Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

HANS ROBERT ROEMER

Das turkmenische Intermezzo

Persische Geschichte zwischen Mongolen und Safawiden

Originalbeitrag erschienen in: Archäologische Mitteilungen aus Iran, N. F. 9 (1976), S. [263]-297 DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO

PERSISCHE GESCHICHTE ZWISCHEN MONGOLEN UND SAFAWIDEN

In seinem Buch »Irans Aufstieg zum Nationalstaat im 15. Jahrhundert« hat Walther Hinz die große Bedeutung der Safawiden-Herrschafl für die moderne Entwicklung Irans herausgearbeitet und gezeigt, wie stark der Anteil turkmenischer Dynastien daran gewesen ist. Seine Darstellung der Probleme hat den Anstoß zu zahlreichen wissen- schaftlichen Untersuchungen gegeben, deren Resultate in steter Folge veröffentlicht werden. Hinzens Buch, seit langem ins Türkische und ins Persische übersetzt, ist trotz der vierzig Jahre, die seit seinem Erscheinen verstrichen sind, heute keineswegs über- holt, vielmehr gehört es zu den Klassikern der modernen Islamwissenschafl. Das Jubi- läum seines Autors mag einen Überblick über den Stand der Forschung an einem, dem turkmenischen, Aspekt der safavidischen Frühzeit rechtfertigen. Mit der Eroberung Bagdads im Jahre 1258 versetzten die Mongolen dem Chalifen- reich den Todesstoß. Dieses Ereignis mit seinen dramatischen Begleiterscheinungen drängt sich als Grenzscheide zweier geschichtlicher Epochen geradezu auf und wird da- her auch oft als eine solche Zäsur betrachtet, mit Recht freilich nur insofern, als mit dem Untergang des Chalifats auch die letzte Klammer brach, die das islamische Welt- reich bis dahin noch notdürftig zusammengehalten hatte. Man sollte die historische Be- deutung jenes Ereignisses indessen nicht überschätzen. Zwar bildete es abgesehen von der Liquidierung der Abbasiden auch den Auftakt zu neuen historischen Entwicklungen, etwa zur Entstehung des Ilhän-Reiches, dem in der Geschichte Persiens große Bedeu- tung zukommt; dennoch ist der Einschnitt, den es in der Geschichte der islamischen Welt darstellt, mehr oder weniger äußerlicher Natur: Der politische Organismus des Chalifats, den die Mongolen zerstörten, war kaum mehr als die längst brüchig gewor- dene Hülle heterogener Gebilde, die — zusammengenommen — mit dem islamischen Reich der frühen Abbasiden nur wenig noch zu tun hatten, ja die Existenzberechtigung eines gemeinsamen Staatswesens eigentlich sogar negierten'. Trotz der Katastrophe, die der Mongolensturm über die Menschen damaliger Zeiten brachte, trotz der Veränderungen, die er einleitete, und der Spuren, die er hier und

1 Wir befassen uns hier nur mit der politischen Bedeutung der Ereignisse im universalhistorischen Zu- sammenhang. Natürlich hatte der Sturz des Chalifats auch noch ganz andere Aspekte, wir erwähnen nur Michel M. Mazzaouis kürzlich vorgetragene Auffassung: »But the fall of Bagcläd was in reality a crowning blow to any further attempts to reestablish Arab power — attempts made by such strang caliphs as al-Näsir (575-622/1180-1225) in the thirteenth century«, The Origins of the Safawids, S. 13. Soweit die nachstehenden bibliographischen Angaben ergänzungsbedürftig sind, sei auf den ent- sprechenden Beitrag des Verfassers zu Cambridge History of Iran, Bd. VI, verwiesen, dem eine Spezial- bibliographie beigegeben ist. 264 HANS ROBERT ROEMER da hinterließ 2, achtzig Jahre danach gehörte er schon der Vergangenheit an. Von ent- schieden größerem historischem Gewicht waren andere Entwicklungen, die lange Zeit vorher eingesetzt hatten. Eine der wichtigsten davon, wenn auch nicht die erste in der zeitlichen Reihenfolge, ist das Einströmen der Türken in die islamische Welt, das in großem Umfang im elften, in geringerem schon im neunten Jahrhundert begonnen hatte. Dieses Vordringen türkischer Völkerschaften ist mit den germanischen Wanderungen verglichen worden, weil es wie diese mit dem Einbruch in die einheitliche antike Kultur des Abendlandes in der ebenfalls einheitlichen islamischen Kulturwelt, die in der ersten Hälfte der Abbasidenzeit entstanden war, gewisse Voraussetzungen für die Entste- hung nationaler Staaten geschaffen habe'. In der Tat bilden die politischen Erfolge einzelner türkischer Gruppen und Personen in der islamischen Ökumene, die also schon mehr als zwei Jahrhunderte vor dem Mon- golensturm einsetzten, eine der wichtigsten Vorbedingungen für die spätere Entwick- lung. Der Ansturm der Türken führte nicht nur zum Untergang des byzantinischen Reiches, vielmehr lösten die Eroberungen türkischer Scharen im Heiligen Lande auch die Kreuzzugsbewegung des Abendlandes aus; türkische Heere traten den Kreuzfahrern entgegen, als sie sich ihrem Ziele näherten. Türkische Truppen der Mamluken waren es, die den bis dahin unaufhaltsamen Siegeszug der Mongolen im syrischen Vorfeld Ägyp- tens zum Stehen brachten, und türkische Initiative setzte sich beim Ende der Mongolen- herrschaft im politischen Kräftespiel des Vorderen Orients wieder durch; ja, die meisten späteren Staatsgründungen der islamischen Welt sind, wenn man einmal vom zwanzig- sten Jahrhundert absieht, türkische Leistungen. Von besonderer historischer Tragweite sind in diesem Zusammenhang Ereignisse, die sich im 14. und 15. Jahrhundert abspiel- ten, leiteten sie doch eine Entwicklung ein, deren Auswirkungen sich sogar noch bis ins zwanzigste Jahrhundert erstrecken sollten. Freilich, wie groß auch der türkische Anteil an diesem Prozeß gewesen sein mag, dennoch wäre es nicht richtig, ihn ausschließlich als einen türkischen Vorgang zu charak- terisieren. Vollends von einem türkischen Zeitalter könnte man nur mit erheblichen Einschränkungen und Vorbehalten sprechen, und zwar deswegen, weil noch ein anderer Faktor von beträchtlicher Bedeutung im Spiel war: Schon ehe die türkischen Wanderun- gen Iran erreichten, hatten ja andere, iranische und arabische Kräfte mit der Unter-

2 Eine umfassende Untersuchung dieser Spuren, soweit sie in der Sprache der neupersischen Historio- graphie faßbar sind, verdanken wir Gerhard Doerfer, Türkische und mongoliche Elemente im Neuper- sischen, Band I: Mongolische Elemente im Neupersischen. 3 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß die Turkisierung Anatoliens nicht, wie früher angenommen wurde, erst im 13. Jahrhundert begonnen hat, sondern schon im 1 i. oder noch früher. Schon im 9. Jahrhundert werden »Turkopouloi« als Hilfstruppen der byzantinischen Kaiser erwähnt, vermutlich ouzische Turkmenen, wie sie gegen Ende des to. Jahrhunderts in Bubärä belegt sind, vgl. Björkman, Die altosmanische Literatur, S. 403. — Vergleichbare Aspekte zwischen Türken und Germa- nen erwähnt z. B. Richard Hartmann in seiner »Antrittsrede«, Jahrbuch der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1939, Berlin 1940, S. 159 f. — Fragen der Türkisierung Anatoliens behandelt C. Cahen, Pre-Ottoman Turkey (New York: Taplinger 1968) sowie in zahlreichen ebendort genannten Abhand- lungen. Die Ouzen untersucht neuerdings F. Sümer, Oguzlar (Türkmenler), Tarihleri, Boy te5kiläti, Destanlari. Ankara: Oniversite Basimevi 1967, zweite Auflage 1972. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 265 höhlung und Zersetzung des abbasidischen Chalifats begonnen, dessen politische Lei- stungskraft damals bereits den absteigenden Ast erreicht hatte. Insoweit haben die Tür- ken das von den Persern begonnene Werk eigentlich nur übernommen und fortgesetzt, freilich nicht ohne daß sie selbst auch unter deren Einfluß geraten wären. Es handelt sich dabei um die Herausbildung einheimischer Gewalten in Iran, denen die Gründung politischer Herrschaften gelang, ohne daß die Bagdader Zentralgewalt ihrem Treiben hätte Einhalt gebieten können, aber auch ohne daß jene Kräfte es auf die Beseitigung des Chalifats abgesehen hätten. Dieser politischen Entwicklung entspricht auch eine kul- turelle, erreichte doch etwa um die gleiche Zeit die neupersische Hochsprache einen Höhepunkt, der sich in literarischen Leistungen ersten Ranges manifestierte. Damit soll nur auf ein Beispiel, wenn auch ein besonders augenfälliges, hingewiesen werden für den kulturellen Impetus, der sich damals in Iran regte und der zusammen mit sei- nen vielfältigen Auswirkungen mitunter Iranismus genannt wird4. Zwar hat keines jener iranischen Teilfürstentümer auf die Dauer Bestand gehabt. Uni so wirkungsvoller blieben aber die kulturellen Strömungen, die unter ihrer Ägide ent- facht oder gefördert wurden: Sie haben weiten Bereichen der islamischen Welt ihr Siegel aufgedrückt, wenn auch in verschiedenen Abwandlungen. Gegenüber dieser iranisch- islamischen Kultur haben sich die hernach aus Zentralasien anrückenden Türken beson- ders aufgeschlossen gezeigt. Man braucht sich unter diesen Wanderscharen noch keines- wegs völlig unzivilisierte Barbarenhorden vorzustellen', wenn man vermutet, daß sie den Weg nach Westen, wenn auch nach der Annahme des Islams, so doch immer noch mit leichtem kulturellen Gepäck antraten und daher eine so bemerkenswerte Aufnahme- bereitschaft für neue Einflüsse mitbrachten. Tatsache ist jedenfalls, daß die damalige persische Kultur auf sie eine besondere Anziehungskraft ausgeübt hat, der sie bereit- willig nachgaben. Natürlich haben sie das, was sich ihnen darbot, weder in Bausch und Bogen rezipiert, noch das übernommene unverändert gelassen. An der Stelle der mehr oder weniger einheitlichen islamischen Kultur, die. das eAbbasidenreich herauf- geführt hatte, entstand auf diese Weise etwas Neues, eine türkisch-persische Kultur, die immer da anzutreffen ist, wo sich Türken auf persischem Boden niederließen oder wo sie nach der Berührung mit iranischen Landen und deren kulturellen Ausstrahlun- gen an anderer Stelle auftauchten6. Eine neuere — freilich nicht unbestrittene — Inter- pretation sieht darin den Auftakt zu nationalstaatlichen Entwicklungen?. Unter den türkischen Einwanderern Vorderasiens waren die Oguzen, turkmenische Völkerschaften unter Führern aus dem Hause Selguq, deren Name häufig auch auf ihre Untertanen angewandt wird, besonders erfolgreich gewesen durch die Gründung ver-

4 Franz Taeschner, Geschichte der arabischen Welt, S. 116. 5 Wie Faruk Sümer, »Anadolu'ya yalmz gö9ebe Türkler mi geldi?«, Belleten XXIV, S. 64, auf- grund zahlreicher Quellenbelege nachweist, haben die türkischen Einwanderer Anatoliens zwar über- wiegend aus Nomaden, daneben aber auch aus seßhaften Elementen bestanden. 6 Eine Seite der türkisch-persischen Osmose zeigen anschaulich die Bände II bis IV des oben genann- ten Doerferschen Werkes. 7 Diese Streitfrage, die im Zusammenhang mit den Safawiden von Bedeutung ist, soll hier nicht erörtert werden. Zuletzt behandelt wurde sie von R. Savory, »The Safavid State and Polity«, Studies on Isfahan, Part 1 (= Iranian Studies VII), Boston 4, S. 22. 266 HANS ROBERT ROEMER schiedener Reiche, von denen in unserm Zusammenhang dasjenige in Anatolien mit der Hauptstadt Konya, dem älteren Iconium, von besonderem Interesse ist. Diese Selguqen waren von Anfang an in Kleinasien nicht die einzigen türkischen Fürsten mit politischen Ambitionen, gab es doch unter ihrer Oberherrschaft oder neben ihnen nicht wenige hochstehende Familien, die auf ihre Stunde warteten. Sie war gekommen, als i3o8 das kleinasiatische Seguqenreich unterging und bald darauf mit der sinkenden und schließ- lich völlig versiegenden Macht der Mongolen ein politisches Vakuum entstand, das geradezu eine Herausforderung für unternehmungslustige Naturen darstellte. Unter den Fürstentümern, die sich damals herausbildeten oder erstarkten, war auch dasjenige der Osmanen, dem eine weltgeschichtliche Zukunft beschieden sein sollte, ein Schicksal, das ihm aber keineswegs von allem Anfang an sicher gewesen und damals gewiß auch noch nicht vorauszusehen war. Bei rückschauender Betrachtung gehören Aufstieg und Untergang der meisten dieser Herrschaften, etwa zwanzig an der Zahl', gleichviel in den Bereich der osmanischen, nicht der persischen Geschichte, wiewohl sie alle, die Osmanen übrigens nicht ausgenommen, auch unter dem erwähnten Einfluß der iranischen Kultur gestanden haben. Immerhin gibt es aber auch einige darunter, die für die Geschichte Irans primäre Be- deutung haben, und zwar nicht nur um jener kulturellen Verwandtschaft willen, son- dern auch aus politischen, dynastischen und religiösen Gründen. Zwei davon, die Für- stentümer der Aq Qoyunlu und der , die zwar auch in unmittelbarem Zusammenhang mit den Osmanen stehen, hängen mit Persien so eng zusammen, daß eine vollständige Geschichte Irans sich nicht schreiben läßt, ohne daß sie darin einen. angemessenen Platz einnähmen. Zeitweise konnten einzelne Herrscher aus ihren Dyna- stien große Teile, ja sogar das ganze Gebiet Persiens unter ihre Gewalt bringen, und es war nahe daran, daß ihnen diejenige Rolle zugefallen wäre, die schließlich doch anderen vorbehalten sein sollte. Jedenfalls haben im 15. Jahrhundert zeitgenössische europäische Beobachter die Überzeugung gewonnen, man habe in ihnen die östlicher) Gegenspieler der sich bedrohlich ausbreitenden Osmanen zu erblicken. Die eindrucks- vollen Meldungen dieser Berichterstatter führten dazu, daß abendländische Mächte Bündnisverhandlungen mit den Turkmenen anknüpften9 . Ferner kam es unter ihrer Herrschaft zu schicitischen Strömungen, die weitreichende historische Folgen haben soll- ten. Es spricht auch für ihre Bedeutung, wenn man die auf sie folgenden Safawiden als Nachfolger eben dieser Turkmenenfürsten bezeichnet, nämlich als eine Nebenlinie des Herrscherhauses der Aq Qoyunlu mit verändertem Gebietsstandu'.

8 Eine auch heute noch lesenswerte Studie widmet ihnen I. H. Uzun9areili, Anadolu Beylikleri, An- kara 1937, zweite (leicht veränderte) Auflage Ankara 1969. 9 Neuerdings behandelt diesen Sachverhalt B. von Palombini, Bündniswerben abendländischer Mächte um Persien 1453-1600, Wiesbaden: Steiner 1968. 10 Diese Auffassung vertritt J. Aubin, »tudes Safavides I«, JESHO II, S. 37-81, passim. Sie ist na- türlich nicht so zu verstehen, als gingen auch die Stämme der Qizilbag, die an Gründung und Aufbau des Safawiden-Reiches beteiligt waren, auf die Aq Qoyunlu (oder die Qara Qoyunlu) zurück, worüber neuer- dings ausführlich Faruk Sümer, Safevi devletinin kurulueu ve geliemesinde Anadolu Türklerinin rolu (Sah Ismail ile halefleri ve Anadolu Türkleri). Ankara: Güven 1976. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 267 Wenn in der letzten Zeit auch neues Licht auf jene Turkmenen" gefallen ist, ihre eigentliche Herkunft liegt immer noch im Dunkeln. Die Ungewißheit beginnt schon mit ihren Namen. Zwar sind Bezeichnungen wie Aq Qoyunlu >die [Stämme] mit dem weißen Hammel< und Qara Qoyunlu >die [Stämme] mit dem schwarzen Hammel< bei Nomaden, zu deren wichtigstem Besitz Schafherden gehören, nicht weiter auffällig. Trotzdem stellt sich die Frage, wie sie zu erklären seien. Man neigt heute dazu, sie als Hinweise auf Totemtiere zu betrachten, wogegen freilich der Einwand steht, den Tür- ken sei es in alter Zeit, so berichtet jedenfalls Raid ad-din Fadlalläh, verboten gewesen, das Fleisch ihrer Totemtiere zu essen. Wenn diese Vorschrift auch in unserem Fall noch in Kraft gewesen sein sollte, müßte jene Erklärung allein schon aus praktischen Gründer) ausscheiden, und dann gewänne eine andere Deutung größere Wahrscheinlichkeit, näm- lich daß in jenen Bezeichnungen nichts anderes zum Ausdruck käme als die Farbe der Schafe, die jeweils bei ihren Herden überwiegend oder ausschließlich zu beobachten ge- wesen wäre. Abgesehen davon haben die beiden Bezeichnungen insofern gewiß auch noch antithetischen Charakter, als sie erkennen lassen, daß sich die beiden Gruppen deutlich voneinander zu unterscheiden wünschten". Die auf Münzen, Urkunden und Grabsteinen überlieferten Herrschaftszeichen der Aq Qoyunlu und der Qara Qoyunlu haben, soweit erkennbar, keine Beziehung zu den Namen". Bei der Entstehungsgeschichte derartiger Gruppen ist zu beachten, daß es sich un-) Nomadenverbände handelt, deren Zusammensetzung sich unter dem Einfluß politi- scher, geographischer oder wirtschaftlicher Faktoren im Lauf der Zeit oft ändert. Ein starker Stamm mag durch die Erfolge, die er erringt, andere Stämme anziehen, sie in seinen Verband aufnehmen und durch solchen Zulauf schließlich zu einem Großstamm

