bei der Entnahme von Blutproben allerdings Misstrauens gegenüber Ermittlungsbeamten. Der ins Gegenteil verkehrt. Insbesondere in den Nacht- Richtervorbehalt gibt dem betroffenen Bürger die stunden oder am Wochenende, wenn Ermittlungs- Gewissheit, dass seine Rechte gegenüber dem staat- richter nicht oder nur schwer zu erreichen sind, ord- lichen Strafverfolgungs- und Aufklärungsinteresse net nur noch die Polizei die Blutentnahme an, und hinreichend Beachtung finden. Über die erste Ein- dies auch ohne die Einwilligung des Beschuldigten. schätzung der Ermittlungsbeamten und der Staats- anwaltschaft hinaus kann eine Entscheidung einer Mit der Entscheidung vom 12. Februar 2007 hat das weiteren neutralen Überprüfung unterzogen werden Bundesverfassungsgericht diese Praxis in Frage ge- und erfährt – auch und gerade wegen deren regelmä- stellt. Es hat unter Hinweis auf die Bedeutung des ßiger Bestätigung durch Gerichte – größere Akzep- einfachgesetzlichen Richtervorbehaltes in § 81a Ab- tanz. Darauf sollten wir nicht verzichten. satz 2 StPO klargestellt, dass stets versucht werden muss, die Anordnung des zuständigen Richters zu er- Die heutigen Kommunikationswege erleichtern langen. Damit hat es der bis dahin in der Tat übli- zudem jedem Bereitschaftsrichter schnelle Informa- chen Praxis Einhalt geboten. Zugleich fordert das tion und Entscheidungsfindung. Er kann sich auch Gericht die Dokumentation einer etwaigen Gefähr- nach einer telefonischen Schilderung des Sachver- dung des Untersuchungserfolges, die allein die Aus- haltes durch den Beamten und den Beschuldigten ein nahme von einer richterlichen Anordnung rechtferti- – zugegebenermaßen grobes – Bild von der Situation gen kann. machen. Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 405 Dr. Jürgen Martens (Sachsen) (A) (C) Unsere Aufgabe sollte es daher sein, das Problem Ingeborg Junge-Reyer (Berlin): Frau Präsidentin, an seiner tatsächlichen Ursache zu beheben, nämlich meine Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf an der ständigen Erreichbarkeit von Ermittlungsrich- des Landes Berlin zur Sicherung bezahlbarer Mieten tern. Hierfür bedarf es – dies festzuhalten ist mir sehr und zur Begrenzung von Energieverbrauch und wichtig – keines Eingriffs in die verfassungsrechtlich Energiekosten soll durch Änderungen der mietrecht- garantierte richterliche Unabhängigkeit und Selbst- lichen Vorschriften im Wirtschaftsstrafgesetz und im verwaltung. Vielmehr bedarf es lediglich einer punk- Bürgerlichen Gesetzbuch sowie durch Änderungen tuellen Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Energieeinsparverordnung ein wirksamer und um den Selbstverwaltungsorganen der Gerichte die gerechter Interessenausgleich zwischen Mietern und Aufstellung von richterlichen Bereitschaftsplänen Vermietern erreicht werden. auch für die Nachtzeit zu erleichtern, indem die Be- reitschaftsbezirke und damit der Personaleinsatz fle- In den vergangenen Jahren haben sich die regio- xibler als bisher gestaltet werden können. Ich bin mir nalen Wohnungsmärkte in Deutschland und die Leis- sicher, dass eine solche Änderung des § 22c des tungsfähigkeit der auf Mietwohnraum angewiesenen Gerichtsverfassungsgesetzes auch bei der Richter- Haushalte in erheblichem Umfang weiter ausdiffe- schaft zu einer höheren Akzeptanz von Bereitschafts- renziert. Die Einkommensschwäche vieler Haushalte, diensten zur Nachtzeit beitragen würde. vor allem in den großen Städten, erfordert eine Neu- justierung und Weiterentwicklung des sozialen Miet- Gesetzesinitiativen wie die vorliegende vermitteln rechts. den Eindruck, die teilweise Abschaffung des Richter- vorbehaltes sei sachangemessen, problemfrei und Der Gesetzentwurf beinhaltet eine wirkungsvolle rechtsstaatlich unbedenklich. Dem möchten wir an Stärkung des Schutzes vor weiteren Mietpreisüber- dieser Stelle deutlich widersprechen. höhungen nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz. Meine Damen und Herren, aus den genannten Hierzu wird vorgeschlagen, die zur Überprüfung Gründen wird Sachsen weiter für die von mir skiz- maßgeblichen Wohnungsangebote nicht mehr, wie zierte alternative Lösung des Problems, die, wie wir bisher, für die gesamte Stadt zu betrachten, sondern finden, sachgerecht ist, werben. Ich wäre Ihnen ver- sie innerhalb einzelner Teilgebiete einer Gemeinde bunden, wenn Sie dies bei Ihrem Abstimmungsver- vergleichbar zu machen, um so zu gebietsbezogenen halten berücksichtigen könnten. – Vielen Dank. Aussagen hinsichtlich einer Wohnungsmarktveren- gung gelangen zu können. Bei einem geringen Woh- nungsangebot darf die Neuvermietungsmiete die Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr ortsübliche Vergleichsmiete nicht um mehr als 20 % Staatsminister Dr. Martens! übersteigen. Um den Mietpreisaufwuchs insgesamt zu verlangsamen, werden die Möglichkeit für allgemeine (B) Eine Erklärung zu Protokoll*) gibt Herr Senator (D) Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete Dr. Steffen (Hamburg) ab. gesenkt und der Mieterhöhungszeitraum gestreckt. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- Dadurch soll eine wirksame Abschwächung der mit- fehlungen vor. telfristigen Mietentwicklung erreicht werden, die gleichfalls dämpfend auf die Entwicklung der ortsüb- Ich erbitte Ihr Handzeichen für Ziffer 1. – Mehrheit. lichen Vergleichsmieten im Mietspiegel wirkt. Ziffer 2! – Mehrheit. Wir sind uns, meine Damen und Herren, darüber Ziffer 3! – Mehrheit. im Klaren, dass sich die Probleme der Miethöhe und des Anteils der Miete an den zur Verfügung stehen- Wer dafür ist, den Gesetzentwurf in der soeben den Einkommen nicht überall gleich stellen. Umso festgelegten Fassung beim Deutschen Bundestag dringlicher ist es, differenzierte mietrechtliche Mög- einzubringen, den bitte ich nun um das Handzei- lichkeiten zu schaffen, um der Segregation zu begeg- chen. – Das ist die Mehrheit. nen und die soziale Spaltung in einigen Bereichen der großen Städte zu stoppen. Mietrecht muss ein In- Dann ist so beschlossen. strument bleiben, das den sozialen Zusammenhang Wie vereinbart, wird Minister Busemann (Nieder- stärkt. sachsen) zum Beauftragten bestellt. Der zweite Aspekt des Gesetzesantrags betrifft die Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 16: Begrenzung von Energieverbrauch und Energiekos- ten. Dabei geht es um größere Transparenz und hö- Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung bezahl- here Motivation der Beteiligten, sich um die energe- barer Mieten und zur Begrenzung von Ener- tische Situation ihrer Wohnung oder als Eigentümer gieverbrauch und Energiekosten – Antrag des ihrer Wohngebäude zu kümmern. Eine Modernisie- Landes Berlin gemäß § 36 Absatz 2 GO BR – rung kann gegen den Willen der Betroffenen nicht (Drucksache 637/10) erfolgreich durchgesetzt werden, weder gegen die Eigentümer- noch gegen die Mieterseite. Es liegen drei Wortmeldungen vor. Frau Bürger- meisterin Junge-Reyer (Berlin) beginnt. Ich denke, dass es richtig ist, durch Senkung der Modernisierungsumlage die Akzeptanz energeti- scher Modernisierungen bei Mieterinnen und Mie- *) Anlage 4 tern zu stärken und damit den Umfang solcher 406 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Ingeborg Junge-Reyer (Berlin) (A) (C) Modernisierungen insgesamt zu steigern. Den ener- So werden im Wesentlichen die Möglichkeiten der getischen Zustand von Wohngebäuden vor Abschluss Mieterhöhung erschwert und der Höhe nach weiter eines Mietvertrages erkennbar zu machen ist Voraus- begrenzt, was im Hinblick auf die wünschenswerten setzung dafür, dass sich Mieterinnen und Mieter in energetischen Modernisierungsmaßnahmen abzuleh- der Lage sehen, ein Urteil darüber zu fällen. Ein nen ist. Es kann nicht einseitig darauf abgestellt wer- bedarfsorientierter Energieausweis soll daher künf- den, dass durch die Absenkung der Höhe der Um- tig schon bei der Wohnungsbesichtigung ausgehän- lage bei Modernisierungen nach § 559 BGB etwa die digt werden. Diese Änderung würde das Interesse Akzeptanz von Modernisierungsmaßnahmen bei aller Beteiligten an energetisch ertüchtigten Woh- Mietern erhöht werden solle. Im Interesse der Durch- nungen befördern und ein wichtiges Wettbewerbs- führung energetischer Maßnahmen muss vielmehr element auf dem Wohnungsmarkt bedeuten. gewährleistet bleiben, dass die Vermieter auch wirt- schaftlich in der Lage sind, die gewünschten Moder- ( V o r s i t z : Amtierender Präsident Peter Harry nisierungen durchzuführen. Carstensen) Dass der Gesetzentwurf nur einseitige Teillösun- Schließlich geht es darum, die Einführung von gen und kein Gesamtkonzept umfasst, zeigt sich Contracting-Modellen bei der Energiebelieferung auch im Zusammenhang mit dem Energiepass. Die zu erleichtern. Sie sind vorteilhaft für die Mieter, vorgesehene Regelung, die mit der Vorlage des Ener- weil Kosten gesenkt werden. Sie sind vorteilhaft für giepasses als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Vermieter, weil diese mit einem sicheren Betrieb Mietvertrag ausgestaltet werden soll, steht in keinem rechnen können. Wir wollen größere Rechtssicher- Verhältnis zu der praktischen Bedeutung des Ener- heit durch klare Regelungen. Und wir wollen die giepasses für das Mietverhältnis. Die Entscheidung Mieterinnen und Mieter in die Entscheidung für ein für die Anmietung eines Objektes hängt von vielen Contracting-Modell einbeziehen. Faktoren ab, beispielsweise Lage, Ausstattung, Größe der Wohnung, Höhe der Miete, wobei die Ne- Im Ergebnis muss das soziale Mietrecht gestärkt benkosten und damit der Energieverbrauch nur ein werden. Wir müssen die Menschen in eine ökologi- Kriterium sind. Gegen die Ausgestaltung als Wirk- sche Zukunft mitnehmen. In diesem Sinne bitte ich samkeitsvoraussetzung bestehen schon rechtliche um eine intensive Diskussion in den Ausschüssen Bedenken, da der damit verbundene Eingriff in die und natürlich um Ihre Zustimmung. Vertragsfreiheit kaum zu rechtfertigen sein dürfte. Letztlich wird die vorgeschlagene Regelung dem Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: von ihr intendierten Zweck nicht gerecht. Da der Ge- Herzlichen Dank, Frau Bürgermeisterin! setzentwurf unterstellt, dass der Vermieter dem Mie- ter den Energiepass vorenthält – ohne dass dies als (B) (D) Das Wort hat Herr Staatsminister Hahn (Hessen). allgemeingültig festzustellen wäre –, würde die in § 550a BGB vorgesehene Regelung dazu führen, dass bei einem Verstoß des Vermieters kein wirksamer Jörg-Uwe Hahn (Hessen): Herr Präsident! Meine Mietvertrag zustande gekommen wäre. Dies kann sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzent- nicht im Interesse des Mieters sein, der erst gar nicht wurf des Landes Berlin kann nicht mitgetragen wer- in die Wohnung einziehen oder sich später im Streit- den. fall nicht auf die Kündigungsschutzvorschriften des Wesentlich für einen funktionsfähigen Wohnungs- Wohnraummietrechts berufen könnte. Hier sind markt ist ein ausgewogenes Mietrecht. Dem privaten Rechtsstreitigkeiten programmiert. Mieterrechte Mietrecht kommt dabei die schwierige Aufgabe zu, werden sogar verkürzt. sowohl die Wirtschaftlichkeit der Wohnungsvermie- Das Mietrecht muss sicherlich Antworten auf neue tung zu sichern als auch den Schutz der Mieter zu Herausforderungen finden. Dabei ist die Frage der gewährleisten. Flankiert wird das private Mietrecht energetischen Sanierung im Interesse des Klima- bekanntlich von Maßnahmen der sozialen Sicherung, schutzes und zur Begrenzung von Energieverbrauch beispielsweise dem Wohngeld und der sozialen und damit Energiekosten von besonderer Bedeutung. Wohnraumförderung der Länder, um eine ange- Auch Veränderungen des Wohnungsmarktes im Zu- messene Wohnraumversorgung für alle Haushalte sammenhang mit dem demografischen Wandel gilt sicherstellen zu können. Jeder Eingriff, d. h. jede es im Blick zu behalten. All diese Fragen bedürfen ei- Veränderung im Mietrecht, bedarf einer sorgfältigen ner sorgfältigen Abwägung der Interessen von Ver- Abwägung, damit der gebotene Ausgleich der unter- mietern und Mietern und des Gesichtspunkts des schiedlichen Belange aller Beteiligten im Interesse Umwelt- und Klimaschutzes. eines funktionsfähigen Wohnungsmarktes gewähr- leistet bleibt. Das Bundesministerium der Justiz hat die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Mietrechts Die in dem Gesetzentwurf von Berlin vorgesehe- angekündigt, der auch Fragen der energetischen nen Änderungen führen überwiegend zu einer ein- Sanierung umfassen soll. Im Rahmen dieses noch seitigen, unausgewogenen Belastung der Vermieter, vorzulegenden Gesetzentwurfs kann die Erforder- so dass er – entgegen den Ausführungen im Vorblatt lichkeit weiterer Änderungen oder Ergänzungen und in der Gesetzesbegründung – gerade keinen ge- sachgerecht festgestellt werden. Die isolierte Ände- rechten Interessenausgleich zwischen Mietern und rung einzelner Vorschriften zum gegenwärtigen Zeit- Vermietern zu erreichen vermag. punkt, welche einseitig Belastungen der Vermieter Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 407 Jörg-Uwe Hahn (Hessen) (A) (C) nach sich ziehen würde, ist bereits aus diesem den Modernisierungskosten senken. Dies könnte Grunde abzulehnen. dazu führen, dass die Vermieter nicht, wie es wün- schenswert ist, häufiger als heute ihre Gebäude ener- Berlin sollte überdenken, ob es den Gesetzesantrag getisch modernisieren, sondern sogar seltener. Des- nicht zurückziehen und etwaige Änderungen im halb verfolgt die Bundesregierung einen anderen Rahmen der Beratungen über den Gesetzentwurf der Ansatz: Anreize für energetische Sanierungen schaf- Bundesregierung einbringen möchte. – Vielen Dank. fen und nicht neue Hürden aufbauen.

Ein weiteres Problem in der Praxis bildet das soge- Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: nannte Mietnomadentum. Dazu enthält der Berliner Herzlichen Dank, Herr Staatsminister! Gesetzentwurf keine Vorschläge. Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekre- tär bei der Bundesministerin der Justiz, Dr. Stadler. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, auch dieses Thema anzupacken. Gerade private Vermie- ter, die selber nur geringe finanzielle Spielräume ha- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bun- ben, Vermieter, die beispielsweise eine Eigentums- desministerin der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr wohnung erworben haben, um ihre Altersvorsorge zu geehrten Damen und Herren! Herr Minister Hahn, sichern, haben bisweilen den Eindruck, das Recht Sie haben zutreffend darauf aufmerksam gemacht, schütze sie nicht ausreichend oder nicht schnell ge- dass sich die Bundesregierung auf der Basis des Ko- nug, wenn die Miete in betrügerischer Weise nicht alitionsvertrags vorgenommen hat, das geltende bezahlt wird oder wenn eine Wohnung verwüstet Mietrecht auf seine Ausgewogenheit zwischen Mie- wird. Da dies kein hinnehmbarer Zustand ist, wird tern und Vermietern zu überprüfen und zu moderni- die Bundesregierung Vorschläge vorlegen, die zum sieren und dabei seinen sozialen Charakter zu wah- einen dem Vermieter die Herausgabevollstreckung ren. erleichtern und zum anderen die einstweilige Verfü- gung zu Gunsten des Vermieters stärken. – Vielen Dazu gehört vor allem, dass ein modernes Miet- Dank für Ihre Aufmerksamkeit. recht dazu beitragen soll, eine Senkung des Energie- verbrauchs zu begünstigen. Es liegt im gesamtgesell- schaftlichen Interesse, mit den Möglichkeiten des Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: Ich Mietrechts mitzuhelfen, unsere ehrgeizigen und an- bedanke mich, Herr Parlamentarischer Staatssekre- spruchsvollen Klimaschutzziele zu erreichen. Es gibt tär. ein großes Einsparpotenzial durch die energetische Modernisierung vermieteter Wohnungen. Allerdings Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. (B) muss darauf geachtet werden, dass die erforderlichen (D) Kosten gerecht verteilt werden. Daran arbeiten wir Ich weise die Vorlage dem Rechtsausschuss – fe- derzeit. Unseres Erachtens kann man von den Mie- derführend – sowie dem Ausschuss für Arbeit und tern schon verlangen, dass auch sie einen Beitrag Sozialpolitik, dem Ausschuss für Umwelt, Natur- zum Klimaschutz und zum Energiesparen leisten, schutz und Reaktorsicherheit, dem Wirtschaftsaus- z. B. durch eine Begrenzung des Rechts der Mietmin- schuss und dem Ausschuss für Städtebau, Woh- derung in der kurzen Zeitspanne, in der energetisch nungswesen und Raumordnung – mitberatend – zu. modernisiert wird. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ent- wurf des Landes Berlin eines Gesetzes zur Sicherung Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der bezahlbarer Mieten und zur Begrenzung von Ener- Strafprozessordnung – Antrag der Freien und gieverbrauch und Energiekosten verfolgt auf den Hansestadt Hamburg gemäß § 36 Absatz 2 ersten Blick verständliche Ziele, erscheint uns aber GO BR – (Drucksache 670/10) inhaltlich nicht in allen Punkten überzeugend. Ich Herr Senator Dr. Steffen (Hamburg), Sie haben das nenne zwei Bereiche: Wort. Erstens soll die sogenannte Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen abgesenkt werden. Diese Bestim- mung entfaltet bekanntlich ihre praktische Bedeu- Dr. Till Steffen (Hamburg): Sehr geehrter Herr Prä- tung hauptsächlich in den eher seltenen Fällen, in sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die denen die Miete deutlich unter der ortsüblichen Ver- tagelangen Flugausfälle auf Grund der Vulkanasche- gleichsmiete liegt. In diesen Fällen soll durch die wolke – den Namen des Vulkans kann niemand hier Kappungsgrenze verhindert werden, dass sich die im Raum aussprechen –, die Besetzung des internati- Miete in zu großen Sprüngen erhöht. Allerdings ist onalen Flughafens Bangkok im November des Jahres die Kappungsgrenze bereits durch die Mietrechtsre- 2008, die mehrtägige Sperrung des US-Luftraums form 2001 gesenkt worden. Wir meinen, dass durch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und die damalige Regelung in diesem Punkt ein ange- andere Vorfälle durchkreuzten nicht nur die Rei- messener Ausgleich zwischen Vermieter- und Mie- sepläne von Millionen Geschäfts- und Urlaubsrei- terinteressen erreicht worden ist. senden, sie hatten auch Auswirkungen auf die Fortsetzung von Strafprozessen. Verschiedene Groß- Zweitens will das Land Berlin die Modernisie- verfahren mussten wiederholt werden bzw. gerieten rungsumlage von 11 auf 9 % der jährlich umzulegen- in die Gefahr einer Wiederholung. 408 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Dr. Till Steffen (Hamburg) (A) (C) Aus unserer Sicht besteht ein praktisches Bedürfnis Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und danach, höhere Gewalt als Grund für eine Hem- würde mich freuen, wenn Sie die Gesetzesinitiative mung der Unterbrechungsfrist anzuerkennen. des Landes Hamburg unterstützten.

