Deutscher Drucksache 17/11814

17. Wahlperiode 11. 12. 2012

Bericht * des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 17/11295 –

Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes

b) zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Katja Dörner, Diana Golze, , , Ingrid Arndt-Brauer, Bärbel Bas, , Karin Evers-Meyer, Elke Ferner, (Essen), Christel Humme, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Kirsten Lühmann, , Gerold Reichenbach, René Röspel, Karin Roth (Esslingen), Annette Sawade, Bernd Scheelen, Dr. , , Andrea Wicklein, , , Maria Klein-Schmeink, Ulrich Schneider, Memet Milic, Dr. Harald Terpe, , Sylvia Kotting-Uhl, Dorothea Steiner, Dr. Valerie Wilms, , , , Arfst Wagner (Schlewig), Agnes Krumwiede, AgnesAlpers, Matthias W. Birkwald, , Dr. , Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Dr. Barbara Höll, , , Katrin Kunert, , , Wolfgang Neskovic, Jens Petermann, Richard Pitterle, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Dr. , , Alexander Süßmair, Frank Tempel, , , , Jörn Wunderlich – Drucksache 17/11430 –

Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge und die Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung

* Die Beschlussempfehlung wurde auf Drucksache 17/11800 gesondert verteilt. Drucksache 17/11814 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Andrea Astrid Voßhoff, , , Raju Sharma und

I. Überweisung schuss dazu eingebrachten Änderungsanträgen eine Be- schlussfassung im Plenum herbeizuführen. Zu Buchstabe a Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf auf Druck- Der Ausschuss für Gesundheit hat den Gesetzentwurf auf sache 17/11295 in seiner 208. Sitzung am 22. November Drucksache 17/11295 in seiner 92. Sitzung am 10. Dezember 2012 beraten und an den Rechtsausschuss zur federführen- 2012 beraten und empfiehlt dessen Annahme sowie die Ab- den Beratungsowie an den Innenausschuss, den Ausschuss lehnung der beiden im Rechtsausschuss dazu eingebrachten für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Änderungsanträge. Gesundheit und an den Ausschuss für Menschenrechte und Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hil- humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen. fe hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11295 in seiner 72. Sitzung am 10. Dezember 2012 beraten und empfiehlt Zu Buchstabe b mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP so- Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf auf Druck- wie des Abgeordneten (Köln) (BÜNDNIS 90/ sache 17/11430 in seiner 208. Sitzung am 22. November DIE GRÜNEN) bei Stimmenthaltung der Abgeordneten An- 2012 beraten und an den Rechtsausschuss zur federführen- nette Groth (DIE LINKE.) dessen Annahme. Die Fraktion den Beratungsowie an den Innenausschuss, den Ausschuss der SPD hat an der Abstimmung nicht teilgenommen. für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit und an den Ausschuss für Menschenrechte und Zu Buchstabe b humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen. Der Innenausschuss hat den Gesetzentwurf auf Drucksache II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse 17/11430 in seiner 87. Sitzung am 28. November 2012 bera- ten und empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/ Zu Buchstabe a CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen Der Innenausschuss hat den Gesetzentwurf auf Drucksache die Stimmen von zwei Mitgliedern der Fraktion der SPD und 17/11295 in seiner 87. Sitzung am 28. November 2012 bera- einem Mitglied der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten. Er empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. dessen Ab- CSU undFDP sowie den Stimmen von zwei Mitgliedern der lehnung. Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion der SPD Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bei Stimmenthaltung der Fraktionen DIE LINKE. und hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11430 in seiner BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, den im Rechtsausschuss zu 81. Sitzung am 28. November 2012 beraten und empfiehlt diesem Gesetzentwurf eingebrachten Änderungsantrag der einstimmig, zu dem Gesetzentwurf eine Beschlussfassung Abgeordneten Burkhard Lischka, , im Plenum herbeizuführen. , , , Petra Ernstberger, , Dr. , Martin Der Ausschuss für Gesundheit hat den Gesetzentwurf auf Gerster, Iris Gleicke, Günter Gloser, , Drucksache 17/11430 in seiner 92. Sitzung am 10. Dezember Dr. , Hans-Joachim Hacker, Michael Hartmann 2012 beraten und empfiehlt, zu dem Gesetzentwurf eine Be- (Wackernheim), Dr. , Dr. Barbara Hendricks, schlussfassung im Plenum herbeizuführen. , Dr h. c. Susanne Kastner, , (Leipzig), , Dr. Rolf Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Mützenich, Aydan Özog˘uz, Johannes Pflug, Dr. Sascha hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11430 in seiner Raabe, Stefan Rebmann, Anton Schaaf, Paul Schäfer (Köln), 72. Sitzung am 10. Dezember 2012 beraten und empfiehlt (Schwandorf), (Spandau), mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP so- Sonja Steffen, , , Heidemarie wie des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Wieczorek-Zeul und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) abzu- DIE GRÜNEN) bei Stimmenthaltung der Abgeordneten An- lehnen. nette Groth (DIE LINKE.) dessen Ablehnung. Die Fraktion der SPD hat an der Abstimmung nicht teilgenommen. Er empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Stimmen von zwei Mitgliedern der Fraktion der SPD gegen die Stim- III. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im men derFraktion der SPD und eines Mitglieds der Fraktion federführenden Ausschuss BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf auf Drucksache Fraktion DIE LINKE. und eines Mitglieds der Fraktion der 17/11295 in seiner 100. Sitzung am 7. November 2012 bera- SPD, den Gesetzentwurf anzunehmen. ten und beschlossen, eine öffentliche Anhörung durchzufüh- Der Ausschussfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend ren. Diese Anhörung hat er in seiner 102. Sitzung am 26. No- hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11295 in seiner vember 2012 durchgeführt und zuvor beschlossen, den 81. Sitzung am 28. November 2012 beraten und empfiehlt Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11430 in diese Anhörung einstimmig, zu dem Gesetzentwurf und den im Rechtsaus- einzubeziehen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11814

An dieser Anhörung haben folgende Sachverständige teilge- Ernstberger, Gabriele Fograscher, Dr. Edgar Franke, Martin nommen: Gerster, Iris Gleicke, Günter Gloser, Ulrike Gottschalck, Dr. med. Antje Yael Deusel Bamberg Dr. Gregor Gysi, Hans-Joachim Hacker, Michael Hartmann (Wackernheim), Dr. Rosemarie Hein, Dr. Barbara Hendricks, Prof. Dr. med. Hans Ärztlicher Direktor und Chef- Josip Juratovic, Dr. h. c. Susanne Kastner, Ulrich Kelber, Kristof Graf arzt der Klinik für Innere Me- Daniela Kolbe (Leipzig), Niema Movassat, Dr. Rolf dizin, Kardiologie, Angiologie Mützenich, Aydan Özog˘uz, Johannes Pflug, Dr. Sascha und Intensivmedizin, Jüdi- Raabe, Stefan Rebmann, Anton Schaaf, Paul Schäfer (Köln), sches Krankenhaus Berlin, Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Akademisches Lehrkranken- Sonja Steffen, Kerstin Tack, Kathrin Vogler, Heidemarie haus der Charité – Universi- Wieczorek-Zeul und WaltraudWolff (Wolmirstedt) haben im tätsmedizin Berlin Rechtsauschuss folgenden Änderungsantrag zu dem Gesetz- Prof. Dr. Oliver Hakenberg Universitätsmedizin Rostock, entwurf auf Drucksache 17/11295 gestellt: Urologische Klinik und Poli- klinik Der Ausschuss wolle beschließen: Dr. med. Wolfram Präsident des Berufsverbands 1. In Artikel 1 wird § 1631d wie folgt geändert: Hartmann der Kinder-und Jugendärzte a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst: (BVKJ) e. V., Kreuztal „(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, Prof. Dr. Hans Michael Georg-August-Universität nach vorangegangener ärztlicher Aufklärung in eine Heinig Göttingen, Lehrstuhl für Öf- medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des fentlichesRecht, insbes. Kir- nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kin- chenrecht und Staatskirchen- des einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der recht ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt Stephan J. Kramer Generalsekretär des Zentralra- nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Be- tes der Juden in Deutschland, rücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefähr- Berlin det wird.“ Aiman A. Mazyek Vorsitzender des Zentralrates b) Folgender Absatz 3 wird angefügt: der Muslime in Deutschland (ZMD), Köln „(3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird Prof. Dr. Reinhard Merkel Universität Hamburg, Fakultät ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere hin- für Rechtswissenschaft sichtlich Prof. Dr. Henning Radtke Richter am Bundesgerichtshof 1. der Ausbildungsvoraussetzungen und des Befähi- Karlsruhe gungsnachweises der nichtärztlichen Beschneider, Univ.-Prof. Dr. Christian Ludwig-Maximilians-Univer- 2. der Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs, Walter sität München, Juristische Fa- insbesondere der Schmerzbehandlung, kultät, Lehrstuhl für Öffent- 3. der Anforderungen und Modalitäten zur Feststel- liches Recht, Völkerrecht und lung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit einer Europarecht nicht medizinisch indizierten Beschneidung für Prof. Siegfried Willutzki Direktor des Amtsgerichts das minderjährige männliche Kind sowie Brühl a. D. 4. der Anforderungen an die Ermittlung und Feststel- Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Pro- lung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des tokoll der 102. Sitzung vom 26. November 2012 mit den an- minderjährigen männlichen Kindes gegen eine liegenden Stellungnahmen der Sachverständigen verwiesen. Beschneidung zu regeln.“ Der Rechtsausschuss hat die Beratung der beiden Gesetzent- 2. Artikel 2 wird wie folgt gefasst: würfe in seiner103. Sitzung am 28. November 2012 fortge- setzt und in seiner 106. Sitzung am 10. Dezember 2012 ab- „Artikel 2 geschlossen. Inkrafttreten und Evaluierung (1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Zu Buchstabe a Kraft. Der Rechtsausschuss empfiehlt mit den Stimmen der Frak- (2) Die Regelungen dieses Gesetzes sind innerhalb von tionen der CDU/CSU und FDP sowie der Abgeordneten fünf Jahren ab Inkrafttreten von dem Bundesministerium , Dr. Eva Högl, Burkhard Lischka, Marianne der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium Schieder (Schwandorf), Sonja Steffen und Jerzy Montag ge- für Gesundheit zu evaluieren. In diesem Zeitraum unter- gen die Stimmen der Abgeordneten Jens Petermann, Raju zieht das Bundesministerium der Justiz in Abstimmung Sharma, Halina Wawzyniak und Jörn Wunderlich bei mitdem Bundesministerium der Gesundheit und unter Stimmenthaltung der Abgeordneten Ingrid Hönlinger die Hinzuziehung von Experten aus Wissenschaft und Praxis Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11295. die neuen gesetzlichen Regelungen einer eingehenden Die Abgeordneten Burkhard Lischka,Christine Lambrecht, Prüfung hinsichtlich der Erfahrungen in der Praxis. Die Rainer Arnold, Edelgard Bulmahn, Sebastian Edathy, Petra Bundesregierung unterrichtet den Bundestag bis zum Drucksache 17/11814 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