11 zur Bedeutung des Wortes Turkmenen: »The original form of the name T ürkmän is nothing but a derivation of T ürk, to which the suffix -män gives an intensified meaning, which in our days might be rendered as >hundred per cent Turks< «, Minorsky, »The Middle East in Western politics in the i3th, i5th and i7th centuries«, JRCAS XXVII, S. 439. Die Bezeichnung scheint in der zweiten Hälfte des io. Jahrhunderts aufgekommen zu sein, vgl. I. Kafesoglu, »Türkmen adi , manasi ve mahiyeti«, in J. Deny Armagani, S. 121-133. Allgemeinere Untersuchungen, namentlich im Hinblick auf die historischen Hintergründe heutiger Verhältnisse, findet man bei R. Tapper, »Blade. Sheep, White Sheep and Red Heads. A historical sketch of the Shähsavan of Azarbäijän«, Iran: Journal of the British Institute of Persian Studies IV (1966), S. 61-94. G. Schweizer, »Nordost-Azerbaidschan and Shah-Sevan-Nomaden. Strukturwandel einer nordwestiranischen Landschaft und ihrer Bevölkerung«, Erdkundliches Wissen, hrsg. von Emil Meynen und Ernst Plewe, Heft 26 (= Strukturwandlungen im nomadisch-bäuerlichen Lebensraum des Orients). Wiesbaden 1970, S. 81-148. 12 Zwar sind turkmenische Grabsteine erhalten, die die Form von Widdern aufweisen; auf einer in Istanbul erhaltenen Fahne Uzun Hasans findet sich aber nichts dergleichen, s. Uzun9areili, Anadolu Beylikleri, Tafel 49. Fuad Köprülü hat sich mit seiner Deutung der tamäa der Aq Qoyunlu (s. die nächste Anmerkung) als Wiedergabe eines Schafes nicht durchgesetzt. Jänichen, Bildzeichen königlicher Hoheit bei den iranischen Völkern, führt diese tama ebenfalls auf (Tafel 28, Nr. 24) unter Hinweis auf Mayer, Saracenic Heraldry, Tafel 5o und 51, führt aber zur Erklärung (S. 29) nur »allerstärksten iranischen Einfluß« auf die »hunnisch-türkischen Steppenvölker« an. Vgl. ferner I. Artuk, »Mardin'de Akkoyunlu Hamza'nin Mezari«, Selcuklu Araetirmalan Dergisi I (1969), S. 157-59. 13 Für die Aq Qoyunlu vgl. W. Hinz, Irans Aufstieg zum Nationalstaat, Berlin 1936, S. Io5 f., für die Qara Qoyunlu Sir Richard Burn, »C,oins of Jahän-Shäh Kara Koyunlu«, Numismatic Chronicle 1938, S. 173-207; H. L. Rabino, »Coins of the Jalä'ir, Kara-koyunlu«, ib. 1950, S. 102; Minorsky, »The

Clan of the Qara-qoyunlu rulers«, in Köprülü Armagani, Istanbul 1953, S. 391 - 395. 268 HANS ROBERT ROEMER werden. Aber auch der umgekehrte Vorgang ist möglich, nämlich daß ein bedeutender Stamm sein Ansehen, seine Macht und seine Anziehungskraft einbüßt und schließlich vielleicht sogar zerfällt, während seine einzelnen Bestandteile sich selbständig machen oder Anschluß an aufstrebende Stämme suchen. Hier liegt die Erklärung dafür, daß ein und derselbe Name das eine Mal eine Sippe, das andere Mal dagegen einen Stamm oder sogar eine Föderation mehrerer Stämme bezeichnen kann. Es liegt auf der Hand, daß dabei Rivalitäten, Fehden und militärische Auseinandersetzungen eine Rolle spie- len. Die dahinter stehenden Vorgänge lassen sich nicht immer ergründen, weil sie in der Geschichtschreibung oft nur unzureichend oder überhaupt nicht erfaßt werden, son- dem allenfalls in mündlichen Überlieferungen oder legendären Berichten ihren Nieder- schlag finden. Erst wenn ein Stamm oder ein Verband Bedeutung gewinnt, erregen seine Schicksale die Aufmerksamkeit der Historiker, und dann stellt sich die Frage nach Ursprung und Herkunft, häufig freilich ohne daß sich eine schlüssige Antwort finden ließe. Was man dann in den Quellen antrifft, ist nicht selten verworren, lückenhaft und widerspruchsvoll. So verhält es sich auch mit den Anfängen der Aq Qoyunlu und der Qara Qoyunlu14 . Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie ursprünglich einmal ein und demselben Verband angehört, vielleicht sogar zusammen einen Stamm gebildet haben, sich dann aber von- einander trennten, ihr Glück als selbständige Stämme auf eigene Faust versuchten und dabei Erfolg hatten. Zu der Zeit, in der man sie historisch einwandfrei fassen kann, nämlich im 14. Jahrhundert, bezeichnen ihre Namen schon keine gewöhnlichen Stämme mehr, sondern zwei Stammesverbände mit zahlreichen Unterstämmen. Etliche von deren Namen sind aus früherer Zeit bekannt, und zwar schon aus dem Katalog der vierundzwanzig *zischen Urstämme, der sich bei Rand ad-din und in anderen le- gendären Berichten findet". Wir haben es also mit zwei Föderationen zu tun, die sich aus verschiedenen turkmenischen Stämmen gebildet haben, und zwar solchen, die aller Wahrscheinlichkeit nach im 1 i. Jahrhundert mit den Oäuzen nach Vorderasien und min- destens zum Teil auch schon nach Anatolien gekommen waren. über den Hergang dieser Zusammenschlüsse sind den Quellen unmittelbare Angaben nicht zu entnehmen. Sie müssen aber im 14. Jahrhundert entstanden sein, nach dem Untergang des anatolischen Selguqen-Reiches und gewissermaßen aus dessen ethnischer Konkursmasse, gerade im rechten Augenblick, um beim Zerfall der Mongolen-Herrschaft, während deren sie und die ihnen angehörenden Stämme sich offenbar der unter den obwaltenden Umständen gebotenen Zurückhaltung befleißigt hatten, in dem damals entstehenden machtleeren Raum in Ostanatolien, im nördlichen Zweistromland und im Nordwesten Persiens ihren Aspirationen nachzugehen. Zwar sind die Namen der Qara Qoyunlu und der Aq Qoyunlu in vormongolischer Zeit nicht belegt, wohl dagegen diejenigen der Sippen, die später bei ihnen die herr-

14 Hierfür und zum folgenden sei ein für allemal verwiesen auf M. H. Yinan9, »Akkoyunlular«, Isl. Ans. Bd. I, S. 251-270, sowie F. Sümer, »Kara-Koyunlular«, ib. Bd. VI, S. 292-305. In den beiden Artikeln sind auch die Quellen sorgfältig verzeichnet. 15 Vgl. E. Rossi, 11 »Kitäb-i Dede Qorqut«, Roma 1952, S. 16 f. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 269 schenden Familien stellten: die Bayindir bei den Aq Qoyunlu, die Bahärlu, auch Bäräni genannt, bei den Qara Qoyunlu. Bayindir steht in dem soeben genannten Stammesverzeichnis Raid ad-dins als Be- zeichnung für einen jener vierundzwanzig Oguzen-Stämme, dagegen im Kitäb-i Dede Qorqud, einem um 1400 aufgezeichneten türkischen Epos, als Name eines oguzischen Herrschers. Es wird vermutet, die Aq Qoyunlu seien ein Clan des Stammes Bayindir gewesen, doch findet sich in den Quellen Bayindir oder Bayindiriyya auch als Syno- nym für Aq Qoyunlu; dem Stammesnamen Bayindir begegnet man jedenfalls im 14. Jahrhundert in Kleinasien. Bestimmte Ortsnamen Zentralanatoliens, die auf die ogu- zische Landnahme zurückgehen dürften, lassen vermuten, daß die Bayindir an der selguqischen Eroberung Kleinasiens teilgenommen haben. Nach dem Zerfall des Aq Qoyunlu-Reiches ließen sich die Bayindir oder verschiedene Stammeselemente von ihnen in Tripoli und Aleppo sowie im Süden von Siwäs nieder. Der Name Bahärlu, den die herrschende Familie der Qara Qoyunlu führte, wird mit Bahädur16 in Verbindung gebracht, hängt aber ziemlich sicher mit der Ortschaft Bahär nördlich von Hamadän zusammen, wo eine mächtige Turkmenen-Familie saß, die auch noch in Arbil, Mar4a und Uilät vertreten war, also vom Becken des Urmia-Sees bis zu demjenigen des Van-Sees und weit nach Süden und Norden darüber hinaus. Der Druck des Mongolensturms mag sie ganz in das Gebiet nördlich des Van-Sees gedrängt haben, wo sich später die Föderation der Qara Qoyunlu bilden sollte. Dieser Zusam- menhang läßt sich aus dem Namen Iwäl erschließen, der bereits 1230 in Hilät und dann bei einem der bekanntesten Minister des letzten abbasidischen Chalifen belegt ist, der aus jenem Dorf Bahär stammte und 1258 in Bagdad von den Mongolen hingerich- tet wurde. rwä'i ist nichts anderes als eine Ableitung von Iwa oder Yiwa, und das ist der Name eines weiteren oguzischen Urstammes. Den Zusammenhang der Qara Qoyunlu mit den Yiwa beweist das beiden gemeinsame Herrschaftszeichen, das die Dynastie der Qara Qoyunlu von den Yiwa übernommen haben muß 17. Die für die Qara Qoyunlu ebenfalls verwendete Bezeichnung Bäräni ist nicht eindeu- tig geklärt. Man vermutet, sie sei der Name ihrer herrschenden Familie oder stehe im Zusammenhang mit einem Ortsnamen", zwei Erklärungen, die einander natürlich nicht auszuschließen brauchen. Die Anfänge der beiden Turkmenengruppen, die uns hier beschäftigen, hängen eng mit der »sozialen Krankheit« zusammen, wie ein türkischer Gelehrter die Verfalls-

16 Sümer, loco cit. p. 292, erwähnt einen Stamm Bahädurlu. Der Übergang von bahädur zu bahär ist unter den zahlreichen Belegen, die Doerfer, Türkische und Mongolische Elemente, Bd. II, s. v. ba - hädur, zusammengetragen hat, nicht vertreten, wenn man von dem in kaukasischen Sprachen vor- kommenden baxhar (S. 373) absieht. 17 Minorsky, »The Clan of the Qara-qoyunlu rulers«, S. 391-395, sowie idem, »Bahärlü«, EI 21, S. 947. — Für den Stamm Yiwa sei verwiesen auf Sümer, »Yiva Oguz boyuna dir«, Türk. Mecm. 9, S. 151-166. In diesem Zusammenhang seien noch die folgenden Arbeiten erwähnt: G. Cauvet, L'origine des noms ethniques touraniens«, L'Ethnographie NS 222 (1930), S. 41-51, F. Demirtae, »Os- manli devrinde Anadolu'da Oguz boylan«, AODTCFD VII (1949), S. 321-85, Z. B. Mukhamedova, »Oguzsko-turkmenskie tnonimy«, Sovetskaja Tjurkologija I (Baku 1971), S. 27-37. 18 Die erste Deutung bei Sümer, Isl. Ans. VI, S. 292, die zweite bei Minorsky, Köprülü Arm., S. 392. 270 HANS ROBERT ROEMER periode genannt hat", die mit dem Ende der Mongolenherrschaft in weiten Gebieten Vorderasiens einsetzte. Landsknechtsnaturen und Glücksritter, die sich auf Nomaden- stämme und Räuberbanden stützten, störten das wirtschaftliche Leben in Stadt und Land und brachten es oft zum Erliegen. Sie suchten Sold oder Bündnisse bei denjenigen Fürsten, auf deren Erfolg sie rechneten, verließen aber ihre Soldherrn und Verbündeten bedenkenlos wieder, sobald ihnen anderswo das Glück winkte. Beutegier und Macht- hunger, das Streben nach territorialer Herrschaft, das waren ihre Motive. Nur wer Er- folg hatte, durfte auf Zulauf rechnen und konnte es vielleicht zu politischem Einfluß bringen. Unter diesen Verhältnissen bildeten sich die beiden Föderationen, unter diesen Be- dingungen setzten sie sich durch, bis sie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zwei Fürstentümer gründen konnten, von denen dasjenige der Aq Qoyunlu in Diyär- bakr mit dem Zentrum Ämid entstand, und zwar in dem Einzugsgebiet von Eufrat und Tigris mit Urfa und Märdin im Süden und Bayburd im Norden, während dasjenige der Qara Qoyunlu sich im Osten daran anschloß mit dem Zentrum Arkig2° am nord- östlichen Ufer des Van-Sees, mit Ausstrahlungen nach Erzurum im Norden und Mossul im Süden". Das Herrschaftsgebiet der beiden Föderationen war damals wie auch schon lange vorher von einer überwiegend seßhaften Bevölkerung besiedelt, die sich aus Ar- meniern, Kurden, Aramäern und Arabern zusammensetzte, zunächst persische Elemente also noch nicht umfaßte. Diese Völkerschaften wurden von den Turkmenen gewiß aus- gebeutet und schwer bedrängt, aber keineswegs verdrängt oder vernichtet. Mögen auch einzelne Personen oder Familien, mitunter sogar größere Gruppen, den Ereignissen zum Opfer gefallen sein, ihre Heimat verlassen haben oder durch Heirat in bestimmten Sippen ihrer Bedrücker aufgegangen sein, im großen und ganzen blieb ihre ethnische Substanz ziemlich weitgehend erhalten, und sie haben die Turkmenenherrschaft in den Gebieten, in denen sie saßen, überlebt, stellenweise sogar bis auf den heutigen Tag. In der politischen Entwicklung, der wir nachzugehen haben, spielen sie indessen nur aus- nahmsweise eine Rolle; sie waren leidende Zeugen des Geschehens, von aktivem Einfluß auf die Ereignisse waren sie in der Regel ausgeschlossen. Den Aufstieg der beiden Föderationen begleiteten nicht nur endlose Kämpfe, die sie mit ihren Nachbarn führten, sondern auch Eifersucht und Rivalitäten, die sie unter- einander hegten. Die daraus entstehenden blutigen Auseinandersetzungen22 bestimmten ihre Bündnispolitik ebenso wie ihre Feindschaften, ja sogar ihr ganzes Schicksal, bis die Aq Qoyunlu schließlich den Sieg davontrugen, das Reich der Qara Qoyunlu vernichte-. ten, sich nicht nur sein Territorium, sondern auch einen Teil ihrer Unterstämme einver-

19 Yinan9 Isl. Ans. I, S. 258. 20 Vgl. Claude Cahen, »Ardjish«, EI, Bd. I, S. 647 f. 21 Die territorialen Verhältnisse waren natürlich fließend, zeitweise nur schwer durchschaubar. Zu ihrem besseren Verständnis bediene man sich der Kartenskizzen bei Hinz, Irans Aufstieg (am Ende), zusammen mit den übersichtsblättern Nr. 2 und 18 bei Popper, Egypt and Syria, zum Vergleich auch der Skizze bei Sohrweide, »Der Sieg der Safawiden«, zwischen S. 96 und 97. 22 Ibn Battütas Bericht (Ribla, Beirut 1960, S. 298) über die Verwüstung Erzurums (1332/34) durch die Fehde zweier Turkmenenstämme wird mit Recht auf die beiden Föderationen bezogen. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 271 leibten und in die Reihe der Großmächte Vorderasiens aufrückten. Trotz bestimmter Eigentümlichkeiten, in denen sich die beiden Gruppen voneinander unterscheiden, sind ihre Gemeinsamkeiten, ethnische, politische, historische, kulturelle und wirtschaftliche, so stark, daß man ihre Geschichte am besten im Zusammenhang betrachtet. über die politischen Anfänge der Aq Qoyunlu sind wir besser orientiert als über die ersten Schritte der Qara Qoyunlu. Das hängt wohl mit einem der ersten Ziele zusam- men, dem sie sich bei ihren Raubzügen und Eroberungen, die sie übrigens nicht nur auf das östliche Anatolien, sondern auch auf Mesopotamien und Syrien ausdehnten, mit be- sonderem Eifer zuwandten, dem Kaiserreich der Komnenen in Trapezunt 23, gegen das sie von 1341 an in kurzen Abständen wiederholt zu Felde zogen, wodurch sie den. byzantinischen Chronisten allen Anlaß boten, sich mit ihnen zu befassen. Diese erwäh- nen Tur eAli Beg, den Herrn der »Türken von Amid«, der es schon unter dem Ilhä,n Ghazan Hän (1294-1304) zum Emir gebracht hatte. Als die Turkmenen 1348 abermals, und zwar unter seiner Leitung, vor Trapezunt erschienen, vermochten sie die Stadt zwar wieder nicht zu nehmen; doch müssen sie dem Komnenen Johannes, der kurz dar- auf unter dem Namen Alexios III. den Thron bestieg, damals noch ein Knabe, dem aber auch später glückliche Kriegstaten nicht nachgerühmt werden, einen solchen Schrecken eingejagt haben, daß es ihm, gewiß wohl auch seinen Ratgebern, zweckmäßig schien, seine Schwester Maria Despina mit Fahr ad-din Qutlu Beg, einem Sohn des Turkmenen- führers, zu verloben, um so dieser Gefahr ein für allemal ein Ende zu bereiten 24. Die Rechnung ging auf, Trapezunt war fürs erste gerettet, und in den folgenden Genera- tionen kam es noch öfter zu derartigen Verbindungen komnenischer Prinzessinnen mit Prinzen der Aq Qoyuntu. Vielleicht hat das Kaiserreich von Trapezunt ihnen sogar die Gnadenfrist zu verdanken, die seinen Bestand bis 1461 gewährleistete, also noch acht Jahre über den Fall von Konstantinopel hinaus. Wie dem auch sei, wir wissen, daß Uzun 1:lasan bei Mei:mied dem Eroberer zugunsten Trapezunts intervenierte 25 . Jener turkmenisch-trapezuntisdien Ehe vom Jahre 1352, der ersten, die sich nach- weisen läßt, entstammt der Gründer des Fürstentums der Aq Qoyunlu, Qara Yolue

