Knowledge@Detecon

Consulting Future Telco

Knowledge@Detecon DETECON

Profitabilität in der Telekommunikation: Der Datenverkehr steigt unaufhaltsam, die Umsätze pro ­Kunde Sieben Hebel sichern die Zukunft sinken. Carrier müssen ihre Netzinfrastrukturen modernisieren und neue Kapazitäten schaffen. Möglich ist das nur, wenn die Politik einen geeigneten regulatorischen Rahmen schafft und Telekommunikationsunternehmen neue Erlösquellen er- schließen. Im Wettbewerb um den Endkunden werden sich ausschließlich integrierte Carrier behaupten, die ihren Kunden attraktive eigene sowie partnerschaftlich organisierte Ange- bote bieten.

Detecon-Experten haben sieben Hebel identifiziert, dieCarrier ­ darin unterstützen, ihre Profitabilität nachhaltig sicherzu­ stellen: moderne Netzkonzepte, integrierter Ausbau der Netz- kapazitäten, fokussierte Innovation, forcierte Partnering, Aus- bau des Wholesale-Geschäfts, differenzierte Marktbearbeitung und agile Prozesse und IT.

Consulting Consulting

DETECON Telco Future DETECON

Knowledge@Detecon

Future Telco

Profitabilität in der Telekommunikation: Sieben Hebel sichern die Zukunft

Consulting DETECON Copyright by Detecon International GmbH Köln 2014 www.detecon.com Knowledge@Detecon Future Telco

Inhalt

Vorwort 7

Herausforderung „Zukunft“

0 1. Network is King! 8 2. Interview: Die Telekommunikationsindustrie 26 aus Sicht des Kapitalmarkts

Moderne Netzkonzepte

0 3. Zukünftige Netzarchitekturen 34 4. Interview: „Kunden- und bedarfsorientierter Netzausbau steht im Vordergrund“ 52 5. Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie 58 6. Interview: „Die Funktion der intelligenten Steuerung von 74 Datenverkehr muss das Netz übernehmen“

Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

7. Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen 80 Wunschdenken und Realität 8. Interview: Wie SaskTel sich auf die Zukunft vorbereitet 96 9. Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel 102 10. Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft 116

Detecon International GmbH 3 Knowledge@Detecon

Fokussierte Innovation

11. Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche 130 12. Interview: „Die Bedeutung von Innovationen kann gar nicht 146 hoch genug eingeschätzt werden“

Forcierung Partnering

13. Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum 150 14. Interview: „Partnering als strategische Wachstumswaffe“ 162

Empowerment Wholesale

15. Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – 166 Ergebnisse einer Umfrage 16. Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen 178 17. Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber 192 in Wholesale und Retail heraus

Differenzierte Marktbearbeitung

18. Anforderungen an den Future ICT Provider aus Sicht von Swisscom 204 19. Transformation zur Wertorientierung im 212 Marketing Performance Management 20. Interview: „Nachhaltig erfolgreiche Positionierung im umkämpften 228 Telekommunikationsdienst“

4 Detecon International GmbH Future Telco

21. Marketing und Sales: Total Turnaround 234 22. Interview: „Markenstrategie ist in der Telekommunikation 248 wichtiger denn je“ 23. Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch 254 überzeugende Customer Experience 24. Interview: „Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element 268 der Customer Experience“ 25. Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen 274 Effizienz undundenbindung K

Agilität in Prozessen und IT

26. Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für 290 digitale Selbstbedienung 27. Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik 302

Ausblick 316

Die Autoren 320

Über Detecon International GmbH 324

Detecon International GmbH 5

Knowledge@Detecon Future Telco

Vorwort

Weder die Stärksten noch die Intelligentesten überleben, sondern diejenigen, die sich am besten an den Wandel anpassen. Was frei nach Darwin für die Evolution der Arten gilt, lässt sich hervorragend auf die Telekommunikationsindustrie übertragen: Die Märkte ändern sich und fordern alle Unternehmen dazu auf, ihre Strukturen, ihre Produkte und ihre Geschäftsmodelle zu prüfen und an die neuen Verhältnisse anzupassen. Das ist kein einfacher Prozess und verlangt nach steter Wiederholung, denn der Wandel wird in unserer schnelllebigen Zeit zur konstanten Größe. Wir betrachten das wohlwollend. Veränderung ist die Triebfeder des Fortschritts und bietet immer auch Chancen. Telekommunikationsunternehmen sollten den Wandel begrüßen und mit Mut zur Gestaltung selbst vorantreiben. Detecon International hat sieben Handlungsfelder definiert, die Unternehmen neue Möglichkeiten bieten. Das beginnt bei modernen Netzkonzepten, mit der die zunehmende Digitalisierung beherrschbar wird. Die Netzkapazitäten müssen dabei integriert ausgebaut werden. Festnetz und Mobilfunk gehören zusammen. Unternehmen sollten danach streben, mehr Agilität in ihren Prozessen und in der IT zu erreichen. Das versetzt sie in die Lage, schneller auf die Veränderungen von Kun- denbedürfnissen und Marktbedingungen zu reagieren. Alle an der Wertschöpfung Beteiligten müssen sich auf Innovationen fokussieren. Neue Ideen, neue Produkte und neue Services bieten die Möglichkeit, in neue Märkte vorzudringen. Dabei wer- den Telekommunikationsunternehmen gemeinsam mit Partnern zusammenarbeiten und Geschäftsfelder erschließen, an die sie heute noch gar nicht denken. Allianzen und Netzwerke erlauben, Risiken zu verteilen, schneller zu forschen, gezielter zu werben und Geschäftsmodelle zu realisieren, die im Alleingang unerreichbar wären. Im Wholesale-Geschäft liegen Erlösquellen, die es vollständig zu erschließen gilt. Eine starke Infrastruktur muss nicht nur als Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb um den Endkunden dienen. Sie lässt sich auch für Geschäftsmodelle nutzen, die auf Quality of Service (QoS) basieren. International orientierte Unternehmen werden Märkte künftig differenzierter bearbeiten. Sie treffen auf unterschiedliches Kauf- verhalten, ungewohnte Verbrauchereigenschaften und neue Wettbewerber. Wer die richtigen Faktoren berücksichtigt, wird jeden Markt und jedes Segment erfolgreich bearbeiten. Unternehmen, die diese spannenden Aufgaben heute in die Hand nehmen, gestalten die Märkte von morgen. Ich wünsche Ihnen eine unterhaltsame Lektüre, die Sie auf viele neue Ideen bringt. Ihr Francis Deprez, CEO Detecon International GmbH

Detecon International GmbH 7 Herausforderung „Zukunft“

Network is King!

Dr. Peter Krüssel

> Die Bewältigung des Verkehrswachstums ist die zentrale Zukunftsaufgabe für Telekommunikationsunternehmen.

> Überlebensfähig sind in erster Linie integrierte Heavy Asset Carrier. Reine Mobilfunkunternehmen befinden sich in einer Sackgasse.

> Sieben Hebel entlang der Wertschöpfungskette unterstützen integrierte Carrier darin, ihre Profitabilität nachhaltig sicherzustellen.

> Dies schafft die Voraussetzungen, sich als zentraler Dirigent der digitalen Wertschöpfung zu positionieren.

8 Detecon International GmbH Network is King!

Harter Wettbewerb zwischen Carriern und OTTs

Rasantes Verkehrswachstum in den Netzen wird die Telekommunikations­ industrie gewaltig verändern. Betroffen ist insbesondere die Landschaft der Netzbetreiber. Hinter dieser Entwicklung steht – wenn man so will – der Erfolg der internetbasierten Diensteanbieter. Auf Diensteebene konkurrieren Carrier immer stärker mit den internetbasierten Diensteanbietern oder sogenannten Over-the-Top(OTT)-Anbietern. In erster Linie sind dies die großen, weltweit agierenden Konzerne wie Google, Microsoft, Facebook, Amazon, Samsung oder Apple. Sie haben es erfolgreich geschafft, auf der Basis attraktiver Endgeräte und eines passenden Ökosystems mit Bezug auf Betriebssysteme, Dienste und Apps immense Umsatzsteigerungen zu realisieren und an den Telekommunikationsun- ternehmen vorbei direkte, stabile Kundenbeziehungen wie auch Abrechnungs- modelle zu etablieren. Margensituation und Marktkapitalisierung einzelner Un- ternehmen übertreffen trotz vergleichbarer Umsätze die Werte der Carrier um ein Vielfaches. Eine prominente Ausnahme stellt Amazon dar: Das Unternehmen verfolgt offensichtlich eine konsequente Marktausdehnung zulasten der Marge. Neben den großen OTTs gibt es eine unüberschaubare Anzahl kleinerer spezi- alisierter OTT-Diensteanbieter wie Dropbox, Spotify, Deezer, LinkedIn, Naps- ter, Gameloft, WhatsApp, Twitter, Zattoo oder Flickr. In relativ kurzer Zeit ist es ihnen gelungen, sich weltweit in den Nischen Gaming, On-Demand- und Streaming-Musikdienste, Filme, Business Networks, News, Cloud-basiertes D­okumentenmanagement, Messages oder Fotos zu positionieren. Im Unter- schied zu Telekommunikationsunternehmen bieten sie Dienste an, die weltweit skalieren und somit Economies of Scope und Scale gleichermaßen realisieren. Die Versuche der Carrier, diese Innovationsgeschwindigkeit aufzunehmen, sind bislang nur eingeschränkt erfolgreich: Eigene Angebote aus dem originären Kerngeschäft oder als Folge der Ausgründung von Start-ups, aus eigenständigen Innovation Units oder Kooperationen mit anderen Carriern haben eher reak- tiven Charakter und kommen häufig zu spät.

Nichtsdestotrotz bewegen sich auch OTTs und Endgerätehersteller in einem risikoreichen und extrem schnelllebigen Umfeld. Die Fokussierung auf einige wenige Produkte oder Services schafft Abhängigkeiten, der Flop einer wichtigen Endgerätegeneration sowie das Verschlafen wichtiger Trends im Bereich der Be- triebssysteme, Bedienbarkeit oder Nutzungsgewohnheiten wirken sich unmittel- bar negativ aus. Die Entwicklung von so unterschiedlichen Unternehmen wie BlackBerry, Nokia, Motorola, Myspace oder Zynga steht hierfür als anschau- liches Beispiel.

Detecon International GmbH 9 Herausforderung „Zukunft“

Das Verhältnis der Carrier zu diesen Wettbewerbern ist ambivalent. Einerseits ha- ben sie das Kerngeschäft der Carrier, breitbandige Connectivity, befördert. Die Nachfrage nach Breitbandigkeit in Fest- und Mobilfunknetzen stieg schließlich in- folge der attraktiven Endgeräte und der damit verbundenen Dienste drastisch an.

Andererseits tragen OTTs dazu bei, die Netze schneller an die Kapazitätsgrenzen zu führen, was erhebliche Investitionen in die Kapazitätsanpassungen erforder- lich macht. Diese sind ausschließlich von den Carriern zu schultern.

Vor dem Hintergrund des intensiven Wettbewerbs unter klassischen Telekommu- nikationsunternehmen und Kabelfernsehbetreibern, der im Wesentlichen über den Preis geführt wird, und des zumindest im Festnetz fest etablierten, an den Flatrates orientierten Preisregimes gestaltet sich eine Finanzierung der Investi­ tionen über höhere Preise für die Anschlüsse im Markt schwierig bis unmöglich.

Darüber hinaus dringen Endgeräte- und OTT-Anbieter verstärkt in die origi- nären Domänen der Telekommunikationsunternehmen ein, zum Beispiel SMS und Sprachdienste. Ferner bieten sich ihnen weitere Angriffsmöglichkeiten durch die Ausschöpfung des Potenzials von Technologien wie eSIM oder von in Stan- dardisierung befindlichen offenen Standards für Echtzeitkommunikation – VoIP, Chat, Videotelefonie – wie WebRTC. Dies provoziert weitere Umsatzrückgänge bei T­elekommunikationsunternehmen.

Verkehrswachstum wird zentrale Aufgabe

Haupttreiber für die prognostizierte Veränderung der Carrier-Landschaft ist das exponentiell steigende Verkehrsaufkommen. Heute schon generieren wir in zwei Tagen so viel Verkehr wie im gesamten Jahr 2003. Der Datenverkehr in den weltweiten Mobilfunknetzen wird sich nach Analysys Mason von 2012 bis 2018 um den Faktor 17 erhöht haben.1

Die Ursachen liegen in den folgenden Entwicklungen:2 Die Zahl der Tablet- PCs und Smartphones mit Bildschirmauflösungen, welche häufig über jener von handelsüblichen HD-Fernsehern liegt, ist in den letzten Jahren stetig ge- wachsen. Die Dienste- und App-Landschaft ist aufgrund der Innovationsfreu- digkeit der OTTs förmlich explodiert. Diese beiden Faktoren, gepaart mit dem Ausbau der breitbandigen Infrastrukturen im Festnetz, dem 3G- und 4G-Hub in den M­ obilfunknetzen und den von den Betreibern angebotenen Flatrates,

1 Vgl. Analysys Mason, Wireless network traffic worldwide: forecasts and analysis 2013–2018. 2 Vgl. Petry/Schnitter/Salisbury, Betreiber zwischen Scylla und Charybdis – Wie viel Differenzierungspotenzial bietet die Leistungsfähigkeit der Netze?, DMR 2/2010.

10 Detecon International GmbH Network is King!

­beeinflussen die Nutzungsgewohnheiten der Kunden, denn Möglichkeiten ge- nerieren Nachfrage.

Noch nicht wirksam sind die Effekte, die durch neue Dienste entstehen, welche zum Teil noch in den Kinderschuhen stecken: M2M, Cloud-Services, Virtuali- sierung von Endgerätefunktionalitäten sowie die Digitalisierung ganzer Indus- triezweige – Stichwort Industrie 4.0 – und des Privatlebens. Hervorzuheben ist, dass diese Einflussfaktoren weitgehend unabhängig voneinander sind. Wir neh- men eine multiplikative statt additive Verknüpfung zum Gesamteffekt an. Ein Ende des exorbitanten Verkehrswachstums steht somit nicht zu erwarten. Die wesentliche Herausforderung für Carrier liegt also zunächst auf der infrastruk- turellen Seite.

Carrier stehen damit vor der äußerst schwierigen Aufgabe, bei aktuell eher sin- kenden oder bestenfalls stagnierenden Umsätzen den steigenden Verkehr unter Einsatz immenser finanzieller Mittel mit entsprechend aufgerüsteten Netzen wirtschaftlich bewältigen zu müssen.

Auf der Umsatzseite bieten sich Carriern prinzipiell die Optionen, die Preise für bestehende Dienste zu erhöhen oder aber neue Erlösquellen über innovative Dienste und neue Kunden zu erschließen. Auf der Kosten- und Investitionssei- te geht es primär darum, moderne und leistungsfähige Netzinfrastrukturen, die sich an den Einnahmepotenzialen orientieren, aufzubauen wie auch effizient zu betreiben.

Regulatorischer Rahmen durch Politik fehlt

Wollen Carrier ihre Profitabilität sicherstellen, bildet ein regulatorischer Rah- men, der Investitionssicherheit beziehungsweise genügend Anreize für Entschei- dungen unter Risiko bietet, eine wichtige Voraussetzung.

Die Politik in Europa hat in den letzten Jahren ihre Forderungen nach Sicherstel- lung einer breitbandigen Infrastruktur an die Carrier formuliert. Förderungen, sei es durch entsprechende monetäre Unterstützung oder regulatorische Rah- menbedingungen, sind im Gegenzug meist ausgeblieben oder waren zu zag- haft konzipiert. In jüngster Zeit scheint sich jedoch ein verhaltener Sinneswan- del einzustellen. Er resultiert primär aus der Einsicht, dass eine leistungsfähige ­Telekommunikationsinfrastruktur einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor für die Industrien darstellt. Europa ist aber im Wettbewerb der Weltregionen zurück- gefallen. Vergleichende Statistiken zum Breitbandausbau in Europa, Asien und den USA zeigen, wie deutlich sich Europa mittlerweile im Festnetz und auch im

Detecon International GmbH 11 Herausforderung „Zukunft“

Mobilfunk im Rückstand befindet: Die Abdeckungsrate beim 4G-Standard in den USA liegt um den Faktor 3 bis 4 über der in Europa. Südkorea als Parade- beispiel einer quasi flächendeckenden FTTH-Infrastruktur ist den Europäern komplett enteilt.

Regulatorische Entscheidungen wie der Vectoring-Beschluss der Bundesnetz­ agentur in Deutschland, jüngere Zugangsentscheidungen für die letzte Meile ei- niger nationaler Regulierungsbehörden sowie die Initiative der EU-Kommissarin Neelie Kroes, zuständig für die Europäische Digitale Agenda und Verfasserin eines neuen Entwurfs für ein Regelungspaket im Hinblick auf einen einheit- lichen europäischen Telekommunikationsmarkt, gehen in die richtige Richtung. Zwar nimmt die Initiative, Roaming-Gebühren innerhalb der EU bis 2016 abzu- schaffen, wieder einmal erhebliches Umsatzvolumen für Carrier aus dem Markt. Gleichzeitig wird aber ein Weg aufgezeigt, der es Betreibern erlauben könnte, unter bestimmten Bedingungen gegen Entgelt Dienste von anderen Anbietern priorisiert zu behandeln. Damit bietet sich die Möglichkeit, den erforderlichen Netzausbau besser zu finanzieren und OTTs an der Finanzierung der Netze zu beteiligen.

Letztendlich sind die Signale auf regulatorischer Seite in Europa sehr uneinheit- lich, wie die jüngste Mobilfunkfrequenzauktion in Österreich erneut gezeigt hat. Hier mussten die drei bietenden Mobilfunkunternehmen mit mehr als zwei Mil- liarden Euro einen sehr hohen Betrag für den Erwerb der Frequenzen zahlen.

Der Netzfaktor: Integrierte Heavy Assets als erste Wahl

Wie sieht nun das zukünftig erfolgreiche Geschäftsmodell der Telekommuni- kationsunternehmen aus? Das Spektrum der Möglichkeiten reicht vom reinen Bit-Pipe-Modell bis hin zum Full-Service-Provider. Welches Modell letztlich am erfolgversprechendsten ist, hängt insbesondere von drei Faktoren ab: der infra- strukturellen Basis im Fest- und Mobilfunknetz, der Wettbewerbsposition im Endkundenmarkt sowie der Fähigkeit, Partnerschaften erfolgreich zu managen. Die Konsequenzen reichen jedoch noch weiter.

Die Herausforderung „Verkehrswachstum“ und das Erfordernis, „Seamless Con- nectivity“ über alle Infrastrukturen und unterschiedlichste Zugangstechnologien zu gewährleisten, zwingt Carrier dazu, die Infrastruktur immer feinmaschiger und tatsächlich integriert aufzubauen. Carrier, die über ein flächendeckendes, granulares Festnetz und eine entsprechende Mobilfunkinfrastruktur verfügen, befinden sich im Vergleich zu reinen Mobilfunkunternehmen eindeutig im Vor- teil.

12 Detecon International GmbH Network is King!

Die Ressourcen an der Luftschnittstelle erweisen sich als begrenzt. Das verfügbare Spektrum ist in absehbarer Zeit ausgereizt, selbst Refarming wird nicht ausreichen und innovative Technologien wie MIMO (Multiple Input Multiple Output) und AAS (Adaptive Antenna Systems) versprechen lediglich etwas Zeitgewinn. Über kurz oder lang werden Mobilfunkkonzerne gezwungen sein, die Zellen immer kleiner zu machen.3 In der Konsequenz heißt das, dass sich die Anzahl der Zellen, die es aufzubauen, zu warten, an das Kernnetz anzuschließen (Backhaul) und in das Netzmanagement zu integrieren gilt, deutlich erhöhen wird. Aktuell be- treiben in Deutschland die vier bestehenden Mobilfunkunternehmen vielleicht 80.000 Makrozellen. Diese Zahl steigt mittelfristig mindestens um den Faktor 5 an. Zusätzlich zu diesen sogenannten Small Cells kommen Zellen indoor beim Endkunden zur Anwendung (WiFi-Offloading, Femtocells).

Nicht jedes Mobilfunkunternehmen wird das leisten können. Es stellt sich hier sogar angesichts der immensen Investitionserfordernisse und der Notwendigkeit, diese vielen zusätzlichen Zellen auch an das Kernnetz anzubinden, die grund- sätzliche Frage, ob reine Mobilfunkgesellschaften überhaupt überlebensfähig sein werden. In Abhängigkeit von Parametern wie Wettbewerbsposition und in- frastrukturelle Basis rücken vielmehr zwei neue Optionen in den Vordergrund: entweder auf ein ausschließliches Mobilfunknetz zu verzichten und sich vom Netz zu trennen (Sale & Lease Back), Managed Services von einem Dritten in Anspruch zu nehmen und quasi als Reseller, Serviceprovider oder virtueller Netz- betreiber (MVNO) am Markt zu agieren. Oder den Schritt in die andere Rich- tung zu gehen und ein Festnetz aufzubauen respektive zu erwerben. Ein solches Unterfangen dürfte allerdings in reifen Märkten schwierig sein, da sich nicht in jedem Land geeignete Optionen erschließen lassen.

Wenn beide Optionen nicht oder nur schwer realisierbar sind, verbleibt lediglich die Exit-Option. Erste Bewegungen in diese Richtung sind am Markt beobacht- bar, Vodafone ist ein prominentes Beispiel. Das Unternehmen hat sich von seiner Mobilfunkbeteiligung in den USA getrennt und übernimmt in Deutschland den Kabelfernsehbetreiber KDG.

Verkehrswachstum wird der wesentliche Treiber der Konsolidierung im Markt sein. Größe, Volumen – Skaleneffekte, Kostenführerschaft – und monetarisier- bare Netzauslastung entscheiden über das Überleben im Markt.

Überlebensfähig sind deshalb ausschließlich integrierte Carrier (Heavy Assets). Reine Mobilfunkunternehmen befinden sich in einer Sackgasse. Für sie verblei- ben im Kern drei Optionen:

3 Vgl. Petry, Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunsch und Realität, S. 80 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 13 Herausforderung „Zukunft“

> Entwicklung in Richtung integrierter Carrier durch Zukauf oder Aufbau eines Festnetzes (Heavy Asset) > Positionierung als MVNO/Reseller/Serviceprovider (Light Asset) > Exit

Bei einem Light-Asset-Ansatz, einem OPEX-dominierten Geschäftsmodell, steht weniger die Refinanzierung der Netze im Vordergrund als vielmehr eine mög- lichst große Differenz zwischen den Kosten für die Vorleistungen vom Wholesale Carrier und den am Markt zu realisierenden Retail-Preisen in Kombination mit OTT-Partnerschaften.

Verfolgt man die Alternative des Heavy-Asset-Ansatzes, schließt sich die bereits formulierte Frage nach dem Geschäftsmodell an. Im Unterschied zum Light- Asset-Modell ist das Heavy-Asset-Modell CAPEX-dominiert und bringt entspre- chend langfristig orientierte Geschäftslogiken mit sich. Die Netze sind Dreh- und Angelpunkt der unternehmerischen Entscheidungen. Es gilt, die damit verbun- denen Investit­ionen­ durch entsprechende Erlöse und Gewinne zu rechtfertigen beziehungsw­ eise möglichst schnell zu refinanzieren – die Monetarisierung der Netze. Im Vordergrund stehen die Effizienzsteigerung bei der Allokation von CAPEX und OPEX für die Netze und Auslastung der Netze sowie die Steigerung der Erlöse.

Effizienz der Netze Modernisierung steigert Netzeffizienz

Moderne Netzkonzepte ermöglichen eine Steigerung der Netzeffizienz. Fast alle Carrier haben den Schritt in Richtung IP angestoßen und sind dabei, konse- quent die Legacy-Systeme und historisch gewachsenen heterogenen, dienste­ spezifischen Produktionsplattformen abzuschalten sowie die IP-Technologie zu implementieren. Weitere Schritte in Richtung Zentralisierung von Intelligenz im Netz, Virtualisierung von Netzfunktionen, Reduktion aktiver Komponen- ten und Standorte im Netz, konsequente Anwendung von IT-Prinzipien auf die klassische Telekommunikationsproduktion wie Software-defined Networks und schließlich die Automatisierung befinden sich in der Konzeptionsphase und Machbarkeitsüberprüfung, in einigen wenigen Fällen bereits in der teilweisen Umsetzung.4

Derartige Konzepte tragen nicht nur dazu bei, CAPEX und vor allem OPEX zu senken, sondern beschleunigen und flexibilisieren Innovation, Produktentwick- lung, Dienstebereitstellung und -abrechnung sowie die Einbindung von exter- nen Partnern. Sie schaffen damit die zentrale Voraussetzung für die nachhaltige

14 Detecon International GmbH Network is King!

Monetarisierung der Netze und versetzen das Marketing in die Lage, innova- tive Produktideen und Preismodelle allein oder im Zusammenspiel mit Partnern am Markt zu realisieren. Ferner reduzieren sie Abhängigkeiten gegenüber Netz- werkausrüstern und bieten unternehmerische Freiräume gegenüber OTTs.

Für Carrier weisen sie transformatorische Bedeutung auf und implizieren eben- solche strukturellen, kulturellen und prozessualen Veränderungen. Beispiele sind die engere Verschränkung der üblicherweise organisatorisch strikt getrennten und prozessual nur ungenügend harmonisierten Prozesslandschaften der IT-, Technik- und Produktentwicklungsbereiche sowie die Fähigkeiten zum Partne- ring.

Erweiterung der Netzkapazitäten durch Small Cells und HetNets

Die größten Investitionsblöcke entstehen in Verbindung mit der Erhöhung der Netzkapazität – entweder durch die effizientere Nutzung vorhandener Ressour- cen oder durch den Aufbau beziehungsweise Erwerb zusätzlicher Ressourcen. Im Festnetz geht perspektivisch kein Weg am weiteren Ausbau der Glasfaser­ infrastruktur in den verschiedenen FTTx-Spielarten wie Fiber to the Buil- ding (FTTB), Fiber to the Curb (FTTC) oder Fiber to the Distribution Point ­(FTTDP) vorbei. Dies ist ein extrem investitionsintensives Unterfangen, da in der Regel Tiefbauarbeiten damit verbunden sind. Für Deutschland werden ­enorme Investitionsgrößen für den flächendeckenden FTTH-Ausbau veran- schlagt, die sich je nach Schätzung und geplanter Technologie auf Volumina bis zu 93,8 Milliarden Euro belaufen.5

Im Mobilfunknetz bietet sich die Möglichkeit, entweder die spektrale Effizienz der Funkzugangstechnologien oder aber die räumliche Wiederverwendung von Spektrum in zellularen Mobilfunksystemen zu erhöhen. Dies liefe auf eine Ver- ringerung der Zellgrößen respektive eine Erhöhung der Zellanzahl hinaus.6

Die Optimierung der spektralen Effizienz über Methoden wie Smart Antennas und MIMO sowie die Nutzung höherer Modulationsverfahren und verbesserter Kanalkodierung sind die derzeit eingesetzten Mittel. Sie reichen jedoch nicht aus, um den steigenden Bedarf zu decken oder um bestimmte Anwendungsszenarien, beispielsweise eine ausreichende Funkausleuchtung in Straßenschluchten oder

4 Vgl. Schnitter/Bornhauser, Zukünftige Netzarchitekturen, S. 34 ff.; Gonsa/Chrestin/Reith, Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie, S. 58 ff. in diesem Band. 5 Vgl. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, August 2013, S. 8. 6 Vgl. Petry, Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunsch und Realität, S. 80 ff.; Heuermann, Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel, S. 102 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 15 Herausforderung „Zukunft“

die Versorgung innerhalb von Gebäuden, sicherzustellen. Es führt somit kein Weg an feinmaschigeren Netzen vorbei. Statt weniger großer, reichweitenstarker, in der Regel kostenintensiver Basisstationen müssen künftig zusätzlich viele klei- ne, günstige Zellen geplant, aufgebaut, angebunden und betrieben werden.

Ergänzend zu den primär outdoor eingesetzten Kleinzellen wird es notwendig sein, DSL-angebundene WiFi-Router beim Endkunden (indoor) als Offload- Möglichkeit zu nutzen und sogenannte 3G-/4G-femto-Zellen mit Self-Orga- nizing-Network(SON)-Fähigkeiten zur besseren Koordination potenzieller In- terferenzen zu installieren, mit gegebenenfalls zusätzlichem Infrastruktur- und Integrationsaufwand bei den Betreibern. Zukünftige Access Router beim End- kunden sollten somit idealerweise sowohl ein LTE- als auch ein WiFi-Modem beinhalten. Diese jedoch entziehen sich oft der herkömmlichen Kontrolle der Netzbetreiber.

Insgesamt ergeben sich gänzlich neue und immense Herausforderungen in der Netzplanung, dem Rollout, dem Backhaul, der Logistik, der erforderlichen In- stallations- und Wartungskapazität, der Standortakquisition, den Rolloutprozes- sen, im Netzmanagement, im Management zunehmender Interferenzen und in den Prozessen der Entstörung.7

Integrierte Planung von Festnetz und Mobilfunk

Solche Investitionsblöcke gilt es im Zuge des Ausbaus neuer oder bestehender Netze bedarfsorientiert und unter Abgleich mit den bestehenden Infrastruk- turen zu verteilen, um sicherzustellen, dass sie schnellstmöglich einen ökono- mischen Ergebnisbeitrag liefern. Unerlässlich ist die genaue, möglichst granulare geografische Prognose des Verkehrsaufkommens, um die Wirtschaftlichkeit lo- kaler ­Kapazitätserhöhungen zu gewährleisten.8 Genauso wichtig ist es, Festnetz und Mobilfunknetz integriert zu betrachten, um die Synergien zwischen beiden Netzen heben zu können. Diese Synergien entstehen bei einem flächendeckend vorhandenen Festnetz vor allem durch die lokal verfügbaren WiFi-Offload- Kapazitäten und durch die Möglichkeit, kostengünstigen Backhaul für die zu- künftig kleinzelligeren Mobilfunknetze bereitstellen zu können. Je kleinzelliger die ­Mobilfunknetze, desto größer die Synergien zwischen Festnetz und Mobil- funknetz! Beide Netze wachsen damit zusammen und ergänzen sich synergetisch. Einerseits stützt das Festnetz das Mobilfunknetz durch die Abführungsmöglich- keiten des Mobilfunkverkehrs (Backhaul) oder durch die Bereitstellung von Offload-Kapazitäten (WiFi/Femtocells). Andererseits kann die Anbindung der 7 Vgl. Petry, Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunsch und Realität, S. 80 ff. in diesem Band. 8 Vgl. Fritzsche/Schweigel/Rhong, Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft, S. 116 ff. in diesem Band.

16 Detecon International GmbH Network is King!

Kleinzellen dazu beitragen, den Business Case für den FTTx-Rollout im Festnetz deutlich zu verbessern.

Monetarisierungspotenziale der Netze in Wholesale und Retail

Die Investitionen in die Netze müssen sich rechnen. Für die Carrier stellt die Schaffung der technischen Grundlagen für den effizienten Transport des wach- senden Verkehrs keinen Selbstzweck dar. Sie müssen in der Lage sein, diese In- vestitionen in die Netze auch zu monetarisieren und entsprechende Erlöse zu realisieren.

Netzkooperationen

Vor dem Hintergrund der skizzierten Investitionserfordernisse, dem damit ver- bundenen Zwang zur Auslastung der Netze und der Bedeutung von Skaleneffek- ten für die Profitabilität liegt es nahe, eine wichtige Erlösquelle im Wholesale-Ge- schäft zu verorten.9 Kooperationen unter Carriern im Sinne von „Infrastructure Sharing“ oder „Wholebuy“ sind zukünftig unabdingbar, um diese Investitionen ökonomisch zu rechtfertigen.10 Der Alternativenspielraum im Mobilfunk er- streckt sich von regulatorisch bedingten Vorleistungen bis hin zu „Managed Ser- vices“ unterschiedlicher Reichweite.11 Die folgenden Beispiele seien genannt:12

> Site Sharing bezeichnet die Teilung der passiven Elemente der Infrastruktur wie Aufstellungsorte oder Masten zwischen Netzbetreibern. Dies dürfte ange- sichts der jetzt schon bestehenden Schwierigkeiten, geeignete Standorte zu fin- den, ein vielfach praktiziertes Modell werden.

> National Roaming zur Erhöhung der Reichweite beziehungsweise Netzab­ deckung bietet sich zum Beispiel für neue Netzbetreiber in einem Markt an oder für diejenigen, die den nächsten Investitionshub für die Erschließung weniger attraktiver Gebiete nicht finanzieren wollen.

> Beim Network Sharing werden neben den passiven Elementen auch aktive Elemente im Zugang oder Kernnetz gemeinsam genutzt. Beim Spectrum ­Sharing übernimmt ein Netzbetreiber für den oder die Partner die optimierte Nutzung der gemeinsam zur Verfügung stehenden spektralen Ressourcen.

9 Vgl. Steingröver/Nielinger, Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen, S. 178 ff. in diesem Band. 10 Vgl. Lundborg, Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus, S. 192 ff. in diesem Band. 11 Vgl. Schmitz, Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage, S. 166 ff. in diesem Band. 12 Vgl. Schultz/Schieder, Wege aus dem Frequenzengpass – Neue Netzkonzepte zur kosteneffizienten Bereitstellung mobiler Breitbanddienste, DMR 2012.

Detecon International GmbH 17 Herausforderung „Zukunft“

> Die weitreichendste Form der Zusammenarbeit mündet darin, dass sich ein Netzbetreiber vom eigenen Netz trennt, dieses einem Dritten überträgt und in Richtung Kunde als reiner Reseller, virtueller Netzbetreiber oder Serviceprovider agiert. Solch eine Option entspricht im Grunde dem oben aufgeführten Light- Asset-Ansatz.

Für Carrier, die in einem Markt über eine starke infrastrukturelle Basis sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunknetz verfügen, bietet sich im Zuge der vor- her skizzierten Netzausbauerfordernisse, des anstehenden Rollouts kleinzelliger Netze und deren Anbindung die einmalige Chance, insbesondere im Wholesale- Geschäft zu punkten. Sie können andere Wettbewerber aus dem Infrastruktur- geschäft drängen und auf die Position von virtuellen Netzbetreibern beziehungs- weise Resellern verweisen.

QoS-basierte Geschäftsmodelle im Wholesale

Neben den Aspekten des Wholesale-Geschäfts, die sich primär um die Frage nach der Sicherstellung der notwendigen Netzkapazitäten und Netzabdeckung in nationalen Märkten drehen, ergeben sich zusätzliche Chancen durch die „ICTsierung“ der Welt oder das „Internet der Dinge“. Neue Geschäftsfelder wie Cloud Services, XaaS oder M2M führen dazu, dass weltweite, nahtlos über verschiedenste Zugangstechnologien funktionierende Konnektivität drastisch an Bedeutung gewinnt. Voraussetzung hierfür sind direkte oder indirekte Zu- sammenschaltungsvereinbarungen mit möglichst vielen Zugangsnetzbetreibern weltweit. Auch in diesem Geschäft gelten die Gesetze der großen Zahlen, um kostengünstig produzieren und anbieten zu können. Hinzu kommen jedoch Qualitätsaspekte für den Transport des Datenverkehrs. Anbieter müssen in der Lage sein, den Transport mit unterschiedlichen Qualitätsparametern wie Delay-, Jitter- oder Packet-Loss-Wahrscheinlichkeiten versehen zu können.13

QoS-Differenzierung im Retail

Alternativ zur Forcierung des Wholesale-Geschäfts besteht die Möglichkeit, eine überlegene Netzinfrastruktur ausschließlich dem eigenen Retail-Bereich zur Ver- fügung zu stellen und einen qualitätsorientierten Wettbewerb zu initiieren – in der Hoffnung, dass die Endkunden eine entsprechende Zahlungsbereitschaft aufweisen. Eine Annahme, die sich vor dem Hintergrund von intensivem Preis- wettbewerb, etablierten Flatrates, einem mangelnden Knappheitserleben bei vie-

13 Vgl. Gerlach/Knoben/Schellschmidt, Alles im Fluss – Branchenübergreifende ICTsierung verschärft den Wettbewerb im Wholesale 2032, DMR 2/2012.

18 Detecon International GmbH Network is King!

len Kunden – Best Effort ist zumindest im Festnetz noch immer für die meisten Anwendungen ausreichend –, der Leistungsfähigkeit der Kabelfernsehbetreiber und der „Alles-ist-umsonst-Mentalität“ im Internet nur schwer durchsetzen lässt oder nur ein schmales Marktsegment adressiert. Letztendlich ist es vernünftig, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, sprich Wholesale- und Retail-Ange- bote gleichermaßen zu realisieren.

Voraussetzung für die Qualitätsdifferenzierung im Retail sind entsprechende Qualitätsmerkmale wie die oben genannten Parameter, die für den Kunden spür- bar sein müssen. Unterschiedliche Qualitätsklassen sind folglich unterschiedlich zu bepreisen. Dem Knappheitsgedanken der Netzressourcen muss durch ange- messene Volumenabhängigkeiten Rechnung getragen werden.

In der Konsequenz bedeutet dies eine Aufweichung des etablierten Flatrate-­ Regimes. Erste Ansätze hierzu sind im Markt feststellbar. Telekom Deutschland hat angekündigt, die Preislogiken des Mobilfunks in Bezug auf die Volumenab- hängigkeit der Preise ab 2016 auf das Festnetz zu übertragen, um auch hier den Knappheitscharakter der Netzressourcen zum Ausdruck zu bringen. In bestimm- ten Tarifen soll über ein erreichtes Datenvolumen hinaus die Anschlussgeschwin- digkeit gedrosselt werden. Wie schwierig es ist, solche im Markt und in den Köpfen der Kunden festgesetzten Preismodelle zu ändern, musste beispielsweise die Telekom im anschließenden „Shitstorm“ in den Social Media, aber auch in der gesamten Presselandschaft, den Verbraucherzentralen und in den politischen Reaktionen erfahren.

Die Hauptauseinandersetzung bei der Einführung von qualitätsdifferenzierten Preismodellen steht den Telekommunikationsunternehmen jedoch noch bevor. Es gilt zu klären, ob in Anbetracht der Dominanz des Netzneutralitätsgedankens Aspekte wie Qualitätsdifferenzierungen, Priorisierungen und damit gegebenen- falls auch Diskriminierungen hinsichtlich bestimmter Anbieter und Anwen- dungen überhaupt durchsetzbar sind. Die digitale Agenda der EU gibt allerdings Anlass zu vorsichtigem Optimismus für die Carrier. Eine annähernd netzneu- trale und zugleich differenzierende Lösung besteht in einer temporären und auf konkreten Bedarf des Endkunden ausgerichteten Qualitätssicherung. Denkbar ist zum Beispiel ein vom Endkunden zu betätigender Speedbutton zur zeitlich befristeten Qualitätssicherung eines bestimmten Dienstes wie das Betrachten eines HD-Videos von einem internetbasierten Videodienst. Ein solches Modell (Quality-on-Demand) würde sich außerdem mit dem prognostizierten Nut- zungsverhalten der Endkunden von digitalen Inhalten decken, die weniger nach festen Zeitplänen und Rundfunkprogrammen konsumieren, sondern selbstent- scheidende, zeitlich und örtlich unabhängige Programmgestalter sein werden.

Detecon International GmbH 19 Herausforderung „Zukunft“

Innovation und Partnering

Preismodelle, die nach Qualität oder Volumen differenzieren, werfen die Frage nach Chancen von Kooperationen zwischen Telekommunikationsunternehmen und OTT-Playern auf. OTT-Player kommen für Telekommunikationsunterneh- men als potenzielle neue Erlösquelle und als möglicher Differenzierungsfaktor im Wettbewerb mit anderen direkten Konkurrenten ins Blickfeld. Insbesondere im Privatkundengeschäft sind die Telekommunikationsunternehmen vornehm- lich auf ihr Basisgeschäft, nämlich Konnektivität, reduziert. Die Bemühungen, darüber hinaus eigene innovative Dienste auf OTT-Ebene anzubieten, waren und sind wenig erfolgreich. Diese Aussage lässt sich für den Long-Tail- wie auch für den Short-Tail-Bereich an Diensten formulieren. Insofern liegt die Schluss- folgerung nahe, Partnerschaften mit internetbasierten Diensteanbietern einzu- gehen. Auch hier zeigen sich erste Ansätze, etwa die erfolgreiche Kooperation zwischen Telekom Deutschland und dem Music-Streaming-Anbieter Spotify oder die Zusammenarbeit zwischen SFR in Frankreich und dem Spieleprovider Gameloft oder dem Musikdienst Napster. Elemente der Zusammenarbeit kön- nen Revenue-Share-Modelle, gemeinsame Vermarktungen mit eigenständigem oder ohne eigenständiges Branding, Vertriebspartnerschaften, QoS-bezogene, netztechnische oder tarifäre Differenzierungen sein.

Es ist absehbar, dass es unter den Telekommunikationsunternehmen in Zukunft einen Wettbewerb um die attraktivsten Partnerschaften oder um die eigene Posi- tion in sogenannten multilateralen Smart Business Networks14 geben wird. Sol- che Kooperationen sind geeignet, die eigene Marke durch entsprechende Pro- dukte stärker emotional aufzuladen, das eigene Serviceportfolio zu arrondieren sowie der Kommoditisierung der Basisdienste und der Konnektivität entgegen- zuwirken. Die entscheidenden Faktoren für Carrier, die Verhandlungsmacht im Wettbewerb um attraktive Partnerschaften aufbauen wollen, umfassen Reich- weite oder Marktanteile in den jeweiligen Ländern, Vertriebsfläche, Branding, Service und entsprechend attraktive Partnermodelle. Vor allem steht jedoch ein attraktives Service-Enabling-Portfolio – zum Beispiel innovative QoS-Mecha- nismen, SLAs, AAA, LBS, Billing, Bundling, offene APIs, Mandantenfähigkeit, Schnelligkeit und Flexibilität in Systemen und Prozessen15 –, das es potenziellen Partnern ermöglicht, sich schnell und unkompliziert an die Plattformen der ­Telekommunikationsunternehmen anzubinden.

Die Kunst für die Telekommunikationsunternehmen besteht darin, die Grenze zwischen „make or buy“ oder zwischen dem, was zum Kerngeschäft gehört, und dem, was über Partnerschaften zugekauft wird, sauber zu definieren. Eigene In- novationen bieten sich grundsätzlich in den Feldern an, in denen netznahe Ser-

20 Detecon International GmbH Network is King!

vices für die eigenen Endkunden, aber auch für Partnerunternehmen konzipiert werden, um wiederum deren originäre Geschäftsmodelle durch die Digitalisie- rung zu befördern.16 Darüber hinaus liegen eigenentwickelte innovative Dienste nahe, die primär in den nationalen Märkten der jeweiligen Carrier skalieren oder die eine hohe Affinität zum vorhandenen Portfolio bieten.17

Es ist absehbar, dass die Integration der Netze und die Anstrengungen in Rich- tung Netzmodernisierung18 – All IP, Virtualisierung, SDN, Konvergenz von IT und Netztechnik – echte nahtlose und konvergente Konnektivitätsangebote so- wie offene Schnittstellen und flexible Prozesse forcieren. An diese konvergenten Angebote und die durch Telekommunikationsunternehmen zu schaffenden plattformbezogenen Voraussetzungen können verschiedenste Partner in Zukunft deutlich schneller und unkomplizierter andocken.19

Mit Innovationen in den netznahen Bereichen leisten Carrier einen ganz ­wesentlichen Beitrag und schaffen die grundsätzliche Voraussetzung für die ­digitale Transformation anderer Wirtschaftszweige. Gleichzeitig gestalten sie ihr originäres Geschäftsmodell zukunftssicher.20

Differenzierte Marktbearbeitung

Die nächste große Baustelle stellt die differenzierte Marktbearbeitung dar. Diffe- renzierung bezieht sich auf jene Regionen in einem Markt, die mit unterschied- lich leistungsfähigen Infrastrukturen ausgebaut sind, und auf die Heterogenität der Marktsegmente, welche neben psychografischen oder soziodemografischen Kriterien auch nach Zahlungsbereitschaft segmentiert werden können.21

Ersteres führt dazu, dass das verfügbare Serviceportfolio und die Anschlussge- schwindigkeiten von Region zu Region variieren. Ein derartiger Sachverhalt muss unter Abgleich der Leistungsfähigkeit der Wettbewerber in diesen Regionen beim Marktangang und beim Einsatz des Marketinginstrumentariums Berücksichti- gung finden. An dieser Stelle zeigt sich wiederum die Notwendigkeit, die Netze integriert zu planen. Integriert meint in diesem Zusammenhang nicht nur die

14 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff. in diesem Band. 15 Vgl. Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff. in diesem Band 16 Vgl. Helbig, Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik, S. 302 ff. in diesem Band. 17 Vgl. Kellmereit/Narielvala, Innovation – Die Zukunft der Telekommunikationsbranche, S. 130 ff. in diesem Band. 18 Vgl. Schnitter/Bornhauser, Zukünftige Netzarchitekturen, S. 34 ff. in diesem Band. 19 Vgl. Gonsa/Chrestin/Reith, Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie, S. 58 ff. in diesem Band. 20 Vgl. Theobaldt/Lünendonk, Mission Zukunft: ICT 2032, 45 Thesen für den Weg ins Morgen, 2011. 21 Vgl. Lundborg, Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus, S. 192 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 21 Herausforderung „Zukunft“

Integration von Festnetz und Mobilfunk, sondern darüber hinaus die Integra­ tion von Marktdaten wie Wettbewerbssituation, Kundenbestandsinformationen­ sowie Technikinformationen wie bestehende Netzinfrastrukturen, Verkehrsinfor- mationen und Prognosen. Das erlaubt, die Ausbauaktivitäten bedarfsorientiert und nach strikt ökonomischen Gesichtspunkten, beispielsweise ergebnisopti- miert nach dem Kriterium Net Present Value (NPV), auf möglichst granularer geografischer Ebene zu steuern.22

Der zweite Punkt hebt auf die in den Märkten feststellbare Spreizung zwischen den Segmenten nach dem Kriterium der Zahlungsbereitschaft ab. In vielen ­europäischen Märkten wächst das Segment der Discount Shopper oder Schnäpp- chenjäger auf Kosten der Segmente, die über eine höhere Zahlungsbereitschaft verfügen. Der erfolgreiche Launch von Billigmarken wie yourfone in Deutsch- land oder free in Frankreich belegt diesen Trend. In dem Zusammenhang sind Telekommunikationsunternehmen aufgefordert, sich Gedanken über entspre- chend unterschiedliche Bearbeitungsstrategien für die zugehörigen Segmente zu machen. Es bieten sich Multi-Branding-Strategien an, die von einigen Carriern wie E-Plus in Deutschland bereits erfolgreich praktiziert werden. Die meisten Incumbents verfolgen noch immer eine Einmarkenstrategie und versuchen über unterschiedliche Tarif- und Servicemodelle alle Segmente in ihren Bedürfnissen abzudecken. Mit einer Mehrmarkenstrategie besteht die Möglichkeit – saubere Fencing-Mechanismen vorausgesetzt –, ohne große Kannibalisierung der Kern- marke am Wachstum dieser Segmente zu partizipieren. Differenzierungen lassen sich über den gesamten Marketingmix ausspielen: von Produktqualitäten und Preisen über Bündel mit möglichen Zusatzangeboten, innovative eigene D­ ienste oder Partnerschaften bis hin zu heterogenen Servicequalitäten, zum Beispiel technischer Installationsservice und Entstörungsservice vor Ort, Erreichbarkeit der Callcenter, unterschiedliche Erreichbarkeit der Kanäle und SLAs.

Weitere Themen, die unter den Bedingungen weitgehend gesättigter Märkte ver- stärkt Aufmerksamkeit verdienen, sind Churn Prevention, Customer Retention oder Loyality Management. Die Gewinnung von Neukunden oder die Kunden- rückgewinnung ist mit einem unverhältnismäßig hohen Marktinvest verbunden. Die Pflege und differenzierte, wertorientierte Behandlung des Kundenbestands sowie das Ausschöpfen von Cross- und Upselling-Potenzialen unter Effizienzge- sichtspunkten besitzen deshalb einen hohen Stellenwert. Top-Kunden im P­ rivat- und Geschäftskundenbereich müssen anders bearbeitet werden als Kunden, die für Carrier unter wertorientierten Gesichtspunkten weniger attraktiv sind.23

22 Vgl. Fritzsche/Schweigel/Rhong, Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft, S. 116 ff. in diesem Band.

22 Detecon International GmbH Network is King!

Wechselbarrieren zu erhöhen und Lock-in-Mechanismen zu etablieren führen im Top-Segment nicht unbedingt zu echter intrinsischer Loyalität des Kunden gegenüber dem Anbieter. Diese lässt sich eher durch Fairness und zusammen mit rationalen Elementen mittels Mechanismen einer emotionalen Bindung er- zeugen. Carrier müssen den Schritt von der Service Excellence hin zu echter Kundenbegeisterung vollziehen. Alle „Customer Touch Points“ müssten aus dem Blickwinkel einer begeisternden „Customer Experience“ optimiert werden.24

Die geforderten Anstrengungen der Marktbereiche zur Monetarisierung der Netze müssen dem Imperativ mit Bezug auf Effizienz und Effektivität genauso nachkommen wie die Technik- und IT-Bereiche. So ist der Marktinvest in Form sogenannter „Customer Acquisition Costs“ (CAC) und „Customer Retention Costs“ (CRC) konsequent am Kundenwert auszurichten. Erste Erfahrungen im Bereich des Customer Self-Service zeigen, dass das Schaffen von positiven Kundenerlebnissen und eine Verbesserung des wahrgenommenen Kundenservice bei Beachtung wichtiger Gestaltungsprinzipien für die dahinterliegende IT-Ar- chitektur durchaus mit einer zum Teil deutlichen Verringerung der Kosten ein- hergehen können.25 Wichtig ist, dass die marketing- und salesbezogenen Maß- nahmen in einen Rahmen konsistenter Zielsysteme, definierter KPIs und einer entsprechenden Steuerungslogik über die verschiedenen marktbezogenen Unter- nehmensbereiche und Kanäle hinweg eingebettet sind. Dieser Rahmen muss die spezifische Unternehmenssituation und die Marktbedingungen berücksichtigen, um Maßnahmen und Leistungsmessung richtig auszusteuern.26

Prinzipiell sind die Voraussetzungen der Carrier gut, mithilfe einer positiven ­Customer Experience echte Kundenbindung und -begeisterung zu erzeugen. Zu- sammen mit den Partnern verfügen integrierte Carrier über ein äußerst attrak- tives Serviceportfolio, das mit den erforderlichen emotionalen und rationalen Gestaltungsattributen Kunden den Zugang zu einer begeisternden digitalen Er- lebniswelt des 21. Jahrhunderts in all ihren Facetten ermöglicht.

Sieben Hebel für den integrierten Carrier der Zukunft

Die aktuelle ökonomische Situation vieler Carrier ist geprägt durch stagnierende oder sogar sinkende Umsätze, steigende Investitionserfordernisse, hohe Schul- denlasten und rückgängige Ergebniswerte. Die Ursachen hierfür liegen in dem

23 Vgl. Penkert/Eberwein, CSS – Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung, S. 274 ff. in diesem Band. 24 Vgl. Hauk, Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch Customer Experience, S. 254 ff.; Aumann, Marketing und Sales: Total Turnaround, S. 234 ff. in diesem Band. 25 Vgl. Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff. in diesem Band 26 Vgl. Eberhard, Transformation zur Wertorientierung im MPM, S. 212 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 23 Herausforderung „Zukunft“

immensen Verkehrswachstum, dem Erfolg der OTT-Player und dem harten Preiswettbewerb unter den Carriern. Solange die Erlöse pro Bit weiter dramatisch verfallen und die Kosten pro Bit nicht mindestens in der gleichen Geschwindig- keit angepasst werden können, stellt sich schon mittelfristig für viele Carrier die Frage nach der Überlebensfähigkeit.

Die Probleme werden nur von integrierten Heavy Asset Carriern ökonomisch beherrschbar sein. Reine Mobilfunkunternehmen befinden sich in einer Sack- gasse. Sie werden in reifen Märkten nicht überleben. Ihnen bieten sich die Opti- onen, als Reseller oder MVNO aufzutreten und sich damit vom eigenen Netz zu trennen oder aber mit einem Festnetzanbieter zusammenzugehen und sich zum integrierten Heavy Asset Carrier zu entwickeln. Sollten diese Optionen nicht realisierbar sein, verbleibt nur der Exit.

Aber auch für die integrierten Heavy Asset Carrier gelten die oben aufgeführten Herausforderungen. Sie müssen einerseits zusätzliche Ressourcen bereitstellen und an der Produktions- und Vermarktungseffizienz arbeiten, andererseits den Verfall der Erlöse pro Bit zumindest verlangsamen und neue Erlösquellen er- schließen.

Detecon-Experten haben sieben Hebel identifiziert, welche die Carrier darin un- terstützen, ihre Profitabilität nachhaltig sicherzustellen. Die folgenden Beiträge zeigen die Bedeutung und Wirkung dieser sieben Hebel für die einzelnen Wert- schöpfungsstufen eines integrierten Heavy Asset Carriers auf.

Überleben werden Carrier, die es verstehen, ihre Netze hocheffizient zu planen, aufzubauen und zu betreiben sowie entsprechend zu monetarisieren. Erfolgs- kriterien für eine nachhaltige und profitable Positionierung am Markt sind die Realisierung von Economies of Scale, ein streng nach ökonomischen Ergebnis- kriterien ausgerichteter integrierter Netzausbau, die Einführung moderner Netz- konzepte, die enge Verknüpfung von Netz und IT, die Erschließung neuer Er- lösquellen und innovativer Preismodelle sowie die Behauptung im Wettbewerb um die Endkunden durch attraktive eigene und partnerschaftlich organisierte innovative Angebote.

24 Detecon International GmbH Network is King!

Eine erfolgreiche Umsetzung der skizzierten Vorhaben kreiert beträchtliche Chancen für Telekommunikationsunternehmen. Sie schaffen die Vorausset- zungen, ihre langfristige Profitabilität abzusichern, sich dem Kunden gegenüber als zentraler Dirigent der digitalen Wertschöpfung zu positionieren und sich vom Getriebenen zum Treiber der digitalen Transformation in Wirtschaft und Gesell- schaft zu entwickeln.

Abbildung: Herausforderungen und Lösungen für Carrier: Sieben Hebel zur Absicherung der nachhaltigen Profitabilität!

Herausforderungen Strategische Optionen Hebel für integrierte Heavy Asset Carrier

Mobilfunk Network is King! 1. Moderne Netzkonzepte Verkehrs- Infrastruktur wachstum Heavy Asset 2 3 5 2. Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten 3. Fokussierte Innovation OTT- Resale 4. Forcierung Partnering Anbieter Light Asset 2 4 3 5. Empowerment Wholesale

Preiswett- Keine 6. Differenzierte Marktbearbeitung bewerb Aktivität 2 2 7. Agilität in Prozessen und IT Festnetz Keine Resale Infrastruktur Aktivität Light Asset Heavy Asset

Attraktivität der Position: 5 = hoch 1 = niedrig

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 25 Die Telekommunikationsindustrie aus Sicht des Kapitalmarkts

Die Telekommunikationsindustrie steht vor gewaltigen Herausforderungen. Das dramatische Verkehrswachstum, der intensive Preiswettbewerb unter den Carriern und die Erfolge der Over-the-Top(OTT)- Anbieter werden, so die These, schon kurz- und mittelfristig einen erheblichen Konsoli- dierungsdruck ausüben. Fragen zur Validität dieser These beantworten Frank Rothauge, geschäftsführender Gesellschafter der AHP Capital Management GmbH und Mitglied im Aufsichtsrat der Drillisch AG, und Wolfgang Specht, Telekom-Analyst, Bankhaus Lampe. Interview

26 Detecon International GmbH Die Telekommunikationsindustrie aus Sicht des Kapitalmarkts

Frage: Welchen Einfluss üben Kapitalmarkt und Banken auf die Telekommuni- kationsindustrie aus, wenn es um die Herausforderungen der Zukunft geht?

Rothauge: Der Einfluss von Kapitalmarkt und Banken ist immer dann besonders spürbar, wenn es um Finanzierungsnotwendigkeiten geht. Angesichts der aktuell enormen Investitionsnotwendigkeiten in die Zukunftsfähigkeit der Netze stellt der Kapitalmarkt einen gewichtigen Faktor dar. Interessanterweise besitzt der direkte Wirkungsmechanismus bei der Finanzierung von neuen Investitionen,­ beispielsweise über zusätzliches Fremdkapital, in der Regel eine geringere Rele- vanz als der „indirekte Wirkungsmechanismus“ in Form von Einflussnahme auf die Exekutivorgane der Unternehmen durch Aktionäre oder Kreditgeber. Dabei achtet der Kapitalmarkt immer auf möglichst hohe Kapitalrenditen und gerade hier haben viele Telekommunikationsunternehmen Probleme, die Anforderung des Kapitalmarkts zufriedenzustellen.

Specht: Problematisch ist auch der unterschiedliche Zeithorizont. Investoren be- vorzugen für gewöhnlich eine frühe Realisierung von Renditen. Zudem wird eine hohe Transparenz zur Beurteilung der Werthaltigkeit von Investitionen ge- wünscht. Dies steht oft in einem Gegensatz zu den langfristigen Investitions­ zyklen bei Investitionen in die Netzinfrastruktur.

Frage: Was müsste passieren, damit die Bereitschaft des Kapitalmarkts zur Finan- zierung neuer Netzinfrastrukturen steigt?

Specht: Investoren müssen von der Werthaltigkeit der Investitionen überzeugt sein. Die Vergangenheit war in dieser Hinsicht leider mit einigen ­Enttäuschungen verbunden. Technologietrends haben sich als kurzlebiger erwiesen als ursprüng- lich erwartet. Auch die Regulierung in Europa hat mit ihren Entscheidungen meist den Wettbewerb angeheizt und Preisdruck verstärkt. Damit hat man einen anderen Regulierungsschwerpunkt gewählt als zum Beispiel in den USA. Für den europäischen Verbraucher war das ein Grund zur Freude – die Durchschnitts­ umsätze pro Kunde liegen im Mobilfunk um zirka 30 Prozent niedriger wie in den USA.

Rothauge: Entscheidend ist eine Veränderung der Preismechanismen. Die ­Telekommunikationsindustrie ist die einzige große infrastrukturbasierte Bran- che, deren Preise seit Jahren rückläufig sind. Damit einher geht eine schleichende Entwertung der Infrastruktur. Wichtig wäre eine Stabilisierung der Preise, idealer­weise sogar die Etablierung eines Trends zu leicht steigenden Preisen für infrastrukturnahe Dienste, insbesondere was die Netzanschlüsse betrifft. Hier hat

Detecon International GmbH 27 Interview

der harte Wettbewerb den Spielern häufig einen Strich durch die Rechnung ge- macht. Allerdings sind auch die Preisstrategien oft nicht durchdacht genug oder zu kurzfristig angelegt.

Frage: Wie sollten die Preisstrategien der Telekommunikationsunternehmen an- gelegt sein, um dieses Ziel zu erreichen?

Rothauge: Den maßgeblichen Hebel bietet der starke Anstieg des Verkehrs- volumens bei jedem einzelnen Kunden durch neue Formen der Nutzung der ­Telekommunikationsinfrastruktur. Im Mobilfunk gilt das mobile Internet als der wesentliche Treiber, während es im Festnetz vor allem die Nutzung von Video­ inhalten ist. In den USA gehen beispielsweise schon 30 Prozent des Verkehrs allein auf die Nutzung von Videoinhalten von Netflix zurück. Hier liegt eine einzigartige Chance für die Telekommunikationsunternehmen, höhere Preise für höherwertige Anschlüsse durchzusetzen, zumal der Wettbewerb in der ­Regel na- türlich eingeschränkt ist, da sich nur der Ausbau einer einzigen höherwertigen Infrastruktur lohnt. Das Bedürfnis der Kunden, die neuen Dienste zu nutzen, wird unweigerlich zu einer höheren Zahlungsbereitschaft für schnellere An- schlüsse führen – insbesondere dann, wenn Kunden intelligent an diese neuen Dienste herangeführt werden. Der oft beschriebene Gegensatz zwischen OTT- Anbietern wie Netflix, Hulu oder Lovefilm und den Telekommunikationsanbie- tern ist somit eigentlich eine Symbiose, weil keiner ohne den anderen erfolgreich sein kann. Allerdings müssen die Anbieter gerade in diesem Punkt Preisdisziplin wahren. Unüberlegte Preissenkungen im Anschlussbereich sind absolut kontra- produktiv.

Specht: Als hilfreich aus Sicht der Unternehmen könnte sich darüber hinaus eine vermehrte „Substitutionsbereitschaft“ der Kunden erweisen. Sollte der Trend zum „nicht physischen Konsum“ anhalten, ist es durchaus denkbar, dass Kunden ­Telekommunikationsdienstleistungen ein höheres Budget zuordnen. Im Gegenzug werden zum Beispiel Käufe von CDs, DVDs oder Zeitschriften ein- geschränkt.

Frage: In einer stärker konsolidierten Wettbewerbslandschaft wäre Preisdisziplin viel einfacher zu wahren. Die Landschaft der Telekommunikationsunternehmen in Europa zeigt sich im Vergleich zu den USA sehr zersplittert. Während es in den USA nur eine Handvoll Carrier gibt, weist Europa eine fast unüberschaubare Zahl auf. Besteht in Europa Nachholbedarf in Bezug auf eine Konsolidierung der Player? Wie wichtig ist der Faktor Größe?

28 Detecon International GmbH Die Telekommunikationsindustrie aus Sicht des Kapitalmarkts

Specht: Da spielt sicherlich die historische Entwicklung eine Rolle. Der Aufbau von Telekommunikationsnetzen wurde im vergangenen Jahrhundert, analog zu anderen netzgebundenen Infrastrukturen, als nationale Aufgabe angesehen. Eine hohe Zahl von Staaten führte daher zu einer hohen Zahl von unabhängigen Net- zen. Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse haben in der Vergangenheit oft nicht die Erwartungen an die Synergieeffekte erfüllt. Und dann gibt es nach wie vor staatliche Interessen, welche sich zum Teil auch in Kapitalbeteiligungen an verschiedenen Incumbents zeigen und die Konsolidierung erschweren.

Rothauge: Ein Hauptgrund für die zersplitterte Wettbewerbslandschaft in E­ uropa ist die nach wie vor ebenso zersplitterte Regulierungslandschaft mit 27 natio- nalen Regulierer allein in der EU. Die nationalen Vorschriften machen es für die Unternehmen schwierig, Synergien aus supranationalen Zusammenschlüssen zu ziehen. Allerdings spielen dabei auch Faktoren eine Rolle, die nie zu ändern sein werden. In den USA ermöglicht die gemeinsame Sprache eine einheitliche Mar- ketingstrategie, was in Europa niemals der Fall sein wird. Deshalb habe ich, selbst wenn es gelingt, die Regulierung in Europa zu zentralisieren, doch Zweifel, ob eine supranationale Konsolidierung wirklich Vorteile bringt, wobei dies vermut- lich im Mobilfunk eher eintreten wird als im Festnetz. Die Vorteile nationaler Konsolidierung für die Unternehmen stehen absolut außer Zweifel – dem sind allerdings Grenzen durch die Wettbewerbsbehörden gesetzt.

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Treiber und Hürden einer Kon- solidierung unter den Telekommunikationsunternehmen in Europa?

Specht: Grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen von Incumbents fehlte bis- her oft der strategische Sinn und es mangelt an Möglichkeiten der Synergiehe- bung. Für die Firmenlenker stellt sich die Frage: Warum soll ich mir im Ausland die gleichen Probleme kaufen, die ich in meinem Heimatmarkt habe? Stichworte sind hier Personalüberhang, unklarer Regulierungsausblick oder aufstrebender Infrastrukturwettbewerb. Inzwischen sind jedoch verschiedene Restrukturie- rungsschritte erfolgt und auch eine Vereinheitlichung des Regulierungsrahmens zeichnet sich ab. „Cross-Border-Merger“ könnten daher zukünftig ein höheres Rational entwickeln. Kommende einheitliche Netzstandards spielen ebenfalls eine zentrale Rolle. Die grenzüberschreitende Implementierung und Steuerung von Diensten wird signifikant erleichtert, wenn einheitliche „All-IP-Netze“ be- stehen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.

Detecon International GmbH 29 Interview

Frage: Was kennzeichnet Carrier, die in diesem Konsolidierungsprozess eine ak- tive, gestaltende Rolle spielen möchten? Wie wichtig sind der Aktienkurs, die Marktkapitalisierung oder andere finanzielle KPIs?

Rothauge: Konsolidierung ist in erster Linie eine Frage der finanziellen Stärke. Ideal positioniert sind Carrier mit einem hohen Börsenwert und einem geringem Verschuldungsgrad, zum Beispiel in Form einer Betrachtung der Nettoverschul- dung zum operativen Ergebnis, wobei gerade der Verschuldung eine sehr hohe Bedeutung zukommt, da die Fremdkapitalgeber zunächst wenig Nutzen aus den Vorteilen der Konsolidierung ziehen. Aber auch die Aktionäre stehen Fusionen häufig kritisch gegenüber, da es viele Beispiele für kontraproduktive Entwick- lungen gab und gibt. Beleg hierfür sind umfangreiche Abschreibungen auf Fir- menwerte, die im Nachgang einiger Megafusionen erfolgten. Fusionen belasten Management und Mitarbeiter ungemein und führen nicht selten dazu, dass die Konzentration auf den Markt und die Kunden nachlässt und die Unternehmen den Anschluss verlieren. Deshalb werden insbesondere supranationale Groß­ fusionen vom Kapitalmarkt in der Regel kritisch beurteilt, während ­kleinere, verdaubare Akquisitionen positiver gesehen werden.

Specht: Glaubwürdigkeit spielt eine wichtige Rolle, ebenso der „Track-Record“ des Managements bezüglich Akquisitionen und Integrationen. Investoren haben im Rückblick zu viele „teure“ Akquisitionen in unserer Branche gesehen, bei denen sich Wachstumserwartungen und Synergien nicht in geplantem Umfang einstellten. Beispielhaft für den deutschen Markt sei der Einstieg von France Télécom bei Mobilcom genannt.

Frage: Welche Dos and Don‘ts sollten Carrier beherzigen, die für den Kapital- markt in Konsolidierungsszenarien attraktiv sein wollen?

Rothauge: Entscheidend beim Thema Konsolidierung ist meines Erachtens eine möglichst klare und durchgängige Strategie. Es lässt sich schwer vermitteln, wenn ein Incumbent als Marktführer in seinem Heimatland plötzlich die Num- mer vier im Mobilfunkmarkt des Nachbarlandes kauft, ohne dort Erfahrungen zu haben und eine schlüssige „Entwicklungsstrategie“ für das Asset offenzulegen. Das heißt: Ist ein Carrier mit einer integrierten Strategie mit hoher Netztiefe er- folgreich, dann sollte er auch bei diesem Modell im Falle internationaler Expan- sion bleiben. Verfolgt der Carrier eine Asset-Light-Strategie, dann sollte er diese ebenfalls beibehalten. Vor allem gilt es, einen klaren Mehrwert einer Akquisition aufzeigen zu können, der zumindest darin liegen sollte, dass das Kaufobjekt die Möglichkeit bietet, eine bereits erfolgreich umgesetzte Mehrwertstrategie noch einmal zur Anwendung zu bringen.

30 Detecon International GmbH Die Telekommunikationsindustrie aus Sicht des Kapitalmarkts

Specht: Auch die „passive Rolle“ kann interessant sein. Gelingt es einem Unter- nehmen, sich als attraktives Akquisitionsziel zu positionieren, fügen Investoren dem fairen Wert oft eine „Übernahmeprämie“ hinzu. Dafür reicht es zum Teil schon, wenn Mitglieder des Managements eine in der Presse aufgegriffene „Idee“, man sei Übernahmekandidat, nicht verneinen.

Frage: Wie wichtig sind Kooperationen unter Telekommunikationsunterneh- men als Quasi-Ersatz für eine Konsolidierung? Und in welchen Feldern machen Kooperationen unter Carriern Sinn?

Rothauge: Kooperationen sowohl unter Telekommunikationsunternehmen wie auch mit OTT-Anbietern werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, da nur sehr wenige Unternehmen allein in der Lage sind, die Herausforderungen des Netzausbaus allein zu stemmen. So wird es sicherlich intensivere Kooperationen zwischen reinen Mobilfunkern und reinen Festnetzunternehmen geben, um dem Druck integrierter Anbieter standzuhalten. Gerade für Spieler mit niedrigerem Marktanteil wird Kooperationsmanagement eine Schlüsselkompetenz, sowohl was andere Carrier als auch OTT-Anbieter anbelangt.

Specht: Es gibt ja schon eine Reihe von Beispielen in Form von Einkaufsge- meinschaften, etwa für Hardware zwischen France Télécom und Deutsche Tele- kom, oder die gemeinsame Entwicklung von Diensten wie dem Messagingdienst „Joyn“ als Projekt mehrerer europäischer Incumbents. Bei Joyn zeigt sich jedoch auch das Dilemma der Branche: Eigene Entwicklungen sind oft teuer und dau- ern zu lange. Bei Marktreife des Produkts hatte „WhatsApp“ den Markt bereits überrollt.

Frage: Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Carriern und OTT-Anbietern aus Sicht der Carrier erfolgreich gestalten? Wie positionieren sich Carrier nachhaltig erfolgreich – eher als Lieferant einer hervorragenden Konnektivität oder auch als Anbieter eines breiten Spektrums eigener innovativer Contentangebote? Und wie wichtig sind vertikale Partnerschaften mit OTTs?

Specht: Die meisten Carrier müssen sich leider weiterhin mit dem Fokus auf Konnektivität zufriedengeben, ohne den Anspruch eines zusätzlichen Inhaltsan- gebots vollständig aufzugeben. Ein Schlagwort heißt „Smart Pipe“: Man liefert die Transportplattform und aggregiert für den Kunden gleichzeitig verschiedene Dienstleistungen, welche jedoch überwiegend von Partnern bezogen werden. Daraus entsteht dann ein Paket aus Netzzugang, Datenvolumen, Sicherheits­ lösung und Inhalten.

Detecon International GmbH 31 Interview

Rothauge: Zunächst ist der Carrier ja kein Lieferant des OTT-Anbieters, sondern hat in der Regel eine eigene Beziehung zum Endkunden. Das Selbstverständnis vieler Carrier ist einerseits von Arroganz und andererseits von Angst geprägt. Es wäre sinnvoller, zu einer nüchternen Einschätzung zu kommen. Fest steht: Kein Kunde hätte Interesse an einem schnellen Internetzugang ohne die Millionen von Angeboten der Internetunternehmen. Das bedeutet, die OTT-Anbieter ha- ben viel für die Carrier getan. Die Schlüsselfrage lautet, ob die Carrier überhaupt die Skills haben, um als Internet-Contentanbieter erfolgreich zu sein, und ob sie das insgesamt weiterbringt. Die hat gerade einen sehr erfolg- reichen Internetanbieter wie ImmobilienScout24 verkauft. Damit wird klar, dass eigentlich nur dort, wo Netzanschluss und Content in einer besonders engen Beziehung stehen, eine vertikale Integration einen Mehrwert bringt. Das ist zum Beispiel bei Video und Fernsehangeboten der Fall. Gerade hier gibt es ja in der Tat auch einige Beispiele, wie sich Carrier erfolgreich mit ihren Angeboten eta- blieren können.

Frage: Wie beurteilen Sie die mittelfristigen Überlebenschancen kleinerer ­regionaler oder lokaler Carrier innerhalb eines Landes und von sogenannten ­Resellern? Laufen nicht insbesondere die Letztgenannten Gefahr, über kurz oder lang von den OTT-Anbietern aus dem Markt verdrängt zu werden?

Rothauge: Diese Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Lokale Carrier konzentrieren sich immer auf den Netzanschluss in ihrem lokalen Umfeld. Welchen Sinn hät- te es für einen OTT-Anbieter, sich in dieses Feld zu entwickeln? Zwar können OTT-Anbieter durchaus zu erfolgreichen Resellern von Telekommunikationslei- stungen avancieren, aber das wird vermutlich nicht zulasten heute existierender Reseller gehen. Diese stehen ohnehin schon in hartem Wettbewerb mit den Carriern und haben Vermarktungsstrategien erarbeitet, die für die OTT ähnlich schwierig zu kopieren sind wie für die Carrier die Contentangebote der OTTs. Denkbar sind aber ganz neue Reselling-Ansätze. Vermutlich wird es in Zukunft sehr erfolgreiche M2M-Reseller geben, die M2M-Strategien für bestimmte Kun- dengruppen und Anwendungen besonders lukrativ umsetzen können. Ebenso denkbar ist, dass sich Anbieter von Onlinespielen zu erfolgreichen Resellern von Speed-Optionen für den Internetzugang entwickeln.

Specht: Verschiedene City- und Regionalcarrier haben bereits eine kritische Grö- ße erreicht und würden bei Verkaufsinteresse der aktuellen Investoren auch Käu- fer finden. Allerdings bergen die Vectoring-Entscheidung der Bundesnetzagentur und der Entwurf für die neue Regulierungsordnung in Europa einige Gefahren für Carrier – insbesondere was den Zugriff auf die TAL betrifft. Mit Blick auf

32 Detecon International GmbH Die Telekommunikationsindustrie aus Sicht des Kapitalmarkts

Reseller und MVNOs teile ich die Meinung von Herrn Rothauge. Mehr als ein Jahrzehnt des Agierens zwischen Netzbetreibern und Markt hat schlagkräftige und vor allem schlanke Anbieter hervorgebracht. Es ist außerdem denkbar, dass im Zuge einer weiteren Marktkonzentration – etwa durch einen Merger von O2 mit E-Plus – Resellern und MVNOs Sonderrechte eingeräumt werden. In ­Österreich musste beispielsweise „3“ bei der Übernahme von „Orange Austria“ für zehn Jahre bis zu 16 MVNOs den Zugriff auf bis zu 30 Prozent der Netz­ kapazität zu vereinbarten Konditionen garantieren.

AHP Capital Management GmbH ist eine Vermögensverwaltungsgesellschaft für private und professionelle Kunden mit Zulassung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf- sicht. AHP bietet Privatkunden eine individuelle Vermögensverwaltung in Zusammenarbeit mit namhaften Depotbanken und berät auch professionelle Investoren in ausgewählten In- vestmentfeldern.

Das Bankhaus Lampe zählt zu den führenden und wenigen unabhängigen Privatbanken in Deutschland. 1852 gegründet, befindet sich das Traditionshaus heute vollständig im Besitz der Familie Oetker. Die geschäftlichen Aktivitäten konzentrieren sich auf die umfassende Betreuung von vermögenden Privatkunden, mittelständischen Firmenkunden und institu- tionellen Anlegern.

Detecon International GmbH 33 Moderne Netzkonzepte

Zukünftige Netzarchitekturen Dr. Stefan Schnitter, Dr. Uli Bornhauser

> Die Wahl der richtigen Netzarchitektur ist heute entscheidend für Netzbetreiber, um konkurrierende Ziele wie Kostenreduktion, Qualität und Flexibilität auszubalancieren.

> Aus einer Vielzahl von Prinzipien und Trends wie SDN, NFV, Multi-Layer Netzen und anderen müssen Netzbetreiber die für sie geeigneten auswählen und eine Ende-zu-Ende-Netzarchitektur entwickeln.

> Es ist sinnvoll, die Trends zunächst jeweils für sich zu betrachten. Eine Fallstudie zeigt, wie die wichtigsten aktuellen Trends in einer Ende-zu-Ende-Architektur zur Anwendung kommen.

34 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

Kernkompetenz „Netz“ steht wieder im Mittelpunkt

Network is king! Wenn dieser Anspruch für heutige Netzbetreiber zutrifft, dann sind Netzarchitekturen die Basis für den Aufbau, die Entwicklung und die Ver- teidigung des Königreichs! Netzbetreiber fokussieren sich wieder auf das Netz als Kernkompetenz und wichtigsten Besitz, um die gewachsenen Qualitätsan­ sprüche der Kunden bedienen zu können, die sich ganzheitlich aus dem Stich- wort „Customer Experience“ ableiten. In dieser Situation sind Netzarchitekturen die wichtigsten Werkzeuge, um die konkurrierenden Ziele Kostenreduktion, Qualität und Flexibilität für die Einführung neuer Produkte als Umsatzbringer auszubalancieren. Doch welche Wahl haben Netzbetreiber hinsichtlich der künf- tigen Netzarchitekturen?

Unabhängig von Geschäftsmodell und Marktsegment stehen derzeit nahezu alle Netzbetreiber vor Herausforderungen, denen sie durch die Implementierung ­einer geeigneten Netzarchitektur begegnen können. Das Verkehrswachstum und die damit verbundene Notwendigkeit für Infrastrukturinvestitionen ist sicher eine davon. Die prognostizierten jährlichen Wachstumsraten bis zum Jahr 2018 bewegen sich im Bereich von 20 bis 30 Prozent im Festnetz und 60 bis 70 Prozent im Mobilnetz. Dies zwingt Netzbetreiber zu ständigen Infrastrukturinvestitionen in ihr Zugangs- und Kernnetz. Neue Technologien und effizientere Implemen- tierungen führen zwar zu verringerten Kosten pro transportiertem Bit – gemäß Studien im Bereich von jährlich 15 Prozent –, dies ist aber nicht ausreichend für das Verkehrswachstum, wenn die Umsätze stagnieren oder nicht signifikant stei- gen. Darüber hinaus gibt es in Verbindung mit neuen Zugangstechnologien wie Fiber-to-the-Home (FTTH) oder einer großen Zahl von Small Cells sprungartig ansteigende Kosten aufgrund teurer Tiefbaumaßnahmen oder massiver Rollout- Kosten für eine sehr große Anzahl kleiner Funkzellen, die aufgebaut und ange- schlossen werden müssen.

Herausfordernd sind nicht nur die steigenden Investitionen (CAPEX), sondern auch die aufgrund wachsender Kundenzahlen höheren Anforderungen an die Effizienz der Bereitstellungsprozesse für die angebotenen Dienste sowie die Sen- kung der OPEX-Kosten für den Netzbetrieb. Darüber hinaus ist die Agilität, mit der Netzbetreiber am Markt agieren, ein entscheidendes Kriterium, um neue Dienste schneller einführen oder bestehende schneller ändern zu können. Over- the-Top(OTT)-Anbieter wie Google und Amazon verfügen über eine weitaus höhere Flexibilität im Design innovativer Dienste. Netzbetreiber und Telekom- munikationsanbieter müssen sich entscheiden, ob sie mit den OTT-Mitbewer- bern kooperieren oder konkurrieren wollen. Falls sie kooperieren wollen, be- nötigen sie flexible Dienstangebote und Schnittstellen zu Partnerunternehmen,

Detecon International GmbH 35 Moderne Netzkonzepte

um eine faire Umsatzbeteiligung gemäß flexibler Partnermodelle gewährleisten zu können. Die historisch gewachsenen Entwicklungszyklen von Netzbetreibern sind allerdings oftmals viel zu lang. Die benötigte Flexibilität in der Dienstege- staltung für die Umsetzung solch flexibler Partnermodelle herzustellen, ist eine große ­Herausforderung.

Da Netzbetreiber traditionell sehr sorgfältig und mit Bedacht auf neue Trends und Entwicklungen reagieren, befinden wir uns heute in einer Situation, in der die meisten Netzbetreiber noch mit den Herausforderungen der letzten ­Dekade beschäftigt sind. Klassische Beispiele sind die Konvergenz von Festnetz und ­Mobilnetz, die Migration der Sprachnetze zu IP-basierten Next Generation Net- works (NGN) sowie die Einführung von IPv6-fähigen Netzen und Diensten. Netzbetreiber haben traditionell separate Mobilfunk- und Festnetze betrieben, zwischenzeitlich aber die Vorteile konvergenter Netze und Dienste erkannt. Während die Integration auf Marketingebene oftmals bereits erfolgt ist, läuft die technische Umsetzung und Produktintegration in vielen Fällen noch. Die Verschmelzung von Mobil- und Festnetz und die tatsächliche Ausnutzung der Einsparpotenziale erfordern langwierige Anpassungen in der Netzinfrastruktur, den IT-Systemen, den Prozessen und der Organisationsstruktur. Obgleich erste Produkte und Serviceangebote bereits zeigen, dass diese Konvergenz wesentliche Auswirkungen auf die Produktstrategie haben kann, fehlt es doch an einer klaren Langfristplanung für integrierte Dienste.

Die Basis für die Entwicklung zu einem modernen Netz der nächsten Generation bildet die Migration zu einem All-IP-Netz. Im Wissen um die Notwendigkeit ei- ner einheitlichen Diensteplattform haben Netzbetreiber im letzten Jahrzehnt All- IP-Netze aufgebaut und sind dabei, viele der auf nur einen Dienst spezialisierten Bestandsplattformen abzuschalten, um dadurch OPEX-Einsparungen und lang- fristig auch CAPEX-Einsparungen zu erzielen. Die Emulation möglichst vieler Merkmale des Sprachnetzes, die Sicherstellung der vom Kunden gewohnten ho- hen Qualitätsstandards und Robustheit sowie die Migration der Kunden aus den Bestandsnetzen ist bedeutend komplexer und zeitaufwändiger, als ursprünglich veranschlagt. Diese Feststellung trifft auch auf Geschäftskundendienste zu, die zum Teil immer noch auf Basis der SDH-Bestandstechnik erbracht werden, bei- spielsweise für Mietleitungsdienste. Bis zur vollständigen Abschaltung der nicht IP-basierten Bestandstechnik und den damit verbundenen Kosteneinsparungen ist es oftmals noch ein weiter Weg, was die Betriebskosten in dieser Übergangs- phase erhöht. Die resultierende Heterogenität und Diversifizierung der Techno- logie ist ein Haupttreiber für die Komplexität in der IT. Dies wiederum hat einen negativen Einfluss auf die Dauer der Entwicklung und Umsetzung von neuen Produkten, Diensten und Netzanpassungen.

36 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

Hauptsächlich getrieben durch die rapide Verbreitung von “always online”-Ge- räten im Massenmarkt haben mehr und mehr Netzbetreiber begonnen, IPv6 in ihren Netzen einzuführen. Die Einführung von IPv6, die lange unter der Zwick- mühle von fehlenden IPv6-Inhalten und mangelnder IPv6 basierter Ende-zu- Ende-Konnektvität gelitten hat, wird die Netzbetreiber noch in den nächsten Jahren beschäftigen, da sie nicht nur die Netzelemente, sondern auch Sicher- heitskonzepte, IT-Systeme und Managementsysteme anpassen müssen.

Obwohl die Netzbetreiber noch stark mit den bekannten Herausforderungen Konvergenz von Fest- und Mobilfunknetzen, Migration zu All-IP-Netzen und IPv6 beschäftigt sind, spüren sie bereits die Auswirkungen der neuen Heraus- forderungen: Der Druck wächst, neue Umsatzquellen, beispielsweise durch qua- litätsgesicherte Transportleistungen für Contentanbieter, zu erschließen, sowie schnell, aber risikobehaftet Kosten zu senken. Denkbar sind zum Beispiel „Fair Use Policies“ in etablierten Flatrate-Märkten, das heißt Flatrate-Tarife mit Dros- selung der Datenrate nach Überschreitung eines Inklusivvolumens.

Um in diesem Kontext erfolgreich zu sein, müssen Netzbetreiber Netz, Organi- sation und Prozesse deutlich schlanker gestalten sowie Alleinstellungsmerkmale ­herausarbeiten, um ihre Marktposition zu verbessern. Entscheidend ist letztlich das Kundenerlebnis, die “Quality of Experience”. Denn Kunden sind zuneh- mend gewillt, für qualitätsbestimmende Aspekte wie bessere Mobilfunknetzab- deckung und höhere Zugangsgeschwindigkeit einen Premiumpreis zu bezahlen.1

Die aktuellen Trends für die Entwicklung künftiger Netzarchitekturen haben un- terschiedliche Vorteile und Konsequenzen. Sie können in die Konvergenz von IT und Netz, die Konvergenz verschiedener Netzschichten, die Konvergenz von Fest- und Mobilfunknetz sowie statische und dynamische Architektur-Paradig- men gruppiert werden.

Entwicklungstrend 1: Konvergenz von IT und Netz

Die Konvergenz von IT-Technologien und Netztechnologien ist prinzipiell kein neuer Trend: Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) ist seit lan- gem ein stehender Begriff – allerdings vor allem aus Marketingsicht. Nun kristal- lisiert sich heraus, dass sich die Konvergenz neuester IT- und Netztechnologien tatsächlich zum Grundpfeiler einer künftigen integrierten Netzarchitektur ent- wickelt. Die Konvergenz der Infrastruktur – IT und Netz – ist ein wichtiger As- pekt. Noch wichtiger ist die Konvergenz der unterliegenden Prinzipien, wodurch

1 Vgl. Hauk, Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch Customer Experience, S. 254 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 37 Moderne Netzkonzepte

IT-Denkmuster und Prinzipien in die Netzarchitektur Einzug halten. Insbeson- dere sind dies Open Source, Virtualisierung,2 offene Programmierschnittstellen (APIs) und keine vertikale Integration von Hardware, Betriebssystem und An- wendungssoftware.

Viele dieser IT-Prinzipien sind Kernbestandteil von Software-defined Networks (SDN): Netzwerke werden hier als offene und frei programmierbare Strukturen betrachtet, die Netzapplikationen nutzen können. SDN basiert auf einer drei- schichtigen Architektur, bestehend aus einer Applikationsschicht, einer Kontroll- schicht und einer Infrastrukturschicht. Als zentrales Element wird eine neuar- tige, logisch zentralisierte Kontrollschicht eingeführt, die eine netzweite Sicht hat. Mittels diverser Southbound-Schnittstellen in Richtung der Infrastruktur- schicht mit den Netzelementen sowie Northbound-Schnittstellen in Richtung der Applika­tionsschicht mit netznutzenden Applikationen und netzsteuernden Applikationen ermöglicht sie eine neue Art der Netzbewirtschaftung. Die drei- schichtige Architektur ist eine wesentliche Neuerung im Vergleich zu heutigen Netzarchitekturen, die weitgehend vertikal integriert sind: Die Hardware der Netzelemente, das in diesen Netzelementen ablaufende Netzbetriebssystem und die netzsteuernden Applikationen kommen normalerweise aus der Hand eines Herstellers. In diesem Sinne sind heutige Netzarchitekturen durchaus vergleich- bar mit den IT-Mainframe-Architekturen der 1970er. SDN hat das Potenzial, eine ähnlich dramatische Veränderung herbeizuführen!

Die SDN-Architektur trennt die Verkehrsweiterleitung (Forwarding) von der Verkehrssteuerung (ControlPlane) durch die Einführung eines SDN Controller als logisch zentralisierte Komponente. Dies hat folgenden Vorteil: Die aufwen- dige Kontrollschicht muss nicht in jedem Netzelement implementiert werden, was zu einfacheren und potenziell kostengünstigeren Netzelementen führt. Her- steller können sich auf die effiziente Verkehrsweiterleitung konzentrieren so- wie auf anschlussspezifische Funktionen am Rand des Netzes. Die Funktionen der Netzkontrollschicht hängen eng zusammen mit den Netzdiensten und de- ren Anforderungen, wobei ein zentralisierter Controller die Einführung neuer ­Dienste und Leistungsmerkmale erleichtert und dabei mehr Flexibilität ermög- licht. Derzeit sind die Leistungsmerkmale eines Dienstes oftmals eng gekoppelt an die Funktionalität und Leistungsfähigkeit der Netzelemente selbst. Deshalb ist die durch den separaten Controller gewonnene zusätzliche Flexibilität ein großer Fortschritt. SDN-basierte Architekturen erlauben darüber hinaus eine flexible Kontrolle des Verkehrs bis hin zu einer sehr feingranularen Kontrolle

2 Vgl. Gonsa/Chrestin/Reith, Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie, S. 58 ff. in diesem Band.

38 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

einzelner Verkehrsflüsse (Flows) auf Applikationsebene. Diese Flexibilität kann noch gesteigert werden, indem moderne IT-Prinzipien und Methoden wie Ra- pid Prototyping oder Open Source bei der Entwicklung der Software für die Netzkontrollschicht Anwendung finden. Ein weiterer Vorteil von SDN ist die Netzabstraktion, die der Controller implementiert. Abstraktion ist ein probates Mittel, um die Komplexität der Netzinfrastruktur beherrschbar zu halten. SDN Controller dienen dazu, durch Weglassen von physikalischen Besonderheiten verschiedene logische Sichten auf das Netz für die Applikationen bereitzustellen, und zwar über offene Schnittstellen.

Mit Blick auf den Wettbewerb sind offene Schnittstellen (APIs) ebenfalls ein wichtiger Vorteil von SDN: Die Northbound-Schnittstellen des SDN Control- lers zur Applikationsschicht versetzen Netzbetreiber in die Lage, Angebote an Dritte zu machen. Hier eröffnet sich eine Vielfalt neuartiger Geschäftsmodelle für Betreiber, Dritten neue Dienste auf ihrem Netz anzubieten. Auch qualitäts- gesicherte Transporte für OTT-Dienste mit Umsatzbeteiligung oder neue Infor-

Abbildung 1: SDN-Architektur

Anwendungsebene

Netzwerk- Geschäfts- applikation applikation

Northbound-Schnittstelle

Kontrollebene

SDN CONTROLLER

Southbound-Schnittstelle

Netzinfrastrukturebene

Optischer (v)Switches Router Firewalls Core Transport

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 39 Moderne Netzkonzepte

mationsdienste sind attraktiv. Northbound-Schnittstellen zu dritten Anbietern sind ein wesentlicher Baustein für sogenannte „Smart Pipe“-Geschäftsmodelle.3

Obgleich erste Produkte für SDN-basierte Netze bereits kommerziell verfügbar sind – zum Beispiel OpenFlow basierte Netzknoten und SDN Controller –, ist das SDN-Konzept noch in der Entwicklung. Insbesondere ist noch umstritten, welche Granularität der Verkehrskontrolle sinnvoll ist. Anfänglich lag ein Fo- kus auf feingranularer Kontrolle je einzelner Verkehrsflüsse, mittlerweile werden auch die Automatisierung der Einrichtung von Diensten (Provisioning) und das Management von User Sessions beim Internetzugang als Software Defined Net- working betrachtet.

Mittlerweile sind SDN-Architekturen auf dem besten Weg in die Realität. Es existiert eine Vielzahl von interessanten Anwendungsfälle, deren Relevanz und Vorteile stark abhängig sind vom Geschäftsmodell des jeweiligen Netzbetreibers. Manche passen eher für einen infrastruktur-basierten Netzbetreiber, andere für Betreiber von Data Centern und wieder andere für Service Provider mit we- nig eigener Infrastruktur. Gleichzeitig können die Anwendungsfälle nach ihrer Zielsetzung unterschieden werden: Fokus auf Umsatz durch Steigerung von Agi- lität und, um neue Dienste anbieten zu können, Fokus auf OPEX-Reduktion durch Erhöhung des Automatisierungsgrades in der Produktion oder Fokus auf ­CAPEX-Reduktion durch die effizientere Nutzung der Netzinfrastruktur.

Einige der jetzt im Zusammenhang mit SDN diskutierten Anwendungsfälle hät- ten auch schon zuvor ohne SDN implementiert werden können, zum Beispiel im Bereich automatische Provisionierung oder Bandbreitenanpassung (Band- width on Demand). Wenn es darum geht, zu beurteilen, ob es sich bei SDN um Hype oder Realität handelt, sollten Netzbetreiber auch ihre bisherigen Versuche zur Umsetzung dieser Anwendungsfälle analysieren.

Es gibt große Unterschiede hinsichtlich des Reifegrades von SDN-Architekturen für unterschiedliche Anwendungsszenarien: SDN im Data Center ist bereits heu- te marktreif. Aufgrund des Trends der Network Function Virtualization (NFV) sowie des allgemeinen Trends, dass Netzbetreiber ihre Dienste zunehmend Data Center basiert produzieren, sind sämtliche Data-Center-Anwendungsfälle von SDN auch relevant für traditionelle Netzbetreiber. Die Nutzung von SDN für mehr Dynamik und Flexibilität bei der Entwicklung neuer Dienste wird derzeit von großen Netzbetreibern wie Telefonica getestet oder ist wie bei NTT DoCo- Mo bereits in Betrieb. Die Implementierung von SDN in den Weitverkehrsnet- zen von Netzbetreibern mit dem Ziel, die Netzauslastung zu erhöhen, ist dage-

3 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff. in diesem Band.

40 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

gen eher mittelfristig im Fokus – obwohl bereits erste I­mplementierungen dafür existieren, beispielsweise in Form des Netzes, mit dem Google seine Data Center untereinander verbindet.

Durch die Einführung von SDN-Konzepten in ihre künftige Architektur können Netzbetreiber daher sowohl eine Reduzierung ihrer Betriebskosten (OPEX-Ein- sparungen) als auch eine erhöhte Flexibilität bei der Einführung neuer ­Dienste kurzfristig erwarten. CAPEX-Einsparungen sind hingegen eher mittelfristig oder langfristig zu erwarten.

Doch sind die Netzbetreiber in der Lage, diese Chance zu nutzen? Obwohl es für Netzbetreiber sehr attraktiv zu sein scheint, die Kostenvorteile und Umsatz- potenziale der Netz- und IT-Konvergenz zu erschließen, ist die Implementie- rung keineswegs einfach. Neben der Herausforderung, eine konvergente IT- und Netztechnologiestrategie zu erarbeiten, liegt die größere Herausforderung in der Anpassung von Prozessen und Organisationsstrukturen. IT- und Netzprozesse, die derzeit weitgehend unabhängig sind und teilweise auch unterschiedlichen Prinzipien folgen, müssen integriert werden. Darüber hinaus müssen die Netz- betreiber Kompetenzen im Bereich der Produktenwicklung aufbauen, um die durch SDN-Architekturen neu gewonnene Flexibilität auch nutzen zu können. Letztendlich müssen sich Telekommunikationsunternehmen stärker in Richtung einer Softwarefirma transformieren. Nur so können sie von den Vorteilen der IT- Netzkonvergenz in vollem Umfang profitieren.

Entwicklungstrend 2: Konvergenz verschiedener Netzschichten

Typischerweise wurden unterschiedliche Schichten der Netzinfrastruktur separat geplant und betrieben. Diese Herangehensweise nach dem Prinzip “Teile-und- Herrsche” hat Vorteile, da sie eine Aufteilung der Aufgaben für die Netzplanung und den Netzbetrieb in klar voneinander abgegrenzte unabhängige Teilaufgaben ermöglicht. Die einzelnen Schichten – von den Kabeln über Glasfasern, Wellen- längen, DWDM-Systemen und Ethernet bis hin zur IP/MPLS Schicht – können individuell und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten weiter entwickelt wer- den. Allerdings ist dies nicht die effizienteste Architektur, da durch eine strikte Trennung der Netzschichten schichtenübergreifende Optimierungspotenziale nicht genutzt werden können.

Der Druck auf Kostenreduktion und Effizienzsteigerung hat zu drei Haupttr­ ends geführt, die alle darauf abzielen, die Vorteile eines konvergenten Multi-Layer Netzes zu nutzen. Der erste Trend ist die Integration auf Geräteebene. Basierend auf der eigenen Entwicklung oder Zusammenschlüssen verschiedener Herstel-

Detecon International GmbH 41 Moderne Netzkonzepte

ler gibt es Geräte, die Funktionen wie DWDM, OTN und IP/MPLS in einem Gerät integrieren. Dies vereinfacht Netzarchitekturen und kann zu reduziertem Platz- und Strombedarf führen. Eine signifikante CAPEX-Reduktion aus der physikalischen Integration ist allerdings eher mittelfristig zu erwarten. Ein eher kurzfristig realisierbarer Vorteil ist die logische Integration mehrerer Netzschich- ten und die Einführung von Multi-Layer Netzplanung und Netzmanagement. Eine integrierte Herangehensweise an das Netzmanagement und die Netzopti- mierung kann eingesetzt werden, um das Netz effizienter zu nutzen, zum Bei- spiel durch die Implementierung von Mechanismen zur automatischen Wieder- herstellung von IP-Verbindungen (Restoration), wenn Fehler im Transportnetz auftreten. Darüber hinaus können mit Hilfe eines Multi-Layer Managements die IP-Netztopologie dynamisch verändert und den Verkehrsflüssen angepasst werden. In ähnlicher Weise sind auch Multi-Layer Planungswerkzeuge4 zu nut- zen, um Ressourcen schichtenübergreifend zu planen.5 Die Implementierung von Multi-Layer Netzmanagement und Planung ist bereits heute möglich. Viele Netzbetreiber haben mit der Umsetzung begonnen, um die erheblichen CAPEX- und OPEX-Vorteile zu nutzen. Auch die Open Networking Founda­tion (ONF) arbeitet bereits heute an der Erweiterung des OpenFlow-Protokolls, einer stan- dardisierten SDN-Schnittstelle zwischen Controller und Netzelementen, auf das Transportnetz, sodass SDN und Multi-Layer Netze als eng miteinander verbun- dene Konzepte gesehen werden können.

