Deutscher

Stenographischer Bericht

56. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Inhalt:

Nachruf auf den Abg. Amrehn 3233 A Werner CDU/CSU 3266 C Steiner SPD 3267 D Gedenkworte für den ermordeten Präsi- Sauer (Salzgitter) CDU/CSU 3270 A denten der Arabischen Republik Ägypten Anwar El Sadat 3234 A Fragestunde — Drucksache 9/860 vom 2. Oktober 1981 — Begrüßung einer Delegation der National- versammlung der Demokratischen Repu- blik Somalia 3239 C Erwähnung des Rechts des deutschen Vol- kes auf Selbstbestimmung auf der UNO Vollversammlung Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- neten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger MdlAnfr 49 02.10.81 Drs 09/860 (Wangen), Graf Huyn, Böhm (Melsungen), Dr. Hupka CDU/CSU Schulze (), Sauer (Salzgitter), Lint- Antw StMin Frau Hamm-Brücher AA . .3271B, D ner, Amrehn, Straßmeir, Dr. Hackel, Lo- ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 3271 C,D wack, Dr. Warnke, Dr. Kunz (Weiden), Dr. Hennig, Schwarz, Werner, Gerster (Mainz), Clemens, Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Ar- Regelung der Abschlußqualifikationen für nold, Schmöle, von der Heydt Freiherr von die Absolventen der Fachhochschule des Massenbach, Röhner, Niegel und der Frak- Bundes für öffentliche Verwaltung in Die- tion der CDU/CSU burg - MdlAnfr 3 02.10.81 Drs 09/860 Frau Steinhauer SPD Umfassende Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik Antw PStSekr von Schoeler BMI . . . .3272 A, B — Drucksachen 9/415, 9/678 — ZusFr Frau Steinhauer SPD 3272 B Lorenz CDU/CSU 3234 C Eignung des Salzstockes Gorleben zur La- Büchler (Hof) SPD 3239 D gerung radioaktiver Abfälle sowie Bohrun- Ronneburger FDP 3244 D gen an Salzstöcken in Niedersachsen und Schleswig-Holstein Franke, Bundesminister BMB 3249 A MdlAnfr 4, 5 02.10.81 Drs 09/860 Baron von Wrangel CDU/CSU 3253 A Kühbacher SPD Dr. Diederich (Berlin) SPD 3256 D Antw PStSekr von Schoeler BMI . . . 3272 C, D, Hoppe FDP 3259 D 3273 A,B,C,D Lintner CDU/CSU 3262 A ZusFr Kühbacher SPD . . . 3272 C, D, 3273 B, C Frau Fromm FDP 3265 A ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU . . . . 3272D, 3273C II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Zwischenlagerung von Brennelementen ZusFr Dr. Jenninger CDU/CSU . 3279 A, B, 3280 D auf Kernkraftwerksgelände ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU . . . 3279 B, 3281 A MdlAnfr 6 02.10.81 Drs 09/860 ZusFr Gobrecht SPD 3279 D, 3281 D Dr. Laufs CDU/CSU ZusFr Büchler (Hof) SPD 3279 D Antw PStSekr von Schoeler BMI 3273D, 3274 A, B ZusFr Glos CDU/CSU 3280A ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU 3274A, B ZusFr Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . 3280 B ZusFr Kühbacher SPD 3274 B ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 3280 C Ergebnis und finanzieller Aufwand des ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 3281A autofreien Sonntags ZusFr Dr. Jens SPD 3281 B MdlAnfr 78, 79 02.10.81 Drs 09/860 ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 3281 C Hinsken CDU/CSU ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . 3281 D Antw PStSekr von Schoeler BMI . . . 3274 C, D ZusFr Hinsken CDU/CSU 3274 C, D Gesetzgebungskompetenz bei der Erhö- hung der Kilometerpauschale Finanzierung der Verluste von Banken MdlAnfr 18 02.10.81 Drs 09/860 durch Unterverzinsung von Kleinsparer Röhner CDU/CSU guthaben Antw PStSekr Dr. Böhme BMF . . . 3282 B, C, D, MdlAnfr 11, 12 02.10.81 Drs 09/860 3283 B Feile SPD ZusFr Röhner CDU/CSU 3282 C Antw PStSekr Dr. Böhme BMF . . . . 3275 A, D, 3276A, B ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 3282 C ZusFr Feile SPD 3275 C, 3276 A ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU 3282 D ZusFr Dr. Spöri SPD 3275 D, 3276 B ZusFr Dr. Warnke CDU/CSU 3283 A Erhöhung der Kilometerpauschale Erhöhung des Höchstbetrages für Abhe- bungen bei Spareinlagen mit gesetzlicher MdlAnfr 19 02.10.81 Drs 09/860 Kündigungsfrist Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) CDU/ CSU MdlAnfr 13 02.10.81 Drs 09/860 Bindig SPD Antw PStSekr Dr. Böhme BMF . . . . 3283 B, D, 3284 A, B, C Antw PStSekr Dr. Böhme BMF . 3276 C, D, 3277 A ZusFr Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) ZusFr Bindig SPD 3276C, D CDU/CSU 3283 D ZusFr Gobrecht SPD 3277 A ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 3283 D

Leistungen für Polen aus dem Bundes- ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . 3284 A haushalt 1982 ZusFr Dr. Warnke CDU/CSU 3284 B MdlAnfr 14 02.10.81 Drs 09/860 ZusFr Fellner CDU/CSU 3284 B Dr. Czaja CDU/CSU ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU 3284 C Antw PStSekr Dr. Böhme BMF . . . 3277 B, C, D, 3278 A, B Erhöhung der Kilometerpauschale ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 3277 B, C MdlAnfr 20 02.10.81 Drs 09/860 - ZusFr Dr. Hupka CDU/CSU 3277 D Franke (Osnabrück) CDU/CSU ZusFr von der Heydt Freiherr von Massen- Antw PStSekr Dr. Böhme BMF 3284 C, bach CDU/CSU 3277 D 3285A, B,C, D, 3286A, B, C ZusFr Dr. Spöri SPD 3277 D ZusFr Dr. Warnke CDU/CSU 3285 A ZusFr Eigen CDU/CSU 3278 A ZusFr Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) CDU/CSU 3285 B ZusFr Rapp (Göppingen) SPD 3278 B ZusFr Dr. Laufs CDU/CSU 3285 C Äußerungen von Bundeskanzler Schmidt ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU 3285 C über die Kilometerpauschale in einem ost- ZusFr Dr. Spöri SPD 3285 D bayerischen Betrieb ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU 3286 A MdlAnfr 16, 17 02.10.81 Drs 09/860 Dr. Jenninger CDU/CSU ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . 3286 A Antw PStSekr Dr. Böhme BMF . . . .3278B, C, D ZusFr Fellner CDU/CSU 3286 B 3279 A, B, C, D, 3280 A, B, C, D, 3281 A, B, C, D, 3282 A ZusFr Rossmanith CDU/CSU 3286 C Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 III

Erhöhung der Kilometerpauschale Anlage 5 MdlAnfr 21 02.10.81 Drs 09/860 Nichtabgabe von Benzin an Tankstellen in Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU der DDR für die im Rahmen des Mindest- Antw PStSekr Dr. Böhme BMF 3286 C, umtausches eingetauschten 25 DM pro 3287 A, B, C Tag ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU 3286 D, 3287 A MdlAnfr 1 02.10.81 Drs 09/860 Schulze (Berlin) CDU/CSU ZusFr Jäger (Wangen) CDU/CSU . . . 3287 A, B SchrAntw PStSekr Dr. Kreutzmann BMB 3292* D ZusFr Dr. Warnke CDU/CSU 3287 C

Erhöhung der Kilometerpauschale Anlage 6 MdlAnfr 23 02.10.81 Drs 09/860 Auswirkungen der Entwicklungshilfe in Dr. Jobst CDU/CSU Indien 3287 D, Antw PStSekr Dr. Böhme BMF SchrAnfr 2 02.10.81 Drs 09/860 3288 A, B, C, D, 3289 A Hüsch CDU/CSU ZusFr Dr. Jobst CDU/CSU . . . . 3287D, 3288 A SchrAntw PStSekr Brück BMZ 3293* A ZusFr Dr. Warnke CDU/CSU 3288 B ZusFr Bindig SPD 3288 C Anlage 7 ZusFr Dr. Kunz (Weiden) CDU/CSU . . 3288 C Fehlende Vorschläge Bayerns zur Entsor- ZusFr Rapp (Göppingen) SPD 3288 D gung MdlAnfr 7 02.10.81 Drs 09/860 Nächste Sitzung 3289 C Dr. Kübler SPD SchrAntw PStSekr von Schoeler BMI . . 3293* B Anlage 1 Anlage 8 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3291* A Aufklärung der Bevölkerung über die De- monstration am 10. Oktober 1981 in Bonn MdlAnfr 8 02.10.81 Drs 09/860 Anlage 2 Dr. Jentsch (Wiesbaden) CDU/CSU Prioritäten im Programm zur Förderung SchrAntw PStSekr von Schoeler BMI . . 3293* C von Forschung und Entwicklung im Dien- ste der Gesundheit Anlage 9 MdlAnfr 114, 115 25.09.81 Drs 09/841 Cronenberg FDP Störung der Demonstration am 10. Oktober 1981 in Bonn durch Extremisten SchrAntw PStSekr Stahl BMFT . . . . 3291* C MdlAnfr 9 02.10.81 Drs 09/860 Dr. Miltner CDU/CSU SchrAntw PStSekr von Schoeler BMI . . 3293* D Anlage 3

Urananreicherung für deutsche Kernkraft- Anlage 10 werke in der Sowjetunion; Bezug von Uran aus Südafrika und Namibia 1976 bis 1980 Verlängerung der Regelung des § 11 des MdlAnfr 116, 117 25.09.81 Drs 09/841 Flurschutzsteuergesetzes Leuschner SPD MdlAnfr 10 02.10.81 Drs 09/860 SchrAntw PStSekr Stahl BMFT . . . . 3291* D Dr. Hennig CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Böhme BMF . . 3294* A

Anlage 4 Anlage 11 Vergabe von Forschungsprojekten zur Ent- Einbeziehung der aus Österreich nach wicklung energiearmer Glühlampen Übersee ausgewanderten Siebenbürger MdlAnfr 118, 119 25.09.81 Drs 09/841 Sachsen in die Bestimmungen des Lasten- Dr. Hubrig CDU/CSU ausgleichsgesetzes SchrAntw PStSekr Stahl BMFT . . . . 3292* B MdlAnfr 15 02.10.81 Drs 09/860 Linsmeier CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Böhme BMF . . 3294* B

Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3233

56. Sitzung

Bonn, den 8. Oktober 1981

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Stücklen: Die Sitzung ist eröffnet. Mann neben dem Regierenden Bürgermeister die Geschicke dieser Stadt entscheidend mitbestimmt (Die Abgeordneten erheben sich) und mitgestaltet. Es war die Zeit der besonderen Be- Wir gedenken bei dieser Sitzung des Todes unse- drohung und Existenzgefährdung durch das res Kollegen Franz Amrehn und des ermordeten Chruschtschow-Ultimatum und den Mauerbau. Präsidenten Anwar El Sadat. Seine große Leistung auf dem Gebiet von Politik und Wir trauern um unseren Kollegen Franz Amrehn, Verwaltung zum Wohle dieser Stadt bleibt unverges- der am Abend des vergangenen Sonntags, dem sen und verdient besondere Würdigung. 4. Oktober 1981, durch ein plötzliches Herzversagen Dem Deutschen Bundestag gehörte Amrehn seit mitten aus dem politischen Leben von uns genom- 1969 an. Er war Mitglied des Auswärtigen Ausschus- men wurde. ses und widmete sich der Außen- und Deutschland- Franz Amrehn stand im 69. Lebensjahr. Er wurde politik, aber auch der auswärtigen Kulturpolitik und am 23. November 1912 in Berlin geboren, und Berlin der interparlamentarischen Arbeit. Er war Ratsmit- war auch der Hauptort seines beruflichen und politi- glied der Interparlamentarischen Union und leitete schen Wirkens. in dieser Vereinigung von Parlamentariern aus aller Welt die Delegation des Deutschen Bundestages, zu- Amrehn, der nach dem Abitur eine Banklehre ab- letzt noch auf der Jahrestagung der IPU auf Kuba. solviert hatte und bei einem Kreditinstitut tätig war, hat von 1940 bis 1945 am Krieg teilgenommen, aus Auch in der Parlamentarischen Versammlung des dem er als Schwerverwundeter heimkehrte. Er stu- Europarates, der Versammlung der Westeuropäi- dierte Jura und wurde zunächst Rechtsanwalt und schen Union und in der Nordatlantischen Versamm- später auch Notar. lung bekleidete er wichtige Ämter. Ebenso wie im Amrehn war ein engagierter katholischer Christ, Deutschen Bundestag wußten auch dort nicht nur der sich für Kirche und Gemeinde stets aktiv einge- seine parteipolitischen Freunde, sondern auch An- setzt hat. Beinahe zwei Jahrzehnte, von 1949 bis gehörige anderer Parteirichtungen seinen bedach- 1967, versah er das Amt eines Finanzchefs und stell- ten und bedächtig erteilten Rat zu schätzen. vertretenden Vorsitzenden des Gesamtverbandes Franz Amrehn erhielt für sein politisches Wirken der Katholischen Kirchengemeinden Groß-Berlins. zahlreiche Ehrungen, darunter das Große Bundes- Unmittelbar nach seiner Heimkehr aus dem Krieg verdienstkreuz mit Stern und Schulterband und die suchte er auch den Weg in die Politik. Der- damals Ernst-Reuter-Plakette in Silber. 33jährige fand schon 1945 seine politische Heimat in Die Fraktion der CDU/CDU verliert mit ihm ein der Christlich-Demokratischen Union. Vier Jahre Mitglied ihres Vorstandes und einen ihrer erfahren- später wurde er Sprecher der Jungen Union Berlins. sten Fachleute auf dem Gebiete internationaler Poli- Von 1950 bis 1977 war er Mitglied des Bundespartei- tik. ausschusses, zeitweise auch des Bundesvorstands und des Präsidiums der CDU. 1961 wurde er zum Der Deutsche Bundestag trauert um einen allseits Landesvorsitzenden der Berliner CDU gewählt. Er hockgeschätzten Kollegen, der unbedingtes Festhal behielt dieses Amt bis 1969. ten an seinen Grundsätzen mit Fairneß und mensch- Im politischen Leben des pflichtbewußten, selbst- licher Wärme verband und der über die Fraktions- losen Staatsdieners gab es zwei Schwerpunkte: die grenzen hinweg Achtung und Freundschaft zu ge- Sorge um seine Heimatstadt Berlin und die europäi- winnen vermochte. sche und atlantische Politik. Ich spreche den Angehörigen des Verstorbenen 19 Jahre lang gehörte Amrehn dem Berliner Abge- im Namen des ganzen Hauses meine aufrichtige und ordnetenhaus an, in dem er sechs Jahre lang Vorsit- herzliche Anteilnahme aus. Meine Anteilnahme gilt zender seiner Fraktion war. Acht Jahre hat er als ebenso der Fraktion der Christlich-Demokratischen Bürgermeister von Berlin und damit als zweiter und Christlich-Sozialen Union. Der Deutsche Bun- 3234 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Präsident Stücklen destag wird Franz Amrehn stets ein dankbares und Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr ehrendes Gedenken bewahren. Abgeordnete Lorenz. Zum Tode von Anwar El Sadat. Lorenz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen Am Dienstagnachmittag erfuhren wir, daß Anwar und Herren! Die Bundesregierung hat sich eine El Sadat, der Präsident der Arabischen Republik Chance entgehen lassen, die Chance nämlich, die Ägypten, einem wenige Stunden zuvor auf ihn be- Deutschlandpolitik auf eine breitere Basis zu stellen gangenen Mordanschlag erlegen ist. Diese Nach- und damit zugleich die Verhandlungsposition der richt hat in unserem ganzen Volk tiefe Betroffenheit Bundesrepublik Deutschland zu stärken. Für jeden ausgelöst. Der Deutsche Bundestag gedenkt voller der lesen wollte, war klar, daß die Fraktion der CDU/ Trauer dieses hervorragenden Menschen und CSU mit ihrer Großen Anfrage über eine umfas- Staatsmannes. Wir empfinden es schmerzlich, daß sende Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik wir mit El Sadat auch einen guten Freund unseres die Hand zu einem Stück mehr Gemeinsamkeit aus- Volkes und Landes verloren haben. gestreckt hat. Doch die Bundesregierung hat der Ich habe dem Präsidenten der Volksversammlung Union mit ihrer Antwort, wie es die Presse nannte, der Republik Ägypten, Herrn Dr. Sufi Abou Taleb, einen Korb gegeben. Sie meint, zu einer Bestands- folgendes Telegramm übersandt: aufnahme bestehe kein Anlaß. Wenn man die dra- stisch verschlechterten innerdeutschen Beziehun- Mit Bestürzung haben die Mitglieder des Deut- gen und ihre wenig erfreulichen Zukunftsaussichten schen Bundestages die Nachricht von dem Mord betrachtet, dann kann man eine solche Auffassung an dem Präsidenten der Arabischen Republik nur mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Ägypten aufgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU) In dieser Stunde tiefer Trauer um Präsident An- war El Sadat fühlt sich der Deutsche Bundestag Liest man die Antwort der Bundesregierung auf- mit Ihnen und dem ägyptischen Volk verbun- merksam durch, so macht sie einen durchaus unein- den. heitlichen Eindruck. Einigen positiven Ansätzen — ich werde darauf nachher noch zurückkommen — Sadats Politik des Ausgleichs und des Friedens, stehen leider zahlreiche unzulängliche Aussagen ge- seine Versöhnung mit Israel und das Bemühen, genüber, die von Unbeweglichkeit und manchmal seinem Vaterland Glück und Wohlstand zu auch von Rechthaberei geprägt sind. Eine Reihe von schaffen, haben ihm in unserem Lande das An- Fragen wird praktisch überhaupt nicht beantwortet, sehen eines hochgeachteten Staatsmannes ge- und bei vielen anderen Fragen drückt sich die Bun- geben; für seine Kraft und seinen persönlichen desregierung um eine klare oder substantielle Ant- Einsatz, seine Politik gegen alle Anfeindungen wort herum. zum Erfolg zu führen, galten ihm Bewunderung Alles in allem müssen wir also die Antwort der und Zuneigung. Bundesregierung leider im wesentlichen als unbe- Der Deutsche Bundestag wünscht dem ägypti- friedigend bezeichnen. Sie ist wahrlich kein Ruh- schen Volk Mut, Zuversicht und Ausdauer, um mesblatt für — um es mit den Worten im Geiste Anwar El Sadats glücklich und erfolg- der „Süddeutschen Zeitung" zu sagen. So nehmen reich die Zukunft zu gestalten. wir mit Bedauern zur Kenntnis, daß die Bundesre- Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Kolle- gierung offenbar nicht bereit ist, unser Angebot zu gen Amrehn und des ermordeten Präsidenten Sadat einer sachlichen Diskussion über Schicksalsfragen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. unserer Nation aufzunehmen. Wir bedauern das um so mehr, als wir davon überzeugt sind, daß gerade Wir treten in die Tagesordnung ein. die Deutschlandpolitik in hohem Maße auf einen breiten politischen Konsens angewiesen ist, wenn Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: sie Erfolg haben soll. (Beifall bei der CDU/CSU) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- ten Lorenz, Baron von Wrangel, Jäger (Wan- Weil wir davon überzeugt sind, daß die schwierige gen), Graf Huyn, Böhm (Melsungen), Schulze und bedrückende Situation, die in den innerdeut- (Berlin), Sauer (Salzgitter), Lintner, Amrehn, schen Beziehungen entstanden ist, nur mit gemein- Straßmeir, Dr. Hackel, Lowack, Dr. Warnke, samen Kräften überwunden werden kann, haben Dr. Kunz (Weiden), Dr. Hennig, Schwarz, Wer- wir uns durch diese Haltung nicht entmutigen las- ner, Gerster (Mainz), Clemens, Dr. Mertes sen, sondern getreu unserer Absichtserklärung in (Gerolstein), Dr. Arnold, Schmöle, von der der Begründung unserer Anfrage versucht, eine ge- Heydt Freiherr von Massenbach, Röhner, meinschaftliche Bestandsaufnahme im Ausschuß Niegel und der Fraktion der CDU/CSU für innerdeutsche Beziehungen durchzuführen. Auch dieser Versuch ist fehlgeschlagen. Alle Betei- Umfassende Bestandsaufnahme in der ligten wissen, daß es an unserem guten Willen nicht Deutschlandpolitik gefehlt hat. So sind wir mit dem Versuch einer Be- — Drucksachen 9/415, 9/678 — standsaufnahme zunächst auf diese Debatte ange- Im Ältestenrat ist eine Dauer der Debatte bis 13 wiesen. Uhr vereinbart worden. Sind Sie mit dieser Zeitein- Die Bundesregierung hat es für richtig gehalten, teilung einverstanden? — Ich sehe keinen Wider- in der Vorbemerkung zu ihrer Antwort sich selbst spruch; es ist so beschlossen. ausführlich für ihre Deutschlandpolitik zu loben. Da Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3235

Lorenz ist die Rede von bedeutsamen Fortschritten und we- fühlbare Konsequenzen nach sich ziehen. Der Ver- sentlichen Verbesserungen, von einer erfolgreichen tragsinhalt muß in Zukunft klipp und klar sein. Politik. Meine Damen und Herren, warum müssen Sie eigentlich immer den Mund so voll nehmen? Ist (Beifall bei der CDU/CSU) es Eigenwerbung, sollen Rat- oder Hilflosigkeit da- Der Anspruch der Regierungsantwort, man wolle mit verdeckt werden, oder sehen Sie überhaupt die erfolgreiche Politik der 70er Jahre auch in den nicht mehr, wie sehr Anspruch und Realität heute 80er Jahren fortsetzen, deutet allerdings auf man- auseinanderklaffen? gelnde Lernfähigkeit hin. Wenn sich die Verhält- (Beifall bei der CDU/CSU) nisse geändert haben, kann man sich nicht einfach auf ausgefahrenen Gleisen weiterbewegen. Da muß Wollen Sie wirklich den heutigen Zustand der inner- man Weichenstellungen vornehmen und in der Tat deutschen Beziehungen als das Ergebnis nur einer nach Alternativen zur bisherigen Politik suchen. erfolgreichen Politik gewertet wissen, allenfalls mit einigen Schönheitsfehlern? Ich habe jetzt nicht die Absicht, eine gemeinsame Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir spre- Bestandsaufnahme mit dem Ziel eines solchen Al- chen Ihnen ja nicht den guten Willen ab. Wir leugnen ternativprogramms vorwegzunehmen. Ich verweise auch keineswegs, daß die Vertragspolitik den Men- auf die vielfältigen Anregungen und Vorschläge der schen in Deutschland eine Reihe von Erleichterun- Union, die sie über Jahre hinweg vorgelegt hat und gen gebracht hat. die selbstverständlich in die Diskussion eingebracht werden müssen. Mir geht es jetzt darum, auf die ver- (Wehner [SPD]: Hört! Hört!) änderten Rahmenbedingungen in den innerdeut- Wir begrüßen das ausdrücklich. Aber gemessen an schen Beziehungen hinzuweisen und daraus Schluß- dem Anspruch der Vertragstexte, an der traurigen folgerungen zu ziehen. Gesamtsituation in unserem geteilten Land und an- gesichts der schweren Rückschläge besteht doch Eines, so meinen wir, steht schon heute fest: Auch nun wirklich kein Anlaß, sich selbst auf die Schulter bei einer verbesserten politischen Großwetterlage zu klopfen. werden sich die innerdeutschen Beziehungen nicht mehr durch eine unveränderte Fortsetzung der bis- (Beifall bei der CDU/CSU) herigen Politik weiterentwickeln lassen; denn die Sicher, die Verschlechterung der Beziehungen bisherige Praxis, der DDR wirtschaftliche Vorteile wurde nicht von der Bundesregierung veranlaßt. Da gegen menschliche Erleichterungen einzuräumen, sind wir uns einig. Aber muß es Sie nicht nachdenk- stößt zunehmend deutlicher an ihre Grenzen. lich machen, wenn die SED das innerdeutsche Ver- Zum einen zeigt sich die SED immer weniger be- hältnis wieder und wieder belasten und das Er- reit, sich weitere menschliche Erleichterungen sozu- reichte zurückdrehen kann, ohne daß Sie darauf sagen abkaufen zu lassen. Offenbar befürchtet sie eine Antwort wissen, außer der fragwürdigen Be- destabilisierende Auswirkungen auf ihr System. hauptung, zu Ihrer Politik gebe es keine Alternative? Deshalb erschwert sie menschliche Kontakte über Eine Politik ohne Alternative ist ein Unding, denn die innerdeutsche Grenze hinweg, erhebt unerfüll- sie führt zu politischer Unbeweglichkeit. bare Statusforderungen und betreibt auch im übri- (Beifall bei der CDU/CSU) gen eine konsequente Abgrenzungspolitik. Sie führt letzten Endes dazu, daß man zum Spielball Eine weitere Begrenzung der bisherigen Politik der anderen Seite wird. stellt die abnehmende finanzielle Leistungsfähig- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) keit der Bundesfinanzen dar. Die Bundesregierung Müssen Sie sich zum Beispiel nicht selber fragen, weist in ihrer Antwort selber darauf hin. Sie erklärt, ob Sie nicht zu sehr auf die Schaffung eines guten sie bleibe im Rahmen ihrer haushaltsmäßigen Mög- Klimas vertraut haben, anstatt wasserdichte Ver- lichkeiten zu einem finanziellen Engagement in der träge auszuhandeln, Verträge, deren Zielsetzung Deutschlandpolitik bereit. Nun ist es j a an und für von der anderen Seite nicht risikolos durchkreuzt sich eine Selbstverständlichkeit, daß man sich im werden kann? Rahmen des Haushalts bewegt. Wenn man also ei- gens darauf hinweist, dann doch wohl, um deutlich (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr gut!) zu machen, daß der Rahmen eben sehr begrenzt ist. Ich will nun keineswegs wieder in Vertragskritik Das weiß natürlich auch die DDR-Führung. Ihr In- eintreten. Das Kapitel ist abgeschlossen. Wir stehen teresse an einer Weiterentwicklung der innerdeut- zu den Verträgen, so wie sie sind. Sie sind nun mal schen Beziehungen läßt in dem Maße nach, wie sie nicht besser. Wir werden sie auch nutzen, soweit das sich davon keinen zusätzlichen finanziellen Nutzen möglich ist. Aber wir alle müssen doch aus den Er- mehr verspricht. Ihre Devise lautet heute offenbar: fahrungen mit dieser Vertragspolitik unsere Lehren Abbau der innerdeutschen Erleichterungen unter für die Zukunft ziehen. Erhaltung der bisherigen wirtschaftlichen und fi- nanziellen Vorteile. Wie die Dinge stehen, scheint (Beifall bei der CDU/CSU) die Rechnung auch aufzugehen. Die DDR darf sich Das ist ein Stück notwendiger Bestandsaufnahme. unserer Leistungen sicher sein, zum Teil sogar auf Dann drängt sich eben folgende Forderung geradezu zehn Jahre fest pauschaliert, und kann Gegenlei- auf: Künftig dürfen unwiderrufliche Leistungen für stungen folgenlos zurückdrehen. Auf diese Weise widerrufliche Gegenleistungen der DDR nicht mehr hat sie beides: die bisherigen Vorteile aus den inner- erbracht werden. Vertragsverletzungen müssen deutschen Beziehungen und zugleich eine ver- 3236 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Lorenz stärkte Abgrenzung zwischen den beiden Staaten in oder auch an den Grundlagenvertrag. Mauer, Sta- Deutschland. cheldraht und Todesautomaten sind doch nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU) die schwerste Belastung zwischen den beiden Staa- ten in Deutschland, sondern sind für die DDR-Füh- Es ist daher an der Zeit, die DDR mit allem Nach- rung auch eine große Peinlichkeit im Hinblick auf druck auf folgendes aufmerksam zu machen. ihr internationales Prestige. Erstens. Wir bleiben weiterhin zu einem finanziel- (Beifall bei der CDU/CSU) len Engagement in der Deutschlandpolitik bereit, wenn auch unseren Interessen Rechnung getragen Sie hat es also in der Hand, sich von diesem schlech- wird. ten Ruf zu befreien, indem sie die brutalen Sperran- lagen entschärft. Tut sie das nicht, dann sollte sie da- (Beifall bei der CDU/CSU) mit rechnen. müssen, daß wir sie international im- Wenn aber unsere zentralen deutschlandpolitischen mer wieder und überall mit dieser Frage stellen. Zielsetzungen, d. h. vor allem menschliche Kontakte (Beifall bei der CDU/CSU) und Erleichterungen, bewußt durchkreuzt werden, dann erlischt auf unserer Seite auch die Motivation Wir haben da viele Möglichkeiten in der Hand, um und die Bereitschaft, der DDR wirtschaftliche und fi- diese Peinlichkeiten für die DDR noch peinlicher zu nanzielle Vorteile zu gewähren. machen. (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) Insbesondere muß die DDR-Führung zu der Ein- sicht gebracht werden, daß es in ihrem eigenen In- Dann stehen in letzter Konsequenz auch alle bishe- teresse liegt, den Freiraum der Menschen in der rigen Leistungen zur Disposition. DDR zu vergrößern. Auch der von Herrn Honecker (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr rich eingeschlagene Weg eines Wohlstandskommunis- tig!) mus stößt da drüben immer mehr auf Grenzen. In dieser Situation kann sich die DDR Entlastung da- Auch unsere Duldungsbereitschaft hat Grenzen. durch verschaffen, daß sie dem Unmut der Bevölke- Wer diese Grenzen testen will, der muß wissen, daß rung durch Gewährung immaterieller Erleichterun- er dabei in die Risikozone gerät. gen begegnet. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein Beispiel hierfür hat kürzlich Bischof Schön- Zweitens. Wir wollen einen festen Zusammen- herr auf der Synode in Güstrow genannt, als er for- hang, eine sachliche Verknüpfung auch zwischen derte, auch für die Bewohner der DDR müsse es die wirtschaftlichen Leistungen von uns und der Ge- Möglichkeit geben, das eigene Land von außen zu se- währung menschlicher Erleichterungen von der an- hen und andere Länder von innen kennenzulernen. deren Seite. Dies sei gewiß mit Risiken verbunden. Aber — so Bi- Dies führt mich zu einem wichtigen Punkt der Be- schof Schönherr wörtlich — nur über das Risiko standsaufnahme. Die innerdeutschen Beziehungen geht der Weg zu einer freien Bejahung auch der ei- haben im Laufe der Zeit eine immer stärkere mate- genen Situation. rielle Schlagseite bekommen — nach dem Motto (Zustimmung bei der CDU/CSU) „Geld ist ein unwiderstehliches Argument". Nach- Diesen Mut zum Risiko wird die DDR-Führung dem sich heute die Geschäftsbedingungen, sprich: ganz allgemein aufbringen müssen, wenn sie unkal- die Leistungsfähigkeit der Bundesfinanzen, dra- kulierbare Entwicklungen dort vermeiden will. Sie stisch verschlechtert haben, herrscht vielfach Ratlo- wird dies nach unserer Überzeugung auch der so- sigkeit auf beiden Seiten. wjetischen Führung nahezubringen haben. Ein ak- Mir scheint, in dieser Lage hilft ein neuer Ansatz tuelles Beispiel: Wer immer der Ansicht gewesen weiter, nämlich: weg von der Überbetonung der ma- sein mag, daß der erreichte Umfang der Westbesu- teriellen Seite in den innerdeutschen Beziehungen che in der DDR ein untragbares Risiko bedeutet und der Versuch der Aufwertung der immateriellen, habe, muß heute feststellen, daß sich die gezielte Re- der politischen Gesichtspunkte. Lassen Sie- mich das duzierung der Westbesuche auf das innere Klima näher erläutern. der DDR vielfach schädlicher ausgewirkt hat als die Grundsätzlich muß es darum gehen, die DDR- Besuche selbst. Führung eindringlich davon zu überzeugen — auch (Sehr gut! bei der CDU/CSU) unter Hinweis auf unsere Aktionsmöglichkeiten -, daß Abgrenzung und Feindseligkeit sowohl wirt- Darüber sollte die SED nachdenken und dann auch schaftlich als auch politisch auf die DDR negativ die richtigen Folgerungen ziehen. wirken, daß hingegen die Bereitschaft zur Normali- (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn sie sierung die innere wie die äußere Lage der DDR ver- kann!) bessern hilft. Des weiteren wird die SED-Führung der Tatsache Ein Ansatzpunkt ist z. B. der Wunsch der DDR Rechnung tragen müssen, daß in der DDR eine neue, nach internationaler Achtung und Glaubwürdig- auch selbstbewußtere Generation herangewachsen keit. Die DDR-Führung muß davon überzeugt wer- ist. Nach meiner Überzeugung wird es sehr schwer den, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, den Ver- sein, ihr die grundlegenden Menschenrechte dauer- haltenskodex zivilisierter Staaten einzuhalten, den haft zu verweigern. Dabei geht es um Freizügigkeit sie ja auf dem Papier bejaht. Ich denke da an die ebenso wie um Informations-, Meinungs- und Gewis- UNO-Menschenrechtsakte, an die KSZE-Schlußakte sensfreiheit, auch eines Tages um echte politische Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3237

Lorenz Mitbestimmung. Die SED wird trotz aller Abgren- Zunächst muß allerdings in der Tat die von der zungs- und Abriegelungsversuche gar nicht verhin- DDR beschädigte Geschäftsgrundlage repariert dern können, daß die Menschenrechte auch bei der werden. Dies betrifft die Rücknahme der Zwangs- DDR immer lauter an die Tür klopfen und ihre Wirk- umtauscherhöhung und auch andere Abgrenzungs- samkeit entfalten. schikanen, z. B. im Bereich der journalistischen Be- richterstattung. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zulas- Und noch eines: Auch die DDR-Führung kann sen, daß die DDR — nicht zum erstenmal — einen nicht der Tatsache ausweichen, daß beide Staaten in neuen Status quo minus in den gegenseitigen Bezie- Deutschland von einer Verschärfung der politischen hungen einfach verfügt und dann verlangt, das als Situation am härtesten betroffen wären. Ins Positive neue Geschäftsgrundlage anzusehen. Jede Verbes- gewendet bedeutet das eine Pflicht zur Mäßigung so- serung, die in Wahrheit nur eine Teilrücknahme der wie darüber hinaus eine Pflicht zu aktiven Entspan- vorangegangenen Verschlechterung ist, wird dann nungsbemühungen. Beide Staaten dürfen zwar als Fortschritt ausgegeben und meistens auch noch nicht ihr politisches Gewicht im großen Ost-West- teuer erkauft, d. h. doppelt bezahlt. Das darf es in Zu- Verhältnis überschätzen. Aber sie sollten gleichwohl kunft nicht mehr geben. wissen, daß sie einen eigenständigen Beitrag zum Abbau der Spannungen leisten können. Dieser spe- (Beifall bei der CDU/CSU) zifisch deutsche Beitrag hat nichts mit militärischen Deshalb halten wir die Aussagen der Bundesregie- Dingen zu tun, sondern er besteht nach unserer Auf- rung, sie suche das Gespräch mit der DDR ohne Vor- fassung in der Schaffung vertrauensbildender Maß- bedingungen, auch für fragwürdig. Denn wie man es nahmen im Rahmen einer praktizierten guten Nach- immer nennen will, zwischen der Rücknahme der barschaft, wie das im Grundlagenvertrag heißt. So Zwangsumtauscherhöhung — und damit meinen könnten z. B. die humanitären Absichtserklärungen wir nicht nur die Gewährung eines Sozialrabatts, der KSZE-Schlußakte im bilateralen Verhältnis meine Damen und Herren — durch einen Vertrag rechtsverbindlich gemacht und konkret ausgefüllt werden. So könnte z. B. die inner- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) deutsche Grenze stufenweise gewaltfrei gemacht und einer Neuvereinbarung des zinslosen Kredits werden, Städtepartnerschaften könnten ebenso ver- im innerdeutschen Handel besteht für uns ein klarer einbart werden wie ein innerdeutsches Jugendwerk innerer Zusammenhang. und ein deutscher Kulturaustausch. Meine Kollegen werden nachher weiter darauf eingehen. Nicht zu- (Beifall bei der CDU/CSU) letzt würde eine Konsolidierung der bisherigen Ver- tragspolitik, d. h. die Rückkehr zur Vertragstreue Wir halten daran fest: Neue Vereinbarungen mit der und ein Abschluß der noch ausstehenden Folgever- DDR, und das gilt auch für den Swing, darf es nur ge- träge, zur Verbesserung des Verhältnisses beitragen ben, wenn die Erhöhung des Zwangsumtausches in und vertrauensbildend wirken. einer Weise zurückgenommen wird, die den inner- deutschen Besucherverkehr im früheren Umfang Meine Damen und Herren, ich habe hier sozusa- wieder ermöglicht. gen in Stichworten zu erläutern versucht, was ich (Beifall bei der CDU/CSU) unter einem neuen Ansatz in den innerdeutschen Beziehungen verstehe. Ich bin mir durchaus dar- Wir halten es auch nicht für verkehrt, dieses über im klaren, daß seine Durchführung mühevoll Thema gegenüber Herrn Breschnew anzusprechen, sein wird. Schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten. wenn er nach Bonn kommt. Gerade wenn die Bun- Ich meine aber, daß es sich lohnt, diesen Versuch desregierung meint, die Abgrenzungsmaßnahmen dennoch zu unternehmen. Übrigens wäre es ein er- der anderen Seite seien auf sowjetisches Verlangen mutigendes Zeichen praktizierter Gemeinsamkeit, getroffen worden, dann muß man doch die Sowjet- wenn der Herr Bundeskanzler bei seinem geplanten union auffordern, der DDR die Rückkehr zur Ge- Treffen mit Herrn Honecker die hier skizzierten- Ge- schäftsgrundlage zu erleichtern. danken und Anregungen aufgreifen würde. Wir ha- ben nichts gegen ein Treffen Schmidt-Honecker, Aus gegebenem Anlaß möchte ich namens der und wir haben auch keineswegs vor, hier irgendwel- CDU/CSU dringend davor warnen, die innerdeut- che Hürden aufzubauen, was uns immer unterstellt schen Beziehungen mit Abrüstungsfragen zu bela- wird. Aber wir sind der Meinung, daß der Rahmen sten. einer solchen Begegnung auch mit dem gebühren- (Sehr gut! bei der CDU/CSU) den Inhalt ausgefüllt werden muß. Selbstverständlich wird in der gegenwärtigen Situa- (Beifall bei der CDU/CSU) tion bei einem Treffen Schmidt-Honecker auch die Abrüstungspolitik zur Sprache kommen müssen. Wir werden also das Treffen an seinem Ergebnis Aber keinesfalls darf das ein innerdeutsches Ersatz- messen. Schließlich sollte doch klar sein, daß sich thema werden, ein innerdeutsches Gipfeltreffen nicht auf Repara- turarbeiten beschränken darf, sondern den Men- (Beifall bei der CDU/CSU) schen in Deutschland zusätzlichen Nutzen bringen muß. das von den brennenden Problemen im gegenseiti gen Verhältnis ablenkt, und schon gar nicht darf der (Beifall bei der CDU/CSU) Versuch der SED Erfolg haben, die innerdeutschen 3238 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Lorenz Beziehungen sozusagen mit einem Abrüstungsjunk- Diese Debatte ist kein Ersatz für eine gemein- tim zu versehen. Und die Gefahr ist sehr konkret. schaftliche Bestandsaufnahme, die wir nach wie vor (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) befürworten. Sie kann aber ein Anfang sein. Um da- bei einen Schritt voranzukommen, will ich jetzt zu- Schon auf den X. Parteitag der SED hat Honecker nächst nicht weiter auf die problematischen und un- versucht, den Erpressungshebel anzusetzen, und er- befriedigenden Teile der Antwort auf unsere Große klärt: Wer die NATO-Hochrüstung vorantreibt, der Anfrage eingehen, sondern einige jener Aussagen schafft Tatbestände, die gegen die weitere Normali- festhalten, in denen, jedenfalls dem Wortlaut nach, sierung der Beziehungen zwischen den beiden deut- Übereinstimmung besteht. schen Staaten wirken und Erreichtes gefährden. Erstens. Deutschlandpolitik kann nur auf der Wir sollten uns alle, glaube ich, darin einig sein, je- Grundlage einer festen Verankerung der Bundesre- der Erpressung zu widerstehen und uns nicht in eine publik Deutschland in der atlantischen Allianz und bündnisgefährdende Sonderrolle drängen zu lassen, in der Europäischen Gemeinschaft geführt werden. meine Damen und Herren. Richtig. Dies ist seit je ein zentraler Punkt unserer (Beifall bei der CDU/CSU) Politik. Übrigens sollten wir uns auch gar nicht ins Bocks- (Beifall bei der CDU/CSU) horn jagen lassen; denn die Drohung, daß die konse- Zweitens. Deutschlandpolitik ist zugleich ein Bei- quente Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses trag zur Friedenssicherung in Europa und in der zu neuen Spannungen in den innerdeutschen Bezie- Welt. Die Erhaltung von Frieden und Freiheit ist ein hungen führen würde, ist eigentlich j a nicht plausi- übergeordnetes Ziel, dem auch die Deutschlandpoli- bel. Gerade wenn es dazu kommen sollte, daß die tik zu dienen hat. Auch an dieser Position haben wir Spannungen auf dem militärischen Sektor zuneh- nie einen Zweifel gelassen. men, dann kann doch niemand ein Interesse daran haben, auf anderen Gebieten noch zusätzliche Span- Drittens. Das innerdeutsche Verhältnis ist in das nungen zu erzeugen. Die Vernunft gebietet viel- Ost-West-Verhältnis eingebettet. Das ist auch un- mehr, gerade dann andere Spannungsursachen ab- sere Auffassung. Wir nehmen befriedigt zur Kennt- zubauen. nis, daß damit offenbar von der fragwürdigen These, die Entspannung sei teilbar, Abstand genommen Zum Schluß ein Wort zu Berlin. Die gespaltene Stadt wird für uns immer das Symbol dafür bleiben, wird. daß wir das eine und unteilbare Deutschland anstre- Viertens. Die innerdeutschen Beziehungen dürfen ben. Zur Lebensfähigkeit Berlins, die mehr sein muß das Ost-West-Verhältnis nicht zusätzlich belasten. als eine Überlebensfähigkeit, gehört nicht nur die Si- Richtig. Sie können hingegen, wie ich vorhin ausge- cherung des Materiellen, sondern vor allem auch die führt habe, sogar Spannungen vermindern helfen. geistige Haltung, das Modell der verteidigten, vor- bildlich gelebten Freiheit. Was in Berlin verfällt, was Fünftens. Die Militarisierung in der DDR sowie Schaden nimmt, was zur Schwäche wird, wirkt sich die dort praktizierte Vermittlung von Feindbildern über die Grenzen der Stadt hinweg aus. Deshalb entspricht nicht guter Nachbarschaft und erschwert müssen wir alles tun, um die Lebenskraft Berlins zu eine Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen. stärken. Das ist auch unsere Meinung. Es ist hinzuzufügen: Aus diesem Grund muß dieses Thema auf die inner- (Beifall bei der CDU/CSU) deutsche Tagesordnung kommen. Der neue Senat Richard von Weizsäckers hat in (Beifall bei der CDU/CSU) Berlin ein schlimmes Erbe angetreten. Bei seinen Bemühungen, die schwere Hypothek der Vergan- Sechstens. Das Vorhandensein der unmenschli- genheit zu überwinden und die Probleme der Gegen- chen Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze wart und der Zukunft zu meistern, hat er unsere ist die schwerste Belastung des Verhältnisses zur volle Unterstützung. DDR. Dies gefährdet die Glaubwürdigkeit einer Po- litik der guten Nachbarschaft. Das kann von uns nur (Beifall bei der CDU/CSU) voll unterstrichen werden. Berlin braucht zur Überwindung seiner politischen (Beifall bei der CDU/CSU) Standortnachteile auch immer unsere finanzielle Hilfe. Was dazu nötig ist, das haben der Bundesprä- Aber auch in diesem Punkt müssen der richtigen sident und die Parteivorsitzenden vor noch nicht Analyse konkrete Initiativen folgen. langer Zeit gesagt und vorgeschlagen. Das muß auch (Baron von Wrangel [CDU/CSU]: So ist heute noch gelten, meine Damen und Herren. Auch es!) wenn wir heute alle sparen müssen — an der Siche- rung der Lebensfähigkeit Berlins zu sparen, hieße, Siebentens. Die drastische Erhöhung des Zwangs- unsere nationale Aufgabe sträflich vernachlässi- umtausches ist ein Verstoß gegen die Zielsetzung — gen. ich meine: sogar gegen den Buchstaben — der inner- deutschen Verträge und bedeutet einen ernsten (Beifall bei der CDU/CSU) Rückschlag. Die Bundesregierung sagt, sie werde Das freie Berlin braucht neuen Schwung, neue sich damit nicht abfinden. Wir nehmen die Bundes- Anziehungs- und Ausstrahlungskraft. Wir werden regierung beim Wort und schlagen einen vertrauli- alles tun, damit die Stadt wieder ein Zentrum deut- chen Meinungsaustausch über konkrete Schritte scher Zukunftshoffnungen wird. vor. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3239