31. Dezember 2018 über die Ergebnisse der Evaluie- Eltern gewährleisten können muss. Diese Formulierung rung.“ könnte in der Weise interpretiert werden, dass eine Aufklä- rung auch durch den Eingriff durchführenden nichtärzt- Begründung lichen Beschneider vorgenommen werden kann. Nach gefes- A. Allgemeiner Teil tigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (z.B. BGH, Urt. v. Explizites Ziel des Gesetzentwurfs der Bundesregierung 7.11.2006, VI ZR 206/05) kann eine Aufklärung über Art, über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung Umfang und gesundheitliche Risiken eines operativen Ein- des männlichen Kindes, Bundestagsdrucksache 17/11295, ist griffs jedoch nur durch einen approbierten Arzt erfolgen. Es es, „Rechtssicherheit für alle Beteiligten“ zu schaffen. Der gibt zwar Erleichterungen insoweit, als die Aufklärung auch Lösungsvorschlag der Regierung ist grundsätzlich geeignet, durch einen Arzt/Ärztin durchgeführt werden darf, der/die der zur Zeit bestehenden Rechtsunsicherheit in der Frage selbst nicht den Eingriff vornimmt, dennoch ist eine Aufklä- der Zulässigkeit von Beschneidungen zu begegnen. Gleich- rung durch ärztliches Personal verpflichtend. Die Bundesre- wohl enthält der Vorschlag Unklarheiten, welche bei der gierung selbst führt in der Begründung zutreffend aus, dass Auslegung zu gerichtlichen Urteilen führen könnten, die dem das Fehlen einer medizinischen Indikation die Anforderun- Ziel des Gesetzes zuwider liefen. gen an die Risikoaufklärung erhöht. Daher muss auch für ei- nen Eingriff durch einen nichtärztlichen Beschneider gelten, Erforderlich ist eine gesetzliche Klarstellung in dem neu zu dass eine Aufklärung hinsichtlich der Art, Umfang und Fol- schaffenden § 1631d Absatz 1 BGB, dass es bei einer nicht gen des Eingriffs ausschließlich durch einen Arzt/eine Ärztin medizinisch indizierten Beschneidung in jedem Fall der vor- erfolgen darf. Nur ein Arzt/eine Ärztin ist aufgrund der Aus- herigen ärztlichen Aufklärung über Art, Umfang und Folgen bildung in der Lage, die Eltern über den Eingriff vollständig des Eingriffs bedarf. Der Gesetzestext des Regierungsent- und zuverlässig aufzuklären. wurf lässt dies offen und damit Raum für Zweifel. Eine solche ärztliche Aufklärung ist allerdings erforderlich, damit die Zu b) Eltern eine sachgerechte und fundierte Entscheidung über Darüber hinaus sind Präzisierungen erforderlich hinsicht- die Beschneidung ihres Sohnes treffen können. lich der Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs. Dazu gehört auch die Gewährleistung einer dem Alter des Kindes Darüber hinaus erforderlich sind Präzisierungen hinsichtlich angemessenen Schmerzbehandlung sowie die Feststellung, der fachlichen Qualifikation der nichtärztlichen Beschneider dass der Gesundheitszustand des minderjährigen Kindes ei- und der Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs. Dazu ner Beschneidung nicht entgegensteht. Auch die Konsequen- gehört auch eine dem Alter des Kindes angemessenen zen einer erkennbaren Abwehrreaktion eines älteren Jungen Schmerzbehandlung sowie die Feststellung, dass der Ge- (Vetorecht) bedürfen einer rechtssicheren Regelung. Schließ- sundheitszustand des minderjährigen Jungen einer Beschnei- lich sind Ausbildungsvoraussetzungen und Befähigungs- dung nicht entgegensteht. Auch die Konsequenzen bei einer nachweis eines nichtärztlichen Beschneiders zu konkretisie- erkennbaren Abwehrreaktion eines älteren Jungen gegen- ren. über einer Beschneidung (so genanntes Vetorecht) bedürfen einer rechtssicheren Regelung. Die erforderlichen Präzisie- Der Regierungsentwurf sieht vor, dass die Beschneidung rungen, die wegen ihrer Regelungsinhalte und -dichte nicht auch durch von den Religionsgesellschaften dazu vorgesehe- im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verorten sind, sollen im Wege nen Personen vorgenommen werden dürfen, wenn sie dafür einer vom Bundesministerium für Gesundheit im Dialog mit besonders ausgebildet und für die Durchführung der Be- den Betroffenen zu erlassenden Rechtsverordnung rechtliche schneidung einer Ärztin oder einem Arzt vergleichbar befä- Verbindlichkeit erhalten. higt sind. Er bestimmt, dass die Regelung nur für Personen gilt, die eine besondere Ausbildung für die Vornahme von Zur Überprüfung, ob die Neuregelung das erklärte Ziel er- Beschneidungen absolviert haben, legt jedoch die konkreten reicht, sollen die eingeführten Rechtsvorschriften evaluiert Anforderungen, welche an diese Ausbildung zu stellen sind, werden. nicht explizit fest. Ebenso wenig präzisiert er die konkreten B. Besonderer Teil Anforderungen und Modalitäten des