Deutschland

PARTEIEN Glatte Zumutung Sind die Jungwähler konservativ? Nicht unbedingt, aber sie wollen Ergebnisse und verab- scheuen Polit-Rituale.

ie der Nachwuchs tickt, wusste schon immer. „Die Wjunge Generation“, verkündete der Altkanzler vergangenen Dienstag un- term Berliner Funkturm feierlich, „gehört zu den Besten, die es gibt. Kein Wunder, sie stammt ja von uns ab.“ Das Publikum, mehr als tausend meist Grauhaarige, ju- belte begeistert. Kein Wunder, dass die Augen des Patri- archen so wohlgefällig auf der Jugend ru-

hen. Ob im Saarland, Brandenburg, Thürin- M. DARCHINGER gen, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen – Junge Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus*: „Die SPD gilt als Loser-Partei“ bei den Wahlen der vergangenen Wochen errang die traditionelle Rentnerpartei CDU der CDU, in Brandenburg halbierte sich die als Loser-Partei.“ Maßnahmen wie das bei den 18 bis 30 Jahre alten Wählern enor- Zustimmung der Jungen zur SPD dagegen. 100000-Ausbildungsplätze-Programm oder me Zuwächse, die SPD dagegen verbuch- Doch Demoskopen wie Dieter Roth von die Aufstockung des Bildungshaushalts sei- te oft zweistellige Verluste. Selbstbewusst der Mannheimer Forschungsgruppe Wah- en „überhaupt nicht angekommen“. Ein behauptet Parteichef Wolfgang Schäuble: len warnen davor, die Zahlen zu über- Reinfall auch Gerhard Schröders vermeint- „Wir sind die Partei der Jugend.“ schätzen. Denn auch bei den Erst- und licher Mediencoup, Hans Martin Bury, 33, In der Ära Kohl galten Deutschlands jun- Jungwählern profitierte die CDU nach Ein- als Staatsminister ins Kanzleramt zu holen. ge Leute meist als linksliberal, heute ist es schätzung der Forscher vor allem von einer Nicht an jugendlichen Vorzeige-Politi- modern, sich als Konservativer zu outen deutlich gesunkenen Wahlbeteiligung. kern sei der Nachwuchs interessiert, folgert und Anzug zu tragen. Dieses „Novum in Die hohe Mobilisierung der konservati- der Sozialdemokrat Roth, sondern „an ei- der politischen Landschaft“ stellte der ven Wähler bei gleichzeitiger Apathie der ner Art positiver Political Leadership“. SPD-Abgeordnete Michael Roth, 29, schon Rot-Grün-Wähler verzerrte die Zahlen ge- Gute Voraussetzungen für die eher auto- nach den Landtagswahlen in seinem Hei- waltig. Unterm Strich hat die CDU, wie die ritär strukturierte CDU. matland Hessen fest. SPD auch, netto an Wählern verloren. Es Dass der Wertekanon der Jungen nicht Seine Kölner Kollegin Ursula Heinen, fällt bei den Prozenten nur nicht auf. mehr mit den klassischen Rechts-links-Ka- 33, Sprecherin der Jungen Gruppe der Uni- So ist die CDU keineswegs die Partei tegorien zu fassen ist, räumen auch junge onsfraktion, genießt hingegen die „wach- der Jugend. „Im Grunde findet seit einem Abgeordnete der Regierungskoalition wie Jahr nur ein Aufholprozess statt“, sagt Mat- der Grüne , 28, ein: thias Jung von der Forschungsgruppe Wah- „Bestes Beispiel ist die Einstellung zur Fa- len. Erstmalig in ihrer Geschichte gelinge es milie, die sich komplett geändert hat.“ der lange vor allem bei älteren Herrschaf- Während sich rot-grüne Bildungspoliti- ten beliebten CDU, nun in allen Alters- ker gern über Kopfnoten oder Studienge- gruppen gute Ergebnisse zu erzielen. bühren ereiferten, könne sich der Nach- Konservieren lässt sich dieser Trend kei- wuchs darüber immer weniger empören, nesfalls. Wie die Ostdeutschen insgesamt im Gegenteil. Berninger: „Gerade bei Jun- sind junge Wähler jederzeit für jede Über- gen gibt es eine starke Orientierung an raschung gut. Im Gegensatz zu eher par- Leistung und Wettbewerb.“ teitreuen Älteren „entscheiden sich die Die Union frohlockt. Und die SPD? Bei Jungen viel häufiger von Wahl zu Wahl der kommt das Thema mit Verspätung an.

DPA ganz neu“, meint Forscher Roth. Der un- Dass ihr die Jungen abhanden gekommen Wahlkämpfer Kohl (in Cottbus) geduldige Nachwuchs will Ergebnisse und sind, war nach den Schlappen in Thüringen „Partei der Jugend“ keine Polit-Rituale. Als glatte Zumutung und Nordrhein-Westfalen kein Thema. empfindet die Jugend, die sich unter er- Dabei verfügt die SPD-Fraktion über sende Offenheit der Jungen uns gegen- heblichem Wettbewerbsdruck sieht, eine den mit 23 Jahren jüngsten Bundestagsab- über“. Zu einer Party für Erstwähler in Regierung, die nicht weiß, was sie will. geordneten, Carsten Schneider aus . Köln etwa strömte das Jungvolk in Scha- So dienen die Youngster als Seismograf Der sieht sich allerdings zuallererst als ren. Noch vor einem Jahr, auf der Musik- für gesellschaftliche Stimmungen und wir- „Vertreter der jungen Generation und des messe Popkomm, waren die jungen CDU- ken zugleich als Trendverstärker. Der Ge- Ostens“. Ob er nicht auch Sozialdemokrat Aktivisten froh, wenn sie von den verein- nosse Roth erkundigt sich bei seinem sei, fragte ihn vergangene Woche jemand zelten Gästen nicht beschimpft wurden. 19-jährigen Bruder über die Stimmungslage aus dem Publikum bei einer Diskussion Die Wahlanalysen scheinen den Trend der Jugend. „Die SPD“, so der Befund, „gilt im Willy-Brandt-Haus. Nach kurzem Zö- zur CDU zu bestätigen. Beinahe jeder gern antwortete Schneider: „Gewiss – ich zweite Wähler unter dreißig im Saarland * Carsten Schneider, Nina Hauer, Dilek Kolat und Hans- hab ja das Parteibuch.“ Petra Bornhöft, und in Thüringen machte sein Kreuz bei Peter Bartels am vergangenen Dienstag. Tina Hildebrandt

34 der spiegel 38/1999