Gemäß § 229 Absätze 1 und 2 der Strafprozessord- nung werden Höchstfristen für die Unterbrechung ei- Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: ner Hauptverhandlung festgelegt. Sinn dieser Rege- Danke schön, Herr Senator! lung ist es, den Grundsatz der Mündlichkeit in der Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Hauptverhandlung des Strafprozesses zu sichern. Richterinnen und Richter sollen unter dem lebendi- Zur weiteren Beratung weise ich die Vorlage dem gen Eindruck der Hauptverhandlung entscheiden. Rechtsausschuss zu. Diesen wesentlichen Grundsatz wollen wir nicht an- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 50: tasten. Er prägt zu Recht unser Strafverfahren. Bei lang andauernden Hauptverhandlungen, die auf Entwurf eines Gesetzes zur Einbeziehung von Grund des Umfangs des Beweisstoffes auf Monate Empfängern von Krankenhilfeleistungen nach oder Jahre angelegt sind, verliert der Konzentra- dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, dem tionsgrundsatz aber etwas an Bedeutung. Er gerät in Achten Buch Sozialgesetzbuch und § 2 des ein zunehmendes Spannungsverhältnis mit dem Be- Asylbewerberleistungsgesetzes in die gesetzli- schleunigungsgrundsatz. che Kranken- und Pflegeversicherung (GKV- Einbeziehungsgesetz – GKV-EBG) – Antrag der § 229 Absatz 3 löst derzeit dieses Spannungsver- Freien und Hansestadt Hamburg gemäß § 36 hältnis schon weitgehend auf. In Fällen kurzfristiger Absatz 2 GO BR – (Drucksache 673/10) Erkrankung wird eine etwas längere Unterbrechung Das Wort hat Senator Wersich (Hamburg). ermöglicht. Bei Verhandlungen, die an mindestens zehn Tagen stattgefunden haben, wird der Lauf der zulässigen Unterbrechungsfrist während der Erkran- Dietrich Wersich (Hamburg): Sehr geehrter Herr kung des Angeklagten oder einer zur Urteilsfindung Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bund, berufenen Person für längstens sechs Wochen ge- Länder und Gemeinden haben gemeinsam die hemmt. Wiederholungen der Hauptverhandlung und Pflicht, die Verschuldungsspirale in Deutschland zu eine daraus entstehende Verfahrensverzögerung stoppen und das vereinbarte Verschuldungsverbot werden vermieden. Mit den gesetzten Fristen bleibt einzuhalten. Dazu sind vielfältige Anstrengungen auf allen Ebenen erforderlich. aber der Grundsatz der Mündlichkeit im Wesentli- chen erhalten. Zu Recht hat der Gesetzgeber diese Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg legt (B) Möglichkeit eingeschränkt, um eine generelle Aus- dem Bundesrat mit dem GKV-Einbeziehungsgesetz (D) weitung der Unterbrechungsfristen zu verhindern. einen Vorschlag vor, der auf zwei Wegen zu einer deutlichen Entlastung von Ländern und Gemeinden In den letzten Jahren hat es durch die von mir ein- führt: einerseits durch die Einbeziehung bisher nicht gangs bereits erwähnten Sachverhalte in wenigen versicherter Personengruppen in die gesetzliche Einzelfällen jedoch neue Anforderungen gegeben. Kranken- und Pflegeversicherung, andererseits durch eine deutliche Reduzierung des bürokratischen Auf- Mit unserem Gesetzesvorschlag wollen wir eine wands bei der Leistungsabrechnung. Änderung des § 229 Absatz 3 Satz 1 der Strafpro- zessordnung erreichen. Der Anwendungsbereich der Die Abschaffung des jetzt praktizierten Systems Hemmung der zulässigen Unterbrechungsfrist soll der Übernahme der Krankenbehandlung gegen Kos- behutsam um die Fallgruppe der höheren Gewalt er- tenerstattung führte ganz erheblich zum Abbau von weitert werden. Aus unserer Sicht wird gleichzeitig verzichtbarer Bürokratie und zu Einsparungen durch durch die strengen Anforderungen des Begriffs das den Wegfall von Verwaltungsstrukturen, die für die Konzentrationsprinzip gewahrt. Bewilligung und Rechnungsprüfung der von den Krankenkassen abgerechneten Aufwendungen vor- Es mag der Einwand kommen, dass es hier doch gehalten werden müssen. Die Haushalte der Länder nur um wenige Einzelfälle geht, und aus dem Einzel- und Gemeinden würden durch die Einbeziehung der fall sollte man nicht gleich gesetzgeberischen Hand- betroffenen Personengruppen in die gesetzliche lungsbedarf ableiten. Es sollte sicherlich auch aus Kranken- und Pflegeversicherung ab 2011 jährlich in unserer Sicht nur um Einzelfälle gehen. Nur lässt uns dreistelliger Millionenhöhe entlastet. die Lebensrealität prognostizieren: Einzelfälle kom- Die Einbeziehung dieser Personengruppen in die men immer wieder vor. Und in der Öffentlichkeit er- gesetzliche Krankenversicherung ist politisch und reicht der Einzelfall sehr hohe Aufmerksamkeit, die fachlich konsequent; denn sie haben heute schon An- schnell die Akzeptanz rechtsstaatlicher Verfahren spruch auf Hilfen, die den Leistungen der gesetzli- und Entscheidungen unabhängiger Gerichte in Frage chen Krankenversicherung entsprechen, und sie stellen kann. Wir halten es deshalb für angezeigt, für werden von einer Krankenkasse betreut. Die Kran- diese wenigen Fälle der höheren Gewalt eine kenkassen übernehmen zunächst die Kosten für die rechtsstaatliche Lösung zu ermöglichen, die prakti- Behandlung der betroffenen Personen. Allerdings er- kabel ist und die Grundsätze des Strafverfahrens folgt bislang im Anschluss eine komplizierte Abrech- achtet. nung zwischen dem Träger der Sozial- und Jugend- Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 409 Dietrich Wersich (Hamburg) (A) (C) hilfe und der jeweiligen Krankenkasse. Dieses Auslaufen des verpflichtenden Zivildienstes auf der Nebeneinander verschiedener Strukturen ist in An- Tagesordnung des Bundesrates steht – bislang leider betracht des damit verbundenen zusätzlichen Ver- ohne Ergebnis. waltungsaufwands und der Kosten für die öffentli- Lassen Sie mich deshalb in Erinnerung rufen, dass chen Haushalte nicht mehr zu rechtfertigen. es um ein Thema geht, bei dem es in der Vergangen- Noch etwas spricht dafür: Die Gesundheitsversor- heit länder- und parteiübergreifend traditionell gro- gung der Leistungsempfänger würde optimiert und ßes Einvernehmen und ein konstruktives Miteinan- anderen Versicherten gleichgestellt. der gab. Auf diese Weise haben wir viel erreicht. Es wäre wünschenswert, wenn wir uns heute darauf be- Von einer Effizienzsteigerung bei der Prüfung der sönnen und zu einem Beschluss darüber kämen, wie Abrechnungen und damit von einer Kostendämpfung wir Länder uns die Zukunft der Jugendfreiwilligen- ist auszugehen, da die Krankenkassen die ihnen zur dienste vorstellen. Verfügung stehenden Instrumente zur Kostenmini- mierung anwenden können. Im gemeinsamen Kernanliegen besteht große Ei- nigkeit. Alle vorliegenden Anträge unterstreichen Meine Damen und Herren, in Erweiterung des Be- die gesellschaftspolitische Bedeutung der Freiwilli- schlusses einer ASMK-Amtschefsarbeitsgruppe schla- gendienste. Alle Anträge zielen darauf ab, das frei- gen wir vor, auch die Empfänger von Krankenhilfe- willige Engagement Jugendlicher in der Zukunft leistungen nach dem SGB VIII – Kinder- und auszubauen und weiter zu fördern, statt es durch ei- Jugendhilfeleistungen – sowie von Leistungen nach nen weiteren Dienst zu gefährden, der die bestehen- § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes in die gesetz- den Strukturen missachtet. Die Anträge unterschei- liche Kranken- und Pflegeversicherung einzubezie- den sich lediglich – ich sage das bewusst – in den hen. Dies ist sachgerecht, da dieser Personenkreis Strukturen, in denen das gemeinsame Ziel verfolgt anders als die Empfänger nach § 1 Asylbewerberleis- werden soll. tungsgesetz schon jetzt den Leistungsanspruch ana- log der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Wir haben einen Antrag eingebracht, der wesentli- che inhaltliche Forderungen aufgreift und zusam- Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, wirk- menfasst: same Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung zu ergreifen und die Verwaltung dort zu verschlanken, Er enthält etwa die wichtige Forderung nach einer Förderung auch kleiner, nur regional tätiger Träger. wo unnötige Doppelstrukturen bestehen. Vor diesem Dies ist ein gemeinsames Anliegen. Hintergrund bitte ich Sie um Unterstützung des von Hamburg erarbeiteten Gesetzentwurfs im weiteren Er enthält die Forderung nach einer Aufhebung Verfahren. – Vielen Dank. der Kontingentierung der geförderten Plätze. Dies (B) war ein besonderes Anliegen der bayerischen Seite. (D) Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: Er enthält aber auch die berechtigte Forderung Danke schön, Herr Senator! nach attraktiven Anreizen für die Freiwilligen- dienste, ein wichtiger Punkt im Antrag des Landes Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Rheinland-Pfalz, der ebenfalls ein gemeinsames An- Ich weise die Vorlage dem Gesundheitsausschuss liegen ist. – federführend – sowie dem Ausschuss für Arbeit Für uns ist es im Sinne eines zukunftsfähigen bür- und Sozialpolitik, dem Ausschuss für Frauen und Ju- gerschaftlichen Engagements wichtig, dass wir in der gend, dem Finanzausschuss und dem Ausschuss für aktuellen Umbruchsituation einen gesonderten Innere Angelegenheiten – mitberatend – zu. Schwerpunkt auf die Engagementformen der Er- Zur gemeinsamen Beratung rufe ich die Tagesord- wachsenen legen. Sie bietet die große Chance, in ei- nungspunkte 18 a) und b) auf: ner engagierten Zivilgesellschaft solche Dienste auch für Erwachsene anzubieten. a) Entschließung des Bundesrates zur Kompen- sation eines Wegfalles des Zivildienstes durch Ebenso wichtig ist es uns, dass wir gerade ange- Stärkung der Jugendfreiwilligendienste FSJ sichts der aktuellen Integrationsdebatte das Engage- und FÖJ – Antrag des Freistaates Bayern – ment von Menschen mit Migrationshintergrund ver- (Drucksache 567/10) stärkt in den Blick nehmen. b) Entschließung des Bundesrates für einen ein- Ich bin zuversichtlich, dass diese inhaltlichen For- heitlichen „Freiwilligen sozialen Dienst“ – An- derungen im Bundesrat von einer breiten Mehrheit trag des Landes Rheinland-Pfalz – (Drucksache getragen werden können. 576/10) Unterschiede bestehen im Hinblick auf die Struk- Frau Ministerin Dr. Stolz (Baden-Württemberg) hat turen. Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere das Wort. der A-Länder, ich gebe gerne zu: Das Konzept aus Rheinland-Pfalz, das die Kompetenzen in Bundes- hand zusammengeführt sehen will, hat in seiner Idee Dr. Monika Stolz (Baden-Württemberg): Herr Präsi- etwas bestechend Einfaches, selbst wenn jedem klar dent, meine Damen und Herren! Es ist bereits das sein dürfte, dass mit der Umsetzung gerade wegen dritte Mal hintereinander, dass die Zukunft der Ju- der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit erhebli- gendfreiwilligendienste nach dem wahrscheinlichen che Probleme verbunden wären. 410 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Dr. Monika Stolz (Baden-Württemberg) (A) (C) Es kommt etwas Wichtiges hinzu: Die Länderkom- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19: petenz für die Jugendfreiwilligendienste jetzt doch recht hastig und ohne den ernsthaften Versuch einer Entschließung des Bundesrates zum Energie- anderweitigen Problemlösung einfach aufzugeben konzept der Bundesregierung – Antrag der Län- wäre ein allzu großes Opfer. Ich kann mir kaum ein der Rheinland-Pfalz, Berlin, Nordrhein-Westfa- Thema vorstellen, bei dem der viel zitierte Subsidia- len und Brandenburg – (Drucksache 633/10) ritätsgedanke so sehr gegen Zentralisierung spricht Es liegen einige Wortmeldungen vor. Das Wort hat wie das des bürgerschaftlichen Engagements. Es zuerst Frau Staatsministerin Conrad (Rheinland- geht daher auch um unser föderales Selbstverständ- Pfalz). nis. Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Margit Conrad (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident! Bund über die konkrete Ausgestaltung können wir Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir ent- uns mittlerweile ein funktionierendes und fruchtba- scheiden heute über einen Entschließungsantrag der res Nebeneinander beider Dienstformen vorstellen. Länder Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg Im Übrigen muss man sehen: Die Arten des bürger- und Rheinland-Pfalz zum Energiekonzept der Bun- schaftlichen Engagements sind vielfältig. Warum desregierung, den wir in der vergangenen Sitzung dann nicht auch die Arten der Dienste, in denen es eingebracht haben, weil wir der Meinung sind, dass entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen ausgeübt diese Frage von extrem hoher Bedeutung für uns werden kann? Ich möchte daher bei Ihnen werben: Länder ist. Lassen Sie es uns versuchen! Dies betrifft zum einen die Sicherheit unserer Be- Ich hoffe, es ist klar geworden, wie wichtig es mir völkerung in Verbindung mit der Verlängerung der ist, dass der Bundesrat in dieser Sache zu einem ein- Laufzeit von älteren Atomkraftwerken und zum deutigen Beschluss kommt und dem Bund damit die anderen die Energieinfrastruktur, Fragen des Wett- Vorstellungen der Länder mit auf den Weg gibt; denn bewerbs und die Stellung der kleinen und mittelstän- nur wer seine Auffassung klar äußert, kann letztlich dischen sowie insbesondere der kommunalen Ener- mitgestalten. Ich werbe also für die gemeinsame in- gieversorgungsunternehmen. Davon hängen sehr haltliche Linie und für den föderalen Gedanken, die viele Arbeitsplätze ab, die bei uns in den Ländern bestehende Struktur in den Ländern aufrechtzuerhal- z. B. beim Ausbau der erneuerbaren Energien ent- ten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. standen sind. Wir haben den Entschließungsantrag auch deswe- Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: gen eingebracht, weil wir deutlich machen wollen, (B) Danke schön, Frau Ministerin! dass wir mit einem verkürzten Gesetzgebungsver- (D) fahren zur Umsetzung des Energiekonzepts nicht Je eine Erklärung zu Protokoll*) abgegeben haben einverstanden sind. In der vergangenen Woche sind Frau Staatsministerin Conrad (Rheinland-Pfalz), wir Zeugen turbulenter und denkwürdiger Sitzungen Frau Senatorin von der Aue (Berlin) und Herr Staats- im Deutschen Bundestag zu diesem Thema gewor- sekretär Hecken (Bundesministerium für Familie, den. Wir wissen mittlerweile, dass wir mit unserer Senioren, Frauen und Jugend). Kritik an dem verkürzten Verfahren, das für uns nur Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- einen Durchgang bedeutet, nicht alleine stehen. Ich fehlungen sowie zwei Anträge vor, die Entschließun- kenne kein Beispiel, dass sich sogar der Bundestags- gen jeweils in einer geänderten Fassung anzuneh- präsident bemüßigt sah, der Bundesregierung men. schwere Mängel im Verfahren zu längeren Laufzei- ten von Atomkraftwerken vorzuwerfen. Er hat dies Wir beginnen mit den Ausschussempfehlungen. als „kein Glanzstück von Parlamentsarbeit“ bezeich- Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – net. Es war die Rede vom „Verdacht mangelnder Das ist sehr offensichtlich eine Minderheit. Sorgfalt“. Er sagte: Der Bundestag habe sich letztend- Bitte das Handzeichen für den Antrag Baden- lich auf Druck der Regierung zu wenig Zeit genom- Württembergs! – Das ist die Mehrheit. men. – Das ist nur ein Ausschnitt aus seiner Kritik. Damit entfällt eine Abstimmung über den Plenar- Dem können wir uns inhaltlich anschließen. Nun antrag Berlins. ist es nicht verwunderlich, dass die Bundesregierung diesen Vorwurf aus Parlamentskreisen – immerhin Nun zur Schlussabstimmung: Wer dafür ist, die des Bundestagspräsidenten – zurückweist. Bemer- Entschließung, wie soeben festgelegt, zu fassen, den kenswert ist auch, dass der Parlamentarische Ge- bitte ich um das Handzeichen. – Auch das ist die schäftsführer der Unionsfraktion, Herr A l t m a i e r , Mehrheit. in der Öffentlichkeit behauptet, für die Beratung der Dann ist so beschlossen. Gesetze im Deutschen Bundestag habe mehr Zeit zur Verfügung gestanden als 2001 für die Beratung über Damit entfällt eine Abstimmung über die Entschlie- das Ausstiegsgesetz. Ich gebe zu, es fällt mir schwer ßungsanträge von Rheinland-Pfalz und Bayern. zu glauben, dass dies einfach nur ein Irrtum ist. Zu- mindest ist es eine deutliche Täuschung; denn es ist sehr leicht nachzuprüfen, dass 2001 sowohl der Deut- *) Anlagen 5 bis 7 sche Bundestag als auch der Bundesrat zwei „Durch- Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 411 Margit Conrad (Rheinland-Pfalz) (A) (C) gänge“ hatten. Der Deutsche Bundestag hat im Sep- Frankreich zurückgegangen sind. Dieses Einverneh- tember 2001 die erste Lesung durchgeführt und im men mit der Bevölkerung ist aufgekündigt worden. Dezember entschieden; der Bundesrat hat im Okto- Das ist auch ein Grund dafür, dass wir von dem Ziel, ber 2001 erstmals beraten und am 1. Februar 2002 ein Endlager zu finden, weiter entfernt sind denn je. entschieden. Zum Energiekonzept nur wenige Sätze; denn mitt- Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das lerweile sickert einiges durch. Meines Erachtens ist verursacht Irritationen. Ich erinnere gern an das, was es eher ein Formelkompromiss, an einigen Punkten Hannelore Kraft heute Morgen zum Selbstverständ- sicherlich mit anspruchsvollen Zielen. Es ist aber vol- nis dieses Verfassungsorgans gesagt hat. ler Widersprüche. Wenn man wissen will, wie man die anspruchsvollen Klimaziele erreicht, wie man die Im Übrigen muss man sich die Frage stellen: Was erneuerbaren Energien ausbauen und Energieeffizi- ist das eigentlich für ein Energiekonzept, das die De- enz steigern will, sucht man vergebens nach Antwor- batte scheut, das offensichtlich „durchgepeitscht“ ten; denn sie werden nicht durch belastbare Maßnah- werden muss und das sehr nahe an den Vorstellun- menpakete unterfüttert. Belastbar ist aber das gen von vier großen Atomkonzernen entwickelt wor- Handeln, und das heißt konkret: Rückführung und den ist? Kürzung der Marktanreizprogramme. Die Beträge, Nun werden Sie wahrscheinlich auch heute wieder die in den nächsten Jahren über einen Förderfonds sagen, wir stimmten nicht über das Energiekonzept beigesteuert werden sollen, werden nicht die Sum- der Bundesregierung ab. Aber uns liegen die vier men erreichen, die wir für Maßnahmen zur Verbesse- Gesetze mittlerweile vor. Somit stimmen wir über rung der Energieeffizienz oder den Einsatz von er- den zentralen, den entscheidenden Baustein ab: über neuerbaren Energien im Wärmemarkt schon erreicht die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. hatten. Ich will nicht die Argumente wiederholen, die ich Sie führen eine Kampagne gegen die erneuerba- in der vergangenen Sitzung vorgetragen habe, aber ren Energien; Sie stemmen sich zumindest nicht ge- darauf aufmerksam machen, dass der massive Ein- gen deren Einschränkung. griff in den Wettbewerb mittlerweile sehr viele kom- Vergangene Woche mussten wir feststellen, dass munale Unternehmen auf den Plan gerufen hat. Fernwärme, ein Produkt aus Kraft-Wärme-Kopplung Noch in der vorigen Woche hat hierzu eine Presse- – man bezeichnet sie nicht ohne Grund als „Umwelt- konferenz von Vertretern von mehr als 100 kommu- wärme“, da durch ihre Nutzung weder die Luft noch nalen Unternehmen der Energiewirtschaft stattge- Gewässer erwärmt werden –, quasi handstreichartig funden. Sie haben sich massiv beschwert und darauf auch noch mit der Ökosteuer belegt werden soll. Ich verwiesen, welche Bedeutung dieses Thema für ihre habe der Presse mit Erstaunen entnommen, dass jetzt Unternehmen und für die Kommunen hat. Dort wa- (B) selbst Unionsabgeordnete auf den Bundesrat (D) ren nicht nur die Vertreter von Stadtwerken aus so- schauen. Sie hätten nicht gewusst, was da vorgelegt zialdemokratisch oder grün regierten Bundesländern worden sei, und setzten darauf, dass wir dies über vertreten. Die Kommunen und die kommunalen Un- das Vermittlungsverfahren noch änderten. Ich kann ternehmen erwarten von uns, dass wir, die Länder, an dieser Stelle sagen: Bitte schön, das können Sie uns mit ihrer Situation und den für sie aus dem Ener- haben! giekonzept erwachsenden Konsequenzen auseinan- dersetzen. Es treten noch andere Aspekte zutage. Sie behaup- ten, ein großer Teil der zusätzlichen Gewinne der Wir wissen, dass die Bundesregierung und die Atomkraftwerke besitzenden vier Konzerne werde schwarzgelbe Koalition keine Mehrheit für das Ener- abgeschöpft. Ein Baustein ist die Brennelemente- giekonzept haben. Man spürt das in der Öffentlich- steuer. Bemerkenswert ist, dass sie bis 2016 befristet keit: Wir stehen an diesem Wochenende vor einer der ist – warum, versteht man nicht. Sie haben sie in den wohl härtesten Demonstrationen gegen die Rückfüh- nächtlichen Verhandlungen sogar noch reduziert. rung von Atommüll nach Deutschland. Es ist mehr Obwohl Sie mit den vier Atomkonzernen offensicht- als nur Protest gegen Castor-Transporte. Die Anti- lich lange verhandelt haben, können Sie nicht davon AKW-Bewegung hat durch die Atompolitik enormen ausgehen, dass sich diese nach Treu und Glauben an Auftrieb bekommen. die Vereinbarungen halten. Wir müssen vielmehr Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich feststellen, dass z. B. RWE bei uns in Biblis, in der appelliere von dieser Stelle aus an die Demonstran- Nachbarschaft, Brennelemente in noch nie dagewe- ten, friedlich zu protestieren. Das ist wichtig. Aber es senem Umfang vorzeitig austauscht, damit sie im ist doch Irrsinn, dass man mittlerweile mehr als nächsten Jahr nicht der Brennelementesteuer unter- 16 000 Polizistinnen und Polizisten aufbieten muss, liegen. Das ist eine Steuerersparnis in der Größen- die die Rückführung begleiten. Ich habe die Befürch- ordnung von gerade einmal 280 Millionen Euro. Ich tung, dass Politik auf deren Rücken ausgetragen weiß nicht, ob der Finanzminister das einkalkuliert wird. hat. Nach dem Atomausstieg war es zu einer Befrie- Der „Frankfurter Rundschau“ von heute ist zu ent- dung in der deutschen Bevölkerung gekommen. Das nehmen, dass sie nicht nur dort sparen. Sie lagern war wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Pro- diese offensichtlich nicht ganz abgebrannten Brenn- teste gegen den notwendigen – das ist nicht in Frage elemente ein, um sie als gebrauchte Brennelemente zu stellen – Rücktransport unseres Atommülls aus später wieder zu nutzen und dann doppelt Brennele- 412 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Margit Conrad (Rheinland-Pfalz) (A) (C) mentesteuer zu sparen – eine Gesetzeslücke. Mein zept sehen. Ich gehe davon aus, dass wir alle den lieber Mann – Entschuldigung, dass ich so salopp for- Ausbau der erneuerbaren Energien grundsätzlich muliere! Das zeigt nicht nur eine gewisse Naivität in befürworten. Wir wollen ihn, weil er vernünftig ist. den Verhandlungen mit den Energiekonzernen Über die Wege dahin ist zu diskutieren. – man hat ja auch seine Erfahrungen –, sondern es Wir im Lande Mecklenburg-Vorpommern haben schadet dem Ansehen der Politik insgesamt, wenn bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien man so etwas zulässt. schon sehr viel erreicht. Ihr Anteil an der Stromer- Man könnte mehr dazu sagen. Es sickert durch, zeugung liegt bei uns bereits heute bei mehr als dass von den Abgaben, die die Konzerne zu zahlen 50 %, beim Endenergieverbrauch sind es 18 %. Der haben, ein großer Teil zurückfließt: 5 Milliarden Bund hinkt in allen Fällen wesentlich hinterher. Wir Euro für Offshore-Windanlagen. Wer baut eigentlich erreichen einen Anteil von 30 % am Endenergiever- die großen Offshore-Windanlagen? Die großen Kon- brauch zehn Jahre früher als der Bund, nämlich zerne! Milliarden sollen für die Transportnetze zu- schon im Jahr 2020. Damit beschreibe ich nur die rückfließen. Wem gehören die Transportnetze in Position. Deutschland? Nicht mehr nur den vier Großen, das In unserer Energiegesamtstrategie „Energieland weiß ich auch. Aber hier zeigt sich ein Verfahren im 2020“ und „Aktionsplan Klimaschutz“ achten wir Sinne eines modernen Payback-Verständnisses. darauf, dass auch fossile Energieträger effizient ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich nutzt werden. Wir behalten den Energiemix im Auge. komme zum Schluss. Es geht uns um eine ökonomisch, ökologisch und so- zial tragfähige Energieversorgung im Land Mecklen- Wir haben unseren Entschließungsantrag einge- burg-Vorpommern. bracht, um im Vorfeld der Beratungen des Deutschen Bundestages ein klares Signal zu setzen. Einige Neben Bioenergie, Solarenergie – ihr Anteil ist bei Länder werden klagen, wenn die Gesetze dem Bun- uns nicht sehr hoch – und Geothermie werden die desrat als nicht zustimmungsbedürftig vorgelegt Nordländer auch in Zukunft viel Wind machen; darü- werden. Der Bundestag hat sein Vorgehen nicht ge- ber sind wir uns einig. Diese Energiequelle steht ins- ändert. Er hätte es tun können. Die Gesetze liegen besondere uns auf dem Meer zur Verfügung, soge- als nicht zustimmungsbedürftige Gesetze vor. nannte Offshore-Technik. Wir erwarten allein von dort 3 000 MW bis 2020. Soweit ich weiß, erwartet Wir haben mit offenen Karten gespielt. Rheinland- Schleswig-Holstein sogar das Doppelte. Hier kommt Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Berlin und viel Energie zusammen. Brandenburg haben hier deutlich gemacht, dass sie Man muss aber auch erwähnen: Die Windkraft