Der letzte Trend im Zusammenhang mit der Konvergenz der Netzschichten be- trifft Organisation und Prozesse. Die Integration der unterschiedlichen Orga- nisationseinheiten, die heute für die Planung, das Engineering und den Betrieb der unterschiedlichen Netzschichten verantwortlich sind, ist Voraussetzung, um die Vorteile der technologischen Möglichkeiten in vollem Umfang realisie- ren zu können. Darüber hinaus trägt die Integration zur generellen Effizienz- steigerung und Senkung der Betriebskosten bei. Die Zusammenführung von Organisa­tionseinheiten steht regelmäßig auf der Agenda von Netzbetreibern. Viele ­Telekommunikationsunternehmen haben bereits begonnen, ihre Festnetz- und Mobilfunkorganisationen zu verschmelzen. Die Zusammenführung der für unterschiedliche Netzschichten verantwortlichen Organisationseinheiten ist ein ­logischer und notwendiger nächster Schritt.

Entwicklungstrend 3: Konvergenz von Festnetz und Mobilfunknetz

Die Vorteile eines konvergenten Fest- und Mobilfunknetz sind in der Telekom- munikationsindustrie allgemein anerkannt und gut verstanden. Dies ist höchst-

4 www.networks.detecon.com 5 Vgl. Fritzsche/Schweigel/Rhong, Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft, S. 116 ff. in diesem Band.

42 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

wahrscheinlich der Grund für die aktuellen Anstrengungen der integrierten Netzbetreiber, diese beiden Domänen zu verschmelzen. Die durch diese Inte- gration resultierenden Effizienzgewinne sowie damit verbundene Skaleneffekte helfen, die Investitions- und Betriebskosten insgesamt zu senken.

Quick-Wins, insbesondere im Bereich Marketing und Produktentwicklung, wurden bereits implementiert: Viele integrierte Netzbetreiber bieten Bündelpro- dukte mit einem integrierten Vertriebskonzept an, um Umsatzwachstum und Kundenbindung zu steigern. Trotz dieser bereits realisierten Quick-Wins fehlt den meisten Netzbetreibern eine Langfristplanung zur Weiterentwicklung des Produktportfolios hin zu fix-mobil integrierten Diensten.

Ein eher langfristig wirksamer Vorteil der Konvergenz von Fest- und Mobil- funknetzen ist die Umsetzung einer konvergenten Netzarchitektur. Die Ein- sparpotenziale von CAPEX und OPEX sind im Bereich des Transportnetzes am offensichtlichsten: Jenseits der unterschiedlichen Zugangsnetze sollten ge- meinsame Netze für die Verkehrsaggregation, die Backbone-Infrastruktur und die Zusammenschaltung mit anderen Betreibern genutzt werden. Die jeweiligen Verkehrsströme werden anhand ihrer unterschiedlichen Qualitätsanforderungen priorisiert. Schutzmechanismen gegen Verkehrsverlust bei Leitungsstörungen kommen für Mobilfunk- und Festnetzverkehre bedarfsgerecht zur Anwendung.

Für fixed und mobile Core sind Konvergenzstrategien typischerweise nicht so offensichtlich. Um aber das Ziel der echten Konvergenz zu erreichen, müssen jedoch auch die Core-Netze integriert und wesentliche Funktionen zunächst vir- tualisiert und in gemeinsamen Data Centern platziert werden. Unterschiedliche Anforderungen bezüglich Redundanz oder Laufzeitverzögerung verkomplizie- ren diesen Ansatz. Ein potenzieller Treiber für die Konvergenz der Core-Netze können die All-IP-Migrationsprogramme im Festnetz sowie der LTE-Rollout im Mobilfunkbereich sein, der ebenfalls auf einer All-IP-Architektur aufbaut. Da mittlerweile Lösungen auf Basis des IP Multimedia Subsystems (IMS) im Festnetz und Mobilfunkbereich implementiert sind, ist das Konvergenzziel, eine gemeinsame IMS-Plattform, bereits klar.

In einem integrierten Netz kann auch das Zugangsnetz komplementär genutzt werden, um eine weitere Kostenreduktion zu erreichen. Ein Beispiel ist die Nut- zung von Wifi Small Cells, die vollständig in ein 4G-Mobilnetz integriert sind, mit Unterstützung von Handover, die das 4G-Mobilfunknetz insbesondere zu Hauptverkehrszeiten entlasten. Dieser Ansatz spart zwar Investitionskosten (CA- PEX), erhöht aber insgesamt die Komplexität. Daher ist es ratsam, alle Optimie-

Detecon International GmbH 43 Moderne Netzkonzepte

rungen durch Konvergenz im Zugangsnetz durch einen integrierten Ansatz für Planung und Management zu ergänzen.6

Prozessautomatisierung: Statisches und dynamisches Paradigma

Prozessautomatisierung muss ein integraler Bestandteil künftiger Architektur- konzepte sein, da die Betriebskosten direkt vom Aufwand für manuelle Eingriffe abhängig sind. Typische Gründe für manuelle Intervention sind physikalische Änderungen wie Leitungsschaltungen und Geräteerweiterungen oder persistente Fehlersituationen, die nicht automatisiert behoben werden können. Die erste Gruppe kann man als Kapazitätserweiterung oder Kapazitätsmanagement ver- stehen, die zweite Gruppe ist beispielsweise gekennzeichnet durch fehlende oder inkonsistente Information in den Inventory-Systemen.

Um im Rahmen einer stabilen Netzarchitektur die Betriebskosten zu senken, gilt es, alle Geschäftsereignisse zu vermeiden, die manuelle Bearbeitung erfordern. Die Fähigkeit, solche Vorfälle zu vermeiden, ist stark abhängig vom gewählten Netzdesign und von der Gestaltung der Prozesse. Wenn Ressourcen knapp be- messen sind und Ersatz- oder Erweiterungsmaßnahmen strengen Regeln unter- liegen, bedingt dies eine höhere Änderungshäufigkeit. Wenn Informationen an mehreren Orten redundant vorhanden sind, die Netztopologie häufigen Ände- rungen unterworfen ist und Daten manuell gepflegt werden, steigt die Wahr- scheinlichkeit für fehlerhafte oder inkonsistente Daten. Daher sollte eine En- de-zu-Ende-Architektur nach Möglichkeit verhindern, dass solche Situationen entstehen. Erfolgreiche Maßnahmen zur Vermeidung manueller Eingriffe zahlen sich direkt durch sinkende Betriebskosten aus.

In modernen Netzarchitekturen stehen mit statischen und dynamischen D­ esigns zwei unterschiedliche Paradigmen zur Minimierung manueller Eingriffe zur Verfügung. Leitgedanke des dynamischen Designs ist die Vermeidung statischer Konfigurationen und Daten, wo immer es möglich ist. Erst zum Zeitpunkt der Nutzung wird die Konfiguration durchgeführt. Bei jeder Nutzung werden Kon- figuration sowie Regeln und Policies dynamisch geladen. Feste Schwellwerte und Regeln, die ein sofortiges manuelles Eingreifen erfordern würden, werden durch Toleranzbereiche ersetzt, so dass Maßnahmen effizient gruppiert und gemeinsam implementiert werden können. Im Gegensatz dazu ist der Leitgedanke des sta- tischen Designs die prinzipielle Vermeidung von Änderungen. Wenn sich Dinge nicht ändern, müssen Inventory-Systeme nicht aktualisiert werden – häufig ist es dann gar nicht nötig, Informationen zu speichern, da diese bei Bedarf aus festen 6 Vgl. Heuermann, Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel, S. 102 ff.; Fritzsche/Schweigel/Rhong, Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft, S. 116 ff. in diesem Band.

44 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

Schemata berechnet werden können. Ein Beispiel sind Adressen, die einem sta- tischen Adressierungsschema unterliegen.

Der Unterschied zwischen statischen und dynamischen Designs ist an zwei Bei- spielen aus dem Zugangsnetz und Data Centern zu verdeutlichen: In einem dynamischen Zugangsnetzdesign wird der Anschluss dann dynamisch mit dem individuellen Kundenprofil konfiguriert, wenn eine Nutzung beginnt, zum Bei- spiel jedes Mal, wenn ein Anschluss-Router im Haushalt wieder eingeschaltet wird. Es gibt demnach keine permanente Zuordnung eines Kundenprofils zu einem Anschlussport, die im Fall von Netzumschaltungen im Zugangsnetz in- korrekt werden könnte. Dadurch kann das Netz flexibel erweitert oder geändert werden, weil beispielsweise der Tausch einer fehlerhaften Portkarte nicht sofort erfolgen muss. Bei einem statischen Zugangsnetzdesign wird das Zugangsnetz zu Beginn geplant und konfiguriert, so dass nach aller Voraussicht keine Än- derungen notwendig sein werden. Netzumschaltungen werden überflüssig, da die Kapazität der Netzelemente und Leitungen von vornherein entsprechend der Verkehrswachstumsprognosen großzügig dimensioniert wird. Portumschal- tungen auf einen anderen Port werden nicht durchgeführt, vielmehr wird im Falle eines defekten Ports sofort die ganze Baugruppe getauscht. Zumindest in der Theorie entfällt aus diesem Grund der IT-Aufwand für die Implementierung von Netzumschaltefällen. Ebenso wird keine dynamische Konfiguration zum Zeitpunkt „Beginn der Nutzung“ benötigt. Es genügt, die Ports einmalig im Bereitstellungsprozess statisch zu konfigurieren und natürlich im Fehlerfall zu entstören.

Im Bereich der Data Center können ähnliche Paradigmen zur Anwendung kom- men. Bei einer dynamischen Prozessautomatisierung können Serviceendpunkte im Data Center flexibel justiert und mit Hilfe eines Kapazitätsmanagementpro- zesses angepasst werden. Die Verteilung der Nutzer auf die Serviceendpunkte kann auch Data-Center-übergreifend flexibel justiert werden, je nach Bedarf und Verfügbarkeit der Ressourcen. Diese Verteilung variiert abhängig von Ver- kehrslast, Ausfällen und anderen Aspekten. Die Anwendung des statischen Pa- radigmas auf die Ausgestaltung des Data Centers führt dazu, dass dieses einmal geplant und in dieser Form aufgebaut wird. Selbst bei Ausfall von physikalischen Ressourcen steht genug Ersatzkapazität bereit. Defekte Hardware wird nicht ge- tauscht, sondern­ nur von der Nutzung ausgenommen. Das Data Center wird betrieben, bis die Produktivität unter einen Schwellenwert sinkt, und dann kom- plett erneuert.

Detecon International GmbH 45 Moderne Netzkonzepte

Welches Paradigma ökonomisch sinnvoller ist, hängt von verschiedenen Fak- toren ab. Im Allgemeinen differiert die Anzahl und Komplexität der Prozesse. Beim dynamischen Paradigma erhöht sich die Anzahl der Prozessläufe. Wenn es gelingt, die Datenqualität in den Inventories hoch zu halten, können manu- elle Eingriffe und Prozessschritte weitgehend vermieden werden. Im Gegensatz dazu werden beim statischen Paradigma einige Prozesse überflüssig. Der Preis dafür ist die mindestens anfänglich stark überdimensionierte Kapazität, verbun- den mit hohen Investi­tionskosten (CAPEX). Die Entscheidung zwischen dyna- mischem und statischem Paradigma läuft also auf eine Entscheidung zwischen höherem Investment in IT-Systeme und IT-Entwicklungsaufwand oder höherem Investment in Netz- und Serviceinfrastruktur hinaus. Es ist zu beachten, dass das statische Paradigma eine genauere und langfristigere Planung voraussetzt. Demgegenüber erlaubt das dynamische Paradigma das Arbeiten mit kürzeren Planungshorizonten und höherer Unsichheit von Verkehrsprognosen, die im Laufe der Zeit an die tatsächliche Nachfrage angepasst werden können. Demzu- folge ist das statische Paradigma mit einem höheren Geschäftsrisiko verbunden aufgrund der Unsicherheit über die Korrektheit einer langfristigen Planung. In der Konsequenz ist die Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität­ eines bestimmten Designprinzips abhängig von den Randbedingungen: Wenn das Umfeld sehr volatil und wenig vorhersehbar und die Investitionskosten vergleichsweise hoch sind, erscheint die Wahl des statischen Paradigmas weniger geeignet zu sein.

Eine Fallstudie

Die aufgezeigten Architekturtrends können auf unterschiedliche Weise in einem Netz zur Anwendung kommen. Bei geeigneter Justierung und Anpassung an die jeweiligen externen Randbedingungen können sie eine große Hilfe sein bei der Weiterentwicklung heute vorhandener Infrastrukturen zu einer schlankeren, hö- her automatisierten und demzufolge kostengünstigeren Gestaltung. Ein Anwen- dungsbeispiel illustriert, wie die verschiedenen Trends zur Anwendung kommen können und im Rahmen einer übergreifenden Architektur für einen integrierten Netzbetreiber ineinandergreifen und interagieren. Das Anwendungsbeispiel ent- spricht vernünftigen Annahmen auf Basis bereits in verschiedenen Netzbetrei- berprojekten sichtbaren Entwicklungen. Es spannt den Bogen vom Zugangsnetz über eine Aggregations- und eine Backbone-Domäne bis zur Übergabe der Ver- kehre an andere Netzbetreiber und Data Centern.

46 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

Netzdomäne Zugangsnetz

Speziell im Zugangsnetz sind eine hohe Automatisierung und die Vermeidung von kunden- und produktspezifischen Gerätekonfigurationen im Bereitstellungs- prozess wichtige Maßnahmen mit großer Hebelwirkung für die K­ ostenreduktion.

Bei konvergenter Gestaltung des Zugangsnetzes eines integrierten Netzbetreibers stellt das Zugangsnetz die Konnektivität sowohl für das Festnetz- als auch für die Mobilfunknutzung bereit. Das geringe Maß an Verkehrsverdichtung sowie die ständige Veränderung der Randbedingungen, speziell im urbanen Umfeld mit wechselnden Kundenlokationen, Kundendichten, Nachfrageschwankungen und sich schnell wandelnden Erwartungen, bedingen häufige Änderungen in dieser Domäne. Aufgrund dieser Randbedingungen sollten Zugangsnetze flexibel ge- staltet sein und dynamischen Designprinzipien folgen, so dass durch regelmäßig

Abbildung 2: Mit künftigen Netzarchitekturen halten neue Trends Einzug in alle Netzdomänen

Fixed/Mobile Interconnection Integration 3G/4G eNodeB NodeB SDN ... SDN andere Zugänge OLT Glas- IP-Netzrand faser Multi-Layer Integration Multi-Layer Kupfer Integration Dienste- virtualisierung WIFI Backbone SDN WIFI Netze Router SDN Data Center

Letzte Meile Zugangsnetz Aggregationsnetz Kernnetz Verkehrsübergabe

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 47 Moderne Netzkonzepte

wiederkehrende Discovery und Konfiguration ein hoher Automatisierungsgrad erreicht wird. Die Zugangstechnologie sollte ebenfalls ein hohes Maß an Flexi- bilität aufweisen. Dies ermöglicht es dem Netzbetreiber, die für die jeweiligen Bereiche am besten geeignete Technologie zu nutzen, Ausgaben für die Netzmo- dernisierung, beispielsweise für den Glasfaserausbau, über einen längeren Zeit- raum zu verteilen oder die Wettbewerbssituation bedarfsgetrieben regional zu verbessern. Da heterogene Netze mit Geräten unterschiedlicher Hersteller gerade im Zugangsnetz häufig anzutreffen und empfehlenswert sind, sollten die Gerä- tekonfigurationen leicht übertragbar sein. Es ist sinnvoll eine Schicht zur Ab- straktion von funktionalen und gerätespezifischen Konfigurationen einzuführen (Element Abstraction Layer).

Netzdomäne Aggregation

Die Hauptaufgabe der Aggregationsdomäne ist die Bereitstellung der IP-Kon- nektivität am Netzrand (IP-Edge) sowie die Aggregation des Verkehrs zum Back- bone. Ein flaches Design, bevorzugt mit nur einer Aggregationsebene, hilft, die Investitionskosten zu begrenzen. Die IP-Edge-Funktion umfasst dabei die Be- reitstellung der IP-Konnektivität, die Bereitstellung differenzierter Dienstgüten für unterschiedliche Verkehrsarten (Quality of Service, QoS), die Begrenzung der Verkehrsmenge sowie das Zählen der ein- und ausgelieferten Verkehrsmen- gen. Die IP-Edge-Funktion kann mittelfristig in Netzarchitekturen auch virtua- lisiert werden.7

Um gegenseitige Abhängigkeiten zu vermeiden und eine hohe Flexibilität zu sichern, folgt die Architektur bekannten NGN-Prinzipien zur Trennung von Transport und Diensten, die tendenziell in Data Center verlagert werden. Um die Dienstprofile des Kunden immer aktuell zu halten, müssen diese bei jedem Nutzungsbeginn am netzseitigen Anschlussendpunkt neu konfiguriert werden. Deshalb sollte die IP-Edge-Funktion mit möglichst einheitlichen und verein- fachten Netzelementen implementiert werden. Die Anbindung der IP-Edge an die höhere Netzebene kann mittels Multi-Layer Integration kostengünstig gestal- tet werden, die den optischen Transport und IP-Transport integriert. An diesem Punkt erscheint ein Design gemäß des statischen Paradigmas zweckmäßig, da hier Änderungen, abgesehen von Kapazitätserweiterungen, selten sind.

7 Vgl. Gonsa/Chrestin/Reith, Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie, S. 58 ff. in diesem Band.

48 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Aggregationsdomäne ist die Abwägung zwi- schen einer noch akzeptablen Störwirkbreite und den Kosten einer Redundanz- lösung. Die erforderlichen Investitionen und die existierende Glasfasertopologie erlauben in der Regel keine vollständige Redundanz in Richtung der Zugangs- netzelemente – eine Redundanzlösung in Richtung des Backbone-Netzes ist je- doch unerlässlich.

Netzdomäne Verkehrsübergabe und Data Center

Generelle ist es sinnvoll, den Verkehr an eigene Data Center oder andere Netzbe- treiber möglichst ursprungsnah zu übergeben. In der Praxis erfordert die Bestim- mung einer optimalen Anzahl an Netzstandorten eine sehr sorgfältige Planung, wobei dieses Optimum von vielen Faktoren abhängt. Dazu zählen insbesondere kommerzielle Betrachtungen der Peering-Verträge, die bestehende Infrastruk- tur des Glasfasernetzes, Redundanz sowie Qualitätsanforderungen bestimmter Dienste, beispielsweise in Bezug auf maximale Laufzeitverzögerungen.

Data Center entwickeln sich zu flexiblen und gemeinsam genutzten Ressourcen, in denen alle für eine Dienstbereitstellung benötigten Funktionen wie Mobi- le Core, IMS, AAA, Hilfsfunktionen für die Verkehrsfilterung und -verteilung, zum Beispiel Firewalls und Load Balancers, sowie das Data-Center-Netz selbst, mit Hilfe von Virtualisierungstechniken eingerichtet werden. Dienste sind auf virtuellen Maschinen implementiert, die flexibel erzeugt, verschoben, hinter- einandergeschaltet oder beendet werden können – je nachdem wie sich der Be- darf gerade entwickelt. Abgesehen von wenigen hochkritischen Diensten können alle Ressourcen – Netzwerk, Speicher, Prozessorleistung – gemeinsam genutzt werden. Im dem hochdynamischen Umfeld des Data Centers müssen Verkehrs- flüsse präzise und flexibel steuerbar sein. Daher ist das SDN-Konzept hier die perfekte Lösung.

Netzdomäne Backbone

Netzbetreiber haben die Wahl zwischen zwei prinzipiellen Möglichkeiten: Die erste Option zielt auf die Minimierung des Backbones ab, indem die Anzahl der Backbone-Standorte möglichst reduziert oder sogar das gesamte Backbone elimi- niert wird. Dies führt dazu, dass sowohl die Anzahl der Verbindungen zu anderen Netzbetreibern und potenziell die IP-Transitkosten ansteigen wie auch die An- zahl der benötigten Data Center, die Content-Delivery-Netzwerke beinhalten, um die Verkehrsmenge zu anderen Netzbetreibern zu minimieren.

Detecon International GmbH 49 Moderne Netzkonzepte

Die zweite Option zielt auf die Optimierung und ständige aktive Entwicklung des Backbone-Netzes, um die Kosten der Netzzusammenschaltung mit anderen Netzbetreibern sowie die Kosten des Data-Center-Betriebs insgesamt zu opti- mieren und darüber hinaus Verkehrstransportdienste für Wholesale-Kunden zu erbringen. Multi-Layer Netzarchitekturen sind das geeignete Mittel für diese Option. Durch schichtenübergreifende Integration des optischen Transports bis zur IP Netzwerkschicht wird eine effiziente Lösung mit Vorteilen für Planung und Betrieb erzielt. In einem konvergenten Backbone-Netz, das Verkehre für un- terschiedliche Serviceanforderungen transportiert, gewinnt nicht nur eine fein- granulare Kontrolle der Verkehrsströme an Bedeutung, sondern auch die Einfüh- rung einer zentralen Kontrollinstanz. Dies macht SDN mindestens mittelfristig auch für die Netzdomäne Backbone-Netz als Architekturmodell interessant.

Welche der beiden Optionen ein Netzbetreiber verfolgen sollte, ist eine strate- gische Entscheidung, die von der Geschäftsstrategie, insbesondere im Bereich Wholesale abhängt.

Die Entscheidung liegt bei Ihnen!

Die Trends künftiger Netzarchitekturen sind ein Werkzeugkasten, aus dem sich Netzbetreiber bedienen können, um aktuelle und künftige Herausforderungen zu meistern. Welche Werkzeuge für den jeweiligen Betreiber am besten geeig- net sind, hängt von seiner Situation und der jeweils betrachteten Netzdomäne ab. Wir haben die folgenden neun Architekturoptionen extrahiert und aus Sicht eines etablierten Netzbetreibers mit einem Full-Service-Portfolio bewertet, das sowohl Festnetz- als auch Mobilnetzdienste umfasst. Diese neun Architekturop- tionen sind:

• SDN im Data Center • SDN für flexible Produktion von Diensten • SDN im Weitverkehrsnetz • NFV • Multi-Layer Planung und Betrieb • Netzelemente mit Multi-Layer Hardware-Integration • Konvergenz von Fest- und Mobilfunknetz im Bereich des Transportnetzes • Konvergenz von Fest- und Mobilfunknetzen im Bereich des Core-Netzes • Netzarchitekturen mit vollständiger Prozessautomatisierung gemäß statischem oder dynamischem Paradigma.

Abbildung 3 stellt eine qualitative Bewertung dieser Optionen in Bezug auf den Reifegrad zur Implementierung (Readiness for Implementation) auf der X-Achse

50 Detecon International GmbH Zukünftige Netzarchitekturen

von kurzfristig bis mittelfristig dar. Die Y-Achse gibt eine Schätzung für den finanziellen Effekt: CAPEX- oder OPEX-Einsparungen oder Umsatzpotenzial durch neue Dienste. Die Größe der Kreise zeigt die Größe des geschätzten Im- plementierungsaufwands.

Netzbetreiber sollten diese Architekturoptionen gemäß ihrer eigenen Situation bewerten und eine entsprechende Implementierungsroadmap entwickeln. Der Erfolg einer Implementierung wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, gleichzeitig die Organisationsstruktur entsprechend zu transformieren. Für die meisten Architekturoptionen ist es essenziell, sowohl die IT als auch die Netz- technik und die Prozesse in der Transformation mitzunehmen.

Bei einigen der möglichen Netzarchitekturen stellt sich erneut die Frage, ob die Netzbetreiber ihre Produktentwicklungskapazitäten für die Eigenentwicklung von Produkten einsetzen oder ob sie Partnermodelle bevorzugen, zum Beispiel mit OTT-Anbietern. Diese Geschäftsentscheidung muss jeder Netzbetreiber auf der Basis seiner Strategie, seinen Fähigkeiten und Kernkompetenzen treffen. Die gute Nachricht: Beide Optionen sind möglich – die Entscheidung liegt bei Ihnen!

Abbildung 3: Bewertung der Netzarchitekturoptionen nach Reife und finanziellem Einfluss sowie Implementierungsaufwand

Hoch

FM Transport Full Automation (static/dynamic) Multi-Layer Plan and FM Core Operate SDN for Services

NFV SDN in WAN Finanzieller Effekt Finanzieller

SDN in DC Multi-Layer Hardware

Mittel Heute Reifegrad Zukunft

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 51 „Kunden- und bedarfsorientierter Netzausbau steht im Vordergrund“

Das dramatische Verkehrswachstum in den Telekom- munikationsnetzen zieht einen ebenso rasant wachsenden Bedarf an Übertragungsgeschwindigkeit und -kapazität auf allen Netzebenen nach sich. Telekommunikationsunternehmen müssen den not- wendigen Netzausbau mit immensen finanziellen Mitteln bei gleichzeitig verhaltenen Erlösperspektiven bewältigen. Das Unterfangen mutet an wie die Quadratur des Kreises. Martin Bouchard, Senior Vice President Funktionalstrategie und Programme Technik, und Stefan Rinkel, Vice President Netzstrategie, geben als Verantwortliche für die Netz- strategie der Telekom Deutschland GmbH Antworten auf Fragen, wie ein großer europäischer Incumbent diese Herausforderungen angeht. Interview

52 Detecon International GmbH „Kunden- und bedarfsorientierter Netzausbau steht im Vordergrund“

Frage: Wie hoch schätzen Sie den Einfluss der Technologiestrategie für den ­Gesamterfolg der Telekom Deutschland ein?

Martin Bouchard: Unsere Technologiestrategie bestimmt die Leistungsfähigkeit und Qualität unserer Netze und ist somit sowohl die Grundlage als auch ein zentraler Erfolgsfaktor für einen integrierten Carrier wie die Telekom. Um unsere hohe Netzqualität zu sichern, müssen wir stetig in unser Netz investieren. Diese Investitionen sind teilweise sehr langfristig angelegt. Insofern stellt die richtige Technologie- und Netzausbaustrategie einen wesentlichen Faktor für werthaltige Investitionen in die Zukunft des Unternehmens dar. Deshalb verfolgen wir sehr konsequent unsere integrierte Netzstrategie, die wir Ende 2012 dem Kapital- markt vorgestellt haben.

Frage: Wo liegen aus technologischer Sicht die wesentlichen Herausforderungen der nächsten fünf Jahre für die Telekom Deutschland und wie adressieren Sie diese?

Martin Bouchard: Die erste zentrale Herausforderung besteht in dem opti- mierten Breitbandausbau. Wir müssen die Marktführerschaft im Mobilfunk aufrechterhalten, bedarfs- und wettbewerbsorientiert Glasfaserstrecken weiter ausbauen und durch den Einsatz von Vectoring die Bandbreite in unserem beste- henden kupferbasierten Netz erhöhen. Auf Basis unserer leistungsfähigen Fest- und Mobilfunknetze werden wir das Breitbanderlebnis unserer Kunden durch konvergente Produkte zusätzlich steigern. Auch die Kooperation mit Partnern und die Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen zum geförderten Ausbau gehören zu unserer Breitbandstrategie.

Als zweite Herausforderung sehen wir den Umbau zu flexibleren, moderneren Netzen. Mit der IP-Transformation schaffen wir eine einfache und effiziente Netzarchitektur, die uns bei Produkteinführungen eine deutlich höhere Flexi- bilität verschafft und für einfachere Prozesse beispielsweise bei Umzügen oder Produktwechseln sorgt. Außerdem öffnen wir durch Bitstream-Access-Angebote unsere Netze für unsere Wholesale-Kunden. Darüber hinaus ermöglicht die Netzmodernisierung eine Abschaltung älterer Plattformen unter Berücksichti- gung technologischer und marktkonformer Aspekte.

Die dritte Herausforderung liegt in der effizienteren Produktion unserer Services. Hier reichen die Ansätze von der Virtualisierung bestimmter Netzfunktionen bis hin zur langfristig orientierten integrierten Planung etwa der Zugangsnetze,

Detecon International GmbH 53 Interview

die das optimale Zusammenspiel von Festnetz- und Mobilfunkausbau sowie die ­relevanten Technologieentwicklungen berücksichtigt. Durch eine erheblich engere Verzahnung von Produktentwicklung, Technik, Marketing und Vertrieb stellen wir außerdem sicher, dass aufgebaute Netzplattformen schneller ausge­ lastet werden und wir unsere Investitionen amortisieren.

Alle drei Schwerpunkte werden in konkreten Programmen und Projekten voran- getrieben.

Frage: Nach welchen Prinzipien optimiert die Telekom Deutschland den weite- ren Ausbau der Netzkapazitäten bei gleichzeitiger Schonung des Investitionsbud- gets beziehungsweise unter Effizienzgesichtspunkten?

Martin Bouchard: Wir bauen unser Netz bedarfsorientiert aus, das heißt nach kunden- und wettbewerbsorientierten Prinzipien. Der Kunde bekommt von uns das Netz, das er braucht, um die von ihm genutzten Dienste optimal nutzen zu können – an der richtigen Stelle, für das passende Endgerät, mit der erforder- lichen Bandbreite und Qualität.

Das bedeutet allerdings auch, dass wir nicht unbedingt die höchste Bandbreite zur Verfügung stellen, sondern so viel Bandbreite, wie der Kunde benötigt – und das mit dem Anspruch sehr guter Qualität. Aus diesem Grund verfolgen wir aktuell schwerpunktmäßig einen gegenüber FTTH (Fiber to the Home) in vielen Fällen ressourcenschonenden FTTC(Fiber to the Curb)-Ausbau. Ein wesentlicher Teil dieser neu geschaffenen Infrastruktur bildet die Grundlage für zukünftige Ausbaustufen, in denen wir die Glasfaser noch näher an den Kunden bringen werden.

Frage: Wie schätzen Sie die Bedeutung der folgenden Techniktrends und Tech- nologien für die Telekom Deutschland mit Blick auf die nähere Zukunft ein: SDN, Virtualisierung, Small Cells, WiFi?

Stefan Rinkel: SDN, Virtualisierung, Small Cells und WiFi sind ganz unter- schiedliche Themen, die jeweils für sich an Bedeutung gewinnen werden. Daher ist es sehr wichtig, bei der Entwicklung der Technologien vorn dabei zu sein und sie frühzeitig in das Technologieportfolio zu integrieren. Deshalb sind wir als Telekom auf internationalen Konferenzen und in der Standardisierungsarbeit

54 Detecon International GmbH „Kunden- und bedarfsorientierter Netzausbau steht im Vordergrund“

überaus aktiv. Dabei gilt es natürlich noch zentrale Fragen zu beantworten wie beispielsweise jene, wann die neuen Technologien marktreif sind und in welchem Umfang ein Ausbau betrieblich und wirtschaftlich optimal erscheint. Aber per- spektivisch steht schon fest: Wir werden immer mehr Netzfunktionen virtuali- sieren und noch ganzheitlicher unterschiedliche Technologien einsetzen, um die hohen Anforderungen unserer Kunden nach Bandbreite zu erfüllen.

Frage: Welche wesentlichen Faktoren limitieren die Auswahl der optimalen Tech- nologie und wie stark ist deren Einfluss?

Stefan Rinkel: Limitierende Faktoren umfassen neben den finanziellen und per- sonellen Ressourcen gleichermaßen die Verfügbarkeit von Dienstleistungen, die wir am Markt einkaufen. Das reicht von Tiefbau- bis hin zu IT-Unterstützungs- leistungen. Außerdem stellen wir uns als Unternehmen immer wieder die Frage, wie viele parallel laufende Projekte wir managen können und wollen. In diesem Kontext spielt ein gut funktionierendes Projektportfoliomanagement eine ge- wichtige Rolle.

Eine weitere zentrale Frage lautet ferner, ab wann neue Technologien ­„Carrier-grade“ zur Verfügung stehen, also ab wann sie marktreif und technolo- gisch ausgereift sind und von mehreren Herstellern angeboten werden können. Die Telekom Deutschland setzt einerseits auf Innovationsführerschaft und treibt gemeinsam mit ihren Partnern technologische Innovationen voran, gleichzeitig richten wir unser Augenmerk aber auch auf eine Multi-Vendor-Strategie und den Einsatz von ausgereiften Technologien.

Frage: Welches Konvergenzthema wird für Sie zukünftig am wichtigsten sein: Konvergenz von Netz und IT, Konvergenz von Fixed und Mobile, Konvergenz der Netzschichten oder andere?

Martin Bouchard: Die Telekom ist ein integrierter Player. Wir bieten unse- re Dienste über alle Netzebenen im Fest- wie im Mobilfunknetz an. Konver- genzthemen nehmen daher bei der Differenzierung im Wettbewerb eine Schlüs- selstellung ein. Mit dem Umbau der Netze auf die IP-Technologie spielt die Konvergenz von Netz und IT sowie eine Konvergenz der Netzschichten bereits eine herausragende Rolle. Die Konvergenz der Netze – Fest- und Mobilnetz – ist auf Planungs- und Rolloutebene bereits Realität und wird weiter ausgebaut. Auf

Detecon International GmbH 55 Interview

Dienstebene sind wir gerade dabei, ein echtes hybrides Produkt zu entwickeln, das für den Kunden Festnetz und Mobilfunk noch enger miteinander verknüpft.

Frage: Welche maßgeblichen Änderungen an Organisation und Prozessen brin- gen die Konvergenzthemen mit sich?

Martin Bouchard: Mit der Ausrichtung auf „eine Technik“ hat Telekom Deutsch- land bereits vor einigen Jahren einen bedeutenden organisatorischen Schritt voll- zogen. Damals haben wir Festnetz und Mobilfunk zusammengebracht. Auch die gemeinsame Ausrichtung von Technik und IT wird durch personelle Ver- zahnungen gewährleistet. Darüber hinaus werden neue Themen immer mehr projektorientiert angepackt. In diesen Projekten stellt das frühzeitige Einbinden der entsprechenden Kompetenzen die bereichsübergreifenden und konvergenten Aspekte sicher. Auf betrieblicher Ebene zeichnet sich ebenfalls eine vermehrte nationale und internationale Zusammenführung der Netze ab.

Frage: Welche Bedeutung messen Sie der Realisierung von Partnermodellen mit OTT-Anbietern bei und was ist aus technologischer Sicht entscheidend, um et- waige Chancen zu wahren oder Risiken zu beherrschen?

Martin Bouchard: Unsere Netze leben durch die attraktiven Dienste, die über Partner und OTT-Anbieter zugänglich gemacht werden. Diese Dienste werden zu einem Großteil direkt von der Telekom entwickelt und bereitgestellt. In einem hochdynamischen Umfeld wollen wir aber auch die Kreativität Dritter nutzen, für die wir gerne der Netzpartner sind. Unsere Zusammenarbeit mit dem Musik- Streaming-Anbieter Spotify bietet hierfür ein Beispiel. Unser Ziel heißt, schnell und flexibel Partner mit ihren Produkten in unser Netz und unsere Prozesse ein- zubinden.

56 Detecon International GmbH „Kunden- und bedarfsorientierter Netzausbau steht im Vordergrund“

Die Deutsche Telekom ist mit über 142 Millionen Mobilfunkkunden sowie 31 Millionen Festnetz- und mehr als 17 Millionen Breitbandanschlüssen eines der führenden integrier­ ten Telekommunikationsunternehmen weltweit (Stand 31. Dezember 2013). Der Konzern ­bietet Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Festnetz, Mobilfunk, Internet und IPTV für Privatkunden sowie ICT-Lösungen für Groß- und Geschäftskunden. Die Deutsche ­Telekom ist in rund 50 Ländern vertreten und beschäftigt weltweit rund 229.000 ­Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2013 erzielte der Konzern einen Umsatz von 60,1 Milliarden Euro, davon wurde mehr als die Hälfte außerhalb Deutschlands erwirtschaftet.

Detecon International GmbH 57 Moderne Netzkonzepte

Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie Dr. Osvaldo Gonsa, Dr. Arne Chrestin, Lothar Reith

> Virtualisierung hat das Potenzial, die Telekommunikationsindustrie zu verändern.

> Telekommunikationsunternehmen können die Virtualisierung als Katalysator im Wettbewerb nutzen.

> Insbesondere das Innovationsmanagement und die Produktentwicklung profitieren von den Vorteilen der Virtualisierung.

> Die durch die Virtualisierung getriebene Verschmelzung von Netzbetrieb und IT-Service- management stellt gleichermaßen Herausforderung und Chance zum Reengineering und zur Vereinfachung der Prozesse des Netzbetriebs dar.

58 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

Veränderungspotenzial der Virtualisierung

Virtualisierung ist eine Methode zur Aufteilung – im umgekehrten Fall zur Kom- bination – von Computerressourcen, bei der aus mindestens einer physikalischen Befehlscode-Ausführungsmaschine mehrere Befehlscode-Ausführungsmaschi- nen entstehen.1 Diese werden als virtuelle Maschinen (VM) bezeichnet, da es sich nicht um eine physikalische Aufteilung handelt, sondern um eine logische. Bei Time-Sharing-Verfahren beispielsweise werden virtuelle Maschinen abwech- selnd oder bei Bedarf aktiv. Die sogenannte Virtualisierungssoftware bildet eine Zwischenschicht, welche die verfügbaren Hardwareressourcen je nach Kapazität mehrfach für die obere Schicht der Anwendungen und Dienste abbildet.

Für die Telekommunikationsindustrie entscheidend ist die Servervirtualisierung, die mit Storagevirtualisierung einhergeht und Netzwerkvirtualisierung in Form von Ethernet-VLANs nutzt. Die Anwendung der Servervirtualisierung auf Netz- funktionen, welche bislang auf dedizierter Hardware und künftig als virtualisier- te Netzfunktionen (VNF) auf Standardservern laufen, löste einen Wandel aus. Die Network Functions Virtualization (NFV) treibt diesen Wandel weiter an.

Abbildung 1: Darstellung der Virtualisierung

SILO Deployment

APP APP APP APP APP APP

OS OS OS OS OS OS

Virtualization Software

Quelle: Detecon

1 Cloud Computing Uncovered: A Research Landscape, Mohammad Hamdaqa and Ladan Tahvildari, ADVANCES IN COMPUTERS, VOL. 86, S. 41, 2012.

Detecon International GmbH 59 Moderne Netzkonzepte

Die Wurzeln der Virtualisierung liegen in 40 Jahren rückwärtskompatibler Soft- wareentwicklung in den Bereichen Compute (X86-Architektur des ersten IBM PCs), Storage (Hardware- und Softwarearchitektur des IBM PCs mit Festplat- tenspeicher und Memory) sowie Netzwerk (40 Jahre Ethernet). Hinzu kommt die Open-Source-Bewegung, deren Ursprünge auf die Entscheidung von Linus Torvalds zurückreichen, im Jahr 1991 das quelloffene Betriebssystem Linux zu- erst für einen X86-Prozessor zu entwickeln.

Die Open-Source-Bewegung hat seit 1991 die IT weitreichend transformiert, in- dem das quelloffene Linux das dominierende Betriebssystem geworden ist. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass der Telekommunikationsindustrie ein ähn- licher Wandel bevorsteht. Wichtige Komponenten der Virtualisierung werden von der Open-Source-Bewegung bereitgestellt, zum Beispiel der Open vSwitch zur Virtualisierung der lokalen Netze innerhalb eines Servers oder der OpenStack als Werkzeug zur Orchestrierung einer Gesamtlösung von Cloud-basierten Dien- sten auf Basis virtualisierter Rechner, Speicher und Netze.

Ergänzend hierzu ist der Trend Software-defined Networking (SDN) zu sehen, der einen Teil der Netzintelligenz wie die ControlPlane für die Wegewahl aus den einzelnen Netzknoten herauslöst und an zentraler Stelle als eine Art Verkehrsleit- zentrale platziert. In Verbindung mit modernen Netzanalysemöglichkeiten wird hierdurch eine verbesserte Verkehrslenkung mit höherer Granularität der regu- lierten Verkehrsflüsse ermöglicht, Applikationen werden über sogenannte North- bound-Schnittstellen zur Verfügung gestellt.

Hype oder Katalysator im Wettbewerb?

Virtualisierung besitzt das Potenzial, Telekommunikationsunternehmen zu transformieren. Ein derartiger Umbruch beinhaltet sowohl die Art und Weise, wie diese Unternehmen ihre Netze planen, bauen und betreiben, als auch die Einführung neuer Geschäftsmodelle. In Zukunft werden Netzbetreiber unter- einander und mit neuen Lieferanten Partnerschaften eingehen, wodurch neue Lieferketten entstehen. Unternehmen entwickeln die Fähigkeit, eine größere Zahl von Produkten viel schneller als heute auf den Markt zu bringen. Das zu- grunde liegende physikalische Design von Kernnetzstandorten folgt der Gestal- tung von IT-Rechenzentren anstelle traditioneller Layouts. Letztlich wandelt sich die Telekommunikationswelt noch mehr als heute zu einer softwaregetriebenen

2 Vgl. Schnitter/Bornhauser, Zukünftige Netzarchitekturen, S. 34 ff. in diesem Band. 3 Can Green IT Bloom in an Economic Downturn? (Market Focus), Datamonitor, Reference Code: DMTC2262, June 2009.

60 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

Industrie – mit weitaus höherem Innovationstempo und -potenzial. Virtualisie- rung könnte deshalb für Telekommunikationsunternehmen ein ausgezeichneter Katalysator für den Wandel im Wettbewerb mit Internetsoftwaregiganten wie Facebook, Google und Amazon sein. Doch wie wirkt sich die Virtualisierung auf die Telekommunikationsindustrie aus?

Signifikante CAPEX- und OPEX-Einsparungen: zunächst OPEX, später auch CAPEX

Virtualisierung kann ein erhebliches Potenzial zur Reduzierung von CAPEX und OPEX aufweisen. Signifikante CAPEX-Einsparungen, die sich aus der effi- zienteren Ausnutzung der Serverkapazität ergeben, wurden beispielsweise in der Finanzindustrie, der verarbeitenden Industrie sowie bei Unternehmen im Ge- sundheitswesen deutlich.2

Telekommunikationsbetreiber befürchten allerdings, dass wesentliche CAPEX- Einsparungen durch virtualisierte Netzfunktionen im kurz- und eventuell auch mittelfristigen Zeitrahmen nicht zu erwarten sind. Einerseits wird es längere Zeit dauern, bis mögliche Wettbewerber der etablierten Infrastrukturanbieter die Er- fahrung und das Vertrauen gewonnen haben, um bei wesentlichen Netzfunk- tionen eine echte Konkurrenz darzustellen. Etablierte Anbieter ihrerseits wer- den die Preise der virtualisierten Systeme möglichst lange hoch halten, um ihr angestammtes hardwarebasiertes Geschäft nicht vorschnell zu kannibalisieren. Andererseits können durch telekommunikationsspezifische Anforderungen tat- sächlich Mehrkosten entstehen, etwa durch einen im Vergleich zur benötigten Rechenleistung atypisch hohen Input und Output über Netzschnittstellen. Auch die Notwendigkeit, spezielle Lösungen für die Übergangszeit zu schaffen, in der ­virtualisierte und nicht virtualisierte Funktionen koexistieren, erfordert zusätz- liche CAPEX-Investitionen.

Während der ersten Phasen der Einführung von Virtualisierung in einem ­Telekommunikationsnetz werden virtualisierte Netzfunktionen parallel zu dem ­Bestandsnetz nicht virtualisierter Netzfunktionen in Form dedizierter Hardware Appliances betrieben. Deren Außerbetriebnahme erfolgt erst, wenn die neue Technik ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt hat – auch unter Berücksichti- gung von Abschreibungszeiträumen. Daher ist zu erwarten, dass auch im OPEX- Bereich Mehrkosten für den Parallelbetrieb entstehen. Mittel- und langfristig stellen OPEX-Einsparungen aber den Löwenanteil des Kosteneinsparpoten­ zials dar. Virtualisierung begünstigt einen meist ohnehin vorhandenen Trend zu Konsolidierung und Standortreduktion und bietet erhebliches Einsparpoten­ zial bei Personalkosten im Netzbetrieb. Darüber hinaus erlaubt Virtualisierung

Detecon International GmbH 61 Moderne Netzkonzepte

­Kostensenkungen bei Energiekosten, zum Beispiel durch Abschalten von Servern in verkehrsschwachen Zeiten und bessere Ausnutzung von Serverkapazität mit damit verbundenem geringerem Flächen- und Kühlungsbedarf. Insgesamt ist eine bessere Ausnutzung der Skaleneffekte sowohl in der Netzinfrastruktur als auch in der IT-Infrastruktur des Netzbetreibers möglich.

Herstellerabhängigkeit: Vorsicht vor Verschiebung statt Vermeidung

Während heute Telekommunikationsunternehmen nur auf eine kleine Zahl hoch spezialisierter Anbieter zurückgreifen können, wird sich der Lieferanten- pool für Virtualisierung in Zukunft enorm erweitern. Die Eintrittshürden für den Markt virtualisierter Netzfunktionen sind viel niedriger als für den Markt dedizierter Hardware Appliances, allein schon aufgrund der Dekomposition in kleinere funktionale Komponenten. Damit einher geht die Möglichkeit, diese als ein Kettenglied in einer „Servicekette“ zu verknüpfen, die von Datenpaketen durchlaufen wird, um einen Dienst zu erbringen. So kann ein Ökosystem entste- hen, aus dem sich Telekommunikationsunternehmen künftig flexibel bedienen – eine Revolution in der Telekommunikationslieferkette!

Die Befreiung von der Herstellerabhängigkeit durch die Nutzung von Standard- servern statt herstellerspezifischer Hardwarelösungen wird oftmals als einer der wesentlichen Vorteile der Virtualisierung erwähnt. Eng damit verbunden sind die flexible Positionierung und Skalierung sogenannter Workloads, also des Ar- beitspensums, das eine Instanz einer virtualisierten Netzfunktion in einem defi- nierten Zeitraum verrichtet, beispielsweise in der Hauptverkehrsstunde. Diese Flexibilität hat ihren Preis in Form einer zusätzlichen Abstraktionsschicht auf je- dem Server, dem so genannten Hypervisor für die Servervirtualisierung.4 Dieser ermöglicht es, auf einer physikalischen Maschine mehrere virtuelle Maschinen laufen und als Workload jeweils eine Netzfunktion ausführen zu lassen. Eine Herstellerabhängigkeit besteht dann nicht mehr je spezialisierter Netzfunktion, sondern in Bezug auf die Software des Hypervisors – jedenfalls wenn bestimmte Leistungsmerkmale genutzt werden, die von den Hypervisor-Herstellern unter- schiedlich implementiert wurden.

Aus der Wahl der Tools für das Management der Virtualisierungsumgebung so- wie bei der Wahl des Orchestrierungssystems resultiert möglicherweise eine an- dere Herstellerabhängigkeit,5 da ein Wechsel des Herstellers in dieser Ebene sehr aufwendig ist. Hersteller von Virtualisierungsumgebungen, Hypervisor-System-

4 Ovum Decision Matrix: Selecting a Virtualization and Cloud Management Solution, 2013/14. 5 Ovum Report: Virtualization and Cloud Management, An introduction for IT Management , 04 Apr 2013.

62 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

hersteller, verhalten sich restriktiv bezüglich der Erlaubnis zur automatischen Integration über die Managementkonsole, denn eine solche schränkt ihre Än- derungsfreiheit und Flexibilität ein. Ausnahmen bestehen für eng verbundene Partnerunternehmen.

Die Tendenz im Markt hinsichtlich Managementtools für Virtualisierungsumge- bungen deutet jedoch darauf hin, dass die Herstellerabhängigkeit an Bedeutung verliert. Neuere Entwicklungen bei sogenannten Cross-Management-Tools zei- gen, dass einige Hersteller bereit sind, sich zu öffnen, um Cross-Hypervisor-Ma- nagement anzubieten. Bislang ist das Ausmaß dieser Funktionen beschränkt. Es empfiehlt sich daher, bei der Herstellerauswahl dieser übergeordneten Systeme sehr sorgfältig vorzugehen, da eine langfristige Abhängigkeit von einem Herstel- ler entstehen kann.

Harter Wettbewerb: Neue Marktteilnehmer wittern Chancen

Wenn ein Markt eine Umbruchsituation durchlebt, wie sie dem Telekommuni- kationsmarkt durch die Virtualisierung bevorsteht, werden neue Marktteilneh- mer die Chance ergreifen, Marktanteile zu erobern. Dies können neue Start-up- Unternehmen sein, aber auch etablierte Firmen aus einem benachbarten Markt. Da Virtualisierung die bisher getrennten Welten der Netzausrüster und der Soft- wareindustrie zusammenwachsen lässt, sind insbesondere etablierte IT-Firmen wie HP, IBM und Oracle in einer ausgezeichneten Startposition, um sich Markt- anteile im Markt der Telekommunikationslieferanten zu sichern. Doch Firmen wie Red Hat, die mit der Open-Source-Bewegung gewachsen sind, haben eben- falls gute Chancen, sich einen Teil dieses Kuchens zu sichern. Als Marktführer im Virtualisierungsmarkt ist die Firma VMware besonders gut positioniert, steht aber bei Netzbetreibern in hartem Wettbewerb mit Open-Source-basierten Virtu- alisierungsumgebungen. Hersteller von Standardservern sowie Chipproduzenten haben das Potenzial des Telekommunikationsmarkts ihrerseits erkannt und fo- kussieren ihre Entwicklung auf Anforderungen aus diesem Bereich. Verschiedene kleinere Anbieter stellen bisherige Hardware Appliances bereits als virtualisierte Netzfunktion zur Verfügung und setzen sie bei innovativen Netzbetreibern im Pilotbetrieb oder sogar im Wirkbetrieb ein. Den dadurch entstandenen Erfah- rungsvorsprung nutzen sie durch vertikale Erweiterung um zusätzliche Netzfunk- tionen. Die Breite des Angebots beeindruckt schon heute. Netzbetreiber sind gut beraten, diese Angebotsvielfalt gründlich zu analysieren, um diejenigen Partner zu finden, die am besten zur jeweiligen Situation des Netzbetreibers passen.

Detecon International GmbH 63 Moderne Netzkonzepte

Integrationsaufwand: Verringerung durch Standardisierung

Bisher konzipierten und bauten Telekommunikationsunternehmen neue Pro- dukte als Silolösung. Dies erfordert erheblichen Integrationsaufwand und be- schränkt die Möglichkeit von Multi-Vendor-Strategien.

Mit virtualisierten Netzfunktionen sinkt der Integrationsaufwand erheblich durch die Verwendung standardisierter Hardware und standardisierter API- Schnittstellen. Die Nutzung standardisierter und damit offener Schnittstellen wird durch die Erweiterung des Herstellerspektrums und die Notwendigkeit, Teilfunktionen verschiedener Hersteller zu kombinieren, vorangetrieben. Dies ist im Sinne der Netzbetreiber, die sich nicht an einzelne Lieferanten binden wollen, und wird durch ihre Auswahlkriterien gefördert. Lieferanten, die durch proprietäre Schnittstellen und Erweiterungen die Integration mit anderen Her- stellern erschweren oder die Integration nur über eine kostspielige übergeordnete Abstraktionsschicht ermöglichen, geraten ins Hintertreffen.

Softwareentwickler binden die virtualisierten Netzfunktionen über solche wohl- definierten offenen Schnittstellen in ihre Serviceapplikation ein und können sich auf die bereitgestellte Funktionalität verlassen. Dies entspricht heute gängigen Softwareentwicklungsverfahren, wie sie auch von Google beim quelloffenen Betriebssystem Android sowie von Amazon bei den Cloud-Diensten EC2 und AWS praktiziert werden. Es steht daher zu erwarten, dass die Integration virtu- alisierter Netzfunktionen in neue Dienste mit verhältnismäßig geringem Auf- wand verbunden ist. Die dazu notwendigen offenen API-Schnittstellen werden als quelloffene Software im Rahmen von Open-Source-Projekten erstellt, was eine treibende Kraft der Virtualisierung darstellt.

Innovationsmotor auf vielen Ebenen

Im Epizentrum der Veränderungen, die die Virtualisierung in der Telekommuni- kationsindustrie auslöst, stehen allerdings das Innovationsmanagement und die Produktentwicklung.

Fokus wird auf Geschäftsmodell- und Prozessinnovation gelenkt

Eine Studie von IBM6 belegt, dass sich das Topmanagement von Telekommuni- kationsunternehmen im Vergleich zu anderen Industrien stärker mit Innovation im Produkt- und Servicebereich befasst und weniger mit Geschäftsmodell- und

6 IBM Global Business Services, The Innovation Paradox in the Telecom Industry, 2006.

64 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

Prozessinnovation. Die Geschäftsmodellinnovation beinhaltet die Erschließung neuer Geschäftsbereiche und die Kooperation mit neuen Partnern aus anderen Industrien, während Prozessinnovation auf operative Effizienzsteigerung abzielt. Die genannte Studie weist darauf hin, dass sich Geschäftsmodell- und Prozessin- novation im Vergleich zur Produktinnovation als deutlich effektiver für die po- sitive Beeinflussung der Profitabilität erwiesen haben. Die Übergewichtung der Produktinnovation in der Telekommunikationsindustrie ist zumindest teilweise auf die hohe Kapitalintensität und die damit verbundene Bindung an wenige Hersteller, denen die Unternehmen aufgrund hoher Wechselhürden heute aus- geliefert sind, zurückzuführen. Dies liefert einen starken Anreiz, möglichst weit- gehend bestehende Systeme auszunutzen und das vorhandene Geschäftsmodell fortzusetzen.

Es ist davon auszugehen, dass durch den Übergang zu virtualisierten Netzfunk­ tionen CAPEX-Einsparungen anfänglich zwar nur in geringerem Umfang ent- stehen, sich dafür aber erhebliche Kostenvorteile im OPEX-Bereich ergeben. Die Kapitalintensität reduziert sich insgesamt deutlich. Auch die Bindung an wenige Hersteller löst sich auf. Diese Entwicklung erlaubt auch im Telekommunika- tionsbereich eine stärkere Fokussierung auf die Geschäftsmodell- und Prozess­ innovation. Die Eröffnung neuer Partneringmöglichkeiten im Zuge der Virtu- alisierung fördert die Geschäftsmodellinnovation zudem direkt und erschließt neues Wertschöpfungspotenzial.7 Telekommunikationsbetreiber könnten ihre Alleinstellungsmerkmale dank ihrer Ressourcen und Infrastruktur besser in die Waagschale werfen und effektiver mit OTT-Anbietern wie Google, Facebook und Amazon konkurrieren. Hierfür spielt die Zusammenarbeit mit einer großen Entwicklercommunity, wie sie durch den Einsatz von Open Source gefördert wird, eine wichtige Rolle. Eine starke Innovationskraft bildet für Telekommuni- kationsunternehmen die Voraussetzung, um nicht als reiner Bit-Transporteur in einer wenig attraktiven Position der Wertschöpfungskette zu landen.

Verkürzte Produktzyklen erhöhen Agilität der Netzbetreiber

Virtualisierung erhöht die Agilität von Netzbetreibern bei der Entwicklung neuer Dienste in mehrfacher Weise: Virtualisierte Netzfunktionen können auf der vor- handenen Virtualisierungsinfrastruktur zu marginalen Kosten in Betrieb genom- men und wieder abgeschaltet werden. Es sind keine Vorlaufzeiten für Planung, Bestellung, Lieferung, Aufbau, Inbetriebnahme und Systemintegration speziali- sierter Hardware erforderlich. Virtualisierung versetzt Telekommunikationsun- ternehmen in die Lage, besser auf sich ändernde Markterfordernisse zu reagieren,

7 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 65 Moderne Netzkonzepte

zum Beispiel durch eine schnellere Produktentwicklung und stark vereinfachte Prozesse. Vollautomatisierung des produktspezifischen Kapazitätsmanagements im Orchestrierungssystem ersetzt manuelle, produktspezifische Kapazitätsma- nagementprozesse für Planung, Aufbau und Rückbau dedizierter Ressourcen. Letztlich sind dies die Vorteile des Cloud Computing, die durch Virtualisierung auch bei Netzbetreibern ankommen.

Neue Entwicklungsmethoden wie SCRUM können in Verbindung mit Virtuali- sierung zu wesentlich verkürzten Produktentwicklungszeiten führen. Prototypen können mit Virtualisierungstechniken zu einem frühen Zeitpunkt dem Feedback von echten Kunden ausgesetzt werden. Pilotphasen lassen sich zielgruppengenau mit vergleichbar geringem Aufwand durchführen. Dadurch sind Telekommuni- kationsunternehmen in der Lage, Produkte schneller zu konzipieren, zu testen und auf den Markt zu bringen. Sie können sogar Nischenprodukte für kleinere Zielgruppen am Markt positionieren, die bisher nicht kostendeckend adressier- bar waren. Dies ermöglicht die Vermarktung sogenannter Long-Tail-Produkte. Allerdings ist ein konsequentes Lebenszyklusmanagement erforderlich, um die ungehemmte Ausbreitung virtualisierter Spezialnetzfunktionen zu verhindern, die wegen zu geringer Nutzung nicht kostendeckend sind – trotz der durch Vir- tualisierung verringerten Betriebskosten.

Ein weiterer Aspekt umfasst den Trend zur Dekomposition von Applikationen und Netzfunktionen. Es bilden sich kleinere und spezialisierte Netzfunktionen als modulare Komponenten, die sich besser für das flexible Zusammenbauen neuer Produkte und Dienste eignen. Solch ein Spezialisierungstrend begünstigt den Eintritt neuer kleiner Wettbewerber in einen neu entstehenden Markt für spezialisierte Netzfunktionen, die Bestandteil der Telekommunikationslieferkette werden.

Es ist zu erwarten, dass in Zukunft für die Vermarktung dieser modularen Soft- warekomponenten konkurrierende Marktplätze entstehen werden, ähnlich den App Stores für Mobilfunkgeräte. Hier können Third-Party-Entwickler Netz- funktionen für Netzbetreiber anbieten, die diese dann in Echtzeit in ihre netzba- sierten Produkte einbauen. Einfache Beispiele sind Firewall-, Lastbalancierungs-, Antivirus- und Inhaltsfilterungsdienste (Parental Control) als virtuelle Netzfunk- tion, die sich im Rahmen einer Servicekette automatisch den Änderungen in der Virtualisierungsumgebung anpassen, etwa beim Hinzufügen einer virtuellen Maschine oder bei deren Umzug auf einen anderen physikalischen Server, also dem unterbrechungsfreien Umzug während des Betriebs. Produktmanager in ­Telekommunikationsunternehmen werden dies nutzen, um neue Produkte aus

66 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

den Komponenten mehrerer Hersteller zu komponieren, die als sogenannte Ser- vicekette von Datenpaketen durchlaufen werden. Das wird ein radikaler Wandel sein für den heute noch sehr mühsamen und langwierigen Prozess der Herstel- lung eines neuen Telekommunikationsprodukts. Die Richtung ist klar: hin zu mehr Automatisierung und zu höherer Agilität der Netzbetreiber.

Auch bei den Endkunden der Telekommunikationsbetreiber bewirkt die Virtuali- sierung Veränderungen: Statt der diversen, auf den jeweiligen Einsatzzweck hoch spezialisierten Kundengeräte (Customer Premise Equipment, CPEs) könnten Betreiber künftig einen kleinen, von ihnen selbst kontrollierten Standardserver ausliefern, der über sichere Schnittstellen in die Virtualisierungsumgebung des Betreibers eingebunden ist. Je nach Markt- und Kundenanforderungen könnte dies ein sehr günstiges Gerät mit begrenztem Flashspeicher und einfachem Pro- zessor oder eine leistungsfähige Heimserverplattform sein. Auf diesem werden über automatisierte Prozesse die jeweils benötigten Applikationen geladen und hochgefahren oder direkt in der „Cloud“ des Netzbetreibers bereitgestellt.

Innovative Abrechnungsverfahren erlauben neue Partneringmodelle

Billing und Charging, die Abrechnung der Nutzung für die Rechnungslegung oder für die Belastung eines Guthabenkontos, scheinen auf den ersten Blick nicht von der Virtualisierung betroffen. Die Abrechnung erfolgt heute überwie- gend auf der Applikationsebene und funktioniert deshalb unabhängig davon, ob die Applikation auf dedizierter Hardware läuft oder in einer virtualisierten Umgebung. Mit der Einführung von modularen Netzfunktionen, die flexible Teile einer Servicekette sein können, ergibt sich die Möglichkeit, auch die Nut- zungsmessung als spezialisierte Netzfunktion innerhalb einer Servicekette zu konzipieren. Diese könnte gleichzeitig die Servicequalität in Abhängigkeit vom Preis steuern.

Eine Chargingnetzfunktion erlaubt Netzbetreibern die Konzeption flexiblerer Geschäftsmodelle, etwa im Bereich des Revenuesharing mit Contentanbietern. In Erweiterung der heutigen Online-Charging-Funktionalität ist das gleich- zeitige Belasten und Gutschreiben von Gebühren für die verschiedenen an der Serviceerbringung beteiligten Parteien wie Endkunde, Netzbetreiber, Markt- platzbetreiber und Netzapplikationsentwickler denkbar. Damit lassen sich neue Geschäftsmodelle wie die Zusammenarbeit mehrerer Netzbetreiber sowie die Zusammenarbeit von Netzbetreiber und Contentanbieter unter Partizipation eines Marktplatzbetreibers und eines Netzapplikationsentwicklers abbilden. Eine derartige Funktionalität wäre ein Quantensprung für die Agilität von Telekom-

Detecon International GmbH 67 Moderne Netzkonzepte

munikationsunternehmen, die besonders darunter leiden, dass es an flexiblen Abrechnungsmöglichkeiten bei der Einführung neuer Produkte mangelt, weil deren Umsetzung in den OSS- und BSS-Systemen sehr lange dauert.

Innovationsschub durch Open-Source-Software

Die Nutzung quelloffener Software und die Erschließung des Potenzials der Open-Source-Bewegung sind eng mit dem Übergang zu virtualisierten Netz- funktionen verknüpft. Im Gegensatz zur derzeitigen Hardware der Telekommu- nikation ist die Softwareentwicklung für x86-Plattformen allgemein zugänglich. Dies führt dazu, dass quelloffene Software auch im Telekommunikationssegment Fuß fasst, was die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Netzbetreiber ent- scheidend voranbringen kann.

Durch Nutzung von Open-Source-Software können Netzbetreiber Zugriff auf das Innovationspotenzial einer weltweit verteilten Entwicklergemeinde erlangen. Marktplätze für Netzapplikationsentwickler entstehen und lassen die Entwickler- gemeinde weiter wachsen, da ein Geschäftsmodell mit niedrigen Eintrittshürden für die Entwicklung virtueller Netzfunktionen existiert. Das Geschäftsmodell beruht nicht auf der Lizenzierung von Software, sondern auf der kostenpflichti- gen Nutzung virtualisierter Netzfunktionen. Es bildet sich ein völlig neues Öko- system, basierend auf einer Win-win-Situation für Netzapplikationsentwickler, Marktplatzbetreiber und Netzbetreiber. Netzbetreiber sind diejenigen Kunden in diesem Marktplatz, welche für die Komposition ihrer neuen Produkte ge- eignete Netzfunktionen heraussuchen, bedarfsgerecht zusammenstellen, nach Nutzung bezahlen und wiederum ihren Kunden in Rechnung stellen. Eine neue und entscheidende Rolle spielt der Marktplatzbetreiber, der Angebot und Nach- frage zusammenbringt. Erste Beispiele für diese Ökosysteme sind der von HP angekündigte SDN App Store sowie ähnliche Partnerschaften von VMware zur Integration unterschiedlicher virtualisierter Loadbalancing- und Firewallnetz- funktionen als eine im Netz verteilte Lösung. Über solche Ökosysteme können verstärkt neue Technologien wie Semantic Web (Web 3.0), kontextabhängige Dienste und Softwareagenten in das Diensteportfolio der Netzbetreiber Eingang finden.

Open-Source-Software stellt eine wichtige Komponente dieser Ökosysteme dar. Die Open-Source-Bewegung mit ihren zahlreichen Projekten und Gemeinschaf- ten hat bewiesen, dass sie eine Industrie transformieren und gleichzeitig voran- bringen kann. Ein Teil der weltweit meistgenutzten Software basiert heute auf Open Source, weil das Prinzip quelloffener Software letztlich überlegene Qualität und nachprüfbare Sicherheit erzeugt. Generell präsentiert sich die Nutzung von

68 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

Open Source als innovationsfreundlich, da die Quellsoftware offengelegt wird und dadurch der Entwickler-Community für Verbesserungen zugänglich ist. Innovationstreiber sind auch offene Schnittstellen zur Einbindung von Funk­ tionsblöcken (APIs), die es Softwareentwicklern erlauben, auf eine Vielzahl oder gar ganze Bibliotheken von Komponenten und – in Zukunft – Netzfunktionen zurückzugreifen, ohne das Rad jeweils neu erfinden zu müssen.

Vereinfachung durch umfassendes Reengineering der Prozesse

Mit dem Einzug von Virtualisierung müssen Telekommunikationsunterneh- men einige althergebrachte Denkmodelle auf den Prüfstand stellen. Dies betrifft ­etliche Prozesse, die durch die Virtualisierung entweder wegfallen, automatisiert

Abbildung 2: eTOM-Prozesse

Customer

Strategy, Infrastructure and Product Operations

Strategy and Infrastructure Product Operations Fulfillment Assurance Billing and Commit Lifecycle Lifecycle Support and Revenue Management Management Readiness Management

Marketing and Offer Management Customer Relationship Management

Service Development and Management Service Management and Operations

Resource Development and Management Resource Management and Operations (Application, Computing and Network) (Application, Computing and Network)

Supply Chain Development Supplier/Partner Relationship Management and Management

Enterprise Enterprise Knowledge Management Strategic and Enterprise Risk Enterprise Planning Management Effectiveness and Research Management Management

Financial Asset Stakeholder and Human Resources Management External Relationship Management Management

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 69 Moderne Netzkonzepte

oder radikal umgestaltet und vereinfacht werden können. Damit verbunden sind geänderte Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter, denn der Faktor Mensch spielt eine wesentliche Rolle.

Die Prozessdomänen der enhanced Telecom Operations Map (eTOM) – das vom Telemanagement Forum (TMF) in langjähriger Standardisierungsarbeit de- finierte Rahmenwerk für die Geschäftsprozesse von Telekommunikationsunter- nehmen – sind in unterschiedlicher Weise betroffen.

Offensichtlich ist die bevorstehende Änderung für Prozesse des Bereichs „Infra- structure Lifecycle Management“ sowie des Bereichs „Operations Support & Readiness“. Die Prozesse des „Infrastructure Lifecycle Management“ profitieren von der Standardisierung der Infrastruktur auf Standardservern mit Standard- vernetzung auf Ethernet-Basis sowie einer Standardlösung für die netzbasierte Datenspeicherung. Das bedeutet eine wesentliche Vereinfachung gegenüber der heutigen Situation mit vielen produktspezifischen Silos, deren Lebenszyklus jeweils herstellerspezifisch und speziell ist und mittels historisch gewachsener Speziallösungen verwaltet wird. Die Prozesse des Bereichs „Operations Support & Readiness“ dienen der Bereitstellung und dem Kapazitätsmanagement der Netzinfrastruktur. Hier zeichnet sich eine einschneidende Vereinfachung ab, da die Netzinfrastruktur produktunabhängig wird. Statt produktspezifischer Hard- ware Appliances werden nur noch Standardserver mit Standardnetzanbindung als Netz-, Speicher- und Serverfabrik aufgebaut und betrieben. Wesentliche Prozesse in diesem Bereich können in Zukunft nahezu vollständig automatisch ablaufen.

Systemautomatisierung (SA) ist ein integraler Teil der Virtualisierungsstra- tegie. Sie ermöglicht einen automatischen Betrieb der virtualisierten Kompo- nenten, und zwar Policy-basiert über Richtlinien gesteuert. SA ist in der Lage, eine selbstheilende und hochverfügbare Lösung zu liefern, und ermöglicht die ­Maximierung der Effizienz sowie der Verfügbarkeit von kritischen Systemen und Anwendungen. Dabei muss das produktspezifische Kapazitätsmanagement von der Orchestrierungsschicht übernommen werden, die entscheidet, wo ein zu- sätzlicher Workload ablaufen, also auf welchem Server eine zusätzliche Instanz einer virtualisierten Netzfunktion gestartet werden soll. Dies soll möglichst nahe am Ort des Bedarfs erfolgen, wobei idealerweise die aktuelle Auslastung der be- nötigten Netzwerke, Rechenwerke und Speicherwerke zu berücksichtigen ist. Bei netzweit nicht ausreichend verfügbarer Kapazität oder bei Überschreitung eines lokalen oder netzweiten Auslastungsschwellenwerts wird ein manueller Prozess angestoßen für den Aufbau zusätzlicher Standardserver mit Standard­ netzanbindung und -speicherwerk.

70 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

Verwaltungsaufgaben wie Backup, Recovery und Fehlermanagement können leicht über Skripte ausgeführt werden. Neben der Fähigkeit, beinahe in Echt- zeit auf operative Ereignisse zu reagieren, besitzt der hohe Automatisierungsgrad infolge von Virtualisierung auch das Potenzial, die Verwaltungskosten sowie die operativen Aufgaben zu reduzieren. Benutzeroberflächen ermöglichen es dem Rechenzentrumspersonal, eine schnelle Bereitstellung virtueller Server auf belie- bigen Plattformen zu erreichen und damit wesentliche Schritte der Wertschöp- fungskette nachhaltig zu verkürzen. Selbst Endkunden werden durch Automa- tisierung in die Lage versetzt, über ein Self-Service-Portal virtuelle Maschinen mit zugehöriger Anbindung an Storage und Netz zu buchen sowie den Einsatz von Workloads selbst zu steuern und zu überwachen. Insgesamt verringern sich durch Automatisierung und Selbstbedienungsfunktion die Betriebskosten erheb- lich, da komplexe Verfahren automatisiert werden, der Betrieb einfacher wird und im Ergebnis die Personalkosten für den Betrieb sinken.

Eine weitere Quelle für Prozessvereinfachungen könnte die Einführung der zu- vor beschriebenen Virtualisierungstechnik beim Endkunden in Form eines vom Netzbetreiber frei programmierbaren Servers als Virtual CPE sein. Dieser ließe sich durch die automatisierten Standardprozesse der Orchestrierungsschicht mit- verwalten und würde damit die Bereitstellung von Updates, neuen Funktionen und Produkten auf einfachste Weise ermöglichen. Ebenfalls wird die zuvor be- schriebene Neuformation der Wertschöpfungskette durch Kombination spezia- lisierter Netzfunktionen zu einer Transformation weiterer Telekommunikations- prozesse führen. Das betrifft insbesondere die eTOM-Prozessdomäne „Product Lifecycle Management“.

Da aktuelle Virtualisierungstechniken wichtige Netzwerkaspekte in die Hand der Serveradministratoren oder sogenannter DevOps legen, die für Systembe- trieb und Entwicklung von Softwaresystemen verantwortlich zeichnen, findet eine Machtverschiebung statt hin zu den Serverteams und DevOps und zulasten der Networkteams. Es droht die Gefahr, dass diese nicht mehr den vollen Über- blick über alle Aspekte des Netzes haben. Sogenannte SDN-Overlay-Netze ver- legen den Netzrand virtuell weiter nach außen in den physikalischen Server, der auch als Virtualisierungshost bezeichnet wird. Die traditionelle Prozesswelt des Netzbetriebs wird dadurch – je nach Implementierungsvariante dieses Netzrands – aufgebrochen, Prozesswelten aus der IT-Welt wie die IT Infrastructure Library (ITIL) verbreiten sich im Netzbetrieb. Ohnehin kommt ITIL bei den meisten Telekommunikationsunternehmen bereits für den eTOM-Prozessbereich Assu- rance zum Einsatz. ITIL bezeichnet eine Sammlung von Best Practices und gilt inzwischen international als De-facto-Standard für das IT-Servicemanagement

Detecon International GmbH 71 Moderne Netzkonzepte

(ITSM). Die durch die Virtualisierung getriebene Verschmelzung von Netzbe- trieb und IT-Servicemanagement stellt sowohl eine Herausforderung dar als auch eine Chance zum Reengineering und zur Vereinfachung der Prozesse des Netz- betriebs.

Transformationsgeschwindigkeit vom Agieren Einzelner abhängig

Virtualisierung beschreibt einen mächtigen Trend, der Einzug in die Telekommu- nikationswelt hält. Derzeit werden erste Schritte in Richtung Virtualisierung in diversen Netzwerkdomänen unternommen. Zu nennen sind hier die bereits er- wähnte CPE-Virtualisierung sowie die Virtualisierung von Service-Layer-Funk- tionen. Daneben erscheint in erster Linie die Virtualisierung von ControlPlane- Funktionen interessant. Hierzu gehören Packetgateways in Mobilfunknetzen mitsamt den im Gi-LAN angelagerten Layer-4- bis Layer-7-Mehrwertdiensten wie Deep-Packet-Inspektion sowie Komponenten mit ähnlicher Funktion im Festnetz.

Virtualisierung hat die IT-Welt bereits transformiert – Virtualisierung ist aus dem Datencenter nicht mehr wegzudenken. Die Telekommunikationswelt hat sehr wohl begriffen, dass sogenannte OTT-Anbieter wie Google, Amazon und Facebook weitaus geringere Kosten aufwenden müssen sowie eine höhere Dyna- mik entfalten können. Telekommunikationsunternehmen haben sich vergleichs- weise spät entschlossen, die Vorteile der Virtualisierung zu nutzen. Jetzt aber sind sie mit großem Einsatz dabei, sich die Kostensparpotenziale sowie die Möglich- keiten zur Vereinfachung zu erschließen, etwa im Bereich einfacherer Prozesse.

In der gegenwärtigen Umbruchsituation treten neue Wettbewerber in den Markt ein – mit sehr großen Unterschieden in Größe, Fokus, Strategie und Marktan- gang. Dies hat den unerwünschten Nebeneffekt der zusätzlichen Konfusion. Der Markt ist noch in einem frühen Stadium und sehr fragmentiert, wie die Vielfalt der Anbieter sowie die Fülle einschlägiger Angebote zeigen. Um künftige Gewin- ner frühzeitig zu erkennen, bedarf es einer sorgfältigen Analyse.

Ein wichtiger Einflussfaktor besteht in der vorhandenen, oftmals über viele Jahre historisch gewachsenen starken Herstellerbindung an bestimmte Netzausrüster. Es ist ein langer Weg, sich aus dieser Umklammerung zu lösen, um lieferan- tenseitig die Vorteile eines vielfältigen Ökosystems nutzen zu können. Dieser Umstand birgt durchaus die Gefahr, dass eine Verzögerungstaktik seitens kon- servativer Netzausrüster die Einführung der Virtualisierung von Netzfunktionen behindern könnte.

72 Detecon International GmbH Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie

Telekommunikationsunternehmen können Virtualisierung wie einen Kataly- sator einsetzen, um einen Wandel der Innovationskultur im Unternehmen zu erreichen: hin zu Wettbewerb über Innovation statt Wettbewerb über den Preis. Virtualisierung macht Innovation durch reduzierten OPEX und teilweise durch CAPEX-Kosteneinsparungen für dedizierte Hardwaresysteme für Test- und Wirkbetrieb weniger kapitalintensiv.

Die Erfahrungen der ersten Investitionswellen belegen die Sinnhaftigkeit für Telekommunikationsunternehmen, ihre Geschäftsmodelle und Organisations- strukturen zu überdenken. Nach unserer Einschätzung wird es allerdings noch einige Zeit brauchen, bis etablierte Netzbetreiber die Virtualisierung als Katalysa- tor des Wandels begreifen – und noch mindestens fünf Jahre, bis die Virtualisie- rung auf breiter Front zum Einsatz kommt. Jeder Netzbetreiber legt sein eigenes Tempo an den Tag. Sobald ersichtlich ist, wie die Befreiung aus der Hersteller­­ abhängigkeit gelingen kann, und sobald für quelloffene Software aus wichtigen Open-Source-Projekten der Nachweis überlegener Qualität erbracht ist, werden sich das Wettbewerbsumfeld und der gesamte Markt grundlegend verändern. Netzbetreiber, die sich diesem Wandel verschließen, werden ihre Wettbewerbs­ fähigkeit mittel- bis langfristig einbüßen.

Detecon International GmbH 73 Interview

„Die Funktion der intelligenten Steuerung von Datenverkehr muss das Netz übernehmen“

Angesichts des prognostizierten Verkehrswachstums müssen Netzbetreiber die Kapazität ihrer Netze wei- ter ausbauen. Wegen knapper finanzieller Ressourcen kommt es darauf an, diesen Ausbau äußerst effizient durchzuführen. Wie sich die Netzbetreiber hierauf vorbereiten können und welche Lösungsoptionen von Herstellerseite angeboten werden, beschreibt Jochen Apel, CTO Deutsche Telekom Global Account und Head of Technical Sales Central Europe der Alcatel-Lucent Deutschland AG. Interview

74 Detecon International GmbH „Die Funktion der intelligenten Steuerung von Datenverkehr muss das Netz übernehmen“

Frage: Wie lauten aus Sicht eines Herstellers die wesentlichen infrastrukturellen Herausforderungen, die in den nächsten Jahren auf die Netzbetreiber zukommen werden?

Apel: Getrieben vom kontinuierlich steigenden Hunger der Konsumenten nach Bandbreite und Megatrends wie M2M oder dem Internet der Dinge, ergeben sich ganz unterschiedliche Herausforderungen. Einerseits ist da die Bereit­stellung noch größerer Bandbreiten für den Konsumenten, andererseits gibt es aber auch geringe Latenzzeiten, extrem hohe Verfügbarkeit und gesicherte und geschützte­ Übertragung von Inhalten. Immer noch gilt die Regel, dass sich das Daten­ volumen im Internet alle zehn Monate fast verdoppelt. Gingen wir vor fünf Jah- ren noch sehr bewusst „ins Netz“, denken wir heute nicht mehr darüber nach, ob wir „drin“ oder „draußen“ sind. Wir sind jederzeit im Netz. Das Smartphone ist im Netz. Der Fernseher ist im Netz. Das Notebook oder das Tablet ebenso. Ja, sogar das Auto, die Armbanduhr und das Eigenheim. Mehr und mehr vernetzt sich alles und jeder miteinander, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Allein für den Bereich M2M erwarten wir ein weltweites Wachstum auf mehr als zwölf Milliarden Geräte bis Ende 2015. Dazu kommen ein Anstieg um mehr als 800 Prozent beim Videokonsum und eine Verdopplung beim Download von Apps. All dies vollzieht sich wahrscheinlich in einem Zeitraum von nicht einmal vier Jahren.

Diese gewaltigen Herausforderungen können heute weder von einem Mobil- funknetz noch von einem Festnetz allein bewältigt werden. Der Schlüssel zum Meistern dieser Aufgaben liegt darin, dass das am besten passende Netz die je- weilige Aufgabe erledigt. Ein wichtiges Element dabei bildet die Lenkung der ­Datenströme. Allerdings möchte der Kunde mit seinem Datenverkehr nicht als Teil des Problems verstanden werden. Er ist nur bedingt bereit, Einschränkungen zu akzeptieren. Die Funktion der intelligenten Steuerung von Datenverkehr muss also das Netz übernehmen.

Netzbetreiber werden in erster Linie weiter in den Ausbau der Zugangstechno- logien investieren wie Vectoring und FTTx im Festnetz sowie LTE und LTE Advanced, teilweise auch Carrier WiFi im Mobilfunkbereich. Für den Zugang sowohl über Kupfer als auch über Funk gilt weiterhin: je höher die Bandbrei- ten, desto näher beim Kunden muss die aktive Zugangstechnik sein. Für den Festnetzbereich bedeutet dies, dass FTTx und Vectoring über zusätzliche aktive Netzelemente ausgebaut werden müssen, die kleiner sind als die heutigen. Auch im Mobilfunkbereich müssen die Netze enger geknüpft werden, zum Beispiel durch Small Cells oder eine Carrier-WiFi-Infrastruktur, welche die Makrozellen vom Verkehr entlasten.

Detecon International GmbH 75 Interview

Frage: Wo sehen die Telekommunikationsnetzbetreiber die wesentlichen Trends in Bezug auf Kostenreduktion beziehungsweise Kosteneffizienz in den nächsten drei bis fünf Jahren?

Apel: Im Wesentlichen sehe ich zwei große Trends:

Der erste Trend geht hin zu konvergenten Netzen und Applikationen. Aus histo- rischen Gründen gibt es derzeit jeweils Netze für Festnetzkommunikation und Mobilfunk, die frühestens auf einem gemeinsam genutzten Transportnetz zu- sammenkommen. Durch die konsequente Nutzung von IP als Basistechnologie auch für Mobilfunknetze wird eine Netzkonvergenz viel einfacher. Der Schritt Richtung LTE bedeutet zudem eine enorme Vereinfachung, nicht zuletzt weil LTE die erste rein IP-basierte Technologie im Mobilfunk darstellt. Der Umstieg ist allerdings nicht nur eine Aufgabe der CTOs. Denn die Herausforderung im Mobilfunk besteht darin, so schnell wie möglich herkömmliche Technologien wie 2G und 3G abzuschalten. Daher sind hier besonders Produkt- und Mar- ketingverantwortliche in der Pflicht, auf All IP hinzuwirken. Nur so wird es zu einer wirklichen Verschmelzung von Fest- und Mobilfunknetz kommen und da- mit zu Synergien. Bei den Applikationen präsentiert sich die Situation in gleicher Weise. Sowohl Festnetz als auch Mobilfunknetz schlagen immer noch getrennte Wege zu All IP ein. Dabei gibt es längst entsprechende konvergente Applika­ tionen wie IMS/VoLTE, Converged Payment, Policy Server und andere.

Der zweite Megatrend umfasst virtualisierte Netzfunktionen (NFV) und Soft- ware-defined Networking (SDN). Hier liegt viel Potenzial. Diese Technologien führen zu einem grundlegenden Wandel der Art und Weise, wie Netzdienste in Zukunft produziert werden. Funktionen wie automatische Skalierung der Ressourcen und automatische Fehlerbehebung werden signifikante Effizienz- steigerungen mit sich bringen. Insbesondere für Netzbetreiber, die mit vielen Tochtergesellschaften in einem globalen oder zumindest europäischen Umfeld agieren, bieten Cloud-Technologien eine Menge Vorteile. Heute werden Netz- funktionen wie IMS oder enhanced Packet Core (ePC) in jedem noch so klei- nen Netz dediziert produziert: Mit dedizierter Hard- und Software, oft sogar von unterschiedlichen Herstellern – und mit dedizierter Betriebsmannschaft. Mit NFV und einem entsprechenden Backbone, welches die Landesgesellschaf- ten untereinander verbindet, lassen sich solche Funktionen zentral produzieren und lokal nutzen. Für manche Services bedeutet das eine Einsparung von bis zu 60 Prozent. Dies kann die Wettbewerbsfähigkeit signifikant steigern, gerade in preissensitiven Märkten.

76 Detecon International GmbH „Die Funktion der intelligenten Steuerung von Datenverkehr muss das Netz übernehmen“

Frage: Was sind die wesentlichen Trends für die Telekommunikationsbetreiber in Bezug auf neue Einnahmequellen oder Erlössicherung in den kommenden drei bis fünf Jahren?

Apel: Für viele Menschen spielen Kommunikationsdienste eine ebenso wichtige Rolle wie die Stromversorgung. Die Nachfrage nach der ständigen Verfügbarkeit des Internets wird weiter steigen. Kommunikationsnetze sind schon heute nahe- zu allgegenwärtig: Zu Hause, unterwegs, in der Freizeit und im Beruf nutzen wir sie. Ohne die Netze wäre unser Leben nicht nur um einiges ärmer an Kommuni- kationsmöglichkeiten – wir würden auch in deutlich weniger Wohlstand leben.

Die Kommunikationsindustrie wird sich darauf konzentrieren, den Menschen jederzeit und überall einen Netzzugang zu bieten. Für Netzbetreiber liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Bereitstellung von hohen Bandbreiten zusammen mit höchster Netzverfügbarkeit. Derartige Services können Over-the-top-Inter- netanbieter wie Google, Facebook und Amazon nicht zur Verfügung stellen – noch nicht. Die großen Internetmarken benötigen diese Services aber mehr denn je. Die Verlagerung von immer mehr Daten und Services in die Cloud wird den Trend noch verstärken. Netzbetreiber können in der Cloud ihr Portfolio auf- werten. Integrierte Netz- und Rechenzentrumsangebote, Stichwort „Infrastruc- ture as a Service“, kombinieren hochwertige Netzdienste mit hochverfügbarer Rechen- und Speicherkapazität. Legt man wiederum eine auf NFV und SDN basierende Netzproduktion zugrunde, gelten die gleichen operativen Rahmen- bedingungen für beide Welten gleichermaßen. Eine echte Konvergenz zwischen Telekommunikation und IT wird dann Realität sein.

Ein weiteres wichtiges Element ist der Ausbau von Partnerschaften. Netzbetreiber und Internetplayer sollten sich als Partner verstehen und nicht als Konkurrenten. Das fällt nicht ganz leicht angesichts der Konkurrenz in wichtigen Bereichen wie beispielsweise Video-, Voice- und Webservices. Andererseits brauchen gerade die großen Marken im Internet eine hohe Qualität für ihre Services. Hier können Netzbetreiber auftrumpfen. Sie können alle Services sehr nah am Kunden sowie mit kontrollierter und garantierter Qualität produzieren. Dies hat einen gr­ oßen Wert für Internetanbieter. Bei entsprechender Flexibilität auf beiden S­eiten ­werden sich passende Geschäftsmodelle finden.

Detecon International GmbH 77 Interview

Frage: Gibt es signifikante geografische oder marktbezogene Unterschiede hin- sichtlich der vorangegangenen beiden Fragen und falls ja, wie sehen diese aus?

Apel: Netzbetreiber unterscheiden sich sehr deutlich in der Art und Weise, wie sie Netze bauen und mit welcher Konsequenz sie ihre Angebote definieren. Vor zehn Jahren neigte man in Europa dazu, die Kommunikationsinfrastruktur in den USA als „steinzeitlich“ zu betrachten. Weder das Festnetz noch das Mobilfunk- netz entsprachen annähernd den Standards in Europa. Das hat sich grundlegend gewandelt. Heute hängt Europa im weltweiten Vergleich hinterher. Führende Industrienationen, mit denen wir im globalen Wettbewerb stehen, schmunzeln über die niedrigen Bandbreiten, die wir in vielen Teilen Deutschlands zur Verfü- gung haben. Mittelfristig wird dies dem Standort Europa massiv schaden. Dass kein einziger großer Internetplayer aus Europa kommt, ist bezeichnend.

Ebenso bezeichnend ist das Beispiel LTE. Während Netzbetreiber in Europa in die Single-RAN-Technik und damit indirekt massiv weiterhin in 2G und 3G in- vestieren, sind die USA mit konsequentem Fokus auf LTE und dem Abschalten alter Technologien an uns vorbeigezogen. Wollen wir aufholen, bleibt uns nur, uns auf den Ausbau neuer Technologien zu konzentrieren und möglichst nur noch in diese zu investieren.

Frage: Gibt es Technologien, die aus Ihrer Sicht ein disruptives Potenzial für die Einnahme- oder Kostenseite der Carrier in den nächsten drei bis fünf Jahren haben?

Apel: Cloud-Technologien wie NFV und SDN werden massiven Einfluss auf die Kosten für die Produktion und auch auf den Innovationsprozess haben. Neue Produkte können erheblich schneller und mit geringeren Investitionen einge- führt werden.

Frage: Welche Ansatzpunkte verfolgt Alcatel-Lucent bei der Unterstützung der Carrier?

Apel: Wir unterstützen unsere Kunden dabei, die Zukunft zu gestalten. Wir ­haben uns konsequent auf die Wachstumsbereiche IP-Networking, Ultra-­ broadband Access und Cloud ausgerichtet. Eine durchgängige All-IP-Infra- struktur ist für alle Netzbetreiber heute unabdingbar. Das unterstützen wir vom Zugangsnetz bis hin zum Data Center. Wir sind in den letzten zehn Jahren im Bereich IP-R­ outing zur Nummer zwei weltweit aufgestiegen. Das dabei gewon-

78 Detecon International GmbH „Die Funktion der intelligenten Steuerung von Datenverkehr muss das Netz übernehmen“

nene ­Know-how ­bringen wir bei neuen Projekten mit ein. Und dies nicht nur im Bereich IP-Routing, sondern auch bei LTE oder IP/WDM-Integration.

Wir helfen unseren Kunden insbesondere bei der Transformation von alten In- frastrukturen wie 2G-/3G-, SDH-, ATM-, PSTN- und anderen Netzen hin zu schlanken und effizienten IP-Netzen. Es ist relativ einfach, neue Netze zu ent- werfen und zu bauen. Die große Herausforderung besteht darin, alte Netze ab- zuschalten und für eine nicht nur technische, sondern auch kommerzielle Trans- formation der Produkte zu sorgen.

Neue disruptive Technologien wie NFV bieten zahlreiche Vorteile. Sie stellen un- sere Kunden allerdings auch vor immense organisatorische Herausforderungen. Insbesondere hier gilt es, die Kunden sehr frühzeitig in unsere Produktentwick- lung mit einzubeziehen. Wir nennen das „Co-Creation“. So können unsere Kunden auf die Technikentwicklung Einfluss nehmen und eigenes Know-how auf- und ausbauen. Gerade im Bereich NFV sind wir mit unserer Cloud-Band- Lösung mit vielen Tier-1-Telekommunikationsbetreibern in solchen Partner- schaften sehr erfolgreich.

Alcatel-Lucent: Mit ihren Produkten und Innovationen spielt Alcatel-Lucent weltweit eine führende Rolle in der Telekommunikationsbranche. Das Unternehmen beliefert Dienste­ anbieter und deren Kunden, Unternehmen und Behörden mit Lösungen für IP- und Cloud- Netze sowie mit Breitbandzugangstechnik für Fest- und Mobilfunknetze. Mithilfe ihrer For- schungssparte Bell Labs treibt Alcatel-Lucent aktiv einen umfassenden Umbau der Netze voran – von der Sprachtelefonie zu integrierten Datennetzen für Sprache, Informationen und Bewegtbilder. Bell Labs sind integraler Bestandteil von Alcatel-Lucent und das weltweit führende Forschungsinstitut für Kommunikationstechnologien. Alcatel-Lucent erzielte 2013 einen Umsatz von 14,4 Milliarden Euro, ist in Paris und New York börsennotiert und hat seine Zentrale in Paris.

Detecon International GmbH 79 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität Dr. Hans-Peter Petry

> Herkömmliche Strategien für den Infrastruktur- ausbau können nicht mit dem Datenratenwachstum mithalten. Dies gilt insbesondere für die zukünftige mobile Breitbandkommunikation.

> Je nach prognostiziertem Datenratenwachstum gibt es eine enorme Versorgungslücke.

> Kleinzellige Mobilfunkarchitekturen bieten einen Ausweg aus dem Dilemma.

> Aber: Die Implementation ist nicht trivial und erfordert einige Paradigmenwechsel.

80 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

Antworten der Technik auf wachsende Datenraten

Unbestritten ist die Herausforderung an die technische und kommerziell ver- nünftige Realisierung von Infrastruktur und Endgeräten, die aus dem rasant wachsenden Bedarf an Übertragungsgeschwindigkeit und -kapazität in allen Netzebenen resultiert. Die zentrale Frage für zukünftige Telekommunikations- netze lautet: Wie weit können die aktuellen technischen Möglichkeiten der ver- schiedenen Übertragungsmedien mit diesem enormen Wachstum mithalten? Gibt es eine graduelle Anpassung der technischen Leistungsfähigkeit und ihres Fortschritts an den Bedarf oder stoßen wir in Teilbereichen an Grenzen, die unter Umständen neue Lösungen oder einen Paradigmenwechsel erfordern?

Diese Frage lässt sich ziemlich einfach beantworten. Die Antwort fußt auf infor- mationstheoretischen Grundlagen, die schon seit geraumer Zeit bekannt sind. Nach C. Shannon – Originalartikel von 1948 – ist die Übertragungskapazität eines beliebigen Übertragungskanals von zwei wesentlichen Faktoren abhängig: der Bandbreite des Kanals, also der Größe der zur Verfügung stehenden Res- source, und der in dem entsprechenden Medium erreichbaren Kanalqualität, die bestimmt ist durch das Verhältnis von empfangbarem Nutzsignal zur Gesamtheit der Störsignale. Diese Gesamtheit ist im Wesentlichen durch eine Addition von Rauschen und Interferenz durch andere Übertragungskanäle gegeben. Mit solch einer Kenntnis lassen sich die bekannten Übertragungsmedien leicht klassifizie- ren und eventuelle Engpässe früh erkennen.

Medien im Vergleich

Beginnen wir mit der Glasfaser, einem Übertragungsmedium im Bereich op- tischer Frequenzen. Aufgrund der extrem hohen Frequenz optischer Signale ist naturgemäß die Kanalbandbreite enorm. Als Faustregel lässt sich abschätzen, dass schon ohne weitere Maßnahmen in etwa sechs Zehnerpotenzen mehr an Bandbreite zur Verfügung stehen als bei allen anderen Übertragungsmedien. Da- rüber hinaus sind moderne Fasern fast perfekt gegen Störungen abgeschirmt, weisen also eine exzellente Signalqualität auf. Daher ist die Glasfaser auch das Medium der Wahl im Hinblick auf Kapazität und überbrückbare Entfernung für ortsfeste Verbindungen.

Das eigentliche Problem liegt nicht in der Technik, sondern im kommerziellen Bereich: Eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaserinfrastruktur verursacht enorme Kosten. Sie muss im Einzelfall sorgfältig durchgerechnet werden und erweist sich in vielen Fällen als nicht wirtschaftlich. Die Grenzen der Wirtschaft- lichkeit – ohne Subvention natürlich – sind inzwischen gut bekannt. Dabei hat

Detecon International GmbH 81 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

die Glasfaser noch beträchtliche Reserven: Für weiteren Geschwindigkeitszu- wachs eignen sich aus anderen Bereichen bekannte effizienzsteigernde Verfahren wie die höherstufige Modulation, die eine weitere Größenordnung bereitstellen können. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Glasfaser ein Medium darstellt, das graduell mühelos in der Lage ist, mit den Wachstums­ raten zukünftiger Netze mitzuhalten. In den Kernnetzen wird das heute schon in ­hohem Maße genutzt.

Viel größere Probleme bestehen im Zugangsbereich. Internationale Statistiken wie die OECD (Stand: 2012) zeigen deutlich, dass die Durchdringung von Breitbandanschlüssen mit Glasfasertechnik je nach Land stark schwankt. Japan und Korea führen die Rangliste mit Werten um 60 bis 65 Prozent an, in Europa liegt der Spitzenreiter Schweden bei 34 Prozent, Deutschland rangiert sogar auf einem der hinteren Plätze mit gerade mal 0,8 Prozent.

Woran liegt das? Man hat zunächst versucht, bestehende Übertragungsmedien, im Wesentlichen Kupferkabel und Koaxialkabel, so weit wie möglich auszurei- zen. Dies ist erforderlich, da die Bandbreitenressourcen um Größenordnungen unter denen der Glasfaser liegen. Am besten schneidet noch das Koaxialkabel ab. Aufgrund der Ausbreitungsphysik handelt es sich hierbei um ein Tiefpasssystem mit einer nutzbaren Bandbreite bis zu einem GHz. Moderne, doppelt geschirmte Kabel bieten einen guten Schutz gegen Störungen und sorgen somit für eine gute Signalqualität. Neueste Verfahren, beispielsweise DOCSIS 3.0, nutzen darüber hinaus moderne hochstufige Modulationsverfahren wie 256 QAM, Effizienzstei- gerungen um etwa eine Größenordnung (Faktor 10) sind möglich. Trotz der Tat- sache, dass sich alle Nutzer in einem Koaxialbaum die Kapazität teilen müssen, lassen sich bereits heute Nutzerdatenraten von etwa 50 Mbit/s pro 6 MHz Kanal für den festen Internetzugang realisieren. Die Kanalbündelung erlaubt nach Be- darf eine Steigerung auf bis zu 200 Mbit/s. Es ist jedoch abzusehen, dass weitere wesentliche Steigerungen an Grenzen stoßen.

Kupferkabelinfrastrukturen erreichen diese Grenzen schon früher. Aufgrund der Verlegepraxis klassischer Kupferkabel fällt sowohl die verfügbare Bandbrei- te geringer als auch der Störpegel höher aus, da die Kupferdoppeladern nicht abgeschirmt sind und eine starke entfernungsabhängige Dämpfung sowie be- trächtliches Übersprechen aufweisen. Trotzdem ist es gelungen, durch raffinierte Techniken wie VDSL und Vectoring die Grenzen in realen Aufbausituationen bis zu etwa 50/100 Mbit/s zu steigern. Erkauft wird das durch eine drastische Verringerung der mit solchen Datenraten überbrückbaren Entfernungen. In der Regel betragen diese weniger als einige 100 m mit der entsprechenden Unsi- cherheit in der Planung, falls weitere unvorhergesehene Effekte hinzukommen.

82 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

Insbesondere im DSL-Umfeld wird deshalb eine Leistungsfähigkeit mit dem Zu- satz „bis zu“ versprochen. Eine entsprechend unzufriedene Klientel ist die Folge. Kupfer bot dennoch bisher eine durchaus attraktive Variante – zukunftssicher im Hinblick auf weiter wachsende Nutzerdatenraten ist es mit Sicherheit aber nicht. Bei Vectoring kommt hinzu, dass man die Verbesserung nur ausnutzen kann, wenn das Hauptkabel in der Hand eines einzigen Netzbetreibers liegt: im Rahmen einer „Open-Access“-Politik eine interessante regulatorische Aufgabe!