Lorenz Achtens. Es widerspricht den Zielen der Deutsch- noch eine Form der Hilfestellung für ihre Verhand- landpolitik, Abgrenzungsmaßnahmen der DDR mit lungen sein. Abgrenzung von unserer Seite zu beantworten. Es liegt an Ihnen, dieses Angebot anzunehmen Richtig. Allerdings sollten wir uns dann darüber ver- und es im Interesse der Sache zu nutzen. ständigen, daß an die Stelle stiller Duldung flexible Reaktionsmöglichkeiten treten müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Stücklen: Bevor ich das Wort dem Herrn Neuntens. Die Gespräche mit der DDR müssen Abgeordneten Ronneburger gebe, darf ich eine so- über den Gesamtzusammenhang der Beziehungen malische Parlamentarierdelegation, die auf der Di- geführt werden. Dazu gehört auch das Thema plomatentribüne Platz genommen hat, herzlich be- Zwangsumtausch. Die Hervorhebung des Gesamt- grüßen. Ich habe die Ehre, den Vorsitzenden des Po- zusammenhangs wird von uns besonders begrüßt. litischen Ausschusses der Nationalversammlung Sie entspricht der bekannten Unions-Forderung, die der Demokratischen Republik Somalia, Herrn Abdi innerdeutschen Beziehungen als Einheit aufzufas- Qassim Salad, und den Vorsitzenden des Wirt- sen — mit der Folge, daß die Beeinträchtigung ein- schafts- und Finanzausschusses der Nationalver- zelner Teilbereiche sich auf die Gesamtbeziehungen sammlung der Demokratischen Republik Somalia, auswirkt. Herrn Ahmed Duale, im Deutschen Bundestag recht Zehntens. Auf unserer Seite besteht der Wille zur herzlich zu begrüßen. praktischen Zusammenarbeit zwischen beiden Staa- (Beifall bei allen Fraktionen) ten in Deutschland trotz fortbestehender Gegen- Ich nehme gleichzeitig Gelegenheit, Herrn Abdi sätze in grundsätzlichen Fragen. Diese Bereitschaft Qassim Salad, dem seinerzeitigen Verhandlungs- orientiert sich am Wohl der Menschen in unserem partner des Staatsministers a. D. Hans-Jürgen Wi- geteilten Land. schnewski, für seinen persönlichen Einsatz bei der Diese Liste ließe sich mit anderen Punkten ergän- Geiselaffäre in Mogadischu im Oktober 1977 den zen. Natürlich müssen wir den Wortlaut an der poli- Dank des ganzen Hauses auszusprechen. tischen Praxis messen. (Beifall bei allen Fraktionen) Wir sind guten Willens. Wir strecken die Hand zu Den somalischen Gästen wünsche ich für den Auf- mehr Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik enthalt in der Bundesrepublik Deutschland viel Er- aus. folg und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die Ge- Wir tun das wahrhaftig nicht deshalb, weil wir nun spräche im Deutschen Bundestag nützlich und der etwa auf das Trittbrett der SPD/FDP-Deutschland- Vertiefung der guten und freundschaftlichen Bezie- politik aufspringen wollen. Dazu gibt es überhaupt hungen zwischen unseren Ländern dienlich sein keinen Anlaß. Wir haben uns weder in unserer reali- können. Alles Gute für Ihren Aufenthalt! stischen Einschätzung der Lage geirrt, noch haben (Erneuter Beifall bei allen Fraktionen) wir uns zu Illusionen verleiten lassen. Wenn wir jetzt mehr Gemeinsamkeit anbieten, so tun wir dies in In der Reihenfolge der nachfolgenden Redner hat der Verantwortung vor unserem Volk und mit dem sich eine Änderung ergeben. Das Wort hat der Herr Wunsch, gemeinsam einen Ausweg aus dieser inner- Abgeordnete Büchler. deutschen Misere zu finden. Dabei wird manches streitig sein und bleiben. Dennoch sollten wir uns Büchler (Hof) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr über einen Grundkonsens in der Deutschlandpolitik verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lorenz verständigen können. hat heute eine Rede gehalten, die es wert ist, so meine ich, daß man sie aufarbeitet und mit ihr in der Natürlich ist Gemeinsamkeit kein Selbstzweck, Beurteilung so verfährt, wie sie angekündigt war, sondern sie muß zu konkretem Handeln führen. Ge- nämlich entgegenkommend. Ich höre es mit Interes- meinsamkeit in der Hilflosigkeit ist keine akzep- se, aber ich muß Ihnen auch sagen: Mir fehlt noch et- table Vorstellung. was der Glaube. (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr gut!) Die Opposition hat im Vorfeld dieser Debatte wie- Es wird also notwendig sein, sich über den Inhalt derholt angekündigt, daß in dieser Debatte die Ge- und die Methode genereller Zielsetzungen und auch gensätze, die in früheren Debatten vorhanden wa- konkreter Schritte in der Deutschlandpolitik zu ver- ren, nicht mehr so hervorgekehrt werden sollen, daß ständigen. es vielmehr darum gehe, eine umfassende Bestands- Lassen Sie mich, um jedes Mißverständnis auszu- aufnahme in der Deutschlandpolitik vorzunehmen, schließen, auch sagen, was es nicht bedeuten kann. die auch ehrlich sein solle. Gemeinsamkeit bedeutet keine stille Teilhaber- Für uns war das ein Hinweis darauf, daß die schaft der Opposition an der Regierung. Es bedeutet deutschland-politischen Debatten nach dem alten nicht Vermischung von Verantwortlichkeiten. Das Strickmuster, wie Sie sie hier wiederholt geführt ha- staatspolitisch erwünschte Spannungsverhältnis ben und damit das Haus leerfegten, der Vergangen- zwischen Regierung und Opposition darf nicht ein- heit angehören sollten. Wir hören das sehr gern und geebnet werden. Aber, meine Damen und Herren, es freuen uns auf eine Auseinandersetzung um der Sa- kann fruchtbar gemacht werden; denn die Opposi- che willen. Wir freuen uns auch auf das Suchen von tion kann doch manches sagen und fordern, was der gemeinsamen Ansatzpunkten, um die Deutschland- Regierung nicht möglich ist. Sogar Kritik kann ja politik miteinander, soweit das möglich ist, weiter- 3240 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 Büchler (Hof) entwickeln zu können. Dies möchte ich im Hinblick Der Fall Rauschenbach ist längst ausgequetscht auf das sagen, was Sie, Herr Lorenz, hier ausgeführt wie eine Zitrone. haben. (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Woher wissen die „Stuttgarter Nachrichten" das?) Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß Her- bert Wehner erst vor einigen Tagen darauf hinge- Weshalb die CDU/CSU ihn dennoch erneut in wiesen hat, daß das geteilte Deutschland nicht un- die Presse eines parlamentarischen Untersu- heilbar miteinander verfeindete Christdemokraten chungsausschusses nehmen will, ist vorläufig und Sozialdemokraten ertragen kann. Das gilt si- ihr dunkles Geheimnis. cherlich auch im Hinblick auf die Freien Demokra- (Zurufe von der CDU/CSU) ten. Der Herr Kollege Wehner hat in diesem Zusam- menhang auch noch einmal an ein Wort von Kurt — Es kann nicht heller werden, sondern Sie wollen Schumacher erinnert. Ich möchte es, wenn ich es zi- hier — das ist eben das Problem — die andere Seite tieren darf, Herr Präsident, hier vortragen, weil ich der Union — mit zum Zuge kommen lassen. Das, was meine, daß es für das, was wir hier miteinander vor- heute der Herr Kollege Lorenz gemacht hat, ist die haben, wichtig ist: eine Seite. Was Sie morgen inszenieren werden, ist die andere Seite der Opposition im Deutschen Bun- Wir wollen mit sachlichen Argumenten die Stel- destag, meine Damen und Herren. lung erorbern, von der aus wir national und in- (Beifall bei der SPD — Baron von Wrangel ternational unserem Volke nützen können. [CDU/CSU]: Aber Herr Büchler!) Nach innen und außen kann nur durch sachli- Es geht also Kräften in Ihren Reihen darum, den che Auseinandersetzung auch der Boden für Streit ständig zu suchen, und zwar nur den Streit um Gemeinsames gefunden werden. Probleme, die des Streitens willen, nichts anderes. man einfach außer acht läßt, bleiben doch vor- handen, und die Ausnutzung einer momentanen Wir wissen, daß es sich dabei um ein menschliches Mehrheit von wenigen Stimmen bedeutet nicht Problem handelt. Ich möchte auch hier sagen, damit die Lösung dieser Probleme. wir uns richtig verstehen — da wird es auch eine entsprechende Offensive geben —, daß meine Ich glaube, daß dies ein gutes Wort ist, das sich auch Freunde und ich uns außerstande sehen, so etwas die heutige Opposition zu Herzen führen sollte. Es wie Beugehaft in dieser Republik einzuführen. Wir wäre eine Grundlage für das weitere Handeln. sind dagegen, daß man den freien Willen unter- drückt oder eingrenzt. Wir sind dagegen, daß das, Ich will damit sagen, daß wir für einen Dialog der was man an der DDR oder an anderen Staaten zu Vernunft in der Deutschlandpolitik offen sind. Recht kritisiert, hier bei uns praktiziert wird. Ich Darum und um nichts anderes kann es gehen. möchte hier auch ganz deutlich sagen, daß nicht ein- mal der Anschein eines solchen Versuches aufkom- Allerdings haben Sie in dieser Woche — das muß men darf. ich auch einführen — nicht gerade die besten Rah- menbedingungen dafür geschaffen, meine Damen Ich möchte aber vorläufig darauf nicht näher ein- und Herren von der Opposition. Daß wir morgen in gehen. Ich wollte es nur gesagt haben, damit Sie wis diesem Hohen Hause den sogenannten Rauschen- sen, wie wir stehen. bach-Fall behandeln müssen und daß wir einen Un- (Werner [CDU/CSU]: Das ist auch besser tersuchungsausschuß einsetzen sollen, ist, so meine so!) ich, eine unschöne Begleiterscheinung. — Seien Sie nicht so aufgeregt, lieber Kollege Wer- ner. Sie kommen heute noch dran. Es kommt darauf (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ an, ob Sie an die Linie von Herrn Lorenz anknüpfen CSU) können oder nicht. — Ich komme darauf zu sprechen. Nicht daß ich das (Baron von Wrangel [CDU/CSU]: Herr Recht der Opposition — um Gottes willen! — auf die Büchler, verlassen Sie aber nicht die Linie - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein- von Herrn Lorenz!) schränken möchte oder könnte — — Nein, die will ich ja auch nicht verlassen. — (Dr. Zimmermann [CDU/CSU]: Geht auch Sie haben eine Bestandsaufnahme gefordert. Nun nicht!) beurteilen wir Ihre Absicht so — insgeheim werden einige mit mir einig sein —, daß diese Bestandsauf- dies ganz bestimmt nicht. Aber ich bin davon ausge- nahme nur dem einen Zweck dienen soll, Ihre Leute, gangen — lassen Sie mich das ganz deutlich sagen Ihre Reihen auf einen gemeinsamen Nenner zu —, daß nach dem Bericht, den der Minister für inner- bringen. Das ist der wahre Hintergrund dieser gefor- deutsche Beziehungen, Egon Franke, in unserem In- derten Bestandsaufnahme! Ich meine das nicht pole- nerdeutschen Ausschuß gegeben hat, die Frage ei- misch. Ich bin vielmehr dankbar dafür und möchte nes Untersuchungsausschusses vom Tisch wäre. Wir das auch ausdrücklich betonen. Denn eines ist ja alle, die dabei waren, erinnern uns, daß da keine auch sicher: Bei uns stimmt der Nenner. Die Koali- Frage offengeblieben ist — von keiner Seite —, daß tion hat die Grundzüge und Grundansätze ihrer alles klar dargestellt worden ist. Die „Stuttgarter Deutschlandpolitik vor mehr als zehn Jahren ge- Nachrichten" haben gestern auch zu Recht geschrie- meinsam formuliert. Die Deutschlandpolitik der ben: Bundesregierung wird von der Koalition, von beiden Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3241

Büchler (Hof) Fraktionen, mit einer Geschlossenheit getragen, an Bundesregierung hier heute verlesen und ja dazu der nicht gerüttelt werden kann. Also, werter Kol- gesagt. Wer hat nun recht? Deshalb bin ich hinsicht- lege Lorenz, angesichts dieser Rede heute wäre es lich des Wunsches nach Gemeinsamkeit so vorsich- besser gewesen, wenn Sie bei der Beantragung die- tig. ser Bestandsaufnahme bereits Punkte aufgenom- In die Einleitung Ihrer Großen Anfrage und des men hätten, die Sie heute vorgetragen haben. Stufenplanes hätten Sie natürlich Kernsätze hinein- Als Sie die gründliche Inventur der Deutschland- schreiben können, die es uns leichter gemacht hät- politik gefordert haben, haben Sie zugleich, d. h. gut ten, auf Sie einzugehen. Davon gibt es eine ganze einen Monat später, am 22. Juni 1981, einen Stufen- Reihe. plan vorgelegt. Dennoch gehe ich davon aus — das Ich möchte dafür ein paar Vorschläge machen: ist wahrscheinlich auch der Juckepunkt —, daß Sie Wir Deutschen sind einerseits hüben und drüben in sich dem Beschluß des CDU-Präsidiums vom Okto- Bündnisse integriert, andererseits über Mauer und ber 1980 unterwerfen, für die bisherige Ost- und Draht hinweg auf besondere Weise miteinander Ver- Deutschlandpolitik der Bundesregierung nicht bundene. Für diese Lage gibt es in der Tat keine Par- nachträglich eine Mitverantwortung zu überneh- allelen bei irgendwelchen Bündnispartnern. men. In beiden Teilen Deutschlands spürt die Bevölke- (Lorenz [CDU/CSU]: Natürlich!) rung dies. Wir im Westen leben in der Freiheit und in — „Natürlich". Denn das würde ja auch Mitverant- der Sicherheit des westlichen Bündnisses. Es ist wortung, selbstkritische Bestandsaufnahme bedeu- eben diese Freiheit, die uns auf besondere Weise für ten; das muß ganz klar sein. — Wenn manche Ihrer unsere Landsleute in der DDR und in Ost-Berlin ver- Kollegen Ihre heutige Rede nachlesen werden, dann antwortlich macht. werden sie dazu Ansätze — ich möchte sagen: dan- Es gibt keine Berlin- und Deutschlandpolitik, die kenswerterweise — finden. Mir geht's nur darum, zu sich mit Aussicht auf dauerhaften Erfolg von der po- erfahren, ob Sie zu dieser selbstkritischen Bestands- litischen Großwetterlage in Europa unabhängig ma- aufnahme in Ihren eigenen Reihen in der Lage sind. chen könnte. Ich muß dies fragen; denn dies wird der Ausgangs- punkt weiterer Zusammenarbeit sein. Und wir begrüßen — und das wäre schön und rich- tig gewesen — die wichtigen Verbesserungen in den Die von Ihnen immer wieder vorgelegten Stufen- innerdeutschen Beziehungen insbesondere deshalb, pläne für Deutschland waren immer nach dem alten weil sie sich auf die Bindungen von Berlin (West) an Strickmuster. In den 50er Jahren haben die Sozial- die übrige Bundesrepublik Deutschland auswirken demokraten und auch die Liberalen ihre deutsch- und auch auf die innerdeutschen Beziehungen landpolitischen Pläne vorgelegt. Sie sind hier allge- selbst. mein bekannt; ich brauche auf sie nicht einzugehen. Auch daß Adenauer damals erschrocken war, als er Man könnte noch ein paar Feststellungen über die diese Pläne gesehen und gelesen hat, ist allgemein Empfindlichkeit der Deutschlandpolitik einfügen — bekannt. Er hat dann damals seinem Staatssekretär ich will das hier anführen, weil es ein wichtiger Globke den Auftrag gegeben, einen entsprechenden Punkt ist, daß wir uns immer bewußt sein müssen, Plan vorzubereiten. Sein Befehl — das ist damals so wie empfindlich diese Politik insgesamt ist — oder herausgekommen — lautete: Wir müssen wie ein über politische Preise — warum nicht — und das Generalstab gerüstet sein. Der erste Zehnjahresplan Weglassen dessen, was man „buchhalterische Erb- war dann am 4. Februar 1959 fertig. Dann gab es wei- senzählerei" nennt — z. B. die Anfragen über die ter ein Stufenprogramm des Kollegen Dr. Barzel Zahlungen an die DDR, die man natürlich behan- vom Januar 1972. deln muß —. Aber so wie Sie es tun, die Sie das pole- misch auswerten — nicht Sie, Herr Lorenz, das Allerdings ist das mit den Stufenplänen — auch möchte ich extra betonen —, ist das die andere mit dem jetzigen Stufenplan — so eine Sache; denn Seite. die funktionieren nicht so, wie wir uns das immer Vielleicht noch ein Zitat: Darüber hinaus haben vorstellen. Denn es gibt ja auch noch einen Verhand- wir uns durchaus auch um die Entwicklung aktiver lungspartner auf der anderen Seite. Deswegen ist Beziehungen mit dem anderen Teil Deutschlands zu das Instrument des Stufenplans natürlich etwas pro- bemühen, vor allem auch dann und besonders dort, blematisch. Sie wissen, der erste Ihrer Stufenpläne wo dies etwas kostet. — Das war in der ganzen Weite war auf Zeitgewinn und Stabilisierung aus, der gemeint; „dort, wo es etwas kostet" war nicht eng be- zweite auf absolute Freizügigkeit, und der neueste grenzt auf geldliche Leistungen gemeint. ist auf Mitbestimmung bei den Zielsetzungen der Deutschlandpolitik der Bundesregierung aus. Ich Herr Kollege Lorenz, Sie kennen die Zitate. Sie mache das hier so gründlich, weil wir, wie ich glaube, stammen von Ihrem Parteifreund, dem Regierenden auch diesen historischen Hintergrund mit berück- Bürgermeister von Weizsäcker. Das wäre eine Basis, sichtigen müssen, wenn wir hier eine gründliche Be- von der aus wir wirken könnten — wenn diese Sätze standsaufnahme vornehmen wollen. von der ganzen Union angenommen würden und das, was Sie heute gesagt haben, dazugezählt Nun haben die Kollegen Zimmermann und Kohl würde. im Oktober/November 1980 eine Bestandsaufnahme gefordert. Ihr Ziel war und ist die Verneinung der Aber ich muß hier natürlich auch das hervorhe- Grundsätze der Deutschland- und Berlinpolitik der ben, was der bayerische Ministerpräsident Strauß Bundesregierung. Sie haben die Grundsätze der von der Rede des früheren Kollegen von Weizsäcker 3242 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Büchler (Hof) am 17. Juni 1980 hält. Sie kennen das. Ich will das Weizsäcker und einige wenige stehen nach wie vor hier nicht weiter ausführen. Oder lesen Sie z. B. das alleine da. Interview von Herrn Strauß vom 29. September 1980 (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Na, na! — ich sage Ihnen die Daten gleich mit, damit Sie — Frau Roitzsch [CDU/CSU]: Sie brauchen nicht so lange suchen müssen — über die Forderung sich unseren Kopf nicht zu zerbrechen!) von Herrn Geißler nach, die Union brauche eine Öff- nung ihrer Außenpolitik gegenüber dem Osten, oder Wenn ich mir den Wandel des Herrn von Weizsäk- die Forderung der anderen CDU-Politiker, die Ost- ker und das Verhalten der CDU/CSU-Fraktion, ins- verträge müßten mit Leben erfüllt werden, oder die besondere der CDU, vor Augen halte, komme ich zu Feststellung von , für die Union sei dem Schluß, daß es für Sie hohe Zeit ist, das weiter die Sowjetunion bisher ein schwarzes Loch gewe- zu betreiben, was Rolf Zundel in der „Zeit" am sen. — Die Antwort kam postwendend von Herrn 31. Oktober 1980 angedeutet hat: Kohl und von Herrn Strauß. Das haben wir doch die- Die Zeichen sind vorhanden, aber die Zeichen ser Tage gesehen. verdienen Aufmerksamkeit. Es scheinen Ich meine — lassen Sie mich das sagen —: Es ge- — so Zundel — hört eben mehr zu einer ehrlichen Bestandsaufnah- einige Unionspolitiker die Rede Wehners von me, es gehört dazu, daß Sie in den eigenen Reihen 1960 nachgelesen und gelernt zu haben. wissen, wo Sie stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition. (Lorenz [CDU/CSU]: Machen Sie doch nicht immer Vergangenheitsbewältigung, lieber (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf Herr Kollege!) der Abg. Frau Berger [Berlin] [CDU/ — Ich will nur dafür sorgen, daß wir uns richtig ver- CSU]) stehen. Wenn Sie Vergangenheitsbewältigung mei- Ich möchte Sie auffordern: Lassen Sie in Ihren nen, brauchen Sie j a nur hierher zu kommen und zu Kreisen eine redliche Bestandsaufnahme zu! Ich sagen, um was es geht. möchte diese Aufforderung insbesondere an Herrn Ich bestreite nicht, daß es die eben erwähnte Auf- Strauß und den Fraktionsvorsitzenden richten — merksamkeit gibt. Aber ich bestreite, daß es in der und natürlich auch an Sie, Herr Zimmermann. Ich Union als Ganzer den Lernprozeß gibt, wie er eigent- fordere Sie ehrlichen Herzens auf: Lassen Sie es zu, lich stattfinden müßte. daß die Kollegen über unsere Deutschlandpolitik of- fen und frei nachdenken können, nicht mit den Ein- • (Zurufe von der CDU/CSU) schränkungen, wie Sie sie immer wieder machen! Deshalb meine ich, daß erforderlich ist, was damals in seiner Rede so ausgedrückt hat — (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Aber gerne! — ich darf den wichtigsten Satz herausgreifen —: Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Es ist wichtig, daß wir an unsere künftigen Auf- Davon sind Sie noch weit entfernt. gaben mit einer konstruktiven Geisteshaltung herangehen. (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Da müssen Sie ja Sie sind heute mit dieser konstruktiven Geisteshal- selber lachen!) tung an die uns gestellte Aufgabe herangegangen. Sie hätten Ihre Wende, die Sie heute in Form einer Ich warte allerdings noch darauf, daß auch die Ge- Bestandsaufnahme mühsam in Gang zu setzen ver- samtfraktion der CDU/CSU das tut. Dann können suchen, schon viel früher einleiten müssen. Natür- wir uns treffen. lich sind Sie heute aufs Trittbrett gesprungen, Herr (Beifall bei der SPD und der FDP — Jäger Lorenz. Das ist gar keine Frage. [Wangen] [CDU/CSU]: Herr Lorenz hat für die gesamte Fraktion gesprochen! Nehmen (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Der Zug fährt Sie das zur Kenntnis!) doch gar nicht! Da konnte er doch gar nicht aufspringen!) — Das werden wir ja bei den nächsten Rednern hö- ren. Ich bin sehr gespannt auf den Beitrag des Kolle- Sie haben die redliche Bestandsaufnahme insge- gen Lintner. samt noch vor sich, wenn sie auch schon 1972 fällig (Lintner [CDU/CSU]: Abwarten!) gewesen wäre. Sie erkennen die Verträge formal an. Sie haben das heute wieder betont. Aber die Frage Ich möchte ganz deutlich sagen, daß wir das von bleibt: Wollen Kohl und Strauß sie mit Leben erfül- Ihnen gelegentlich mit Recht betonte Rollenver- len? Ich habe meine gelinden Zweifel daran, daß das ständnis akzeptieren. Das ist gar keine Frage. Wir so ehrlich gemeint ist. wollen die Aufgaben der Opposition und der Regie- rungsparteien nicht durcheinanderbringen. Wir er- Wir brauchen die ehrliche und offene Bestands- kennen dieses Rollenverständnis also an, und wir aufnahme, eine selbstkritische Einstellung von Ih- meinen, daß diesem Verständnis entsprechend auch nen, damit Sie sich sozusagen einem 30. Juni 1960 gehandelt wird. Daraus folgt: Wir wollen Ihre Stim- nähern können. Das ist die Frage, um die es geht, um men nicht einfach unseren hinzuzählen, wie es da- nichts anderes. So wie es jetzt insgesamt gesehen mals, vor 20 Jahren, von Ihnen erwartet wurde. Was noch steht, kann dieses Wunder — so möchte ich es wir wollen, ist Gemeinsamkeit in der Sache. Der bezeichnen — jedenfalls nicht gelingen. Herr von Kollege Ehmke hat ein entsprechendes Angebot zu Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3243

Büchler (Hof) mehr Gemeinsamkeit bereits am 17. Mai 1979 im politisch manchmal auch ausnützen —, wie wir si- Deutschen Bundestag gemacht. cher morgen wieder hören werden. Das kann man (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: In der Praxis von den Konservativen in der Union mit Sicherheit haben wir davon nichts gemerkt!) nicht verlangen. Das ist das Grundmißverständnis bei Ihnen, um das es eigentlich geht. Allerdings ist es so, daß wir unsere Linie nicht zu verlassen brauchten — und brauchen —, wohinge- Zu Ende der 50er Jahre — das wissen Sie — ent- gen Sie eben diesen entsprechenden Schritt machen sprachen wir mit unserem klaren Bekenntnis zur at- müssen. lantischen Partnerschaft und zur Gemeinschaft der europäischen Staaten einem in unserem Volk weit (Zuruf von der CDU/CSU: Sie brauchten verbreiteten Sicherheitsbedürfnis. Was wir damals Ihre Linie nicht aufzugeben, weil Sie gar an Ihnen kritisierten, war die Tatsache, daß Ihre Si- keine hatten!) cherheitspolitik nicht die Ursachen der Unsicher- Um noch deutlicher zu machen, um was es geht: Wir heit, eben die Ursachen der Risiken beseitigte. Die meinen nicht quantitative Größen. Nach unserer Vertragspolitik mit den östlichen Nachbarn und der Auffassung ist es vielmehr erforderlich, die qualita- DDR setzt an den Wurzeln der Risiken unserer Si- tiven Unterschiede herauszukehren, die auf Grund cherheit an, unserer verschiedenen Rollen eben gegeben sind, so (Zuruf von der CDU/CSU) daß Sie die Regierungspolitik auch kritisch beglei- ten müssen. Schritt für Schritt die Gegensätze zwischen den bei- den Weltsystemen überbrückbar zu machen (Zuruf von der CDU/CSU: Vorhin haben Sie genau das verurteilt!) (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie ist aber Die Grenzen der Gemeinsamkeit werden nicht nicht sicherer geworden!) von den Koalitionsparteien, sondern von der Opposi- und die aus ihnen folgenden Risiken durch Zusam- tion bestimmt. Darüber gibt es auch gar keinen menarbeit, Vertrauensbildung, Gewaltverzicht und Zweifel. Denn zwischen konstruktiver Geisteshal- Abrüstung zu verringern und, wenn möglich, aufzu- tung und Diffamierung liegt ja nun das, was Ihre Po- heben. Das ist der Sinn dieser Politik. Damit kom- litik ausmacht und wie Sie sich im einzelnen bewe- men wir auch einem Sicherheitsbedürfnis unserer gen können. Als Herbert Wehner damals mit diesem Bevölkerung entgegen, das heute genauso vorhan- Wort von der konstruktiven Geisteshaltung unsere den ist. Dies müssen Sie erkennen, dies müssen Sie Rolle in diesem Hause umschrieb und zur redlichen sehen, daß Sie damals die Ostverträge abgelehnt ha- Bestandsaufnahme aufrief, gab es, wie es das Proto- ben, daß Sie gegen diese Sicherheit, daß Sie im koll verzeichnet, Beifall bei der CDU/CSU. Dies war Grunde genommen gegen den Abbau der Risiken also bezeichnend. waren. Das muß hier in den nächsten Tagen vom Herr Kollege Hoppe hat bei der Rede von Weiz- Tisch. säcker hier im Deutschen Bundestag zum Ausdruck (Beifall bei der SPD) gebracht: „Ich kann allerdings nur hoffen, daß die Opposition selbst bereit ist, die Positionen zu akzep- Wir wissen, daß die Deutschlandpolitik die neuer- tieren." Dasselbe muß ich heute fragen, ob die ge- lichen Belastungen und Spannungen ausgehalten samte Opposition bereit ist, die Positionen von hat. Ob sie ohne die Ergänzung durch die Vertrags- Herrn Lorenz hier zu akzeptieren. politik mit den östlichen Nachbarn getragen hätte, will ich persönlich bezweifeln. Man kann das durch- (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Wir sind aus bezweifeln, wenn man sich die ganze Lage be- so einig, wie Sie sich in der SPD nicht trachtet. Ob die Weltpolitik allein unter den verän- sind!) derten Bedingungen ohne ihre Ergänzung durch die Am 30. Oktober 1980 erklärte der Kollege Zimmer- Vertragspolitik mit den östlichen Nachbarn getra- mann in Kreuth: gen hätte, ist eine sehr spekulative Frage. Wir soll- ten über diese Frage wirklich nachdenken. Das Kon- Wir haben eine außenpolitische Bestandsauf- zept, das die sozialliberale Koalition 1969 vorgelegt nahme verlangt, die nach vorne gerichtet sein hat, berücksichtigt im wesentlichen diese Grundfra- sollte. gen der Politik. Dieses Konzept enthielt auch Un- Der Haken daran ist, daß der Kollege Zimmermann wägbarkeiten und Zielvorstellungen, deren Erfül- gleich hinzugefügt hat, ein Godesberg der Union lung nicht einmal langfristig absehbar ist. Um es würde es aber nicht geben. deutlich zu sagen: daß Sie alles das, was wir damals (Graf Huyn [CDU/CSU]: Brauchen wir auch an Politik investiert und vorgelegt haben — von uns gar nicht!) langfristig gemeint — immer wieder als schon ge- stern erfüllt fordern, ist eben unrealistisch. Da haben wir also wieder den alten Standpunkt. Nun gut, Godesberg sollten wir hier vielleicht herauslas- Diese Politik berücksichtigt aber auch die Grund- sen; denn Godesberg hat einen guten Ruf. unterschiede, die nicht überbrückbar sind, die nicht aufhebbar sind. Es geht darum, den Ausgleich der (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Interessen zu suchen, zu einer Analyse der unter- CSU) schiedlichen Interessenlage zu kommen, sich in den Aber hier haben wir es wieder: Selbstbesinnung mit Partner, die andere Seite hineindenken zu können ehrlicher Auseinandersetzung um den richtigen und zu versuchen, deren Motive zu verstehen. Ich Weg, wie es in meiner Partei Tradition ist — was Sie glaube, das ist eine Voraussetzung, mit der wir arbei- 3244 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Büchler (Hof) ten müssen. Wir sollten dann feststellen, wo die ge- dentisches Erbe, das Sie hochhalten! Mehr meinsamen Interessen liegen. Sie haben das heute können Sie nicht! — Beifall bei der SPD) ebenfalls gesagt, Herr Lorenz. Aber da ist, was ich stark genug, ohne ständige Besserwisserei Politik oft beklage, der Realitätsverlust in der Analyse und mit der DDR machen zu können. Wir haben auch im Operativen bei der Union nach wie vor vorhan- keine Berührungsängste. Das möchte ich unterstrei- den. Das sind die Sorgen, die uns hier begleiten. Wie- chen. Wir können mehr Zutrauen zu unserer eige- weit Sie die Deutschland- und die Berlinpolitik mit nen Position haben, und dazu möchte ich Sie auffor- uns gemeinsam aktivieren wollen, das werden die dern. Unsere freiheitlich-demokratische Verfas- nächsten Tage mit Sicherheit zeigen. Wir haben ein sung, unsere Demokratie ist die stärkere Kraft, und Grundkonzept. Das ist ein politisches, soziales, letz- sie ist für die Menschen das bessere System. Wenn ten Endes ein humanitäres Programm, gewachsen wir auf Dauer mit Augenmaß diese Politik verfolgen, wegen der Teilung unseres Landes, unseres Volkes. wie wir sie als Koalition angelegt haben, werden wir, Überall dort, wo es diese materielle, menschliche, so- so glaube ich, zum entsprechenden Ziel kommen. ziale, kulturelle Not zu mindern gilt, geht es uns dar- um, vorwärtszukommen. Es ist nicht gut, was Sie oft mit Ihren Anträgen machen. Ich möchte nur einen aus dem Auswärtigen Deswegen ist es bedauerlich, was aus dieser Pa- Ausschuß herausgreifen. Es geht um die Ächtung lette von Instrumenten, die wir 1970 geschaffen ha- der Todesstrafe. Entschließungstext: ben, geworden ist. In der Berlin-Förderung, in der Zonenrand-Förderung ist vielfach nur noch die Jagd Die Bundesregierung wird aufgefordert, weiter- nach Förderpräferenzen und Fördersätzen übrig- hin mit Nachdruck für eine Abschaffung der To- geblieben, und die tiefere politische Bedeutung, der desstrafe in allen Ländern der Erde einzutre- deutschlandpolitische Auftrag ist in den letzten Jah- ten. ren oft verschüttet worden. Das ist das Bedauerliche. Bei Ihrer Art, Politik zu machen, wollten Sie einfü- Dies wieder herauszubringen, muß unsere Aufgabe gen: „insbesondere in der DDR". sein. (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Da besteht (Beifall bei der SPD und der FDP) die Todesstrafe doch! Da besteht man doch Wer spricht denn heute noch von der brennenden auf der Todesstrafe!) Wunde, wie es Herbert Wehner 1953 — — Dies ist doch, so meine ich, nicht mehr mit einer ver- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie schrän nünftigen Politik vereinbar. Einfach lächerlich! So ken j a die Berlin-Fahrten ein!) kann man doch nicht argumentieren, wie Sie es tun. Sie sollten auch den Grundlagenvertrag nicht als — Da haben wir schon wieder das Problem. Das ist Hebel benutzen; es geht vielmehr darum, diesen genau die Frage, um die es geht, Herr Jäger. Sie ha- Grundlagenvertrag mit Leben auszufüllen. ben es doch nicht begriffen, worum es geht. (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: O sancta sim (Zurufe von der SPD) plicitas!) Ob dieses tiefe Gefühl noch vorhanden ist, das Her- Sanktionen und Hebel haben in der Politik noch nie bert Wehner so hervorragend formuliert und ausge- zu einem vernünftigen Ergebnis geführt. sprochen hat, danach frage ich doch. Ich kann es aus (Zustimmung bei der SPD) Zeitmangel nicht mehr zitieren. Das tut mir leid, weil dies wichtig wäre. Sie haben heute die Positionen der Bundesregie- rung, wie sie in der Antwort dargelegt sind, unter- (Zurufe von der CDU/CSU) strichen. Ich bin dankbar dafür. Dies ist eine ge- Sie können bei diesem langwierigen Prozeß der meinsame Grundlage, von der wir ausgehen können. Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen auf al- Aber das, was die Bundesregierung hier in dieser len Gebieten mit uns zusammenarbeiten. Bei der Drucksache niedergelegt hat, was sowieso unsere Überwindung der Schwierigkeiten in Berlin, bei gemeinsame Position darstellt, muß dann auch die Schwierigkeiten in den Grenzgebieten zwischen den Grundlage sein. Das zu diskutieren, glaube ich, lohnt - beiden deutschen Staaten, bei der lebendigen Erfül- sich. Deswegen habe ich die Bestandsaufnahme lung des Grundlagenvertrages, bei der Sicherung nicht vergessen. Wir sollten sie auch im Ausschuß des Lebens der Stadt Berlin, überall werden wir mit weiterführen. Sicherheit Ihre Mithilfe nicht ablehnen, sondern sie Finden wir uns auf diesem Nenner, wie ihn die entgegennehmen. Aber Sie sollten das unfruchtbare, Bundesregierung hier vorgezeichnet hat, meine sehr an allen Realitäten vorbeizielende Oberschulmei- verehrten Damen und Herren von der Opposition, stertum lassen, so meine ich. werden wir mehr in Bewegung setzen können, was Das Grundgesetz gibt uns klare Verpflichtungen allen Deutschen hilft. vor. Zu denen stehen wir nicht nur, sondern wir wol- (Beifall bei der SPD und der FDP) len sie auch mit Leben erfüllen. Ich fühle mich als freier Demokrat im freien Teil Deutschlands Präsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Abge- (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU — ordnete Ronneburger. von der Heydt Freiherr von Massenbach [CDU/CSU]: Sie sind Sozialdemokrat! — Gegenruf des Abg. Wehner [SPD]: Sie kön- Ronneburger (FDP): Herr Präsident! Meine Damen nen sich ja jeden Witz erlauben! Das ist stu und Herren! Ich möchte mit einem Zitat aus der Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3245

