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wird, ist eben wie geschaffen als multi- mediale Vorzeigefigur. Finke hat schnell gelernt, sich als Re- voluzzer und Missionar zugleich zu in- szenieren. Als Freiburg vor zwei Jahren in die Bundesliga aufstieg, zielte jede Fernsehkamera auf Brilli und Selbstge- drehte des Trainers, der ab sofort als „exotischer Vogel“ durch die Sportsen- dungen irrte. Als Finke begann, sich in jedem Interview gegen das „blöde Kli- schee“ zu wehren, wußte er natürlich, daß der nutzlose Widerstand seinen Ruf nur noch festigt. Tatsächlich probt Finke, eine Art Joschka Fischer der Bundesliga, einen ständigen Spagat: Als einsamer Cowboy, der stets übernächtigt aussieht und gern ganz in Schwarz auftritt, scheint er das Grundgesetz des Profifuß- balls – wer das meiste Geld hat, gewinnt – außer Kraft zu setzen. In Wahrheit hat er es längst verinnerlicht.

GES Obwohl Finke schon weinende Spie- Aufsteiger Finke: Revoluzzer und Missionar gleichzeitig ler, die mit dem Kinderwagen an der Hand um sein Mitleid baten, fortschick- te, weil er sie nicht für fähig hielt, „ein Fußball höheres und höheres und höheres Ni- veau“ zu erreichen, gilt er immer noch als Sozialarbeiter auf der Trainerbank. Die Einschätzung ist ein Relikt aus Fin- Hemmungslos erfolgreich kes Schulzeit: Der Oberstudienrat wur- de dereinst von Nienburger Gymnasia- SPIEGEL-Redakteur Klaus Brinkbäumer über Freiburgs Trainer Volker sten zum Vertrauenslehrer gewählt. Finke und die Irritationen in der Provinz Mit großem Geschick versteht es der Trainer, dieses Bild zu erhalten: Kühl behandelt er nur die Kicker, die er nicht n Konferenzen kann es der beurlaub- Shooting-Stars befällt: Daß sich der Er- mehr braucht. All denen, die neue Ver- te Lehrer für Gemeinschaftskunde, folgreiche von Amateuren aller Art träge erhielten und nun Leistung brin- IGeschichte und Sport mitunter kaum umstellt und behindert sieht, ist ein gen sollen, erscheint er als Übervater. noch ertragen. Dort sieht er sich mit klassisches Aufsteiger-Syndrom. Als wäre er noch immer der Pädagoge, dem geballten Dilettantismus dieser Nun, da es sportlich am schönsten dem vor allem an seinem Sorgenkind Welt konfrontiert. Fragen würden da ist, versuchen sie in Freiburg die Balan- liegt, gibt sich Finke mit Leidenschaft gestellt, „die glaubt man nicht“. Und ce zu finden zwischen allen Ansprü- dem Sondertraining für den Ersatztor- „wenn Dummheit triumphiert“, sagt der chen: Finke weiß um die Gefahren sei- wart hin. Und nach Niederlagen bittet Trainer des Sportclubs Freiburg, „werde ner Dominanz, die andern mühen sich, er alle Spieler zum „gemeinsamen Be- ich nervös“. sie ihm nicht übelzunehmen. sinnen“. Da soll herausgefiltert werden, Die anderen lernen ihm nicht schnell Kein zweiter Trainer wird in der was die Stimmung stört. genug. Da ist dem SC Freiburg Volker Bundesliga derart hochgejubelt wie Fin- Der ungekämmte Mann, der in sei- Finke, 47, erschienen, hat in vier Jahren ke. In den vergangenen Wochen fragte nem winzigen Arbeitsraum im Dreisam- über 25 Spieler aussortiert – und flugs beinahe die Hälfte aller Bundesligama- stadion auf der Suche nach einem Brief wurde aus einem Durchschnittsklub der nager bei ihm an, ob er nicht den Klub Kaffeetasse, Tabak, Zeitschriften, Vi- zweiten Liga ein Spitzenteam, das inzwi- wechseln wolle; auch das von vielen deokassetten und Mineraltabletten über schen sogar um den Titel des Deutschen Kollegen wie ein Ritterschlag gewertete den Schreibtisch schiebt, wirkt nach au- Meisters mitspielt. Lob des Münchner Vereinspräsidenten ßen tatsächlich tiefsinniger und klüger Doch rings um Finke, in den lokalen Franz Beckenbauer blieb nicht aus. als die Mehrheit seiner Kollegen – was Redaktionsstuben wie in den Marke- Erfolgreicher als Finke, der einen sich auch aus seiner Vita erklärt. ting-Agenturen oder den örtlichen Gön- vermeintlich sicheren Absteiger zum Rekrutieren sich die übrigen Trainer ner-Cliquen, sitzen immer noch diesel- Titelkandidaten machte und von den ausschließlich aus ehemaligen Profis ben Provinzler, die an der Vereinspoli- Profis vor Wochen zum besten Trainer und Amateurfußballern, die gern Profis tik mitdrehen wollen. gewählt wurde, arbeitet keiner; nie- geworden wären, so hatte Finke nie Die Frage, die Volker Finke dann mand sonst ist in der Bundesliga rheto- Ambitionen auf einen Job in der Bun- stellt, ohne sie auszusprechen, ist ganz risch derart versiert und gleichzeitig desliga. Beständig verbreitet er die Au- einfach: Müssen, wenn ein Fußballver- fachlich unumstritten; kein zweiter ra des bodenständigen Normalo. ein professionell wird, nicht auch die spielt wie Finke die Rolle des Vorzeige- Als eines von vier Kindern des Dorf- Partner ihr Personal auswechseln? Rebellen. Einer, der seinen Kickern schullehrers von Brebber in Niedersach- Selbst die „Schwarzwald-Idylle“, als das brasilianisch anmutende Kurzpaß- sen mußte er seine Zensuren in Ord- die der SC Freiburg landesweit apostro- spiel einbimst und gleichzeitig auch nung halten und durfte sich ansonsten phiert wird, ist offenbar nicht resistent noch dafür sorgt, daß das Dach seines auf Bolzplätzen und Straßen herumtrei- gegen jenen Bazillus, der mit Vorliebe Stadions mit Solarzellen ausgestattet ben. Der junge Finke beschäftigte sich

