Kloster und versteckte sich bei seiner Mutter im Württembergischen. Weil Blarer mit sei- in , denn seine Vorgesetzten wollten nem ausgleichenden Wesen einseitigen Stel- ihn festnehmen und zurück ins Kloster führen lungnahmen auswich, geriet er bei den Luthe- lassen. In dieser kritischen Zeit der Verbor- ranern in Verdacht, ein Zwinglianer zu sein genheit dichtete Blarer die ersten Lieder. Auch und umgekehrt. Zuletzt führten Spannungen später hat er krisenhafte oder bewegende Er- zwischen reformierter und lutherischer Posi- lebnisse oft poetisch verarbeitet und als Dich- tion zur unrühmlichen Entlassung Blarers aus ter eine grosse Meisterschaft erlangt. den herzoglichen Diensten.

Reformator in Konstanz Asyl in der Schweiz In Konstanz wurde bereits 1522 der neue 1539 wirkte Blarer für kurze Zeit in Augsburg. Glaube gepredigt, Blarer jedoch liess sich erst Weil er «wie ein römischer Volkstribun vor 1525 nach fast dreijährigem Zögern für die dem Senat» für eine gründliche Reform der aktive Mitarbeit gewinnen. Dann aber stieg er Armenpflege eintrat, überwarf er sich mit rasch zum anerkannten Haupt der Reforma- dem Stadtrat. Da für Blarer die Armenhilfe ein tion in Konstanz auf. Dass er aus einer der ers- Herzensanliegen war, liess er in diesem Punkt ten Familien der Stadt stammte und ver- nicht mit sich verhandeln und kehrte zurück wandtschaftliche Beziehungen zur Politelite nach Konstanz. Von 1540 bis 1548 verliess der (Bruder Thomas und Vetter Konrad Zwick) Reformator seine Vaterstadt nicht mehr, Bilder: wikimedia.org Bild: Anja Graf hatte, war wohl mitbestimmend für diesen ra- nahm keine auswärtigen Berufungen mehr an Nachdem Karl V. (links) die protestantischen Fürsten in der Schlacht bei Mühlberg (rechts) besiegt hatte, musste sich auch Konstanz dem Religionsdiktat des Kaisers beugen. Re- schen Aufstieg. Der Übergang zur Reformati- und verzichtete auf kirchenpolitische Aktivi- Nach der Flucht aus Konstanz predigte Ambrosius Blarer eine formator Ambrosius Blarer verliess deshalb seine Geburtsstadt. on vollzog sich nun harmonisch und ohne täten. So gewann er viel Zeit und setzte sich Zeitlang in Leutmerken im Kanton Thurgau. Spannungen. Die Messe wurde abgeschafft, vor allem seelsorglich für seine Gemeinde ein. das Abendmahl und eine neue Liturgie wur- 1547 siegten die Truppen Kaiser Karls V. bei Kirchenzucht begünstige nur die Heuchelei. den eingeführt, das Schul- und Armenwesen Mühlberg über die im Schmalkaldischen Bund In seinen letzten Lebensjahren versorgte Bla- organisiert und zur Hebung der Sittlichkeit vereinten protestantischen Fürsten, was zu- rer eine Zeitlang das Pfarramt Leutmerken. Der Kaiser vertrieb ihn aus Konstanz eine Zuchtordnung eingeführt. nächst ein empfindlicher Rückschlag für die Von überall her kamen die Leute, um den cha- Sache der war. Auch Konstanz rismatischen Prediger zu hören, so dass es die Sein Freund nannte ihn den Apostel Schwabens. Und tatsäch- Mönch genoss offenbar ein hohes Ansehen in Wirken in Süddeutschland musste sich schliesslich dem Religionsdiktat benachbarten Pfarrkollegen und auch die Ka- lich: Ambrosius Blarer setzte sich mit all seinen Gaben und Kräften für die der Klostergemeinschaft: trotz seiner Jugend Blarer kam es nicht so sehr auf theologische des Kaisers fügen. Am 24. August 1548 ver- tholiken sehr verdross. Ein Beschluss der Ba- wurde er zum Prior (Stellvertreter des Abtes) Richtigkeit an. Die Frage beispielsweise, auf liess Blarer für immer seine Vaterstadt. Bei sei- dener Tagsatzung forderte Blarer auf, Leut- Reformation von Konstanz und des süddeutschen Raumes ein. Nach anfäng- gewählt. Die Lektüre der Schriften Martin Lu- welche Art man Christi Gegenwart im Abend- ner verwitweten Schwester Barbara auf merken zu verlassen. So zog er wieder nach lichen Erfolgen aber musste er zusehen, wie der unberechenbare Lauf der thers führte jedoch zu einem langsamen Um- mahl auffassen soll, trennte Lutheraner und Schloss Griesenberg bei Leutmerken im Kan- Winterthur, wo er am 6. Dezember 1564 im denken. Sein jüngerer Bruder Thomas, der Zwinglianer. Blarer warnte davor, sich verbis- ton