Besondere Herausforderung mobile Breitbandkommunikation

Breitbandige Kommunikation wird natürlich besonders attraktiv, wenn sie mit Mobilität einhergeht. Wäre das einfach und ohne Grenzen zu realisieren, würden alle leitungsgebundenen Techniken im Anschlussbereich schnell obsolet. Leider bestehen aber im mobilen Umfeld mit Abstand die schwierigsten Bedingungen im Sinne des shannonschen Theorems. Mobile Kommunikation erfolgt mithilfe elektromagnetischer Wellen in Frequenzbereichen, die sich vom Bereich einiger 10 MHz bis hin zu 3 GHz erstrecken. Darüber nimmt die Fähigkeit elektroma- gnetischer Wellen, eine breitbandige vollmobile Kommunikation ohne Sichtver- bindung zu gewährleisten, deutlich ab.

Selbst wenn der komplette oben genannte Frequenzbereich zur Verfügung stün- de, wäre die Gesamtressource nur etwa drei Promille eines modernen Koaxial­ kabels, von der Glasfaser ganz zu schweigen. Derart attraktive Frequenzbänder sind selbstverständlich auch für andere Funkdienste interessant, sodass der ge- samte Bereich äußerst kompliziert aufgeteilt und die Nutzung streng reguliert ist und nur in langwierigen internationalen Abstimmungsprozessen geändert werden kann. Netto bleiben für die einzelne Mobilfunkanwendung eines ein- zelnen ­Betreibers nur wenige 10 MHz in nicht zusammenhängenden Frag- menten übrig.­ Die Fragmente selbst haben typische Größen von 5 MHz (für 3G-­Systeme, Beispiel: UMTS) und 10/20 MHz (für 4G-Systeme, Beispiel: LTE). Selbst für ein modernes 4G-System bleiben also im besten Fall 20 MHz für eine Funkzelle übrig. Diese sogenannte Kanalbandbreite befindet sich nun in der gleichen ­Größenordnung wie das Koaxialkabel (hier um die 6 MHz). Durch die viel gr­ ößeren Ressourcen des Kabels gibt es allerdings wesentlich mehr Kanä- le, die für graduelle Anpassungen an Datenwachstum bis zur Ressourcengrenze genutzt werden können. Auch neueste Generationen von Mobilfunksystemen, Beispiel LTE-A, verwenden Kanalbündelung, das Verbesserungspotenzial ist aber begrenzt.

Neben dem Ressourcenmangel kämpft die mobile Kommunikation zudem mit dem zweiten entscheidenden Parameter des Shannon-Theorems: der Signal­

Detecon International GmbH 83 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

qualität. Zunächst unterliegen elektromagnetische Wellen nach der Abstrahlung von der Antenne auch bei optischer Sicht der Freiraumdämpfung. Diese wächst mit dem Quadrat der Entfernung und erreicht daher sehr schnell große Werte. Im mobilen Umfeld kommen durch Hindernisse und Empfangssituationen in- nerhalb von Gebäuden schnell weitere beträchtliche Schwächungen des Signals zustande. In gleichem Maße verschlechternd für die Signalqualität wirken Inter- ferenzen zwischen den sich überlappenden Mobilfunkzellen. Alle diese Effekte sind heute gut bekannt und werden bei der Planung von Mobilfunksystemen berücksichtigt.

Ohne zusätzliche Maßnahmen würde dies aber bedeuten, dass die Effizienz, also die Kanalkapazität, bezogen auf die Ressource, gemessen in Bit/s/Hz, auf Werte deutlich unter 1 absinken würde: ein Bereich, der bei Mobilfunksystemen der ersten und zweiten Generation, zum Beispiel GSM, die Regel war und ist. Diese kommen daher für wirkliche Breitbandanwendungen nicht infrage.

Grenzen der Effizienzsteigerung

Aus dieser Notsituation heraus hat die Technik natürlich schon seit Jahren ent- sprechende Verbesserungen bereitgestellt, welche die Effizienz vergrößern kön- nen. Die Verwendung höherstufiger Modulationsverfahren erlaubt es, durch

Abbildung 1: Verteilung der Modulationseffizienz in einer realen Funkzelle (LTE)

Zell – Effizienz (Bit/s/Hz) m 1 2 3 4 5

Mittlere Effizienz Maximale Effizienz Beispiel: LTE 20 MHz: Beispiel: LTE 20 MHz: m Mittlere Rate: 40 Mbit/s Peak Rate 100 Mbit/s

Quelle: Comnets

84 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

feinere Aufteilung von Amplituden und Phasen der Trägersignale mehr Infor- mation zu übertragen – man geht heute bis zu 64 Stufen bei Mobilfunk, 256 Stufen beim Koaxialkabel und sogar 2048 Stufen beim stationären Richtfunk. Auch über die geschickte Nutzung unterschiedlicher räumlicher Ausbreitungs- phänomene (MIMO: Systeme mit mehreren Sende- und Empfangsantennen, die virtuell mehr Kanäle bereitstellen) oder die Verbesserung des Signalstörab- stands durch intelligente Antennen kann man mittels adaptiver Ausrichtung auf das mobile Gerät den Signalpegel anheben und den Störpegel senken. Alle ge- nannten „Tuningmaßnahmen“ sind beim heutigen Stand der Technik adaptiv, das heißt, sie können sich im Betrieb dynamisch ändern, ohne dass der Nutzer dies bemerkt. Im besten Fall kann die Effizienz theoretisch bis zum Faktor 20 und mehr gesteigert werden.

Genau hier liegt jedoch ein weiteres Problem: Wenn sich diese „Tuningmaß- nahmen“ dynamisch verändern, folgt daraus, dass auch die zugehörige Effizienz und damit die mögliche Übertragungsgeschwindigkeit schwankt und eben nicht immer den Bestwert annimmt. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:

Das Beispiel zeigt nicht wie üblich die Stärke der Signalverteilung in einer ­typischen innerstädtischen Zelle, sondern die Verteilung der Modulationsraten. Diese ist äquivalent zu der maximalen Geschwindigkeit, die am jeweiligen Ort besteht. Man sieht deutlich, dass die maximal mögliche Effizienz (hier: 5-fach) nur an wenigen Stellen innerhalb der Zelle erreicht werden kann. Die nutzbare Zellkapazität lässt sich daher nur über eine räumliche Mittelung berechnen. Dieser Wert fällt deutlich niedriger aus (hier: 2-fach), die gesamte Zellkapazität, welche sich die Nutzer dann teilen müssen, ist demnach 2-mal Bandbreite des RF-Kanals. Für ein 20-MHz-LTE-System bedeutet das eine reale Zellkapazität von 40 Mbit/s. Die für LTE oft genannten 100 Mbit/s würden eine Effizienz von 5 voraussetzen, sind also nur im Ausnahmefall vorhanden. Das Beispiel ist durchaus repräsentativ. Das kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass die Planungsingenieure von Mobilfunknetzbetreibern für ihre Funknetzplanung in der Tat mit Effizienzwerten von um die 2 arbeiten.

Jeder, der 3G- oder 4G-fähige Smartphones nutzt, kann das heute leicht selbst überprüfen. Es gibt zahlreiche Apps, die es gestatten, die Down- und Upload- Geschwindigkeit direkt zu messen und den Wert der Aussage „bis zu“ einzu- schätzen. In der Praxis zeigt sich oft ein weitaus geringerer Wert im Vergleich zu oben. Das beruht auf zusätzlichen Effekten und Einflussfaktoren, beispielsweise der Zelllast, der Leistungsfähigkeit der Smartphone-CPU und vor allem auf der Signalabschwächung im Innenbereich von Gebäuden.

Detecon International GmbH 85 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Neben der Verfeinerung der Modulationsstufenzahl gibt es in modernen Funks­ ystemen einen weiteren „Tuningtrick“, um die Übertragungseffizienz zu steigern: die Ausnutzung räumlicher Ressourcen, im Weiteren darstellbar durch die bei- den Schlagworte MIMO (Multiple Input Multiple Output) und AAS (Adaptive Antenna Systems).

Bei MIMO benutzt man mehrere Antennen und Radioeinheiten auf Sende- und Empfangsseite. Diese gestatten es, Signale, die auf unterschiedlichen Wegen vom Sender zum Empfänger gelangen, konstruktiv zu verbinden.* Das wirkt wie eine größere Zahl an Kanälen, widerspricht also nicht dem Shannon-Theorem. Leider gibt es auch hier einen sehr großen Unterschied zwischen theoretischen Maxi- malwerten und praktisch erreichbaren Verbesserungen. Die Ursache ist in vielen Einflussfaktoren zu finden, deren genauere Betrachtung hier zu weit führt. Nur so viel: Zum einen muss eine ausreichende Zahl von (entkoppelten) Mehrwege- pfaden verfügbar sein, zum anderen greift die Verbesserung nur bei einer größe- ren Anzahl von Antennen auf der Funkbasisstation und dem Endgerät. Vor allem der letztgenannte Aspekt ist bei modernen und kompakten mobilen Endgerä- ten nur sehr eingeschränkt realisierbar. Trotzdem hat sich MIMO in modernen Mobilfunkstandards durchgesetzt, die Verbesserungen sind messbar und liegen im niedrigen Prozentbereich. Die Zusatzkosten allein in der Infrastruktur sind allerdings beträchtlich.

Bei AAS versucht man, die Signalqualität zu verbessern und damit den zweiten maßgeblichen Parameter der Shannon-Gleichung positiv zu beeinflussen. Hier gibt es Verbesserungspotenzial, da die üblichen Basisstationen von Mobilfunk- systemen in der Regel mit einer starren 1200 Sektorisierung arbeiten, also Sen- deenergie gleichmäßig in den Raum abstrahlen. Der Antennengewinn ist dabei konstant und nur moderat. Wenn es gelingt, über sogenannte Arrayantennen die Strahlungsleistung auf die aktuell in der Zelle befindlichen Mobilgeräte zu kon- zentrieren und nicht benötigte Bereiche auszusparen, wächst der Antennenge- winn für die einzelnen Beams – und damit die Signalqualität sowie die Kapazität. In gleichem Maße werden Interferenzen abgeschwächt. Was so einfach anmutet, ist in der Praxis allerdings recht kompliziert und der erforderliche Hardwareauf- wand erheblich. Daher haben sich derartige Lösungen bisher nicht großflächig durchgesetzt.

* Vgl. Schultz/Petry, Geschwindigkeit ist (keine) Hexerei. Leistungsfähigkeit von Mobilfunkstandards zwischen Wunschvorstellung und Realität, in DMR 01/2009.

86 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

Gibt es eine Versorgungslücke?

Abbildung 2 stellt das technische Verbesserungspotenzial den Wachstumsraten im Datenbereich gegenüber und zeigt diesen Sachverhalt in einem strategischen Zusammenhang:

Es wird jeweils zwischen einem konservativen Ansatz und einem aggressiven An- satz unterschieden, um eine gewisse strategische Bandbreite der Aussagen abzu- decken. Da Veränderungsfaktoren in Zeiträumen dargestellt sind, ist natürlich die Festlegung eines Referenz- und Zielpunkts erforderlich. Dieser Bereich er- streckt sich in Abbildung 2 von etwa 2002/03 – dem Beginn der Ära „Mobile Broadband“ – bis zu einem Zeitpunkt 2015/20. Das Wachstum der Daten­raten verläuft in dem entsprechenden Zeitraum natürlich nicht konstant, sondern folgt wie alle Wachstumsprozesse einem s-förmigen Verlauf. Da wir noch am Anfang des Prozesses stehen, ist ein Eintreten in die Sättigung zurzeit nicht absehbar. Das soll uns für unsere Betrachtungen im Detail aber nicht interessieren. Von Bedeu- tung für eine grobe Abschätzung sind die Gesamtfaktoren über diesen Bereich, die im Wesentlichen ein exponentielles Wachstum zeigen.

Ein konservativer Ansatz im Technikbereich betrifft Werte der verschiedenen genannten Verbesserungseffekte für ungünstige Bedingungen in realen Ausbrei-

Abbildung 2: Kapazitätssteigerung und Datenratenwachstum

1000 1000 500

(200) 150 33 fach 100 17 fach 5 fach 30 Frequenz- Ressourcen Modulations- 10 MIMO/ 10 Effizienz AAS (5) (4) Konservativ Aggressiv aggressiv Sehr 2 Theoretische 1   1,5 = Maximalwerte Wachstum Kapazitätssteigerung Datenraten durch technische Maßnahmen ( = realistische Szenarien)

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 87 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

tungssituationen. Optimistischere Werte ergeben sich daher für reale Situationen mit günstigeren Bedingungen. Die theoretischen Maximalwerte können defini- tiv nicht verwendet werden, da sie entweder hardwaretechnisch nicht realisierbar sind oder die Auftrittswahrscheinlichkeit sehr klein ist. Ihre Erwähnung dient dennoch zur Orientierung.

Eine Abschätzung des Datenratenwachstums ist deutlich schwieriger, da es ­wesentlich mehr Einflussfaktoren gibt, die alle eine große Streubreite aufweisen. Nicht leugnen lässt sich beim heutigen Stand der Erkenntnis jedoch die enorme Zunahme der Multimediafähigkeit moderner Endgeräte. Wer hätte gedacht, dass ein Tablet eine höhere Bildauflösung haben würde als ein stationärer HDTV- Fernseher? Fakt ist auch die Zunahme des Datenverkehrs durch Flatrate-Tarife – eine ungeliebte Tatsache, die aber nur schwer oder gar nicht mehr rückgängig zu machen ist. Gleichzeitig wächst die Zahl moderner Smartphones und Tablets weiter rasant, das Nutzerverhalten ändert sich entsprechend. Wir befinden uns heute, im Jahr 2014, mitten in diesem Prozess. Unter Analysten herrscht weit- gehend Einigkeit darüber, dass allein diese Effekte 200- bis 300-fach erhöhte Wachstumsraten über eine Dekade zur Folge hatten.

Eine weitere Frage lautet darüber hinaus, wie sich die Raten entwickelt hätten, wenn die Mobilfunksysteme nicht permanent hinter den anfänglichen Verspre- chen geblieben wären.

Aber damit nicht genug: Weitere Revolutionen stehen vor der Tür. Ein neues „Buzzword“ hat sich schon etabliert, die „Cloud“. Heute bedeutet das noch eine zentrale Ablage von Daten ohne hohen Anspruch an die Übertragungskapazi- tät, da die Übermittlung nicht unbedingt in Echtzeit erfolgen muss. In Zukunft werden jedoch (Echtzeit-)Funktionen, zum Beispiel die Rechenleistung eines Endgeräts, in die Cloud verlagert. Das macht jede Menge Sinn, da die Vielzahl von dezentralen Ressourcen dann deutlich entlastet wird, was unter anderem eine drastische Verlängerung der Akkulaufzeit bewirken kann. Der erforderliche Zuwachs an Übertragungsgeschwindigkeit ist enorm. Ein zusätzlicher, bereits etablierter Begriff nennt sich das „Internet der Dinge“. Hierunter versammelt sich eine Reihe attraktiver Applikationen wie die Kommunikation zwischen Maschinen zur Erhöhung der Produktionseffizienz oder zahlreiche geplante An- wendungen aus der Medizintechnik zur besseren Patientenüberwachung und Senkung der Gesundheitskosten sowie letztlich innovative Ideen zur Verkehrs- steuerung und Kommunikation zwischen Fahrzeugen bis hin zum autonomen Fahrzeug. Alle diese Ideen gelten durchaus als sinnvoll und könnten zur weiteren Verbesserung unseres Lebensumfelds in nachhaltiger Weise beitragen. Sie erfor- dern aber durchweg eine extrem breitbandige Mobilfunkkommunikation und

88 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

können nur realisiert werden, wenn sich die Leistungsfähigkeit der Mobilfunk- netze entsprechend steigern lässt. Abbildung 2 zeigt, dass selbst bei Ausnutzung aller bekannten technischen Möglichkeiten schon heute eine Lücke besteht, die durch weitere Innovationen in Zukunft noch sehr viel größer werden wird.

Der Weg aus dem Dilemma: „Small Cells“

Die Größe der Lücke ist selbst bei Ausnutzung aller verfügbaren technischen Kunstgriffe nicht zu schließen. Nach 2G-, 3G- und 4G-Systemen werden heute bis zum Zeitraum 2020+ 5G-Systeme angekündigt. Folgt man dem bisherigen Bildungsgesetz, das in etwa eine Steigerung um eine Größenordnung pro Gene- ration zeigt, wäre eine funktionierende 5. Generation zumindest um den Faktor 10 besser als aktuelle Systeme. Das bedeutet, dass die (theoretischen) Zellkapa- zitäten durchaus in den Bereich 1 GBit/s vorstoßen könnten. Neueste Überle- gungen (Quelle: Ericsson) sprechen sogar von Zielvorstellungen im Bereich von 10 bis 20 Gbit/s. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch, dass alle bis- herigen 5G-Ideen von der Nutzung höherer Frequenzen – mit den entsprechend größeren Ressourcen – ausgehen. Die Effizienz lässt sich nicht mehr steigern. Derartige Frequenzen sind aber für die Übertragung ohne optische Sicht defini- tiv nicht geeignet, also nur in sehr eingeschränktem Maße nutzbar. Man kann sich solche Lösungen zweifellos für Kommunikationssysteme in geschlossenen Räumen vorstellen, in denen die Wahrscheinlichkeit für optische Sicht gegeben ist. Die Probleme der mobilen Kommunikation, insbesondere im urbanen Um- feld, lassen sich damit aber nicht lösen.

Glücklicherweise gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma. Wir haben die Mög- lichkeit der Ausnutzung von Ressourcen, die nicht dem Shannon-Theorem ­widersprechen: die Verwendung kleinerer Funkzellen in dann großer Anzahl. Die entsprechende Ressource ist jetzt primär nicht informationstheoretischer, sondern geometrischer Natur und damit zunächst einmal nicht begrenzt. Die Kapazität in der Fläche lässt sich trotzdem nicht beliebig steigern, da die vie- len Zellen sich ohne weitere Maßnahmen gegenseitig stören würden und mit wachsender Zahl der Störnebel immer größer würde. Shannon kommt also hier sozusagen durch die Hintertür. Man kann allerdings davon ausgehen, dass bei geeigneter Dimensionierung eine natürliche Entkopplung der Kleinzelle von der Großzelle erreicht werden kann. Die Signalqualität wird in diesem Fall nicht durch Interferenzen unzulässig reduziert. Ganz im Gegenteil: Durch die Nähe des mobilen Endgeräts zur (Mini-)Basisstation ergibt sich in der Regel eine hö- here Signalstärke. Summa summarum führt dies zu einer deutlich besseren spek- tralen Effizienz innerhalb einer Kleinzelle. Man kann selbst bei konservativer Betrachtung von einer Verdopplung ausgehen, in vielen Fällen wird es eher mehr

Detecon International GmbH 89 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

sein. Der Prozess verhält sich folglich umgekehrt zu dem in einer großen Zelle. Der mögliche Kapazitätszuwachs­ in der Fläche ist trotzdem enorm und kann mit dem Verkehrswachstum mithalten, wie später noch gezeigt wird.

Es handelt sich hierbei prinzipiell nicht um eine revolutionär neue Erkenntnis. Schon seit einiger Zeit sind WLANs zu einem festen Bestandteil unserer Kommu- nikationswelt geworden. Dieser umfasst eine standardisierte Kleinz­ellentechnik (Zellradien einige 10 m im Normalfall), die strategisch als drahtlose Verlänge- rung eines – privaten – leitungsgebundenen LAN gedacht war. Neueste WLAN- Standards verwenden schätzungsweise die gleichen raffinierten Techniken an der Luftschnittstelle wie Mobilfunkstandards, sind also in ähnlicher Weise an einer technologischen Grenze angelangt. Trotzdem sind die erreichbaren Datenraten bisher dem Mobilfunk immer um einiges voraus gewesen. Das liegt in der Tat an der besseren Zelleffizienz, basierend auf den oben genannten Sachverhalten. Rein theoretisch könnte die Kapazität noch sehr viel besser sein, da WLAN erhebliche Frequenzressourcen zur Verfügung stehen (unlizenzierte Bänder bei 2,4 und 5,8 GHz). Diese werden aber durch sehr ineffiziente Verfahren der Ressourcenkon- trolle wieder aufgebraucht, da es sich bei WLAN um Systeme handelt, die ohne weitere Planung auch im privaten Umfeld betrieben werden können, sogenannte Ad-hoc-Systeme.

Trotzdem hat sich WLAN insbesondere im privaten Umfeld weitgehend durch- gesetzt. Kein modernes Endgerät kann sich heute mehr leisten, WLAN nicht zu unterstützen. Über sogenannte Hotspots hat die Technik auch Einzug in das professionelle Umfeld gehalten. In diesen Anwendungsfällen zeigen sich jedoch schnell die Grenzen. Hotspotnutzer von – häufig freien – WLAN-Netzen berich- ten von sehr eingeschränkten Geschwindigkeiten, mit denen man zwar E-Mails empfangen oder eine Websuche durchführen kann, für Anwendungen mit hoch- auflösenden Videos in YouTube und Co. reicht die Geschwindigkeit aber nicht aus. Trotzdem hat WLAN vorübergehend für einen Offload, eine Entlastung der Mobilfunksysteme, gesorgt. Von wirklich mobilem Breitbandzugang kann man hingegen nicht sprechen, da in der Regel nur ein Datenoffload unterstützt wird. „Richtige“ Mobilfunkeigenschaften wie beispielsweise Handover sind nicht vorhanden. Darüber hinaus sind natürlich datenschutzrechtliche Bedenken in derart offenen Netzen angebracht.

Der Erfolg von WLAN weist allerdings den klaren Weg, wie zukünftige Small- Cell-Lösungen auszusehen haben: Netze mit einer großen Anzahl Kleinzellen, mit entsprechend hoher Effizienz und niedrigen Kosten, die in lizenzierten

90 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

­Frequenzbereichen arbeiten. In diesen hat der Netzbetreiber die volle Kontrolle über Kapazität und Qualität, zum Beispiel Dienstedifferenzierung. Die Tech- nik der Luftschnittstelle ist identisch mit dem Makromobilfunknetz und erlaubt so nahtlose Übergänge zwischen den Zellen. Eine volle funktechnische Durch­ planung ist indes aufgrund der Menge der Zellen nicht möglich. Hier müssen andere Lösungen gefunden werden. Da viele dieser Kleinzellen in geschlos- senen Räumen und über kurze Distanzen arbeiten, ist die Verwendung sehr viel ­höherer Frequenzen mit entsprechend größeren Ressourcen möglich, denn somit steigt die Wahrscheinlichkeit für LOS (Line of Sight). In diesem Zusammenhang ­machen erste Überlegungen für 5G-Systeme durchaus Sinn.

Ein Rechenbeispiel

An einem konkreten Fallbeispiel wollen wir untersuchen, wie Small-Cell- Konzepte das Dilemma zwischen Kapazität und Kosten elegant lösen. Wir ­betrachten hierfür eine vorgegebene Region, das Rhein-Ruhr-Gebiet in Deutsch- land: 17.500 km2, 12.5 Millionen Einwohner, ein Betreiber und 20 Prozent Marktanteil. Für das Mobilfunknetz gelten diese Vorgaben: Zelldichte folgt ­Kapazität, 4 Zelltypen, Rollout 10 Jahre, Kosten: Investition, Betrieb sowie Out- put: Kapazität und Kosten.

Eine Durchplanung dieser Region ergibt das eigentlich logische Resultat, dass sich die Zelldichte an der Verkehrsdichte 1:1 orientieren muss. Bei den verschie- denen Zelltypen unterscheiden wir zwischen zwei Arten von Makrozellen und zwei Arten von Mikrozellen (Small Cells).

Die beiden Typen von Makrozellen sind die bisher beim Rollout von Mobil- funknetzen verwendeten klassischen Zelltypen: große und teure Anlagen mit beträchtlicher zusätzlicher Infrastruktur an speziell ausgesuchten Standorten und urbane Zellen mit leicht reduziertem Aufwand, aber immer noch enormen ­Kosten. Zur Vereinfachung der Betrachtung wollen wir diese Zelltypen als ­„Large Cells“ bezeichnen. Der Gedanke des Zellschrumpfens kann jedoch weiterge- sponnen werden, etwa durch eine nächste Verkleinerungsstufe mit weiter redu- ziertem Aufwand und damit geringeren Kosten. Eine solche Verkleinerungsstufe erfordert allerdings nach wie vor professionelle Installationsarbeiten – man denke zum Beispiel an Kleinzellen auf Laternenmasten. Die letzte Verkleinerungsstufe sind Lösungen, die stark an WLAN erinnern, also kleine, meist innerhalb von Gebäuden angebrachte Stationen, die jetzt in der Aufstellung nicht mehr vom Netzbetreiber kontrolliert werden.

Detecon International GmbH 91 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Bei der Berechnung, wie sich für die einzelnen Lösungen Kapazität und K­ osten über der Zeit verhalten, unterscheiden wir zur Vereinfachung nur zwischen ­„Large Cells“ und „Small Cells“. Zur weiteren Vereinfachung wird angenommen, dass alle Systeme im gleichen Frequenzbereich arbeiten, mögliche Interferenzen wer- den über die Zelleffizienz eingerechnet beziehungsweise wird für Small Cells ein gewisser Vorhalt im Hinblick auf Frequenzwiederverwendung gemacht.

Das Ergebnis fällt eindeutig aus: Während für ein Large-Cell-Konzept die Kapa- zität wegen der niedrigen und begrenzten Effizienz schnell in eine Sättigung geht, die Kosten – insbesondere für den Betrieb – aber weiter monoton steigen, lässt sich ein Small-Cell-Konzept viel besser skalieren, die Kapazität wächst schneller als die Kosten. Dies liegt an zwei Parametern: Wie erwähnt, ist die Zelleffizienz deutlich höher, die Kosten (CAPEX und OPEX) sind um einiges niedriger. Ein Festhalten an Large-Cell-Strategien kann daher für eine gewisse Zeit zwar noch das Kapazitätsproblem lösen, die Kosten sind jedoch überproportional und so- mit nicht vertretbar. Kosten für zusätzliche Frequenzlizenzen finden hier noch gar keine Berücksichtigung. Zusätzliche Reserven sind vorhanden.

Abbildung 3: Kapazitäts-Kosten-Relationen Small Cells und Large Cells

2000 Large Cell Small Cell

1500 1560

1000 962 816

500 258

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Parameter:

1*20 MHz RF Bandbreite 1*10 MHz 2 Bit/s/Hz Zell – Effizienz 4 Bit/s/Hz 3 Anzahl Sektoren 1 Marktwerte 2012 Kapitalkosten 10% von Large Cell Marktwerte 2012 Betriebskosten 10% von Large Cell

= GesamtkostenTotal (Mio. €) = Gesamtkapazität (Gbit/s)

Quelle: Detecon

92 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

Leider kein Selbstläufer: Herausforderungen von Small Cells

So einfach diese Lösung klingt, so komplex und herausfordernd stellt sich eine entsprechende Umsetzung dar. Fast alle altbekannten Ansätze müssen neu durch- dacht oder sogar über Bord geworfen werden! Ein Netzbetreiber muss derartige Paradigmenwechsel deshalb rechtzeitig angehen, ein Abwarten und Hoffen auf eine bedarfsgetriebene Anpassungsstrategie sind nicht zielführend. Wir konzen- trieren uns hier auf die wesentlichen Herausforderungen:

1. Die Musterrechnung zeigt, dass wir es mit erheblichen Steigerungen der Zellanzahl und damit der Netzkomplexität zu tun haben, in erster Näherung um mindestens eine Größenordnung. Die Anwendung konventioneller Roll- outstrategien greift hier nicht mehr. Planungs- und Produktionsprozesse gilt es komplett neu zu überdenken, Netzmanagementsysteme müssen eine wesentlich höhere Zahl von Netzelementen abdecken und Bestandssysteme weitaus mehr Daten bereitstellen können.

2. Vor allem die Netz- und Funknetzplanung erfordert ein vollständiges Um- denken. Ab einer bestimmten Anzahl von Kleinzellen verbietet sich eine detail- lierte Planung. Zum einen wäre dies viel zu kostspielig und zeitraubend, zum anderen sind entsprechende Planungsparameter im Detail überhaupt nicht vor- handen oder nur mit sehr großem Aufwand zu beschaffen. Die Lösung heißt hier Selbstorganisation. Auch das bedeutet eine gewaltige Herausforderung an die IT. Zum einen benötigt man effiziente Algorithmen zur Minimierung der gegenseitigen Interferenz des „Zellhaufens“ und Koordination mit der Makro­ zelle – die angestrebte höhere Effizienz bleibt sonst eine Illusion. Zum anderen ist eine Überwachung der Einzelzellen unabdingbar, um unerwünschten Effek- ten rechtzeitig vorzubeugen. Erste Lösungsansätze in Form von Self-organizing Networks (SON) sind am Markt verfügbar. Das Problem kann durch clevere Frequenzallokationen reduziert werden. Ohne auf die komplexen Details näher einzugehen, sei nur am Rande erwähnt, dass die geschickte Kombination von FDD(Frequency Division Duplex)- und TDD(Time Division Duplex)-Alloka- tionen eine natürliche Entkopplung von Makro- und Mikrozellen erreicht. Die Kontrolle durch komplexe Automaten entfällt. Hier ist ein konzertiertes Vorge- hen von Betreibern, Standardisierungsorganisationen und Regulierern erforder- lich.

3. Die große Anzahl von neuen Funkzellen verlangt in gleichem Maße eine er- höhte Zahl von neuen Verbindungen ins Aggregationsnetz. Dies stellt wohl die größte Herausforderung dar, weil vorhandene Breitbandanschlüsse naturgemäß nicht mit den möglichen Aufstellungsorten von Kleinzellen korreliert sind. Zwei-

Detecon International GmbH 93 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

felsohne wird man versuchen, bestehende Breitbandverbindungen so weit wie möglich zu nutzen. Derart günstige Situationen kommen aber häufig nicht vor. Dies gilt insbesondere für Kleinzellen im urbanen Umfeld im Außenbereich. Im Innenbereich kann man sich eine Netzintegration ähnlich wie bei WLAN vor- stellen.

Die Auswahl an verfügbaren (Backhaul-)Technologien ist groß. Allerdings macht das die Sache nicht einfacher. Es kann hier nicht auf alle Einzelheiten eingegan- gen werden, daher erfolgt hier lediglich eine Aufzählung der Alternativen:

> Glasfaser (FTTx) > Kupferleitungen (xDSL) > Koaxialkabelanlagen > PTP(Point to Point)-Richtfunk (mit und ohne Sichtverbindung) > PMP(Point to Multipoint)-Richtfunk (mit und ohne Sichtverbindung) > FSO(Free Space Optics)-Systeme > Satellitenverbindungen

Jede der Lösungen hat spezifische Vor- und Nachteile, die im Einzelfall gegen­ einander abgewogen werden müssen. Eine weitere Lösungsmöglichkeit besteht darin, die Kleinzellen über die Großzellen zu versorgen (Self-Backhaul). Dies stellt eine durchaus attraktive Variante dar, die im Zugangsbereich keine Ab- hängigkeit vom Festnetz mehr beinhaltet. Ein solcher Weg ist aber nur möglich, wenn ausreichend Funkbandbreite zur Verfügung steht.

4. Die im Rechenbeispiel gezeigten Kapazität-Kosten-Relationen gelten natür- lich nur, wenn die Kosten von Kleinzellen stärker fallen, als ihre Zahl steigt, und zwar inklusive der Kosten für die Netzanbindung. Das erscheint zunächst unrealistisch. Neueste Geräteentwicklungen und Markteinführungen belegen in- des, dass dies in absehbarer Zeit möglich sein wird. Aus den Modellrechnungen ergeben sich dabei Zielwerte, die für die jeweiligen Lösungen anzuwenden sind. Speziell durch Einführung selbstorganisierender Techniken können Betriebs- kosten immens gesenkt werden. Technische Notwendigkeit und kommerzielle Machbarkeit gehen hier also in die gleiche Richtung.

Kleinzellen durchdringen unsere Lebensräume und werden viel eher wahrge- nommen als konventionelle Installationen auf Hausdächern oder Bergrücken. Es gilt daher, in erster Linie auf das optische Erscheinungsbild im urbanen und ­privaten Umfeld zu achten. Optimal ist natürlich, die Backhaulkomponente ­direkt mit zu integrieren. Durch das niedrige Leistungsniveau von Kleinzellen

94 Detecon International GmbH Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunschdenken und Realität

gibt es keine­ technischen Probleme mit elektromagnetischer Umweltverträglich- keit. Eine emotionale Diskussion bleibt abzuwarten.

Für den Netzbetreiber bleibt ein weiteres Problem, insbesondere für Kleinzellen im urbanen Umfeld. Hier entsteht ein enormer Bedarf an zusätzlichen Stand- orten unterhalb der Dachlinie, zum Beispiel Laternenmasten oder Hauswände. Besitzstände und Zugang inklusive Stromversorgung müssen in jedem Einzel- fall geklärt werden und können enorme Hindernisse darstellen. In jedem Fall ­empfehlen sich rechtzeitige Initiativen für Partnerschaften mit den entspre- chenden Institutionen beziehungsweise Privatpersonen.

Will man dem prognostizierten Verkehrszuwachs zukünftiger Mobilfunknetze gerecht werden und dem Nutzer ein wirkliches Breitbanderlebnis bieten, das die versprochene Leistungsfähigkeit aufweist oder sogar übertrifft, führt kein Weg an einer Zellverdichtung vorbei. Nur so lassen sich Tarife halten und neue Kunden gewinnen.

Small-Cell-Lösungen zeigen einen technisch und kommerziell machbaren Weg auf. Der Weg ist allerdings neu und nicht einfach zu bewältigen. Zu überwinden sind eine ganze Menge Hürden. Hierauf müssen sich Netzbetreiber beizeiten vorbereiten und ihre Strategien wie auch Prozesse langfristig anpassen.

Detecon International GmbH 95 Wie SaskTel sich auf die Zukunft vorbereitet

Ein Blick über die europäischen Grenzen hinaus zeigt, dass auch in Nordamerika Unternehmen im Hinblick auf die Telekommunikation von morgen vor besonderen Herausforderungen stehen. Darwin Janz, A.Sc.T., Senior Planner Technology Strategy, und Klaus Ottenbreit P.Eng., A.Sc.T., Senior Strategic Planner, SaskTel, geben Auskunft. Interview

96 Detecon International GmbH Wie SaskTel sich auf die Zukunft vorbereitet

Frage: Was ist das Einzigartige an Ihrem Unternehmen?

D. Janz: Wir sind ein Service Provider, der sich zu 100 Prozent im Besitz der Provinzregierung befindet und den sozialen Auftrag hat, den Bewohnern von Saskatchewan erstklassige Dienste zu liefern. Saskatchewan liegt genau in der Mitte Kanadas, hat über eine Million Einwohner und erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 651.900 km². Somit ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von 1,7 EW/km². Die Hälfte der Bevölkerung lebt jedoch im Einzugsbereich der beiden großen Städte Regina, der Hauptstadt mit 210.556 Einwohnern, und Saskatoon, der größten Stadt mit 260.600 Einwohnern. SaskTel hat sich die zahlreichen neuen Technologien wie FTTP (Fiber to the Premises), LTE (Wire- less Long Term Evolution), VoIP Services (Voice over IP) und IPTV (Internet Protocol Television Services) zunutze gemacht und in das unternehmenseigene Produktportfolio integriert. Wenn es um die Einführung neuer Technologien geht, gilt SaskTel als Vorreiter in der Branche. Wir haben bereits zahlreiche Aus- zeichnungen gewonnen, und laut Mediacorp Canada Inc. zählt SaskTel zu Ka- nadas Top-100-Arbeitgebern und zu den Top-Unternehmen von Saskatchewan.

Frage: Alle reden heute über die Zunahme der Datenübertragungsgeschwindig- keit. Wie denken Sie darüber und welches sind aus Ihrer Sicht die zentralen Treiber?

D. Janz: Wir erleben eine erhebliche Nachfrage und Zunahme in Bezug auf ­Datendienste und stimmen mit den Voraussagen der Branche überein, dass das exponentielle Wachstum sich künftig fortsetzen wird. Wir können sicherlich nicht vorhersagen, wann dieses Wachstum abebben oder einen Sättigungsgrad erreicht haben wird. Es tritt wahrscheinlich dann ein, wenn jeder alles, was er in der digitalen Welt machen muss, auch machen kann. Bis dahin ist auch weiterhin mit einer anhaltenden Nachfrage, ergänzt durch umfangreichere und neue Arten der Nutzung, zu rechnen. Unsere Branche intensiviert die Datennutzung mittels flächendeckender Konnektivität und Verbesserung von Technologien, die eine höhere Bandbreite liefern. Heutzutage empfinden wir es als selbstverständlich, dass wir über leistungsstarke Geräte verfügen und hervorragende Software mit einfachen Benutzeroberflächen verwenden, die uns ein facettenreiches Nutzerer- lebnis ermöglichen. Die Konsequenz daraus ist, dass die Menschen jetzt in einer globalen Community vernetzt sind. Demnächst geht es weiter mit Maschinen. Auch wenn M2M sich noch in der Entwicklung befindet und die individuelle Bandbreite als relativ gering betrachtet wird, gehen wir davon aus, dass die Ver- breitung der vernetzten Geräte sehr hoch sein wird.

Detecon International GmbH 97 Interview

K. Ottenbreit: Sowohl die Datenrate als auch die Datennutzung sind bei Sask- Tel stark angestiegen. Das gilt insbesondere für unsere Funknetze. Seit 2011 ist der Mobildatenkonsum schätzungsweise um das Neunfache angestiegen. Der ­Mobildatenkonsum bezieht sich größtenteils auf Downloads mit einer zehn- fachen Down-to-up-Rate. Der Datenverkehr in den zwei größten städtischen Zentren übersteigt den Datenverkehr im ländlichen Bereich um mehr als das Zweifache mit einem leicht höheren Uplink-Konsum. Ein Großteil des Daten- verkehrs entfällt auf den Videobereich. Der Uplink-Konsum entlang der großen Highways in Saskatchewan fällt minimal aus. Viele Leute laden für die Mitfahrer einen Film herunter und streamen das Video auf den zwei- bis dreistündigen ­Autofahrten zwischen den großen Zentren. Der Uplink-Verkehr wird über­ wiegend den sozialen Medien zugeordnet.

Frage: Glasfaser kann so gut wie alle Nachfragen abdecken. Wie aber sieht die Zukunft der mobilen Kommunikation aus: Kann der Fortschritt in der Funk- technik mit der Nachfrage mithalten oder gelangen wir an Grenzen, die neue Ansätze erfordern?

D. Janz: Ich betrachte Glasfaser und Mobilfunk als ergänzende Möglichkeiten, um die Abdeckung für den Konnektivitäts- und Bandbreitenbedarf zu erreichen. Die mobilen Technologien werden sich weiterhin ausweiten. Dies wird mit ho- hen Kosten verbunden sein und irgendwann an eine Grenze stoßen. Ich nehme an, dass dann mittels menschlicher Erfindungsgabe neue Methoden entdeckt werden. Und wenn neue Methoden zur Überwindung von Grenzen entdeckt werden, wird der Konsum noch schneller steigen. Dieser Trend lässt sich bei be- grenzten Ressourcen in der menschlichen Geschichte immer wieder nachweisen.

K. Ottenbreit: SaskTel nutzt in der gesamten Provinz von Saskatchewan vor- wiegend Glasfaser. All unsere Funkzellen sind über ein Glasfasernetz angebun- den und verfügen somit über die Bandbreite, um sowohl LTE und HSPA als auch diverse Roamingpartner zu unterstützen. Unsere Funkzellen sind so posi- tioniert, dass wir eine maximale Abdeckung für die Kunden in ländlichen und städtischen Regionen gewährleisten können. Die Funktechnologien werden zu- nehmend effizienter­ und nähern sich der theoretischen Shannon-Obergrenze. Die gegenwärtigen Technologien gelangen an die Grenzen der Physik. Sobald ein neuer Ansatz gefunden wird und die physische Umsetzung einer kosteneffi­ zienten Lösung­ möglich ist, erleben wir den nächsten Schub in puncto Bandbrei- tenleistungsfähigkeit.

98 Detecon International GmbH Wie SaskTel sich auf die Zukunft vorbereitet

Frage: Die Strategie der kleinen Funkzellen gilt gemeinhin als vielversprechende Lösung. Wie denken Sie darüber, insbesondere im Hinblick auf Regionen mit dichtem Datenverkehr?

K. Ottenbreit: Bei der Handhabung der Funkkapazität verfolgt SaskTel einen herkömmlichen Ansatz. Der erste und leichteste Schritt bestand darin, zahlreiche Carrier zu den existierenden Makrozellen hinzuzufügen. Damit einher ging eine Antennenoptimierung ohne wesentliche Einbußen in Bezug auf die Reichwei- te. In einem nächsten Schritt haben wir eine Sektorteilung durchgeführt, wobei manche stark ausgelasteten Funkzellen bis zu sechs Sektoren unterstützen. Zu- sätzliche Makrozellen wurden mit der erforderlichen Abschwächung der existie- renden Zellen-Footprints und Reoptimierung hinzugefügt. Mikrozellen, die auf kleineren Sendemasten montiert sind, getarnte Sendemasten und an Straßen- beleuchtungsmasten montierte Mikrozellen wurden zusätzlich zu In-Building- Lösungen unter Verwendung dedizierter Sektoren und DAS (Distributed An- tenna System) genutzt. Diese Lösungen kamen gezielt an Stellen mit dichtem Datenverkehr zum Einsatz. WLAN- und Femtozellen werden als Nächstes unter die Lupe genommen und an den Stellen verwendet, an denen sie wirtschaftlich sinnvoll sind.

Frage: In Ihrem Umfeld liegt Ihr Fokus ebenfalls auf Bereichen mit niedrigen Bevölkerungsdichten. Wie begegnen Sie der Herausforderung bezüglich der Tat- sache, dass Breitband überall verfügbar sein sollte?

D. Janz: Dies bedeutet eine signifikante Herausforderung, die sich nicht nur auf eine „niedrige Bevölkerungsdichte“ beschränkt, sondern auch unseren ge- samten Betrieb betrifft. Die Telekommunikations- oder ICT-Branche, Technolo- gielösungen und kosten sind großformatig ausgerichtet. Doch SaskTel hat einen begrenzten Spielraum und ist mit niedrigen Bevölkerungsdichten konfrontiert. Zusätzlich zu diesen Herausforderungen operiert SaskTel in einem Umfeld, das durch wachsende Konkurrenz traditioneller Anbieter und Internetservices ge- prägt ist, die Funktion und Umsatz neu verteilen. Unsere Fähigkeit, Konnekti- vität und Bandbreite in dünn besiedelten Gebieten verfügbar zu machen, basiert größtenteils auf unserer staatlichen Zugehörigkeit und unserem Sozialauftrag. Die Einwohner von Saskatchewan genießen einen der besten Services in ganz Nordamerika. Insgesamt wird sich SaskTel weiterhin Herausforderungen wie Kosten, Komplexität und dem Schritthalten mit der Technologie bei gleichzeitig wachsendem Wettbewerb gegenübersehen. Das bestätigt und bekräftigt meine­ Annahme, dass wir bessere Möglichkeiten im Hinblick auf Network Functions Virtualization, Cloud, gemeinsam genutzte Netzfunktionen, Partner, neue ­Modelle und vieles mehr entwickeln und umsetzen müssen.

Detecon International GmbH 99 Interview

K. Ottenbreit: Unsere Provinzhauptstadt weist eine Bevölkerungsdichte von ge- rade mal 1.500 EW/km² auf. In einigen Regionen von Saskatchewan beträgt die Einwohnerdichte sogar nur 0,1 EW/km². Wir haben eine Mobilfunkinfrastruk- tur bis in die entlegensten ländlichen Gebiete von Saskatchewan errichtet und einige Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern mit Glasfaserkabel versorgt. Unser Eigentümer, die Provinzregierung, hat uns damit beauftragt, Services in ganz Saskatchewan anzubieten. Unser Mobilfunk-Footprint versorgt annähernd 95 Prozent der Bevölkerung von Saskatchewan. Auch wenn einige Standorte ei- nen positiveren Business Case aufweisen als andere, wünschen unsere Kunden dennoch eine umfangreiche und durchgehende Netzabdeckung, und diesem Wunsch kommen wir nach. In den Bereichen, in denen keine Kupferanschlüsse vorhanden sind, nutzen unsere Kunden USB-Funk-Dongles, um eine Verbin- dung aufbauen zu können. In sehr abgelegenen Regionen nutzen wir Satellit.

Frage: Die Strategien der kleinen Funkzellen erscheinen als elegante Lösung, bringen aber zugleich neue Herausforderungen wie SON, Backhaul, Erwerb von Funkzellen, optische Ausstattung. Welche Erfahrungen haben Sie damit bislang gemacht?

K. Ottenbreit: Circa 20 Prozent unserer Makrozellen generieren 80 Prozent des Datenverkehrs. Zusätzlich werden 90 Prozent des Datenverkehrs indoor gene- riert. Das Klima in Saskatchewan erstreckt sich von minus 40° C bis 35° C und höher. SaskTel nutzt eine kleine Anzahl von Mikrozellen. Bisher konnten wir eine gute Korrelation zwischen LTE- und HSPA-Mikrozellen beobachten. Ins- gesamt erzielt eine einzige Mikrozelle eine Verbesserung von etwa fünf Prozent. Da die Mikrozellen in der Nähe verkehrsreicher Standorte montiert sind, ergibt sich eine erhöhte Netzabdeckung in problematischen Gebäuden, führt allerdings gleichzeitig zu einer signifikanten Reduzierung der erforderlichen Downlink- Leistung während der Hauptbelastungszeiten.

Die Platzierung kleiner Funkzellen bleibt im geschäftlichen Umgang mit ­Regierungsbehörden weiterhin problematisch. Die Bearbeitungszeiten bis zur Erteilung einer Genehmigung können für einige Standorte mehr als 16 Monate dauern. Begrenzte Spectrum Holdings könnten die Nutzung stark ausgelasteter Funkzellen aufgrund der Gleichkanalinterferenz eventuell problematisieren.

D. Janz: Selbstorganisierende Netze (SON) sind in unserem RAN immer noch relativ neu. Je mehr Mikrozellen und In-Building-Lösungen Verwendung fin- den, desto entmutigender wird das Managen von RAN-Parametern, zum Bei-

100 Detecon International GmbH Wie SaskTel sich auf die Zukunft vorbereitet

spiel Nachbarzellenlisten. Es gibt nach wie vor Bedenken, den Zellen die Selbst­ organisation dieser Parameter zu überlassen. Die anfängliche Nutzung von SON wird im „Open Loop“ erfolgen, bei dem Parameter vorgeschlagen und dann von Technikern, die für die Optimierung verantwortlich zeichnen, bewertet werden. Wenn das Vertrauen in die Technologie wächst und mehr Zellen und Mikro­ zellen zum Einsatz kommen, wird das Vertrauen in SON ebenfalls steigen. So- bald SON mit neuen zusätzlichen Merkmalen einen höheren Reifegrad erreicht hat, sind die für die Optimierung zuständigen Techniker gefordert, Lösungen für spezielle Kundenprobleme zu liefern.

Frage: Ein Daten-Offload via WiFi kann zumindest vorübergehend Datenver- kehrsprobleme beheben oder eine Überlastung der Mobilfunknetze vermeiden. Welche Rolle spielt WiFi bei Ihrer Herangehensweise?

K. Ottenbreit: In den Regionen, in denen Mikrozellen aufgrund von Gleich­ kanalinterferenzen nicht genutzt werden können, ist WiFi eine absolute Notwen- digkeit. Die jungen Kunden sind bereits alle mit WiFi aufgewachsen und suchen daher solche Orte auf, in denen WiFi verfügbar ist. Wir haben kürzlich WiFi in einem großen Stadion mit 44.000 Sitzplätzen eingesetzt. Bislang verarbeitet das WiFi-Netz im Stadion etwa 90 bis 100 GBytes pro Fußballspiel. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Datenverkehr das 3GPP-Kernnetz noch nicht überschritten. Andere Nutzungen sind noch in der Schwebe und abhängig von einer ordnungs- gemäßen Business-Case-Analyse.

Saskatchewan Telecommunications Holding Corporation (SaskTel) ist der führende Full- Service-Kommunikationsanbieter in Saskatchewan mit einem Jahresumsatz von 1,2 Milliar- den US-Dollar und mehr als 1,44 Millionen Kundenanschlüssen, davon 607.659 Mobilfunk-, 492.070 Festnetzteilnehmer und 250.068 Teilnehmer für Internet- und D­ atenzugriffsdienste sowie 97.262 Max™ (TV) Subscriber. SaskTel stellt eine große Bandbreite von Kommunika- tionsprodukten und -diensten einschließlich wettbewerbsfähiger Sprach-, Daten-, Internet-, Entertainmentdienste sowie sicherheitsüberwachender Dienste und Messaging-, Mobil-, mo- bile Daten- und Auskunftsdienste zur Verfügung. Darüber hinaus bietet SaskTel Internatio- nal weltweit Softwarelösungen und Projektberatung an. SaskTel und deren hundertprozen- tige Tochtergesellschaften beschäftigen circa 4031 Mitarbeiter in Vollzeit (FTEs).

Detecon International GmbH 101 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Dr. Arnulf Heuermann

> Das starke Wachstum des mobilen Datenverkehrs erfordert einen Kapazitäts- ausbau und treibt die Kosten der Mobilfunknetze nach oben.

> Starker Wettbewerbsdruck, Flatrates und Verlagerung von Wertschöpfung hin zu OTTs verhindern eine parallele Umsatzsteigerung bei den Mobilfunknetzbetreibern.

> Synergien mit dem Festnetz und kostenoptimierter Kleinzellenausbau kann den Margenverfall stoppen.

> Zusätzlich sind Prozessanpassungen, neue Partnerschaftsansätze und innovative Preismodelle nötig, um die langfristige Profitabilität zu bewahren.

102 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Allgegenwärtige Kommunikation ist ein Trend

Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) be- gleitet unser Leben in umfassender Weise. ICT ist nicht nur ein Mittel, um mehr Arbeitsteilung und Mobilität zu schaffen sowie Kosten zu senken. Sie begleitet unsere gesellschaftlichen Veränderungen, indem sie Innovationen ermöglicht und neue Wachstumsperspektiven in fast allen Branchen eröffnet.

Das „Internet der Dinge“ bedingt als Grundlage die flächendeckende Verfügbar- keit von breitbandiger Datenkommunikation für Menschen, Fahrzeuge, Maschi- nen und Konsumprodukte. Die Nutzung von internetbasierten Diensten und Anwendungen erfolgt unabhängig von der Art des genutzten Endgeräts. Die Größe der Geräte bestimmt im Wesentlichen, ob es eher statisch (fest) genutzt wird, zum Beispiel Bildschirme in Besprechungsräumen und Wohnzimmern, oder mobil wie bei Fotoapparaten, Smartphones, Tablet-PCs und Navigations- geräten.

Künftig gibt es sehr viel mehr kommunikationsfähige Geräte als Menschen. Ge- räte und Maschinen werden auch unabhängig vom Menschen kommunizieren – seien es Software-Updates, Pushmails oder Telematikdaten. Die Nutzung durch die Menschen bewegt sich weg vom klassischen Sprachverkehr hin zu video- und bildunterstützter Datenkommunikation. Die lokale Speicherung von Daten nimmt durch Cloud-Virtualisierung zu. Der größte Teil des Datenverkehrs wird auch künftig weitgehend nutzungsunabhängig über Flatrates abgerechnet. In der Konsequenz wird sich der gegenwärtige Trend zum extrem hohen Wachstum des (mobilen) Datenverkehrs auch über das folgende Jahrzehnt kaum abschwächen. Für Deutschland rechnen wir mit dem mindestens 115- bis 150-fachen des ge- genwärtigen mobilen Datenverkehrs bis Ende des nächsten Jahrzehnts und rund vier kommunikationsfähigen Geräten je Einwohner. Zahlreiche Analysten gehen von weit höheren Zahlen aus.

Telekommunikationsmärkte in der Profitabilitätsfalle

In der Anfangsphase des Ausbaus eines Mobilfunknetzes lautet Flächendeckung das Ziel. Dazu werden Antennen mit hoher Sendeleistung auf Türmen platziert, um eine möglichst große Fläche auszuleuchten. Je nach Frequenz und Gelände hat eine solche Zelle bis zu 10 km Radius und ist wegen der Kosten für Grund- stück, Gebäude, Strom- und Notstromanbindung, Kabel- oder Richtfunkverbin- dung sehr teuer. Die einem Nutzer zur Verfügung stehende Datenrate sinkt mit dem Abstand zur Antenne und der Dämpfung beispielsweise durch Gebäude- wände. Sie verringert sich aber insbesondere auch mit der Anzahl der Nutzer in

Detecon International GmbH 103 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

der Zelle, die zeitgleich kommunizieren wollen, sowie deren benötigter Anwen- dungsdatenrate. Erhöhen sich also die Zahl der Nutzer in einer Zelle und deren Verkehr, muss die Anzahl sowohl der Antennen als auch der Zellenstandorte steigen.1 In Ballungsgebieten ist daher der Zellradius wesentlich geringer – in der Regel nur wenige hundert Meter.

Zunehmender Datenverkehr führt folglich zu notwendigen Kapazitätsanpas- sungen, sobald in der Spitzenlastperiode Grenzen überschritten werden. Dies be- deutet steigenden CAPEX und OPEX für die Netzbetreiber. Bei dem prognosti- zierten Mindestverkehrswachstum für Deutschland würde der jährliche CAPEX der deutschen Mobilfunkbetreiber bis 2025 um durchschnittlich 14 Prozent, der OPEX um vier Prozent jährlich steigen, bei unveränderter Netzausbaustrategie.

All das wäre kein Problem, ginge der zunehmende Verkehr auch mit ähnlich zunehmenden Umsätzen einher. Dies ist aber für die Netzbetreiber derzeit nicht zu – die Umsätze im Mobilfunk stagnieren oder sind sogar rückläufig. Steigende Onlineumsätze gehen an die Dienste- und Applikationsanbieter wie Apple, ­Google, eBay oder Amazon. Den Netzbetreibern ist es bisher kaum gelungen, diese Over-the-Top(OTT)-Anbieter an den Kosten wachsender ­Datenvolumina zu beteiligen. Die Preise der Endkunden der Netzbetreiber sind dagegen in ­hohem Maße vom Volumen der genutzten Dienste unabhängig. Im Wettbewerb lassen sich die einmal eingeführten Flatrates, bei denen die Datenpreise zumin- dest bis zur Volumengrenze konstant bleiben, nur schwer beseitigen. Schon die Senkung der Volumengrenzen stößt im Markt auf Widerstand.

Darüber hinaus führen regulierte Preise in Segmenten wie Roaming und Ter- minierung eher zu sinkenden Umsätzen und Gewinnen. Außerdem erodieren umsatz- und gewinnstarke Dienste wie SMS durch OTT-Applikationen wie WhatsApp.

Einbrechende Gewinne im Mobilfunkgeschäft stellen für die Netzbetreiber eine ernsthafte Bedrohung dar. Eine Simulationsrechnung für Deutschland zeigt die Gefahr, dass Carrier schon ab 2016 ihre Abschreibungen nicht mehr verdienen können (EBIT negativ), ab 2022 sogar das operative Geschäft EBITDA negativ ausfallen könnte.

1 Vgl. Petry, Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunsch und Realität, S. 80 ff. in diesem Band.

104 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Strategische Optionen zur Sicherung der Profitabilität

Generell kann ein Mobilfunkunternehmen versuchen, Kostenerhöhungen zu vermeiden, indem das Funknetz effizienter oder der Verkehr in andere Netze ge- leitet wird. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Kompensation durch höhere Umsätze.

Mehr Spektrum und effizientere Technik

Technisch könnte man in den existierenden Netzstrukturen durch Verwendung von mehr Bandbreite und mehr Frequenzbändern mehr Daten zu relativ gerin- gen Zusatzkosten transportieren. Allerdings wird die Endgerätetechnik bei Ver- wendung vieler verschiedener Frequenzbänder komplizierter und damit teurer. Schon heute kommt LTE in sehr vielen unterschiedlichen Frequenzbändern zum Einsatz, die nur teilweise von den Endgeräten genutzt werden können. Spektrum ist eine nicht erneuerbare, daher knappe und teure Ressource, die sich in Staats- besitz befindet. Dies gilt insbesondere für die mobilfunkgeeigneten Bänder im Bereich von 0 bis 4 GHz. Die Zuteilung neuer knapper Frequenzen für Mobil- funkanbieter erfolgt heute in der Regel über ein Auktionsverfahren, bei dem das Investment schnell auf Milliardenhöhe klettern kann.

Abbildung 1: Profitabilitätsentwicklung in Deutschland bei konventionellem Netzausbau

Cloud, M2M Mio. Euro Detecon-Kalkulation Deutschland: Umsatz und Kostenentwicklung der Mobilfunk-Netzbetreiber bei konventionellem Netzausbau 30000 Nutzer- verhalten 25000

20000 Mehr Viel mehr & bessere Daten- 15000 Endgeräte = verkehr 10000 Mehr Sinkende EBIT EBITDA Video 5000 Margen negativ negativ Inhalte 0 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 Flat- rates = Umsätze = OPEX = OPEX + Abschreibungen

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 105 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Natürlich hat man den Bedarf an zusätzlichem Spektrum für mobile Kommuni- kation erkannt und wird auf weltweiter Ebene von der ITU, regional von der EU und national durch die Regulierungsbehörden vorangetrieben. Die Europäische Kommission plant, bis 2016 neues Spektrum mit einer Bandbreite von 1500 MHz für mobile Kommunikationsanwendungen zu öffnen oder umzuwidmen, die GSMA fordert gar 1945 MHz. Die Deutsche Bundesnetzagentur will 2016 das existierende Mobilfunkspektrum technologieneutral neu verteilen und 140 MHz neues Spektrum im 700-MHz- und 1,5-GHz-Band bereitzustellen. Bis 2026 könnten darüber hinaus fast 1000 MHz zusätzlich verfügbar gemacht wer- den.

Allerdings werden viele der infrage kommenden Frequenzbereiche derzeit noch von Militär, Rundfunk und Fernsehen oder anderen öffentlichen und privaten Nutzern benötigt. Eine „Räumung“ dieser Spektralbereiche ist für diese Nut- zer mit erheblichen technischen Anpassungen verbunden, die kosten- und vor allem zeitintensiv sind. Es bestehen berechtigte Zweifel an der Größenordnung des umwidmungsfähigen Spektrums, der zeitliche Vorlauf wird zudem durch den hohen internationalen Abstimmungsbedarf verschärft. Eine mögliche Folge ­hieraus könnte darin bestehen, dass zusätzliches Spektrum langsamer zur Verfü- gung steht, als der steigende Verkehr dies erfordert.

Umso bedeutsamer wird die Möglichkeit, das bestehende Spektrum effizienter zu nutzen. Neue Technologien wie 4G und 5G können die Frequenznutzung optimieren. Die Meinung, eine effizientere Technik löse an der Luftschnittstelle alle Probleme, ist weit verbreitet. Am realistischsten erscheint die geplante „tech- nologieneutrale“ Vergabe der Frequenzen, die früher nur für GSM oder UMTS freigegeben waren. Neue Standards sind nicht an eine bestimmte Frequenz ge- bunden und mit LTE wie auch mit LTE-A können „alte“ Frequenzbänder für sehr viel mehr Datenvolumen genutzt werden.

Allerdings lässt sich die Datenrate auch mit den modernsten Techniken nur bis zu einer physikalisch absoluten Grenze erhöhen, die durch das Shannon’sche Ge- setz definiert wird. In der Praxis beschränken die Dämpfung in Gebäuden, der Abstand zur Funkzelle und die Interferenz mit anderen Zellen die Datenraten, sodass sich für LTE nur ein Wert von ungefähr 2 bit/s je Hz erreichen lässt (out- door). Bei 10 MHz Bandbreite in einer Zelle sind also Downloadgeschwindig- keiten von etwa 20 Mbps durchschnittlich erreichbar. Selbst wenn modernste 5G- oder 6G-Techniken die Verdopplung dieser Datenraten möglich machen sollten, wird die Nachfrage nach Datenraten voraussichtlich schneller steigen als die Nutzungseffizienz.

106 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Größere Geschwindigkeiten lassen sich auch realisieren, wenn beim Frequenz- Refarming größere Spektrumlose insbesondere für den ländlichen Raum be- reitgestellt werden. Gängige Praxis bei Spektrumauktionen ist es, verschiedenen Anbietern nur Lose von maximal 10 MHz in einem bestimmten Band zur Verfü- gung zu stellen. Damit wären jedoch die Breitbandziele der EU – flächendeckend 30 Mbps für jedermann – kaum erreichbar. Deshalb gibt es bereits erste Länder, welche die gesamte Bandbreite beispielsweise im 800er- oder 700er-Band nur einem Bieter versteigern wollen, der dann als Monopolist eine Verpflichtung hat, allen anderen Anbietern High-Speed-Kapazität auf Wholesale-Basis zugänglich zu machen. Aufgrund der Ineffizienzen, die typischerweise mit Monopolen ein- hergehen, besteht hier noch große Uneinigkeit bei Politikern, Ökonomen und Regulierern.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass mehr und effizienter genutztes Spektrum den Druck auf Mobilfunkunternehmen im Hinblick auf die Ausbau- notwendigkeit verringert. Ein solcher Ausbau kann aber ohne neue Infrastruktur weder den Verkehrsanstieg vollständig bewältigen noch den Profitabilitätsverfall stoppen. Die Lücke muss anders gefüllt werden.

WLAN-Offloading, heterogene Netze und Small Cells

Theoretisch könnte die zusätzliche Kapazität bereitgestellt werden, indem man einfach mehr der heutigen Makrozellen baut. Allerdings wäre das aus verschie- denen Gründen ineffizient: Die Kapazitäten steigen aufgrund von Interferenz nur noch unterproportional, die Kosten allerdings proportional. Ergänzt man dage- gen die Großzellen mit vielen kleinen, reduziert sich die Distanz zum N­ utzer mit dem Vorteil effizienter Nutzung des Funksignals, möglicher höherer­ Datenraten, verbesserter Batterielaufzeiten und weniger Strahlungsstärke, der die Menschen ausgesetzt sind.

Schon heute könnten die Makrozellennetze der Mobilfunkanbieter den mit mo- bilen Endgeräten abgewickelten Datenverkehr nicht mehr bewältigen, würden die Nutzer den Verkehr nicht ohnehin über WLAN direkt in Festnetze ableiten. In Deutschland werden circa 75 Prozent des mobilen Datenverkehrs zu Hause oder im Büro abgewickelt, wo oftmals sowohl Mobilfunk als auch WLAN zur Verfügung stehen. Viele moderne Smartphones und Tablets schalten bereits au- tomatisch auf WLAN um.

Physikalisch ist ein WLAN nahezu identisch mit einer Femtozelle, also einer Mobilfunkkleinzelle – Small Cells –, die üblicherweise im Gebäude mit einer

Detecon International GmbH 107 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

privaten breitbandigen Internetanbindung installiert wird. WLANs nutzen ­allerdings ein nicht lizenziertes kostenloses Spektrum und sind nicht in der Lage, ­einen mobilen Nutzer von einer Zelle in die nächste weiterzuleiten. Daher wer- den WLANs und öffentliche WLAN-Hotspots typischerweise zum Festnetz ge- rechnet. Die Handover-Fähigkeit ist allerdings kein prinzipielles Problem: Künf- tige Techniken gehen bereits von einer Konvergenz von WLAN und Mobilfunk in diesem Punkt aus.

Im Vergleich zu den etwa 80.000 Mobilfunkzellen in Deutschland gibt es be- reits heute mehrere Millionen WLAN-Zellen. Dennoch erweist sich auch das WLAN-Spektrum als überaus begrenzt. Viele kennen bereits das „Flughafen- loungeproblem“: Aufgrund der zahlreichen Nutzer in der Zelle kann zwar das WLAN vom Endgerät mit voller Leistung empfangen werden, dennoch ist kein Internetzugang möglich.

Künftige Mobilfunknetze werden diesbezüglich also Kleinzellen in anderen Spek- tralbereichen ergänzen müssen. Physikalisch werden ein festes Anschlussnetz und ein mobiles nicht mehr unterscheidbar sein. Die mehrheitlich indoor, gegebe- nenfalls aber auch an Laternenmasten, auf Kabelverteilern oder Hauswänden montierten Antennen leiten den Verkehr in einer Kleinzelle unmittelbar über Kupfer, Glasfaser oder Richtfunk ins Internet. Gegenwärtig noch existierende Unterscheidungen zwischen mobilem und festem Anschlussnetz gehören dann der Vergangenheit an. Konvergente Netze, in denen der Nutzer ein und dieselbe Anwendung über diverse Endgeräte und Medien fest oder mobil nutzen kann, stehen unter dem Namen „Heterogeneous Networks (HetNets)“ in der Diskus- sion.

Simulationsrechnungen zeigen, dass Small-Cell-Netze perfekt skalierbar sind, anders als Makrozellennetze weniger Interferenzprobleme haben und der künfti- gen Datennachfrage perfekt angepasst werden können. Allerdings benötigt man ein Vielfaches – in unserer Simulation 20X – der aktuellen Makrozellen, womit die Kosten des Zugangs und Aggregationsnetzes extrem relevant werden. Makro- zellen sind im Wesentlichen nur noch im ländlichen Raum erforderlich.

Unter bestimmten Annahmen an die Kosten, zum Beispiel Massenproduktion wie bei WLAN, selbstorganisierende Konfiguration, erhebliche Spektrumeffizi- enzgewinne, sind die Kleinzelleneinsparungen so groß, dass die drohende Ein- buße der Mobilfunkbetreiber allein durch diese neue Netzstrategie verhindert werden kann.

108 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Synergien zwischen Kleinzelle und Glasfaserausbau

Wir schätzen, dass die Nachfrage nach Kleinzellen in der Spitzenperiode auf über 30 Mbps pro Zelle in Deutschland steigen wird. Wie erwähnt, werden die ­Kosten für die Funkzellenanbindung (Aggregationsnetz) bei wachsender Zellenanzahl äußerst relevant. Private und öffentliche WLANs werden typischerweise über xDSL mit dem Kernnetz verbunden. Leider lassen sich die künftig sehr hohen Datenraten mit einer Anbindung von einmal für Telefonie gebauten Kupfernet- zen (xDSL) in der Praxis kaum bewältigen. Richtfunkverbindungen können die Geschwindigkeiten zwar mühelos erreichen, benötigen aber Sichtstrecken von Antenne zu Antenne und sind daher in Städten schwer zu installieren. „Non- Line-of-Sight“-Techniken können zukünftig Abhilfe schaffen. Eine weitere idea- le Anbindung wären Glasfasernetze, die verschiedene Anbieter zurzeit in vielen Verdichtungsräumen ausrollen. Es ist offensichtlich, dass dies wesentliche Syner- gien zwischen Festnetz und Mobilfunknetz eröffnen kann.

Wenn das Small-Cell-Netz mit Glasfasern angebunden wird, können weniger Kleinzellen diese Datennachfrage bewältigen, als wenn die Zellen mit xDSL an- gebunden werden. Damit können Netzbetreiber OPEX und CAPEX für zusätz- liche Mikrozellen einsparen.

Auch umgekehrt kann die Versorgung von rund zwei Millionen Kleinzellen in Mehrfamilienhäusern den FTTH-Ausbau mitfinanzieren. Liegt in einer Straße oder einem Haus aufgrund des mobilen Datenbedarfs erst einmal ein Glasfaser- kabel, ermöglicht das den Anschluss neuer Wohneinheiten zu vergleichsweise geringen Zusatzkosten.

Um derartige Synergien zu heben, sind allerdings eine integrierte Planung und ein abgestimmter Rollout für künftige HetNets erforderlich. So etwas werden typischerweise nur integrierte Netzbetreiber leisten können, die Dienste fest und mobil anbieten. Für sie verläuft der Profitabilitätsverfall weniger dramatisch.

Höhere Umsätze mit Small-Cell-Netzen

Höhere Umsätze können Netzbetreiber generieren, indem sie entweder Preis­ systeme einführen, bei denen Endkunden für höhere genutzte Datenmengen auch mehr bezahlen, eigenen Endkunden Dienste und Anwendungen so profi­ tabel verkaufen, dass die Zusatzkosten der steigenden Datenmengen kompensiert werden, oder die Kosten für den Netzausbau auf Dienste- und Anwendungs­ provider, die ihre Kunden über den Netzbetreiber erreichen, abwälzen.

Detecon International GmbH 109 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

In der Praxis wird man alle drei Wege einschlagen müssen, allerdings mit unter- schiedlich starken Auswirkungen.

Die Vermeidung der Flatratefalle stellt derzeit im Markt eines der größten Pro- bleme dar. Die Endkunden, welche in der Regel vor dem Start vieler Anwen- dungen keinen Überblick über die benötigte Datenrate und Datenmenge haben, lehnen simple lineare Volumentarife ab. Daher ist es bisher nicht gelungen, im Wettbewerb von MNOs und MVNOs Flatrates ganz abzuschaffen. Allerdings gibt es sowohl auf der Retail- als auch Wholesaleseite eine Reihe von Ideen, wie die Netzbetreiber ihre Umsätze mit steigendem Volumen erhöhen können.

Retail Preismodelle:2

> Eine schon heute verstärkt genutzte Option ist die Volumenbeschränkung mit Nachkaufoption: Dem Nutzer wird nach Überschreiten einer „flat“ bezahl- ten Datenmenge die Geschwindigkeit gedrosselt, bis er für eine Geschwindig- keitserhöhung erneut bezahlt.

> Wie im Festnetz kann auch eine mobile Geschwindigkeitsdifferenzierung vor- genommen werden: Der Nutzer bezahlt je nach gewählter Datenrate eine andere Flatrate.

> Eine weitere Option bietet die Nutzerdifferenzierung. Priorisierte „VIP“- Nutzer mit einem höheren Tarif können in jeder Kleinzelle eine garantierte Min- destgeschwindigkeit nutzen, während Kunden mit günstigeren Tarifen nur die resultierende „Best-Effort“-Geschwindigkeit bekommen.

> Exzessive Investitionen in Funkzellen kann man reduzieren, indem eine Me- diendifferenzierung je nach Belastung der Funkzelle vorgenommen wird. Dabei erfolgt eine Anpassung der Dienstequalität je nach Netzzustand und Nutzerpro- fil. Zum Beispiel kann ein HD-Video bei Überlastung dem normalen Videostan- dard angepasst werden.

> In künftigen Small-Cell-Netzen können verschiedene Dienste qualitativ dif- ferenziert werden. Standard-„Best-Effort“-Dienste können im Flat-Paket enthal- ten sein, doch der Nutzer muss Premiumdienste wie HD Voice, Video, mobile TV und anderes extra bezahlen.

2 Vgl. Aumann, Marketing und Sales: Total Turnaround, S. 234 ff. in diesem Band.

110 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Wholesalepreis-Modelle:3

> Generell ist eine Partnerdifferenzierung als Wholesalepreismodell denkbar. Priorisierte Dienste von Anbietern können mit höherer Zahlungsbereitschaft zu garantierter Qualität geroutet werden, andere nur mit „Best Effort“.

> Wenig genutzt wird bisher die Möglichkeit, mit Einwilligung der Kunden marktrelevante Daten an OTT-Player zu verkaufen.

Ein Großteil dieser Ideen muss den geltenden Regulierungsanforderungen an Netzneutralität, Nichtdiskriminierung, Kostenorientierung und Datenschutz angepasst werden. Zwischen Differenzierung und Diskriminierung liegt oftmals ein schmaler Grat, der definitiv die Möglichkeiten zu Umsatzerhöhungen im Bereich mobiler Datenkommunikation einschränkt.

Bei den Simulationsrechnungen über den Einfluss der Umsatzsteigerungen auf die Gewinne deutscher Mobilfunkbetreiber waren wir besonders konservativ. Die folgende Grafik zeigt den kumulierten Einfluss von Small-Cell-Netzstrate- gien, WLAN-Offloading, Glasfaseranbindung der Kleinzellen und Umsatzstei- gerungen durch innovative Preismodelle. Beim „Small Cell Base Case“ wurde für Deutschland unterstellt, dass der künftige Verkehr ausschließlich durch Ka- pazitätserweiterung von über zwei Millionen Kleinzellen bewältigt wird. Dies verhindert ein Abgleiten in die Verlustzone bis 2025.

Die verstärkte Anbindung der Kleinzellen mit Glasfaser statt DSL kann deren Anzahl signifikant verringern. Werden die Glasfaserkosten für Kleinzellen mit den privaten Nutzern von Glasfaseranschlüssen geteilt, ergibt sich eine erheb- liche Verbesserung der EBIT-Margen. Die Umsatzsteigerungen durch private Glasfasernutzer sind noch nicht einbezogen.

Ein WiFi-Offloading von 13 Prozent des gesamten Verkehrs würde die Mar- ge weiter erhöhen, ebenso wie die Einführung innovativer Tarife. Sensitivitäts- analysen bezüglich des ARPU, der Kosten pro Glasfaseranschluss oder höherer ­WiFi-Offloadinganteile können die EBIT-Marge sogar auf über 20 Prozent he- ben. Die Profitabilität der Mobilfunknetze kann durch diese Maßnahmen gesi- chert werden.

3 Vgl. Steingröver/Nielinger, Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen, S. 178 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 111 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Implementierungsschritte für Mobilfunknetzbetreiber

Für die Mobilfunknetzbetreiber ergeben sich aus diesen Zukunftstrends überle- benswichtige Herausforderungen bei der Umsetzung einer neuen Strategie, die einige Vorlaufzeit benötigt.

Prognosefähigkeit

Der Anspruch an die Verkehrsprognosen steigt: Sie müssen künftig sehr viel ge- nauer und differenzierter Daten liefern.4 Im Prinzip erfordert die exakte Planung eines Mikrozellen-Rollouts, dass der Netzbetreiber auf Straßen- und Gebäudeni- veau vorhersagen kann, welche Verkehrsmengen zu bewältigen sind. Top-Down- Ansätze müssen daher durch ein regionales und lokales Geomarketing ergänzt werden. Da dies zunehmend auch die Vorhersage des Verhaltens von Einzelkun- den betrifft, muss hier die „Big-Data“-Infrastruktur aufgebaut und ein wasser- dichter Datenschutz von Beginn an in die Planung einbezogen werden.

Netzstrategie, WLAN-Integration und Partnerschaftsansätze

Eine bei vielen Netzbetreibern nicht gelöste Herausforderung besteht in der Inte- gration der privaten und öffentlichen WLANs in die künftigen Kleinzellennetze.

Abbildung 2: Simulation eines Business Case

Mio. Euro EBIT Simulation Deutscher Mobilfunknetze 7000

6000 = Small Cell Base Case 5000 = Kombinierter Small Cell und GF Ausbau = Zusätzlich verstärktes WiFi offloading 4000 = Preisliche Maßnahmen

3000

2000 = 11% Marge = 10% Marge = 8% Marge 1000

0 = -1% Marge 2015 2020 2025 -1000

Quelle: Detecon

112 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Dies wird insbesondere dadurch erschwert, dass der WLAN-Markt von einer Vielzahl kleiner und kleinster Unternehmen geprägt ist, die im unregulierten Spektrum lokal agieren. Eine Koordination der Small-Cell-Mobilfunkwelt mit den existierenden und geplanten WLANs ist aber notwendig, gegebenenfalls auch eine technische Integration der Standards und Systeme.

In den saturierten Märkten der Zukunft stellt Kosteneffizienz einen wesentlichen Treiber jeder Strategie dar. Dazu gehört auch, dass Wettbewerbsvorteile nicht durch unnötige Dopplung von teurer Infrastruktur erreicht werden können, son- dern eher durch Dienste- und Anwendungsdifferenzierung, Preise, Leistung und Kundendienst. Die Funknetzbetreiber müssen sich frühzeitig für eine Strategie entscheiden, bei der sie im künftig besonders kostenintensiven Zugangs- und Konzentrationsnetz Kapazitätsanbieter sein wollen – oder diesen Teil der Wert- schöpfungskette zukaufen.5

Partnerschaftsansätze und integrierte Planung sind auch notwendig, um die Sy- nergien zwischen den Mikrozellennetzen und dem Glasfaserausbau in den Bal- lungszentren zu heben.

Auch der im Vergleich zum Großzellennetz erheblich umfangreichere Standort- bedarf wird effizient nur durch verstärkte Partnerschaften zu bewältigen sein. Dies betrifft weniger die mittlerweile in Europa übliche gemeinsame Nutzung von Antennenstandorten der Mobilfunker, sondern Kooperationen mit städ- tischen Versorgungsunternehmen, Wohnungsgesellschaften und ähnlichen Insti- tutionen.

Endgeräte

Neben den Zugangs- und Aggregationsnetzen spielen darüber hinaus Abstim- mungen mit den Endgeräteherstellern eine maßgebliche Rolle für den Erfolg von Small-Cell-Netzen. In Small-Cell-Netzen wird der Handover von einer Zelle in die nächste von der Ausnahme zum Regelfall. Endgeräte werden wesentlich komplexere Algorithmen für die Auswahl von WLAN oder Mobilfunkzellen be- nötigen als bisher. Bei einer Autofahrt durch die Stadt sollte sich beispielsweise geschwindigkeitsabhängig das Endgerät in eine Makrozelle einbuchen und nicht in die vielen zur Verfügung stehenden „stärkeren“ Kleinzellen. Je nach Betriebs- system sind hier auch noch grundsätzliche Überlegungen bezüglich einer Ein- griffsmöglichkeit der Netzbetreiber in die Gerätesoftware zu klären.

4 Vgl. Fritzsche/Schweigel/Rhong, Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft, S. 116 ff. in diesem Band. 5 Vgl. Steingröver/Nielinger, Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen, S. 178 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 113 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Spektrum und Regulierung

In den kommenden Jahren wird in Europa der größte Teil des Mobilfunkspek- trums neu verteilt und beträchtlich erweitert. In Deutschland etwa laufen 2016 alle vorhandenen Mobilfunklizenzen mit den ihnen zugewiesenen Frequenzen aus und werden in einer Auktion neu verteilt. Gleichzeitig sollen auch Teile des bisher im Wesentlichen für Rundfunk genutzten 700-MHz-Bands untergebracht werden. Planungen zur Ausweitung des Mobilfunkspektrums oberhalb von 2500 MHz laufen bereits. Während die hohen Frequenzen aufgrund des kleinen Zell- radius in erster Linie für Ballungszentren und damit Kleinzellen sinnvoll sind, können die niedrigen Frequenzen die Makrozellen im ländlichen Raum kosten- günstig ergänzen.

Im ländlichen Raum werden Funknetze auf mittlere Sicht die einzige Infrastruk- tur sein, auf der hochbreitbandige Kommunikation angeboten werden kann, da Koaxial- und Glasfasernetze hier nicht existieren und es zudem nicht möglich ist, diese rentabel auszubauen. Daher trägt der Regulierer hier eine besondere Verantwortung, die Frequenzen in einer Weise einzusetzen, die sehr hohe Daten- raten ermöglicht. Leider ist die derzeitige Planung in Deutschland auch für den 700-MHz-Bereich so, dass für alle Netzbetreiber Frequenzblöcke mit 10 MHz Breite versteigert werden sollen. Kleine Frequenzblöcke begrenzen jedoch die erreichbaren Datenraten oder verteuern die Konstruktion von Endgeräten, die darauf ausgerichtet sind, gleichzeitig verschiedene Frequenzspektren nutzen zu können. Deshalb sollte überlegt werden, ob nicht das gesamte 700er-Spektrum an einen Betreiber versteigert wird, der dann zu einem regulierten Wholesale- Angebot an alle anderen Diensteanbieter verpflichtet ist.

Eine weitere Möglichkeit beinhaltet außerdem, Spektrum-Handel zwischen den Netzbetreibern zum Zweck eines höheren Datenratenangebots im ländlichen Raum zuzulassen.

Technikkonzepte und Prozesse

Small-Cell-Netze können die drohenden Gewinneinbrüche bei den Mobilnetz- betreibern nur dann verhindern, wenn das mit ihnen verbundene OPEX- und CAPEX-Senkungspotenzial auch voll genutzt wird. Dies erfordert eine erheb- liche Anpassung derzeitiger Prozesse und Beschaffungsverfahren.

114 Detecon International GmbH Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel

Um CAPEX zu sparen, müssen die Beschaffungskosten künftiger Small-Cell- Router durch konsequente Standardisierung, Massenproduktion und Vereinheit- lichung von LTE und WLAN-Technik in die gleiche Größenordnung gebracht werden wie heutige WLAN-Boxen. Die Industrie ist hier schon auf einem guten Weg.

Wesentliche OPEX-Einsparungen können durch selbstorganisierende Netz- strukturen sowie Verlagerung von Kosten für Stromversorgung, Einrichtung und Wartung auf die Nutzer erzielt werden.

Preisdifferenzierung und Regulierung

Viele der oben beschriebenen Möglichkeiten, den Umsatz der Netzbetreiber an die Entwicklung der steigenden Verkehrsmengen zu koppeln, bergen einen Grau- bereich zu den Anforderungen an Netzneutralität, Datenschutz und Nichtdiskri- minierung. Die Diskussion über diese Themen findet in der Presse gegenwärtig allerdings überwiegend vor dem Hintergrund offensichtlicher Missbrauchsfälle oder kriminellen Verhaltens statt.

Darüber hinaus ist es für Mobilfunknetzbetreiber wichtig, vorausschauend mit den Regulierungsbehörden zu diskutieren, wo exakt die Grenze zwischen sinn- voller effizienter Preisdifferenzierung und verbotener Diskriminierung verläuft. Hierzu bietet sich gegebenenfalls ein branchenübergreifender runder Tisch an, bevor Regulierer und Gerichte auf dem Verordnungs- und Verbotsweg den Markt gestalten.

Detecon International GmbH 115 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

Lutz Fritzsche, Dr. Mathias Schweigel, Dr. Rong Zhao

> Die erzielbaren Preise pro übertragenem Bit stagnieren oder sinken. Endanwender spüren dies über Flatrate-Modelle, die für einen Grundbetrag eine zeitlich unbegrenzte Nutzung des Telekommunikationsnetzes erlauben.

> Netzbetreiber stehen vor der Herausforderung, die Kosten für Planung, Aufbau und Betrieb der not- wendigen Kommunikationsinfrastruktur anzupassen.

> Die notwendige Kostensenkung können Betreiber nur durch konsequente Ausnutzung aller Kostenein- sparungspotenziale und durch punktgenauen effizienten Netzausbau erreichen.

> Eine potenzialorientierte und umfassend integrierte Planung ist die notwendige Vorrausetzung hierfür.

116 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

Zielbild einer künftigen Netzinfrastruktur

OTT, 3D-HDTV oder HD Video-Konferenz und andere Breitbanddienste sind bereits verfügbar oder stehen kurz vor der Markteinführung. Der Lebenszyklus eines neuen Dienstes oder einer Technologie von der Entwicklung bis hin zur Implementierung wird immer kürzer. Neue Anforderungen an die Netzinfra- struktur tauchen in immer kürzeren Intervallen auf. Die Anwendung des Cloud Computings ist mittlerweile in vielen Ländern intensiv getestet und vom Marke- ting und Endkunden als äußerst interessante Alternative zu aktuellen Datenhal- tungskonzepten identifiziert worden. Mehr und mehr private und geschäftliche Daten werden im Internet hinterlegt. Nach letzten Schätzungen wird der Anteil am gesamten Verkehr zu Data Centern, die sich in der Cloud befinden, bis 2017 auf 69 Prozent wachsen.1

Im Jahr 1984 stellte Nielsen in „Nielsen‘s Law of Internet Bandwidth“ eine ­Prognose vor, wonach sich die Internetbandbreite alle zwei Jahre verdoppeln sollte.2 Dies wurde mit wenigen Abweichungen bestätigt: Die Bandbreite je Kun- de stieg von 1983 bis heute von zirka 120 bit/s bis zu 100 Mbit/s an. Vergleich- bar dazu ist auch der Internetverkehr dramatisch mit einer schnell zunehmenden Kundenanzahl angestiegen.

Die Europäische Kommission veröffentlichte vor einiger Zeit die Digitale Agen- da.3 Deren Hauptziel ist es, einen nachhaltigen wirtschaftlichen und gesellschaft- lichen Nutzen aus einem digitalen Binnenmarkt auf der Grundlage eines Hoch- geschwindigkeits-Internets und interoperabler Anwendungen zu ziehen. Unter anderem sollen die Zielsetzungen „Schnelle Breitbandversorgung aller EU-Bür- ger mit 30 Mbit/s oder mehr bis 2020“ und „Ultraschnelle Breitbandversorgung bis 2020 von 50 Prozent der europäischen Haushalte mit 100 Mbit/s“ mit den Maßnahmen im Telekommunikationsbereich erreicht werden.4

Für die Endkunden ist es wichtig, dass sie mit den gekauften Diensten oder der bereitgestellten Bandbreite zufrieden sind, unabhängig davon, wie die technische Realisierung über einen Festnetz- oder Mobilfunkanschluss erfolgt.

Der Breitbandausbau ist aufgrund seines wirtschaftlichen Einflusses vonnationaler ­ Bedeutung, was zu Initiativen auf staatlicher Ebene führt. Für Deutschland gibt

1 Global Cloud Index, Forecast and Methodology, 2012–2017, White Paper, Cisco, 2013. 2 http://www.nngroup.com/articles/law-of-bandwidth. 3 European Commission, A Digital Agenda for Europe, COM(2010) 245, Brussels, May 19, 2010. 4 Bundeskanzleramt Österreich, http://www.bka.gv.at/site/4295/default.aspx.

Detecon International GmbH 117 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

die Bundesnetzagentur in ihrer Breitbandstrategie an, dass die oben genannten Ziele „…durch einen Technologiemix und im Wettbewerb“ erreicht werden.5 Gleichzeitig war die Nutzung von Synergien zwischen verschiedenen Infrastruk- turinhabern eine wichtige Anforderung für die Breitbandstrategie.

Weiterhin ist zu beobachten, dass die Einnahmen der Netzbetreiber stagnieren. Dafür sorgt einerseits die Sättigung des Marktes. Zusätzlich bewirkt die Umstel- lung auf Flatrate-Modelle eine Begrenzung der Einnahmen. Die Erschließung neuer Kunden kann diese Situation auflösen. Beispielsweise ist denkbar, dass die M2M-Kommunikation neue „Kundengruppen“ schafft. Da diese aber nicht auf Schlaf- und Ruhephasen angewiesen sind, wird dies auch die Verkehrsströme und Lastverhältnisse nachhaltig verändern. Ob damit eine Erhöhung des Preises pro Bit, als Maß der beanspruchten Netzressourcen, erzielbar ist, erscheint mehr als fraglich.

Die verschiedenen Zielrichtungen, die sich im Hinblick auf zukünftige Netz­ architekturen beobachten lassen, sind die Konvergenz der verschiedenen Netz­ ebenen, die Konvergenz von Fest- und Mobilfunknetz, die Konvergenz der IT und Netztechnologien und die Konvergenz der statischen und dynamischen Architektur-Paradigmen.

Das Zusammenwachsen von Fest- und Mobilfunknetz wird von vielen Netzbe- treibern aktuell als Hauptaufgabe sowohl in der Netzplanung als auch für die Im- plementierung betrachtet. Eine vereinfachte Netzarchitektur,6 Netze mit hoher Kapazität,7 eine gesicherte Dienstqualität und die Kombination von Angeboten aus dem Festnetz- und Mobilfunkbereich schaffen wesentliche Voraussetzungen, den Kunden zufrieden zu stellen. Einerseits stellt sich die Frage, wie die Betrei- ber zukünftig Netze planen und ausbauen sollten, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Andererseits stehen auch zukünftig die Netzbetreiber unter einem ­enormen Wettbewerbsdruck, so dass die Aufgaben mit einem gedeckelten ­Budget gestemmt werden müssen.

Herausforderungen der Planung

Die Planung von Telekommunikationsnetzen dient der Verwaltung und Erwei- terung zur Verfügung stehender Netzressourcen wie Übertragungskapazitäten unter Einhaltung von Kosten und Leistungskenngrößen sowie Zuverlässigkeits- grenzwerten. In Bezug auf zukünftige Telekommunikationsnetze wird sich diese

5 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), www.bmwi.de 6 Vgl. Schnitter/Bornhauser, Zukünftige Netzarchitekturen, S. 34 ff.; Gonsa/Chrestin/Reith, Virtualisierung transformiert die Telekommunikationsindustrie, S. 58 ff. in diesem Band. 7 Vgl. Petry, Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunsch und Realität, S. 80 ff. in diesem Band.

118 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

grundlegende Zielstellung wenig ändern. Die Herausforderungen bei der Pla- nung zukünftiger Netze liegen vielmehr in veränderten Randbedingungen bei der Umsetzung.

Telekommunikationsnetze bestehen in der Regel aus verschiedenen Teilnetzen wie Signalisierungs- und Transportnetzen, wobei letztere leitungs- oder paketver- mittelt arbeiten können. Die Unterscheidung in Fest- und Mobilfunknetz ist ein weiteres Beispiel. Diese Trennung diente einerseits der Reduktion der Kom- plexität, indem die Teilnetze separat voneinander geplant und betrieben wurden. Andererseits war und ist diese Trennung historisch bedingt, indem bestimmte Technologien erst später zur Verfügung standen und zu einer existierenden In- frastruktur hinzugefügt wurden. Die damit einhergehenden unterschiedlichen ­Systeme zum Betrieb der verschiedenen Teilnetze sind an die entsprechende Technik speziell angepasst und im Allgemeinen nur aufwändig zusammenzu- führen. Diese Trennung erschwert jedoch eine kostenoptimale, schichtenüber- greifende Lösung für das Gesamtnetz. Sie ist oft die Ursache für mehrfach vor- handene Sicherheiten für Netzausfälle in verschiedenen Netzebenen – oder kann auch das Fehlen exakt dieser Redundanzen bewirken. Eine Mehrwegeführung im paketbasierten Transportnetz kann beispielsweise das gleiche Erdkabel nutzen. Dies könnte bei einem Bruch des Kabels zu Einbußen bei der Dienstqualität mit entsprechenden Strafzahlungen oder Einnahmeverlusten führen.

Die Zusammenführung der verschiedenen Teilnetze ist naheliegend und wird ­vorangetrieben, wie die Integration der Transportnetztechnologien IP/MPLS und WDM zeigt. Auch die Vereinigung der bisher getrennten Fest- und ­Mobilfunknetze und damit die gemeinsame Nutzung der Transportnetzkapazi- täten und Standorte sind in diesem Kontext zu sehen. Diese Integration wird langfristig die Planung der Telekommunikationsnetze vereinfachen.

Bei den Technologien sind die technischen Randbedingungen ebenso bedeutsam wie die lokalen Einflüsse. Zum Beispiel spielt die Beschaffenheit des Unter- grundes – Felsen oder Sand – bei unterirdischer Verlegung oder die Möglich- keit der oberirdischen kabelgebundenen Anbindung und die damit verbundenen ­Arbeitskosten eine wesentliche Rolle bei der vergleichenden Analyse unterschied- licher Übertragungstechniken. Schlussfolgerungen können also nicht direkt auf andere geografische Gebiete und Märkte übertragen werden. Regulatorische ­Aspekte, Wettbewerber, Erwartungshaltungen der Kunden sowie geografische ­Besonderheiten beeinflussen das Ergebnis der Planung maßgeblich. Planung ist deshalb immer eine lokale Entscheidung.

Detecon International GmbH 119 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Eine Herausforderung für die Planung ist und bleibt jedoch die Integration der Netzdaten von aktiver und passiver Netztechnik. Unter Verwendung entspre- chender Protokolle ist es möglich, Konfigurations- und Auslastungsinforma­ tionen der aktiven Netztechnik automatisch zu erfassen und zu verarbeiten. Damit lassen sich sehr genaue Netzmodelle für die Planung schaffen. Passive Netztechnik entzieht sich dieser Automatisierung, so dass die Qualität dieser ­Daten und damit der Planungsergebnisse auch in naher Zukunft sehr stark vom Engagement der verantwortlichen Abteilungen abhängen wird.

Die fortschreitende Integration von Inventory-Systemen für den Netzbetrieb eröffnet der Planung von Telekommunikationsnetzen neue Perspektiven. Die konsistente Datenhaltung des aktuellen Netzes ist eine wichtige Voraussetzung für eine schichtenübergreifende Netzplanung verschiedener Technologien unter­ Berücksichtigung der spezifischen Eigenschaften. Für die Netzanalyse sind diese Informationen mit bestimmten Zielgrößen, zum Beispiel der maximalen Aus­ lastung, zu kombinieren. Für die strategische Planung bilden diese Informa­ tionen eine wertvolle Basis, um in Kombination mit taktischen Überlegungen technologische Umstellungen anzustoßen.

Auch eine integrierte Planung wird in zukünftigen Netzen vor vergleichbaren Herausforderungen wie bisherige Netzplanungen stehen. Die Randbedingungen werden sich verändern, neue Abhängigkeiten entstehen. Dem gegenüber werden aber verbesserte Datenhaltung, höhere Rechenleistung, genauere Netzmodelle und verbesserte Algorithmen helfen, diese gewachsene Komplexität zu bewäl- tigen. Das generelle Modellierungsproblem, den Untersuchungsgegenstand „so genau wie nötig“ abzubilden, wird bestehen bleiben.

Lösungsansatz für eine integrierte Planung

Randbedingungen

Eine netzweit einheitliche Planung steht vor der Herausforderung, dass eine Vielzahl von Randbedingungen unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des ­existierenden Netzes oder der avisierten Technologie verarbeitet werden muss. Diese Randbedingungen können nach den Dimensionen Zeit, Raum und ­Detailgrad klassifiziert werden.

Jede dieser Dimensionen birgt eigene Randbedingungen und Lösungsmöglich- keiten und steuert damit den Planungsprozess. Es ist zu beachten, dass diese Dimensionen teilweise unabhängig voneinander für die Eingangsgrößen und die Planungsergebnisse anwendbar sind.

120 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

Die Zeitebene legt fest, wie schnell das Planungsergebnis realisiert wird. Es ist offensichtlich, dass sich der Handlungsrahmen kurzfristiger Sofortmaßnahmen von langfristigen Projekten unterscheidet. Bezüglich der Eingangsgrößen der Planung spielt die Zeit bei der Betrachtung des aktuellen Zustandes und der Historie des Netzes (Messdaten) eine Rolle.

Die räumliche Ebene definiert im Ergebnis die Verteilung der Ressourcen in der Fläche. Bezüglich der Eingangsdaten kann sich dies auf die Verfügbarkeit freier Ressourcen – beweglich, unbeweglich –, der Nutzerverteilung oder des Verkehrs- aufkommens in der Fläche beziehen. Auch die Definition des Planungsgebietes – Teile des Netzes oder Gesamtnetz – fällt in diese Kategorie.

Der Detailgrad legt fest, ob eine Planung auf Nutzer- oder auf höherer ­Abstraktionsebene, zum Beispiel Dienstebene, durchgeführt wird. Oft liegen die Eingangsdaten in unterschiedlichen Detailierungsgraden vor. Diese sind durch entsprechende Annahmen anzupassen und auszugleichen. Der Detailgrad des Ergebnisses wird naturgemäß durch den Eingabewert mit dem niedrigsten ­Detailgrad bestimmt. Damit ist es für die Planung erstrebenswert, die Informa­ tionen so detailliert wie möglich vorliegen zu haben. Die Abstraktion und Zu- sammenfassung dieser Detailinformationen auf das für die Planung notwendige Maß ist durch das genutzte Planungswerkzeug zu leisten.

Beispiele für verschiedene Kombinationen der oben genannten Dimensionen sind:

> Bestmögliche Ausnutzung vorhandener, räumlich gebundener freier Ressour- cen. Dies beinhaltet sowohl freie Übertragungskapazitäten wie Wellenlängen und Fasern als auch freie Schnittstellen installierter Geräte.

> Optimale Verteilung verfügbarer, aber räumlich frei verteilbarer Ressourcen. Dies können beispielsweise Schnittstellenkarten im Lager oder Kontingente für anmietbare Übertragungskapazitäten sein.

> Bedarfsgerechter Ausbau des Netzes an Orten mit dem höchsten prognosti- zierten Marktpotenzial.

> Behebung einer räumlich begrenzten Überlast auf einem Gerät oder einer Übertragungsstrecke.

Detecon International GmbH 121 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

Umsetzung der integrierten Planung

Für die Umsetzung einer integrierten Planung werden zukünftig noch stärker als bisher entsprechende Softwarelösungen notwendig sein. Deren Fähigkeit zur Verarbeitung großer Mengen detaillierter Netzdaten mit Konfigurationsinfor- mationen, Messdaten und Auslastungswerten bildet die Basis für die Prognose der zukünftig notwendigen Ressourcen. Speziell bei der mittel- und langfristigen Netzplanung werden jedoch auch in Zukunft Kenngrößen eine Rolle spielen, welche sich nur schwer quantifizieren und messen lassen. Planung als kreativer Prozess wird sich in naher Zukunft speziell für strategische Überlegungen nicht vollständig automatisieren lassen.

Um den Herausforderungen an eine einheitliche Netzplanung gerecht zu wer- den, ist ein Konzept erforderlich, das die Netzplanung sowohl gut in die Prozesse eines Netzbetreibers integriert als auch selbst eine integrierende Wirkung, bei- spielsweise auf das Zusammenwachsen von ehemaligen Mobil- und Festnetzbe- reichen, entfaltet.

Diese integrierte Planung muss zudem möglichst alle Netzschichten von den Diensten bis hin zur Infrastruktur umfassen. Sie sollte Markt- und Technikdaten berücksichtigen und verschiedene Planungshorizonte, wie sie etwa für eine stra- tegische Planung oder die Projektierung existieren, vereinigen.