auf klagen werden, und zwar nicht einfach so, sondern dem Meer hat ohne Zweifel großes Potenzial. Dieser (B) weil wir uns auf sehr ernst zu nehmende Gutachten (D) Bereich ist allerdings deutlich anders zu sehen als stützen, die auch der Bundesregierung vorliegen. Wir Windkraft auf dem Lande. Mit Blick auf die Finanzie- setzen uns über diese sehr seriösen Gutachten – de- rung ist er den Banken gegenwärtig außerordentlich ren Mehrzahl uns bestärkt – nicht einfach hinweg, schwierig zu vermitteln. Die Fremdfinanzierung ist was die Bundesregierung offensichtlich zu tun bereit problematisch. Frau Ministerin Conrad, Sie haben ist. Wir erklären heute noch einmal: Sollte der Bun- das gerade etwas anders dargestellt: EnBW ist einer desrat nicht beteiligt werden, indem die Gesetze als der großen Investoren, die bei uns gerade den ersten nicht zustimmungsbedürftig vorgelegt werden, wer- Windpark in der Ostsee gebaut haben. Hat dieses den wir uns genötigt sehen zu klagen, auch im Inte- Unternehmen nicht die erforderliche Finanzkraft, Ei- resse des Selbstverständnisses dieses Verfassungsor- genkapital, können solche Projekte nicht gestemmt gans. – Vielen Dank. werden. Das nächste Projekt wird gerade gestartet. Die Finanzkraft der Investoren spielt also eine große Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: Rolle. Das stellt sich bei Windkraftanlagen auf dem Danke schön, Frau Staatsministerin! Lande völlig anders dar. Im Offshore-Bereich geht es um andere Größenordnungen, um wesentlich wert- Das Wort hat Minister Seidel (Mecklenburg-Vor- intensivere Projekte. pommern). Für uns ist wichtig, dass die moderne Energiewirt- schaft viele Arbeitsplätze schafft. Wir im Norden ma- Jürgen Seidel (Mecklenburg-Vorpommern): Meine chen gegenwärtig erhebliche Umstrukturierungen in sehr verehrten Damen und Herren! Es geht um das der maritimen Industrie durch. Daher hat die Wind- Energiekonzept der Bundesregierung. Der vorlie- kraft große Bedeutung. Uns liegt eine Studie vor, aus gende Entschließungsantrag befasst sich allerdings der hervorgeht, dass wir 21 000 Arbeitsplätze errei- mehr mit einem Thema: mit der Verlängerung der chen können; im Moment sind es 6 000. Wir werden Laufzeiten; interessanterweise hat man sofort ein Exportland für Windkraft werden, insbesondere für Kürzel gefunden: LZV. Ich will mich damit nicht be- Energie aus Windkraft, aus erneuerbaren Energien fassen; denn die Standpunkte sind ebenso klar wie generell. die Voten, in unserem Fall – einer großen Koalition – Enthaltung. Das Nadelöhr wird der Netzausbau sein; er ist es heute schon. Er muss rasch und umfassend erfolgen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einige Worte Insoweit kann man es nur begrüßen, dass sich die zu den Problemen zu sagen, die wir im Energiekon- Bundesregierung in ihrem Energiekonzept zu einem Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 413 Jürgen Seidel (Mecklenburg-Vorpommern) (A) (C) deutlich beschleunigten Netzausbau bekennt. Zen- lich Umweltfreundlichkeit, also CO2-Freiheit, hin- traler Baustein ist sicherlich die deutschlandweite sichtlich Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicher- Netzausbauplanung. Sie muss allerdings bis in die heit? Unter Wirtschaftlichkeit ist zu verstehen, dass Verteilnetze hineinreichen. Dazu wird viel Geld not- viele Menschen in diesem Land weniger verdienen wendig sein. Nach uns vorliegenden Berechnungen als wir, aber in der Lage sein müssen, ihre Strom- sind es 250 Millionen Euro in den nächsten Jahren al- und Wärmerechnung zu bezahlen. Wie gelingt es, lein für unser Land. Wenn wir den Ausbau der erneu- Energie sicherzustellen, wann immer man sie benö- erbaren Energien wollen, muss ein Netzausbau statt- tigt – die Industrie ebenso wie Einzelpersonen? finden; das muss uns allen klar sein. Es muss dann aber auch gelingen, die diesbezüglichen Kosten Es gibt viele Beispiele im europäischen Kontext, deutschlandweit umzulegen. Im Moment wäre dies die uns zeigen, dass wir in Deutschland über eine nicht der Fall. Das hätte eine deutliche Benachteili- hohe Versorgungssicherheit verfügen, sowohl was gung der Länder zur Folge, die dieses Programm um- die Produktion der entsprechenden Energie als auch setzen, die Vorreiter sind. die Netzstabilität angeht. Zugleich wissen wir, dass dort viele Herausforderungen bestehen. Nächstes Jahr soll ein umfassendes Programm, das 6. Energieforschungsprogramm bis 2020 und da- Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Ent- rüber hinaus, vorgelegt werden. Auch hierfür werden schließungsantrag und den dort aufgestellten Be- finanzielle Mittel in Milliardenhöhe erforderlich sein. hauptungen! Insbesondere die Speicherforschung wird viel Geld kosten. Wir sind so weit, dass wir über manche Tech- Erstens. Mit ihrem Energiekonzept hat die Bundes- nologien schon verfügen. Wir müssen jetzt aber De- regierung etwas nachgeholt, was unter Rotgrün ver- monstrationsprojekte aufbauen. Das kostet wieder säumt wurde, nämlich ein Konzept vorzulegen, in Geld. dem die Energieversorgung als Ganzes in den Blick genommen wird. Wenn ich „als Ganzes“ sage, dann Ich will am Ende sagen: Diese Mittel von der Atom- geht es um Energieeinsparung, Energieeffizienz, energie zu holen ist sicher umstritten und kein risiko- Wärmeversorgung und Strom. Im Gegensatz zu Ihrer loser Weg. Wer das aber ablehnt, muss andere, wirk- Behauptung ist die Laufzeitverlängerung ein Teil lich praktikable Vorschläge machen. Das wird für die des Gesamtkonzepts. Dass Sie nur diesen hervorhe- Zukunft wichtig sein. – Vielen Dank. ben, ist klar. Ansonsten müssten Sie zugestehen, dass Sie in den anderen wichtigen und wesentlichen Be- reichen nie etwas vorgelegt haben. Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: Ich bedanke mich, Herr Minister. Zweitens. Das Energiekonzept dient vor allen Din- (B) gen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und (D) Das Wort hat Frau Ministerin Gönner (Baden- damit dem Klimaschutz. Zukünftig fließen Jahr für Württemberg). Jahr 3 Milliarden Euro in die Weiterentwicklung und Unterstützung einer Energieversorgung aus regene- rativen Quellen. Ohne diese massive finanzielle Un- Tanja Gönner (Baden-Württemberg): Herr Präsi- terstützung könnte das ehrgeizige Ziel der Bundes- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die regierung, bis zum Jahr 2050 einen Anteil von 80 % Überschrift des Entschließungsantrags der Länder erneuerbare Energien zu haben, nicht erreicht wer- Rheinland-Pfalz, Berlin, Nordrhein-Westfalen und den. Die Behauptung, die Laufzeitverlängerung be- Brandenburg weckt hohe Erwartungen. Bei genauer hindere diese Entwicklung, ist deshalb offensichtlich Lektüre entpuppt er sich allerdings als enttäu- gesetzli- schende Mogelpackung. unzutreffend und im Übrigen wegen des chen Vorrangs der erneuerbaren Energien bei der Frau Kollegin Conrad, an Ihrer Rede wurde deut- Einspeisung falsch. lich, dass es Ihnen nicht um das Energiekonzept im Gesamten geht, sondern ausschließlich um das Drittens. Mit dem Energiekonzept wird Versor- Thema „Atomkraft“, darum, wieder einmal zu polari- gungssicherheit geschaffen. Die längere Nutzung der sieren. Wenn Sie darauf verweisen, wie der Bundes- Kernenergie als Brückentechnologie sichert einen rat am Gesetz der rotgrünen Bundesregierung betei- zuverlässigen und bezahlbaren Energiemix, bis der ligt war, verschweigen Sie, dass Sie der Auffassung vollständige Umstieg auf erneuerbare Energien ge- waren, das Gesetz sei nicht zustimmungsbedürftig. lingt. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich mich als Sie verlangen heute etwas anderes als damals. Umweltministerin für einen Zwischenschritt über Kohlekraftwerke nur bedingt begeistern kann. Ge- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wer- nau deswegen brauchen wir die Brückentechnologie. den die Debatte über die Gesetze in drei Wochen hier führen. Gleichwohl will ich unzutreffende Aussagen Viertens. Die Behauptung, es gebe einen „Deal“ zu in der Entschließung nicht stehenlassen und die Ge- Gunsten der Stromkonzerne, ist völlig falsch und legenheit nutzen, etwas zum Energiekonzept zu sa- eher der rotgrünen Kampfrhetorik in dieser Frage zu- gen sowie die vielen falschen Behauptungen im Ent- zuordnen. Das Gegenteil ist der Fall: Es erfolgt eine schließungsantrag richtigzustellen. Abschöpfung der Zusatzerträge in der Größenord- nung von 60 %. Insgesamt leisten die EVUs einen Dieses Energiekonzept ist geprägt von der Trias: Beitrag in der Größenordnung von 30 Milliarden Wie sieht Energieversorgung in Zukunft aus hinsicht- Euro. Liebe Kollegin Conrad, Sie haben über die 414 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Tanja Gönner (Baden-Württemberg) (A) (C) Brennelementesteuer immer nur theoretisch disku- Die zweite Frage: Sind Salzstöcke als Endlager ge- tiert, die Bundesregierung führt sie ein. eignet? Die Antwort der Geologie, der Erdwissen- schaft, ist klar: Die prinzipielle Eignung von Salzstö- Fünftens. Mit dem Energiekonzept wird die Sicher- cken ist erwiesen. Viele Staaten auf der Welt, die heit der Kernkraftwerke erhöht, indem eine Betrei- Kerntechnologie einsetzen, wären froh, wenn sie berpflicht zur Nachrüstung der Anlagen in das eine solche geologische Formation in ihrem Staatsge- Atomgesetz aufgenommen wird. Dies gilt für alle An- biet hätten. lagen sofort und unabhängig vom Beginn der Lauf- zeitverlängerung. Die Behauptung, die Sicherheit Dritte Frage: Ist der Salzstock Gorleben geeignet? der Kernkraftwerke werde durch einen Sicherheits- Die Antwort ist zweiteilig. Erster Teil der Antwort: rabatt verringert, ist damit widerlegt. Im Übrigen sei Alles, was wir bisher erkundet haben und wissen, darauf verwiesen, dass solche Nachrüstpflichten zielt in Richtung auf Ja. Zweiter Teil: Es gibt noch nicht Inhalt Ihres Ausstiegsgesetzes waren. Sie ha- eine Reihe wichtiger offener Fragen, die die Bürger ben gesagt: Wir können Kernkraftwerke 20 Jahre in Niedersachsen, in Deutschland und uns in der Po- lang ohne weitere Nachrüstung in Sicherheit laufen litik interessieren. Sie müssen beantwortet werden, lassen. – Insofern spricht auch dieses Argument sehr bevor eine Entscheidung getroffen wird. Noch nie in deutlich gegen Sie. der Geschichte der Menschheit hat das Stecken des Kopfes in den Sand zu einem Erkenntnisgewinn ge- Sechstens. Die Laufzeitverlängerung in der vorge- führt. Die Entscheidung vor einem Jahrzehnt, die Er- sehenen Form ist nicht zustimmungsbedürftig. Dies kundung, das Nachfragen, die Forschung einzustel- wird durch die Entscheidung des Bundesverfas- len, mag Augen und Ohren verschließen und auch sungsgerichts zur Beteiligung des Bundesrates am die Aktivität des Gehirns etwas lähmen, aber in der Luftsicherheitsgesetz bestätigt. Auch wenn in der wesentlichen Frage, ob die Eignung vorliegt oder Entschließung auf mehrere anderslautende Rechts- nicht, auf deren Beantwortung die Bürger Anspruch gutachten Bezug genommen wird, verschweigen Sie, haben, haben wir wertvolle Zeit verloren. Die Ent- dass in gleicher Zahl Rechtsgutachten von hochange- scheidung der Bundesregierung, ihr weiter nachzu- sehenen und sehr erfahrenen Verfassungsrechtlern gehen, ist absolut richtig, egal wie man zu der Kern- vorliegen, die die Zustimmungsbedürftigkeit vernei- kraft steht. Ob ich Befürworter oder Kritiker der nen. Einer Befassung des Bundesverfassungsge- Kernkraft bin oder ob sie mir gleichgültig ist, die richts sehe ich deshalb sehr gelassen entgegen. Endlagerfrage muss vollkommen unabhängig von der Laufzeit geklärt werden; das ist jedermann klar. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Energiekonzept hat die Bundesregierung ein ambi- Jetzt kommen die Demonstrationen am Wochen- tioniertes zukunftsgerichtetes Gesamtkonzept für ende. Wir sollten sehr genau hinschauen. Die Trenn- mehr Klimaschutz, für stabilere Energiepreise und linie zwischen Demokratie und Anarchie verläuft (B) für mehr Sicherheit in der Energieversorgung vorge- zwischen denen, die friedlich demonstrieren, und de- (D) legt. Aus der Sicht des Landes Baden-Württemberg nen, die das Wochenende nutzen, um gewalttätig kann ich das nur begrüßen. Deswegen werbe ich da- und kriminell vorzugehen. für, dass die Entschließung heute abgelehnt wird. – (Staatssekretär Dr. Karl-Heinz Klär [Rhein- Herzlichen Dank. land-Pfalz]: Woher wissen Sie das denn schon wieder?) Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: – Das weiß ich deswegen, lieber Herr Kollege Klär, Danke schön, Frau Ministerin Gönner! weil Gruppen im Netz angekündigt haben zu schot- Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekre- tern. Das ist ein harmloser Begriff für eine grauen- tär Hintze (Bundesministerium für Wirtschaft und hafte Sache. Da soll das Kiesbett herausgeholt wer- Technologie). den – mit der Gefahr, dass Züge entgleisen. Wer schottert, spielt mit dem Leben der Lokomotivführer. Das halte ich für unverantwortlich. Deswegen muss Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- die gesamte deutsche Politik den Appell ausspre- minister für Wirtschaft und Technologie: Herr Präsi- chen: Das Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht. dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aber es ist eine Frage der Moral und der Rechtsstaat- Deutschland schaut an diesem Wochenende nach lichkeit, dass Demonstrationen friedlich verlaufen Gorleben. Deswegen möchte ich mich auf den Punkt und kriminelle Aktivitäten unterbunden werden. des Entschließungsantrags konzentrieren, in dem es um die Laufzeitverlängerung und die Frage der End- Frau Kollegin Conrad hat dankenswerterweise da- lagerung geht. von gesprochen – ich weiß nicht, ob das gesamte Haus gelauscht hat –, dass die Rücktransporte not- Stichwort Endlager! Wir brauchen ein Endlager. wendig seien. Das war ein kleiner, feiner und richti- Das ist, glaube ich, parteiübergreifend klar. Die ger Satz. Mir fällt nur auf – vielleicht fällt es Ihnen Frage ist: oben oder unten? Über oder unter der auch auf, wenn Sie dies verfolgen –, dass wir in der Erde? Im Unterschied zu anderen Fragen, über die in politischen Landschaft in Deutschland gute und böse Deutschland im Zusammenhang mit oben oder unten Rücktransporte haben. Was ist ein guter Rücktrans- strittig diskutiert wird, ist sich die Wissenschaft welt- port? – Ein guter Rücktransport ist z. B., wenn Herr weit einig, dass das sichere Endlager unter die Erde T r i t t i n als Bundesumweltminister seinen Leuten gehört. Die Frage, ob oben oder unten, ist also ent- sagt: Seid friedlich, ich bin ja im Amt, lasst die Casto- schieden: Unten ist richtig. ren durch! – Elf Transporte – das waren die guten – Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 415 Parl. Staatssekretär Peter Hintze (A) (C) haben seit 2001 stattgefunden. Jetzt ist man dummer- mungsfrage positiv zu stellen. Wer also dafür ist, die weise nicht mehr an der Regierung, also sind es Entschließung zu fassen, den bitte ich um das Hand- schlechte Transporte. Es folgen Aufrufe zu Demonst- zeichen. – Das ist eine Minderheit. rationen und Blockaden. Damit hat der Bundesrat die Entschließung Frau Conrad, wenn man nach dem Motto verfährt, n i c h t gefasst. dass Transporte notwendig sind, wenn man selbst die Verantwortung dafür hat, sie aber angreift, die De- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 51: monstranten anfeuert und riskiert, dass Polizeibe- Entschließung des Bundesrates über ein Gesetz amte in ausgesprochen schwierige und Lokomotiv- zur Stärkung der Patientenrechte – Antrag der führer in gefährliche Situationen kommen, wenn man Länder Berlin, Brandenburg gemäß § 36 Ab- bundesweit in der Opposition ist, dann ist das eine satz 2 GO BR – (Drucksache 676/10) Doppelmoral, die der Politik insgesamt nicht guttut. (Kurt Beck [Rheinland-Pfalz]: Jetzt ist aber gut!) Das Wort hat Frau Senatorin Lompscher (Berlin). So viel zu Gorleben. Katrin Lompscher (Berlin): Herr Präsident, meine Zum Schluss will ich nur noch sagen: Nach unse- Damen und Herren! Berlin ist seit 2004 das erste und rem Energiekonzept, das Frau Kollegin R e i c h e in nach meiner Kenntnis noch immer das einzige Bun- der vorigen Sitzung des Bundesrates exzellent vorge- desland mit dem Amt einer Patientenbeauftragten. tragen und Frau Kollegin Gönner heute noch einmal Daher besteht ein guter Einblick in eine Vielzahl von wunderbar ausgeführt hat, brauchen wir auf dem Beschwerden und Defiziten bei der Gewährleistung Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien die von Rechten, die uns gemeinsam mit Brandenburg kommunalen Erzeuger, aber auch die Großen. Das ist Anlass zum politischen Handeln geben. wieder so eine Geschichte: Alles, was die Kleinen machen, ist gut, und alles, was die Großen machen, Deutschland hat zweifellos eine sehr gute medizi- ist nicht gut. nische Versorgung. Patientinnen und Patienten kön- nen sich auf einen Kanon entwickelter Patienten- Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten: Es gibt in rechte stützen. Diese sind zum Teil gesetzlich gefasst, der Europäischen Union eine Statistik über die Ver- zum Teil in einer differenzierten Rechtsprechung ent- sorgungssicherheit in Europa. Wahrscheinlich ist es faltet. Dennoch ist eine weitere Konkretisierung not- im Bundesrat nicht erlaubt, Herr Präsident, Quizfra- wendig. Wir brauchen ein eigenständiges Patienten- gen zu stellen. Wenn es erlaubt wäre, würde ich fra- rechtegesetz, weil die Wahrung und Durchsetzung gen, in welchem Land die Versorgungssicherheit am der bestehenden Rechte im Behandlungsalltag für höchsten ist. Welches Land in Europa hat über das viele Patientinnen und Patienten nicht ausreichend (B) Jahr gerechnet den geringsten Stromausfall, und gewährleistet ist. (D) zwar in Minuten und Sekunden? Berlin und Brandenburg wollen mit dem Entschlie- ßungsantrag für ein Patientenrechtegesetz einen ers- Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: ten Anstoß geben. Wir schließen damit an eine Dis- Fragen dürfen Sie stellen, aber die Antworten dürfen kussion in der letzten Legislaturperiode im Bund an, nicht gleich gegeben werden. an die Sie sich sicherlich alle noch erinnern können. Leider ist es seinerzeit nicht gelungen, eine Verbes- Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- serung der Position der Patienten auf den Weg zu nister für Wirtschaft und Technologie: Danke, Herr bringen. Wir halten es für richtig, das in der Recht- Präsident! Also muss ich selber antworten: Das Land sprechung im Sinne größtmöglicher Patientensouve- mit der höchsten Versorgungssicherheit ist Deutsch- ränität bisher Erreichte in ein eigenständiges Gesetz land. Als eines der größten Industrieländer der Welt zu fassen und notwendige Ergänzungen und Erwei- sind wir auf dem Weg in das Zeitalter der erneuerba- terungen vorzunehmen. ren Energien auf eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Daran haben die Bisher sind die Rechte der Patienten in zwei we- Kleinen einen guten Anteil, aber auch die Großen. sentlichen Rechtskreisen verankert: Die Summe muss stimmen. Die Rechte im Behandlungsvorgang sind faktisch Deswegen meine ich, dass man dem Energiekon- als Vorgaben eines ärztlichen Behandlungsvertrages zept der Bundesregierung zustimmen kann. Es ist ein in das Zivilrecht eingebunden. Das gilt auch für Jahrhundertprojekt. Es ist gut. Wenn wir alle uns nur eventuell entstehende Schadensersatzansprüche. über die Sache streiten würden, könnten wir uns Diese wären daher zivilrechtlich einzuklagen. schneller darüber verständigen. – Herzlichen Dank. Die kollektiven Rechte – Beteiligung von Patien- tenorganisationen in Gremien und an Entschei- Amtierender Präsident Peter Harry Carstensen: dungsprozessen – gehören dagegen in den Bereich Herzlichen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssek- der öffentlich-rechtlichen Sozialgesetzgebung. retär! Wir können und wollen diese grundsätzliche Tren- Wir kommen zur Abstimmung. Die beteiligten Aus- nung nicht aufheben. Gerade deshalb gilt es aber, zu schüsse empfehlen, die Entschließung nicht zu fas- einer Anpassung und Abstimmung in einem eigen- sen. Nach unserer Geschäftsordnung ist die Abstim- ständigen Patientenrechtegesetz zu kommen. 416 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Katrin Lompscher (Berlin) (A) (C) Jede Patientin, jeder Patient hat ein Recht auf gute zelne Krankenkassen tun, bestehen große Ungerech- und sichere Behandlung. Die Bundesratsinitiative der tigkeiten für Versicherte. Kassen sollten bei der Länder Berlin und Brandenburg will in zentralen Be- Klärung von möglichen Fehlern die Versicherten bis reichen deren Rechte stärken: durch Vorgaben für zu dem Zeitpunkt beraten und unterstützen, zu dem eine patientenzentrierte Aufklärung, durch Pflichten gegebenenfalls Klage erhoben oder ein Schiedsstel- von Behandlerinnen und Behandlern zu Dokumenta- lenverfahren angestrengt wird. tion, Transparenz und Gewährung von Einsichtsrech- In der Entschließung regen wir außerdem die ten, durch Ersatzansprüche geschädigter Patientin- Schaffung eines Entschädigungsfonds an, der sich an nen und Patienten, durch Beweislasterleichterungen Vorbildern anderer europäischer Länder orientiert für das Vorliegen eines Haftungsanspruchs bei Be- und der zur Vermeidung langwieriger Gerichtsver- handlungsfehlern, durch Pflichten von Sachverstän- fahren einen rascheren außergerichtlichen Ausgleich digen und durch die Stärkung von außergerichtli- von Schäden ermöglichen könnte. chen Schlichtungsverfahren. Die kollektiven Beteiligungsrechte von Patienten Bereits heute bestehen vielfältige berufsrechtliche sind in der Vergangenheit bereits erweitert worden, Vorgaben zu Information und Aufklärung von Patien- z. B. indem Mitberatungsrechte im Gemeinsamen tinnen und Patienten. In einer sehr unübersichtlichen Bundesausschuss geschaffen wurden. Das halten wir Rechtsprechung wurden zwar weitere Vorgaben ge- jedoch explizit nicht für ausreichend. Wir regen da- macht, die in der Praxis aber nicht zu ausreichender her die Ausweitung im Sinne eines rechtlich verbind- Klarheit für die Patienten führten. Notwendig ist da- lichen Stimmrechts in Verfahrensfragen im Gemein- her eine Weiterentwicklung, die den komplexer ge- samen Bundesausschuss sowie eine Beteiligung an wordenen medizinischen Prozessen Rechnung trägt Schlichtungsverfahren und im Bewertungsausschuss und die gewandelten Patientenerwartungen an eine an. gemeinsame Entscheidungsfindung berücksichtigt. Nicht zuletzt wollen wir mehr Transparenz bei den Zu einer patientenorientierten Information durch sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gehören Ele- erreichen. Durch das Angebot der IGeL-Leistungen mente der Aufklärung, die eine sichere und richtige wandelt sich das Arzt-Patienten-Verhältnis in ein An- Diagnose gewährleisten, den geplanten Behand- bieter-Kunden-Verhältnis, aber unter ungleichen Vo- lungsverlauf umfassend und verständlich erläutern, raussetzungen. Patientinnen und Patienten haben rechtzeitig eine Entscheidung in Selbstbestimmung bisher keine Chance, Bedarf, Qualität und Nutzen ermöglichen, alternative Behandlungsmöglichkeiten sowie, damit einhergehend, die Angemessenheit von aufzeigen, Risiken in die Abwägung einbeziehen, Kosten in ihrem Sinne abzuwägen und darüber zu Fragen der medizinischen Qualität berücksichtigen, entscheiden. (B) eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Patient ( V o r s i t z : Präsidentin Hannelore Kraft) (D) und Arzt fördern, wirtschaftliche Aspekte angemes- sen darlegen und in Zeitpunkt und Form den Anfor- Daher ist es besonders wichtig, Vorgaben zu Ak- derungen der Patienten entgegenkommen. quise, Beratung, Vertragsgestaltung und Liquidie- rung von Individuellen Gesundheitsleistungen in ei- Zentrale Elemente einer rechtlichen Weiterent- nem Patientenrechtegesetz zu regeln. Notwendig wicklung von Sicherheit der Patientendokumentation sind zudem verbindliche Transparenzkriterien für die sowie Transparenz im Behandlungsgeschehen und Individuellen Gesundheitsleistungen. von Einsichtsrechten sind Regelungen für eine wahre, vollständige und fälschungssichere Doku- Wir wollen mit dem Entschließungsantrag die poli- mentation, für die Gewährleistung des Datenschut- tische Debatte über ein Patientenrechtegesetz voran- zes der Patientinnen und Patienten, für die Stärkung bringen. Die positiven Anstöße aus der vergangenen der Einsichtsrechte von Patienten in ihre Akten sowie Legislatur sollten zügig aufgegriffen, weiterentwi- die Weiterentwicklung des Instruments der Patien- ckelt und ergänzt werden. Ein gutes Patientenrechte- tenquittung. Wir halten es für sinnvoll, dass darin gesetz stärkt nicht nur die Rechte behandlungs- kurze und verständliche Informationen zu Diagnose, bedürftiger, zum Teil schwer kranker Menschen, es fördert auch die Qualitätsentwicklung des deutschen Therapie, weiteren Behandlungsempfehlungen und Gesundheitswesens. – Vielen Dank für Ihre Aufmerk- gegebenenfalls zu den verordneten Medikamenten samkeit. enthalten sind. Wir wollen die Position von Patientinnen und Pa- Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank! tienten in gerichtlichen und außergerichtlichen Ver- fahren