Eingriffs, insbesondere 1. Zu Artikel 1: die Anforderungen an eine dem Alter des Kindes angemesse- nen Schmerzbehandlung. Gleiches gilt für die Voraussetzun- Zu a) gen für die Feststellung, dass der Gesundheitszustand des Erforderlich ist eine gesetzliche Klarstellung in dem neu zu minderjährigenJungen eine Beschneidung erlaubt sowie schaffenden § 1631d Absatz 1 BGB, dass es bei einer nicht den Konsequenzen bei einer erkennbaren Abwehrreaktion medizinisch indizierten Beschneidung in jedem Fall der vor- eines älteren Jungen gegenüber einer Beschneidung (Veto- herigen ärztlichen Aufklärung über Art, Umfang und Folgen recht). des Eingriffs bedarf. Der Gesetzestext des Regierungsent- Zu Nummer 1) Anforderungen an die Qualifikation der Be- wurfs lässt offen und damit Raum für Zweifel, ob bei einer schneider: Beschneidung durch Nichtärzte eine ärztliche Aufklärung er- In Deutschland erfolgt bislang keine Ausbildung von Be- forderlich ist. schneidern. Die in Deutschland praktizierenden Beschnei- In der Begründung des Regierungsentwurfs wird lediglich der sind im Ausland ausgebildet. Inzwischen hat der Zentral- darauf hingewiesen, dass auch der Eingriff durch einen rat der Juden die Entwicklung eines Ausbildungsganges in nichtärztlichen Beschneider nach den “Regeln der ärztli- Deutschland angekündigt. In Israel setzt die Verleihung der chen Kunst“ zu erfolgen hat und der nichtärztliche Be- Bezeichnung „lizensierter Mohel“ durch ein Komitee des schneiderdie bei nicht medizinisch indizierten Eingriffen er- Oberrabbinats im Zusammenwirken mit dem Gesundheits- forderlich ordnungsgemäße und umfassende Aufklärung der ministerium eine Ausbildung bei einem Mohel, die Empfeh- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11814 lung eines Rabbiners und den Nachweis medizinischer Attes- Annahmen dieser Art entsprechen nicht bzw. nicht mehr dem te sowie eine theoretische und praktische Prüfung voraus. aktuellen Stand der klinischen und wissenschaftlichen For- Dies macht deutlich, dass für die Vornahme von Beschnei- schung zur Schmerzbehandlung und -therapie. Studienba- dungen durch nichtärztliche Beschneider einheitliche Stan- sierte Erkenntnisse stützen die Annahme, dass das Schmerz- dards auf einer sicheren Rechtsgrundlage erforderlich sind. system beim Menschen vor der Geburt bereits soweit Für die Präzisierung der Voraussetzungen an die Qualifika- entwickelt ist, dass auch bei Neugeborenen Schmerzen aus- tion und – medizinische – Aus- bzw. Vorbildung des nicht- gelöst werden und zu Leiden führen können. Studiengestütz- ärztlichenBeschneiders ist das Recht der Personensorge im ten Vermutungen zur Folge könnten Säuglinge sogar Bürgerlichen Gesetzbuch nicht der adäquate Regelungs- schmerzempfindlicher sein als im Kindes- und Jugendalter. standort. Sie soll daher einer Regelung des Verordnungsge- Es ist daher erforderlich, altersangepasste Standards insbe- bers vorbehalten bleiben. Hierzu bedarf es der Entwicklung sondere hinsichtlich einer adäquaten Schmerzbehandlung eines Kataloges, der die maßgeblichen Ausbildungs- und und Nachsorge einzuführen. Prüfungsinhalte unter Berücksichtigung der erforderlichen medizinischen Fachkenntnisse definiert. Dazu gehören ne- Zu Nummer 3) Ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ben den unmittelbar eingriffsspezifischen Kenntnissen und Ebenfalls qua Verordnung sollen die Anforderungen und Fertigkeiten auch vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten im Modalitäten zur Feststellung der gesundheitlichen Unbe- Umgang mitHygiene, Desinfektion und Sterilität sowie über denklichkeit einer nicht medizinisch indizierten Beschnei- die Erstversorgung in akuten Zuständen und Notfällen. dung für das männliche Neugeborene konkretisiert und stan- Zu Nummer 2)Anforderungen und Modalitäten des Ein- dardisiert werden. Damit soll dem Umstand Rechnung griffs, insbesondere der Schmerzbehand- getragen werden, dass es bislang keine Vorgaben und Richt- lung linien für solche Fälle gibt, in denen sich eine Beschneidung aus gesundheitlichen Gründen verbietet. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verweist in Bezug auf die Durchführung der Beschneidung auf die „Regeln der So kann etwa Hämophilie – die so genannten Bluterkrank- ärztlichen Kunst“. In Ermangelung verbindlicher Richt- heit – bei einem männlichen Neugeborenen ein Hinderungs- linien und Standards hinsichtlich der Modalitäten des Ein- grund für eine Beschneidung sein. Hämophilie ist eine Erb- griffs existierenunterschiedliche Beschneidungspraktiken. krankheit, bei der die Blutgerinnung gestört ist. Durch eine DiesemUmstand trägt der Regierungsentwurf nicht Rech- Blutuntersuchung, mit der die Gerinnungswerte und der nung, weil er insoweit eine Präzisierung unterlässt. Menge der Blutplättchen (Thrombozyten) bestimmt werden, ist diese Krankheit auch bei einem Neugeborenen zu diag- Die Festschreibung zwingender Standards ist erforderlich, nostizieren. Eine solche Blutuntersuchung bei Neugebore- um sicherzustellen, dass bei Durchführung einer Beschnei- nen veranlassen Ärzte allerdings nicht generell vorsorglich, dung durch nichtärztliche Beschneider Rituale, die mit ho- sondern bislang nur bei Krankheitsverdacht, der sich zum hen gesundheitlichen Risiken verbunden sind, unterbleiben. Beispiel auf Hinweise in der Familiengeschichte gründet. So erhöht z. B. das