Planung unterschiedlicher Zeithorizonte

Eine Möglichkeit ist der dreistufige Planungsprozess mit strategischer Planung, detailliertem Entwurf und Implementierung.8 Die strategische Netzplanung um- fasst einen Vorschauzeitraum von fünf bis zehn Jahren und hat zur Aufgabe, zukunftsfähige Netzkonzepte und -strukturen besonders unter ökonomischen Gesichtspunkten zu entwickeln. Die Eingangsdaten und Einflussfaktoren für eine strategische Planung sind vielfältig, zum Beispiel Marketingprognosen, Technologietrends, Dienstekonzepte, aber auch die existierenden Netze. Dies macht die strategische Planung anspruchsvoll, bietet aber auf der anderen Seite ein hohes Optimierungspotential – etwa bei der Konzeption neuer technischer Plattformen.

Der detaillierte Netzentwurf untersetzt die Ergebnisse der strategischen Netz- planung mit technischen Details und entwickelt sie für einen Zeitraum von ein

8 Grunert/Meyer/Knöfel/Zhao: „From Strategy to Implementation – Tool based Planning of Optical Networks“, Asia Communications & Photonics Conference & Exhibition (ACP 2011).

122 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

bis drei Jahren fort. Während die strategische Planung mit aggregierten Netz­ objekten in definierten Regionen eines Netzes arbeitet, umfasst der Netzentwurf die Umsetzung auf örtlich konkrete Netzobjekte, wie Geräte und Leitungen. Die Implementierung steuert und sichert die Umsetzung des Planungsergebnisses.

Tabelle: Detaillierungsgrad von Netzknoten, Leitungen und Bedarfen in den einzelnen Phasen der integrierten Netzplanung

Strategische Planung Detaillierter Entwurf Implementierung Netzknoten Aggregierte Knoten Einzelne Netzknoten als Geräte mit Bestückungsin- Geräte formation (Baugruppen) Leitungen Aggregierte Leitungsbün- Einzelne Leitungen mit Einzelne Leitungen mit del zwischen aggregierten Abschluss an Geräten Abschluss an Ports Knoten Bedarf Aggregierter Bedarf Einzelbedarf zwischen Einzelbedarf zwischen zwischen aggregierten einzelnen Knoten mit einzelnen Knoten mit Knoten mit Führung über Führung über einzelne Führung über einzelne Leitungsbündel Leitungen Leitungen und Abschluss an Tributary-Ports

Im Allgemeinen erhöht sich der Grad der Detailliertheit in den Planungser- gebnissen mit dem Fortschritt der dargestellten Planungsphasen. Je näher die Implementierungsphase rückt, desto ausführlicher und präziser werden die Pla- nungsergebnisse ausfallen. Schwerpunkt der strategischen Planung liegt auf der Konzeption möglicher Plattformen und den Abhängigkeiten innerhalb dieser. Bei der strategischen Planung müssen Einflussfaktoren berücksichtigt werden, für die sich die Bestimmung exakter Werte als schwierig erweist. Daraus ergibt sich, dass der Grad an Detailliertheit für die strategische Planung relativ gering ist. Der detaillierte Netzentwurf liefert ein zuverlässiges Netzentwicklungskon- zept in Bezug auf Netzinvestition und Lebenszyklusmanagement für einen Zeit- raum von ein bis drei Jahren.

Layerübergreifende Planung

In allen Phasen ist eine schichtenübergreifende Sicht wichtig. Etablierte Netzbe- treiber haben in der Vergangenheit die verschiedensten technischen Plattformen errichtet, die oft unabhängig voneinander in verschiedenen Abteilungen geplant wurden. Dabei erfolgte gelegentlich ein Ausblenden der Inanspruchnahme an- derer Plattformen, was dann zu nicht kalkulierten Folgekosten führte. So muss beispielsweise schon bei der strategischen Planung einer neuen Transportnetz-

Detecon International GmbH 123 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

plattform die existierende Glasfaserinfrastruktur Beachtung finden, um gegebe- nenfalls die für ihre Erweiterung entstehenden Investitionskosten berücksich- tigen zu können. Eine layerübergreifende Planung kann nur erfolgen, wenn nicht nur die betriebenen Netzplattformen, sondern auch deren Abhängigkeiten umfassend und korrekt dokumentiert sind und eine Dokumentation von den angebotenen Diensten bis hin zur genutzten Infrastruktur über alle Schichten hinweg erfolgt.

Toolunterstützung

Ohne eine effektive Toolunterstützung können in keiner Phase des Planungspro- zesses die Ergebnisse in der angestrebten Zeit erreicht und die oft beachtlichen Datenmengen verarbeitet werden.

Es ist ein einheitliches Toolkonzept notwendig, das sowohl in jeder einzelnen Phase konkrete Berechnungen mit eigens entwickelten Bausteinen zulässt als auch die Übergabe von Ergebnissen ohne Schnittstellenprobleme ermöglicht. Die eigentliche Netzdokumentation verbleibt in den Systemen des Netzbetrei- bers.

Voraussetzungen der integrierten Planung

Zu den Voraussetzungen für eine integrierte Netzplanung zählen vor allem die umfassende Netzdokumentation, möglichst genaue Erstellung von Prognosen und die Unterstützung des Planungsprozesses durch die beim Betreiber etablier- ten Prozesse.

Eine umfassende, zeitnahe und IT-System-übergreifende Netzdokumentation ist die Basis jeder Planung.

Als herausragendes Beispiel ist ein einheitliches ID-Konzept für Standorte zu nennen, das die Basis jedweder Netzdokumentation darstellt. Eine eindeutige ID für Standorte, wie auch immer sie gebildet wird, muss dabei für alle Abteilungen des Netzbetreibers, für jedes IT-System – unabhängig davon, ob es sich um OSS, Planungs- oder Auftragssysteme handelt – oder für jeden Standorttyp gelten – unabhängig davon, ob sich aktive oder passive Technik am Standort befindet. Aufbauend auf der einheitlichen Identifizierung der Standorte müssen auch die Netzobjekte, zum Beispiel aktive und passive Geräte, Übertragungsstrecken, ­Kabel, Trassen, mit einer eindeutigen ID versehen sein. Hilfreich ist die Bildung einer ID, aus der sich auch der geografische Standortbezug ablesen lässt. Oftmals

124 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

problematisch, aber unerlässlich für die Planungsphasen ist eine schichtenüber- greifende Dokumentation. Diese sollte die Bindungen punktförmiger Objekte untereinander, beispielsweise die Zuordnung von Geräten zu Standorten oder von Baugruppen zu Geräten, als auch Führungs- und Belegungsinformationen linienförmiger Objekte, zum Beispiel die Belegung der Faserpaare mit DWDM- Systemen, Führung von Kabeln in Trassen, enthalten. Diese schichtenübergrei- fende Dokumentation ist zwingend erforderlich, um beispielsweise Aussagen zur Auslastung einzelner Netzobjekte, Netzbereiche oder des Gesamtnetzes treffen oder um nichtdisjunkte Führungen identifizieren zu können.

Eine umfassende Netzdokumentation muss auch die Kunden des Massen- und Individualmarktes mit ihren planungsrelevanten Eingangsdaten, zum Beispiel die Bandbreite bei DSL-Anschlüssen, umfassen.

Die Anzahl eingesetzter Dokumentationssysteme sollte begrenzt sein. Optimal ist ein einheitliches Inventory von Zugangs- über Aggregations- bis zum Kern- netz, welches alle Technologien umfasst.

Möglichst genaue Prognosen in den unterschiedlichsten Phasen der Planung

Zu den wesentlichen Eingangsdaten für jede Stufe des Planungsprozesses gehört zweifelsohne die Bereitstellung von Prognosen. Dabei ist zwischen Prognosen für interne und externe Kunden zu unterscheiden. Während interne Prognosen beispielsweise einen Leitungsbedarf an eine zu nutzende Plattform durch eine an- dere Plattform benennen, kennzeichnen externe Prognosen die Vorhersagen für die Kunden des Massen- und Individualmarktes sowie des Wholesale-Bereichs. Die Lieferung der Prognosen muss dabei entsprechend des Zeitraumes für jede Planungsphase erfolgen. Naturgemäß sind dabei die Prognosen für zehn Jahre im Voraus wesentlich ungenauer als die für das kommende Jahr, weshalb eine regelmäßige Überprüfung notwendig ist. Bereits für eine strategische Planung sollten die Prognosen unter Einbeziehung belastbarer Daten wie Einwohner- zahlen, Bebauung, durchschnittliches Einkommen oder die Durchdringung der Konkurrenz ermittelt werden.

Die gelebten Prozesse beim Netzbetreiber müssen eine integrierte Netzplanung beför- dern und nicht behindern

Eine integrierte Netzplanung wird nur dann erfolgreich sein, wenn die etablier- ten Prozesse bei den Netzbetreibern unterstützend wirken. Vor allem muss das Prinzip „Jedem seine EXCEL-Liste“ über Bord geworfen werden, um Mehrfach­

Detecon International GmbH 125 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

planungen zu vermeiden und eine reibungsarme Übergabe der Planungsergeb- nisse der verschiedenen Phasen zu ermöglichen. Zudem müssen klare Verantwort- lichkeiten im Planungsprozess definiert sein und die Ergebnisse im Netzbetrieb auch umgesetzt werden!

Anwendungsbeispiele einer integrierten Planung

Optimale Netzausbaustrategie

Die zur Verfügung stehenden Technologien bieten einem Netzbetreiber die Möglichkeit, Dienste über verschiedenste Technologien zu realisieren. Dabei sind immer die lokalen Einflüsse zu beachten. Dies betrifft sowohl Marktdaten wie die Einkommenssituation der Kunden und den Wettbewerb als auch die technische Realisierung. Während es für Investoren oft um Kosten für den Auf- bau eines komplett neuen Netzes geht, ist für etablierte Netzbetreiber eine mög- lichst genaue Abbildung der existierenden Infrastruktur mit Konfigurations- und Auslastungsinformationen­ als Basis für eine exakte Abschätzung der Netzausbau- und Erweiterungskosten wichtig.

Über eine integrierte technologieübergreifende Ende-zu-Ende-Netzplanung lässt sich eine optimale Netzausbaustrategie ermitteln. Dabei sind Mobilfunk- und Festnetztechnologien zu kombinieren, die existierende Infrastruktur zu berück- sichtigen und prognostizierte Marktdaten über mehrere Jahre hinweg zu verar- beiten.

Als Ergebnis liefert eine solche Planung Handlungsempfehlungen, in w­ elchen Gebieten welche Technologie genutzt werden sollte, um den Netzausbau ­kosteneffizientoranzutreiben. v Ebenso können verschiedene Rolloutszenarien untersucht und verglichen werden. Synergieeffekte bei der kombinierten Nut- zung verschiedener Technologien lassen sich somit detailliert untersuchen.

Die Nutzung eines geo-basierten Netzplanungstools für die technische Model- lierung ermöglicht eine einfache Plausibilitätsprüfung der Ergebnisse. Die Mög- lichkeit des Aufschlüsselns der berechneten Kosten bis auf einzelne Geräte garan- tiert Transparenz und sichert die Anwendbarkeit der Planungsergebnisse.

126 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

Strategische Planung

Carrier, die vor der Aufgabe stehen, eine strategische Netzplanung für einen Zeit- raum von bis zu zehn Jahren mit Hilfe einer geeigneten Software zu etablieren, sollten dies nach folgendem Vorgehen realisieren.

Zunächst sollte mit der Analyse des Ist-Netzes begonnen werden. Dabei erfolgt die Identifizierung der existierenden logischen und technischen Plattformen und der entsprechenden Datenquellen. Unter Einsatz eines geeigneten Planungstools muss das Ist-Netz, bestehend aus einzelnen Geräten und Leitungen, importiert und aggregiert werden. Die Aggregation erfolgt je Anschlussbereich mit einem aggregierten Standort als Zusammenfassung aller vorhandenen Standorte und Geräte und als Endpunkt der Leitungsbündel. Dadurch kann die Datenmenge drastisch reduziert werden. Das so erzeugte aggregierte Netz bildet die Grundlage von strategischen Planungen, die in Form von Szenarienberechnungen durchge- führt werden können.

Abbildung: Vorgehensweise Networks

Identifizierung der logischen und technischen Plattformen und Bestandsnetz zugehöriger Datenquellen, Zuordnung der Netzelemente zu den Plattformen.

Aggregiertes Netz Aggregation von Standorten, Geräten und Leitungen, Abbildung der realen Kabelabschnitte.

Planung Planung Szenario Planung Durchführen von strategischen Planungen in Form von 1 Szenario Szenarienberechnungen. 2 Szenario n

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 127 Integrierter Ausbau der Netzkapazitäten

In den Szenarien können sowohl konkrete Plattformabschaltungen als auch die Errichtung neuer Plattformen untersucht werden. Zusätzlich kann die Methodik für die Szenarienberechnung durch die Entwicklung angepasster Bausteine für die automatisierte Berechnung implementiert werden.

Die Bausteine sollten die Aspekte Kunden und Dienste, zum Beispiel hinsichtlich der Verteilung landesweiter Prognosen auf die Anschlussbereiche, Plattformen wie die automatische Generierung von Netztopologien, Dimensionierung und Kostenabschätzung, sowie das Kabelnetz behandeln.

Für den Netzbetreiber können dann beispielsweise die Entwicklung der Netz- topologie für eine neue Aggregationsplattform über einen Zeitraum von zehn Jahren inklusive der anfallenden Investitionskosten ermittelt und die Entwick- lung der Auslastung des Kabelnetzes dargestellt sowie notwendige Investitionen identifiziert werden.

Abbildung 2: Beispiel für Bausteine der Netzplanung

Kunden und Dienste A B C

Massenmarkt Geschäfts- Wholesale kunden

D1 D2 D3 D4 D6 Plattformen Verkehrs- Topologie Dimensionie- Bündel- Kosten/ modellierung rung/Aggrega- dimensionie- Reporting tionspunkte rung

E1 E2 Kabelnetz Kabeldimen­ Kosten/ sionierung Reporting

Quelle: Detecon

128 Detecon International GmbH Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft

Nutzen: Netztransparenz und Effizienz

Eine effektive integrierte Planung ist geeignet, um Transparenz über alle unter- schiedlichen Netzbereiche hinweg zu erreichen, Kontrolle über die Netzkosten auszuüben und den wirtschaftlichen Nutzen zu maximieren. Zusammengefasst stellen sich die wichtigsten Vorteile für Netzbetreiber wie folgt dar:

Gemeinsame Betrachtung von Fest- und Mobilfunknetz: Eine integrierte Planung ermöglicht ein vollständiges Bild von Festnetz- und Mobilfunksystemen sowohl aus technischer Sicht als auch aus der Marketingperspektive. Eine integrierte Planung kann die unterschiedlichsten Technologien berücksichtigen, welche die Bedarfe oder Produkte der Kunden realisieren.

Übergreifende Netzplanung und -analyse: Statt einer „segmentierten“ strategischen Planung ermöglicht eine integrierte Planung Transparenz zwischen den unter- schiedlichen Netzebenen und -schichten. Dies beinhaltet vor allem die durch- gängige Betrachtung von Diensten über die Transportschichten bis hin zu Kabel- netz- und Trasseninfrastruktur.

Fundierte Auswahl künftiger Netzentwicklungen: Eine integrierte Planung ermög- licht die Berechnung von Szenarien besonders für einen mittel- und langfristigen Betrachtungszeitraum, gewährleistet deren Vergleichbarkeit – insbesondere hin- sichtlich zu erwartender Kosten – und erleichtert so die Auswahl der besten ­Variante. Die Berechnungen vereinigen sowohl Markt- als auch Technikdaten.

Enge Verflechtung mit der IT-Infrastruktur:Eine integrierte Planung fördert eine enge Verzahnung mit der IT-Infrastruktur im Unternehmen. Sie ebnet den Weg, Planungsaufgaben und die dafür notwendigen Anpassungen der IT gleichzeitig umzusetzen. So kann eine schnelle Produktentwicklung erreicht werden.

Detecon International GmbH 129 Fokussierte Innovation

Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche Daniel Kellmereit, Yasmin Narielvala

> Bisher haben Telekommunikations­ unternehmen den Fokus ihrer Innovationsinitiativen nicht stark genug auf ihre Kernkompetenzen gelegt und häufig das kompetitive Marktumfeld in den Innovationsbereichen unterschätzt.

> Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einem Mix aus diversen Lösungen: interne Innovation, offene Innovation und externe Kooperation.

> Substanzielle Innovationen erfordern Einsatz und Exzellenz.

130 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

Wettbewerb treibt die Innovationsoffensive an

Innovationsinitiativen haben bereits seit einigen Jahren einen festen Platz auf der Agenda vieler großer Unternehmen. Das Ziel: Ein einzigartiges und he- rausragendes Angebot oder Produkt für die Kunden zu erschaffen, dem großer wirtschaftlicher Erfolg und Marktbeherrschung folgen. Einige wenige Unterneh- men, denen es gelungen ist, innovative und erfolgreiche Angebote am Markt zu platzieren, zeigen, in welchem Maße sich dies auszahlt. Doch warum hat dieses Thema in der Telekommunikationsbranche solch eine immense Aufmerksamkeit erzeugt? Das Angebot der Telekommunikationsunternehmen bestand in der Ver- gangenheit aus dem Betrieb der Kommunikationsnetze, die Innovationen wur- den tendenziell eher durch ein Ökosystem aus verschiedensten Zulieferern ge- trieben. Wieso investieren Telekommunikationsunternehmen gerade jetzt große Beträge in Innovationsinitiativen?

Die Gründe sind in den makroökonomischen Entwicklungen der letzten zwei ­Dekaden zu finden: schrumpfende Umsätze durch Deregulierung, neue Markt- teilnehmer in Kombination mit Marktsättigung und fehlende neue Wachstums- wellen nach dem Aufkommen von Breitband- und Mobilfunk­technologie. In- zwischen verlangsamt sich das Wachstum sogar in vielen jungen Märkten. Der Hauptgrund für die Aktivität der Telekommunikationsunternehmen liegt aber in der wachsenden Konkurrenz durch Over-the-Top(OTT)-Anbieter. Zu dieser Gruppe von Marktteilnehmern gehören Unternehmen wie Google, Apple, Face- book, Amazon, Skype (nun zu Microsoft gehörend) und in jüngster Zeit auch WhatsApp oder Viber. Sie haben begonnen, Teile der bestehenden traditionellen Gewinntreiber wie Sprache und SMS zu übernehmen. Darüber hinaus waren viele dieser Unternehmen sehr erfolgreich darin, eine direkte Beziehung zu den Kunden aufzubauen und damit die etablierten Verkaufs- und Zahlungskanäle der Telekommunikationsunternehmen zu umgehen.

Bislang konnten die etablierten Telekommunikaionsunternehmen diesen ­Herausforderungen allerdings wenig entgegensetzen. Obwohl die Mehrzahl der neuen Initiativen vielversprechend klingt und durchaus zur Verbesserung des Images bei den Aktionären beiträgt, ist es den meisten nicht gelungen, auch nur ansatzweise die Umsatz- und Gewinnvolumen zu generieren, die sie aus ihrem Kerngeschäft gewohnt sind.

Warum aber waren die Innovationsprogramme nicht erfolgreich? Unserer ­Meinung nach liegt ein großer Fehler darin, den Fokus nicht auf die Kernkompe- tenzen gelegt und das kompetitive Marktumfeld in vielen Innovationsbereichen unterschätzt zu haben.

Detecon International GmbH 131 Fokussierte Innovation

Telekommunikationsunternehmen sind hervorragend darin, Best-in-Class- Technologien in die Märkte einzuführen: Sie greifen vorwiegend auf externe Innovationen zurück, die sie ihrem bestehenden Kundenstamm anbieten. Das Fortschreiben dieser Erfolgsgeschichte würde bedeuten, innerhalb dieses Kern- kompetenzbereichs zu bleiben. Aus der Perspektive des Innovationsmanage- ments besteht die neue Herausforderung nun darin, zu definieren, in welchen Bereichen und mittels welcher Methoden man diese Best-in-Class-Technologien findet und besser als jeder andere in die eigenen technischen und vertrieblichen Plattformen integrieren kann. Das bedeutet jedoch, nicht nur einen, sondern mehrere unterschiedliche Ansätze zu verfolgen:

> Interne Veränderungen rund um das Kerngeschäft vorantreiben, die bestehenden Angebote und Technologien erweitern: In vielen Märkten herrscht sehr großer Kon- kurrenzdruck, es muss folglich ein Differenzierungskriterium geben, welches die Telekommunikationsunternehmen fundamental von der Konkurrenz abgrenzt.

> Externe Innovationen mittels verschiedener neuer Ansätze effizienter nutzen: Dies kann über Innovationsnetzwerke, Inkubatoren oder Geschäftseinheiten sowie Methoden zur Innovationsvorhersage realisiert werden.

> Smarte Partnerschaften als Weiterentwicklung der traditionellen einfachen Bezie- hungen zu Lieferanten und weiteren externen Anbietern: Telekommunikationsun- ternehmen besitzen die Fähigkeiten, komplexe Innovationen externer Anbieter zu managen. In Zeiten gesättigter Märkte wird es immer wichtiger, diese Fähig- keit auf Effizienz zu optimieren und Skaleneffekte auszunutzen. Dies kann zum Beispiel dadurch erreicht werden, dass Einkaufsfunktionen entlang der unter- schiedlichen Teilnehmer zentralisiert werden, oder durch Einkaufsallianz­ en, die mehr Verhandlungsmacht erzeugen.

> Fehlende Fokussierung und nicht ausreichendes Engagement: Der Aufbau neuer Geschäftsfelder ist äußerst schwierig und wird häufig unterschätzt. Die Investi- tionen sind erheblich und der Zeitraum bis zur Erreichung der Profitabilität ist mit fünf bis acht Jahren sehr lang. Das Maßnahmenportfolio vieler Telekommu- nikationsunternehmen, mithilfe dessen neue Geschäftsmodelle entwickelt wer- den sollen, beinhaltet jedoch oft eine große Anzahl kleiner Projekte, die weder eine starke Unterstützung durch das Top-Management erhalten noch mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet sind.

132 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

Was könnten Telekommunikationsunternehmen also grundsätzlich anders ma- chen? Märkte suchen, in denen man wirklich wettbewerbsfähig ist, eine kleine­ Anzahl „großer Investitionen“ wagen und diese brillant ausführen oder eine große Anzahl „kleiner Investitionen“ wagen, sich eng an wichtigen Entwicklungen ­orientieren, und zügig handeln, wenn sich diese Bereiche zu einem großen Markt oder Geschäftsmodell entwickeln. Vor allem aber neue Geschäftsmodelle und Vorhaben schnell und konsequent stoppen, wenn diese nicht funktionieren.

Innovationsaktivitäten der Telekommunikationsunternehmen: bisher noch keine Erfolgsgeschichte

Getrieben von der Bedrohung durch die Konkurrenz haben insbesondere die großen internationalen Telekommunikationsunternehmen zahlreiche Innova­ tionsinitiativen gestartet, Innovationsabteilungen gegründet, eine Innovations- kultur innerhalb der Belegschaft etabliert sowie Software- und Digitalabtei- lungen eingeführt. Letztlich hängt der Erfolg in neuen Märkten oder von neuen Produkten von der Wettbewerbsstärke, der Skalierung und der Fähigkeit, große Investitionen zu wagen, ab. Darüber hinaus spielen die Agilität und die DNA

Abbildung 1: Kritische Erfolgsfaktoren im Partnering und Erfüllungsgrad von Telekommunikationsunternehmen

Erfolgsfaktoren Status Quo

Strategisches Partner Scouting

Ressourcen und Investment

Easy Partner Integration

Partnerlebenszyklusmanangement

Top-Management-Verantwortung

Standardisierte Tools & Prozesse Niedrig Hoch

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 133 Fokussierte Innovation

des Unternehmens insgesamt eine Rolle. Telekommunikationskonzerne punkten­ in all diesen Kategorien zu niedrig. Ihre Aktivitäten erstrecken sich nur auf ­wenige Märkte, sie verfügen im Vergleich zu großen Softwareunternehmen nur über ­kleine Softwareteams und die Organisationsstrukturen sind eher starr und ­siloartig ausgerichtet. Große Softwareunternehmen besitzen die Fähigkeit, ihre Produkte und Dienstleistungen in mehr als 160 Zielmärkten weltweit zu mone- tarisieren.

Best-in-Class-Partner für innovative Geschäftsideen

Zahlreiche neue Innovationsaktivitäten der Telekommunikationsunternehmen konzentrieren sich auf das Partnering.1 Das Konzept basiert auf dem Gedan- ken, sich zu einem Best-in-Class-Partner für innovative Produkt- und Dienst­ leistungsunternehmen und darüber hinaus zu einem attraktiven Kanal für Start- ups und Unternehmen mit starkem Wachstum zu entwickeln, der die Produkte über seine zentralen Vertriebskanäle auf die Märkte bringt. Attraktive Umsatz- anteilsvereinbarungen zwischen Telekommunikationsunternehmen und großen wie auch kleinen Innovationspartnern sollen künftige Umsatzströme sicherstel- len. Darüber hinaus besteht die Hoffnung, positive Branding- und Imageeffekte nutzen zu können, die einige Partner mit großer Wahrscheinlichkeit mitbringen. Bei der Umsetzung entstehen einige operative Probleme. Die größte Hürde für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Strategie ist der Mangel an erforderlicher Or- ganisationsstruktur, notwendigen Prozessen und Technologieplattformen. Um überhaupt als erfolgreicher Vertriebspartner wahrgenommen zu werden, müs- sen Telekommunikationsunternehmen enorme Investitionen in Partneringplatt- formen, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, vornehmen. Dies erfordert weitaus mehr als nur ein herkömmliches „Anbieter-Setup“. Es setzt umfassende Kenntnisse der gegenwärtigen und künftigen Anforderungen voraus, die an das Partnerökosystem gestellt werden.

Telekommunikationsunternehmen forcieren derzeit ihre Bemühungen, um „partnerfreundlicher“ zu werden. Dennoch ziehen es viele Start-ups vor, Ge- schäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen der digitalen Branche einzugehen und nicht den schwierigen Prozess des Partnerings mit einem großen Konzern zu durchlaufen. Wegweisend könnte allerdings die erfolgreiche Partnerschaft zwi- schen Telekommunikationsunternehmen und dem wachstumsstarken Musik- Streaming-Dienst Spotify aus Schweden sein. Während der Basisdienst für alle

1 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff. in diesem Band.

134 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

Nutzer kostenlos ist, hat das Unternehmen mit mehreren europäischen Telekom- munikationsunternehmen Partnerschaften geschlossen, um Premiumdienste mit garantierter Dienstqualität, also ohne Datenvolumengrenzen, anbieten zu kön- nen. Telekommunikationsunternehmen können Spotify als Marketinginstru- ment zur Gewinnung neuer Kunden nutzen. Die Spotify-Partnerschaft enthält daher alle wichtigen Bestandteile, die für eine erfolgreiche Partnerschaft uner- lässlich sind:

> eine klarer Wertbeitrag zu den Angeboten, > Qualität als Unterscheidungsmerkmal, das sich monetarisieren lässt, > positive Marketing- und Brandingeffekte sowie > konkrete Vorteile für den Partner in Bezug auf Marketing- und Vertriebskanalnutzung.

Einzug in telekommunikationsnahe Branchen

Telekommunikationsunternehmen halten nach und nach Einzug in große branchennahe Geschäftsfelder. Der Schwerpunkt liegt auf Bereichen, in denen Konnektivität als Asset genutzt werden kann, zum Beispiel Gesundheitswesen, Bildungswesen, Finanz-und Zahlungswesen, M2M, Cloud, Security und Unter- haltung. Die Mehrzahl der Telekommunikationskonzerne hat in der Vergangen- heit interne Abteilungen mit der Zielsetzung gebildet, diese Bereiche zeitnah zu größeren Geschäftssegmenten auszubauen. Einige übernahmen Firmen aus den entsprechenden Bereichen, um in diesen neuen Märkten einen ersten Footprint zu erlangen, andere richteten ihre Assets neu aus und bündelten ihre Kompe- tenzen unter neuer Führung.

Es ist zu früh, um eine Aussage darüber zu machen, ob diese Strategie zum ­Erfolg führen wird. Man kann jedoch beobachten, dass der Wettbewerb in die- sen angrenzenden Märkten sehr stark ist und sich die meisten Unternehmen bereits durch den Erwerb netzbezogener oder digitaler Assets oder durch die ­Bildung neuer strategischer Geschäftssegmente mit solider Finanzierung und Top-M­ anagement-Präsenz sowie -Reporting in dieselbe Richtung bewegen. Auf ­Telekommunikationsseite mangelt es den Unternehmen aus diesen angren- zenden Bereichen jedoch oft an Talenten, finanziellen Mitteln und langfristiger Perspektive – Faktoren, die für den Erfolg ausschlaggebend sind. Die Mentalität eines Telekommunikationsunternehmens besteht darin, dass es nur in Monaten,

Detecon International GmbH 135 Fokussierte Innovation

maximal in jährlichen Zyklen vorausdenkt. Wenn man allerdings berücksichtigt, welche Zeit Google für die Entwicklung der Infrastruktur von selbstfahrenden Autos, Next Generation Internet und Wearables aufgebracht hat, wird deutlich, wie viel Ausdauer und Weitblick erforderlich sind: Investitionsphasen von fünf bis acht Jahren und die Erreichung der Rentabilitätsgrenze nach zehn Jahren für eine neue Sparte sind keine Ausnahme.

M&A und Venture Capital zur Förderung von Innovationen

M&A im Telekommunikationssegment ist primär darauf ausgerichtet, den Foot- print der bestehenden, klassischen Telekommunikationsservices in neue Märkte auszudehnen. Sie expandierten entweder geografisch, vom Festnetz zum Mobil- funk oder umgekehrt. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den meisten Telekommunikationsunternehmen um große Gesellschaften handelt, die radi- kalen Änderungen gegenüber resistent und tendenziell risikoavers sind, muss auch die Investitionsstrategie diesem risikoarmen Muster angepasst werden.

Im digitalen Bereich haben Telekommunikationsunternehmen zwar einige ­Investitionen gewagt, im Vergleich zu ihrem Kerngeschäft repräsentieren diese jedoch nach wie vor relativ kleine Initiativen. Einige herausragende Übernahmen sind dennoch nennenswert: SingTel ist aufgrund seiner Übernahme von Amobee für 321 Millionen US-Dollar in das Segment Mobile Advertising eingedrungen. Der Telefónica-Konzern hat 2010 den innovativen Sprachdienst Jajah für 270 Millionen US-Dollar übernommen, um Technologie und Services für seinen globalen Footprint zu nutzen. Verizon hat Hughes Telematics für 612 Millionen US-Dollar zur Stützung seines M2M-Geschäfts übernommen, ebenfalls Terre- mark für 1,4 Milliarden US-Dollar, um in Cloud Computing zu expandieren. Diese Akquisitionen zeigen einen klaren Trend in Richtung erhöhter M&A-Ak- tivitäten im digitalen Bereich.

Künftige Innovationsinitiativen müssen möglichst viele Stakeholder miteinbezie- hen sowie unterschiedliche Ansätze, eine Mischung aus internen und externen Innovationen, verfolgen. Diese Mischung muss allerdings gemeinsam als eine optimal orchestrierte Lösung betrieben werden. Aus den „Lessons Learned“ geht klar hervor, dass es Innovationsbereiche gibt, in denen Telekommunikationsun- ternehmen auf keinen Fall aktiv sein sollten. Sie sollten zum Beispiel innerhalb der Wertschöpfungskette keine Innovationen nach „oben“ in den Software- und Dienstebereich vornehmen. In diesem Segment haben weltweit starke Konkur-

136 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

renten wie Google, Facebook und unzählige Startups immer wieder bewiesen, dass sie schneller und effizienter in neue Bereiche vordringen können.

Telekommunikationsfirmen konzentrieren sich auf die Lieferung lokaler ­Lösungen und sind versiert in der Handhabung länderspezifischer Branchenre- gulierungen, was ebenfalls ein großer Vorteil sein kann. Im Bereich einfacher Ap- plikationen und Dienste, bei denen keine oder nur wenige regulatorische Hin- dernisse bestehen, haben Telekommunikationsunternehmen jedoch auf globaler Ebene kaum Chancen.

Gleichermaßen sollten sie innerhalb der Wertschöpfungskette keine Innova­ tionsinitiativen nach „unten“ in den Bereich der Hardwarelösungen vorneh- men. Auch hier besitzen OEMs wie Apple, Samsung sowie die Netzausstatter, angeführt vom chinesischen Hersteller Huawei, die Fähigkeit, Lösungen zu ent­ wickeln, die auf den globalen Markt zugeschnitten sind und Skaleneffekte lie- fern. Telekommunikationsunternehmen können an diesen Stellen nicht mithal- ten. OEMs verfügen über Forschungsmöglichkeiten und historisch gewachsenes Fachwissen, das erforderlich ist, um Geräte- und Netzinnovationen schnell und effektiv über ihre Produkt-Roadmaps auf den Markt zu bringen, Feedback von ihren Kunden weltweit zu sammeln und dieses für ihre künftigen Release-Zyklen zu berücksichtigen.

Wohin sollen Telekommunikationsunternehmen nun ihre Innovationsbemü- hungen ausrichten? Während sie in der Vergangenheit den Roadmaps externer Drittanbieter folgten und sich deren Technologien zunutze machten, um sie erfolgreich auf den Markt zu bringen, müssen sie heute mehrere Innovations­ methoden einsetzen. Zunächst einmal müssen sie lernen, wie man disruptive Ideen auf nahezu risikolose Weise durch Venturing und Inkubation fördern kann. Darüber hinaus sollten sie die Nutzung bestehender Assets in Betracht ziehen, um Innovationen innerhalb des Marktes zu ermöglichen. Angesichts der Vielzahl von digitalen Produkten und Dienstleistungen, die künftig nachgefragt werden, sind sie gezwungen, Ausschau nach Best-in-Class-Lieferanten für Dienste und Software zu halten und mit ihnen mittels Smart Partnering zu kooperieren. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen, von der internen kompetenzorientierten Innovation über externe offene Innovation bis hin zu Partnering mit Dritten, bil- den einen übergreifenden Innovationsansatz für die Zukunft, der das Potenzial hat, neue Chancen risiko- und kostenoptimiert bestmöglich zu nutzen.

Detecon International GmbH 137 Fokussierte Innovation

Ein letztes Puzzleteil fehlt allerdings noch in der Zusammensetzung: der Wille, weiterhin nach der nächsten „großen Sache“ zu suchen. Dahinter verbergen sich Potenziale, die sich durch die digitale Transformation ergeben und den näch- sten großen Wachstumsschub in Gang setzen. Dies erfordert eine Denkweise, die kontinuierlich auf das Auffinden solcher Möglichkeiten ausgerichtet ist, um dann ein größeres Investment in denjenigen Bereichen zu wagen, aus denen sich Wachstum generieren könnte. Auf solche Potenziale greift jedoch auch schnell ein anderer innerhalb des digitalen Ökosystems zu. Wenn Telekommunikations- unternehmen dabei zu den Gewinnern zählen wollen, müssen sie sich so posi- tionieren, dass sie bereits in der Anfangsphase besser in der Ausführung sind als ihre Konkurrenten.

Die Innovationsmethoden der Telekommunikationsunternehmen

Aufgrund unserer jahrelangen Erfahrungen im Bereich der Telekommunika­ tionsinnovationen glauben wir, dass eine Vielzahl von Innovationsmethoden für den Erfolg entscheidend ist. Interessanterweise haben führende Betreiber zumin- dest teilweise Initiativen in fast all diesen Bereichen gestartet.

Interne Innovationsbemühungen nicht nur stärken, sondern auch fokussieren

Telekommunikationsunternehmen haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Innovationsinitiativen und damit einhergehende Investitionen durchgeführt, die im Hinblick auf den direkten Ertrag ins Leere gelaufen sind. Der Internet-Boom und insbesondere die Zunahme an Webdiensten wurden für eine Art Land der unbegrenzten Möglichkeiten zur Generierung von einfachen Nachahmungen ge- halten, die den Telekommunikationsunternehmen ein deutliches Mehr an Um- satz bescheren würden. Viele Investitionen flossen in interne Innovationen in diesem Bereich, wovon sich die meisten nicht amortisiert haben.

Unserer Meinung nach müssen Telekommunikationsunternehmen interne In- novationsbemühungen künftig wesentlich enger an den Kernkompetenzen aus- richten. Sie sind außergewöhnlich versiert darin, komplexe Technologien von diversen Zulieferern zu bündeln, zu erweitern und auf den Massenmarkt zu bringen. Endnutzer, sowohl Verbraucher als auch Unternehmen, benötigen in- telligente und gleichzeitig einfache Lösungen für komplexe Bereiche wie M2M

138 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

und Sensornetze, Cloud und Netzsicherheit. Nur ein Spezialist verfügt in Bezug auf die lokalen Märkte und Regulierungen über eine herausragende Technologie­ expertise und ist in der Lage, die Technologien der Best-in-Class-Anbieter zu- sammenzuführen und so zu bündeln, dass sie sich für den Massenmarkt eignen und als vereinfachte Angebote auf den Markt gebracht werden können.

Weiterhin besitzen Telekommunikationsunternehmen grundlegende Kompe- tenzen, die über die Netztechnologie hinausgehen. Sie sind zum Beispiel führend im Customer Relationship Management (CRM), das sich von der Vertriebsun- terstützung über den Kundendienst bis hin zu ausgefeilten Methoden, Prozessen und Tools erstreckt. Vom Massenmarketing über Kundenakquisition und Churn Management bis hin zur Kundenbindung, mit Assets und dem Potenzial, es auch mit der stärksten Konkurrenz aufzunehmen, nimmt die Telekommunikations- branche eine klare Führungsposition ein.

Heutzutage sind die meisten internen Innovationsinitiativen der Produkt- und Strategieabteilungen sehr produkt- und servicezentriert. Verglichen mit den Kernkompetenzen kann man deutlich erkennen, dass diese Fokussierung nicht harmoniert. Andererseits haben andere Abteilungen innerhalb der Organisation mit längerfristigen Perspektiven, zum Beispiel F&E-Abteilungen, den Auftrag, sich auf die Integration von Technologien und die Erweiterung externer Pro- dukte zu konzentrieren, also auf ein Ziel, das den Kernkompetenzen angepasst ist. Unserer Ansicht nach ist ein langfristiger Auftrag auch für Innovationsinitia- tiven innerhalb der Organisation erforderlich.

Bisher haben die Innovationen im CRM bei den Telekommunikationsunter- nehmen zum großen Teil ein Schattendasein geführt. Dieser Bereich bildet in- nerhalb der Organisation eine zentrale erfolgskritische Kompetenz, weshalb die mangelnde Aufmerksamkeit, die ihm gewidmet wird, Erstaunen auslösen sollte. Die Entwicklung von Technologien, Produktverbesserungen, Geschäftsmodel- len oder anderen Ansätzen zur besseren Unterstützung der CRM-Fähigkeiten könnte einen erheblichen Einfluss haben. Wir glauben, dass gegenwärtig zu viel Gewicht auf Produkt- und Serviceinnovation gelegt und die interne Innovation in Bezug auf Tools, Technologien und Prozesse für das CRM signifikant vernach- lässigt wird.

Detecon International GmbH 139 Fokussierte Innovation

Ausrichtung auf Inkubationsinitiativen, die auf klaren strategischen Zielen basieren

Inkubation hat sich in den vergangenen Jahren innerhalb großer Unternehmen zu einem beliebten Ansatz zum Vorantreiben von Innovationen entwickelt. Der jüngste Schub in Sachen Inkubation liegt nur ein paar Jahre zurück und begann im Silicon Valley: Accelerators und Start-up-Inkubatoren wie 500 Startups und Y Combinator fördern die Agilität von Start-ups durch Coaching, Mentoring und Kapital, das diese in der Frühphase zur Umsetzung ihrer Ideen benötigen. Insbesondere für Telekommunikationsunternehmen ist die Aussicht, auf eine große Menge neuer Ideen für potenzielle Produkte, Dienste und Technologien zugreifen zu können, absolut vielversprechend – zumal sich dadurch möglicher- weise jene Hindernisse und Risiken ausgleichen ließen, die in der internen Ent- wicklung beobachtet wurden. Mit dem Aufkommen des Inkubatortrends haben viele Carrier überstürzt eigene Inkubatorprojekte gestartet, ohne jemals Zweck und Ziele eindeutig zu definieren. Einige verbinden den Inkubator mit dem Ziel, einen positiven PR-Effekt zu erzeugen, für andere wiederum liegt die Absicht da- rin, die Umsätze mittels Integration der generierten Ideen in das eigene Portfolio kurz- bis mittelfristig zu steigern. Zwischen den ursprünglich avisierten Zielen und der Implementierung des Inkubationsansatzes besteht oft eine signifikante Lücke.

Abbildung 2: Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Inkubatoren

Klare Positionierung und Nutzenversprechen

Strategie & Positionierung Organisationsdesign ist das Rückgrat erfolgreicher Brücke zwischen Start-ups und Inkubatoren Inkubations- Unternehmen, Inkubatoren prozesse erforden schlanke Prozesse und flexible Entscheidungsfindungen Organisations­ Inkubator- Unternehmen müssen ihre struktur services Kernkompetenzen nutzen, um Start-ups attraktive Angebote und Services bieten zu können People Management Erfolgreiche Inkubatoren erforden innovative HR-Ansätze

Quelle: Detecon

140 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

Der aktuelle Trend rund um Inkubation und Start-up-Accelerators hat zu einem Überangebot an Frühphasenkapital geführt. Telekommunikationsunternehmen müssen sehr sorgfältig bei ihrer Positionierung gegenüber erfolgreichen Stand- Alone-Inkubatoren und anderen Inkubationsiniativen sein. Wir gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent aller gegenwärtigen Inkubationsaktivitäten scheitern werden. Derzeit steht allerdings nicht fest, welche Modelle, Regionen oder Pro- duktkategorien zu den erfolgreichen gehören werden. Telekommunikationsun- ternehmen müssen sehr behutsam und fokussiert bei der strategischen Planung ihrer Inkubationsbemühungen vorgehen, um sicherstellen zu können, dass ihre Ziele und Investitionen zum möglichen Potenzial passen.

Ein Partner für die Nutzung externer Kompetenzen

Partnering ist ein wichtiger Grundpfeiler für die Zukunft der Telekommuni­ kationsunternehmen.2 Insbesondere die Kompetenz, Lösungen Dritter zu bün- deln, zu erweitern und zu verbessern, um diese dann auf den Markt zu bringen, ist nach wie vor eine wertvolle Fähigkeit, die genutzt werden sollte. Interessanter- weise gehen Telekommunikationsfirmen heute zunehmend auch Partnerschaften mit diversen kleineren Lieferanten ein. Im M2M-Bereich beispielsweise haben viele eine halboffene Plattform entwickelt, an die sich Partner mit ihren eigenen Lösungen „andocken“ können. Durch die digitale Transformation verändern sich Telekommunikationsunternehmen vom Anbieter Drittanbieter-basierter Kommunikationsdienste zum Anbieter Drittanbieter-basierter digitaler Dienste.

Obwohl bereits heute viele Partneringaktivitäten stattfinden, erscheint der ge- genwärtige Ad-hoc-Ansatz weder skalierbar noch nachhaltig. Partnering muss innerhalb der Telekommunikationsunternehmen als Kernkompetenz betrach- tet und mit den damit verbundenen Ressourcen und Investitionen ausgestattet werden. Sie müssen im Hinblick auf das Eingehen von Partnerschaften mit ex- ternen Anbietern wesentlich bessere Prozesse und Tools für die Identifizierung der Schwerpunktbereiche entwickeln, ergänzt um durchdachte Ansätze, die die Auswahl optimaler Partner zu unterstützen, und fundierte Fähigkeiten zur Inte- gration der Kompetenzen der Partner.

Partnering muss als Lebenszyklus betrachtet werden und nicht als reine ­Akquisitionsbemühung. Vielmehr sollten Managing und Coaching der Partner idealerweise entlang des Lebenszykluskonzepts erfolgen. Dazu gehört auch die regelmäßige­ Prüfung, ob es möglicherweise sogar sinnvoll ist, eine Partnerschaft wieder zu beenden.

2 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 141 Fokussierte Innovation

Telekommunikationsunternehmen sollten von anderen Branchen und von de- ren bereits etablierten „Best Practice“-Partneringmethoden lernen. Es existieren viele Unternehmen, die ihre Kernkompetenz rund um das Managen komplexer Partnerkanäle und -ökosysteme entwickelt haben. Die klare Botschaft, die durch diese Best-Practice-Unternehmen vermittelt wird, lautet: Wenn Partnering eine Kernkompetenz und ein zentraler Treiber für künftige Innovation ist, müssen der Fokus auf und Investitionen in Partneringprogramme drastisch erhöht werden.

Zukünftige Investments benötigen Einsatz und Exzellenz

Während der Suche nach dem nächsten „Big Thing“ haben Telekommuni­ka­ tionsunternehmen versucht, neue Potenziale über ein sehr breites Spektrum verschiedener Services voranzutreiben: M2M, Cloud, Gesundheitswesen, Auto­ mobilindustrie, Energieversorgung und Bildungswesen, Zahlungsservices und TV. Alle diese Bemühungen zielen darauf, die nächste große Wachstumschance zu finden, die mit der aktuellen Transformationswelle einher geht. Bislang haben nur wenige Unternehmen diese neuen Initiativen nicht nur als verbales Bekennt- nis, sondern mit gezieltem Einsatz und erheblichen Investitionen betrieben.

Wir glauben, dass die kontinuierliche Suche nach den Möglichkeiten zur Gene- rierung künftigen Wachstums ein zentraler Baustein für die Innovationsstrategie ist. Der Aufbau von Geschäftsbereichen, die zielgerichtet diese Möglichkeiten umsetzen können, besitzt dafür elementare Bedeutung. Zwei Faktoren müssen allerdings bei der Schaffung neuer Geschäftsbereiche besonders beachtet werden: Welches sind tatsächlich die „Richtigen“, auf die man sich konzentrieren sollte, und wie lässt sich der Einfluss, der von diesen Bereichen ausgeht, maximieren, um einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil für die Zukunft zu gewährleisten?

Unternehmen sollten die Initiativen mittels einer präzisen und realistischen Kal- kulation des tatsächlichen Umsatz- und Marktpotenzials im Voraus bewerten. Die Ermittlung der Herausforderungen, des Konkurrenzumfelds sowie des re- alen Werts erlaubt es, viele der gegenwärtigen Initiativen zu eliminieren. Alter- nativ zu diesen Handlungsfeldern würden auf diese Weise Bereiche, die manche Unternehmen bislang kaum im Blickfeld hatten, stärker in den Fokus rücken. Eine entscheidende Rolle spielt die Auswahl der „richtigen“ drei bis fünf Hand- lungsfelder mit dem entsprechenden Potenzial unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen über die Assets und Fähigkeiten innerhalb eines speziellen Markts verfügt.

142 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

Sind die Handlungsfelder ausgewählt, ist es zwingend notwendig, exzellent be- setzte Teams zu formen, die Vorhaben mit soliden finanziellen Mitteln auszu- statten und diese Teilbereiche mit einer Governance-Struktur zu versehen, die Wachstum fördert und nicht ausbremst.

Parallele Innovationsansätze sichern die Zukunft

Obwohl sich die Märkte und das Umfeld in den letzten Jahren stark geändert ha- ben, besteht weiterhin eine klare Notwendigkeit für neue Innovationen ­innerhalb der Telekommunikationsbranche. Nicht alle Innovationen müssen intern erfol- gen. Bei vielen wird es sich, wie schon in der Vergangenheit, um offene Innova- tionen handeln sowie um Innovationen, die von Dritten vorangetrieben werden. Der Schlüssel liegt darin, einen Mix von alternativen Innovations­ansätzen zu finden. Idealerweise entsteht daraus ein ganzheitlicher Ansatz, mithilfe dessen kurz- und längerfristige Wege für eine nachhaltige Wertschöpfung gefunden ­werden können.

Abbildung 3: Erfolgreiches Aufbauen von neuen Geschäftsfeldern benötigt Engagement, Investitionen und Talente

Finanzierung Team Governance • Signifikanter Erstaufwand • Top Talent • Unabhängige Bereiche • Mittel- und langrfristige Perspektive • Wettbewerbsanreize • Ergebnisverantwortung • Kontinuierliche Investitionen • Cross-funktionale Expertise • Zurechenbarkeit

Case Study 2002 2006 2008 2010 2012

Talente durch Set-up als Investition in Partnering Optimierung Jährliches „Acquisition- unabhängiges Technologien mit SUN, der Struktur Investment Hirering“ Geschäftsfeld für neue Linux des Geschäfts­ von mehr Dienste für bereichs als $ 2 Mrd. $480 Mio.

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 143 Fokussierte Innovation

Intern gewonnene Innovationen werden auch in Zukunft eine Rolle spielen. Die zentrale Aufgabe besteht darin, aus vergangenen Initiativen zu lernen und die- se dahingehend zu verbessern, dass sie klarer mit den vorhandenen Kernkom- petenzen in Einklang stehen. Diese finden sich für Telekommunikationsunter­ nehmen sowohl innerhalb des Netztechnologiebereichs als auch weiter gefasst in Bereichen wie Vendor Management und CRM. Wer in diesen Bereichen inno- vativ führend ist sowie die Angebote der Lieferanten nutzt und verbessert, legt den Grundstein für langfristige Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen.

Externe Innovation durch Partnering und insbesondere durch Inkubation ist die Ergänzung zum internen Vorgehen. Während interne Initiativen die Kosten­ effizienzorantreiben v können, sollte die Integration von Innovationen Dritter mit dem Ziel erfolgen, das Wachstum zu fördern. Dieses könnte kurzfristig und schrittweise über Partnerschaften mit kleineren Unternehmen oder langfristig und strategischer über Inkubation oder mit größeren Partnern erfolgen, die er- gänzende Kompetenzen mit einbringen.

Über taktische Maßnahmen zu Kostenersparnis und Umsatzwachstum hinaus besitzen Telekommunikationsunternehmen immer noch die Fähigkeit, in soge- nannte neue „Blue Oceans“ zu starten. Auch dieses Vorhaben sollte innerhalb der Innovationsstrategie bedacht werden. Die Neuausrichtung der Unterneh- mensstrategie, um hoch fokussierte große Investitionen einzubeziehen, liefert einen weiteren Baustein zur Sicherstellung, die nächste große Chance nicht zu ­verpassen.

Die wichtigste Maßnahme für Telekommunikationsunternehmen ist, hier die richtige Mischung aus Talent, Struktur und Finanzierung zur Förderung von Exzellenz zu finden. Es ist auf keinen Fall ausreichend, lediglich mittelmäßige Geschäftsbereiche zu entwickeln – für einen derartigen Ansatz ist der Technolo- giebereich viel zu überfüllt.

144 Detecon International GmbH Innovation – die Zukunft der Telekommunikationsbranche

Angesichts der Komplexität zukünftiger Innovationen wird der Erfolg darin lie- gen, die unterschiedlichen Methoden auf intelligente Weise umzusetzen. Die verschiedenen Teams und Organisationseinheiten, die sich an den Innovations- initiativen beteiligen, müssen akzeptieren, dass diese komplementären Ansätze und Methoden notwendig sind, um sich für die Zukunft richtig zu positionieren und eine notwendige Basis zu schaffen, um den Nutzen für das Unternehmen zu maximieren.

Die Innovationsinitiativen und -projekte werden, sofern richtig ausgeführt, trotz eines sehr dynamischen Technologieumfelds zu nachhaltigen Umsätzen führen.

Detecon International GmbH 145 „Die Bedeutung von Innovationen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“

Innovation ist ein Wachstumsmotor und Wachstumschancen sind in einem gesättigten Markt wie der Telekommunikation dringend gesucht. Mehr Fokus und mehr Flexibilität fordert Dennis Tsu vom Stanford Research Institute (SRI) von den großen Telekommunikationsunternehmen. Er verantwortet als Direktor das Innovationsprogramm des SRI und leitet die Entwicklungs- und Implementierungsteams der SRI Innovationsprogramme. Interview

146 Detecon International GmbH „Die Bedeutung von Innovationen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“

Frage: Sie arbeiten mit vielen Kunden zusammen, um Prozesse für das Manage- ment und die Durchsetzung von Innovation zu entwickeln. Können Sie uns mehr über den Ansatz von SRI erzählen?

Tsu: SRI International hat eine eigene Methodik konzipiert. Wir nennen sie die „5 Disciplines of Innovation“ (5 DOI®), die wir technologie- und marktunab- hängig einsetzen. Diese Methodik haben wir mit Tausenden unserer Kunden einschließlich Regierungen, Universitäten, Unternehmen und Gründern in über 20 Ländern der Welt erfolgreich angewandt. Dieses Framework ist grundlegend und kann in allen Branchen zum Einsatz kommen. Punkt eins ist die Konzen- tration auf die wichtigsten Kunden- und Marktbedürfnisse anstelle gerade ak- tueller und sicherlich auch interessanter Forschungsthemen. Wir gewährleisten dadurch, dass unsere Arbeitsergebnisse auf jeden Fall einen Gewinn für unsere Kunden, Partner, die Nutzer und schließlich den Markt selbst darstellen. Punkt zwei: Wir wollen Werte schaffen. In jeder Initiative arbeiten wir eng mit Kunden zusammen, um dessen wichtigste Bedürfnisse zu erfassen, definieren den am be- sten passenden Ansatz und belegen den Nutzen. Wir nennen es die NABC-Me- thode – Needs, Approach, Benefits (per costs) and Competition. Drittens wird jedes Projekt und damit jeder Wertschöpfungsprozess von einem exzellenten Projektleiter vorangetrieben. Aus unserer Sicht ist es erfolgsentscheidend, dass jede Innovationsinitiative einen „Champion” hat – kein Champion, kein Projekt! Die vierte Disziplin betrifft die Innovationsteams. Champions stellen produktive Teams zusammen. Unser interdisziplinärer, teamorientierter Ansatz knüpft an den gemeinschaftlichen Spirit von SRI, unseren Kunden und unseren Partnern an. SRI war Vorreiter der „Open Innovation“-Bewegung, denn wir haben schon immer die besten Ideen mit den besten Mitarbeitern zur Erfüllung von Kun- denbedürfnissen zusammengebracht. Die fünfte Disziplin ist die Koopera­tion: Unsere Innovationsteams arbeiten eng mit Kunden und Partnern zusammen, um sicherzustellen, dass wir den höchsten Wert liefern. SRI verspricht ­Leadership und Best-Practice-Innovation.

Frage: Gibt es Ihrer Meinung nach in Bezug auf das Thema Innovation spezielle Herausforderungen für die Telekommunikationsbranche?

Tsu: Ich sehe drei spezifische Herausforderungen. Die erste lautet: Wie defi- nieren Sie Ihre Mission? Welche Produkt- oder Serviceangebote zieht man als Unternehmen in Betracht? Es lässt sich beobachten, dass viele Organisationen in der Telekommunikationsbranche ihre Denkansätze zu sehr beschränken und bezüglich Innovationen nicht den Blick über den Tellerrand wagen. Als zweite

Detecon International GmbH 147 Interview

Schwierigkeit sehe ich die Frage, was Regulierer und Anteilseigner erlauben. In den meisten Ländern sind Telekommunikationsanbieter stark reguliert, was eine Herausforderung für Innovationen darstellt. Die letzte Herausforderung betrifft Innovationshemmnisse durch Unternehmenskultur und -struktur in Konzer- nen, in denen es starre Interessen und Organisationen gibt und am Status quo festgehalten wird. Da es sich bei den meisten Betreibern um große Unterneh- men handelt, fällt das Meistern dieser Herausforderung besonders schwer, ist jedoch für die erfolgreiche Durchführung von Innovationen eine unumgängliche ­Voraussetzung.

Frage: Gibt es Unterschiede im Vorgehen bezüglich der Durchführung von In- novationsprojekten zwischen F&E-zentrierten Organisationen und anderen, die ein überwiegend regional ausgerichtetes Geschäft betreiben und deshalb weitaus geringere F&E-Ausgaben haben, beispielsweise Telekommunikationsanbieter?

Tsu: Die Frage, ob Telekommunikationsunternehmen aufgrund ihrer regionalen Ausrichtung und geringeren F&E-Ausgaben bei Innovationen unterschiedlich vorgehen sollten, muss in mindestens drei unterschiedliche Teile aufgespalten werden. Erstens sind Ausgaben für F&E nicht gleichzusetzen mit Innovation. Einige der innovativsten Unternehmen der Welt geben weniger als drei Prozent ihres Umsatzes für F&E aus. Unserer Meinung nach können Telekommunika­ tionsunternehmen auch ohne hohe F&E-Aufwendungen sehr innovativ sein.

Zweitens kann ein regionaler Fokus sowohl Fluch als auch Segen bedeuten. Er sorgt für ein besseres und tieferes Verständnis der Kundenbasis wie auch der spezifischen Bedürfnisse und Wünsche. Des Weiteren muss man sich der Wettbe- werbssituation bewusst sein und entscheiden, wie man im Vergleich zu anderen Dienstleistern in der Region wahrgenommen werden will. Ebenfalls hohe Priori- tät besitzt ein Managementprozess, der es einem ermöglicht, diese Strategie auch durchzusetzen.

Drittens sehen sich Telekommunikationsunternehmen mit einer hohen An- zahl von Mitarbeitern, die für eine Vielzahl von B2B- und B2C-Kunden zu- ständig sind, speziellen Herausforderungen bei der Implementierung und Umsetzung von Innovationen ausgesetzt. Ein tiefes Verständnis für derar- tige Herausforderungen bei der Innovationsdurchführung als Bestandteil des Innovationsmanagementpr­ ozesses ist von hoher Bedeutung.

148 Detecon International GmbH „Die Bedeutung von Innovationen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“

Frage: Gibt es aktuelle Trends und Anpassungen, die in die Innovationsframe- works integriert wurden? Sieht SRI die Frameworks eher als statisch an oder ändern sich diese im Laufe der Zeit?

Tsu: SRI macht mit 5 DOI® seit mehr als 20 Jahren gute Erfahrungen. Wir vertreten daher die Auffassung, dass die elementaren Disziplinen auch weiterhin grundlegend sind und als Fundament angesehen werden können. Alles entwickelt sich jedoch mit der Zeit weiter. Internet, mobile Geräte und App Stores etwa ha- ben sowohl die für das Rollout eines neuen Anwendungsgeschäfts erforderlichen Kosten als auch den nötigen Zeitaufwand dramatisch verändert. Weiterentwick- lung gibt es ebenfalls bei der Finanzierung von Start-ups: Hier spielen Angel- Investoren eine immer größere Rolle, die Venture-Capital-Industrie muss sich diesem Trend anpassen. Aus technischer Sicht läuten 3-D-­Drucker eine radikale Wende bei Herstellungsprozessen aller Art ein. Mit der ständig zunehmenden weltweiten Vernetzung ist man ab Tag eins mit fast allen Produkten und Services dem globalen Wettbewerb ausgesetzt. Und natürlich wird die durchschnittliche Lebensdauer eines großen Unternehmens immer kürzer. Die Bedeutung von In- novationen – selbst für große Telekommunikationsunternehmen – kann daher gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Als Resultat dieser und vieler anderer Veränderungen in der Welt sind wir davon überzeugt, dass es immer wichtiger wird, sich auf die grundlegenden Dinge zu konzentrieren. Das beinhaltet ein tief gehendes Verständnis für den Markt und den Kunden, die Kenntnis des Wettbewerbs und der eigenen Unterscheidungs- merkmale sowie die Fähigkeit, dem Kunden die eigenen Angebote und Vorteile im Vergleich zu den Kosten einfach plausibel zu machen.

SRI International bietet Grundlagen- und Anwendungsforschung, Laborgebäude und ­Beratung, Technologieentwicklung und Lizenzen, Einsatzsysteme, Produkte und ­Venture-Möglichkeiten. Das SRI Innovationsprogramm hilft Regierungsorganisationen, ­akademischen Institutionen und der Industrie bei der Entwicklung und Einführung von Prozessen, welche Innovation und Entrepreneurship in einem unterstützenden Umfeld ­vorantreiben und kultivieren. Mit diesen Programmen war es SRI möglich, einen w­ eltweiten Stamm­kundenbestand aufzubauen mit Aufträgen aus Kanada, Chile, Malaysia, dem ­Mittleren Osten, Japan, Finnland, der Türkei und der USA.

Detecon International GmbH 149 Forcierung Partnering

Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum Dr. Christian Krämer

> Um in den gesättigten Telekommunikations- märkten zu wachsen, müssen Unternehmen mit neuen Produkten in neue Märkte diversifizieren oder ihre Wertschöpfungstiefe erhöhen.

> Partnerschaften bieten Telekommunikations- unternehmen eine risikoarme Alternative, um schnell neue Geschäftsmodelle zu verwirklichen und neue Märkte zu erschließen.

> Um erfolgreich zu partnern, müssen die beteiligten Unternehmen neue Kompetenzen aufbauen – sowohl auf organisatorischer als auch auf kultureller Ebene.

150 Detecon International GmbH Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum

Wie erreicht man Wachstum bei stagnierendem Kerngeschäft?

Die Telekommunikationsbranche steht unter Druck. In einem reifen Markt wie Deutschland verlagern sich die Umsätze bereits seit Jahren zunehmend vom Fest- netz zum Mobilfunk. Dort steigt zwar die Nachfrage nach mobilem Internet, doch in absoluten Zahlen betrachtet nehmen die Umsätze ab. Einzig die Kabel- netzbetreiber konnten in den vergangenen fünf Jahren Rekordzuwachsraten ver- zeichnen.1 Im weltweiten Vergleich sieht es für die Telekommunikationsindustrie besser aus: Für das Jahr 2014 prognostiziert der Branchenverband BITKOM2 auf Basis des European Information Technology Observatory (EITO) steigende Umsätze mit ICT-Infrastruktur und -Diensten. Die BRIC-Staaten wachsen am schnellsten, die USA liegen mit etwa halbierter Geschwindigkeit dahinter. So- bald diese Märkte einen entsprechenden Reifegrad erreicht haben, stehen die internationalen Netzbetreiber jedoch vor dem gleichen Problem wie in Deutsch- land: Wachstum erreichen bei stagnierendem Kerngeschäft.

Um das Problem zu lösen, weiten Telekommunikationsunternehmen ihr Ser- viceangebot bereits seit geraumer Zeit in Richtung höherwertiger Dienste aus, die zusätzlichen Kundennutzen bieten. Die traditionellen Kernleistungen der Netzbetreiber liegen darin, Daten und Sprache zu transportieren und zugäng- lich zu machen. Mit Cloud-Diensten etwa bieten sie ihren Kunden zusätzlich Schutz vor Datenverlust und unbefugtem Zugriff sowie zeit- und ortsungebun- dene Verfügbarkeit über jeden beliebigen Internetzugang. Ein weiteres Beispiel sind Triple-Play-Angebote, in denen TV/Video, Telefonie und Internet kombi- niert angeboten werden. Über den Dienst „Entertain“ und seiner audiovisuellen Unterhaltung zieht beispielsweise die Deutsche Telekom Triple-Play-Kunden an, benötigt aber für diesen höherwertigen Datendienst allerdings auch externen Content.

Je weiter die Unternehmen dabei in neue Markt- und Produktgebiete vorstoßen, desto größer ist ihr Risiko. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht bloß ausreicht, technisch funktionierende Lösungen zu entwickeln, um in neuen Märkten er- folgreich zu sein.

Risiken reduzieren und gemeinsam Ziele erreichen

Erfolgversprechender und weniger risikoreich als Eigenentwicklung und Eigen- betrieb sind Kooperationsangebote, die Netzbetreiber gemeinsam mit Partnern

1 Vgl. Studie „Branchenkompass 2013: Telekommunikation“, für die das F.A.Z-Institut zwischen September und Dezember 2012 ausgewählte Führungskräfte der Telekommunikationsbranche befragte. 2 BITKOM Presseinformation (11.11.2013): Weltweiter ITK-Markt wächst um 3,8 Prozent.

Detecon International GmbH 151 Forcierung Partnering

aus dem Bereich Content, IT oder Hardware entwickeln. Mit den richtigen Partnern stärken sie ihre Wettbewerbsposition, verteilen Investitionsrisiken und -kosten und erhöhen ihre Kundenreichweite bis hin zur Flächendeckung. Die Einsatzmöglichkeiten des Partnerings sind vielfältig und folgen branchenüber- greifend ähnlichen Beweggründen. Im Zeitalter der zunehmend digitalisier- ten globalisierten Wirtschaft steht nahezu jedes Geschäftsmodell unter Druck. Kundenbedürfnisse ändern sich schlagartig, technologische Innovationen stellen etablierte Produkte und Services in Frage und neue Wettbewerber sind dazu in der Lage, selbst internationalen Konzernen die Stirn zu bieten. Die Wertschöp- fungsketten wandeln sich und verlangen nach einer ungekannten Flexibilität und Schnelligkeit.

Unternehmen kooperieren, um mit dieser Dynamik Schritt halten zu können und gemeinsame Ziele zu erreichen. Vertriebs-, Marketing- und Innovations- partnerschaften etwa dienen der Umsatzsteigerung. Durch den Aufbau bran- chenübergreifender neuer Geschäftsmodelle lässt sich der durchschnittliche Erlös pro Kunde (Average Revenue per User, ARPU) erhöhen. Outsourcing, der Auf- bau von Shared Service Centers sowie Near- und Offshoring dienen primär der Kostensenkung. Beim Partnering wird die Ganzheitlichkeit der unternehmen- sinternen Wertschöpfungskette zugunsten der Stärken eines Netzwerks aufgelöst. Dieser Trend setzt sich fort. Wettbewerb findet künftig nicht mehr zwischen Ein- zelunternehmen statt, sondern zwischen firmenübergreifenden Unternehmensal- lianzen und virtuellen Unternehmensnetzwerken. Diese Netzwerke, sogenannte Smart Business Networks, entwickeln sich zu einer maßgeblichen Organisa­ tionsform in der heutigen Wirtschaft.3 Sie zeichnen sich durch stark verzahnte Geschäftsmodelle zwischen ihren Akteuren aus und ermöglichen, Geschäftsver- bindungen schnell und flexibel einzugehen und wieder zu lösen, wenn sich eine Kooperation als wenig erfolgreich erweist.

Ein gutes Beispiel für gelungenes Partnering ist die Kooperation der Telekom mit dem Musik-Streaming-Anbieter Spotify. Die Festnetz- und Mobilfunkkunden des Konzerns können den Streaming-Dienst einfach zu ihrem Tarif hinzubuchen und bezahlen ihn über die monatliche Telefonrechnung. Für den Kunden ist das komfortabler, als den Dienst separat zu buchen. Außerdem genießt er den Vor- teil, dass die Nutzung nicht auf seinen Datenverbrauch angerechnet wird. Wenn Kunden anderer Mobilfunkanbieter unterwegs mit Spotify Musik hören, wird jedes übertragene Byte vom vertraglich vereinbarten Datenvolumen abgezogen. Die Wettbewerber von Spotify und Telekom führen ähnliche Kooperationen

3 Vgl. Krämer/Schuhbauer/Zenner: Smarte Grenzgänger – Next Generation Collaboration in Business Networks, Detecon Management Report 2011.

152 Detecon International GmbH Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum

oder arbeiten daran. E-Plus partnert in Deutschland mit Napster, Vodafone ko- operiert mit dem Dienst Ampya der ProSiebenSat.1 Media AG und Mobilcom- Debitel arbeitet mit Juke zusammen, der Streaming-Tochter des Elektronikhänd- lers Media-Saturn.

Bei solchen Partnerschaften konzentrieren sich Carrier auf ihre Kernkompetenzen im Bereich Distribution, Transport und Abrechnung (Billing): Über smarte In- frastruktur und Hochleistungsnetze verteilen sie Informationen mit hoher Band- breite (VDSL, FTTH, LTE) und hoher Übertragungsgeschwindigkeit von 25 Mbit/sec über 50 Mbit/sec bis hin zu 100 Mbit/sec downstream. Darüber hinaus nutzen sie die Kontaktfläche ihres eigenen Vertriebs, um Partnerprodukte gegen Umsatzbeteiligung zu vermarkten. Umgekehrt werden Vertriebspartner einge- setzt, um die Kundenreichweite zu erhöhen, falls der eigene Vertrieb in bestimm- ten Marktsegmenten nicht oder nur unzureichend präsent ist.

OTT-Angebote entfachen den Wettbewerb

Die digitale mediale Wertschöpfungskette illustriert den wachsenden Bedarf an Partnerschaften. Nicht nur Telekommunikationsunternehmen erfahren Druck durch die zunehmende Zahl an Over-the-Top(OTT)-Diensten. OTT ist die Ver- teilung von Sprache, Video und Datenservices über das öffentliche Internet ohne kontrollierte Steuerung durch einen Mobilfunk-, Festnetz- oder Internet Ser- vice Provider. OTT-Angebote wie WhatsApp, Skype und das erstarkende Google Voice bedrängen das Kerngeschäft der Telekommunikationsunternehmen mit Sprach- und SMS-Diensten. Sie bieten kostenlose oder äußerst günstige Telefo- nie und Messaging über das Internetprotokoll, womit sie für die Provider einzig die Nachfrage nach mehr Bandbreite und verlässlicher Servicequalität erhöhen.

Im Bereich IPTV konkurrieren Videoportale wie Netflix oder Hulu mit den An- geboten der ISPs. Traditionell verteilen die Provider audiovisuelle Inhalte über ein Contentnetzwerk, das ihnen die kontrollierte Einspeisung und Abrechnung der Inhalte ermöglicht. Standardisierte Applikationen erlauben dem Nutzer nun, über verschiedene Endgeräte auf Videos zuzugreifen, ohne dass der Provider als Operator zwischen dem Contentanbieter und dem Verbraucher vermittelt. Die neuen Angebote geben dem Verbraucher eine Alternative zur Set-Top-Box. Das Aufkommen der OTT-Dienste hat den Wettbewerb zwischen Internetanbietern, Telekommunikationsunternehmen, Endgeräte- und Applikationsanbietern neu entfacht. Zugleich bietet diese Entwicklung Raum für Partnerschaften. Um über-

Detecon International GmbH 153 Forcierung Partnering

legene Produkte und Services anbieten zu können, ist jeder der Wettbewerber auf Leistungen angewiesen, die außerhalb seiner eigenen Kernkompetenzen liegen.

Das Wertschöpfungspotenzial im Geschäft mit OTT-Diensten ist hoch. Wäh- rend die Werbeumsätze in der klassischen TV-Distribution nur moderat wachsen und in einzelnen Märkten sogar stagnieren oder zurückgehen, prognostizieren Experten eine Verdreifachung des Werbeumsatzes über OTT-Dienste im Zeit- raum von 2013 bis 2018. In Westeuropa überstieg der Nettowerbeumsatz über OTT-Angebote im Jahr 2013 den Wert von einer Milliarde Euro. Bis 2018 wird er auf rund drei Milliarden Euro anwachsen.

OTT-Dienste entfachen den Wettbewerb zwischen Unternehmen auf unter- schiedlichen Stufen der digitalen medialen Wertschöpfungskette. Zugleich bieten sie Spielraum für Partnerschaften, denn jeder Anbieter braucht Leistungen seiner Konkurrenten, um neue Geschäftsmodelle zu realisieren: Anbieter im Bereich Hardware und IT sowie Telekommunikationsunternehmen im Bereich Content. Web-Anbieter benötigen den Zugang zum Kunden per Funk, Kabel oder Glas- faser, während klassische Content-Distributoren wie Fernsehsender sowohl auf Zugang als auch auf den Transport ihrer Inhalte angewiesen sind.

Abbildung 1: Partnerschaftspotenzial im Medienmarkt

Content Distribution

Application

Web Browser and Search Engine

ACCESS TELCOS

Hardware

Quelle: Detecon

154 Detecon International GmbH Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum

Partner identifizieren und gewinnen

Um die Wachstumsmöglichkeiten auszuschöpfen, müssen Carrier die richtigen Partner identifizieren und für sich gewinnen. Nur die Top-3-Anbieter der je- weiligen vertikalen Branche kommen in Frage, um die Wertschöpfung erfolg- reich auf neue Märkte auszuweiten. Ergänzend dazu sollten Unternehmen frühe ­Koalitionen mit innovativen Start-ups, den Shootings Stars der Branche, aus- loten. Sie sollten Partnerschaften unbedingt aktiv aufsetzen. Häufig betreiben Unternehmen diese Aktivitäten bloß nebenbei. Um Partner zu gewinnen, kann ein Unternehmen monetäre oder imagewirksame Anreize bieten. Äußerst wich- tig ist zudem, eine Vertrauenskultur aufzubauen: Die meisten Partnerschaften scheitern daran, dass sich eine Partei von der anderen übervorteilt fühlt.

Die Partnerauswahl sollte der langfristigen Wettbewerbssicherung folgen und nicht bloß auf kurzfristige Rendite abzielen. Das Partnermanagement muss dem- entsprechend auf nachhaltige Vorteile für beide Parteien ausgerichtet w­ erden. Nichtsdestotrotz spielt Schnelligkeit eine gewichtige Rolle. Ein Blick auf den Musik-Streaming-Markt in Deutschland zeigt, dass es heute 14 verschiedene ­Anbieter gibt. Mittel- bis langfristig werden weltweit nur drei bis fünf Markt- teilnehmer erhalten bleiben. Vor diesem Hintergrund stehen Telekommuni- kationsunternehmen vor der Aufgabe, potenzielle Partner sorgfältig zu prüfen, lang­fristig wettbewerbsfähige Anbieter zu identifizieren und mit einem für beide Seiten attraktiven Kooperationsmodell zu gewinnen.

Unternehmen benötigen eine Art Frühwarnradar, um für sie geeignete Wert- ketten mit dem höchsten Rendite-, Wettbewerbs- und Sicherheitspotenzial zu identifizieren und das Partnerumfeld zielsicher zu sondieren. So können sie die Gewinner im Markt frühzeitig als Wunschpartner angehen.4 Da es nicht immer gelingt, die Top-3-Anbieter einer Branche zu gewinnen, müssen Unternehmen auch Newcomer beobachten, um künftige Gewinner unter den Start-ups früh- zeitig zu identifizieren. Eine professionelle Partneranalyse gibt Aufschluss über geeignete Partner und deren Entwicklungspotenzial.

Im Netzwerk richtig positionieren

Unternehmen müssen eine Wettbewerbsposition in ihren Wertschöpfungsnetz- werken finden, in der sie echten Mehrwert entfalten können. Welche Rolle sie besetzen können, hängt von ihren Kernkompetenzen und den strategischen Un- ternehmenszielen ab. Um die richtige Rolle zu finden, sollten Unternehmen eine

4 Vgl. Kellmereit/Narielvala, Innovation – Die Zukunft der Telekommunikationsbranche, S. 130 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 155 Forcierung Partnering

strategische Markt- und Wettbewerbsanalyse durchführen oder in Auftrag ge- ben. Experten mit branchenübergreifender Marktkenntnis sind dazu in der Lage, die Entwicklung von Märkten und Kundenbedürfnissen zu prognostizieren. Sie analysieren und segmentieren die verschiedenen Stufen einer bestehenden Wertschöpfungskette und bewerten, welche davon gut oder weniger gut bedient werden. In Abhängigkeit von den Stärken und Zielen eines Telekommunika­ tionsunternehmens identifizieren sie die Position in der Kette, die es idealerweise besetzen sollte.

Insbesondere Carrier haben die Möglichkeit, die Rolle des Netzwerkbetreibers (Network Operator) oder eines Providers für Managed und Application Services (MSP/ASP) einzunehmen. Die Aufgabe des Operators ist es etwa, Netzbetrieb, Logistik und Abrechnung zu verantworten. In der Rolle eines MSP oder ASP tritt der Carrier als Dienstleister auf, der den Betrieb und die Verwaltung von Netzen und Diensten übernimmt oder als Plattformbetreiber anwendungsori- entierte Services anbietet und hostet. Optional können sich Carrier auch darauf konzentrieren, eine Media-und-Content-Company aufzubauen, die etwa multi- mediale Inhalte und mobile Lösungen über ihre digitalen Kanäle zum Kunden bringt. Die vierte Möglichkeit besteht darin, sich verbraucherorientiert auf die Bereiche Branding, Konzept sowie Sales und Service zu konzentrieren. In dieser Rolle zählt es zu den Aufgaben des Carriers, mit dem Markt zu interagieren, zu forschen und gemeinsam mit Teams aus der Produktion langfristige Strategien für die Marktentwicklung zu entwerfen.

Carrier können sogar eine gesamthafte Klammer bilden, indem sie auf verschie- denen Wertschöpfungsstufen agieren und dabei Stufen umschließen, in denen Partner absolute Stärken aufweisen. Wenn sie zugleich die Infrastrukturseite und den Bereich Branding, Vertrieb und Service besetzen, umschließen sie etwa Endgerätehersteller und Content-Produzenten. Welche Position sich in einem Kooperationsmodell für einen Carrier eignet, hängt sowohl von den eigenen Stärken als auch von der zu deckenden Bedarfslücke im Zielmarkt ab. Bei rein telekommunikationsorientierter Kompetenz bietet sich zunächst die Rolle des Netzwerkbetreibers an.

Bei starker Marken- und Netzkompetenz kommt auch die Rolle des Channel Leaders in Betracht. Der Channel Leader besetzt eine Schlüsselrolle im Wert- schöpfungsnetzwerk und entwickelt eine übergeordnete Strategie für alle Partner. Um diese Rolle ausfüllen zu können, benötigt ein Unternehmen Kompetenzen in den Bereichen Partnerschaftsdesign und Systemführerschaft.

156 Detecon International GmbH Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum

Die Partneringfähigkeit stärken

Die Fähigkeit zum Partnering – die Netzwerkfähigkeit eines Carriers – entschei- det künftig über Erfolg und Überleben in den verzahnten Branchen und schnell- lebigen Märkten. Unternehmen müssen dazu in der Lage sein, sich auf ihre Partner einzustellen, Kooperationen zu schließen und gemeinsam überzeugende Angebote zu schaffen. Auch schwierige Themen wie Revenue-Sharing und Exit- Strategien werden zu einem Bestandteil des Routinegeschäfts. Partnerschaften sind auf Zeit angelegt. Frühzeitig entwickelte Exit-Mechanismen ermöglichen ein faires und reibungsloses Disconnect, falls eine Kooperation nicht funktio- niert.

Flexibilität wird in den immer volatiler werdenden Märkten zum wesentlichen Erfolgsfaktor. Mit einem starren Sortiment können Unternehmen nicht mehr dauerhaft überleben. Sie müssen sich bietende Chancen rasch, umfassend und nachhaltig ausnutzen. Ändert sich der Kundenbedarf in einem Markt, muss ein Unternehmen dazu bereit und dazu fähig sein, in einen anderen Markt zu sprin- gen, um mit neuen Partnern eine neue Produktstrategie zu entwickeln.

Diese Flexibilität erfordert ein professionelles, reibungsloses Partnermanagement. Es muss Unternehmen die einfache Kopplung und Entkopplung mit neuen und

Abbildung 2: Positionierungsmöglichkeiten für Telekommunikationsunternehmen

Kunden

Telconahe Rollen Internet Netzwerk- Managed Service Wieder- Service Plattform betreiber und verkäufer Company Anbieter Plattform Vendor

Telcoferne Rollen Endgeräte Media und Ausstrahler Anbieter Content App Store „Broad- Firma caster“

Infra- Access Endgeräte Content- Anwen- Playout/ Branding/ Service struktur Aggregation dungen Verteilung Vertrieb

Netz, Plattform, Hardware Inhalte und Dienste Marktbearbeitung

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 157 Forcierung Partnering

alten Mitspielern ermöglichen, die Ausrichtung von Allianzen auf neue Bedarfe erlauben und die besonderen Stärken der Beteiligten fördern.

Zum Channel Leader werden

Komplexe Wertschöpfungsnetzwerke brauchen strategische Führung und Koor- dination. Sie werden sich tendenziell nicht als selbstregulierende Systeme ent- falten. Es ist anzunehmen, dass sich führende Mitspieler herauskristallisieren, die dazu fähig sind, Wertketten im Wettbewerb zu steuern. Diese Unternehmen werden Rahmenbedingungen für ihre Mitglieder schaffen, die echte Win-Win- Situationen erlauben.

Unternehmen mit starken Marken, gutem Partnering-Know-how und voraus- schauendem Netzwerk-Design-Charakter haben die besten Chancen, die Rolle eines Channel Leaders einzunehmen. Sie benötigen die Kompetenz, die gesamte B2B- und B2C-Kette zu überblicken und zu steuern. Das ist vor allem bei neuen Diensten, etwa im M2M-Umfeld, erforderlich.

Will ein Telekommunikationsunternehmen die Funktion des Channel Leaders übernehmen, darf es nicht in der Rolle eines Connectivity Providers verharren. Es muss in seinen Partnerschaften als Orchestrator auftreten. Und das ist er- strebenswert, denn der Netzwerk-Orchestrator wird den überwiegenden Teil des gemeinsam geschaffenen Wertzuwaches erhalten. Der Channel Leader muss über die Fähigkeit verfügen, Allianzen hochprofessionell zu managen. Dazu zählen klare Kommunikation, Offenheit und weitgehende Transparenz. Das sind Vo- raussetzungen für eine funktionierende Partnerschaft. Damit ein Unternehmen von seinen Partnern als Channel Leader akzeptiert wird, sollte es einerseits eine Koordinationsfunktion übernehmen und andererseits als fairer Mittler zwischen den Parteien auftreten. Wer im Verdacht steht, einseitig zugunsten eigener Inte- ressen zu handeln, kann kein Channel Leader werden.

Auf koordinativer Seite trägt der Orchestrator die Verantwortung für zwei Aufga- benfelder: Er muss effiziente Abläufe, etwa für Änderungen und Kündigungen, schaffen (prozessbezogene Koordination)5 sowie dafür Sorge tragen, dass etwa Status- und Auftragsinformationen an die richtige Stelle der Wertschöpfungs- kette befördert werden (informationsbezogene Koordination). Diese Prozesse müssen in Echtzeit ablaufen, um dem Kunden ein nahtloses Kundenerlebnis zu bieten.6 Partnerschaftlich zusammengesetzte Angebote müssen für den Verbrau- cher wie aus einer Hand erscheinen. 5 Vgl. Helbig, Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik, S. 302 ff. in diesem Band. 6 Vgl. Hauk, Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch Customer Experience, S. 254 ff.; Penkert/Eberwein, CSS – Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung, S. 274 ff.in diesem Band.

158 Detecon International GmbH Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum

Transformieren und operatives Management aufbauen

Zwei Schritte sind erforderlich, um im netzzentrierten Wettbewerb mit einem partnerschaftlichen Ansatz zu bestehen: Unternehmen müssen eine strategische Business Transformation vollziehen und das operative Management ihrer Partne- ring- und Netzwerkaktivitäten aufbauen.

Die strategische Business Transformation erfordert eine Neuausrichtung der Wertschöpfungsaktivtäten hin auf die angestrebte Wettbewerbsposition. Wer nicht in Merger investieren will, dem bieten sich neben dem organischen Chan- ge Management seines Geschäfts die kooperativen Strategien des Partnering an. Diese reichen von Joint Ventures, Carve outs, Outsourcings über die Einrichtung von Shared Service Centers bis hin zu klassischen Kooperationen ohne Kapital- beteiligung.

Mit dieser Neuausrichtung ändert sich der eigene Wertschöpfungsanteil in der Kette erheblich. Partner, mit denen sich ein Carrier differenzieren will, werden geeignet ins Spiel gebracht. Dabei handelt es sich nicht um eine reine Sachent- scheidung. Es geht auch um einen fundamentalen Gesinnungswechsel. Das Ziel eines Carriers darf künftig nicht mehr darin bestehen, alle Wertschöpfungsakti- vitäten selbst durchzuführen, sondern die Kompetenzen von Partnern gezielt ein- zusetzen, um wettbewerbsfähige Produkte und Services anzubieten. Das bezieht sich sowohl auf OTT-Dienste als auch auf infrastrukturelle Themen wie Whole- buy. In der Vergangenheit wurde das Thema Partnerschaften stiefmütterlich und operativ behandelt. Heute ist es eine strategische Kernaufgabe, die deutlich mehr Aufmerksamkeit und Ressourceneinsatz erfordert.

Ist die Partnerallianz formiert, muss das Netzwerk zum Laufen gebracht – und am Laufen gehalten werden. Traditionelle Regelungsmechanismen wie Organisa- tion und Prozesse sorgen für die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung. Allerdings entscheidet sich an den Schnittstellen der konkreten Zusammenar- beit, am „Point of Collaboration“, ob sich die Arbeitsteilung effizient entfaltet oder in Lähmung, Orientierungslosigkeit oder Reibungsverlusten erstarrt. Die verbindliche Ausrichtung der Marktteilnehmer und ihre Mobilisierung auf das gemeinsame Ziel werden zu Erfolgsfaktoren, wo es besonders auf Kooperation ankommt.

Auf technischer Seite gibt es eine Reihe von Lösungen und Werkzeugen, um die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zu unterstützen. Kooperationswil-

Detecon International GmbH 159 Forcierung Partnering

lige Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern die geeigneten Mittel frühzeitig zur Verfügung stellen, um die Zusammenarbeit bereits von Beginn an bestmöglich zu unterstützen. Dazu zählen je nach Modell der Zusammenarbeit etwa web- zentrierte Lieferantenportale, die den Einkauf unterstützen, Social Work Spaces, in denen Projektmitglieder aus unterschiedlichen Unternehmen medienüber- greifend zusammenarbeiten, und Cloud-Computing-Anwendungen, um Daten auf eine Vielzahl von Endgeräten und Nutzern zu verteilen. Videokonferenzen, Webmeetings, Datenaustausch mit EDI 2.0 und der Einsatz sozialer Medien runden die Zusammenarbeit ab. Auf Teamebene beschleunigen prozessgesteuerte Workflows die kooperativen Abläufe.

Wichtig ist ein ganzheitlicher Management-Ansatz, mit dem Unternehmen ihre Partnerschaften von der Wertschöpfungsanalyse aus entwickeln und organisie- ren. Die Kooperationsverantwortlichen müssen die notwendigen Anpassungen und Transformationen initiieren, damit die Akteure des Netzwerks gut zusam- menspielen können. Ein straffes Management mit geeigneten Governance-, Be- treuungs- und Collaboration-Technologien stellt die Performance des Netzwerks sicher.

Abbildung 3: Vorgehensmodell für die Remodellierung der Wertschöpfungskette

Value Chain Analyse Partnerselektion • SWOT-Analyse zur Identifikation von • Long list / Short list der Partner Verbesserungspotenzialen im Prozess • Exit nicht-performanter Partner

M-O-P-S Entscheid Partnerinitiierung & Vertragsgestaltung • Entscheidung über Make, Outsource, Plan • Angang/Bindung von Partnern in Partner oder Buy Build LOI/Kooperationsverträgen Partner/ schaftliches Leistungsmessung Vorgehen im Connect/Disconnet M2M • Einsatz von KPIs, die die Leistung des • Integration neuer Partner Monitor Partnernetzwerks messen • Ausphasen schwacher Partner Run • Definition Ziele, Screening Trends

Abweichungsmanagement Transformation • Proaktive Frühwarn-Signale • Anpassung von Schnittstellen, • Korrekturmaßnahmen Applikationen und Daten- verbindungen sowie Standorte

Quelle: Detecon

160 Detecon International GmbH Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum

Strukturiert remodellieren in vier Stufen

Um die Remodellierung einer Wertschöpfungskette und das Partnermanagement strukturiert und planmäßig voranzutreiben, empfiehlt sich Unternehmen ein 4-Stufen-Vorgehensmodell. Dieses Modell hat sich bereits in vielen Beratungs- projekten bewährt und deckt den gesamten Lebenszyklus eines Wertschöpfungs- netzes ab. Entscheidend für den Erfolg der Remodellierung ist das Prozessdesign in der Transformationsphase. Für jede Art von Zusammenarbeit gilt, dass Auf- gaben anders aufgeteilt und somit Prozesse, Prozessschritte und Verantwortlich- keiten zumindest durchleuchtet und gegebenenfalls angepasst werden müssen.

Die organisatorische Optimierung beginnt bereits bei der Einigung auf einen neuen Zuschnitt und die Optimierung der fortan gemeinsam zu durchlaufenden Prozessketten. Ziel ist es, zu einem gemeinsamen, sinnvollen und durchgängigen Prozess zu gelangen. Basis des Managementmodells ist das Entrepreneurship der Mitglieder. Die Kontrollmöglichkeiten nehmen an anderer Stelle zu: IT-Stan- dards und die Existenz von M2M-Kontrollsystemen machen die Überwachung der Warenströme der Wertschöpfungsketten sowie der Response von Kunden immer einfacher. Das Erfolgs-Tracking der Partnerschaft und der gemessene Wertbeitrag jedes Partners wird in der Zukunft noch mehr in den Steuerungs- systemen der Unternehmen Einzug halten. Und: Partnerschaften sind auf Zeit angelegt. Geeignete Exit-Mechanismen sind vorzusehen, um ein faires und rei- bungsloses Disconnect zu ermöglichen, falls die Kooperation nicht funktioniert.

Mit einer Kultur des Teilens immer neues Wachstum erreichen

Virtuelle Wertschöpfungsnetzwerke beherrschen künftig den Markt. Die Kon- trolle der Wertschöpfungskette durch Eigentum fällt damit weg. Darum müs- sen Unternehmen Kompetenzen entwickeln, um ihre Netzwerke mit anderen Macht- und Steuerungsmitteln als mit finanziellem Besitz zu managen. Um in der Wertschöpfung der Zukunft gemeinsam erfolgreich zu sein, ist eine Kultur des Verständnis für andere Partnerorganisationen, des Teilens und der profes- sionellen Kooperation auf allen Unternehmensebenen erforderlich: in Teams, zwischen Abteilungen und auf der Ebene der strategischen Führung. Wer diese Kompetenzen aufbaut, wird auch in gesättigten Märkten immer wieder neues Wachstumspotenzial erschließen.

Detecon International GmbH 161 „Partnering als strategische Wachstumswaffe“

Professor Jens Böcker beschäftigt sich mit der Entwicklung von Marketingstrategien in dynamischen und technologisch geprägten Märkten, insbesondere dem ICT-Markt. Er ist Professor für Betriebswirtschaft und Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und darüber hinaus Vorstandsmitglied in der M2M-Allianz e.V. sowie wissenschaftlicher Beirat einer Bonner Managementberatung. Der Ausbau der Partneringkompetenz von Telekommunikations- unternehmen muss aus seiner Sicht ganz oben auf die Agenda. Interview

162 Detecon International GmbH „Partnering als strategische Wachstumswaffe“

Frage: Beobachten Sie einen relativen Anstieg des Partnering als Wachstumsstra- tegie bei Telekommunikationsunternehmen?

Prof. Böcker: Telekommunikationsunternehmen setzen Partnering immer mehr als strategische Wachstumswaffe ein, denn es gilt, die Gefahr einer „Dump Bit Pipe“ zu vermeiden. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Spezialisten häufig ­Generalisten schlagen. Deshalb gehen sie gerne Partnerschaften mit innovativen Diensteanbietern ein, um ihr Portfolio abzurunden. Der Vorteil von Unterneh- men wie Spotify oder ClickandBuy ist, dass sie als kleine, in der Geschäftspolitik wenig zahlreiche Akteure ganz dicht am Markt sind. Für die großen Netzanbie- ter wiederum ist das Invest überschaubar, der potenzielle negative Imagetransfer durch den Partnereinsatz auf die eigene Marke begrenzt und das Flop-Risiko beim Partner gekapselt.

Frage: Die Telekommunikationsindustrie beabsichtigt häufig eine Enabler-Rolle in neuen, digital getriebenen Geschäftsmodellen. Haben Telekommunikations- unternehmen bei Machine-to-Machine(M2M)-Initiativen die führende Rolle übernommen?

Prof. Böcker: Der Kampf über die Führerschaft in Wertschöpfungsnetzwerken ist aus meiner Sicht noch nicht entschieden. Telekommunikationsunternehmen­ haben in standardisierten Massenmärkten bewiesen, dass sie den Markt dr­ ehen können. In den neuen hochindividuellen und dynamischen Märkten wie M2M ist aber die spezifische technologische Lösungskompetenz und Branchenbetr­ euung ausgerichtet auf die meist schmale Kundenzielgruppe. Dies kann durchaus auch von Unternehmen aus der IT-Industrie, beispielsweise IBM, ATOS, Computa­ center oder Bechtle, geleistet werden. Netzbetreiber haben ­ihren USP in der Transportinfrastruktur, in der digitalen Verteilung von Lösungen sowie dem flächendeckenden Vertrieb. Die verschiedenen telekommunikationsgetriebenen M2M-Initiativen und der Aufbau von Partneringabteilungen bei den Betreibern deuten allerdings darauf hin, dass die Voraussetzung für ein „Enablership“, näm- lich die Partnering-Kompetenz, systematisch gestärkt wird. Von einem Enabler wird erwartet, dass er die Fähigkeit besitzt, Akteure aus unterschiedlichen Bran- chen zu orchestrieren.

Detecon International GmbH 163 Interview

Frage: Welche Rolle spielt Partnering im Rollout von M2M-Lösungen?

Prof. Böcker: Sicher ist die technologische Lösungskompetenz erste Wett­ bewerbsvisitenkarte solcher Netzwerke. Partnering ist der wichtigste Hygiene­ faktor. Sowohl die Partnerauswahl als auch das Management der Partner im ­laufenden Betrieb ist erfolgsentscheidend – übrigens genauso wie die Fähigkeit, sich von schwachen Partnern zu trennen und diese schnell durch leistungsfähiger­ e Kooperationspartner zu ersetzen. Diese Fähigkeit ist besonders entscheidend im Outsourcing-Markt, der immer mehr durch Second Generation Outsourcing oder Multi-Vendor-Lösungen geprägt ist.

Frage: Wie hat sich die Qualität des Partnering in den letzten zehn Jahren ver- ändert?

Prof. Böcker: Das Partnering hat sich in der letzten Dekade von einem opera- tiven Erfüllungsgehilfen zur Abdeckung von Ressourcenengpässen hin zu einem strategischen Faktor entwickelt. Auf der Umsatzseite spielt es mit Innovations- und Vertriebspartnering eine wichtige Rolle. Hier zieht auch die Qualität und Geschwindigkeit solcher Kooperationen weiter an. Angesichts der zunehmenden Reife der Telekommunikationsindustrie hilft Partnering den Telekommunika­ tionsunternehmen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Outsour- cing-Deals und die Verlagerung von Querschnittsaufgaben – selbst F&E – an zuliefernde Partner ermöglicht Kostensenkungspotenziale, die über herkömm- liche Einsparungsprojekte gar nicht zu mobilisieren sind.

Frage: Welche Entwicklungen stehen uns hier noch bevor?

Prof. Böcker: Carrier werden im Rahmen ihrer Wachstumsüberlegungen ihre Partneringkompetenz weiter ausbauen. Der Aufbau eines strategisch motivierten Partnermanagements belegt auf der Agenda vieler Anbieter einen der oberen Plätze. Ganz oben auf dem Jobprofil für Partnermanager wird stehen: Fähigkeit, Netzwerke strategisch zu entwickeln und führende Unternehmen als Partner zu gewinnen, ausgewiesene Expertise im Bereich der Partnerselektion und dem ­Management von Partnerportfolios und Umsetzungstalent, um Kooperationen agil zu halten und zum beiderseitigen Erfolg zu führen.

164 Detecon International GmbH „Partnering als strategische Wachstumswaffe“

Detecon International GmbH 165 Empowerment Wholesale

Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

Manfred Schmitz

> Managed Services unterstützen seit mehr als zehn Jahren die Strategie globaler Telekommunikationskonzerne. Die Ansprüche an das Modell entwickeln sich weiter.

> Eine Befragung internationaler Betreiber ergab, dass kostenbezogene Ziele nach wie vor im Vordergrund stehen. Für die Zukunft zeichnet sich jedoch ein Trend zu Servicequalität und geschäftszentrierten Aspekten ab.

> Die Ausweitung auf zusätzliche funktionale Prozesse und den IT-Sektor kündigt die dritte Phase des Managed-Service-Modell an.

166 Detecon International GmbH Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

Mehr als zehn Jahre Managed Services

Um ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend angespannteren Markt aufrechterhalten zu können, sind Telekommunikationsbetreiber gefordert, sich ­weiterzuentwickeln. Managed Services unterstützen seit mehr als zehn Jahren viele Netzbetreiber darin, ihre Kosteneffizienz zu steigern, betriebliche Kompe- tenzlücken zu überwinden und sich stärker auf ihr Kerngeschäft zu konzentrie- ren. Angesichts der Herausforderungen, die von neuen Marktteilnehmern aus- gehen, sowie der Konvergenz von Netztechnologien und IT sind die Ansprüche der Betreiber an Managed Services weiter gestiegen. Der Technologiewandel ist letztendlich einer der Schlüsselfaktoren, der bewirkt, dass Betreiber Managed Services nutzen.