Ronneburger „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23. Juli be- Bundesregierung möchte ich gerne vor dem Hinter- ginnen. Ich bringe es deswegen, weil die Rede des grund sehen, daß in der Union, vornehmlich offen- Kollegen Lorenz tatsächlich für diejenigen, die in bar in der CDU, eine Debatte über die Neuorientie- dieser Bestandsaufnahme einen neuen Anfang gese- rung ihrer eigenen Ostpolitik geführt wird. Aber hen haben, eine Enttäuschung war. Die „Frankfurter diese Neuorientierung betrifft doch wohl nicht nur Allgemeine Zeitung" schreibt am 23. Juli: das Verhalten der Union in der gesamten Ostpolitik, sondern, wie ich meine, auch gegenüber der DDR. In der Deutschlandpolitik mußte man seit je die Eine gemeinsame politische Bestandsaufnahme, die Union zum Jagen tragen. redlich und ehrlich ist, kann aber nur dann Basis ei- Meine Damen und Herren, wenn jemand heute ner erfolgreichen Politik sein, wenn die Realitäten eine Chance versäumt hat, wenn jemand mit dieser in beiden deutschen Staaten und in Europa zur Großen Anfrage versäumt hat, den neuen gemeinsa- Kenntnis genommen werden und zur Grundlage der men Anfang zu finden, dann war es die Union und eigenen Analyse und des eigenen Handelns gemacht nicht die Bundesregierung mit ihrer Antwort. werden. (Beifall bei der FDP und der SPD — Jäger Herr Kollege Lorenz, eigentlich sollten Ihnen aus [Wangen] [CDU/CSU]: Sie lesen noch ein al der Anhörung im Innerdeutschen Ausschuß gestern tes Manuskript, Herr Ronneburger!) noch die Ausführungen eines Historikers in den Oh- Lassen Sie mich das mit einem Beispiel aus der See- ren geklungen haben, der davor gewarnt hat, Fiktio- fahrt belegen, auch wenn das vielleicht einige Kolle- nen aufrechtzuerhalten. Denn sie seien ein Hinder- gen aus Bayern, Herr Kollege Jäger, nicht so ohne nis auf dem Wege dazu, die gemeinsame Haltung in weiteres verstehen. der deutschen Frage auf beiden Seiten dieser von uns gemeinsam beklagten Grenze aufrechtzuerhal- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie haften ten. noch an einem alten Manuskript! — Weh- ner [SPD] zu Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ (Lorenz [CDU/CSU]: Welche Fiktion haben CSU]: Sie sind das beste Aushängeschild wir denn aufrechterhalten?) für die Richtigkeit der Ausführungen!) — Wir werden im Ausschuß noch über diese Aussa- Tatsächlich ist es so, Herr Kollege Jäger: Die Union gen von gestern sprechen und werden vielleicht ein- hat danach gefragt, welchen Kurs wir bisher zurück- mal auf die Frage zurückkommen, was denn eigent- gelegt haben. Sie hat danach gefragt, Herr Kollege lich Realität ist. Lorenz, wo unser Schiffsort heute ist. Aber sie hat Die Bundesregierung hat in aller Deutlichkeit in nicht danach gefragt, wie der Kurs abgesteckt wer- der Vorbemerkung zu der Antwort auf Ihre Große den soll, wie es denn weitergehen soll bei dieser ge- Anfrage die Rahmenbedingungen und Grundlagen meinsamen Politik. Und dies ist zu wenig. Sie kön- unserer Deutschlandpolitik noch einmal niederge- nen nicht die Antworten der Bundesregierung kriti- legt. Niemand, meine Damen und Herren von der sieren, weil Sie meinen, sie entsprächen nicht Ihren Opposition, verlangt von Ihnen einen ost- und Vorstellungen, da Sie eben nichts weiter verlangt ha- deutschlandpolitischen Canossagang. Aber was wir ben als eine Bestandsaufnahme, die eine nüchterne verlangen und was wir, glaube ich, verlangen kön- Bilanz mit Plus und Minus und soundsoviel Stellen nen, ist endlich eine klare Antwort auf die seit mehr hinter dem Komma sein sollte. als elf Jahren von der Koalition gestellte Frage, ob Worum es eigentlich gehen sollte ist doch dies: Wo- Sie denn das Angebot zur Zusammenarbeit auf der hin gehen wir denn — wenn es geht, gemeinsam — Basis der gegenwärtig existierenden Realitäten ak- weiter? Warum, Herr Kollege Lorenz, machen Sie zeptieren oder ob Sie das nicht tun. auch heute wieder den Fehler, daß Sie bei einer Be- (Beifall bei der FDP und der SPD — Lorenz wertung dieser Bilanz die Ziele, die wir alle gemein- [CDU/CSU]: Das haben wir immer wieder sam als endgültige Ziele erreichen wollen, mit dem gesagt, und das haben Sie immer wieder ab vergleichen, was erreicht ist. Ich würde Ihnen sagen: gelehnt! Jetzt lehnen Sie es wieder ab!) Vergleichen Sie doch endlich einmal das, was wir bis - — Herr Kollege Lorenz, lesen Sie bitte einmal nach, 1969 erreicht hatten, mit dem, was wir heute ha- was Sie auch heute wieder über mangelnde Lernfä- ben. higkeit der Koalition und, und, und gesagt haben. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Lorenz [CDU/CSU]: Herr Büchler hat es Dann kommen Sie zu einer Würdigung dessen, was aufgenommen, Sie lehnen es wieder ab, bisher in der Politik der Bundesregierung dieser Herr Ronneburger!) Koalition geschehen ist. Täuschen wir uns doch nicht über die Zusammen- (Clemens [CDU/CSU]: Und das ist die Zu arbeit! „Keine stille Teilhaberschaft" haben Sie ge- kunft?) sagt, so als ob es sich hier um die Ablehnung einer — Ja, wohin geht es denn? Zukunft, das ist die Frage. Kumpanei handele. Nein, Herr Lorenz, wenn wir so Und deswegen, Herr Kollege Lorenz, müssen Ihre nüchtern, wie wir im Ausschuß miteinander reden, Fragen um diesen Bereich ergänzt werden, und des- auch hier vor dem Plenum miteinander redeten, wegen, müssen wir uns gemeinsam überlegen, wo- (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Tun Sie hin es denn gehen soll. es doch bitte!) Diese heutige deutschlandpolitische-Grundsatzde- dann wäre diese Gemeinsamkeit näher, als sie es batte über die Große Anfrage und die Antwort der nach Ihrer Rede heute tatsächlich ist. 3246 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Ronneburger Ich hoffe sehr, daß es im Interesse der Menschen, helfen können, wenn wir endlich aufhören, den die in der DDR leben, der Deutschen drüben, mög- Staat in Frage zu stellen oder von der Fiktion auszu- lich ist, gemeinsam dafür einzutreten, daß die beste- gehen, es gebe einen politischen Unterschied, ob henden und von niemandem bestrittenen Probleme man von den beiden deutschen Staaten oder den bei- der Deutschlandpolitik bewältigt werden, daß die er- den Staaten in Deutschland spricht, Herr Kollege reichten Verbesserungen aber konsequent genutzt von Wrangel? Wir sollten das endlich aufgeben. Wir und nicht gegenüber Unerfüllbarem und nicht Reali- sollten uns doch darüber einig sein, daß der Staat sierbarem abgewertet werden. Ich hoffe auch, daß DDR, dessen demokratische Legitimation nicht un- die Verhandlungen mit der DDR nüchtern einge- seren Vorstellungen entspricht schätzt und nicht durch eine Überschätzung unserer Position erschwert werden, ferner, daß den beste- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist aber vor- henden Schwierigkeiten, die ja nicht das Ergebnis sichtig ausgedrückt!) der Politik dieser Bundesregierung sind, sondern die und dessen Politik — ich sage das ganz deutlich — in dem von Anfang an schwierigen Verhältnis der mit unseren Grundsätzen von Demokratie, von Frei- beiden deutschen Staaten zueinander ihre Begrün- heit, von Menschenwürde nicht vereinbar ist, für die dung haben, mit Selbstvertrauen, mit Mäßigung, mit Bürger der DDR schlichte tägliche Realität ist Beharrlichkeit und Berechenbarkeit begegnet wird. Ich hoffe auch, daß nicht durch die Summierung ne- (Graf Huyn [CDU/CSU]: Nicht „schlichte", gativer Einzelbeispiele der Weg, der sich grundsätz- sondern schlechte Realität!) lich als richtig erwiesen hat, verlassen wird. und daß er es deshalb auch in unseren Überlegun- (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Wovon gen sein muß. reden Sie denn eigentlich, Herr Ronnebur Niemand kann heute ernstlich bestreiten, daß wir ger? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) bei der konsequenten Beschreitung dieses Weges — Ich äußere meine Meinung zu den Fragen, vor de- für die Menschen in beiden deutschen Staaten Be- nen wir stehen, und hoffe, daß wir diese Gemeinsam- achtliches haben erreichen können. Keiner hat sich keit, wenn sie denn besteht, auch realisieren kön- Illusionen darüber gemacht oder wird sich Illusio- nen. nen darüber machen können, daß wir immer wieder (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Sie re mit Rückschlägen zu rechnen haben. Aber genauso den doch über etwas, was es gar nicht bin ich davon überzeugt, daß wir durch Härte oder gibt!) Überheblichkeit bisher keine Lösungen erreicht ha- ben. Nur durch ernsthaftes, Herr Kollege Lorenz, Im Interesse der Menschen und der Sache möchte und geduldiges Bemühen werden wir auch in Zu- ich noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, kunft in der Lage sein, auch gegensätzliche Interes- daß gerade in der gegebenen weltpolitischen Situa- sen in Abkommen oder Vereinbarungen zum Aus- tion doch wohl von allen Fraktionen des Hauses er- gleich zu bringen. Und wenn Sie gesagt haben, wartet werden muß, daß wir uns auch mit den Argu- schnelle Erfolge seien nicht zu erwarten, dann soll- menten und den Schwierigkeiten der Regierung der ten Sie diese schnellen, diese spektakulären Erfolge DDR zwangsläufig befassen müssen. Das heißt kon- auch nicht von der Bundesregierung und ihrer Poli- kret, daß wir nur dann weiterhin erfolgreich sein tik erwarten und sollten das Nichtdurchsetzen können, wenn wir unsere eigenen Interessen, unsere schneller Lösungen auch nicht als Vorwurf an die Zielsetzungen sorgfältig definieren und im eigenen Bundesregierung richten. Deshalb ist nach meiner Handeln berücksichtigen, daß wir aber auch den Überzeugung die immer wiederholte These, Vorbe- Versuch unternehmen, den Standpunkt des Ver- dingungen müßten erfüllt sein, ein leichter und viel- handlungspartners, seine Ziele, seine Positionen, leicht sogar in bestimmten Bereichen publikums- unter Umständen sogar die Punkte, an denen beson- wirksamer Versuch — — dere Empfindlichkeiten oder Schwierigkeiten zu er- warten sind, genau zu analysieren und unseren eige- (Von Wrangel [CDU/CSU]: Sie haben doch nen Forderungen gegenüberzustellen. Ich meine nicht zugehört, was Herr Lorenz gesagt nicht, daß wir damit vor lauter Definieren -oder Tak- hat!) tieren zu einem Zustand kommen sollten, der durch möglicherweise ständiges Warten zu einer Lähmung — Aber nehmen Sie doch, Herr Kollege von Wran- unserer eigenen Politik führt. gel, einmal bitte das, was in die jüngste Vergangen- heit hinein in Presseerklärungen gesagt worden ist. Ebenso schädlich für die von der Trennung betrof- Da sind doch diese Vorbedingungen immer wieder fenen Menschen in beiden deutschen Staaten ist je- von Ihrer Seite gefordert worden. Habe ich denn doch die Argumentation vieler Unionspolitiker, die nicht das Recht, diesen Argumenten, auch wenn sie Bundesregierung dürfe der Regierung der DDR Ge- außerhalb dieses Hauses geäußert worden sind, ent- spräche über den Zusammenhang der Beziehungen gegenzutreten? und über alle beiden Seiten interessierenden Fragen nicht ohne Vorbedingungen anbieten. Wir fordern (Beifall bei der FDP und der SPD) auf der einen Seite die DDR auf, keine Vorbedingun- Ich bin wie bei vielen anderen Themen auch z. B. bei gen zu nennen, und haben uns gemeinsam gegen die der Frage nach der Höhe des Zwangsumtausches Forderungen der Geraer Rede Honeckers ge- davon überzeugt, daß dies noch immer stimmt, näm- wandt. lich daß die Wiederherstellung des alten Mindest- Aber sollten wir nicht endlich zur Kenntnis neh- umtauschsatzes, zur Vorbedingung eines Gesprächs men, daß wir den Menschen in der DDR nur dann gemacht, sinnlos ist. Man erreicht allenfalls das Ge- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3247

Ronneburger genteil des Gewünschten, weil es zu den Gesprächen Eine Bemühung um diese Lockerung und langfri- nicht kommt. stige Überwindung der Trennung des deutschen Volkes führt zwangsläufig zu der Frage, und dies ist Auch im Hinblick auf die Tatsache, daß in einigen für mich die wichtige Ausgangsposition auch bei der Monaten der Bundeskanzler mit dem DDR-Staats- Frage nach Gemeinsamkeiten, ob es zwischen den ratsvorsitzenden zusammentreffen wird, sollte jeder Regierungen der beiden deutschen Staaten einer- bedenken, daß es darum gehen wird, einen für beide seits und den Deutschen in Ost und West anderer- Seiten tragfähigen Kompromiß in den anstehenden seits gemeinsame deutsche Interessen gibt. Fragen zu finden, ohne dem Gesprächspartner einen Gesichtsverlust zumuten zu wollen. Für diese Ge- Ich würde den innerdeutschen Handel dabei nicht spräche, die notwendig und überfällig sind, sind aber aus dem Auge lassen, und ich würde, Herr Kollege die Hinweise belastend, wie sie auch, Herr Kollege Lorenz, diese Fragen nicht zu sehr nur auf die Mög- von Wrangel, bis in die jüngste Zeit hinein von seiten lichkeiten finanzieller Leistungen unserer Seite ge- der Opposition geäußert worden sind. genüber der DDR beschränken. Ich habe — ich muß Ihnen das noch einmal sagen, (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das hat Herr Kollege Lorenz — mit großen Bedenken gele- er doch gar nicht gesagt! Sie haben nicht zu sen, was Sie in Ihrer Pressekonferenz am 22. Juli ge- gehört! — Weitere Zurufe von der CDU/ äußert haben: Bonn habe die DDR bisher zu sehr er- CSU) muntert, gegebene Zusagen wieder zurückzuneh- — Doch! Dies nun hat er gesagt, Frau Berger. Dann men, um sich dann erneut weitere Leistungen ab- lesen Sie bitte nach! kaufen zu lassen. Dieser Handel ist ein Bereich, der auch zukünftig (Graf Huyn [CDU/CSU]: So ist es doch! Das Chancen und Möglichkeiten zur Überwindung von sind Tatsachen! — Weitere Zurufe) Hindernissen zwischen beiden deutschen Staaten Ich glaube nicht, daß diese Unterstellung der erste bietet. In Zeiten, in denen wirtschaftliches Wachs Schritt zur Gemeinsamkeit sein kann. um schwieriger geworden ist, hat der deutsche Han- del mit seinem Volumen und seinen Wachstumsten- (Beifall bei der FDP und der SPD) denzen eine große Bedeutung. Für mich sind die Reise des Bundeskanzlers und die Aber ich möchte auf einen anderen Bereich ge- laufenden Kontakte mit der DDR ein bundesdeut- meinsamer Interessen nachdrücklich hinweisen, wo scher Beitrag dafür, den Frieden in Europa zu erhal- es um existentielle Fragen des deutschen Volkes ten und zugleich die Lebensbedingungen für die geht. Die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges haben Deutschen, die in der DDR leben, zu verbessern. es mit sich gebracht, daß beide deutsche Staaten je- Die Frage, der wir uns deshalb zu stellen haben, ist weils wichtige Mitglieder unterschiedlicher Vertei- die, ob es uns in den letzten Jahren gelungen ist, den digungs- und Wirtschaftsbündnisse sind. Trotz die- Frieden sicherer zu machen, zur Verbesserung der ser Einbindung in bestehenden Systemen haben Lebensbedingungen beizutragen, die bestehenden beide deutsche Staaten die Verpflichtung, innerhalb Kontakte zwischen den Menschen in beiden Teilen dieser Bündnisse für die Bewahrung des Friedens in Deutschlands zu verstärken und damit die Zusam- Mitteleuropa und in der Welt zu wirken. Sowenig mengehörigkeit der Deutschen auch in beiden deut- beide deutsche Staaten auf eigene Faust Krieg füh- schen Staaten zu stärken. Es steht für mich, meine ren können oder wollen, sowenig sind sie allerdings Damen und Herren von der Opposition — Sie wer- auch in der Lage, auf sich selbst gestellt den Frieden den protestieren —, außer Frage, daß die Bilanz die- zu sichern. Sie müssen deshalb in diese Systeme ei- ser Bemühungen eindeutig positiv ist. gene, sicher unterschiedlich zu wertende Leistungen einbringen. Sie müssen sich -- und dies gilt mit Theo Sommer — Sie werden ihn mir vielleicht ab- voller Überzeugung auch für uns im nordatlanti- nehmen — hat diese Politik der Bundesregierung schen Verteidigungsbündnis — aber auch auf den wie folgt, wie ich meine: treffend, charakterisiert: Halt verlassen, den ihnen ihre jeweiligen Verbünde- Die Ostpolitik gründete auf einer Einsicht,--t zu ten bieten. der sich die meisten Deutschen nur sehr (Graf Huyn [CDU/CSU]: Das können Sie schmerzlich durchrangen, daß nämlich die Wie- doch nicht gleichsetzen!) dervereinigung ferner lag denn je, daß im nu- klearen Zeitalter der Frieden wichtiger ist als Was die Bundesrepublik Deutschland angeht, die Gerechtigkeit und daß, wo die Teilung schon kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß es nicht überwindbar war, sie wenigstens verwind wohl vor allem die Bundesregierung in den vergan- bar, genen Monaten gewesen ist, die sich unablässig, be- harrlich und erfolgreich um den Wiederbeginn des (Zuruf von der CDU/CSU: Ein toller Satz! — Dialogs der Supermächte bemüht hat. Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Ein gefährli cher Satz!) (Beifall bei der FDP und der SPD) Es ist vor allem dem Bundeskanzler und dem Bun- — ich zitiere Theo Sommer — desaußenminister zu danken, daß z. B. ein Ziel wie in ihren Folgen gemildert werden mußte. Wenn das der Nulloption bei den Mittelstreckenraketen sich die Spaltung der Nation nicht beenden ließ, Gegenstand internationaler Verhandlungen und sollte mindestens die Trennung des Volkes ge- Zielsetzungen unter Akzeptierung durch unseren lockert werden. Partner USA geworden ist. 3248 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Ronneburger Hier zeigen sich gemeinsame deutsche Interessen treten, daß die vorhandenen Stränge und Verbin- und die Verantwortungsgemeinschaft der Deut- dungen nach Osten verstärkt werden, aber nicht nur schen, von der gestern in der Anhörung auch die durch Reden, sondern durch aktives Mitgestalten. Rede war, eine Verantwortungsgemeinschaft nicht Das gilt sowohl für die Anwendung der Schlußakte nur für das, was in der Vergangenheit war, sondern von Helsinki als auch für Rüstungskontroll- und Ab- auch für das, was in der Zukunft kommen wird. rüstungsverhandlungen wie auch für wirtschaftli- (Beifall bei der FDP und der SPD) che Kooperationen. Dabei wissen wir sehr genau, daß beide deutsche Das bedeutet aber auch, daß wir uns — nur immer Staaten unterschiedliche Möglichkeiten haben, in- in Erkenntnis der Grenzen, die diesen Bemühungen nerhalb der NATO oder des Warschauer Pakts ihren gesetzt sind, weil dies nicht nur unsere Entschei- Einfluß geltend zu machen. Jedoch sollten wir uns dung ist — noch stärker als in der Vergangenheit auch davor hüten, die Stellung der DDR zu unter- darum bemühen müssen, den Vertrag über die schätzen. Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten mit mehr Leben zu erfüllen als Ich warne uns alle auch vor der Illusion, die Regie- bisher. Auch und gerade an die Adresse der DDR- rung der DDR sei nicht allzu gern bemüht, die in der Regierung sei hier noch einmal ausdrücklich gesagt, Bundesrepublik Deutschland stattfindende Frie- daß überzogene Statusforderungen, Forderungen, densdiskussion vor ihren eigenen Karren zu span- die etwa auf eine Änderung des Grundlagenvertrags nen. Wir sollten dies wissen und im Hinterkopf ha- hinauslaufen, kein Weg sind, um zu tragbaren Kom- ben, auch wenn wir die Gespräche mit ihr führen. promissen zu kommen. Aber die DDR sollte auch hier — und da stimme ich Herrn Kollegen Lorenz ausdrücklich zu — auf (Lorenz [CDU/CSU]: Sehr richtig!) der Hut sein. Denn innenpolitisch muß die Regie- So eindeutig wir unsere Anstrengungen verstär- rung der DDR hier an zwei Fronten kämpfen. Zum ken müssen, den deutsch-deutschen Dialog zu bele- einen ist es offenbar nicht mehr möglich, die Ent- ben, so groß müssen aber auch unsere Anstrengun- wicklung in Polen auch in der DDR totzuschweigen. gen sein, meine Damen und Herren, die deutsche Die Kommentare werden krasser und strenger. Frage in der Bundesrepublik Deutschland selbst Zum anderen ist auch die Regierung der DDR of- wachzuhalten, offenzuhalten. Ich meine, daß sich in fenbar nicht in der Lage, ernstzunehmende Reaktio- allerjüngster Zeit die Anzeichen dafür mehren, daß nen der eigenen Bevölkerung völlig auszuklammern auch die Generation, die nach dem Krieg geboren ist, oder zu ignorieren. Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht nur nach Westeuropa blickt, sondern auch in zu, Herr Kollege: Die Erhöhung des Zwangsumtau- Richtung DDR und Polen. Gerade die polnischen Er- sches hat zu einer Negativreaktion der Bevölkerung eignisse haben offenbar diesen jungen Menschen der DDR gegen ihre eigene Regierung geführt. Die gezeigt, daß Europa nicht an der Oder-Neiße endet Deutschen in der DDR haben dies nicht etwa als und Deutschland nicht an der Elbe. Aber je länger eine Maßnahme empfunden, die gegen uns gerichtet die deutsche Teilung dauert, je klarer uns wird, daß war, sondern haben sie als gegen sich selbst gerich- ihre Überwindung, die unser gemeinsames letztes tet ausgelegt. Ziel ist, mehr Zeit erfordern wird, als wir an ihrem Beginn glaubten erwarten zu müssen, und je schwie- In den Kirchen der DDR hat eine breit angelegte riger und undeutlicher damit Prognosen über Zeit- Debatte über den Wehrdienst und über weiterge- punkt und Umstände der Vollendung der Einheit hende Ersatzmöglichkeiten, als es der Dienst in Bau- Deutschlands werden, desto dringlicher wird die einheiten ist, um sich gegriffen. Wir sollten mit unse- Aufgabe, gerade gegenüber der jungen Generation ren Bemerkungen über Friedensbewegung -en ge- diese Einheit nicht nur mit Argumenten der Vergan- rade dann, wenn wir uns der Kirche aus parteipoliti- genheit, nicht nur mit dem Ziel der Wiederherstel- scher Orientierung oder aus persönlicher Orientie- lung einmal gehabter staatlicher Zustände, sondern rung besonders verbunden fühlen, die Situation der vor allen Dingen neben politischen Tagesmaßnah- Kirche in der DDR und ihre Bemühungen um Frie- men aus einer Wertung geschichtlicher Entwicklun- den nicht erschweren, indem wir hier über- Friedens- gen und ihrer Wirkung in Gegenwart und Zukunft bewegungen und Friedensdiskussionen allzu zu begründen. schnell und allzu leichtfertig urteilen. Die Art, in der die DDR die deutsche Geschichte (Beifall bei der FDP und der SPD) zur Konstruktion eines eigenen Staatsbewußtseins Erfolge für die Menschen in beiden deutschen zu benutzen sucht, zeigt jedoch sehr deutlich die Staaten können machbar werden, wenn gemein- Möglichkeit des Mißbrauchs von Geschichte und Ge- same deutsche Interessen in Ost und West vertreten schichtsbewußtsein — übrigens eine Möglichkeit, werden und wenn sie durch Verhandlungen und meine Damen und Herren, die wir aus den Jahren Verträge, durch die Schaffung von gegenseitigem 1933 bis 1945 ja nur zu genau kennen. Vertrauen und Zusammenarbeit und durch die wei- tere Gestaltung des Friedens gemeinsam betrieben (Dr. Hennig [CDU/CSU]: Das wird Herr Ho werden. Die Stabilität in Mitteleuropa, die insbeson- necker gern hören!) dere auch auf die Beziehungen zwischen den beiden Uns jedoch scheinen Ereignisse und Namen der deutschen Staaten zurückgeführt werden kann, Geschichte unseres Volkes, die bis heute hin wirken, macht heute eine Fortsetzung der Entspannungspo- nicht die These von der Teilung Deutschlands, son- litik notwendig. Wer den betroffenen Menschen in dern die von seiner Einheit zu begründen. Wenn wir der DDR und in Polen helfen will, der muß dafür ein bei allem, was wir an Tagespolitik betreiben, auch Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3249

Ronneburger diese Aspekte mit im Auge haben, wenn wir uns um Darum nehmen Sie es mir nicht übel, meine Da- diese Fragen kümmern, dann, so meine ich, sollte es men und Herren, wenn ich erneut sage, daß diese In- uns gelingen, auch der jungen Generation die deut- teressen- und Lageeinschätzung nicht stimmt. Trotz sche Frage, das Streben nach der deutschen Einheit des unannehmbaren Rückgangs im Reise- und Be- verständlich zu machen und als ein wichtiges Ziel suchsverkehr seit der Neuregelung des Mindestum- erscheinen zu lassen. Ich hoffe, daß wir dies bis hin tausches vom Oktober vergangenen Jahres: in die Tagespolitik gemeinsamer tun können, als das vielleicht an dem einen oder anderen Punkt bisher (Graf Huyn [CDU/CSU]: Aha!) sichtbar geworden ist. — Ich danke Ihnen. Die innerdeutschen Beziehungen befinden sich we- (Beifall bei der FDP und der SPD) der auf dem Tiefstand noch in einer Sackgasse. Das sage ich, weil es so ist. Wer die Materie und den Be- reich kennt, um den es da geht — nur mit solchen Präsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Bundes- kann man leider sachlich darüber sprechen —, muß minister für innerdeutsche Beziehungen. in seiner Beurteilung auch zu demselben Ergebnis kommen. Franke, Bundesminister für innerdeutsche Bezie- Was Tiefstand und Sackgasse im innerdeutschen hungen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereich wirklich bedeuten, kennen wir von den 60er Gegenstand dieser Debatte ist die Antwort auf eine Jahren her. Ich bin sicher, man wird niemanden, der Große Anfrage der Oppositionsfraktion mit dem Ti- sich auskennt, finden, der auch nur auf die Idee tel „Umfassende Bestandsaufnahme in der Deutsch- käme, die damaligen Zustände mit den heutigen landpolitik". gleichzusetzen. Inzwischen ist nämlich wirklich Ent- Wer durch die 70er Jahre hindurch die deutsch- scheidendes passiert. landpolitische Diskussion verfolgt hat, der weiß, daß an Informationen, auch an aufbereiteten und dem Der Auseinanderentwicklung im geteilten Interessierten jederzeit zugänglichen Informatio- Deutschland ist Einhalt geboten worden. Eine Reihe nen, kein Mangel ist. Die wichtigsten dieser Infor- von Anomalien im Verhältnis zwischen den beiden mationen haben wir in unserer schriftlichen Ant- deutschen Staaten, welche die Menschen belasten, wort noch einmal aufgezählt, um das Bild abzurun- konnten abgebaut werden. Die Kontakte zwischen den und um noch einmal Hinweise — auch mit Quel- den Bürgern in Ost und West sind um ein Mehrfa- lenangaben — zu geben, damit es wirklich jedem ches gesteigert und erheblich erleichtert worden. ernsthaft Suchenden möglich ist, seinem Bedarf Schließlich ist als Ergebnis betont hervorzuheben: nachzugehen. Die Lage Berlins konnte entscheidend verbessert werden. Es muß also wohl einen anderen Grund als Man- gel an Informationen haben, wenn die Opposition (Beifall bei der SPD und der FDP) bei der gegebenen Materiallage nach einer weiteren Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik ver- Das alles ist Resultat sozialliberaler Deutschland- politik in den hinter uns liegenden 12 Jahren — langt. Die Opposition selbst begründet dies folgen- dermaßen: Die Deutschlandpolitik sei infolge der nachprüfbar und den Menschen hüben wie drüben Abgrenzungspolitik der DDR-Führung auf einem wohl bewußt. gefährlichen Tiefpunkt angelangt. Nun müßten alle Allerdings wird niemand verkennen wollen, daß politischen Kräfte zusammenwirken, um aus der ge- die deutschlandpolitische Lage seit dem Herbst des genwärtigen innerdeutschen Sackgasse wieder her- vergangenen Jahres in der Tat eine deutliche Verän- auszukommen. derung erfahren hat. Diese Veränderung findet ih- Meine Damen und Herren, nehmen Sie es mir ren Ausdruck einmal in der Mindestumtauschrege- nicht übel, aber Ihre Lageeinschätzung stimmt we- lung, zum anderen in der Überbetonung von streiti- der zum jetzigen Zeitpunkt, noch hat sie im Früh- gen Grundsatzpositionen durch die DDR. Für jeden j ahr gestimmt. sichtbar ist damit die DDR-Führung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf Distanz gegangen. - (Graf Huyn [CDU/CSU]: Haben Sie das im Für jeden ist aber ebenso ersichtlich, warum das ge- mer noch nicht erkannt?) schehen ist: aus Gründen, die nicht im innerdeut- — Meinen Sie, daß ich darauf antworten sollte? schen Verhältnis liegen, sondern aus dem interna- (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) tionalen Umfeld auf das innerdeutsche Verhältnis einwirken. — Nein, es hat keinen Zweck. Ich versuche doch, es sachlich darzustellen. Herr Kollge Huyn, Sie sind ja Sosehr ich die Sorge verstehe, j a teile, daß das in- nicht einmal in der Lage zuzuhören. Sie sind doch nerdeutsch Erreichte dadurch gefährdet werden mit vorgefaßter Meinung bierhergekommen. könne, so sehe ich doch keinen Grund, von unserer langfristigen Zielsetzung und damit von unserer (Zustimmung bei der SPD) Konzeption abzugehen und zu der früheren Verfah- Großartige Ansätze, um zur Gemeinsamkeit zu kom- rensweise zurückzukehren, nämlich auf Worte und men! Lassen Sie mich doch bitte das entwickeln, was Taten der anderen Seite bloß zu reagieren. Nach ich dazu zu sagen habe. Vielleicht bahnt sich etwas meinem Eindruck ist denn auch der wahre Grund an. Aber ich bin inzwischen nicht verwöhnt, und ich für das Verlangen der Opposition nach Bestandsauf- zweifle fast daran, daß es ernst gemeint ist. Lassen nahme die eigene Unsicherheit in bezug auf das Not- Sie es uns einmal versuchen. wendige, der Wunsch, den Standort der Opposition 3250 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Bundesminister Franke der Koalition als Haltung in der Deutschlandpolitik lich ohne Scheu auf beiden Seiten begrüßen. Denn aufzuerlegen. eventuelle Übereinstimmung — ich sage: eventuelle (Zuruf von der CDU/CSU: Aber, aber!) Übereinstimmung — gäbe ein Stück unwiderspro- chener, verläßlicher Orientierung für alle, die von Wir sehen sehr wohl, meine Damen und Herren, uns allen hier ein klärendes Wort erwarten. daß dieser Wunsch innerhalb der Oppositionsfrak- tion und der sie tragenden Parteien nicht gleichmä- (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Genau ßig ausgeprägt ist, um es schonend zu sagen. So das ist es!) drängt sich dem Beobachter der Eindruck auf, daß Ich lade Sie ein, dabei mitzumachen. die Nähe zu den konkreten Problemen Berlins of- fenbar besonders geeignet ist, Verständnis für die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der deutschlandpolitische Linie der Regierungskoali- FDP) tion zu wecken. Ich denke, ich brauche das gar nicht am Namen festzumachen. Ich möchte nur das auf- In diesem Sinne nehme ich die Gelegenheit wahr, greifen, was hier heute morgen schon einmal gesagt meine verehrten Damen und Herren von der Oppo- worden ist: Anspruch und Realität fallen weit aus- sition, zu einigen Themen Stellung zu nehmen, die einander. Ich greife das gern auf, um gerade Sie dar- teils in der Großen Anfrage angeschnitten, teils in auf anzusprechen. Ich freue mich, feststellen zu kön- der jüngsten Zeit in der Öffentlichkeit erörtert wor- nen, daß erst dann, wenn man in der Praxis mit den den sind. Dingen zu tun hat, die Einsicht zu wachsen scheint, Ich weiß von vielen, daß sie über das Ergebnis ei- die wir schon seit zwölf Jahren haben und der wir ner Umfrage, zum Thema „Nation", das kürzlich in auch folgen. einer Fernsehsendung bekannt wurde, beunruhigt, Andererseits, meine Damen und Herren, sind ja entsetzt sind. Das Ergebnis besagte, daß knapp manche Fragen der Großen Anfrage so angelegt zwei Drittel der befragten Bundesbürger — es wa- bzw. entstammen einem Geist, daß sie Zweifel wek- ren genau 64,4 % — die Frage: „Sind wir noch eine ken, ob Verständnis und Einsicht wirklich schon die Nation?" verneinten. Nur etwas mehr als ein Drittel, Oberhand gewonnen haben. Dennoch: Das Ganze ist 35,7 % der Befragten, beantwortete die Frage zustim- ein für die deutsche Politik wichtiger Vorgang. Nie- mend. mand kann mehr als der Minister für innerdeutsche (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja ein tol Beziehungen wünschen, daß er Früchte trägt. Aller- ler Erfolg!) dings: Förmlich über die Hürde tragen kann der Mi- nister für innerdeutsche Beziehungen Sie, meine Was können wir daraus ersehen? Meines Erachtens Damen und Herren von der Opposition, auch nicht. nur — und ich sage das nicht einfach so aus dem Da rüberkommen, die Hürde überwinden, das müs- Handgelenk —, daß viele Bundesbürger Nation sen Sie aus eigener Kraft und Einsicht schon mehr oder minder mit Staat gleichsetzen. Legt man selbst. nämlich denselben Befragungspersonen die Frage (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist vor, ob sie die Menschen in der DDR für Deutsche doch nicht zu fassen!) gleich ihnen selbst oder für Ausländer halten, so sieht das Ergebnis ganz anders aus. Bei dieser Fra- — Doch, das müssen Sie fassen, sehr verehrte Frau gestellung ist die weitaus überwiegende Mehrheit Kollegin Berger. — Ich kann hier nur wiederholen, der Ansicht: Die Menschen in der DDR sind natür- was ich schon vor knapp einem Jahr in Berlin gesagt lich Deutsche wie wir und natürlich keine Auslän- habe: Nach meinem Gefühl kommt es nicht darauf der. an, dem verbreiteten Bedürfnis nach Harmonie wie- der und wieder ein Stück Beruhigungszucker mit Dieses Ergebnis kann nur den erstaunen, der kei- verbalen Versicherungen, gemeinsamen Urteilen nerlei Kontakt zu dem Denken und Fühlen seiner und Wünschen zu verabreichen. Viel, j a eigentlich Mitbürger hat. Um so bedauerlicher ist die Verwir- das Wichtigste wäre schon gewonnen, wenn wir hier rung, die über das Fernsehen in den Köpfen und Ge- und draußen zu einem veränderten Debattenstil, zu mütern angerichtet wurde, noch dazu mit einem wis- einem Stil vermehrten gegenseitigen Vertrauens- senschaftlichen Anstrich. Ich muß sagen: Ich be- und größter Fairneß finden würden. dauere das wirklich sehr, vor allem, wenn ich an die gewiß sehr zahlreichen Zuschauer in der DDR den- (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Rich ke, die keine Gelegenheit haben, in Gesprächen mit tig!) ihren Landsleuten hier in der Bundesrepublik nach- Dafür setze ich mich seit vielen Jahren ein; das kann zuprüfen, was von solchen Ergebnissen zu halten mir niemand abstreiten. Ich bitte Sie darum, diesen ist. Weg mitzugehen. Dann läßt sich auch manches sach- lich besprechen. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Dann halten Sie sich auch daran!) Meine Damen und Herren, sehen Sie: Es gibt doch Dinge rein sachlicher Natur, und ich habe mich im- Nur, bisher war das anders. mer bemüht, mit meinen Freunden aus der sozialli- Dabei ist es nicht einmal unbedingt notwendig, beralen Koalition so Politik zu betreiben und nicht das größtmögliche Maß an Übereinstimmung zu er- anzuklagen und nur zu fordern, eben vielmehr zu zielen; Unterschiede bleiben. Die Übereinstimmung versuchen, auf realistischer Grundlage für die Men- aber, die sich herausstellen wird, sollten wir tatsäch schen Erfolge zu erringen. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3251