verbessern. Dafür brauchen wir Regelungen Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. zur Beschleunigung und zur Beweislasterleichterung, Dann weise ich die Vorlage dem Gesundheitsaus- um die faktische Ungleichheit der Verhandlungspart- schuss – federführend – sowie dem Rechtsausschuss ner abzubauen. – mitberatend – zu. Eine verpflichtende Unterstützung von Versicher- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22: ten durch ihre Krankenkasse bei Verdacht auf Be- handlungsfehler sollte die bisher bestehende Kann- Entwurf eines Gesetzes zur bestätigenden Re- Regelung ersetzen. Nach den derzeitigen Vorgaben gelung verschiedener steuerlicher und ver- des § 66 SGB V können die Kassen eine solche Un- kehrsrechtlicher Vorschriften des Haushalts- terstützung schon heute leisten. Da dies aber nur ein- begleitgesetzes 2004 (Drucksache 583/10) Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 417 Präsidentin Hannelore Kraft (A) (C) Wortmeldungen liegen nicht vor. – Eine Erklärung destpreis nach dem durchschnittlichen Börsenkurs zu Protokoll*) hat Herr Minister Professor der letzten drei Monate richtet. Nach Abschluss des Dr. Reinhart (Baden-Württemberg) abgegeben. Übernahmeangebotes gibt es keinen Anspruch der verbliebenen Aktionäre mehr auf eine faire und Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- transparente Preisgestaltung bei einem weiteren fehlungen vor. Ausbau der Beteiligung durch den Bieter. Wer ist für Ziffer 1? – Das ist die Mehrheit. Die Ergänzung des Übernahmerechts, die wir vor- Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf schlagen wollen, besagt demgegenüber: Wer die Stellung genommen. Kontrollschwelle von 30 % der Stimmrechtsanteile überschritten hat, aber nicht mehr als 50 % hält, ist Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 23: verpflichtet, jeweils dann den Aktionären ein neues Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Anle- Übernahmeangebot zu unterbreiten, wenn er inner- gerschutzes und Verbesserung der Funktions- halb von zwölf Monaten 2 % hinzuerwirbt. Das ist fähigkeit des Kapitalmarkts (Anlegerschutz- übrigens Standard in fast allen EU-Ländern. und Funktionsverbesserungsgesetz) (Druck- Das einzuhaltende förmliche Verfahren führt damit sache 584/10) zu mehr Transparenz und Fairness und wirkt unan- Das Wort hat Herr Minister Voigtsberger (Nord- gemessener Preisgestaltung entgegen. Die Herbei- rhein-Westfalen). führung eines Kontrollwechsels, ohne zuvor den Ak- tionären ein angemessenes Angebot unterbreitet zu haben, dürfte künftig verhindert werden. Somit wirkt Harry Kurt Voigtsberger (Nordrhein-Westfalen): die Verpflichtung zu weiteren Pflichtangeboten der- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr artigen Übernahmekonzepten entgegen und fördert Hintze ist nicht mehr anwesend; dennoch möchte ich von vornherein faire Übernahmeangebote. mich bei der Bundesregierung bedanken, da sie in Weitsicht in Artikel 2 des Anlegerschutz- und Funk- Die vorgesehene Regelung ist ausgewogen: Ein tionsverbesserungsgesetzes eine Änderung des Wert- weiteres Pflichtangebot wird erst fällig bei einem Er- papiererwerbs- und Übernahmegesetzes eingefügt werb von 2 % innerhalb eines Jahres, erscheint aber hat. Dies ermöglicht es uns, Ihnen heute ein Anlie- bei einem Anteilsbestand von 50 % nicht mehr not- gen, das wir für ausgesprochen dringlich halten, vor- wendig. zustellen und auf den gesetzgeberischen Weg zu Der Vorschlag entspricht auch der Zielsetzung des bringen. Übernahmerechts, nämlich Rechtssicherheit bei Die aktuellen Auseinandersetzungen über die ge- Übernahmevorgängen im Interesse aller Beteiligten (B) plante Übernahme des Baukonzerns Hochtief AG ha- zu erhöhen und gleichzeitig den Schutz der Minder- (D) ben deutlich gemacht, dass die geltenden Regelun- heitsaktionäre zu gewährleisten. gen des deutschen Übernahmerechts im Vergleich Ich möchte besonders darauf hinweisen, dass zu zur Rechtslage in anderen EU-Mitgliedstaaten unzu- den Beteiligten auch die Arbeitnehmerinnen und reichenden Schutz vor feindlicher Übernahme bie- Arbeitnehmer der jeweiligen Zielunternehmen ge- ten. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hält hören. Die Dramaturgie feindlicher Übernahmen es für dringend geboten, diese Schutzlücke zu schlie- wird in der Wirtschaftspresse meist sehr abstrakt dar- ßen. Dazu schlagen wir eine Ergänzung des Wert- gestellt, aber eigentlich geht es um die wirtschaftli- papiererwerbs- und Übernahmegesetzes vor. che Existenz sehr vieler Menschen, die betroffen Die bisherigen Vorschriften besagen: Wenn ein sind, je nachdem, welche Ergebnisse die Übernahme Bieter – auf freiwilliger Basis – ein Übernahmeange- zeitigt. Gerade für die Arbeitnehmerinnen und Ar- bot abgegeben und in diesem Verfahren einen beitnehmer möchten wir Transparenz und rechtssi- Stimmrechtsanteil von mehr als 30 % an einem Un- chere Verhältnisse schaffen. ternehmen erworben hat, kann er beliebig Anteile Insgesamt heben wir mit dieser Regelung das deut- hinzuerwerben, ohne zu weiteren förmlichen Über- sche Recht auf das Schutzniveau anderer EU-Mit- nahmeangeboten verpflichtet zu sein. Bei diesem gliedstaaten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sachverhalt entfällt das bei Erreichen der Kontroll- Viele EU-Mitgliedstaaten haben, wenn auch mit un- schwelle von 30 % sonst fällige Pflichtangebot an die terschiedlicher Ausgestaltung im Einzelnen, ver- Aktionäre einer Gesellschaft. Dadurch ist es möglich gleichbare Bestimmungen für den wirksamen Schutz und ganz legal, den mit dem Pflichtangebot beab- der Minderheitsaktionäre. sichtigten Schutz der übrigen Aktionäre zu unterlau- fen. Ich kann Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Die Regierung Großbritanniens verstärkt den Schutz der Die Aktionäre sind zunächst einem Übernahmever- dortigen Unternehmen vor feindlichen Übernahmen. fahren ausgesetzt, das der Bieter auf Grund strategi- Das alte Übernahmerecht war schon deutlich schär- scher Überlegung eingeleitet hat und in dem sie fer als das deutsche. Wenn ich mich richtig erinnere, möglicherweise einen Preis unterhalb des aktuellen gibt es in Großbritannien zurzeit eine konservativ- Börsenkurses akzeptieren müssen, da sich der Min- liberale Regierung. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Mit Protek- *) Anlage 8 tionismus hat unser Vorschlag nichts zu tun. Im Ge- 418 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Harry Kurt Voigtsberger (Nordrhein-Westfalen) (A) (C) genteil, wir sorgen für wirksamen Aktionärsschutz Damit hat der Bundesrat, wie soeben beschlossen, und dafür, dass die deutschen Unternehmen gegen- Stellung genommen. über den europäischen Konkurrenten keinen Nach- teilen ausgesetzt sind. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Be- abschließend hinzufügen, dass ich heute Morgen schäftigtendatenschutzes (Drucksache 535/10, nochmals mit dem Vorstand von Hochtief telefoniert zu Drucksache 535/10) habe. Er appelliert, ja er bittet noch einmal darum, Drei Wortmeldungen liegen vor. Es beginnt Frau sich für den Schutz des Unternehmens mit 11 000 Ar- Ministerin Professor Kolb (Sachsen-Anhalt). beitsplätzen allein in Deutschland einzusetzen. Die- sem Appell möchte ich mich anschließen und ihn an Sie weitergeben. Herr Hintze hat soeben gesagt, Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt): Frau Präsi- Deutschland schaue auf Gorleben. Ich kann Ihnen dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! sagen: 70 000 Menschen schauen gerade weltweit Telekom, Lidl – das sind Unternehmen, die in der auf uns. Enttäuschen Sie sie nicht! – Vielen Dank. jüngsten Vergangenheit Synonym für Datenskan- dale waren. Sie zeigen, wie wichtig klare gesetzliche Regelungen zum Schutz der Daten von Arbeitnehme- Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr rinnen und Arbeitnehmern sind. Minister Voigtsberger! Telefon- oder Videoüberwachung, unzulässige Eine Erklärung zu Protokoll*) gibt Herr Staats- ärztliche Untersuchungen vor Begründung eines Ar- minister Boddenberg (Hessen) ab. beitsverhältnisses oder das bloße Sammeln von Infor- Meine Damen und Herren, wir kommen zur Ab- mationen über Mitarbeiter – die Führungsspitzen ei- stimmung über die Ausschussempfehlungen sowie niger Unternehmen in Deutschland waren und sind über einen Landesantrag. nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel zur Überwa- chung der Beschäftigten. Selten war das Bedürfnis Zunächst zur Einzelabstimmung über die Empfeh- nach einem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- lungen! mer schützenden Eingreifen des Gesetzgebers so Auf Wunsch eines Landes stimmen wir über den dringend erkennbar. Buchstaben b in Ziffer 2 getrennt ab. Millionen abhängig Beschäftigte in Deutschland Wer ist für Ziffer 2 Buchstabe b? – Mehrheit. sind nicht frei in der Frage, wem sie ihre persönli- chen Daten anvertrauen. Sie müssen sich ihrem Ar- Bitte die übrigen Buchstaben der Ziffer 2! – Mehr- beitgeber sehr weitgehend offenbaren und darauf heit. (B) zählen können, dass er die Angaben nur im betrieb- (D) Ziffer 4! – Minderheit. lich erforderlichen Umfang erhebt und sorgfältig mit ihnen umgeht. Weil dieses Vertrauen in jüngster Ver- Ziffer 5! – Mehrheit. gangenheit erheblich missbraucht worden ist, wie Ziffer 7! – Mehrheit. bereits erwähnt, und Wiederholungen nicht ausge- schlossen sind, muss der Gesetzgeber umgehend Ziffer 8! – Mehrheit. klare Regelungen aufstellen. Er muss einen verlässli- Ziffer 9! – Mehrheit. chen Handlungsrahmen vorgeben und dadurch die Beschäftigten, aber auch die Arbeitgeber schützen. Ziffer 10! – Mehrheit. Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Wir ziehen Ziffer 24 vor. Bitte das Handzeichen für Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Beschäftig- Ziffer 24! – Mehrheit. tendatenschutzes einen leider nur ansatzweise er- Ziffer 12! – Mehrheit. folgversprechenden Versuch unternommen, die Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser vor Ziffer 13! – Mehrheit. Missbrauch zu schützen. Angesichts des fortgeschrit- Damit entfällt Ziffer 16. tenen parlamentarischen Verfahrens ist es müßig, sie dafür zu kritisieren, es unterlassen zu haben, den Ziffer 14! – Mehrheit. Arbeitnehmerdatenschutz in einem eigenständigen Damit entfällt Ziffer 15. Gesetz zu regeln. Dass das ein Fehler ist, merkt man dem Entwurf deutlich an. Mehrere Ausschüsse rügen Wir kommen zu dem Landesantrag in Drucksache übereinstimmend seine mangelnde Lesbarkeit und 584/2/10. Wer ist dafür? – Minderheit. Handhabbarkeit. Es gilt zu bedenken: Die direkt be- Zurück zu den Ausschussempfehlungen: troffenen Anwender sind juristische Laien. Unterneh- mer erwarten zu Recht möglichst wenig Bürokratie, Ziffer 17! – Mehrheit. klare, verständlich formulierte Normen und einen rechtssicher gestalteten Anwendungsbereich. Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Die fast 50 Änderungsvorschläge der Ausschüsse des Bundesrates zeigen die Defizite des Gesetzent- wurfs auf. Ich hoffe, dass im Bundestag auf der *) Anlage 9 Grundlage dieser Vorschläge Verbesserungen er- Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 419 Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt) (A) (C) reicht werden können. Beispielhaft möchte ich her- Das Fazit kann nur sein: Wir brauchen ein klares, vorheben: verständliches und deshalb eigenständiges Daten- schutzgesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Fragen des Arbeitgebers nach einer Schwanger- mer, das auch das rechtssichere Handeln der Arbeit- schaft sind grundsätzlich unzulässig. Deshalb gibt es geber bestimmt. Deshalb werbe ich für die gleich mehrere Änderungsvorschläge dazu, wie vorliegenden Ausschussempfehlungen. – Herzlichen Schwangere umfassend geschützt werden können. Dank. Die vorgeschlagene Ergänzung des § 32 Absatz 2 Bundesdatenschutzgesetz um das Wort „Schwanger- schaft“ dient dem Persönlichkeitsschutz der Frauen. Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Frau In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Ministerin Professor Kolb! Rechtsprechung sollen Fragen danach grundsätzlich Der nächste Redner ist Herr Senator Dr. Steffen ausgeschlossen sein. Da eine Schwangerschaft nicht (Hamburg). zweifelsfrei unter „Gesundheit“ zu subsumieren ist, ist zum Schutz der Beschäftigten die klarstellende Aufnahme dieses Begriffs in die Vorschrift geboten. Dr. Till Steffen (Hamburg): Sehr geehrte Frau Präsi- dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Darüber hinaus ist die Ausübung einer ehrenamtli- Schaffung einer umfassenden gesetzlichen Regelung chen Tätigkeit der Bürger zu schützen. Zu leicht für den Arbeitnehmerdatenschutz ist ein wichtiger kann der Arbeitgeber versucht sein, Daten von Be- und richtiger Schritt. Durch klarere gesetzliche Rege- werbern über ein die Arbeitszeit möglicherweise tan- lungen soll die Rechtssicherheit für Arbeitgeber und gierendes gesellschaftliches Engagement zu ermit- Beschäftigte erhöht werden. Hierbei sollen der teln und negative Schlüsse zu ziehen. Die besonders Schutz der Beschäftigten vor unrechtmäßiger Erhe- zu fördernde Bereitschaft von Bürgerinnen und Bür- bung und Verwendung ihrer personenbezogenen gern, sich ehrenamtlich für die Gemeinschaft einzu- Daten einerseits und das Informationsinteresse des setzen, könnte hierunter leiden. Arbeitgebers andererseits zu einem Ausgleich ge- bracht werden. Ein weiterer Änderungsvorschlag betrifft § 32e des Entwurfs. Der Arbeitgeber soll zur Aufdeckung und Dieses Ziel wird im Gesetzentwurf der Bundesre- Verhinderung von Straftaten und anderen schwer- gierung allerdings nicht in allen Punkten erreicht. wiegenden Pflichtverletzungen im Beschäftigungs- Die Vielzahl der Ziffern der Strichdrucksache zeigt, verhältnis Daten ohne Kenntnis des Beschäftigten er- dass sich in den Beratungen auch vielfältiger Ände- heben dürfen. Interessant ist die Begründung: Wenn rungsbedarf ergeben hat. sich ein Verdacht gegen ein Mitglied einer Gruppe Um im Verfahren Antragstellungen zu bündeln, ha- (B) von Beschäftigten richtet, ist jeder, der zu der Gruppe ben sich die Länder im Vorfeld von Ausschusssitzun- (D) gehört, betroffen. Diese Regelung beeinträchtigt gen auf Einladung von Hamburg koordiniert. Ich nicht nur die unverdächtigen Gruppenmitglieder in möchte den Ländern für die sehr konstruktiven Ge- ihren Rechten. Sie kann auch ohne weiteres miss- spräche danken. braucht werden; denn der Arbeitgeber wird von der sorgfältigen Sachverhaltsermittlung, der umfassen- Lassen Sie mich auf die wesentlichen Änderungs- den Prüfung und der Konkretisierung verdächtiger bedarfe hinweisen! Tatsachen auf einzelne Beschäftigte faktisch befreit, Thema Massenscreening: Der Gesetzentwurf soll sofern er den Verdacht auf eine von ihm gegebenen- es ermöglichen, anlassunabhängig zur Aufdeckung falls willkürlich festgelegte Gruppe bezieht. von Straftaten oder anderen schwerwiegenden So weit darf der verständliche Wunsch nach Auf- Pflichtverletzungen einen automatisierten Abgleich klärung von Straftaten, Korruptionsbekämpfung oder von Beschäftigtendaten in anonymisierter oder pseu- Verhinderung von Wirtschaftsspionage nicht gehen. donymisierter Form durchzuführen. Bei Vorliegen ei- Bereits der Wortlaut der Vorschrift deckt die überaus nes Verdachtsfalls sollen die Daten dann personali- weite Gesetzesbegründung nicht. Eine pauschale siert werden dürfen. Dadurch soll insbesondere die Ausweitung der verdeckten Datenerhebung auf Be- Korruptionsbekämpfung erleichtert werden. schäftigtengruppen ist nicht erforderlich und nicht Dieses Vorhaben wird aus datenschutzrechtlicher angemessen. Dem Arbeitgeber ist es zum Schutz sei- Sicht vielfach kritisiert: Das vorgesehene Verfahren ner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zum Erhalt ermögliche einen dauerhaften Datenabgleich. Da- des Betriebsfriedens zuzumuten, die Tatsachen so zu durch werden Missbräuche geradezu herausgefor- konkretisieren, dass sie sich auf einzelne Beschäf- dert. So ist es bei kleinen und mittleren Unternehmen tigte beschränken lassen. Erst dann darf er in ihre häufig höchst fraglich, ob eine wirksame Anonymi- Rechte eingreifen. sierung überhaupt möglich ist. Beschäftigtendaten werden so aus präventiven Gründen einer dauerhaf- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich ten Gefährdung preisgegeben. Die Datenschutzskan- könnte eine Vielzahl weiterer Dinge kritisieren. Ich dale etwa bei der Deutschen Bahn AG werden auf möchte auf die Ihnen vorliegende Stellungnahme diese Weise nachträglich gesetzgeberisch gebilligt. der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder verweisen, die ebenfalls zu dem Ergebnis ge- Unter Ziffer 28 wird deshalb darauf abgestellt, das langt sind, dass dringender Nachbesserungsbedarf Screening-Verfahren in zweierlei Hinsicht maßgeb- besteht. lich einzuschränken: 420 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Dr. Till Steffen (Hamburg) (A) (C) Zum einen sollen im Gegensatz zum Entwurf der onelle Selbstbestimmung dar. Sie wird im Gesetzent- Bundesregierung schwerwiegende Pflichtverletzun- wurf zu zahlreichen Zwecken bereits zugelassen. Die gen nicht mehr genügen, um ein solches Vorgehen dauerhafte offene Videobeobachtung von Beschäftig- zu rechtfertigen. Stattdessen sollen tatsächliche An- ten geht aber zu weit. Einziges vorgesehenes daten- haltspunkte für eine in dem Betrieb des Arbeitgebers schutzrechtliches Korrektiv ist die erforderliche Ab- begangene Straftat vorliegen müssen. wägung, ob die schutzwürdigen Interessen der Beschäftigten am Ausschluss der Datenerhebung Schließlich soll ausdrücklich aufgenommen wer- überwiegen. Auch hier gibt es bereits Rechtspre- den, dass das Screening-Verfahren nur in solchen chung und Grenzsetzungen, die aus unserer Sicht Fällen durchgeführt werden darf, in denen die Maß- bestätigend festgehalten werden sollten. Insoweit nahme zur Erreichung des Zwecks im Hinblick auf sollte klargestellt werden, dass die dauerhafte Über- den konkreten Anlass verhältnismäßig ist – eigent- wachung eines Arbeitsplatzes grundsätzlich ausge- lich eine Selbstverständlichkeit. schlossen ist. Ich habe die Sorge, dass es trotz solcher Ebenfalls soll klarstellend festgeschrieben werden, klarstellenden Regelungen in der Praxis oft zu dauer- dass nur die den konkreten Verdachtsfall betreffen- haften Videoüberwachungen kommt. den Daten personalisiert werden dürfen. Schließlich sind unter den Ziffern 18, 19 und 27 der Wir sind der Auffassung, dass das Screening von Strichdrucksache Regelungen enthalten, die der Mitarbeitern auf Ausnahmefälle beschränkt werden Transparenz des Datenschutzrechts dienen sollen. muss. Der Beschäftigte soll in die Lage versetzt werden, in- Zweites Thema: betriebsinternes Abhilfeverfah- formiert und selbstbestimmt über den Umgang des ren, Ziffer 45 der Strichdrucksache. Arbeitgebers mit seinen Daten zu entscheiden. Nach Auffassung der Bundesregierung soll sich ein Diesen Anträgen kommt hohe Bedeutung zu, weil Beschäftigter, wenn er Verstöße sieht, erst dann an der Gesetzentwurf Datenerhebungs- oder -verarbei- die für die Datenschutzkontrolle zuständige Behörde tungsvorgänge an verschiedenen Stellen von der wenden dürfen, wenn der Arbeitgeber einer entspre- Einwilligung des Betroffenen abhängig macht. Das chenden Beschwerde des Beschäftigten nicht abhilft. ist insoweit problematisch, als zwischen dem Arbeit- Damit wird die Rechtslage für den Arbeitnehmer we- geber und dem Arbeitnehmer und besonders dem sentlich verschlechtert. Bislang kann er sich immer Bewerber um einen Arbeitsplatz ein immanentes direkt an den staatlichen Datenschutzbeauftragten strukturelles Ungleichgewicht besteht. Vielfach wird wenden. Er müsste sich künftig im Konfliktfall zu- der Beschäftigte allein deshalb die von ihm verlangte nächst an seinen Arbeitgeber wenden, was häufig Einwilligung erteilen, um sein berufliches Fortkom- eine abschreckende Wirkung entfalten dürfte; denn men oder seine Chancen im Bewerbungsverfahren (B) er wird sich Sorgen um Nachteile im Rahmen der nicht zu gefährden. Will man entsprechende Erhe- (D) weiteren Beschäftigung machen. Seine Entschei- bungsvorgänge nicht gänzlich ausschließen, was den dung, ob er sich an die zuständige Kontrollstelle praktischen Erfordernissen des Wirtschaftslebens wi- wendet, wird davon erheblich beeinflusst. Viele be- derspräche, so ist die Transparenz zu Gunsten des gründete Hinweise werden die Kontrollstellen nicht Beschäftigten zu erhöhen. mehr erreichen – nicht weil innerbetrieblich alles ge- regelt wurde. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, den von mir angesprochenen Ziffern der vorliegen- Im Interesse eines wirksamen Beschäftigtendaten- den Strichdrucksache zuzustimmen – im Sinne eines schutzes kann die Verpflichtung zur Durchführung effektiven und modernen Beschäftigtendatenschut- eines vorgeschalteten internen Abhilfeverfahrens zes, der die Interessen wirksam zum Ausgleich deshalb nicht hingenommen werden. Der deutsche bringt. – Vielen Dank. Gesetzgeber setzt sich mit dieser Regelung im Übri- gen auch in Widerspruch zu geltendem Europarecht. Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank, Herr Eine weitere Sorge in diesem Zusammenhang ist, Senator! dass die direkte Ansprache eines staatlichen Daten- schutzbeauftragten dem Arbeitnehmer als Pflichtver- Letzte Wortmeldung: Herr Parlamentarischer letzung ausgelegt werden könnte. Derjenige, der Staatssekretär Dr. Schröder (Bundesministerium des sich im Sinne des Datenschutzes einsetzt, kann sich Innern). hier also auch noch erhebliche Nachteile aufhalsen. Das wäre sicherlich ausgesprochen kontraproduktiv. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dritter Punkt: der grundsätzliche Ausschluss dau- desminister des Innern: Sehr geehrte Frau Präsiden- erhafter Videoüberwachung am Arbeitsplatz. Der tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 35 Mil- Rechtsausschuss hat unter Ziffer 39 die Empfehlung lionen Beschäftigte haben wir in Deutschland – ausgesprochen, dass eine dauerhafte Beobachtung 35 Millionen Menschen, für die der Arbeitsplatz nicht von Beschäftigtenarbeitsplätzen mit optisch-elektro- nur Broterwerb bedeutet, sondern auch Lebensum- nischen Einrichtungen – die offene Videoüberwa- feld, vielfach Lebensmittelpunkt. Am Arbeitsplatz chung – grundsätzlich unzulässig sein soll. findet nicht nur Arbeit statt, sondern natürlich auch Die Videoüberwachung von Arbeitsplätzen stellt Privates. Deshalb ist der Datenschutz in diesem Be- einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informati- reich von großer Bedeutung. Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 421 Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder (A) (C) Bisher gab es dafür keine Regelung, sondern nur Der Entwurf sieht strenge Voraussetzungen für die eine Allgemeinklausel. Viele Regierungen haben in Erhebung von Daten ohne Kenntnis des Beschäftig- den letzten Jahrzehnten versucht, ein Gesetz auf den ten vor. Weg zu bringen. Diese Regierung hat es jetzt ge- Die heimliche Videoüberwachung wird ausdrück- schafft, das schwierige Spannungsverhältnis, das wir lich verboten. Hier geht der Gesetzentwurf über die hier zum Ausgleich bringen – die berechtigten Inter- bisherige Rechtsprechung weit hinaus. der Beschäftigten an Datenschutz und die be- trieblichen Notwendigkeiten –, gesetzlich zu kodifi- Das Gleiche gilt für Betriebsvereinbarungen. Sie zieren. sind nach dem Gesetzentwurf nur möglich, wenn sie eine Veränderung zu Gunsten des Arbeitnehmers Dem Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeit- darstellen. Bisher waren Betriebsvereinbarungen nehmer ist die Notwendigkeit der Kontrolle gera- auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers möglich, aber dezu immanent, auch um der Verpflichtung gegen- die Grundsätze des Datenschutzes mussten beachtet über Dritten, etwa Kunden, gerecht zu werden. Um werden. Dies hat die schwierige Frage aufgeworfen, die Qualität von Produkten sicherzustellen, um Kun- was den Grundsätzen des Datenschutzes überhaupt den eine Rechnung schreiben zu können, müssen entspricht. Daten erhoben werden, muss man wissen, wie lange Wir sorgen für Rechtsklarheit – genau das, was wir der Arbeitnehmer an der Arbeitsstätte war. mit dem Gesetzentwurf erreichen wollen. Wir schaf- fen den notwendigen Ausgleich zwischen den Inte- Es geht aber auch um Pflichten gegenüber der All- ressen des Arbeitnehmers und der Notwendigkeit, gemeinheit, z. B. im Bereich der Korruptionsbe- dass auch der Unternehmer seinen Verpflichtungen kämpfung, ein für uns alle wichtiges Thema. Gefah- gerecht wird. ren müssen abgewendet werden, etwa bei Anlagen. Strengste Hygienevorschriften, gerade im Lebens- Es gibt natürlich viel Kritik, die aber vor allem von mittelbereich, müssen eingehalten werden. Einzelinteressen geleitet ist. Die Ausschussberatun- gen haben gezeigt, dass die Länder den Gesetzent- Im Verhältnis zwischen Arbeitnehmerinnen und wurf im Grundsatz mittragen. Arbeitnehmern selbst geht es darum, dass der Unter- Lassen Sie uns die Diskussion weiter konstruktiv nehmer auch Schutzpflichten erfüllt, etwa bei Stal- führen! king oder Diebstählen.