In den vergangenen Jahren hat Detecon zahlreiche Projekte im Bereich der ­Managed Services durchgeführt und Betreiber über sämtliche Prozesspha- sen hindur­ ch begleitet. In diesem Kontext entstand eine Umfrage bei mehre- ren B­ etreibern weltweit, welche die aktuelle Relevanz des Outsourcings, die ­Präferenzen sowie künftige Trends in diesem dynamischen Umfeld bewertet. Die Befragungsergebnisse basieren sowohl auf Primärerhebungen1 als auch auf ­Sekundärerhebungen.2

Mobilfunknetze haben sich in der Zwischenzeit mit rasanter Geschwindigkeit über den gesamten Erdball ausgebreitet. Zahlreiche Betreiber, die nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Prozesse zum Betreiben der aufstrebenden Tech- nologien verfügten und gleichzeitig um Kosteneffizienz bemüht waren, wand- ten sich an die Equipment-Anbieter für Managed Services. Das Modell Plan, Build, Operate, Transfer (PBOT) wurde entwickelt. Da das Vertrauen gegenüber den Anbietern gering ausgeprägt war, bezogen die Betreiber das Equipment von unterschiedlichen Anbietern. Die Transferphase trat nie ein und es entstanden ­Multi-Vendor-Netze, die von mehreren Managed Service Providern (MSP) be- trieben wurden. Typisch im Zusammenhang mit diesen Netzen war, dass jeder einzelne MSP für sein eigenes Equipment verantwortlich zeichnete.

Es gibt ein weiteres Modell, das zeitweise von wirtschaftlichen Interessen geleitet wird, aber häufiger in Verbindung mit Regelungen zum wettbewerbswidrigen Verhalten in Erscheinung tritt. Bei diesem Modell liefern existierende Netzbetrei- ber Netzressourcen in Kombination mit Betreiberdiensten an andere Service Pro-

1 Persönliche Interviews mit Entscheidungsträgern aus fünf Kontinenten, die für den Telekommunikationsnetzbetrieb verantwortlich sind, und Erfahrungsberichte, die von Detecon-Experten eingeholt wurden. 2 Externe Reports und Datenbanken mit mehr als 3.500 Managed-Services-Verträgen.

Detecon International GmbH 167 Empowerment Wholesale

vider, bei denen es sich möglicherweise um ihre Wettbewerber handelt. Beispiele dieses Modells sind Mobile Virtual Networks und Backhaul-Konnektivität. Die Bereitstellung solcher Ressourcen erfolgt normalerweise auf der Grundlage einer Wholesale-Vereinbarung wie auch in Bezug auf Service Level Agreements (SLAs) und Key Performance Indicators (KPIs) mit begrenzter Serviceflexibilität. Diese Vereinbarung kann gut funktionieren, wenn es sich um einfache Produkte oder Massenware handelt oder wenn die Wettbewerber hinsichtlich des Marktanteils nur eine geringfügige Bedrohung darstellen. Andernfalls würde die ­heikle Bezie- hung des „Kooperationswettbewerbs“ eine große Auswirkung auf das Potenzial des Serviceangebots haben. Ausnahmen konnten in solchen Ländern beobach- tet werden, in denen die strukturelle Teilung zwischen dem Einzelhandels- und Großhandelszweig für marktbeherrschende Netzbetreiber vorgeschrieben ist. Trotz der Komplexität erwarten wir einen starken zahlenmäßigen Anstieg der Vereinbarungen entsprechend dem Asset-Heavy- versus Asset-Light-Ansatz.3

Primäre Zielsetzung bleibt kostenbezogen, Servicequalität und geschäfts­zentrierte Aspekte rücken nach

Auch heutzutage sind die primären Zielsetzungen zur Nutzung von Managed Services immer noch kostenbezogen. Gemäß unserer weltweiten Betreiberum- frage wurden „OPEX-Optimierung“ und „Kostenprognose“ von mehr als 50 Prozent der Befragten als die Top-Prioritäten ihrer Geschäftsstrategie genannt. Trotzdem sollte nicht ignoriert werden, dass andere Zielsetzungen wie „Service- qualität“ und „geschäftszentrierte Aspekte“ ebenfalls Beachtung fanden. Sie wer- den allerdings eher als eine Erweiterung der kostenbezogenen Ziele und weniger als wichtige Alternativen betrachtet. Erwähnenswert ist ebenfalls, dass es hin- sichtlich dieser Prioritäten große regionale Unterschiede gab.

Hier wird anschaulich dargestellt, dass die Beschaffenheit der ManagedS­ ervices weiterhin stark ortsabhängig ist. Ein gutes Beispiel in diesem Kontext sind die fachlichen Kompetenzen. Einige Märkte in Afrika und im Mittleren Osten haben­ nach wie vor Schwierigkeiten, Personal mit dem erforderlichen Fach­wissen zu finden. erartigeD Konstellationen bieten eine hervorragende Möglichkeit zur Einführung von Managed Services.

Betreiber zeigen sich generell zufrieden mit Managed Services

Die Teilnehmer unserer Umfrage wiesen darauf hin, dass das oberste Ziel der OPEX-Optimierung größtenteils erreicht worden sei. Die Managed Services

3 Vgl. Krüssel, Network is King!, S. 8 ff. in diesem Band.

168 Detecon International GmbH Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

­haben auf jeden Fall dazu beigetragen, die Betriebskosten der Betreiber zu sen- ken. Befragt nach der Kostenprognose, zeigten sich 78 Prozent der Teilnehmer zufrieden. Weitere 11 Prozent gaben an, dass die Leistung ihre Erwartungen sogar übertraf. Kosteneffizienz ist jedoch nur eines der Verkaufsargumente von Managed Services. Bei der Bewertung und Auswahl der Angebote war es für 77 Prozent der Befragten von entscheidender Bedeutung, dass die MSPs nach­weisen konnten, über bewährte Frameworks, Prozesse, Tools und ­Betriebsmodelle zu verfügen. MSPs versprechen grundsätzlich die Einführung der optimalen Pro- zesse mit entsprechend geeigneten Tools zur effizienten Bewältigung des täg- lichen Betriebsablaufs und Durchführung der Wartungstätigkeiten. Optimierte Prozesse und effiziente Tools, ergänzt durch Skaleneffekte bei anderen Services, die von Experten in regionalen oder globalen „Centers of E­ xcellence“ und Netz- werkbetriebszentren (NOC) geliefert werden, tragen ebenfalls zur Senkung der Betriebskosten bei.

Die meisten Betreiber sind mit ihrer Outsourcing-Entscheidung sehr zufrieden. Das Vertrauen in die MSPs ist im Verlauf der Zeit gewachsen und hat eine part-

Abbildung 1: Prioritäten bei der Outsourcing-Strategie

= Mittlerer Osten = Afrika 33% = Asien 30% 30% 30% = Europa = Amerika 25% 17% 22%22% 20% 20%20%19% 15% 18% 14% 15% 13% 13% 14% 12% 13% 11% 11% 10% 10% 9% 9% 8% 8% 6%

OPEX-Senkung Kostenprognose Servicequalität Konzentration Organisation & Fachliche auf das Geschäft Prozessrahmen Kompetenz

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 169 Empowerment Wholesale

nerschaftliche Ebene erreicht. Einige Betreiber mit diversen MSPs haben damit begonnen, die Anzahl der Partner zu konsolidieren, um die operative Komplexi- tät und die Aufgaben des Vendor Managements zu minimieren.

Betreiber haben eine klare Vorstellung von den Erfahrungen und Fähigkeiten, die sie bei ihren MSPs wertschätzen. Bewährte Frameworks, Prozesse und Tools wie auch bewährte Betriebsmodelle bilden die wichtigsten Faktoren, wenn es um die Einschätzung des Angebots von Managed Services geht. Ein ebenfalls entscheidendes Kriterium im Rahmen der Angebotsbewertung besteht in gut ausgebildetem Personal, das von den MSPs bereitzustellen ist.

Trend zur Konsolidierung

Mit 71 Prozent hatte die überwiegende Mehrheit der Befragten Verträge mit ­diversen MSPs abgeschlossen. Eine regionale Teilung – jeder Anbieter betreibt eine separate Region – kam häufiger vor als die Teilung eines Netzwerksegments, das heißt ein Anbieter betreibt das Hauptnetz, ein anderer das Radio Access Net- wok (RAN). Doch bei mehr als der Hälfte der Befragten zeigte sich eine schwach ausgeprägte Präferenz für einen einzigen MSP und die Teilung eines Netzwerk- segments. Eine Prozessteilung, bei der ein Anbieter verantwortlich ist für das Fehlermanagement und ein anderer für die Optimierung, fand bei den von uns befragten Betreibern nicht statt.

Die Konsolidierung der Partner ist einer der großen Schritte in Richtung eines leistungsstärkeren Outsourcing-Modells und wird von den Netzbetreibern als eine der Top-Sourcing-Taktiken bewertet, welche die Entwicklung der Managed Services in den kommenden Jahren vorantreiben wird. Durch die Reduktion der Komplexität, verbunden mit dem Rückhalt eines vertrauenswürdigen Partners, werden Betreiber in der Lage sein, sich stärker auf ihr Kerngeschäft zu konzen- trieren.

Nichts ist ohne Risiko

Der Übergang von der aktuellen zur angestrebten Betriebsart, unabhängig, ob vom internen Betrieb zu Managed Services oder von mehreren MSPs zu einem einzigen Partner, stellt grundsätzlich kein leichtes Unterfangen dar. 31 Prozent der Umfrageteilnehmer zeigten sich enttäuscht von dem Partnerschaftsansatz der MSPs. I­hrer Meinung nach waren die MSPs bei den Vertragsverhandlungen häufig nicht flexibel.­ erD Einstieg in die Managed Services gestaltete sich oft als

170 Detecon International GmbH Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

schmerzvolle Erfahrung. Die Betreiber gaben sich häufig sehr optimistisch, wenn es um Projektmeilensteine ging. Für den Übergang wurden zum Beispiel durch- schnittlich 3,4 Monate eingeplant und für den darauffolgenden Stabilisierungs- zeitraum 3,1 Monate angesetzt. Der tatsächliche Zeitraum für beide Abschnitte betrug am Ende mehr als das Doppelte. Einer der Befragten merkte dazu an, dass „wir während des Übergangs von Unterbrechungen betroffen waren, die sich nachteilig auf unsere KPIs auswirkten“. Ein anderer kommentierte, dass es „beim Übergang von intern auf Managed Services Hindernisse zu bewältigen gab, aber dass wir unsere Netzwerk-KPIs nach dem Übergang (12 Monate) ver- bessern konnten.“ 38 Prozent waren unzufrieden mit dem langsamen Start der Dienste und bemängelten, dass die Meilensteine für die SLA-/KPI-Zielsetzung häufig nicht erreicht wurden.

Auch wenn die Kostenkontrolle als vorrangiges Ziel vollständig erreicht wurde, war die Servicequalität, die in unserer Umfrage zu den Managed Services Platz 3 unter den Top-Zielsetzungen einnahm, nicht immer vollständig zufrieden- stellend. Ein Drittel der Teilnehmer gab an, dass die gelieferte Servicequalität schlechter ausfiel als erwartet. Andere Bereiche, die nicht den Erwartungen ent- sprachen, beinhalteten den Zugriff auf die besten Prozesse und Fachkenntnis- se, die jedoch auf der Agenda des Betreibers einen relativ niedrigen Stellenwert einnahmen. Der Grad der Unzufriedenheit in diesem Bereich war eng mit der Qualität und der Vorbereitungszeit verbunden, die während der ersten Phasen der Umsetzung der Managed Services gewährt wurde. Da die Betreiber diese Aufgaben in der Regel zum ersten Mal ausführen, fehlt es ihnen häufig an ent- sprechenden Erfahrungen, wobei dieser Mangel durch externe Unterstützung ausgeglichen werden kann.

Ausweitung auf andere funktionale Prozesse

Der Netzlebenszyklus besteht aus den Phasen Plan, Build und Run. ­Managed Services werden meistens in der Run-Phase genutzt, das heißt während des Be- triebs, gelegentlich auch in der Build-Phase. Die Konsolidierung der Managed Services für die Run-Phase beweist, dass es sich um ein erfolgreiches Modell handelt. Während der vergangenen Jahre hat es einen deutlichen Zuwachs in der Nutzung der Managed Services gegeben. Das schnellste Wachstum konnte in der Build-Phase beobachtet werden, wenn die MSPs, zumeist die Equipment- Anbieter, mit dem Rollout des Netzes beauftragt werden. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Hinsichtlich der Plan-Prozesse, die einen zentralen strategischen Bereich darstellen, würden viele B­ etreiber es vorziehen,

Detecon International GmbH 171 Empowerment Wholesale

wenn die Planungsaktivitäten innerhalb des Unternehmens verblieben. Doch Dritte waren bereits erfolgreich bei der Übernahme einiger dieser Aktivitäten. Aus der Umfrage geht hervor, dass das Outsourcen derjenigen Aktivitäten, die sich auf solche funktionalen Prozesse beziehen, in den kommenden zwei Jahren ein starkes Wachstum verzeichnen wird.

Die MSPs werden künftig mehr Aufgaben sowohl bei der umsetzungsorientierten Gestaltung als auch bei der Nutzung der Netze und im Bereich Operations über- nehmen. Betreiber, die Aktivitäten in Verbindung mit Strategie und Gestaltung bislang typischerweise als Kernkompetenz betrachteten, sind jetzt aufgeschlos- sener gegenüber der Idee, diese Aktivitäten auszulagern. 61 Prozent der Betrei- ber optieren eindeutig dafür, derartige Aktivitäten den Equipment-Anbietern zu übertragen, lediglich 25 Prozent wollen die Aktivitäten internen Abteilungen und nur 7 Prozent einer Beratung übertragen. Die professionellen Services im strategischen Bereich können jedoch im Ansatz vom operativen Bereich abwei- chen.

Abbildung 2: Steigender Trend für Managed Services in Bezug auf diverse funktionale Prozesse

MC* PLAN Build RUN

MC Strat. NW Deatail. NW NW NW 1st 2nd SPM Perf. Optimie- Plan. Design Plan. Deploy Expansion Surveil Line Line Mgmt. rung

Abbildung der Fähigkeiten der Telco-Anbieter 412344455534

Linker Balken = gegenwärtig = 0% - 33% der Betreiber lagern aus Rechter Balken = künftig = 34% - 66% der Betreiber lagern aus * Managed Capacity = 67% - 100% der Betreiber lagern aus

Quelle: Detecon

172 Detecon International GmbH Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

Ausweitung auf IT-Managed Services

Neben der Übernahme zusätzlicher funktionaler Prozesse arbeiten einige MSPs aktiv daran, ihr Serviceangebot auf den IT-Sektor auszuweiten. In diesem Sinne bezieht sich IT auf Systeme und Plattformen, welche die Telekommunikations- netze wie Content Management, CRM-Systeme, Business-Support-Systeme und Provisioning-Systeme und nicht die interne IT-Infrastruktur wie LAN und Desktop unterstützen. Der größte Teil des IT-Systembetriebs wird gegenwärtig von IT-System-Outsourcern oder unternehmensinternem Personal durchge- führt. Telekommunikationsanbieter haben diesen Bereich bislang noch wenig durchdrungen. Somit besteht für sie ein erhebliches Potenzial, einen Marktanteil für Support-Systeme zu erlangen. Aspekte wie Netzqualität und Customer Expe- rience sind eng mit solchen Support-Systemen verbunden. Telekommunikations- anbieter sind gut aufgestellt, um Lösungen anzubieten, die auf die Verbesserung der End-to-End-Netzqualität und Customer Experience abzielen. Das erreichen

Abbildung 3: Erweiterung der Managed Services

MC* PLAN Build RUN

Mechanisch

Schnelle Telco Expansion

Services

IT- und Langsame Support- Expansion Systeme

* Managed Capacity

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 173 Empowerment Wholesale

sie, indem sie ihr Netz-Equipment zusammen mit ihren Support-Systemen ein- bringen, Schnittstellen verbessern und operative Prozesse einführen, die auf die Bedürfnisse des Telekommunikationsgeschäfts zugeschnitten sind.

Mit Blick in die ferne Zukunft treiben Entwicklungen wie die Virtualisierung der Netzwerke mit Service-defined Networking (SDN) die Managed Services sogar noch weiter voran. Die Entkopplung der ControlPlane von DataPlane und Infrastruktur-Layer hätte zur Folge, dass weniger Hardware in diesem Bereich erforderlich wäre. Wenn Steuerungssysteme vom Standort entfernt und zentral gemanagt werden, profitieren die Betreiber von den aus den Managed Services resultierenden höheren Skaleneffekten.

Erwartungen in Bezug auf Customer Experience und engere Partnerschaft

Während kostenbezogene Ziele bislang die Top-Priorität für die Beauftragung von Managed Services war, ergab unsere Umfrage, dass Servicequalität und ­Customer Experience während der kommenden Jahre die wichtigsten Faktoren bilden. Kosten und Effizienz spielen natürlich weiterhin eine zentrale Rolle bei den Entscheidungen der Betreiber, aber in Bezug auf Managed Services sind sie zu Standarderwartungen geworden und haben eine Verlagerung des Schwer- punkts auf Customer Experience und Servicequalität bewirkt. Dieser Trend lässt sich anhand der Ergebnisse unserer Befragung gut verdeutlichen, als wir die Be- treiber baten, die Bereiche in ihrem aktuellen Managed Service Setup anzugeben, die sie gern anpassen würden:

> Fokus der KPIs auf Umfrage zur Customer Experience (32 Prozent) > Fokus auf End-to-End-Servicequalitätsmanagement (32 Prozent) > Übertragung von CAPEX-Verantwortlichkeiten an den Partner (21 Prozent) > Initiativen für Energiemanagement (9 Prozent) > Einführung eines Umsatzverteilungsmodells (6 Prozent)

Customer Experience und Servicequalität werden eine zentrale Rolle spielen, wenn die Betreiber danach streben, sich stärker von ihren Wettbewerbern abzu- heben. Die Betreiber erwarten Anpassung und Verbesserung der damit verbun- denen SLAs/KPIs, die bis zu einem gewissen Grad durch bessere Support-Systeme erreicht werden können. Diese Erwartungen öffnen den Telekommunikations- unternehmen eine Tür zu diesem IT-Business-Segment. Doch um die Chance

174 Detecon International GmbH Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

ergreifen zu können, müssen sie mit Blick auf ihr aktuelles Service- und Pro- duktportfolio zunächst ihre Fähigkeiten und ihr Know-how unter Beweis stellen. Zudem bedeutet die Ausweitung der Managed Services in das IT-Segment, dass die Partnerschaft auf eine neue Ebene gehoben wird. Mehr Vertrauen zwischen den Partnern ist von entscheidender Bedeutung. Es wird Herausforderungen ge- ben, die es zu bewältigen gilt, und es müssen Kompromisse geschlossen werden: Flexibilität bei Vertragsverhandlungen, Erwartungen der Betreiber im Hinblick auf Servicestart und Erreichung der Projektmeilensteine, der Wunsch, einige ­CAPEX-Verantwortlichkeiten auf die Anbieter zu übertragen, und sogar ein Umsatzverteilungsmodell für Managed Services.

Weiterentwickeln, vorankommen!

Die Befragung zeigt, dass Betreiber die zweite Phase der Managed-Services-Ent- wicklung erreicht haben: Sie haben mit der Konsolidierung der Service Partner begonnen, die operative Komplexität reduziert und den Umfang auf stärker funk- tionale Prozesse, die sich auf die Strategie beziehen, ausgeweitet. Zwischen den Partnern wurde ein gutes Maß an Vertrauen etabliert. Mit den Technologien, die sich weiter in Richtung Daten- und Breitbanddienste, Mehrwertdienste, Kon- vergenz von Fest- und Funknetzen und Überleitung der IT in die Telekommuni- kationswelt entwickeln, befinden sich die Managed Services schon so gut wie in der dritten Phase der Entwicklung. Während dieser Phase werden die Betreiber ihre KPI-Erwartungen stärker in der Kategorie der Customer Experience veran- kern und somit ihren Spielraum erweitern, um andere Prozesse wie Planung und technische Bereiche wie IT mit dem Ziel abzudecken und zusätzliche Verbesse- rungen in Bezug auf Servicequalität, Customer Experience und Kosteneffizienz zu gewährleisten. Die transformierten Managed Services werden durch ein bei- spielloses Maß an Vertrauen und Partnerschaft zwischen Anbietern und Betrei- bern gekennzeichnet sein, was es den Betreibern ermöglicht, sich angesichts des zunehmenden Wettbewerbs stärker auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.

Das Managed-Services-Modell ist eine wichtige Strategie für globale Telekom- munikationskonzerne. Der Umfang der ausgelagerten Aktivitäten kann von Re- gion zu Region variieren und richtet sich nach der Marktlage. Afrika, APAC und Europa gehen zum Beispiel davon aus, dass in der nahen Zukunft mehr Prozesse outgesourct werden. Während Europa das Outsourcing gegebenenfalls auf bestimmte technische Bereiche beschränkt, wird vermutet, dass der Mittlere

Detecon International GmbH 175 Empowerment Wholesale

Osten die Managed Services sowohl auf Prozesse als auch auf technische Bereiche ausweitet. Generell hat sich das Managed-Services-Modell bisher als erfolgreich erwiesen, die dritte Phase hat sich im Anschluss an die anderen Phasen als na- türliche Entwicklung ergeben. Allerdings wird es im weiteren Verlauf noch viele Herausforderungen geben, die es zu überwinden gilt. Laut Aussage einiger Um- frageteilnehmer besteht eine der Herausforderungen in der Evolution unserer Denkweise:

„Die größte Hürde in unserer Outsourcing-Strategie liegt in der Akzeptanz des Wandels, der sich in der Philosophie darüber vollzogen hat, wie ein Unternehmen gemanagt wird – und zwar nicht von Menschen, sondern von KPIs, ...“

und

„ ... im Umdenken liegt die echte Herausforderung.“

Die sich ständig wandelnde Telekommunikationswelt mit ihren Herausforde- rungen und Risiken aufgrund neuer Technologien und Marktteilnehmer wird auf jeden Fall weiterhin auf Managed Services als nützliches Mittel zur Unter- stützung der Betreiber setzen, damit diese wettbewerbsfähig bleiben und Opera- tional Excellence erreichen.

Es hat sich deutlich herausgestellt, dass das Vorhaben, das wir vor zehn Jahren als einfache Übung zur OPEX-Senkung begonnen haben, das auf grundlegende operative Aktivitäten beschränkt war und sich durch ein begrenztes Maß an Ver- trauen gegenüber den Service Providern auszeichnete, in ein Reifestadium einge- treten ist. Die Betreiber sind mit ihrer Entscheidung überwiegend zufrieden und planen, sich mit diesem Modell weitere Bereiche zu erschließen und eine größere Anzahl von Prozessen mit einzubeziehen. Im Laufe der Zeit ist das Vertrauen ge- stiegen und hat eine partnerschaftliche Ebene erreicht – eine wichtige Entwick- lung zur Einbeziehung der Service Provider in sensible Bereiche wie Planung, strategische Netzplanung oder Bereiche, die sensible Kundendaten wie Billing betreffen. Dazu gehören auch Maßnahmen, die einem Betreiber eine Differen- zierung ermöglichen, zum Beispiel das Outsourcing von Applikationsentwick- lung und die Bereitstellung von Content.

176 Detecon International GmbH Managed Services vor dem Eintritt ins Reifestadium – Ergebnisse einer Umfrage

Als Teil ihrer künftigen Aktivitäten planen die Betreiber, das Outsourcing auf IT wie auch diverse Support-Systeme und -Services auszuweiten. Die Konsoli- dierung der Anbieter über die Grenzen der Telekommunikations- und IT-Welt hinweg und die Konsolidierung der zentralen Outsourcing-Bereiche für den ­Telekommunikationsinfrastruktursektor – Plan, Build, Run – werden in der Outsourcing-Strategie der Betreiber eine zentrale Rolle spielen.

Detecon International GmbH 177 Empowerment Wholesale

Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

Dr. Markus Steingröver Dr. Olaf Nielinger

> Wholesale-Märkte unterliegen einer großen Veränderung. Statt standardisiertem Massengeschäft sind zunehmend komplexere Systemlösungen gefragt.

> Wholesale-Anbieter müssen kleinteiliger und entlang der Wertschöpfungskette professionell agieren. Unterstützend wirken hier Partnerschaften als Erfolgsfaktoren im Wholesale-Geschäft.

> Das Wholesale-Geschäft spielt zukünftig eine wichtige Rolle im Rahmen der integrierten Fest- und Mobilfunkstrategien der Netzbetreiber. Die Realisierung von Economies of Scales kann nur auf diese Weise umfassend gelingen – sie gilt als Voraussetzung für kostengünstige Angebote in den Retail-Märkten.

178 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

Veränderungen im Markt bedingen neue Wholesale-Geschäftsmodelle

Wholesale-Geschäftsmodelle unterliegen derzeit starken Veränderungen. Wäh- rend tradierte Umsatzfelder schrumpfen oder einbrechen, ergeben sich durch die Migration in die All-over-IP-Welt und dem explodierenden Datenverkehr vielfältige neue Geschäftsfelder für Wholesale-Anbieter:

Globale Anbieter ergänzen reine Transportleistungen mit höherwertigen Dien- sten wie Cloud-Produkten. 2011 stammten nur etwa 42 Prozent der Umsätze von Akamei aus dem traditionellen Content-Distributionsgeschäft, während be- reits 58 Prozent mit Cloud-Diensten erwirtschaftet wurden.

Gleichzeitig expandieren diese Anbieter in geografisch neue Märkte. Das gilt ­global – die Übernahme von Global Crossing durch Level 3 ist ein Beispiel hier- für –, aber auch regional, wie der Aufkauf von Pantel durch Türk Telekom zeigt. Generell ist ein Fokus auf die wachstumsstarken Schwellen- und Entwicklungs- länder zu beobachten.

Wachstum durch Vertiefung der Wertschöpfung beschreibt einen weiteren ­Wholesale-Megatrend. System Integration erhält als Element der Wertschöp- fung Relevanz und spielt zukünftig eine stärkere Rolle im Wholesale-Geschäft. BT ­erweiterte beispielsweise sein Portfolio sukzessive um Cloud Service (BT Compute) und um das Supply-Chain-Lösungsgeschäft (BT Trace). Mit Virtela entstand ein virtueller Anbieter von Managed Services mit Fokus auf System­ lösungen und On-Demand-Lösungen für globale Geschäftskunden.

Zusammenfassend zeigen die großen Megatrends im Wholesale-Geschäft eine Vertiefung der Wertschöpfungskette bei gleichzeitiger Erweiterung des Foot-

Tabelle: Handlungsfelder im Wholesale-Geschäft Handlungsfeld Bemerkung Strategische Stoßrichtung Managed Network Service/ Kerntreiber des zukünftigen Wachstum Mobile Backhaul Wholesale-Geschäfts Sprachdienste/Interconnection Erlöse sichern Verteidigung Data-Center-Strategie Nachfrage und Marktanforde- Komplementärstrategie rungen bedienen Wholesale Triple Play Kunden-Lock-in erreichen Komplementärstrategie Small-Cell-Strategie Zukunftsinvestition Wachstum Partnerschaftsstrategie Innovation und Erweiterung Komplementärstrategie

Detecon International GmbH 179 Empowerment Wholesale

prints. Als Teil der Vertiefungsstrategie stehen eine Data-Center-Strategie, Part- nerschaften und mobile Backhaul-Dienste ganz oben auf der Prioritätenliste. Kombiniert man diese zukunftsorientierten strategischen Aufgaben mit solchen, die sich aus dem herkömmlichen Geschäft ergeben, können im Einzelnen sechs Handlungsfelder identifiziert werden.

Wholesale-Strategien im Zugangsnetz

Im Bereich Zugang stellt Breitband den Hauptgeschäftstreiber dar. Allerdings sind mittlerweile ausschließlich Triple-Play- oder noch umfangreichere Bündel­ angebote wirklich konkurrenzfähig: Nur das Angebot von Bündeldiensten ist in der Lage, auf dem inzwischen stark kompetitiven Wholesale-Markt Kunden langfristig an bestimmte Anbieter zu binden (Lock-in-Effekt).

Netzbetreiber haben mittlerweile in fast allen Ländern damit begonnen, ihren Kunden im Retail-Markt kommerzielle IPTV-Dienste, zumeist als Multiplay- Bündel von Dienstleistungen, anzubieten. Ein Standard IPTV-Angebot beinhal- tet ein Basispaket von 50-100 TV-Kanälen, zusätzliche Kanäle im Abonnement, zuzüglich Video-on-Demand-Dienste inklusive Premiumsport auf Pay-per- View(PPV)-Basis. Dazu sind Wholesale-IPTV-Lösungen notwendig, die dem Wholesale-Kunden ein voll konvergentes Portfolio aus Festnetz, Mobilfunk, Breitandinternet und TV ermöglichen. Ziel ist, ein wettbewerbsfähiges Angebot beispielsweise als Gegenpol zu aggressiv im Markt agierenden Kabel-TV-Betrei- bern zu positionieren.

Die Bereitstellung von Multiplay-Angeboten erfordert eine Bandbreite von zirka 20 Mb/s pro Haushalt. Um eine solche Bandbreite zu realisieren, müssen Netzbe- treiber entweder ihre kupferbasierten Zugangsnetze mit Digital-Subscriber-Line (xDSL)-Technologie aufrüsten oder Glasfaser-Fibre-to-the-Home(FTTH)-Zu- gangsnetze ausrollen. Während die Glasfaser praktisch über unbegrenzte Band- breite verfügt, ist dies bei xDSL-Technologien inklusive Vectoring nicht der Fall. Daher müssen xDSL-Anbieter mittel- bis langfristig ihre Netze modernisieren und Glasfaser immer näher an den Endkunden bringen.

Während Incumbents ihre eigenen Kupfer- und FTTx-Zugangsnetze besitzen, haben alternative Netzbetreiber mehrere Möglichkeiten, um IPTV-Dienste an- zubieten. Hierzu zählen die Nutzung oder der Aufbau eigener FTTx-Infrastruk- turen, die Nutzung vollständig oder gemeinsam entbündelter Teilnehmeran- schlussleitungen (TAL), der Zugang zu Breitbandvorleistungen im Zugangsnetz

180 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

(Bitstromzugang), geeignet für die Bereitstellung von IPTV (Multicast-Funk­ tionalität ist erforderlich), oder die Nutzung von Wholesale-IPTV-Vorleistungs- produkten im Bündel als Teil einer spezifischen Wholesale-Gesamtlösung.

Dementsprechend muss aus Sicht eines Wholesale-Anbieters eine nachhaltige, langfristig orientierte Wholesale-Strategie für das breitbandige Zugangsnetz auf Kundenbindung und Lock-in-Effekte abzielen. Sie umfasst mehrere Elemente:

1. Geschäftsmodell: Aufbauend auf einer Segmentierung des Wholesale-Kun- denmarkts sind Geschäftsziele, Dienste und die zugehörige Bündelstrategie sowie Preispunkte im Detail neu zu justieren.

2. Plattform und Prozesse: Die notwendigen Anforderungen an die ­zugrunde liegenden Plattformen und Prozesse müssen sorgfältig definiert werden, um entsprechende Vermarktungsmöglichkeiten aller Dienste auf Wholesale-Basis ­sicherzustellen.

3. Einfluss auf den Retailmarkt: Eine detaillierte Analyse der Wholesale-Retail- Interdependenzen ist unerlässlich, um Zielkonflikte aufzudecken und entspre- chende Managemententscheidungen zu ermöglichen.

4. Regulierungsmanagement: Neben der Umsetzung geltender Regulierungs- entscheidungen, etwa zum Thema Multicasting, sollten mögliche regulatorische Anforderungen antizipiert werden. Beispielsweise könnte die Bündelung von mobilen und Festnetzdiensten entsprechende Anforderungen nach sich ziehen.

Mobile Backhaul

Die Explosion des mobilen Breitbandverkehrs birgt aus Sicht von Wholesale- Anbietern zwei wichtige Aspekte: Zum einen sind die Anforderungen an den Netzausbau für Mobilfunkanbieter enorm und verursachen einen erheblichen Kostendruck. Entsprechende Wholesale-Produkte können diesen erheblich sen- ken. Zum anderen gilt mobiler Datenverkehr als der nahezu einzige Telekom- munikationsmarkt, der durch Wachstum gekennzeichnet ist. Durch Wholesale- Angebote können auch Festnetzanbieter und -sparten an diesem Wachstum partizipieren.

Mobile Backhaul-Lösungen für Mobilfunkanbieter stellen zunächst Punkt-zu- Punkt-Lösungen dar, die alle Teile des Mobilfunknetzes von der BTS bis zum

Detecon International GmbH 181 Empowerment Wholesale

Transportnetz verbinden. Mit dem Ausbau der LTE-Infrastrukturen werden sol- che Lösungen zunehmend in NGN-Lösungen überführt, die für höhere Band- breiten und geringere Latenzzeiten optimiert sind. Dies beschreibt aber nur einen w­ eiteren Schritt zu einer konsequenten, zielorientierten Backhaul-Who- lesale-Strategie: ­Wholesale-Angebote für Mobilfunknetzbetreiber können sich durchaus über die reine mobile Backhaul-Lösung in Richtung Full-Scale-Out- sourcing entwickeln. Mobilfunknetzbetreiber konzentrieren sich dann auf mobi- le Leistungserbringung, Marketing, Vertrieb und Abrechnung. Hier schlummert ein signifikantes Umsatzpotenzial,­ dessen erfolgreiche Abschöpfung allerdings mindestens die Abdeckung der nachfolgend genannten Aspekte erfordert. Die- se umfassen eine erfolgreiche Positionierung im Outsourcing- und Managed- Services-Markt neben Anbietern wie Huawei, Ericsson und IT-Dienstleistern, eine enge Bindung an den Kunden, um Kundenwünsche und -erfordernisse zu antizipieren – Wholesale-Geschäft ist hier Lösungsgeschäft und kein übliches Verkaufen ein und derselben Dienstleistung! –, sowie die intelligente Bündelung von Dienstleistungen, die wiederum darauf abzielt, Lock-in-Effekte zu erzeugen und die Kundenbindung zu stärken.

Für Glasfasernetzbetreiber ergeben sich weitere Aspekte: Durch die Explosion des mobilen Breitbandverkehrs werden Mobilfunkanbieter zunehmend auch auf Small Cells zurückgreifen müssen, also auf Zellen mit geringem Radius, aber ho- hem Datendurchsatz.1 Betreiber von Glasfaserzugangsnetzen können aufgrund von Economies of Scale kostengünstige „Small Cell Wholesale“-Angebote bereit stellen. Mobilfunkanbieter können zu dieser Kostenstruktur nicht aufschließen. Im Zusammenhang mit dem Ausbau von Glasfaserinfrastruktur sollten derartige Erwägungen frühzeitig in die Netzplanung einfließen. Das Marktpotenzial ge- bündelter Small Cells mit Backhaul-Leistungen erscheint enorm.

Sprachdienste und Interconnection

Interconnection war bislang der größte Umsatztreiber im Wholesale-Geschäft. Durch die allgegenwärtige NGN-Migration werden Sprach-Interconnection- Dienste allerdings zu Datendiensten und damit wesentlich kostengünstiger. Eine entsprechende regulatorisch vorgegebene Anpassung der kostenbasierten Entgel- te hat erhebliche Umsatzeinbußen zur Folge, während sich neue Erlöse und neue Wholesale-Produkte erst allmählich entwickeln.

1 Vgl. Petry, Zukünftige Breitbandkommunikation zwischen Wunsch und Realität, S. 80 ff.; Heuermann, Neue Netzstrategien halten das Telekommunikationsgeschäft profitabel, S. 102 ff. in diesem Band.

182 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

Zudem schrauben viele Regulierer den der Entgeltfestsetzung zugrundeliegenden Kostenmaßstab massiv nach unten, indem sie auf das sogenannte „pure LRIC“ umstellen oder dieses zumindest in Erwägung ziehen. In diesem Maßstab wer- den Terminierungsentgelte lediglich auf Basis der variablen Kosten festgelegt und keinerlei Gemeinkosten mehr berücksichtigt – mit dramatischen Folgen: Ter- minierungsentgelte können dadurch etwa um bis zu 90 Prozent sinken. Treiber dieser Entwicklung ist die EU-Kommission, die eine weitere Harmonisierung der Terminierungsentgelte innerhalb der Europäischen Union fordert. Unter- schiedliche nationale Kostenstandards und verschiedene hohe Zustellungsent- gelte führen nach Auffassung der Kommission zu negativen Auswirkungen auf den gemeinsamen Markt. Mittelfristig ist auch die Vereinheitlichung von Fest- netz- und Mobilfunkentgelten geplant. Ebenso sollen Roaming-Entgelte auf das Niveau von On-net Calls sinken.

Wholesale-Anbieter benötigen deshalb eine Verteidigungsstrategie mit inten- sivem Regulierungsmanagement. Ziel ist es, diese Entwicklung zumindest mit der Umsatzentwicklung anderer Dienste abzustimmen. Im Fokus steht eine sachgerechte Kostenmodellierung der verschiedenen Interconnection-Dienste, die eins der wichtigsten Elemente einer Verteidigungsstrategie darstellt. Dieses Regulierungsmanagement wird allerdings langfristig nicht verhindern, dass Re- gulierer Terminierungsentgelte gänzlich abschaffen, indem sie auf ein sogenann- tes Bill-and-Keep-Regime umstellen. Wholesale-Anbieter müssen also alternative wachstumsstarke Umsatztreiber identifizieren.

IP Monetarisierung

Die Anforderungen an den Netzausbau sind enorm. Investitionsbedarfe sind gewaltig und von einzelnen Betreibern allein nicht zu schaffen. Deshalb liegen Partnerschaften und Ausbaukooperationen, die das Investitionsrisiko schmälern, im Trend. Gleichzeitig stellt sich dennoch immer mehr die Frage nach der öko- nomischen Sinnhaftigkeit von Investitionen in die Netzinfrastruktur. Der Preis- und Margendruck im Wholesale-Geschäft wird auch in Zukunft hoch bleiben, das Geschäftsmodell, in dem Preisverfall durch Volumenanstieg ausgeglichen wird, stößt ebenfalls an seine Grenzen. Die gegenwärtige Netzausbaulogik ist da- bei Teil des Problems. Sie beruht auf Überprovisionierung, das heißt, sobald ver- fügbare Netzkapazitäten an ihre Grenzen stoßen, wird neue Kapazität ausgebaut.

Detecon International GmbH 183 Empowerment Wholesale

Mit steigenden Kosten und sinkenden Einnahmen verliert das Transportgeschäft absehbar seine Tragfähigkeit. Flat- und „All-you-can-eat“-Pakete, die den Ver- kehr erhöhen, ohne die Erlösseite zu verbessern, verstärken den Trend. Es gibt keinen Anreiz, Bandbreite effizient zu nutzen.

QoS-basierte Geschäftsmodelle

Für Carrier ist es essenziell, Netze optimal auszulasten und neben dem “Dumb Pipe“-Basistransport außerdem eine effiziente Mehrwerttransportleistung anzu- bieten. Es geht also um die Frage, wie mit dem Transport von Datenverkehr auch in Zukunft Geld verdient werden kann. Wichtigster Treiber sind qualitätsbasier- te (QoS) Geschäftsmodelle, die den Datenverkehr nach verschiedenen Güteklas- sen unterscheiden und bepreisen. Bei höherwertigen Qualitätsklassen, wie sie für bandbreitensensitive Anwendungen wie Onlinespiele oder HD Video Strea- ming benötigt werden, priorisiert das Verkehrsmanagement den entsprechenden Verkehr und erlaubt die Unterteilung in unterschiedliche QoS-Klassen. Andere Modelle der Verkehrsdifferenzierung umfassen die Einführung einer Gebühr für Verkehrsterminierung, die Priorisierung von Verkehr, der von eigenen (Content-) Angeboten oder ausgewählten Partnerseiten kommt, oder die Einführung eines „0800-Modells“, bei dem der Verkehr von Partnernetzwerken nicht gegen eine Datenkappung des erworbenen Internetpakets läuft wie beim Spotify-Modell. Allerdings enthält die Priorisierung oder Diskriminierung von Internetverkehr immer eine regulatorische Implikation. Diskriminierung trifft im Kern auf die Debatte über die Neutralität von Netzwerken, die Frage, unter welchen Um- ständen und in welchem Maße es regulatorisch akzeptiert wird, Datenverkehr zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Selbst wenn viele Regulierer grundsätzlich einer Qualitätsunterscheidung zustimmen, weil sie die ökonomische Notwen- digkeit durchaus anerkennen, haben es die Behörden noch nicht geschafft, eine klare Definition von „Best Effort“-Verkehr festzulegen, also die Definition von Minimalanforderungen an ein Basispaket für offenen und freien Zugang zum Internet.

Regionale Expansion

Weitere Wholesale-Diversifizierungsansätze liegen in der Internationalisierung. Das internationale Wholesale-Geschäft ist regional geprägt. Bedingungen wer- den in erster Linie durch die Dichte des Datennetzes bestimmt. Diese präsentiert sich regional sehr verteilt und Geschäftsbedingungen für internationales Whole- sale-Geschäft sind in den USA oder Europa grundsätzlich andere als in Südame-

184 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

rika oder Asien. Alle Kontinente weisen jedoch einen Trend auf: die Regionali- sierung des internationalen Wholesalegeschäfts. Carrier mit strategisch günstiger Lage spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Das gilt beispielsweise für Ägyp- ten, die Türkei, Singapur, Hongkong oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Neue Regionalspezialisten gründen ihre neu ausgerichteten Marktangänge auf Kundennähe, regionaler Netzabdeckung, redundanter Anbindung an interkon- tinentale Kabel und erweitertem Verständnis lokaler Marktbedingungen. „Local Championship“ ist ein starker Nimbus im regionalen Wholesale-Geschäft, wenn es die Regionalanbieter schaffen, ihre Nischen im Wettbewerb mit den globalen Konnektivtätsbetreibern wie Level 3, Cable & Wireless, Tata oder Verizon zu gestalten.

Eyeball-Prinzip

Ein weiterer Trend im internationalen Datengeschäft kommt in der Einführung von Terminierungsentgelten auf nationaler Ebene zum Ausdruck. Nationale In- cumbents mit starker Retail-Basis stellen zunehmend die Abrechnungspraxis bei Wholesale-Internetzugangsprodukten infrage. In der bisherigen Praxis kauft der nationale Internetdiensteanbieter Zugang zum Internet – ein Service, der als IP- Transit bezeichnet wird. Die Terminierung des Verkehrs in die jeweiligen Netze erfolgt kostenlos. Große Incumbents argumentieren heute insbesondere gegen- über Contentanbietern, dass sie für diesen durch ihre Netzabdeckung in ihrem Heimatmarkt den Zugang zu einer großen Zahl von potenziellen Kunden her- stellen – daher rührt der Name „Eyeball“. Will der Contentanbieter vom Markt- potenzial profitieren, muss er für den Zugang zu den Endkunden ein Entgelt zahlen. Das kommt einem Paradigmenwechsel gleich vom „Content is King“ hin zu einem „End-Customer is King“. Der Ausgang dieses Kampfs gilt als ungewiss. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Umsetzung ist dort am größten, wo die nationalen Anbieter mit substanziellen Kundenzahlen argumentieren und Contentanbietern signifikanten Schaden zufügen können.

Neue Dienste erfordern erweiterten Sales- und Segmentansatz

Sales und Sales Operations werden einen höheren Stellenwert in der modernen Wholesale-Welt einnehmen. Der Horizont des Wholesale-Geschäfts hat sich durch die Anforderungen insbesondere an Rechenzentren für die Dienstebereit- stellung deutlich erweitert. Das Angebot für Rechenzentren schließt nicht nur das bestehende Wholesale-Data-Center-Portfolio ein – physische Infrastruktur, Zu- gang, Konnektivität, und Plattformleistungen –, sondern beinhaltet darüberhi-

Detecon International GmbH 185 Empowerment Wholesale

naus komplexe IT-Anwendungen, Supportfunktionen und andere professionelle Dienste. Rechenzentren bilden den Kern des Cloud-Universums und umfassen Infrastruktur-, Platform-, und Softwaredienste (IaaS, PaaS, SaaS). Das mögliche Portfolio präsentiert sich umfangreich: Content, Storage, Hosting, White Label Service, Business Outsourcing, um nur einige Anwendungsbereiche zu nennen. Hier liegt signifikantes Geschäftspotenzial.

Wenn dieses Potenzial gehoben werden soll, gilt es, den Wholesale-Kundenan- gang und die Segmentstrategie grundsätzlich zu überdenken. Sales und Sales Operations rücken in den Fokus. Ein erweitertes Rechenzentrumsangebot zielt zum einen auf neue Kundensegmente wie Cloud- und Web-2.0-Diensteanbieter, Zwischenhändler, Contentanbieter, Systemintegratoren und Wiederverkäufer. Die Kunden, deren Geschäftsmodell in der Regel netzbasiert ist, haben mit dem klassischen Wholesale-Kunden nur noch wenig gemein. Die neuen Segmente be- nötigen komplexere und bausteinartige Lösungen, die in Modulen und teilwei- se in Partnerschaften geliefert werden. Neue Wholesale-Ansätze brauchen also immer auch eine neue Segmentstrategie, um den unterschiedlichen Kundenan- forderungen gerecht zu werden. Web-2.0-Anbieter setzen auf eine einfache Self- Service-Provisionierung, für Contentanbieter ist eine flexible und dynamische Anpassung von Verkehrskapazitäten das entscheidende Verkaufsargument, Cloud-Anbieter fordern Ressourcenelastizität oder verbrauchsabhängige Pay-as- you-go-Lösungen. Das Gebot der Stunde heißt: weg vom technikgetriebenen Wholesale-Geschäft, hin zum kundenorientierten Marktangang!

Das zweite Argument für eine stärkere Betonung der Kundenseite liegt in der ­Natur des Wholesale-Geschäfts als Großkundengeschäft mit langfristiger Bin- dung. Kundennähe und -vertrautheit sind nicht nur erforderlich, um eine spe- zifische Nachfrage zu bedienen. Sie sind auch essenziell, um gemeinsam mit dem Kunden Win-win-Partnerschaften und eine langfristige Kundenbindung im Sinne eines Lock-in zu definieren. Das funktioniert nur, wenn die Nöte und Schmerzpunkte des Kunden bekannt sind und entsprechende Lösungen angeboten werden. Der Ansatz geht über ein normales Key Account Manage- ment hinaus, denn er impliziert die Quantifizierung von Geschäftsoptionen. Nur wenn beide ­Seiten gemeinsam profitabler arbeiten als eine Seite allein, kann eine nachhaltige gemeinsame­ Geschäftsgrundlage erreicht werden. Je besser das Kundenwissen, desto einfacher ist die Modellierung eines partnerschaftlichen ­Geschäftsmodells.2

2 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff. in diesem Band.

186 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

Das gilt auch deshalb, weil der Wholesale-Erfolg von Großprojekten und langfristig stabilen Kundenbeziehungen abhängt. Aus diesem Grund kommt ­Wholesale-Megatrends eine herausragende Bedeutung zu. Ein aktuelles Beispiel ist Mobile Backhaul, also die Rückführung des mobilen Verkehrs von der Basis- station/Node B zum Backbone. Aufgrund zu erwartender Datenmengen kann der Verkehr nur effektiv gemanagt werden, wenn die Rückführung auf breit- bandigen Fiber-Verbindungen beruht. Da die Anbindung der Basisstationen mit hohen Kosten einhergeht, beginnen einige Mobilfunkanbieter, sich auf den reinen Zugang zu konzentrieren und Netzanbindung sowie teilweise auch Netz- betrieb in die Hände von spezialisierten Partnern zu geben. Für das Wholesale- Geschaft sind ein flexibles Mobile-Backhaul-Angebot sowie die genaue Kenntnis der Leistungsfähigkeit­ und -bereitschaft des Mobilfunkbetreibers unabdingbar, um langfristige und weitreichende Partnerschaften einzugehen. Dass die breit- bandige Anbindung von Basistationen auch dem breitbandigen Retail-Geschäft des Incumbents hilft, liefert ein weiteres Argument für eine integrierte Fest- und Mobilfunkstrategie, die Retail und Wholesale umfasst. Durch den weiteren Aus- bau der Netzkapazitäten durch Small Cells und HetNets erweitern sich die Spiel- räume von Wholesalern mit starker Netzinfrastruktur weiter – bis hin zum kom- pletten Outsourcing von Netzwerkdiensten und Netzwerkmanagementdiensten.

Partnerschaften als Voraussetzung für den Geschäftserfolg

In gleichem Maße, wie die Investitionsanforderungen in hochbreitbandige In- frastrukturen sowie die Komplexität der Ende-zu-Ende-Wertschöpfung steigen, gewinnen Partnerschaften rasant an Bedeutung. Partnerschaften verteilen das Geschäftsrisiko auf mehrere Schultern, unterstützen einen schnelleren Marktein- tritt und ermöglichen ein attraktives Produktportfolio, das den gesamten Ende- zu-Ende-Kundenanforderungen entspricht. Von daher sind Partnerschaften ein wichtiger Baustein, um schnell, flexibel und damit auch langfristig und nachhal- tig am Markt agieren zu können.

Das Paradigma ist nicht neu! Partnerschaften bestimmen Geschäftsbeziehungen schon seit jeher. Das Wholesale-Geschäft definiert im Grunde eine Vorleistungs- geschäftspartnerschaft. Aus der klassischen Wholesale- und Telekommunika­ tionsperspektive gilt eine Partnerschaft dann als erfolgreich, wenn jeder Partner sein Kerngeschäftsfeld gesund entwickeln kann. Für einen typischen Incumbent

Detecon International GmbH 187 Empowerment Wholesale

muss die klassische Wholesale-Partnerschaft eine Balance zwischen Minderung des Investmentrisikos, hoher Plattformauslastung im Sinne der Generierung von Skaleneffekten und hoher Preisstabilität auf Retail-Ebene halten. Nur in einem ausgewogenen Dreiklang macht die Partnerschaft Sinn. Dies ist gelebte Praxis und beschreibt das Wholesale-„Brot- und Buttergeschäft“.

Hinzu kommen neue Ausprägungen im klassischen Wholesale-Geschäft, in dem der typische Incumbent Wholesaler nicht nur als reiner Verkäufer auftritt, sondern gleichzeitig Wholesale-Leistungen einkauft, also auf Wholebuy-Ebene agiert. Typische Beispiele finden sich im hochbreitbandigen Zugangsgeschäft, in dem der Netzausbau aufgrund hoher Investitionsanforderungen koordiniert erfolgt. Ein Betreiber baut eine Region aus, gewährt einem Wettbewerber dis- kriminierungsfreien Zugang zum eigenen Netz und erhält dafür diskriminie- rungsfreien Zugang zu Regionen, die vom Wettbewerber ausgebaut worden sind. Wettbewerber kann hier ein weiterer Telekommunikationsbetreiber sein, es kom- men aber auch Stadtwerke oder alternative Wettbewerber infrage, die über eine entsprechende Infrastruktur verfügen.

Auch solche reziproken Modelle befinden sich schon lange in der Umsetzung – sie sind allerdings nicht unproblematisch. Es ist nicht ganz leicht, wirklich faire Partnerschaften zu gestalten. Prozesse und technische Schnittstellen müssen abgestimmt werden und letztlich bedarf es auch einer Anpassung der gesamten Unternehmenskultur, wenn omnipräsente Incumbents Verzicht üben und sich Zugang zum Endkunden über Zugangsvorprodukte erkaufen müssen.

Der neue Druckpunkt der Partnerschaftsherausforderung ist aber ein anderer: die Geschwindigkeit, insbesondere die Umsetzungsgeschwindigkeiten von Kern- geschäftspartnerschaften, beispielsweise im Zugangsbereich. Eine Erhöhung der Geschwindigkeit setzt Prüfmethoden und standardisierte Implementierungsmo- dule voraus, mit deren Hilfe beteiligte Partner die Vorteile einer Partnerschaft schnell quantifizieren, geeignete Partnermodelle identifizieren sowie insbesonde- re technische und operative Implementierungsschritte einleiten können. Das gilt nicht nur für traditionelle Partnerschaften zwischen Telekommunikationsbetrei- bern, sondern schließt ausdrücklich neue Partnerschaften mit Stadtwerken oder Wohnungsbaugesellschaften mit ein.

Die zweite Kernherausforderung betrifft die Tiefe der Partnerschaft. Cloud und Web 2.0 stellen neue Anforderungen an das klassische leitungsgetriebene Tele-

188 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

kommunikationsgeschäft. Neue Partnerschaften zielen auf Innovation und Ent- wicklung neuer Geschäftsfelder. Plattformgeschäftsmodelle wie Billing, Payment oder Authentifizierung sind Produktmerkmale, die bereits heute von Wholesale- Plattformen bedient werden, jedoch teilweise von Drittanbietern eingekauft wer- den. Es liegt eine beachtliche Chance darin, diese Kompetenz schnell und flexibel für kleine Web-2.0- oder E-Commerce-Anbieter verfügbar zu machen. Im glei- chen Umfang, wie Cloud-Dienste, beispielsweise Software as a Service, Platform as a Service und Infrastructure as a Service, eine Anforderung stellen, die nur von Drittanbietern erfüllt werden kann, sind neue und tiefere Partnerschaften nötig. Zu den Treibern zählen neue Produktanforderungen, Innovations- und Wett- bewerbsdruck sowie eine Ende-zu-Ende-Vermarktungsanforderung vor Kunde.

M2M etabliert sich als Nischengeschäft

Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M) steht für einen weiteren ­großen Trend in der gegenwärtigen Kommunikationslandschaft. Das M2M- Geschäft unterscheidet sich signifikant von traditionellen Telekommunikations- geschäftsmodellen. M2M-Kommunikation beschreibt einen vollautomatisierten Datentransfer zwischen zwei räumlich voneinander entfernten Maschinen und einem zentralen Überwachungsserver. M2M als Geschäftsmodell kombiniert Konnektivität mit einem IT-basierten Anwendungsszenario, etwa aus den Be- reichen Verkehrssteuerung, automatisierte Zahlungsabwicklung, Smart Metering oder Transport und Entwicklung. M2M umfasst sowohl vollautomatisierte als auch nutzerinduzierte Kommunikation.

Die M2M-Wertschöpfungskette beinhaltet zum einen das Modem- und/oder Endgerät in der Maschine, zum anderen die Konnektivität zwischen Maschinen, die oft durch automatisierte M2M-Managementplattformen ergänzt werden. Darüber hinaus gehört hierzu die IT-Anwendung zur Endgerätesteuerung als zentrales Element der Wertschöpfung.

Das M2M-Telekommunikationsgeschäft ist in einer Grauzone zwischen Who- lesale- und Großkundengeschäft angesiedelt. Die Wholesale-Komponente liegt im Grundmerkmal der Bereitstellung von Konnektivität zwischen zwei Parteien über mobile oder festnetzbasierte Technologien. Die Kommunikation über SIM- Karten stellt die häufigste Ausprägung dar. Von daher hat das M2M-Geschäft häufig Ähnlichkeit mit dem MVNO-Geschäft im Sinne des Managements eines SIM-Karten-Betriebs. Plattformbasierte Mehrwertdienste, wie sie aus dem

Detecon International GmbH 189 Empowerment Wholesale

­MVNO-Geschäft durch Bereitstellung, Authentifizierung oder Billing bekannt sind, bilden weitere Anknüpfungspunkte für das Wholesale-Geschäft.

Im Gegensatz dazu steht die IT-Anwendung zur Steuerung der Endgeräte, die den Anforderungen ihres Einsatzgebietes gerecht werden muss. Beispiele umfas- sen besondere Sicherheitsanforderungen bei Zahlungen über ein mobiles Kar- tenlesegerät, Echtzeitüberwachung von Körperfunktionen im Medizinbereich, Auslastungsoptimierung bei Stromnetzen durch intelligenten und sich selbst steuerenden Lastenausgleich, Tracking- und Verkehrsflussoptimierungsfunkti- onen im Transportsektor oder automatisierte Update und Patching-Funktionen von Smartphones oder GPS-Geräten. Neues Potenzial ergibt sich zusätzlich aus den – insbesondere aus Deutschland getriebenen – automatisierten Produktions- und Fertigungsstrategien, die sich unter dem Stichwort Industrie 4.0 zusammen- fassen lassen. Ohne Frage gilt M2M als ein Wachstumsgeschäft: Der Kosten- druck auf Betriebe ist und bleibt hoch, weshalb auch in Zukunft insbesondere flexible und mobile M2M-Lösungen gefragt sind.

Für das Wholesale-Geschäft liegt die Herausforderung darin, die Stärken aus dem plattformbasierten Konnektivitätsgeschäft zu nutzen: SIM-Karten-Ma- nagement, Nummernplanung und Nummernmanagement mit regulierten Ruf- nummernblöcken als knapper Ressource, Management von Roaming-Kosen bei länder­übergreifenden Lösungen, beispielsweise im Transportsektor oder bei Connected-Car-Lösungen sowie die Bereitstellung von vorkonfigurierten End- geräten. Hier hat die Telekommunikation und speziell das Wholesale-Geschäft aufgrund des Erfahrungsvorsprungs einen komparativen Vorteil, den es durch konsequente Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle in zukünftiges Geschäfts- potenzial umzuwandeln gilt.

Starkes Wholesale-Geschäft als Erfolgsfaktor für integrierte Netzbetreiber

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Wholesale-Märkte einer großen Ver- änderung unterliegen, die Komplexität nimmt zu. Die Anforderungen an Who- lesale-Anbieter differenzieren stark. Statt standardisiertem Massengeschäft sind zunehmend komplexere Systemlösungen gefragt. Wholesale-Anbieter müssen kleinteiliger und entlang der Wertschöpfungskette professionell agieren. Unter- stützend wirken hier Partnerschaften. Die Identifikation und das Management geeigneter Partnerschaften sind Erfolgsfaktoren im Wholesale-Geschäft.

190 Detecon International GmbH Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen

Darüber hinaus wird das Wholesale-Geschäft zukünftig eine wichtige Rolle im Rahmen der integrierten Fest- und Mobilfunkstrategien der Netzbetreiber spie- len. Die Realisierung von Economies of Scales kann nur auf diese Weise um- fassend gelingen. Sie gilt als Voraussetzung für kostengünstige Angebote im Hinblick auf die Bearbeitung der entsprechenden Retail-Märkte. Ein starkes Wholesale-Geschäft wird dann zum Erfolgsfaktor für integrierte Netzbetreiber.

Detecon International GmbH 191 Empowerment Wholesale

Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

Martin Lundborg

> Der Trend zu regionalisierten Märkten schreitet weiter voran.

> Nationale Telekommunikationsunternehmen müssen sich auf die Regionalisierung einstellen und Maßnahmen im Bereich Wholesale und Retail ergreifen.

> Relevante Maßnahmen zur Regionalisierung umfassen die optimale Gestaltung des Technologiemix, Optimierungen im Vorleistungsbereich inklusive der Einfüh- rung und Neugestaltung regionalisierter Vorleistungsangebote,­ den Einkauf von Vorleistungen sowie die Einführung einer Multimarkenstrategie.

192 Detecon International GmbH Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

Trend zur Regionalisierung

Die Öffnung der Telekommunikationsmärkte in Europa in den 90er-Jahren hat die Grundlage dafür geschaffen, dass die Märkte nicht mehr national abgegrenzt sind. Auf der einen Seite hat die EU-Kommission den Auftrag, einen Single ­Market in Europa zu fördern, und viele nationale Betreiber haben eine inter- nationale Expansion eingeleitet. Auf der anderen Seite drangen Wettbewerber in den Markt ein, die keine flächendeckende Versorgung innerhalb eines Lan- des realisiert hatten. Incumbents konnten nicht ohne Weiteres die finanziellen ­Mittel einsetzen, die für eine hochmoderne und gleichzeitig flächendeckende Infrastruktur notwendig sind. Dies führte zu einer Regionalisierung der Märkte.

Die Regionalisierung birgt viele verschiedene Aspekte. Durch den NGA-Ausbau und die Einführung von DOCSIS 3.0, zukünftig 3.1, die über Jahre in klei- nen lokalen oder regionalen Schritten erfolgte, ist ein technologischer Flicken- teppich in Europa entstanden. Dieser Flickenteppich verursacht in Bezug auf die Bandbreite erhebliche Unterschiede zwischen Regionen, vor allem zwischen städtischen und ländlichen Gebieten.

Ein zweiter Aspekt der Regionalisierung umfasst den Markteinstieg lokaler oder regionaler Anbieter, die auch langfristig keine Ambitionen haben, ihre D­ ienste national anzubieten. Stokab in Schweden, ATB-Nett in Norwegen oder Net­ in Deutschland sind nur einige Beispiele für lokale und regionale Markteinsteiger im Bereich FTTx. Die Regionalisierung begann aber schon mit der Einführung von infrastrukturbasiertem intramodalem Wettbewerb, vor- nehmlich mit Einführung der Entbündelung der Teilnehmeranschlussleitung (TAL). Diejenigen Wettbewerber, die TAL als Vorleistungsprodukt beziehen, ­haben keinen flächendeckenden nationalen etzausbauN umgesetzt.

Ein weiterer Treiber für die Regionalisierung sind die Kostenunterschiede zwi- schen Stadt und Land. Dies gilt insbesondere für Zugangsnetze im Festnetz­ bereich, doch auch für Mobilfunknetze. Infolgedessen werden sich die Angebote in Zukunft voraussichtlich stärker regional differenzieren. Die nationalen An- bieter müssen sich in diesem Umfeld entscheiden, ob sie regionalisierte Preise anbieten sollen.

Die Fragen, welche sich für die Zukunft stellen, lauten, ob der Trend zur ­Regionalisierung weitergeht und was das für die nationalen Netzbetreiber be- deutet:

Detecon International GmbH 193 Empowerment Wholesale

> Gibt es einen Trend zu regionalisierten Märkten und woran ist dies zu erkennen? > Welche Auswirkungen hat die Regionalisierung auf die Breitbandmärkte, vor allem in Bezug auf Preise und Vorleistungen? > Wie müssen die national tätigen Netzbetreiber auf die Regionalisierung reagieren, um das Geschäftspotenzial optimal auszunutzen?

Die Zugangsmärkte in Europa sind regional

Die Regionalisierung der Märkte wird durch mehrere Faktoren vorangetrieben. Dazu zählen der Netzausbau, die Geschäftsmodelle und in zweiter Linie auch die Regulierung. Diese Faktoren verdeutlichen, dass die Regionalisierung nicht nachfrageseitig, sondern angebotsseitig vorangetrieben wird.

Viele Regierungen in Europa und auch die EU-Kommission haben Zielsetzungen für den Ausbau von Breitbandanschlüssen von mehr als 16 Mbit/s definiert. Das Ziel der EU-Kommission ist eine Marktpenetration im Jahr 2020 von 30 Mbit/s für alle Haushalte. Aber nur 50 Prozent der Anschlüsse sollen voraussichtlich mindestens 100 Mbit/s bekommen.1 Demnach rechnet die EU-Kommission nur auf lange Sicht mit einer national flächendeckenden Versorgung.

Die nebenstehende Karte zeigt die Situation im Jahr 2012 in Bezug auf die Ver- sorgung von NGA in den verschiedenen Regionen. Diese Karte zeigt deutlich, dass es bereits heute keine nationalen Breitbandmärkte mehr gibt.

Wird zusätzlich zu der oben abgebildeten Karte die Versorgungssituation hin- sichtlich der unterschiedlichen Technologien in Betracht gezogen, entsteht ein noch differenzierteres Bild. Während ADSL nahezu flächendeckend angebo- ten wird, beträgt die Netzabdeckung von VDSL etwa 25 Prozent, Fiber to the ­Premise (FTTP) gut 10 und DOCSIS 3 etwa 40 Prozent.2

Bei der Netzsituation ist vor allem ein Gefälle zwischen Stadt und Land erkenn- bar. Die Versorgung auf dem Land besteht fast ausschließlich aus ADSL und funkbasierten Lösungen. Der Grund für die Unterschiede beim NGA-Ausbau in den Ballungsgebieten und auf dem Land erklärt sich maßgeblich aus der Kosten- situation. In einer Kostenstudie vom WIK für das deutsche Bundeswirtschafts- ministerium zeigen sich immense Kostenunterschiede − je nach Anschlussdichte. Somit ist der CAPEX pro Anschluss in der Stadt deutlich geringer als auf dem Land.3

Basierend auf dieser Markt- und Kostensituation und in Anbetracht der Zeit, die es dauert, Breitbandzugangsnetze (NGA) flächendeckend auszurollen, muss man

194 Detecon International GmbH Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

Abbildung 1: NGA in Europa

= 100% = 65% und <100% = 35% und <65% = >0% und <35% = 0%

Quelle: EU-Kommission, Digital Agenda Europe, Scoreboard

1 http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/scoreboard. 2 http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/scoreboard. 3 WIK, „Ökonomische und rechtliche Rahmenbedingungen zum Ausbau und zur Finanzierung von Breitband-Hoch- leistungsinfrastrukturen in dünn besiedelten Gebieten“, Studie für das BMWi, 2011, S. 20.

Detecon International GmbH 195 Empowerment Wholesale

davon ausgehen, dass die regionalen Abweichungen mittelfristig bleiben oder sogar zunehmen werden.

Der zweite Treiber für die Regionalisierung sind die Geschäftsmodelle. Anfang 2013 gingen lediglich 21,9 Prozent der NGA-Anschlüsse auf das Konto von Incumbents. Darüber hinaus gehören nur 3,8 Prozent der CATV-Anschlüsse den Incumbents.4 Damit stehen in den meisten ausgebauten Regionen Europas die Incumbents mit ihren ADSL-Netzen den Wettbewerbern mit CATV- oder FTTx-Netzen gegenüber. In anderen Regionen, die von den neuen Netzen nicht angeschlossen wurden, sind die Incumbents mit ihren ADSL-Netzen noch allein oder stehen nur mit Mobilfunknetzen im Wettbewerb.

Die regionalen Unterschiede haben Auswirkungen auf die Preisstrategien. Wenn die CATV-Betreiber mit ihrer 40-prozentigen Netzversorgung oder andere regio- nal und lokal tätige Anbieter deutlich andere Preise als die Incumbents einführen, entwickelt sich daraus eine Regionalisierung der Preise. Diese Regionalisierung entsteht auch dann, wenn die Incumbents weiterhin nationale Preise anbieten.

Anhand der Markt- und Preissituation muss befürchtet werden, dass die Preise in Gebieten mit gerade mal einem Anbieter von DOCSIS 3 oder FTTx-Anschlüs- sen überdurchschnittlich hoch sind, während sie in hart umkämpften Städten mit mehreren Anbietern unter dem Durchschnitt liegen.

Auf eine derartige Marktsituation mit regional unterschiedlicher Netzversorgung, abweichenden Geschäftsmodellen und Preisstrategien haben die Regulierungsbe- hörden schon reagiert. Neben Portugal führten auch Österreich und Großbritan- nien bereits 2008 und 2009 eine regionalisierte Regulierung ein. In Portugal und Großbritannien wurden die Vorleistungsmärkte für Bitstream Access nach der Anzahl der Anbieter vor Ort abgegrenzt. Damit hat die Regionalisierung auch in die Regulierung Einzug gehalten.

In Großbritannien war maßgeblich die Anzahl der Wettbewerber mit eigener Infrastruktur in bestimmten geografischen Gebieten der Grund für die Regulie- rung.5 Die Märkte wurden nach Anschlussgebieten, das heißt auf HvT-Ebene, abgegrenzt und in drei Cluster eingeteilt. Der erste Cluster fasste die Anschluss- gebiete mit einem Betreiber, also BT, zusammen, Cluster 2 jene mit BT plus maximal zwei weiteren Anbietern und Cluster 3 verknüpfte die Anschlussgebiete mit vier oder mehr Anbietern. Cluster 3 wies keine beträchtliche Marktmacht

4 WIK, „Ökonomische und rechtliche Rahmenbedingungen zum Ausbau und zur Finanzierung von Breitband-Hoch- leistungsinfrastrukturen in dünn besiedelten Gebieten“, Studie für das BMWi, 2011, S. 20. 5 Ofcom, Review of the wholesale broadband access markets, 2006/07.

196 Detecon International GmbH Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

auf, hier wurde die sektorspezifische Regulierung ausgesetzt. 2013 hat die Ofcom erneut eine Marktanalyse zum Bitstrommarkt durchgeführt: Die Regionalisie- rung bleibt erhalten.

In Portugal präsentiert sich der Markt für Bitstromanschlüsse aus dem Blick- winkel der Regulierung ebenfalls regional unterschiedlich. Hier gab die Markt- präsenz der Kabelnetzbetreiber den Ausschlag für die Entscheidung. Es wurden zwei geografische Märkte definiert und in einem davon wurde die Regulierung ausgesetzt.6

In Österreich hat die Regulierungsbehörde nationale Märkte zwar abgegrenzt, wollte aber die regulatorischen Verpflichtungen nach verschiedenen Gebieten unterschiedlich gestalten.7 Die Regionalisierung wurde 2008 beschlossen. Der Verwaltungsgerichtshof in Österreich hat allerdings den Bescheid aufgehoben, weil nach seiner Meinung keine Möglichkeit besteht, regional differenzierte Ver- pflichtungen in einem nationalen Markt aufzuerlegen. Damit ist die Regionali- sierung in der österreichischen Regulierung zunächst nicht zum Tragen gekom- men.

Nachfrage und Preiselastizität für Anschlüsse mit hohen Bitraten

Schon heute gibt es also Beispiele für regional unterschiedliche Preise. Doch wie verhält es sich mit der Nachfrage und der Preiselastizität? Welche Auswirkung ­haben die Preise auf die Penetrationsraten im Markt und wie preissensitiv rea- gieren die Endkunden? Interessant dabei ist vor allem, dass die Preiselastizität je nach Bandbreite inhomogen ausfällt.

Es existieren bereits zahlreiche Studien aus der Wissenschaft zu den Themen ­Willingness-to-pay (WTP) und Preiselastizität der Nachfrage für Breitband­ anschlüsse. Takanori Ida und Toshifumi Kuroda kommen in Bezug auf den japa- nischen Markt zu dem Resultat, dass die Preiselastizität der Nachfrage für ADSL niedrig, aber für FTTH und CATV (DOCSIS 3.0) hoch ist.8 In einer ande- ren Studie kommen Takanori Ida und Masayuki Sato zu dem Schluss, dass die Preis­elastizität der Nachfrage nach ADSL höher ist, wenn FTTH zur Verfügung steht.9

6 ANACOM, „Markets for the Supply of Wholesale (Physical) Network Infrastructure Access at a Fixed Location and Wholesale Broadband Access”, Januar 2009, www.anacom.pt. 7 TKK-Bescheid M 1/07-534 vom 04.07.2008. Verwaltungsgerichtshof, Geschäftszahl 2008/03/0116, 17.12.2008. TKK-Bescheid M 1/10 vom 15.11.2010. 8 Ida/Kuroda, „Discrete Choice Model Analysis of Demand for Broadband in Japan“. 9 Ida/Sato, „Conjoint Analysis of Consumer Preferences for Broadband Services in Japan”, The yotoK Economic Review 75(2), S. 115-127, December 2006.

Detecon International GmbH 197 Empowerment Wholesale

Die Untersuchungen zu den Preisen verdeutlichen darüber hinaus, dass die End- kunden (noch) wenig zwischen den Technologien an sich, zum Beispiel CATV und FTTH, differenzieren. Cardona et al. ziehen das Fazit, dass die Nachfrage nach ADSL-Anschlüssen in Märkten mit mehreren Zugangstechnologien wie CATV, 3G, FTTx elastisch ist. Es existiert also eine Substitutionsbeziehung zwi- schen Breitbandtechnologien.10

Während es eine Substitution zwischen verschiedenen Breitbandtechnologien so- wie zwischen schnellen und langsamen Breitbandanschlüssen gibt, gilt dies nicht grundsätzlich für die Nachfrage nach Internet. Dutz et al. stellen fest, dass keine Kreuzpreiselastizität zwischen Schmalband, in diesem Fall Dial-up, und Breit- band besteht und dass insgesamt die Preiselastizität für Breitband zwischen 2005 und 2008 gesunken ist.11

Weitere Untersuchungen zeigen, dass die Endkunden bereit sind, für höhere Bandbreiten und Zuverlässigkeit zu bezahlen. Gregory Rosston et al. gehen in ­ihrer Untersuchung davon aus, dass die Zahlungsbereitschaft mit Bildungs­niveau, Haushalteinkommen und Online-erfahrung steigt und mit zunehmendem Alter sinkt. Laut den Ergebnissen gibt es allerdings keinen Unterschied zwischen Stadt und Land.12 Weitere Studien zur Zahlungsbereitschaft belegen die Preiselastizität der Nachfrage nach höheren Bandbreiten.13

Die Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass die Zahlungsbereitschaft für Internet „als Grundversorgung“ generell sehr hoch, die Zahlungsbereitschaft für höhere oder zusätzliche Bandbreite indes gering ist. Dies lässt sich auch em- pirisch begründen. In der nachfolgenden Grafik sind die Preise und die Preisent- wicklung für Breitbandanschlüsse in Europa dargestellt.

10 Cardona/Schwartz/Yurtoglu/Zulehner, „Demand estimation and market definition for broadband internet services“, Juli 2007. 11 Dutz/Willig, „The Substantial Consumer Benefit of Broadband Connectivity for US House-holds”, Mimeo; in: Rosston/Savage/Waldman, „Household Demand for Broadband Internet Service”, Final Report to the Broadband.gov Task Force, Federal Communication Commission, 29 January 2010, S. 9 f. 12 Rosston/Savage/Waldman, „Household Demand for Broadband Internet Service”, Final Report to the Broadband.gov Task Force, Federal Communication Commission, 29 January 2010. 13 Varian, „The Demand for Bandwidth: Evidence from the INDEX Project”, Mimeo, University of California Berkeley, in: Rosston/Savage/Waldman, „Household Demand for Broadband Internet Service”, Final Report to the Broadband.gov Task Force, Federal Communication Commission, 29 January 2010, S. 10 f, Savage/Waldman, „Broadband Internet Access, Awareness and Use: Analysis of United States household Data“, Telecommunications Policy 29, S.615-633, Cadman/Dineen, „Price and Income Elasticity of Demand for Broadband Subscriptions: A cross-sectional Model of OECD countries“, SPC Network, February 2008. 14 Lundborg/Ruhle/Bahr, „Discounts and Price Discrimination in the Telecommunications Regulation of NGA Networks“, ITS Conference, Kopenhagen, September 2010, www.econstor.eu/dspace/handle/10419/44349.

198 Detecon International GmbH Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

Die Notwendigkeit der Marktsegmentierung und Preisdifferenzierung

Die Tatsache, dass die Wettbewerbssituation regional und lokal sehr unterschied- lich ist und Endkunden zwischen Technologien und Bandbreiten nicht wesent- lich unterscheiden, solange eine Basisversorgung zur Verfügung steht, führt dazu, dass ein Anbieter im Markt sich kaum oder gar nicht über die Anschlussprodukte an sich differenzieren kann. Dort, wo mehrere Wettbewerber präsent sind, müs- sen die Anbieter in einem Produkt- und Preiswettbewerb antreten. Dies gilt nicht für Märkte, in denen der Anbieter der einzige Versorger ist. In einem Markt mit wenig Wettbewerb kann man in der Regel davon ausgehen, dass die Anbieter durch Preisdifferenzierung höhere Einnahmen auf Kosten der Konsumentenren- te realisieren.14 Mit anderen Worten: Höhere Preise lassen sich durch die Einfüh- rung von Produkt- und Preisoptionen erzielen, ohne dass der Absatz sinkt.

Es ergeben sich folgende Szenarien: 1. Regionale Märkte ohne Wettbewerb: In diesen Märkten können hohe Preise bei hohem Absatz erzielt werden. 2. Regionale Märkte mit mehreren NGA- und DOCSIS-3-Anbietern: Durch Sub- stitutionseffekte und Wettbewerb ist der Preiswettbewerb intensiv. Die hohen Bandbreiten erlauben es, Zusatzdienste wie IPTV als Produktdifferenzierung an- zubieten. 3. Regionale Märkte mit nur einem Anbieter von NGA- oder DOCSIS-3-Anschlüs- sen, aber mehreren Anbietern von ADSL-Anschlüssen: Auch in diesen Märkten

Abbildung 2: Preise je nach Bandbreite in der EU

Mbps 60 = 4-8 Mbps 56,3 = 12-30 Mbps 47,0 50 49,0 = 30+ Mbps 39,0 38,0 40 39,4 33,0 33,4 32,5 30 28,5 33,1 28,1 28,2 24,7 20 23,9

10

0 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Quelle: EU-Kommission, Digital Agenda Europe, Scoreboard

Detecon International GmbH 199 Empowerment Wholesale

herrscht Preiswettbewerb, aber der Anbieter von NGA- oder DOCSIS-3-An- schlüssen wird einen Aufschlag für höhere Bandbreiten durch­setzen können.

4. Regionale Märkte mit mehreren ADSL-Anbietern, aber keine NGA- oder DOC- SIS-3-Anbieter: Vergleichbar mit Szenario 2 – es gibt einen intensiven Preiswett- bewerb. Durch begrenzte Bandbreiten ist die Differenzierung über Zusatzange- bote wie IPTV begrenzt.

Der Ausbau von NGA-Netzen fordert hohe CAPEX und lässt sich nicht ohne ein Preispremium realisieren. Dort, wo der Netzbetreiber der einzige Anbieter mit NGA- oder DOCSIS-3-Anschlüssen ist, wird ihm das auch ohne große Probleme gelingen. In anderen Regionen müssen sich die Betreiber durch Zusatzangebote wie zum Beispiel IPTV, Musikstreamingdienste, Cloud-Dienste, E-Mail-Dienste und Sicherheitspakete, innovative Preisstrategien, Vermarktungsstrategien und weitere Maßnahmen von den Wettbewerbern abheben, um die Margen zu sichern.

In Bezug auf die Preisstrategien ist damit zu rechnen, dass die Preislisten intrans- parenter und umfangreicher werden. In der Regel nehmen die Preisvarianten zu, die Streuung der Preise erhöht sich mit zunehmendem Wettbewerb.15 Dies zeigt, dass Anbieter, die dem Wettbewerb ausgesetzt sind, für gewöhnlich zusätzliche Tarife einführen. Dies ist auch im Breitbandmarkt zu erwarten.

Weil die regionale Wettbewerbssituation derart unterschiedlich ausfällt und die Netzbetreiber ihre Margen verbessern und optimieren müssen, sollten sie lang- fristig eine Strategie anstreben, die auf Preis- und Produktdifferenzierung basiert. Auf höhere Margen in jenen Regionen zu verzichten, in denen der Wettbewerb begrenzt ist, um nationale Preis- und Produktstrategien zu implementieren, zahlt sich nicht aus.

Regionalisierungsmaßnahmen für national tätige Netzbetreiber

Für die nationalen Betreiber gibt es mehrere Möglichkeiten, eine Regionalisie- rung umzusetzen. Der einfachste Weg ist, regional unterschiedliche Angebote und Preise auf den Markt zu bringen. Nicht ohne Grund schrecken aber viele nationale Anbieter vor diesem direkten Schritt zurück. Verärgerungen der „be- nachteiligten“ Kunden können entstehen, weil sie im „falschen“ Gebiet wohnen und deswegen mehr für die gleiche Leistung bezahlen müssen. Zudem wird die Werbung erschwert, wenn mehrere Preise kommuniziert werden müssen. Für nationale Betreiber, die sich scheuen, regionalisierte Angebote in den Markt ein- zuführen, gibt es allerdings alternative Wege, eine Regionalisierung umsetzen. 15 Lach/Moraga-González, „Asymmetric Price Effects on Competition“, February 2009.

200 Detecon International GmbH Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

Technologiemix

Dazu zählt der gewählte Technologiemix beim Netzausbau. Zwar muss es lang- fristig das Ziel jedes national tätigen Netzbetreibers sein, einen nahezu flächen- deckenden Ausbau von FTTH-Anschlüssen zu realisieren. Der Weg dahin kann aber über verschiedene Wege, vor allem VDSL mit/ohne Vectoring, FTTB und funkbasierte Lösungen, führen. Der Einsatz diverser Technologien je nach R­ egion hat zur Folge, dass Netzbetreiber keine einheitlichen Angebote mehr lancieren können. Der Technologiemix erlaubt es hingegen, regional unterschiedliche Pro- duktmerkmale bei national einheitlichen Preisen einzuführen. Dabei können Be- treiber zum Beispiel verschiedene Anschlussbandbreiten, QoS und Zusatzdienste wie IPTV je nach Region anbieten. Einige praktizieren dies bereits.16

Wholesale-Geschäft

Einen deutlich wichtigeren Hebel für die Regionalisierung bieten aber die Vor­ leistungsmärkte beziehungsweise das Wholesale-Geschäft.17 Der CAPEX-in- tensive NGA-Ausbau und die hohen Fixkosten erlauben es kaum, die Kosten je nach Teilnehmerzahl skalieren zu lassen. Stückkosten können in erster Linie durch höhere Kundenpenetrationsraten reduziert werden. Eine optimierte Vor- leistungsstrategie kann die Penetrationsrate beziehungsweise die Auslastung stei- gern. Sofern das Vorleistungsgeschäft keine allzu negative Auswirkung auf das Endkundengeschäft hat, entsteht damit die Möglichkeit, die Wirtschaftlichkeit durch das Vorleistungsgeschäft erheblich zu verbessern. Dadurch und aufgrund weiterer Faktoren wie die Zunahme des intermodalen Wettbewerbs ist damit zu rechnen, dass das Vorleistungsgeschäft weiter an Bedeutung gewinnen wird.

Vorleistungsprodukte wie Bitstream Access, die entbündelte TAL – in Zukunft die virtuell entbündelte TAL – und Resale erlauben es, regional unterschiedliche Bedingungen zu berücksichtigen und in die Märkte einzuführen. Bei den Bit- stromvorleistungen können Netzbetreiber die Vorleistungsverträge so gestalten, dass die Preise und die Bedingungen sich je nach Region unterscheiden. Neben einer regionalisierten Preisliste ist es aber auch möglich, unterschiedliche Kosten auf die Vorleistungsnachfrager je nach Region „abzuwälzen“. Beispielsweise kön- nen sie die Vorleistungsprodukte so gestalten, dass die Anbindung von Übergabe- punkten, Netzanschlüssen, Kollokation und anderem für die Vorleistungsnach- frager je nach Region unterschiedlich viel kostet. Je nach Vorleistungsprodukt lassen sich somit, in Abhängigkeit von der Region, mehr oder weniger Kosten dem Vorleistungsnachfrager auferlegen.

16 Lach/Moraga-González, „Asymmetric Price Effects on Competition“, February 2009. 17 Vgl. Steingröver/Nielinger, Wholesale unter Druck – und mit neuen Chancen, S. 178 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 201 Empowerment Wholesale

In Bezug auf die entbündelte TAL gab es bereits von Anfang an regionale Unter- schiede durch diese „indirekte Regionalisierung“ der Kosten für die Vorleistungs- nachfrager. Aufgrund der Fokussierung der TAL-Nachfrager – Wettbewerber, die TAL als Vorleistung beziehen – auf die Ballungsgebiete, „auch „Cherry Picking“ genannt, wurde eine Regionalisierung indirekt über den Vorleistungsverkauf ­realisiert.

Wie bereits dargestellt, haben manche Regulierungsbehörden in Europa schon auf die Regionalisierung reagiert und eine regionale Marktabgrenzung beschlos- sen. Sollten die nationalen Betreiber die Regionalisierung vorantreiben, steht zu erwarten, dass weitere Regulierungsbehörden in Europa die Regionalisierung be- schließen werden. Da die Regionalisierung bisher den Markt für Bitstromzugang betrifft und nicht den Vorleistungsmarkt für die entbündelte TAL, war ihr Ein- fluss auf die Märkte bisher nur teilweise oder begrenzt vorhanden.

Im Bereich Wettbewerbsrecht existieren mehrere Beschlüsse gegen sogenannte Preis-Kosten-Scheren.18 Die im Verhältnis zu den Vorleistungspreisen zu nied- rigen Endkundenpreise führten zu einer Aufdeckung kritischer Wettbewerbsbe- schränkungen. Wenn die nationalen Betreiber darlegen können, dass ihre Kosten auf dem Land höher sind als in der Stadt, haben sie die Möglichkeit, regional differenzierte Vorleistungs- und Endkundenpreise einzuführen, die auch dem Wettbewerbsrecht entsprechen. Wichtig dabei ist aber, dass keine Preis-Kosten- Scheren entstehen. Folglich müssen die Vorleistungsstrategien und die End- kundenpreise aufeinander abgestimmt sein. Eine Kombination von hohen Vor­ leistungspreisen und niedrigen Endkundenpreisen in einer Region kann schnell eine nicht erlaubte Preis-Kosten-Schere verursachen und ist zu vermeiden.

Vorleistungseinkauf

Das Vorleistungsgeschäft bietet neben der Regionalisierung auch Möglichkeiten an, die regionalen Unterschiede ein Stück weit zu überbrücken. Über den Vor- leistungseinkauf kann ein national tätiger Betreiber Lücken bei der Versorgung „stopfen“, indem er Vorleistungen von lokal oder regional tätigen Betreibern bezieht. Ein Nachteil dabei besteht darin, dass die Prozesse durch die Auslage- rung komplexer werden. Dies gilt vor allem dann, wenn nur kleine lokale Vor­ leistungsanbieter von FTTx oder DOCSIS 3 als Lieferanten zur Verfügung stehen und deshalb eine größere Anzahl an Lieferanten zu koordinieren ist. Trotzdem bietet der Vorleistungseinkauf national tätigen Betreibern eine sinnvolle Lösung,

18 Commission Decision of 21 May 2003 relating to a proceeding under Article 82 of the Treaty (Case COMP/C-1/37.451, 37.578, 37.579 – Deutsche Telekom AG), OJ L 263, 14.10.2003 („Deutsche Telekom“), Commission Decision of 4 July 2007 relating to a proceeding under Article 82 of the EC Treaty (Case COMP/38.784 – Wanadoo España V. Telefónica), OJ C 83, 2.4.2008 („Telefónica“).

202 Detecon International GmbH Regionalisierung der Märkte fordert nationale Betreiber in Wholesale und Retail heraus

da Regionen mit NGA- oder DOCSIS-Versorgung mit verhältnismäßig gerin- gem CAPEX erschlossen werden können.

Multimarkenstrategie

Für die national tätigen Betreiber, die ihren nationalen Marketingansatz und na- tional einheitliche Preise nicht aufgeben möchten, besteht die Möglichkeit, sich mit einer Multimarkenstrategie auf die Regionalisierung einzustellen. Konzern- intern werden Zweit- oder Drittmarken in den Markt eingeführt, um die Breit- bandanschlüsse unter neuen Namen und mit neuen Konzepten zu vermarkten.19 Damit können Netzbetreiber regional angepasste Konzepte und Preise umsetzen.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Der Trend zu regionalisierten Märkten geht weiter und hat für die nächsten zehn Jahre Bestand. Dafür gibt es mehrere Gründe:

> Der Ausbau von NGA-Netzen dauert mehrere Jahre, erfolgt regional unterschiedlich und ist noch lange nicht abgeschlossen. > Es sind mehrere Technologien für Breitbandanschlüsse im Markt vorhanden, die jedoch generell keine nahezu flächendeckende Versorgung gewährleisten. > Für Anschlüsse mit mehr als ADSL-Bandbreite (etwa bis zu 16 Mbit/s) gibt es diverse Anbieter, von denen keiner in der Lage ist, ein national flächen- deckendes Netz in den kommenden Jahren zu etablieren. > Die CAPEX-Unterschiede zwischen den Ballungsgebieten und den ländlicheren Gebieten sind erheblich.

Die abweichenden Bedingungen zwischen den Regionen wirken sich negativ auf national einheitliche Geschäftsmodelle aus. Stattdessen müssen die Angebote und Preise den lokalen und regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Natio- nale Netzbetreiber müssen sich auf die Regionalisierung einstellen und Regiona- lisierungsmaßnahmen ergreifen.

Zu den Maßnahmen, die ein Betreiber in Erwägung ziehen sollte, gehören un- ter anderem die optimale Gestaltung des Technologiemix, Optimierungen im Vorleistungsbereich inklusive der Einführung und Neugestaltung regionalisierter Vorleistungsangebote, der Einkauf von Vorleistungen sowie die Einführung einer Multimarkenstrategie.

19 Vgl. Aumann, Marketing und Sales: Total Turnaround, S. 234 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 203 Differenzierte Marktbearbeitung

Anforderungen an den Future ICT Provider aus Sicht von Swisscom

Das Leitbild von Swisscom beinhaltet ein Versprechen: „Wir möchten unsere Kunden in die digitale Welt begleiten. Wir möchten es ihnen ermöglichen, sich darin wohl und sicher zu fühlen, sich schnell und ein- fach zurechtzufinden sowie Außergewöhnliches zu erle- ben und zu leisten.“ Die Voraussetzung hierfür ist das Vertrauen unserer Kunden. Dieses jeden Tag aufs Neue zu gewinnen steht im Mittelpunkt der Be­mühungen von Swisscom. Von diesem Anspruch ausgehend ­reflektiert Stefan Berg, Senior Strategy Manager, Herausforderungen und Möglichkeiten der kommenden Jahre mit speziellem Fokus auf die Schweiz und das Geschäftskundensegment.

204 Detecon International GmbH Anforderungen an den Future ICT Provider aus Sicht von Swisscom

Der Schweizer B2B-Markt

Der Schweizer ICT-Markt weist im Verhältnis zu anderen Märkten in Europa einige Besonderheiten auf. Dazu gehört die relativ geringe Größe der Schweiz hinsichtlich geografischer Ausdehnung und Anzahl der Einwohner. Auch der relativ hohe Wohlstand in der Bevölkerung – Platz vier weltweit nach Bruttoin- landsprodukt pro Kopf1 –, ein überdurchschnittlich hohes Preisniveau sowie der „Schutz“ vor allzu direkten Konsequenzen der EU-Regulierung haben Auswir- kungen auf den ICT-Markt.

Vergleichbar mit anderen europäischen Ländern wie Deutschland ist jedoch die starke Ausprägung des Mittelstands. Von den ungefähr 320.000 in der Schweiz registrierten Firmen haben nur circa 3800 – etwa 1,2 Prozent – mehr als 100 Mitarbeiter. Die im Vergleich relativ geringen ICT-Budgets von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit über 100 Mitarbeitern auf der einen Seite und die absolut gesehen relativ geringe Anzahl von Großunternehmen auf der anderen Seite geben den Rahmen vor, in dem sich jedes Schweizer ICT-Un- ternehmen bezüglich der Portfoliogestaltung, insbesondere der Preisgestaltung und Skaleneffekte, im B2B-Markt bewegen muss. Die gute Nachricht: Die ICT- Budgets der kleinen Unternehmen wachsen überproportional. Das Schweizer Marktforschungsunternehmen MSM beziffert eine Zunahme der ICT-Ausgaben von KMU von jeweils bis zu fünf Prozent in den kommenden zwei Jahren.2

Geschäftskunden mit Zugangs- und Konnektivitätsleistungen zu versorgen ist in erster Linie ein lokales Geschäft mit überwiegend lokalem Wettbewerb. Bei allen über den Zugang hinausgehenden Angeboten hingegen stellt die zunehmende Konkurrenz durch global agierende ICT-Anbieter eine Herausforderung dar. Die Angebote von Amazon – Cloud- und Webservices, Managed Workplace –, Microsoft – Azure, Office 365 inklusive Lync – oder Google`s Enterprise Apps, um nur einige zu nennen, sind für die Nutzer attraktiv, einfach zu bedienen und definieren gleichzeitig den Preisbenchmark. Die von Google CEO Larry Page zitierte Wachstumsrate von 5000 Firmenneukunden pro Tag zeigt, dass diese Angebote ernst genommen werden müssen3 − auch und gerade in der Schweiz, wo sich ebenfalls namhafte Unternehmen für beispielsweise Google Enterprise entschieden haben.4

Solche Rahmenbedingungen in Kombination mit globalen Trends wie die Mobi- lisierung der Mitarbeiter und Firmen, die Globalisierung, die Digitalisierung der 1 IWF, Oktober 2013. 2 MSM, ICT-Markt Schweiz 2013, Mid-Year Update. 3 http://www.zdnet.com/blog/btl/google-enterprise-5000-new-customers-a-day/67572. 4 Beispiel: Pressemitteilungen Ringier Sep. 2009, Holcim März 2013, Roche Feb. 2012, Sunrise 2008.

Detecon International GmbH 205 Differenzierte Marktbearbeitung

internen Geschäftsprozesse sowie die durch das Internet allgemein ausgelösten Veränderungen haben den Wandel der klassischen Telekommunikationsanbieter hin zu modernen ICT-Dienstleistern in den letzten Jahren angetrieben. Dieser Prozess dauert an. Wie müssen sich ICT-Unternehmen in den kommenden drei bis fünf Jahren verändern, um weiterhin profitabel am Markt agieren zu können?

Kundenbedürfnisse konsequent in den Mittelpunkt stellen

In der Vergangenheit waren die Vertriebsstrukturen im Telco-B2B-Segment übersichtlich. Kundenseitig existierten zentrale Ansprechpartner, um relativ stan- dardisierte, technologiefokussierte Produkte zu vertreiben. Im Outsourcing-Um- feld wurde die betriebliche Übernahme von klar definierten IT-Betriebsbereichen diskutiert.

Dieses Umfeld hat sich radikal gewandelt. Mittlerweile werden bereits 50 Prozent des verfügbaren IT-Budgets eines Unternehmens nicht mehr von der zentralen IT-Abteilung, sondern aus den Businessabteilungen heraus vergeben. Der Trend wird sich fortsetzen, die Rolle der zentralen IT-Abteilungen wird sich weiter wan- deln. Das hat auch für Swisscom als ICT-Lösungsanbieter Konsequenzen: Die Bedürfnisse der Kunden zu verstehen ist ein komplexes Unterfangen geworden! Das Marketingressort eines Schokoladenproduzenten, der Produktionsbereich eines mittelständischen Uhrenherstellers oder die IT-Abteilung einer internatio- nalen Großbank haben zum Teil signifikant unterschiedliche Bedürfnisse – und drücken diese entsprechend aus. Um hier den richtigen Mix aus horizontalen, skalierbaren Standardprodukten sowie branchenspezifischen Lösungen entwi- ckeln zu können, müssen ICT-Unternehmen vermehrt lernen, die Sprache der Kunden sowie die Besonderheiten und Geschäftsprozesse der jeweiligen Bran- chen zu verstehen. Eine Kundensegmentierung, die sich allein auf die Firmen- größe stützt, reicht nicht mehr aus.

Neben dem Aufbau von branchenspezifischem Wissen setzt Swisscom konse- quent auf einen Human-centered-Design-Ansatz. Design mit Fokus auf den Menschen ist nicht nur eine Methode, sondern in erster Linie eine Frage der Einstellung aller Mitarbeiter und der Führung. Die Berücksichtigung der kom- pletten Kundenerlebniskette von Tag eins der Entwicklung inklusive Vermark- tung, Service, Support, der intensive Austausch über alle Bereiche, die gemein- same Entwicklung längerfristiger Produkt- und Servicevisionen und das „Lernen durch Ausprobieren“ erfordern einen kulturellen Wandel in der gesamten Orga- nisation.

206 Detecon International GmbH Anforderungen an den Future ICT Provider aus Sicht von Swisscom

Die Cloud darf in diesem Kontext natürlich nicht unerwähnt bleiben – nicht nur als technologisches Konzept, sondern insbesondere als eine flexible Lösung zur Realisierung unterschiedlichster Kundenbedürfnisse. Die strikten Gren- zen zwischen­ Internet, zum Beispiel Webinformation, Social Media, externer ­Speicher und Filesharing, und Intranet – Fileserver, CRM-Systeme, SAP – gehen durch die Einführung von Social-Media-basiertem CRM wie Facebook, Cloud-­ Diensten wie Evernote und Dropbox sowie von neuen Technologien, etwa ­WebRTC-unterstützten Callcenter, zunehmend verloren. Modernste Cloud-An- gebote ermöglichen es Swisscom, ihren Kunden ein durchgängiges Kundenerleb- nis zu bieten, ohne auf Sicherheit zu verzichten.5

Nachhaltige Umsätze schaffen

Dass volumenbasierte Umsätze – Voice, Data, SMS – rückläufig sind und durch Flatrate-Tarife sowie OTT-Angebote verstärkt unter Druck geraten, ist keine Neuigkeit. Konnten die mobilen nutzungsabhängigen Umsätze im B2B-Seg- ment, vor allem bei den Großkunden, in den letzten Jahren noch relativ stabil gehalten werden – Verhältnis mobile Grundgebühren zu nutzungsabhängigen Umsätzen 1:66 –, so kommt in den nächsten Jahren der aus dem Privatkunden­ segment bekannte Flatrate-Effekt auch im B2B-Segment vollständig zum Tragen. Zusätzlich werden weitere Geschäftsfelder unter Druck geraten wie das klassische PBX-Geschäft mit Vertrieb, Leasing und Betrieb sowie natürlich auch – mittel- fristig – die Roaming-Umsätze.

Die Kunst liegt also darin, die oben beschriebenen, nicht mehr als nachhaltig zu betrachtenden Umsätze in nachhaltige Umsätze zu transferieren. Im Mobilfunk- segment ist es Swisscom bereits gelungen, durch innovative Infinity-Tarife für Privat- und Geschäftskunden einen Wechsel einzuleiten. Der proaktive, konse- quente Verzicht auf nutzungsabhängige Komponenten sowie die Einführung von kundenbedürfnisorientierten, geschwindigkeitsbasierten Tarifen ohne Volumen- deckelung wurden vom Markt honoriert. So konnte Swisscom nicht nur die Um- sätze stabilisieren, sondern zusätzliche Marktanteile gewinnen. Die Einführung von Volumenobergrenzen im Festnetz und im Mobilfunk, wie sie derzeit andere Telekommunikationsunternehmen diskutieren, hält Swisscom für nicht zielfüh- rend. Transparente und verlässlich planbare Kosten sowie eine gleichbleibend hohe Servicequalität sind Merkmale, auf welche die Kunden vertrauen können.