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mit Volleyball, Tischtennis und Leicht- Natürlich, meint Präsident Stocker, sei athletik und glaubt darum heute, offe- der moderne SC Freiburg primär „Finkes ner für Anregungen aus anderen Diszi- Werk“. Doch weil das Finke genauso plinen zu sein als die Trainer, die sieht und auch noch ganz offen aus- „immer im eigenen Saft steckten“. spricht, mehren sich die Verwerfungen Daß er etwa der Mannschaft ausge- imBreisgau. Freunde macht sich nur, wer rechnet am Tag vor den Spielen freigibt, die Huldigungen der Untertanen be- ist ein simpler pädagogischer Trick, galt scheiden entgegennimmt; einer wie Fin- der Konkurrenz allerdings lange Zeit als ke aber huldigt sich, hinter ein paar Flos- eher skurril. Doch seit der Lehrer auf keln notdürftig versteckt, lieber selbst. Urlaub immer seltener verliert, wächst Wird das marode Gelände des Sport- im Establishment die Angst, daß dieser clubs Freiburg von 1991 mit dem Sport- Seiteneinsteiger allen etwas voraus hat. park von heute verglichen – alles Finke- Komplexes Denken und „eine sozio- land. Kombinationsfreudige Flexibilität logische Sensibilität“, sagt Finke, habe der neuen Mannschaft – ein elfköpfiger er Ende der sechziger Jahre an der Uni- Gesamtfinke. Es sei schon so, sagt Finke: versität Hannover gelernt. Er sei Lehrer „Das ist hier mein Ding.“ geworden, weil „in diesen irrsinnig Zwar ahnt er, was taktisch klug wäre. spannenden Zeiten“ eine „neue Schule“ Da sich „im Erfolg immer alle zuständig entstehen sollte. fühlen“, müsse er „im Höchstmaß“ auf- Doch nach 14 Jahren als Beamter passen, damit die Freiburger Funktionä- merkte er, daß an den Gymnasien eher re „nicht zuwenigabkriegen“vomRuhm. immer weniger Demokratie gewagt wur- Und auch die Mannschaft, dieser „Hau- G. STOPPEL Trainer Finke, Profis: „Das ist hier mein Ding“