Thurgau fand er vorübergehend Aufnah- 73. Lebensjahr das Zeitliche gesegnet hat. Geschichte viele Spuren seines Wirkens auslöschte. später Ratsherr und Bürgermeister von Kon- sen mit «klugen und spitzigen Fragen» abzu- me. stanz wurde, studierte in Wittenberg Theolo- geben. Förderlicher für die Gemeinde sei es, Werner Dietschweiler gie und bestärkte Ambrosius auf seinem Weg auf das Gemeinsame im Abendmahl zu sehen Letzte Jahre zum Reformer. und in den Streitfragen zu warten, bis Chris- Später übersiedelte er nach Winterthur, und Dossier zum Sammeln! Ambrosius Blarer wurde am 4. April 1492 als zurück, wo er zwanzigjährig als Magister (heu- tus bessere Einsichten schenke. Diese zurück- von 1551 bis 1559 versorgte Blarer in Biel Sohn reicher und angesehener Eltern in Kon- te: Hochschulassistent) seine Studien ab- Vorsichtige Annäherung haltende Einstellung machte Blarer zwar nicht noch einmal eine Pfarrstelle. Auch hier war DIE REFORMATION stanz geboren. Mit zwölf Jahren verlor er den schloss. Blarer scheint eine überlegte, umsichtige, zö- zu einer starken Führerfigur, dafür aber zu ei- ihm, wie an allen Orten vorher, die Kirchen- 2017 feiern wir 500 Jahre Reformation. Bereits 2014 begann der Kir- Vater, und bereits mit dreizehn immatrikulier- gerliche Natur gewesen zu sein. Nur allmäh- nem vermittelnden Menschen, dessen Diens- zucht wichtig: der Glaube sollte nicht nur im chenbote mit dem mehrjährigen Schwerpunktthema Reformation, das te sich der hochbegabte Junge an der Univer- Prior in Alpirsbach lich eignete er sich das reformatorische Ge- te einige Reichsstädte Süddeutschlands gern Kopf sein, sondern das Leben prägen. Die Kir- auch 2015 weiterverfolgt wird. Darin werden Persönlichkeiten und Er- sität Tübingen. Zunächst machte er keinen Wie viele Gebildete jener Zeit huldigte auch dankengut an. Er überprüfte dessen Thesen beanspruchten. , Kempten, chenzucht sollte helfen, den Lebensvollzug eignisse näher vorgestellt, die für die reformatorischen Kirchen in der Studienabschluss, sondern trat – gegen den Blarer dem Humanismus, einer Modeströ- gründlich mit der Heiligen Schrift und liess Lindau, Ulm, Isny, Esslingen am Neckar waren nach biblischen Grundsätzen öffentlich zu Schweiz von Bedeutung sind. Die Zeitachse am unteren Rand dieser Widerstand seiner Erziehungsberechtigten – mung, welche die bestmögliche Entfaltung sich schliesslich für den neuen Glauben gewin- Wirkungsorte Blarers, in denen er zum Teil kontrollieren und allenfalls zu korrigieren. Doppelseite gibt einen Überblick und hilft, die Personen und Ereignisse in das Benediktinerkloster Alpirsbach im der menschlichen Fähigkeiten anstrebte, in- nen. Diesen predigte er nun in Kloster und monatelang ohne Entgelt, aber mit grosser Von dieser Idee liess sich Blarer auch nicht ab- einzuordnen. Alle bisher erschienenen Dossierbeiträge können herun- Schwarzwald ein. Die Klosterleitung schickte dem sie Kunst und Wissen der Antike mit den Dorf Alpirsbach, allerdings ohne Erfolg. Des- Hingabe tätig war. In den Jahren 1534 bis halten von seinem Freund und Briefpartner tergeladen werden auf www.evang-tg.ch/reformation. den jungen Mann wieder an die Uni Tübingen christlichen Werten verband. Der junge halb verliess er am 5. Juli 1522 heimlich das 1538 wirkte er im Auftrag von Herzog Ulrich in Zürich, der meinte, die

1300 1400 1500 1600 John Wyclif Jan Hus Konzil zu Konstanz Erasmus von RotterdamKatharina von ZimmernJohannes OecolampadMartin Luther Ulrich (Huldrych) ZwingliJoachim von Watt (Vadian) Christoph FroschauerAmbrosius Blarer Philipp MelanchthonKarl V. Ludwig Hätzer Johannes Kessler Heinrich Bullinger Johannes Calvin John Knox Thesenanschlag LuthersExkommunikation LuthersWurstessen bei FroschauerSchlacht bei Kappel am Calvin: Institutio Heidelberger Katechismus *ca. 1330 *1369 1414-1418 *1466 *1478 *1482 *1483 *1484 *1484 *1489 Guillame Farel*1490 *1492 *1497 *1500 * um 1500 *1502 *1504 *1505 *1509 *1514 1517 1521 1522 1531 Albis/Tod Zwinglis1536 Religionis Christianae1549 1563 Calvin/Bullinger Bibliander Abendmahlskonsens

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