Zur Sicherung der Umsätze im PBX-Umfeld baut Swisscom verstärkt auf Mana- ged-Service-Ansätze. Neben niedrigen Kosten sind Einfachheit, Flexibilität und

5 http://www.swisscom.ch/its/de/it-services/news/Magazin/insights0113_die_cloudifizierung.html. 6 Swisscom Facts & Figures, December 31, 2012, P&L Breakdown, Corporate Business Revenues.

Detecon International GmbH 207 Differenzierte Marktbearbeitung

Sicherheit wichtige Bedürfnisse unserer Kunden. Komplettlösungen und deren Betrieb aus einer Hand – Konnektivität im Verbund mit Kommunikations- und Kollaborationslösungen aus dem Netz, einem attraktiven Best-in-Class-­ Security-Portfolio sowie garantierter Datenhaltung in der Schweiz – adressieren ­diese B­ edürfnisse. Das Portfolio von Swisscom wird sich in diesem Bereich noch ­intensiver entwickeln.

Innovationsfähigkeit stärken

„In der Umgangssprache wird der Begriff ‚Innovation‘ im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. Im ­engeren Sinne resultieren Innovationen erst dann aus Ideen, wenn diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich ­erfolgreiche Anwendung finden und den Markt durchdringen.“7

Basierend auf dieser Definition ist es fair zu sagen, dass sich die Mehrheit der Tele- kommunikationsunternehmen in der Vergangenheit eher als Participating Inno- vation Follower denn als Innovation Leader positioniert hat. Ausnahmen von der Regel finden sich überwiegend im Netzwerkbereich, teilweise im ­Bereich IP-TV oder in wenigen ausgewählten Services wie M-PESA, einem sehr erfolgreichen, SMS-basierten afrikanischen Mobile Payment Service. Die Innovationen im Smartphone-Markt, getrieben durch Apple, HTC, Samsung und anderen, sowie die daraus resultierenden explodierenden Zuwächse im Mobile-Data-Geschäft liefern ein klassisches Beispiel für die partizipierende Rolle.

Ausgehend von den Kernkompetenzen eines klassischen Telekommunikations- unternehmens ist dies nicht überraschend – und war auch akzeptabel, solange Wachstum durch Teilnehmerzuwachs oder steigende ARPU generiert werden konnte. Da dies nun nicht mehr den Tatsachen entspricht, wächst die Bedeu- tung von Innovationen signifikant. Wie soll man solch einer Herausforderung, die nicht zuletzt auch einen kulturellen Wandel bedeutet, begegnen?

„Partnering“ lautet in diesem Zusammenhang eine weitverbreitete, oftmals fast reflexartig gegebene Antwort. Partnering spielt sicherlich eine maßgebliche ­Rolle, sei es bei der Generierung neuer Serviceangebote, beispielsweise durch OTT und Zugangsbündelung, bei der Bereitstellung von Inhalten oder im ­Bereich der ­Serviceentwicklung und Delivery. Der Versuch, ein besseres Office 365 als Microsoft zu entwickeln, ist aller Voraussicht nach zum Scheitern ver-

7 Müller-Prothmann, T./Dörr, N., Innovationsmanagement. Strategien, Methoden und Werkzeuge für systematische Innovationsprozesse, 2009, S. 7. Zitat: „Innovation = Idee + Invention + Diffusion“.

208 Detecon International GmbH Anforderungen an den Future ICT Provider aus Sicht von Swisscom

urteilt. Wenn man allerdings der dritte Office-365-Reseller im Markt ist, dann muss man sich auch die Frage nach der Differenzierung und der Nachhaltigkeit dieser Strategie gefallen lassen. Welcher der involvierten Partner in so einem Spiel langfristig die größeren Vorteile genießt und welche Abhängigkeiten generiert werden, gilt es sorgfältig abzuwägen.

Swisscom glaubt daher fest daran, dass eigene Innovationen nicht nur möglich, sondern zwingend erforderlich sind, um in den kommenden Jahren erfolgreich am Markt zu agieren. Das intelligente Ausnutzen eigener Stärken und Assets, eventuell in Kombination mit Partnerprodukten oder -dienstleistungen zur ­Generierung eines Kundenmehrwerts, erachtet Swisscom als einen wesentlichen Schlüssel zur Differenzierung und zum Erfolg.

Dass Swisscom hierbei oftmals Neuland betritt und zudem über eigene Standard- kompetenzen hinausgehen muss, ist gewollt und trägt zur Weiterentwicklung der Beschäftigten bei. Im Folgenden einige Beispiele:

> Dank der gemeinsam mit einem OEM entwickelten FTTS-Technologie (Fibre- to-the-Street oder Fibre-to-the-Distribution-Point, FTTdp) baut Swisscom Glas- faser bis rund 200 Meter vor die Gebäude und reduziert so die Kupferstrecke. Die zusätzliche Einführung von Vectoring in 2014, mittelfristig gefolgt von G.fast, in Kombination mit einem neuen, innovativen GB-fähigen Homerouter, bildet die Basis für neue IP- und Cloud-basierte Angebote – auch in Gegenden, in denen ein FTTH-Ausbau noch nicht vorgesehen ist. Die neu entwickelte Plattform des Swisscom Home-Routers verfügt über ausreichende Rechenleistung, um auch zu- künftigen Anwendungen Platz zu bieten. Als technologischer Enabler wird Soft- ware-defined Networking (SDN) in Zukunft noch viele Möglichkeiten eröffnen.

> Im IP-TV-Umfeld hat Swisscom die vom Hersteller gelieferte Plattform durch innovative Features wie Replay8 oder die konsequente Integration von mobilen Endgeräten erweitert. Die Grundlage für diese Erweiterungen sind eine exzel- lente Netzqualität in Festnetz sowie Mobilfunk, der Durchgriff auf das Heim- netzwerk sowie die richtigen Softwareentwicklungsfähigkeiten für die mobilen Applikationen.

> Die Fähigkeit zur Entwicklung eigener Software spielt auch im Bereich Kom- munikation und Kollaboration eine entscheidende Rolle. Die von Swisscom auch für Kunden anderer Mobilfunkanbieter verfügbare Kommunikations-App

8 http://www.swisscom.ch/de/privatkunden/swisscom-tv/funktionen.html – 90 Sender zeitversetzt bis zu 30 Std. zurückschauen, ohne vorherige Aufnahme und ebenfalls auf mobilen Endgeräten.

Detecon International GmbH 209 Differenzierte Marktbearbeitung

iO9 sowie Vidia, die sich gerade im Betatest befindende Videokonferenzlösung für KMUs, sind Beispiele für Eigenentwicklungen.

Erwähnt werden sollten auch die Assets nicht technischer Natur: Ein aus­ geprägtes lokales Filialnetz, ein qualifizierter und kompetenter Kundendienst oder ausgeprägte Prozesserfahrungen, zum Beispiel im Bereich Billing, können ­entscheidende Beiträge im Innovationsprozess liefern. Datenschutz und lokale Datenhaltung sind angesichts der jüngsten Ereignisse ebenfalls nicht zu vernach- lässigende Aspekte.

Aber auch die technologische Entwicklung bietet in den nächsten Jahren Ansatz- punkte für die Entwicklung eigener Innovation. Das Potenzial von SDN oder Big Data Analytics als Basis für neue Endkundenprodukte ist noch nicht erschlossen.

Effizienz steigern

Bei aller Freude an neuen und innovativen Produkten: Der Bereich der kosten­ optimierten, schlanken Produktion von Services und Dienstleistung muss eben- falls im Fokus bleiben. Begriffe wie standardisierte Plattformen und effiziente ­Prozesse werden in der Industrie seit Jahren diskutiert.

Die Möglichkeiten, welche die Cloud bietet, um Kundenbedürfnisse zu adres- sieren, wurden oben bereits ausgeführt. Die Cloud gilt als Enabler mit gr­ oßem Potenzial, um die Effizienz unserer Kunden zu erhöhen. Diesen Ansatz wird Swisscom auch intern verfolgen und bis 2016 einen Großteil der eigenen ­IT-Anwendungen in die Swisscom-Cloud migrieren. Die Philosophie von Swiss- com lautet, die eigenen Produkte auch selbst zu nutzen. Ein solches Vorgehen unterstützt einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und die schnellere Rei- fung neuer Produkte.

Wertvolle Erfahrungen mit diesem Konzept hat Swisscom bei der Einführung der Managed Unified Communications & Collaboration(Managed UCC)-Pro- dukte sammeln können, die intern konsequent über alle Standorte ausgerollt wurden. Das führte nicht nur zu der oben genannten Produktreife, sondern ­darüber hinaus zu einem signifikanten Effizienzgewinn und einer Reduzierung der Reisekosten. „Eating your Own Dog Food“ funktioniert – Swisscom wird die Anwendung dieses Konzepts konsequent weiterverfolgen.

9 iO bietet SIM-Karten, unabhängige Voice-, Chat- und Presencefunktionalität. Swisscom- Kunden sowie Kunden anderer Netzbetreiber, die ein zusätzliches Abo gebucht haben, können zudem kostenlos Festnetznummern in der Schweiz oder Europa anrufen.

210 Detecon International GmbH Anforderungen an den Future ICT Provider aus Sicht von Swisscom

Ein Aspekt sollte jedoch bei allen Effizienzmaßnahmen nicht vergessen werden: Die nötige Flexibilität und Agilität zum Ausprobieren von – auch mal ausgefal- lenen – Ideen als Grundlage für Innovation muss erhalten bleiben. Eine hoch standardisierte VW-Plattform mag sehr gut zur kostengünstigen Produktion von diversen Polo- oder Golf-Modellen geeignet sein – einen Tesla baut man darauf aber nicht. Flexible und mit adäquatem Budget und Kompetenzen ausgestattete Innovationsbereiche sind die Kristallisationskeime für neue Ansätze.

Weiterentwicklung der Mitarbeitenden

Last, but not least: „Bester Service“ ist ein Swisscom-Anspruch und gewichtiges Differenzierungsmerkmal – und ohne die Mitarbeiter von Swisscom als Beglei- ter der Kunden nicht zu erreichen. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Motivation sowie der Skills im technischen – IP-Migration, Cloud, SDN – und nicht technischen Bereich – Kundenverständnis, Human-centered Design – gilt als Voraussetzung, um bei den Mitarbeitern die richtige, kundenfokussierte Ein- stellung zu gewährleisten. Nur so wird es möglich sein, den Serviceanspruch ge- genüber unseren Kunden einzulösen und unsere B2B-Vision zu erfüllen: durch innovative und qualitativ hochwertige Angebote unsere Kunden dabei zu unter- stützen, im eigenen Geschäft effizienter und erfolgreicher zu werden.

Fazit

Die Geschwindigkeit des Wandels in der ICT-Branche wird in den kommenden Jahren steigen. Die Technologie entwickelt sich rasant weiter, neue Anbieter wer- den faszinierende innovative Angebote lancieren und der Wettbewerb wird an Härte zunehmen. So lauten die einzigen Sicherheiten, die man im ICT-Markt haben kann.

In einem solchen Marktumfeld sind langfristige und vertrauensvolle Kundenbe- ziehungen, die auf einem exzellenten Service sowie innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten basieren, von unschätzbarem Wert – und der Schlüssel zu profitablem Wachstum. Dieses Vertrauen der Kunden täglich neu zu verdie- nen ist das Ziel von Swisscom.

Swisscom ist das führende Telekommunikationsunternehmen der Schweiz. Über 20‘000 Mitarbeitende erzielten 2013 einen Umsatz von CHF 11,43 Mrd. Swisscom gehört zu den nachhaltigsten Unternehmen der Schweiz und Europas.

Detecon International GmbH 211 Differenzierte Marktbearbeitung

Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

Ulrike Eberhard

> Eine empirische Benchmark-Studie bei Marketing und Sales Managern in Telekommunikationsunternehmen identifiziert die kritischen Erfolgsfaktoren für das Marketing Performance Management.

> Viele Telekommunikationsbetreiber stehen aufgrund der Marktsättigung in ihren Kernmärkten sowie der tektonischen Verschiebungen in den Marktstrukturen vor der Herausforderung, ihr Marketing Performance Management einer Transformation vom Kunden-, Umsatz- oder EBITDA-Wachstum hin zu einer Wertorientierung zu unterziehen.

> Auf Basis der Studie und weiteren Analysen leiten sich wertvolle Empfehlungen und innovative Ansatzpunkte für diese Spielart des Marketing Performance Management ab.

212 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

Globale Benchmark-Studie: Lernen, wie man optimiert

Extrem hohe Penetrationsraten im Mobilfunk, die bis Ende 2013 mehr als 128 Prozent der Bevölkerung in entwickelten Ländern und 90 Prozent der Bevöl- kerung in Entwicklungsländern erreichten, konfrontieren Telekommunikations- unternehmen mit der harten Realität der Marktsättigung. Konkurrenzkampf und Druck auf die KPIs steigen weiter an. In solchen Situationen optimieren ­Betreiber typischerweise ihre Netze und deren Betrieb, vergeben das Manage- ment sekundärer Prozesse an externe Dienstleister beziehungsweise führen ander­ e organisatorische Änderungen durch, die mit einem erheblichen Personalabbau verbunden sind. Erfahrungen mit zahlreichen Betreibern sowie das Wissen über den Einfluss von Marketing auf den Unternehmenserfolg in anderen gesättigten Branchen zeigen, dass im Marketingmanagement von Telekommunikations­ unternehmen enormes Potenzial frei liegt, das zum Erfolg der jeweiligen Unter- nehmen beitragen kann.

Eine in 2013 weltweit durchgeführte Benchmark-Studie bei 35 Telekommuni- kationsbetreibern in Europa, Asien, Nord- und Südamerika, MENA und Afrika deckt die zentralen Erfolgsfaktoren auf. Die Ergebnisse unterstützen Marketing- und Vertriebsverantwortliche bei der Fokussierung auf relevante Ziele und deren effizienten Umsetzung.

Die Basis für die Studie bildete ein speziell für Festnetz- und Mobilfunkbetreiber entwickelter, konzeptioneller Rahmen für Marketing Performance Management (MPM). Er umfasst die zielorientierte, integrierte Gestaltung und Implemen- tierung von Steuerungs- und KPI-Systemen, Analyse- und Prognosemethoden, Programmen (Products & Services, Customer Experience, Regional Roll Out) sowie Organisationsstrukturen und -prozessen für alle kundennahen Funktionen eines Telekommunikationsbetreibers. Dies betrifft Produkte, Preise, Vertrieb und Kommunikation.

Um unterschiedlichen Markt- und Unternehmenssituationen Rechnung zu tra- gen, beruht die Studie auf einer weiten Interpretation des Performance-Begriffes. Performance bezeichnet demnach ganz allgemein den „Grad der Zielerreichung“ und ist anwendbar auf mehrere spezifische Zielkategorien, zum Beispiel Kun- den-, Umsatz- und Margenwachstum sowie Wertzuwachs.

Die Top-Management-Interviews bei den 35 Telekommunikationsunternehmen wurden persönlich und mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens durchge- führt. Darüber hinaus wurden KPI-Analysen der teilnehmenden Firmen und ihrer regionalen Wettbewerber unter Heranziehung von Geschäftsberichten und

Detecon International GmbH 213 Differenzierte Marktbearbeitung

Studien internationaler Telekommunikationsanalysten (Merrill Lynch, GSMA, TeleGeography, Ovum, Analysys Mason, Pyramid Research, Yankee Group) von 2010 bis 2013 zu­ den Ergebnissen der Interviews in Beziehung gesetzt. So konn- ten die Zusammenhänge zwischen den gesetzten Zielen, dem tatsächlichen Han- deln und der Zielerreichung der Betreiber offengelegt werden.

Die interviewten Betreiber gestalten und implementieren ihre MPM-Aktivitäten sehr unterschiedlich. Es ließen sich vier Gruppen identifizieren, die sich hinsicht- lich des Schwerpunkts ihrer Aktivitäten deutlich voneinander unterscheiden: 49 Prozent legen den Schwerpunkt auf Kundenwachstum, 27 Prozent auf Umsatz- wachstum, 14 Prozent auf Margenwachstum und 9 Prozent auf Wertzuwachs.

Abstimmung mit Zielen ist erfolgskritisch – hier besteht Optimierungsbedarf!

Allerdings ist festzustellen, dass viele Betreiber ihre MPM-Aktivitäten nicht im- mer auf ihre selbst gesteckten Hauptziele ausrichten. Das bedeutet, dass die Be- treiber in den oben genannten Gruppen nicht notwendigerweise auch das Ziel priorisiert verfolgen, das ihr Aktivitätsschwerpunkt vermuten lässt.

Diejenigen Betreiber jedoch, die eine enge Abstimmung vornehmen, sind ­offensichtlich erfolgreicher als Unternehmen, die keine Abstimmung vorneh- men:

> Lediglich 28 Prozent der interviewten Betreiber sind in dem „optimalen Korridor“ positioniert, ihre Anpassung zwischen Hauptzielen und tatsächlichen MPM-Aktivitäten ist sehr hoch. Die Mehrheit jedoch, nämlich 72 Prozent, ­liegen außerhalb dieses Korridors.

> Im Vergleich zu denjenigen, bei denen keine Abstimmung zwischen Zielen und Maßnahmen vorliegt, übertreffen die Betreiber innerhalb des „optimalen Korridors“ ihre lokalen Wettbewerber in puncto Erreichung der Hauptziele um einiges. Der Unterschied bei der relativen Zielerreichung beziffert sich auf +54 Prozent!

Die fehlende Abstimmung zwischen Zielen und MPM-Aktivitäten liegt häufig im fehlenden Transformationsmanagement begründet: Die Ziele werden zwar bereits „höher“ gesteckt, zum Beispiel von Umsatz- auf Margenwachstum, aber die KPI-Systeme, Analyseverfahren, Programme, Organisationsstrukturen und -abläufe werden nicht konsequent nachgezogen. Bei einigen hindert insbesonder­ e die starre Organisationsstruktur ein effizientes Anpassen aller MPM-Maßnah- men an die neuen Ziele.

214 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

KPI-Steuerung, Analysen, Programme und Organisation – von den Peers lernen!

Die detaillierte Analyse der Teilnehmer lässt folgende Erkenntnisse für die vier Bereiche des Marketing Performance Managements zu:

KPI-Systeme sind der zentrale Erfolgsfaktor: Die Mehrheit der befragten Unterneh- men bewertet KPI-Systeme als einen zentralen Erfolgsfaktor für ihr MPM. Ins- besondere jene Unternehmen, die im oben genannten Best-Fit-Korridor liegen und offensichtlich erfolgreicher sind als ihre regionalen Wettbewerber, messen ihrem KPI-System eine vergleichsweise wesentlich höhere Bedeutung zu als Un- ternehmen außerhalb des Korridors. Weiterhin zeichnen sich ihre KPI-S­ ysteme nach eigenen Aussagen durch sehr gute Ausprägungen bei den folgenden Merk- malen aus:

> Balance zwischen finanziellen, quantitativen und qualitativen KPIs > Frühindikatoren, die eine frühzeitige Gegensteuerung ermöglichen > Integration mit den KPI-Systemen von Abteilungen verantwortlich für IT und Netze > Berücksichtigung von Wissensmanagement und Lernprozessen zur kontinuierlichen Verbesserung des Marketing Performance Managements.

Interessanterweise verursachen KPI-Systeme derjenigen Betreiber, die Wertzu- wachs priorisieren, weniger widersprüchliche oder nicht eindeutige Situationen bei Entscheidungsprozessen als bei allen anderen Betreibern, obwohl sie eine ­größere Anzahl quantitativer und qualitativer KPIs abdecken und eine wesent- lich stärkere Vernetzung mit den KP-Systemen anderer Bereiche im Unterneh- men wie Netze und IT aufweisen.

Marketing Analytics – auf Fokus und kontinuierliche Innovation kommt es an: Hinsichtlich Marketing Performance Analytics und Predictive Modelling zeich- net sich bei allen Betreibern ein genereller Trend zur Verbesserung der grundle- genden Kompetenzen im Daten-, Informations- und Wissensmanagement für MPM ab. Auch Big Data zieht langsam in die Marketing- und Sales-Abteilungen der Betreiber ein. Je nach Fragestellung beschäftigen sich 30-40 Prozent der Be- fragten mit zentralen Aspekten von Big Data Analytics. Die Mehrheit reichert je- doch ihre Informationsgrundlagen für Entscheidungen nicht mit strukturierten und unstrukturierten Daten aus Quellen wie Customer Panels, Device Panels oder Social Media an.

An oberster Stelle aller Telekommunikationsunternehmen, ungeachtet ihres Fo- kus, stehen die Churn- und Migrationsanalysen. Nahezu 90 Prozent von ihnen

Detecon International GmbH 215 Differenzierte Marktbearbeitung

führen diese Analysen monatlich, wenn nicht sogar wöchentlich durch. Mit wei- tem Abstand folgen Marktanteilsanalysen, die noch von 60 Prozent der Betreiber in der gleichen Frequenz durchgeführt werden. Erstere dienen sicherlich als Früh- indikator für Marktanteilsverschiebungen und müssen daher regelmäßiger geprüft werden.

Es gibt vereinzelt Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen. So setzen Unternehmen, die einen starken Fokus auf Margenziele legen, Analysen und Pro- gnosen im Vergleich zu wertorientierten Unternehmen insgesamt weniger häufig ein. Die Annahme liegt nahe, dass jene Unternehmen in der Regel kurzfristige Kostensenkungspotenziale suchen und dabei auch den Bereich der Marketing Performance Analytics nicht auslassen. Nur Profitabilitätsanalysen für Regionen und Advertising Efficiency Analysen kommen bei ihnen vergleichsweise stärker zum Einsatz als bei anderen Betreibern. Anders wiederum priorisieren die Chief Commecial Officer (CCO) der wertorientierten Telekommunikationsunterneh- men die Intensität und Standardisierung der Analytics rund um Markenwert, Customer Lifetime Value (CLV), Net Present Value (NPV) der Produkte und Regionen, Return on Marketing Invest (ROMI) sowie um Kundenzufriedenheit und Loyalty etwas stärker als andere. Dennoch verfolgen sie noch sehr intensiv ihre „früheren“ Analysemethoden. Das könnte einer der Gründe für ihren relativ geringen Erfolg in Bezug auf Werteziele sein.

Im Predictive Modelling dominieren immer noch die klassischen Verfahren, das heißt die Prognose des Kreditausfallrisikos bei Neukunden, Prognose von Kün- digern und Früherkennung von Betrugsfällen und Kundenwert (CLV) von Be- standskunden gehören zur operativen Routine fast aller Telekommunikationsun- ternehmen. Anders sieht es bei Modellen zur Prognose des Nutzungsverhaltens aus, das heißt der Nutzung von Sprache, Daten, Content & Applications. Wäh- rend die Prognose der „Sprachminuten“ bei allen zur täglichen Routine gehört, beabsichtigen diese, ihre bisher nur sporadisch in Projekten eingesetzten Progno- sen zur Nutzung von Datendiensten oder spezifischen Content & Applications zu standardisieren und in das regelmäßige Reporting zu übernehmen. Dies gilt unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit der Unternehmen.

Generell ist festzustellen, dass Telekommunikationsunternehmen ein sehr hohes Engagement hinsichtlich Marketing Analytics aufweisen, aber es fehlt häufig der notwendige Fokus. Insbesondere Unternehmen, die auf andere Ziele umgestellt haben, gelingt es häufig nicht, ihre Analysen entsprechend anzupassen. Außer- dem haben bestimmte innovative Analyseverfahren, zum Beispiel Prognosever- fahren zur Ermittlung des Customer Lifetime Values (CLV) von Bestands- und Neukunden, die Telekommunikationsunternehmen erreicht, ohne dass deren

216 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

intensiver Einsatz bereits gerechtfertigt erscheint. Die ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Carrier in der Hauptsache nach starkem Kundenwachstum und hö- heren Marktanteilen strebt.

Marketing-Performance-Programme – von der Analyse- zur Umsetzungskompe- tenz: Der Erfolg im Marketingmanagement kann sich erst durch die kreative und sinnvolle Umsetzung von Analyseergebnissen in Maßnahmen und deren koordinierte Realisierung am Markt einstellen. Eine gute Nachricht für die Stu- dienteilnehmer: Offensichtlich haben gerade die weniger Erfolgreichen – jene außerhalb des Best-Fit-Korridors –, erkannt, dass sie ihre Kompetenzen nicht nur im ­analytischen Bereich der Datenerhebung, Ableitung von relevanten Informationen­ und Generierung von Wissen über Zusammenhänge, sondern gerade in der Umsetzung der Analyseergebnisse in wirkungsvolle Initiativen und Programme vom Design bis hin zur operativen Durchführung, erheblich ver- bessern müssen. Ihre zukünftigen Pläne für Marketing-Performance-Programme sind wesentlich ­ambitionierter als die der bereits erfolgreichen Telekommunika- tionsunternehmen.

Die in der Studie im Einzelnen analysierten Marketing-Performance-Programme – strategische und operative Programme zur Optimierung der Segmentierung, des Vertriebs, der Produkte und Services, der Tarife und der Kommunika­tion – sind für alle Betreiber relevant und werden alle mehr oder weniger häufig und standardisiert angewendet. Wie angenommen, variieren jedoch die Zusam- mensetzung des Programmportfolios, die Häufigkeit der Anwendung und der Grad der Standardisierung deutlich zwischen den einzelnen Gruppen. Es ist zu ­beobachten, dass die meisten Telekommunikationsunternehmen mit kurz- oder langfristigen Profitzielen immer noch die typischen Programme für reines Kun- den- und Umsatzwachstum fortführen.

Die Organisation des MPM – Integration auf allen Ebenen: Die Grundlage für ein erfolgreiches MPM wird durch die strukturelle und prozessuale Organisation der Verantwortungsbereiche des MPM geschaffen. Fast 50 Prozent der interviewten Betreiber verfügen über eine zentrale MPM-Abteilung. Die andere Hälfte arbei- tet mit einem dezentralen MPM. Die Verantwortung liegt hauptsächlich in den verschiedenen Funktionsbereichen Vertrieb, Produktmanagement, Kommunika- tion und Customer Care, die maximal über KPIs und gegebenenfalls über strate- gische Direktiven koordiniert werden. Jedoch planen von diesen Unternehmen wiederum 50 Prozent eine stärkere Zentralisierung.

Eine Betrachtung der verschiedenen Gruppen zeigt, dass der zentrale Ansatz stär- ker bei den margen- und wertorientierten Unternehmen vorzufinden ist (75%),

Detecon International GmbH 217 Differenzierte Marktbearbeitung

während dies nur bei der Minderheit (40%) der Unternehmen, die auf Kunden- oder Umsatzwachstum ausgerichtet sind, der Fall ist. Sie belassen die Verantwor- tung für das MPM noch eher in den Funktionsbereichen.

Gewinnorientierung verlangt ganz offensichtlich eine stärker koordinierte und integrierende Steuerung, denn einzelne Gewinnoptimierungsmaßnahmen errei- chen nur lokale Optima, aber sie führen nicht notwendigerweise zur Maximie- rung des Gesamtgewinns. Daher sollte ein zentraler MPM-Bereich idealerweise auch mit starker Unterstützung durch das Top-Management geführt werden. Dies ist insbesondere kritisch für Unternehmen in reifen Märkten. Die Studie zeigt, dass tatsächlich 40 Prozent der MPM-Abteilungen der auf Margen- bezie- hungsweise Wertzuwachs ausgerichteten Unternehmen direkt an den Geschäfts- führer berichten. Bei den auf Kunden oder Umsatz fokussierenden Unterneh- men ist das nur zu 27 Prozent der Fall.

Jede der zentralen MPM-Abteilungen ist mindestens verantwortlich für das ­Reporting und Controlling. Aber nur die Hälfte von ihnen entwickeln strate- gische Direktiven oder koordinieren sogar strategische Marketingprogramme; eine Minderheit von 10 Prozent führt Marketingprogramme vereinzelt durch. Der Verantwortungsbereich der zentralen MPM-Abteilungen geht bei erfolg- reichen Betreibern eindeutig über das Analysieren, Monitoren und Controlling hinaus. Sie sind viel stärker in der Strategieentwicklung und teilweise auch bei der Umsetzung größerer Marketingprogramme involviert. Offenbar müssen noch viele Telekommunikationsunternehmen die Verantwortung des MPM vom KPI Reporting und Controlling ausdehnen auf Analysen und Prognosen der Wirkung von Marketing Initiativen oder Programmen und diese mit partieller Umsetzungsverantwortung verzahnen.

Neben zentralen und mit ausreichend Kompetenzen ausgestatteten MPM-Ab- teilungen fällt auf, dass insbesondere die erfolgreichen Unternehmen zu einem großen Anteil mehrere Instrumente zur Koordination aller Marketingfunktionen oder -bereiche einsetzen. Dazu gehören vor allen Dingen jährliche Zielverein- barungen (100%), strategische Planung (60%), standardisierte Prozesse (50%), Programm Management Office (40%) und wöchentliche Besprechungen (90%). MPM darf nicht an den Grenzen der Marketingabteilungen enden. Damit das Marketing von Telekommunikationsunternehmen erfolgreich Maßnahmen im- plementieren kann, ist eine enge Abstimmung mit den Bereichen Netze und IT notwendig. Idealerweise streckt sich die Verzahnung mit diesen auf alle Manage- mentaufgaben: KPI-Systeme, Strategische Planung, Analytics, Programme und Organisation. Die Befragten bestätigen, dass hier noch viel Optimierungsbedarf besteht. Nur 28 beziehungsweise 26 Prozent aller Befragten attestieren ihrem

218 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

Unternehmen eine gute bis sehr gute Abstimmung zwischen Marketing und Netze sowie Marketing und IT. Nicht überraschend fallen die Ergebnisse bei den erfolgreicheren Unternehmen im Best Fit Korridor signifikant besser aus.

Margen-/Wertziele gewinnen an Bedeutung – Telcos sind nicht ambitioniert genug!

Viele an der Studie teilnehmenden Betreiber verfolgen nicht die Marketingziele, die sie gemäß ihrer Markt- und Unternehmenssituation verfolgen sollten. Ins- besondere fällt auf, dass viele noch nicht den notwendigen Schritt zur Margen- oder Wertorientierung vollzogen und die Notwendigkeit zur Transformation zu einem profitablen MPM noch nicht erkannt haben:

> 37 Prozent wird empfohlen, primär auf Margenwachstum zu setzen. Aber nur 46 Prozent dieser Gruppe folgen dieser Empfehlung.

> Für 20 Prozent gilt es, aufgrund ihrer Markt- und Unternehmenssituation nachhaltige Profitabilität kurzfristigen Gewinnzielen vorzuziehen, das heißt, ­ihnen werden Wertziele empfohlen. Lediglich 14 Prozent dieser Gruppe befolgen dies tatsächlich.

Abbildung 1: Zentraler Erfolgsfaktor: Abstimmung zwischen Ziel und Design des MPM

Lebenszyklus basierte Zielempfehlungen

Revenue Wert Marge* Marge*

Market Leader Market Marge* Telco Positionierung Telco Umsatz Umsatz Marge

Kunden Marge Market Follower Market Umsatz Umsatz

Wachstum Stagnation/Rückgang

Markt Lebenszyklus Phase

= Empfehlung zur situativen Zielsetzung; Im Fall von Doppelzielen, sind die unterstrichenen Ziele zu priorisieren *) Marge bezieht sich auf EBITDA Marge; Wert bezieht sich auf Konzepte wie ROCE, ROMI, Shareholder Value etc.

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 219 Differenzierte Marktbearbeitung

Im Rahmen der Interviews wurde deutlich, dass einige der Betreiber ihren ­Fokus zwar bereits auf Margenziele gelenkt hatten, jedoch büßten sie daraufhin ­unerwartet erheblich an Marktanteilen ein. Da letzterer insbesondere in Netz- ökonomien und oligopolistischen Märkten ein wichtiger Treiber für kurz- und langfristige Profitabilität ist, schwenkten diese Betreiber wieder auf „Kunden- wachstum“ zurück.

Die Kunst eines erfolgreichen margen- und wertorientierten MPM liegt darin, das Halten des Kundenstamms und das Margenwachstum in Einklang zu brin- gen oder bei der Verfolgung von Wertzielen in hochgesättigten Märkten die Kun- denstruktur bei stabilem Marktanteil zu verbessern.

Im folgenden Kapitel legen wir den Fokus auf konkrete Empfehlungen zur Trans- formation zum wertbasierten MPM. Dies ist aktuell und mittelfristig die Heraus- forderung für viele Telekommunikationsunternehmen.

Transformation zum wertorientieren Marketing Performance Management

Die Motivation: Wertorientierung im Marketing

Viele Telekommunikationsunternehmen stehen vor den Herausforderungen ge- sättigter Märkte und der damit einhergehenden Stagnation des Kunden- und Umsatzwachstumes bei Sprach- und Datendiensten. Tektonische Verschiebungen in den Marktstrukturen hin zu OTT-Anbietern wie Skype und WhatsApp füh- ren sogar zu Umsatzrückgängen im Kerngeschäft. Einige verzeichnen außerdem sinkende EBITDA-Margen, da insbesondere die Kosten des Netzbetriebes stei- gen, das Festhalten an Endgerätesubventionen zur Vermeidung von Churn hohe Subscriber Acquisition Cost/ Subscriber Retention Cost (SAC/SRC) verursacht und die zunehmenden Flatrates zwangsläufig zur Umsatzstagnation beitragen. Einige Unternehmen haben nach mehreren Kostenoptimierungsprogrammen inzwischen auf systematische wertorientierte Unternehmensführung umgestellt1, was unter anderem am Einsatz von Kennzahlen wie Return on Capital Employed (ROCE) oder Economic Value Added (EVA) und deren ausführlichen Diskussi- on in Geschäftsberichten deutlich wird.

Der systematische Einzug der Wertorientierung in das Marketing von Telekom- munikationsunternehmen lässt sich, wie die Studie zeigt, aber nur vereinzelt be- obachten. Die Gründe dafür liegen in der überproportionalen Bedeutung des Marketings für den Umsatz, der letztendlich als wesentlicher Treiber des ROCE wertsteigernd wirkt und als KPI gesetzt bleibt, sowie in der Tatsache, dass Mar- ketingausgaben aus finanzieller Perspektive keine Investitionen im eigentlichen 1 Vgl. Hauk, Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch Customer Experience, S. 254 ff. in diesem Band.

220 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

Sinne darstellen. Last but not least bleibt der Kundenmarktanteil weiterhin wichtiger Erfolgsfaktor für den Profit.

Es gibt aber zahlreiche Beispiele dafür, dass Marketing nachhaltig Werte für ­Unternehmen schafft. Weithin bekannt ist der in besonderem Maße durch Marketing beeinflusste Markenwert, der entweder bei Unternehmenskäufen als Goodwill bewertet wird oder sich bei der Vergabe von Markenlizenzen monetari- sieren lässt. Bei Unternehmensbewertungen im Rahmen von Übernahmen wird auch häufig über den Wert des Kundenstamms (Customer Equity), das heißt die Summe der einzelnen Kundenlebenswerte (Customer Lifetime Values, CLV), diskutiert.

Wertorientiertes MPM setzt genau hier an. Es betrachtet Marketing und die damit verbundenen Ausgaben als Investition, nämlich als eine Investition in Marken- oder Kundenwerte. Diese Investitionen sollen zu zukünftigen Einzah- lungsüberschüssen führen, die, über die DCF-Methode bewertet, eindeutig über jenen alternativer Investitionsmöglichkeiten im Marketing liegen. Im Vergleich zu anderen Konzepten des MPM geht es hier um eine langfristige Cash-Flow- Orientierung und nicht um Gewinnmaximierung im laufenden oder geplanten Geschäftsjahr. Für Telekommunikationsunternehmen ist diese Perspektive in sich sättigenden Märkten überlebens-wichtig, denn Kunden, die wechseln oder ihre Verträge nicht verlängern, sind meist auf mehrere Jahre verloren oder nur zu sehr hohen „Marketinginvestitionen“ zurück zu gewinnen.

Wertorientiertes Marketing in diesem Sinne stellt den Einsatz von Return on Marketing Investment (ROMI) als zentrales Ziel und Steuerungsgröße in den Vordergrund. Wir empfehlen jedoch eine für Netzbetreiber um zwei z­entrale Komponenten erweiterte Sichtweise, die insbesondere den strukturellen ­Veränderungen in der ICT-Welt und den entscheidenden Wertetreibern in der ­Telekommunikation Rechnung trägt. Das sind die Erweiterung um nicht-mone- täre, soziale Kundenwerte und die Integration mit wertorientiertem Ausbau der Netzinfrastrukturen. Die Steuerung mittels ROMI wird damit nicht aufgeho- ben. Er bleibt weiterhin als Schlüsselgröße bestehen.

Der Ausgangspunkt: Return on Marketing Investment

Der ROMI ist definiert als der Quotient aus Customer Equity vermindert um indirekte Marketingausgaben, das heißt nicht einzelnen Kunden direkt zure- chenbare Ausgaben im Zähler und den gesamten direkten und indirekten Mar- ketingausgaben im Nenner. Customer Equity ist dabei die Summe der CLV aller Kunden des Unternehmens, also der zum durchschnittlichen Kapitalkostensatz

Detecon International GmbH 221 Differenzierte Marktbearbeitung

Definition des Return on Marketing Investment (ROMI) c  l − )DirMAU(  l IndMA ∆ t,i t,i − t ∑∑ t  ∑ t i==11  t 1+ )r(  t=1 1+ )r( ROMI = l GesMA ∑ t t=1 1+ )r( Ui,t Umsatz des Kunden i in Periode t Beispiele: ARPU, ASPU, ARPA

DirMA i,t Direkte Marketingausgaben für Kunde i in Periode t. Beispiele: Endgerätesubventionen, Vertragskommissionen pro Kunde bzw. für Kundenumsatz, Direktkampagnen, Terminierungsentgelte, Lizenzgebühren; Umsatzbeteiligung Service Provider

IndMA t Indirekte Marketingausgaben in Periode t, das heißt nicht auf einen Kunden zurechenbare Marketingausgaben Beispiele: Werbung (TV, Radio, Print, Online, Outdoor), Sponsoring, Kommissionen im Vertrieb, Personalkosten für Marketing und Vertrieb, Investitionen in Produktplattformen

GesMAt Gesamte Marketingausgaben in Periode t = DirMAit + IndMAt r Diskontierungssatz

(WACC) auf einen festgelegten Zeitpunkt diskontierten Einzahlungsüberschüsse über die direkten, einem Kunden zurechenbaren Auszahlungen über die gesamte Kundenlebensdauer, von Vertragsabschluss bis Kündigung.

Die direkten Marketingauszahlungen fallen insbesondere an für Endgerätesub- ventionen, Lizenzgebühren für digitale Inhalte und Applikationen, Vertriebs- kommissionen, Interconnection, Boni und Discounts im Rahmen von Direkt- kampagnen. Alle anderen Ausgaben im Marketing, die sich nicht ursächlich einem Kunden zuordnen lassen, sind indirekte Marketinginvestitionen für klas- sische offline und online Werbung, Public Relations, Point of Sale.

Zur konkreten Steuerung eignet sich die Differenzierung des ROMI nach Kun- denbereichen (KMU, Corporate, Privatkunden), Regionen und Distributions- kanälen (Points of Sale, Service Provider, MVNOs, Fachhandel), aber auch nach Initiativen wie neue Produkte, Kampagnen, Loyalitätsprogramme, Tarifinnova- tionen.

Die Erweiterung: Kundenwertsegmentierung mit CLV und Advocacy Score

Eine auf den ROMI ausgerichtete Steuerung der direkten und indirekten Mar- ketingausgaben setzt konsequenterweise an einer Segmentierung der Kunden anhand des CLV an. Solche Kunden, die über eine lange Verweildauer oder mit einem geringem Churn-Risiko hohe Einzahlungsüberschüsse sichern, werden ge- genüber Kunden, die häufig den Anbieter wechseln und dabei zusätzlich geringe ARPUs generieren, priorisiert.

222 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

Zum Aufbau einer solchen CLV-Segmentierung des Kundenstammes eignen sich Prognosemethoden, die mittels Abgleichens von Erkenntnissen aus histo- rischen Daten mit dem tatsächlichem Verhalten in Bezug auf Gesprächsminuten in Fremdnetze, Verhältnis von ausgehenden zu eingehenden Minuten in Verbin- dung mit der Restvertragslaufzeit oder Kundenbeschwerden Vorhersagen über die Wechselwahrscheinlichkeit und zukünftige Entwicklung der Umsätze von bestimmten Kunden liefern. Mit zunehmender Bedeutung allgemeiner Daten- dienste, VoIP und IP-basiertem Chat sowie Instant Messagingdiensten müssen diese, noch sehr auf die klassische Telefonie ausgerichteten Verfahren umgestellt und verfeinert werden. Hier werden Merkmale wie Qualität der Datenverbin- dungen, beispielsweise Aufbauzeiten, Verbindungsabbrüche, Datendurchsatz in Mbps, Latenz, Dauer der Datenverbindungen, Endgerätewechsel und Nutzung der eigenen oder Partner-OTT-Angebote wichtiger.

Entsprechende Marketingprogramme setzen an diesen Parametern an. Sie lenken die direkten Marketinginvestitionen für Endgeräte-Upgrades oder Treueboni zu Bestandskunden, die hohe Umsätze generieren und unter Umständen vor einem Wechsel stehen, oder in vorübergehende Preisnachlässe für Neukunden, die mehrere Verträge mit dem Unternehmen gleichzeitig abschließen. Dies ist auch aus anderen Branchen wie Versicherungen und Banken bekannt.

Eine Steuerung des CLV greift aber insofern zu kurz, da er den „Wert eines Kunden“ ausschließlich anhand der mit ihm getätigten Umsätze und Ausgaben bemisst. Ein Kunde erhöht jedoch auch unmittelbar und mittelbar durch Emp- fehlungen und Beeinflussung die Customer Equity, in dem er neue Kunden für den Telekommunikationsbetreiber gewinnt oder andere vor einem Wechsel be- wahrt. Seine Loyalität wird insbesondere vor dem Hintergrund der technolo- gischen Entwicklung von eSIM oder sogar Soft-SIM sowie des Eingreifens der Regulierungsbehörden in die Angebotspolitik, zum Beispiel durch die Reduktion von Mindestvertragslaufzeiten, wichtig.

Mit der Zunahme von OTT-Diensten rücken noch weitere, nicht unmittelbar finanzielle Aspekte der Kundenbewertung in den Fokus. Kunden, die – zunächst unabhängig von ihrem CLV – einen hohen Grad und eine hohe Qualität an Interaktion mit dem Anbieter und seinen Angeboten aufweisen, werden höher bewertet als jene, die gar nicht in Erscheinung treten. Man kann diesen Kun- denwert als sozialen Kundenwert interpretieren. Er wird typischerweise mittels Scoring-Verfahren gemessen, die entweder einzelne oder eine Kombination der vier folgenden Interaktionsarten berücksichtigen:

Detecon International GmbH 223 Differenzierte Marktbearbeitung

1. Aktive direkte Kundenempfehlungen: Kunden empfehlen oder werben Neu- kunden für den Anbieter direkt. Weit verbreitet ist hier das Verfahren des Net Promoter Scoring,

2. Aktive Nutzung von Network-Sharing-Angeboten, zum Beispiel Nutzung des in Kooperation von der Deutschen Telekom und dem spanischen Start-up Fon in 2013 entwickelten „WLAN TO GO“-Angebotes, bei dem Kunden weltweit ihre WLAN-Anschlüsse mit anderen Kunden teilen,

3. Aktive direkte Rückmeldungen, zum Beispiel Beteiligung an verschiedenen Befragungen, positive/negative Kontakte mit Customer Care,

4. Aktive Online-Beeinflussungen, das heißt die Beeinflussung der Wahrneh- mung des Anbieters durch die Frequenz und Qualität von Postings von Kun- den und Nicht-Kunden in Sozialen Netzwerken. Auf „Social Media Analytics“ spezialisierte Anbieter wie Klout, Kred, PeerinIndex, Tweetlevel bewerten solche Aktivitäten individueller Online-Nutzer unter anderem anhand der Zahl ihrer Follower und Fans, Zahl und Qualität ihrer Postings, Views und Reaktionen wie Likes und Comments anderer auf ihre Postings.

Abbildung 2: Empfehlungen zur Priorisierung von Zielen in Abhängigkeit von der Markt- und Unternehmenssituation

Customer Advocacy Score Mindless High-carat Money Blowers followers C A

D B

Worthless Demanding Grasshoppers Supporters

Customer Advocacy Score

Quelle: Detecon

224 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

Wertbasiertes MPM von Telekommunikationsunternehmen sollte die CLV- basierte Kundensegmentierung um die Segmentierung anhand eines „Advocacy Score“ ergänzen.

Kunden mit einem hohen CLV und gleichzeitig einem hohen Advocacy Score (A: High-carat followers), sind demnach die größten Treiber für Customer Equi- ty. Kunden mit hohem Advocacy Score, aber gleichzeitig geringem CLV (B: Demanding supporters) bieten Potenzial und konkrete Ansatzpunkte für Cross und Upselling. Sie sollten insbesondere für Angebote mit „Network Sharing“- Eigenschaften – siehe WLAN to Go von der Deutschen Telekom – oder für OTT-Dienste in Frage kommen. Eine stärkere Kundenbindung erreicht man bei diesen, indem man über Kooperationen mit OTT-Rewards-Programmen wie beenitoo oder kii entsprechende Anreize setzt. Zum Beispiel bietet MasterCard Gutscheine für „Twitter“-Aktivitäten an.

Telekommunikationsunternehmen, die weiteres Wachstum durch neue ­Geschäftsmodelle mit Mobile Apps, Mobile Payment und damit verbundenem Digital Advertising anstreben, werden mit Customer Insights gerade von Kunden mit hohem Advocacy Score eine hohe Monetisierung ihrer Channels erzielen.

Die Integration: Kundenwertorientierter Ausbau der Netzinfrastruktur

Sicherlich führen Marketing-Performance-Programme, die auf den CLV und/ oder einen hohen Advocacy Score ausgerichtet sind, zu einer ­wertoptimalen ­Steuerung der Marketingausgaben für Produkt- und Serviceentwicklung, ­Customer Care, Vertriebssysteme, Kampagnen und Kommunikation. Aller- dings sollten wertorientiert gesteuerte Telekommunikationsunternehmen aus zwei w­ esentlichen Gründen noch viel stärker als früher eine enge Abstimmung ­zwischen Marketing, IT und Netzen herbeiführen.

Erstens geht der weitaus größte Anteil der Investitionen in Netzlizenzen und Infrastruktur zur Verbesserung der Netzabdeckung und Erhöhung der Netzkapa- zitäten. CEOs und CFOs, die ihr Unternehmen mittels ROCE steuern, sollten daher gerade diese Investitionen sorgfältig planen. Aktuell gilt dies insbesondere für laufende LTE Rollouts, das Mobile Backhauling und den FTTx-Ausbau.

Zweitens entwickeln das Design und das Ausmaß der Einführung neuer Dienste, Tarife, Endgeräte und Kampagnen zuvor unerkannte Kräfte, die die Kapazitäts- auslastung von IT und Netzwerksystemen und damit die Qualität der Services insbesondere von Datendiensten gravierend beeinflussen. In Extremfällen hat der Launch des iPhones beispielsweise vor einigen Jahren sogar zu regionalen

Detecon International GmbH 225 Differenzierte Marktbearbeitung

Netzausfällen geführt, Imageschäden wirkten dabei wertmindernd. Häufig lässt sich auch beobachten, dass Netze in anderen Regionen vollkommen unterausge- lastet sind und dort erst gar keinen Mehrwert generieren.

Eine optimale wertbasierte Steuerung des Netzausbaus beginnt mit der oben emp- fohlenen Kundenwertsegmentierung, identifiziert die Hauptaufenthaltsorte der verschiedenen Segmente sowie die unterschiedlichen regionalen Anforderungen an die Netzqualität, beispielsweise in Form von durchschnittlichem Datendurch- satz in Mbps in der Busy Hour aufgrund der überwiegend genutzten Service­ arten wie Videostreaming in HD, Social Media, Instant Messaging, ­Navigation. Die regional differenzierten Anforderungen an die Netzqualität zusammen mit den damit korrelierenden Nutzungsprognosen, bereitgestellt durch Marketing und abgestimmt mit der Netzausbauplanung, sind entscheidend für die regionale wertorientierte Optimierung des Netzausbaus.2 Die Analyse der aktuellen regio- nalen Netzleistungsdaten hilft, Frühindikatoren und deren Schwellwerte für den qualitätsorientierten regional differenzierten Netzausbau zu identifizieren.

Der Wegbereiter: Big Data

Eine zentrale Herausforderung in der Transformation zum erweiterten wert­ orientierten MPM liegt in der Entwicklung dafür notwendiger Analyse-, Pro- gnose und Planungsverfahren. Die unter Big Data subsummierten neuen Tech- nologien mit immer leistungsfähigeren Prozessoren und Speicherkapazitäten sowie neuen intelligenten Algorithmen zur Auswertung von strukturierten und unstrukturierten Daten eröffnen hier neue Möglichkeiten. Beispielsweise kön- nen immer mehr Daten zur Erfolgswirksamkeit verschiedener Kampagnen im Hinblick auf CLV und Advocacy Score über längere Zeiträume gespeichert und ausgewertet werden. Dies erhöht die Zuverlässigkeit der Prognosen und folglich die Wirksamkeit und ROMI zukünftiger Kampagnen.

Intelligente Algorithmen zur Mustererkennung und Frühwarnung erlauben ­darüber hinaus eine zeitnahe Steuerung. Im Hinblick auf die soziale Kundenbe- wertung lassen sich zum Beispiel relativ schnell negative Posts von Kunden mit hohen Advocacy Scores identifizieren und durch adäquates zeitnahes Reagieren größere imageschädigende „Lawinen“ vermeiden.

Weiterhin eröffnen die neuen Trends rund um Big-Data-Analysen von geogra- phisch referenzierten Daten. Antworten auf Fragen wie „Welche Dienste werden

2 Vgl. Fritzsche/Schweigel/Rhong, Ein effektiver Lösungsansatz für die integrierte Planung der Zukunft, S. 116 ff. in diesem Band.

226 Detecon International GmbH Transformation zur Wertorientierung im Marketing Performance Management

von welchen Kundenwertsegmenten, wo, mit welchen Qualitätsanforderungen genutzt?“ lassen sich insbesondere für die integrierte wertorientierte Netz­planung verwenden.

Durch umfassende Korrelations- und Regressionsanalysen von Daten aus unter- schiedlichen Quellen – Endgerätenutzungsdaten für verschiedene Dienste, Netz- performancedaten von verschiedenen Netzkomponenten vom Funknetz bis zum Core, den angeschlossenen IT-Systemen von Drittanbietern, Kundenzufrieden- heitsdaten, CLV-Daten und Advocacy-Score-Daten – schließt sich der Kreis zum integrierten, zwischen Marketing und Technik abgestimmten, wertorientierten Ausbau und der Vermarktung der Netzinfrastruktur. Dies schafft die Grund­ lagen für eine Erhöhung des ROMI, relevant für den CCO, und des langfristigen ROCE, einem KPI, den vor allen Dingen CEO und CFO zur wertorientierten Steuerung des Unternehmens einsetzen.

Die Transformation meistern

Viele Telekommunikationsunternehmen sollten zeitnah einen Wechsel zum wertorientierten MPM in Betracht ziehen. Ihre Märkte zeichnen sich aus durch stagnierendes Kunden- und Umsatzwachstum, meist einhergehend mit unter Druck stehenden EBITDA-Margen. Weiterhin konnten wir zeigen, dass nur eine fokussierte Ausgestaltung und Orchestrierung von KPI-Systemen, Marke- ting Analytics, Marketingprogrammen und der zur Grunde liegenden Organi- sation zum Erfolg führt. Der ROMI als Ausgangspunkt, die Erweiterung der CLV-basierten um eine C­ ustomer-Advocacy-Score-Segmentierung sowie die In- tegration des Ansatzes mit der Ausbauplanung für Netzinfrastrukturen bilden die Hauptmerkmale des erweiterten wertorientierten MPM. Die im Zusammen- hang mit Big Data ­diskutierten neuen technischen Möglichkeiten sind hierzu konsequent auszunutzen.

Viele Anbieter werden bei der Umstellung auf den neuen Ansatz auf Herausfor- derungen stoßen, die nur durch ein professionelles Transformationsmanagement gelöst werden können, das alle Stakeholder des Unternehmens involviert, eine klare wertorientierte Strategie und ein damit zusammenhängendes KPI-System aufbaut, organisatorische Voraussetzungen – Struktur und Prozesse – für eine stärkere Koordination innerhalb von Marketing sowie auch zwischen Marketing und Technik schafft. Ebenso steht die IT vor der Herausforderung, die nötigen Systeme, Daten und Analytics bereitzustellen. Last but not least bedarf es eines Change Managements, begleitet von Trainings und Coachings aller beteiligten Mitarbeiter.

Detecon International GmbH 227 „Nachhaltig erfolgreiche Positionierung im umkämpften Telekommunikationsdienst“

Colt Technology Services ist ein etablierter und europaweit agierender alternativer Anbieter von Geschäftskommunikationslösungen der ersten Stunde nach der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte. Er steht genauso wie die großen Incumbents vor der Frage, wie sich Telekommunikationsunternehmen den Herausforderungen des Zusammenwachsens von klassischer Telekommunikation und IT, den Trends der Globalisierung und den sich damit einhergehenden veränderten Kundenanforderungen stellen können. Antworten hierauf sowie auf die Frage nach einer nachhaltig erfolgreichen Positionierung gibt Bernd Krause, Prokurist und Director Sales, Sales Branded, Colt Technology Services. Interview

228 Detecon International GmbH „Nachhaltig erfolgreiche Positionierung im umkämpften Telekommunikationsdienst“

Frage: Was sind aus Sicht von Colt die Kernherausforderungen, die es zukünftig im Markt zu bewältigen gilt? Und welche Maßnahmen und Ideen gibt es dazu?

Krause: Unsere Marktpositionierung im B2B-Umfeld beinhaltet, für unsere Kunden die „Information Delivery Platform for European Business“ zu sein. Das bedeutet, dass Colt mit seinen ICT-Diensten im Zentrum der Informationsge- winnung, -verarbeitung und -distribution seiner Kunden stehen möchte und bei der Lösung aller unternehmerischen Herausforderungen der europäischen Un- ternehmen in diesem Technologieumfeld eine wegweisende Rolle spielen wird. Dafür benötigen wir eine starke und immer weiter ausgebaute technische ICT- Infrastruktur, in die wir kontinuierlich investieren.

Wir verfügen aktuell über eines der europaweit führenden Netze sowie mehr als 20 Rechenzentren. Das Colt-Glasfasernetzwerk erstreckt sich über 43.000 km, verbindet 22 Länder und umfasst Stadtnetze in 39 europäischen Metropo- len mit direkten Glasfaseranbindungen in 18.000 Gebäuden sowie in die euro­ päischen Data Center. Solch eine Basis verschafft unseren Mitarbeitern in ganz Europa die einzigartige Chance, unseren Kunden qualitativ hochwertige, zuver- lässige und skalierbare Produkte wie auch Lösungen bereitzustellen, die einen einheitlichen europäischen Standard aufweisen. Das bedeutet, dass die erbrach- ten Services überall auf unserem Kontinent eine identische Dienstebeschreibung und Qualität haben. Dieses leistungsstarke Diensteportfolio, das eine Kombi- nation aus Netzwerk- und IT-Infrastruktur mit der Expertise in den Bereichen IT Managed Services, Netzwerk- und Kommunikationslösungen darstellt, muss selbstverständlich in der Breite und Tiefe perfekt von unseren Mitarbeitern an den Markt transportiert werden. Die Kernherausforderungen der nächsten Jahre lauten: Erstens der weitere Ausbau der Netzinfrastruktur, um die neuen netzzen- trischen, ICT-konvergenten Dienste (Cloud) für die Kunden auf einer breitban- digen Infrastruktur ausrollen zu können. Zweitens zählt hierzu der weitere Aus- bau der Cloud-Plattformen und IT-Services aus den Colt-Rechenzentren, damit die Industrialisierung der IT über Cloud-Services für unsere Kunden zusätzliche Chancen zur Effizienzsteigerung eröffnet. Die dritte Herausforderung besteht in der Transformation unserer Organisation von einer infrastrukturzentrischen zu einer ICT-lösungsorientierten Organisation, die den Kundennutzen in das Zentrum ihrer Arbeit stellt.

Frage: Wie stellt Colt als international agierender Carrier die Konnektivität über alle Länder für die Kunden sicher? Werden eigene Netze gebaut, wird auf Koope- rationen oder Vorleistungen zurückgegriffen?

Detecon International GmbH 229 Interview

Krause: Grundsätzlich verstehen wir uns als europäischer Technologieanbieter. Dennoch folgen wir unseren Kunden mit unseren Services und auch mit Netz- diensten weltweit. Dies können wir nur realisieren, indem wir mit mehreren Hundert Kooperationspartnern Netzzusammenschaltungen verhandelt haben, um unseren Kunden marktpreisgerechte Produkte auch in Ländern ohne Colt- Netz-Footprint zur Verfügung stellen zu können. Über MPLS und Ethernet- Netzzusammenschaltungen mit unseren Partnern sind wir in der Lage, unseren Kunden für deren Firmennetz neue Lokationen in den entferntesten Regionen in Amerika, Asien oder Afrika anzubieten, damit diese die von Europa gewohnte Dienstegüte und Sicherheit auch dort nutzen können.

Zusätzlich sind wir dank der Kooperation mit unserem Schwesterunterneh- men KVH in Japan, „Asia‘s Information Delivery Platform“, im asiatischen Markt ebenfalls sehr gut aufgestellt, da wir auch auf deren Glasfaserinfrastruk- tur und Dienste zugreifen können und unsere Kunden marktpreisgerecht mit ­Konnektivität für das Corporate Network versorgen können.

Frage: Colt betreibt ein eigenes Festnetz und bietet mobilfunkgestützte Dienste auf Basis der Infrastruktur Dritter, also durch Kooperationen, an. Erweist sich das für Colt angesichts des Zusammenwachsens der Fest- und Mobilfunknetze, der Konvergenz der Dienste und der Notwendigkeit, die Mobilitätskomponente in der Konnektivität von Menschen, Geräten und Dingen abbilden zu müssen, nicht als nachteilig? Ist Colt damit gegebenenfalls auf bestimmte Segmente oder Dienste oder eine Nische festgelegt?

Krause: Colt hat in der Vergangenheit und wird auch in der Zukunft dort ­mobilfunkgestützte Lösungen bereitstellen, wo diese von essenzieller Bedeutung für unsere Kunden sind, zum Beispiel bei der mobilen Einwahl von Außen- dienstmitarbeitern unserer Kunden in den Hub von deren MPLS VPN. Hier ist es unabdingbar, die FMC-Integration anzubieten, indem man auf den genutzten mobilen Geräten die entsprechenden Apps zugänglich macht. Dass Colt jedoch die mobile Konnektivität herstellen muss, ist nicht zwingend nötig, da wir als intensiv mit Partnern arbeitendes Unternehmen die Leistungen der Partner nut- zen, welche dann die entsprechende mobile Bandbreite zur Verfügung stellen.

Das heißt nicht, dass wir diesen Weg nie gehen werden. Er muss aber zu einer absolut rentablen Lösung führen; um jeden Preis werden wir das sicherlich nicht machen. Zu viele Unternehmen ohne Mobilfunknetz haben dort schon sehr viel Geld verloren. Unsere Kunden honorieren unseren Weg der ICT-Konvergenz, den wir seit Jahren konsequent verfolgen und der unsere Innovationsfähigkeit belegt.

230 Detecon International GmbH „Nachhaltig erfolgreiche Positionierung im umkämpften Telekommunikationsdienst“

Unabhängig davon, ob sich ein Technologieunternehmen für FMC- oder ICT- Konvergenz entscheidet, spielt es eine wichtige Rolle, dass sich auch infrastruk- turdominierte Firmen wie Telekommunikationsunternehmen für Partnerschaf- ten öffnen und nicht der Überzeugung verfallen, alles selbst entwickeln, betreiben und vermarkten zu können. Dafür sind die Anforderungen in unserem Markt zu vielfältig. Das bedeutet, dass man sich fehlende Leistungsbausteine immer über nationale oder internationale Partner in die eigene Wertschöpfung hineinholen muss, um am Markt erfolgreich zu sein.

Colt beispielsweise erzielt fast zwei Drittel des Gesamtumsatzes der Firma über ein irgendwie geartetes Kooperationsmodell und nicht über den Direktvertrieb. Einen bedeutsamen Anteil daran haben nationale und regionale Vertriebspart- ner, die dem mittelständischen Kunden vor Ort die optimale Betreuung bei der ­individuellen Ausstattung mit Kommunikationsdiensten bieten.

Der Kanal der Vertriebspartner ist bei Colt deshalb besonders ausgeprägt, da seit über 15 Jahren ein attraktives Incentive-Modell für diese Art des Vertriebs­ outsourcings am Markt besteht und über die Jahre mit einem aktiven Partner- management ein stabiles und effektives Beziehungsnetz aufgebaut wurde. Somit sind einige­ Hundert Vertriebsagenturen mit ihren Mitarbeitern europaweit er- folgreich für den Vertrieb der Colt-Produkte und -Lösungen aktiv.

Frage: Sieht sich Colt als Provider, der vornehmlich Geschäftskunden bedient, ebenso dem zunehmenden Wettbewerb mit OTT-Playern ausgesetzt wie Carrier, die im Privatkundensegment tätig sind? Welche Rolle spielen hierbei die klas- sischen großen IT-Serviceprovider und IT-Lösungsanbieter wie SAP, HP, Oracle, Microsoft, T-Systems oder auch kleinere, auf bestimmte Anwendungen spezia- lisierte IT-Diensteanbieter, die ja auch Cloud-basierte Services als neues Wachs- tumsfeld für sich entdeckt haben?

Krause: Der Einfluss von OTT-Playern, die man aus dem Privatkundensegment kennt, beschränkt sich auf unsere Geschäftsstrategie. Nur im Kundensegment der VSE und kleinen SME, in dem die Anforderungen an einen ICT-Dienst noch nicht derart anspruchsvoll sind, können OTTs ihre Stärke noch ausspielen.

Die Anforderungen an Datendurchsatz, Latenzzeiten und Sicherheiten der Netz- und IT-Infrastruktur in unserem Sweet Spot, dem mittleren bis großen Geschäftskundensegment, sind dermaßen hoch, dass diese nur ein ausgewiesener B2B-Provider wie wir erfüllen kann. Deshalb haben wir zum Beispiel alle ICT- Sicherheitsexperten europaweit in einem Sicherheitszentrum in London zusam- mengezogen, um die Anforderungen an den Schutz gegen Attacken von außen

Detecon International GmbH 231 Interview

und innen an jedem einzelnen Tag – 24 x 7 x 365 – mit den notwendigen Kom- petenzen erfüllen zu können. Außerdem geht es darum, dass die Daten unserer Kunden in europäischem Rechtsraum verbleiben, was wir immer zusichern kön- nen. Wenn gewünscht, garantieren wir sogar, dass Kundendaten in Deutschland in unseren hiesigen Rechenzentren in Hamburg, und verbleiben.

Allerdings verzeichnet die Vielfalt der Marktbegleiter durch den Trend der Cloud-Services einen deutlichen Anstieg, da zu den Telekommunikationsunter- nehmen noch diverse IT-Cloud-Unternehmen hinzukommen. Wir nehmen das sehr ernst. Dennoch ist das Anforderungsprofil der Kunden so unterschiedlich, dass die meisten Unternehmen nur einen Teil der geforderten Leistung anbie- ten können. Und dennoch erwartet der Kunde einen „One Stop Shop“. Diesen Widerspruch können jene Anbieter am besten überwinden, welche die eigenen Assets mit den Assets anderer zu kombinieren wissen. Colt hat in dem entspre- chenden Umfeld mit Kooperationen beste Erfahrungen gemacht. Wir sind auf internationalem Parkett hiermit erfolgreich, sodass wir uns intensiv um die ­Optimierung des eigenen Ansatzes bemühen, anstelle zu sehr auf unsere Markt- begleiter zu schauen.

Frage: Das heißt, Colt setzt beim Thema Innovation in den viel zitierten Feldern wie Cloud, XaaS, M2M und Konvergenz auf Kooperationen? Wie werden diese innovativen Angebote dann in Richtung Kunde vermarktet und vertrieben?

Krause: Da wir uns in diesem Umfeld primär als Technologieanbieter aus ­unseren Rechenzentren heraus sehen, positionieren wir uns im Wiederverkäu- fermarkt, also gegenüber Carriern und Resellern, als Enabler, indem wir ihnen unsere Cloud-Plattformen zur Verfügung stellen und Endkunden keine eigenen Retailprodukte anbieten werden. Somit liegt der Schwerpunkt unseres Angebots auf dem Sektor Infrastructure as a Service (IaaS).

Unser bisheriges Software-as-a-Service(SaaS)-Offering erstreckt sich auf den Kommunikations- und Kollaborationsbereich von Unternehmen, beinhaltet Microsoft Exchange, SharePoint sowie Lync und wird ebenso als Resellervariante vermarktet, sodass unsere europäischen Partner einen eigenen ICT-Service an ihre Kunden verkaufen können.

Hierbei bedient sich Colt der klassischen Distributionskanäle, die im ICT-Markt vorhanden sind, und setzt außerdem Zeichen für einen neuen Ansatz im B2B- Umfeld, eine Art Franchisesystem. Dazu zählen internationale und nationale Carrier, klassische IT-Distributoren wie Avnet und Arrow europaweit, neue Cloud-Distributoren, nationale und lokale Reseller und IT-Systemhäuser sowie nationale Franchiseunternehmen.

232 Detecon International GmbH „Nachhaltig erfolgreiche Positionierung im umkämpften Telekommunikationsdienst“

Dem letztgenannten Kanal kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da ­Franchiseunternehmen für uns als Branded Reseller Colt-gebrandete Produkte im Reselling anbieten und somit die Marke Colt als exklusiven Resellerpartner bis zum Endkunden transportieren. Dieser von uns neu geschaffene Franchise­kanal ist einzigartig im B2B-ICT-Markt und wird unsere Strategie stark befeuern, weil wir über das Reseller-Cloud-Portal Ceano, über das der Franchisenehmer IT- Services aus der Cloud vermarkten und betreiben kann, ebenso Standardkom- munikationsdienste wie Voice, IP Access und Ethernetservices verkaufen und anschließend als Reseller betreiben.

Frage: Was sind für Colt die wesentlichen Kernelemente einer Differenzierung vom Wettbewerb?

Krause: Colt versteht sich als Integrator von Voice-, Data- und Managed IT- (Cloud-)Services. Somit sind wir auch im IT-Bereich in einem stetig wachsen- den Segment tätig, da hier die Geschwindigkeit der Marktdurchdringung im europäischen Geschäftskundensegment zunimmt. Dadurch, dass wir diese inte- grierte Leistung in Europa auf eigener Infrastruktur mit eigenen Kompetenzen erbringen können, haben wir eine optimale Position, um den Share of Wallet bei unseren Kunden zu erhöhen und neue Kunden hinzuzugewinnen.

Zusätzlich ist entscheidend, dass durch die stetige Durchdringung des Markts mit Cloud-Services der Bandbreitenhunger stark zunehmen wird und Colt aufgrund des weiteren Glasfaserausbaus im Backbone-Bereich, aber auch im ­Citynetz und Last-Mile-Bereich auf die richtige Technologie zur hochwertigen Anbindung des Geschäftskundensegments setzt, um diesen Markt für Colt zu begeistern. Durch all diese Assets und Kompetenzen, die Colt Technology Services ausmachen, kommen wir dem Ziel, die „Information Delivery Platform for European Busi- ness“ zu sein, sehr nahe.

Colt ist Europas führende Information Delivery Platform und stellt für seine Kunden die An- lieferung, Verarbeitung, Speicherung und Verteilung geschäftskritischer Daten sicher. Colt ist ein führender Anbieter integrierter Computing- und Netzwerk-Services für große und mittelständische Unternehmen sowie für Wholesale-Kunden weltweit. Das Unternehmen ist in 22 europäischen Ländern aktiv und betreibt ein 46.000 km umfassendes europäisches und transatlantisches Netzwerk. Colt verfügt über Metropolitan Area Networks in 41 be- deutenden europäischen Städten mit direkten Glasfaserverbindungen zu 19.800 Gebäuden und 20 Carrier-neutralen Colt Rechenzentren. Zusätzlich zum Direktvertrieb verfügt Colt über vier indirekte Vermarktungskanäle: Agent, Franchise, Distribution und Großhandel, einschließlich Carrier, Service Provider, VAR und Voice Reseller.

Detecon International GmbH 233 Differenzierte Marktbearbeitung

Marketing und Sales: Total Turnaround Clemens Aumann

> Die Lösungsstrategien für Marketing und Vertrieb der Zukunft zielen auf Kundennähe und organisatorische Effizienz.

> Im Vertrieb genügt ein auf M-Commerce- Plattformen basierendes Cross-Channel- Management den zukünftigen Convenience- Anforderungen der Kunden und macht eine übergreifende Vermarktungsoptimierung erst möglich.

> Qualitätsdifferenzierung und Partnering sichern zukünftige Erträge. Vereinfachung und Modularisierung der Produkte sind strukturelle Voraussetzungen hierfür.

> Durch Mehrmarkenpolitik wird die Markt- durchdringung maximiert. Der Aufbau einer Profit-Center-Organisation sichert Effektivität und Effizienz durch Wettbewerb.

234 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

Lösungsstrategien für Marketing und Vertrieb: Kundennähe und organisatorische Effizienz

Carrier spüren derzeit im Hinblick auf die Nachfrageseite zwei Druckpunkte: den Substitutionsdruck durch OTT-Anbieter bei Sprachtelefonie, Messaging und sonstigen Anwendungen und die steigende Nachfrage nach Datenmengen und -bandbreite bei gleichzeitig sinkenden Stückerlösen. Beides übt einen un- mittelbaren Ertragsdruck aus.

Wollen die Vertriebs- und Marketingabteilungen ihrer Wachstums- und Renta- bilitätsverantwortung dauerhaft genügen, lassen sich zwei Imperative ableiten: die Verteidigung bestehender und Erschließung neuer Ertragsmöglichkeiten und die Verpflichtung zur Kostensenkung.

Nach außen gerichtet zielt die Lösungsstrategie auf eine deutlich gesteigerte ­Kundennähe. Dies soll Angebote gewährleisten, welche zum einen segmentspe- zifische Kundenbedürfnisse besser als die Konkurrenzangebote stillen und zum anderen die unterschiedlichen Preisbereitschaften der Kunden nutzen. Zudem – durchaus wörtlich gemeint – bedeutet Kundennähe die persönliche Beratung von Kunden durch die eigenen Mitarbeiter aus Vertrieb und Service. Solch eine Art der Beratung hat in Service und Verkauf für den Großteil der Kunden noch immer eine gewichtige Bedeutung. Sie bietet sich Carriern daher als wirksames Mittel zur positiven Abgrenzung besonders an, denn die typischen OTT-Anbie- ter werden auch mittelfristig nicht über diesen Kontaktweg verfügen.

Die nach innen gerichteten Veränderungen dienen vor allem der Effizienz­ steigerung. Die Harmonisierung der Vertriebskanäle ermöglicht Kostensen- kungen sowohl durch Kundenlenkung in kostengünstigere Kanäle als auch durch Einsparungen in den administrativen Bereichen. Eine organisatorische Verankerung der Marktnähe kann erfolgen, indem (Sub-)Marken als Profitcen- ter abgebildet werden. Diese Profitabilitätsausrichtung dient als zentrales Mit- tel zur Steigerung der Marketingeffizienz ebenso wie zur Förderung effektiver ­Marketingmaßnahmen.

Übergreifend über alle funktionalen und emotionalen Nachfragetrends hinweg ist „Convenience“ als Hygienefaktor zu betrachten. Convenience erfordert ein durchgängiges und umfassendes Konzept, das über alle Prozesse einer „Infor- mation-Kauf-Nutzung“ hinweg durch minimale Zeitaufwände für den Kunden gekennzeichnet ist. Die dafür erforderliche Kenntnis der Nachfragebedarfe liefert ein weiteres Argument für die Forderung nach Kundennähe.

Detecon International GmbH 235 Differenzierte Marktbearbeitung

Beide Lösungsstrategien gelten, in verschiedener Ausprägung, über die drei ­Vermarktungsbausteine Vertrieb, Produkte und Marke hinweg.

Zentrale Veränderungen für die Vermarktungsbausteine Vertrieb, Produkte und Marke:

Vertrieb: Ein auf M-Commerce-Plattformen basierendes Cross-Channel-­ Management genügt zukünftigen Convenience-Anforderungen der Kunden und macht eine übergreifende Vermarktungsoptimierung erst möglich.

Produkte: Qualitätsdifferenzierung und Partnering sichern zukünftige Erträge. Vereinfachung und Modularisierung sind strukturelle Voraussetzungen hierfür.

Marke: Durch Mehrmarkenpolitik wird die Marktdurchdringung maximiert. Der Aufbau einer Profit-Center-Organisation sichert Effektivität und Effizienz durch Wettbewerb.

Vertrieb: Cross-Channel-Management

Für viele Konsumenten zählt „Cross-Channel“ mittlerweile zum Standard. Die Kombination von off- und online während eines Kaufprozesses ist Alltag – und dank Smartphones auf einem stetigen Wachstumspfad. Wenige Klicks auf dem Smartphone genügen, um Informationen über Preis, Produkt, Leistungen und Service des Anbieters zu erhalten und Einkäufe zu tätigen. Sind zudem Zeitpunkt und Ort der Warenübergabe für den Kunden flexibel wählbar, können Kunden sich optimieren – je nachdem, ob sie kurze Wege oder kurze Zeiten bevorzu- gen. Carrier, die ihren Kunden Wahlfreiheit im Sinne eines für sie ­optimierten Kanalwechsels ermöglichen, können sich durch den so geschaffenen Kunden- mehrwert und den innovativen Charakter differenzieren und hieraus Premium- preisansprüche begründen.

Die Realität im Vertrieb hinkt diesem gelebten Kundenverhalten hinterher. Kanalspe- zifische Anreiz- und Informationssysteme erschweren die Verteilung der Stufen eines einzelnen konkreten Kaufprozesses über verschiedene Kanäle. Brüche beim Wechsel des Kanals sind daher noch die Regel – und Resultat der heutigen, nur auf den jeweiligen Kanal ausgerichteten Siloorganisation. Diese Brüche beim Ka- nalwechsel verursachen Kosten und Risiken. Kosten entstehen durch mehrfach durchgeführte Bedarfsermittlung und Beratung. Auch besteht das Risiko, dass der Kunde sich im noch offenen Kaufprozess an einen anderen Anbieter wendet. Die heutigen Vertriebsstrukturen sind vielfach Relikte aus der Kanallandschaft der 90er-Jahre, ergänzt um den „neuen“ Kanal E-Commerce. Historisch werden

236 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

direkte und indirekte Vertriebe bewusst im Konflikt geführt und es wird eine mehrfache, sich überschneidende Kundenansprache in Kauf genommen.

Kanalkoordination als erster Schritt – Marken als Basis zur Differenzierung.Heute führen die parallelen Vermarktungsaktionen der Kanäle immer wieder zu sich überschneidenden Angebotskonstellationen, die für den Kunden nicht plausibel sind. Gilt beispielsweise ein Angebot nur in einem bestimmten Kanal, dann gilt in einem anderen Kanal ein anderer Preis. Diese Inkonsistenzen sind erklärungs- bedürftig, schwächen die Marke und machen letztlich jeden Preis verhandelbar. Zwar lässt sich durch die Absprache von Aktionen zwischen den Kanälen das Auftreten besonders grober Angebotsdifferenzen reduzieren. Grundsätzlich aber setzt diese Maßnahme nur auf die Vermeidung von Kollateralschäden statt auf die Schaffung von Mehrwert und eignet sich daher lediglich für eine Übergangs- phase. Letztlich macht die Transparenz, die für die Kunden durch Smartphone und Internet geschaffen wird, aus extensiver Preis- und Angebotsdifferenzierung ein Problem. Daher ist eine kanalübergreifend gleichlautende Preisdarstellung zu gewährleisten. Im Gegenzug kann sich die Differenzierung zukünftig an Seg- menten ausrichten. Hierfür kommen (Sub-)Marken als Lösung infrage: Zwi- schen verschiedenen Markierungen kann eine Preis- und Leistungsdifferenzie- rung in einer klaren, für Kunden und die eigene Organisation nachvollziehbaren Form erfolgen, beispielsweise Carrier-Basic-Marke, Carrier-Premium-Marke, Carrier-Business-Marke.

Die Ausrichtung auf den M-Commerce verändert den gesamten Marketingmix. Ein weiterer Treiber für die Überarbeitung des Produktportfolios ist die weiterhin steigende Nutzung von Smartphones im Akquisitionsprozess der Kunden. Ge- ringe Suchkosten für den Anwender bilden ein zentrales Erfolgskriterium für die Gestaltung durch den Anbieter. Die entsprechende Anpassung an die beson- deren Bedingungen der mobilen Nutzung1 erweist sich als folgenreich: sowohl in der Visualisierung als letztlich auch in der Struktur des Leistungsangebots selbst – beispielsweise durch ein „einfach“ strukturiertes und dargestelltes Tarif-, Service- und Endgeräteportfolio. Die zukünftig dominante mobile Zugriffsform wird daher zur Richtschnur für die Darstellung und Strukturierung sämtlicher auf den Massenmarkt abzielenden Leistungsinhalte über alle anderen Kanäle hinweg.

Die (Kosten-)Vorteile erfordern eine radikale Integration. Ziel ist, über alle Kanäle hinweg eine einheitliche Planung, eine integrierte Steuerung, ein durchgängi- ges Angebot sowie übergreifend Monitoring- und Anreizsysteme sicherzustellen. Diese umfassende Integration stärkt nicht nur die Kundennähe. Sie senkt zudem

1 Beispielhaft sei hier auf www.sfr.fr – mobiler Zugriff – verwiesen (Stand: Nov. 2012).

Detecon International GmbH 237 Differenzierte Marktbearbeitung

erheblich die Kosten und kann aus sich selbst gegenfinanziert werden. Um nur einige kostensenkende Effekte zu nennen: Das Leadmanagement wird eindeu- tiger und schneller, Kundenanfragen lassen sich mit weniger Rückfragen und Fehlern beantworten, die kanalindividuellen Kosten für Administration entfallen ebenso wie die Aufwände für Pflege und Administration diverser Steuerungs- und Managementplattformen, die heute noch für jeden Kanal anfallen.

Tangibilität: einzigartige Differenzierung gegenüber OTT-Anbietern durch „unseren Mann vor Ort“. Derzeit wird das Potenzial an Unternehmensmitarbeitern aus den Vertriebs- und Serviceorganisationen der Carrier, die in der geografischen Fläche tätig sind, nicht vollständig ausgeschöpft. Leider erfolgt die Betrachtung dieser Organisationen in der Praxis überwiegend aus einer Kostenperspektive heraus. Unbeachtet bleibt indes, dass die entsprechenden Mitarbeiter mit ihrer unmittel- baren sozialen Interaktionsmöglichkeit und persönlichen Beratungskompetenz ein Differenzierungsmerkmal darstellen. OTTs mögen begeisterndere Videoclips auf YouTube einstellen – die Möglichkeit zur authentischen persönlichen Begeg- nung können sie kurzfristig kaum schaffen. Die Bedeutung einer persönlichen Interaktion spielt jedoch gerade auch künftig eine elementare Rolle in Verkauf und Service.

„Das Produkt bin ich!“ Das erforderliche Umdenken betrifft gleichwohl nicht nur die Sichtweise des Managements, sondern auch das Rollenbild und Selbstver- ständnis aller Beschäftigten.2 Denn obwohl der Anteil des Dienstleistungs- und Informationssektors immer weiter zunimmt, präsentiert sich das Verständnis der Belegschaft, sich selbst als Teil der angebotenen Leistung zu betrachten, aktuell noch äußerst heterogen und insgesamt mit eher geringer Ausprägung. Hier eine Kehrtwende zu schaffen, nach der sich die große Mehrheit der Mitarbeiter mit Leidenschaft einbringt, ist eine der zentralen Herausforderungen des Manage- ments. Signifikante Verbesserungen in diesem Bereich tragen ferner dazu bei, die eingangs bemängelte Schwäche der Carrier in Bezug auf Kundennähe zu reduzieren. Hierfür eignen sich Maßnahmen wie etwa transparent angewandte Ideen- und Vorschlagsprogramme und ein offener Umgang mit Missständen.

Partner sind elementarer Teil des Cross-Channel-Konzepts. In ähnlicher Weise ist auch das Verhältnis der Unternehmen zu ihren (Handels-)Partnern zu überar- beiten. Im Sinne einer räumlich weitreichenden und in der Summe alle Seg- mente adressierenden, aber möglichst effizienten Vertriebs- und Servicebereit- stellung bleiben externe Partner von elementarer Bedeutung. Die geforderte Nahtlosigkeit des Kanal-Hoppings durch Interessenten und Kunden erfordert

2 Vgl. Hauk, Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch Customer Experience, S. 254 ff.; Gouthier, Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element der Customer Experience, S. 268 ff. in diesem Band.

238 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

eine beträchtliche Informationstransparenz auch gegenüber diesen Partnern – und umgekehrt. Dies bindet letztlich beide Partner enger aneinander: Die IT- Verbundenheit steigt, ebenso erhöhen sich die Aufgaben und Verpflichtungen des Partners im Hinblick auf den Umgang mit Daten sowie die loyale Präsenta- tion und Vermarktung der Kernleistungen der Marke. Zentraler Hygienefaktor für eine funktionierende Beziehung ist der Aufbau eines vertrauensvollen, da transparenten, Anreizsystems. Die Zukunftschancen von Kooperationen, welche ausschließlich kurzfristige Absatzziele verfolgen, sind in einem derartigen Szena- rio stark eingeschränkt: Diese befristeten Aktionspartnerschaften kommen ins- besondere als Schlüssel für die Erstansprache spezifischer Mikrosegmente infrage.

Mobile Individualisierung und Self-Service nutzen. War zwischen Produktmana- gern ein prominenter Platz in der Beilage zur monatlich versendeten Rechnung zur Jahrtausendwende heiß umkämpft, so nimmt diesen Platz heute die jeweilige Anbieterhomepage ein. Eine intelligente, auf erkannten oder hinterlegten Daten basierende inhaltliche Adaptation der Homepage an den besuchenden Kunden umschreibt allerdings ein weitgehend ungenutztes Potenzial. Ebenso sind die Self-Service-Möglichkeiten für den Kunden derzeit nur in geringem Umfang auf mobile Bedürfnisse zugeschnitten. Dies ist bedauerlich, zumal sich die Kunden durchaus aufgeschlossen für Self-Services, gerade auch auf mobilen Endgeräten, zeigen.3

Der Shop ist tot – es lebe der Shop: neue alte Rollen für klassische Kanäle. Da ­E-/M-Commerce immer größere Teile der einfachen Informations- und Trans- aktionsfunktion übernimmt, entstehen hier neue Freiräume – je nach ­Sichtweise auch Herausforderungen – für die bestehenden Kanäle, insbesondere für das klassische Ladenlokal. Nach wie vor erfreut sich die persönliche Beratung einer regen Nachfrage. Und noch möchten viele Mobilfunkkäufer die Endgeräte vor dem Kauf begutachten. Über diese Touchfunktion für Endgeräte und Zubehör hinaus bietet sich die Erweiterung des After-Sales-Angebots an. Dies trägt sowohl dem demografischen Wandel als auch dem weiteren Ausbau komplexer Ange- bote Rechnung. Im Rahmen der Logistik kann der Shop als Warenlager und -abholpunkt die Logistikkette kundenfreundlich ergänzen. 3-D-Drucker, die für Individuen unerschwinglich sind, könnten digitale Innovatoren in die Shops ­locken. Insgesamt nutzen Carrier die Möglichkeit, hier aktiv mit dem Kunden an Lösungen zu arbeiten, noch nicht genügend: Workshops oder Playgrounds für verschiedenste Interessengruppen können das Social Network im realen Leben ergänzen. Die Erfahrbarkeit von „Mensch zu Mensch“ unterstützt die Abgren- zung von den OTT und forciert den kundenorientierten Marktangang.

3 Vgl. Penkert/Eberwein, CSS – Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung, S. 274 ff.; Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff.in diesem Band.

Detecon International GmbH 239 Differenzierte Marktbearbeitung

Neue Kanäle für komplexe Beratungen. Videochats sind teuer, unter anderem des- halb, da der Agent durch die 1:1-Kommunikation eben nur einen Kunden be- dienen kann. Daher wird diese Form der Interaktion auf ertragsstarke Kunden und Services beschränkt bleiben. Dennoch bietet die Kommunikation aus Bild und Sprache erhebliche Vorteile in der Kommunikation – sei es zur Darstellung von Produkten oder zur Lösung von Problemen bei Installation oder Nutzung. Auch hier sind Smartphones mit ihren Kameras Katalysatoren. Die aktuellen Formen des Callcenters wirken vor dieser Entwicklung zunehmend antiquierter. Dazu gehören insbesondere die Anonymität und Unverbindlichkeit der heutigen Form von Kundenbetreuung – ein Faktor, der allein durch die Erfahrungen mit Social Media wie Facebook einem Großteil der Kunden nicht mehr zeitgemäß erscheint. Das mittlerweile bewährte Rezept vieler Anbieter, die entsprechende Nachfrage durch eine eigene Präsenz in den Social Networks zu bedienen, erfüllt solche Anforderungen in einem ersten Schritt, führt in der Konsequenz aber auch zu einer Überprüfung der aktuellen Umsetzungspraxis der Kontaktcenter- aktivitäten in Form von Anrufen und Chats.

E-/M-Commerce-Plattformen sind prädestinierte Träger für die Abbildung des Cross- Channel-Managements. Die Plattformen für den E-/M-Commerce bringen die besten Voraussetzungen mit, um als Grundlage für die Orchestration des Cross- Channel-Managements zu dienen. Sie können die ganze Akquisitionskette ab- bilden und bieten bereits vielfältige Schnittstellen zu den Vertriebssystemen der klassischen Kanäle. Zudem sind sie spezialisiert auf die beiden zentralen Kom- munikationskanäle Internet und Mobil und bieten die Möglichkeit, auch Part- ner einzubinden.4

Effektive Vermarktung: Erfolge messen, Maßnahmen optimieren.Die Orchestrie- rung durch E-/M-Commerce-Plattformen erzeugt weitere Chancen. Da diese Plattformen auf Echtzeit und Steuerungsfähigkeit ausgelegt sind, gewähren sie signifikant verbesserte Transparenz über die Vermarktungsaktivitäten. Tests und Piloten können darauf schneller, präziser und vor allem umfassender, da kanal- übergreifend, durchgeführt werden. Der Erkenntnisgewinn bezüglich Vertriebs- und Marketingaktivitäten ist der zentrale Nutzen, mit dem die direkten internen Effizienzsteigerungen realisiert werden können. Ob die Erkenntnisse taktischer Natur sind, den Schlüssel für eine optimale Vermarktung von neuen Produkten darstellen, neue Kampagnenformen entstehen lassen oder aber Aufschluss über die Repositionierung ganzer Vertriebsformen geben – der interne Mehrwert der Integration fällt mindestens ebenso hoch aus wie der externe Mehrwert in Form

4 Vgl. Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff. in diesem Band.

240 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

einer deutlich erhöhten Kundenfreundlichkeit. Neben der entsprechenden um- fassenden Erneuerung der IT-Infrastruktur erfordert dies auch die organisato- rische Integration der Kanäle.

Kanalsilos werden eingerissen. Das Zielbild einer segmentorientiert kanalüber- greifenden Kundeninteraktion setzt eine einheitliche Organisation unter einer Führung voraus. Hier ist viel zu tun – und das beginnt bereits damit, dass in der Praxis die Verantwortung für „online“ vielfach (noch) im Marketing liegt. Auch sind nicht alle Kanäle einem Chief Sales Officer berichtspflichtig. Die kon- krete Ausgestaltung eines kanalübergreifend optimalen Vertriebs verlangt letzten Endes die Ein- und Unterordnung einzelner Kanäle in das Gesamtkonstrukt – und mithin deren Integration.

Produkte: Innovationen und Renovationen im Portfolio

Zusätzliche Erträge durch Qualitätsdifferenzierung der Kernprodukte – und durch neue Märkte. Zum einen spielt die Telekommunikation eine Schlüsselrolle in vie- len Marktfeldern, die sich ohne ihr aktives Zutun nicht oder nur sehr langsam entwickeln werden. Als direkte Beispiele seien hier intelligente Verkehrsinfra- strukturen und ein vernetztes Zuhause genannt. Zum anderen liegen selbst in der klassischen Telekommunikationskernleistung noch Ertragspotenziale.

Qualität zu Geld machen. Ertragschancen der Qualitätsdifferenzierung werden in der Telekommunikationsindustrie gerne grundsätzlich verneint: Der Wettbewerb sei rein preislich. Ein Blick auf einen beliebigen Ländermarkt zeigt allerdings schnell, dass das teurere Netz in der Regel auch jenes ist, welches als das bessere wahrgenommen wird. Es überrascht, dass dieses Thema in der Vergangenheit so ausgiebig vernachlässigt wurde, während die Experimente der Pricing-Spezia- listen die Bände der Mobilfunkhistorie füllen. Man kann es auch so formulieren: Die Telekommunikationsindustrie hat sich nie die Mühe einer Qualitätsdiffe- renzierung gemacht; die heutigen, preiszentrierten Zustände beschreiben ledig- lich das Ergebnis dieses Anbieterhandelns. Genau deshalb sehen wir hier einen ­wesentlichen Hebel, auch und gerade in der Telekommunikationskernleistung, in Zukunft neue Erträge zu generieren und bestehende zu verteidigen.

Herausforderung: Dimensionen der „Qualität“. Einer der Gründe für die ver- nachlässigte Qualitätsdifferenzierung beruht auf dem Umstand, dass sie in der praktischen Umsetzung um ein Vielfaches schwieriger ist als der Preis. Denn

Detecon International GmbH 241 Differenzierte Marktbearbeitung

der erscheint klar und einfach – und für die Dimension, in der er ausgedrückt wird, trifft dies auch zu (EUR, USD, CNY). Wer allerdings einmal versucht hat, den „richtigen“ Preis eines Anbieters für eine Mobilfunkminute zu berechnen, kommt zu dem Schluss, dass Einfachheit und Wahrheit nur suggeriert sind. Die Abbildung der „Qualität“ in nur einer einzigen Zahl findet, wenn überhaupt, ak- tuell ausschließlich in Form von veröffentlichten Testergebnissen und Kunden- abstimmungen statt. Hier lässt sich dann ein Ranking der Netzqualität ablesen. Gerade die etwas diffusere Eigenschaft des Qualitätsbegriffs ist jedoch gleicher- maßen ideales wie drängendes Arbeitsfeld des Marketings. Es gilt zu identifizie- ren, welche Ausprägungen und Dimensionen für welche Zielgruppen relevant sind und wie diese bedient, belegt, verkauft und abgerechnet werden können.

Qualität I: der Klassiker – Qualität des Kundenservice. Hier beschreiten verschie- dene Carrier in jüngerer Zeit neue Wege im Consumersegment. Bislang war die vom Anbieter dem Kunden gewährte Qualität des Kundenservice zunächst ent- weder still an einen hochwertigen Tarif, die Rechnungshöhe oder einen (VIP-) Status gebunden. Nun gibt es Ansätze, verschiedene Kundenservicepakete offen als Leistungsplus in der Preisargumentation zu verwenden oder diese völlig ab- gekoppelt von der gewählten Telekommunikationsleistung zu erwerben. In den Geschäftskundensegmenten sind Service Level Agreements in unterschiedlichen Ausprägungen gefordert, akzeptiert und mit unterschiedlichen Preisen versehen. Mit der Ergänzung um den Customer Self-Service entsteht im Kundenservice eine Leistung, deren unterschiedliche Qualitätsausprägungen relativ kurzfristig in eine kosten- und ertragsoptimierte Vermarktung eingebunden werden kön- nen.

Qualität II: Netzqualität. DAS epische Schlachtfeld in den nationalen Werbe- kampagnen! Mit starken Bildern werden die Vorteile des Netzes für den indivi- duellen Kunden oder für die Gemeinschaft emotionalisierend dargestellt. Zahlen und Akronyme belegen die technische Überlegenheit des jeweiligen Netzes, die durch Testergebnisse unabhängiger Institutionen bestätigt wird. Dieser Ansatz ist erforderlich und sinnvoll – da eben die Netzqualität individuell unterschied- lichen Kriterien unterliegt und zudem in ihrer tatsächlichen Ausprägung massiv von Zeit, Ort und Anwendung abhängig ist. Die Steuerung der Wahrnehmung durch klassische Werbemaßnahmen bleibt dahingehend unverzichtbar.

Für eine nachhaltige Qualitätspositionierung müssen Carrier ergänzend die übergreifend und segmentspezifisch als besonders relevant identifizierten Quali- tätskriterien operationalisieren. Dies bedeutet einerseits ein eindeutiges kommu-

242 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

niziertes Leistungsversprechen zum jeweiligen Qualitätskriterium, andererseits die Erfahrbarkeit der Qualität, ergänzt um proaktives Erwartungsmanagement. Die daraus resultierenden Kommunikationsmaßnahmen lassen sich generisch, segmentspezifisch und individuell durchführen. Kunden mit hohen Bandbreiten- bedarfen sollten in die Lage versetzt werden, die Leistungsqualität beispielswei- se durch aktuelle und prognostizierte Bandbreitenanzeigen für ihren jeweiligen Standort zu erfahren. Einfache Statistiken könnten illustrieren, wie hoch der An- teil abgebrochener Anrufe in einem bestimmten Zeitraum war und warum dieser Abbruch erfolgte. Entsprechende Nachrichten weisen betroffene Nutzergruppen auf zukünftige Einschränkungen oder aktuelle Probleme hin. Zur generischen, zielgruppenunabhängigen Illustration der Netzperformance können Ansätze wie das „Netzwetter“ verwendet und festgelegte KPI stundenaktuell kommuniziert werden. Zudem erlauben Kanäle wie Social Media, Lücken der Netzleistung ak- tiv von den Teilnehmern einzuholen und in der Öffentlichkeit des sozialen Netz- werks ebenso aktiv zu managen. Zusätzlich zu den aus den Netzen generierten Informationen lassen sich hieraus konkrete Aktionen für die Netzoptimierung ableiten und direkte Ansprechpartner für Small Cells identifizieren. Die Erfahr- barkeit unterschiedlicher Qualitätsausprägungen dient außerdem dazu, die tech- nische Qualitätsdifferenzierung zu unterstützen.

Qualität III: Differenzierung bestehender Dienste – auch in der Kernleistung beste- hen Ertragspotenziale. Der Anruf von Auto zu Auto, vorzugsweise in Konferenz- qualität, bleibt selbst für Fahrer luxuriösester Limousinen ein unerfüllter Wunsch – und für Carrier eine unerschlossene Ertragsquelle. Während 4K bei TV-Gerä- ten greifbar ist, führt High Definition bei der Sprachtelefonie ein Schattendasein – und dass, obwohl sich die Sprachqualität mit Einführung der Digitaltechnik spürbar verschlechtert hat. Eine Verschlüsselung von Sprach- und Datenübertra- gung zählt ebenso wenig zu den verfügbaren Optionen wie eine priorisierte Ver- bindung bei ausgelasteten Funkzellen. Selbst bei der Nachbuchung oder tempo- rären Zubuchung höherer Bandbreiten besteht Nachholbedarf – vielfach ist die Möglichkeit kaum bekannt oder nur mit Medienbrüchen zu erhalten. Kunden, die M2M nutzen, haben ganz unterschiedliche Ansprüche an die Zeitpunkte und Zuverlässigkeit, die derzeit nur wenig genutzt werden.

„My Carrier is my Castle” statt „Big Brother”. In der Stichwortwolke Big Data werden unterschiedlichste Geschäftsmodelle und -anwendungen gelistet. Um die Daten ökonomisch zu verwenden, finden sich zwei naheliegende Stoßrich- tungen: „nach innen“ durch die Ermittlung von Innovations- und Optimie- rungspotenzialen oder „an Dritte“ durch den Verkauf relevanter Daten an andere

Detecon International GmbH 243 Differenzierte Marktbearbeitung

Unternehmen. Doch bietet eine ganz andere Rolle eine Chance für Carrier, die sie zudem in der Abgrenzung von den OTT weiter unterstützt: die Rolle des Treuhänders für die persönlichen Daten. Kunden haben längst erkannt, dass In- formationen über sie einen Wert besitzen. Persönliche Datensicherheit ist aus Kundensicht jedoch im Beispiel E-Mail nur mit „Frickeleien“ möglich, also mit viel Aufwand und ohne jegliche Convenience. Hier besteht eine Angebotslücke. Carrier können signifikanten Mehrwert schaffen, indem sie Lösungen formulie- ren, welche Datensicherheit und die selektive Datenweitergabe mit ­Convenience („Single Sign-on“) vereinbaren.5 Da Carrier – anders als OTT – „tangible“ sowie an nationale­ Gesetze gebunden sind und sich als Infrastrukturleister der ­Datenverkehre ohnehin in unmittelbarer Nähe der kritischen Prozesse befinden, ist ein Angebot dort für viele Kunden glaubwürdig – und notwendig.