23 Ober seine Entstehung vgl. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 351 f. B. S. Bay- kal, »Die Rivalität zwischen und Mehmet II. um das Kaiserreich von Trapezunt«, Akten des 25. Internationalen Orientalisten-Kongresses, Bd. II, Moskau 1963, S. 443, erwähnt 1341 zwei und 1343 einen weiteren Angriff der Aq Qoyunlu auf Trapezunt, ohne daß sich feststellen ließe, auf welchen Fürst bzw. auf welche Fürsten diese Angriffe zurückgingen. 24 Fallmerayer, Geschichte des Kaiserthums von Trapezunt, München 1827, S. 208 f., sowie W. Miller, Trepizond, the last Greek Empire, London 1926, S. 57f., 6o. Vgl. auch F. Babinger, »La date de la prise de Tradzonde par les Turcs (1461)«, Revue des tudes Byzantines VII (1950), S. 205-07, bzw. Aufsätze und Abhandlungen I, S. 211-13. 25 Minorsky, »La Perse au XVe siede«, Iranica, S. 322; vgl. ferner Babinger, Mehmed der Eroberer, München 1953, S. 201 f. 26 Häufig auch: Qara Yülük »schwarzer Blutegel« und andere Lesarten. Wir stützen uns auf die Form »Cara Yolucho« bei Dopp, L'tgypte au commencement du quinzieme siecle, S. 103. Auch Mi- norsky (EI zweite Auflage, Bd. I, S. 320) bevorzugte zuletzt »Kara Yoluk«. Diese Namensform bestä- tigt auch der »Brief Korolodu des Tataren« bei W. von Stromer, »Diplomatische Kontakte des Herr- schers vom Weißen Hammel, Uthman genannt Qara Yuluq, mit dem Deutschen König Sigismund im September 1430—März 1431 zu gemeinsamem Vorgehen mit dem Timuriden Schah-Ruch gegen die Tür- ken«, Südostforschungen XX (1961), S. 267-72. 272 HANS ROBERT ROEMER eUtmän Beg, der um 1389 seinem Bruder Abmad Beg an der Spitze der Aq Qoyunlu folgte. Die Hauptchronik der Dynastiev nennt nicht nur seinen Großvater Tur eAli Beg, den Belagerer von Trapezunt, und seinen Vater QuIlu Beg, der jenem um 1363 gefolgt sein wird, sie führt seinen Stammbaum vielmehr über 51 Geschlechterfolgen auf Oguz Hän zurück, den sagenhaften Eponymos der Oguzen. Wenn man auch nur zu gut weiß, was von derartigen Stammbäumen zu halten ist, so bleibt diese Notiz dennoch aufschlußreich für das Selbstverständnis der Aq Qoyunlu, die diese Genealogie um 1470, als jene Chronik entstand, zur Zeit ihrer höchsten Blüte, wohl nicht nur für schmeichelhaft, sondern auch für eine politische Legitimation hielten. Wir wissen nicht, und es fragt sich sogar, ob dieser Anspruch auch schon bei der Gründung des Fürsten- tums erhoben wurde oder überhaupt erhoben werden konnte. Damals mag der Prestige- gewinn, den die Verschwägerung mit den Komnenen brachte, allein schon ein politisches Kapital gewesen sein. Jedenfalls folgte Qara eUtmän dem Beispiel seines Vaters, in- dem auch er eine Trapezunter Prinzessin heimführte. Eine so romantische Lösung war eine ungewöhnliche Ausnahme bei den vielen Kon- flikten, auf die sich die Aq Qoyunlu einließen. In der Regel waren es Feudalkämpfe mit benachbarten, meist lokalen Machthabern, bei denen es ihnen um die Erweiterung ihres territorialen Besitzes oder ihres Einflusses ging. Qara eUtmän führte deren in seinem langen Leben noch mehr als vor ihm schon sein gewiß nicht friedfertiger Vater, immer beseelt von der Vorstellung, es müsse ihm gelingen, sein Stammland Diyärbakr zu einer festen Herrschaft zu machen. Es ist nicht notwendig, freilich auch nicht möglich, hier diesen endlosen Auseinandersetzungen im einzelnen nachzugehen, allein schon deshalb, weil die Berichte, die sich darüber in den Quellen finden, in vielen Punkten voneinan- der abweichen" und meist noch der kritischen Bearbeitung harren. Man kann sie aber auch nicht ganz beiseite lassen, zeigen sich doch darin mitunter die Linien der künftigen Entwicklung. Das ist gewöhnlich dann der Fall, wenn eine der damaligen Großmächte im Spiel ist, wozu es natürlich wohl auch kommen konnte, wenn es sich nur um einen Streit mit einem Duodezfürsten handelte. So bei den Herren von Siwäs, denen die Osmanen bereitwillig zu Hilfe eilten, weil sie den Aufstieg der Aq Qoyunlu ohnehin mit Argwohn und Unbehagen verfolgten, namentlich wenn es dabei wie dieses Mal um Gebiete ging, für die sie selbst sich interessierten. Die Auseinandersetzung endete im Jahre 800h 397 mit Niederlage und Tod Qädi Burhän ad-dins, eines als Dichter be- rühmten Mannes, der es vom Rechtsgelehrten zum Sultan von Siwäs gebracht hatte 29 .

27 Abü Bakr-i Tihräni, Kitäb-i Diyärbakriyya, ed. N. Lugal und F. Sümer, 2 Bde., Ankara 196 2-64. Der Stammbaum findet sich auch sonst noch, z. B. bei al-Ghaffäri, Nusab-i gahän-ärä, zitiert bei Hinz, Aufstieg, S. 128. 28 Knapp zusammengefaßt sind sie bei Hinz, Irans Aufstieg, S. 124 ff. Ausführlichere Angaben bei Yinan9, tsl. Ans. I, S. 251-270. In aller Breite werden die Quellen erörtert bei eAzzäwi, Tärib al-eIräq, Bd. III. Dort sind die Ereignisse Jahr für Jahr, in chronologischer Reihenfolge, zusammengestellt. — über Qara `Utmäns Rolle bei Timurs Anatolien-Feldzug und der Schlacht von Ankara im Jahre 1402 vgl. M.-M. Alexandru-Dersca, La Campagne de Timur en Anatolie (1402). Bukarest 1942 (im Index unter Kara e0smän Beg Bayendiri). 29 Rypka, »Burhän al-Din«, EI 2 1, S. 1367 f. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 273 Auch mit den Herrschern Ägyptens, den Mamluken, kam es zu Reibereien, weil Qara eUtmän ihre Besitzungen in Nordsyrien und Südarmenien bedrohte. Daß zu- nächst noch keine ernsthaften Weiterungen eintraten, mag daran gelegen haben, daß Barqüq (1382-1399), der Sultan von Kairo, durch einen gefährlichen Aufstand in Sy- rien gezwungen war, seine ganze Energie auf die Erhaltung dieses Landes, ja sogar auf den Schutz seines Thrones und seiner Person zu verwenden. Viel gefährlicher als alle anderen Widersacher waren für die Aq Qoyunlu und die politischen Ziele, die sie verfolgten, ihre turkmenischen Stammesbrüder von der Föde- ration der Qara Qoyunlu. Zwar hatte deren Anführer Qara Muhammad den Vater eUtmän Begs, mit dem er oft gekämpft hatte, nicht lange überlebt. Aber auch dessen Nachfolger, Qara Yüsuf, der sich durch besondere Aktivität auszeichnete, hielt natürlich an der Erbfeindschaft fest. Zunächst blieb die Partie unentschieden. Erst als Timur im Vorderen Orient auftauchte, schien sich eine Wandlung anzubahnen. Die Qara Qoyunlu, auf die seine Truppen zuerst stießen, mißachteten seine Aufforderung zur Unterwer- fung, leisteten Widerstand und wurden besiegt, wo immer es zum Kampf kam. Damit entstand eine Feindschaft, die auch unter Timurs Nachfolgern noch anhielt. übrigens müssen über die Persönlichkeit und die Kampfesweise des Eroberers recht unterschied- liche Berichte im Umlauf gewesen sein. Während in Kairo noch 1386 nur von »einem mongolischen Rebellen namens Timur«, der nach ziehe, die Rede war, erregte sein Vorrücken in Persien und in Mesopotamien Furcht und Schrecken, mancherorts sogar lähmendes Entsetzen. Auch Qara Yüsuf ließ es auf eine militärische Entscheidung nicht ankommen, suchte vielmehr bei den Osmanen Asyl. Als er später zurückkehrte, mußte er bald abermals fliehen, kam nach Syrien und wurde dort wegen seiner früherer) Umtriebe gegen die Mamluken von deren Statthalter in einer Burg bei Damaskus inter- niert. Sein Verhalten und die timurfeindliche Einstellung der anderen Führer vom Stamme Qara Qoyunlu mögen für den Herrn der Aq Qoyunlu den Ausschlag gegeben haben zu dem Entschluß, sich Timur anzuschließen und ihm seine Dienste anzutragen. Das geschah 1399 im transkaukasischen Feldlager Qarab 4,- wo Qara eUtmän dem Eroberer seine Aufwartung machte. Bei dessen erstem Feldzug nach Anatolien wurde er zum Vorhutführer ernannt, und sein Name wird auch bei dem anschließenden syrischen Feldzug erwähnt. Dann nahm er 1402 an der Schlacht von Ankara teil. Niederlage und Gefangennahme Bäyezids I. brachten das osmanische Reich in eine ernste Krise. Den Führer der Aq Qoyunlu ernannte Timur zum Lohn für seine Dienste zum Emir und übertrug ihm das ganze Gebiet von Diyärbakr zu Lehen. Damit schien der Traum eines Fürstentums für die Aq Qoyunlu in Erfüllung gegan- gen zu sein, gab es doch damals in Vorderasien keinen mächtigeren Lehensherrn als Timur. Die Freude war aber nur von kurzer Dauer. Als nämlich im Frühjahr 1405 Timur auf einem Feldzug nach dem Osten starb, stellte sich sogleich heraus, daß dem Riesenreich, das er durch seine Eroberungen zusammengebracht hatte, die innere Festig- 274 HANS ROBERT ROEMER keit fehlte. Aus der Anarchie, die seinem Tod folgte°, gingen wieder mehrere Herr- schaften hervor. Einer der wichtigsten Gründe für den schnellen Niedergang eines so großen Reiches liegt gewiß darin, daß die Prinzen aus dem Hause Timur, die als Statt- halter über das ganze Staatsgebiet verteilt waren und in ihren Provinzen mit nahezu unumschränkter Macht regierten, sich wohl der überragenden Autorität des Eroberers gefügt hatten, sich aber keinem Nachfolger verpflichtet fühlten. Für diese Erscheinung gibt es bei manchen türkischen Staatsgründungen und, wie wir sehen werden, auch bei den Turkmenen Parallelen. Immerhin hielt sich aber über die erwähnten Wirren hinaus in Persien, besonders im Osten des Landes und in Afghanistan, ein Reich von beträcht- licher Größe, das unter Timurs Sohn Säh Ruh und seinen Nachfolgern noch ein Jahr- hundert Bestand hatte. Doch konnte es trotz aller Anstrengungen, die seine Herrscher entfalteten, seine Macht nicht bei den Turkmenen durchsetzen. Als mittelbares Ergebnis der Feldzüge Timurs kann man die Tatsache betrachten, daß es weder den Timuriden noch den Osmanen, darüber hinaus aber auch nicht den ägyptischen Mamluken gelang, die politischen Bestrebungen der beiden turkmenischen Föderationen auszuschalten, ein Umstand, der für deren weitere Entwicklung eine wesentliche Rolle spielen sollte. In den schwer heimgesuchten Landen Vorderasiens ging nach Timurs Tod der Kampf weiter. Qara eUtmän, dem seine Erfolge an der Seite Timurs in seiner eigenen Födera- tion großes Prestige und den Zulauf mancher schwankenden Stämme gebracht hatten, führte mit zahlreichen kleineren Fürsten seiner Nachbarschaft Kriege, die meistens zu seinen Gunsten ausgingen. Nach anfänglich friedlichen Beziehungen zu Ägypten griff er auch dessen Besitzungen wieder an. Bei fast allen Unternehmungen gegen die Qara Qoyunlu, die nach wie vor seine Hauptgegner waren, zog er den kürzeren, besonders wohl deshalb, weil er in Qara Yüsuf auf einen ebenbürtigen, wenn nicht überlegenen Widersacher gestoßen war. Zwar hielt er dem Hause Timurs die Treue, doch hatte Säh Ruh (14o5-1447) als Schirmherr für ihn auch nicht annähernd die gleiche Bedeu- tung wie sein Vater, so daß diese Bundesgenossenschaft ihm keinen großen Gewinn brachte, vielmehr zu seinem fatalen Ende beitrug. Während der drei aserbaidschanischen Feldzüge Säh Ruhs (1420, 1429, 1434), alles Unternehmungen gegen die Qara Qoyunlu, sehen wir ihn jedesmal auf der Seite des Timuriden. Obwohl bereits zu Beginn des ersten dieser Züge Qara Yüsuf starb, seine Truppen auseinanderliefen und Beg, sein zweiter Sohn und späterer Nachfolger, geschlagen wurde, konnten die Qara Qoyunlu sich bald wieder erholen. Im dritten Feldzug, als derselbe Iskandar vor Säh Ruh zu den Osmanen flüchtete, versuchte Qara eUtmän, nun schon an die achtzig Jahre alt, ihm den Weg abzuschneiden. Bei einem Gefecht in der Nähe von Erzurum trug er eine schwere Verwundung davon, der er Ende August 1435 erlag. Bei der Rückkehr von der Flucht nahm Iskandar Beg jene Stadt ein, ließ sein Grab öffnen, den Leichnam enthaupten und den Schädel bezeichnenderweise an den Sultan von Ägypten senden, der ihn in Kairo öffentlich zur Schau stellte.

30 Darüber ausführlich Tä as-Salmäni, Sams as-husn, eine Chronik vorn Tode Timurs bis zum Jahre 1409. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 275 Zieht man das Fazit aus der bewegten Laufbahn Qara eUtmän Begs, dessen Uner- schrockenheit und Kriegsruhm von den Zeitgenossen überschwänglich gepriesen werden, so bleibt festzustellen, daß ihm viel mehr als ein erster Anlauf zur Staatsgründung nicht gelungen ist. Wohl hatte er es zu einem Fürstentum gebracht, das er durch die Eroberung zahlreicher Gebiete, darunter so wichtiger Plätze wie ar-Reä (zuvor Edessa, heute Urfa), Siwäs und Toqat, erweiterte, und seine Herrschaft sogar noch kurz vor seinem Ende durch Sieg über al-Malik al-eÄdil Gikam, den Statthalter von Aleppo und Da- maskus, sowie al-Malik az-Zähir elsä, den Befehlshaber von Märdin, gefestigt, doch machten seine Söhne, unter denen es nach seinem Tode zu heftigen Streitigkeiten kam, diese Erfolge weitgehend zunichte. Einstweilen trat ihre Dynastie gegenüber den Qara Qoyunlu in den Hintergrund, wenn ihr auch später noch ein glänzender Aufstieg beschieden sein sollte. Die Initiative ging also an die Qara Qoyunlu über, die nun in die Periode ihrer höchsten Machtentfaltung eintraten. Bevor wir ihre weiteren Schick- sale verfolgen, sind einige Tatsachen aus den Anfangszeiten dieser Föderation nachzu- tragen, die im Zusammenhang mit der soeben behandelten Staatsgründung der Aq Qoyunlu von geringerer Bedeutung waren und daher zunächst unerwähnt blieben. In den Jahrzehnten nach dem Ende des illhäns Abü Sald (1316-133 5), mit dem die Dynastie Hülägüs ausgestorben war, versuchten verschiedene mongolische Fürsten und andere Potentaten, die Gewalt über das Ilhänreich oder Teile davon an sich zu bringen". Der Machtkampf, der sich so entwickelte, führte bald zum Zerfall des per- sischen Mongolenreiches. Eines der Teilreiche, die sich herausbildeten, das der Galäyiri- den", erstreckte sich über Mesopotamien, Aserbaidschan sowie später auch über Sirwän. Unter Saih Uwais (13 56-1374), einem tatkräftigen und erfolgreichen Vertreter dieses Hauses, sind die Qara Qoyunlu zum ersten Mal als politischer Faktor einwandfrei nachzuweisen. Die Quellen nennen sie im Zusammenhang mit Bairäm trääa und zweien seiner Brüder" von dem bereits erwähnten Stamm der Bahärlu als nicht immer bot- mäßige Gefolgsleute des Sultans Saib Uwais. Ohne die Oberhoheit der Calä.yiriden ab- zuschütteln, verstand es Bairäm tiga nach dem Ableben jenes Herrschers, Argig, Mosul und Sineär sowie gewisse Plätze in Transkaukasien an sich zu bringen, so daß 782/138o bei seinem Tode Qara Muhammad, vermutlich sein Sohn, nach einigen Quellen sein Neffe, ein Gebiet übernehmen konnte, das von Erzurum bis Mosul reichte. Dieser Qara Mubammad, derselbe, den wir als Widersacher des Komnenen-Schwie- gersohns Qutlu Beg Aq Qoyunlu kennen gelernt haben, wird gewöhnlich als der Grün- der des Herrscherhauses der Qara Qoyunlu betrachtet, insofern mit Recht, als er auf die Verhältnisse in dem soeben umschriebenen Gebiet einen starken Einfluß ausgeübt und

