Die Verkindlichung Des
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Medien ANDREAS LANDER / PICTURE-ALLIANCE/ DPA LANDER / PICTURE-ALLIANCE/ ANDREAS Teenager bei Tokio-Hotel-Konzert: Hysterie bis an die Schmerzgrenze MUSIKINDUSTRIE Die Verkindlichung des Pop So schnell wie Tokio Hotel schoss selten eine Newcomer-Band nach oben: Ihre Platten brechen Verkaufsrekorde, sie füllt die großen Hallen – und wenn ihr Bild das Cover ziert, steigt die Auflage der Teenie-Zeitschriften. Wie wurde aus vier Magdeburger Jugendlichen ein Pop-Phänomen? okio Hotel ist eine Schülerband aus den Titel „Mutter, der Mann mit dem Koks schienen ist. Es gab einen Bambi, einen Magdeburg, und deswegen sollte ihre ist da“ geht ebenfalls auf Hoffmanns Konto. Comet und eine Nominierung für den TGeschichte auch in einem Proberaum Aber das ist alles nur Kleinkram im Ver- wichtigsten deutschen Musikpreis Echo, einer Schule in Magdeburg beginnen. Tut gleich zu Tokio Hotel. Die vier Magdebur- der im März verliehen wird. sie aber nicht. Ihre Geschichte beginnt in ei- ger Teenager sind das große Los, das ein So gut wie noch nie war eine deutsche nem norddeutschen Dorf in einem Kuhstall. Produzent mit Glück vielleicht einmal im Newcomer-Band in den vergangenen Jah- Der Stall und der dazugehörige Bauern- Leben zieht, die Nummer, die fast im Al- ren so schnell so erfolgreich. Weder Wir hof aus dem 19. Jahrhundert gehört Peter leingang die Bilanz einer Plattenfirma ret- sind Helden noch Juli, noch Silbermond. Hoffmann. Allerdings hat der Kuhstall ten und die Auflage von Teenie-Blättern in Warum nur wurden ausgerechnet ein paar schon lange keine Kühe und der Bauernhof die Höhe treiben kann. Teenager aus Sachsen-Anhalt zu Popstars, schon lange keinen Bauern mehr gesehen, Hoffmann sagt, ihm sei das gleich klar die Verkaufsrekorde brechen? denn Hoffmann ist Musikproduzent. Der gewesen: „Als ich die Jungs das erste Mal Die Antwort hat zunächst wenig damit ehemalige Kuhstall ist jetzt ein Tonstudio. sah, dachte ich nur: Zwick mich einer, die zu tun, wer die Platten macht, aber viel „Hier ist so viel Platz, da können die werden ein unglaublicher Erfolg.“ Er hat- damit, wer die Platten kauft. Das „Pop- Künstler auch gleich wohnen und müssen te recht. Einstiegsalter“, so nennen es die Branchen- nicht ins Hotel“, sagt Hoffmann. Die Man kann Tokio Hotel hassen, ihre Mu- experten, ist zuletzt rapide gesunken. Es Künstler, das sind derzeit eigentlich nur sik dämlich finden, sie für eine Kinder- sind nicht mehr 14-Jährige, die sich die die vier Bandmitglieder von Tokio Hotel. Combo halten – und all das tun offenbar erste Rolling-Stones-Platte kaufen. Son- Das soll nicht heißen, dass Hoffmann ein viele, jedenfalls gibt es im Internet fast so dern Sechsjährige, die No Angels wollen, Branchenneuling wäre. So einen ausgebau- viele Hass- wie Fanseiten. Aber an den Siebenjährige, die von den Eltern das neu- ten Bauernhof auf mehreren hundert Qua- nackten Zahlen kommt niemand vorbei: este Eminem-Album einfordern. dratmetern muss man sich erst mal leisten Deutlich über 400 000 verkaufte Alben, Popmusik für Kinder ist ein weißer können. Mark Knopfler, Gitarrist der Dire mehr als 100000 DVDs, fast 200000 Kon- Fleck auf der Landkarte der Musikindu- Straits, war immerhin schon hier. Und das zerttickets – und das innerhalb eines hal- strie, dachte Hoffmann, und wer den be- Comeback von Falco mit dem wegweisen- ben Jahres, nachdem die erste Single er- setzt, kann eigentlich nichts falsch machen. 