Partnering – Mehrumsatz durch Vertriebsleistung und Differenzierung.Da die In- novationsfähigkeiten der Carrier für die vielfältigen Nachfragebedürfnisse nicht annähernd ausreichen, bietet Partnering einen wichtigen Ansatz. Intern erweisen sich die technischen und prozessualen Schnittstellen noch als unzureichend. Ein anderes Hindernis betrifft die mangelnde Größe nationaler Carrier: Aus Sicht global agierender Partner sind diese oft erst zweite Wahl. Hier kann die Koope- ration mit anderen Carriern die kritische Masse generieren. Formen der Zusam- menarbeit mit anderen Carriern oder einem Primus in der jeweiligen Branche sind auch für die Erschließung neuer Marktfelder wie Smart Home und Industry 4.0 erforderlich.6

Marke: Mehr Marken. Agile Marken. Jede ein Profitcenter.

Die Carriermarke wird zur Dachmarke. Monolithisch geführte Marken sehen sich zukünftig zwei Herausforderungen gegenüber: Auf der einen Seite werden sie ge- fordert durch die Ausdehnung des Produktportfolios. Dieses wächst durch qua- litativ differenzierte Angebotsausprägungen und die Aufnahme weiterer funk­ tionaler Elemente, die vor allem Nischensegmente ansprechen. Auf der anderen Seite verlangt der – zukünftig maßgebliche – Kommunikationskanal Smartphone eine selbsterklärende und überschaubar strukturierte Angebotspräsentation. Als Lösung für diesen Spagat zwischen Ausdehnung und Vereinfachung bieten sich strukturierte Submarken an. Deren Bildung kann auf den adressierten Nischen,

5 Schritte in diese Richtung sind die Applikation „CheckAp“ der Swisscom, die iOS und Android-Nutzer helfen soll, kritische Zugriffe von Apps auf Funktionen und Daten festzustellen, sowie die Initiative für ein nationales E-Mail-Netz der Telekom Deutschland. 6 Vgl. Krämer, Erfolgreiches Partnering schafft neues Wachstum, S. 150 ff.; Kellmereit/Narielvala, Innovation – Die Zukunft der Telekommunikationsbranche, S. 130 ff. in diesem Band.

244 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

den Technologien, Qualitätsstufen und/oder den abgedeckten Bedürfnisarten basieren. Der Entwurf einer adäquaten Architektur ist Aufgabe des Markenma- nagements.

Das Branding bestimmt die Spielregeln der marktgerichteten Aktivitäten. Die so entwickelte Markenarchitektur liefert den elementaren Orientierungsrahmen für die konkrete Ausgestaltung aller marktgerichteten Aktivitäten. Sie legt die wesentlichen Spielregeln fest, welche die Differenzierung aller einzelnen Teil- marken ausmachen. Dies beinhaltet unter anderem die Klärung, welche tech- nischen Innovationen welcher (Sub-)Marke zu welchem Zeitpunkt zur Verfü- gung stehen sollen. Die Entwicklung, Evolution und insbesondere die dauerhafte Durchsetzung­ dieser Struktur innerhalb der Vertriebs- und Marketingorganisa- tion sehen wir als die größten Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für die zukünftige Marktbearbeitung. Zusätzlich steht das Markenmanagement vor der Herausforderung, die Leistung des eigenen Markenportfolios selbstkritisch zu hinterfragen.

Maximale Marktabdeckung erfordert mehr als eine Marke. Letztlich stößt jede (Dach-)Marke an ihre Grenzen. Diese zu ermitteln und Lösungen für die Ent- wicklung von Nachfragegruppen außerhalb der eigenen Marke zu erarbeiten, ist eine weitere Aufgabe des Markenmanagements. Vorab sind hier Regeln für die Positionierungsspielräume der Drittmarken zu definieren und Messinstrumente zu etablieren, die den Beitrag einzelner Markierungen messbar machen. Im Sinne einer maximalen Marktabdeckung sollte der Aktionsspielraum hier durchaus großzügig bemessen sein. Im Hinblick auf das typische K.o.-Kriterium der Kan- nibalisierung kann man die Beweislast umkehren – die Kernmarke muss also den Nachweis erbringen, durch die Aktivitäten einer anderen Marke dauerhaft nachteilig belastet zu sein. Hierfür sprechen auch die nachfolgenden Argumente.

Der Druck durch Drittmarken auf die Kernmarke ist erforderlich. Die Mehrheit der Beobachter erwartet eine Zunahme oligopolistischer Strukturen im Telekommu- nikationsmarkt. Diese Marktbedingungen fördern in Theorie ein passives An- bieterverhalten, in dem Innovation und Kundenorientierung eher letztes Mittel als erste Wahl sind.7 Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, sie hält auch fit und sorgt für schnellere (Re-)Aktion. Die bewusste und weitgehende Öffnung

7 Der Kundenservice der Telekommunikationsanbieter wird im Branchenvergleich deutlich unterdurchschnittlich bewertet: Platz 107 von 126 Branchen; im Ranking umgeben von „Hotels-Budget“ und „Gartencentern/- Blumenmärkten“, www.servicevalue.de .

Detecon International GmbH 245 Differenzierte Marktbearbeitung

des Wholesale ist deshalb ein bestens geeigneter Ansatz, um sowohl Leistungs­ vermögen als auch Effizienz der Carrier-eigenen marktgerichteten Organisation zu fördern. Darüber hinaus ergibt sich ein Freiraum für Innovationen, in dem auch Ansätze wie ein „Social Media Brand“, temporäre Marken und anderes mehr erprobt werden können.

Voraussetzungen für die operative Durchführung sind geeignete Plattformen. So gilt es, die Vorleistungsprodukte nach Art und Qualität administrier-, leist- und ab- rechenbar zu gestalten. Zudem ist zu erwägen, welche Leistungen des Carriers den (Dritt-)Marken angeboten werden sollen: Billing, Vertrieb und Customer Care bilden zentrale Elemente. Im Hinblick auf die hier skizzierte zukünftige Or- ganisationsform von Marketing, Vertrieb und Branding werden diese (Produkt-) Plattformen allerdings ohnehin benötigt. Deren Erweiterung um Funktionen zur Partnerfähigkeit stellt nur eine geringere Zusatzinvestition dar.

Totaltransformation der Marktbearbeitung. Für die Technikbereiche der Carrier charakterisiert die Transformation ihrer Produktion – und nachfolgend auch Or- ganisation und Prozesse – auf das IP-Protokoll die zentrale Herausforderung der Veränderung. Durchaus vergleichbar ist die fällige Reorganisation der Marktbe- reiche: Die existierenden Siloformen der Vertriebskanäle haben ihr Verfallsdatum ebenso überschritten wie die funktions- und produktzentrischen Organisations- formen im Marketing. Eine zukunftsfähige Marktmanagementorganisation der Carrier muss sich danach ausrichten, Kostensenkungen durch Transparenz und Effizienzdruck zu fördern und effektive Wettbewerbsvorteile durch Kunden­ orientierung zu schaffen.

Alles wird Wholesale: Jede Marke ist ein Profitcenter. Die Zuweisung konkreter Profit- und Loss-Verantwortung für ein bestimmtes Nachfragesegment be- trachten wir als konstruktiven Kern, um die bestehenden Mängel an externer Kundenorientier­ ung und interner Transparenz zu beheben. Gewährleistet wird dies durch eine klare Kostentransparenz sowie die Messung der Maßnahmener-

246 Detecon International GmbH Marketing und Sales: Total Turnaround

folge: Die segmentbezogenen Vermarktungseinheiten kaufen die für ihren Er- folg notwendigen Angebotsbausteine ein, bündeln sie unter ihrer (Sub-)Marke und adressieren damit zugewiesene Segmente. Die Drittmarke beziehungsweise Submarke sehen wir als geeignetes Abgrenzungskriterium für eine Profit-Loss- Verantwortung. Auch die Vertriebs- und Serviceleistungen werden von den einzelnen Marktbereichen ebenfalls modular eingekauft und marktgerecht kon- figuriert. Die skizzierten Cross-Channel-Plattformen erlauben es nun, die Mar- ketingerfolge zu messen und zu steuern. Das Prinzip des (modularen) Leistungs- einkaufs lässt sich bis zur Marke ausdehnen: Die Marktbereiche überweisen für die Nutzung der Marke Lizenzgebühren an das Markenmanagement, die zu des- sen Refinanzierung beitragen.

Detecon International GmbH 247 „Markenstrategie ist in der Telekommunikation wichtiger denn je“

Was Automobil- und Zigarettenindustrie schon lange betreiben, findet Eingang in die Telekommunikationsbranche: Ein Unter- nehmen bietet mehrere Marken aus ein und demselben Produktbereich an. Wie man über das Markenmanagement heterogene Kaufbereitschaften ausschöpfen kann, erklärt Ingo Gebhardt, Inhaber der GMK Markenberatung. Interview

248 Detecon International GmbH „Markenstrategie ist in der Telekommunikation wichtiger denn je“

Frage: Die Telekommunikationsbranche ist ein Markt mit Konsolidierungsten- denzen. Was raten Sie Unternehmen, wenn sich ursprünglich konkurrierende Marken unter einem Dach wiederfinden?

Gebhardt: In gleichem Maße, wie Märkte und Produkte heute zusammenwach- sen, werden mittlerweile Marken konsolidiert. Damit kommt der Markenstra- tegie im Telekommunikationssektor weitaus mehr Bedeutung zu als lediglich Image und Bekanntheit. Die Konsolidierungstendenzen zwingen Telekommu- nikationsunternehmen dazu, eine Vielzahl markenstrategischer Optionen abzu- wägen. Sind Leistungsversprechen, Angebot und Zielgruppe nachvollziehbar in Einklang zu bringen, liegt das größte Potenzial zweifelsohne in der Markenmi- gration. Sie birgt nicht nur die Chance, die wahrgenommene Markenkompetenz zu stärken, sondern reduziert auch die Komplexität des Markenmanagements. Stehen mit dem neuen Markenangebot allerdings Nutzenversprechen und Ziel- gruppen in Verbindung, die nur schwer mit der Positionierung der etablierten Stammmarke zu vereinen sind, rate ich zu einer deutlichen Markentrennung. Nur sie bietet die Aussicht, den heterogenen Kundenbedürfnissen durch fokus- sierte und glaubwürdige Markenversprechen Rechnung zu tragen.

Frage: OTT-Anbieter wie Google, Amazon und Apple verschärfen den Wettbe- werb für Netzbetreiber. Welche Rolle spielt die Markenführung in dieser Aus­ einandersetzung und wie sollte sich das Branding der Netzbetreiber aufstellen, um hier erfolgreich zu bestehen?

Gebhardt: Selten haben sich die Wettbewerbsparameter einer Branche so radi- kal gewandelt wie in der Telekommunikationsindustrie. Dass die Grenzen zum Internet-, Medien- und Entertainmentmarkt verschwimmen, ist schon seit ei- niger Zeit zu beobachten. Allerdings spitzt sich mehr denn je der Kampf um die Marktanteile zu. Gemäß meinem Eindruck haben sich die traditionellen Tele- kommunikationsunternehmen viel zu spät auf diesen Umbruch eingestellt und sich längst in die zweite Reihe verabschiedet. Habe ich mich als Kunde früher bewusst für D1 oder D2 entschieden, will ich heute das neue „Samsung Galaxy S5“ oder das neue „iPhone 5S“. Gleiches gilt für den Content – auch da konn- ten sich die Telekommunikationsanbieter bisher nicht als überzeugende Kom- petenzträger positionieren. Der Begriff „Netzbetreiber“ sagt im Grunde schon alles. Um auf dem hart umkämpften Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, sehe ich perspektivisch zwei Positionierungsoptionen: Entweder konzentrieren sich Telekommunikationsunternehmen konsequent auf ihr Kerngeschäft, den Netz- betrieb, und investieren Innovations- wie auch Entwicklungsbudgets vor allem

Detecon International GmbH 249 Interview

in die Netzwerktechnologie, oder sie positionieren sich als völlig integrierter An- bieter mit eigenen B2B- und B2C-Modellen. Dies gelingt meiner Einschätzung nach nur starken Marken mit antizipativem und marktorientiertem Handeln. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die neue Angebote mit relevantem und attraktivem Nutzenversprechen entwickeln, welche flexibel genug sind, um ihre Geschäftsfelder neu auszurichten, und welche nicht zuletzt Konsolidierungen ­sowie Kooperationen aktiv vorantreiben.

Frage: Partnering beschreibt eine der Schlüsselstrategien der Carrier für zukünf- tiges Wachstum. Einer der Konfliktherde in der Partnerschaft liegt in der kon- kreten Positionierung der eigenen Marke. Welche Erfolgsfaktoren sehen Sie für eine dauerhaft gute Partnerschaft?

Gebhardt: Die Wettbewerbsfähigkeit von Marktteilnehmern der Telekommuni- kationsbranche hängt zunehmend davon ab, wie gut es gelingt, neue Geschäfts- modelle in die Wertschöpfungskette zu integrieren. Unter solchen Marktbe- dingungen fungiert das Partnering nicht selten als strategischer „Enabler“. Die komplementäre Ergänzung von Kompetenzfeldern sowie der wechselseitige Imagetransfer versprechen nicht nur den Zugang zu neuen Kundengruppen, sondern auch eine bessere Wettbewerbsposition. Dies darf jedoch keinesfalls zu der Annahme verleiten, dass jede Partnerschaft in der Telekommunikationsbran- che Aussicht auf Erfolg hat. Tatsächlich ist der Erfolg einer Markenpartnerschaft an zwei wesentliche Bedingungen geknüpft: Zum einen setzt ihre Glaubwürdig- keit einen Werte-Fit der Marken voraus, das heißt, die beteiligten Unternehmen müssen in ihrer Markenpersönlichkeit weitestgehend kongruent sein. Zum an- deren verspricht die Partnerschaft von Marken nur dann eine bessere Wettbe- werbsposition, wenn daraus ein tatsächlicher Mehrwert für den Kunden resul- tiert. Dies setzt wiederum voraus, dass aus der Ergänzung der Kompetenzfelder ein exklusives – also einzigartiges – Markenversprechen und Leistungsangebot resultieren.

Frage: Auf der Kundenseite sehen wir weiterhin den starken Trend zur Nut- zung von Smartphones bei Einkauf und Servicefällen. Was bedeutet das für die ­Markenführung?

Gebhardt: Die Nutzung von Smartphones stellt eine Entwicklung dar, die sich mittlerweile nicht mehr aufhalten lässt: Im Oktober 2013 besaßen rund 37 Mil- lionen Personen in Deutschland ein Smartphone. Davon ist jeder zweite Smart- phone-Besitzer immer und überall online. Vor allem die mobilen Endgeräte ha-

250 Detecon International GmbH „Markenstrategie ist in der Telekommunikation wichtiger denn je“

ben mittlerweile Einkauf und Service von der Filiale oder der Telefonhotline ins Internet verlagert. Telekommunikationsunternehmen müssen das Potenzial die- ses mobilen Markenkontaktpunkts erkennen und nutzen, um auch ihre Kunden- beziehungen zu pflegen. Es gilt also, nicht nur die Homepage für die gängigen Smartphone-Betriebssysteme wie iOS und Android zu optimieren, sondern auch mittels kundenorientierter Apps die Anwenderfreundlichkeit zu erhöhen und ei- nen markenkonsistenten Kontaktpunkt zu schaffen.

Frage: Welche Rolle können zukünftig Multi-Branding-Ansätze spielen? Welche Vorteile und Herausforderungen sehen Sie bei deren Umsetzung?

Gebhardt: Infolge der Konvergenz ist die Telekommunikationsbranche mehr denn je durch heterogene Zielgruppen gekennzeichnet. Multi-Branding-Ansätze eignen sich dazu, diese passgenau und glaubwürdig adressieren zu können. Da die einzelnen Marken relativ autark agieren, versprechen sie zudem nicht un- erhebliche Geschwindigkeits- und Flexibilitätsvorteile – was gerade angesichts der schnelllebig gewordenen Produkt- und Innovationszyklen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein kann. In einer Branche, die ihre Leistungen vorwiegend über den Preis verkauft, können mittels Multi-Branding-Ansätzen beispielsweise heterogene Kaufbereitschaften ausgeschöpft werden – was allerdings immer mit dem Risiko potenzieller Kannibalisierungseffekte und steigender Anforderungen an das Markenportfoliomanagement verbunden ist.

Frage: Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen der webbasierten Kom- munikation, also Onlineshops und Onlinewerbung sowie soziale Netzwerke, auf die etablierten Marken? Wird es für Unternehmen einfacher, über solche Kanäle ganz neue Marken zu etablieren?

Gebhardt: Die wichtigsten Kommunikationskanäle zwischen Marke und Ver- braucher sind heutzutage webbasiert. Somit überrascht es nicht, dass auch ­Marketer des Telekommunikationssektors diese Kanäle ernst nehmen und ihre Budgets weiter in Richtung online verlagern. Mit fast 20 Prozent ihres gesam- ten Marketingbudgets investieren Telekommunikationsunternehmen in die ­Optimierung ihrer Infrastruktur mit besonderem Fokus auf die Onlineaktivi- täten in den Bereichen Social Media, Mobile Marketing und Onlinewerbung. Dass die webbasierte Kommunikation Möglichkeiten bietet, direkter und inter- aktiver als jemals zuvor mit den jeweiligen Zielgruppen zu kommunizieren, steht außer F­ rage. Man muss sich dennoch darüber im Klaren sein, dass mit der Viel- zahl neuer Kanäle und zunehmend selektiverem Kundenverhalten der Aufwand

Detecon International GmbH 251 Interview

für die Etablierung neuer Marken heute deutlich höher ausfällt. Zudem stellt die webbasierte Kommunikation gänzlich neue Anforderungen an die Marken- kommunikation. Markendialog statt Markenmonolog lautet die Devise. Mit den „alten“ Mitteln der klassischen Kommunikation hat die webbasierte Kommuni- kation heute kaum noch was zu tun. Um die Potenziale der digitalen Marken- führung optimal auszuschöpfen, bedarf es nutzer- und vor allem kanalgerechter Angebote, die zudem konsistent mit den Offlineaktivitäten verknüpft sind.

Frage: Analyse und Kontrolle des Markenerfolgs haben in der Praxis nicht immer den Rang, den theoretische Konzepte fordern. Warum tun sich Unternehmen in diesem Punkt so schwer?

Gebhardt: Meine Erfahrung ist, dass im Wesentlichen zwei Voraussetzungen er- füllt sein müssen, um Markencontrolling für ein Unternehmen nicht nur nutz- bringend, sondern auch nachhaltig zu realisieren. Zum einen sind nicht nur die wesentlichen Wirkungen der Marke auf Kundenseite zu erfassen, sondern auch alle markenrelevanten Leistungen und Aktivitäten auf Unternehmensseite. Und gerade in dem letztgenannten Punkt liegt meines Erachtens häufig der Schwach- punkt im Markencontrolling vieler Unternehmen. Effekte wie Markenbekannt- heit, -image und -wahrnehmung lassen sich zwar minutiös beschreiben, können aber in der Regel nicht auf vorangegangene Aktivitäten zurückgeführt werden. Haben einzelne Maßnahmen an bestimmten Kontaktpunkten tatsächlich das ge- wünschte Markenbild bei der Zielgruppe hervorgerufen? Diese und weitere Fra- gen lassen sich nur beantworten, wenn das interne Markencontrolling einen An- satz mit deutlichem Handlungsbezug verfolgt. Ich rate meinen Kunden immer, ein schlankes KPI-Konzept aufzusetzen, das gleichermaßen Markenwirkungen und markenrelevante Unternehmensaktivitäten berücksichtigt. Nur wenn der Bezug zum Tagesgeschäft sichergestellt ist, kann Markencontrolling auch wirk- lich sein volles Potenzial für Unternehmen und Marke entfalten.

252 Detecon International GmbH „Markenstrategie ist in der Telekommunikation wichtiger denn je“

Ein weiterer, nicht minder bedeutsamer Erfolgsfaktor für Markencontrolling umfasst die Implementierung innerhalb der Unternehmensorganisation. Damit eine Marke tatsächlich langfristig von der Erfolgsmessung profitiert, muss eine interne Expertise aufgebaut werden, um die Daten nicht nur kontinuierlich zu erfassen, sondern diese auch vor dem Hintergrund konkreter Maßnahmen be- werten zu können.

Die GMK Markenberatung begleitet als strategischer Partner Unternehmen von der Analyse­ und Positionierung ihrer Marke über die Definition einer schlüssigen ­Markenerlebniskette bis zur Implementierung der Marke an allen Kontaktpunkten. Der Fokus liegt auf der effizienten­ Schaffung onv Markenwert. Markenerfolg ist dabei weniger eine Frage des Budgets, als der Konsequenz. Die GMK Markenberatung mit Standorten in München und Köln wurde 2006 von Ingo Gebhardt und Hans Meier-Kortwig gegründet.

Detecon International GmbH 253 Differenzierte Marktbearbeitung

Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

Joachim Hauk

> Customer Experience bietet in der Telekommunikationsbranche neue Differenzierungsmöglichkeiten.

> Die Handlungsfelder reichen vom Markenversprechen über Netzqualität und Servicekultur sowie das Kanalangebot bis hin zum Produkt- und Prozesserlebnis.

> Um direkte Verbesserungen der Customer Experience kurz-, mittel- und langfristig zu erzielen, bietet sich ein mehrstufiges Vorgehen an.

254 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

Differenzierungpotenzial im Wettbewerb mit Customer Experience

Telekommunikationsunternehmen suchen nach Differenzierungsmöglichkeiten. Customer Experience Management (CEM) ist deshalb speziell in dieser Branche ein zentrales Thema. Es verfolgt das Ziel, die Profitabilität in einem wettbewerb- sintensiven und dynamischen Markt über emotionale Loyalisierung wie auch ein differenziertes Leistungs- und Serviceangebot zu steigern.1 Die Wirksamkeit einer herausragenden Customer Experience (CEX) als Differenzierungsmerkmal belegt der seit 2007 für Nordamerika erhobene Customer Experience Index von Forrester. Diesem zufolge ist über die Jahre zwar insgesamt eine moderate Ver- besserung der Durchschnittswerte zu beobachten, aber die CEX Outperformer differenzieren sich weiterhin deutlich und die Lücke zwischen Outperformern (CEX-Leaders) und Underperformern (CEX-Laggards) nimmt vereinzelt sogar zu.2 Der Aktienkurs der CEX-Champions entwickelt sich um den Faktor drei besser als der Marktdurchschnitt. Damit ist erwiesen, dass sich eine konsequente Ausrichtung auf das Kundenerlebnis auch ökonomisch auszahlt.

Der Kern des CEM besteht in der Fokussierung auf die Kundenperspektive in dem Moment, in dem ein Kunde mit Produkten, Dienstleistungen und Prozes- sen eines Anbieters in Berührung kommt. Anders als in funktionsspezifischen Programmen, beispielsweise zur Steigerung der Service Excellence, lässt sich eine hohe Konsistenz in allen Kundenkontaktpunkten erreichen. Besonderes Augen- merk liegt auf den „Moments of Truth“ (MoT) – jenen kritischen Situationen, in denen Unternehmen eine Kundenbeziehung positiv intensivieren oder aber auch nachhaltig negativ beeinflussen können. MoT beschreiben kritische Kun- denprozesse wie eine Neubereitstellung, eine Störung oder eine Beschwerde. Eine fehlerfreie Produktbereitstellung mit Einhaltung aller Termine, funktionie- rendem Plug-and-play und freundlicher Einweisung in komplexe Produkte wirkt kauf- und loyalitätsbestärkend, während eine Kombination aus Terminverschie- bungen, Bereitstellungsstörung und Prozessintransparenz im Extremfall zur di- rekten Stornierung führt, mindestens aber eine nachhaltige Wirkung auf weiteres Kaufverhalten hat. MoTs sind allerdings nicht nur an kritische Prozesse gebun- den. Benötigt ein Kunde etwa dringend ein versendetes Rechnungs­duplikat und verzögert sich dessen Eingang, kann auch ein vermeintlich sekundärer Routine- prozess aus Kundensicht hoch relevant und kritisch werden.

In diesem Kontext geht es ausdrücklich nicht nur darum, Zusatzleistungen zu schaffen, sondern Kunden mit einem spürbaren Mehrwert zu begeistern. ­Flexibles und pragmatisches Serviceverhalten bietet hierfür ein gutes Beispiel. 1 Vgl. Hauk/Schulz: Customer Experience Management für Telekommunikationsunternehmen, in: Customer Experience, Forum Dienstleistungsmanagement, 2012, S. 391 f. 2 Forrester, The Customer Experience Index 2013, S. 6 ff.

Detecon International GmbH 255 Differenzierte Marktbearbeitung

In einer weltweiten Studie des Corporate Executive Boards konnte ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Lösungsgeschwindigkeit, Simplizität und Effi­zienz sowie Kundenbindung aufgezeigt werden: Je geringer der zeitliche Auf- wand für Kunden ist, um eine Lösung für das Problem zu erhalten, desto stärker wirkt sich das auf die Kundenbindung aus.3

Customer Experience über alle Phasen des Lebenszyklus zu gewährleisten stellt eine ernorme Herausforderung dar und verlangt das Zusammenspiel von Pro- zessen, Systemen und Organisation an allen Kundenkontaktpunkten. Unter- nehmen müssen individuelle Fragen und Erwartungen der Kunden mit ihrer Leistung abgleichen – genau hier liegt eine große Chance zur Differenzierung im Wettbewerb! Die holistische Sichtweise des CEM bietet die Möglichkeit, sich von einem „One-Size-fits-all“-Ansatz zu verabschieden und stattdessen die rele- vanten Bedürfnisse und Erwartungen einzelner Kundensegmente entsprechend ihrem Profitabilitätspotenzial zu erfüllen.

Ziele und Gestaltungsfelder des Customer Experience Managements

Ökonomisch herausfordernde Zeiten bringen einen Wandel der Zielsetzungen mit sich. Eine Untersuchung des TM-Forums zur Customer Experience zeigt, dass die Steigerung der Kundenzufriedenheit und der Aufbau von Loyalität für Telekommunikationsunternehmen derzeit an erster Stelle stehen.4 Das bedeutet die Abkehr vom Neukundenfokus der Wachstumsphase hin zu einer stärkeren Bindung an den Kundenbestand. Bereits an zweiter Stelle ist die Reduktion operativer Kosten priorisiert.5 Dies betrifft die Handlungsfelder Produktivitäts- steigerung durch Prozess- und Organisationseffizienz, Restrukturierung im Sinne einer Kundenzentrierung und Kostensenkung durch wertorientiertes, segment- spezifisches Kundenmanagement.

Die Generierung von zusätzlichem Umsatz steht an dritter Stelle. Hierzu ­zählen Cross- und Upselling-Ansätze für erweiterte Dienste, zum Beispiel Cloud Ser- vices oder Unique ID, die erweiterten Datenschutz und das Vertrauen der ­Kunden erfordern.

Die Umsetzung dieser Ziele in den relevanten Handlungsfeldern erfordert von Telekommunikationsanbietern eine hohe Konsistenz. Dies ist für die Customer Experience erfolgskritisch.

3 Vgl. Corporate Executive Board: Shifting the Loyalty Curve. Mitigating Disloyalty by Reducing Customer Effort, 2010, S. 8. 4 Vgl. TM Forum Insights Research, Customer Experience: Hitting a moving target, 2013, S. 16. 5 Vgl. ebenda.

256 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

Orientierung und Priorisierung erfolgen idealerweise über ein Zielbild der ­Customer Experience. Dieses erlaubt letztlich erst die konsistente Aussteuerung der Produkte und Prozesse.

In solch einem Zielbild beschreiben rationale Zielattribute wie Benutzerfreund- lichkeit oder Verfügbarkeit sowie emotionale Zielattribute, zum Beispiel Verläss- lichkeit oder individuelle Kommunikation, das – gewünschte! – Kundenerleb- nis mit dem Anbieter. Die in verschiedenen Unternehmensbereichen und mit unterschiedlichen Prozessen gestalteten Kundenerlebnisse an unterschiedlichen Touchpoints können erst jetzt ein gemeinsames Gesamtbild abgeben. Darüber hinaus gibt das Zielbild eine Anleitung zur Gestaltung der relevanten Mess­ instrumente für die Customer Experience.

Mitarbeitern bietet das Zielbild insbesondere im direkten Kundenkontakt eine unverzichtbare Orientierung für ihr Handeln. Und auch der für ein erfolgreiches CEM wichtige Kulturwandel kann mit dem Zielbild begleitet werden. Unsere Erfahrung mit CEM-Transformationsprogrammen unterstreicht, dass Unter- nehmen das Element Kultur im Vergleich zu den konkreten Optimierungsmaß- nahmen noch nicht ausreichend priorisieren und steuern. Mitarbeiterstolz und

Abbildung 1: Handlungsfelder von Telekommunikationsunternehmen für die CEX-Umsetzung

Marken­ Netzqualität Servicekultur Kanalangebot Produkterlebnis Prozesserlebnis versprechen

• Etablierung • Netzqualität, • Servicekultur • Kanalangebot • Integration • Kunden- von CEX -zuverläs- und Kontakt- der Nutzungs- orientierte in Stragie, sigkeit und • Steuerung oberfläche erfahrung in Verbesse- Markenkom- -verfügbarkeit noch stark die Produkt- rungs- munikation effizienz- • Cross-Kanal- entwicklung methodik und Zielen • Ergonomie/ orientiert Fähigkeit (z.B. Usability des • Etablierung Customer • Integration Produkt- und • CEX-orien- • Ausgewogene von Design tierte Interak- Kanalsteue- Journey versus CEX Service­ Thinking method) im Branding angebots tionsstrategie rungs- und und MoT- management • Zentrale • Ableitung von Management logiken Enabler CEX-Hand- und Prozess- lungsfeldern • Reduktion nicht werthal- Stabilität tiger Kontakte

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 257 Differenzierte Marktbearbeitung

Mitarbeitermotivation sind aber ein für das ­Kundenerlebnis wesentliches Ele- ment, wie diverse Studien bestätigen.

Zu guter Letzt nutzt das Zielbild als Strukturelement auch die Außenkommu- nikation des Unternehmens. Neben der Tragfähigkeit des Zielbilds entscheiden vor allem Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Umsetzung über den Erfolg. Weckt ein Unternehmen über das Zielbild außenwirksam überhöhte Erwar- tungen und bleibt das Kundenerlebnis aufgrund defizitärer Umsetzung deutlich hinter dem kommunizierten Anspruch zurück, kann die Kommunikation eine substanzielle Negativwirkung entfalten. Ein Beispiel hierfür ist die 1&1-Kam­ pagne mit „Leiter Kundenzufriedenheit“ Marcell D’Avis. Der „Servicepapst“ wurde schnell zu einer der meistgehassten Werbefiguren, da sich viele Konsu- menten getäuscht fühlten. Empfehlenswerter ist eine tendenziell umsichtige Außenkommunikation,­ deren Versprechen in der konkreten Ausführung über- troffen wird.

Handlungsempfehlungen für das Customer Experience Management in Telekommunikationsunternehmen

Auf Basis der Studie und Projekterfahrungen haben wir zur Optimierung der ­Customer Experience sechs Handlungsempfehlungen für Telekommunika­ tionsanbieter abgeleitet und in Projekten erprobt wie auch bestätigt. Die ­Empfehlungen bauen aufeinander auf und tragen insgesamt dazu bei, CEM er- folgreich im Unternehmen zu etablieren.

Konsistenz von Markenversprechen und Customer Experience sichern

Das Image eines Unternehmens und sein Markenversprechen prägen maßgeblich die Erwartungen der Kunden an Leistung und Qualität; sie haben damit direkten Einfluss auf die Customer Experience. An Premiummarken stellen Kunden bei- spielsweise höhere Anforderungen als an Discountanbieter. Die Konsistenz von individuellem Erlebnis und Markenwerten schafft Vertrauen und Authentizität. In der Realität stimmen jedoch die über die Marke vermittelten Werte und Eigenschaften eines Unternehmens nicht immer mit den tatsächlichen Erfah- rungen überein, die der Kunde mit den Produkten, Prozessen und Mitarbeitern des Unternehmens macht (vertikale Inkonsistenz). Zudem schalten verschiedene Kanäle oft unterschiedliche Angebote, sodass der Kunde an verschiedenen Kon- taktpunkten unterschiedliche Erfahrungen macht (horizontale Inkonsistenz).

6 Vgl. Gouthier, Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element der Customer Experience, S. 268 ff. in diesem Band.

258 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

Unternehmen sind jedoch gefordert, Markenversprechen in jedem indivi­duellen Kundenerlebnis einzulösen. Weichen Markenversprechen und Kundenerfah- rungen voneinander ab, müssen entweder die Imagekomponenten angepasst oder das Zielbild des CEM geändert werden.

Spezifische Werbewirkungsanalysen zum Abgleich von Markenidentität und Markenwahrnehmung können hier helfen. Auch die über Social Media Monito- ring messbare Resonanz in einschlägigen Blogs, Foren und Social Networks ist ein maßgeblicher Indikator für die am Markt wahrgenommene Leistung eines Unternehmens.

Daraus leiten sich wichtige Touchpoint-übergreifende Maßnahmen zur Unter- stützung der Markenwerte in der Kundeninteraktion ab:

> kulturelle Verankerung des Markenversprechens in den Leitlinien des Unter- nehmens für Manager und Mitarbeiter einschließlich regelmäßiger Evaluierung der Einhaltung;

> Ableitung übergreifender Vorgaben von Service- und Interaktionszielen aus dem Customer-Experience-Zielbild;

> Angebots-, Rabatt- und Vorteilskonsistenz, Durchführung regelmäßiger ­Reviews und Audits zur Customer Experience, ergänzt durch die systema- tische Konfrontation von Mitarbeitern und insbesondere Führungskräften mit ­Kundensituationen im Rahmen von Schulungsangeboten.

Customer Experience ist nur ein Element der Markenbildung. Die konkrete ­Erfahrung des Kunden in der Interaktion mit dem Unternehmen trägt allerdings entscheidend zur erfolgreichen Etablierung einer Marke bei. Die Signalfunktion entsprechender strategischer Vorgaben für den notwendigen kulturellen Wandel des Unternehmens hat deshalb sehr hohe Relevanz.7

Wissen, was Kunden wirklich wollen

Was so einfach klingt, wird in der Realität oft sträflich vernachlässigt! Selbst- verständlich erheben Unternehmen Informationen über die Bedürfnisse, die Leistungswahrnehmung und die Erwartungen ihrer Kunden. Diese Informa­ tionen sind wichtig, um beispielsweise die Leistungswahrnehmung des Kun-

7 Vgl. Acklin, Studienergebnisse zu Design Thinking und Customer Experience Management bei Unternehmen des CX-Forums, 2011, S. 8.

Detecon International GmbH 259 Differenzierte Marktbearbeitung

den zur messbaren Leistung in Beziehung zu setzen und aus der Perspektive des ­Kunden Basisanforderungen, Leistungs- und Begeisterungselemente zu identifi- zieren.

Werden derartige Informationen jedoch in unterschiedlichen Unternehmens­ bereichen ermittelt und dann nicht zueinander in Beziehung gesetzt – was auf- grund der Unterschiede der Erhebung häufig auch nicht ohne Weiteres möglich ist8 –, fehlt ein großer Erkenntnisgewinn. Loyalitäts- und Zufriedenheits­indizes werden repräsentativ erhoben ohne die Möglichkeit zur Ursachenanalyse im Einzelfall, um die Ursachen extrem positiver oder negativer Beurteilungen zu untersuchen und daraus Konsequenzen für Prozesse, Geschäftsfälle oder Kunden­situationen zu ziehen. Wir empfehlen deshalb die zentrale Datenzu- sammenführung in einer Customer-Intelligence-Abteilung, die übergreifende Erkenntnisse ableitet und diese wieder den relevanten Bedarfsträgern für die kundenorientierte Segmentierung, Markengestaltung, Produktentwicklung und Servicegestaltung zur Verfügung stellt.

Basisleistung sichern, Delight-Elemente einführen

Basisleistungen decken die Mindestanforderungen eines Kunden ab. Das Pflicht- programm für Unternehmen besteht darin, zuverlässige und qualitativ hochwer- tige Basisleistungen sicherzustellen sowie Fehl- oder Mangelleistungen frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.

Entscheidend beim Produkt- und Prozessdesign ist die Einnahme der Kunden- perspektive. Mit Methoden wie Design Thinking und Customer Journey Map- ping können die angestrebten Produkteigenschaften ebenso wie sonstige Erwar- tungen aus der Erlebnissicht des Kunden beschrieben werden.

Über die Analyse der Kundenkontakte sind Unternehmen in der Lage, Basisan- forderungen an Produkte und Prozesse zu identifizieren, die aktuell nicht ausrei- chend erfüllt werden, und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Trotz aller Bemühungen können Unternehmen selten die Erwartungen hundert- prozentig für alle Kunden wirtschaftlich erfüllen. Ursachen für die Unzufrie- denheit von Kunden beinhalten möglicherweise infrastrukturelle Probleme oder komplexe bereichsübergreifende Prozesse, die nicht kurz- oder mittelfristig zu optimieren sind. Unternehmen können jedoch vorausschauend kritische Kun-

8 Vgl. TM Forum Insight Research: Quick insight customer experience: Leveraging the wealth of network data, 2013, S.14.

260 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

densituationen, die Moments of Truth, identifizieren und sich exakt auf diese mit einem Bündel geeigneter Maßnahmen vorbereiten. Beim Umgang mit un- zufriedenen Kunden spielt beispielsweise die Auskunftsfähigkeit eines Unterneh- mens eine wichtige Rolle. Die Voraussetzung hierfür liefert ein einheitliches und vertriebskanalübergreifendes CRM-System mit detaillierter Kundenhistorie. Als kritisch erweist sich das Phänomen der Symptombehandlung: Im wiederholten Störungsfall ist die Störungsbehebung wirkungsvoller als eine entschädigende Gutschrift.

Über den Erfolg in diesen kritischen, negativen Kundensituationen entscheidet die Möglichkeit, Kunden bei komplexen Problemstellungen, Beispiel Wieder- holungsstörung, in einer spezialisierten Betreuungsform zu bedienen. Mehrfach wiederholte Lösungsversuche im Standardservice sind für den Kunden frustrie- rend und für das Unternehmen nicht wirtschaftlich. Das Erkennen und früh­ zeitige Aussteuern solcher Geschäftsfälle hängt vor allem von Erfahrung und Steuerungseinstellungen ab. Bei professionellem Aufsatz ist eine schnelle Lern- kurve zu erreichen.

Die Loyalisierung von Kunden durch emotionale Maßnahmen, sogenannte ­Delight-Elemente, charakterisiert eine wichtige Komponente der Kundenbin- dung neben rechtlichen Bindungsvarianten wie Vertragslaufzeiten und damit verbundenen Wechselbarrieren.

Geringes Kundeninvolvement erschwert in der Telekommunikationsbranche eine produktseitige Differenzierung. Telekommunikationsanbieter können ­diese Commodity-Wahrnehmung durch geschickte Partnerschaften entw­ eder im Content-B­ ereich über Musik, Video und Gaming oder mit Herstellern ­exklusiver Endgeräte durchbrechen. Ausschlaggebend ist die Durchgängigkeit der C­ ustomer Experience, die Sollbruchstellen zwischen den Partnern vermeidet.

Kampagnen- und Goodwill-orientierte Delight-Elemente sind am wirkungs- vollsten, wenn Unternehmen sie dosiert einsetzen. Bei zu intensivem Einsatz verpufft der positive Loyalisierungseffekt und man läuft Gefahr, dass Kunden primär einen Preisspielraum erkennen und einfordern.

Auch bei Nichterfüllung von Basisanforderungen bleiben Delight-Elemente ­nahezu wirkungslos und können situationsabhängig sogar zu unerwünschten Kundenreaktionen führen. Begeisterungsversuche durch Unternehmen wirken

Detecon International GmbH 261 Differenzierte Marktbearbeitung

nicht authentisch, sondern überflüssig, wenn der Grund der Unzufriedenheit nicht beseitigt wird. Das führt im Ergebnis zu einer noch stärkeren Unzufrie- denheit und einer negativen Einstellung gegenüber weiteren Loyalisierungs­ bemühungen.

Anschauliche Akzente setzen Delight-Maßnahmen in konkreten Kundensitua­ tionen oder Lebenszyklusphasen, welche die positiven Aspekte der Kundenbe- ziehung hervorheben. Ein Beispiel aus der Versicherungsbranche ist das Angebot von Fahrtechniktrainings für Kfz-Versicherungskunden mit längerer Unfallfrei- heit, deren Fahrverhalten mit diesem Loyalisierungsinstrument honoriert wird.

Mitarbeiter als Schlüssel zum Erfolg

Mitarbeiter sind für Kunden zentrale Instanzen der glaubhaften und authen- tischen Umsetzung von Customer Experience. Sie müssen in der Kommunika- tion geschult und fachlich kompetent sein. Vor allem aber müssen sie motiviert hinter dem Customer-Experience-Zielbild stehen und den Kunden begeistern wollen! Und gemäß dem Können-wollen-dürfen-Prinzip unterstützen neben Qualifikation auch Empowerment und eine verankerte Servicekultur den Mitar- beiter bei seiner Entwicklung auf dem Weg dorthin.9

Unternehmen müssen die richtigen Mitarbeiter für themenspezifische Kunden- kontakte auswählen, ausbilden und für Kundeninteraktionen befähigen. Kom- petente und gut geschulte Angestellte steigern die Erstkontaktlösungsquote und senken die Folgekontaktquote.

Gerade an den Kundenkontaktpunkten stellt Mitarbeiterzufriedenheit eine maß- gebliche Determinante für Kundenzufriedenheit dar. Motivierte Beschäftigte mit eigenständigem und kontextsensitivem Handeln innerhalb sinnvoll definierter Handlungsspielräume sind fähig, individuelle Problemlösungen im Sinne des Kunden und des Unternehmens zu finden. Lösungsorientiertes Verhalten in der Kundeninteraktion wird gefördert durch:

> Mitarbeiterschulungen, die Bedeutung und Zielbild der Customer Experience vermitteln, > Verständnis der Qualitätsphilosophie des Unternehmens, > Verankerung der Unternehmenswerte in Leitlinien und Bonifizierung entsprechenden Verhaltens,

9 Vgl. Hauk/Eberwein/Jost/Hoffmann/Luyken: Customer Experience Management in der Telekommunikationsbranche, Detecon-Studie, 2010, S. 45 f.

262 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

> einen konsistenten Informationsstand über den Kunden und seinen laufenden Prozessen in allen Kundeninteraktionen, > direkte und transparente Kommunikation mit Mitarbeitern und Kunden sowie > die interne und externe Kommunikation von Erfolgen.

Emotionale Kundenbindung basiert zu einem großen Teil auf der Wirkung des gegenüber Kunden gezeigten Verhaltens und der sich darin spiegelnden Einstel- lungen.

Ein konsistentes Zielsystem muss diesen Effekt abbilden und ausgewogen zu ­Effizienz- undmsatzzielen U gewichten. Erfolgsabhängige Vergütungen können ein effektives, wenn auch riskantes Instrument der Verhaltenssteuerung sein. Unternehmen sollten darauf achten, dass die individuellen Zielgrößen mit den übergeordneten Unternehmenszielen kompatibel sind. Es ist allerdings utopisch, zu glauben, dass das Verhalten in komplexen dynamischen Umgebungen voll- ständig über ein Zielsystem gesteuert werden kann. Die Werte der Unterneh- menskultur müssen nach der Maxime „Prinzipien statt Regeln“10 die steigende Anzahl nicht vorhersehbarer Sonderfälle auffangen.

Loyalisierung durch Partizipation und Interaktion

Ein entpersonalisierter Kontakt zwischen Kunden und Unternehmen fördert kundenseitig das Gefühl, Objekt einer intransparenten Maschinerie zu sein, die nicht auf Kundenwünsche und -anforderungen eingeht. Allerdings ist dies nicht primär eine Frage des Kanals: Sehr guter online Self-Service wird von Kunden geschätzt und als auf sie zugeschnitten wahrgenommen.11 Eine uninspirierte und wenig individuell wahrgenommene Beratung in einem Shop wirkt dagegen trotz direkten Kontakts wenig persönlich.

Die Förderung von Partizipation verlangt ein Denken in Kontaktketten und das Verarbeiten der Reaktionen des Kunden. Kunden fühlen sich zu Recht igno- riert, wenn sie an Befragungen teilnehmen und ausdrücklich erwünschte Ver- besserungsvorschläge formulieren, diese aber anschließend unkommentiert und ­unberücksichtigt bleiben. Befragungen und eine Vielzahl anderer Kundeninter­ ak­tionsmöglichkeiten offenbaren dem Unternehmen eine Fülle von Infor- mationen über den Kunden, seine Erfahrungen mit den Produkten und die

10 Wohland/Huther-Fries/ Wiemeyer/Wilmes: Vom Wissen zum Können, Detecon-Studie, 2004. 11 Vgl. Penkert/Eberwein, CSS – Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung, S. 274 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 263 Differenzierte Marktbearbeitung

Wahrnehmung des Unternehmens. Diese unstrukturierten Informationen zu nutzen kennzeichnet eine der Herausforderungen der Customer Experience. Kundenfeedback deckt systematische Leistungsmängel auf und ermöglicht dem U­ nternehmen, frühzeitig Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen, welche die ­Bedürfnisse der Kunden wirklich erfüllen. Grundlage hierfür ist ein kon- struktiver Umgang mit Fehlern im Unternehmen. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch ­dauerhaftes Monitoring und die zeitnahe Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen aus. Ein zentrales und organisatorisch neutral aufge- hängtes Kundenfeedbackmanagement unterstützt die Umsetzung. Der zugrunde liegende Feedbackregelkreis besteht aus den Phasen „Sammeln“, „Analysieren“ und „Optimieren“.

Über Transparenz der Abläufe und Zusammenhänge können Unternehmen Kunden aktiv einbinden. Wir empfehlen deshalb, für Kunden vielfältige Inter- aktionsmöglichkeiten zu schaffen. Dazu gehört auch die eigene Kommunikation über das Unternehmen und seine Produkte in Social-Media-Kanälen wie sozialen Netzwerken, moderierten Foren und exklusiven Communities. Unternehmen, die hier Präsenz zeigen, erzeugen Transparenz und Vertrauen. Proaktive Kommu-

Abbildung 2: Professionelles Management von Kundenfeedback

Feedback-Kategorien Inputkanäle und Medien Ansatz

• E-Mail • Mit Hilfe Vorschläge • Shops Eingang spezieller Pro- • Letter Feedback gramme oder der • Contact Center üblichen Kanäle • E-Channel und Medien • Fax Beschwerden • Service Technicians • Retail-Partner Feedback • Kontakttreiber • Corporate Sales Agents Kategori- und Ursachen • News sierung • Customer Pain Meinungen • Web Points • Blogs • Product Reviews • Communities • Nutzung • Focus Groups Speichern eines Feedback Ideen • Customer Interviews und Managements • Forum verwerten

Quelle: Detecon

264 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

nikation bei Störungen oder Verzögerungen demonstriert ebenso wie proaktive Statusinformation Fairness und Engagement. Diese Form der Kommunikation unterstützt den Prozess, zwischen Kunden und Unternehmen eine emotionale Basis sowie Loyalität aufzubauen.

Partizipierende Kunden und „gewonnene Fans“ sind Multiplikatoren. Sie dan- ken Unternehmen deren Bemühungen durch Akzeptanz, Loyalität und Weiter- empfehlung.

Keine Wirkung ohne Erfolgsmessung von CEM-Maßnahmen

Ohne die sinnvolle, nachvollziehbare Erfolgsmessung können Unternehmen in einem hochkompetitiven Umfeld die Maßnahmen für eine gute ­Customer ­Experience nicht konsequent fortführen. Die Wirkungszusammenhänge ­zwischen Customer-Experience-Maßnahmen und Kundenverhalten und den damit verbundenen wirtschaftlichen Effekten sind jedoch komplex. Zudem ­bestehen Interdependenzen zwischen diversen Leistungsbereichen des Unter­ nehmens, was Zuordnungsprobleme zur Folge hat.

Notwendig ist ein Set aus Leistungskennzahlen (KPI) zur Messung der Customer- Experience-Maßnahmen, das die Kette von den Maßnahmen bis zur Wirkung auf Loyalisierungseffekt, Umsatz und Kosten abdeckt. Priorisierungsinstanz ist das übergreifende Customer-Experience-Zielbild, welches die inhaltliche und strukturelle Orientierung für die Messung liefert. Im ersten Schritt sind die ge- wünschten Parameter und deren Ausprägung, zum Beispiel Steigerung von Er- folgsquoten, Umsatzsteigerung, Reduzierung der Kündigungsquote, festzulegen und systematisch zu erfassen. Im zweiten Schritt werden die Treiber für die Ver- haltensweisen, etwa Wertschätzung, Erleichterung, Dankbarkeit, identifiziert. Die Wirkung der Customer-Experience-Maßnahmen ist regelmäßig zu messen. Eine Zeitreihenanalyse der Treiber macht es möglich, statistische Zusammen­ hänge zwischen den Maßnahmen und ihrer Wirkung auf die Kundenwahrneh- mung und andere relevante Kerngrößen herzustellen. Die Messdaten erlauben darüber hinaus Erkenntnisse zu Wirkungszeiträumen und notwendiger Kontakt­ intensität. Ergänzend können Unternehmen fortlaufend über einen Kundenbin- dungsindex den Grad der Kundenbindung messen.

Ein Customer Experience Dashboard bildet schließlich statistisch valide Zusam- menhänge zwischen den kundenorientierten KPIs wie dem Kundenbindungs- index sowie den finanziellen Kennzahlen, beispielsweise Umsatz, Kundenwert,

Detecon International GmbH 265 Differenzierte Marktbearbeitung

und den Prozessen und Produkten ab. Bezüglich zentraler Kenngrößen wie dem Kundenbindungsindex bedarf es einer hohen Stabilität der Definition und Er- hebungsmethode, um über die Zeitreihe valide Aussagen zu generieren. Dem- entsprechend sorgfältig sind die Indikatoren beim Aufsetzen des Dashboards auszuwählen.

Erfolgsfaktoren und Risiken für profitables Customer Experience Management

In Projekten ebenso wie im Austausch mit Experten hat sich eine Reihe von Erfolgs- und Risikofaktoren in der Umsetzung von Customer Experience als ­besonders relevant herauskristallisiert.

Der Kern aller Anstrengungen zur Customer Experience umfasst die konsequente Einnahme der Kundenperspektive in der Analyse und Ausgestaltung.

Das Abwägen zwischen der kanalübergreifenden Konsistenz im Handeln und den ausreichenden Handlungsspielräumen für Mitarbeiter im Kundenkontakt, speziell auch mit Fokus auf die MoTs, ist eine beständige Herausforderung. Es hat sich gezeigt, dass zu strikte Vorgaben ein situativ sinnvolles Handeln im Um-

Abbildung 3: Wesentliche Erfolgs- und Risikofaktoren für CEM

Einnehmen der Kundensicht Zu wenig Analyseaktionismus Analysieren Sie die Customer Experience anhand Selbstbildgesteuerte Annahmen zum Kundenbedarf sind von Kundenfeedback und Kundenverhalten. eine grundlegende Quelle ganzheitlichen Scheiterns.

Schaffung von Flexibilität am CTP Zu striktes CE-Design Customer Experience ist situationsabhängig – Sorgen Kunden wollen nicht wie ein Objekt behandelt werden – Sie für flexibles (Inter-)Agieren der Mitarbeiter zu starre Regeln verhindern ein eingehen auf kunden­ mit Kundenkontakt. individuelle Bedürfnisse

Fokussierung auf Moments of Truth Wahrloses Verteilen von Wohltaten Seien Sie überzeugend, wenn es darauf ankommt! Kunden mit kleinen Präsenten zu erfreuen ist gut – Bauen Sie ein Rettungsnetz für kritische schlechter Service in kritischen Momenten wird Kunden­erlebnisse. dadurch nicht kompensiert.

Messung Wirkung auf Profitabilität Zufriedenheit als oberstes CEM-Ziel Messen Sie die Profitabilität der CEM Zufriedene Kunden sind nicht notwendigerweise Maßnahmen, um diese zu optimieren und zu loyal – daher ist Zufriedenheit nur ein Indikator beurteilen. für die Experience nicht für den Erfolg.

Konsistenzsicherung Abteilungsdenken CE baut auf Einbindung und Konsistenz Eine Abteilung ist nicht in der Lage überzeugenden aller Kanäle und Interaktionen auf. Inkonsistenz Kundenservice anzubieten – CEM benötigt ruiniert die Experience. gesamtheitliches Denken.

Quelle: Detecon

266 Detecon International GmbH Winning Hearts and Minds – Loyale Kunden durch überzeugende Customer Experience

gang mit dem Kunden erschweren und oft auch nicht authentisch wirken. Für kritische Kundensituationen allerdings sind der Aufbau eines Rettungsnetzes zur Identifizierung und Aussteuerung schwieriger Fälle sowie die konsequente ­Lösung über zugeschnittene Service- und Eskalationskonzepte erfolgsentschei- dend, um Kundendesaster zu vermeiden.

Mittelfristig gilt zur Bestätigung und Validierung der Maßnahmen eine ­konsequente Wirkungs- und Wirtschaftlichkeitsmessung als unabdingbar. Die ­Fokussierung auf Kundenzufriedenheit als Ziel des CEM greift hier zu kurz. Übergreifende Indizes haben zudem keine ausreichende Granularität, um die Wirkung einzelner Maßnahmen ausweisen zu können.

Als herausfordernd stellt sich der übergreifende Charakter der Customer-­ Experience-Maßnahmen dar, der eine breite organisatorische Beteiligung not- wendig macht. Erfolgreich bewährt hat sich unserer Erfahrung nach das Pilo­ tieren mit eingeschränktem Leistungsfeld, zum Beispiel bestimmte Produkte oder bestimmte Kundengruppen, und anschließendem Übertrag auf zunehmend weitere fachliche Bereiche. Für den nachhaltigen Erfolg ist nach der Pilotphase zügig ein bereichsübergreifendes Setup auszusetzen, das den Mix aus Kommuni- kations- und Steuerungsmaßnahmen nach dem Customer-Experience-Zielbild gestaltet. Top Management Sponsorship gilt als unverzichtbar.

Abhängig von der Ausgangssituation eines Unternehmens bedingt die ­Annäherung an den Zielzustand eine mittel- bis langfristige Transformation. Wir ­empfehlen ein mehrstufigesVorgehen, um sowohl kurz- und mittelfristig direkte Verbesserungen der Customer Experience zu erzielen als auch langfristig erfolgsentscheidende Enabler frühzeitig zu identifizieren und deren Realisierung anzustoßen.

Detecon International GmbH 267 „Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element der Customer Experience“

Mitarbeiterstolz ist in Zeiten eines angespannten Arbeitsmarkts aufgrund seiner Relevanz für Mitarbeiterrecruiting und -bindung ein viel diskutiertes Thema. Umfragen zeigen aber insbesondere in Deutschland, dass nur noch jeder zweite Beschäftigte in Deutschland Stolz auf sein Unternehmen empfindet. Dabei ist ein essenzieller Effekt in Richtung Kunde bereits nachgewiesen worden. Professor Matthias Gouthier ist Inhaber des Lehrstuhls für Marketing und elektronische Dienstleistungen sowie Direktor des Centers for Service Excellence an der Universität Koblenz- Landau. Der Experte auf den Gebieten Service Excellence, Kunden- und Mitarbeiterbegeisterung, Mitarbeiterstolz und Dienstleistungsproduktivität zeigt die Bedeutung von Mitarbeiterstolz und den Zusammenhang zur Customer Experience auf. Interview

268 Detecon International GmbH „Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element der Customer Experience“

Frage: Gilt die Gleichung „stolze und begeisterte Mitarbeiter = begeisterte ­Kunden“?

Prof. Gouthier: Lassen Sie es mich einmal so ausdrücken: Wie soll ein Kunde von einem Unternehmen und dessen Produkten und Dienstleistungen begeis- tert sein, wenn diese Begeisterung nicht einmal bei den eigenen Mitarbeitern zu spüren ist? Hier spielt die Authentizität der Beschäftigten in der Kundenan­ sprache eine wichtige Rolle. Als authentisch werden Mitarbeiter nur dann wahr- genommen, wenn sie auch selbst von ihrem Angebot überzeugt sind. Und dazu gehört insbesondere, dass sie begeistert von den eigenen Produkten und Dienst- leistungen und stolz auf diese sind.

Diesen Zusammenhang haben zahlreiche international erfolgreiche und renom- mierte Unternehmen, die als Best Practices für die Erbringung von exzellenten Dienstleistungen gelten, schon längst erkannt. Dazu zählt beispielsweise die Luxushotelkette The Ritz-Carlton mit 85 Hotels in 30 Ländern und weltweit 35.000 Mitarbeitern. 2006 hat The Ritz-Carlton Mitarbeiterstolz als primären Servicewert definiert: „Ich bin stolz darauf, The Ritz-Carlton zu sein.“ Mitarbei- terstolz ist in der Unternehmenskultur von The Ritz-Carlton zentral verankert und von maßgeblicher Bedeutung, um Professionalität im Auftreten, Vorleben von Markenbegeisterung und Leidenschaft der Mitarbeiter, das Beste erbringen zu wollen, sicherzustellen.

Frage: Wie genau wird Mitarbeiterstolz definiert und warum stellt es ein wich- tiges Element für die Customer Experience dar?

Prof. Gouthier: Mitarbeiterstolz umschreibt im Grunde genommen ein posi- tives Gefühl, das man empfindet, wenn man etwas Überdurchschnittliches er- reicht und damit die eigenen Erwartungen übertroffen hat. Allerdings kann man nicht nur auf die eigenen Leistungen stolz sein, sondern gleichermaßen auf die ­Leistungen und Ergebnisse von anderen relevanten Bezugspersonen und Bezugs- gruppen. So kann man Stolz empfinden auf die Leistungen der eigenen Mitarbei- ter, auf die Leistungen des eigenen Teams und eben auch der eigenen Firma. Im letzteren Fall handelt es sich um den sogenannten Organisationsstolz.

Diverse Studien, die wir in unterschiedlichsten Branchen durchgeführt ha- ben, können belegen, dass insbesondere die Kunden- und Serviceorientierung in starkem Maße vom Stolz der Mitarbeiter im Kundenkontakt abhängt. Der Einfluss, den der Mitarbeiterstolz auf die Kunden- und Serviceorientierung aus- übt, ist dabei um einiges stärker als der Effekt, welcher von der Mitarbeiter- zufriedenheit ausgeht. Von daher können Unternehmen, die positive Customer

Detecon International GmbH 269 Interview

­Experiences fördern wollen, gezielt an der Steigerung des Mitarbeiterstolzes an- setzen. Wir konnten in einer weiteren Studie nachweisen, dass durch den Mitar- beiterstolz zudem die Kreativität der Mitarbeiter, bessere Lösungen für die Kun- den zu finden, gefördert werden kann.

Frage: Welche Faktoren sind generell für das Entstehen von Mitarbeiterstolz aus- schlaggebend und wie können Unternehmen positiv hierauf einwirken?

Prof. Gouthier: Selbstverständlich hat jedes Unternehmen eine andere Aus- gangsposition und muss daher auf unterschiedliche Prioritäten beim Auf- und Ausbau des Mitarbeiterstolzes achten. Dennoch gibt es einige Treiber des Mitar- beiterstolzes, auf die im Allgemeinen Wert gelegt werden sollte. Dazu gehört vor allem die Anerkennung der Beschäftigten. Anerkennung kann das Erleben von Stolz intensivieren, da ein Mitarbeiter beispielsweise durch eine Anerkennung seiner Leistungen das bestätigende Feedback erhält, dass er erfolgreich war. Wie die Gallup-Studien beweisen auch unsere Studien, dass in Unternehmen generell die Leistungen der Mitarbeiter und die Mitarbeiter an sich zu wenig Anerken- nung finden. Hierzu gehört auch, Erfolge entsprechend zu feiern. Heutzutage hetzen wir von einer Aufgabe zur nächsten, ohne innezuhalten und uns die Zeit zu nehmen, um den Moment des Erfolgs auf sich wirken zu lassen und diesen zu genießen.

Herausforderungen stellen eine weitere wesentliche Voraussetzung dar, um Mit- arbeiterstolz bis hin zur Mitarbeiterbegeisterung empfinden zu können. Auf eine Durchführung von sich stetig wiederholenden Aufgaben wird ein Mitarbeiter wohl kaum ein Gefühl des Stolzes empfinden können. Folglich müssen Ange- stellte immer wieder mit der Bewältigung neuartiger und herausfordernder Auf- gaben konfrontiert sein. Dazu bietet sich beispielsweise die Vergabe von Projekt- aufgaben an. Deren erfolgreiche Bewältigung löst bei den Mitarbeitern Stolz bis hin zur Begeisterung aus.

Schließlich kann ein Mitarbeiter Stolz nur dann empfinden, wenn er entspre- chend erfolgreiche Leistungen, sei es als Einzelperson, als Teammitglied oder als Teil des Unternehmens, vollbringt. Dazu gehört, dass er die erforderlichen Kompetenzen aufweist und durch das Unternehmen, die direkte Führungskraft und die Kollegen eine angemessene Unterstützung erfährt. Regelmäßige Feed- backgespräche zur Arbeitsleistung der Beschäftigten sind ein weiteres wichtiges Element. Wie soll ein Mitarbeiter auf seine Arbeitsleistung stolz sein und diese verbessern, wenn er gar nicht weiß, wie gut sie überhaupt ist? Die Unterstützung durch den Vorgesetzten und die Kollegen spielt somit eine zentrale Rolle, da von deren Seite Impulse, Feedback, Unterstützung und Anerkennung kommen.

270 Detecon International GmbH „Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element der Customer Experience“

Frage: Sie untersuchen das Konstrukt Mitarbeiterstolz bereits seit Längerem. Gibt es Veränderungen im Zeitverlauf bezüglich der Bedeutung aus Unterneh- menssicht – und auch aus Mitarbeitersicht selbst?

Prof. Gouthier: Es gibt immer voranschreitende Wellen der Aufmerksamkeit ge- genüber bestimmten Themen. So geraten bei einer Verschlechterung der Wirt- schaftslage für viele Unternehmen Sparzwänge und damit eine Kostenreduktion in den Fokus des Interesses. Zieht die Wirtschaftslage dagegen wieder an, spielen Innovationen eine gewichtigere Rolle. Bleiben Radikalinnovationen jedoch aus und ist der Markt durch vergleichsweise homogene Angebote geprägt, versu- chen Unternehmen sich durch eine höhere Kunden- und Serviceorientierung vom Wettbewerb zu differenzieren. Gerade heutzutage rücken damit Konzepte wie die der Empathie, der Begeisterung und des Stolzes in den Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses.

In Anbetracht des demografischen Wandels und der Herausforderung, auch in Zukunft genügend motivierte und qualifizierte Fachkräfte gewinnen zu kön- nen, werden Aspekte wie Mitarbeiterstolz und -begeisterung noch deutlich an Relevanz gewinnen. Arbeitnehmer aus der Generation Y werden verstärkt nach Arbeitgebern suchen, mit denen sie sich identifizieren können. Sie wünschen sich Arbeitsplätze, die sie nicht nur zufriedenstellen, sondern an denen sie sich selbst verwirklichen, an denen sie mit Begeisterung ihrer Tätigkeit nachgehen und letztlich Stolz auf ihre Tätigkeit und ihren Arbeitgeber empfinden können.

Frage: Studien zeigen, dass in Deutschland eher wenige Mitarbeiter stolz auf ihr Unternehmen sind. Nimmt die Kultur Einfluss auf den Mitarbeiterstolz? Haben Sie Vergleichswerte aus anderen Ländern?

Prof. Gouthier: Emotionen wie die des Mitarbeiterstolzes weisen immer auch eine kulturelle Note auf. Gerade wir Deutschen haben historisch bedingt eine gewisse Zurückhaltung, wenn es um das Thema Stolz geht. Solche Ressentiments waren jedoch, so meine persönliche Einschätzung, vor zehn Jahren noch sehr viel stärker ausgeprägt als heute. Dies trifft insbesondere auf die Frage des Mit- arbeiterstolzes zu. Dennoch gehen andere Nationen, etwa die US-Amerikaner, weitaus ungezwungener und vor allem offensiver mit dem Thema um. Organisa- tionsstolz gehört fast schon zur DNA US-amerikanischer Unternehmen. Wich- tig ist jedoch, dass solch eine emotional starke und intensive Angelegenheit wie Mitarbeiterstolz zur Landeskultur und jeweiligen Unternehmenskultur passen muss. Es bringt nichts oder richtet eher Schaden an, wenn versucht wird, Kon- zepte wie den Wal-Mart Cheer, der von Wal-Mart in den USA zur Einschwörung der Mitarbeiter auf das Unternehmen eingesetzt wird, eins zu eins auf andere

Detecon International GmbH 271 Interview

Länder zu übertragen. Der Versuch, den Wal-Mart Cheer in deutschen Wal- Mart-Niederlassungen anzuwenden, ist vor Jahren kläglich gescheitert.

Auf eine besondere Problematik möchte ich in diesem Kontext noch explizit hinweisen. Bei internationalen Studien zur Mitarbeiterzufriedenheit, zum Mitar- beiterengagement und zum Mitarbeiterstolz werden üblicherweise die (Mittel-) Werte über die Länder hinweg direkt miteinander verglichen und entsprechend interpretiert. Dies dürfte jedoch im Regelfall zu teilweise erheblichen Fehldeu- tungen führen, da es ein kulturell bedingtes unterschiedliches Antwortverhalten von Menschen gibt. Asiaten neigen eher dazu, neutrale Antworten zu geben, und kreuzen damit tendenziell vorrangig Werte in der Mitte einer Skala an. Sie vermeiden Extremantworten. Damit schneiden die Mittelwerte von Asiaten im Durchschnitt schlechter ab als die Antworten von US-Amerikanern, die mit ­Superlativen kaum Probleme haben. Internationale Studien zur Mitarbeiter- und auch zur Kundenzufriedenheit zeigen, dass Lateinamerikaner und US-Amerika- ner vergleichsweise hohe Werte aufweisen, Europäer sich im Mittelfeld bewegen und Asiaten eher unterdurchschnittliche Werte haben. Dies heißt jedoch nicht automatisch, dass die objektiven Arbeitsbedingungen oder die Qualität der Pro- dukte und Dienstleistungen auch tatsächlich schlechter sind. Zudem muss man sich bei der Auswertung bewusst sein, dass sich die mit einer Frage assoziierten Inhalte je nach kulturellem Hintergrund unterscheiden werden. Von daher ist es ratsam, solche Effekte bei der Interpretation von internationalen Vergleichs- studien entsprechend zu berücksichtigen, damit es nicht zu Fehldeutungen und damit falschen Managementempfehlungen kommt.

Frage: Was ist erforderlich, damit Customer Experience nach außen und Mit- arbeiterstolz nach innen keine temporär schwankenden, instabilen Phänomene bleiben, sondern sich zu einem konsistenten Kulturwert wandeln?

Prof. Gouthier: Grundvoraussetzung ist, dass die Geschäftsleitung von der Re- levanz dieses Themas überzeugt ist. Damit sollte der Aspekt des Mitarbeiter- stolzes idealerweise in den Grundsätzen des Unternehmens fixiert werden. Um die nachhaltige Verankerung in der Unternehmenskultur sicherzustellen, ist der Stolz der Mitarbeiter kontinuierlich zu messen. Dies dürfte vergleichsweise einfach realisierbar sein, da hierzu keine Sondererhebung notwendig sein wird, sondern es besteht die Möglichkeit, das Thema Mitarbeiterstolz in die reguläre Mitarbeiterbefragung zu integrieren. Das erfordert eine Analyse der wichtigsten Treiber und Barrieren zur Etablierung von Mitarbeiterstolz im Unternehmen. Daran anknüpfend lassen sich Instrumente entwickeln, die den Stolz der Mitar- beiter steigern. So kann beispielsweise kontinuierlich thematisiert werden, worauf die Mitarbeiter stolz sein können. Die Implementierung von Mitarbeiterstolz

272 Detecon International GmbH „Mitarbeiterstolz ist ein wichtiges Element der Customer Experience“

als konsistentem Kulturwert wird jedoch nicht kurzfristig durchzuführen sein, sondern bedarf eines längerfristigen Wandlungs- und Veränderungsprozesses in Unternehmen.

Frage: Können auch negative Effekte von Mitarbeiterstolz ausgehen? Und wo ­liegen die Grenzen des Einsatzes von Mitarbeiterstolz als Managementinstru- ment?

Prof. Gouthier: Negative Effekte können dann auftreten, wenn sich der Stolz in Hochmut wandelt. In diesem Fall, man spricht auch von Hybris, Arroganz oder negativem Stolz, hat dies durchaus nachteilige Auswirkungen auf die Kun- denwahrnehmung und das Unternehmensimage. Dementsprechend ist aus Un- ternehmensperspektive darauf zu achten, dass die Mitarbeiter über die Zeit hin- weg nicht arrogant und hochmütig gegenüber den Kunden auftreten. Hierfür empfiehlt es sich beispielsweise, ein Weiterbildungsprogramm zum Umgang mit Emotionen aufzusetzen, in dem solche Themen angesprochen werden und der Umgang mit Emotionen trainiert wird.

Dass dies durchaus ein relevantes Thema ist, welches seitens der Praxis adres- siert werden sollte, zeigt das Beispiel der Shangri-La-Hotelgruppe. Die Gruppe verfügt derzeit über 80 Luxushotels weltweit und hat sich die Mission gesetzt, ihre Kunden bei jedem Hotelaufenthalt zu begeistern. Hierzu benötigt sie nach eigenen Angaben hoch motivierte und innovative Mitarbeiter. Um diese kunden- und mitarbeiterbezogenen Ziele zu erreichen, setzt Shangri-La in ihrer Unterneh- menskultur auf die Etablierung von „Pride without Arrogance“. Entsprechend ist es für Shangri-La bedeutsam, dass die Mitarbeiter nach außen hin dezent auf­ treten, damit es nicht zu unliebsamen Wirkungen auf die Kundenwahrnehmung kommen kann.

Schließlich gilt Mitarbeiterstolz nicht als Allheilmittel. Da ein Mensch üblicher- weise nur auf besondere Leistungen Stolz empfindet, ist die Gestaltung des Mit- arbeiterstolzes nur dann von Interesse, wenn es um die Erreichung besonderer Ziele geht. Folglich spielt der Stolz bei der Ausübung von normalen Arbeits­ leistungen keine große Rolle.

Detecon International GmbH 273 Differenzierte Marktbearbeitung

Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

Andreas Penkert, Patrick Eberwein

> Für die kundenberatungsintensive Telekommunika­tionsbranche bedeuten Customer Self-Services im ­digitalen Zeitalter einen wichtigen Hebel, um gestiegene Erwartungen an einen permanent verfügbaren, einfachen und performanten Service kundenfokussiert, wettbewerbsfähig und wirtschaftlich zu bedienen.

> Aus Kundensicht ist das Self-Service-Angebot neben dem Preis und dem Produkt bereits zu einem wichtigen Entscheidungsfaktor für oder gegen einen Anbieter geworden.

> Die wesentlichen Kundenanforderungen an Self-Services – Einfachheit, Schnelligkeit sowie ­Sicherheit und ­Datenschutz – werden von den Telekommunikationsunter­nehmen aus Kundensicht noch nicht im gewünschten Maße umgesetzt.

> Ein kundenorientiertes, wirkungsvolles Self- Service-Portfolio ist kein losgelöster Baustein, sondern Bestandteil eines wertbasierten Multikanal-Kontaktmanagements. Kunden kommunizieren am liebsten einfach und schnell, aber auch variabel im Zugang.

274 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

Strategischer Hebel in Service und Vertrieb

Die großen Dienstleistungsbranchen erleben in den letzten Jahren einen tief greifenden Wandel. In überwiegend gesättigten Märkten stagnieren Umsatz und Wachstum. Die steigende „Commoditisierung“ von Produkten und Dienst­ leistungen sowie die zunehmende Standardisierung von Beschaffenheit und Funktionalitäten verlangen nach neuen Hebeln zur Positionierung und Diffe­ renzierung im Markt. In den Unternehmen wächst der Kostendruck, nicht zu­ letzt, um dem Umsatzrückgang entgegenzuwirken. Innovationsdruck wie auch erhöhte Aufwände für Kundenbindungs- und Retentionsmaßnahmen im Kampf um Neu- und Bestandskunden sind wesentliche Kostentreiber. Die Telekommu­ nikationsindustrie ist ein repräsentatives Beispiel dieser Entwicklung.

Die digitale Transformation treibt die nachhaltige Veränderung der Beziehung und Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunde voran. Sowohl das In­ ternet als auch die verbreitete Nutzung mobiler Endgeräte mit ihren vielfältigen technischen Möglichkeiten begründen die steigende Affinität der Verbraucher, Kaufvorhaben oder Serviceanliegen selbstständig und ohne zeitliche oder ört­ liche Einschränkungen über digitale Zugänge zu tätigen. Der moderne Kunden­ service muss sich aus Sicht der Kunden an Schnelligkeit, Mobilität, Flexibilität und Individualität messen lassen.1

Für die kundenberatungsintensive Telekommunikationsbranche bedeutet Auto­ matisierung von Vertrieb und Service in der Konsequenz, dass sich die Leistungs­ erstellung, -darbietung und -inanspruchnahme unumkehrbar transformieren. Webshops, Kunden-helfen-Kunden-Communities und Videoportale im Inter­ net oder in Form von Smartphone-Applikationen sind bereits Standard. Kunden können bei vielen Carriern in Bedienungs- oder Installationsfragen auf zahlreiche selbsterklärende Hilfevideos im eigenen YouTube-Kanal ihres Anbieters zugrei­ fen oder diese sogar als App herunterladen, etwa die mobile Handy-Hilfe bei der Deutschen Telekom. Auch Unternehmenspräsenzen in den sozialen Netzwer­ ken wie Facebook und Twitter spielen in der Kommunikation zwischen Unter­ nehmen und Kunden heute eine wichtige Rolle und stellen evidente Vertriebs- und Service-Touchpoints in den Kanallandschaften dar.2 Kunden der Detuschen Telekom können Serviceanliegen gleich über diverse Social-Media-Plattformen platzieren: Facebook, Twitter, verschiedene themenspezifische Service-Foren und eine eigene Feedback Community.

1 Simmet, Digitale Transformation im Kundenservice, http://hsimmet.com/2013. 2 Zendesk.com, The Zendesk Benchmark Q3/2013 – In Focus: Customer Satisfaction, 2013.

Detecon International GmbH 275 Differenzierte Marktbearbeitung

Benchmarks für innovative Geschäftsmodelle reiner E-Companies aus der Tele- kommunikationsindustrie wie die der MVNOs giffgaff (UK) oder Solavei (US) zeigen, dass die Entwicklungs- und Nutzungspotenziale von Self-Services in der Telekommunikationsbranche noch nicht vollends ausgeschöpft sind. Während Kunden bei giffgaff Aufgaben im Service und in der Produktentwicklung gegen Incentivierungsangebote zum Teil selbst übernehmen, sind Kunden von S­ olavei sogar vollständig für die Vertriebsaufgaben des US-amerikanischen Unter­ nehmens zuständig. Durch dieses Involvement können sich Bestandskunden über die Vermittlung von Neuabschlüssen sowohl die monatlichen Mobilfunk- kosten zurückverdienen als auch Bonifikationen von bis zu 20.000 US-Dollar erhalten.

Mit der Digitalisierung verlagern sich Bedürfnisse der Kunden – Ansprüche stei- gen und wechseln häufiger. Dank der vielseitigen digitalen Zugangs- und Infor- mationsmöglichkeiten kann sich der Kunde schneller und unabhängiger infor- mieren. Er gewinnt an Autonomie und konsumiert bei besseren Vergleichs- und Bewertungsmöglichkeiten dynamischer und selektiver.3 Er vergleicht Produkt­ eigenschaften oder Preise über das Internet, berät sich mit Freunden über ­soziale Netzwerke und bewertet Tarifleistungen oder Serviceangebote online in entspre- chenden Vergleichsportalen. Mit diesen digitalen Optionen kann der Kunde letztendlich stärker nach individuellen Präferenzen und sich aufgrund der verbes- serten Informationsdichte eher faktenbasiert für oder gegen einen bestimmten Anbieter entscheiden. In der Konsequenz kann das seine Wechsel­freudigkeit er- höhen und Loyalität zu einzelnen Marken abschwächen. Da er um die Möglich- keiten weiß, welche die digitale Transformation auch den Unternehmen bietet, erhöhen sich seine Erwartungen im Hinblick auf eine individualisierte Ansprache bei Marketingkampagnen ebenso wie im Service. Für die Dienstleistungsmärkte stellt sich die zentrale Herausforderung, komplexere, variablere Anforderungen ihrer tendenziell weniger loyalen Bestandskunden umzusetzen, den schwierigen Wettbewerb um neue Kunden zu gewinnen und diese langfristig zu binden.

Wenn eine Differenzierung über Produkte, Preis und Kernleistungen nicht mehr möglich ist, weil diese sich zwischen verschiedenen Konkurrenten angleichen, fällt die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg heute mehr denn je zum un- mittelbaren Zeitpunkt, zu dem ein Kunde mit Produkten und Dienstleistungen eines Carriers in Berührung kommt. „Moments of Truth“ können eine Kun- denbeziehung positiv intensivieren, aber auch nachhaltig negativ beeinflussen. Das Interagieren an den Kontaktpunkten mit dem Kunden wird zu einem we-

3 Wirtz, Multi-Channel-Marketing. Grundlagen – Instrumente – Prozesse, 2008.

276 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

sentlichen erfolgskritischen Differenzierungsfaktor im Wettbewerb. Die digitale Transformation hat das Spektrum der Kundenkommunikation an den Touch- points, an denen Kundenerlebnisse – die „Momente der Wahrheit“ – maßgeblich entstehen, wegweisend erweitert.4

Kennzeichnend für Self-Services ist nicht die Interaktion zwischen Kunde und Mitarbeiter, sondern zwischen Kunde und Unternehmen mithilfe von Techno- logien als Enabler. Der Kunde ist nicht mehr bloß passiver Empfänger, sondern wandelt sich zum aktiv Handelnden, indem er in die eigentliche Leistungser- bringung sowie in die Marketing-, Sales- und Serviceprozesse direkt involviert wird. Durch die Automatisierung haben Kunden als „Co-Produzenten“ die Möglichkeit, die gewünschten Geschäftsprozesse eigenständig anzustoßen und selbst mitzugestalten. Carrier stellen Portale oder Applikationen als intelligente Self-Service-Lösungen bereit, über die Kunden Sales- und Serviceanliegen wie Tarif-Updates in laufenden Mobilfunkverträgen oder die Buchung eines Musik- Streamdienstes als zusätzliche Leistungsoption selbstständig durchführen. Self- Services bieten die wichtige Chance, den kontinuierlichen Verbesserungsprozess durch Feedbackmanagement in Chats, Blogs und Bewertungen von Produkten und Services in Echtzeit zu sichern und Kunden an Verbesserungen teilhaben zu lassen. Die Telekommunikationsindustrie kann hierüber wertvolle Informatio- nen zur Produktentwicklung und Optimierung der Services erhalten. Carrier wie die Deutsche Telekom realisieren das bereits über ihre Social-Media-Kanäle und gesonderten Feedback Communities.

Detecon-Studie bestätigt immense Bedeutung von Customer Self-Services

Die Wahrnehmung, Bedeutung und Erwartungshaltung gegenüber Self-Services hat Detecon in einer Studie sowohl aus Kunden- als auch Unternehmenssicht empirisch analysiert.5 Befragt wurden rund 450 Konsumenten und 90 Unter- nehmen aus den fünf Kernbranchen Telekommunikation, Energieversorgung, E- Commerce, Banken und Verkehrsbetriebe. Die Ergebnisse machen eines sofort deutlich: Kunden sehen Self-Services – nach Preis und Produktbeschaffenheit – als bedeutenden Entscheidungsfaktor für oder gegen einen Carrier. Im branchen- übergreifenden Vergleich von Kunden- und Unternehmenssicht bezüglich Ein- satz und Ausgestaltung von Self-Services zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Sektoren, zum Beispiel bei der Bewertung der positiven Customer Experience oder dem Stellenwert der Datensicherheit. Unternehmen haben die Aufgabe, die existierenden Diskrepanzen zwischen Erwartung und Umsetzung

4 Zendesk.com, The Zendesk Benchmark Q3/2013 – In Focus: Customer Satisfaction, 2013. 5 Penkert/Eberwein/Salma, Customer Self-Services, Detecon Studie 2014.

Detecon International GmbH 277 Differenzierte Marktbearbeitung

zu schließen. Das bedeutet nicht weniger, als bestehende Kanäle und Anwen- dungen konsequent durch die Kundenbrille zu analysieren und sich auf wesent- liche Kernanforderungen in der Realisierung zu fokussieren. Gelingt dies, können Self-Services die strategische Brücke bilden, um gestiegene Kundenerwartungen unter Einhaltung ambitionierter Effizienzziele erfolgreicher zu erfüllen.

Self-Services werden positiv wahrgenommen

Self-Services werden in der Telekommunikationsbranche überwiegend positiv wahrgenommen. Zwar betrachten Kunden vorrangig unternehmerische Ziele wie Reduzierung von Kosten und Standardisierung von Kundenkontakten oder den Eigennutzen der Unternehmen als ausschlaggebende Implementierungstr­ eiber aufseiten der Carrier. Rund 75 Prozent der Kunden in der Telekommunika­ tionsbranche nehmen jedoch Self-Services als positiv wahr, unabhängig vom ­Alter.

Self-Services stellen für den Kunden eine wichtige Entscheidungskomponente dar. Über die Hälfte (53 Prozent) der befragten Personen wählen ihren Tele- kommunikationsanbieter neben dem Preis und den Produkteigenschaften auch nach dem Angebot an Self-Services aus. Kunden erkennen folglich die Vorteile automatisierter Verkaufs- und Serviceprozesse, beispielsweise einer orts- und zei- tunabhängigen Verfügbarkeit, und nutzen diese bereitwillig.

Bei grundsätzlich hoher Zustimmung zu Self-Services stellt sich die Frage, inwie- weit die Bedeutung des persönlichen Kundenservice in der beratungsintensiven Telekommunikationsbranche von der fortschreitenden Automatisierung beein- flusst wird.

Trotz der kundenseitigen Forderung nach intelligenten Self-Service-Lösungen wird ein persönlicher Kundenservice auch zukünftig in einem ganzheitlichen Multikanalmanagement der Carrier eine tragende Rolle spielen. Knapp 76 Pro- zent beurteilen einen persönlichen Kundenservice in der Telekommunikations- branche vor allem bei komplexeren Anliegen auf 2nd- oder 3rd-Level-Niveau als wichtig. Folglich müssen Unternehmen im Rahmen eines konsistenten Multi- kanalmanagements die Schnittstellen digitaler und persönlicher Kontaktkanäle integrieren.6 Best Practices, beispielsweise aus dem Self-Service „heraus“ nahtlos einen persönlichen Kontakt durch „Click-To-Call-Back“ oder „Co-Browsing“ zum Service herzustellen, finden sich bereits branchenübergreifend.

6 Vgl. Aumann, Marketing und Sales: Total Turnaround, S. 234 ff. in diesem Band.

278 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

Einfachheit, Sicherheit und Schnelligkeit sind Kunden am wichtigsten

Self-Services sind in der Telekommunikationsbranche State-of-the-Art und wer- den von Kunden als zeitgemäßes Element vorausgesetzt. Entscheidend ist für Carrier, Self-Services auf die tatsächlichen Kundenanforderungen auszurichten. Grundsätzlich wünschen Kunden – in Anlehnung an die Erkenntnis „The Best Service is no Service“7 – zunächst einmal gar keinen Service, sondern selbsterklä- rende, leistungsfähige und zuverlässige Produkte sowie Prozesse, die einen Ser- vicefall im Idealfall ausschließen.8 Besteht dennoch ein Grund, seinen Telekom- munikationsanbieter zu kontaktieren, ist die Verfügbarkeit von einfachen und übersichtlichen (85 Prozent Zustimmung) sowie sicheren (69 Prozent Zustim- mung) Self-Services gefordert. Aspekte wie Attraktivität und Design (2 Prozent) der Anwendung oder Funktionsvielfalt (3 Prozent) werden hingegen eher nach- rangig gesehen.9 Kunden fordern bei Self-Services Kernfunktionen wie Filter- und Vergleichsoptionen, Kundenkonten oder Apps, welche die Sicherstellung eines einfachen, übersichtlichen und flexiblen Self-Service-Prozesses unterstüt- zen. Diese Feststellungen bleiben auch unter Berücksichtigung der Nutzungs- häufigkeit oder des Alters bestehen.

Das Ergebnis lässt die Interpretation zu, dass ein positives Kundenerlebnis, also der erfolgreiche Moment of Truth, bei Self-Services in erster Linie durch eine ein- fach zu bedienende, übersichtliche und sichere Anwendung sowie einen schnel- len Prozessdurchlauf erzeugt wird.10 Dies richtet auch ein besonderes Augenmerk auf die IT als Enabler von Self-Services auf Unternehmensebene. Übersetzt in technische Grundanforderungen bedeutet es, dass „Zero-Touch“-Kundeninter- aktion selbsterklärend, ohne Medienbrüche und ohne Barrieren implementiert sein muss. Self-Services sollten idealerweise auf identischen Prozessen und Sys- temen aufbauen, welche die Mitarbeiter in der Kundeninteraktion verwenden, um kohärent Kundenwünsche zu bedienen. Kunden erwarten eine konsistente Betreuung und Bearbeitung ihrer Anliegen über jeden Touchpoint hinweg und nutzen für eine Transaktion den Kanal, der ihnen zur Erreichung des Ziels am effizientesten erscheint.11

7 Price/Jaffe, The Best Service is no Service, 2008. 8 Vgl. Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff. in diesem Band 9 Die niedrige Bewertung des Aspekts Design/Attraktivität lässt sich unter anderem durch eine statistische Korrelation zwischen dem top bewerteten Item Einfachheit und übersichtliche Bedienung und dem Thema Design erklären. 10 Corporate Executive Boards haben festgestellt, dass Einfachheit und schlanke Prozesse vor allem dann positive kundenbindende Auswirkungen haben, wenn sie dem Kunden ein Erlebnis von Aufwandsreduzierung schaffen: „Shifting the Loyalty Curve. Mitigating Disloyalty by Reducing Customer Effort“, CEB, 2010. 11 Vgl. Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff. in diesem Band

Detecon International GmbH 279 Differenzierte Marktbearbeitung

Carrier setzen Kundenanforderungen noch nicht vollständig um

Die Realität der Telekommunikationsbranche zeigt, dass in der Umsetzung von Self-Services in Bezug auf die vorgenannten Kernanforderungen aus Kundensicht noch Verbesserungspotenziale bestehen. Kunden sehen, nach Schulnoten von 1 bis 5 bewertet, die Bedienung von Self-Services lediglich als bedingt ­einfach (Note = 2,73) und komfortabel (Note = 2,74) an, den Datenschutz (N­ = 3,47) sowie die Transparenz und Kontrolle (Note = 3,17) als befriedigend.

Auch bei Aspekten, die von Kunden eher nachrangig als wichtig empfunden werden, gibt es Verbesserungspotenziale. Das zeigt sich unter anderem bei der Individualisierung von Self-Services: Sie ist aus Kundensicht keine Primäranfor- derung und wird in der Umsetzung nur mit 3,64 bewertet.

Die Auswirkungen dieser noch ausbaufähigen Umsetzung zeichnen sich ab. Nur weniger als die Hälfte (42 Prozent) der Kunden empfindet bei der Nutzung von Self-Services ihres Telekommunikationsanbieters derzeit spürbar positive Erleb- nisse. Zwar haben Kunden, die Self-Services mehrmals die Woche nutzen, ten- denziell häufiger positive Erlebnisse, jedoch ist das nicht repräsentativ für den Durchschnittsnutzer. Die vorhandenen Self-Services konsequent aus Kunden- perspektive zu analysieren scheint insbesondere unter Berücksichtigung der noch bestehenden Entwicklungspotenziale für Carrier nützlich und wertsteigernd.

Abbildung 1: Basisanforderungen an Self-Services und Bewertung aus Kundensicht

Self-Services sollten aus Kunden bewerten die Umsetzung = Funktional Kundensicht einfach der Self-Service-Eigenschaften = Emotional und sicher sein! nur durchschnittlich! = Sicherheit Einfachheit & 85% Angabe in Übersichtlichkeit Schulnoten 3,19 3,64 3,47 3,58 3,17 3,02 Datenschutz 69% 2,73 2,74 2,74

Transparenz 46% & Kontrolle

Schnelligkeit & Komfort 46% Design Interaktive Beteiligung & Komfort Funktionen Transparenz Anwendung & Kontrolle Datenschutz Stabilität der Stabilität Schnelligkeit Verschiedene Attraktivität/

Stabilität der der Angebote Einfachheit & Einfachheit Anwendung 26% Customization Übersichtlichkeit

Quelle: Detecon

280 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

Die eingangs aufgezeigten Benchmarks der MVNOs giffgaff und Solavei deuten an, dass die digitale Transformation weitaus größere Möglichkeiten als die bloße Selbstadministration und eigenständige Durchführung von Kauf- und Service- transaktionen bietet. Kunden sind grundsätzlich dazu bereit, fast alle Anliegen entlang des Kaufprozesses durch die Nutzung von Self-Services auszuführen. Neben dem Verfügbarkeitscheck (84 Prozent), der Bestellung und Aktivierung (72 Prozent) oder der Zahlung (72 Prozent) zählt hierzu ebenso die Einbindung in komplexere Prozesse wie Reklamationen (57 Prozent) oder Beschwerden (46 Prozent) im Rahmen des Feedbackmanagements. Neben einfachen und sicheren Prozessen ist für eine Nutzung dieser Potenziale wichtig, über welche Endgeräte Kunden Self-Services nutzen können.

Nach dem favorisierten Desktop oder Notebook (96 Prozent) gehören auch Smartphones (88 Prozent) und Tablets (50 Prozent) zu den präferierten End- geräten. Die Bedeutung mobiler Endgeräte steht in positivem Zusammenhang mit der Nutzungshäufigkeit: Je häufiger Kunden automatisierte Sales- oder Ser- viceleistungen von Carriern nutzen, desto mehr erhöht sich die Bereitschaft oder der Wunsch zur Verwendung von Self-Services über Smartphones und Tablets. Ein sensibler Aspekt bei der mobilen Nutzung ist das Thema Datensicherheit. Aus Sicht der Kunden besteht hinsichtlich der Sicherheit mobiler Applikationen Nachholbedarf. Laut dem Marktforschungsunternehmen Juniper Research12 schenken lediglich 15 Prozent der befragten Kunden mobilen Endgeräten volles Vertrauen und geben die persönlichen Daten in Apps an.

Unternehmensperspektive: Kundenzufriedenheit und Kostensenkung

Die erfolgskritische Bedeutung von Self-Services wurde aufseiten der Telekom- munikationsunternehmen grundsätzlich erkannt. Es überrascht deshalb nicht, dass Self-Services aus Sicht der Carrier mit nahezu hundertprozentiger Zustim- mung positiv wahrgenommen werden und die Sicht der Kunden, die darin ­einen wichtigen Entscheidungsfaktor für oder gegen einen Anbieter sehen (53 Prozent), deutlich bestätigen (61 Prozent). Anders als die Kunden sehen Tele- kommunikationsunternehmen jedoch die Auslöser ihrer Self-Service-Aktivitäten verstärkt auf der Kundenseite. Die Erhöhung der Kundenzufriedenheit (100 Prozent Zustimmung) wird noch vor der Reduzierung von Kosten (95 Prozent Zustimmung) als das häufigste Ziel eines Self-Service Investments genannt. Die Kundenorientierung stellt aus Unternehmenssicht also einen wesentlichen Trei- ber dar.

12 Juniper Research, Trusted-Mobility-Index, 2012.

Detecon International GmbH 281 Differenzierte Marktbearbeitung

Offen bleibt die Frage, ob Carrier die richtigen Vorstellungen für eine kundenfo- kussierte Ausgestaltung der Self-Services besitzen. Beide Seiten – Unternehmen wie Kunden – sind sich hinsichtlich der Prioritäten einig: Funktionale Aspekte wie Einfachheit, Übersichtlichkeit und Schnelligkeit werden betont. Was auf den ersten Blick grundsätzlich übereinstimmend erscheint, erweist sich beim Vergleich von Kunden- und Unternehmenssicht jedoch als nicht unkritisch ver- schieden. Während Kunden vor allem den Datenschutz am stärksten bemängeln und diesen als zweitwichtigste Basisanforderung sehen, misst nur weniger als die Hälfte der befragten Carrier (40 Prozent) diesem eine hohe Bedeutung zu.

Auch wenn sicherheitsbezogene Eigenschaften im Hintergrund agierende Fak- toren darstellen, nehmen sie in Zeiten von Datenschutzskandalen eine umso be- deutendere Rolle ein. Demnach wäre es für Carrier wichtig, neben einfach und logisch aufgebauten Self-Service-Prozessen ebenso verstärkt auf die Aspekte der Sicherheit zu achten und diese präsenter aufzuzeigen. Diese Divergenzen spiegeln sich ebenso in den Unterschieden bei der Einschätzung der Kundenerlebnisse ­wider. Während Self-Services für Kunden (noch) nicht die erwartete Unterstüt- zung darstellen (42 Prozent Zustimmung), bewerten Telekommunikationsunter- nehmen die Kundenerlebnisse als deutlich positiver (82 Prozent Zustimmung).

Self-Services helfen, Kunden zu binden und die Effizienz zu steigern

Self-Services können, wenn sie denn konsequent kundenfokussiert ausgestaltet sind und funktionale Kernanforderungen wie Einfachheit und Übersichtlichkeit, Sicherheit und Schnelligkeit erfüllen, positive Kundenerlebnisse erzeugen und loyalitätswirksam werden. Doch mit welchen Auswirkungen können Carrier aus ökonomischer Perspektive kalkulieren?

Die Möglichkeit einer Entlastung traditioneller, ressourcenbindender Touch- points durch digitalisierte Serviceanbindungen hat für Carrier einen maßgeb- lichen wirtschaftlichen Einfluss. In der Telekommunikationsbranche wird in den nächsten ein bis zwei Jahren mit Einsparungen von bis zu 15 Prozent bei Vertriebs- und Servicekosten und Verlagerungspotenzialen bestehender Kunden- kontakte auf bis zu 20 Prozent kalkuliert. Zusätzliche Umsatzimpulse von bis zu 10 Prozent aus den Self-Service-Kanälen erwarten Carrier hingegen in diesem Zeithorizont. Eine eher zurückhaltende Einschätzung erscheint vor dem Hinter- grund zu erwartender Kannibalisierungseffekte zwischen den Kanälen zwangs- läufig logisch.

282 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

Als strategisches Self-Service-Ziel von Carriern könnten folglich die Erreichung konstanter Umsätze bei einer Steigerung der Kundenzufriedenheit und die gleichzeitige Reduzierung der Kosten durch die Automatisierung der Kunden- prozesse gelten.

Kunden digital überzeugen

Mittlerweile existiert altersunabhängig eine mehr als relevante Zielgruppe, die den digitalen Kontakt dem persönlichen vorzieht. Die quantitative und quali- tative Ausgestaltung von Self-Services nimmt daher eine bedeutende Rolle im Entscheidungsprozess der Kunden für oder gegen einen Carrier ein.

Mit Blick auf das Was? bei Self-Services decken Unternehmen in der Telekom- munikationsbranche bereits marktübliche Multikanalanforderungen ab. Eine Basis ist damit geschaffen. Für eine konsequent kundenfokussierte Ausgestaltung im Sinne spürbarer positiver Kundenbindungseffekte spielt es darüber hinaus eine wichtige Rolle, auch das Wie? weiter zu optimieren. Self-Services sollten in erster Linie performant funktionieren und eine einfache sowie sichere Nut- zung erlauben. Das bezieht sowohl die Nutzeroberfläche als auch die dahinterlie- genden IT-Prozesse mit ein. Die empirischen Ergebnisse der Studie zeigen, dass dies noch nicht durchgängig der Fall ist. Die unternehmerischen Umsetzungen von Einfachheit in der Bedienung, von Schnelligkeit und Datenschutz werden kundenseitig noch nicht als voll zufriedenstellend bewertet. Um diesbezüglich aktiv gegenzusteuern und Kunden mit Self-Services nachhaltig überzeugen zu können, müssen Telekommunikationsanbieter das Delta hinsichtlich der Erwar- tungen, wie Self-Services realisiert werden sollten, und des Aspekts, wie diese aktuell angeboten werden – Servicekomponenten, empfundenes Kundenerlebnis oder Kombination von Self-Services und persönlichen Kundenservices –, voll- ständig schließen.

Handlungsempfehlungen: Analysieren, Eliminieren, Automatisieren, Erweitern

Auf Basis der empirischen Erkenntnisse ergibt sich ein Set aus Handlungsemp- fehlungen. Der erforderliche Fokus auf ein kundenorientiertes, wirkungsvolles Self-Service-Portfolio ist kein losgelöster Baustein, den Unternehmen als isolierte strategische oder technische Maßnahme betrachten können. Kunden kommuni- zieren am liebsten einfach und schnell, aber auch variabel im Zugang – es geht

Detecon International GmbH 283 Differenzierte Marktbearbeitung

grundsätzlich um eine Multikanalsicht. Unterschiedliche Kundenkontakte treten an den verschiedensten Touchpoints auf.