31 Eine Zusammenfassung der Ereignisse bietet Spuler, The Mongol period, S. 39-42; ausführlich

Spuler, Die Mongolen in Iran, 3. Aufl., S. 117-137 mit 470-47 2 . 32 über die Caläyiriden liegt eine spezielle (und wahrscheinlich offizielle) Chronik al-Ahris vor: Ta'rikh-i Shaikh Uwais ed. van Loon (persischer Text mit englischer Inhaltsangabe). — Eine knappe Zu- sammenfassung der wichtigsten Tatsachen sowie weitere Literaturhinweise gibt J. M. Smith Jr., »Dja- läyir«, E12, vol. II, S. 411 f. 33 Eine genealogische Tabelle des Herrscherhauses der Qara Qoyunlu findet man bei Sümer, »Kara- Koyunlular«, Isl. Ans. VI, S. 299. 276 HANS ROBERT ROEMER damit die Grundlage eines Staatswesens geschaffen hat. Seine Erfolge in Kämpfen mit den Artuqiden 34, einer seit etwa zwei Jahrhunderten in und um Märdin lebenden Dy- nastie turkmenischen Ursprungs, mit den Aq Qoyunlu, sowie mit dem in Syrien no- madisierenden Turkmenenstamm der Döger unter ihrem Anführer Sälim" gerieten allerdings in Gefahr, als Timur 1386 Westiran eroberte und bereits im darauffolgenden Jahr gegen die Qara Qoyunlu zu Felde zog. Gleich zu Beginn seiner Laufbahn hatte Qara Mubammad dem Galäyiriden Abmad die Thronfolge seines Hauses gegen andere Prätendenten gesichert und damit das ur- sprüngliche Abhängigkeitsverhältnis seines Hauses gegenüber den Galäyiriden wenn nicht umgekehrt, so doch in eine Bundesgenossenschaft verwandelt und mithin seine Unabhängigkeit erlangt. Jedenfalls hinderte ihn nichts daran, sich nachhaltig um gute Beziehungen zu den ägyptischen Mamluken zu bemühen, und die Mitteilung ägyptischer Chronisten, er habe sich 1388 bei der Besetzung von Tabriz dem Sultan Barqüq un- terstellt, indem er ihn davon unterrichtete, daß er seinen Namen in das Kanzelgebet und in die Münzformel habe aufnehmen lassen, hat große Wahrscheinlichkeit für sich, wäre doch dieser Herrscher an und für sich der ideale Bundesgenosse sowohl gegen die Aq Qoyunlu als auch gegen Timur gewesen. Indessen konnte der Faden nach Agypten aus verschiedenen Gründen vorerst nicht weitergesponnen werden, allein schon deswegen, weil Qara Muhammad bereits im Frühjahr 1389 im Kampf mit rivali- sierenden Turkmenen fiel. Von der Flucht seines Sohnes Qara Yüsuf zu den Osmanen war schon die Rede, und es ist noch nachzutragen, daß seine Anwesenheit bei den Osmanen Timur sogar den. Hauptvorwand für seinen zweiten anatolischen Feldzug lieferte, wenn er auch bei des- sen Beginn das Land schon wieder verlassen hatte. Auch Abmad Galäyir hatte beim türkischen Großherrn Zuflucht gefunden, und die Wege der beiden Fürsten kreuzten sich wieder, als sie nach der Rückkehr aus Anatolien abermals vor Timurs Truppen die Flucht ergriffen, dieses Mal nach Syrien, also auf das Gebiet der Mamluken. Dort stießen sie nicht auf so freundliche Aufnahme wie bei den Osmanen, wurden vielmehr, wie wir sahen, in einer Burg bei Damaskus interniert, weil sie einige Zeit zuvor ägyp- tische Statthalter Nordsyriens angegriffen und besiegt hatten; ja, es traf sogar ein Hin- richtungsbefehl aus Kairo ein, der entweder unmittelbar oder mittelbar auf Timur zu- rückging, freilich nicht ausgeführt wurde. In der gemeinsamen Haft wurden die alten freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden wieder erneuert, in der Zwischen- zeit entstandene Divergenzen bereinigt, und es kam zu einer Abmachung über die beiderseitigen Interessensphären, die allen Streitigkeiten ein Ende machen sollte. Da- nach bildete Mesopotamien mit Bagdad das Interessengebiet der Caläyiriden, Aser- baidschan mit Tabriz dasjenige der Qara Qoyunlu. Als die beiden Fürsten im Frühjahr 1404 die Freiheit wiedererlangten, schien dieser Vereinbarung zunächst nur programmatische Bedeutung zuzukommen, weil beide Ge-

34 Eine Übersicht über die Geschicke dieses Hauses sowie eine Regententabelle findet man bei Claude Cahen, »Artukides«, E12, vol. 1, S. 683-688. 35 Diese Episode behandelt eingehend Sümer, »Dögerlere dir«, Türk. Mecm. X (1953), S. 139-158. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 277 biete inzwischen dem Reich Timurs einverleibt und Mirzä Abä Bakr 36 b. Mirängäh, einem seiner Enkel, übertragen worden waren, einem Prinzen, dem Qara Yüsuf übri- gens schon früher im Kampf unterlegen war. Doch änderten sich die Verhältnisse bald. Sein persönliches Ansehen und Erfolge, die er in kurzer Zeit erringen konnte, verhalfen dem Anführer der Qara Qoyunlu wieder zu einem beachtlichen Anhang, der sich nach dem Hinscheiden Timurs noch vergrößerte 37. Im Kampf gegen Abä Bakr blieb er Sieger, zuerst 1406, dann 1408 und hernach noch öfter. Einen schweren Schlag bedeutete für ihn dagegen die Nachricht, Ahmad Caläyir, sein alter Haftgenosse, habe Tabriz besetzt. Damit war nicht nur die soeben erwähnte Abmachung gebrochen, sondern auch die weitere Ausdehnung nach Osten in Frage gestellt, die im Hinblick auf einen mög- lichen Wiederaufstieg der Osmanen und den zähen Widerstand der Aq Qoyunlu im Westen unter Umständen zu einer Existenzfrage werden konnte. Die Besetzung der Stadt Tabriz durchkreuzte jedenfalls die wichtigsten Pläne Qara Yüsufs und bedeutete für ihn den Casus belli. Er zog daher gegen Abmad Galäyir, der ihm unterlag, in Ge- fangenschaft geriet und hingerichtet wurde. Aus der syrischen Gefangenschaft hatte Qara Yüsuf einen Sohn namens Pir Budaq. Diesen Knaben hatte seiner Zeit bei der Geburt, im Jahre 1403, Abmad Galäyir adoptiert, wohl zum Beweise seiner ehrlichen Freundschaft. Es spricht für legitimistische Erwägungen, daß Qara Yüsuf ausgerechnet diesen Sohn, der ja noch im zarten Kindes- alter stand, zum Herrn von Tabriz machte, ja ihn sogar von seinem Adoptivvater durch eine offizielle Ernennungsurkunde zu dessen Nachfolger einsetzen ließ, für sich selbst aber nur die Verweserschaft in Anspruch nahm. Der sonst nicht eben ängstliche Turk- menenführer hatte offenbar Grund genug, seine Herrschaftsansprüche auch auf diese Weise zu bekräftigen, als er Tabriz, das er seit 1391 wiederholt besetzt, aber nie fest in die Hand bekommen hatte, zu seiner Hauptstadt machte. Mit der Ausschaltung der Galäyiriden bewegte sich die Macht der Qara Qoyunlu schnell einem Höhepunkt zu. Schon 1411, im darauffolgenden Jahr, eroberte Säh Muhammad, ein anderer Sohn des Fürsten, das Zweistromland und Bagdad, das er trotz gewisser Auseinandersetzungen mit seinem Vater unter dessen Oberhoheit auch behielt, bis er 1433 von seinem jüngeren Bruder Ispand vertrieben wurde. Qara Yüsuf selbst kämpfte erfolgreich gegen die Aq Qoyunlu in Ostanatolien, erwarb Teile von Georgien und Sirwän", dessen Herrscher den Caläyiriden botmäßig gewesen war. Wenn auch ein Vorstoß nach Persien, nämlich nach Sultäniyya, der alten Residenz der ilhäne, sowie nach Qazwin, Isfahän und Färs seinen Waffenruhm mehrte, so hatte

36 Abä Bakr ist die in nachmongolischer Zeit übliche Form für Abü Bakr, cf. Minorsky, BSOAS X (1939-42), S. 174. 37 Hierzu das Zeugnis eines spanischen Botschafters, der im Sommer 1406 in der Gegend von tiüy seinen Truppen begegnete: Clavijo, Embajada a Tamorlän, Madrid 1943, 5. 239 f., in Verbindung mit der englischen Übersetzung von Guy Le Strange, S. 329 ff., besonders S. 363, Anm. 2. 38 Die Einzelheiten bei Müneeeim-bagi, Gämie ad-duwal, wiedergegeben von Minorsky, Sharvän and Darband, S. 131, 137. Vgl. im übrigen Bernhard Dorn, »Versuch einer Geschichte der Schirwan- schahe«, Beiträge zur Geschichte der kaukasischen Völker aus morgenländischen Quellen, Nachdruck Leipzig 1967, S. 523-602. 278 HANS ROBERT ROEMER gerade diese Unternehmung bedenkliche Folgen, weil sie Säh Ruh das ganze Ausmaß der Gefahr vor Augen führte, die ihm von den Turkmenen drohte. Wir haben gesehen, daß er demgegenüber nicht untätig blieb, sondern einen Feldzug nach Aserbaidschan un- ternahm, bei dem ihm Qara Yüsuf als todkranker Mann entgegenzog und von seinem Schicksal ereilt wurde, noch ehe es zur Schlacht gekommen wäre. Trotz der Krise, in die das Fürstentum der Qara Qoyunlu beim Tode dieses Herr- schers durch den Angriff Säh Ruhs geriet, waren seine Grundlagen stabil genug, auch diesen Gefahren standzuhalten. Das war weitgehend auf die Leistungen Qara Yüsufs zurückzuführen, der nicht nur eine schlagkräftige Armee geschaffen und auf dem Schlachtfeld immer wieder seinen Mann gestanden hatte, sondern auch in der Innen- politik durch Gerechtigkeit und Freigiebigkeit sowie durch eine strenge Aufsicht über die Willkür seiner Statthalter und durch seine Fürsorge für die Landwirtschaft so er- folgreich war, daß er als der tüchtigste Staatsmann seines Hauses gerühmt wird. Seinem Nachfolger Qara Iskandar, dem wir bereits begegnet sind, war es trotz sieg- reicher Kämpfe mit kurdischen Emiren und mit dem Sirwängäh nicht vergönnt, die Macht seiner Föderation wesentlich zu mehren, doch hielt er ihren Gebietsstand wenig-- stens einigermaßen zusammen. Indessen war er der timuridischen Politik nicht ge- wachsen, die darauf abzielte, seine ehrgeizigen Brüder gegen ihn auszuspielen. Wohl konnte er sich 1429 noch gegenüber Abü Saeicl durchsetzen, dem die Statthalterschaft von Tabriz übertragen worden war, während er sich auf der Flucht befunden hatte. Als er aber nach einer weiteren Niederlage 1436 gegen den neuen, wiederum von Säh Ruh für Aserbaidschan eingesetzten Gouverneur, seinen Bruder Gahängäh, zum Kampf antreten mußte, verließ ihn das Schlachtenglück endgültig. Er wurde bei Tabriz in der Ortschaft Süfiyän geschlagen und zog sich nach Alinkäq zurück, einer Burg in der Nähe von Nahäiwän. Dort wurde er einige Zeit darauf von seinem Sohn Säh Qubäd ermordet. Unter Cahängäh" erreichte die Föderation der Qara Qoyunlu ihre größte Machtent- faltung; sein Ende zog allerdings auch ihren jähen Untergang nach sich. Wenn er auch dem politischen Spiel Säh Ruhs seinen Aufstieg verdankte, ja sogar Statthalter von sei- nen Gnaden war, seine Dankbarkeit und Treue gingen nicht weiter, als es zur Siche- rung der Herrschaft in den Kernlanden der Qara Qoyunlu notwendig war. Schon 1447 ergab sich mit dem Tod seines Oberherrn für ihn eine neue Lage, in der er wie sein Vorgänger sogleich der Grundtendenz seines Hauses folgte, dem turkmenischen Drang nach Osten. Wenn auch die glänzenden Siege, die er in dem nun einsetzenden Kampf mit den Timuriden errang, nicht überall dauerhaften Gewinn brachten, sie zeigen jedenfalls deutlich, wie groß der Einfluß der Turkmenen auf die persische Ge-

39 über Gahängäh ausführlich M. H. Yinan9, »Cihan-$ah«, Isl. Ans. III, S. 173-189. Dazu noch Minorsky, » Jihän-Shäh and his poetry«, BSOAS XVI, S. 271-297, sowie id., »The Qara-Qoyunlu and the Qutb-Shähs«, ib. XVII, S. 50-73 ; über das in dem zuletzt genannten Beitrag besprochene Werk und sein Verhältnis zu anderen Quellen neuerdings ausführlich Tarikh-i-Qutbi (also known as Tarikh-i- Elchi-i-Nizam Shah) of Khwurshah bin Qubad al-Husaini, a work on the history of the Timurids ed. M. H. Zaidi. Zwar sind in dieser Ausgabe die Beziehungen der Timuriden zu den Turkmenen behandelt, doch umfaßt sie nicht das von Minorsky resümierte Kapitel über die Qara Qoyunlu. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 2 79 schichte inzwischen geworden war. Nicht etwa durch die Besetzung persischer Provinzen allein, sondern auch in ethnologischer Hinsicht: Bei der Machtergreifung Cahängähs ist die erste Welle aus Anatolien nach Persien zurückströmender turkmenischer Bevölke- rungselemente, denen in der weiteren Entwicklung des Landes noch eine beträchtliche Rolle zufallen sollte, in vollem Gange. Der Untergang Qara Iskandars hatte also das Fürstentum der Qara Qoyunlu in Gahänehs Hand gebracht, allerdings mit Ausnahme des mittleren und südlichen Meso- potamiens, wo sein Bruder Ispand, der seine Herrschaft bis nach klawiza und Basra ausgedehnt hatte, ihm die Anerkennung verweigerte. Bei zwei Feldzügen nach Georgien, wie sie die muslimischen Nachbarn dieses Landes seit langer Zeit zu unternehmen pflegten, konnte er seine Truppen erproben und ihrer Beutegier freien Lauf lassen. Als dann Ispand starb und Erbfolgestreitigkeiten ihm Anlaß zur Intervention gaben, eroberte er Bagdad und das Zweistromlands°. Streitigkeiten, die auch beim Tode Säh Ruhs nicht ausblieben, waren für Gahädäh das Signal, die Oberhoheit der Timuriden abzuschütteln und seine Macht auf deren Kosten nach Osten auszudehnen. Er legte sich die Titel Sultän und Uäqän zu, besetzte sogleich wieder Sultäniyya und Qazwin, 1452 Isfahän und im darauf folgenden Jahr Färs und Kirmän. Mit einem Vorstoß nach Harät, der Hauptstadt von Uuräsän, den er 1458 unternahm, hatte er sich offensichtlich übernommen, war freilich klug genug, diese Eroberung wieder herauszugeben, als ein Ersatzheer aus Turkistän unter dem Timuriden Abü Sacid gegen ihn anrückte und im turkmenischen Westen heraufziehende Gefahren seine Anwesenheit dort erforderlich machten. An Ort und Stelle gelang es ihm schnell, einen Aufstand seines Sohnes Hasan 'Ali in Aserbaidschan niederzuschlagen. Schwieriger war die Auseinandersetzung mit einem andern seiner Söhne, Pir Budaq 41 , der sich schon früher als Gouverneur von Färs unbotmäßig gezeigt hatte und sich nun als Statthalter von Bagdad empörte. Dort wurde er erst im Sommer 1466 nach andert- halbjähriger Belagerung unterworfen und umgebracht, vielleicht von seinem Bruder Muhammadi, der seine Nachfolge antrat. Zeitgenössische Beobachter haben in Pir Budaqs Hinrichtung, die gegen die ausdrückliche Zusicherung freien Abzugs verstieß, nicht nur einen Wortbruch, sondern auch einen Pyrrhussieg erblickt, weil sich der al- ternde Cahäneh dadurch eines besonders tüchtigen Waffengefährten beraubte. In der Tat, die Kriegskunst Cahänehs versagte auf die Dauer gegenüber der Föde- ration der Aq Qoyunlu. Hier kündigte sich eine Entwicklung an, die den Fall der