de und sein Lebensplan für die näch- fen“von Kickern, „die anderswo geschei- sten 30 Jahre festgeschrieben war. Dar- tert sind“, verlangt nach Anerkennung – um suchte er „nach einem zweiten soll sie ihr Lob also haben, „ehrlich“. Bein“ und begann als Trainer beim nie- Doch schon indem er diese Halbsätze dersächsischen Dorfverein TSV Havel- vorausschickt und dabei mäßig engagiert se, den er bis in die zweite Bundesliga aus dem Fenster guckt, erreicht Finke, führte. Als die Ehrenamtlichen „plötz- daß jedes Kompliment an andere gewollt lich Entscheidungen treffen und Inter- wirkt: Was wären die ohne ihn? Es ist ein views geben wollten“, kündigte Finke. offenbar unausweichliches Phänomen Die Kollegen aus dem Vorort Han- des Showgeschäfts Bundesliga, daß gera- novers, erinnert sich der Freiburger de den vergötterten Alleinherrschern Vereinspräsident Achim Stocker, 59, kleiner Vereine die Provinz irgendwann hätten ihm erzählt, der Finke sei ein zu provinziell wird – zuletzt ereilten den hervorragender Mann, „aber ich müßte Bremer Trainer ähnliche einige meiner Kompetenzen an der Gefühle. Garderobe abgeben“. Stocker enga- Obwohl alles besser denn je läuft, läuft gierte ihn trotzdem, „der Kerl“ er- Finke nichts mehr gut genug. Weil Finke schien ihm „so kantig“: Finke war ein eben „im Detail pingelig“ ist, will er an je- Handschlag wichtiger als ausgefeilte der Entscheidung beteiligt werden; Verträge. „immer dominierender“ werde er, hat

260 DER SPIEGEL 18/1995 Stocker beobachtet. Vereinbart etwa ein Spieler ein Interview, will der Trai- ner den Termin verhindern, weil jener Profi „ja nicht mal selbst denkt“. Alle im Klub bewundern diesen Trai- ner, dessen „Mischung aus Vitalität und Intellektualität eine ungeheure Power erzeugt“ (Stocker) – aber niemand liebt ihn. Auf der Geschäftsstelle hat man ihm den Namen „Herr Oberlehrer“ ver- paßt, andere im Verein nennen ihn „größenwahnsinnig“. Und jeder Klein- kunde, der im neuen Stadion nicht mehr für 300 Mark werben darf, weiß Finke, „hält mich für die Quelle des Übels“. So ist es möglich, daß Finke bald er- kennen muß, daß er Freiburg in seinem Streben überfordert, den Verein zwar sauber und liebenswert zu halten, aber „Kommen Niederlagen, werden einige im Klub aufstehen“ zugleich zur geschäftstüchtigen Fußball- firma zu trimmen. Kommt die nächste Niederlagenserie, so der Präsident, wür- den „einige im Klub aufstehen“. Finke ist ob der Nebenwirkungen des Erfolgs „besorgt“ –aber sorichtig weiß er auch nicht, wie die Verhältnisse zu än- dern sind und vor allem: in welche Rich- tung? Er halte doch noch immer „den ganz kurzenDraht zumPräsidenten“, mit dem er sich täglich zweimal zur Bespre- chung trifft. Und um im Fußball Erfolg zu haben, müßten nun einmal „alle Fäden bei einer Person zusammenlaufen“. Schon die großen Trainer der Vergangen- heit, etwa oder , hätten das so gehandhabt. Vielleicht kann es ja bei einem, der in wenigen Monaten ein Star wird, gar nicht anders kommen. Täglich fragen bei Finke Dutzende von Organisationen, die „mit Kindergärten, Schwerintegrierbaren, Ausländern, Asylanten, Flüchtlingen oder alternativer Energie“ zu tun haben, um Unterstützung an, „weil der Finke in seiner Vergangenheit immer so sozial en- gagiert war“. Sagt er ab, nimmt man übel. Selbst Freunde haben ihm bereits vorge- worfen, er sei „so schroff und abweisend“ geworden. Den Fußball, das Spiel, das ihm dieses neue Leben „ohne viele Kompromisse“ gestattet, liebt er immer noch. „Hem- mungslos schön“ sei es doch, wenn ausge- rechnet der SC Freiburg Bayern Mün- chen 5:1 schlägt. Doch wenn er mit seiner Frau durch den Schwarzwald radelt, sind all die „Naiven“ und die „Willi Wichtigs“ wie- der da. Er haßt diese Menschen, dieFahr- radblockaden errichten, um ihn anzufas- sen. Und dann wünscht sich Finke einen „Stuntman, der für mich in der Welt un- terwegs ist“. Y

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