Dem Arbeitgeber, dem Unternehmer muss es auch Präsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank! möglich sein, Spionage abzuwehren. Eine Erklärung zu Protokoll*) hat Minister Dr. Poppenhäger (Thüringen) abgegeben. (B) Es ist nicht einfach, dieses Spannungsverhältnis (D) zum Ausgleich zu bringen. Die Antwort auf einen Zur Abstimmung stehen die Ausschussempfehlun- Korruptionsskandal darf kein Datenschutzskandal gen sowie ein Antrag Berlins. sein. Korruptionsbekämpfung und Datenschutz sind in Einklang zu bringen. Deshalb ist es weiter notwen- Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: dig, dass zumindest stichprobenartige Kontrollen er- Ziffer 1 der Ausschussempfehlungen! – Minderheit. laubt sind. Zur Korruptionsbekämpfung muss auch der Datenabgleich möglich sein, wenn er in pseudo- Ziffer 2! – Mehrheit. nymisierter oder anonymisierter Form erfolgt. In dem Ziffer 5! – Minderheit. Gesetzentwurf ist ausdrücklich geregelt, dass eine Auf Wunsch eines Landes stimmen wir über Zif- Personalisierung nur dann vorgenommen werden fer 3 Buchstabe d getrennt ab. darf, wenn ein Treffer – ein Korruptionsverdacht – vorhanden ist. Zunächst bitte das Handzeichen zu Ziffer 3 ohne Buchstabe d! – Mehrheit. Nächster schwieriger Bereich: die Internetrecher- Nun Ziffer 3 Buchstabe d! – Mehrheit. che des Arbeitgebers. Wie weit darf das Informa- tionsinteresse des Arbeitgebers bei der Einstellung Ziffer 10! – Mehrheit. eines neuen Mitarbeiters gehen? Das Internet ver- Ziffer 11! – Mehrheit. gisst nichts, und die Bewerber können sich gegen- über falschen Tatsachen, Behauptungen, Verun- Ziffer 14! – Minderheit. glimpfungen im Internet kaum wehren. Ziffer 15! – Minderheit. Wir haben daher festgelegt, dass zum Schutz der Zum Antrag Berlins! Wer stimmt zu? – Minderheit. Bewerber Informationen aus Kommunikationsnetzen Aus den Ausschussempfehlungen: wie Facebook und ähnlichen sozialen Netzwerken, in denen man Mitglied sein muss, nicht verwendet Ziffer 17! – Mehrheit. werden dürfen. Ausnahmen sind Bewerbungsportale, Ziffer 19! – Mehrheit. die gerade dazu dienen, berufliche Qualifikationen ins Internet zu stellen, beispielsweise Xing. Allge- Ziffer 21! – Minderheit. mein zugängliche Quellen sollen genutzt werden können, wenn das Unternehmen in der Annonce da- rauf hingewiesen hat. *) Anlage 10 422 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 Präsidentin Hannelore Kraft (A) (C) Ziffer 22! – Minderheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 29: Ziffer 24! – Mehrheit. Vorschlag für einen Beschluss des Europäi- schen Parlaments und des Rates über das erste Ziffer 26! – Mehrheit. Programm für die Funkfrequenzpolitik (Druck- Ziffer 28! – Mehrheit. sache 565/10) Ziffer 31! – Mehrheit. Es liegen keine Wortmeldungen vor. Ziffer 32! – Mehrheit. Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- empfehlungen. Ich rufe auf: Ziffer 33! – Minderheit. Ziffer 8! – Mehrheit. Ziffer 35! – Mehrheit. Ziffer 9! – Mehrheit. Ziffer 37! – Mehrheit. Damit entfällt Ziffer 10. Ziffer 39! – Minderheit. Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten Ziffer 43! – Mehrheit. Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Ziffer 46! – Minderheit. Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung Bitte das Handzeichen zu allen noch nicht erledig- genommen. ten Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 31: Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung Mitteilung der Kommission an das Europäische genommen. Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt- (Staatssekretär Dr. Thomas Freund [Meck- schafts- und Sozialausschuss und den Aus- lenburg-Vorpommern]: Frau Präsidentin, schuss der Regionen: „Jugend in Bewegung“ – ich bitte um Wiederholung der Abstimmung Eine Initiative zur Freisetzung des Potenzials über Ziffer 11!) junger Menschen, um in der Europäischen Union intelligentes, nachhaltiges und integrati- Ich darf um das Handzeichen zu Ziffer 11 bitten. – ves Wachstum zu erzielen (Drucksache 561/10) Das ist die Mehrheit. Keine Wortmeldungen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 27: Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- empfehlungen. schen Parlaments und des Rates über Leer- (B) verkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Auf Wunsch eines Landes wird über die Absätze 1 (D) Default Swaps (Drucksache 562/10, zu Druck- und 2 der Ziffer 12 getrennt abgestimmt. Ich rufe da- sache 562/10) her zunächst auf: Es liegen keine Wortmeldungen vor. – Eine Erklä- Ziffer 12 Absatz 1! – Mehrheit. ) rung zu Protokoll* abgegeben hat Staatsminister Bitte das Handzeichen für Ziffer 12 Absatz 2! – Boddenberg (Hessen). Mehrheit. Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- Wir fahren fort mit Ziffer 18. – Mehrheit. empfehlungen und einen Antrag des Landes Baden- Württemberg. Ziffer 20! – Mehrheit. Wir beginnen mit den Ausschussempfehlungen. Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten Ich rufe auf: Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Ziffer 2! – Minderheit. Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung genommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Landes- antrag in Drucksache 562/2/10. Bitte das Handzei- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34: chen! – Minderheit. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Wir fahren fort mit den Ausschussempfehlungen. Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ich bitte um das Handzeichen für: einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (Neufassung) (Drucksache 564/10, zu Druck- Ziffer 4! – Minderheit. sache 564/10) Ziffern 7 und 9 gemeinsam! – Mehrheit. Keine Wortmeldungen. Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. empfehlungen. Ich rufe auf: Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung Ziffer 5! – Mehrheit. genommen. Ziffer 9! – Mehrheit. Ich bitte um Ihr Handzeichen für alle noch nicht er- *) Anlage 11 ledigten Ziffern. – Mehrheit. Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 423 Präsidentin Hannelore Kraft (A) (C) Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung schafts- und Sozialausschuss und den Aus- genommen. schuss der Regionen: Regionalpolitik als Bei- trag zum intelligenten Wachstum im Rahmen Tagesordnungspunkt 37: der Strategie Europa 2020 (Drucksache 629/10) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt- Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- schafts- und Sozialausschuss und den Aus- empfehlungen. Ich rufe auf: schuss der Regionen: Strategie für die Gleich- Ziffer 13! – Mehrheit. stellung von Frauen und Männern 2010 – 2015 (Drucksache 575/10) Bitte Ihr Handzeichen für die noch nicht erledigten Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- empfehlungen. Ich rufe auf: Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung Ziffer 5! – Mehrheit. genommen. Ziffer 8! – Mehrheit. Tagesordnungspunkt 43: Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten Zweiundzwanzigste Verordnung zur Änderung Ziffern! – Mehrheit. der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (Drucksache 578/10) Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genom- men. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt, der Verord- Tagesordnungspunkt 38: nung zuzustimmen. Mitteilung der Kommission an das Europäische Es liegt außerdem ein gemeinsamer Antrag Bay- Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt- erns und Baden-Württembergs vor. Wer stimmt die- schafts- und Sozialausschuss und den Aus- sem Antrag zu? – Das ist eine Minderheit. schuss der Regionen: Leitinitiative der Strate- Minister Professor Reinhart (Baden-Württemberg) gie Europa 2020 – Innovationsunion gibt für Frau Ministerin Dr. Stolz eine Erklärung zu (Drucksache 616/10) Protokoll*) ab. Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- empfehlungen. Ich rufe auf: Dann frage ich, wer der Verordnung ohne Ände- rungen zuzustimmen wünscht. – Das ist die Mehr- Ziffer 6! – Mehrheit. heit. Ziffer 7! – Mehrheit. (B) Damit ist so beschlossen. (D) Ziffer 15! – Mehrheit. Meine Damen und Herren, die nächste Sitzung des Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten Bundesrates berufe ich ein auf Freitag, den 26. No- Ziffern! – Mehrheit. vember 2010, 9.30 Uhr. Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung Die Sitzung ist geschlossen. – Vielen Dank! genommen. (Schluss: 12.28 Uhr) Wir kommen zu Punkt 39: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt- *) Anlage 12 424 Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) Beschlüsse im vereinfachten Verfahren (§ 35 GO BR)