40 Die Ereignisse der Turkmenen-Herrschaft, besonders im Irak, behandelt eingehend eAbdalläh b. Fathalläh al-Bagdädi, genannt al-Ghiyät, in seinem Kitäb at-Tärib al-Ghiyki, dessen Bearbeitung bei. M. Schmidt-Dumont, Turkmenische Herrscher des 15. Jahrhunderts in Persien und Mesopotamien, Frei- burg 1970, zu finden ist. Ferner sei auf die bei eAbbäs al-eAzzäwi, Tärib al-eIräq, Bd. III, mitgeteilten Auszüge aus diesem Werk verwiesen. Einzelheiten über die Chronik und ihren Verfasser bietet 'Abd al-Hamid ad-Dugaili, »Kitäb Tärib a1-Ghiyki«, Sumer VI (195o), S. 220-23; W. Hoenerbach, »über einige arabische Handschriften in Bagdad und Tetuan«, Oriens VIII (1955), S. 106-09; K. eAwäd, »al- Malnügt at-täribiyya«, Sumer XIII, (1957), S. 4; al-eAzzäwi, at-Taerif bil-mu'arribin I, Bagdad 1957, S. 249 ff. 41 Nicht zu verwechseln mit dem früher erwähnten gleichnamigen Sohn Qara Yüsufs, der schon 1318 verstorben war. 2 8 0 HANS ROBERT ROEMER Qara Qoyunlu herbeiführen sollte. Bevor wir ihr nachgehen, um unsere lockere Skizze der Ereignisse zu vervollständigen, ist es angezeigt, der Person Gahängähs und dem Staatswesen, das er gegenüber dem Hoheitsanspruch der Timuriden durchzusetzen ver- stand, eine knappe Betrachtung zu widmen. Mit Cahängähs beinahe dreißigjähriger Herrschaft erlangte das Fürstentum der Qara Qoyunlu nicht nur die Unabhängigkeit von den Timuriden, sondern infolge seiner ter- ritorialen Ausdehnung vom Van-See bis zu den Wüsten, die Persien von seiner Ost- provinz Uuräsän trennen, vom Kaspischen Meer bis zum Persischen Golf, geradezu imperiale Ausmaße. Fragt man, wie dieses Reich ausgesehen habe, so sollte man sich noch einmal vergegenwärtigen, wie sehr es den Qara Qoyunlu darauf ankam, als die rechtmäßigen Nachfolger der Caläyiriden in Erscheinung zu treten. Dahinter steckte noch eine weitergehende Überlegung, nämlich daß dem Nachfolger der Caläyiriden auch das Erbe der Ilhäne zustehe. Ob öahäneh sich wirklich »Ilhän« genannt hat oder nicht, sicher ist, daß die Qara Qoyunlu die staatlichen Formen des persischen Mongolen- reiches übernommen haben. Man erkennt es allein schon an den mongolischen Titeln »Uäqän«, »Noyan« und »Bahädur«, die sie sich zulegten. Auch ein Vergleich der aus ihren Hofkanzleien hervorgegangenen Urkunden mit denjenigen der Galäyiriden, der jetzt an Hand von Originalen geführt werden kann, spricht für diese Annahme 42 . Mag Gahädeh insoweit nur dem bereits von seinen Vorgängern eingeschlagenen Weg gefolgt sein, deutlicher werden die Umrisse seiner Persönlichkeit erkennbar, wenn man sie im Zusammenhang mit den kulturellen Leistungen der Turkmenen betrachtet. Die ihm vorausgegangenen Machthaber bieten nur ausnahmsweise Veranlassung, auf das geistige und künstlerische Leben der Zeit einzugehen. Selbst wenn man unterstellt, daß unsere Kenntnisse lückenhaft seien, und auch beachtet, daß die Nachrichten, die wir über die Qara Qoyunlu besitzen, zum größten Teil auf Autoren zurückgehen, die ihnen nicht wohlgesonnen und daher mit lobenden oder anerkennenden Worten über sie zurückhaltend waren, es ergibt sich nur ein farbloses Bild von ihrer kulturellen Wirk- samkeit, wenn man die religiöse Schwarmgeisterei und deren literarischen Niederschlag, wovon hernach noch die Rede sein soll, einmal außer acht läßt. Unter den Turkmenen- führern, denen wir bisher begegneten, meist macht- und beutegierigen Landsknechts- naturen, zeichnet sich indessen Gahängäh neben seinen militärischen und politischen Erfolgen auch durch kulturelle Verdienste aus, die der Erwähnung wert sind. Spuren seiner Bautätigkeit sind in mehreren Städten Persiens erhalten, darunter als ein beson- ders bemerkenswertes Baudenkmal die Blaue Moschee in Tabriz43 . Noch aufschluß-

42 Hierzu bediene man sich der bei Busse, Untersuchungen zum islamischen Kanzleiwesen, S. 250, nachgewiesenen Urkunden der Qara Qoyunlu und der von Papazian, »Deux nouveaux iarlyks d'Ilk- hans«, S. 379-401, publizierten aräyiridischen Stücke. Weitere Hinweise bei Roemer, »Arabische Herr- scherurkunden aus Ägypten«, OLZ LXI (1966), Sp. 329f., Anm. 5. 43 Beschrieben von Sarre, Denkmäler persischer Baukunst, Berlin 1910, Textband, S. 32 f., sowie W. Hinz, »Beiträge zur iranischen Kulturgeschichte«, ZDMG 91, S. 5 8 ff., sowie id., »Nachtragsbemerkung«, ib. S. 421 f. — Daß auch andere Fürsten der Qara Qoyunlu kulturelle Verdienste für sich in Anspruch nehmen können, zeigt Ivan Stchoukine, »La peinture ä Baghad sous Sultän Pir Budäq Qärä-Qoyünlü«, Ans Asiatiques (Annales du Musse Guimet et du Muse Cernuschi) XXV (1972), S. 3-18. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 281 reicher für seine Persönlichkeit ist seine literarische Tätigkeit. Wir besitzen eine auf ihn zurückgehende Sammlung teils persischer, teils türkischer Gedichte unter dem Pseu- donym 1-. 1aqiqi oder Haqiqat44 . Sie verblüffen immerhin durch die seltenen und schwie- rigen Versmaße, die darin mit guter Beherrschung angewendet werden. Selbst wenn die Vermutung, wir hätten es dabei mit Leistungen nicht des Herrschers selbst, sondern eines Ghostwriters zu tun, stichhaltig sein sollte, so ergäben sich immer noch gewisse Rückschlüsse auf seinen Bildungsstand und seinen literarischen Geschmack. Tatsächlich wird berichtet, GahärAäh habe zahlreiche Dichter und Gelehrte unterstützt, aber auch persönlich regen Anteil an geistigen Fragen genommen. Nun entspricht diesen positiven Zügen keineswegs das Charakterbild, das die Quel- len beinahe einhellig zeichnen. Sie beschreiben ihn vielmehr als einen habgierigen Ty- rannen, zwar als einen machtvollen und erfolgreichen Mann, aber von unzuverlässiger, böser und unerbittlicher Sinnesart, der seine Offiziere schon aus geringfügigen Anlässen in den Kerker warf, und zwar in jedem Fall auf Lebenszeit. Seine Grausamkeit bei der Eroberung von Städten wie Tiflis (1439/40) und Isfahän (1452) können als er- wiesen gelten. Hang zum Opium- und Weingenuß, Wollust und Ausschweifung wurden ihm nachgesagt, weshalb man ihn am Osmanenhof geringschätzig »die Fledermaus« nannte. Mangelnder Gebetseifer, Mißachtung des Religionsgesetzes und häretische Neigungen werden an ihm gerügt. Gegenüber all diesen üblen Leumundszeugnissen erhebt sich nur eine einzige Stimme des Lobes und der Anerkennung. Diese allerdings verdient um so eher Gehör, als sie aus ganz unerwarteter Richtung erschallt. eAbd ar- Razzäq Samarciandi45, der Hofchronist des Timuriden Säh Ruh und seiner Nach- Jolger, rühmt Gahängähs Gerechtigkeit, seine fürsorgliche Regierung und die gute Be- handlung, die er seinen Untertanen habe angedeihen lassen. Seine Hauptstadt Tabriz mit ihrer zahlreichen, wohlhabenden Bevölkerung habe es mit Kairo aufnehmen kön- nen. Die Kunde von den vortrefflichen Eigenschaften dieses Sultans habe sich allent- halben verbreitet. Seine Untergebenen hätten in Frieden und in Sicherheit vor den Wechselfällen des Schicksals leben können. Gelobt wird sogar das vorbildliche Regi- ment Cahängähs während der Besetzung Haräts. So widerspruchsvolle Urteile lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Man kann nur nach Erklärungen dafür suchen, wie sie wohl zustandegekommen sein mögen. Die Vermutung, eAbd ar-Razzäq sei Gahängäh verpflichtet gewesen, etwa wegen bestimm- ter Zuwendungen oder Gunsterweise, die ihm bei Gelegenheit eines durchaus im Be- reich des Möglichen liegenden Zusammentreffens in Harät zuteil geworden seien, steht auf schwachen Füßen angesichts der dem Chronisten sonst nachgerühmten Unpartei- lichkeit bei der Berichterstattung über seine Zeit". Schon eher könnte es sein, die Gahän-

44 Darüber ausführlich Minorsky, » jihän-shäh Qara-qoyunlu and his Poetry«, BSOAS XVI, S. 275-297. 45 Bei Gelegenheit seines Berichtes über das Jahr 867 H. in Matlae-i saedain wa-magmae-i bahrain, ed. Muhamm ad Sa fie , Lahore 1941/49, S. 1271-1274.

46 Darüber zwei so zuverlässige Zeugen wie W. Barthold und Mohammad Shafi, »eAbd al-Razz4- al-Samarkandi«, EI, 21, S. 90 f. 2 8 2 HANS ROBERT ROEMER gäh vorgeworfenen Laster und Missetaten seien im Zusammenhang mit dem allgemeinen moralischen Tiefstand damaliger Zeiten zu würdigen, weshalb sie einem wohlwollen- den oder doch unvoreingenommenen Berichterstatter des 1 5. Jahrhunderts in einem milderen Lichte hätten erscheinen können. Von der Hand zu weisen ist aber auch nicht, daß sunnitische, vielleicht auch safawidische Autoren die negativen Züge im Bild des Herrschers wegen seiner häretischen Neigungen bzw. unfreundlichen Einstellung ge- genüber den Safawiden mit besonders grellen Farben ausgemalt haben. Damit stehen wir vor der Frage nach der religiösen Gesinnung Gahängähs. Läßt sich schon von seinen menschlichen Eigenschaften kein klares Bild gewinnen, so ist in dieser Hinsicht die Beurteilung noch schwieriger. Dabei handelt es sich nicht etwa nur uni die Einschätzung seiner Persönlichkeit, sondern auch um einen Sachverhalt von politi- scher Tragweite, hat man doch Gahängäh mitunter als einen Ausbund schieitischer Ketzerei47 und seine Dynastie wegen ihrer heterodoxen Haltung geradezu als Vor- läufer der Safawiden bezeichnet, die ja vielleicht um diese Zeit damit begonnen haben, die Schi% zur Grundlage eines Staatswesens zu machen, das die Geschicke Persiens für ein Vierteljahrtausend und in religiöser Hinsicht sogar bis in die Gegenwart be- stimmte. Wie die Schi% so große Bedeutung erlangen konnte, ist einstweilen noch nicht ganz geklärt, wenn auch jüngst Ansätze zu verheißungsvollen neuen Erkenntnissen gelun- gen sind'". Gewißheit besteht darüber, daß im 14. und i5. Jahrhundert häretische Strö- mungen verschiedener Art auf dem ganzen Gebiet des vormaligen Ilhän-Reiches wucher- ten". Daß es auch bei den Qara Qoyunlu schieitische Tendenzen gegeben hat, ist un- bestreitbar. Dennoch läßt sich die These von ihrem schieitischen übereifer, der in der Person Gahädehs seinen Höhepunkt gefunden habe, nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten. Zwar wissen wir, daß sein Bruder Ispand als Gouverneur von Bag- dad (836/1433-848/1445) im Zweistromland die Zwölferschiea als offizielle Religion eingeführt hat, schwerlich ohne seine Kenntnis und Billigung. Tatsache ist auch, das Sultän Quli, der Enkel eines Neffen Gahängähs, der um 1478 von Hamadän nach In- dien flüchtete, der Schi% huldigte und der Stammvater der durch ihre schieitische Hal- tung berühmten Qutbeh-Dynastie von Golkonda geworden ist". Ebenso unbestreit- bar ist die gelegentliche Verwendung der schiltisdien Münzformel durch Gahängäh. Verblüffend, aber wohl auch kennzeichnend ist die Tatsache, daß seine Münzen gleich-

47 Minorsky, »Ahl-i haqq«, EI, 2 1, französische Ausgabe, S. 270: »Il est ä relever que Djahänshäh ..., qui, pour les Sunnites est un horrible her6tique, portait parmi ses adh6rants le titre de sultän al-eärifin«. Dieser Satz ist in der englischen Ausgabe des gleichen Artikels freilich nicht enthalten. 48 Eine Darstellung des Problems enthält die ertragreiche Princetoner Dissertation von 1966: M. Maz- zaoui, Shicism and the Rise of the Safavids, veröffentlicht unter dem Titel The Origins of the Safawids, Wiesbaden 1972. 49 Vgl. Babinger, Der Islam in Kleinasien, S. 58 ff., sowie Laoust, Les Schismes dans l'Islam, S. 258 ff., und neuerdings Klaus E. Müller, Kulturhistorische Studien zur Genese pseudo-islamisdier Sektengebilde in Vorderasien, Wiesbaden 1967, passim. Ein interessantes Beispiel erörtert Ritter, »Studien zur Ge- schichte der islamischen Frömmigkeit II — Die Anfänge der Hurüfisekte«, Oriens 7 (1954) S. 1-54. 50 Darüber ausführlich Zaidi in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Khwurshah al-Husaini, Tarikh-i-Qutbi. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 2 83 viel auf der Rückseite gewöhnlich die vom Standpunkt der Schi% aus völlig unakzep- table Aufzählung der rechtgeleiteten Chalifen tragen. Die Niederwerfung eines 1-.1urüfl- Aufstandes in Tabriz paßt kaum in das Bild eines antisunnitischen Fanatikers", gewiß auch nicht die Tatsache, daß er den Safawiden Saih Gunaid, dessen schiltisdie Hal- tung oft behauptet wird, zweimal, um 1448 und 1459, aus Ardabil verbannt hat. Diese Argumente rechtfertigen den Schluß, daß Gahängäh schwerlich der schititische Eiferer gewesen sein kann, als den ihn manche Autoren hinstellen. Das beweist auch sein bereits erwähnter Diwän, der kaum als Zeugnis schieitischer Gesinnung herange- zogen werden kann, besonders wenn man denjenigen Schah Ismälls, ein Bekenntnis extrem häretischer Auffassungen, zum Vergleich heranzieht. Was von der Ketzerthese übrigbleibt, ist nicht viel mehr als gewisse schieitische Neigungen, die mit einer sunni- tischen Umwelt, so lehren auch andere Beispiele, nicht zu allen Zeiten inkompatibel waren. Darüber hinaus hat man es mit einem handfesten Opportunismus zu tun, bei dem es darauf ankam, sich mit den gefährlichen politisch-religiösen Strömungen der Zeit recht und schlecht zu arrangieren52. Wie es sich auch mit den moralischen Qualitäten Gahängähs und mit seiner religiösen Gesinnung verhalten haben mag, unbestreitbar ist die Tatsache, daß seine militärische und staatsmännische Begabung den Qara Qoyunlu ein großes Reich beschert hat, das weit in persisches Gebiet hineinreichte und in mehrfacher Hinsicht erwähnenswerte kulturelle Ansätze aufzuweisen hat. Wäre ihm Bestand, eine ruhige Entwicklung und die Ausbildung eines geordneten Staatswesens beschieden gewesen, so hätte es gewiß großen Einfluß auf den ferneren Verlauf der persischen Geschichte ausüben können. Dazu sollte es aber nicht kommen, stand es doch im Augenblick seiner höchsten Macht- entfaltung bereits an der Schwelle des Untergangs. Wir müssen nun auf die Geschicke der Föderation der Aq Qoyunlu, der historischen Rivalen der Qara Qoyunlu, zurückgreifen, die wir verlassen haben, als 1435 Qara eUtmän vor den Toren von Erzurum im Kampf mit Iskandar Beg tödlich verwundet wurde. Keiner seiner zahlreichen Söhne war aus demselben Holz geschnitzt, wie der kriegstüchtige Vater, und ein ganzes Jahrzehnt sah es so aus, als werde die Herrschaft der Aq Qoyunlu im Strudel endloser Wirren und Intrigen untergehen. Es erübrigt sich, diesen anarchischen Vorgängen in allen Einzelheiten nachzugehen". Vielmehr genügt der Hinweis darauf, daß zwei Söhne Qara `Utmäns, zunächst eAli Beg (st. 1441), dann klarnza Beg (st. 1444), sich um das Erbe ihres Vaters bemühten, teils im Kampf mit