Um das Spannungsfeld zwischen zufriedenen, loyalen Kunden einerseits und ambitionierten Kostenzielen andererseits teilweise aufzulösen, empfiehlt es sich, das Kundenkontaktmanagement wertbasiert anzulegen. Die Geschäftsvorfälle des Kunden sind sehr vielfältig und individuell – und von unterschiedlichem Wert für das Unternehmen und den Kunden selbst. Die wertorientierte Betrach- tung muss deshalb ausdrücklich beide Perspektiven einbeziehen. Der auf Ba- sis des Werthaltigkeitsprinzips entwickelte Kundenkontaktmanagement-Ansatz teilt sich in vier Umsetzungsphasen und fokussiert die digitale Transformation als wichtige Leitplanke innerhalb des Konzepts.

Phase 1: Analyse und wertbasierte Klassifizierung der Kontaktarten (Geschäftsvorfälle)

Zentrale Bestandteile einer wertorientierten Ausrichtung des Kundenservice sind eine differenzierende Analyse und Einordnung werthaltiger und wertloser Kun-

Abbildung 2: Kontaktmanagementstrategie

Phase 1: Phase 2: Phase 3: Phase 4: Analyse Reduktion Automation Erweiterung

Analyse und Eliminierung Kontaktverlagerung Erweiterung des Kategorisierung nicht-werthaltiger in den Kundenverkehrs im aller Kunden­ Kontakte Self-Service-Kanal E-Channel kontakte

Quelle: Detecon

284 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

denkontakte. Werthaltig ist nach Kundenperspektive und Unternehmenssicht zu unterscheiden. Für jede Kategorie empfiehlt sich ein spezifischer strategischer Umgang mit den betreffenden Geschäftsvorfällen. Die wesentlichen Zieldimen- sionen im Kontakthandling umfassen Kundenerlebnis und Kundenzufriedenheit sowie Kosteneffizienz. Beide Faktoren im Einklang zu halten ist die übergeord- nete Prämisse des wertorientierten Kontaktmanagements. Zu unterscheiden sind Geschäftsvorfälle nach vier verschiedenen Wertkategorien.

1. Wertlos für Unternehmen und Kunde: Kundenanliegen, die sowohl für den Kunden als auch das Unternehmen keinerlei Wert stiften, bedeuten Kostenin- vest ohne ROI. Beim Kunden führen sie zu Verärgerung und Unzufriedenheit, die zum Beispiel aus überproportionalem Abb Wiederholungskontakte zu einem bereits früher mitgeteilten Serviceanliegen oder mehrmals auftretende (Produkt-) Leistungs- und Prozessstörungen.

2. Werthaltig für den Kunden und wertlos für das Unternehmen: Für den Kunden ist ein Kontakt werthaltig, wenn er einen unmittelbaren Nutzen daraus ziehen kann, ohne dass es für ihn überproportional Zeit und Aufwand erfordert. Ein solcher Wert kann in sofort erhaltener Hilfe zu einem funktionalen Problem mit einem Leistungsprozess oder einem Produkt liegen. Oder aber in einem Lern- effekt, der dem Kunden dauerhaft bestimmte Prozessschritte vereinfacht oder Aufwand reduziert. Handelt es sich dabei um wiederkehrende Standardfragen, beinhalten sie kaum Wertpotenzial für das Unternehmen, weil es um die Erfül- lung und Sicherstellung einer Kernleistung geht, die weder signifikant positiven Einfluss auf die Loyalität hat noch nennenswerte Upselling-Optionen bietet.

3. Werthaltig für Unternehmen und wertlos für den Kunden: Kontakte mit ein- seitigem Wertpotenzial für das Unternehmen sind kompliziertere Bedienungs- prozesse, die für den Kunden unverständlich sind und deshalb zur Leistungsbe- einträchtigung führen, oder sonstige Beschwerden zu einem umfangreicheren, spezifizierten Sachverhalt. Als Beispiel sei hier die nicht funktionierende Inbe- triebnahme eines Internetrouters bei Neuanschluss genannt. Das Wertpotenzial für das Unternehmen liegt in der Chance, einen solchen Fall auf überzeugende Weise im Sinne des Kunden nachhaltig zu lösen, weiterhin in wertvollem Kun- denfeedback, welches auf Unternehmensseite zur kontinuierlichen Verbesserung und mittelbar zur Kostenoptimierung genutzt werden kann.

Detecon International GmbH 285 Differenzierte Marktbearbeitung

4. Werthaltig für Kunde und Unternehmen: Kontakte, die sowohl für Kunden als auch Unternehmen wertvoll sind, sind ein Glücksfall, denn sie schaffen eine Win-win-Situation. Es handelt sich um Fälle, in denen Kunden sich intensiv zu neuen Produkten oder einer Erweiterung eines bereits erworbenen Produkts beraten lassen. Der Kunde hat eine direkte oder indirekte Kaufabsicht. Für das Unternehmen bestehen sowohl Umsatzchancen als auch Möglichkeiten der Kundenwertsteigerung. Die Kunden selbst profitieren von einer besonderen Aufmerksamkeit und personalisierten Ansprache, die ihnen seitens eines Unter- nehmens zuteilwird. Das Unternehmen profitiert von konkreten Absatzchancen und Möglichkeiten, Kundenerlebnisse im persönlichen exklusiven Kontakt zu schaffen. Werte aus Kundensicht sind in diesem Kontaktsegment vorrangig Be- lohnung der eigenen Loyalität, persönliche Wertschätzung und Geldersparnis durch besondere Angebote. Für die Kontakte der Kategorie 4 empfiehlt sich ein Handling nach der ­Devise „in der persönlichen Kommunikation bewahren, pflegen und ausbauen“. In der Kontaktkategorie 3 geht der Hebel stark über Prozessoptimierung und Geschäftsfalloptimierung. Durch den Fokus auf Automatisierung und digitale Transformation konzentrieren sich die weiteren Ausführungen auf die in diesem Zusammenhang relevanten Kontaktklassen 1 und 2.

Abbildung 3: Wertorientierte Kundenkontaktmatrix

Vereinfachen, Nutzen, Werthaltig Verbessern Ausschöpfen „Lernen“, Kosten senken, grundlegender und mehr Zeit Ümsätze steigern Abläufe investieren

Eliminieren Automatisieren Nichtwerthaltig Unerwünschte Interaktion durch Ursachen­ eChannel, IVR, analyse und etc. nternehmenssicht -behebung U

Nichtwerthaltig Werthaltig Unerwünschte Inter- Spart Geld, bekommt aktion Hilfe und Beratung

Kundensicht

Quelle: Detecon

286 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

Phase 2: Identifikation und Eliminierung nicht werthaltiger Kontakte

Ziel dieser Phase ist die Implementierung einer Analytik, um die nicht werthal- tigen Kontakte der Kategorie 1 zu identifizieren und zu eliminieren oder deutlich zu reduzieren. Sind die wesentlichen nicht werthaltigen Kontaktarten identifi- ziert, setzt eine Eliminierung zunächst kurzfristig an der Erstlösungskompetenz und -quote im Kundenservice an: Worin liegen die Gründe und Ursachen, wenn bestimmte Anliegen nicht im Erstkontakt gelöst werden können und Folgekon- takte produzieren? Im zweiten Schritt werden Ursachen auf Ebene der dahin- terliegenden Kernleistungsprozesse und -funktionen beseitigt. Eine langfristig erfolgreiche Reduktion nicht werthaltiger Kundenkontakte verlangt oft Prozess- optimierungen grundlegender Art, manchmal aber auch nur kleine Änderungen wie die Anpassung einer missverständlichen Benennung von Rechnungsposten.

Phase 3: Automatisierung und Kontaktverlagerung in Self-Service-Kanäle

Die dritte Phase zielt auf die Ausgestaltung der Kundenkontaktverlagerung in die Self-Service-Kanäle. Die Prozessierung über einen Self-Service-Kanal stellt einen Lösungsansatz insbesondere für die Kontaktkategorie 2 dar. Der Kunde löst sein Anliegen selbst – und zeitoptimiert –, das Unternehmen muss dafür keine Serviceressourcen binden und spart Kosten. Zudem gilt es anschließend, die Verlagerung durch Vertrauens- und Feedbackmanagement zu stabilisieren.

1. Definieren von Ablaufszenarien für potenzielle Kundenkontaktverlagerungen (Use Case wie zum Beispiel SMS-Messaging oder IVR, die auf Self-Services hinweisen). 2. Entwickeln eines Migrationsplans: Welche Kampagnen schalten wir? Wie können wir Kunden für den Transfer incentivieren? Welche Lösungen bieten wir an? 3. Kompensieren möglicher Verluste von Inbound-Umsätzen, beispielsweise durch einen stärkeren Fokus auf Outbound-Kampagnen in der Verlagerungsphase. 4. Nutzen von Zertifikaten für Datensicherheit und Transparenz bei der Datensammlung. 5. Entwickeln eines intelligenten und verknüpften Kundendatenmanagements 6. Integrieren von Kunden in die Geschäftsprozesse und aktives Nutzen von Feedback für die Verbesserung und Entwicklung der Produkte sowie Services.

Detecon International GmbH 287 Differenzierte Marktbearbeitung

Die Detecon-Studie zeigt, dass Kunden von Self-Services eine einfache und übersichtliche Bedienung, klare Erfüllung von Datenschutz- und Sicherheitsvor- gaben sowie Schnelligkeit erwarten. Zusätzlich müssen für verschiedene Kun- densegmente gleichzeitig mehrere Kanäle verfügbar sein. Eine übergreifende Sicht kann nur durch einheitliche Informationshaltung und transparente tech- nische Prozesse im Hintergrund sichergestellt werden. Zu berücksichtigen ist, dass Kunden während der digitalen Interaktion möglicherweise sogenanntes Channel-­Hopping betreiben. Durch übergreifendes Session Handling und User Management können Anwendungen dies kanalübergreifend unterstützen. Sämt- liche Anwendungen bergen dabei die Basisanforderung, äußerst fehlerresistent und robust zu sein.13

Phase 4: Erhöhung des Kontakt-Traffics im Self-Service

In der vierten Phase legen Carrier den Fokus darauf, den Kundenverkehr im E-Kanal durch Entwicklung und Verstärkung positiver Kundenerlebnisse zu er- höhen:

1. Identifizieren und Analysieren von Bedürfnissen und Wünschen der Zielgruppe

2. Individualisieren der Produkte, Services und Informationen

3. Unterstützen der Anwendungen durch Filter- oder Vergleichsfunktionen

4. Erhöhen der Usability durch eine intuitive und selbsterklärende Navigation

5. Einsetzen von Peer-to-Peer-Communities und dazu passende Incentive-Pläne, um die Kundenintegration zu fördern

Die Transformation zur „Self-Service-Company“ stellt einen mittel- bis lang- fristigen Weg dar. Insbesondere der Prozess, den Kunden für die Nutzung zu sensibilisieren, will wohl durchdacht und systematisch angegangen werden. Ob das Ziel eine hundertprozentige E-Company ist oder ein Self-Service-orien- tiertes Multikanalkonzept, hängt nicht nur von der Branche, sondern ebenso von der Zielgruppe, dem Wettbewerbsumfeld und der eigenen Unternehmens­

13 Vgl. Roos, CSS: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung, S. 290 ff. in diesem Band

288 Detecon International GmbH Customer Self-Services: Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung

philosophie ab. Für die Telekommunikationsbranche wird sich aufgrund ihrer zum Teil komplexen Tarifstrukturen sowie Produkt- und Leistungsvielfalt ein eher konvergenter Self-Service-Mix mit der Option einer persönlichen Bera- tung für komplizierte Kundenfragen empfehlen. Unabhängig von Intensität und Form, in der Carrier die aufgezeigten Handlungsempfehlungen umsetzen: Je komplexer und unübersichtlicher das Geschäft ist, desto behutsamer sollten sie Kunden im Transformationsprozess mitnehmen und an die neue, digitalisierte Servicewelt heranführen.

Detecon International GmbH 289 Agilität in Prozessen und IT

Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Steffen Roos

> Zukunftsfähige Self-Services-Architekturen müssen als servicebasierte Multi-Layer-Architektur aufgesetzt werden, in deren einzelnen Schichten jeweils spezifische Fähigkeiten ausgeprägt sind. Die Architektur ist modular aus wiederverwertbaren Services mit offenen Interfaces aufzubauen.

> Bereitstellung und Verteilung der Self-Services in die Kanäle erfolgt abstrahiert über eine eigene Schicht.

> Spezifische Querschnittfunktionen sind als eigene Services auszulagern, welche als Core Services alle zentral genutzten Services und Anforderungen an die Self-Services-Infrastruktur zusammenfassen.

> Der Zugriff auf die Daten muss über eine einheitliche Integrationsschicht organisiert werden.

> Übergreifendes, konsistentes und kohärentes Datenmanagement ist zwingende Voraussetzung für das Funktionieren einer übergreifenden Self-Services-Architektur.

290 Detecon International GmbH Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Anforderungen an einen nahtlosen Self-Service

Customer Self-Service ist ein Megatrend in allen Industrien, den die Digitalisie- rung entlang der Wertschöpfungsketten kontinuierlich vorantreibt. Digitalisierte Self-Services haben ihren Weg sowohl in die Geschäftskunden- als auch in die Privatkundensysteme der Telekommunikation gefunden.1 Die Implementierung von integrierten und konsistenten Self-Services über alle digitalen Kanäle hinweg sowie deren Bereitstellung für den stationären Handel, Direktvertrieb, Callcenter oder den technischen Service bedürfen einiger Anpassungen in der klassischen BSS- und OSS-Architektur auf dem Weg zu einer Architektur, welche „Zero- Touch“-Kundeninteraktion auf verschiedenen Kanälen ermöglicht.

„Zero-Touch“-Kundeninteraktion muss selbsterklärend, ohne Medienbrüche und ohne Barrieren implementiert sein. Die Self-Services müssen auf identischen Prozessen und Systemen aufsetzen, welche die Mitarbeiter in der Kundeninterak- tion verwenden, um kohärent Kundenwünsche zu bedienen. Kunden erwarten eine konsistente Betreuung und Bearbeitung ihrer Anliegen über jeden Touch- point hinweg und nutzen für eine Transaktion den Kanal, der ihnen zur Errei- chung des Ziels am effizientesten erscheint. Eine Detecon-Studie2 hat gezeigt, dass Kunden von Self-Services eine einfache und übersichtliche Bedienung, klare Erfüllung von Datenschutz- und Sicherheitsvorgaben sowie Schnelligkeit erwar- ten. Zusätzlich müssen für verschiedene Kundensegmente gleichzeitig mehrere Kanäle verfügbar sein.

Eine übergreifende Sicht können Unternehmen nur durch eine einheitliche In- formationshaltung und transparente Prozesse im Hintergrund sicherstellen. Die individuelle Nutzung für den Kunden ist einfach und sicher zu gestalten, um das Kundenerlebnis erwartungskonform zum gewählten Self-Service und Endge- rät zu kreieren. Anwendungen können Channel-Hopping durch übergreifendes Session-Handling und User-Management kanalübergreifend ermöglichen. Ihre Basisanforderung lautet aber, äußerst fehlerresistent und robust zu sein. Treten Unsicherheiten im Bearbeitungsprozess auf, müssen Unternehmen ihren Kun- den zu jeder Zeit persönliche Hilfe, zum Beispiel durch Click-to-Chat oder Call-back-Option, anbieten. Der Agent muss technisch in der Lage sein, auf den gleichen Datensatz und Prozessschritt sowie die gleiche Anwendung wie der Kunde zuzugreifen. Über die individuellen Anwendungen hinaus sollte die Un-

1 Die Anforderungen unterscheiden sich zwar fachlich, sind im Kern aber durch die gleiche Self-Service-Infrastruktur bereitzustellen. 2 Penkert/Eberwein/Salma, Customer Self-Services, Detecon Studie 2014.

Detecon International GmbH 291 Agilität in Prozessen und IT

ternehmenskommunikation innerhalb der sozialen Netzwerke zusätzliche Nach- fragen beantworten. Der technisch wenig komplexe Einstieg in soziale Netz- werke ­befähigt Unternehmen, hohe Volumina von Kundeninteraktionen bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Kundenanliegens beantworten zu können.

Spannungsfeld zwischen Business und IT überwinden

Self-Services sind aktuell hauptsächlich als klassische Webanwendungen sowie als optimierte Version für mobile Endgeräte implementiert. Aufgrund der Nachfra- ge nach mehr mobilen Nutzungsmöglichkeiten kommt eine erweiterte Nutzung von Smartphones und Tablets als native Apps künftig vermehrt zum Einsatz. Callrouting via Interactive Voice Response (IVR) als eine schon etablierte Maß- nahme wird ebenfalls häufig verwendet. Viele Unternehmen betreiben allerdings die Kundeninteraktionskanäle jeweils getrennt voneinander und ordnen sie be- stimmten Produkten oder Kundensegmenten zu. Self-Services sollten jedoch im- mer produktübergreifend konsistent und integriert für alle Kanäle aufbereitet sein. Die Integration der unterschiedlichen Hardwarevarianten versteht sich von selbst.

Für die IT stellen Self-Services im Sinne eines ubiquitären Zugriffs auf alle rele- vanten Kundenservices eine große Herausforderung dar. Zwei weitere Faktoren erschweren die Umsetzung: Während Use Cases für Self-Services rasch gefunden und Anforderungen an die IT schnell formuliert und wieder geändert sind, steigt der Druck auf die IT: Durch die Vielfalt und den schnellen Wechsel der Anfor- derungen hinken sie bei der Entwicklung wie gegen Windmühlen kämpfend den Ansprüchen der Zeit hinterher. Die User Interfaces von Self-Services müs- sen aktuell und modern sein, eine spezifische, wiedererkennbare User Experience bieten und den Anwender jederzeit schnell bedienen. Aus Sicht der Governance sind jedoch sehr klare Anforderungen an jegliche Interaktion mit Kunden und Partnern sowie die zugrunde liegenden Informationstechnologien formuliert, die ein schnelles Reagieren der IT ausbremsen. Die IT muss fachliche Anforderungen an die kohärente Bereitstellung und Governance der kommunikativen Inhalte, Produktinformationen, Preise und Prozesse erfüllen. Die Transaktionssicherheit ist sicherzustellen. Unterschiedlichste Business- und Legacyapplikationen sind zu integrieren, ferner sind Datensicherheit sowie Datenschutz zu gewährleisten. Die IT muss Augenmaß und Nachhaltigkeit im Umgang mit Investitionen be- weisen – und dies unter Berücksichtigung ständig wechselnder und sich neu entwickelnder fachlicher Anforderungen an User Interfaces, Rich Internet Ap- plications, mobiler Apps sowie des immensen Schubs von Consumer und User Driven Computing innerhalb der Telekommunikationsunternehmen.

292 Detecon International GmbH Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Abbildung: Komponenten einer Self-Services-Architektur – Zielarchitektur Idealtypus

Prozessorchestrierung Scheduling, Queiing, Routing, Collaboration

Partnersites Konnektivität und Interoperabilität

Informationssicherheit und Privacy Authentication, Authorization, Encryption, Roles, SSO Social Media Social Benutzermanagement und Personalisierng ... tbd. ­ aktionen, Metadaten ID‘s Eindeutige Services Katalog integrierter Systeme(-services) Konfiguratoren Kundenservices Self Services, Tausch, Konfiguration Rückgabe, Analyse und Reporting Traffic, Website Conversions, Soziale Inter Bewertungen Smart Appliances Smart TV Benutzer/Profile Management Identity Suche Words, Key Indizes, Bets Best Kundenserviceplattform Smart Home Smart Zahlung Prozessieren Inventar Zuteilung, Retourenmanagement, Vorbestellungen Interactive TV Interactive Umstrukturierte Daten Umstrukturierte Content, Web Grafiken, Dokumente, Videos Workflows Rollen, Definitionen, Persistenz Tracking, Service Apps Apps Management Native Mobile App Mobile Native Shopping Checkout Warenkorb, Bestellungen/Aufträge Tracking, Verifizierung, Tracing Mobile Browser Mobile Vertriebsdaten Kalkulationssystem, Vertriebssystem Analysedaten Analytical CRM Browser (Information, Sales, Services) Sales, (Information, Kundenportale (Deploy, Distribute, Prepare) Distribute, (Deploy, Katalog Content Lifecycle Preise, Produktdetails, Bundles Promotions, des -> Extrakt(e) Gesamtkatalogs Kundenmanagement Stammdaten, Subskriptionen, Programm Loyalty, Service Community Flat Client Flat Themen-/Microsites Vertriebsinformationen Master Data Master Kundenbeziehungs- Management-System, Vertragshaltungssystem Produktdaten Inventar Produkt System User Interface User Experience Unified Bereitstellung und Verteilung Social Media Social Kundenbewer- Blogs, tung, Kundenforum, Community Content Management Content Lifecycle Suche/Ka- Management, tegorisierung, Integration Quellen externer Inhalt, Integration) Transfer, Access, (Aggregation, Integration Prosumenten und Management Administration DATEN

Quelle: Detecon Detecon International GmbH 293 Agilität in Prozessen und IT

Die Auflösung der Spannung zwischen der extremen Agilität der Fachanforde- rungen und der – vermeintlichen – Trägheit der IT charakterisiert die zentrale Herausforderung in der Entwicklung einer Self-Services-Architektur für Carrier.

Empfehlungen und Gestaltungsparameter einer Self-Services-Architektur

Self-Services müssen grundsätzlich als eine Infrastrukturkomponente im Rah- men der Applikationslandschaft begriffen und entwickelt werden. Die einzelnen Architekturkomponenten sind in der zentralen Anwendungsarchitektur zu pfle- gen. Darüber hinaus bedarf es hoher Flexibilität bei der Erstellung neuer Appli- kationen und Customer Touchpoints.

Eine zukunftsfähige Self-Services-Architektur muss als servicebasierte Multi-La- yer Architektur aufgesetzt werden, in deren einzelnen Schichten jeweils spezi- fische Fähigkeiten ausgeprägt sind.

User Interface

Fachliche User Interfaces müssen intern und extern auf unterschiedlichen tech- nischen „Prosumenten“ abgebildet und aus einer einheitlichen Infrastruktur gespeist werden. Eine erfolgreiche Self-Services-Architektur muss eine große ­Flexibilität des Presentation Layers auf Basis eines relativ stabilen und statischen Cores ermöglichen. Der Presentation Layer muss in der Lage sein, aktuelle User Interfaces umzusetzen (Joy of Use). Neben dem Webkanal müssen diverse mo- bile Kanäle bedient werden, aber auch weitere Multikanalszenarien wie Print-to- PDF, RSS-/Atom-Feeds sowie Datentransportformate wie XML. User Interfaces sind als Prosumenten anzusehen, welche nicht nur Inhalte konsumieren, sondern auch Inhalte und Informationen zurückgeben. Diese wiederum müssen verarbei- tet werden.

Maßgeblich für die Ausgestaltung der User Interfaces sind Designrichtlinien und Vorgaben für eine einheitliche User Experience. Idealerweise findet sich ein Kun- de immer sofort zurecht, da er die wichtigen und relevanten Funktionen kanal­ übergreifend in einheitlichem Look & Feel – Namensgebung und Farbgestaltung – vorfindet.

Eine leider oft vernachlässigte Anforderung an Self-Services ist die Barrierefreiheit (Accessibility) in Form einer behindertengerechten Aufbereitung elektronischer

294 Detecon International GmbH Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Inhalte und Informationen. Die Angebote der öffentlichen Hand richten sich be- reits seit 2005 nach der barrierefreien Informationstechnikverordnung (BITV), der Privatwirtschaft ist die Erfüllung freigestellt. Zwar wird Barrierefreiheit viel- fach angefordert, in der Konsequenz aber oft nicht verwirklicht. Dabei existieren durchaus Strategien, die eine zumindest partielle Barrierefreiheit gewährleisten, beispielsweise durch die Nutzung spezieller design-reduzierter Versionen.

Bereitstellung und Verteilung

Wichtig für die Investitionssicherheit der Self-Services-Architektur ist die Be- antwortung der Frage, wie flexibel und schnell neue Customer Self-Services auf unterschiedlichen Kanälen ausgerollt werden können, ohne tiefe Eingriffe in die eigentliche Infrastruktur vornehmen zu müssen.

Die Bereitstellung und Verteilung der Self-Services in die Kanäle müssen deshalb über eine eigene Schicht abstrahiert werden, die sowohl Webformate als auch das native Entwickeln von Mobile Apps – native Plattformen oder über Mobile- Enterprise-Application-Plattform (MEAP) – ermöglichen. Diese Schicht muss die kanalunspezifische Inhalte liefernden technischen Services der Backends sehr spezifisch auf die verschiedenen abnehmenden Kanäle mit ihren technischen Spezialanforderungen wie Formatangaben verteilen.

Im Kontext der skizzierten Dynamik steht eine Self-Services-Architektur vor der Herausforderung, an der richtigen Stelle Leistung und Lastvermeidung durch intelligente Nutzung von Caches als Pufferspeicher zu ermöglichen. Im Rahmen der Konzeption ist deshalb klar zu definieren, an welchen Stellen Informationen im Cache abgelegt werden können und wo dynamischer oder statischer Content auszuliefern ist.

Administration und Management

Self-Services sollten in einer Managementschicht erstellt, konfiguriert und orga- nisiert werden, welche die Self-Services-Architektur „mit Leben“, mit Content und Services, füllt. Zur Unterstützung verschiedener Anwendergruppen, zum Beispiel spezieller Autoren aus der Produkt- und Shopredaktion, sind Cockpits nötig. Eine grundsätzliche Herausforderung für diese Cockpits besteht darin, Inhalte und Applikationen verschiedenster Liefersysteme zusammenzufügen und den entsprechenden Kanälen zuzuordnen.

Detecon International GmbH 295 Agilität in Prozessen und IT

Die Anbindung eines oder mehrerer Identitätsmanagementsysteme, welche das Rechte-und Rollensystem unterstützen, ist für die Ausprägung von Cockpits ­unerlässlich, zugleich aber auch Grundvoraussetzung für die Umsetzung von AAA(Authentication, Authorization, Accounting)-Konzepten als zentrales Fun- dament für Single Sign-on (SSO) und die Personalisierung.

Außerdem spielt in diesem Kontext eine Suchmaschine eine elementare Rolle, welche in der Lage sein muss, sowohl die Frontendsuche für die Nutzer des Self- Service abzubilden als auch Drittsysteme anzubinden. Ein Großteil der Cockpits für Administratoren und Fachanwender funktioniert abfragegesteuert. In Zu- kunft werden immer mehr Anwendungen auf Basis von Suchabfragen umgesetzt. Die Themen unternehmensweite Suche und Identitätsmanagement sind mit Self-Services-Bordmitteln definitiv nicht seriös zu lösen, sondern bedürfen der Integration und des Abgleich mit der Such- und Identitätsmanagementstrategie eines Unternehmens. Ein überaus relevanter Aspekt sind Anforderungen rund um die Auswertung des Nutzerverhaltens sowie die Möglichkeiten, auf dieses unmittelbar zu reagieren. Hierzu müssen sowohl interne als auch meist umfang- reiche externe Quellen aus dem Social Web ausgewertet und in Korrelation ge- setzt werden (Social Media Analytics). Die Auswertungen besitzen für das Custo- mer Experience Management maßgebliche Bedeutung: Wo hat der Nutzer seine „Trampelpfade“ durch das System gezogen? Wo hat er den Service verlassen oder den Prozess abgebrochen? Nutzerbindungskonzepte werden mit unterschied- lichen Funktionen wie Heatmaps, Klickpfadanalysen und Recommendation­ Engines, die komplexe Warenkorbanalysen durchführen können, unterstützt. Grundsätzlich muss jede Self-Services-Architektur Funktionen bereitstellen, die eine Auswertung des Nutzerverhaltens ermöglichen beziehungsweise für speziali- sierte Tools Schnittstellen anbieten, welche diese Funktion übernehmen.

Kundenfeedback wie die klassischen Bewertungsmöglichkeiten (Ratings) sowie Empfehlungs- und Kommentarfunktionen sind Kernmerkmale der Nutzerbin- dung. Grundsätzlich sollten Nutzer unkompliziert Inhalte generieren können (User-generated Content). Nutzergenerierte Inhalte lassen sich ausgezeichnet für die Bindung nutzen, zum Beispiel durch Beeinflussung von Suchrankings.

Integration

Der Zugriff auf die Daten sowohl von generischen Systemen, etwa dem CRM- System, als auch von spezifischen Self-Services-Systemen, zum Beispiel Web

296 Detecon International GmbH Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Content, muss über eine einheitliche Integrationsschicht organisiert werden. Eine der wichtigsten Prämissen für die Entwicklung der Self-Services-Architek- tur muss lauten, dass möglichst keine Businesslogik im Self-Service nachgebaut oder parallel implementiert werden sollte, sondern dass stets ein Weg zur mög- lichst abstrahierten und einheitlichen Integration von logikführenden Backend- und Legacysystemen gewählt wird. Eine zentrale Anforderung an Self-Services ist die Bereitstellung von Backendinformationen, Prozessen und Funktionen spezialisierter Softwaretools in konsolidierten Sichten. Ein Unternehmen muss sich unter Architekturgesichtspunkten die folgende zentrale Frage stellen: Wie wollen wir Applikationen in die Self-Services-Architektur integrieren? Alle wei- ter gehenden Konzepte bezüglich der Konnektivität von Anwendungen sowie des Messagings und Routings von Informationen leiten sich ab aus der Antwort auf diese Fragen. Grundsätzlich sollte die Architektur durch wiederverwertbare Services mit offenen Interfaces und dem Support von Data-Federation-Techno- logien modularisiert werden. Idealerweise kann die Self-Services-Architektur hier bereits auf eine einheitliche, servicebasierte Integrationslandschaft aufsetzen.

Die Anbindung eines CRM-Systems bildet eine zwingende Voraussetzung, um spezifische Inhalte und Produkte für spezifische Kunden und Kundengruppen bereitzustellen. Ähnlich gestaltet sich die Anbindung von Product ­Information Management Tools (PIM). Diese sind oftmals tief in Produktentwicklungspro- zesse sowie Stammdatenprozesse integriert, während der Self-Service fertige ­Kataloge und zentral gepflegte Stammdaten lediglich konsumiert. Dies gilt eben- falls für Commerce-Anwendungen, obwohl diese häufig schon mit Self-Services- Funktionen angereichert vermarktet werden, aber in einem ganzheitlichen Un- ternehmensszenario meist zu schwach ausgeprägt sind.

Daten

Auch das übergreifende, konsistente und kohärente Datenmanagement be- schreibt eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren einer übergrei- fenden Self-Services-Architektur. Hier ist vor allem eine organisatorische Hürde zu überwinden: Daten werden verteilt, gepflegt und vorgehalten. Um Daten in adäquater Pflegequalität zentral vorzuhalten, sind aufwendige Konsolidierungs- schritte notwendig. Hier müssen übergreifende Master-Data-Management-Initi- ativen aufgesetzt und organisatorisch verankert werden. Analog zur Integration sollte sich die Self-Services-Architektur grundsätzlich bestehender Datenquellen bedienen und in bestehende Datenpflegeprozesse Einzug halten.

Detecon International GmbH 297 Agilität in Prozessen und IT

Ein wichtiger Parameter für die kanalübergreifende Nutzung und Wiederver- wendung von Inhalten und Daten umfasst die einheitliche Verwendung von Metadaten, die eine eindeutige Identifizierung des Dokuments (Identifier) er- möglicht. Technische Zusatzinformationen wie Format, Type und Sprache, eine zusammenfassende und strukturgebende Beschreibung des Inhalts – Titel, Sub- jekt, Beschreibung –, Informationen zu Ersteller und Rechten sowie zum Lebens- zyklus – Zeitstempel, Gültigkeit – müssen einheitlich definiert und verwendet werden. Metadaten eröffnen ungeahnte Möglichkeiten, unstrukturiertem Con- tent einen quasistrukturierten Charakter zu verschaffen und ihn wiederverwert- bar wie auch auffindbar zu machen. Eine besondere Funktion und Rolle haben Quelle, Relation und Audience als Metainformationen zur Vernetzung. Hierü- ber lassen sich die Zuordnung der Services zu Kanälen sowie das Verknüpfen einzelner Services organisieren. Für eine übergreifende Self-Services-Architektur, welche sich verschiedener Repositories und unterschiedlicher Backendsysteme bedient, ist übergreifendes Metadatenmanagement die Kernvoraussetzung, eine ebenfalls übergreifende Suchfunktion für den Anwender zur Verfügung zu stel- len. Metadaten bieten außerdem eine große Flexibilität in der Erstellung von Ta- xonomien und alternativen Navigationsbäumen als klassisch hierarchische Ver- waltungsmechanismen. Seine volle Kraft kann Metadatenmanagement allerdings nur entfalten, wenn das Metadatenmodell in Korrelation und Abstimmung mit den zuvor beschriebenen übergreifenden Master-Data-Management-Initiativen entwickelt wird und erweiterbar bleibt.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt für eine Self-Services-Architektur stellt die ­sichere und zuverlässige Unterstützung von Transaktionen dar. Kommerzla- stige Use Cases etwa definieren komplexe Produkte nicht auf der Basis eines Artikelstammpasses, sondern vielmehr als eine Folge verschiedener, einan- der bedingender Prozessschritte mit spezifischen Angeboten und Kalkulatoren für Kunden. Hierzu zählen zum Beispiel Rahmenverträge für spezifische Pro- dukte, Verfügbarkeitsprüfungen wie „Produkt auf Lager“ oder „Produkt regio- nal v­ erfügbar“, komplexe Produktabhängigkeiten für Ersatzteilbestellungen und Serviceupgrades sowie die Anbindung an die Backendsysteme in Produktion, Logistik und Rechnungslegung, in denen die Aufträge dann prozessiert werden. Solche Transaktionen sollten in ihrer Komplexität und Spezialisierung niemals in der Self-Services-Infrastruktur nachgebaut, sondern stets über Schnittstellen konsumiert und beliefert werden. Hierin liegt sicherlich eine der Kernherausfor- derungen einer Self-Services-Architektur: die kontinuierliche Garantie der not- wendigen Transaktionssicherheit.

298 Detecon International GmbH Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Core Services

Spezifische Querschnittfunktionen wie die Orchestrierung der Prozesse, das Si- cherheitshandling oder die Personalisierung sind auszulagern. Sie fassen als Core Services alle zentral genutzten Services und Anforderungen an die Self-Services- Infrastruktur zusammen. Diese zentralen Services stellen ein Set aus technischen Basisfunktionen bereit. Die Core Services sind nach der Erstimplementierung als relativ stabil zu betrachten. Bei der Definition und Entwicklung der Core Services ist somit besondere Sorgfalt gefragt, kleine Änderungen im Kern können immer große Auswirkungen auf die peripheren Services und Funktionen haben.

Personalisierte Inhalte sind im Kontext von Self-Services eine Selbstverständlich- keit. Doch welche technischen und funktionalen Paradigmen liegen der Perso- nalisierung zugrunde? Wie flexibel können Inhalte und Applikationen auf das Nutzerverhalten hin ausgesteuert werden? Werden Self-Services-Rechte auf ange- bundene Inhalte aus Drittsystemen übertragen oder sind diese Systeme weiterhin selbst für das Rechtemanagement verantwortlich? Im Rahmen der Entwicklung einer Self-Services-Architektur gilt es zu klären, ob Personalisierung mit den Rules Engines, zum Beispiel einer Portalsoftware oder einem 3rd Party Personali- zation Framework, umzusetzen ist. Als führendes System muss deshalb zwingend das CRM-System angebunden werden, um die notwendigen Kundenstammda- ten zu personalisieren.

Self-Services in einer Multikanalarchitektur bieten viele unterschiedliche Zu- griffsmöglichkeiten auf personalisierte Informationen, Services und Prozesse. Diese Eingangstore bergen gleichzeitig auch potenzielle Gefahrenstellen für die Datensicherheit. Eine der wichtigsten Anforderungen von Kunden an Self-Ser- vices sind Datensicherheit und Datenschutz.3 Die Diskussionen rund um die NSA-Affäre haben in Deutschland wie auch in anderen Ländern dieses Thema ganz nach oben befördert. Wichtigstes Ziel ist deshalb die Integrität der Self- Services. Vertrauen der Kunden, das einmal aufgrund unzureichender Sicher- heitsvorkehrungen verloren ging, ist nur mit sehr großem Aufwand wieder auf- zubauen.

Eine Self-Services-Architektur muss deshalb umfangreiche Mechanismen der Eingangssicherung und Zugangskontrolle, beispielsweise sicheres SSO, bedie- nen, die Verbindungen zwischen Endgerät und Servern verschlüsseln und die Daten entsprechend den Vorgaben des Datenschutzes verwalten und ablegen.

3 Vgl. Penkert/Eberwein, CSS – Digitale Transformation zwischen Effizienz und Kundenbindung, S. 274 ff. in diesem Band.

Detecon International GmbH 299 Agilität in Prozessen und IT

Anforderungen an die Sicherheit sind aber nicht nur soft- und hardwareseitig, sondern auch prozessual zu definieren und durchzuprüfen. Regelmäßige und un- abhängige Penetrationstests und Security Audits müssen selbstverständlich vor- genommen werden.

Damit die Einzelservices als Gesamtsystem aufeinander abgestimmt bleiben, müssen grundsätzliche Regeln zu Konnektivität und Interoperabilität zentral gemanagt werden. Hier sind Regeln zu Dateiformaten, Protokollen sowie für Schnittstellen und Interfaces zu hinterlegen.

Wichtiger Bestandteil einer servicebasierten Architektur ist die Prozessorchestrie- rung, welche das flexible Kombinieren mehrerer Services zu einer Servicekom- position, einem ausführbaren Geschäftsprozess, beschreibt. Eine solche Orche- strierung muss eine Beschreibung der Services, ihre Bedingungen zum Aufruf sowie Abhängigkeiten enthalten. Ohne eine übergeordnete Prozessorchestrie- rung kann eine übergreifende Transaktionssicherheit nicht gewährleistet werden. Hier besitzt das Session Handling eine wichtige Funktion, welche dazu dient, die Nutzer und ihre Aktivität eindeutig im System zu verorten. Session Handling muss die Anforderung erfüllen, Sessions auf einem Kanal zu beginnen und auf einem anderen weiter zu führen. Somit muss das Session Handling abstrahiert vom eigentlichen Kanal funktionieren und gilt als Kernvoraussetzung für die Transaktionssicherheit. Die Orchestrierung bedarf eines zentralen Repositories, an dem Services angemeldet werden und über welches diese verwaltet werden können. Das Services Repository fungiert quasi als zentrales Telefonbuch für die Self-Services-Architektur und dient der Orchestrierung der einzelnen Services sowie der dazugehörigen Präsentationskanäle. Alle Kanäle müssen über Referenz- punkte, zum Beispiel Metadaten, an eine einheitliche Informationshaltung und die Prozesse angebunden werden.

Klare Zuständigkeiten und Rollen ermöglichen Wiederverwendung und Investitionsschutz

Ein ganzheitlicher Ansatz in der Ausarbeitung der Anwendungsarchitektur für eine Self-Services-Infrastruktur erfordert eine klare Definition der Aufgaben der eigentlichen Frontendapplikationen sowie der Abgrenzung zu spezialisierten Support- und Backendsystemen.

300 Detecon International GmbH Customer Self-Services: IT-Architektur als Enabler für digitale Selbstbedienung

Definierte Regeln für die Weiterentwicklung auf unterschiedlichen Ebenen sind im Zuge dessen bereits vorab festzulegen. Eine wichtige Bedingung für die Inve- stitionssicherheit der Self-Services-Architektur bilden standardisierte, stabile und dokumentierte APIs und Interfaces. Customizing und Weiterentwicklung müs- sen auf der Basis dieser APIs aufgesetzt werden. Idealerweise kann die Self-Ser- vices-Architektur auf ein bereits etabliertes Integrationsframework mit standar- disierten APIs aufbauen. Die Entwickler und Entwicklungsunterstützung durch Softwareerstellung beschleunigt die Lernkurve und senkt Risiken in der Imple- mentierung. Zusätzlich zur Kapselung der Entwicklung auf der Basis von APIs muss eine moderne Infrastruktur in der Lage sein, auf der Grundlage von Tem- plates und Scripting Erstellung von Applikationen auf dem Presentation ­Layer leichtgewichtig und abstrahiert zur Verfügung zu stellen. Insbesondere Anforde- rungen, welche die Benutzeroberflächen betreffen, lassen sich nur erfüllen, wenn Änderungen auf dem Presentation Layer, etwa der Ausbau neuer Kanäle, leicht durchgeführt sowie schnell und ohne Ausfallzeiten abgewickelt werden können.

Die Module, die einer Self-Services-Architektur zugrunde liegen, sind als wie- derverwertbare Services abzubilden und technisch auszuprägen. Die Services dienen als zentrale und erweiterbare Bibliothek von Funktionen innerhalb der IT-Landschaft und fungieren als Baukasten für Implementierungsprojekte, um beispielsweise Time-to-Market-Zyklen zu verkürzen, Synergien durch die Wie- derverwendung von bereits genutzten Anwendungen zu ermöglichen und zuvor getätigte Investitionen zu sichern.

Detecon International GmbH 301 Agilität in Prozessen und IT

Vom Telekommunikations- unternehmen zur Prozessfabrik

Dr. Ralf Helbig

> Alte Denkmuster behindern Agilität und Innovationskraft.

> Prozessgestaltung und -verantwor- tung müssen zurück in die Hände der ­Akteure, kollektives Prozesswissen wird zur entscheidenden Ressource.

> Modulare Prozesse (Subjekte) trans- formieren Organisationen zu Smart- Business-Netzwerken.

> S-BPM treibt den Veränderungs­ prozess voran, der Telekommunikations- unternehmen zu mehr Flexibilität führt.

302 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

Arbeitsteilige Prozesswelt benötigt Paradigmenwechsel

Grundlegende Denkmuster in der Telekommunikationsindustrie sind aus der Industrialisierung entlehnt und leiten sich aus den Inhalten des Taylorismus und des Fordismus ab. Diese beiden Prinzipien zur Prozesssteuerung haben die Ent- wicklung der bekannten und angewandten Managementstile, Lernsysteme und Menschenbilder wesentlich beeinflusst. Im Zuge der Mechanisierung der Pro- duktion wurden die Arbeitsprozesse Top-down-Ansätzen folgend in kleine Teil- prozesse und -funktionen unterteilt, die sich strikt an den Abläufen der jeweils übergeordneten Produktionsebene orientiert haben. Der Mensch war im größ- tenteils starren Produktionsprozess als Ressource eingegliedert, dessen Arbeits- kraft ausschließlich zur Erfüllung der Anforderungen dieses Prozesses genutzt wurde. Das stellte einen fließenden und störungsarmen Gesamtprozess in der hochfrequenten Massenproduktion von standardisierten Produkten mit hoher Fertigungstiefe und hohem Automatisierungsgrad sicher. Solche industriellen Prozessansätze wurden auf den Betrieb und damit verbundene Dienstleistungen in der Telekommunikationsindustrie übernommen. Starre Systeme, die derartige arbeitsteilige Prozesse abbilden und unterstützen, sind die Folge.

Moderne Arbeitswelten in Telekommunikationsunternehmen benötigen jedoch angesichts der durch die Digitalisierung bedingten äußerst volatilen Anforderun- gen von Märkten und Kunden eine größtmögliche Flexibilität. Eine lineare Ver- kettung von sich wiederholbaren Arbeitsschritten lässt sich künftig nur sehr sel- ten festlegen. Stattdessen werden die Mitarbeiter zu den gestaltenden Akteuren, indem sie kommunizieren und anforderungsabhängig nach alternativen Wegen, Mitteln und Methoden suchen, um die individuellen Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfüllen.

Hoch qualifizierte Mitarbeiter – Wissensarbeiter - agieren eigenverantwortlich in diesen komplexen Umgebungen und können nicht an zentral entwickelte eng- maschige Top-down-Prozessumgebungen gebunden werden. Prozessbeschrei- bungen, die Aufgaben und Objekte sequenziell miteinander verknüpfen, sind infolgedessen in der Telekommunikation nicht mehr zeitgemäß, weil sie nicht die erforderliche Flexibilität zur Auftragserfüllung bieten. Unternehmen sind gefordert, die bestehenden starren Prozessumgebungen von Grund auf umzuge- stalten. Sie müssen das Prozesswissen aller beteiligten Akteure bündeln sowie an- schließend verfügbar und nutzbar machen, um eine gemeinsame Neugestaltung oder Weiterentwicklung zu ermöglichen und Synergien optimal auszunutzen.

Die bisher übliche Trennung der Definition und Ausgestaltung von Prozessen einerseits sowie der Umsetzung mit der dadurch bedingten Ferne der Beteiligten

Detecon International GmbH 303 Agilität in Prozessen und IT

von Prozessveränderungen andererseits birgt viele Nachteile, die eine schnelle Anpassung von Prozessen verhindern. Ein langwieriges Verfahren mit einer kom- plexen Steuerungslogik schränkt die benötigte Agilität und Individualität erheb- lich ein. Diese avanciert jedoch im Unternehmen aufgrund des dynamischen Umfelds zu einem kritischen Erfolgsfaktor. Deshalb müssen die im Prozess invol- vierten Personen in Prozessen denken und arbeiten – und diese selbst bestimmen. Darüber hinaus blockiert die traditionell vollständige Abdeckung der Wert- schöpfungskette in der Telekommunikationsindustrie die geforderte Agilität der digitalen Welt. Die intensive Zusammenarbeit mit einem großen, dynamischen und häufig unternehmensübergreifenden Partnerumfeld in sogenannten Smart Business Networks ist zukunftsweisend und für erfolgreich agierende Telekom- munikationsunternehmen unumgänglich. Denn neue digitale Geschäftsmodelle, beispielsweise die Bereitstellung von Plattformen zum Betrieb von „Two-sided Market Models“ oder auch Servicebroker-Modelle für den Aufbau Cloud-basier- ter, branchenbezogener Ökosysteme, erfordern neuartige Kooperationskonzepte, die eine flexible Kopplung und Entkopplung von Partnern ermöglichen.

Ameisenstaaten als Vorbild für perfekte Organisation

Jede Organisation wird in der Annahme gegründet, dass ihre Mitglieder zusam- men mehr erreichen können als jeder allein. Die Hauptfunktion von Organisa- tionen ist es, sich auf Basis der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen weiter- zuentwickeln, indem gemeinsam Herausforderungen gemeistert und Probleme gelöst werden. Die Fähigkeit dazu lässt sich in aller Regel als die Intelligenz der Organisation und seiner Bestandteile definieren. Häufig wird indes die Intelli- genz der Bestandteile nicht zugunsten der Organisation ausgeschöpft, weil statt einer kollektiven ausschließlich die Intelligenz der Führungsebenen zur Anwen- dung kommt.

Das Ausmaß der Leistungsfähigkeit einer sozialen Organisation durch die Nut- zung ihrer gesamten kollektiven Intelligenz beweisen die im Laufe der Evolution stetig optimierten Strukturen in Ameisenstaaten. Anhand ihrer sozialen Organi- sation lassen sich die Schwächen des aktuellen Business Process Managements (BPM) identifizieren.

Wie Unternehmen in der heutigen modernen Arbeitswelt sind Ameisenstaaten ständig wechselnden Einflüssen unterworfen, die eine individuelle Reaktion erfordern. Ergeben sich plötzlich zusätzliche Nahrungsquellen, werden mehr Sammler benötigt, wenn der Bau beschädigt wird, ist eine zeitnahe und schnel- le Ausbesserung notwendig. Diese externen Herausforderungen bedingen eine

304 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

interne Abstimmung der Arbeiter hinsichtlich Aufgabenzuweisung, -art und -er- füllungsort, die über Regeln selbstständig funktioniert und ohne zentrale oder hierarchische Kontrolle realisiert wird.

Die Individuen können in ihrer Gesamtheit kognitive Leistungen vollbringen, welche die Fähigkeiten der einzelnen Tiere um ein Vielfaches übersteigen. Die Intelligenz des Ameisenstaats verteilt sich dezentralisiert als kollektive Intelligenz auf seine Mitglieder.

Da die Ameisenkönigin lediglich für den Fortbestand verantwortlich ist und kei- ne Autorität darstellt, steuert sich die Organisation selbst und optimiert ihre Funktionen in einem ständigen Anpassungsprozess an die Umwelt. Die Kolla- boration der Arbeiter zur Aufgabenerfüllung erfolgt in permanent wechselnden Formationen und wirkt wie ein modernes Smart Business Network, in dem sich interne Mitarbeiter wie externe Partner je nach Bedarf und Aufgabenstellung mit den benötigten Fähigkeiten zusammenfinden und ad hoc zur Erledigung der Arbeit kooperieren.

Jedem Mitglied des Ameisenstaats ist der Sinn und Zweck seines Handelns ge- genwärtig: die Entwicklung und Erhaltung ihrer Gemeinschaft. Für das hier dar- gestellte Paradigma der Eigenverantwortlichkeit und Vernetzung ist es essenziell, dass der Sinn und Zweck des Unternehmens sowie die strategischen Ziele ein- deutig definiert sind und alle Mitarbeiter diese für ihr Handeln übernehmen und sich damit identifizieren.

Die Vernetzung von Mitarbeitern und Partnern stellt in hoch entwickelten Or- ganisationen einen wichtigen Einflussfaktor für den Unternehmenserfolg dar. Zahlreiche Unternehmen versuchen deshalb, mit verschiedenen Ansätzen die Kommunikation innerhalb der Organisation zu fördern und im Zuge dessen ihre Leistung zu steigern.

Organisation ist Kommunikation

Um die Kommunikationskultur im Unternehmen lokal zu verbessern und den fachlichen Austausch zu fördern, wurden vielerorts in einem ersten Schritt of- fene Arbeitsumgebungen geschaffen. Die (Wieder-)Einführung von Großraum- büros mit flexiblen Arbeitsplätzen sowie die Bereitstellung von Teambereichen mit vielfältigen Betätigungs- und Freizeitangeboten, wie es beispielsweise G­ oogle praktiziert, stellen einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Der tatsächliche Mehrwert für das Unternehmen ist jedoch schwer messbar. Der durch die-

Detecon International GmbH 305 Agilität in Prozessen und IT

se Maßnahmen zweifellos zunehmende Austausch zwischen den Beschäftigten wird in den meisten Fällen nicht bis auf die spezifische Prozessebene führen und bleibt lokal beschränkt. Dem Austausch folgt meist keine direkte Umsetzung der erzielten Ergebnisse. Das gemeinsam generierte Wissen wird somit nicht wert- steigernd genutzt und findet aufgrund fortbestehender Hierarchiebarrieren auch nicht den Weg in die entscheidungsbefugten Managementebenen.

Innovationssysteme, in denen Mitarbeiter eigene Vorschläge für Innovationen und Prozessverbesserungen darlegen können, beheben solche Mängel nur teil- weise. Sie ermöglichen lediglich einen einseitigen und von anderen Wissensträ- gern isolierten Bottom-up-Monolog, den das Management entweder aufgreifen oder ablehnen kann.

Viele Unternehmen sehen stattdessen interne soziale Netzwerke als Chance, um diesen Nachteilen zu begegnen. Neben dem Abbau von lokalen Beschränkungen erfolgt hier eine Virtualisierung des Mitarbeiteraustauschs, der die Dokumen- tation und spätere Nachvollziehbarkeit für die beteiligten Akteure ermöglicht. Erzielte Ergebnisse sind im Zuge dessen gespeichert und für den beteiligten Personenkreis abrufbar, aufgrund der systemischen Trennung von Konzeption und Umsetzung jedoch noch weit von der Realisierung entfernt. Außerdem ste- hen die meist hierarchischen Organisationskonzepte der Funktionsweise sozia- ler Netzwerke entgegen. Telekommunikationskonzerne haben als Anbieter von Kommunikationslösungen selbstverständlich Social-Media-Plattformen für den Informationsaustausch, das Auffinden und Kontaktieren von Ansprechpartnern und die Bildung von Interessengruppen eingeführt. Diese haben sie dann sogar mit der Ablage von Dokumenten und Nachrichten verknüpft. Nutzung und Ak- zeptanz bleiben aber bisher aus den oben genannten Gründen fast immer hinter den Erwartungen zurück.

Die Unternehmen haben allerdings erkannt, dass die wachsende Komplexi- tät und Volatilität globaler Zusammenhänge eine Fokussierung auf den dyna- mischen Wissenstransfer im Inneren erfordern. Zudem wächst die Erkenntnis, dass in den vorherrschenden Unternehmensstrukturen und hierarchisch zentra- lisierten Organisationsformen Agilität und Innovationskraft, wie sie von Tele- kommunikationsunternehmen im Markt gefordert werden, nur ungenügend zu erreichen sind. Ein funktionierendes BPM muss deshalb weitere Anforderungen berücksichtigen.

306 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

Prozesswissen als entscheidende Ressource

Im Unterschied zu unserer Arbeitswelt hat sich das „Prozesswissen“ in Ameisen- staaten im Laufe der Evolution selbst optimiert. Ein vergleichbar langer Zeitraum steht Unternehmen nicht zur Verfügung. Das Funktionieren von Ameisenstaaten beruht darauf, dass alle Mitglieder über das exakt gleiche Prozesswissen verfügen und somit flexibel jede beliebige Rolle einnehmen können. In der modernen Arbeitswelt hingegen übersteigt die Masse und Komplexität von Prozessen die Fähigkeiten des Einzelnen um ein Vielfaches. Das Prozesswissen des Einzelnen ist zwar beschränkter, gleichzeitig jedoch individueller und somit wertvoller für die Gesamtorganisation.

Die in heutigen Organisationen etablierten Hierarchien erlauben die Nutzung dieses individuellen Wissens jedoch nur selten und führen dazu, dass das Pro- zesswissen der Gesamtorganisation nur eine Reflexion des Wissens und der Intel- ligenz der Führungsebenen darstellt. Die formalisierte, langwierige Planung und Top-down-Implementierung von Prozessen machen die Unternehmensebenen für Bottom-up-Reaktionen und Innovationen nahezu undurchlässig. Dadurch hemmen Unternehmen die eigene Agilität, die ihre Mitarbeiter benötigen, um auf wechselnde Marktbedingungen und individuelle Kundenbedürfnisse einzu- gehen.

Indem das vorhandene Prozesswissen transparent und verfügbar gemacht wird, kann das Unternehmen seine Belegschaft zur Partizipation anregen und gleich- zeitig ein gemeinsames Verständnis bezüglich Prozessaufbau und -ausführung bei seinen Mitarbeitern sicherstellen.

Die Basis dafür bildet eine einfache Sprache, welche für Beschäftigte auf allen Hierarchieebenen verständlich ist und zugleich die Darstellung von komplexen Prozesszusammenhängen erlaubt. Bei Ameisen erfolgt die Kommunikation über ein simples Duftstoffsystem und sorgt somit für ein eindeutiges Verständnis zwischen Sender und Empfänger. Die Schlichtheit der Sprache wirkt sich dabei nicht zum Nachteil des Ameisenstaats aus, sondern hilft, die jeweiligen Aufträge mit anderen auszutauschen und die notwendigen Aufgaben effizient zu erfüllen. Auch Systemarchitekten und IT-Experten wissen, dass die Bestandteile eines Sys- tems nicht zu kompliziert sein sollten, weil der Grad der Komplexität von selbst steigt und vielfältige Differenzierungen hervorbringt.

Detecon International GmbH 307 Agilität in Prozessen und IT

Neben der reinen Verfügbarkeit des Prozesswissens bedarf es somit einer allge- mein verständlichen Sprache für dessen Beschreibung. Auf der Grundlage dieser beiden Prämissen ist es offensichtlich, dass bisherige Prozessmodellierungsspra- chen keinen Beitrag zu solch einer Art von Selbstorganisation leisten können, denn sie sind nur für Experten verständlich und in der Regel nicht für alle ver- fügbar.

Subjektorientiertes Business Process Management nutzt kollektive Intelligenz

Subjektorientiertes Business Process Management (S-BPM) bietet eine radika- le Weiterentwicklung der bisher erläuterten Ansätze aus einer prozessbezogenen Sicht. Die Modellierung von Prozessen wird durch S-BPM zu einer Aktivität von Netzwerken aus Wissensarbeitern. Prozessoptimierung, -harmonisierung und -erweiterung wandeln sich dadurch zu Ergebnissen kollaborativen Wissens. Je- der Mitarbeiter ist in diesem virtualisierten System hierarchie- und ortsunabhän- gig erreichbar und kann sich dank der einfachen Modellierungstechnik und der natürlichen Sprache, die Mensch und Computer gleichermaßen verstehen, an der Prozessentwicklung beteiligen. Trotz dieser Möglichkeiten sind ausdrücklich auch persönliche Zusammenkünfte der beteiligten Personen vorgesehen.

Erfolgsfaktoren: zugängliches Prozesswissen und einfache Sprache

Mit S-BPM können Unternehmen das Prozessmanagement demokratisieren. Nicht mehr die IT-Systeme begrenzen die Art der Zusammenarbeit und Pro- zesse. Vielmehr wird die dezentrale Intelligenz durch kontinuierliche Kollabo- ration an Prozessen genutzt und das daraus entstandene, in der Private Cloud verfügbare Prozesswissen durch intelligente zentrale Analysen zur übergreifenden Prozessoptimierung systematisch verwendet.

Ein dezentralisiert-zentralisierter S-BPM-Ansatz ersetzt den bisher gültigen zen- tralisierten Steuerungsansatz. Bereits durch geringe Upfront-Investitionen lässt sich eine virale netzwerkbasierte Verbreitung und ständig aktuelle Verfügbarkeit von Prozesswissen erreichen. Aufgrund des unmittelbar generierbaren Nutzens verspricht S-BPM schnell eine hohe Akzeptanz in der Organisation. Durch die Kombination von Top-down- und Bottom-up-Ansätzen kann das Management aus dem Wissenspool seiner Mitarbeiter schöpfen, Harmonisierungs- und Syner- giepotenziale erkennen und trotzdem dort, wo erforderlich und nützlich, zentral steuern. Gleichzeitig können die Beschäftigten die hohe Prozesstransparenz und -verfügbarkeit nutzen, um in Zusammenarbeit mit moderierenden Prozessexper- ten wirksame Verbesserungen selbst zu realisieren.

308 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

Die künftige Prämisse lautet also nicht mehr, dass alles gleichförmig standardi- siert ist und einem Prozess folgt, sondern dass individuelle Subjekte eindeutig mit verständlichen Botschaften kommunizieren können. Hier zeigen sich gegen- wärtig bestehende Systeme und Standardsoftware viel zu inflexibel und verhin- dern dadurch an wichtigen Stellen die benötigte Agilität.

Das verfügbare Prozesswissen führt langfristig zu einer höheren Intelligenz der Organisationsbestandteile. Es entsteht eine kollektive, vielschichtige Schwarm­ intelligenz, die der Schwarmintelligenz des Ameisenstaats angesichts der Be- strebungen seiner Mitarbeiter, Prozesse aktiv weiterzuentwickeln, bereits einen Schritt voraus ist. Für die Gesamtorganisation ergibt sich infolgedessen eine we- sentlich höhere Agilität. Gleichzeitig steigen auch die Gesamteffizienz und die Fähigkeit, neue Geschäftsmodelle zu adaptieren und durch Initiativen einzel- ner Wissensarbeiter schnelle Qualitätsverbesserungen zu erzielen. Dies kann in ­Telekommunikationsunternehmen an allen Stellen postwendend zu Steigerungen der Prozesseffizienz führen – und sogar zu Prozessinnovationen, da der zentrale Flaschenhals, der sich sonst um den teuren Weg der Modellierung, Systemspezi- fikation und Systemimplementierung aufwendig mit ungewissem Ausgang küm- mern muss, wegfällt. Nicht selten haben sich Anforderungen bereits verändert, wenn nach langer Zeit die zuvor benötigte Funktion bereitgestellt werden kann.

Mit dieser durch S-BPM induzierten Veränderung verlagert sich die Prozessver- antwortung auf die Fachseite und entlastet die IT, die sich demnach auf eine moderierende Rolle, das Management von Daten und deren redundanzfreie Or- ganisation sowie eine nahtlose Bereitstellung der Daten konzentrieren kann. Die IT-Infrastruktur wird über eine Cloud mit maximaler Effizienz und Standardisie- rung nach Bedarf zur Verfügung gestellt. Der Bedarf an einer von technikaffinen Mitarbeitern in Telekommunikationsunternehmen gern geschaffenen Schatten- IT entfällt. Sie wird von den Fachseiten selbst nicht mehr benötigt, was nicht nur zu erheblichen Einsparungen führt, sondern auch Risiken eliminiert.

S-BPM verwendet zur Modellierung von Prozessen eine an die Syntax der na- türlichen Sprache angelehnte Struktur mit einer Folge aus Subjekt, Prädikat und Objekt. Das Subjekt entspricht der Rolle eines Akteurs, das Prädikat bestimmt die Handlung und das Objekt steht für das zu verarbeitende Element. Auf dieser Logik aufbauend, entstand die subjektorientierte Geschäftsprozessmodellierung.

Subjekte können Personen, aber auch IT-Systeme oder Maschinen sein. Im ­Gegensatz zu traditionellen BPM-Ansätzen stehen Subjekte beim Ansatz des ­S-BPM im Zentrum der Betrachtungen.

Detecon International GmbH 309 Agilität in Prozessen und IT

Die Kommunikation der Subjekte basiert auf dem Austausch von Nachrichten. Nach der Identifikation der am Prozess beteiligten Subjekte kann die Interak­ tionsbeziehung über die ausgetauschten Nachrichten abgebildet werden. Speziell bei informationsintensiven und dynamischen Prozessen, wie sie in Dienstleis- tungsunternehmen typischerweise vorliegen, ist die Fokussierung auf Subjekte und ihren Nachrichtenaustausch sinnvoll. Die Auswirkungen der Handlungen von Subjekten sowie ihren Interaktionen sind in Bezug auf Parameter wie Qua- lität der Prozessresultate und Geschwindigkeit der Prozessausführung erheblich.

Die ausgetauschten Nachrichten können einfache Datentypen wie Zeichen- ketten, Zahlen, Zeichen oder Geschäftsobjekte enthalten. Geschäftsobjekte be- schreiben komplexe Datenstrukturen, deren Komponenten aus einfachen Da- tenelementen bestehen. Ein Dienstreiseantrag setzt sich beispielsweise aus Daten zum Antragsteller und zur Reise zusammen.

Die Art des Nachrichtenaustauschs wird unterschieden nach synchron, asyn- chron und nach dem Nachrichtenaustausch über einen Inputpool. Bei der syn- chronen Variante warten Sender und Empfänger jeweils aufeinander. Es besteht folglich eine enge zeitliche Kopplung, die insbesondere über Unternehmensgren- zen hinweg zu Problemen, zum Beispiel inaktiven Wartezeiten, führen kann. Der

Abbildung 1: S-BPM orientiert sich am Aufbau der natürlichen Sprache

Subjekt Prädikat Objekt

Frage Wer handelt? Was wird getan? Was wird bearbeitet?

Wesentliche Wer handelt aktiv im Mit wem kommuniziert Werden Dokumente Fragestellungen ­Prozess? Wer muss mit das Subjekt? Welche erstellt, verarbeitet oder wem kommunizieren? Tätigkeiten verrichtet das weitergeleitet? Welche IT- Subjekt für sich? Unterstützung ist gegeben?

Beispiel Mitarbeiter, Vorgesetzter, Vorlegen, buchen, schicken Dienstreiseantrag, Hotel, Reisestelle Ticket

Quelle: Detecon

310 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

asynchrone Nachrichtenaustausch zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass der Empfänger die an ihn gerichteten Nachrichten aus einem Puffer abholt, diese anschließend verarbeitet und nach der Bearbeitung dem Sender antwortet, ohne dass dieser inaktiv auf die Antwort hätte warten müssen. Der Nachrichtenaus- tausch über einen Inputpool ist eine Abwandlung des asynchronen Nachrich- tenaustauschs und lässt sich zudem beispielsweise über den Typ, die Größe der Nachricht oder Maximalanzahl der Nachrichten steuern. Mithilfe der an einem Prozess beteiligten Subjekte und des Nachrichtenaustauschs zwischen den Sub- jekten kann anschließend der Prozess durch Konstruktion und Restriktion von zwei Richtungen ausgehend entwickelt werden.

S-BPM bietet die Möglichkeit, das Verhalten aller Mitarbeiter zu modellieren. Dies erlaubt eine interaktive und realitätsbezogene Prozessoptimierung, da Mit- arbeiter selbst über benötigte eingehende und ausgehende Nachrichten ihre Art der Interaktion im Prozess verhandeln. Die Trennung zwischen Konzept und Implementierung, die in allen bisher entwickelten Ansätzen unüberbrückbar schien, wird aufgehoben, sodass zwischen Konzept und Implementierung sogar ständig gewechselt werden kann und ein ad hoc iteratives Vorgehen möglich ist. Release-Zyklen entfallen, Mitarbeiter können umgehend das Ergebnis ihrer ­Modellierung in der Implementierung validieren.

Abbildung 2: Überblick über die subjektorientierte Prozessmodellierung

Kommunikationsverhalten Empfangen und Senden von Nachrichten Subjekt Subjekt (= Rolle) > Kunde (= Rolle) > Callcenter-Mitarbeiter Kündigungs- schreiben

Nachrichten Akteure Akteure Internes Subjektverhalten Kündigungs- (= Handlungen) schreiben Bearbeitung von Kündigungsschreiben

Quelle: Detecon

Detecon International GmbH 311 Agilität in Prozessen und IT

Darüber hinaus verspricht die Umsetzung von S-BPM neben Einsparungen bei den IT- und Personalkosten eine verbesserte Ausschöpfung von intraorganisa- torischen Synergien und damit einhergehend eine Effizienzsteigerung. S-BPM könnte somit zur nächsten Evolutionsstufe des bisherigen Verständnisses von BPM werden.

Vier Rollen zur Steuerung und Optimierung der Prozessfabrik

Im Ansatz des subjektorientierten Prozessmanagements sind vier Rollen defi- niert, in denen sich die Aufgabenbereiche heutiger BPM-Akteure größtenteils wiederfinden. Der Rolle des „Governors“ fällt die Verantwortung für die Vorga- ben der strategischen Ziele zu, auf die das Handeln sowie die Prozesse ausgerich- tet sein müssen. Governors können Mitglieder der Geschäftsleitung sein, die auf der normativen Managementebene die Unternehmens- und Geschäftsfeldstra- tegie definieren, aus der anschließend vom mittleren Management und von der IT-Leitung funktionale sowie IT-Strategien entwickelt werden. Die Organisa­ tionsabteilung unterstützt die genannten Bereiche über die Vorgabe von Metho- den, Werkzeugen und Konventionen. Der ebenfalls den Governors zugeordnete Process Owner zeichnet für die Kommunikation der strategischen Ziele an die Prozessbeteiligten (Actors), die optimale Ausrichtung der Prozesse sowie deren Leistungseffizienz verantwortlich, welche er durch die Verfolgung geeigneter Pro- zesskennzahlen und Zielwerte nachweist.

Die bisherigen Prozessentwickler des traditionellen BPM tauchen im S-BPM- Modell als „Experts“ auf und rekrutieren sich primär aus internen und externen Prozessberatern sowie IT-Architekten. Sie entwickeln im Gegensatz zu heute kei- ne Prozesse am grünen Tisch, sondern nutzen ihre Prozessintelligenz zur Analyse der in der zentralen Wissensbasis von den Actors dokumentierten und gelebten Prozesse. Dadurch sind sie in der Lage, Top-down-Synergien wie auch Prozess­ effizienzen zu erkennen und auf Basis der von den Governors festgesetzten Rah- menbedingungen und Zielwerten unternehmensweite Prozessoptimierungen zu erzielen.

Ihnen gegenüber stehen mit den „Actors“ die tatsächlich Arbeitshandelnden, de- nen die eigentliche Ausführung der Arbeitsprozesse obliegt. Diese verkörpern vor allem im Rahmen der lokalen Analyse, Modellierung, Optimierung und Im- plementierung von Geschäftsprozessmodellen, entsprechend der Zielsetzung des S-BPM, Bezugspunkte und Handelnde zugleich. Sie selbst sind für die Ausge- staltung ihrer Prozesse zuständig. Sie definieren im S-BPM-Prozessmodell ihren Prozess und tragen damit zum Aufbau und zur ständigen Aktualisierung der pro- zessualen Wissensbasis bei.

312 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

„Facilitators“ agieren als Mediatoren und helfen, die praktischen Erfahrungen der neu an der Prozessgestaltung beteiligten Actors und die Vorstellungen der Experts aufeinander abzustimmen. Neben dieser Funktion der Kommunika­ tionsunterstützung zwischen Arbeitshandelnden untereinander sowie Arbeits- handelnden und Fachspezialisten gewährleisten sie den Austausch mit den betei- ligten Stakeholdern. Die Rolle des Facilitators können Führungskräfte aus dem mittleren Management, Projektleiter wie auch Organisationsentwickler und Consultants übernehmen.

Gemeinsames Ziel aller Rollen ist es, Prozesse in enger Zusammenarbeit abzubil- den und auf der Grundlage eines einheitlichen Prozessverständnisses sowohl aus der handelnden als auch aus der unternehmensübergreifenden Perspektive wei- terzuentwickeln. Ein Prozess wird als eine Struktur verstanden, in der Akteure zu Aufgaben gebündelte Aktivitäten in sachlogischer und zeitlicher Reihenfolge mit entsprechenden Ressourcen und Informationen ausführen, um ein Geschäftsob- jekt zu bearbeiten. Dieser Prozess weist immer eine definierte Eingabe auf und erzeugt ein Ergebnis, das einen Wert für den Kunden besitzt.

Aus dem Kommunikations- und dem internen Verhalten aller Subjekte entsteht ein vollständiges S-BPM-Modell, das von allen beteiligten Rollen verstanden werden kann. Das Zusammenspiel von formaler und inhaltlicher Validierung erzeugt ein korrektes Prozessabbild. Dieses lässt sich durch die darunterliegenden formalen Eigenschaften eines Zustandsautomaten direkt in eine ausführbare Software übersetzen.

Ziel des Veränderungsprozesses: Agile Smart-Business-Netzwerke

Das subjektorientierte Konzept von S-BPM ebnet den Weg hin zu einer automa- tisierten und in weiten Teilen autonomen Orchestrierung von Business Services, die sowohl aus menschlichen als auch aus maschinellen oder IT Services bestehen können. Telekommunikationsunternehmen erhalten die Möglichkeit, Business Services wieder zu verwenden, zu erweitern, gezielt fehlende neu zu entwickeln oder von Partnern bereitgestellte zu integrieren und in nie gekannter Geschwin- digkeit neu benötigte respektive veränderte Prozesse und Produkte zu erzeugen. Dies unterstützt nicht nur eine erhöhte Agilität, sondern senkt Prozess- und IT- Kosten signifikant.

In einer weiteren Evolutionsstufe könnte die durchgängige Verwendung von Subjekten als Mediatoren der Kommunikation in Prozessen die direkte Kom- munikation zwischen Anwendungen überflüssig machen. Die standardisierte Bereitstellung von Daten, die kein Wissen über die physische Datenstruktur er-

Detecon International GmbH 313 Agilität in Prozessen und IT

fordert (Data as a Service), gälte als ein weiterer Schritt, um die Heterogenität und Komplexität der IT-Systemlandschaft sowie die Vielfalt der erforderlichen Konnektoren in Unternehmen zu reduzieren. Der aktuell als fortschrittlich gel- tende Enterprise Service Bus (ESB), der immerhin zu einer Vermeidung von unzähligen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen IT-Systemen geführt hat, wäre obsolet. Denn Subjekte sind mithilfe sogenannter „Behavioural Interfaces“ in der Lage, empfangende Subjekte selbstständig zu identifizieren, die Nachrich- ten jenem Subjekt zu senden, das diese dann weiterverarbeiten kann. Dies eröff- net Telekommunikationsunternehmen die Möglichkeit, ganz neue Konzepte der Partneridentifikation und -einbindung ad hoc und automatisiert zu realisieren. Behavioural Interfaces und Data as a Service bewirken eine grundsätzliche Ver- änderung der Architekturen heutiger IT-Landschaften und ganzer Telekommu- nikationsunternehmen. Agilität und Autonomie in Verbindung mit intelligenter Interoperabilität entwickeln sich zu inhärenten Eigenschaften der gesamten IT- und Prozessarchitektur von Unternehmen.

Die vollständige Implementierung eines um diese Ideen erweiterten S-BPM- Ansatzes führt zu erheblichen Umwälzungen in Organisationen. Die statischen Organisationsstrukturen, Zuständigkeiten von Mitarbeitern und Systemen, de- ren Arbeitsweise sowie die betriebswirtschaftlichen Abläufe, beispielsweise die Budgetierung, erscheinen in vielen Unternehmen jedoch noch nicht reif genug, um kurzfristig den Weg hin zu einer agilen Organisation einzuschlagen. Der er- forderliche Wandel, der die Vision einer agilen Telekommunikation Wirklichkeit werden lässt, muss deshalb zielorientiert und schrittweise erfolgen. S-BPM trägt in seinem Rahmen bereits jetzt dazu bei, diesen Veränderungsprozess in Unter- nehmen einzuleiten. Es schafft Voraussetzungen, die den Zwang zur zentralen Beherrschung der vollständigen Komplexität aufheben, denn es betrachtet Sub- jekte wie Mitarbeiter, Cloud Services oder externe Partner als autonom in Bezug auf das interne Verhalten und definiert eindeutig seine Interaktionen mit den Subjekten der Umwelt. Durch eine solche Mechanik können Netzwerke, auch Smart Business Networks, jederzeit kurzfristig neu konfiguriert sowie ge- und entkoppelt werden. Der Unterschied zwischen internem und externem Subjekt, Mitarbeiter und Partner, ist in der Konfiguration der Leistungsnetzwerke eher von untergeordneter Bedeutung, da beide den gleichen Prinzipien des Subjekts folgen.

Der Weg zu dieser neuen Prozesswelt kann viral erfolgen. Einzelne kritische Prozesse werden auf strategisch vorgegebene Ziele hin optimal modelliert und implementiert. Anschließend werden die angrenzenden Subjekte in deren Um- gebung mit ihrem internen Verhalten modelliert, bis diese Methodik im Unter- nehmen verbreitet ist. Die Modelle lassen sich in einer Cloud als Process as a

314 Detecon International GmbH Vom Telekommunikationsunternehmen zur Prozessfabrik

Service entwickeln und der Organisation allerorts bereitstellen. Dadurch entsteht eine essenzielle Wissensbasis für die Identifikation von Synergien und Weiterent- wicklung von zentralen Richtlinien. Voraussetzung ist, dass die Mitarbeiter den Sinn und Zweck des Unternehmens mit dessen wesentlichen strategischen Zielen verstehen und Konsequenzen für ihren Prozess ableiten können. Dieser virale Ansatz muss jedoch richtig induziert und genau beobachtet werden, um das Ver- ständnis und den Nutzen bei den Beschäftigten zu erzeugen sowie die richtigen Schlüsse in Bezug auf die Kommunikation und Ausbreitung der Methode abzu- leiten. Zudem muss das oberste Management solch einen Ansatz unterstützen, da ein Großteil der heutigen Funktionen, beispielsweise die IT oder Prozess­ modellierungsabteilungen, sich in ihrem bisherigen Agieren bedroht fühlen werden. Diesbezüglich sind zu einem geeigneten Zeitpunkt die oben erwähnten neuen Rollen auch organisatorisch zu verankern.

Bei den Prozessbeteiligten selbst findet durch einen derartigen Ansatz ein Um- denken statt in Richtung ihrer eigenen Rolle im Prozess, den sie selbstständig oder weitgehend unabhängig von der IT gestalten können. Die Grenzen zwi- schen intern und extern, zwischen automatisiertem Service und manueller Arbeit lösen sich auf, da über S-BPM die Interaktion zwischen den Subjekten defi- niert ist. So können ad hoc Partner wie Start-ups oder kleinere OTT-Anbieter, die in einem neuen Telekommunikationsprodukt einen Teil der Wertschöpfung übernehmen, einfach angebunden und wieder entkoppelt werden. Es entstehen ­agile Smart-Business-Netzwerke, die interne wie externe Fähigkeiten als Subjekte schnell miteinander koppeln können und Mehrwert hinsichtlich sich dynamisch ändernder Kundenanforderungen generieren.

Die Prozessbeteiligten gestalten ihre Prozesse selbst und können ihre Ideen zur Prozessverbesserung direkt umsetzen sowie Feedback von Kunden sofort in ih- rem Prozess berücksichtigen. Das gewährleistet eine iterative zielorientierte Pro- zessoptimierung und eine zügige Anpassung an neue Situationen. Best Practices und stabile Standards, die sich im Laufe der Zeit herausbilden, können das Ver- halten einzelner Subjekte automatisiert als Service implementieren. Telekommu- nikationsunternehmen erhalten neue Möglichkeiten, sich agil entsprechend den Markterfordernissen schnell und erfolgreich zu entwickeln.

Detecon International GmbH 315 Ausblick

Weichenstellung für die digitale Transformation Dr. Peter Krüssel, Dr. Stefan Schnitter

316 Detecon International GmbH Weichenstellung für die digitale Transformation

Megatrends wie dramatisch beschleunigte Innovationsraten und eine noch nie da gewesene Vernetzung von Kunden, Unternehmen und Produkten im Kontext einer globalen Wertschöpfung entwickeln sich auf Basis von digitalen Techno- logien. Industrie 4.0 und das Internet der Dinge sind zwei Beispiele für Schlag- worte, die das illustrieren. Erfahrbar werden diese Trends durch Produkte wie M2M oder Cloud Services und branchenspezifische Lösungen, etwa Smart Grids oder intelligente Mobilitätskonzepte, die das Auto zum Internetknoten machen. ICT wandelt sich vom Enabler dieser Entwicklungen zum zentralen Kern eines jeden Geschäftsmodells. Die Gesellschaft befindet sich mitten in einer digitalen Transformation, welche die Geschäftsgrundlage eines jeden Unternehmens nach- haltig verändern wird.

Telekommunikationsunternehmen betrifft diese Entwicklung in besonderer Weise. Sie müssen die Herausforderung der digitalen Transformation einerseits für sich selbst im Hinblick auf die Anpassung von Strukturen, Prozessen und Geschäftsmodellen meistern. Andererseits sind sie aufgefordert, die Plattform für die digitale Transformation der Gesellschaft und ihrer Kunden zu bilden. Was bedeutet das für die Telekommunikationsunternehmen?

Network is King! Die zentrale Produktionsgrundlage der Carrier sind die Netze. Sie wandeln sich in der Zukunft noch stärker zum Dreh- und Angelpunkt der unternehmerischen Entscheidungen. Angesichts der immensen Investitionen in die notwendigen Kapazitätserweiterungen sowie der synergetischen Verschmel- zung von Fest- und Mobilfunknetzen werden unter den (multi-)nationalen Car- riern lediglich integrierte Heavy Asset Carrier im Markt verbleiben. Als zweit- beste Option bietet sich das Reselling an, allerdings dürfte diese Position über kurz oder lang von den OTT-Anbietern ebenso gut oder sogar besser abgebildet werden können. Wettbewerbsfähige Netze sind somit der Überlebensgarant der Carrier: als elementarer Differenzierungsfaktor zu anderen Carriern, als Verhand- lungs- und Machtgrundlage in Richtung OTT-Anbieter, als Plattform für Part- ner und als zentraler Profilierungspunkt gegenüber den Wholesale-, Geschäfts- und Privatkunden.

Komparative Wettbewerbsvorteile der Netze zeigen sich in geringeren Kosten pro übertragenem Bit bei vergleichbarer Qualität. Den Ausschlag geben somit möglichst geringe Betriebs- und Investitionskosten für die Infrastruktur und gleichzeitig eine hohe Auslastung der Netze. Dabei wird häufig übersehen, dass die Effizienz der Netze nicht nur eine technische Herausforderung darstellt, er- folgskritisch ist vielmehr die Optimierung von Organisation und Prozessen. Mit dem Zwang zu Auslastung und Reichweite rückt auch der Faktor Größe in den Vordergrund. Die Größe eines Carriers, gemessen an Kriterien wie Umsatz, Kun-

Detecon International GmbH 317 Ausblick

denzahl, globale Präsenz oder Lieferfähigkeit, wird die Attraktivität der Angebote aus Sicht von Partnern und Kunden ganz wesentlich bestimmen.

Die vorstehend aufgeführten Zusammenhänge werden den Konsolidierungspro- zess unter den Carriern bereits in naher Zukunft deutlich vorantreiben, sei es in Form von M&A-Aktivitäten oder Kooperationen zwischen den Carriern.

Der Trend hin zur Größe bedeutet jedoch keineswegs automatisch einen Trend zu Einheitsdiensten, Einheitspreisen oder Einheitsnetzen. Ganz im Gegenteil: Die Regionalisierung wird in Zukunft ein noch wichtigeres Betätigungsfeld für die Carrier sein – sowohl hinsichtlich der regional angebotenen Dienste oder Vorleistungen als auch mit Blick auf den bedarfsgetriebenen Netzausbau. Erfolg haben werden diejenigen Carrier, die Dienste und Technologien so standardisiert wie möglich und so regionalisiert wie nötig implementieren.

Neben der Reduktion der Kosten pro Bit steht die Steigerung oder zumindest Stabilisierung der Erlöse pro Bit im Vordergrund.

Beide Forderungen lassen sich durch den Wholesale-Bereich der Carrier erfüllen. Dies verlangt ein konsequentes „Wholesale Empowerment“. Die auftauchenden klassischen Konflikte zwischen Wholesale und Retail müssen streng nach dem jeweiligen ökonomischen Ergebnisbeitrag austariert werden.

Der Retailsektor ist nicht minder gefordert, seinen Beitrag zur Monetarisierung der Netze zu leisten. Schlagworte wie Qualitätsdifferenzierung, ein ausgewogener Mix aus eigenen Innovationen und partnerschaftlich organisierten Angeboten sowie eine begeisternde Customer Experience beschreiben hier die vordringlichs- ten Handlungsfelder.

Die Unterschiede in der Qualität der Netze treten bereits jetzt insbesondere im Mobilfunkbereich zutage und sind für Kunden in Zukunft zunehmend spürbar. Unterschiedliche Qualitäten gilt es in entsprechenden Preismodellen temporär oder dauerhaft abzubilden – für bestimmte Dienste oder Anwendungen, für Pri- vat-, Geschäfts-, Wholesale-Kunden, Segmente, Regionen und Partner oder auch durch eine differenzierende Markenpolitik. Das Gleiche gilt für die Konditionie- rung der Zugänglichkeit von Vertriebskanälen und die Differenzierung in Bezug auf die Inanspruchnahme von technischen Services.

Darüber hinaus bieten sich dem Marketing durch die technologischen, infra- strukturellen und prozessualen Innovationen wie SDN, Virtualisierung und S-BPM neue vielversprechende Möglichkeiten, Produktinnovationen – in

318 Detecon International GmbH Weichenstellung für die digitale Transformation

­Eigenregie und in Partnerschaft mit externen Anbietern – deutlich schneller und flexibler als bisher zu kreieren, am Markt zu platzieren und diese gegebenenfalls auch wieder zügig zu eliminieren. Solche Chancen muss das Marketing der Car- rier erkennen und verwerten.

Dem bis dato eher stiefmütterlich behandelten Thema Partnering müssenCarrier­ zukünftig erheblich größere Aufmerksamkeit schenken. In diesem Fall geht es um die Definition der eigenen Rolle in sogenannten Smart Business Networks und um den Wettbewerb um attraktive Partnerschaften. Auch hier können lukrativ­ e Differenzierungschancen liegen.

In reifen Märkten mit intensivem Preiswettbewerb und nur noch geringem Kun- denwachstum treten die Kundenbestandspflege, Cross- und Upselling-Themen sowie Loyalitätsaspekte in den Vordergrund. Entscheidend für die Kundenbin- dung sind neben objektiven Produkteigenschaften eher emotionale Attribute der Produkte, der Marke oder des Unternehmens. Carrier tun gut daran, sich Klarheit über die wesentlichen rationalen und emotionalen Elemente einer herausragenden­ Customer Experience zu verschaffen, mit der sie bloße Kunden- zufriedenheit in echte Kundenbegeisterung verwandeln. Hierzu gehören als un- abdingbare Voraussetzung begeisterte Mitarbeiter.

Die dargestellten Herausforderungen und Handlungsempfehlungen besitzen in ihrer Gesamtheit weitreichende transformatorische Bedeutung für Carrier. Sie haben strukturelle und prozessuale Implikationen, beispielsweise in Form einer engeren Verschränkung von sowohl Technik und IT als auch von Fachseiten wie Marketing und Vertrieb, sowie kulturelle Konsequenzen. Letztere ergeben sich aus der Öffnung für Partnerschaften, Flexibilität und Agilität in Innovationen und aus dem Wert des Mitarbeiterstolzes als wesentliche Voraussetzung für eine begeisternde Customer Experience.

Ein zentrales Fundament für das Gelingen dieser Transformation und die nach- haltige Sicherung der Profitabilität der Carrier bildet ein ausgewogener regula- torischer, wenn nicht gar industriepolitischer Rahmen. Dieser muss Telekom- munikationsanbietern Anreize für den Netzausbau und Innovationen auf der Diensteebene bieten und genügend Preisspielräume gewähren. Dann sind Car- rier in der Lage, die Kapitalmärkte von der Werthaltigkeit ihrer Investitionen zu überzeugen.

Detecon International GmbH 319 Die Autoren

Clemens Aumann treibt seit 20 Jahren als Manager und Berater die Entwick- lung und Vermarktung von Telekommunikationsdiensten. Schwerpunkt seiner ­aktuellen Untersuchungen sind die zukünftigen Folgen der IT-Telco-Konvergenz für die marktgerichteten Prozesse und Organisationsformen der Telekommuni- kationsanbieter.

Dr. Uli Alexander Bornhauser ist Senior Consultant. Sein Beratungsfokus umfasst strategische, technische und finanzstrategische Fragestellungen in der ­Telekommunikationsindustrie. Er ist an der Entwicklung neuer kosteneffizienter Netzwerke und serviceorientierter Architekturen beteiligt und berät Service ­Provider und Regulierungen in Deutschland und Asien.

Dr. Arne Chrestin ist Managing Consultant mit 15 Jahren Erfahrung als Experte und Teamleiter in internationalen Projekteinsätzen. Er entwickelt Netzmoder- nisierungsstrategien für Betreiber von Fest- und Mobilfunknetzen und besitzt umfangreiche Erfahrung in der Migration zu All-IP-Netzen. Gegenwärtig unter- stützt er die Planung und Umsetzung von SDN- und Virtualisierungskonzepten bei einem führenden Telekommunikationsunternehmen.

Ulrike Eberhard ist Managing Partner und hat den Schwerpunkt ihrer Bera- tungstätigkeiten auf Geschäftsprozessmodellierung, Marketingstrategien für unterschiedliche Marktphasen, Marketing-Performance-Programme, Portfolio- planung und Preisgestaltung gelegt. Diese Strategien hat sie als Interimsmanage- rin oder Projektmanagerin für Carrier und ISPs europaweit sowie im Mittleren Osten, Asien und Afrika erfolgreich entwickelt und umgesetzt.

Patrick Eberwein ist in der Knowledge Community CRM, Sales & Service als Senior Consultant tätig. Als Autor begleitete er Studien zu Customer Experience Management und Customer Self-Services. Seine Schwerpunkte liegen in den Themenbereichen Kanal- und Kundenkontaktmanagement, werthaltige Cross- und Up-Selling-Strategien sowie digitale Services.

Lutz Fritzsche ist Managing Consultant im Bereich International Telecommuni- cations. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf der Planung und Optimierung von Telekommunikationsnetzen, insbesondere von Transportnetzen. Er ist aktiv an der Weiterentwicklung sowie dem Vertrieb des Detecon-eigenen Planungstools ‘NetWorks’ beteiligt und betreut diesbezüglich zahlreiche Kunden.

320 Detecon International GmbH Future Telco

Dr. Osvaldo Gonsa ist in der LTE Core Netzwerk sowie der NFV&SDN Know- ledge Community als Senior Consultant tätig. Seine Erfahrung im Bereich Vir- tualisierung stammt aus seiner Projekttätigkeit und ist Basis für seine Arbeit als Autor. Seine Schwerpunkte liegen auf den Themen Architektur und Services für Telekommunikationsnetzwerke sowie Strategien zur Einführung von virtuellen Dienstleistungen über derzeitige LTE-Netzwerke.

Joachim Hauk ist Managing Consultant und Knowledge Leader für CRM, Sales & Service. Zu diesem Themenkomplex berät er insbesondere Unternehmen der Dienstleistungsbranche. Sein besonderer Fokus liegt auf Fragestellungen zu ­Kanalmanagement, Customer Experience Management und Kundenbindung.

Dr. Ralf Helbig ist als Managing Partner für die Bereiche IT Strategy & ­Architecture, Travel, Transport & Logistics verantwortlich und seit mehr als zehn Jahren in der Beratung aktiv. Er übernimmt Forschungs- und Lehrauf­gaben an der Universität Bonn und beteiligte sich an verschiedenen Start-ups.

Dr. Arnulf Heuermann ist Managing Partner und verfügt über Projektleiter­ erfahrung im Telekommuni­kationssektor in mehr als 40 Ländern Europas, ­Asiens und Afrikas. Seine Kernkompetenzen ­liegen im Bereich der Strategiebera- tung, Telekommunikations­regulierung, Privatisierung und dem M&A-Geschäft.

Daniel Kellmereit ist als CEO, Detecon Inc. für den gesamten nord- und ­südamerikanischen Markt verantwortlich. Er verfügt über umfangreiche Erfah- rungen in den Bereichen Innovation, Marketing, Unternehmensentwicklung und Wachstumsstrategien und begleitet junge Unternehmen bei ihren Bemü- hungen, überzeugende Produkte zu entwickeln, Umsatzzuwachs zu fördern und Kapital zu beschaffen. Er arbeitet mit Kunden in der Telekommunikations-, In- ternet-, Hardware-, Software- und Dienstleistungsbranche sowie mit Investoren.

Dr. Christian Krämer leitet als Managing Consultant eine Vielzahl von ­Kooperationsprojekten. Er forscht auf dem Gebiet der Business Collaboration und engagiert sich als EFQM-Assessor in der Verbesserung von Unternehmen unter Höchstleistergesichtspunkten.

Detecon International GmbH 321 Die Autoren

Dr. Peter Krüssel leitet als Managing Partner den Account T-Deutschland. Er berät Telekommunikationsunternehmen zu strategischen Fragestellungen im ­Retail- und Wholesale-Bereich. Sein Schwerpunkt liegt auf den Zusammen- hängen zwischen Netzinfrastruktur und Marketing, Produktpolitik, bedarfs­ orientierten Netzausbaustrategien, differenzierten Marktbearbeitungsstrategien, Social Media, Wettbewerbs- und Marktanalysen sowie Regulierungsthemen.

Martin Lundborg (M.Sc.) arbeitet seit 15 Jahren als Unternehmensberater in der Telekommunikationsbranche mit Fokus auf Strategieprojekten, Breitband­ investitionen, Vorleistungsmärkten, Netzkosten und Regulierung.

Yasmin Narielvala leitet den Bereich Strategy & Innovation in San Francisco. Mit fast 20 Jahren Branchener­ fahrung führt sie strategische Technologiebewertungen für Kunden durch und entwickelt Maßnahmen für das Innovationsmanagement,­ die Wachstum vorantreiben und der Disruption entgegenwirken.

Dr. Olaf Nielinger ist Managing Consultant im Wholesale- und Regulierungs- bereich. Er verfügt über 14 Jahre fundierte Erfahrungen in internationalen Tele- kommunikations- und ICT-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt in den Bereichen nationaler und internationaler Wholesale, Geschäftsstrategieentwicklung und Geschäftsplanung, regulierungsseitig auf wirtschaftlicher und sozialer Regulie- rung, ICT-Richtlinien und Strategieentwicklung.

Andreas Penkert ist Managing Consultant und berät Unternehmen zu den ­Themen rganisationO und Prozesse, Service Management und Customer Expe- rience sowie innovativen Vertriebsansätzen im digitalen Zeitalter. Er ist Autor der Studie „Customer Self-Services“.

Dr. Hans-Peter Petry arbeitete nach einer Industriekarriere bei führenden Her- stellern der Telekommunikationsindustrie von 2006 bis 2012 als Managing Consultant und Managing Partner bei Detecon. Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand leitete er dort den Bereich Telecommunication Technologies. ­Aktuell ist er als Senior Advisor für Detecon tätig und arbeitet ehrenamtlich für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das Deutsche Zentrum für Satellitenkommunikation (DESK).

Lothar Reith ist als Senior Consultant mit dem Schwerpunkt Communications Technology tätig. Er verfügt über 30 Jahre Erfahrung mit paketvermittelter Netz- technik sowie netznaher IT und arbeitet in Kundenprojekten zu SDN für Carrier-­ Netze und Datencenter. Er wirkt in Standardisierungsgremien wie IETF, ONF, MEF, TMF zu den Themen Netzvirtualisierung und Overlay-Techniken mit.

322 Detecon International GmbH Future Telco

Steffen Roos berät als Managing Consultant Kunden im Kontext von Social ­Media Business, Multikanalmanagement, Mobile Enterprise, CRM und Enter- prise 2.0. Er verfügt über eine mehrjährige Erfahrung in der Konzeption, ­Entwicklung und dem Rollout komplexer IT-Architekturen in verschiedenen Industrien.

Manfred Schmitz hat als Partner seinen Beratungsschwerpunkt auf Managed Services und betriebliche Effizienz gelegt. Während seiner mehr als 15-jährigen Erfahrung im Mobilfunk- und Festnetzgeschäft hat er für verschiedene Herstel- ler und Mobilbetreiber gearbeitet. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Thematik Telekommunikationsstrategie und -planung, Netzbetriebsmanage- ment und Managed Services.

Dr. Stefan Schnitter ist Partner im Bereich International Telecommunications. Er hat lang­jährige, internationale Erfahrung auf dem Gebiet IP-basierter Netze und Dienste, sowohl durch seine Tätigkeit als Berater als auch durch Positionen im Management von Netzbetreibern. Der Schwerpunkt seiner aktuellen Bera- tungstätigkeit umfasst Strategien für den Breitbandausbau für Festnetz- und ­Mobilfunkbetreiber sowie die Architektur, Planung und Implementierung der Netze für Telekommunikationsunternehmen weltweit.

Dr. Mathias Schweigel ist Managing Consultant und spezialisiert auf methoden­ basierte Netzwerkplanung. Er trainiert Anwender der Detecon-eigenen Software ‘NetWorks’ für Netzwerkplanung und Optimierung. Darüber hinaus unter- stützt er in Projekten die Anwendung von Planungssoftware für operative und strategische Fragestellungen.

Dr. Markus Steingröver ist Managing Partner im Bereich International ­Telecommunications und leitet das Team „Global Wholesale & Regulatory Knowledge“. Er berät Mobilfunk- und Festnetzbetreiber sowie Regulierungs- behörden weltweit zu den Themen Geschäftsmodelle, Wholesale- und Regulie- rungsstrategien sowie Kostenplanung. Seine zentralen Arbeitsbereiche umfassen Geschäftsentwicklungsstrategien­ für Breitband und Wholesale.

Dr. Rong Zhao ist Managing Consultant und beschäftigt sich seit 14 Jahren mit den Themenschwerpunkten Planung, Optimierung, Migration und Implemen- tierung der Zugangsnetze und Transportnetze. Er ist Mitglied in der VDE/ITG Fachgruppe „Access and Home Networks“ (FG 5.2.5) sowie Autor und Referent von zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen.

Detecon International GmbH 323 Wer wir sind!

Über Detecon International GmbH

Detecon ist eines der weltweit führenden Unternehmen für ICT-Management- Beratung. Der Leistungsschwerpunkt besteht in Beratungs- und Umsetzungs­ lösungen, die sich aus dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstech- nologien (ICT), ergeben. Die Dienstleistungen umfassen sowohl die klassische Strategie- und Organisationsberatung als auch die Planung und Umsetzung von komplexen, technologischen ICT-Architekturen und -Anwendungen. Das Know-how der Detecon bündelt das Wissen aus erfolgreich abgeschlossenen ­Management- und ICT-Beratungsprojekten in über 160 Ländern. Detecon ist ein Tochterunternehmen der T-Systems International, der Großkundenmarke der Deutschen ­Telekom.

324 Detecon International GmbH

Knowledge@Detecon

Consulting Future Telco

Knowledge@Detecon DETECON

Profitabilität in der Telekommunikation: Der Datenverkehr steigt unaufhaltsam, die Umsätze pro ­Kunde Sieben Hebel sichern die Zukunft sinken. Carrier müssen ihre Netzinfrastrukturen modernisieren und neue Kapazitäten schaffen. Möglich ist das nur, wenn die Politik einen geeigneten regulatorischen Rahmen schafft und Telekommunikationsunternehmen neue Erlösquellen er- schließen. Im Wettbewerb um den Endkunden werden sich ausschließlich integrierte Carrier behaupten, die ihren Kunden attraktive eigene sowie partnerschaftlich organisierte Ange- bote bieten.

Detecon-Experten haben sieben Hebel identifiziert, dieCarrier ­ darin unterstützen, ihre Profitabilität nachhaltig sicherzu­ stellen: moderne Netzkonzepte, integrierter Ausbau der Netz- kapazitäten, fokussierte Innovation, forcierte Partnering, Aus- bau des Wholesale-Geschäfts, differenzierte Marktbearbeitung und agile Prozesse und IT.

Consulting Consulting

DETECON Telco Future DETECON