Bundesminister Franke Allerdings muß ich auch eine Mahnung an unsere müssen wir das mit Nein beantworten. Ist unsere eigene Adresse, an die bundesdeutsche Seite, folgen Haltung wirklich so ganz frei von Selbstgerechtig- lassen: Seitdem wir förmliche Beziehungen und ein keit? Vertragsverhältnis zur DDR unterhalten, verfügen Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir nun wir über ungleich bessere Möglichkeiten und Gele- ein paar Anmerkungen zum Thema Abgrenzung, genheiten, unsere Solidarität mit den Deutschen in das j a auch in der Großen Anfrage angeschnitten ist. der DDR praktisch zu bewähren und nicht nur ver- Im August waren es 20 Jahre her, daß die DDR die bal zu bekunden. Vielleicht ist das auch ein Grund Mauer in Berlin errichtete. Wir sehen in der Mauer dafür, daß, jedenfalls aufs Ganze gesehen, die Zahl ebenso wie in den übrigen Grenzanlagen der DDR der feierlichen Sonntagsreden mit großen patheti- das Symbol der Abgrenzung schlechthin, und das ist schen Worten zurückgegangen ist. Die Gefahr, der richtig. Richtig ist wohl auch nach wie vor: Die Bun- hohlen Phrasen überführt zu werden, ist heute un- desrepublik kann die DDR nicht an der Abgrenzung gleich größer als früher. hindern, wie sie in der Berliner Mauer ihren weltbe- Bei Licht besehen war es erst die Deutschlandpoli- kannten Ausdruck gefunden hat. Was aber die Bun- tik der sozialliberalen Koalition, welche die Solida- desregierung tun kann, ist, die Regierung der DDR rität mit den Landsleuten in der DDR zu einer prak- durch eine geduldige Politik des Interessenaus- tischen Aufgabe gemacht hat. Das heißt aber auch, gleichs immer wieder Anreize zu bieten, die Politik die Solidarität bewährt sich entweder in der Praxis, der Abgrenzung zu überprüfen bzw. zu lockern. oder sie ist nichts wert. Damit ist ein Anspruch ge- (Vorsitz : Vizepräsident Dr. h. c. Leber) setzt, dem niemand von uns ausweichen darf. Die- sem Anspruch zu genügen ist aus einer Reihe von Das ist im letzten Jahrzehnt bekanntlich geschehen Gründen nicht einfach. Diese Gründe hängen viel- und hat allen Unkenrufen über die theoretische Un- fach mit dem Staat DDR zusammen, damit, wie er vereinbarkeit von Abgrenzung und Entspannung sich darstellt, was er für seine Bürger leistet, wie er zum Trotz zu vorzeigbaren Ergebnissen geführt. seine Bürger behandelt. Die Wissenschaft spricht Aber nicht nur das. Diese Ergebnisse haben sich von den Asymmetrien zwischen der DDR und der zu Besitzständen der Bürger verfestigt und werden Bundesrepublik. Diese Asymmetrien wirken, wie je- als Anspruch gegenüber der Politik geltend ge- der weiß, zu unseren Gunsten. Im Vergleich zu uns macht. Das spüren die Politiker hier bei uns, aber befindet sich die DDR vielfach im Nachteil. durchaus nicht weniger auch drüben — wie mir Wenn wir uns in dieser Situation nun auch noch scheint, spüren es auch manche Kollegen in der Op- das Reiten von Prinzipien gestatten, so ist der Raum position. Mit anderen Worten: Alle Abgrenzung der für praktische Regelungen schnell verbaut. Lassen DDR hat nicht verhindern können, daß heute die in- Sie mich ein konkretes Beispiel nennen. Ich weiß, nere Normalisierung der DDR, ihre Stabilität mehr daß ich damit ein heißes Eisen anrühre. Und den- denn je abhängen von der ungestörten Fortsetzung noch müssen wir uns, wenn wir von Realitäten aus- der Entspannungspolitik, nicht zuletzt wegen deren gehen wollen, damit befassen. Ich meine die Grenz- wirtschaftlichen Auswirkungen. regelung an der Elbe. Ob dieses Problem objektiv zu Wenn wir das einsehen, werden wir auch die Er- lösen ist, stehe dahin. Aber ich bin ziemlich sicher, scheinungen besser abschätzen können, die in der daß das Problem nicht gelöst werden kann, wenn auf Großen Anfrage mit dem Stichwort „Militarisie- unserer Seite verdrängt oder vergessen wird, daß rung" belegt sind. Anfang August hat das DDR jenseits der Elbe ebenso Deutschland ist wie dies- Volksbildungsministerium eine neue Anordnung seits. Ich sage: Wenn eine vernünftige Aussicht be- über die vormilitärische Ausbildung für Schüler und steht, praktische Verbesserungen auf Dauer für die die Sanitätsausbildung für Schülerinnen der Anwohner, aber auch für den Verkehr, zu erzielen, 11. Klasse veröffentlicht. Beide Ausbildungen finden dann ist es unsere Pflicht — eben weil dort drüben in zwölftätigen Lehrgängen während der Sommerfe- auch Deutsche leben —, so lange und intensiv nach rien statt. Sie sollen — so heißt es — die Verteidi- Wegen zur Lösung zu suchen, bis wir sie gefunden gungsbereitschaft der Schüler und Schülerinnen haben. Stures Prinzipienreiten ist zuwenig der An- fördern. In der konkreten Praxis ändert diese An- strengung, die von uns gefordert ist. - ordnung gar nichts. Die betreffenden Lehrgänge für Ähnliches gilt für die Salzgitter-Frage. Es wäre ge- die Schüler der 11. Klasse werden bereits seit Jah- wissen- und herzlos von uns, Deutschen aus der ren während der Sommerferien so abgehalten. Die DDR, die zu uns kommen und die dies wollen, die Anordnung ist eine bürokratische Perfektionierung, Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes und den die frühere Regelungen mit dem Ziel zusammenfaßt, Schutz der Gerichte der Bundesrepublik Deutsch- die Ausbildung intensiver zu gestalten. land zu versagen. Wir haben kein Recht, das Anrecht Können wir daraus generell auf eine „immer stär- dieser Deutschen zu beschneiden. Vielmehr ist es kere Militarisierung weiter Lebensbereiche, vor al- unsere Pflicht, es zu respektieren. lem der Jugend, in der DDR" schließen? Können wir Auf der anderen Seite: Ich habe selbst die Dikta- ohne weiteres auf einen Erfolg derartiger Bestre- tur in Deutschland, im Deutschen Reich, erlebt. Ich bungen schließen? Ich meine: nein; denn gleichzeitig werfe nicht den ersten Stein auf denjenigen, der sich erfahren wir beispielsweise, daß bei allen schuli- anpaßt ... jedenfalls kein Held ist oder sein will. schen Bemühungen um die militärische Ertüchti- Kommt das in unsere Einstellung zu dem Problem, gung und Förderung der Verteidigungsbereitschaft das mit der zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter in der DDR dennoch der Wunsch nach einer Art zivi- verknüpft ist, hinreichend zum Ausdruck? Leider lem Ersatzdienst umgeht. So liegt der Verdacht 3252 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Bundesminister Franke nahe: was wir hier vorschnell „Militarisierung" nen- Sondercharakter . des innerdeutschen Handels als nen, ist nicht zuletzt auch eine Vorkehrung gegen Nichtaußenhandel kommt die Besonderheit der in- unerwünschte psychologische Folgen der Entspan- nerdeutschen Beziehungen zum Ausdruck. Nie- nungspolitik, also eine Abgrenzungsmaßnahme. Wir mand hat das stärker herausgearbeitet und betont dürfen annehmen, daß sie als solche mit anderen als das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil Abgrenzungsmaßnahmen das Schicksal einer rela- zum Grundlagenvertrag vom 31. Juli 1973. Es ist also tiv bescheidenden Erfolgschance teilt. falsch, sich und anderen weiszumachen, die Bundes- regierung könne frei über den Sondercharakter des In dieselbe Kategorie gehört das Erziehungsziel: innerdeutschen Handels disponieren. Mißtrauen und Haß gegenüber dem Klassenfeind. Ungleich überzeugender — das dürfen wir hoffen — Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich die ist die Faszination, die drüben von der Aussicht auf Worte, die ich hier sage. Oft ist das doch Ihr Instru- Entspannung und Zusammenarbeit mit den westeu- ment, um die DDR zu politischen Handlungen zwin- ropäischen Nachbarn ausgeht. Das sind Wirkungen, gen zu wollen. Dabei müssen wir bei der sachlichen die man doch wohl erkennen muß und die Sie in Ihre Würdigung doch wirklich erkennen, daß das seine politischen Betrachtungen einbeziehen sollten. Begrenzung findet und daß damit Türken aufgebaut Diese Hoffnung wird nicht geringer, wenn — wie werden, die es in dieser Weise gar nicht gibt. dies in jüngster Zeit zunehmend der Fall ist — Abrü- stungs- und Sicherheitsfragen zum Gesprächsthema (Beifall bei der SPD) auch zwischen den mittleren und kleineren Staaten Europas in Ost und West werden. Warum eigentlich Die Bundesregierung kann mitnichten disponieren, nicht? wie sie möchte. Das weiß auch die DDR. Im übrigen Meine Damen und Herren, seit der Bundestags- lassen sich die materiellen Vorteile aus dieser Rege- rede Richard von Weizsäckers am 17. Juni 1980 se- lung nicht einseitig quantifizieren. hen wir — und zwar mit Genugtuung —, daß in der Es bleibt dabei: Im Verhältnis zwischen den bei- Opposition einzelne Mitglieder auch den Versuch den deutschen Staaten verfügt keine Seite über so machen, die Verhandlungsposition der Bundesregie- überragende Trümpfe, daß die jeweils andere Seite rung gegenüber der DDR zutreffender zu beschrei- Konzessionen nur so regnen ließe. Der Interessen- ben und abzuschätzen. Dabei gerät unvermeidlich ausgleich zwischen uns und der DDR bleibt ein sehr bald der finanziell-ökonomische Aspekt ins schwieriges und mühseliges Geschäft, da die Spiel- Blickfeld. Lange Zeit — ich kann mich gut erinnern räume auf beiden Seiten gering sind. Das gilt selbst — schrieben die Opposition und weite Teile der Of- dann, wenn sich der Bundeskanzler und der Gene- fentlichkeit dem zinslosen Überziehungskredit im ralsekretär der SED persönlich gegenübersitzen innerdeutschen Handel, dem sogenannten Swing, werden. Ein solches Treffen ist nunmehr nach zwei nachgerade magische Kräfte zu. Wir als Regierung vergeblichen Anläufen zum dritten Male ins Auge hatten alle Mühe, diese Einschätzung an die Realitä- gefaßt. ten heranzuführen, d. h. sowohl an die wahre Grö- ßenordnung des Vorteils für die DDR als auch die Die Bundesregierung hat mancherlei Vorwürfe beiderseitigen Interessen und Interessiertheit. Jetzt einstecken müssen, weil wir gesagt haben: der Bun- erleben wir eher das Gegenteil. Was mich als Lan- deskanzler ist zu dieser Begegnung, zu diesem Ge- deskind von Niedersachsen besonders schmerzt, ist, spräch bereit ohne Vorbedingung. Die DDR weiß daß ich hören und mit ansehen muß, wie ausgerech- und wird sich darauf einzurichten haben, daß wir net der niedersächsische Minister für Wirtschaft, uns mit den Folgen ihrer Umtauschneuregelung Frau Breuel, in Leipzig so redet, als ob das Wohl und vom vergangenen Jahr nicht abfinden. Das Thema Wehe der westdeutschen mittelständischen Wirt- bleibt für uns auf der Tagesordnung der gegenseiti- schaft vom innerdeutschen Swing abhinge. Ganz so gen Beziehungen; in deren Zusammenhang ordnen ist es nun auch wieder nicht, meine Damen und Her- wir es ein. ren; das ist eine Übertreibung letztlich partikularer Interessen, die ebenfalls die angemessene Einschät- Nicht in Frage kommt für uns ein Verhalten, das zung verfehlt. Aber das gehört doch alles zusammen,- Abgrenzung mit Abgrenzung beantwortet. Damit wenn wir „Bestandsaufnahme" in dieser Weise be- würden wir unseren eigenen Zielvorstellungen ent- handeln. gegenwirken. Unsere eigene Zielvorstellung ist das (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Gegenteil von Abgrenzung, ist Kontakte, Verbin- CSU) dung, Zusammenarbeit, friedliches Zusammenle- ben, Vertrauensbildung, kooperative Nachbarschaft, — Ich habe das hier als Ergänzung aufgeführt, da- von der die Menschen etwas haben. Darum geht es mit die Lücken, die bei Ihnen vorhanden sind, durch uns trotz der Rückschläge und Stillstände, die wir Regierungsbeitrag noch aktuell geschlossen wer- bei unseren politischen Bemühungen immer mit den. eingerechnet haben. Auf diesem Wege sind wir auf (Lorenz [CDU/CSU]: Es hatte doch nie beiden Seiten so weit fortgeschritten, daß ein Zurück mand widersprochen! — Frau Berger [Ber nicht mehr denkbar ist, weil es für alle unerträglich lin] [CDU/CSU]: Wir sind ja einer Meinung! wäre. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns versu- Vorbeugend, meine Damen und Herren, sei einer chen, nachdem Sie Ihre Bereitschaft dazu angekün- anderen Selbsttäuschung entgegengetreten. Im digt haben, wirklich auf sachlicher Basis voranzu- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3253

Bundesminister Franke kommen. Es liegt nicht nur an der Bundesregie- Jahr war diese Geschäftsgrundlage nach Ihren eige- rung. nen Angaben zerstört. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Dann ist es doch erlaubt, zu fragen: Was hat sich ge- Vizepräsident Leber: Das Wort hat der Abgeord- ändert? Liegen Ihnen neue Erkenntnisse vor? Das nete Baron von Wrangel. würden wir gerne wissen. Welche Erwartungen rich- ten Sie konkret an das Treffen Schmidt/Honecker? Baron von Wrangel (CDU/CSU): Herr Präsident! Ich spreche gar nicht von Vorbedingungen, Herr Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Be- Kollege Ronneburger. Das hat Herr Kollege Lorenz ginn meiner Ausführungen auch etwas zum Stil die- j a auch nicht getan. Nur muß es doch so gründlich ser Debatte sagen. Herr Kollege Franke, einiges an vorbereitet sein, daß es nicht zur Schaustellung aus- -Ihren Ausführungen werde ich zu kritisieren haben; artet. Das ist doch das Problem, um das es hier ich gehe im Verlauf der Debatte darauf ein. Aber Sie geht. haben in der Tat auch manches Bedenkenswerte ge- sagt, und auch darauf will ich gern eingehen. So ge- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wörner [CDU/CSU]: Da muß vor allen Dingen et sehen, haben Sie, Herr Kollege Franke, ebenso wie was herauskommen!) Herr Büchler der beachtenswerten Rede unseres Kollegen gut zugehört. Dies kann ich Es muß natürlich den Menschen dienen. Noch ein- von Herrn Ronneburger leider nicht behaupten. mal: Ist die Geschäftsgrundlage nun beschädigt oder (Beifall bei der CDU/CSU) ist sie repariert worden? Wenn sie repariert worden ist, möchten wir wissen, in welcher Form. Gehört ha- Manchmal frage ich mich dann: Ist überhaupt noch ben wir darüber gar nichts. die Dialogfähigkeit gegeben? Meine Damen und Herren, ich möchte auch ein- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Er ist nicht mal an den Debattenstil in diesem Hohen Hause an- einmal mehr im Saal, der Herr Ronnebur knüpfen. Wir sind es inzwischen gewöhnt, daß ger!) Deutschlandpolitik nur auf die innerdeutschen Be- Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, ziehungen beschränkt bleibt. Ich denke da an das öf- Herr Bundesminister Franke, daß ich manches be- fentliche Hearing gestern. Ich möchte ausdrücklich merkenswert finde. Ich bin aber der Meinung, wir sagen, daß technische Regelungen, Einzelaktionen sollten hier gleich zu Anfang klarstellen, daß Kritik und minimale Veränderungen natürlich wichtig der Opposition doch eine Selbstverständlichkeit sein sind. Aber wenn wir uns nur darüber unterhalten, muß. Sie sollten nicht jede Art der Kritik immer wie- enden wir bei einer Art Erbsenzählerei. Ich möchte der als eine Art persönlicher Beleidigung der Koali- nicht falsch verstanden werden: Ich werte nichts ab, tion betrachten. was sich in kleinen, oft winzigen Schritten an Positi- vem ereignet, von denen die Menschen im geteilten (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland irgendeinen Nutzen haben. Wir freuen Sie haben sich heute — alle, die hier gesprochen ha- uns über jede, auch die kleinste Erleichterung, ob- ben — sehr eingehend mit der Opposition, der CDU/ wohl wir natürlich sehr oft das krasse Preis-Lei- CSU, befaßt. Sie werden es hinnehmen müssen, daß stung-Mißverhältnis beklagen. ich mich im Laufe der Rede auch sehr eingehend mit Ihnen befasse. Auch das ist ein Stück Deutschland- Wir haben in diesem Jahr eine eindrucksvolle Fei- politik. erstunde im Plenarsaal erlebt. Aus der Rede, die un- ser früherer Kollege Dr. Gradl im Rahmen dieser Meine Damen und Herren, nach der Rede des Kol- Feierstunde gehalten hat, darf ich mit Erlaubnis des legen Franke muß sich doch die Bundesregierung Herrn Präsidenten einen Satz zitieren. Dr. Gradl fragen lassen, auf welchen Grundlagen ihre sagte: Deutschlandpolitik heute steht. Sie können doch nicht in den 80er Jahren — früher haben Sie uns das Und alle geschichtliche Erfahrung obendrein immer vorgeworfen — die Antworten aus- den 70er zeigt, daß gewaltsame Spaltung eines selbstbe- Jahren geben. Sie müssen doch in den 80er Jahren wußten Volkes kein solides Fundament für ei- neue Antworten geben; Sie müssen Ihre Antworten nen gesicherten Frieden ist. fortschreiben. Hier besteht in der Tat ein Nachhol- An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll Beifall bei bedarf. allen Fraktionen. Sie müssen sich fragen lassen, was von den frühe- Warum habe ich diese Redepassage zitiert? Ich ren Annahmen und Wünschen heute wirklich übrig- habe es getan, weil ich damit illustrieren will, daß geblieben ist, und Sie müssen sich auch fragen las- unsere deutschlandpolitischen Debatten darunter sen, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen. Ich leiden, daß wir den größeren Rahmen außer acht las- glaube, Sie sind dem Hohen Hause doch sehr wich- sen, daß wir die Probleme isoliert betrachten und da- tige Antworten schuldig geblieben, Herr Bundesmi- bei das Bezugssystem, in dem die Politik steht, oft nister. Vielleicht kommen Sie noch einmal hierher völlig vernachlässigen. und geben diese Antworten. Deutschlandpolitik hat eine viel, viel größere Di- Sie müssen vor allem erklären, welches denn nun mension. Sie hat sehr viele Bezugspunkte. Ich die Geschäftsgrundlage ist, die heute in den inner- möchte deshalb an uns alle appellieren, diese Be- deutschen Beziehungen besteht. Nach der drasti- zugspunkte ebenfalls zu diskutieren. Ich glaube, un- schen Erhöhung des Zwangsumtauschs vor einem sere Debatten werden dann eine andere Qualität er- 3254 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Baron von Wrangel halten. Sie werden attraktiver sein und hoffentlich Ich meine damit den unverhüllten, vordergründigen auch von jungen Menschen draußen im Lande ge- und gefährlichen Anti-Amerikanismus. hört werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Grundlage unserer Politik ist und bleibt der Deutschlandvertrag aus dem Jahre 1955. Dies ist Aber ich meine auch — darauf hat der Kollege Wör- doch die Magna Charta der deutschen Außen-, Si- ner wiederholt in früheren Debatten hingewiesen — cherheits- und Deutschlandpolitik. die fatale Gleichmacherei zwischen östlichem Tota- litarismus und westlicher Demokratie. Ich meine da (Beifall bei der CDU/CSU) mit auch die Neutralismusideen, die offenbar zuneh- Wir sollten uns davor hüten, dies als ein politisches mend in Mode kommen. Fossil anzusehen, und statt dessen dafür sorgen, daß dieses zentrale Vertragswerk endlich wieder mit Die moralische Qualität der Systeme darf doch neuem Leben erfüllt wird. Was Konrad Adenauer nicht nivelliert werden. damals erreicht hat, nämlich die drei westlichen Al- liierten auf eine Politik zu verpflichten, die ein frei- (Beifall bei der CDU/CSU) heitliches Gesamtdeutschland zum Ziel hat, darf Warum appellieren wir denn nicht an den Patriotis- nicht nachträglich heute verspielt werden. mus der Deutschen? Oder gibt es ihn nicht mehr? (Beifall beider CDU/CSU) Sind wir ein Volk ohne Identität geworden, ein natio- nales Neutrum inmitten Europas? Ich fürchte in der Wir wissen doch alle, daß wir gerade im nuklearen Tat, daß im freien Teil Deutschlands, der doch die Zeitalter aus eigener Kraft unser nationales Ziel, die Identität des ganzen Deutschlands bewahren soll, friedliche Wiederherstellung der deutschen Einheit, sehr oft ein Defizit an Patriotismus und ein Übersoll alleine nicht erreichen können. an Anpassungsopportunität besteht. Es geht auch nicht an, anzunehmen, man könne dies sozusagen dem östlichen Nachbarn irgendwie (Beifall bei der CDU/CSU) abschmeicheln. Das geht auch nicht. Wenn wir unser Da müssen Sie sich die Frage vorlegen — Sie in er- Ziel so erreichen wollen, wie es im Grundgesetz, im ster Linie, denn Sie regieren —, was haben Sie ge- Deutschlandvertrag, in den Briefen zur deutschen tan, um hier die Bewußtseinsbildung unserer Mit- Einheit definiert ist, brauchen wir die Unterstützung menschen zu verändern? Meine Damen und Herren, der freien, der westlichen Welt. wir sind der Meinung, daß Deutschlandpolitik aktive Der Schlüssel zur deutschen Frage — das ist im- Ostpolitik sein muß. mer wieder seit Jahrzehnten gesagt worden — liegt in Moskau. Das ist richtig. Aber den Schlüssel benut- Demnächst kommt Herr Breschnew nach Bonn. zen und das Tor öffnen — um im Bild zu bleiben —, Ich freue mich, daß der Herr Bundesaußenminister das können wir nur, wenn uns der Westen dabei nach einer strapaziösen Reise hier ist. Herr Bundes- seine volle Unterstützung gibt. Um diese Unterstüt- außenminister, ich darf Sie ansprechen. Dann wird zung zu bekommen — nicht irgendwann am Tage X, sicher über Raketen und Röhren gesprochen wer- sondern kontinuierlich, vielleicht auch über lange den, vielleicht auch über Afghanistan und Polen. Zeit hinweg —, darf unsere Zugehörigkeit zum We- Aber wird auch über Deutschland gesprochen wer- sten auch nicht im mindesten zweifelhaft sein. den, über das geteilte Deutschland? Und wenn, wird man sich damit abspeisen lassen, daß Herr Bresch- (Zustimmung bei der CDU/CSU) new auf die Souveränität der DDR verweist, in die er Eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West, wie sie sich nicht einmischen könne? Wird man dann im In- das Deutsche Reich einmal betrieben hat, wie sie lei- teresse der Deutschen taktlos genug sein, diesen for- der bei der SPD jetzt wieder manchmal anklingt, malen Einwand beiseite zu schieben, und sozusagen zur Sache kommen? Wird man mit allem Nachdruck (Oho-Rufe von der SPD) eine Verbindung, eine linkage herstellen zwischen - können wir uns nicht leisten. den sowjetischen Wirtschaftsinteressen und dem In- teresse der Deutschen, auch über die trennende (Beifall bei der CDU/CSU) Grenze hinweg in enger Verbindung zu bleiben? Na- Dies wäre lebensgefährlich für die Bundesrepublik türlich erwarten die Menschen Antwort auf diese Deutschland, und es wäre auch das Todesurteil für Frage. Und, Herr Bundesaußenminister, daß deut- unser nationales Ziel der deutschen Einheit und sche Außenpolitik immer auch Deutschlandpolitik Freiheit. sein muß, ist eine Selbstverständlichkeit. Das. Wer- ben um Verständnis und Unterstützung zugunsten (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) der deutschen Frage ist deshalb ein entscheidendes Es ist selbstverständlich, Herr Bundesminister Element unserer auswärtigen Politik. Wir dürfen Franke, daß wir die von Ihnen geschlossenen Ver- dieses Problem auch nicht etwa dezent ausklam- träge nicht nur halten, sondern daß wir uns in vielen mern, weil wir die Sorge haben, andere damit zu Debatten darum bemühen, sie mit Leben zu erfüllen. langweilen oder gar zu belästigen. Wenn wir nicht Das werden wir auch heute wieder tun. dafür sorgen, daß die deutsche Frage auf der inter- nationalen Tagesordnung bleibt, wer soll es denn Aber gerade unter dem Gesichtspunkt der sonst tun? Deutschlandpolitik empfinde ich es als katastrophal, was sich gegenwärtig in unserem Lande abspielt. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3255

Baron von Wrangel Wenn wir uns nicht für die Menschenrechte unserer tionsrecht, eine wichtige Errungenschaft der frei- Mitbürger in der DDR engagieren, wer würde sich heitlichen Demokratie, zu verkommen droht. Was ei- denn sonst um diese Menschen kümmern? gentlich ein kostbares Instrument des Bürgerwil- lens sein soll, das seine Schärfe doch nur durch ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nen sparsamen Gebrauch erhalten kann, ist heute Deshalb fordern wir die Bundesregierung ständig zu einem Konsumartikel geworden. Ich möchte auf, im internationalen Bereich verstärkt auf das wirklich nicht falsch verstanden werden; niemand deutsche Problem aufmerksam zu machen. Deshalb von uns will das Demonstrationsrecht mindern oder fordern wir Sie auf, Herr Bundesminister Genscher, einschränken. Nein. Es ist aber in vielen Kreisen um den Menschenrechtsgerichtshof in den Verein- heute doch so geworden, daß Demonstrieren eine ten Nationen zu werben. Herr Kollege Genscher, wir Freizeitbeschäftigung darstellt. Und weil die De- unterstützen den Bundesaußenminister dabei. Wir monstrationen derart alltäglich geworden sind, fin- bitten ihn, seine Bemühungen zu intensivieren, und den sie bald nur noch die gewünschte Aufmerksam- wir dürfen ihm empfehlen, sich von gegenwärtigen keit, wenn sie von Krawallen und Gewalttätigkeiten Mehrheiten in den Vereinten Nationen nicht zur Re- begleitet werden, und das müssen wir doch sehr signation treiben zu lassen. ernst nehmen. Wir möchten auch, daß die KSZE-Vereinbarungen Radikale Minderheiten, verbissene Ideologen und — Herr Kollege Lorenz hat es gesagt, ich kann mich militante Schwarmgeister versuchen immer mehr, hier kurz fassen — über humanitäre Maßnahmen über das Demonstrationsrecht jene Politik durchzu- vertraglich abgesichert werden. Wir fordern die setzen, die sie über das demokratische Wahlrecht Bundesregierung auf, doch einmal mit den neutra- nicht erreichen können. len Staaten, die Mitglieder der KSZE sind, darüber zu sprechen, wie diese Vereinbarungen in eine kon- Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es auch trollierbare Praxis umgesetzt werden können. notwendig ist, an dieser Stelle einiges zu dem zu sa- Ich möchte auch sagen, daß wir, die CDU/CSU, der gen, was wir unmittelbar vor der sogenannten Frie- Meinung sind, daß nach dem Vorbild des deutsch- densdemonstration in Bonn auch deutschlandpoli- polnischen Forums ähnliche Foren in allen osteuro- tisch sichtbar machen sollten. Wir haben als Demo- päischen Ländern eingerichtet werden sollten, und kraten z. B. die Pflicht, den Bundeskanzler der Bun- natürlich beziehen wir die DDR hier mit ein. desrepublik Deutschland trotz aller Kritik, die wir an ihm üben, vor irgendwelchen Erpressungen in Meine Damen und Herren, Sie können weder mei- Schutz zu nehmen. nem Kollegen Peter Lorenz noch irgendeinem ande- ren von uns vorwerfen, daß wir nicht ständig den (Zustimmung des Abg. Böhm [Melsungen] Versuch machen, die Diskussion mit Vorschlägen [CDU/CSU]) anzureichern und darüber mit Ihnen zu diskutieren. Natürlich gehört die Sicherheitspolitik zur Deutsch- Deswegen richtet sich doch die Frage an Sie. Denn landpolitik. Nur, meine Damen und Herren, mit der seine Sicherheitspolitik, die wir in diesem Punkt j a Formulierung „Von deutschem Boden darf kein mittragen, wird von Ihnen oder Teilen Ihrer Par- Krieg ausgehen" allein ist überhaupt nichts getan. teien — SPD und FDP — in Frage gestellt. Wenn der Wenn wir hier wieder in die Gleichmacherei verfal- Bundeskanzler und die Bundesregierung für alle len, dann werten wir den Warschauer Pakt auf und Bürger da sind, dann dürfen Sie nicht so tun, als sei die NATO ab. die Bundesregierung nichts anderes als ein verlän- gerter Arm irgendeines SPD-Flügels. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Aufgabe sollte es sein, in Gesprächen mit der DDR natürlich die Militarisierung, die Stellvertre- Die Deutschlandpolitik kann morgen in eine ge- terkriege und die Erziehung zum Haß zum Gegen- fährliche Situation geraten, wenn sich Ost-Berlin stand zu machen. Sie wissen doch, daß z. B. die Kir- oder Moskau zu neutralistischen Angeboten ent- chen in der DDR — Herr Bundesminister Franke schließen, um das Durcheinander in der SPD und hat davon gesprochen — in zunehmender Weise in der FDP noch zu vergrößern und weitere Gruppen in eine schwere seelische Not geraten sind. das neutralistische Lager zu treiben. Der Bahrsche Ich habe eingangs gesagt, daß Sie sich eingehend „Wandel durch Annäherung" würde dann in schlim- mit uns, mit unserer Situation in der Union befaßt mer Weise Wirklichkeit werden. haben — viel länger, als wir meinen, daß es notwen- (Beifall bei der CDU/CSU) dig gewesen ist —, und ich fühle mich, Herr Kollege Ronneburger, gerade durch die Anhörung ermutigt, Wenn Teile einige Anmerkungen zur inneren Situation in der Bundesregierung, zur inneren Situation in den (Zuruf des Abg. Lambinus [SPD]) Koalitionsparteien und zur inneren Situation in un- serem Lande zu machen. Niemand soll sagen, dies — ich sage: Teile; hören Sie doch mal zu! — einer habe keinen Bezug zur Deutschlandpolitik. Das hat großen Volkspartei die Nähe oder das Aktionsbünd- einen eminent wichtigen Bezug zur Deutschlandpo- nis mit Kommunisten und anderen Linksradikalen litik. suchen, Wir müssen mit Erschrecken — gar nicht mit (Weiterer Zuruf des Abg. Lambinus Schadenfreude — sehen, wie z. B. das Demonstra- [SPD]) 3256 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Baron von Wrangel — hören Sie doch zu! —, so ist dies doch ein deutsch- Dr. Diederich (Berlin) (SPD): Herr Kollege von landpolitischer Vorgang. Wrangel, könnten Sie so nett sein, die Kollegen im (Beifall bei der CDU/CSU) Saal hier zu bezeichnen, die das getan haben, was Sie eben unterstellt haben? Diese Anbiederung an Kommunisten kommt einem (Sehr gut! bei der SPD) Verrat sozialdemokratischer Traditionen gleich. (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Sehr gut!) Baron von Wrangel (CDU/CSU): Ich muß sagen: Die Kollegen Coppik, Hansen, Thüsing und wie sie alle Es muß die Verantwortlichen in der SPD doch mit heißen, kann ich im Augenblick in diesem Saal nicht tiefer Sorge, ja mit Beklemmung erfüllen, daß sich entdecken, Herr Kollege Diederich. ihre Parteifreunde ausgerechnet mit jenen solidari- sieren, die die geistigen Erben jener Kräfte sind, die (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Diederich viele Sozialdemokraten in die Zuchthäuser der DDR [Berlin] [SPD]: Das ist allerdings eine un gebracht haben. verschämte Verleumdung! — Dr. Emmer lich [SPD]: Jetzt haben Sie die Verleumdun (Beifall bei der CDU/CSU) gen personalisiert! Das können Sie nur ris Ich beziehe mich hier auf einen Zwischenruf, den kieren, weil Sie Immunität haben!) der Kollege Wehner am 26. September in einer De- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu batte gemacht hat. einer anderen Angelegenheit kommen. Ich möchte Noch eine Gefahr muß beleuchtet werden. Sie Sie, Herr Kollege Franke, sehr direkt ansprechen. werden verstehen, was ich meine, Herr Wehner, was Es handelt sich um das, was hier unter dem Thema ich mit großem Ernst meine. Wer den Linksradika- „Häftlingsfreikauf" firmiert. Wir wissen alle, was wir lismus verharmlost, gewähren läßt oder gar hofiert, meinen. Ich meine, Herr Bundesminister, wir sollten der fordert doch den Rechtsradikalismus heraus. uns darauf verständigen, daß dies eine Erfindung von gewesen ist, um Menschenschick- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es! — sale zu lindern. Sie tun dies auch. Zuruf von der SPD: Ist das eine Dro hung?) Aber was mich immer wieder bewegt, ist die Fra- ge: Menschenhandel, Menschen als Ware — oder in — Nein. Das ist eine Feststellung der abscheulichen NS-Sprache: Menschen als Mate- (Zuruf von der CDU/CSU: Eine geschichtli rial —, das ist doch das Niedrigste, was es im Zusam- che Erfahrung!) menleben von Staaten gibt. Wir sollten immer wie- der sagen, Herr Kollege Franke: Dies ist ein Ausnah- — und eine geschichtliche Erfahrung. Das ist keine mezustand, das kann nicht die Regel sein. Das ist ein Drohung. nationaler Notstand, aus dem heraus gehandelt wer- (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Sehr gut!) den muß. Ich sage „muß"; wir tragen das mit. Nur: Ich möchte sogar sagen, daß die Älteren, also die, die Ich habe Sorge, daß das Anormale zur Normalität älter als ich sind, dies doch wissen sollten. wird, und das müssen wir miteinander verhindern. Wer zuläßt, daß eine solche Entwicklung eintritt, Meine Damen und Herren, ich habe den Versuch trägt die Verantwortung dafür, daß der demokrati- gemacht, die größeren Zusammenhänge der sche Staat zum Popanz wird, der Verachtung preis- Deutschlandpolitik aufzuzeigen und ihre Abhängig- gegeben, und ein Beuteobjekt radikaler Kräfte von keit von vielen anderen Entwicklungen einmal deut- links und rechts werden kann. Dies ist doch dann lich zu machen. wieder ein eminent deutschlandpolitischer Vor- (Zuruf des Abg. Lambinus [SPD]) gang. Ich habe daran den Appell geknüpft, gefährlichen (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich Tendenzen auch deshalb entgegenzutreten, um [SPD]: Wem sagen Sie das eigentlich, Herr nicht deutschlandpolitisches Kapital zu verspielen. von Wrangel?) Ich möchte daher alle für die Deutschlandpolitik - — Ich sage das an die Adresse derjenigen Kollegen engagierten Politiker dazu aufrufen, den Blick über in diesem Hause, die sich Kommunisten anbiedern die eigentliche Deutschlandpolitik hinaus zu rich- und mit ihnen Koalitionen schließen wollen. ten. Meine letzte Bitte aber gilt allen: Helfen Sie mit, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich [SPD]: Wer tut das denn? Das sind doch ver daß unser Modell Bundesrepublik Deutschland nicht Schaden nimmt. Wenn wir uns darüber einig leumderische Bemerkungen ! — Lambinus sind, dienen wir zugleich der deutschen Sache. — Ich [SPD]: Sie unterstellen hier!) danke Ihnen. — Das sind keine verleumderischen Bemerkun- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU) gen. (Lambinus [SPD]: Natürlich! — Weitere Zu Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Als nächster Redner rufe von der SPD) hat der Abgeordnete Diederich (Berlin) das Wort.