51 ob allerdings dieser Aufstand und seine Unterdrückung tatsächlich in die Zeit Gahängähs fällt, ist nicht sicher, vgl. Minorsky bei Ritter in dem Anm. 49 genannten Aufsatz. 52 Die beiden Diwäne sind eingehend von Minorsky untersucht worden: »The Poetry of Shäh Ismäeil I« BSOAS X (1939-42), S. Ioo6 a—Io53 a, und » Jihän-shäh Qara-qoyunlu and his Poetry«, ib. XVI (1954), S. 271-297. — Den Opportunismus der turkmenischen Religionspolitik, sowohl der Qara Qoyunlu als auch der Aq Qoyunlu, hat Jean Aubin wiederholt hervorgehoben, z. B. Melanges Massignon (Damaskus 1956), Bd. I, S. 132. 53 Diese Einzelheiten sind mit den entsprechenden Quellenhinweisen zusammengestellt in den einschlä- gigen Arbeiten von Hinz, Uzun9arvli und Yinan9, im Hinblick auf Auseinandersetzungen mit den Qara Qoyunlu auch in denjenigen von Sümer. 284 HANS ROBERT ROEMER den ägyptischen Sultanen, teils mit ihrer und der Osmanen Unterstützung, jedenfalls ohne nennenswerte Erfolge, vor allem ohne Gahängäh am Zugriff auf ihr Herrschafts- gebiet hindern zu können, das schließlich nur noch von Diyärbakr bis Erzingän reichte. Den Machtverfall der Aq Qoyunlu konnte auch die Anerkennung nicht aufhalten, die sich eAli Beg bei Säh Ruh und bei dem Sultan von Kairo zu verschaffen wußte. Dieser verlieh übrigens nach 'Alls Tod auch klamza den Rang eines ägyptischen Emirs. Erst mit 'Ali Begs Sohn Gahängir bahnte sich eine Wende an. Unter seiner Herr- schaft gelang es, den Qara Qoyunlu wenigstens einen Teil ihrer Landbeute wieder zu entreißen. Doch stand auch seinen Bemühungen um die Wiederherstellung des alten Besitzstandes und die Festigung seiner Föderation der Familienzwist im Wege, der ihn zu ständigen Auseinandersetzungen mit seinen Oheimen und Vettern zwang. Besonders zu schaffen machten ihm zwei Brüder seines Vaters, Qäsim Beg und Sait Hasan. Der eine suchte Hilfe bei den ägyptischen Mamluken, der andere fand sie bei den Qara Qoyunlu und wurde damit für ihn zu einer lebensgefährlichen Bedrohung. Deshalb sandte er seinen Bruder Uzun klasan gegen ihn. Der Kampf endete mit Saib Hasans Niederlage und Tod. Das gute Einvernehmen zwischen den beiden Brüdern, das sich auch noch auf andere Verdienste Uzun Hasans zu stützen schien, erwies sich indessen als trügerisch. Jedenfalls konnte von brüderlicher Anhänglichkeit keine Rede mehr sein, als Uzun ljasan im Sommer 1453, möglicherweise auch schon etwas früher, die Gele- genheit fand, sich bei einer Abwesenheit Gahängirs mit List der Stadt Diyärbakr zu bemächtigen und sogleich zum Herrn der Qara Qoyunlu aufzuschwingen. Die damit geschaffene Situation muß wohl dem tatsächlichen Kräfteverhältnis ent- sprochen haben, war doch Gahängir trotz zahlreicher, hartnäckiger Versuche, die er in den folgenden Jahren unternahm, nicht imstande, die Macht wieder an sich zu reißen, so daß er letzten Endes froh sein mußte, sich wenigstens in Märdin halten zu können, wo er 1468 seine Tage beschloß. Uzun Hasans Herrschaft leitet nicht nur einen Wiederaufstieg der Aq Qoyunlu ein, unter allen politischen Unternehmungen der Turkmenen, die bisher besprochen wurden, stellt sie den größten Erfolg dar. Das ist nicht etwa die Folge günstiger Verhältnisse; mit Ausnahme des Niedergangs der timuridischen Macht kann von solchen nicht die Rede sein. Auch das Waffenglück, das Uzun Hasan viele Male, wenn auch nicht immer hold war, reicht allein zur Erklärung seiner Erfolge nicht aus. Wichtiger als alle ande- ren Umstände waren seine ungewöhnlichen Qualitäten, die ihn nicht nur als Heerfüh- rer, sondern auch als Staatsmann auszeichneten. Es fragt sich, ob die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmed II. im Jahre 1453 auch in den Augen orientalischer Fürsten ein so epochemachendes Ereignis dar- stellte wie im Bewußtsein abendländischer Beobachter, zeitgenössischer und späterer. Uzun Hasan hat der osmanische Großherr, wie aus zahlreichen Indizien zu entnehmen ist, damit nicht imponieren können. Für ihn war etwa das Komnenenreich in Trapezunt auch nach 1453 kein todgeweihtes Gebilde, sondern ein Machtfaktor, mit dem seine Nachbarn auch jetzt noch zu rechnen hatten. Jedenfalls folgte er der schon früher be- sprochenen Tradition seines Hauses, indem er 1458 Kyra Katerina, eine Tochter des DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 2 8 5 Kaisers Kalo Ioannes, ehelichte, eine Prinzessin, die meist, so auch in europäischen Berichten, »Despina tlätün« genannt wurde. Eine weitere verwandtschaftliche Verbindung ging er mit Saih Gunaid ein, dem unternehmungslustigen Vorsteher der safawidischen Ordensgemeinschaft von Ardabil (1447-1460). Nach den Schwierigkeiten, die dieser, wie wir sahen, zehn Jahre zuvor mit Gahängäh gehabt hatte, lud er ihn zu längerem Aufenthalt zu sich ein und gab ihm seine Schwester tjadiia Begüm zur Frau. Mag bei dieser Handlungsweise auch die Sym- pathie im Spiel gewesen sein, die er am allgemeinen für Derwische und besonders für den jungen Scheich hegte, vermutlich waren dafür aber auch politische Überlegungen maßgebend. Uzun Hasan vermochte sich in den Jahren nach seiner Machtergreifung nicht nur in den Streitigkeiten mit seinem Bruder Gahängir und anderen Verwandten durchzusetzen, er unternahm auch zahlreiche Feldzüge zur Erweiterung und Abrundung seines Territo- riums sowie zur Sicherung seiner Macht. Dabei legte er politisches Geschick und mili- tärische Qualitäten an den Tag, die ihm fast immer den Erfolg gewährleisteten, mochte es sich um die Eroberung der Herrschaften von 1-. 1isn Kaifä ani_Tigris (1462) 54 und Qoyulu klisär am Kelkit-Fluß (1459), um die Einnahme der Festung äbin Qarabisär, um seine ersten Feldzüge nach Georgien (1459, 1462/63) oder um die Verdrängung der Dulgädir" aus Uarpüd (1465) handeln. Es konnte nicht ausbleiben, daß derartige Erfolge den Argwohn seiner mächtigen Nachbarn erregten, der Osmanen im Westen, der Qara Qoyunlu und der Timuriden im Osten sowie der ägyptischen Mamluken im

Süden. Da Uzun 1-. 1asan nicht nur ihre Interessensphären verletzte, sondern in manchen Fällen sogar territorialen Besitz, blieben ernste Konflikte nicht aus. Uzun klasan wird sich im klaren darüber gewesen sein, daß es über kurz oder lang auf Leben und Tod gehen werde. Den Aq Qoyunlu am nächsten und daher von deren Expansion am stärksten bedroht waren die Qara Qoyunlu, und von ihrer Seite kam auch die erste starke Reaktion. Schon vor Uzun Hasans Machtergreifung war es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Rivalen gekommen. GahärAh hatte damals zwar den Widerstand Gahän- girs nicht brechen können, ihm aber eine Loyalitätserklärung abgenötigt, mit der ei- die Tabrizer Oberhoheit anerkannte. Einige Jahre darauf hatte Gahängir, um sich ge- gen den Staatsstreich seines Bruders zur Wehr zu setzen, die Qara Qoyunlu um Bei- stand gebeten. Doch waren deren Hilfstruppen in die Flucht geschlagen worden. Als Gahäl-Aäh auch gegenüber Uzun klasan die Oberhoheit beanspruchte, ließ es dieser bei unterwürfigen Beteuerungen bewenden.

54 uisn Kaifä ist die letzte der verschiedenen Ayyubidenherrschaften, die den Untergang der Dynastie Saladins in Ägypten (1250) überlebt hatten, vgl. Schregle, der Sultanin von Ägypten, Wiesbaden 1961 sowie S. Ory, »Hin Kayfä«, EI vol. 2111, S. 524 f., sowie B. Darkot, »Hisn Keyfa«, Isl. Ans. vol. V

( 1 95 0), S. 45 2-455- 55 Ein mit den Osmanen durch Heirat verbundener Turkmenenstamm, der in einem Fürstentum mit der Hauptstadt Albistän lebte, worüber Näheres bei Babinger, »Mehmed's II. Heirat mit Sitt-Chatun ( 1 44 8 )«, Der Islam 29 (1949), S. 215-235; Mordtmann und Yinan9, »Dulkadirlilar«, Isl. Ans., vol. III (1945), 5. 654-662; Mordtmann und WIlage, »Dhü l-Kadr«, EI 2 11, 5. 246 f.; Yinan9, »Elbistan«, Isl. Ans. IV (1945), S. 223-230. 286 HANS ROBERT ROEMER Auf die Dauer gab sich Cahängäh damit nicht zufrieden, entschloß sich vielmehr im Frühjahr 1467, also in dem auf die früher erwähnte Eroberung von Bagdad folgenden Jahr, zu einem Feldzug gegen die Aq Qoyunlu in Obermesopotamien. Uzun Hasans beschwichtigende Briefe mögen immerhin dazu beigetragen haben, daß er nicht an eine akute Gefahr glaubte und daher den Sommer in der Gegend von Uüy zubrachte. Als er Ende Oktober schließlich in der ostanatolischen Ebene von Müg eintraf, wurde er vom vorzeitigen Einbruch winterlicher Witterung überrascht, nahm von dem Zug gegen Uzun Hasan Abstand, entließ den größten Teil seiner Truppen ins Winterlager und wandte sich mit geringem Gefolge nach Norden. Uzun klasan, der die Bewegungen seines Gegners sorgfältig verfolgt hatte, ließ sich durch den Witterungsumschlag nicht verdrießen, betrachtete ihn vielmehr als seine Chance. Während Gahängäh bei Sangaq in der Gegend von CapakCur lagerte, nutzte er am ii. November 1467 beim Morgen- grauen die Sorglosigkeit der Qara Qoyunlu zu einem überfall aus. Gahängäh wurde davon — wie die Quellen besagen: nach durchzechter Nacht — im Schlaf überrascht. Zwar glückte ihm im letzten Augenblick die Flucht, doch wurde er unterwegs von einem Soldaten Uzun Hasans erschlagen. Die Niederlage war vollständig, fielen doch auch seine Söhne Muhammadi, der Kronprinz, und Abü Yüsuf in die Hand des Feindes; dieser wurde geblendet, jener umgebracht. Das Ende CahärAähs beschwor auch den Untergang seines Reiches herauf. Wohl konnte Hasan eAli, einer seiner überlebenden Söhne, seine Nachfolge antreten, doch ver- mochte er sich trotz anfänglich starken Zulaufs nicht lange zu halten. Auf der Flucht vor den nachdrängenden Aq Qoyunlu endete er in der Gegend von Hamadän im April 1469 durch Selbstmord. Auch sein Bruder Abü Yüsuf, der die Freiheit wieder- gewonnen hatte, bezahlte den Versuch, die Macht der Qara Qoyunlu in Färs neu zu begründen, mit dem Leben. Damit war die politische Rolle der Qara Qoyunlu in Vor- derasien ausgespielt56. Daß es einige Jahrzehnte später einem Sproß ihres Hauses ge- lingen sollte, unter indischem Himmel, in Golkonda, ein Reich zu gründen", fällt schon nicht mehr in den Rahmen unserer Darstellung. Mit der Ausschaltung der regieren- den Familie verschwand sowohl der Staat der Qara Qoyunlu als auch die Föderation dieses Namens". Ihr territorialer Besitz ging bald an Uzun Hasan über. Die einzelnen Stämme, die ihrem Verband angehört hatten, suchten nach neuen Bindungen; viele von ihnen fanden sie bei dem Sieger, dessen Föderation auf diese Weise an Zahl und Schlag- kraft zunahm.

Mit dem unvermuteten Sieg über Cahängäh tritt Uzun I-. 1asan mitten in die Szenerie der persischen Geschichte. War er bis dahin nur ein aufstrebender Turkmenenfürst mit territorialen Interessen außerhalb Irans gewesen, so brachte ihm das Erbe der Qara

56 Inwieweit der Name des Bezirks Qara Qoyunlu im späteren tlänat Mäkü mit der Konföderation dieses Namens zusammenhängt, ist noch zu klären, vgl. Vl. Gordlevskij, »Kara-Kojunlu«, Bulletin de la Societe scientifique d'Azerbaidjan, No. 4, Baku 1927, S. 1-33. 57 Vgl. oben Anm. 39. 58 Hier darf auf Faruk Sümers Monographie Kara Koyunlular, Ankara 1967, verwiesen werden, deren zweiter Band noch aussteht. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 2 87 Qoyunlu, das anzutreten er sich nun anschidae, beinahe mit einem Schlage die Herr- schaft über den größten Teil Persiens. Allerdings geriet er damit auch in die unmittel- bare Nachbarschaft der Timuriden, denen er und seine Ahnen zwar seit den Tagen Ti- murs als Bundesgenossen die Treue gehalten hatten, die aber einem solchen Aufstieg kaum ruhig zusehen konnten. Wie erinnerlich waren Gahängähs östliche Gebietserweiterungen nach 1447, dem Todesjahr Säh Ruhs, auf Kosten der Timuriden gegangen. Harät, das er später eben- falls besetzt, dann aber wieder aufgegeben hatte, war der Preis gewesen, den er für eine gütliche Einigung mit Abü Sackt hatte zahlen müssen, als ihn im Dezember 1458 innere Schwierigkeiten zur Rückkehr nach seinen Kernlanden zwangen. An eben diesen Abü Said, den Urenkel Timurs, hatte sich Hasan 'Ali nach dem Tode seines Vaters um Beistand gegen Uzun ljasan gewendet, nicht ohne Erfolg. Offenbar in der Hoffnung, jetzt biete sich die Gelegenheit, die an die Turkmenen verlorenen Gebiete leichten Kaufes zurückzuerobern, brach der Timuride überstürzt nach Westen auf. Natürlich spielte dabei auch der Gedanke an die Gefahr mit, die ein so aktiver Herrscher wie Uzun Hasan, wenn man ihn gewähren lasse, in einem von Ostanatolien bis an die Grenze Ostpersiens reichenden neuen Turkmenenstaat für die Timuriden darstelle. Alle Bemühungen, Abü Sack' durch Verhandlungen bei seinem ungestümen Vormarsch aufzuhalten, waren vergebens, umsonst auch der Hinweis auf die Generationen hindurch bewahrte Bundesgenossenschaft. Einem so entschlossenen Geg- ner wird sich Uzun 1-.1asan nicht leichten Herzens zum Kampf gestellt haben. Doch blieb ihm das Schlachtenglück treu. Abü Saeid, der mit seiner Reiterei ohne Rücksicht auf die noch unvollständige Regelung des Nachschubs vorgeprellt war, geriet in die Unbilden eines harten aserbaidschanischen Winters und wurde schließlich am 28. Januar 1469 in der Mügän-Steppe am Unterlauf des Flusses Aras in einer Umzingelungs- schlacht vernichtend geschlagen". Er selbst geriet in Gefangenschaft und wurde zehn Tage später hingerichtet. Nach dem Untergang Abü Saeids stellten die Timuriden, deren Herrschaft in Ost- persien, Afghanistan und Turkistän zwar noch einige Jahrzehnte weiterbestanc1 60, für die Aq Qoyunlu keine nennenswerte Gefahr mehr dar. Erst dadurch wurde für diese auch die Landbeute des Sieges über die Qara Qoyunlu zu einem sicheren Besitz. Sie wa- ren nun praktisch zur einzigen und unumstrittenen politischen Macht Persiens aufge- rückt. Daß Uzun Hasan sich der Rolle, die ihm dadurch zufiel, auch bewußt gewesen ist, läßt sich deutlich an der unverzüglichen Verlegung seiner Hauptstadt von Ämid in Diyärbakr, einem lokalen Machtzentrum Anatoliens, nach Tabriz erkennen. Er wählte damit eine Residenz von alter Tradition, in der ja zuvor nicht nur die Qara Qoyunlu ihre Hauptstadt gehabt hatten, sondern auch die mongolischen Ilhäne und ihre Erben,

59 Die Einzelheiten bei Jean Aubin, »Abü Sack'«, EI 21, S. 151-153. 60 Ihren Besitzstand zeigt eine Kartenskizze bei Barthold, Herät unter Husin Baiciara dem Timuriden, deutsche Bearbeitung von Walther Hinz, Leipzig 1938. In derselben Schrift sind auch die Geschicke des ausgehenden Timuridenreiches dargestellt, vgl. auch Minorskys englische Übersetzung Four Studies on the History of Central Asia, vol. III, Leiden 1962. 288 HANS ROBERT ROEMER die Galäyiriden. Dieser Vorgang ist nicht nur das Symbol für die Inbesitznahme Per- siens, er leitet auch die zweite starke Welle turkmenischer Bevölkerungselemente ein, die von Anatolien nach dem iranischen Hochland zurückflutete und von nun an ein Jahr- hundert lang in der Entwicklung dieses Landes, wie noch zu zeigen sein wird, eine große Rolle spielen sollte. Die Kunde von dem ungewöhnlichen Aufstieg Uzun klasans verbreitete sich nicht nur bei seinen orientalischen Nachbarn, sondern auch bei den abendländischen Mächten. War deren Interesse am Vorderen Orient in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch im wesentlichen von der älteren Kreuzzugsidee, also der Befreiung des Heiligen Grabes und der Eroberung Ägyptens mit Syrien und der Arabischen Halbinsel, be- stimmt gewesen, so hatte sich seit 1453 mit der Einnahme Konstantinopels durch die

Osmanen die Wiedergewinnung dieser Stadt als neues und sogar als wichtigstes Motiv - hinzugesellt, ja das Wort »Kreuzzug« bezeichnete schließlich nur noch den Kampf ge- gen die Osmanen. Darüber hinaus war aber im Abendland durch jenes Ereignis die zunehmende Gefahr deutlich geworden, die von der osmanischen Expansion drohte'''. Papst Nikolaus V. hatte schon am 3o. Oktober 1453 eine Kreuzzugsbulle erlassen, in der er zum Kampf gegen die Türken aufrief. Um die gleiche Zeit hatte er einen Ge- sandten, wohl den Franziskanermönch Lodovico da Bologna, in den Orient entsandt, um im Rücken des Großherrn Bundesgenossen gegen diesen zu gewinnen. Wenn auch der Gedanke eines Paktes mit nichtchristlichen Mächten im Abendland nicht eben popu- lär war, neu war er keineswegs, hatten doch auch schon früher abendländische Mächte mit den Mongolen verhandelt, um eine Allianz im Rücken der ägyptischen Mamluken zustandezubringen. Auch Venedig, das seine Interessen im Gebiet des östlichen Mittel- meeres gefährdet sah, hatte bereits 1454 eine Gesandtschaft »nach Persien« geschickt. Obgleich Uzun Hasan sich zu dieser frühen Zeit für antiosmanische Allianzpläne noch nicht aufgeschlossen gezeigt hatte, die Möglichkeiten, die darin lagen, schien er doch nicht verkannt zu haben und sich offen halten zu wollen; denn bei einer Gruppe von Botschaftern anatolischer Fürsten, die 1460 in Rom eintraf und von da aus auch noch an andere europäische Höfe zog, befand sich auch ein turkmenischer Gesandter, der im Kreise dieser meist christlichen Sendboten großes Aufsehen erregte. Schon bald nahm Uzun Hasan eine eindeutige Haltung ein, ja er wurde in dem regen Hin und Her diplomatischer Missionen seit 1467 zur treibenden Kraft. Man kann darin ein Anzeichen für den heraufziehenden Konflikt mit den Osmanen erblik- ken, besonders seit Uzun Hasan 1461 der osmanischen Eroberung Trapezunts hatte zusehen müssen. Der Gedanke einer abendländisch-orientalischen Türkenliga hatte so- wohl auf der europäischen als auch auf der kleinasiatischen Seite zahlreiche, zeitweise wechselnde Fürsprecher. Der Kurie, Venedig, Neapel und anderen Mächten standen als Partner trapezuntische, georgische und turkmenische Fürsten gegenüber. Doch genauso wie im Westen auf die Dauer Venedig, so wurde im Osten schließlich Uzun