jüdisch-orthodoxe Ritual des „Metzitzah B’peh“, bei dem der Mohel als letzte Handlung nach der Ab- Risiken dieser Art in einem standardisierten Verfahren fest- trennung der Vorhaut mit seinem Mund Blut aus der Wunde zustellen bzw. auszuschließen, erhöht die Rechtssicherheit des Säuglings saugt, signifikant das Risiko von Infektionen für alle Betroffenen. Mit Blick darauf, dass in der jüdischen (z. B. die Übertragung von Herpesviren). Diese Infektionen Gemeinschaft die männlichen Kinder in aller Regel am ach- können im schlimmsten Fall tödlich verlaufen. ten Tag nach der Geburt beschnitten werden, bietet sich bei- spielsweise eine entsprechende Anpassung und Ausgestal- Seitens der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gibt es tung der zweiten Früherkennungsuntersuchung eines Signale, wegen des Gesundheitsrisikos die Beschneidung neugeborenen Kindes – die so genannte U2 – an, die zwi- nicht durch einen Mohel durchführen zu lassen, der dieses schen dem dritten und zehnten Lebenstag stattfindet. Ritual praktiziert. Zu Nummer 4) Vetorecht: Mitseinem Beschluss vom 19. Juli 2012 hatte der Deutsche Bundestag von der Regierung die Vorlage eines Gesetzent- Die Regelung des Regierungsentwurfs gilt grundsätzlich nur wurfs gefordert, der sicherstellt, dass eine Beschneidung von für Jungen, die aufgrund ihres Entwicklungsstandes noch Jungen „ohne unnötige Schmerzen“ stattfindet. Dieses Er- nicht in der Lage sind, ernsthaft ihren Willen für oder gegen fordernis will die Regierung im Entwurf mit der Formulie- eine Beschneidung auszudrücken. Die Grenze, ab wann rung „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ erfüllen. Nach Kinder hierzu in der Lage sind, ist fließend und bewegt sich diesen Regeln ist eine im Einzelfall angemessene und wir- zwischen dem zweiten/dritten und zwölften bis vierzehnten kungsvolle Betäubung erforderlich. Lebensjahr. Unbestritten ist aber, dass auch Kinder unter- halb der Schwelle der Einsichts- und Urteilsfähigkeit in der Bezüglich der Schmerzbehandlung und -therapie unterstellt Lage sind, ihren Willen gegen eine Beschneidung ernsthaft der Regierungsentwurf einen zur Beurteilung der im Einzel- und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Dies kann fall angemessenen Maßnahme notwendigen Wissensstand, auch durch ein rein physisches Abwehrverhalten bzw. non- dessen Vorliegen in der erforderlichen Tiefe und Verbreitung verbale Kommunikation geschehen. jedoch bezweifelt werden muss. So ist beispielsweise auch in Teilen der Ärzteschaft noch immer die Annahme verbreitet, Der Gesetzestext sieht eine ausdrückliche Beachtung des dass bei Säuglingen das Schmerzsystem noch nicht ausge- kindlichen Willens in diesen Fällen jedoch nicht vor. Ledig- reift sei, so dass ein chirurgischer Eingriff wie etwa eine Be- lich in der Begründung des Regierungsentwurfs wird ausge- schneidung, keine vergleichbare Belastung wie bei älteren führt, dass ein solcher Wille gegen die Beschneidung „im Kindern oder Erwachsenen darstelle. Einzelfall“ Berücksichtigung finden kann und sich die Eltern Drucksache 17/11814 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode mit dem der Beschneidung entgegenstehenden Willen des auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindes- noch nichteinsichtsfähigen Kindes auseinandersetzen sol- wohl gefährdet wird“. len. 2. In § 1631 d Absatz 2 werden die Worte „sechs Monaten“ Es ist sicherzustellen, dass auch in diesen Fällen der Wille durch die Worte „ vierzehn Tagen“ ersetzt. des Kindeszu berücksichtigen ist. Im Rahmen einer Rechts- verordnung sollen verbindliche Richtlinien und Maßgaben Begründung für den Umgang mit gegen die Beschneidung gerichteten unmissverständlichen Willensbekundungen nicht einsichts- A. Allgemeiner Teil und urteilsfähiger Kinder (Vetorecht) entwickelt werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Umfang Das Bundesministerium für Gesundheit wird daher ermäch- der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen tigt, das Nähere zu den unter Nummern 1 bis 4 dargestellten Kindes, Drucksache 17/… erklärt die Einwilligung von Punkten in einer im Zusammenwirken mit den Betroffenen zu Eltern in die Beschneidung ihres Sohnes unter bestimmten erstellenden Rechtsverordnung zu regeln. Umständen für rechtmäßig. Die Regelung umfasst nur Ein- willigungen zu Beschneidungen männlicher Kinder, die noch 2. Zu Artikel 2: nicht einsichts- und urteilsfähig sind. Die Beschneidung muss Absatz 1 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ durchgeführt wer- den. Diese werden in verschiedenen Gesetzen, so zB. in § 4 Die in Absatz 2 ausdrücklich normierte Evaluierungsver- Abs. 2 Satz 2 der Bundesärzteordnung näher beschrieben. § 1 pflichtung soll vor allem der Prüfung dienen, ob die einge- HeilprG legt die Rechtsprechung ( BVerwG I C 2/69 – U. v. führte Rechtsvorschrift sich in ihrer konkreten inhaltlichen 18.12.72) dahingehend aus, dass medizinische Behandlun- Ausgestaltungin der Praxis bewährt hat. Eine solche Evalu- gen, die ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen oder gesund- ierung erscheint insbesondere deshalb geboten, weil es sich heitliche Schäden verursachen können, nur von einem Arzt bei der eingeführten Norm um eine erstmalige gesetzliche oder Ärztin oder einer Person, die eine Erlaubnis nach dem Regelung der entsprechenden Materie handelt. Ziel der