Dr. Diederich (Berlin) (SPD): Herr Präsident! Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Abgeordneter Meine Damen und Herren! Herr Kollege von Wran- von Wrangel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des gel, ich hätte Sie hier gern in besserer Erinnerung Abgeordneten Diederich? behalten. Ich finde das nicht fair, was Sie in Ihren Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3257

Dr. Diederich (Berlin) letzten Ausführungen getan haben. Man muß sich Wir werden einen mühseligen Weg zu gehen ha- wirklich fragen, ob die Friedensfähigkeit bei Ihnen ben, und es wird gelegentliche Rückschläge ge- selbst für die innenpolitische Diskussion da ist. ben. Dennoch dürfen wir uns nicht beirren las- sen, denn dies ist eine Politik ohne Illusionen, (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ aber auch eine Politik ohne Alternative. CSU) Dieser Satz ist heute noch so gültig wie damals. Die Unterstellungen und Diffamierungen, mit de- nen Sie Kollegen aus unserer Fraktion belegt haben, Ich möchte Ihnen sagen, daß ich, wenn ich Bilanz muß ich eindeutig zurückweisen. Ich möchte nur sa- ziehe, meine, daß sich diese Politik gelohnt habe. Ich gen, daß man zwar sehr unterschiedlicher Meinung sage dies gerade als Berliner, und ich sage dies auch über das sein kann, was in diesem Feld geschieht — trotz verschiedener Rückschläge, die es gegeben darüber wird j a auch diskutiert werden —, aber so hat. pauschal, wie Sie es getan haben, sind es Unterstel- Von welcher Verhandlungsbasis, von welcher Si- lungen und Diffamierungen, die ich hier eindeutig tuation aus müssen wir operieren? Wir müssen von zurückweise. der Tatsache ausgehen, daß die DDR ein souveräner (Beifall bei der SPD) Staat mit einer eigenen Interessenlage ist. Wir müs- sen davon ausgehen, daß die DDR in einen Block Aber ich möchte lieber an den Anfang des heuti- eingebunden ist, daß sie nicht beliebige Bewegungs- gen Tages zurückgehen. freiheit hat. Sie ist also insofern auch kein Bundes- (Zuruf des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ land, auf das wir etwa Art. 37 des Grundgesetzes an- CSU]) wenden könnten. Was folgt daraus? Die Normalisierung ist ein lang- Ich habe mich persönlich gefreut, daß solche Töne, fristig angelegter Prozeß. Der kann nicht durch For- wie sie beispielsweise Herr Abelein 1977 als erster derungskataloge und markiges Auftreten erzwun- Redner in einer Debatte verwendete, als er die Ant- gen werden. Ich fürchte auch, Herr Kollege Lorenz, wort der Bundesregierung auf eine damalige Große daß die Appelle, die Sie hier heute morgen in Rich- Anfrage zur Deutschlandpolitik als „Bilanz eines tung auf Herrn Honecker losgelassen haben, allein bankrotten Unternehmens" bezeichnete, heute nicht nicht genügen, sondern daß es dazu ganz beharrli- mehr erklungen sind. Das empfinde ich schon als ei- chen Handelns, ganz beharrlicher Kontaktsuche, be- nen Fortschritt. harrlichen Miteinandersprechens auf den verschie- Wir hören sehr gut, was Herr Kollege Lorenz ge- denen Ebenen bedarf. Wenn wir uns da einig sind, sagt hat, und wir hoffen nur, daß es Ihnen gelingt, dann glaube ich, daß wir schon ein Stück Weges ge- Herr Kollege Lorenz — wenn man Sie dabei über- meinsam gehen können. haupt unterstützen kann, will man das gern tun —, Nun möchte ich mich mit Ihrer Forderung nach dies zum Gemeingut Ihrer Fraktion zu machen. Stufenplänen auseinandersetzen. Sie haben j a auch Wir hören auch sehr aufmerksam, was der Regie- wieder Forderungskataloge aufgestellt. Ich sage es rende Bürgermeister von Berlin zur Berlin-Politik hier ganz offen: Mir ist das nicht sympathisch, weil zu sagen hat, was er z. B. am 13. August gesagt hat. es erstens, abgesehen von der Verhandlungsstrate- Es hat ja jetzt, da er eine neue Funktion hat, einen gie, wohl nicht zweckmäßig ist, einen Katalog mit anderen Stellenwert. Ich möchte nur hoffen, daß Prioritäten aufzustellen und öffentlich zu diskutie- sich die Union die nüchterne Erkenntnis, die dort ge- ren und danach zur DDR zu gehen und zu sagen: Das wachsen ist, voll zu eigen macht. Dann kommen wir ist unsere oberste Priorität, macht mal! Zweitens nämlich vielleicht zu einem Dialog und weg von dem geht es natürlich um die Frage was wirklich oben Doppelmonolog, der hier manchmal geführt wurde. stehen muß. Das ist zum einen von der Situation ab- hängig, und zum anderen wird es darüber breite Dif- Nur eines ist auch klar, Herr Kollege Lorenz. Die ferenzen geben. Sie haben von vertrauensbildenden Grundsätze der Koalition sind seit langem klar und Maßnahmen gesprochen. Ich weiß nicht, ob der Be- bekannt. Die Verträge sind klar; sie sind eindeutig. griff „vertrauensbildende Maßnahmen", selbst wenn (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie sind nicht man ihn im engen Sinne des KSZE-Abkommens an- eindeutig!) wendet, hier so angewendet werden kann. Ich lasse das einmal dahingestellt sein. Sie haben also von Es bedarf vom Grundsatz her keiner neuen Be- vertrauensbildenden Maßnahmen und als Beispiele standsaufnahme; denn die Grundlage für jede Ge- dafür von Städtepartnerschaften, Diskussionsforen meinsamkeit ist die seit 1969 betriebene Deutsch- und Jugendwerken gesprochen. land- und Ostpolitik der Koalition. Sie mußte gegen den heftigen Widerstand der Opposition durchge- Ich möchte als Berliner sagen, daß für mich an- setzt werden. Sie sollten jetzt eindeutig und klar sa- dere Dinge eine höhere Priorität haben. Dabei denke gen, daß Sie diese Grundlagen ohne Wenn und Aber ich nicht etwa an die Diskussion über die S-Bahn — akzeptieren. das ist ein Milliardenprojekt, über das wir in Ruhe diskutieren müssen; wer das finanzieren muß, ist Ich möchte ein Zitat eines verstorbenen Kollegen, auch klar, und dann sollte man einmal weiter mit dem ich gut befreundet war, aus dem Jahre 1972 sehen —, sondern ich denke an viele Dinge im Tran- vortragen. Er sagte anläßlich der Beratungen des sitbereich, etwa an die Elektrifizierung einzelner Grundvertrages und über den Beitritt zur UNO — es Transitstrecken. Wir haben die Diskussion, ob nicht

war der Abgeordnete Roelf Heyen —: Intercity-Verkehr nach Berlin möglich ist, daß man 3258 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Dr. Diederich (Berlin) das Straßenverbindungsnetz an bestimmten Punk- Strukturreform des Berlinförderungsgesetzes. ten verbessern muß. Selbstverständlich erwarte ich — auch das möchte Es gibt weiter eine ganze Reihe von Wünschen, die ich von diesem Podium aus sagen — von meinen Durchlässigkeit im Hinblick auf den ganz normalen Kollegen, von Ihren Kollegen, von uns gemeinsam, Reise- und Besucherverkehr schrittweise zu verbes- daß wir dann, wenn die Berliner ihre Vorstellungen sern. Der Mindestumtausch ist ein Extra-Thema; über die Strukturreform der Berlinförderung vorle- darüber muß man dann gleich noch kurz sprechen. gen, nicht sagen, da ist etwas weggeschnitten wor- Wir haben weiter eine ganze Reihe von Themen im den, da bewegt sich nichts mehr, sondern daß wir Bereich Umwelt. Wir haben Themen — vielleicht so- sehr genau überlegen, was im einzelnen, Punkt für gar gemeinsame Interessen — im Bereich Energie; Punkt, notwendig ist, um diese Strukturreform wirk- die Detaildiskussion möchte ich hier vermeiden. sam zu machen, damit Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen werden können. Der Kollege Lorenz hat gesagt — ich kann ihm da (Beifall bei der SPD und der FDP) gar nicht widersprechen —, daß es zunächst einmal darauf ankomme, die Verträge voll auszuschöpfen. Wenn wir uns auf diese Ebene begeben können, Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie das so meinen, daß es dann sind wir bei der sachlichen Debatte. Das bringt im Rahmen dessen, was einmal geschaffen worden uns dann von der Pauschalpolemik weg, die sagt: An ist, noch viele Aktions- und Handlungsmöglichkei- der Berlinförderung darf nicht gerüttelt und gerührt ten gibt. Das ist, so habe ich das verstanden, auch werden. Wie gesagt, ich bekenne mich hier voll zur eine ganz klare Aussage darüber, daß der Grundla- Reziprozität: Wenn wir als Berliner etwas erwarten, genvertrag, die Folgeverträge, die Abmachungen, dann haben wir auch Solidarität zu üben. die bisher geschaffen worden sind, ein Werk sind, Herr Kollege Lorenz, wir stimmen auch darin das uns voranbringen kann, auf dem man aufbauen überein — das ist ja meine praktische Aussage in kann, wenngleich man natürlich immer wieder diesem Zusammenhang —, daß wir alles tun müs- Neues erfinden kann. Im übrigen wird es auch sen, um die Lebenskraft Berlins zu stärken. Da gab immer wieder neue Entwicklungen geben. Mehr es vorhin einen Zwischenruf, der sich auf die Sub- anekdotisch darf ich Ihnen erzählen, wie das mit den ventionierung bestimmter Reisen bezog. Ich will das Radfahrern ist. Als man damals die Transitregelun- hier nicht diskutieren, allerdings: Formeln wie „Wir gen getroffen hat, hat kein Mensch daran gedacht, müssen alles tun, was die Lebenskraft Berlins die Radfahrer irgendwie vertragsmäßig einzubezie- stärkt" oder „Der Präferenzvorsprung muß gewahrt hen. Ich weiß sogar, daß von entsprechenden, vor- bleiben" dürfen kein Vorwand sein, ständig an den handen gewesenen Abhaklisten jeder gesagt hat: Honigtopf mit der Aufschrift „Subvention" zu gehen, Na, wer fährt da schon Rad? Die anderen Dinge sind um immer noch etwas zu schlecken, ausgefüllt worden, sie haben sich stabilisiert. Aber (Beifall bei der SPD und der FDP) inzwischen hat sich die Lebensqualität geändert, in- zwischen kommen neue Wünsche auf. Darüber muß sondern das, was Berlin bekommt, muß auch über- man sprechen können, das muß man gestalten kön- prüfbar sein. Wir Berliner sind auch verpflichtet, ra- nen. Aber das geht eben nicht mit einer Pauschalbi- tional zu begründen, daß dies tatsächlich wirksame lanz, sondern das geht nur durch beharrliches Han- Maßnahmen sind. deln. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Diede- Lassen Sie mich einige wenige Worte zu Berlin rich, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab- und zur Berlin-Förderung sagen. Herr Kollege Lo- geordneten Jäger (Wangen)? renz, Sie haben davon gesprochen, daß Berlin nach der Gemeinsamen Erklärung der Parteivorsitzen- Dr. Diederich (Berlin) (SPD): Ja. den zur Berlin-Politik vom 19. Juni 1978 einen „ge- wollt deutlichen Präferenzvorsprung gegenüber an- Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Kollege Diede- deren Fördergebieten" haben muß. Ergänzend dazu rich, da Sie sich offenkundig auf einen Zwischenruf möchte ich sagen: Ebenso richtig ist, daß sich Berlin von mir vorhin bezogen haben: nicht von einem solidarischen Beitrag ausschließen - (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr rich kann, wenn es in der Bundesrepublik darum geht, tig!) etwa in dem hier zur Beratung anstehenden Haus- haltsstrukturgesetz, eine Straffung vorzunehmen, Habe ich Sie recht verstanden, daß Sie das Bekannt- die über alle Felder geht, an der sich auch alle betei- machen junger Menschen mit den Problemen Ber- ligen und der alle im Grundsatz auch zustimmen. Ich lins und die Bezuschussung von Fahrten von Schul- möchte von diesem Podium hier einmal folgendes klassen und anderen Jugendgruppen nach Berlin sagen: Es macht für mich — manchmal fällt es mir mit dem Begriff „Honigtopf des Subventionismus" in schwer, das dann auch zu vertreten — einen schlech- Verbindung gebracht haben, als Dinge bezeichnet ten Eindruck, daß dann aus Berlin ein allgemeines haben, auf die man, da sie überflüssig seien, verzich- Geschrei kommt, das den Eindruck erwecken muß, ten könne? Oder sind Sie nicht auch der Meinung, als ginge es hier um reine Subventionsjägerei. daß das eine wichtige und notwendige Aufgabe für die Deutschlandpolitik bleibt? (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich glaube, etwas Flexibilität ist hier notwendig. Dr. Diederich (Berlin) (SPD): Mein Satz vom Honig- Herr Kollege Lorenz, ich bekenne uneingeschränkt topf war eine Maxime, genauso wie die Maxime „Der — es gibt da j a eine inhaltliche Diskussion, die wir in Präferenzvorsprung muß gewahrt bleiben" eine all- den Ausschüssen führen — die Notwendigkeit der gemeine Maxime ist, die interpretiert werden muß. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3259

Dr. Diederich (Berlin) Aber wenn Sie mich auf diese Frage hier anspre- keiten sein muß, die beide deutsche Staaten und die chen: Es geht doch wohl nicht um die Streichung der Verantwortlichen in beiden deutschen Staaten ha- Förderung von Jugendreisen, sondern um die der ben, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg aus- Förderung von Erwachsenenreisen in dem konkre- gehen darf. ten Fall, über den wir jetzt diskutieren. Ich hoffe, daß (Zuruf des Abg. Baron von Wrangel [CDU/ ich das richtig in Erinnerung habe. Ich bin gern be- CSU]) reit, mal mit Ihnen im Detail zu diskutieren, wie ich das sehe. Dann werden wir uns da näherkommen. — Natürlich, Herr Kollege von Wrangel, ist das eine Ich bin schon dafür, daß man Reisen fördert. Aber sehr allgemeine Äußerung, und wir müssen darüber das muß in einem sinnvollen Zusammenhang ge- diskutieren, was das im einzelnen für Konsequenzen schehen. Man muß das immer sehr genau überprü- hat. Aber ich glaube, daß das ein Grundsatz ist, den fen. wir immer wieder betonen müssen. (Lorenz [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dazu gehört auch, daß deutsche Interessen nicht mit Drohungen und Waffengewalt durchgesetzt wer- Was wir nicht subventionieren wollen, ist ein allge- den dürfen. Dazu gehört auch, daß sich beide deut- meiner Berlin-Tourismus, der das Verbindende nur sche Staaten darum bemühen müssen, daß aus ih- noch als eine schöne Dekoration, als einen Vorwand, rem Verhältnis zueinander keine neue Belastung nimmt. Darüber sollten wir im Ausschuß aber mal des Ost-West-Verhältnisses entsteht. Dazu gehört diskutieren. auch, daß man ins Gespräch geht, ohne sich mit un- Was können wir aktuell tun? Auch der Kollege Lo- zumutbaren Vorbedingungen zu belasten, die Ge- renz hat diese Frage gestellt, und das ist hier im spräche unmöglich machen. Dazu gehört auch, daß Laufe des Vormittags diskutiert worden. Es ist si- wir uns wechselseitig zu bemühen haben — und das cher richtig, daß die Erhöhung des Mindestum- ist auch eine Funktion, die die Bundesregierung tauschs das deutsch-deutsche Verhältnis erheblich wahrnimmt —, auf die jeweiligen Bündnispartner belastet, punktuell oder vielleicht sogar auf breiten im Gespräch einzuwirken, daß es zu Verhandlungen, Flächen verschlechtert hat. Gerade wir Berliner sind zu Gesprächen kommt, die den Entspannungsprozeß in besonderem Maße davon betroffen. Es ist viel sich weiter entwickeln lassen. — Ich danke Ihnen. Leid in menschliche Beziehungen gebracht worden. (Beifall bei der SPD und der FDP) Das muß man hier eindeutig feststellen. Wer eine große Familie hat, weiß, daß es schwerfällt, etwa mit drei Kindern, also ingesamt mit fünf Personen, bei Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Ab- diesen Umtauschbeträgen rüberzufahren. Das ist geordnete Hoppe. fast eine Verhinderung des Reisens. (Lorenz [CDU/CSU]: So ist es!) Hoppe (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Aber ich möchte hier — gerade weil mir das klar Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf die ist — sehr nüchtern sagen, daß wir alle es begrüßen Große Anfrage der Opposition und die erläuternde müssen, daß die Bundesregierung deutlich zum Aus- Rede des Ministers für innerdeutsche Beziehungen druck gebracht hat, daß sie bereit ist, über prakti- zeugen von dem Ernst und dem Verantwortungsbe- sche Zusammenarbeit und Verbesserungen der Be- wußtsein, dem Engagement und der Geduld, mit de- ziehungen ohne Vorbedingungen zu sprechen. Die- nen die Bundesregierung die deutsch-deutschen Be- ses „ohne Vorbedingungen", Herr Kollege Lorenz, ziehungen voranzutreiben versucht. Wenn diese muß sich auch darauf beziehen, daß man ein Junk- Haltung noch einer Unterstreichung bedurfte, dann tim, erst Herabsetzung des Mindestumtauschs und geschah das durch die Anwesenheit des Vizekanz- dann Verhandlungen über anderes, nicht herstellt. lers in der heutigen Sitzung des Parlaments, und das Ganz abgesehen davon — und das haben andere im Anschluß an eine gewiß anstrengende Reise. hier schon gesagt — wäre der Einsatz des Swing (Beifall bei allen Fraktionen — Kroll-Schlü oder anderer Dinge als Druckmittel sehr, sehr frag- ter [CDU/CSU]: Wo sind eigentlich die an- würdig und zweischneidig. Ich erinnere- mich da deren Minister?) auch an Äußerungen der Wirtschaftsministerin von Niedersachsen, Frau Breuel, die das ganz offensicht- Das deutsch-deutsche Verhältnis ist nicht komfor- lich ganz anders sieht. tabler geworden, aber es ist kalkulierbarer. Das auf der Basis des Grundlagenvertrages inzwischen ent- Meine Damen und Herren, ich möchte eine kurze standene Geflecht gegenseitiger Beziehungen läßt Schlußbemerkung machen. Ich hatte gesagt, daß un- sich so einfach nicht mehr zerreißen. Es war die Poli- sere Politik langfristig angelegt sein müsse — da tik der sozialliberalen Koalition, die nach zwei Jahr- gibt es insoweit auch keinen Widerspruch. zehnten Konfrontation eine fruchtlose Deutschland- Ich war zehn Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. politik durch eine auf Interessenausgleich abzie- Ich habe das Kriegsende im Frühjahr 1945 in Berlin lende Vertragspolitik ersetzte. Aus der von Rück- wahrlich hautnah miterlebt. Und ich darf Ihnen für schlag um Rückschlag begleiteten Politik der offe- meine Generation versichern — ich hoffe, daß das nen Wunden mit einer „sogenannten" DDR sind wir hier Allgemeingut ist —, daß die Betonung der akti- in einen zwar mühsamen Dialog eingetreten, der ven Friedenspolitik für uns oberste Priorität hat. Ich aber, wie mir scheint, immerhin zu vorzeigbaren Er- sage hier, daß das, was die Bundesregierung hier tut, gebnissen geführt hat. Selbst in der Großen Anfrage meine volle Unterstützung hat. Ich glaube, daß es der Opposition, die Anlaß für unsere heutige Debatte eine der ersten und auch vornehmsten Gemeinsam- ist, wird explizit auf diesen Erfolg hingewiesen. 3260 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Hoppe Diese Feststellung, die in der Begründung der dem für alle sichtbar die Versöhnung der Regierung Großen Anfrage enthalten ist, würde noch mehr der DDR mit einem Teilaspekt unseres gemeinsa- Freude auslösen, wenn sie in der logischen Konse- men Erbes erfolgte. quenz noch mehr konstruktive Beiträge der Opposi- Es ist auch faszinierend mitzuerleben, wie sich die tion in der Deutschlandpolitik zur Folge hätte. Aber DDR auf das Luther-Jahr 1983 vorbereitet. Wer hätte leider fehlt es hier immer noch, wie mir scheint, ein es noch vor 12 Jahren für möglich gehalten, daß die bißchen an Fähigkeit und Geschlossenheit zur Mei- kommunistische Regierung der DDR einem christli- nungsbildung. Und Ihre Aufgeregtheit, verehrte Kol- chen Konfessionsstifter in solch monumental anmu- legen der Opposition, über die Ausführungen meines tender Form ihre Reverenz erweisen wird? Kollegen Ronneburger sind mir nun wahrlich unver- ständlich; sie waren sachlich und ausgewogen. (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Aber welche Art von Reverenz, Herr Hoppe!) (Lachen bei der CDU/CSU— Lorenz [CDU/ CSU]: Aber Herr Hoppe!) Es wird damit aber doch zugleich, Herr Wörner, wohl Auch Sie, Herr Kollege Lorenz, haben in Ihrem Bei- ein unübersehbares Bekenntnis auch zur gesamt- trag doch zwischen Gemeinsamkeit und „Bayernku- deutschen Vergangenheit und zur europäisch rier" argumentieren müssen. Von daher mußte der abendländischen Tradition abgelegt. Kollege Ronneburger für meine Fraktion beide (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Fragwürdig!) Aspekte in seinen Beitrag aufnehmen. Jedenfalls sind die Zeiten der feindseligen Distanz Ich hätte mir gewünscht, daß das Stück Gemein- zur gemeinsamen Geschichte offenbar vorbei. Statt samkeit zustande gekommen wäre, dessen hat ein Wettstreit begonnen, welcher Teil (Zuruf von der CDU/CSU: Ich mir auch!) Deutschlands denn nun deutscher ist als der andere. Da würden wir Freien Demokraten allerdings be- um das sich die Fraktion der Freien Demokraten be- kennen: Konkurrenz war nach unserer Meinung reits im 8. Deutschen Bundestag bemüht hat. Die schon immer ein belebendes Element für die Poli- Kollegen der Opposition mußten damals bekennen, tik. daß die Zustimmung ihrer Fraktion zu der erstreb- ten interfraktionellen Entschließung eben doch Die substantielle Veränderung der deutsch-deut- nicht zu erlangen war. Damals hat sich nicht nur der schen Beziehungen wurde — und das haben wir ja Kollege Gradl darüber enttäuscht gezeigt. alle gespürt — erstmalig offenkundig, als es die bei- den deutschen Staaten auf dem Tiefpunkt der Bezie- Niemand wird leugnen, daß der Zug der innerdeut- hungen der Supermächte vermeiden konnten, wie schen Verständigung wegen der die Staaten des Ost- weltpolitische Frontstaaten agieren zu müssen. blocks umtreibenden polnischen Entwicklung von Statt zunehmender Spannung unter sonst doch übli- der DDR aufs Abstellgleis rangiert worden ist. Aber chen Verbalinjurien bekundete damals der Staats- es zeugt doch von erschreckend wenig Verständnis ratsvorsitzende der DDR sein Interesse am Zusam- für langfristige politische Entwicklungen, wenn die mentreffen mit Bundeskanzler Schmidt. Opposition aktuelle Schwierigkeiten immer wieder mit klammheimlicher Freude benutzt, um den Blick Ich erinnere daran, auch die Unterzeichnung des zurück im Zorn zu richten. Nein, wir müssen nach Verkehrsabkommens geschah damals wie selbstver- vorn blicken und das Erreichte bewahren. ständlich. Ja, es kam zu einer Vereinbarung, in wel- cher dem Berliner Senat das Nutzungsrecht für ein (Beifall béi der FDP) unter östlicher Reichsbahn-Verwaltung stehendes Abgesehen von den vertraglich abgesicherten Er- Gelände übertragen wurde. Da hat es sich gezeigt: leichterungen und Verbesserungen sollte uns des- Die inzwischen geschlagenen Brücken zwischen den halb vor allem daran gelegen sein beiden deutschen Staaten erwiesen sich als tragfä- (Zuruf des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ hig, jedenfalls als so tragfähig, daß sie der interna- CSU]) tionalen Krise standhielten. — Sie sind ja nicht gerade ein förderndes Mit- Erst die Vorgänge in Polen, die die Urängste auf- - glied der Gemeinsamkeit, verehrter Herr Kollege brechen ließen, es könnte sich etwas wie 1953 wie- Jäger —, derholen, erst diese als äußerst bedrohlich empfun- dene Entwicklung veranlaßte Ost-Berlin, wieder auf (Beifall bei der FDP) Abgrenzung umzuschalten. Dabei wirkte es dann nach qualitativ neuen Möglichkeiten des Miteinan- fast wie eine Entschuldigung, wenn gleichzeitig die ders Ausschau zu halten. Selbst in einer kühlen At- Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutsch- mosphäre könnten sich dafür neue Ansatzpunkte er- land in Ost-Berlin mit diplomatischen Artigkeiten geben. Dies, so scheint mir, ist auch deshalb nicht überhäuft wurde. völlig unrealistisch, weil sich die Deutsche Demo- Ich möchte dies hier einmal zum Anlaß nehmen, kratische Republik in geradezu auffälliger Weise in um den Mitarbeitern unserer Ständigen Vertretung der Geschichte unserer Nation einzurichten be- in Ost-Berlin für ihre unauffällige und wirksame Ar- ginnt. beit zu danken. Gemeinsam feiern wir in diesem Jahr den 200. Ge- (Beifall bei allen Fraktionen) burtstag Schinkels. Und es war ja auch kein Tag wie jeder andere, als Ost-Berliner Arbeiter das Reiter- Wir müssen aber doch wohl erkennen, daß die standbild Friedrich des Großen wieder „Unter den DDR-Führung sich erst dann wieder bewegungsfä- Linden" aufstellten. Es war der historische Tag, an hig zeigen wird, wenn die polnischen Erschütterun- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3261

Hoppe gen abgeklungen sind und sie von ihren Existenz- sind dabei offenbar in schlechter oder guter Gesell- ängsten befreit ist. Die Entwicklung in Polen geht an schaft, bis hin zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden. die Wurzeln des Selbstverständnisses und vor allem der Selbstsicherheit der kommunistischen Staaten. (Zuruf von der FDP) Wer also durch kluges Verhalten und ohne den Ver- Vorrangig aber geht es darum, die Entspannungs- such der Einmischung in innere Angelegenheiten politik fortzusetzen. den polnischen Menschen hilft, ihre wirtschaftli- chen Probleme in den Griff zu bekommen, der leistet (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Dann müssen auch einen Beitrag dazu, das Erreichte in der Sie den Bundeskanzler auch gleich erwäh Deutschlandpolitik zu stabilisieren und fortzuent- nen!) wickeln. Deshalb bringt es nichts, die DDR-Regie- — Nein. Auf den Zwischenruf habe ich gewartet, und rung heute zu etwas drängen zu wollen, was sie jetzt Sie sind hereingefallen, wie so häufig, Herr Jäger. nicht leisten kann. (Beifall bei der FDP) (Zuruf des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ CSU]) Er bemüht sich gerade darum, die Aufgabe ein Stück voranzubringen, die Sie im Zusammenhang mit der Wer die Einbindung der beiden deutschen Staaten in europäischen Einigung für die dringendste halten, zwei gegensätzliche Bündnissysteme nicht leugnen nämlich den deutsch-französischen Dialog so zu för- will, muß einsehen, daß sich die Rahmenbedingun- dern, daß wir mit unseren Vorstellungen von der po- gen erst wieder verbessern müssen, um der DDR für litischen Einigung Europas ein Stück weiterkom- eine Fortentwicklung des deutsch-deutschen Ver- men. hältnisses Raum zu schaffen. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Vorsicht, von der CDU/CSU) Herr Hoppe!) Sie sollten nicht immer nur verinnerlicht zurück- Dann, Herr Jäger, muß allerdings auch der erhöhte schauen, verehrter Herr Kollege Jäger. Zwangsumtausch vom Tisch; denn er ist nach wie vor eine ernsthafte Belastung unserer Beziehun- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Ist Coppik gen. auch in Europa aktiv? Der bereitet doch wohl die Demonstration vor!) Nur Geduld und prinzipienfestes Handeln werden uns in der Deutschlandpolitik weiterbringen. Die Vorrangig geht es darum, die Entspannungspoli- Zeit, so meinen die Kommunisten hinter dem „anti- tik fortzusetzen, weitere Erleichterungen für die imperialistischen Schutzwall", arbeite für sie. Aber Menschen in Deutschland zu schaffen und von deut- dies dürfte einer der zahlreichen Irrtümer auf mar- schem Boden aus den Weltfrieden etwas sicherer zu xistisch-leninistischer Grundlage sein. Eine Jugend machen. Ein realistisches Vorhaben, das von der wächst heran, die sich die Sinnfragen neu stellt und Bundesregierung und den sie tragenden Parteien die unter dem Desinteresse und der fehlenden Mit- konsequent verfolgt wird. Die Opposition sollte sich verantwortung am nächsten leidet. Motivationsän- daran nicht nur aus taktischen Gesichtspunkten be- derungen finden statt. Gewiß, die oft mißbrauchten teiligen. Begriffe „Nation" und „Volk" sind nicht ohne weite- Gerade die neuerliche Regierungsverantwortung res geeignet, die Jugend zu Begeisterungsstürmen in Berlin stellt j a hohe Ansprüche, und Richard von hinzureißen. Aber werden die jungen Menschen auf Weizsäcker versucht, ihr als Regierender Bürger- der Suche nach dem Ursprünglichen nicht ganz von meister auch vollauf gerecht zu werden. Seine nüch- selbst eines Tages auch auf diese Begriffe stoßen? terne Art, in Berlin Deutschlandpolitik zu treiben, Im März letzten Jahres — Herr Franke hat schon sollte auf die Opposition eigentlich ansteckend wir- daran erinnert — ermittelte das EMNID-Institut, ken. Aber bisher hat der Bazillus in der Opposition daß die Gruppe der Jugendlichen bis 19 Jahre über- nicht besonders ansteckend gewirkt. proportional, nämlich zu 70 %, der Meinung ist, man sollte die Wiedervereinigung mit der DDR- weiter im (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Herr Auge behalten. Vielleicht kann man diese Meinung Kollege, haben Sie die Rede von Herrn Lo einer Generation am ehesten mit dem Wort Rolf renz wirklich nicht gehört?) Dahrendorfs erklären: „Die deutsche Frage verlangt — Verehrte Frau Kollegin, daß der Kollege Lorenz von uns nicht nationale Gesinnung, sondern soziale Aktivität." versucht, (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Wir wollen (Zustimmung bei der FDP und der SPD) auch keine Bazillen!) Auch die europäische politische Einigung ist für das, was der Regierende Bürgermeister in Berlin uns ohne die Lösung der deutschen Frage nach wie zum Inhalt seiner Politik gemacht hat, auch hier im vor undenkbar; und doch wird sie nicht als Aufgabe Bundestag, in der Opposition, in der CDU/CSU wirk- von aktueller Brisanz empfunden. Das ist offen- sam werden zu lassen, wird ja nicht übersehen. Aber sichtlich auch bei vielen unserer Kollegen in diesem auch Sie werden einsehen, daß er erst am Anfang Hause nicht der Fall. Aber wenn Sie, verehrter Herr seiner Missions-Arbeit steht. von Wrangel, in diesem Zusammenhang ausgerech- net die Kollegen Coppik und Hansen als schlechtes (Zustimmung bei der SPD und der FDP — Beispiel anführen, dann müssen wir bekennen, sie Lorenz [CDU/CSU]: So ist das nicht!) 3262 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Hoppe Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten gesagt, daß ich eben mit den allgemeinen Ausfüh- werden uns von unserer Deutschlandpolitik aller- rungen zu dem Punkt nichts Rechtes anzufangen dings nicht abbringen lassen. wußte. Frau Kollegin Berger, Sie sollten an dieser Stelle Der Kollege Hoppe hat auch angeführt, daß die nicht so rechthaberisch sein; sonst müßte ich Sie Opposition sehr oft „Blick zurück" — „im Zorn", hat noch darauf verweisen, daß er doch Mühe hat, das er dann hinzugefügt — betreibe. Ich möchte dazu Etikett von der Jacke zu kriegen, das ihm leider an- nur sagen, es kann natürlich nicht Aufgabe unserer geheftet wird, nämlich als sogenannter Sprecher der Diskussion hier sein, etwa nicht mehr über die Feh- Deutschlandpolitik Ihrer Opposition gekennzeich- ler der Vergangenheit in dieser Politik zu sprechen. net zu werden. Darüber wollte ich eigentlich nicht Ich glaube vielmehr, wir müssen einfach deshalb reden. darüber reden, weil manches davon ja bis heute wei- (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Jetzt werden ter wirkt und die Bundesregierung in manchen Sie aber polemisch!) Punkten auch gar nicht bereit ist, diese Fehler einzu- sehen, um sie in Zukunft zu vermeiden. Es ist auch Ich muß sagen: Sie sollten mich nicht dazu verlei- Aufgabe der Opposition, auf solche Entwicklungen ten. hinzuweisen. Insofern sehe ich auch innerhalb unse- Meine Damen und Herren, wir werden für die rer Reihen keinerlei Differenzen. Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Men- Es wäre deshalb auch notwendig gewesen, daß die schen im anderen Teil Deutschlands den einzig Absicht der CDU/CSU-Fraktion, mit ihrer Großen gangbaren Weg weitergehen: den Weg der kontrol- Anfrage zu einer umfassenden Bestandsaufnahme lierten Entspannung und des Abbaus des gegenseiti- in der Deutschlandpolitik zu kommen, von der Bun- gen Mißtrauens. desregierung anders als geschehen beantwortet (Beifall bei der FDP und der SPD) worden wäre.

Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Herr (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr rich Abgeordnete Lintner. tig!) Denn wir wollten endlich einmal die jeweiligen ge- LIntner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen genseitigen Appelle zu Gemeinsamkeiten in der und Herren! Auch der Herr Kollege Hoppe hat eben Deutschlandpolitik mit Leben erfüllen und diese wieder auf die Ausführungen des Ausschußvorsit- Aufgabe auch tatkräftig angehen. zenden Ronneburger hingewiesen. Herr Kollege Hoppe, ich habe aufmerksam zugehört. Er hat zwar (Beifall bei der CDU/CSU) so getan, als ob er auf das Angebot des Kollegen Lo- Die Betonung lag bei unserer Anfrage also auf dem renz antworten würde, aber er hat im Grunde ge- Ausdruck „umfassende Bestandsaufnahme" — mit nommen fast sphinxhaft Grundsatzpositionen der dem Ziel, gemeinsam nach Auswegen aus der Deutschlandpolitik in Frage gestellt. Mir stellte sich Stagnation in diesem Bereich der Politik zu su- dabei z. B. die Frage, ob er eigentlich meint, wir soll- chen. ten auch im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts nun endlich die Realitäten oder ähnliches anerken- Dieser guten Absicht erteilt die Bundesregierung nen. bereits in ihrer Vorbemerkung eine drastische, herbe Absage. Sie stellt nämlich dort lapidar fest, (Ronneburger [FDP]: Wer hat denn das ge daß „ein Anlaß zu einer besonderen umfassenden sagt?) Bestandsaufnahme nach Auffassung der Bundesre- — Ich weiß nicht, Herr Kollege Ronneburger, ob Sie gierung gegenwärtig" überhaupt nicht besteht. Und das gemeint haben. Nur, wenn Sie das gemeint ha- das, obwohl die Antwort so viele nichtssagende Flos- ben sollten, dann haben wir hier in der Tat bereits ei- keln enthält, daß die ganze Antwort als ein Doku- nen Stopp dessen, was an Gemeinsamkeit möglich ment politischer Ratlosigkeit der Bundesregierung sein sollte. in der Deutschlandpolitik zu charakterisieren ist. - (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Das ist leider Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Erlauben Sie eine wahr!) Zwischenfrage, Herr Kollege? Was die Bundesregierung hier geliefert hat, ist zu Lintner (CDU/CSU): Ja, gern! leichtgewichtig, so würde ich meinen, um als eine konstruktive Antwort auf das Angebot der Opposi- Ronneburger (FDP): Herr Kollege Lintner, ich weiß tion verstanden zu werden. nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, daß ich mich aus- (Beifall bei der CDU/CSU) drücklich auf das bezogen habe, was die Bundesre- gierung zu diesen Rahmenbedingungen der Auch eine kritische, aber durchaus objektive Deutschlandpolitik gesagt hat, daß ich heute noch Durchsicht fördert nicht mehr an Substanz zutage, nicht einmal das Wort „Staatsbürgerschaft" in den sondern verdichtet eher den Eindruck, daß mit der Mund genommen habe und daß wir uns im Aus- Antwort eigentlich mehr verschwiegen als ausge- schuß wohl über die Grundsätze einig waren, nach sagt werden sollte. Es ist z. B. wörtlich von „bedeut- denen wir diesen Bereich der Politik behandeln. samen Fortschritten" die Rede, die erzielt worden seien. Aber bei den Antworten auf konkrete Fragen Lintner (CDU/CSU): Herr Kollege Ronneburger, liest man dann immer wieder die Eingeständnisse, ich bin dankbar für diese Klarstellung. Ich habe nur hier sei — wörtlich — ein „Rückschlag eingetreten", Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3263

Lintner oder — wieder wörtlich —: „Die Praxis wird von der und ich habe gesagt, der Herr Büchler habe behaup- Bundesregierung mit Sorge beobachtet", oder den tet, die Mauer sei ein Element der Stabilität im Be- Satz: „Die DDR hat gegen das Ziel der Verträge ver- reich der DDR. stoßen". Auf nur zehn Seiten Text finden sich derar- Ich muß das deshalb hier aufgreifen, weil derar- tige negative Einschätzungen allein dreizehnmal. tige Äußerungen natürlich von uns nicht mitgetra- Das macht bereits deutlich, daß die Antwort insofern gen werden können. jedenfalls ehrlich war, als sie die Stagnation auf der ganzen Linie dokumentiert. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Lintner, Die am Beginn der Deutschlandpolitik der Bun- erlauben Sie noch eine Zwischenfrage? desregierung und der Regierungsfraktionen so oft beschworenen „positiven Entwicklungschancen" Lintner (CDU/CSU): Bitte schön. oder der vielzitierte „gute Geist der Verträge" sind offensichtlich verflogen. Diese euphoristischen Ent- Dr. Warnke (CDU/CSU): Herr Kollege Lintner, kön- wicklungsannahmen der Bundesregierung haben nen Sie bestätigen, daß sich außer dem von Ihnen sich als nicht tragfähig erwiesen. Heute, nach etli- genannten Zitat noch ein weiteres in dem Artikel be- chen Jahren dieser Politik bewahrheitet sich des- findet, wo nicht sinngemäß, sondern wörtlich erklärt halb wieder eine Warnung der Opposition, daß sich wird: „Im übrigen, so tragisch das auch ist: Erst die Bundesregierung damals zu hektisch und mit zu durch die Mauer mit ihrem stabilisierenden Ele- kurzem Atem in diese Politik gestürzt hat. Deshalb ment für die DDR konnten wir die Verträge, Abma- kommen Sie ja — das ist nun die aktuelle Situation chungen und Verhandlungen abschließen, die wir im — heute in die Verlegenheit, für die Zurücknahme Interesse aller Deutschen abgeschlossen haben"? einseitig von der DDR revidierter Regelungen noch einmal bezahlen zu müssen. Das Schlimme daran (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! Un ist, daß dieser Vorgang als Konsequenz aus der Hal- glaublich! — Büchler [Hof] [SPD]: Jetzt zi tung der Bundesregierung für die DDR auch in der tiert er wieder falsch!) Zukunft immer wiederholbar erscheint. (CDU/CSU): Herr Kollege Dr. Warnke, ich Es fällt im übrigen der Opposition auch nicht Lintner müßte es jetzt durchlesen. Aber ich nehme an, Sie leicht, ein derartiges Gemeinsamkeitsangebot ange- haben das auch gelesen. Deshalb gehe ich davon aus, sichts der Äußerungen abzugeben, wie sie etwa der daß das so zutreffend ist. Kollege Büchler, immerhin Obmann der SPD im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, vor (Abg. Büchler [Hof] [SPD] meldet sich zu ei kurzem zur Wiederkehr des 20. Jahrestages des ner Zwischenfrage) Baues der Mauer laut Pressemeldungen gemacht — Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege Büchler, hat. Er erklärte dort sinngemäß die „Mauer" zu ei- ich kann diese Kontroverse über das Rednerpult nem Element der „Stabilität" in den innerdeutschen hier im Hinblick auf die mir zur Verfügung stehende Beziehungen. Zeit leider nicht zulassen.

Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Erlauben Sie eine Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Sie wollen keine wei- Zwischenfrage, Herr Kollege? tere Frage mehr zulassen, Herr Kollege Lintner?

Lintner (CDU/CSU): Bitte schön. Lintner (CDU/CSU): Nein. Eine ähnliche Äußerung — das ist j a nun das Be- Büchler (Hof) (SPD): Herr Kollege Lintner, Sie ha- stürzende dabei — wird auch von einem Beamten ben natürlich wieder nicht richtig zitiert, wie so oft des Innerdeutschen Ministeriums berichtet, eben- bei diesem berühmten Zitat. Ich würde Sie bitten, falls beim Einsatz in Schleswig-Holstein, wo dieser das Ganze nachzulesen. Sind Sie dazu bereit, und Gedanke ebenfalls zum Ausdruck zu kommen sind Sie dazu bereit, sich hier nicht mißbrauchen zu scheint. Ich weise nur darauf hin; Sie haben j a Gele- lassen? - genheit, die Dinge richtigzustellen.