61 Die Bemühungen abendländischer Mächte, eine Allianz mit orientalischen Gegnern der Osmanen zustandezubringen, untersucht an Hand unveröffentlichter Archivalien ausführlich Barbara von Palom- bini, Bündniswerben abendländischer Mächte um Persien 1453-1600, Wiesbaden 1968. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 289 Hasan der ausschlaggebende Gesprächspartner. Ersten Übereinkünften vom Jahre 1458 war 1464 ein Bündnis gefolgt, das noch einmal bekräftigt wurde, als die Beziehungen mit der Entsendung Catarino Zenos ihren Höhepunkt erreichten. Dieser brach 1471, wohl Anfang Oktober, nach Tabriz auf und kehrte erst vier Jahre später nach Venedig zurück. Da er den Orient aus eigener Anschauung kannte und durch seine Frau, eine Nichte der Despina Uätün, sogar mit Uzun 1:lasan verschwägert war, brachte er für seine Mission besonders günstige Voraussetzungen mit. Allerdings hatte für die Signoria die turkmenische Allianz wegen des venezianisch-türkischen Krieges,14.„3-1479) ( 4 auch größere Bedeutung erlangt, namentlich seit der osmanischen Eroberung von Morea, Les- bos sowie Euböa (1470), das seit 264 Jahren venezianischer Besitz gewesen war. Gegen- stand aller Verhandlungen waren gemeinsame und koordinierte militärische Aktionen zur Vernichtung des Osmanenreiches sowie Abmachungen über die zu erwartende Kriegsbeute. Darüber hinaus hatte Uzun 1:lasan an Venedig einen vordringlichen Wunsch: Es sollte ihn mit artilleristischen und anderen Feuerwaffen versorgen, damit er den Osmanen, die damit ausgestattet waren, auch insofern gewachsen sei. Tatsäch- lich wurden diese Waffen aufgrund eines Senatsbeschlusses vom 4. Februar 1473 abge- sandt. Diese Vorgänge waren der Pforte natürlich nicht verborgen geblieben. Durch den Machtaufstieg Uzun Hasans geriet Sultan Mehmed II., der Eroberer von Konstantino- pel, immer mehr in eine Situation, wie sie am Vorabend der Katastrophe von 1402 be- standen hatte, nur das dieses Mal sogar zwischen den Feinden im Osten und im Westen Einvernehmen bestand. Neben der west-östlichen hatte der Konflikt aber auch noch eine kleinasiatische Vorgeschichte'''. Bei seiner Vermählung mit der Despina hatte sich Uzun 1:lasan einem gegen die Osmanen gerichteten Bündnis angeschlossen, das ihn mit den Herren von Trapezunt, Georgien und Qaramän verband, und 1459, im Jahr dar- auf, hatte er eine Gesandtschaft an den Großherrn geschickt, die ihn ersuchte, er möge auf die Kontributionen verzichten, die der Kaiser von Trapezunt ihm jedes Jahr zu zahlen hatte; gleichzeitig erinnerte sie an die alljährlichen Geschenke des Sultans an den. Herrn von Diyärbakr. Sie waren seit über fünfzig Jahren nicht mehr entrichtet wor- den ... Der negative Ausgang der Demarche kann kaum überrascht haben. Uzun Ijasan nahm ihn gleichviel zum Vorwand, das kleine Fürstentum von Qoyulu 1:-Iisär am Fluß Kelkit anzugreifen, das den Zugang von Zentral- nach Ostanatolien und nach Trape- zunt beherrschte. Wenn ihm dabei auch kein dauerhafter Erfolg beschieden war, so hatte er doch gezeigt, daß er sich als Beschützer der komnenischen Herrschaft betrachtete. Als 1461 Mehmed II. zur Eroberung Trapezunts anrückte, ließ Uzun Hasan seine Truppen zwischen Erzineän und Kamäh aufmarschieren, mußte indessen nach einigen unglücklichen Scharmützeln einsehen, daß er den Sultan doch nicht an seinem Vor- haben hindern konnte. Er war klug genug, einer voreiligen Machtprobe aus dem Weg

62 Baykal, »Uzun Hasan'in Osmanlilara mücadelesi (sowie deutsche Zusammenfassung: Die Vor- bereitungen Uzun Hasans zum Entscheidungskampf gegen die Osmanen und der Beginn des Krieges)«, Belleten XXI (1957), S. 261-296. 290 HANS ROBERT ROEMER zu gehen, suchte vielmehr eine Verständigung, indem er seine Mutter, Sarah Hätün, in das osmanische Hoflager schickte, offenbar nicht ohne Erfolg. Trotz dieser Schlappe und einer einstweilen noch unverkennbaren Tendenz, es mit dem Sultan nicht ganz zu verderben, gab er auch danach seine anatolischen Interessen keineswegs auf, was er angesichts seiner abendländischen Bindung wohl auch nicht konnte. Sollte nämlich jenes Bündnis seine volle Wirksamkeit erlangen, so war er auf eine Möglichkeit direkten Kontaktes mit seinen europäischen Verbündeten angewie- sen. Wie anders sollten ihn etwa venezianische Waffenlieferungen erreichen? Da Zypern, wo damals der mit der Venezianerin Caterina Cornaro verheiratete König Jakob II. von Lusignan regierte, für venezianische Schiffe zugänglich war, lag es nahe, einen Zugang zu der gegenüberliegenden anatolischen Küste zu suchen. Der Weg dorthin führte durch das Land Qaramän, in dem sich allerdings Uzun Hasans Interessen mit denjenigen der Osmanen und der Ägypter überschnitten. Eine günstige Gelegenheit bot sich, als i4_4K nach dem Tod des Qaramäniden Ibrähim dessen ältester Sohn Ishäq von seinem Bruder Pir Ahmad vertrieben wurde und Uzun klasaii, einen alten Freund seines Vaters, um Hilfe bat 63 . Sie wurde ihm zuteil, und er gewann seinen Thron mit turkmenischem Beistand zurück. Für den Großherrn war aber Qaramän so wichtig, daß er schon im folgenden Frühjahr in Qonya, der qaramänisch.en Hauptstadt, den früheren Zustand wiederherstellte. Ob nun der kurze Zeit später eintretende Tod seines Schützlings den Herrn der Aq Qoyunlu von weiteren Maßnahmen abhielt oder die Scheu, den Großherrn zu provozieren, oder die Entwicklung im Osten seines Lan- des, jedenfalls ließ er es geschehen, daß der Sultan Pir Abmad wieder einsetzte, ja sogar daß er ihn etwas später davonjagte und Qaramän seinem Reich einverleibte. Mag für den heutigen Betrachter eher der aggressive Charakter der Handlungsweise Uzun ljasans hervorstechen, damals in Istanbul fielen offenbar seine Mäßigung und seine Kompromißbereitschaft stärker in die Waagschale. Auf Gahängähs Mitteilung, er werde nun gegen die Aq Qoyunlu zu Felde ziehen und erbitte dazu den Beistand des Großherrn, erfolgte nämlich ein ablehnender Bescheid mit der Begründung, die Pforte habe keine Veranlassung, gegen Uzun Hasan Krieg zu führen. Man wird annehmen dürfen, daß ein Feldzug nach Osten nicht in das Programm des Sultans paßte. Gewiß huldigte er aber auch der überzeugung, mit dem Herrn von . Amid- werde man es im Ernstfall nicht schwerer haben als mit anderen Potentaten des anatolischen Hinter- landes, wie etwa letzthin mit denjenigen von Trapezunt und Qaramän. Ein fataler

Irrtum, wie sich herausstellte, als Uzun 1-. Iasan mit seinen Siegen über Gahängäh und Abü Said praktisch an die Spitze der Großmächte Vorderasiens trat. Einen Herrscher, der über die Ressourcen Ostanatoliens, Mesopotamiens, Aserbaidschans und Persiens ver- fügte, konnte man auch in Istanbul nicht mehr als Duodezfürsten abtun, und auch seine abendländische Allianz, deren Auswirkungen allmählich zu erkennen waren, erschien

63 Eine sorgfältige Quellenstudie über Uzun Hasans ersten Feldzug nach Qaramän bietet Adnan Sachk. Erzi, »Akkoyunlu ve Karakoyunlu Tarihi hakkinda ara§tirmalar«, Belleten XVIII (1954), S. 179-221. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 291 nun unter ganz anderen Aspekten. Mit diesem Feind im Rücken waren dem Sultan bei seinen weit nach Westen und Nordwesten zielenden Absichten die Hände gebunden, mußte er doch mit gefährlichen Überraschungen rechnen, wenn er seine Ostgrenze ent- blößte. Uzun Ijasan zögerte nicht, sich die veränderte Situation zunutze zu machen. Der Ansatzpunkt war bezeichnenderweise Qaramän. Erst jetzt kam er auf jene Pläne zurück, die der Sultan 1469 durchkreuzt hatte. Anscheinend schon 1471 leitete er einen Zug gegen Qaramän ein, der freilich nicht zum Ziel führte. Im folgenden Jahr rückte eine starke Truppenmacht aus, angeblich gegen die Dulgädir in Albistän, in Wirklich- keit wieder gegen Qaramän. Um den Sultan und seine anatolischen Gewährsleute zu täuschen, sandte er gleichzeitig eine Gesandtschaft nach Istanbul, die Pardon für die von Qonya verjagten Qaramäniden erbitten sollte. In Wahrheit waren diese aber bereits mit jenem Heerbann unterwegs nach ihrer Heimat. Im August verwüsteten turkme- nische Truppen Toqat und stießen über Siwäs nach Qayseri und Qaramän vor. Gewiß, Uzun Hasans Nahziel war die Verbindung mit seinen westlichen Alliierten an der Küste des Mittelmeeres sowie die Übernahme jener Feuerwaffen aus Venedig, die in- zwischen dort eingetroffen waren. Nichtsdestoweniger waren alle seine Unternehmun- gen letzten Endes gegen den Großherrn gerichtet: Es ging um die Vorherrschaft in Anatolien. Wenn es in Istanbul noch eines Beweises für den Ernst der Lage bedurfte, so war er erbracht, als die Nachricht eintraf, der Generalkapitän Pietro Mocenigo, den Türken aus zahlreichen Schlachten als verwegener Kämpfer bekannt, kreuze mit einer Flotte von neunundneunzig venezianischen, neapolitanischen, päpstlichen und zyprischen Galeeren in den qaramänischen Gewässern und erobere Städte und Burgen an der Küste". Uzun Hasans Vorstoß gegen Qaramän war mit Vorbedacht erst im Spätsommer ausgeführt worden, weil sich so erreichen ließ, daß der Sultan, der seine Truppen ja erst bereitstellen und über weite Entfernungen heranführen mußte, seinen Gegenzug vor Einbruch des Winters nicht führen könne, also vor dem nächsten Frühjahr nichts von seiner Seite zu befürchten sei. Unter diesen Umständen war beinahe abzusehen, daß Uzun 1-.1asan demnächst selbst nach Südwesten ziehen könne, um seinen Verbün- deten die Hand zu reichen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Als Mehmed II. die Nachricht von der Zerstörung Toqats erhielt, wußte er, was die Stunde geschlagen hatte. Er ließ sich weder von der vorgerückten Jahreszeit noch von den Warnungen bedachtsamer Ratgeber beirren, verlegte vielmehr demonstrativ sein Hoflager auf die asiatische Seite des Bosporus und traf alle Vorbereitungen dafür, im Frühjahr ohne weiteren Zeitverlust nach Ostanatolien zu ziehen, und diesen Plan führte er auch aus65 . Bei der ersten Berührung der beiden Armeen, die zwischen Twen und

64 Barbara Flemming, Landschaftsgeschichte von Pamphylien, Pisidien und Lykien im Spätmittel- alter, Wiesbaden 1964, S. 125, vgl. auch Sümer, »ukur-ova tarihine dir aragirmalar«, Ankara 1964. 65 Die türkischen Quellen benutzt ausgiebig Tansel, Osmanli kaynaklarina göre Fatih Sultan Meh- med'in siyasi ve askeri faaliyeti, Ankara 1953, S. 307-328, sowie H. Ina4ik, »Mehmed II.«, Isl. Ans VII (1957), S. 526f. 292 HANS ROBERT ROEMER Erzinbn stattfand, trugen Uzun klasans Truppen den Sieg davon. Doch in der Ent- scheidungsschlacht, zu der es in Anwesenheit beider Herrscher am i i. August 1473 bei dem Dorf Ba&ent am Otluqbeli kam, siegten die Osmanen 66, vor allem durch ihre Artillerie67, die auf die turkmenische Reiterei eine vernichtende Wirkung ausübte. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung war ein Friedensschluß, bei dem der Eufrat als Westgrenze des Turkmenenreiches festgesetzt wurde. Tatsächlich haben Uzun ljasan und seine Nachfolger diese Grenze auch respektiert. Wenn man auch in der Niederlage von Bagkent das Indiz dafür erblicken kann, daß die Turkmenen die Grenze ihrer Expansion erreicht und den Kulminationspunkt ihrer politischen Entwicklung über- schritten hatten, so blieb diese Niederlage zunächst doch ohne weitere Folgen für das Turkmenenreich, allein schon deshalb, weil Mehmed II. seinen Sieg nicht ausnutzte, son- dem von einer Verfolgung des geschlagenen Gegners absah. Vielleicht ist in dieser Sachlage auch die Erklärung dafür zu suchen, daß die abend- ländischen Mächte Ausmaß und Tragweite der turkmenischen Niederlage offensichtlich nicht richtig einschätzten. Wie anders wäre es sonst zu begreifen, daß Venedigs Bemü- hungen, Uzun Hasan zu gemeinsamen Aktionen gegen die Osmanen zu gewinnen, nach dem Desaster von 1473 so intensiv betrieben wurden wie nie zuvor, obwohl es, wenigstens für den rückschauenden Historiker, unverkennbar ist, daß mit jenem Er- eignis die abendländisch-turkmenische Allianz gescheitert war? Die Niederlage von Bagkent und der dadurch zugleich besiegelte Mißerfolg von Qaramän bewahrten auf der anderen Seite Uzun 171asan vor einem Zusammenstoß mit Agypten, dem vierten seiner mächtigen Rivalen, der unvermeidlich gewesen wäre, hätte er seinem Drang nach dem Mittelmeer weiter nachgegeben. So aber hielten sich die Be- ziehungen zu den Mamluken, die auch bis dahin nur durch gelegentliche Intermezzi getrübt worden waren, bis zum Ende seiner Regierungszeit in mehr oder weniger freundlichem Rahmen". Wir haben von den militärischen Auseinandersetzungen Uzun Hasans nur diejenigen ausführlicher behandelt, die für die Ausdehnung seines Reiches sowie im Zusammenhang mit der großen Politik Beachtung verdienen, kleinere Unternehmungen dagegen, etwa seine Züge gegen Georgien oder seine Kämpfe mit den Kurden, nur beiläufig berührt oder ganz übergangen. Auch nach 1473 kam es noch zu derartigen Auseinandersetzun- gen, von denen nur die Rebellionen seiner Söhne Cturlu Muhammad in Siräz und Maqsüd in Bagdad (1474) sowie seines Bruders Uwais in Rubä (1475) erwähnt seien. Daß seine militärische Tüchtigkeit ihn dabei nicht wieder im Stich ließ, braucht kaum hervorgehoben zu werden.