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, Rat: Meereskenntnisse 2020 – Meeresbeobachtung und Meeres- den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus- daten für intelligentes und nachhaltiges Wachstum schuss der Regionen: Chancen und Herausforderungen der Digitali- sierung für das europäische Kino (Drucksache 549/10) Ausschusszuweisung: EU – AV – K – U – Wi (Drucksache 594/10) Beschluss: Kenntnisnahme Ausschusszuweisung: EU – K – Wi

Beschluss: Kenntnisnahme

Feststellung gemäß § 34 GO BR Einspruch gegen den Bericht über die 875. Sitzung ist nicht eingelegt worden. Damit gilt der Bericht ge- mäß § 34 GO BR als genehmigt.

(B) (D) Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 425*

(A) (C) Anlage 1 5 % hinaus auf mindestens 10 % den Vorhalt eines nationalen Alleingangs mit der Gefahr eines schwe- Erklärung ren Wettbewerbsnachteils für den Finanzplatz Deutschland gefallen lassen. Ein solcher Wettbe- von Staatsminister Michael Boddenberg werbsnachteil konnte jedoch auf Initiative Hessens (Hessen) – zumindest vorerst – verhindert werden. Das im Ver- zu Punkt 2 der Tagesordnung mittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat er- zielte Ergebnis sieht zwar die Einführung eines Die diskutierten Regelungen zum Selbstbehalt bei Selbstbehalts bei Verbriefungstransaktionen in Höhe Verbriefungstransaktionen stehen im Kontext der von mindestens 10 % vor, aber erst zu einem späte- Maßnahmen zur Bewältigung der jüngsten Finanz- ren Zeitpunkt, nämlich zum 1. Januar 2015. krise. Die andauernde Aufarbeitung dieser globalen Krise hat gezeigt, dass die „Umverpackung“ von Bedeutsamer für die Schaffung eines stabileren Krediten in handelbare Finanzprodukte in der bishe- Finanzsystems bei Erhaltung gleicher Wettbewerbs- rigen Art und Weise für das Entstehen der Krise zu- bedingungen für die Finanzinstitute innerhalb der mindest mitursächlich war. Die „Umverpackung“ EU ist aber die Erklärung der Bundesregierung, sich fraglicher Kredite und die gänzliche Weitergabe der auf europäischer Ebene für die Verankerung der hö- „verpackten“ Risiken an die Anleger hat wesentlich heren Selbstbehaltsgrenze in Höhe von mindestens zur Instabilität des Finanzsystems beigetragen. 10 % einzusetzen. Für den Fall, dass dies bis 18 Mo- nate vor Ablauf der Übergangsfrist nicht gelingt, Mit Blick auf die Schaffung eines stabileren und sieht der Vermittlungsvorschlag vor, dass das Bun- robusteren Finanzsystems begrüße ich die Einfüh- desministerium der Finanzen eine Bewertung der rung von Regelungen, die die gegenläufigen Inte- Marktsituation durchführt, auf deren Grundlage die ressen von Emittenten einerseits und Anlegern ande- Bundesregierung dann über eine gesetzliche Ände- rerseits bei der Kreditverbriefung miteinander in rung der Höhe des Selbstbehalts entscheidet. Einklang bringen sollen. Um zu gewährleisten, dass die Anbieterseite das Risiko aus fraglichen Krediten Mit dem skizzierten Vermittlungsergebnis konnte erst gar nicht in wenig substanzhaltigen Finanzpro- – wenn auch „nur“ vorerst – eine nationale „Insel- dukten bündelt, verbrieft und dann in vollem Um- lösung“ gestoppt werden. Die Einführung eines über fang an die Anleger zu Lasten der Stabilität des ge- die EU-Vorgabe hinausgehenden Selbstbehaltes im samten Finanzsystems weitergibt, wurde zu Recht Wege eines nationalen und unabgestimmten Allein- der Ansatz gewählt, dass der Emittent einen signifi- ganges würde zu einem schweren Nachteil für den kanten Anteil an den der jeweiligen Verbriefung zu- Finanzplatz Deutschland im intensiven Wettbewerb grunde liegenden Aktiva und damit einen Teil des der europäischen Finanzzentren führen. Finanzinsti- Risikos selbst in seinen Büchern zurückbehalten tute könnten sich durch ein höheres Sicherheits- (B) muss. Den Anbietern wird auf diesem Wege ein An- niveau in Deutschland veranlasst sehen, ihre (D) reiz genommen, „faule“ Kredite zu verbriefen. Dies Geschäftstätigkeit und damit auch Arbeitsplätze dau- wirkt bereits im Vorfeld und stärkt das Bewusstsein erhaft an andere Finanzstandorte zu verlagern, um der Kreditwirtschaft für eine verantwortungsvolle ihre Gewinne zu erhalten oder gar zu steigern. Eine Kreditvergabe. stabilisierende Wirkung auf das Finanzsystem wäre mit einer solchen ausweichenden und umgehenden Um das Risiko von Kreditausfällen zu minimieren, Verlagerung aber nicht verbunden. Im Gegenteil: sind kreditvergebende Institute so zu einer sorgfälti- Durch eine Verlagerung aus Gründen der Gewinner- geren Bonitätsprüfung von Kreditnehmern angehal- haltung oder -maximierung könnten sich Risiken an ten. Die kontinuierliche Beteiligung der Anbieter- einem einzigen Finanzplatz konzentrieren. Dies birgt seite an ihren Finanzprodukten stellt nach meinem die Gefahr der Ausweitung zu einer europäischen Dafürhalten – im Vergleich zu einem vollständigen oder gar globalen Krise. Von der von Deutschland Verbot von Kreditverbriefungen – ein milderes, aber verfolgten Anhebung der Selbstbehaltsgrenze auf dennoch geeignetes Mittel zum Umgang mit den mindestens 10 % würden im Ergebnis hingegen alle hieraus resultierenden Risiken und zur Schaffung ei- Finanzplätze profitieren. nes stabileren und robusteren Finanzmarktes dar. Ein vollständiges Verbot von Kreditverbriefungen wäre Zugleich darf ich betonen, dass von dem erzielten widersinnig, da sie ein wichtiges Instrument für die Vermittlungsergebnis eine positive Signalwirkung zu Kapitalbeschaffung von kleinen und mittleren Unter- Gunsten eines stabileren Finanzsystems ausgeht. Mit nehmen sind. Funktionierende Verbriefungsmärkte dem Signal, dass sich Deutschland nach seiner Vor- wirken stabilisierend und wirtschaftsfördernd, in- reiterrolle auf nationaler Ebene auch auf europäi- dem sie möglichen Kreditklemmen vorbeugen. scher Ebene für ein höheres Schutzniveau bei Ver- briefungstransaktionen einsetzt, dokumentieren sich Angesichts des erheblichen Risikopotenzials von die Bereitschaft und der Wille, mehr als nur einen Kreditverbriefungen für die Stabilität des Finanz- Beitrag zur Schaffung eines stabileren Finanzsystems marktes können die Bemühungen um ein höheres Si- zu leisten. cherheitsniveau dem Grunde nach als positiv einge- In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den stuft werden. Hinweis, dass es auf Grund des verschärften Wett- Allerdings muss sich die im Gesetzesbeschluss des bewerbs zunehmend schwierig wird, europäisch ab- Deutschen Bundestages enthaltene Heraufsetzung gestimmte Lösungen zu erreichen, die dem Ziel der der Selbstbehaltsgrenze bei Verbriefungstransaktio- Stabilität des Finanzsystems dienen, aber zugleich na- nen über die europäische Vorgabe von mindestens tionalen Bestrebungen nach einem höheren Schutz- 426* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) niveau in ausreichendem Maße Rechnung tragen nanzbeiträge der Europäischen Union zum Inter- und dabei einem fairen Wettbewerb zwischen den nationalen Fonds für Irland (2007-2010) (Druck- Finanzplätzen nicht entgegenstehen. sache 618/10) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Normierung einer höheren Selbstbehaltsgrenze im Punkt 7 nationalen Alleingang keine stabilisierende Wir- Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundes-Im- kung hätte, sondern allein die Wettbewerbsbedin- missionsschutzgesetzes (Drucksache 622/10) gungen des deutschen Finanzstandortes gefährden würde. Die Finanzakteure könnten sich veranlasst Punkt 8 sehen, wegen der aus einem höheren Sicherheits- niveau resultierenden Mehrkosten in Deutschland Gesetz zu dem Änderungsprotokoll vom 21. Ja- auf ausländische Finanzstandorte und Handelsplatt- nuar 2010 zum Abkommen vom 11. April 1967 formen auszuweichen. Ein nationaler Alleingang zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Deutschlands wäre kontraproduktiv. dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung ver- schiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ein- Anlage 2 schließlich der Gewerbesteuer und der Grund- steuern sowie des dazugehörigen Schlussproto- kolls in der Fassung des Zusatzabkommens vom Erklärung 5. November 2002 (Drucksache 623/10) von Staatssekretär Dr. Hans Bernhard Beus (BMF) Punkt 9 zu Punkt 2 der Tagesordnung Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Februar 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Die Bundesregierung erklärt, eine Anpassung der der Arabischen Republik Syrien zur Vermeidung Richtlinie 2009/111/EG des Europäischen Parlaments der Doppelbesteuerung und Verhinderung der und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 302/ Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern 97 vom 17. November 2009) mit dem Ziel voranzu- vom Einkommen (Drucksache 624/10) bringen, den 10%igen Selbstbehalt für Verbriefungs- transaktionen auf EU-Ebene zu verankern. Sollte dies bis 18 Monate vor Ablauf der Übergangsfrist Punkt 10 nicht gelungen sein, wird das Bundesministerium der Gesetz zu dem Abkommen vom 23. Februar 2010 (B) Finanzen eine Bewertung der Marktsituation für Ver- zwischen der Bundesrepublik Deutschland und (D) briefungen durchführen. Dabei wird sich das Bun- Malaysia zur Vermeidung der Doppelbesteue- desministerium der Finanzen der fachlichen Unter- rung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung stützung der Deutschen Bundesbank und der BaFin auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen bedienen. Die Bewertung wird dem Deutschen Bun- (Drucksache 625/10) destag und dem Bundesrat zugänglich gemacht. Die Bundesregierung entscheidet unter Würdigung des Ergebnisses der Bewertung der volkswirtschaftlichen Punkt 11 Gesamtumstände nach Anhörung des Deutschen Gesetz zum Abkommen vom 25. Januar 2010 zwi- Bundestages, ob eine gesetzliche Änderung zur schen der Bundesrepublik Deutschland und der Höhe des Selbstbehalts erfolgen soll. Republik Bulgarien zur Vermeidung der Doppel- besteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 626/10) Anlage 3 Punkt 12 Umdruck Nr. 9/2010 Gesetz zu dem Abkommen vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der Vereinigten Königreich Großbritannien und 876. Sitzung des Bundesrates empfehlen die Aus- dem schüsse bzw. der Ständige Beirat dem Bundesrat: Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 627/10)

I. Punkt 13 Den Gesetzen zuzustimmen: Gesetz zu dem Abkommen vom 19. März 2010 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Punkt 3 Deutschland und der Regierung von Anguilla Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des über den steuerlichen Informationsaustausch Europäischen Parlaments und des Rates über Fi- (Drucksache 628/10) Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 427*

(A) (C) II. schafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Breitbandnetze – In- Zu den Gesetzen einen Antrag auf Anrufung des vestition in ein internetgestütztes Wachstum Vermittlungsausschusses nicht zu stellen: (Drucksache 566/10, Drucksache 566/1/10) Punkt 4 Punkt 32 Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas- Vorschlag für eine Empfehlung des Rates: „Ju- sungsgesetz 2010/2011 (BBVAnpG 2010/2011) gend in Bewegung“ – die Mobilität junger Men- (Drucksache 619/10) schen zu Lernzwecken fördern (Drucksache 597/ 10, Drucksache 597/1/10) Punkt 6 Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundes- Punkt 35 recht (Drucksache 621/10) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die statistische Erfassung des Güterkraftverkehrs (Neufassung) (Drucksache 592/10, zu Drucksache 592/10, Drucksache 592/1/10) III.

Zu den Gesetzentwürfen die in den zitierten Emp- Punkt 36 fehlungsdrucksachen wiedergegebenen Stellung- Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen nahmen abzugeben: Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/112/EG des Rates über Frucht- Punkt 20 säfte und bestimmte gleichartige Erzeugnisse für Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des die menschliche Ernährung (Drucksache 574/10, Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache zu Drucksache 574/10, Drucksache 574/1/10) 635/10, Drucksache 635/1/10) Punkt 41 Punkt 21 Erste Verordnung zur Änderung der Ernährungs- Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes zur Ände- wirtschaftsmeldeverordnung (Drucksache 591/10, rung des Arzneimittelgesetzes (Drucksache 582/ Drucksache 591/1/10) 10, Drucksache 582/1/10) Punkt 45 Punkt 25 (B) Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchfüh- (D) Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des rung des Monitorings von Lebensmitteln, kosme- Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze tischen Mitteln und Bedarfsgegenständen für die (Drucksache 585/10, Drucksache 585/1/10) Jahre 2011 bis 2015 (AVV Monitoring 2011–2015) (Drucksache 588/10, Drucksache 588/1/10) Punkt 26 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Eichgesetz sowie im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz und zur Änderung des Verwaltungskostengesetzes (Druck- V. sache 586/10, Drucksache 586/1/10) Den Vorlagen ohne Änderung zuzustimmen:

Punkt 40 Dritte Verordnung zur Änderung der Sozialversi- IV. cherungsentgeltverordnung (Drucksache 577/10) Zu den Vorlagen die Stellungnahme abzugeben oder ihnen nach Maßgabe der Empfehlungen zuzu- Punkt 42 stimmen, die in der jeweils zitierten Empfehlungs- Verordnung zur Änderung steuerlicher Verord- drucksache wiedergegeben sind: nungen (Drucksache 587/10)

Punkt 28 Punkt 44 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Verordnung zur landesrechtlichen Regelung von Parlaments und des Rates über OTC-Derivate, Ausnahmen von der Fahrzeug-Zulassungsver- zentrale Gegenparteien und Transaktionsregis- ordnung (Drucksache 579/10) ter (Drucksache 563/10, zu Drucksache 563/10, Drucksache 563/1/10) Punkt 46 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung Punkt 30 der Lohnsteuer-Richtlinien 2008 (Lohnsteuer-Än- Mitteilung der Kommission an das Europäische derungsrichtlinien 2011 – LStÄR 2011) (Drucksa- Parlament, den Rat, den Europäischen Wirt- che 589/10, zu Drucksache 589/10) 428* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) VI. Gesundheit zu befürchten ist. Die Anordnung der körperlichen Untersuchung steht gemäß § 81a Ab- Entsprechend den Anregungen und Vorschlägen satz 2 StPO dem Richter zu. Nur bei einer Gefähr- zu beschließen: dung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung darf sie auch von der Staatsanwaltschaft und ihren Punkt 47 Ermittlungspersonen angeordnet werden. a) Benennung von Beauftragten des Bundesrates in Beratungsgremien der Europäischen Union Hamburg sieht ebenso wie Niedersachsen im Hin- für den Ausschuss nach Artikel 13 der Richtli- blick auf die Entnahme einer Blutprobe zur Feststel- nie 93/15/EWG (Explosivstoffe für zivile Zwe- lung der Blutalkoholkonzentration beim Vorliegen cke) (Drucksache 570/10, Drucksache 570/1/ des Verdachts einer Straftat gemäß §§ 315a und 315c 10) bis 316 des Strafgesetzbuches oder einer Ordnungs- b) Benennung von Beauftragten des Bundesrates widrigkeit gemäß § 24a oder § 24c des Straßenver- in Beratungsgremien der Europäischen Union kehrsgesetzes Handlungsbedarf. für die Beratungsgruppe der Kommission für den Bereich chemische, biologische, radiologi- In der Vergangenheit wurde von den Ermittlungs- sche und nukleare Sicherheit („CBRN-Bera- personen in solchen Fällen regelmäßig eine Gefähr- tungsgruppe“) (Drucksache 572/10, Drucksa- dung des Untersuchungserfolges angenommen, mit che 572/1/10) der Folge, dass keine richterliche Entscheidung ein- geholt wurde. Dieser Praxis hat das Bundesverfas- Punkt 48 sungsgericht in jüngster Zeit eine klare Absage er- Vorschlag des Bundesrates für die Bestellung ei- teilt. In seiner Entscheidung vom 11. Juni 2010, 2 BvR nes Mitglieds des Vorstandes der Deutschen Bun- 1046/08, heißt es, dass die Annahme, dass richterli- desbank (Drucksache 593/10, Drucksache 593/1/ che Eilentscheidungen generell nur nach Vorlage 10) schriftlicher Unterlagen getroffen werden könnten und dass diese wegen des zur Prüfung des Sachver- Punkt 52 halts sowie zur Erstellung des Beschlusses notwendi- Benennung eines Mitglieds und eines stellvertre- gen Zeitraums zwangsläufig mit der Gefährdung des tenden Mitglieds für den Beirat der Bundesnetz- Untersuchungszwecks einhergingen, nicht haltbar agentur für Elektrizität, Gas, Telekommunika- sei. Sie würde dazu führen, dass Entscheidungen des tion, Post und Eisenbahnen (Drucksache 672/10) Ermittlungsrichters zur Blutentnahme bei Verdacht auf Trunkenheit im Verkehr in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr eingeholt würden. Der (B) Richtervorbehalt in § 81a Absatz 2 StPO würde bei (D) rein abstrakter Bestimmung der Gefährdungslage im VII. Regelfall bedeutungslos. Dies werde weder der ge- setzlichen Intention noch der Bedeutung des Richter- Zu den Verfahren, die in der zitierten Drucksache vorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen bezeichnet sind, von einer Äußerung und einem Bei- gerecht. tritt abzusehen: Wie Niedersachsen erkennt auch Hamburg, dass Punkt 49 die Stärkung des Richtervorbehalts durch das Bun- Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht desverfassungsgericht für die Polizei, die Staats- (Drucksache 617/10) anwaltschaft und die Gerichte zu einer erhöhten Arbeitsbelastung führte. Teilweise musste der Bereit- schaftsdienst der Gerichte zu Tageszeiten (§ 188 ZPO, § 104 Absatz 3 StPO) erweitert und zu Nacht- zeiten eingerichtet werden. Hamburg verschließt Anlage 4 sich der kontroversen Diskussion über die Sinnhaf- tigkeit des Richtervorbehalts bei Entnahmen von Erklärung Blutproben nicht.

von Senator Dr. Till Steffen Im Hamburgischen Senat wird jedoch zum Teil die (Hamburg) Position vertreten, dass der Gesetzentwurf des Lan- zu Punkt 15 der Tagesordnung des Niedersachsen der grundrechtssichernden Funk- tion der Vorschrift des § 81a StPO nicht ausreichend Die körperliche Untersuchung eines Beschuldig- gerecht wird. ten darf gemäß § 81a Absatz 1 Strafprozessordnung zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Rechtsprechung, dass ein Eingriff in die körperliche Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere Unversehrtheit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den unterliegt. Es genüge nicht, dass der Eingriff auf ei- Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwe- ner gesetzlichen Grundlage beruhe. Das Gesetz, das cken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des den Eingriff erlaube, müsse seinerseits im Lichte der Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Bedeutung des Grundrechts gesehen werden. Auch Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 429*

(A) (C) die Verfahrensgestaltung steht unter dem Gebot des und der Richter praktisch keinen Entscheidungs- Grundrechtsschutzes. Sie rückt damit aus dem Be- spielraum hat. Vielmehr werden auch Fälle erfasst, in reich des nur Zweckmäßigen hinaus. In diesem Sinn denen der Verdacht einer Trunkenheitsfahrt aus- kann die Verfassung eine bestimmte Verfahrensge- schließlich auf zweifelhaften Zeugenaussagen beruht. staltung erzwingen, wobei unter Umständen an sich Fälle aus der Praxis, in denen aus einer Gaststätte beachtliche Gesichtspunkte eines zweckmäßigen eine Anzeige eines unliebsamen heimfahrenden Be- Verfahrensablaufes hinter das Gebot des Grund- suchers erfolgt oder eine umgangsberechtigte Person rechtsschutzes zurücktreten und auch verfahrens- an der Ausübung ihres Umgangsrechts durch den rechtliche Unbequemlichkeiten in Kauf genommen Hinweis auf eine Trunkenheitsfahrt gehindert wer- werden müssten. den soll, sind hinlänglich bekannt. Um auch in diesen Fällen eine sachgerechte Entscheidung sicherzustel- Eine Übertragung der Anordnungskompetenz auf len, sollte der Verzicht auf den Richtervorbehalt auf die Polizei mag zwar zweckmäßig erscheinen, sie Fälle beschränkt sein, in denen die Beschuldigten birgt jedoch im Hinblick auf den Grundrechtsschutz durch eine Ermittlungsperson auf frischer Tat betrof- Risiken. Eine mehrmonatige Auswertung der staats- fen werden. anwaltschaftlichen und gerichtlichen Entscheidungs- praxis des Bereitschaftsdienstes in Strafsachen durch Hamburg wird sich aus den genannten Gründen die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Ham- zu dem Antrag Niedersachsens enthalten. burg hat ergeben, dass ein nicht zu vernachlässigen- der Teil der Anträge – etwa 7 % – auf Entnahme einer Blutprobe in Verkehrsstrafsachen durch die Staatsan- waltschaft zurückgewiesen wurde. Es besteht damit ein praktischer Bedarf an einer Überprüfung der poli- Anlage 5 zeilichen Entscheidung. Dies könnte durch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft si- Erklärung chergestellt werden. Sie hätte den Vorzug, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung durch eine von der Polizei organisatorisch getrennte Institution erfolgt. von Staatsministerin Margit Conrad Der vor Ort entstandene Konflikt zwischen Polizei (Rheinland-Pfalz) und Bürger wird durch einen nicht unmittelbar betei- zu den Punkten 18 a) und b) der Tagesordnung ligten Dritten mediatisiert und damit entschärft. Das Land Rheinland-Pfalz stimmt den Anträgen Auch der sozialpsychologische Befriedungseffekt des Landes Baden-Württemberg in Drucksache 576/ würde durch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft 1/10 und Drucksache 576/3/10 nicht zu. (B) gestärkt. (D) Außerdem bringt der Gesetzentwurf Niedersach- Nach den Anträgen Baden-Württembergs werden sens die dort favorisierte Anordnungskompetenz der Doppelstrukturen in den Jugendfreiwilligendiensten Polizei nicht ausreichend zum Ausdruck. Soweit die nicht vermieden, die die Freiwilligendienste Freiwil- Gesetzesbegründung von einer gleichrangigen An- liges Soziales Jahr (FSJ) und Freiwilliges Ökologi- ordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und ih- sches Jahr (FÖJ) gefährden. Rheinland-Pfalz fordert ren Ermittlungspersonen spricht, ist diese Formu- einen einheitlichen freiwilligen sozialen Dienst in lierung missverständlich. Nach der Rechtsprechung Form eines besser ausgestatteten FSJ bzw. FÖJ. des Bundesverfassungsgerichts steht bei einer Ge- Wenn die Bundesregierung nun bereit ist, mehr Mit- fährdung des Untersuchungserfolgs gemäß § 81a tel für die Förderung des FSJ/FÖJ aufzuwenden, Absatz 2 Satz 1 StPO eine Anordnungskompetenz könnten dadurch auch die Kompetenzen für einen der Staatsanwaltschaft und erst nachrangig ihren Er- einheitlichen freiwilligen sozialen Dienst bei den mittlungspersonen zu. Es ist zweifelhaft, ob diese Ländern bleiben. Rechtsprechung erfordert, dass seitens der Polizei eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingeholt Das Ziel, junge Menschen für eine zeitlich befris- werden muss. Indem in § 81a Absatz 2 Satz 2 StPO tete Tätigkeit im sozialen Bereich zu gewinnen, wird nach dem niedersächsischen Entwurf nur auf den durch den rheinland-pfälzischen Antrag in Druck- Richtervorbehalt verzichtet werden soll, wird diese sache 576/10, in dem die Weichen für einen einheit- Zweifelsfrage nicht beantwortet. lichen „Freiwilligen sozialen Dienst“ durch den konsequenten Ausbau der bestehenden Jugendfrei- Der von Niedersachsen vorgeschlagene Verzicht willigendienste gestellt werden, am umfassendsten auf den Richtervorbehalt reicht nach einer im Ham- und besten erreicht. Die Einrichtung eines freiwilli- burgischen Senat vertretenen Auffassung auch in der gen Zivildienstes, der neben das bisherige Erfolgs- Sache zu weit. Es werden nicht nur die in den Bei- modell FSJ und FÖJ tritt, ist eine existenzielle spielen genannten Fälle klassischer Verkehrskontrol- Gefährdung der seit Jahrzehnten bestehenden Ju- len erfasst, in denen die Verdachtslage eindeutig ist gendfreiwilligendienste. 430* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) Anlage 6

Erklärung

von Senatorin Gisela von der Aue (Berlin) zu den Punkten 18 a) und b) der Tagesordnung

Bundesrat Drucksache 576/2/10 (Grunddrs. 567/10 und 576/10) 04.11.10

Antrag des Landes Berlin

Entschließung des Bundesrates zur Kompensation eines Wegfalles des Zivildienstes durch Stärkung der Ju- gendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ – Antrag des Freistaates Bayern – Drucksache: 567/10

Entschließung des Bundesrates für einen einheitlichen „Freiwilligen sozialen Dienst“ – Antrag des Landes Rheinland-Pfalz –

(B) Drucksache: 576/10 (D)

Punkt 18a und 18b der 876. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2010.