Lintner (CDU/CSU): Herr Kollege Büchler, ich Ober diese Äußerungen hinaus — und deshalb habe das wörtliche Zitat hier, aus der „Nord-West- habe ich sie eigentlich erst aufgegriffen — glaube Zeitung" vom 8. August dieses Jahres. Ich müßte ich, trotz aller Angebote an Gemeinsamkeit sollte Ih- mehr als 20 Minuten Redezeit haben, um das alles nen, meine Damen und Herren, klar sein, daß die Be- vorlesen zu können. Aber ich darf Ihnen den ent- seitigung dieser Mauer und des Schießbefehls Ziel scheidenden Satz, auf den es mir ankam, vorlesen. jeder deutschlandpolitischen Bemühung bleiben Er lautet: „Aber Sie sehen schon, daß die Mauer die muß DDR in einem ganz handfesten Sinn stabilisierte". (Beifall bei der CDU/CSU) Mehr habe ich hier in meiner Rede auch nicht be- und daß wir nicht etwa mitmachen würden, wenn hauptet. sich hinter diesen Äußerungen die Absicht verber- (Wehner [SPD]: Das Gegenteil Ihrer vorhe gen sollte, dieses schreckliche Monstrum so als eine rigen Aussage ist das! — Lambinus [SPD]: Art stillschweigend akzeptierte Grundlage Ihrer Etwas anderes, als Sie vorhin sagten!) Deutschlandpolitik darzustellen. — Hier ist die Rede davon, Herr Kollege Lambinus, (Zurufe von der SPD: Unerhört! Wer tut das daß die Verhältnisse in der DDR stabilisiert seien, denn?) 3264 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Lintner Wie ist nun der konkrete Stand der Beziehungen? Dieser Vorgang ist im übrigen ein typisches Bei- Da ist zunächst einmal festzustellen, daß es bei einer spiel für die Art von „Qualität" der zwischen der ganzen Reihe wichtiger vereinbarter Regelungen Bundesregierung und der DDR ausgehandelten Ver- einseitige nachträgliche Veränderungen durch die träge. Die Bundesregierung bezeichnet diesen Vor- DDR gegeben hat. So sind z. B. die Beschränkungen gang zwar immer wieder als „vertragswidrig", sie ist für die Tätigkeit der Journalisten in der DDR und in aber nicht in der Lage, auch nur eine exakte Text- Ost-Berlin, einseitig verfügt im April 1979 und ver- stelle anzuführen, wo denn nun die DDR bei dieser schärft im Oktober 1980, nach wie vor in Kraft. Mit Maßnahme ausdrücklich gegen die schriftlichen starken Worten hat die Bundesregierung damals üb- Festlegungen des Vertrages verstoßen hätte. Die rigens beteuert, daß sie diese Beschränkungen nicht Bundesregierung hat sich auch hier auf den „Geist hinnehmen werde. Heute redet sie kaum mehr da- der Verträge" . verlassen und beruft sich heute auf von. Sie findet in ihrer Antwort nur noch Sätze wie: ihn, da sie nicht in der Lage ist, sich auf schriftlich fi- „Hiergegen hat sich die Bundesregierung stets ge- xierte Grundlagen zurückzuziehen, die beim Ab- wandt und wird dies auch in Zukunft tun." Aber der- schluß vorhanden gewesen sein müßten. Das bedeu- artige Sätze geraten eben zu kraftlosen Pflichtübun- tet aber in concreto, daß sie offensichtlich mit einer gen. Hier müßte irgendwo eine echte politische Ent- derartigen Konfliktlage vertrauensseligerweise schlossenheit zur Änderung zu spüren sein. Denn überhaupt nicht gerechnet hat, und das — auch nur so kann überhaupt eine erfolgversprechende daran muß ich erinnern —, obwohl damals die Oppo- Durchschlagskraft gegenüber einem so hartnäcki- sition auf solche Konfliktfälle auch in diesem Hohen gen Verhandlungspartner wie der DDR gewonnen Hause ausdrücklich hingewiesen hat. werden. (Zuruf von der SPD: Wir doch auch!) Groß propagiert wurde im übrigen danach auch Meine Damen und Herren, man könnte die einzel- der sogenannte Zeitungsaustausch, der angeblich si- nen Regelungen nun im einzelnen darauf abklopfen, cherstellen sollte, daß ein größerer Personenkreis in was denn aus ihnen geworden ist. Ich muß das jetzt der DDR Zugang zu westlichen Zeitungen erhalten etwas verkürzt tun. — Bei den sogenannten Folge- sollte. Die Bundesregierung stellt in ihrer Antwort vereinbarungen nach Art. 7 Grundlagenvertrag heute nach vielen Jahren fest, daß weiterhin in der stellt die Bundesregierung bei allen vier noch zur DDR — so wörtlich — nur „besonders berechtigte Debatte stehenden Abkommen fest, die Verhandlun- Empfänger in den Genuß westlicher Zeitungen kom- gen kämen nicht voran, die Gespräche seien „noch men können". Warum erinnert denn eigentlich die offen", wie es wörtlich heißt. Bundesregierung die DDR nicht ständig an diese Ähnliches gilt auch für die sonstigen Bereiche, Verpflichtung, die sich j a zum Beispiel auch aus dem z. B. für den Bereich der Jugendbegegnungen. Hier Korb III der Helsinki-Akte ergibt? wird lapidar festgestellt: „Die DDR-Teilnehmer set- Im Oktober 1980 wurde dann der bisher schwerste zen sich ausschließlich aus FDJ- und FDGB-Funk- Schlag gegen getroffene Regelungen seitens der tionären zusammen." — Anerkennen will ich ande- DDR geführt. Die Mindestumtauschsätze im Besu- rerseits, daß die Zahl der Jugendlichen, die von uns cherverkehr wurden drastisch angehoben, und die nach Mitteldeutschland reisen, jährlich um zehn vom SED-Regime erhoffte Wirkung trat auch ein: Prozent im Steigen begriffen ist. Die Besucherzahlen gingen dramatisch, teilweise Das alles ist zwar eine zutreffende Beschreibung um über die Hälfte zurück. Auch damals versprach auch des gegenwärtigen Zustandes, aber es fehlt die Bundesregierung unserer Öffentlichkeit markig, eben in der Antwort eigentlich bei jedem Punkt je- diese einseitige Maßnahme werde sie nicht hinneh- der politisch in die Zukunft zeigende Hinweis dar- men. Heute heißt es, man werde Abgrenzung nicht auf, wie denn die Bundesregierung sich bemühen mit Abgrenzung beantworten, und im übrigen habe will, diese Zustände zu ändern. man auch nicht vor, bei einem Treffen zwischen (Ronneburger [FDP]: Danach haben Sie Kanzler und Honecker irgendwelche Vorbedingun- doch gar nicht gefragt, Herr Kollege!) gen zu stellen. — Wir haben eine umfassende Bestandsaufnahme Ursprünglich, meine Damen und Herren — ich von der Bundesregierung verlangt, und darunter, darf daran erinnern — war sogar seitens der Bun- glaube ich, wäre auch das zu verstehen gewesen. desregierung von denkbaren Sanktionen — Swing, sage ich nur — die Rede. Davon ist heute weit und (Beifall bei der CDU/CSU) breit auch nur andeutungsweise nichts mehr zu hö- Meine Damen und Herren, ich muß jetzt einiges ren. Hier kann ich nur sagen: Hätte die Bundesregie- von dem weglassen, was ich hier noch ansprechen rung wenigstens geschwiegen! So aber hat sie doch wollte. der DDR bereits öffentlich signalisiert, wie wenig (Stahl [Kempen] [SPD]: Es ist gut so!) Wert sie auf echte Ergebnisse dieses Gesprächs legt. Sie hat damit zu erkennen gegeben, daß man bereits Lassen Sie mich zum Schluß nur noch eines sagen. in dem Gespräch an sich einen Erfolg sieht. Wir da- Die Probleme, die sich bei der Familienzusammen- gegen werden — das ist heute hier schon gesagt wor- führung ergeben, scheinen der Bundesregierung be- den — den Wert dieses Gespräches an seinen Ergeb- sonders peinlich zu sein. Sonst würde sie nämlich in nissen messen. ihrer Antwort dazu nicht darauf hinweisen, daß sie das Thema möglichst unter Ausschluß der Offent- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der lichkeit behandelt wissen wolle. Das erscheint auch SPD) verständlich, wenn man die Zahl der Zuwanderun- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3265

Lintner gen aus der DDR in den 60er Jahren mit den Ergeb- — Herr Sauer, auch Ihre Beiträge heute in dieser nissen der 70er Jahre vergleicht. 1963 bis 1972 konn- Debatte ten insgesamt rund 165 000 — das sind 16 500 pro (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Sie haben ein vor Jahr — aus der DDR in die Bundesrepublik übersie- gefertigtes Manuskript, gnädige Frau!) deln. Seit Geltung des Grundlagenvertrags waren es bis 1980 nur noch rund 71 000 solcher Zusammenfüh- zeigen leider wenig. rungen, also ungefähr 9 000 pro Jahr. (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Lassen Sie doch Übrigens weise ich in diesem Zusammenhang das Manuskript beiseite!) auch darauf hin, daß wir nach der Erhöhung des Mit den vorausgehenden Ostverträgen, dem er- Mindestumtauschs auch bei den mehrtägigen Rei- wähnten Grundlagenvertrag sen vom Bundesgebiet in die DDR wieder auf dem Niveau von 1967, nämlich rund 1,4 Millionen, ange- (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Sie reden vom langt sind. Vorgestern, nicht mal vom Gestern!) — ich rede vom Heute! — Das ist die gegenwärtige Bilanz dieser Deutsch- landpolitik und der festgestellten Stagnation. (Wehner [SPD]: Sie Kavalier! — Gegenruf des Abg. Dr. Wörner [CDU/CSU]: Das habe Ich frage Sie: Wäre es bei dieser Situation nicht ich von Ihnen gelernt! — Wehner [SPD]: Ko richtiger gewesen, das Angebot der Opposition zu misch!) mehr Gemeinsamkeiten zu ergreifen? und den nachfolgenden Vereinbarungen und Rege- (Beifall bei der CDU/CSU) lungen hat die sozialliberale Koalition eine Beendi- gung des Kalten Krieges erreicht und eine Entspan- nungspolitik in Europa mit einer Normalisierung Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat Frau Ab- der deutsch-deutschen Beziehungen eingeleitet. geordnete Fromm. (Beifall bei der FDP und der SPD) — Dies hat Stabilität in Mitteleuropa gebracht. Frau Fromm (FDP): Herr Präsident! Meine Damen (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Die Platte von vor und Herren! Wenn wir heute eine Bestandsauf- gestern!) nahme in der Deutschlandpolitik machen, bedeutet Die äußerst komplizierte Situation, in der sich dies, ein Resümee des bisher Erreichten zu ziehen, beide deutsche Staaten befinden, läßt sich — und über Entwicklungen nachzudenken und Möglichkei- das sollten auch Sie wissen — nicht ad hoc lösen. ten für die Zukunft aufzuzeigen. Deutschlandpolitik ist langfristig angelegt. Sie erfor- Am 21. Dezember 1972 wurde der Vertrag über die dert Beharrlichkeit, Ausdauer und Geduld. Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundes- (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Ganz neu!) republik Deutschland und der Deutschen Demokra- tischen Republik geschlossen. Es bietet sich schon Dies gerät auch Ihnen oft aus dem Blickfeld. heute an, eine Bilanz zu ziehen. Denn wir können Rückschläge ließen sich leider nicht verhindern. auf fast ein Jahrzehnt gemeinsamer Vertragspolitik Deshalb bedauern wir Freien Demokraten die Erhö- zurückblicken. hung des Zwangsumtausches. Wir fordern ihre 20 Jahre Ostpolitik der CDU/CSU haben auf die Rücknahme. Doch insgesamt gesehen überwiegen Überwindung der gesellschaftlichen Unterschiede die positiven Ergebnisse aus dem Grundlagenver- zwischen der Bundesrepublik und der DDR keine trag. Die Erleichterung der menschlichen Begeg- konstruktive Antwort finden können, nungen zwischen Bürgern der DDR und denen der Bundesrepublik Deutschland beweisen es: Das Zu- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Da waren sammengehörigkeitsgefühl ist in beiden Teilen der Sie doch noch in der Regierung!) - Bevölkerung immer noch wach und zeigt auf eine und das zum Leidwesen der Menschen hier wie Einheit der Nation. Meine Damen und Herren, das dort. lassen wir uns von Ihnen, den Kollegen von der CDU/CSU, nicht zerreden. Ich frage Sie: Was ist die (Beifall bei der FDP und der SPD) Nation anderes als unter anderem auch das Bewußt- Aber gerade die Ostpolitik der sozialliberalen Koali- sein und das Gefühl der Bevölkerung, zusammenge- tion hat es fertiggebracht, den Ost-West-Gegensatz hören zu wollen? zu entschärfen. Dies zeigen besonders die gesteiger- Ein weiteres Beispiel für die besonderen Bezie- ten Möglichkeiten der menschlichen Begegnungen. hungen beider Staaten in Deutschland bietet der in- (Beifall bei der FDP und der SPD) nerdeutsche Handel. Dies wurde vom Staatsratsvor- sitzenden der DDR, Erich Honecker, in einem Inter- Bis heute hat die Opposition keine Alternative zur view der „New York Times" im November 1972 be- friedensichernden Ostpolitik der Bundesrepublik stätigt, in dem auch er erklärte, daß durch den inner- finden können. deutschen Handel die besonderen Beziehungen zwi- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Aber, Frau schen beiden deutschen Staaten fortbestehen. Kollegin! — Dr. Wörner [CDU/CSU]: Spie An dieser Stelle möchte ich auch auf die Schluß- len Sie doch nicht die alte Platte ab! — Wei akte der Konferenz über Sicherheit und Zusammen- tere Zurufe von der CDU/CSU) arbeit in Europa hinweisen, „eine neue Dimension 3266 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Frau Fromm der Zusammenarbeit über Systemgrenzen hinweg stungskontrolle und Abrüstung aufnehmen. Dafür zu finden". „Wir können aus einer Konfrontation in gilt mein und, wie ich finde, unser aller Dank Bun- Europa keinen Nutzen ziehen. Wir können aber ge- deskanzler Schmidt und Bundesaußenminister winnen, den Menschen den Kontakt und das Zusam- Hans-Dietrich Genscher. menleben erleichtern", das sagte damals auch Bun- (Beifall bei der FDP und der SPD) desaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Welche Möglichkeiten sich den europäischen Staaten eröff- An dieser Stelle rufe ich der Regierung der DDR zu, nen, wollten Sie, meine Damen und Herren von der sie möge für ein Deutschland von morgen Entspre- CDU/CSU, damals nicht sehen. Sie sprachen sich ge- chendes tun. gen die KSZE-Schlußakte aus. Der französische Schriftsteller Rovan, der sich im (Sehr richtig! bei der FDP) „Deutschlandarchiv" auch mit der deutschen Zu- kunft beschäftigt, bettet die Lösung der deutschen Wir befinden uns hier in Mitteleuropa an der Frage in eine „Wiedervereinigung" der beiden Teile Nahtstelle zwischen der NATO und dem War- Europas. Auch für ihn ist diese Frage nur in der An- schauer Pakt. Aus dieser Situation erwächst beiden näherung beider Teile Europas friedlich lösbar. deutschen Staaten eine zunehmende Verantwor- tung und Pflicht zur Fortsetzung und Ausgestaltung Deshalb möchte ich mit einem Wort, das Hans der Vertrags- und Entspannungspolitik. Dietrich Genscher im September vor der UNO-Ge- (Beifall bei der FDP und der SPD) neralversammlung gebrauchte, schließen: Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Der Wille der Völker ist nicht auf Erhaltung und auch die Bevölkerung in der DDR sorgen sich oder gar Vertiefung des Trennenden gerichtet, um den Frieden, empfinden den wahnsinnigen Rü- sondern auf seine Überwindung. stungswettlauf im Osten wie im Westen als immer Dies, meine Damen und Herren, muß immer unser unerträglicher. Ziel bleiben. Meine Damen und Herren von der Op- (Zustimmung bei der FDP und der SPD) position, helfen auch Sie dabei mit! Viele junge Mitbürger rufen nicht nur nach Verbes- (Beifall bei der FDP und der SPD) serung und Absicherung eines materiellen Wohl- stands, sondern nach Aufnahme vertrauensvoller Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Herr Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion Abgeordnete Werner. zur Abrüstung.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD) Werner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Fromm, bei al- Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Frau Kollegin Fromm, lem Wohlwollen: Das, was Sie gerade eben ausge- der Abgeordnete Jäger (Wangen) würde gern eine führt haben, hätten Sie vielleicht in dem einen oder Frage stellen. Würden Sie das erlauben? anderen vergangenen Jahr — und dann auch nicht zu Recht —, so sagen oder ausdrücken können. Aber Frau Fromm (FDP): Herr Jäger, im Hinblick auf die jetzt muß ich doch feststellen, daß Sie so nur spre- Kollegialität — die Zeit ist schon sehr weit fortge- chen können, wenn Sie nicht dem zugehört haben, schritten — möchte ich es dabei bewenden lassen. was unsere Redner hier heute gesagt haben, Wir können uns im Ausschuß über meine Äußerun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen nochmals unterhalten. und wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, (Dr. Hupka [CDU/CSU]: So wichtig sind die daß auch wir sehr wohl die Realitäten sehen, von de- nicht!) nen wir auszugehen haben, die wir aber verändern Junge Menschen, meine Damen und Herren, ru- wollen. fen nach einem Leben in friedlicher Zukunft. Die (Beifall des Abg. Jäger [Wangen] [CDU/ Friedensbekundungen in der Bundesrepublik- und CSU] ) die Diskussion in den Kirchengemeinden der DDR um den Friedensdienst sind ein weiteres deutsches Frau Kollegin, wir sehen dabei auch sehr wohl die Bindeglied. Deshalb ist auch der deutsch-deutsche abgeschlossenen Verträge, wenn sie richtig ausge- Meinungsaustausch über Rüstungskontrolle und füllt werden — so wie dieses Haus es wiederholt dis- Abrüstung fortzusetzen, gerade um der Entspan- kutiert und beschlossen hat —, nungspolitik willen. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle möchte ich uns auch etwas zuru- als eine Möglichkeit für die Veränderung und Ver- fen, was der DDR-Dichter Becher 1952 schrieb, das besserung der Realitäten an. heute aktueller denn je ist — ich zitiere —: Ich möchte nun eigentlich nur einige Worte zu Brüder in Ost und West, widersteht den Gewal- dem Bereich ausführen, den die Bundesregierung in ten! Haltet, um standzuhalten, Deutschland im der Antwort nur nebenbei angetippt hat, nämlich zur Herzen fest! Frage, wie wach das Deutschland- und Nationalbe- Wir tun dies. wußtsein sei und wie wir dieses Bewußtsein im In- Die Bundesregierung hat ihrerseits auf die Regie- land und im Ausland fördern könnten. rungen der USA und der Sowjetunion hingewirkt, Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 1973 daß beide Staaten endlich die Gespräche über Rü dazu gesagt: Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3267

Werner Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Ich möchte aber gleichfalls noch ein Wort im Hin- Deutschland darf die Wiederherstellung der blick auf die innere Situation sagen. Man spricht da- staatlichen Einheit als politisches Ziel aufge- von, Begriffe wie „Deutschland" und „Nationalbe- ben. Alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, wußtsein" seien im Schwinden; sie seien nicht vor- in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Ziels handen, sagen die Pessimisten. Es besteht in der Tat hinzuwirken — das schließt die Forderung ein, eine Gefahr, daß wir uns auseinanderleben. Ich mei- den Wiedervereinigungsanspruch im Innern ne, hier gibt es eine Führungsfunktion der Bundes- wachzuhalten und nach außen beharrlich zu regierung auch im Hinblick auf die Kompetenz der vertreten — und alles zu unterlassen, was die Länder, diesen immer wieder klarzumachen, daß sie Wiedervereinigung vereiteln würde. sich — jetzt ganz konkret gesprochen — an getrof- fene Vereinbarungen zu halten haben. Wenn wir das Meine Damen und Herren, das heißt im Klartext, Nationalbewußtsein wachhalten und den Willen zur daß jede Bundesregierung im Inland wie im Ausland Einheit fördern wollen, dann müssen wir auch den unentwegt versuchen muß, die Vielschichtigkeit und Mut aufbringen, unseren Ländern zu sagen — ich die weltpolitische Relevanz der deutschen Frage denke hier vor allen Dingen an die SPD-regierten, darzulegen und unentwegt für das - Selbstbestim- Herr Minister —, daß auch sie die einstimmig verab- mungsrecht auch der Deutschen und für den Willen schiedeten Vereinbarungen etwa zur Darstellung der Deutschen nach nationaler Einheit zu werben. Deutschlands in den Schulbüchern und kartographi- Lassen Sie mich in aller Sachlichkeit feststellen: schen Werken, aber auch zur Behandlung der deut- Seit dem Deutschlandvertrag bis hin zu den jüng- schen Frage im Unterricht einzuhalten haben und sten Verlautbarungen auf den NATO-Konferenzen möglichst rasch in die Praxis umsetzen sollten. und den EG-Konferenzen ist es den Bundesregie- rungen gelungen, die Regierungen unserer Verbün- (Beifall bei der CDU/CSU) deten hier immer wieder zu einer positiven Aussage Dies ist Ihre Aufgabe, die Sie zu erfüllen haben. zu bewegen. Darüber hinaus stellen wir fest, daß der Deutsch- Doch möchte ich anmerken, daß es eben leider land-Begriff bereits leider allzu oft auf die Bundes- nicht genügt, die verantwortlichen Regierungen zu republik Deutschland reduziert wird, ein Vorgang, einer Bejahung dieser Ziele zu bewegen. Das Ent- dem wir uns alle energisch entgegenstemmen soll- scheidende ist doch, ob es uns gelingt, den Bevölke- ten. Wir sollten unser Bemühen darauf richten, Herr rungen jener Länder unser Streben und unser Wol- Minister, alles zu unternehmen, daß unsere jungen len klarzumachen. Mitbürger, von denen bereits die Hälfte der bis zu Vierundzwanzigjährigen die DDR als Ausland an- (Zuruf von der SPD: Auslandspropagan sieht, und unsere Bürger in der Bundesrepublik da?!) Deutschland insgesamt jede Möglichkeit wahrneh- Es ist j a im Ausland leider allzuoft so, daß die Tei- men und nutzen können, mit den Bewohnern und lung Deutschlands als Normalfall, als Regelfall, an- Bürgern der DDR in Kontakt zu treten. Deswegen, gesehen wird. Hier möchte ich einfach auch die sehr geehrter Herr Minister, finde ich es schade, daß Frage in den Raum stellen — das sollten wir Deut- hinsichtlich der Reisen an die Zonengrenze und der sche uns schon fragen, Herr Diederich —, inwieweit Reisen nach Berlin, und damit auch der Möglichkeit vielleicht auch die deutsche Politik in den vergange- des Hinübergehens in die DDR und nach Ost-Berlin, nen zehn Jahren dazu beigetragen hat, daß man im der Rotstift in Ihrem Hause ohne großen Widerstand Ausland zu der Auffassung gelangen kann, die que- Erfolg haben konnte. relles allemandes seien unangebracht, es sei am be- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Hupka sten, man spreche nicht darüber, man gehe darüber [CDU/CSU]: Das ist die neue Realität!) hinweg, (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege, die Re- dezeit, die Ihre Fraktion für Sie angemeldet hat, ist und tue so, als gebe es dieses Ausbleiben an Gerech- - leider abgelaufen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie tigkeit, diese Vorenthaltung des Selbstbestim- zum Ende kommen würden. mungsrechts, auch für uns und unsere Landsleute, eben nicht. Werner (CDU/CSU): Ich danke für den Hinweis. — Meine Damen und Herren, wir, die CDU/CSU, bieten (Beifall bei der CDU/CSU) in diesen Fragen die • Kooperation an. Dieses Ange- Deswegen, Herr Bundesaußenminister, sind wir der bot zur Zusammenarbeit, verehrter Herr Kollege Auffassung, daß es erforderlich ist, sich im Ausland, Büchler, kann sinnvollerweise natürlich nur so ver- vor allen Dingen auch vor den Vereinten Nationen, standen werden, daß wir uns beiderseits bemühen unentwegt dafür einzusetzen, daß diese Rechtsvor- müssen, nicht nur in diesem Hause, sondern auch stellungen auch für die Deutschen angewandt wer- draußen aufeinander zuzugehen — im Interesse des den können und daß diese Rechte auch in Deutsch- geteilten Deutschland. land zur Geltung kommen. Denn es zeichnet sich ja (Beifall bei der CDU/CSU) immer deutlicher ab, daß wir angesichts des Wett- kampfs der Gesellschaftssysteme gerade mit unse- Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Herr rem wohlbegründeten und gesunden Selbstbewußt- Abgeordnete Steiner. sein in diesen Streit sehr wohl eintreten und uns auch auf der internationalen Bühne mit der DDR in Steiner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und aller Sachlichkeit auseinandersetzen können. Herren! Als ich zu Beginn der Legislaturperiode 3268 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Steiner darum gebeten wurde, im Innerdeutschen Ausschuß Ich habe dieses Signal des Kollegen Lorenz zwar mit mitzuarbeiten, habe ich mich als Neuling dieses der gebotenen Skepsis, aber doch positiv aufgenom- Hauses nicht nur mit der Thematik und Problematik men. Nachdem ich den Verlauf der heutigen Debatte der Deutschlandpolitik vertraut gemacht, sondern verfolgt habe, muß ich sagen: Es sind hoffnungsvolle auch, soweit das möglich war, mit dem bisher im In- Ansätze bei Ihnen vorhanden gewesen. nerdeutschen Ausschuß und besonders hier im Ple- num in den letzten Jahren dazu Gesagten. (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Jetzt gibt es Noten!) Nach Durchsicht der für mich greifbaren Unterla- gen bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: Die Es kommt jetzt darauf an, daß Sie selbst daraus et- Aktivitäten der Opposition in der Deutschlandpoli- was machen. Auf der anderen Seite habe ich aber tik, in diesem für unser Volk so wichtigen Bereich auch feststellen müssen, daß Sie, was die Gangart politischer Arbeit, beschränkte sich in der zurücklie- anlangt, in vielen Bereichen das beibehalten haben, genden Zeit im wesentlichen auf polemisch-kriti- was wir bereits von Ihnen kennen. sche Bemerkungen zur Koalitionspolitik, auf Anträ- ge, Kleine und Große Anfragen, die in regelmäßigen (Zuruf von der SPD: Wenn nicht der Hupka Abständen mit beinahe deckungsgleichem Inhalt bremst!) nach demselben Strickmuster auf den Weg gebracht Herr Kollege Lintner, noch ein Wort zu dem, was wurden, Sie gesagt haben: Sie haben es trotz aller Mühe, die (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Das nennt Sie sich auch heute wieder gegeben haben, nicht er- man Rationalisierung!) reicht, die Erfolge, die die sozialliberale Koalition oder auf scharfe, bisweilen sogar gehässige Angriffe bisher in Sachen Deutschlandpolitik erzielt hat, hier gegen die Bundesregierung anläßlich der Debatten zu zerreden. über die gegebenen Berichte zur Lage der Nation. Das Zwischenergebnis, das wir vorweisen können, (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Wie hätten Sie es kann sich wirklich sehen lassen. Ich sage bewußt denn gern?) „Zwischenergebnis", weil auch ich der Meinung bin, daß wir noch lange nicht am Ziel sind. Insofern stim- — Ich komme noch darauf zurück. men wir mit Ihnen überein. Nur sind die erreichten Das, so habe ich als Neuling im Bundestag es an Verbesserungen auch in den Bereichen, die Sie hier Hand von Protokollen feststellen müssen, war in den angesprochen haben, doch so deutlich, daß Sie es letzten Jahren der Beitrag der Opposition zur auch mit Ihrer Kritik nicht erreichen, diese Ergeb- Deutschlandpolitik. nisse zu negieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie ein (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Kommen Sie seitig gelesen!) doch mal zu den Problemen!) Wenn man eine neue Aufgabe übernimmt, Herr Kol- Ich möchte hier auf einige Beispiele eingehen. Ich lege Hupka, dann macht man für sich natürlich auch tue das nicht, weil ich hier eine Selbstbeweihräuche- eine Bestandsaufnahme. Ich habe das getan. Das Er- rung vornehmen möchte, sondern weil ich deutlich gebnis habe ich gerade vorgetragen. machen möchte — und das zum wiederholten (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie haben viele Male —, daß der Weg, den wir bisher in der Deutsch- Dinge überlesen! Lesen Sie nochmal! — landpolitik gegangen sind, so verkehrt, wie Sie ihn Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Lesen al immer hinstellen, gar nicht gewesen sein kann. Ich lein langt halt nicht!) will auch deutlich machen, daß wir beim Befahren dieses sicherlich nicht leichten Weges nicht den Ich war deshalb erfreut, zu hören, daß Ihr deutsch- Rückwärtsgang drin hatten. landpolitischer Sprecher — im „Bayernkurier" wird er als „sogenannter deutschlandpolitischer Spre- Sie haben hier auch von dem Rückgang der Zahl cher" bezeichnet; deshalb bin ich auch nicht- so ganz der Begegnungen im innerdeutschen Bereich ge- sicher, Herr Kollege Lorenz, ob Sie heute legiti- sprochen. Sie haben darauf hingewiesen, daß durch miert waren, für beide Oppositionsparteien zu die Erhöhung der Zwangsumtauschsätze ein erheb- sprechen — licher Rückgang zu verzeichnen ist. Das haben wir (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: War er! erwartet. Das war auch in den Jahren 1973/74 schon — Dr. Hupka [CDU/CSU]: Kümmern Sie der Fall. sich um Ihre Fraktion! — Lorenz [CDU/ (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sagen Sie CSU]: Zerbrechen Sie sich mal nicht unse mal, wie Sie das ändern wollen!) ren Kopf!) in den letzten Tagen im Innerdeutschen Ausschuß Wir haben auch deutlich gemacht, daß wir nicht be- eine neue, konstruktivere Mitarbeit und eine andere reit sind, das so ohne weiteres hinzunehmen, Herr Gangart der Oppositionsfraktion signalisierte. Kollege Jäger, sondern — wie wir bei allen sich bie- tenden Gelegenheiten gesagt haben - immer wie- (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Ob der wohl der klarmachen werden, daß hier etwas zurückge- Lehrer ist? — Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: nommen werden muß, Wozu die Bundesregierung nach Herrn Eppler noch legitimiert ist, muß man sich (Dr. Wörner [CDU/CSU]: Etwas oder al mal fragen!) les?) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3269

Steiner was das Verhältnis der beiden deutschen Staaten — Ich zähle diese Beispiele nicht deshalb auf — ich doch erheblich belastet. habe das schon gesagt —, um eine Selbstbeweihräu- cherung vorzunehmen, sondern um das zu widerle- (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Vor dem Besuch gen, was Sie uns immer wieder zu unterstellen ver- des Bundeskanzlers!) suchen, daß wir nämlich nichts erreicht hätten. Wenn Sie die Gesamtzahl der Besuchsreisen be- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Genau das ist trachten — Sie haben j a nur eine Zahl genannt, und es: Selbstbeweihräucherung!) zwar jene, die die mehrtägigen Reisen in die DDR erfaßt; man darf sich nicht immer bloß die Rosinen Herr Kollege Lorenz, zu dem, was Sie am 21. Juli aus dem Kuchen picken —, stellen Sie fest, daß wir 1981 im „Union Dienst" geschrieben haben — wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch mehr Be- seien bei den innerdeutschen Beziehungen auf ei- suchsreisen zu verzeichnen haben als in den besten nem Tiefpunkt angelangt, es bewege sich nichts Zeiten Ihrer Regierungsära. mehr —, muß ich Ihnen folgendes sagen. Seit der Er- richtung der Ständigen Vertretungen in der Bundes- Diese Feststellung gilt nicht nur hinsichtlich der republik Deutschland und der DDR, 1974, ist der in- Besuchsreisen, wie Sie gemeint haben, sondern nerdeutsche Dialog nie mehr abgebrochen, auch auch hinsichtlich anderer Bereiche. Dazu ein weite- nicht in schwierigen Zeiten. Wir wissen, daß wir es res Beispiel. Gegenüber dem Jahr 1971 hat sich der mit einem schwierigen Verhandlungspartner zu tun Transitverkehr — das ist j a auch für Sie als Berliner, haben. Herr Kollege Lorenz, sehr wichtig — von und nach Berlin (West) verdoppelt. (Lorenz [CDU/CSU]: Ihre Aussage spricht nicht dagegen, daß wir gleichwohl auf dem (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Und die Tiefpunkt sein können!) Grenze ist brutaler geworden!) Die Gespräche, die zur Zeit geführt werden, dienen — Aber doch nicht brutaler geworden, weil wir das ja dazu, Bewegung in den Dialog zu bringen. Meinen verursacht haben. Sie nur nicht, Sie hätten mit dem Katalog, den Sie (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das sage ich aufgestellt und veröffentlicht haben, das Gelbe vom doch gar nicht!) Ei entdeckt. Das sind doch Dinge, die auch uns be- kannt sind, die wir bereits aufgegriffen haben und Das ist doch wieder eine der typischen Unterstellun- die wir in dem Rahmen, der uns gegeben ist, weiter- gen, die Sie in Form von Zwischenrufen machen. zuverfolgen bereit sind. (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Sie müssen eben (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Kommen Sie die Realität sehen!) endlich zu den wichtigen Dingen!) -- Realität ist, daß wir Erfolge erzielt haben. Ich bin Ich meine, es wird deutlich, daß es immer noch darauf gerade im einzelnen eingegangen. weitergeht, wenn auch ganz langsam. Es hat Rück- Die Transitwege sind sicherer geworden. Noch am schläge gegeben. Ein Rückschlag ist die Erhöhung letzten Sonntag bin ich mit dem Bus von Berlin der Zwangsumtauschsätze. Wir sind nicht sicher, ob (West) hierhier gefahren. es nicht noch mal Rückschläge geben wird. Wenn es aber wieder einmal einen Rückschlag geben sollte — (Lorenz [CDU/CSU]: Das ist das Berlin-Ab was uns hoffentlich erspart bleibt —, wird uns das kommen! Das haben wir den Alliierten zu trotzdem nicht mutlos machen, sondern wir werden verdanken!) dann unsere Arbeit noch geduldiger und noch be- Im Vergleich zu dem, was zu Ihrer Regierungszeit in harrlicher fortsetzen. diesem Bereich zu verzeichnen war, ist die Situation (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Noch mehr daher heute wesentlich besser. Auch das sind Dinge, die reden!) Sie nicht einfach wegdiskutieren können. Man kann in diesem Bereich der politischen Ar- (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Aber den Schieß - beit nichts mit der Brechstange bewirken. Sie tun befehl gibt es immer noch!) immer so, als ob es nur in unserer Hand läge, der Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß die zwi- DDR Anweisung zu geben, was sie gefälligst anders schenmenschlichen Beziehungen, die Kommunika- zu machen habe. Sie versuchen immer, den Ein- tion zurückgegangen sei. druck zu erwecken, als könnte man, sagen wir mal, die DDR mit Kraftmeierei zum Zittern bringen. (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal Wenn man so vorgehen wollte, wie Sie es wünschen, die West-Berliner nach ihren Reisen nach dann wären die Leidtragenden aber die Menschen, Ost-Berlin!) die drüben darauf warten, daß wir mehr Kommuni- Dazu ein weiteres Beispiel: Auch auf dem Gebiet des kation zustande bringen. Telefonverkehrs bzw. im telekommunikativen Be- Wir müssen bei all unseren Überlegungen und Ak- reich haben wir seit Übernahme der Regierungsver- tivitäten davon ausgehen, daß sich die beiden deut- antwortung Erhebliches zustande gebracht, was zu schen Staaten in ihren Beziehungen auf der Grund- Ihrer Zeit nicht möglich war. lage der Gleichberechtigung gegenüberstehen. Das (Beifall bei der SPD und der FDP — Jäger ist so, ob das Ihnen und uns paßt oder nicht. Verbes- [Wangen] [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal et serungen werden deshalb immer nur dann zu erzie- was zur Zukunft! Sie reden immer nur von len sein, wenn auf jeder der beiden Seiten spezifi- der Vergangenheit!) sche Interessenlagen nicht verletzt werden. 3270 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Steiner, blik Deutschland kein Offenhalten der Grenz- darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Re- frage," dezeit, die Ihre Fraktion für Sie angemeldet hat, (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) lange überschritten ist. zweitens, „das, was von Deutschland blieb, ist ge- Steiner (SPD): Ich komme zum Schluß. — Der Weg, spalten in zwei Staaten", und auch, was den wir gehen und den wir weitergehen, ist nicht sagte: „juristischer Formelkram", oder der stellver- leicht; aber es ist für uns und für mich zur Zeit der tretende Fraktionsvorsitzende Ehmke: „juristisches einzige gangbare Weg. Er ist dornenreich, aber wir Schattenreich". werden ihn gehen. Sollten Sie bereit sein — und Sie (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: So ist es haben es heute anklingen lassen —, ein Stück des auch! — Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Weges mit uns zu gehen, dann werden wir Sie nicht als Trittbrettfahrer bezeichnen. Ich jedenfalls werde — Dies sagen Sie, Herr Kollege, nach der Antwort es nicht tun. Sie tun damit auch der sozialliberalen der Bundesregierung?! Koalition keinen Gefallen. Aber wenn Sie es tun soll- Die CDU/CSU begrüßt ferner ausdrücklich, daß ten, dann leisten Sie einen Dienst für das gesamte sich die Bundesregierung zum Verfassungsgebot deutsche Volk. der nationalen Schutzpflicht für die etwa 1,2 Millio- (Beifall bei der SPD und der FDP) nen deutscher Staatsangehöriger in den Oder- Neiße-Gebieten bekannt hat, zweitens ebenso zur Sorgepflicht für die etwa 3 Millionen Menschen Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauer. deutscher Volkszugehörigkeit in den Ländern des Ostblocks.

Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Herr Präsident! (Beifall bei der CDU/CSU) Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU Aber der Bundesaußenminister hat im März 1976 für raktion hatte die Bundesregierung um Auskunft die Bundesregierung vor dem Bundesrat erklärt, gebeten, was sie unter Deutschland versteht. Mit ih- daß man sich in Polen für die sprachlichen und kul- rer Antwort hat die Bundesregierung bestätigt — turellen Rechte unserer Landsleute einsetzen möch- was in der heutigen Debatte leider nicht beachtet te. Herr Kollege Hoppe, bei aller Sorge und auch Be- worden ist —, daß Deutschland doch mehr ist als die wunderung der Situation in Polen müssen wir doch Bundesrepublik Deutschland und die DDR. davon ausgehen, daß in Warschau eine kommunisti- (Beifall bei der CDU/CSU) sche Regierung ist, die inhuman gegen die eigenen Auf Grund der vorliegenden Antwort auf die Fra- Landsleute, die freiheitsliebenden Polen, ist, aber ge 15 möchte ich folgende Gemeinsamkeit unter- auch gegen unsere Landsleute. streichen und die Feststellungen der Regierung be- (Wehner [SPD]: Marschieren Sie doch dort grüßen: Erstens, die endgültige Festlegung der ein!) Grenzen Deutschlands ist bis zu einer frei verein- barten friedensvertraglichen Regelung für ganz — Herr Wehner, wir müssen in diesen Fragen ehr- Deutschland aufgeschoben, zweitens, die Rechte lich und offen sein. und die Verantwortung der Vier Mächte in bezug auf (Erneuter Zuruf des Abg. Wehner [SPD]) Deutschland als Ganzes bestehen fort, drittens, die deutsche Frage ist offen. Die Bundesregierung hat Darum frage ich im Interesse unserer Landsleute: also in der Antwort auf unsere Frage 15 dankens- Was hat sich denn seit 1976 trotz finanzieller Lei- werterweise klargestellt: auch die Gebiete östlich -stungen, die damals durch Zustimmung des CDU von Oder und Neiße sind aus der rechtlichen Zuge- Ministerpräsidenten Dr. Albrecht im Bundesrat be- hörigkeit zu Deutschland nicht entlassen und nicht schlossen wurden, beim Volksgruppenrecht und bei endgültig einer fremden Souveränität unterstellt. der Freizügigkeit der Ausreise geändert? Man darf -F- den deutschen Kindern nicht einmal deutsche Vor- Sie hat in dieser Antwort ferner bekräftigt, daß namen geben. Deutschland in seinen rechtmäßigen Grenzen von 1937 fortbesteht, auch nach Abschluß des War- (Zuruf von der SPD) schauer Vertrages und des Moskauer Vertrages, die — Sie haben doch lange drüben gewohnt, Herr Kol- keine Grenzverträge, sondern lediglich Gewaltver- lege Stahl. Sie wissen doch selber, was Sie und Ihre zichtsverträge sind. Darum bitte ich namens der Familie damals durchgemacht haben. Es hat sich bis Fraktion der CDU/CSU die Bundesregierung, dieses jetzt nichts geändert; ich bin selber viermal in Ober- von ihr staats- und völkerrechtlich korrekte schlesien gewesen. Deutschlandbild auch in ihren Broschüren, Prospek- ten und Kartenwerken so darzustellen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CSU/CSU) Meine Bitte geht dahin: Wir haben hier polnische Verbände: die Zgoda, die Polonia, den Bund der Po- Nach dieser Antwort der Bundesregierung bitte len. Sie haben ihre eigenen Vereinshäuser, sie haben ich auch die SPD-Fraktion zu klären, ob die Feststel- ihre Schulen, ihre Zeitungen. Warum kann die Bun- lungen ihrer Mandatsträger aufrechterhalten wer- desregierung nicht dasselbe für unsere Landsleute den, die auf den Deutsch-Polnischen Foren von ih- zu Hause fordern? rem Delegationsleiter Bruno Friedrich getroffen worden sind, erstens, „Es gibt für die Bundesrepu (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3271