66 Die Schlacht wird in allen Einzelheiten geschildert in einem Siegesschreiben Mehmeds II., veröffent- licht von R. Rahmeti Arat, »Fatih Sultan Mehmed'in Türkiyat Mecmuasi VI (1936-39), S. 285-322. 67 Die Osmanen verwandten Schießpulver und Feuerwaffen schon seit Anfang des 15. Jahrhunderts, vgl. V. J. Parry, »Bärüd: Empire Ottoman«, EI 21, S. 1092-1098. 68 Die Beziehungen Uzun Hasans zu Ägypten werden ausführlich behandelt von Weil, Geschichte der Chalifen, vol. V, sowie Minorsky, La Perse au XVe siecle entre la Turquie et Venise, Paris 1933. DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 293 Wichtiger als die Einzelheiten dieser Vorfälle, über die wir hinweggehen, ist ein Blick auf die Streitkräfte, mit deren Hilfe Uzun klasan sein Reich erobert hatte und die Ordnung darin aufrechterhielt. In einer Studie über den Bericht von einer Truppen- schau, die der Prinz tjatil als Gouverneur der Provinz Färs 1476 abgehalten hat, sind dafür einigermaßen zuverlässige Zahlen ermittelt worden 69, nämlich eine stehende Truppe von etwa 25 000 Reitern und i o 000 Fußsoldaten mit den entsprechenden

Stabs - und Versorgungsdiensten. Dazu kamen die Kontingente der Provinzstatthalter, unter denen dasjenige von Färs mit etwa gleicher Stärke an der Spitze stand, während die anderen Provinzen entsprechend ihrer geringeren Leistungskraft nur schwächere Aufgebote stellen konnten. Alles in allem wird Uzun I-.1asan über eine Armee von mehr als ioo 000 Mann verfügt haben. Die Stärke dieses Heeres lag in der besonders lei- stungsfähigen Kavalleriem, seine Schwäche, wie wir sahen, in dem Fehlen von Feuer- waffen und besonders Artillerie. Neben Uzun Hasans militärischen Qualitäten fallen seine staatsmännischen Fähig- keiten ins Auge. Sie offenbarten sich vornehmlich in der letzten Phase seiner Herrschaft, etwa in den Jahren von 1471 bis 1478. Aus dieser Zeit dürfte das Qäntin-näma-yi Hasan Pädah stammen, eine Art Gesetzessammlung, deren Inhalt wir wenigstens in wichtigen Teilen kennen 71 . Es handelt sich um die Kodifikation fiskalischer Bestimmun- gen, wie sie in verschiedenen Teilen des Turkmenenreiches wohl schon aus älterer Zeit überkommen waren. Durch diese Zusammenfassung sollte die Bevölkerung vor willkür- licher Erhöhung bestehender und Einführung neuer Steuern und Abgaben geschützt werden. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß rücksichtslose Ausbeutung des Volkes, Behördenwillkür, Bedrückung und Kriegsgreuel seit mehr als anderthalb Jahrhunderten zu den wesentlichen Zügen der Geschichte des Gebietes gehören, in dem Uzun ITIasan herrschte, so kann man ermessen, welche Bedeutung der Einführung verbindlicher und wirksamer fiskalischer Bestimmungen zukommt. Sie waren nicht nur ausschlaggebend für das Wohlergehen der Bevölkerung, sondern auch die Voraussetzung für ein gedeih- liches Wirtschaftsleben. Tatsächlich wurde der Codex Uzun Hasan, wie man diese Sammlung nennen könnte, auch noch Jahrzehnte später in den nachmals osmanischen. Teilen des Turkmenenreiches und in Persien befolgt. Auch orientalische Autoren da- maliger Zeit tun seiner lobend Erwähnung72. Sein Urheber hat damit nachhaltigen Einfluß auf Verwaltung und Wirtschaft ausgeübt und sich einen Ehrenplatz neben einem anderen Reformer Vorderasiens gesichert, dem großen mongolischen Staats- mann Ghazan Hän.

69 minorsky, » Civil and Military Review in Fürs in 881/1476«, BSOs :x (1939), S.141-178. 70 Nach dem Augenzeugenbericht des venezianischen Gesandten Catarino Zeno bei Minorsky, loc. cit.: »and finer cavalr-y were never seen in any army«. 71 Hinz, »Das Steuerwesen Ostanatoliens im 15. und i6. Jahrhundert«, ZDMG ][00 (1950), S.177-204, in Verbindung mit Mner Lütfü Barkan, »Osmanli devrinde akkoyunlu hükümdan Uzun Hasan Beye ait kanunlar«, Tarih Vesikalari, vol. 1, S. 91-106 und 184-197. Man beachte jedoch die in wichtigen Punkten abweichende Charakterisierung des Qänün-näma im Tärib-i Ghiyäti bei Minorsky, »The Aq- qoyunlu and Land Reforms«, BSOAS XVII (1955), S. 450. 72 Vgl. die von Minorsky, »A Civil and Military Reviews«, S. 142, genannten Autoren. 294 HANS ROBERT ROEMER Als Uzun 1-.1asan am 6. Januar 1478 kaum 53jährig das Zeitliche segnete, hinterließ er ein turkmenisches Reich, das noch größer war als dasjenige, das Gahängäh Qara Qoyunlu neun Jahre zuvor an ihn verloren hatte. Es erstreckte sich vom Oberlauf des Eufrats bis zu der Großen Wüste und der Provinz Kirmän in Südpersien, von Trans- kaukasien bis zum Zweistromland und zum Persischen Golf. Auch Uzun klasan hatte keine Bestimmung über die Thronfolge getroffen. Dennoch schien es zunächst so, als besitze dieses Reich, anders als manche anderen türkischen Staatsgründungen, genug innere Festigkeit, seinen Gründer zu überleben. Wenn auch sein Sohn Ualil Sultän, der ihm in der Regierung folgte, sich nur einige Monate halten konnte, so gelang es doch dessen jüngerem Bruder Yaeqüb, der ihn stürzte, dem Reich zwölf Jahre verhältnis- mäßig ruhigen Fortbestands zu sichern. Dabei kam ihm zugute, daß in Istanbul auf Mehmed den Eroberer schon bald Bäyezid II. (1481-1512), ein weniger kriegerischer Sultan73, folgte, auch daß er in 1:-Iusain Baiqara (1469-1506), dem Herrn des Timuri- denreiches, und dem ägyptischen Sultan Qaitbai (1468-1496) weniger gefährliche Nachbarn hatte. Die vorwiegend friedlichen Verhältnisse dieser Zeit sind der Geschicklichkeit zuzu- schreiben, mit der der junge Herrscher die Großen des Landes für sich zu gewinnen wußte. Dadurch blieb er vor manchen inneren Schwierigkeiten bewahrt, und er konnte seine ganze Kraft auf innenpolitische Maßnahmen, kulturelle Interessen und auf einige militärische Maßnahmen konzentrieren, die auch ihm nicht erspart blieben. Dazu gehört der Sieg über eine ägyptische Streitmacht, die 1480 zur Eroberung von Diyärbakr ent- sandt worden war, sowie eine Anzahl von Feldzügen, etwa nach Kirmän, Georgien, Gilän und Mäzandarän, die sich im Laufe seiner Regierungszeit als notwendig erwiesen. Anlaß und Verlauf dieser Unternehmungen waren in keinem Fall bedrohlicher Na- tur. Anders dagegen mußte Yaeqüb Ereignisse des Jahres 1488 beurteilen, nämlich die Umtriebe seines Vetters und Schwagers Saih ljaidar, des jungen Meisters der safawi- dischen Ordensgemeinschaft von Ardabil. Seinem Vater, Saih Gunaid, sind wir bereits als Widersacher der Qara Qoyunlu und Schützling Uzun klasans begegnet. Er war dann 1460 bei einem Konflikt mit dem Sirwängäh Uatil. Sultän, den er im Zusammen- hang mit einem Zug gegen die Tsdierkessen provoziert hatte, zu Tode gekommen.. Auch sein Sohn und Nachfolger, Saih 17Iaidar, unternahm wieder Züge gegen die Tscher- kessen'''. Um deren Land, das ja nicht in der Nachbarschaft von Ardabil, sondern rund 250 Meilen entfernt lag, zu erreichen, mußte er durch Sirwän ziehen, das den Aq Qoyunlu botmäßig war. Obwohl er es nicht unterlassen hatte, sich dazu der Erlaubnis

73 Parry, »Bäyazid II«, E12, vol. I, S. 1153 ff., und Uzun9arpli, »Bayezid II.«, isl. Ans., vol. II (1942/44), 5.392-398. 74 Hier sei verwiesen auf die Ghäzi-Theorie, die Mazzaoui, The Origins of the Safawids, Chapter IV, unter Hinweis auf osmanische Parallelerscheinungen bei Wittek, The Rise of the Ottoman Empire, Lon- don 1958, aufgestellt hat. Vgl. ferner Lähigi bzw. eAly Ben Schems-Eddin's Chanisches Geschichtswerk oder Geschichte von Gilan in den Jahren 88o <= 1475> bis 920 <= 1514>. Persischer Text hrsg. von Bernhard Dorn. St. Petersburg 1857 (= Muhammedanisdie Quellen zur Geschichte der südlichen Küstenländer des Kaspischen Meeres, Teil 2). DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 295 Sultan Yaeqübs zu vergewissern, scheint der Machtzuwachs, den er durch den regen Zu- lauf süfischer Anhänger gewann, in Tabriz Argwohn erregt zu haben, weshalb Yaeqüb ihn 1487 an seinen Hof entbot und ihn einen Loyalitätseid schwören ließ. Doch schon im Jahr darauf erreichte den Turkmenenherrscher, als er sich gerade in Qum aufhielt, ein Hilferuf des mit ihm verschwägerten Sirwängähs Farruh Yasär, den der Saib nach einem Tscherkessenzug in seiner Hauptstadt Samäbi angegriffen und eingeschlossen hatte. Wie er sich in diesem Streit zwischen seinen beiden Schwägern zu verhalten habe, dürfte bei der gegebenen Sachlage nicht lange zweifelhaft gewesen sein, mußte er doch befürchten, der erfolgreiche Safawiden-Saih werde, wenn er auch noch in Sirwän siege, zu einer ernsten Gefahr für ihn selbst werden. Er entsandte also Truppen und machte sich auch selbst auf den Weg nach Sirwän. Am 9. Juli 1488 unterlagen die safawidischen Scharen bei dem Dorf Dartanat am Fuß des Elbrus-Gebirges den Turkmenen, und Saih Haidar kam dabei zu Tode. Daß den Safawiden trotz dieser vernichtenden Niederlage die Zukunft gehörte, war damals keineswegs abzusehen. Die Voraussetzungen dafür entstanden auch erst, als nach Sultan Yaeqübs plötzlichen Tod Ende 1490 ununterbrochene Machtkämpfe zwischen den turkmenischen Prinzen chaotische Verhältnisse heraufbeschworen. Diese im einzel- nen zu verfolgen, ist im Rahmen unseres überblicks nicht möglich. Unter Baisunqur (st. 1493), Rustam (st. 1497), Abmad (st. 1498), Muhammad (st. 1504), Alwand (st. 1502) und Muräd (st. 151 o), die am Ende der Herrscherliste des Hauses Aq Qoyunlu stehen, zerfiel das Reich, das Uzun ljasan, der Großvater aller dieser Fürsten, geschaffen hatte. Die künftige Entwicklung zeichnete sich bereits ab, als Sultän eAli, ein Sohn des Safa- widen Saih Ijaidar, dem Prinzen Rustam die Thronfolge sicherte, wenn auch die Freundschaft nicht von langer Dauer war: Schon 1494 kam er auf der Flucht vor den Truppen seines mißtrauisch gewordenen Proteges ums Leben. Seinem 1487 geborenen Bruder Ismäll war es vorbehalten, den Safawiden das Erbe der Aq Qoyunlu zu sichern, in Persien auf die Dauer, in Ostanatolien nur vorübergehend, bis zum Sieg der Osma- nen. Er bestieg 1501 in Tabriz den Thron und siegte im folgenden Jahr über Alwand. Mit der Eroberung von Märdin, das bis 1507 in Händen der Aq Qoyunlu war 73, und der etwa gleichzeitigen Flucht Muräds von Bagdad in die Türkei war die Herrschaft der Turkmenen erloschen. Die Leistungen, die die Turkmenen, auch die Aq Qoyunlu, auf kulturellem Gebiet erbracht haben, und ihre nachmaligen Auswirkungen werden von der abendländischen Geschichtsschreibung nicht durchweg hoch eingeschätzt76. Sie erscheinen aber in einem günstigeren Licht, wenn man sie auf dem Hintergrund der trostlosen Verhältnisse be- trachtet, die der Mongolensturm und die Feldzüge Timurs herbeigeführt hatten. In der allgemeinen Verwüstung Vorderasiens hat etwa die Bautätigkeit der Aq Qoyunlu, be-

75 Die Einzelheiten bietet Minorsky, »A Soyürghäl of Qäsim b. Jahängir Aq-qoyunlu (903/149*, BSOS IX (1937-39), S. 927-960. 76 Spuler, The Muslim World, part II, S. 77. 29 6 HANS ROBERT ROEMER sonders Uzun Tjasans und Yaeciiibs 77, auch wenn nicht viel davon erhalten geblieben ist, als Bindeglied zu späteren glücklicheren Zeiten eine gewisse Bedeutung gehabt. Auch die Beziehungen zu abendländischen Mächten blieben nicht ganz ohne Folgen. Schließlich ist das geistige Leben am Tabrizer Hof unter Uzun klasan und Yaeqüb durch eine Reihe von Persönlichkeiten gekennzeichnet, deren Namen in die persische Geistesgeschichte eingegangen sind. Die Aq Qoyunlu gelten als Sunniten und werden gerade deshalb in deutliche Anti- these zu den Qara Qoyunlu gesetzt. Diese Dichotomie könnte durchaus auf Pauschal- urteilen beruhen, etwa auf Einstufungen späterer orientalischer, namentlich schieitischer Autoren. Wir sahen schon, daß der schieitische Eifer der Qara Qoyunlu fragwürdige Züge trägt. Nicht viel anders ist es vielleicht mit der sunnitischen Orthodoxie Uzun Hasans bestellt, dessen derwischfreundliche Haltung, nicht nur gegenüber den Arda- biler Scheichen, zu denken gibt. Man sollte nicht übersehen, daß die sunnitische Etiket- tierung der Aq Qoyunlu, die ja in der Phase ihres Niedergangs den Safawiden immer wieder auf dem Schlachtfeld begegneten, besonders dann problematisch ist, wenn sie auf spätere schieitische Berichterstatter zurückgeht. In der künftigen Forschung wird dem religiösen Moment weiter Beachtung zu schenken sein. Wie das Staatswesen der Qara Qoyunlu beruhte auch dasjenige der Aq Qoyunlu in mancher Hinsicht auf mongolischen Grundlagen, als deren indirekte Vermittler auch in diesem Fall die Caläyiriden zu betrachten sind. Von Uzun Hasans Reformen war schon die Rede. Während seine Leistung anscheinend in der Fixierung bestehender Rechts- grundsätze zur Verhinderung willkürlicher fiskalischer Neuerungen beruhte, wurde gegen Ende der Herrschaft Yacqübs ein energischer Versuch unternommen, gewisse mon- golische Grundsätze der Besteuerung von Grund und Boden zugunsten der Vorschriften des islamischen Religionsgesetzes, mit dem sie nicht übereinstimmten, zu beseitigenn. Wenn der Versuch auch scheiterte", er wurde unter Ahmad dem Zwerg", der in den Jahren seiner Emigration die entsprechenden osmanischen Bestimmungen kennenge- lernt hatte, wiederholt, freilich abermals ohne Erfolg. Mit dem Untergang der Aq Qoyunlu ist die zweite Welle der von Anatolien nach Osten, nach Aserbaidschan und dem iranischen Hochland, zurückflutenden türkischen Be- völkerungselemente zu Ende". Wenn in ihrem Verlauf auch verheißungsvolle Staats- gründungen geglückt waren, die erreichten Erfolge waren nicht von langer Dauer. Sie

77 Ein Überblick findet sich bei Hinz, Irans Aufstieg, S. 108-1 1 3. 78 Minorsky, »The Aq-qoyunlu and Land Reforms«, BSOAS XVII (1955), S. 449-462, in Verbin- dung mit I. P. Petrugevskij, »Vnutrennjaja politika Achmeda Ak kojunlu«, Sbornik statei po istorii Azer- baidiana, vol. I, Baku 1949 (= Izv. Azerb. Fil. Ak. Nauk, 1942, No. 2). 79 Sultan Rustam (1492-1497) hielt sich wieder an die alten Gepflogenheiten, vgl. Roemer, »Le der- nier firman de Rustam Bahädur Aq Qoyunlu?«, BIFAO LIX (1960), S. 273-287. 80 Gövde Abmad (st. 1498): »The sobriquet gövde . . . means in Turkish >a small trunk, a dwarfish person< « (Minorsky). 81 sümer, »Azerbaycan'in türkle§mesi tarihine umumi bir baki§«, Belleten XXI ( 1 957), S. 429-447- DAS TURKMENISCHE INTERMEZZO 297 waren zu sehr an einzelne hervorragende Persönlichkeiten geknüpft, ohne daß eine tragfähige staatliche Organisation ihren Bestand gewährleistet hätte. Letzten Endes waren die nomadischen Lebens- und Herrschaftsformen noch zu stark. Wenn auch den Geschicken der beiden turkmenischen Föderationen ein starker Nachhall nicht be- schieden war82 , die Rolle der ethnischen Gruppen, die ihnen angehört hatten, war noch nicht ausgespielt.

Freiburg Hans Robert R.oemer

82 Man wird kaum fehlgehen in der (allerdings noch zu untersuchenden) Annahme, daß die einzelnen ethnischen Elemente nach dem Zerfall der Föderationen in der einen oder anderen Form Anschluß an die safawidischen Streitkräfte gefunden haben. Sümer kommt in dem in Anm. Io genannten Buch allerdings zu dem Schluß, daß die an Gründung und Aufbau des Safawiden-Reiches beteiligten Stämme aus Anatolien stammten und mit denjenigen der hier behandelten Föderation nichts zu tun hatten. — Es ist interessant, wie spärlich und ungenau die Erinnerung an die einstmals so gefährlichen Aq Qoyunlu nur we- nige Menschenalter nach ihrem Untergang in Istanbul gewesen ist, vgl. L'ouvrage de Seyfi elebi, historien ottoman du XVe siede. tdition critique, traduction et commentaires par Joseph Matuz, Paris 1967, S. 146 ff. — Reste sowohl der Qara Qoyunlu als auch der Aq Qoyunlu scheinen in Mesopo- tamien weiterzuleben, vgl. Mehdi al-Bayati, Anfänge der Prosaliteratur bei den Irak-Türkmenen. Diss. phil. Mainz 1970.

Als die Drucklegung des vorstehenden Beitrags bereits unmittelbar vor dem Abschluß stand, sind die folgenden Bücher erschienen, deren Inhalt nicht mehr berücksichtigt werden konnte: (1) Fahrettin Kirzioglu, Osmanhlar'in Kafkas-Elleri'ni Fethi (1451-1590), (= Atatürk Universitesi Yayinlari No. 358). Ankara: Sevin9 Matbaasi 1976. (2) John E. Woods, The Aqqoyunlu. Clan, Confederation, Empire. A Study in 15 th/9th Century Turko-Iranian Politics. Minneapolis und Chicago: Bibliotheca Islamica 1976. (3) Faruk Sümer, Safevi Devletinin Kurulueu ve Geliemesinde Anadolu Türklerinin Rolü (Sah Ismail ile Halefleri ve Anadolu Türkleri), (= Sekuklu Tarih ve Medeniyeti Enstitüsü Yayinlari, Tarih Dizisi No. 2). Ankara: Güven Matbaasi 1976.