158 der spiegel 8/2006 G. CHLEBAROV / GNONI PRESS G. CHLEBAROV Tokio Hotel (bei der Bambi-Verleihung 2005): So ziemlich jede Forderung aus den Marktanalysen für einen Chartserfolg erfüllt Also begann er schon Ende der neunziger Absperrungen, ohnmächtige Mädchen, die publikum, wenn sie über „Freunde blei- Jahre auf junge Talente zu achten und Plat- im Minutentakt aus den vorderen Reihen ben“ oder „Jung und nicht mehr jugend- ten mit Kindern aufzunehmen: Die von gezogen werden. Hysterie, die bis an die frei“ singen als 30-Jährige. ihm produzierte Kinder-Combo Lollipops Schmerzgrenze geht: Mädchen bei Tokio Tokio Hotel ist eine Marktlücke. Weil hat fast eine Million Platten verkauft. Hotel kreischen lauter, als erwachsene Män- rockende Jungs mit schrillem Outfit, die Die Konzerte von Tokio Hotel sind das ner bei Metallica brüllen. „Zwölf Jahre ma- Musik für 6- bis 15-Jährige machen und Abbild der Verkindlichung des Pop. Die che ich den Tourzirkus, aber jetzt trage ich auf Deutsch singen, offenbar genau das Tour ist fast ausverkauft, die Hallen sind das erste Mal Ohrstöpsel“, sagt Richter, und sind, worauf der deutsche Musikmarkt die größten, die zu bekommen sind: 11000 er klingt, als wäre ihm das sehr peinlich. gewartet hat. Weil sie „so ziemlich jede Fans in Bremen, 13000 in Stuttgart, 12000 Neulich, bei einem Konzert in der Forderung aus den Marktanalysen für ei- in Hamburg. Schweiz, mussten die Tourveranstalter den nen aktuellen Chartserfolg“ erfüllen. Das In der Düsseldorfer Philipshalle sind es Lärmpegel messen. Die zugelassene Ober- sagt Frank Briegmann, Chef der Platten- 7500, viele sind schon mittags da, Tausen- grenze liegt bei 105 Dezibel und wird meist firma Universal, er ist ziemlich stolz darauf, de bibbernde Mädchen, die Schminke zer- nicht überschritten. Beim Tokio-Hotel- dass seine Plattenfirma „die Marktlücke laufen, ob vom strömenden Regen oder Konzert wurden 126 Dezibel gemessen – Tokio Hotel“ erkannt und ausgenutzt hat. weil sie vor Aufregung heulen, man weiß es während die Band nicht spielte. Wahr- Das hat nämlich nicht jede. nicht. Kreischende Mädchen füllen die Hal- scheinlich hat noch nie eine Tour einen Tatsächlich war Tokio Hotel vor Uni- le in Minutenschnelle, nicht anders als einst passenderen Titel gehabt als „Schrei“. versal schon bei Sony BMG, Universals bei Boybands wie Take That, nur sind hier Bis zum Ende des Jahres sollen 300000 schärfstem Konkurrenten, unter Vertrag. viele nicht 15, sondern 8 und 9 Jahre alt Tickets verkauft sein, beim Album sollen es Hoffmann hat die Band keineswegs erst oder so jung, dass sie von den Schultern ih- noch ein paar hunderttausend mehr wer- 2005, sondern bereits 2003 entdeckt. Oder rer Eltern herab kreischen. Die Luft in der den, und Produzenten und Plattenfirma besser: Er entdeckte den Sänger der Band, Halle ist erstaunlich gut für ein Konzert, die schwärmen von der „authentischen Nähe Bill Kaulitz. Hoffmann war als Produzent meisten sind