Eva- HeilprG besitzt, durchgeführt werden dürfen. Im Ergebnis ist luierung ist es, Anhaltspunkte über Probleme in der prak- festzuhalten, dass Beschneidungen, zu denen Eltern nach tischen Umsetzung der Regelung zu gewinnen. § 1631 d Abs. 1BGB – E ihre Einwilligung geben, in aller Der Rechtsausschuss hat auf Antrag des Abgeordneten Regel nur von einem Arzt oder einer Ärztin durchgeführt Jerzy Montag über die beiden Nummern dieses Änderungs- werden können. Dies ergibt sich im Rückschluss auch aus antrages getrennt abgestimmt. Er hat Nummer 1 des Ände- § 1631 d Abs. 2 BGB – E, der als Ausnahme die Vornahme rungsantrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU des Eingriffs auch durch einen Nicht-Arzt vorsieht. und FDP sowie der Abgeordneten Kerstin Griese und Dr. Eva 1. Da der Regelungsvorschlag nur Beschneidungen von Högl, Jens Petermann, Raju Sharma, Halina Wawzyniak und nicht einsichts- und urteilsfähigen und damit nicht ein- Jörn Wunderlich gegen die Stimmen der Abgeordneten willigungsfähigen männlichen Kindern erfasst, gilt die Burkhard Lischka, Marianne Schieder (Schwandorf) und Regelung gerade für solche Kinder, die aufgrund ihres Sonja Steffen bei Stimmenthaltung der Abgeordneten Ingrid Entwicklungsstandes noch nicht in der Lage sind, Wesen, Hönlinger und Jerzy Montag abgelehnt. Nummer 2 des Bedeutung, und Tragweite des mit der Beschneidung ver- Änderungsantrages hat er mit den Stimmen der Fraktionen bundenen Eingriffs in ihre körperliche Unversehrtheit zu der CDU/CSU und FDP sowie der Abgeordneten Jens erfassen. Aber auch unterhalb der Schwelle von Ein- Petermann, Raju Sharma, Halina Wawzyniak und Jörn sichts- und Urteilsfähigkeit ist ein ernsthaft und unmiss- Wunderlich gegen die Stimmen der Abgeordneten Kerstin verständlich zum Ausdruck gebrachter Wille des (noch Griese, Dr. Eva Högl, Burkhard Lischka, Marianne Schieder nicht einsichtsfähigen) Kindes nicht ir-relevant (so aus- (Schwandorf), Sonja Steffen, Ingrid Hönlinger und Jerzy drücklich in der Begründung zum Gesetzentwurf unter Montag abgelehnt. 2 d) zum Einwilligungsrecht der Eltern). Die Abgeordneten Jerzy Montag, , Volker Der Gesetzestext sieht jedoch eine ausdrückliche Beach- Beck (Köln), , Birgit Bender, Ekin Deligöz, tung des Willens des Kindes nicht vor. Lediglich in der Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Ingrid Begründung zu § 1631 d Abs. 1 Satz 2 BGB – E wird da- Hönlinger, , Sven-Christian Kindler, rauf abgehoben, dass ein solcher kindlicher Wille gegen Tom Koenigs, Niema Movassat, Kerstin Müller (Köln), die Beschneidung „im Einzelfall“, der nicht näher spezi- , Dr. , Elisabeth fiziert wird, Berücksichtigung finden kann. Darüber hin- Scharfenberg, Kathrin Vogler, Josef Philip Winkler und aus – so die Begründung des Gesetzentwurfs unter Hin- Waltraud Wolff (Wolmirstedt) haben im Rechtsauschuss fol- weis auf§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB – sollen sich die Eltern genden Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf auf Druck- mit dem der Beschneidung entgegenstehenden Willen des sache 17/11295 gestellt: noch nicht einsichtsfähigen Kindes lediglich auseinander Der Ausschuss wolle beschließen: setzen. Artikel 1 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird wie Dies erscheint zu wenig. Statt dessen ist es richtig, aus- folgt geändert: drücklich im Gesetz fest zu halten, dass eine Einwilligung 1. § 1631 d Absatz 1 wird Satz 2 wie folgt gefasst: der Eltern in eine Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes gegen seinen ernsthaft und unmiss- „Dies gilt nicht, wenn das Kind einen entgegen stehenden verständlich zum Ausdruck gebrachten Willen nicht mög- Willen zum Ausdruck bringt oder durch die Beschneidung lich ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11814

2. § 1631 d Abs. 2 BGB – E sieht für Kinder in den ersten Diese Begrenzung richtet sich in erster Linie danach, sechs Monaten nach der Geburt die Möglichkeit vor, dass dass in den ersten beiden Lebenswochen der Einsatz von der Eingriff auch von einer von einer Religionsgemein- Allgemeinanästhetika (Narkosemittel) bei kleineren und schaft dazu vorgesehenen Person durchgeführt wird, die nicht akut lebenswichtigen medizinischen Eingriffen – weil speziell hierfür aus-gebildet – ohne Arzt oder nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht. Die Be- Ärztin zu sein, für die Durchführung der Beschneidung lastung des Neugeborenen durch solche Maßnahmen ist vergleichbar befähigt ist. Dies bedeutet im Ergebnis, dass unvertretbar hoch. Stattdessen können und müssen in der – wenn der Eingriff ohne Assistenz eines Arztes oder ei- Regel zur Schmerzlinderung Salben und Zäpfchen verab- ner Ärztin erfolgt – in den ersten sechs Monaten nach der reicht werden. Diese Mittel können auch diejenigen Per- Geburt die Schmerzlinderung nicht mittels Narkosemittel sonen einsetzen, die ohne Arzt oder Ärztin zu sein, beson- durchgeführt werden kann. ders ausgebildet sind, um Beschneidungen auch in den ersten beiden Lebenswochen durzuführen. Die jüdische Eine Begründung für die vorgeschlagene Zeitspanne von Religion sieht in aller Regel eine rituelle Beschneidung sechs Monaten, innerhalb derer auch Nichtärzte be- am achten Tag vor. Dieser Ritus ist mit der vorgeschlage- schneidenkönnen sollen, findet sich im Gesetzentwurf nen Regelung in vollem Umfang vereinbar. nicht. Lediglich