Der Bundesrat möge beschließen, die Entschließungen in Drucksache 567/10 und Drucksache 576/10 in nachfol- gender Fassung anzunehmen:

Entschließung des Bundesrates zur Kompensation eines Wegfalles des Zivildienstes durch Stärkung der Ju- gendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ Es muss sichergestellt sein, dass durch die Einführung eines bundesweiten freiwilligen Zivildienstes die bewähr- ten Inhalte und Trägerstrukturen der Freiwilligendienste FSJ und FÖJ auf Landesebene mindestens im selben Umfang erhalten bleiben. Bei einer bundesweiten Regelung der Freiwilligendienste müssen die insbesondere im Falle des FÖJ bisher in Verantwortung der Länder durchgeführten Programme als tragende Elemente der Freiwilligendienste weiterge- führt werden können. Es muss gewährleistet bleiben, dass auch in einem in Bundeszuständigkeit organisierten Freiwilligendienst öko- logische, soziale und kulturelle Projekte wie bisher stattfinden können. Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 431*

(A) (C) Anlage 7 Im Einzelnen bedeutet das für mich: Wir müssen die bestehenden Jugendfreiwilligen- Erklärung dienste der Länder ausbauen und stärken, um so zu einer gleichgewichtigen Förderung beider Formate von Staatssekretär Josef Hecken zu kommen. Das beinhaltet für mich eine deutliche (BMFSFJ) Erhöhung der Pauschalförderung, eine Aufhebung zu den Punkten 18 a) und b) der Tagesordnung der Kontingentierung und eine spezielle Förderung sogenannter benachteiligter Teilnehmender, die den Ich möchte nicht wiederholen, was ich am 24. Sep- höheren Betreuungsaufwand ausgleicht. tember in diesem Hohen Haus bei der ersten Bera- Die Förderung muss so ausgestaltet werden, dass tung einiger der heute vorliegenden Anträge gesagt gleichgewichtige Bezüge der Freiwilligen in beiden habe, sondern nehme darauf Bezug. Formaten sichergestellt werden. Bürgerschaftliches Engagement ist eine tragende Wir rechnen und planen mit jeweils 35 000 Plätzen Säule jedes freiheitlichen, demokratischen, sozialen in beiden Formaten, insgesamt also 70 000 Plätzen. und lebendigen Gemeinwesens. Das freiwillige En- Der Bund sichert in Zusammenarbeit mit den Zen- gagement der Bürgerinnen und Bürger sorgt für Zu- tralstellen der Träger eine Ausgestaltung mit dem sammenhalt und Gemeinschaft und wirkt in einem Ziel einer (konkurrenzfreien) Balance beider Formate Maße solidaritätsstiftend, wie es der Staat allein nie zu. Das ist für mich Conditio sine qua non. bewirken könnte. Es verändert das Leben der En- Selbstverständlich fördert der Bund künftig alle gagierten selbst, es verändert das Leben ihrer Mit- bestehenden und neuen FSJ/FÖJ, auch wenn von menschen, und schließlich verändert es auch unser den Trägern des FSJ/FÖJ keine Plätze für den Bun- Land, das durch jede menschliche Zuwendung ge- desfreiwilligendienst angeboten werden. stärkt und durch jede neue Idee zur Lösung einer gesellschaftlichen Herausforderung vorangebracht Darüber hinaus werden wir durch entsprechende wird. Ausgestaltung der Fördervoraussetzungen für die Plätze des Bundesfreiwilligendienstes sicherstellen, Eine wesentliche Säule bürgerschaftlichen En- dass die Förderung des Bundesfreiwilligendienstes gagements waren und sind auch in Zukunft die Frei- nicht zu Lasten bestehender oder neuer FSJ/FÖJ- willigendienste in ihren vielfältigen Formen des Ein- Plätze geht oder gar eine Umwidmung bestehender satzes nicht nur im sozialen und ökologischen FSJ/FÖJ-Plätze in Plätze des Bundesfreiwilligen- Bereich, sondern auch in Entwicklungsprojekten, in dienstes erfolgt. der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und in Alle – auch die regionalen FSJ/FÖJ-Träger – sollen wichtigen Feldern der Kultur und des Sports im In- vom Bund gefördert werden, die regionalen nicht (B) (D) land. bundeszentralen Träger in beiden Formaten über das Bundesamt für Zivildienst als Zentralstelle, wenn sie Für den Fall, dass es zu einer Aussetzung der dies wünschen. Wehrpflicht und damit zugleich zu einer Aussetzung des Zivildienstes kommt, gilt es, diese Freiwilligen- Für den Bundesfreiwilligendienst soll ein Beirat ge- dienste nachhaltig zu stärken und durch neue Ele- bildet werden, in dem die Bundesländer, die kommu- mente zu ergänzen, um die Folgen der Aussetzung nalen Spitzenverbände, die bundeszentralen Träger- des Zivildienstes auf die soziale Infrastruktur der organisationen und gewählte Vertreter der Freiwilligen Bundesrepublik Deutschland zumindest teilweise zu Mitglied sind, um die angemessene Berücksichti- kompensieren. gung regionaler, kommunaler und sonstiger Belange zu gewährleisten. Ich bin deshalb dankbar dafür, dass viele Länder Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. grundsätzlich das Vorhaben der Bundesregierung Wir stehen in der Verantwortung vor den Hilfsbe- unterstützen, einen Bundesfreiwilligendienst einzu- dürftigen und denen, die zum Engagement bereit richten, um dieses Ziel ohne große Strukturbrüche zu sind. Diese Verantwortung und Pflicht müssen wir er- erreichen. Dabei darf kein Gegeneinander der füllen. Der Bund ist bereit, seinen Beitrag zu leisten. Dienste entstehen, sondern es muss ein Miteinander ohne schädlichen Verdrängungswettbewerb und ohne unnötige Doppelstruktur geben.

Wichtig ist dabei auch für den Bund, dass bei Ein- Anlage 8 führung eines Bundesfreiwilligendienstes die be- währten Inhalte und Trägerstrukturen der Landes- Erklärung freiwilligendienste FSJ und FÖJ auf hohem Niveau erhalten und gestärkt werden. Hier darf es keine Ein- von Minister Prof. Dr. Wolfgang Reinhart griffe in die bewährte Arbeit der Länder geben. Zen- (Baden-Württemberg) tral ist für mich, dass der Bundesfreiwilligendienst zu Punkt 22 der Tagesordnung Raum bietet für breites Engagement in allen für das I. Miteinander der Gesellschaft wichtigen Aufgabenfel- dern. Wir müssen auch erreichen, dass unsere Lösun- Mit dem dem Bundesrat heute vorliegenden Ge- gen Raum für die Spezifika kleiner, regional tätiger setz soll das Haushaltsbegleitgesetz 2004 „repariert“ Träger lassen. werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im De- 432* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) zember letzten Jahres die darin enthaltene Kürzung dass sich die Kürzungen auch auf Fahrgeldausfälle von Subventionen im Personenbeförderungsgesetz im Schwerbehindertenrecht hätten beziehen können. für verfassungswidrig erklärt. Die parlamentarisch nachvollziehbare Konkretisie- Diese Kürzung war Teil der nach einem Vermitt- rung des Vermittlungsgegenstandes ist für das Ge- lungsverfahren in das Haushaltsbegleitgesetz über- richt entscheidend. Nur ergänzend führt es aus, dass nommenen „Koch/Steinbrück-Liste“. Nun sollen dieses „Defizit der Konkretisierung“ nicht durch die sicherheitshalber auch die anderen Kürzungen noch- Einführung der Minister Dieckmann und Riebel in mals formell in Gesetzesform beschlossen werden. den Ausschüssen des Bundestages geheilt worden Das Bundesverfassungsgericht hat die seinerzeit nur sei, und verweist auf „das vom Grundgesetz vorge- sehr pauschale parlamentarische Befassung mit die- gebene Rollenverhältnis des Deutschen Bundestages ser Liste kritisiert. und des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren“. Seit diesem Beschluss des Bundesverfassungsge- III. richts herrschen Unsicherheiten über die Möglichkei- Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, dass sich der ten des Vermittlungsausschusses. Warnen will ich vor Beschluss auf eine sehr spezielle Konstellation be- Überinterpretationen. Das Bundesverfassungsgericht zieht, die so nicht ohne Weiteres wiederkehren wird. hatte sich mit einer sehr speziellen Konstellation aus- Eine nur aus der allgemeinen politischen Diskussion einanderzusetzen. bekannte „Liste“, ein darin enthaltener nur allgemei- II. ner Hinweis auf eine Rechtsmaterie – da bleibt in der Tat im Dunkeln, was da im Vermittlungsverfahren Entscheidend für das Bundesverfassungsgericht ist geändert werden kann. Hier „Ross und Reiter“ zu die parlamentarische Debatte als Rahmen für den nennen – daran hat das Gericht erinnert. Vermittlungsvorschlag. Das Gericht wendet sich ge- gen eine Verlagerung der politischen Entscheidung „Die Wahrheit ist konkret“, sagte schon Hegel. in den Vermittlungsausschuss und damit eine Entpar- Dies muss die Maxime sein, wenn es künftig ins Ver- lamentarisierung der Gesetzgebung. Dem Gericht mittlungsverfahren gehen soll. Dies berücksichtigend geht es um den parlamentarischen Prozess und die muss sich der Vermittlungsausschuss in vollem Res- Parlamentsöffentlichkeit. pekt vor dem Bundesverfassungsgericht also in sei- ner fruchtbringenden Tätigkeit nicht zu sehr einen- Im konkreten Fall wurde kritisiert, dass das gen lassen. „Koch/Steinbrück-Papier“ nach Struktur und Um- fang – ich zitiere – „angemessener parlamentarischer Beratung nicht zugänglich und nach der Art ihrer (B) Einbringung und Behandlung darauf auch gar nicht (D) angelegt war“. Das Gericht kritisierte die Absicht, Anlage 9 „unter Vermeidung der Öffentlichkeit der parlamen- tarischen Debatte und einer hinreichenden Informa- Erklärung tion der Mitglieder des Deutschen Bundestages den von vornherein als notwendig erkannten politischen von Staatsminister Michael Boddenberg Kompromiss erst im Vermittlungsausschuss herbeizu- (Hessen) führen“. zu Punkt 23 der Tagesordnung Im Hinblick auf den dem Bundesverfassungsge- Dem Entwurf der Bundesregierung eines Anleger- richt vorgelegten Fall der Kürzung des Ausgleichsbe- schutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes kommt trags für die Beförderung von Auszubildenden zu ei- erhebliche Bedeutung für die Zukunft des Finanz- nem ermäßigten Tarif wies das Gericht darauf hin, platzes Deutschland zu. Das Gesetz bezweckt die dass das „Koch/Steinbrück-Papier“ lediglich als ei- Herbeiführung weiterer substanzieller Verbesserun- nen von vielen Punkten und ganz allgemein „die Er- gen des Aufsichtsrechts, die Stärkung des öffentli- stattung von Fahrgeldausfällen“ erwähnt. chen Anlegerschutzes und die Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte. Diese Zielset- Das Gericht kritisierte die „Auflistung einer Viel- zungen verdienen grundsätzlich Unterstützung. Es zahl pauschal zu kürzender Finanzhilfen ohne jegli- muss jedoch hinterfragt werden, ob bestimmte Ein- che Ansätze für eine rechtliche und politische Bewer- zelmaßnahmen des Gesetzentwurfs angemessen und tung und ohne Zuordnung zu den einschlägigen hinreichend zielführend sind. Handlungsfeldern (Haushalt, Gesetzgebung)“. Man- gels Kenntnis von Einzelheiten sei nur eine pau- Hessen hat im Wirtschaftsausschuss einige Pro- schale Debatte möglich gewesen. Wolle man dies ge- bleme in Form von Prüfbitten aufgegriffen, insbeson- nügen lassen, werde der „nahezu beliebige Zugriff dere im Hinblick auf Produktinformationsblätter und auf die bundesrechtlich geregelten Finanzhilfen er- die Registrierung von Anlageberatern. Die Prüfbitten öffnet“. finden sich in Ziffern 4 und 16 der Ausschussempfeh- lungen wieder. Das Gericht fordert eine „Konkretisierung des Ge- wollten“, da im „Koch/Steinbrück-Papier“ offen blieb, Künftig soll dem Privatkunden bei Anlagebera- in welchen Bereichen des Personennahverkehrs ge- tung ein kurzes Informationsblatt über jedes Finanz- nau Finanzhilfen gekürzt und welche Gesetze geän- instrument zur Verfügung gestellt werden. Eine dert werden sollten. So wäre es denkbar gewesen, fundierte Anlageentscheidung setzt in der Tat ver- Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 433*

(A) (C) ständliche Produktinformationen voraus. Produkt- Anlageberatung betrauten Mitarbeiter erforderlich, informationsblätter können hierzu einen wichtigen praxistauglich und wirklich zielführend ist. Beitrag leisten. Wesentliches Element des Anlegerschutzes ist Bei der Einführung solcher „Beipackzettel“, wie eine Marktinfrastruktur, die eine faire und marktge- ich sie nennen möchte, handelt es sich jedoch wieder rechte Preisbildung für Finanzinstrumente ermög- einmal um einen nationalen Alleingang, der auf licht. Bestandteil dieser Marktinfrastruktur sind in europäischer Ebene nicht abgestimmt ist. Im EU- Deutschland die Börsen; sie haben ihre Aufgaben Finanzbinnenmarkt sollten nationale Alleingänge so bisher gut erfüllt. Dies war insbesondere während weit wie möglich vermieden werden. Dies gilt umso der Finanzmarktkrise spürbar. mehr, als daraus besondere Belastungen für die deut- sche Finanzwirtschaft und die Gefahr von Wettbe- Als Minister desjenigen Landes, in dem die jeweils werbsverzerrungen zu Lasten des Finanzplatzes größte deutsche Wertpapier- und Terminbörse an- Deutschland entstehen können. Eine möglichst weit- sässig sind, ist es mir ein besonderes Anliegen, die gehende Harmonisierung auf EU-Ebene ist erforder- Rahmenbedingungen, unter denen die Börsen funk- lich und sollte angestrebt werden, um die Wettbe- tionieren sollen, zu verbessern und immer wieder werbsfähigkeit der deutschen Finanzbranche nicht neuen Marktentwicklungen anzupassen. Hessen hat zu beeinträchtigen. daher den vorliegenden Gesetzentwurf genutzt, um eine Reihe von Änderungen des Börsengesetzes vor- Dies gilt auch für die Einführung von Produkt- zuschlagen; diese finden sich unter Ziffer 23 der Aus- informationsblättern, die erheblichen Aufwand und schussempfehlungen. Durch die Vorschläge soll vor Kosten für die betroffenen Wirtschaftskreise nach allem ein Beitrag zur Stärkung der Aufsicht über die sich ziehen wird. Eine Regulierung der Produktinfor- Börsen geleistet werden. Daneben soll durch die Ab- mation kann effektiv und sinnvoll nur im europäi- schaffung der gesetzlichen Trennung von Wertpa- schen Kontext erfolgen. Im Verlauf des Gesetzge- pier- und Warenbörsen eine nicht mehr sinnvolle und bungsverfahrens sollte deshalb nochmals geprüft im Einzelfall hinderliche Differenzierung aufgegeben werden, ob die nationale Einführung von Kurzinfor- werden. mationsblättern ohne entsprechende regulatorische Harmonisierung auf europäischer Ebene tatsächlich Es hat mich gefreut zu hören, dass die Vertreter zielführend ist. der Bundesregierung während der Ausschussbera- tungen bereits ihre Unterstützung zugesagt haben. Die zweite Prüfbitte findet sich unter Ziffer 16 der Ausschussempfehlungen und betrifft den neuen Unser erstes Anliegen hat das Ziel, die bisherige § 34d WpHG. Die Regelung zielt darauf ab, durch die gesetzliche Trennung von Wertpapierbörsen und Wa- (B) Stärkung der Aufsicht den Schutz der Kunden vor renbörsen aufzuheben. Die Börsen weiten die Palette (D) Falschberatung zu verbessern. Vorgesehen ist ein der an ihnen handelbaren Produkte immer weiter neuer Regulierungsansatz, durch den Anlageberater, aus. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, da damit für Vertriebsbeauftragte und Compliance-Beauftragte bisher nur außerbörslich handelbare Finanzinstru- stärker in den Blick der Aufsicht genommen werden. mente ein sicherer und geregelter Rahmen geschaf- Zur Gewährleistung der Sachkunde und Zuverlässig- fen wird. Dadurch wird künftig die Situation eintre- keit dieser Personengruppen sind Anzeigepflichten ten, dass an einzelnen Börsen sowohl Wertpapiere als der betroffenen Unternehmen gegenüber der Bun- auch Waren gehandelt werden. Ob die jeweiligen desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vorgese- Finanzinstrumente als Wertpapiere oder Waren im hen. Die Anzeigepflichten sollen die Registrierung Sinne des Gesetzes zu qualifizieren sind, ist häufig dieser Mitarbeiter in einer internen Datei der Bun- nur von Nuancen abhängig. Das Börsengesetz unter- desanstalt ermöglichen. Von der Neuregelung sind scheidet bisher zwischen Wertpapier- und Warenbör- schätzungsweise 300 000 Anlageberater betroffen – sen. eine hohe Zahl. Regulatorische Folgen – etwa hinsichtlich der Eines ist bereits absehbar: Die im Gesetzentwurf Handelsabläufe oder der Aufsicht – knüpft das Bör- vorgesehenen Anzeige- und Registrierungserforder- sengesetz an diese Unterscheidung allerdings nicht. nisse verursachen erheblichen Aufwand mit entspre- Die einzige Ausnahme bildet die Zusammensetzung chenden Bürokratiekosten. Daher ist es nicht ver- der Börsenräte. Die gesetzlichen Anforderungen sind wunderlich, dass der Nationale Normenkontrollrat in hinsichtlich Wertpapier- und Warenbörsen unter- seiner Stellungnahme verlangt hat, im weiteren Ver- schiedlich, wobei die Vorschriften für die Börsenräte fahren zu prüfen, inwieweit die mit den Anzeigen der Wertpapierbörsen wesentlich detaillierter sind. nach § 34d WpHG verbundenen Bürokratiekosten Daher ist derzeit eine Börse, an der sowohl Wertpa- mit Blick auf das Regelungsziel gerechtfertigt sind. piere als auch Waren gehandelt werden, strukturell nicht entsprechend dem Börsengesetz zu gestalten. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die gewiss nicht beabsichtigte Folge wäre, dass Bör- Im Bereich der Anlageberatung besteht zweifelsohne sen auch künftig auf einen Typus handelbarer Finanz- erheblicher Verbesserungsbedarf. Es muss sicherge- instrumente beschränkt bleiben müssten. Durch die stellt werden, dass die Berater die erforderliche Qua- Aufhebung der regulatorischen Trennung von Wert- lifikation haben, dass sie sachkundig und zuverlässig papier- und Warenbörsen sollen dieser Widerspruch sind. Fraglich ist aber, ob der im Regierungsentwurf beseitigt und die konsistente Anwendbarkeit des beschrittene Weg über eine Registrierung der mit Börsengesetzes auch auf Börsen, an denen beide Ar- 434* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) ten von Produkten gehandelt werden, ermöglicht untersagt werden, wenn Tatsachen die Annahme werden. rechtfertigen, dass die Durchführung und die Fort- entwicklung des Börsenbetriebs beeinträchtigt wird. Sachliche Gründe für eine Aufrechterhaltung der Trennung von Wertpapier- und Warenbörsen sind Diese Gefährdungslage kann auch durch den nicht erkennbar. Historisch betrachtet bestand früher Aktionär eines beherrschenden Unternehmens ein- keine generelle Trennung von Wertpapierbörsen und treten, wenn der Börsenträger ein von diesem abhän- Warenbörsen. An vielen Börsen – etwa Berlin, Bre- giges Unternehmen ist. Gemäß § 17 des Aktiengeset- men, Köln, Hamburg und Mannheim – wurden tradi- zes wird vermutet, dass ein Unternehmen von seinem tionell beide Kategorien von Produkten gehandelt. Es Mehrheitsaktionär abhängig ist, da eine Einfluss- ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber je be- nahme möglich erscheint. Bei einem in eine Konzern- absichtigt hätte, an einer Wertpapier- oder Waren- struktur eingegliederten Unternehmen besteht börse den Handel auch von Produkten, die kenn- gemäß § 323 AktG ein Weisungsrecht der Hauptge- zeichnend für den jeweils anderen Börsentyp sind, sellschaft gegenüber der eingegliederten Gesell- auszuschließen. Dies gilt umso mehr, als beispiels- schaft. weise bei Derivaten die Einordnung eines Kontrakts und damit die Definition eines Handelsplatzes als Der Aktionär der beherrschenden Gesellschaft Wertpapier- oder Warenbörse allein von der Frage oder der Hauptgesellschaft kann Einfluss auf die ab- der Erfüllung durch Geldausgleich oder physische hängige bzw. eingegliederte Gesellschaft nehmen. Belieferung abhängt. Es wäre daher inkonsequent, wenn der sinnvolle Schutz von Börsen vor Beeinträchtigungen durch Durch die entsprechende Antragstellung des Lan- Einflussnahmen auf ihren Träger nicht auch dann be- des Hessen im Wirtschaftsausschuss werden also stehen sollte, wenn diese Einflussnahme durch einen Hindernisse, deren Sinn nicht erkennbar ist, ab- Gesellschafter nicht unmittelbar auf den Träger, son- gebaut. Die erwünschte Einbeziehung bisher nur dern mittelbar erfolgt. außerbörslich handelbarer Finanzinstrumente in den Börsenhandel wird wesentlich erleichtert. Die Entwicklung der Trägergesellschaften der deutschen Börsen ist in ständiger Bewegung. In eini- Unser zweites Anliegen betrifft die Befugnisse der gen Fällen sind die Träger bereits heute Gesellschaf- Börsenaufsichtsbehörden nach § 3 Absatz 5 des Bör- ten in einem Konzernverbund. Durch die Ergänzung sengesetzes. Danach kann die Börsenaufsichts- des § 6 soll die bestehende Regelungslücke geschlos- behörde Anordnungen treffen, um eventuelle Miss- sen werden. stände an der Börse zu beseitigen. Hierbei handelt es sich um eine der Kernkompetenzen der Börsenauf- Der vierte Punkt betrifft eine Ausweitung des sicht. Künftig sollen solche Anordnungen auch ge- Schutzes vertraulicher Daten, die im Börsenhandel in (B) (D) genüber dem Träger der Börse möglich sein. Diese großer Anzahl erfasst werden. Ergänzung dient der Klarstellung; denn das Börsen- § 10 des Börsengesetzes unterwirft unter anderem gesetz bestimmt schon heute, dass auch der Börsen- „die beim Träger der Börse Beschäftigten“ bestimm- träger der Aufsicht der Börsenaufsichtsbehörde un- ten Verschwiegenheitspflichten. Es ist allerdings re- tersteht. gelmäßige Praxis der Börsenträger in Deutschland, Dem Träger kann sogar die Börsenerlaubnis entzo- ihre Aufgaben nicht nur durch eigenes Personal, son- gen werden, wenn er nachhaltig gegen Anordnun- dern auch durch dritte Unternehmen und die dort Be- gen zur Durchführung des Börsengesetzes verstößt. schäftigten wahrzunehmen. Ein Beispiel ist der Be- Eine solche Regelung hat nur Sinn, wenn gegenüber trieb des Xontro-Systems für die Kassa-Börsen durch dem Börsenträger auch Anordnungen erlassen wer- eine gemeinsame Tochtergesellschaft der deutschen den können, die sich auf die Einhaltung seiner Pflich- Börsenträger. Das Börsengesetz lässt sogar das ten beziehen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass Outsourcing von Funktionen, „die für den Börsenbe- das weniger einschneidende Mittel gegenüber einem trieb wesentlich sind“, grundsätzlich zu. Der bishe- Entzug der Erlaubnis eine Anordnung zur Beseiti- rige Begriff „Beschäftigte“ erfasst allerdings nur gung von Missständen ist. Daher ist es konsequent, Arbeitnehmer des Trägers. Eine entsprechende An- § 3 des Börsengesetzes entsprechend anzupassen. wendung auf Dritte, die direkt oder mittelbar für den Träger tätig sind, dürfte ausgeschlossen sein. Dies er- Unser dritter Punkt betrifft die Ausweitung der gibt sich aus dem strafrechtlichen Analogieverbot; Kontrolle bedeutender Beteiligungen an einem Bör- denn eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht senträger, die in § 6 des Börsengesetzes enthalten ist. nach § 10 des Börsengesetzes kann grundsätzlich Dort sind bisher nur Regelungen über bedeutende strafrechtlich verfolgt werden. Beteiligungen unmittelbar an einem Börsenträger ge- troffen. Ungeregelt ist der Fall, dass der Träger einer Wie das Beispiel des Xontro-Systems zeigt, erhal- Börse in eine Konzernstruktur eingegliedert ist oder ten Dritte durch dessen Auslagerung notwendiger- im Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens weise unmittelbaren Zugang zu geheimhaltungsbe- steht. dürftigen Handelsdaten, ohne dass diese selbst oder die bei ihnen Beschäftigten der Verschwiegenheits- § 6 des Börsengesetzes geht davon aus, dass ein pflicht des Börsengesetzes unterliegen. Diese Rege- Anteilseigner Einfluss auf die Leitung des Börsenträ- lungslücke soll durch unseren Ergänzungsvorschlag gers nehmen kann. Daher kann derzeit der Erwerb geschlossen werden. Es sollen künftig sowohl die na- einer bedeutenden Beteiligung an dem Börsenträger türlichen Personen der Verschwiegenheitspflicht un- Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 435*