einfach zu jung zum Rauchen. zwischen Fans und Band“. Das heißt: für die Kinder-Kategorie bei der Sat.1-Cas- Es herrscht strengstes Alkoholverbot. Auf 16-Jährige sind eben näher dran am Ziel- tingshow „Star Search“ dabei, Kaulitz als die Bühne fliegen weder BH Kandidat – der schön früh noch Slips, sondern Diddl- gegen einen elfjährigen Rap- Mäuse. per rausflog. Organisiert wird die Tokio- Worüber soll ein Elfjähri- Hotel-Tour von Four Artists, ger schon rappen, zweifelte einem der profiliertesten Hoffmann und schaute sich deutschen Konzertveranstal- lieber im Herbst 2003 Kaulitz ter, der schon die Söhne mit seiner Rockband beim Mannheims oder die Fantas- Proben in Magdeburg an. tischen Vier durch Deutsch- „Hammer“, dachte Hoff- lands Hallen schickte. „Das mann und holte die damals hier“, sagt Tourchef Alex schon zwei Jahre bestehende Richter, „ist viel härter.“ Schülerband samt Eltern zu Doppelte Security, dreifache Titelseiten von Jugendzeitschriften: Alle profitieren Probeaufnahmen in den um- der spiegel 8/2006 159 Medien gebauten Kuhstall bei Lüneburg. „Ham- September das Album, im Anschluss die Monsun“, die poppigste Nummer, die sich mer“, dachten offenbar auch die Verant- Tour und rundherum ein mehrere hundert- am besten und breitesten vermarkten lässt. wortlichen der Plattenfirmen, als Hoff- tausend Euro schweres Trommelfeuer aus Die Plattenfirma setzte sich durch. mann ein Dreivierteljahr später mit Band Marketing und Promotion. Und deswegen saß schon rund sechs und Probeaufnahmen durch die Konzern- Die große Eile hatte nicht nur mit den Wochen vor der anstehenden Single-Ver- zentralen tingelte. Wünschen der Band, sondern auch viel mit öffentlichung der Chefredakteur der „Bra- Sony BMG griff schließlich ungewöhn- der Angst der Plattenfirma zu tun, die er- vo“ im Büro von Universal-Chef Brieg- lich tief in die Taschen, um sich die völlig kannte Marktlücke zu verpassen. Oder noch mann, hörte „Durch den Monsun“ und ließ unbekannte Nachwuchsband zu sichern: schlimmer: dass eine andere Plattenfirma sich erklären, warum Tokio Hotel, deren 150000 Euro Vorschuss nach Vertragsun- mit einer ähnlichen Band schneller ist. Bandname beim Brainstorming entstanden terzeichnung und noch einmal rund Allerdings hatte die musikalische Vor- ist, das nächste große Ding sei. Von dem 300 000 Euro garantierte Marketingauf- arbeit bereits das Produzententeam geleis- alle etwas haben könnten, wenn man nur zusammenarbeite: die Plat- tenfirma einen Zugang zur Käufer-Zielgruppe der 6- bis 15-jährigen „Bravo“-Leser, die unter Themenmangel und Auflagenschwund leidende „Bravo“ Zugang zur Band und zu reichlich bunten Ge- schichten. 25 Titelgeschichten später hatte die „Bravo“ ihre Auflage um rund 20 Prozent gesteigert. Allein ein Tokio- Hotel-Sonderheft zur Album- veröffentlichung im Septem- ber wurde 350 000-mal ver- kauft. Die Universal-Manager wollten sich allerdings nicht JOERG MUELLER / VISUM (L.); ADOLPH PRESS (R.) / VISUM (L.); ADOLPH JOERG MUELLER nur auf die „Bravo“ verlassen Tokio-Hotel-Produzenten, -Plattenmanager*: Die poppigste Nummer – und bearbeiteten auch den Rest der Teenie-Presse. Schon wendungen, um die Platte zu bewerben. tet: Hoffmann hatte mit David Jost, Dave eine Woche