im Rahmen des internationalen Rechts- vergleiches wird darauf verwiesen, dass das Oberrabbi- Der Rechtsausschuss hat diesen Änderungsantrag mit den nat in Israel mitgeteilt habe, dass bei Kindern, die älter Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie der als sechs Monate sind, Beschneidungen mit Narkose und Abgeordneten Jens Petermann, Raju Sharam, Halina von einem Arzt mit Mohel-Lizenz durchgeführt werden. Wawzyniak und Jörn Wunderlich gegen die Stimmen der Abgeordneten Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Burkhard Dies ist zur Begründung der Sechs-Monats-Frist bei wei- Lischka, Marianne Schieder (Schwandorf), Sonja Steffen, tem nicht ausreichend. Vielmehr ist darauf abzustellen, Ingrid Hönlinger und Jerzy Montag abgelehnt. dass beiNeugeborenen die Belastungen einer Anästhesie (Narkose) so beträchtlich sind, dass kleinere medizini- Zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11295 lagen dem sche Eingriffe unterlassen oder auf ein Alter verschoben Rechtsausschuss mehrere Petitionen vor. werden, in dem solche anästhetischen Maßnahmen rela- tiv komplikationslos eingesetzt werden können. In der Zu Buchstabe b Praxis werden Beschneidungen an Neugeborenen in Der Rechtsausschuss empfiehlt mit den Stimmen der Frak- Deutschland nur bis zu zweiten Lebenswoche nur unter tionen der CDU/CSU und FDP sowie der Abgeordneten Anwendungvon schmerzlindernden Salben oder Zäpf- Kerstin Griese, Dr. Eva Högl, Burkhard Lischka, Marianne chen durchgeführt. Schieder (Schwandorf), Sonja Steffen, Ingrid Hönlinger und Darüber hinaus werden in der jüdischen Gemeinschaft Jerzy Montag gegen die Stimmen der Abgeordneten Jens die männlichen Kinder in aller Regel am achten Tag nach Petermann, Raju Sharma, Halina Wawzyniak und Jörn der Geburt beschnitten. Wunderlich die Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Druck- sache 17/11430. Deshalb ist es richtig, die Ausnahme nach § 1631 d Abs. 2 BGB– E erheblich auf den Zeitraum von zwei Wo- Zu den Buchstaben a und b chen nach der Geburt zu beschränken. Die Fraktionen SPD, DIE LINKE.und BÜNDNIS 90/ B. Besonderer Teil DIE GRÜNEN erklärten, die Mitglieder ihrer Fraktionen 1. zu Abs. 1 Satz 2 (Vetorecht des Kindes) hätten jeweils entschieden, von einem einheitlichen Abstim- mungsverhalten zu den beiden Gesetzentwürfen abzusehen. Mitder Einfügung der Worte „das Kind einen entgegen stehenden Willen zum Ausdruck bringt oder“ wird zum Der Abgeordnete Jerzy Montag führte aus, er unterstütze Ausdruck gebracht, dass auch noch nicht einwilligungs- den Gesetzentwurf der Bundesregierung weitgehend. Dieser und urteilsfähige Kinder durchaus in der Lage sind, ihren sei lediglich in zwei wesentlichen Punkten nachbesserungs- einer Beschneidung entgegen stehenden Willen zum Aus- bedürftig. Der von ihm mit eingebrachte Änderungsantrag druck zu bringen. Sowohl die Grenze, ab wann Kinder ziele im Wesentlichen auf entsprechende Anpassungen die- hierzu in der Lage sind, als auch die Grenze, ab wann sie ses Gesetzentwurfs. Zum einen müsse im Gesetz klargestellt einwilligungs-und urteilsfähig sind, lässt sich nicht exakt werden, dass der erkennbar entgegenstehende Wille des Kin- bestimmen. Sie wird zwischen dem zweiten bis dritten Le- des vom Arzt und den Eltern zu berücksichtigen sei. Aus der bensjahr einerseits und dem zwölften bis zum vierzehnten Begründung der Bundesregierung zu deren Gesetzentwurf Lebensjahr andererseits liegen. Jedenfalls sind Kinder in ergebe sich, dass auch sie davon ausgehe, dass ein solcher diesem Zwischenstadium sehr wohl fähig, ernsthaft und Wille erkennbar sein könne. Ferner müsse die Frist, inner- unmissverständlich zum Aus-druck zu bringen, dass sie halb derer eine Beschneidung unter Beachtung der im Ge- eine Beschneidung ablehnen. Dies kann auch nonverbal setzentwurf genannten Voraussetzungen durchgeführt wer- geschehen. In diesen Fällen entfaltet eine etwaige den könne, von sechs Monaten auf 14 Tage verkürzt werden. Einwilligung der Eltern zu einer Beschneidung nach Die Sechs-Monats-Frist sei nicht medizinisch begründet, § 1631 d Abs. 1 Satz 1 BGB – E keine Wirkung. sondern ergebe sich allein aus der Beschneidungspraxis in Israel. Dem Ziel der Gesetzes, Juden und Muslimen die 2. zu Abs. 2 (Zwei-Wochen-Frist) Religionsausübung zu ermöglichen, werde auch mit einer Mit der Ersetzung der Worte „sechs Monaten“ durch 14-Tage-Frist erreicht. Dem Gesetzentwurf auf Drucksache „vierzehn Tagen“ wird die Ausnahmevorschrift des 17/11430 könne er nicht zustimmen, weil die darin vorgese- § 1631 d Abs. 2 BGB – E erheblich verkürzt. hene Regelung, wonach Beschneidungen erst mit Vollen- Drucksache 17/11814 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode dung des 14. Lebensjahres möglich sein sollten, ganz we- praxistauglich, weil entsprechende Verordnungen laufend an sentliche religiöse Riten von Juden und Muslimen neueste medizinische Erkenntnisse angepasst werden müss- kriminalisiere. ten. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11430 sei abzu- lehnen. Er stehe, das habe auch die Anhörung ergeben, nicht Der Abgeordnete Burkhard Lischka erklärte ebenfalls, im Einklang mit Artikel 6 des Grundgesetzes. Zudem bedeu- dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Er te er inhaltlich eine Abkehr von der bisherigen Rechtslage, sehe abernoch Änderungsbedarf. Rechtssicherheit für die nach der die Beschneidung von Jungen in Deutschland er- Betroffenen lasse sich nur durch Setzung staatlicher Rege- laubt sei. Eine Beschneidung vor dem 14. Lebensjahr eines lungen schaffen. Nur damit könne ausgeschlossen werden, Jungen zu verbieten, bedeute faktisch ein Verbot religiöser dass demnächst wieder eine gerichtliche Entscheidung dazu Beschneidungen entsprechend den jüdischen und muslimi- führe, die bisherige Rechtspraxis in Frage zu stellen. Daher schen Traditionen. Dies sei nicht hinnehmbar. sollten Verordnungsermächtigungen in das Gesetz aufge- nommen werden, mit denen im Wesentlichen die Ausbil- Der Abgeordnete Raju Sharma unterstrich, dass beide Ge- dung und Zertifizierung von Beschneidern sowie die medizi- setzentwürfe eine Regelung im Recht der elterlichen Sorge nischenAnforderungen an eine Beschneidung geregelt anstrebten. Die Behauptung, der Gesetzentwurf auf Druck- werden könnten. sache 17/11430 setze auf eine Kriminalisierung, gehe daher fehl. Beide Gesetzentwürfe regelten die Voraussetzungen, Die Abgeordnete Kerstin Griese unterstützte ebenfalls den unter denen die Einwilligung in eine tatbestandliche Körper- Gesetzentwurf der Bundesregierung und warb für eine starke verletzung rechtlich zulässig erteilt werden könne. gesetzliche Sicherung der Rechte des Kindes. Daher sei eine gesetzliche Regelung des Vetorechts des Kindes nicht nur Die Fraktion der FDP unterstützte die Ausführungen der unschädlich, sondern geboten. Damit könnte auch eine grö- Fraktion der CDU/CSU. Die Debatte zum Vetorecht des ßere parlamentarische Mehrheit für den Gesetzentwurf der Kindes sei mit der entsprechenden Diskussion beim Thema Bundesregierung sichergestellt werden. Die Frist, innerhalb Patientenrechte vergleichbar. Dort habe man sich richtiger- derer eine Beschneidung zulässig sein solle, sollte nach dem weise auf die Aufklärung auch nicht einwilligungsfähiger Vorbildder entsprechenden schwedischen Regelung bei Minderjähriger geeinigt. Eingriffe dürften aber nicht gegen zwei Monatenliegen; damit könnten die Nachteile der sehr den Willen einsichtsfähiger Kinder durchgeführt werden. kurzen 14-Tage-Frist vermieden werden. Bei nichteinsichtsfähigen Minderjährigen seien die Eltern im Rahmen der elterlichen Sorge zur Entscheidung berufen. Für Die Fraktion der CDU/CSU unterstützte den Gesetzent- die Beschneidung seien von diesem Grundkonzept abwei- wurf der Bundesregierung, der ohne Änderungen annahme- chende Sonderregelungen nicht angezeigt. Eine ausdrückli- fähig sei. Es sei zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf der che Regelungeines Vetorechts des Kindes würde als Fremd- Bundesregierung in der Begründung in sehr ausführlicher körper im System des Familienrechts nicht zu Rechtsklarheit Weise die vermeintlich widerstreitenden Interessen der be- führen. Eine staatliche Regelung der medizinischen Anfor- troffenenGrundrechte darstelle und einen Weg aufzeige, der derungen an eine Beschneidung sei auch deshalb nicht not- einen ausgewogenen Ausgleich ermögliche. Die in den Än- wendig, weil die Einhaltung der entsprechenden Regeln der derungsanträgen vorgesehene Berücksichtigung eines er- medizinischen Kunst bereits durch die zivilrechtlichen Haf- kennbar entgegenstehenden Willens des Kindes ergebe sich tungsregeln hinreichend gesichert sei. Anders als in der Dis- bereits aus den rechtlichen Verpflichtungen der elterlichen kussion vielfach behauptet handle es sich bei den Regeln der Sorge gemäß § 1626 BGB, so dass eine Aufnahme in den medizinischen Kunst nicht um unbestimmte Rechtsbegriffe, Gesetzestext nicht geboten sei. Die öffentliche Anhörung ha- die der autonomen Auslegung durch den Richter zugänglich be zudem ergeben, dass die medizinischen Sachverständigen seien. Deren Inhalt werde vielmehr durch die Praxis der Ärz- unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Festlegung te in hinreichendem Maße bestimmt. der in § 1631dAbsatz 2 BGB-E vorgesehenen Frist gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sei die Orientierung des Ge- Die Bundesregierung erläuterte, Ziel ihres Gesetzentwurfs, setzgebers ander von der jüdischen Glaubensgemeinschaft mit dem sie einem Auftrag des Deutschen Bundestages praktizierten Sechs-Monats-Regel vertretbar. Da der Gesetz- nachkomme, sei eine Klarstellung des bisher anerkannten entwurf die Qualifikationserfordernisse für die von einer Re- Rechtszustands. Darin unterscheide er sich von dem Gesetz- ligionsgemeinschaft für eine Beschneidung vorgesehenen entwurf aufDrucksache 17/11430. Jede Frist für die Zuläs- Personen vorgebe und der Zentralrat der Juden bereits erklärt sigkeit einer Beschneidung sei letztlich eine gegriffene Frist, habe, derzeiteine entsprechende Zertifizierung auszuarbei- weil es keine medizinisch zwingende Vorgabe für deren Be- ten, bedürfe eskeiner entsprechenden staatlichen Regelung. stimmung gebe. Die Sechs-Monats-Frist gehe auf die Be- Der Vorschlag, die medizinischen Anforderungen an Be- schneidungspraxis in Israel und damit auf einen sachgerech- schneidungen durch Rechtsverordnung zu regeln, sei nicht ten Anknüpfungspunkt zurück.

Berlin, den 10. Dezember 2012

Andrea Astrid Voßhoff Burkhard Lischka Stephan Thomae Raju Sharma Jerzy Montag Berichterstatterin Berichterstatter Berichterstatter Berichterstatter Berichterstatter

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