(A) (C) terworfen sein, die auf anderer rechtlicher Grundlage dung persönlicher Daten selbst zu entscheiden, ekla- für die Börse tätig sind, als auch diejenigen mit ei- tant missachtet wird. Beschäftigte können sich nem Arbeitsvertrag mit dem Träger. Schließlich soll dagegen nur bedingt wehren; denn wer riskiert sei- künftig die Verschwiegenheitspflicht auch für die nen Arbeitsplatz? Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Personen gelten, die als Beschäftigte eines vom Trä- nehmer sind gegenüber dem Arbeitgeber keine ger beauftragten Dritten für die Börse tätig sind. gleichberechtigten Vertragspartner, die allein in der Lage wären, gegen Datenmissbrauch vorzugehen. Ich empfehle Ihnen Ziffer 23 der Ausschussdruck- sache und bitte um Ihre Unterstützung. Es ist deshalb dringend notwendig, durch gesetzli- che Veränderungen und die Entwicklung eines eigen- ständigen Beschäftigtendatenschutzgesetzes endlich einen wirksamen Grundrechtsschutz im Arbeitsleben zu schaffen. Die Bundesrepublik Deutschland braucht Anlage 10 eine einheitliche, nachvollziehbare und praktisch an- wendbare Datenschutzregelung, die den besonderen Erklärung Gegebenheiten in Beschäftigungsverhältnissen ge- recht wird. von Minister Dr. Holger Poppenhäger (Thüringen) Der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zu Punkt 24 der Tagesordnung zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes ent- spricht leider nicht den Erfordernissen einer eigen- Ich freue mich darüber, dass es der Bundesregie- ständigen, praxisgerechten und klareren gesetzli- rung nach einer langen Selbstfindungsphase gelun- chen Regelung, die Rechtssicherheit für Arbeitgeber gen ist, den Entwurf eines Beschäftigtendatenschutz- und Beschäftigte herstellt. Das kann man noch so oft gesetzes vorzulegen. behaupten und noch so oft in Gesetzentwürfe schrei- ben. Wahrer wird es dadurch nicht. Verstoßen wird Unter Fachleuten wird über das Thema seit über gegen das, was die Bundesregierung in ihrem Koali- einem Jahrzehnt diskutiert. Dabei ist die Vereinheit- tionsvertrag fixiert hat: „Wir setzen uns für eine Ver- lichung des Beschäftigtendatenschutzes eine ebenso besserung des Arbeitnehmerdatenschutzes ein und lang erhobene Forderung der Datenschutzexperten wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Bespit- des Bundes und der Länder. zelungen an ihrem Arbeitsplatz wirksam schützen.“ 2008 hat das Thema an Dringlichkeit, Öffentlich- Wenn das Gesetz vorsieht, dass eine offene Überwa- keit und Brisanz gewonnen. Der Discounter Lidl hat chung möglich ist, wenn sie den Interessen der An- wegen seines Personalmanagements und seiner un- gestellten nicht entgegensteht und diese auf die (B) vorstellbaren Unternehmenskultur Schlagzeilen und Kameras hingewiesen werden, wird das dem Koali- (D) Empörung ausgelöst. Mit versteckten Kameras wur- tionsvertrag nicht gerecht. den Beschäftigte ausspioniert. Unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht wurden Gesundheitsdaten und Es gibt in unserem Land Regeln, Grundsätze, über Krankheitsinformationen von Mitarbeitern gesam- die man sich nicht hinwegsetzen kann. Dazu gehört, melt und verwendet. Dass diese Enthüllung vielleicht dass für die Ermittlungen zur Aufdeckung von kri- nur die Spitze des Überwachungseisbergs war, zei- minellen Machenschaften in der Bundesrepublik gen weitere Skandale, unter anderem bei der Deut- Deutschland die Polizei und die Staatsanwaltschaft schen Bahn und der Deutschen Telekom. Die Entglei- zuständig sind. Diesem Grundsatz muss natürlich sungen bei Lidl und Co. machen deutlich: Es besteht erst recht in einer Beschäftigtendatenschutzgesetz- Handlungsbedarf. Mitarbeiter dürfen nicht zum Ob- gebung Genüge getan werden. Leider ist das nicht jekt der Bespitzelung, des Misstrauens und der Über- passiert. wachung werden. Die insbesondere zur Aufdeckung von strafrecht- Es ist gut, dass das Bundesverfassungsgericht das lich relevanten Fällen der Untreue und von Korrup- Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu ei- tionsdelikten vorgesehene Zulässigkeit eines auto- nem Datenschutz-Grundrecht erhoben hat. Hier- matisierten Abgleichs von Beschäftigtendaten in durch wurde unmissverständlich klargemacht, dass anonymisierter oder pseudonymisierter Form mit eine freie demokratische Gesellschaft Schutzräume vom Arbeitgeber geführten Daten und deren Perso- braucht, in denen die Menschen unbeobachtet privat nalisierung im Verdachtsfall weist dem Arbeitgeber sein und sich mit anderen austauschen können. Aufgaben und Befugnisse der staatlichen Ermitt- lungsbehörden zu. Dies kann und darf nur in Einzel- Das im Grundgesetz verankerte allgemeine Per- fällen geschehen und muss unter der vorherigen Be- sönlichkeitsrecht ist die Grundlage des Datenschut- teiligung und gegebenenfalls Zustimmung der zes. Er soll die Würde, Privatsphäre und Handlungs- betrieblichen Interessenvertretung erfolgen. freiheit der Menschen gewährleisten. Das gilt nicht nur für das Privatleben, sondern auch für die Arbeits- Erforderlich wären außerdem klare Begrenzungen welt. Der Arbeitsplatz ist kein grundgesetzfreier durch gesetzliche Verbote der Erhebung, Verarbei- Raum. tung und Nutzung von Beschäftigtendaten und zum Schutz des Persönlichkeitsrechts. Die Datenmissbräuche der letzten Monate haben gezeigt, dass das Recht auf informationelle Selbst- In dem Entwurf fehlen Regelungen zu Schadens- bestimmung, also das Grundrecht, über die Verwen- ersatz- und Entschädigungsansprüchen und aus- 436* Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010

(A) (C) drückliche Verwertungsverbote. Mit dem vorgeleg- Zahlreiche Regelungslücken und Anwendungs- ten Gesetzentwurf wird gegenüber den bereits probleme bleiben bestehen. bestehenden Regelungen des Arbeitnehmerdaten- Das einzige Verdienst des Entwurfs ist es, dass er schutzes nicht mehr, sondern weniger Schutz für das Thema „Beschäftigtendatenschutz“ endlich auf Beschäftigte geschaffen. Vielmehr sind die vorge- die politische Agenda setzt. schlagenen Regelungen unklar und eröffnen den Ar- beitgebern die Möglichkeit, ohne Gesetz Instrumente Bedauerlicherweise wurde dies nur halbherzig ge- zum „Ausspionieren“ zu nutzen. So wird Spielraum tan. Der Gesetzentwurf wirft mehr Fragen auf, als er gelassen für die Auslegung und Anwendung. Da- beantwortet. durch können effektiver Datenschutz im Beschäftig- tenverhältnis und Transparenz nicht geschaffen wer- Wir wollen für den Datenschutz der Beschäftigten den. ein eigenständiges Gesetz, nicht als Anhängsel, Fuß- note oder Unterkapitel des Bundesdatenschutzgeset- Der Beschäftigtendatenschutz sollte in einem ei- zes oder des Betriebsverfassungsgesetzes. genständigen Gesetz geregelt werden. Klarheit, Transparenz und Rechtssicherheit müssen so herge- Wir wollen, dass der betriebliche Datenschutzbe- stellt werden. auftragte gestärkt wird. Wir wollen die Beschäftigten als Subjekte, nicht Ein Beschäftigtendatenschutzgesetz hat vor allem als Objekte. ein Ziel: Die Beschäftigten werden vor überzogener Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung sowie Wir wollen ein Klima des Vertrauens zwischen Ar- vor unangemessener Kontrolle und Überwachung beitgebern und Beschäftigten. Das gegenseitige Ver- geschützt. Der Gesetzentwurf eröffnet stattdessen trauen am Arbeitsplatz ist grundlegend. den Arbeitgebern in unserem Land die Möglichkeit, ärztliche oder sonstige Untersuchungen und Prüfun- An die Adresse der Arbeitgeber sei deshalb ge- gen mit dem Vorwand eines gegebenenfalls bevor- sagt: Beschäftigte leisten oft mehr, als der Regel nach stehenden Tätigkeits- oder Arbeitsplatzwechsels verlangt ist. Sie geben weit überwiegend ihr Bestes. beliebig durchführen zu lassen. Das ist kein Arbeit- Sie sind Leistungsträger. Aber Leistungsträger müs- nehmerschutz, das ist eher ein Instrument der Diszi- sen auch als Leistungsträger behandelt werden. plinierung und Verunsicherung der Beschäftigten.

Die Datenerhebung ohne Kenntnis des Beschäftig- ten ist auf Ausnahmefälle zu beschränken. Bloße Pflichtverletzungen reichen dafür nicht aus. In die- Anlage 11 (B) sem Zusammenhang ist die vorherige Beteiligung (D) der betrieblichen Interessenvertretung und des Da- Erklärung tenschutzbeauftragten unersetzbar. von Staatsminister Michael Boddenberg Dem datenschutzrechtlichen Grundsatz „Daten (Hessen) dürfen nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem zu Punkt 27 der Tagesordnung sie erhoben worden sind“ ist im vorliegenden Ge- setzentwurf nicht hinreichend Rechnung getragen Der Bundesrat befasst sich heute zum zweiten Mal worden. Vielmehr sieht das Gesetz bei den Zulässig- in diesem Jahr mit dem Thema Leerverkäufe von keitstatbeständen in § 32f Absatz 1 vor, dass die Finanzinstrumenten. Videoüberwachung der Zutrittskontrolle, diversen Im Sommer dieses Jahres war Deutschland mit Schutz- und Sicherheitsaspekten und der Qualitäts- dem Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche kontrolle dienen soll. Dass aber im Rahmen der Video- Wertpapier- und Derivategeschäfte mit einem euro- überwachung gewonnene Erkenntnisse zur Leis- päisch nicht abgestimmten Leerverkaufsverbot vor- tungs- und Verhaltenskontrolle der Beschäftigten geprescht. Der jetzt von der Kommission vorgelegte herangezogen werden, ist gesetzlich auszuschließen. Vorschlag für eine Verordnung ist grundsätzlich zu Der Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgeset- begrüßen. Er schafft einen einheitlichen europäi- zes sieht eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen vor. schen Regulierungsrahmen und verhindert Auf- Deshalb wird neuen Datenschutzverletzungen Tür sichtsarbitrage und Standortnachteile, die sich aus und Tor geöffnet. dem bisherigen deutschen Alleingang ergeben kön- nen. Dies gilt zunächst für die vorgesehenen Trans- Ein alter Missstand wurde nicht behoben. Zahlrei- parenzverpflichtungen sowie die Eingriffsbefugnisse che Fragen der Praxis blieben der Klärung durch die der zuständigen Behörden. Spruchpraxis der Gerichte überlassen. Rechtssicher- heit sieht anders aus. Kritisch sind die Vorschläge über ungedeckte Leerverkäufe zu sehen. Sie gehen über den deut- Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden nach wie schen Verbotsrahmen deutlich hinaus. Entgegen der vor darauf angewiesen sein, sich an der lückenhaften Behauptung der EU-Kommission in der Begründung und im Einzelfall für die Betroffenen nur schwer zu des Entwurfs handelt es sich nämlich nicht nur um erschließenden einschlägigen Rechtsprechung zu eine Beschränkung von Leerverkäufen, sondern um orientieren, und betreiben letztlich die Etablierung ein grundsätzliches Verbot; denn die in Artikel 12 des unterschiedlicher Gesetzesauslegungen. Verordnungsvorschlags normierten Zulässigkeitsvo- Bundesrat – 876. Sitzung – 5. November 2010 437*

(A) (C) raussetzungen entsprechen den Kriterien, deren zeichnung jeder Leerverkaufsorder an organisierten Nichtvorliegen einen Wertpapierverkauf zum Leer- Handelsplätzen, wie etwa Börsen. Hier handelt es verkauf macht. Mit anderen Worten: Nach dem Ent- sich nach Auffassung des Landes Hessen um keine wurf ist ein ungedeckter Leerverkauf nur dann zuläs- angemessene Maßnahme zur Erhöhung der Markt- sig, wenn dieser gerade kein Leerverkauf ist. transparenz; denn dies würde zu hohen Implementie- rungskosten bei Handelsteilnehmern, Infrastruktur- Ich habe Zweifel, ob ein generelles Leerverkaufs- anbietern und Handelsplatzbetreibern führen, die an verbot überhaupt notwendig ist. Die Kommission die Endverbraucher weitergereicht würden, wohin- sieht Missbrauchsgefahren in Verbindung mit der gegen der zusätzliche Nutzen fraglich ist. Verbreitung von falschen Informationen im Markt. Dies ist aber bereits durch die Marktmissbrauchs- Auch würde die Meldung gekennzeichneter Leer- richtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht verkaufsorders nur durch Handelsplattformen Markt- verboten und strafbewehrt. missbrauch und -manipulation nicht verhindern. Dies Außerdem sieht die Kommission bei Leerverkäu- wird auf wesentlich besserem Wege bereits durch die fen eine Gefahr in der möglichen Nichterfüllung der ebenfalls vorgesehene Verpflichtung zur Meldung betroffenen Wertpapiergeschäfte. Eine empirische von Netto-Short-Positionen durch die Marktteilneh- Basis hierfür gibt es aber nicht. mer erreicht. Auch wenn es in Einzelfällen aus verschiedenen Hessen hat daher entsprechende Anträge einge- Gründen zu Lieferverzug bei Wertpapiergeschäften bracht, in denen die Bundesregierung aufgefordert kommen kann und kommt, war dies bisher durch die wird, im weiteren Rechtsetzungsverfahren der EU für solche Fälle etablierten Verfahren der Börsen un- den beschriebenen Bedenken Rechnung zu tragen. problematisch zu bewältigen. Systemische Risiken für den Finanzmarkt waren zu keinem Zeitpunkt Die Anträge haben in den Ausschüssen eine feststellbar. Mehrheit gefunden. Ich bitte Sie daher um Unterstüt- zung der Ausschussempfehlungen. Selbst wenn man das Leerverkaufsverbot grund- sätzlich für sinnvoll erachtet, wird es in der vorge- schlagenen Form zu nicht hinnehmbaren Beeinträch- tigungen des täglichen Wertpapierhandels führen. Aus dem Verbot ungedeckter Leerverkäufe sind nur Anlage 12 die Fälle herausgenommen, in denen der Verkäufer zum Zeitpunkt des Verkaufs Eigentümer der Wertpa- piere ist, diese geliehen hat oder zumindest eine Erklärung Rahmenvereinbarung über deren Leihe geschlossen (B) (D) hat. von Minister Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg) Nicht zulässig ist danach zum einen der Fall, dass zu Punkt 43 der Tagesordnung der Verkäufer vor dem Verkauf die betroffenen Wert- papiere bereits gekauft hat, sie ihm aber noch nicht Für Frau Ministerin Dr. Monika Stolz gebe ich fol- geliefert wurden. Dies hätte zur Folge, dass ein gende Erklärung zu Protokoll: Händler nach dem Erwerb von Wertpapieren erst die in Deutschland übliche Lieferfrist von zwei Tagen ab- Das Land Baden-Württemberg begrüßt das Ziel warten müsste, bevor er sie wieder veräußern dürfte. der vorliegenden Verordnung, es den betroffenen Krankenkassen zur Vermeidung von Liquiditätspro- Zum anderen sind die Fälle des sogenannten un- blemen zu ermöglichen, ihre Rückzahlungsverpflich- tertägigen Leerverkaufs unzulässig, bei denen ein tungen aus der Konvergenzregelung erst im Haus- Händler Wertpapiere zunächst verkauft, um sie dann haltsjahr 2011 zu erfüllen. Bestehen bleibt aber die im Laufe desselben Handelstages wieder zu erwer- handelsrechtliche Wirkung, dass mit der Festsetzung ben. der Rückzahlungsbeträge im Herbst 2010 zwingend Beide Fälle entsprechen gängiger Handelspraxis eine vollständige bilanzielle Aufnahme erfolgt. und bergen keine Missbrauchsgefahren. Ein Verbot Baden-Württemberg bittet das Bundesministerium hätte nicht zuletzt wegen der entstehenden Kosten für Gesundheit daher zu gewährleisten, dass Rück- für das Risikomanagement der Marktteilnehmer un- zahlungsverpflichtungen aus der Konvergenzrege- absehbare Auswirkungen auf den künftigen Wert- lung nicht bereits im Jahr 2010 bilanzwirksam wer- papierhandel in Europa. den. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Ein weiterer Einwand betrifft die in dem Verord- zahlungsseitige Abwicklung als auch die Bilanzie- nungsvorschlag vorgesehene Verpflichtung zur Kenn- rung im Jahr 2011 erfolgen.