Sauer (Salzgitter) Diese Dinge sind der Bundesregierung ja bekannt. dieser Gelegenheit hat er wie in den vorangegange- Aber ich frage mich: Warum steht darüber niemals nen Jahren unter Verwendung der entscheidenden ein Wort in einer Regierungserklärung, kein Wort Passage aus den Briefen zur deutschen Einheit, die im Bericht zur Lage der Nation im geteilten anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertra- Deutschland und auch nicht hier in der Antwort auf ges und des Grundlagenvertrages mit der DDR der die Große Anfrage zur umfassenden Bestandsauf- sowjetischen bzw. DDR-Regierung zugestellt wor- nahme in der Deutschlandpolitik? den sind, erneut bekräftigt, daß es unser Ziel ist und (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Das ist das Defi bleibt, auf einen Zustand des Friedens in Europa zit!) hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Die Lesen Sie nach, wie es jetzt in Polen ist, was der politische Zielsetzung der Bundesrepublik Deutsch- wegen seiner Deutschfeindlichkeit sicherlich schon land ist damit vor diesem Weltforum erneut klar und berüchtigte Abgeordnete Osmanczyk zur Aussied- unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wor- lung im „Parlament" gesagt hat oder bei der Polni- den. schen Arbeiterpartei der Delegierte Mroz. Ich mei- ne, wir sollten die Menschenrechtsverletzungen in Wie Sie wissen, Herr Kollege, haben die Briefe zur den Oder-Neiße-Gebieten auch deutlich nennen, und deutschen Einheit in den vertraglichen Beziehun- wir sollten Deutschland in allen seinen Teilen be- gen zwischen uns und den sozialistischen Staaten ei- wußt erhalten und bewußt machen. nen festen Platz. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage. Bitte. Darum bitte ich die Bundesregierung — und da- mit komme ich zum Schluß, Herr Präsident —, in in- Dr. Hupka (CDU/CSU): Frau Staatsminister, wie ternationalen Konferenzen und Gesprächen, bei den kommt es aber, daß der Herr Bundesaußenminister Vereinten Nationen, in der Europäischen Gemein- bei der Behandlung von Fällen wie Namibia, Kam- schaft, im Europarat verstärkt auf die Einheit bodscha, Libanon und der Palästinenser ein weit an- Deutschlands hinzuweisen. Für meine Fraktion deres Vokabular benutzt und emotionaler, beteilig- stelle ich fest: Die ganze deutsche Frage wird erst ter spricht, wie: „unverzichtbares Selbstbestim- dann entschieden, wenn das ganze deutsche Volk mungsrecht", „mit Sorge und mit Mitgefühl", oder: sein Selbstbestimmungsrecht frei ausüben kann. Wann kommt endlich die „Unabhängigkeit", für die- (Beifall bei der CDU/CSU) ses „leidgeprüfte Volk, dem die „Selbstbestimmung und Souveränität" vorenthalten worden ist? Nichts Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Meine Damen und davon findet sich in der Passage über die Teilung Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht Deutschlands. vor. Ich schließe die Aussprache. Ich unterbreche die Sitzung. Wir fahren um 14 Uhr Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kol- mit der Fragestunde fort. lege Hupka, ich möchte Ihnen doch noch einmal empfehlen, die Rede des Außenministers vor den (Unterbrechung von 13.14 Uhr bis 14.00 Vereinten Nationen nachzulesen, weil er sich gerade Uhr) hier mit besonderer Ausführlichkeit über das Ver- hältnis der beiden deutschen Staaten ausgelassen Vizepräsident Wurbs: Die unterbrochene Sitzung hat und das Echo auf seine Rede deutlich gemacht wird fortgesetzt. hat, daß diese Darstellung und dieses wiederholte Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Feststellen unseres Zieles in Europa seinen Ein- druck auf die anderen Mitgliedstaaten nicht verfehlt Fragestunde hat. — Drucksache 9/860 — Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage. ministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsminister Dr. Hamm-Brü-- Dr. Hupka (CDU/CSU): Frau Staatsministerin, kön- cher zur Verfügung. nen Sie einen Grund dafür angeben, daß im Zusam- menhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Pa- Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Dr. Hupka lästinenser gesagt wird, dieses sei unverzichtbar, auf: daß sich aber der gleiche Ausdruck bezüglich unse- Warum wiederholt die Bundesregierung alle Jahre auf der UN-Voll- res Anspruches auf Selbstbestimmung nicht findet, versammlung nur den Brief zur deutschen Einheit, ohne die gleiche Aus- führlichkeit dem Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung zu sondern daß lediglich der Brief zur deutschen Ein- widmen wie der „Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des palä- heit noch einmal modifiziert wiedergegeben wird? stinensischen Volkes" oder der „Selbstbestimmung und Unabhängig- keit" Afghanistans? Bitte, Frau Staatsminister. Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister: Herr Kol- lege, im Brief zur deutschen Einheit wird die Unver- Frau Dr. Hamm-Brücher, Staatsminister im Auswär- zichtbarkeit unseres Wiedervereinigungsanspru- tigen Amt: Herr Kollege, der Bundesminister des ches deutlich, wie sie auch in der Präambel zu unse- Auswärtigen hat sich in seiner Rede vor der Vollver- rem Grundgesetz niedergelegt ist. Wir werden zu je- sammlung der Vereinten Nationen am 23. Septem- der Zeit immer wieder auf dieses unser Selbstbe- ber mit großer Ausführlichkeit zum Verhältnis zwi- stimmungsrecht hinweisen. Es vergeht keine ein- schen den beiden deutschen Staaten geäußert. Bei zige Gelegenheit, ohne daß das geschieht. 3272 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- druck kommt. Sie ist auch die Sorge der Bundesre- gen. gierung. Wie ich in meiner Antwort aber dargestellt Der Fragesteller der Frage 50, Herr Abgeordneter habe, können wir ohne die Zustimmung der Länder Dr. Hennig, hat um schriftliche Beantwortung sei- nicht handeln. Ich nehme Ihre Frage gern zum An- ner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage ab- laß, darauf hinzuweisen, wie notwendig auch uns der gedruckt. Abschluß dieser Beratungen zu sein scheint. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- Vizepräsident Wurbs: Keine weitere Zusatzfrage. sters für innerdeutsche Beziehungen auf. Die Fra- ge 1 des Abgeordneten Schulze (Berlin) wird gemäß Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Küh- Ziffer 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde bacher auf: schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Physikalisch-Techni- schen Bundesanstalt Braunschweig, daß die Geeignetheit des Salz- abgedruckt. stocks Gorleben zur Zeit weder endgültig bejaht noch verneint werden kann, sondern daß erst nach Einbringung des Schachtes und der ent- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- sprechenden Querstollen gesagt werden kann, ob in diesem Salzstock sters für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Die radioaktive Abfälle endgültig gelagert werden können? Frage 2 des Abgeordneten Dr. Hüsch wird auf Bitte, Herr Staatssekretär. Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die Bundesre- Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. gierung teilt, Herr Kollege, die Auffassung, daß ein Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- endgültiges Urteil über die Eignung des Salzstockes sters des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen Gorleben erst auf Grund der bergmännischen Er- steht der Parlamentarische Staatssekretär von schließung abgegeben werden kann. Es kann aber Schoeler zur Verfügung. nach heutigem Kenntnisstand über die allgemeinen Ich rufe die Frage 3 der Frau Abgeordneten Stein- geologischen Verhältnisse im norddeutschen Raum hauer auf: und über die bisher bekannten individuellen Eigen- Wann gedenkt die Bundesregierung, die Abschlußqualifikationen für schaften des Salzstockes Gorleben erwartet werden, die Absolventen der von ihr getragenen Bundesfachschule für öffentli- daß seine Eignung für die Endlagerung aus radioak- che Verwaltung in Dieburg, insbesondere das Abschlußdiplom und die etwaige Hochschulzugangsberechtigung, zu regeln? tiven Abfällen durch die fortschreitende Erkundung Bitte sehr, Herr Staatssekretär. bestätigt werden kann.

von Schoeler, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage? — Bitte sehr, nister des Innern: Der Entwurf einer Diplomie- Herr Abgeordneter. rungsordnung der Fachhochschule des Bundes für Kühbacher (SPD): Herr Staatssekretär, würden Sie öffentliche Verwaltung sieht verschiedene Diplom- der Meinung sein, daß die Investitionen zur Abteu- grade als Abschlußqualifikationen vor. Der Entwurf fung eines Schachtes auch dann nicht umsonst wa- wird gegenwärtig mit den Kultusministern der Län- ren, wenn man zwar stark radioaktive Abfälle nicht der Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, einlagern kann, dafür aber schwach oder schwächer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schles- radioaktive Abfälle? wig-Holstein abgestimmt. Die Schwierigkeit bei die- ser Regelung besteht darin, daß für die Fachhoch- von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, schule des Bundes in der Frage der Verleihung eines die Kosten werden auf keinen Fall umsonst aufge- Hochschulgrades das Hochschulrecht der einzelnen wendet sein. Länder maßgeblich ist und die Länder die Frage der Diplomierung ihrer Fachhochschulabsolventen un- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage. terschiedlich geregelt haben, Hessen von einer Di- plomierung sogar ganz absieht. Kühbacher (SPD): Wenn dies möglich ist, würde sich dann eine Einlagerung und damit ein Planfest- Dies betrifft auch die Frage, ob mit dem Erwerb ei- stellungsverfahren für die jetzige Ablagerung in nes Hochschuldiploms eine Berechtigung zum Zu- Asse erübrigen? gang zu einer allgemeinen Hochschule eröffnet wird. Der Bund wird in seinen Verhandlungen- mit von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, den Ländern für eine Lösung der Fragen eintreten, wir bewegen uns jetzt in einem sehr spekulativen die denen der Länder nicht nachsteht. Die ersten Ab- Raum. Ich glaube, es hat gerade in den Bereichen, in solventen, die eine vollständige Ausbildung durch- denen die Zuverlässigkeit staatlicher Planung eine laufen haben, verlassen die Fachhochschule des entscheidende Rolle spielt, keinen Sinn, den Bereich Bundes im September 1982. des Spekulativen zu weit auszudehnen.

Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage, Frau Abge- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des ordnete? — Bitte. Abgeordneten Dr. Laufs.

Frau Steinhauer (SPD): Herr Staatssekretär, wann Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, trifft es ist damit zu rechnen, daß Klarheit für die ersten Ab- zu, daß bereits heute mit Gewißheit die Eignung des solventen geschaffen wird? Denn die stehen ja un- Salzstockes Gorleben zur Endlagerung von mittelbar vor ihren Prüfungen. Das wird j a nicht erst schwach- und möglicherweise auch mittelaktiven im September 1982 erfolgen. Abfällen festgestellt werden kann?

von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege ich verstehe die Sorge, die in Ihrer Frage zum Aus Laufs, die Erkundungsarbeiten in Gorleben haben Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3273

Parl. Staatssekretär von Schoeler ein anderes Ziel, nämlich die endgültige Eignung be- geben. Selbstverständlich behält sich die Bundesre- züglich der Lagerung hochradioaktiver Abfälle fest- gierung vor, falls es erforderlich sein sollte, auf den zustellen. Insofern ist das die entscheidende Wunsch, auch an anderen Standorten zu bohren, zu- Frage. rückzukommen. Im Augenblick ist das nicht der Fall. Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- gen. Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kühbacher. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Kühbacher auf: Kühbacher (SPD): Herr Staatssekretär, würden Sie Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß bei den gegenwärtigen mir zustimmen, daß eine Bundesregierung, daß ein Ansammlungen von Abfällen in der Bundesrepublik Deutschland nicht Staat fahrlässig handelt, wenn er mehr als zehn gleichzeitig Probebohrungen an anderen möglicherweise geeigneten Salzstöcken vorgenommen werden müssen, und hat sie in diesem Zu- Jahre ins Land gehen läßt, um dann festzustellen, sammenhang mit der niedersächsischen bzw. schleswig-holsteinischen Landesregierung Gespräche über neue Bohrungen an Salzstöcken in daß die von ihm in der jetzigen Situation positiv pro- diesen Bundesländern geführt, gegebenenfalls mit welchem Ziel? gnostizierte Eigenschaft eines Salzstocks sich als Bitte, Herr Staatssekretär. falsch erwiesen hat, um dann erneut in eine 15jäh- rige Erkundung einzutreten? von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung war von Anfang an der Auffas- von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kol- sung, daß zweckmäßigerweise an mehreren Stand- lege Kühbacher, da kann ich Ihnen nicht zustimmen. orten gleichzeitig Eignungsuntersuchungen für ein Die Meinung, die Sie hier vorgetragen haben, wird Endlager für radioaktive Abfälle durchgeführt wer- auch nicht von der Reaktorsicherheits- und Strah- den sollten. Sie hat jedoch den politisch begründeten lenkommission geteilt. Im übrigen scheint die Zeit- Wunsch der niedersächsischen Landesregierung ak- planung angesichts der Einschätzung des Salzstocks zeptiert, zunächst nur am Standort Gorleben Erkun- Gorleben, an der sich durch die zwischenzeitlich vor- dungsbohrungen vorzunehmen. Dies ist auch unter liegenden Erkundungsergebnisse nichts geändert Berücksichtigung der gegenwärtigen Ansammlung hat, durchaus verantwortbar und sachgerecht zu radioaktiver Abfälle sachlich vertretbar auf Grund sein. der positiven Einschätzung der Eignung des Salz- stockes Gorleben und auf Grund der Bereitschaft Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des der Landesregierung, zusätzlich für das ehemalige Abgeordneten Dr. Laufs. Eisenerzbergwerk „Konrad" in Salzgitter ein Plan- feststellungsverfahren für ein Endlager durchzufüh- Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, kön- nen Sie bestätigen, daß die Bundesregierung selbst ren, wenn die entsprechenden, in Vorbereitung be- laut § 9 a Abs. 3 des Atomgesetzes den gesetzlichen findlichen Eignungsnachweise vorgelegt werden. Auftrag hat, zur Sicherstellung und zur Endlagerung Hierüber bestand in einer Besprechung zwischen radioaktiver Abfälle Anlagen einzurichten, und da- der niedersächsischen Landesregierung und der mit verpflichtet ist, gerade auch im Zusammenwir- Bundesregierung am 11. September 1981 Überein- ken mit den Ländern die Initiative zu ergreifen und stimmung. die Verantwortung zu tragen? Mit der schleswig-holsteinischen Landesregie- rung hat die Bundesregierung keine Gespräche über von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Standortuntersuchungen aufgenommen, weil nach Laufs, exakt dieses hat die Bundesregierung im Auskunft der Fachleute der Bundesanstalt für Geo- Jahre 1977 getan. Allerdings ist das Zusammenwir- wissenschaften und Rohstoffe die dortigen Salzvor- ken mit einem Land erforderlich, da, wie Sie wissen, kommen eine entsprechende Eignung nicht erwar- der Bund kein eigenes Territorium hat und daher ten lassen. immer auf eine Kooperation mit einem Land ange- wiesen ist. Diese Kooperation ist hier dadurch mög- Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage, Herr Abgeord- lich gewesen, daß der Bund auf den politisch moti- neter Kühbacher. - vierten Vorschlag des Landes Niedersachsen einge- gangen ist, an einem Standort Erkundungen vorzu- Kühbacher (SPD): Herr Staatssekretär, welche nehmen, nämlich in Gorleben. Standorte in Niedersachsen hat die Bundesregie- rung seinerzeit vorgeschlagen, und hält die Bundes- Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- regierung weiterhin an Probebohrungen auch an gen. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Laufs diesen Salzstöcken fest? auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Genehmigungsfähigkeit und Realisierbarkeit der trockenen Zwischenlagerung von Brennelementen von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in Castor-Behältern auf Kernkraftwerksgeländen? ich habe die Meinung der Bundesregierung zu die- Bitte, Herr Staatssekretär. ser Frage eben dargestellt. Wir hatten ursprünglich im Jahr 1977 Probebohrungen an drei weiteren von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Für die Kern- Standorten vorgeschlagen. Ich bin gern bereit, Ihnen kraftwerke Stade und Würgassen, Herr Kollege die Standorte noch einmal im einzelnen mitzuteilen. Dr. Laufs, sind Anträge zur Errichtung von Trocken- Wir haben, wie ich gesagt habe, den politisch moti- lagern für abgebrannte Brennelemente auf dem vierten Wunsch der niedersächsischen Landesregie- Kraftwerksgelände gestellt worden. Die geplante rung akzeptiert, einen Standort, nämlich den von Lagerung steht in räumlichem und funktionalem Gorleben, vorzusehen. Darüber hat es Gespräche ge Zusammenhang mit dem Betrieb der Kernkraft- 3274 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Parl. Staatssekretär von Schoeler werke und unterliegt deshalb als wesentliche Ände- Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- rung der Anlage bzw. ihres Betriebs einem Geneh- gen. migungsverfahren nach § 7 des Atomgesetzes. Frage 7 des Abgeordneten Dr. Kübler, Frage 8 des Gegen die Realisierbarkeit und Genehmigungsfä- Abgeordneten Dr. Jentsch (Wiesbaden) und Frage 9 higkeit der trockenen Zwischenlagerung bestrahlter des Abgeordneten Dr. Miltner werden auf Wunsch Brennelemente bestehen nach derzeitigem Erkennt- des Fragestellers bzw. auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der nisstand auf Grund der Stellungnahme der RSK Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beant- keine grundsätzlichen Bedenken. Das Vorliegen der wortet. Die Antworten werden als Anlagen abge- Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 des Atomgeset- druckt. zes muß jedoch im Einzelfall durch die zuständigen Ich rufe nunmehr Frage 78 des Abgeordneten atomrechtlichen Genehmigungsbehörden der Län- Hinsken auf: der geprüft werden. Gibt es Erkenntnisse, wieviel Prozent der bundesdeutschen Autofah- rer sich an die Empfehlung des Bundesinnenministers gehalten haben, Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- am 27. September das Auto zu Hause zu lassen? ordneten Dr. Laufs. von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die Antwort lautet nein. Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist Ih- nen im einzelnen bekannt, welches der Stand des am Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- 18. Januar 1979 von der Preußischen Elektrizitätsge- ordneten Hinsken, bitte. sellschaft beantragten Genehmigungsverfahrens für den Standort Würgassen ist? Hinsken (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der geplante autofreie Sonntag im Jahre 1983 von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege wieder mit der Internationalen Automobilausstel - Laufs, nach meinen Informationen liegen die Unter- lung in Frankfurt zusammenfällt, und wenn ja, wel- lagen dem Bundesinnenministerium noch nicht vor. che ideologischen Ziele werden mit dieser Termin- Sie müssen sich also im Genehmigungsverfahren auf wahl verfolgt? der Landesebene befinden, über dessen Stand ich Ihnen im Augenblick keine exakte Auskunft geben von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, kann. Aber ich bin bereit, das bei der zuständigen Ihrer Kenntnis ist es offensichtlich entgangen, daß Landesbehörde zu erfragen und Ihnen mitzuteilen. es sich bei dem autofreien Sonntag um eine Aktion der Umwelt- und Naturschutzverbände handelt, die Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage. in diesem Jahr und im Jahr davor vom Bundesin- nenminister unterstützt worden ist. Bezüglich Ihrer Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, hält die Vermutung über ideologische Hintergründe kann Bundesregierung den Verlauf des Genehmigungs- ich Ihnen versichern, daß solche der Autofeindlich- verfahrens für den Standort Würgassen, das nun keit nicht dahinterstehen, allerdings solche der Um- schon annähernd drei Jahre dauert, für angemessen weltfreundlichkeit, wenn Sie das als eine Ideologie und typisch? bezeichnen wollen. Weitere Zusatzfrage? — Bit- Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vizepräsident Wurbs: von Schoeler, te, Herr Abgeordneter. Laufs, ich möchte hier nicht die Dauer eines Geneh- migungsverfahrens, das von einer Landesbehörde Hinsken (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Sie sa- durchgeführt wird und dessen Einzelheiten mir im gen, daß dieser autofreie Sonntag von verschiedenen Augenblick nicht bekannt sind, kommentieren und Natur- und Umweltschutzverbänden getragen wur- bewerten. Es handelt sich hier ganz offensichtlich de. Meine Frage: Ist bekannt, wer die Organisation um eine Kritik an einer Landesregierung, die Sie „Deutscher Heimatbund" ist, die für diesen auto- vortragen, nicht an der Bundesregierung. freien Sonntag Schallplatten herausgegeben hat, und wer diese Schallplatten letztendlich finanziert Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- hat? ordneten Kühbacher. von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Kühbacher (SPD): Herr Staatssekretär, wie beur- ich bin gerne bereit, soweit ich das feststellen kann, teilt die Bundesregierung die Sicherheit der in trok- das für Sie zu erkunden. Ich kann Ihnen das im Au- kenen Behältern abgelagerten radioaktiven Ele- genblick nicht sagen. mente, und wann müßten diese unter die Erde ver- bracht werden? Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- gen. von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ich rufe Frage 79 des Abgeordneten Hinsken Kühbacher, ich habe auf die Stellungnahme der auf: RSK hingewiesen, in der keine grundsätzlichen Be- Wie hoch war der finanzielle Aufwand, einschließlich der hierzu be- denken gegen diese Form der Lagerung geltend ge- schäftigten Beamten, für diesen autofreien Sonntag? macht werden. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Stel- Bitte, Herr Staatssekretär. lungnahme der RSK zu diesem Problem zuzusen- den. Ich kann Ihnen gerne auch noch erläuternde von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Seitens des Auskünfte dazu geben. Die Einzelheiten kann ich Ih- Bundesministeriums des Innern wurden zur Unter- nen im Augenblick nicht mitteilen. stützung von Projekten der Verbände insgesamt ca. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3275

Parl. Staatssekretär von Schoeler 300 000 DM aufgewendet. Die in den Ländern und desregierung vorliegenden Informationen nur grö- Städten eingesetzten Mittel sind nicht bekannt und ßere Beträge ab etwa 5 000 DM bonifiziert. auch ohne erheblichen Verwaltungsaufwand nicht Allerdings bieten die Kreditinstitute zusätzlich kurzfristig zu ermitteln. Da es sich um eine Aktion allgemein und für jedermann weitere gut verzinsli- der Verbände handelte, waren Beamte nicht unmit- che Anlagemöglichkeiten in der Form von Sparbrie- telbar involviert. Die Teilnahme von Angehörigen fen oder Obligationen an, die je nach Laufzeit eine des öffentlichen Dienstes vom Minister bis zu jedem Verzinsung von ca. 9 % und mehr haben und wegen Mitarbeiter an den zahlreichen Veranstaltungen am ihrer kleinen Stückelung von jedem Sparer erwor- autofreien Sonntag war freiwillig. ben werden können. Selbst wenn somit nach der Praxis einzelner Kre- Keine Zusatzfrage. — Ich Vizepräsident Wurbs: ditinstitute oder der Kreditinstitute insgesamt für danke Ihnen, Herr Staatssekretär. die meisten Sparer die Vereinbarung einer besonde- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- ren Bonifikation für ihr Sparguthaben nicht in Be- sters der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fra- tracht kommen kann, stehen doch andere Spar- und gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Anlagemöglichkeiten offen, mit denen sie eine we- Dr. Böhme zur Verfügung. sentlich günstigere Rendite als mit dem einfachen Der Fragesteller der Frage 10, Abgeordneter Dr. Sparbuch erzielen können. Hennig, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Von diesen Möglichkeiten machen die Sparer zu- Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. nehmend Gebrauch. Dies zeigt der starke Rückgang der Spareinlagen von 27 Milliarden DM in den sie- Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Feile auf: ben ersten Monaten dieses Jahres. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß trotz des gegen- wärtig hohen Zinsniveaus die Zinsen für Sparguthaben durchschnittlich nur um½ Prozent angestiegen sind, wobei jedoch in Einzelfällen 3 bis 4 Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage? - Bitte, Herr Prozent Bonuszinsen an Sparkunden mit über 8 000 DM Sparguthaben Abgeordneter. gewährt, hingegen die Masse der Kleinsparer — 2 /3 aller Kunden haben weniger als 5 000 DM auf dem Sparbuch — ohne solche Bonuszinsen blieb? Feile (SPD): Herr Staatssekretär, für Überzie- Bitte, Herr Staatssekretär. hungskredite verlangen die Banken derzeit etwa 15% Zinsen. Wie beurteilen Sie vor diesem Hinter- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- grund die Tatsache, daß die Banken gerade unter Ar- ster der Finanzen: Die Zinsbildung der Kreditinsti- beitnehmern in besonderer Weise für die Inan- tute erfolgt auch für den Bereich der Sparzinsen spruchnahme von Überziehungskrediten geworben nach den jeweiligen Marktgegebenheiten. Sie wird haben und daß die Überziehungskredite in erster Li- von der Bundesregierung nicht kontrolliert. Ob die nie über Arbeitnehmer-Girokonten refinanziert Situation der Kreditinstitute eine höhere Verzin- werden, insbesondere über Konten, aus deren Mit- sung der Spareinlagen mit gesetzlicher Kündi- teln Sparguthaben angesammelt werden, die mit gungsfrist, die im Hinblick auf die Kündigungsfrei dem niedrigen Zins zu vergüten sind? Meine kon- grenze von 2 000 DM zu einem Teil liquide gehalten krete Frage: Halten Sie bei einem Guthabenzinssatz werden müssen, rechtfertigen würde, vermag die von 5% einen Überziehungskreditzinssatz von 15% Bundesregierung daher nicht endgültig zu beurtei- für berechtigt? len. Sie weist jedoch auf das Nachfolgende hin: Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich soeben Die Zinsen für Sparguthaben mit gesetzlicher sehr ausführlich dargelegt habe, besteht für die Spa- Kündigungsfrist sind seit Anfang 1980 von durch- rer eine ganze Palette von Möglichkeiten, eine we- schnittlich 4 % — von einer zwischenzeitlichen Ab- sentlich höhere Rendite als mit dem normalen Spar- schwächung abgesehen — auf derzeit durchschnitt- buch zu erzielen. Daß davon Gebrauch gemacht lich 5% angestiegen. Für Spareinlagen mit verein- wird, habe ich ebenfalls mitgeteilt. Die hohen Zinsen barter Kündigungsfrist liegen die Zinsen je nach insgesamt, z. B. in der Zwischenfinanzierung zum Festlegungsdauer um 1 bis 2 % höher. Ausdruck kommend, sind eine Folge der allgemei- Es ist richtig, wie in der Frage zum- Ausdruck nen Hochzinspolitik, die von der Bundesregierung kommt, daß darüber hinaus zahlreiche Kreditinsti- weder beeinflußt noch kontrolliert wird. tute zusätzlich Sondersparformen anbieten, die eine höhere Verzinsung als die normalen Spareinlagen Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage, bitte. mit gesetzlicher oder vereinbarter Kündigungsfrist (SPD): Herr Staatssekretär, wenngleich, bringen. Zu erwähnen sind insbesondere das soge- Dr. Spöri wie Sie soeben ausgeführt haben, das Zinsverhalten nannte Zuwachssparen oder das Prämiensparen, bei von der Regierung nicht beeinflußt werden kann, denen für die Einhaltung einer bestimmten Spar- knüpfe ich die Frage an, ob Sie aus der Sicht der dauer ein jährlich steigender Zins oder eine Prämie am Ende der Laufzeit gewährt wird. Bundesregierung die Tatsache für wünschenswert halten, daß ein großer Teil, nämlich die von Ihnen Daneben gibt es die von Ihnen mit Recht ange- genannten Kontensparer, einen Zinssatz hat, der sprochenen Fälle, in denen Kreditinstitute im Weg weit niedriger als der ist, den man bei anderen Anla- der Sondervereinbarung mit ihren Sparkunden grö- geformen bekommt. ßere Spareinlagen bonifizieren. Die Praktiken der einzelnen Kreditinstitute sind hier sehr verschie- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich halte es für den. Dies gilt besonders hinsichtlich der Betrags- wünschenswert, daß der Anleger von den Banken grenzen. Im allgemeinen werden nach den der Bun über die verschiedenen Anlagemöglichkeiten infor- 3276 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme miert wird und dann die beste Anlagemöglichkeit Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- auswählt. Die Information muß von den Banken ge- gen. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Bindig geben werden. Daß dies funktioniert, zeigt der auf: starke Rückgang beim normalen Sparbuchsparen. Hält es die Bundesregierung angesichts der gestiegenen Lebenshal- tungskosten noch für angemessen, daß der Betrag bei Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist gemäß § 22 des Gesetzes über das Kredit- Vizepräsident Wurbs: Keine weitere Zusatzfrage. wesen, der ohne Kündigung und Berechnung von Vorschußzinsen zu- rückgefordert werden kann, seit 1971 unverändert 2 000 DM beträgt, und denkt die Bundesregierung an eine baldige Novellierung dieses Geset- Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Feile zes mit dem Ziel, den Freibetrag deutlich zu erhöhen? auf: Kann die Bundesregierung die Meldung bestätigen, daß die durch die Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- niedrigen Zinsen für Kleinsparer bei den Banken anfallenden Mehr- rung beabsichtigt, in dieser Legislaturperiode eine erträge mit dazu dienen sollen, Verluste der Banken aus milliarden- schweren Anleihen mit viel zu niedrigen Zinsen bzw. aus Zuschüssen an Novelle zum Kreditwesengesetz vorzulegen. Dabei Problemkonzerne zu finanzieren? wird auch geprüft werden, inwieweit die Vorschrif- Bitte, Herr Staatssekretär. ten über den Sparverkehr den veränderten Verhält- nissen anzupassen sind. Die endgültige Meinungs- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich führte es bildung wird nach Vorlage des Referentenentwurfs schon aus: Die Bundesregierung kontrolliert weder erfolgen. die Zinsgestaltung noch die Verwendung der Zinser- Bei den Überlegungen über die zukünftige Höhe träge durch die Kreditinstitute. Deshalb, aber auch des Freibetrags sind die gestiegenen Einkommen wegen der sehr unterschiedlichen Ertragslage und und die veränderten Lebensverhältnisse zu berück- Finanzierungsstruktur der Kreditinstitute kann die sichtigen. Es sollte aber auch im Hinblick auf deren Bundesregierung nicht bestätigen, daß mit Hilfe Behandlung bei den Liquiditätsgrundsätzen des niedriger Zinsen für Spareinlagen Mehrerträge zur Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen und den Abdeckung von Verlusten aus nicht kongruent re- Mindestreservevorschriften der Deutschen Bundes- finanzierten Anleihegeschäften oder Zuschüssen an bank der besondere Charakter der Spareinlagen er- Problemkonzerne erwirtschaftet werden sollen. halten bleiben. Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage, bitte. Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage, bitte. Feile (SPD): Herr Staatssekretär, nach einer mir vorliegenden Meldung war eine große deutsche Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, meinen Sie mit Bank offensichtlich bereit, die Zinsen für Sparer — mir, daß eine solche Novellierung eilt, weil es heut- ich spreche immer von den gesetzlichen Sparzinsen zutage durchaus möglich ist, daß ein Bürger im nor- — zu erhöhen. Es ist aber zu lesen, daß man darauf malen Alltagsleben bei Wirtschaftsgeschäften Rech- verzichtete, um den Kollegen bei der Deutschen nungen zu begleichen hat, die den bisherigen Betrag Bank und der Commerzbank ähnliche Zinsanhebun- von 2 000 DM überschreiten, z. B. beim Möbelkauf, gen zu ersparen. Wie beurteilen Sie den realisti- beim Autokauf oder beim Kauf einer Reise, und daß schen oder wirtschaftspolitischen Hintergrund ei- er dann, wenn er an sein Spargeld heran will, mit ei- ner solchen Meldung? nem Strafzins belegt wird?

Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich vorhin Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen schon sagte, kann die Bundesregierung unmöglich zu, daß es nicht nur wegen dieser Frage, sondern das Zinsverhalten im Einzelfall kontrollieren oder auch wegen anderen Fragen, z. B. der Konsolidie- beeinflussen. Ich bitte davon absehen zu können, rung im Bankenbereich, notwendig ist, sich rechtzei- daß ich dies im einzelnen kommentiere. tig nicht nur Gedanken zu machen, sondern Ent- scheidungen über die Novellierung des Kreditwe- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des sengesetzes zu treffen. Wie Sie wissen, haben sich Abgeordneten Spöri. Verzögerungen ergeben. Dies hängt zusammen mit dem Ersten Subventionsabbaugesetz. Im Zusam- menhang mit diesem Gesetz wurde die Besteuerung Dr. Spörl (SPD): Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß sich der Bankenapparat bei der Sparkassen verändert. Dies hat neue Fragen für uns in der Bundesrepublik durch die ungünstige die Eigenkapitalausstattung der Sparkassen aufge- zinspolitische Behandlungsweise des normalen worfen. Deswegen hat sich insgesamt die Novellie- Kontensparers selbst eine günstige Finanzierungs- rung des Kreditwesengesetzes etwas verzögert. möglichkeit langfristig verschüttet? Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies kann so sein. Herrn Abgeordneten Bindig. Auf der anderen Seite haben die Banken, wie ich vorhin ausführte, eine ganze Reihe von zusätzlichen Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, halten Sie eine Möglichkeiten geschaffen, auch im Zusammenhang Anhebung des Betrags, der zur Zeit 2 000 DM aus- damit, daß die staatlichen Prämien reduziert worden macht, auf über 3 000 DM entsprechend der wirt- sind, dies durch spezielle Bankenprämien aufzufan- schaftlichen Entwicklung der Lebenshaltungsko- gen. Es gibt also eine ganze Palette von Möglichkei- sten für angemessen? ten, wie die Banken versuchen, den Sparer mit zu- sätzlichen Anreizen zum Sparen zu gewinnen. Ich Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich möchte mich halte dies für eine gute Entwicklung. jetzt nicht auf einen Betrag festlegen, aber ich Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3277

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme stimme Ihnen zu, daß aus heutiger Sicht vieles dafür dung von Kredittilgung und -zinsen geschlossen spricht, den jetzigen Freibetrag von 2 000 DM anzu- worden —, ob die 1 Milliarde DM, die Sie jetzt im heben. Zusammenhang mit dem Haushalt 1982 genannt ha- ben, ausreicht oder ob es noch höher wird? Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Gobrecht. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe nicht gesagt, daß dieser Betrag im Haushalts- jahr 1982 erreicht wird, weil dies von den multinatio- Gobrecht (SPD): Herr Staatssekretär, da ja, wie von Ihnen schon genannt, bei der geplanten Novelle nalen Verhandlungen zwischen den westlichen zum Kreditwesengesetz die Frage der konsolidier- Hauptgläubigerländern und Polen abhängt. Diese ten Bilanzen über das Gentleman's Agreement hin- Verhandlungen sind erst im Anfangsstadium. aus und andere Fragen wie die Beteiligung der Ban- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage. ken an Wirtschaftsunternehmen, Aufsichtsratsman- date usw. zu regeln sind, können Sie schon einen Dr. Czaja (CDU/CSU): Meine zweite Zusatzfrage Zeitpunkt — einen baldigen, wenn es ginge — für die bezieht sich auf die Summen aus dem Leertitel für Vorlage der Novelle zum Kreditwesengesetz nen- Lebensmittelhilfen. Wann wird hier überschaubar nen? sein, welche Summen beansprucht werden?

Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Zunächst geht es Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Auch dies hängt um die Vorlage des Referentenentwurfs, der im Mo- mit den gesamten Verhandlungen über die Um- ment zwischen den zuständigen Ressorts abge- schuldungsaktion für 1982 zusammen. Erst nach die- stimmt wird. Ich rechne mit der Vorlage dieses Refe- sen Verhandlungen wird man über diese Frage end- rentenentwurfs Anfang nächsten Jahres. Der Ent- gültig entscheiden können. Ich denke aber, Herr wurf geht dann seinen Weg zum Bundeskabinett Kollege, daß hier sehr deutlich gesagt werden muß, und wird anschließend dem Bundestag zugeleitet. daß sich die Bundesrepublik Deutschland grund- sätzlich nicht dagegen sperren sollte, auch 1982 Po- Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- len mit Lebensmitteln zu helfen. gen. Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dr. Czaja auf: FDP) Welche Leistungen des Bundeshaushalts werden 1982 aus Bürg- schaftsverpflichtungen im Zusammenhang mit polnischer Kreditauf- Eine weitere Zusatzfrage des nahme und aus sonstigen Hilfen für die Volksrepublik Polen zu erbrin- Vizepräsident Wurbs: gen sein? Herrn Abgeordneten Dr. Hupka. Bitte, Herr Staatssekretär. Dr. Hupka (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, bei der grundsätzlichen Zustimmung, Polen auch mit Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Welche Leistun- Lebensmitteln zu helfen: Ist die Nachricht richtig, gen im Haushaltsjahr 1982 aus Bürgschaftsver- daß hier an einen Kredit in Höhe von 200 Millio- pflichtungen im Zusammenhang mit früheren pol- nen DM für Lebensmittel gedacht sei und daß dieser nischen Kreditaufnahmen zu erbringen sein wer- den, hängt davon ab, in welchem Umfang fällig wer- von der Bundesregierung verbürgt sein müßte? dende polnische Verbindlichkeiten in eine Umschul- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies ist im Mo- dungsvereinbarung Polens mit allen westlichen ment noch nicht konkret zu bestimmen. Wie ich Ih- Hauptgläubigerländern einbezogen werden. Hierzu nen sagte, sind die Diskussionen erst am Anfang. finden bereits erste Vorgespräche statt, die sich zu- Dies betrifft den gesamten Komplex Umschuldung nächst auf eine Analyse der polnischen Wirtschafts- plus möglicher Ausfüllung dieses Leertitels. lage konzentrieren. Sollte die Umschuldungsverein- barung 1982 staatlich verbürgte polnische Verbind- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des lichkeiten im gleichen Umfang wie 1981 einbezie- Herrn Abgeordneten von der Heydt. hen, würde dies zu einer Belastung des Bundeshaus- halts in Höhe von rund 1 Milliarde DM führen.- von der Heydt Freiherr von Massenbach (CDU/CSU): An sonstigen Hilfen für die Volksrepublik Polen Herr Staatssekretär, können Sie angeben, wie hoch sieht der Entwurf des Bundeshaushalts 1982 einen die polnischen Schulden sind, die im Jahre 1982 Leertitel für Darlehen an die Volksrepublik Polen westlichen Gläubigerländern gegenüber fällig wer- vor. Die Mittel sind für den Erwerb von Produkten den? wie Nahrungsmitteln, Halbwaren und Investitions- Parl. Staatssekretär: Ich kann für 1982 güter in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Dr. Böhme, die genauen Beträge nicht nennen, aber ich kann die Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine Aussage über Beträge nennen, die der Umschuldungsaktion im die Höhe der Inanspruchnahme noch nicht mög- April 1981 in Paris zugrunde gelegen haben. Danach lich. betrug die Gesamtverschuldung Polens — das war Anfang 1981 — rund 23 Milliarden US-Dollar. Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja. Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Spöri. Dr. Czaja (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wann werden Sie darüber Auskunft geben können — in- Dr. Spöri (SPD): Herr Staatssekretär, teilen Sie zwischen ist j a ein Bankenabkommen über die Stun meine Auffassung, daß die Frage der Bürgschafts- 3278 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Dr. Spöri verpflichtung, die hier angesprochen worden ist, Tut mir leid, aber ich bin nicht hergekommen, nicht nur unter dem Gesichtspunkt der haushalts- um Süßholz zu raspeln. Hier muß ich eine be- mäßigen Auswirkungen betrachtet werden kann, dauernde Antwort geben. Es tut mir leid. sondern vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt Und in Windischeschenbach, ebenfalls in der Ober- betrachtet werden muß, daß damit ein wichtiger, pfalz, hat der Bundeskanzler dann unmittelbar dar- gleichwohl bescheidener Beitrag zur Stabilisierung auf in einer anderen Veranstaltung zusätzlich er- des Liberalisierungsprozesses in Polen geleistet klärt: wird und daß dies wünschenswert ist? Was die Kilometerpauschale angeht ..., so habe Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich danke Ihnen ich das heute morgen schon zweimal gehört. für diese Frage, die deutlich macht, daß hier auch Ich sehe mit Interesse einer Gesetzgebungs- eine eindeutige politische Bewertung am Platze initiative der bayerischen Staatsregierung im ist. Bundesrat entgegen. Allgemeine Redensarten auf diesem Felde habe ich viele gehört, aber Vizepräsident Wurbs: Bitte, eine weitere Zusatz- wenn das die Meinung der bayerischen Staats- frage. regierung ist, soll sie einen Gesetzentwurf im Bundesrat vorlegen. Das meine ich ernst. So Eigen (CDU/CSU): Wieviel von den Verbindlich- kann es nämlich nicht sein, daß man hier keiten Polens entfällt auf die Bundesrepublik scheinbar populäre Forderungen stellt, sich Deutschland, und wieviel davon ist von Hermes ver- aber dort, wo sie verantwortet werden sollen, zu- bürgt? rückhält. Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie Dr. Böhme, Zusatzfrage des Abgeordne- sprechen damit das verbürgte Gesamtobligo des Vizepräsident Wurbs: ten Dr. Jenninger. Bundes für Polen an. Ich bitte um Verständnis, daß es nicht üblich ist, von Land zu Land derartige Ge- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, ich bin noch samtobligos öffentlich zu machen. Selbstverständ- nicht zu Ende. lich wird der Haushaltsausschuß informiert. Dies ist zuletzt beim Haushaltsausschuß des Deutschen (Zuruf von der SPD: Sie sind gut, weiter zi Bundestages mit einer Vorlage „VS — Nur für den tieren! — Zurufe von der CDU/CSU) Dienstgebrauch" am 1. September 1981, also vor we- nigen Wochen, geschehen. Vizepräsident Wurbs: Verzeihung, Herr Staatsse- kretär. Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Rapp. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Zitate spre- chen für sich. Rapp (Göppingen) (SPD): Herr Staatssekretär, (Weitere Zurufe von der SPD) würde die Bundesregierung einen Antrag Polens auf Beitritt zum Internationalen Währungsfonds unter- — Ich darf in meiner Antwort fortfahren. stützen, falls ein solcher Antrag gestellt würde? Aus diesen Zitaten ergibt sich klar, daß die Äuße- rung des Herrn Bundeskanzlers weder als Verspre- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann mich chen noch als Ankündigung eines entsprechenden hier nicht auf eine Entscheidung des Kabinetts stüt- Vorschlags der Bundesregierung zu werten ist. Die zen, aber ich würde dies begrüßen. Bundesregierung hat — wie auch in dieser Frage- stunde ausgeführt — mehrfach dargelegt, daß sie Keine weiteren Zusatzfra- Vizepräsident Wurbs: eine allgemeine Erhöhung der Kilometerpauschale gen. zum Ausgleich der gestiegenen Benzinpreise schon Der Fragesteller der Frage 15, Abgeordneter Lins- aus haushaltspolitischen Gesichtspunkten nicht be- meier, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. fürworten kann. Eine Anhebung der Kilometerpau- Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. schale auf 50 Pfennig würde ein Steuerausfall von Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Dr.- Jenninger 1,2 Milliarden DM ausmachen. Dieser Steuerausfall auf: ist zur Zeit fiskalisch nicht verkraftbar. Welche Bedeutung hat die Aussage von Bundeskanzler Schmidt am Die Bundesregierung hat aber andererseits dar- 24. September 1981 vor Arbeitnehmern eines ostbayerischen Betriebs: „Was die Kilometerpauschale angeht: Ich sehe mit Interesse einer Ge- auf hingewiesen, daß im Falle einer Umlegung der setzgebungsinitiative der bayerischen Staatsregierung im Bundesrat entgegen. Das meine ich ernst."? Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer die be- sonderen Probleme der Pendler berücksichtigt wer- Bitte, Herr Staatssekretär. den sollen. Dementsprechend hat der Bundesfinanz- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, minister den Finanzministern und den Finanzsena- nach den mir vorliegenden stenographischen Mit- toren der Länder bereits im Juli dieses Jahres eine schriften hat sich der Bundeskanzler in einer Be- Lösungsskizze zur Umlegung der Kraftfahrzeug- triebsversammlung in Weiherhammer am 24. Sep- steuer auf die Mineralölsteuer übersandt. Sie soll tember dieses Jahres u. a. wie folgt geäußert — ich auf der Finanzministerkonferenz am 16. Oktober zitiere —: dieses Jahres — also in wenigen Tagen — erörtert werden. Diese Erörterung soll Aufschluß darüber ge- ..., ich kann niemandem eine Hoffnung ma- ben, ob die Mehrheit der Länder von der Notwendig- chen, die Kilometerpauschale zu verbessern. keit und Zweckmäßigkeit der Umlegung sowie einer — Und ferner —: Lösung der Finanzausgleichsprobleme zwischen Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3279

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme Bund und Ländern überzeugt werden kann. Be- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kanntlich ist die Kfz-Steuer eine reine Ländersteu- muß das mit aller Entschiedenheit zurückweisen. er, während die Mineralölsteuer eine reine Bundes- Nach den wörtlichen Zitaten aus den stenographi- steuer ist. Bei einer Umlegung der Kfz-Steuer auf schen Mitschriften hat der Bundeskanzler aus- die Mineralölsteuer sind daher die Finanzaus- drücklich gesagt, es sei nicht möglich, eine allge- gleichsprobleme zwischen dem Bund und den Län- meine Anhebung der Kilometer-Pauschale zu ma- dern vorzubesprechen. Dies gilt besonders bei der chen, es tue ihm leid, und er wäre nicht dort hinge- jetzigen Haushaltslage von Bund, Ländern und Ge- kommen, um Süßholz zu raspeln. Dies macht wohl meinden. deutlich, daß der Bundeskanzler hier eine eindeu- tige und klare Position bezogen hat. Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Herrn Im übrigen muß ich darauf hinweisen, daß der Abgeordneten Dr. Jenninger. Hinweis des Bundeskanzlers richtig ist. Die CDU/ CSU hat damals in der Regierungsmitverantwor- (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Dr. Jenninger tung — 1967 — die Kilometer-Pauschale von darf ich davon ausgehen, daß das von Ihnen bestä- 50 Pfennig auf 36 Pfennig herabgesetzt — in der tigte Zitat des Herrn Bundeskanzlers, daß er das Großen Koalition. „ernst meine", so auszulegen ist, daß er damit nicht die Sache als solche — nämlich die Kilometerpau- (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Ohne die schale — meinte, sondern eine Aktivität der bayeri- SPD?) schen Staatsregierung in dieser Angelegenheit? Es ist völlig richtig, daß bisher keine entsprechen- den Gesetzesvorschläge der Bundesregierung für Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, er hat klar eine Anhebung der Kilometer-Pauschale vorliegen. zum Ausdruck gebracht, daß eine allgemeine Anhe- Es ist aber genauso richtig, daß in diesen letzten bung der Kilometerpauschale nicht möglich ist, weil zwölf Jahren kein einziger Gesetzentwurf der Oppo- sie fiskalisch nicht verkraftbar ist, und er hat weiter sition in diesem Bundestag oder auch aus dem Bun- darauf hingewiesen, daß entsprechende Vorstöße desrat gekommen ist, der eine Anhebung der Kilo- auch des Bundesrats nicht vorliegen. Er hat anheim- meter-Pauschale zum Gegenstand hatte. Dies gehört gestellt, daß die bayerische Staatsregierung — wenn auch zu der Geschichte dieser Kilometer-Pau- sie des Sinnes ist, eine solche Anhebung der km schale. Pauschale vorzuschlagen — die Möglichkeit hat, dies über den Bundesrat zu tun. Dies ist bisher nicht Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage, Herr geschehen, wie Sie genau wissen. Abgeordneter Gobrecht.

Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage. Gobrecht (SPD): Herr Staatssekretär, warum hat, wenn es der bayerischen Staatsregierung damit so Dr. Jenninger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ernst wäre, wie es dem Herrn Bundeskanzler hier können Sie — wenn das so ist, daß der Herr Bundes- indirekt falsch unterstellt wird, das Bundesland kanzler dies alles nicht ernst gemeint hat — dafür Bayern wie andere Bundesländer dazu beigetragen, sorgen, daß die Presseberichte, die über die Aussa- die Diskussion über die Frage der Umlegung der gen des Herrn Bundeskanzlers in dieser Region er- Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer — in schienen sind, entsprechend korrigiert werden? diese große Lösung gehört dieser Punkt — in der letzten Sitzung der Länderfinanzministerkonferenz (Zurufe von der SPD) zu vertagen? Würden Sie mir darin zustimmen, daß es hilfreich wäre, wenn die Länder alsbald darüber Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben die Möglichkeit, im Bundestag — und dies ge- befänden, was sie von den sehr konkreten Vorschlä- schieht in dieser Fragestunde — entsprechende gen der Bundesregierung halten, damit keine iso Ausführungen zu machen und Interpretationen zu lierte Lösung vorweggezogen werden müßte, die geben. Dies ist ausführlich geschehen, wie Sie an wieder zu mehr Gesetzen führte, was von allen be- meiner Antwort vorhin feststellen konnten. Was die klagt wird? - Presse daraus macht, entzieht sich den Beeinflus- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß sungsmöglichkeiten der Bundesregierung. hier kein Vorwurf in irgendeiner Weise zu machen (Beifall bei der SPD) oder gar Kritik zu üben ist. Den Bundesländern ist die Lösungsskizze im Juni zugeleitet worden. Wenn Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des jetzt am 16. Oktober im Kreis der Finanzminister Herrn Abgeordneten Dr. Jobst. darüber befunden werden soll, ist dies sicher ein Zeitplan, der völlig in Ordnung geht. (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, muß Dr. Jobst Ich hoffe, daß wir Aufschluß bekommen, wie die man nicht, wenn der Herr Bundeskanzler im Land Länder über diese Maßnahme insgesamt denken, draußen erklärt: „Ich sehe mit Interesse einer Ge- und wir dann weitere Schritte unternehmen kön- setzesinitiative im Bundesrat entgegen" — zur An- nen. hebung der Kilometer-Pauschale — und dann noch hinzufügt: „Ich meine es ernst", daraus und vor al- Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage, Herr lem aus den Presseberichten folgern, daß der Bun- Abgeordneter Büchler. deskanzler das wirklich ernst nimmt, und muß man weiter daraus folgern, daß der Bundeskanzler in Büchler (Hof) (SPD): Herr Staatssekretär, habe ich Bonn anders redet als draußen im Lande? richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, eine allge- 3280 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Büchler (Hof) meine — wobei die Betonung auf „allgemeine" lag — Tut mir leid, aber ich bin nicht hergekommen, Erhöhung der Kilometer-Pauschale komme zur Zeit um Süßholz zu raspeln. Hier muß ich eine be- nicht in Frage? dauernde Antwort geben. Es tut mir leid. Klarer, Herr Riedl, kann man es selbst in Bayern Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Sie haben richtig nicht sagen. verstanden, daß die Betonung auf „allgemeine Erhö- hung der Kilometer-Pauschale" lag. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Eine weitere Zusatzfrage, Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Wurbs: Abgeordneter Glos. Herr Abgeordneter Dr. Hupka. (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ich (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, da Sie of- Dr. Hupka Glos darf von der millionenfach verbreiteten Information fensichtlich, wie Sie ausgeführt haben, über Mit- der Bundesregierung über den Haushalt 1982 ausge- schriften der Ausführungen des Bundeskanzlers bei hen und Sie fragen: Hat die Bundesregierung in dieser Veranstaltung verfügen, darf ich Sie fragen, diese Information auch die Nachricht aufgenom- ob der Herr Bundeskanzler in einem anschließen- men, daß es fiskalisch nicht vertretbar sei, die km- den Fernsehinterview folgende Äußerung getan Pauschale zu erhöhen? hat: Habt ihr denn diese improvisierte Kundgebung Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in eurem Kasten mit, von der ich vorher nichts diese Frage, deren Gewicht überhaupt nicht unter- gewußt habe? Unerhört, wie man hier vergewal- schätzt wird, hat den Deutschen Bundestag mehr- tigt wird!, fach im Rahmen der Fragestunde beschäftigt. Die und würden Sie mir zustimmen, daß, wenn diese Äu- Auskünfte waren immer gleich, nämlich so, wie ich ßerung so gefallen ist, der Herr Bundeskanzler die sie heute gegeben habe: daß eine allgemeine Anhe- Probleme des Grenzlandes und der Arbeitnehmer bung der km-Pauschale aus vielen Gründen, aber dort offensichtlich sehr wenig ernst nimmt? auch aus haushaltspolitischen Gründen nicht ver kraftbar ist, weil die Anhebung von 36 auf 50 Pf 1,2 (Dr. Spöri [SPD]: Was?) Milliarden DM Steuerausfall verursachen und eine Verdoppelung auf 72 Pf gut 3 Milliarden DM ausma- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bewertung im chen würde. Das ist zur Zeit finanziell nicht verkraft- letzten Teil der Frage kann ich nicht bestätigen, ich bar. Niemand in diesem Hohen Hause hat — außer kann sie nicht einmal verstehen, Herr Kollege. allgemeinen Anfragen — Anträge gestellt, eine ent- Was den ersten Teil angeht, bezieht sich die Frage, sprechende Steueränderung vorzunehmen. die ich zu beantworten habe, auf eine Aussage in ei- ner Betriebsveranstaltung in Ostbayern am 24. Sep- Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- tember 1981. Es ist wohl selbstverständlich, daß die gen. — Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Äußerungen des Bundeskanzlers in derartigen öf- Jenninger auf: fentlichen Veranstaltungen mitgeschnitten werden, Ist der Bundeskanzler sich bewußt, daß seine Aussage vom 24. Sep- tember 1981 von zahlreichen betroffenen Arbeitnehmern als Zusage ei- um jederzeit nachprüfen zu können, was der Bun- ner Erhöhung der Kilometerpauschale verstanden wurde? deskanzler tatsächlich gesagt hat. Das ist die Pflicht Bitte, Herr Staatssekretär. derer, die die Reisen des Bundeskanzlers organisie- ren. Das wird von Ihnen sicherlich nicht kritisiert. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich eben auf Zusatzfragen schon mehrfach ausführen konnte, Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des kann weder aus dem Wortlaut der Äußerungen des Abgeordneten Dr. Riedl. Bundeskanzlers noch aus dem Zusammenhang, in dem diese gefallen sind, hergeleitet werden, sie Dr. Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Staatsse- seien als Zusage einer Erhöhung der km-Pauschale kretär, in welche Kategorie des politischen Stiles ge- zu verstehen. hört es eigentlich nach Ihrer Auffassung, wenn der - Bundeskanzler durch Äußerungen dieser Art bei Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- Hunderttausenden — um nicht zu sagen: bei Millio- ordneten Dr. Jenninger. nen — von Menschen den Eindruck erweckt, er sei für die Erhöhung der Kilometerpauschale, und Sie Dr. Jenninger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, se- jetzt das Ganze in Abrede stellen? hen Sie sich in der Lage, zu interpretieren, was der (Zuruf von der SPD: Das brauchen wir doch Herr Bundeskanzler mit seiner Äußerung „Das gar nicht!) meine ich ernst", die Sie bestätigt haben, gemeint hat? Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich darf Ihnen als Antwort noch einmal die Zitate vorle- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Der Herr Bundes- sen. Sie ergeben genau das Gegenteil. Der Bundes- kanzler hat mit dem Ausdruck „ernst" gemeint, daß kanzler hat in Weiherhammer in der Oberpfalz am eine allgemeine Anhebung der km-Pauschale nicht 24. September dieses Jahres erklärt: möglich ist, daß er der bayerischen Staatsregierung es aber anheimstellt, einen entsprechenden Antrag Ich kann niemandem eine Hoffnung machen, zu stellen, soweit sie die Verantwortung tragen will. die Kilometerpauschale zu verbessern. Das ist bisher, wie Sie wissen, nicht geschehen — in Und dann weiter: den letzten zwölf Jahren übrigens nicht. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3281

Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des zinpreise für viele Pendler eine große soziale Bela- Abgeordneten Dr. Jobst. stung darstellt. Aus diesen Gründen prüft die Bun- desregierung im Zusammenhang mit der Umlegung Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, darf der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer, ob hier für ich Sie erneut daran erinnern, daß ein maßgeblicher bestimmte Pendlergruppen Abhilfe geschaffen und Bundesminister, der der SPD angehört, nämlich der eine Besserstellung erreicht werden kann. damalige Bundesminister für gesamtdeutsche Fra- gen, schon 1969 bei Auftritten in Ostbayern verspro- Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Herrn chen hat, daß die Kilometerpauschale unter einer Abgeordneten Dr. Czaja. SPD-geführten Regierung sofort erhöht werde, und die Bürger in dieser Region, d. h. vor allem in den Dr. Czaja (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, kön- ländlichen Bereichen, seit zwölf Jahren auf die Ein- nen Sie leugnen, daß Sie hier Zitate aus zwei Ver- lösung dieses Versprechens warten? sammlungen gebracht haben und daß das mit dem Süßholzraspeln nur in der einen Versammlung ge- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann dieses wesen ist, nach der Herr Jenninger nicht gefragt Zitat, Herr Kollege, im einzelnen nicht nachprüfen; hat? ich kann seine Richtigkeit auch nicht bestreiten. Tatsache ist, daß die km-Pauschale 1967 unter der Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich bin sehr dank- Regierungsmitverantwortung der CDU/CSU von 50 bar, Herr Kollege Czaja, daß ich die Gelegenheit auf 36 Pf ermäßigt worden ist und daß es bisher habe, auf die trotz landsmannschaftlicher Verbun- keine Anträge — auch nicht vom Bundesrat — gege- denheit akustisch offensichtlich nicht richtig ver- ben hat, eine entsprechende Anhebung der km-Pau- standene Frage des Kollegen Jäger (Wangen) aus schale vorzunehmen. meinem Bundesland Baden-Württemberg noch ein- mal einzugehen. Es ist richtig, daß hier zwei Zitate Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des aus zwei unterschiedlichen Veranstaltungen vorge- Abgeordneten Jäger (Wangen). lesen worden sind. Ich habe das vorhin offensicht- lich akustisch nicht verstanden. Ich will jetzt, nach- Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, dem ich es zweimal vorgelesen habe, das nicht noch nachdem wir diese Zitate von Ihnen gehört haben, einmal wiederholen. Aber es ist doch völlig klar, daß frage ich Sie: Können Sie eigentlich ernsthaft in Ab- nach beiden vorliegenden Mitschriften der Bundes- rede stellen, daß die Äußerungen des Bundeskanz- kanzler klar zum Ausdruck gebracht hat, daß eine lers in Eslarn auf die der Kollege Jenninger Bezug allgemeine Anhebung der km-Pauschale nicht mög- genommen hat, durch das Hinzufügen des Zitats aus lich ist. Die Mitschriften sind inhaltlich völlig iden- der vorangegangen Veranstaltung an einem ganz tisch und bedürfen keiner Interpretation von der ei- anderen Ort einen Sinn bekommen hat, der anders nen Veranstaltung zu der anderen. ist als so, wie er aus der Pressemeldung hervorging und wie ihn dort die Arbeitnehmer wohl auch ver- Vizepräsident Wurbs: Zu einer weiteren Zusatz- standen haben? frage der Herr Abgeordnete Gobrecht.

Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann das von Gobrecht (SPD): Herr Staatssekretär, da Sie im- Ihnen angezogene Zitat nicht überprüfen, kann es mer betonen, eine allgemeine Erhöhung der Kilome- auch nicht bestätigen; es war nicht Gegenstand der terpauschale sei nicht möglich, frage ich: Stimmen Frage. Sie mir darin zu, daß die Bundesregierung, insbeson- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sie haben es dere der Bundesfinanzminister, dieses Problem doch vorgelesen!) eben in ganz konkretem Zusammenhang sieht — auch hier Stichwort: Politik „weg vom Öl" - mit der Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Herrn Frage der Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf Abgeordneten Dr. Jens. die Mineralölsteuer, also mit dieser großen Lösung möglichst auch eine Lösung für die besonders bela- Dr. Jens (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie steten Fernpendler in Räumen, in denen sie nicht - mir bestätigen, daß eine Erhöhung der Kilometer- auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen können, pauschale den Intentionen der Bundesregierung, gefunden werden soll? nämlich eine Politik „weg vom Öl" zu betreiben und damit Benzin einzusparen, wo immer das nur geht, Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich stimme Ihnen fundamental entgegenstehen würde? zu. (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU: Ist das eine Logik! — Das ist eine Beleidigung! Vizepräsident Wurbs: Zu einer weiteren Zusatz- — Fahren Sie doch mal nach Schweinfurt! frage der Herr Abgeordnete Dr. Kunz. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- Vizepräsident Wurbs: Bitte, Herr Staatssekretär. tär, ist es nicht unerträglich, daß die Bundesregie- rung die Fahrkosten der Arbeitnehmer zu ihren Ar- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es ist sicher rich- beitsplätzen vor allem durch die Steuererhöhungen tig, daß Energiesparen eines der wichtigsten politi- verteuert, gleichzeitig aber, wie es am Beispiel der schen Ziele ist und daß dabei auch die Preisgestal- ESKA im Landkreis Tirschenreuth geschehen ist, tung eine große Rolle spielt. Auf der anderen Seite den öffentlichen Personennahverkehr mit einer ist nicht zu verkennen, daß das Ansteigen der Ben Konzessionsabgabe belastet, die jährlich zwischen 3282 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Dr. Kunz (Weiden) 16 000 und 32 000 DM und in den letzten elf Jahren Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage, bitte. insgesamt 275 400 DM betragen hat, die sie an die Bundespost abführen mußte, und daß die Bundesre- Röhner (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, nach- gierung so diejenigen, die wirklich umsteigen wol- dem Sie eine Mitverpflichtung des Bundes aus- len, auch noch einmal schröpft? drücklich bejaht haben, frage ich Sie, ob es dann nicht doch angebracht wäre — angesichts der Preis- Kosten-Entwicklung, angesichts der eklatanten Be- Vizepräsident Wurbs: Verzeihen Sie, Herr Abgeord- nachteiligung der Menschen im flachen Lande —, neter, ich glaube, diese Frage hat einen regionalen aus dieser sowohl rechtlichen als auch politischen Bezug. Ich stelle anheim, ob der Herr Staatssekretär und moralischen Mitverpflichtung des Bundes im diese Frage beantwortet. Sinne der von Ihnen heute allerdings eingeengten Äußerung des Bundeskanzlers endlich Konsequen- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich beantworte zen zu ziehen und hier gesetzgeberisch initiativ zu sie gern, um ein paar Unterstellungen, die hier zu- werden. Das heißt: die überfällig Anhebung der Kilo- grunde liegen, richtigzustellen. meterpauschale endlich in Angriff zu nehmen. Sie unterstellen in Ihrer Frage, daß die Mineralöl- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich Ihnen steueranhebung für die hohen Benzinpreise ursäch- schon sagte, prüft die Bundesregierung diese Frage lich gewesen sei. im Zusammenhang mit der Umlegung der Kfz- (Zuruf von der CDU/CSU) Steuer auf die Mineralölsteuer. Sinn meiner Ant- wort war überdies, darauf hinzuweisen, daß nicht Da muß ich Sie darauf hinweisen — ich habe nach- nur die Bundesregierung, sondern auch die Opposi- her Gelegenheit, das auf eine Frage des Abgeordne- tion im Bundestag die Möglichkeit hat, entspre- ten Schulte noch einmal auszuführen —, daß der chende Gesetzentwürfe einzubringen, ebenso die Benzinpreis von 1973 von rund 70 Pf bis 1981 auf einzelnen Bundesländer über den Bundesrat. rund 1,30 DM angestiegen ist, d. h. ohne Einbezie- hung der Mineralölsteuer-Anhebung angestiegen (Zuruf des Abg. Röhner [CDU/CSU]) ist, und daß der Mineralölsteueranteil aus diesem Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Grunde prozentual gesunken ist; er hat 1973 rund Abgeordneten Jäger (Wangen). 63 % betragen, nämlich 44 Pfennig pro Liter bei dem niederen Preis von rund 70 Pfennig. Bis zum April Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, 1981 hat sich der Preis aber fast verdoppelt mit der sind Sie nicht auch der Auffassung, daß die Bundes- Folge, daß der Mineralölsteueranteil, den der Bürger regierung schon deswegen um so mehr Anlaß hat, pro Liter Benzin zu zahlen hatte, von rund 63 % im hier initiativ zu werden, weil der Bürger nach dem Jahre 1973 auf rund 34 % im Jahre 1981 gesunken ist. jetzt geltenden Steuerrecht keine Möglichkeit mehr Das macht deutlich, daß der Mineralölsteueranteil hat — wie er sie früher einmal hatte — an Stelle der bei der Preisentwicklung praktisch keinen Einfluß Pauschale die ihm tatsächlich entstandenen Kosten gehabt hat. Das ist der entscheidende Punkt. durch Führen eines Fahrtenbuches und Aufbewah- (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Effektiv ren seiner Belege nachzuweisen, so daß er selbst bei schröpfen Sie die Arbeitnehmer!) nachweislich höherem Aufwand für die Fahrten, die er von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte zurückzu- legen hat, auf die Pauschale beschränkt bleibt? Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Röh- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß ner auf: die Pauschalierung eine Festsetzung auf 36 Pfennig vorsieht. Das ist eine sehr alte Regelung in unserem Teilt der Bundeskanzler die Auffassung, daß es sich bei der Kilome- terpauschale um eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes handelt, Einkommensteuerrecht und liegt weiter zurück als in der die Bundesregierung bei bundesweitem Handlungsbedarf recht- lich, politisch und moralisch verpflichtet ist, die Initiative zur Erhöhung die Zeit, welche die sozialliberale Regierung zu ver- der Kilometerpauschale zu ergreifen? antworten hat. Zu einer weiteren Zusatz- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich auf die Vizepräsident Wurbs: Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger be- frage der Herr Abgeordnete Dr. Jobst. reits ausgeführt habe, sind die Äußerungen des Bun- Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, im deskanzlers in der Sache eindeutig. Im übrigen Nachgang zu der Frage des Kollegen Jens möchte weise ich darauf hin, daß die Kilometerpauschale in ich Sie folgendes fragen: Ist sich die Bundesregie- § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes gere- rung bewußt, daß es für viele Arbeitnehmer in länd- gelt ist. Das Einkommensteuergesetz unterliegt der lichen Räumen, insbesondere für die meisten Fern- konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Dies pendler, keine zumutbare Alternative zum Pkw gibt bedeutet aber nicht, daß ausschließlich die Bundes- und diesen Personen die hohe Kostenbelastung aus regierung die Initiative zu Gesetzen in diesem Be- der Benutzung des Pkw nicht mehr länger zugemu- reich ergreifen kann; dasselbe Recht steht jedem tet werden kann? Land über den Bundesrat zu. Gesetzentwürfe kön- nen auch aus der Mitte des Bundestages einge- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es ist völlig rich- bracht werden. Von jeder dieser Möglichkeiten ist tig, Herr Kollege, daß die Auswirkungen regional un- bei der Einkommensteuer bisher häufig Gebrauch terschiedlich sind. Man wird allerdings nicht gene- gemacht worden, allerdings nicht zum Zweck der rell sagen können, daß im ländlichen Raum über- Anhebung der Kilometerpauschale. haupt kein öffentlicher Personennahverkehr exi- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3283

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme stiert oder umgekehrt, daß im Ballungsraum immer gangenen acht Jahre vor dem 1. April 1981 nicht be- ein sehr guter ÖPNV existiert. Es gibt aber gerade einflußt. Die Mineralölsteuer betrug seit der Erhö- im ländlichen Bereich Regionen, in denen die Anhe- hung zum 1. Juli 1973 bis zum 1. März 1981 unverän- bung der Benzinpreise schwere Auswirkungen hat dert 44 Pfennig je Liter Benzin und 41,15 Pfennig je und den Arbeitnehmer besonders belastet. Liter Dieselkraftstoff, während sich gleichzeitig der Deshalb ist eine regionale Staffelung der km-Pau- Benzinpreis von 69,9 Pfennig am 1. Juli 1973 um schale immer wieder geprüft worden. Aber bisher ist 60 Pfennig je Liter auf 129,9 Pfennig in 1981 erhöhte. — übrigens im Einvernehmen mit betroffenen Ver- Der Mineralölsteueranteil am Benzinpreis ging da- bänden, gerade auch aus dem Bereich der Automo- durch von 63 % in 1973 auf 34 % in 1981 zurück. Nach bilverbände — davon abgesehen worden, weil sie einer Zeitspanne von nahezu acht Jahren kann des- einmal verwaltungstechnisch kaum durchführbar halb eine Erhöhung der Mineralölsteuer für Benzin ist und weil andererseits mit speziellen regionalen um 7 Pfennig je Liter und für Dieselkraftstoff um Vorschriften schlechte Erfahrungen gemacht wor- 3 Pfennig je Liter nicht, wie Sie in Ihrer Frage aus- den sind. Es fehlen die Kriterien für eine exakte Ab- führen, als Grund für eine Erhöhung der Kilometer- grenzung. Dies war der Grund, weshalb wir davon pauschale angeführt werden. Auch an den Preisstei- abgesehen haben. Es gibt bisher keinen vernünfti- gerungen seit Anfang des Jahres 1981 von etwa gen Vorschlag, der eine solche regionale Abgren- 28 Pfennig je Liter Benzin ist die Mineralölsteuer zung der Kilometerpauschale — obwohl sie nahe- nur mit einem Anteil von 7 Pfennig bzw. 3 Pfennig liegt — durchführbar erscheinen ließe. bei Dieselkraftstoff, also nur in einem geringen Um- fang, beteiligt. Vizepräsident Wurbs: Zu einer weiteren Zusatz- Sinn der Mineralölsteueranhebung war es, fiskali- frage der Herr Abgeordnete Dr. Warnke. sche Mehreinnahmen und einen größeren Anreiz zum Umsteigen auf den öffentlichen Personennah- Dr. Warnke (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist verkehr zu schaffen und Benzin einzusparen, z. B. die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die durch Bildung von Fahrgemeinschaften. Eine allge- jährlichen Milliardenbeträge des Bundes für den meine Erhöhung der Kilometerpauschale würde Ausbau von S- und Untergrundbahnen in den Bal- dem Ziel, Energie einzusparen, zuwiderlaufen. lungsräumen auch eine Transportkostensubvention Außerdem würde schon eine allgemeine Anhebung für die Arbeitnehmer in den Ballungsräumen dar- der km-Pauschale auf 50 Pfennig einen Steueraus- stellen, daß es deshalb ein Gebot der Gerechtigkeit fall von rund 1,2 Milliarden DM verursachen, wie be- ist, den Arbeitnehmern in den ländlichen Räumen — reits mehrfach ausgeführt wurde. von Flensburg bis Lörrach und von Kiel bis Passau — auch wenigstens einen Teilausgleich zukommen Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage, bitte, Herr zu lassen, z. B. durch Erhöhung der Kilometerpau- Abgeordneter. schale, und daß sich diese Forderung an den Verur- sacher der Begünstigung der Ballungsräume, näm- Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU): lich die Bundesregierung, richten muß? Herr Staatssekretär wie bewerten Sie die Tatsache, daß die tatsächlichen Autokosten bei der Kilometer- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie pauschale nur zu etwa 40 % berücksichtigt wer- weisen mit Recht auf die hohen Leistungen des Bun- den? des bei der Förderung und beim Ausbau des öffentli- Parl. Staatssekretär: Es ist richtig, daß chen Personennahverkehrs hin. Dies wird voll und Dr. Böhme, die Autokosten gestiegen sind, ebenso die Versiche- ganz unterstützt. Es betrifft freilich nicht nur die rungskosten. Wie ich mehrfach sagte, war es aus fis- städtischen Ballungsräume; auch im ländlichen kalischen Gründen nicht möglich, die Kilometerpau- Raum hat der Bund jedes Jahr große Leistungen für den öffentlichen Personennahverkehr erbracht. Ich schale anzuheben. nenne die Ist-Zahl für 1979. Der Bund gibt rund Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage, bitte. 6 Milliarden DM für den gesamten öffentlichen Per- sonennahverkehr aus. Das ist etwa ein Drittel- mehr Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU): als die Länder und Gemeinden insgesamt auf die- Nachdem Sie energie- und verkehrspolitische Ziele sem Gebiet ausgeben. Wir haben also eine ansehnli- bereits mehrfach angesprochen haben, möchte ich che Leistung des Bundes für den öffentlichen Perso- Sie fragen, welche konkreten energie- und verkehrs- nennahverkehr zu verzeichnen; das dürfte Ihrer politischen Ziele Sie für den ländlichen Raum durch Frage voll entsprechen. die Nichtanhebung der Kilometerpauschale verfol- gen. Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wie ich vorhin sagte, wird diese Frage im Zusammenhang mit der Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) auf: geprüft. Hält die Bundesregierung die Entwicklung der Benzinpreise, insbe- sondere in Anbetracht der von ihr selbst durchgesetzten Mineralölsteu- ererhöhungen, für derartig belastend, daß ein Ausgleich durch Erhö- Vizepräsident Wurbs: Zu einer weiteren Zusatz- hung der Kilometerpauschale notwendig ist? frage der Abgeordnete Jäger (Wangen). Bitte, Herr Staatssekretär: Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Mineralöl- da Sie jetzt mehrfach die Frage der Prüfung der hö- steuer hat die vehemente Preisentwicklung der ver heren Kilometerpauschale mit der Absicht der Bun- 3284 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 Jager (Wangen) desregierung in Zusammenhang gebracht haben, Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist der die Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Bundesregierung bekannt, daß aus den revierfernen Mineralölsteuer mit den Ländern zu erörtern, ländlichen Bereichen seit Jahren eine Abwanderung möchte ich Sie folgendes fragen. Besteht nicht die der Bevölkerung zu verzeichnen ist? Ich frage Sie: Gefahr, daß damit Ihre Überlegungen, wann endlich Soll die Abwanderung aus diesen Bereichen, die in für den Arbeitnehmer im ländlichen Raum Gerech- einem großen Ausmaße auch auf die hohen Kosten tigkeit geschaffen wird, auf den Sankt-Nimmerleins- der Fahrten zur Arbeitstätte zurückzuführen ist, so Tag verschoben werden? Denn Ihnen ist so gut wie weitergehen? Wäre es nicht richtiger, die Mobilität allen Beteiligten bekannt, daß Sie diese Umlegung der Menschen in den ländlichen Räumen zu fördern, infolge des im übrigen berechtigten Widerstandes statt diese zu bestrafen? des Bundesrates nicht durchsetzen werden. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Regionalpoli- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier tik und die Auswirkungen der Prozesse, die Sie schon mehrfach ausgeführt, daß am 16. Oktober die schildern, ist zunächst Sache der Länder. Darüber Finanzministerkonferenz ihr Votum abgeben wird. hinaus hat der Bund über seine Regionalpolitik und Danach wird die Bundesregierung entscheiden, wel- über die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der che weiteren Schritte angezeigt sind. regionalen Wirtschaftsstruktur diese Probleme auf- gegriffen und entsprechende Mittel zur Verfügung Vizepräsident Wurbs: Zu einer weiteren Zusatz- gestellt. frage der Abgeordnete Dr. Kunz. Die Bundesregierung und der Bund insgesamt Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- nehmen also sehr wohl diese Aufgabe ernst. tär, wie sieht denn der Vorschlag der Bundesregie- rung aus, der im Zusammenhang mit der Umlegung Vizepräsident Wurbs: Keine weitere Zusatzfrage. der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer gemacht Ich rufe die Frage 20 — des Abgeordneten Dr. wird? Warnke — auf: Parl. Staatssekretär: In der Skizze, die Hält der Bundeskanzler die Auswirkung der von der Bundesregierung Dr. Böhme, zum Ersatz der Kfz-Steuer geplanten weite ren Mineralölsteuererhö- den Ländern vorliegt, wird geprüft, für Fernpendler hung für derartig belastend, daß ein Ausgleich durch Erhöhung der Kilo- eine Erhöhung der Kilometerpauschale durchzufüh- meterpauschale notwendig ist? ren. Bitte, Herr Staatssekretär.

Vizepräsident Wurbs: Zu einer weiteren Zusatz- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Der Bundeskanz- frage der Abgeordnete Dr. Warnke. ler hat in seiner Regierungserklärung vom 24. No- vember 1980 ausgeführt, daß im Falle der Umlegung Dr. Warnke (CDU/CSU): Ist es für die Bundesregie- der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer die rung nicht ein Anlaß, das Problem der Kilometer- besonderen Probleme der Pendler berücksichtigt pauschale deshalb ernst zu nehmen, weil die über- werden müssen. Er sagte wörtlich: proportional gestiegenen Fahrtkosten infolge der Am 4. Juli 1979 habe ich ... erklärt — ich Benzinpreis- und Mineralölsteuererhöhungen im zitiere —: ländlichen Raum die Wiedereingliederung von Ar- beitslosen in den Arbeitsprozeß mit zunehmender Zu Beginn der nächsten Legislaturperiode Länge der Anfahrtwege im ländlichen Raum er- wird die Bundesregierung einen Gesetzent- schweren? wurf vorlegen, der die Abschaffung der Kfz- Steuer und eine entsprechende Erhöhung Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Prüfung die- der Mineralölsteuer vorsieht. Sie wird da- ser Frage ist insgesamt eine wichtige Aufgabe, unge- bei die besonderen Probleme der Schwerbe- achtet der besonderen Punkte, die Sie anführen. hinderten und der Pendler berücksichti- gen ... Sie muß allerdings dafür sorgen, daß Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- dies nicht zu einer neuen Verschiebung von ordneten Fellner. Finanzmassen vom Bund auf die Länder führen kann. (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Sie spra- Fellner Hieran, meine Damen und Herren, hält die Bun- chen eben davon, die Kilometerpauschale für Fern- desregierung fest, und sie bittet die Länder um pendler zu erhöhen. Was zählt bei Ihnen als Fern- ihre Zustimmung. Ich weiß, daß die — bisher — pendler? Wo fängt dieser an, und wie ist das abge- nicht gewährt werden soll. stuft? Am 19. Juni 1981 wurde dem Vorsitzenden der Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das hängt auch Konferenz der Landesfinanzminister die Lösungs- von dem Ergebnis der Gespräche auf der Finanzmi- skizze, die vorhin mehrfach erwähnt wurde, zur Um- nisterkonferenz ab. Was von seiten der Bundesregie- legung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralöl- rung geprüft wird, ist eine Fernpendler-Abgrenzung steuer per Fernschreiben mit der Bitte um Erörte- ab dem 25. Kilometer Entfernung zwischen Woh- rung zugesandt. Diese Erörterung wurde dem Bun- nung und Arbeitsplatz. desminister der Finanzen für den 16. Oktober 1981 zugesagt. Sie soll Aufschluß darüber geben, ob die Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineral- ordneten Dr. Jobst. ölsteuer im Bundesrat mehrheitsfähig ist. Danach Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3285

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme wird über das weitere Vorgehen zu entscheiden legung inhaltlich ausgestaltet wird, auf welche Ty- sein. pen von Kraftfahrzeugen, in welchen Bereichen etc. Dies sind schwerwiegende Fragen, die jetzt an Hand Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- einer Lösungsskizze — nicht eines endgültigen Vor- ordneten Dr. Warnke. schlages — diskutiert werden.

Dr. Warnke (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ent- Vizepräsident Wurbs: Eine Zusatzfrage des Abge- hält die Lösungsskizze, mit der der Bund vorschlägt, ordneten Dr. Laufs. die Mineralölsteuer zu erhöhen, einschließlich Mehrwertsteuer eine Erhöhung in der Größenord- Dr. Laufs (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, können nung von 50 Pf pro Liter, und hat die Bundesregie- Sie im Hinblick auf die Situation der Pendler Aus- rung zusammen mit diesem Vorschlag einer weite- kunft darüber geben, in welcher Höhe der Personen- ren drastischen Erhöhung den Ländern in der Lö- kilometer im S-Bahn-Verkehr öffentlich subventio- sungsskizze konkrete Vorschläge zur Anhebung der niert wird und in welchem Verhältnis diese Subven- Kilometerpauschale zugeleitet? tion zum öffentlichen Beitrag über die Kilometer- pauschale steht? Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- rung hat überhaupt noch keinen Vorschlag unter- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Diese Frage kann breitet, sondern der Bundesfinanzminister hat eine ich jetzt aus dem Stand zahlenmäßig nicht exakt be- Lösungsskizze erarbeitet, die jetzt, m it den Ländern antworten. Ich will Ihnen die Antwort gern nachlie- erörtert wird. Je nach dem Ergebnis kann der Bun- fern, Herr Kollege. desfinanzminister zu einem endgültigen Vorschlag kommen. Dies ist bisher nicht der Fall. Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger (Wangen). Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Warnke. Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, bedeutet die Antwort, die Sie dem Kollegen Warnke (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, sind Dr. Warnke soeben gegeben haben, daß in der von Ihnen mehr- Sie bereit, dem Haus darüber Auskunft zu geben, in fach erwähnten Lösungsskizze weder betragsmäßig welcher Größenordnung in der Lösungsskizze die ein Vorschlag für die Anhebung der Mineralölsteuer Mehrbelastung des Verbrauchers mit Mineralöl- noch betragsmäßig prozentual oder sonstwie bezif- steuer einschließlich Mehrwertsteuer pro Liter vor- ferte Vorschläge für die Anhebung der Kilometer- gesehen ist, falls der vom Bundeskanzler angekün- pauschale enthalten sind? Oder sind diese Zahlen digte Vorschlag wahrgemacht wird, die Kraftfahr- zeugsteuer abzuschaffen und sie auf die Mineralöl- geheim? steuer umzulegen? Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Zah- len sind nicht geheim. Nur sagte ich, daß dies eine Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ein Hinweis auf das, was in der Lösungsskizze enthalten ist, würde Lösungsskizze ist, welche eine Diskussionsgrund- im Grunde die ganze Diskussion in ein verzerrtes lage darstellt. Deswegen werfen Zahlen, wenn sie Licht bringen. Denn es kommt darauf an, wie die Fi- hier jetzt offiziell gehandelt werden, ein schiefes nanzausgleichsproblematik zwischen Bund und Licht auf das, was möglicherweise endgültig bei die- Ländern gesehen und entschieden wird. Dies hängt sem Diskussionsprozeß herauskommt. Das Ganze somit vom Ergebnis der Ländergespräche ab. steht somit noch im Stadium des Entstehens einer entsprechenden Gesetzesvorlage. So weit sind wir Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des noch nicht. Die Lösungsskizze ist natürlich mit Zah- Abgeordneten Dr. Schulte. len ausgestattet. Aber diese sind rein vorläufig. Es kommt darauf an, welche Ergebnisse die Finanzaus- Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) (CDU/CSU): gleichsgespräche zwischen Bund und Ländern ha- Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Ansicht, ben werden. Es sind schwerwiegende Probleme, die daß Ihr Vorschlag erst für den Fall gilt, daß Sie den da auftauchen. Erst danach kann konkret über Ein- Kilometer Autofahren noch einmal teurer gemacht zelheiten der Auswirkungen gesprochen werden. haben? Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Insgesamt wird Abgeordneten Dr. Spöri. die Umlegung bedeuten, daß natürlich der Mineral- ölsteueranteil steigt und das Vielfahren teurer wird. Dr. Spöri (SPD): Können Sie mir bestätigen, Herr Das ist auch die energiepolitische Intention, die mit Staatssekretär, daß die Gesamtoperation im Zusam- einer solchen Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer menhang mit der geplanten Kfz-Steuerumlage auf auf die Mineralölsteuer verbunden ist. Auf der ande- die Mineralölsteuer von der Lösungsskizze her für ren Seite ist gegenzurechnen, was der Wegfall der den Bundeshaushalt einnahmeneutral geplant ist Kfz-Steuer für den einzelnen Autofahrer bedeutet. und insofern per Saldo keine Zusatzeinnahme des Hier gibt es ziemlich genaue Rechnungen, ab wel- Bundes erwartet wird? chem Kilometerstand es günstiger bzw. ungünstiger ist: Wegfall der Kfz-Steuer auf der einen Seite und Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das ist exakt das Verteuerung des Vielfahrens auf der anderen Seite. Anliegen. Es besteht die Zielsetzung, daß weder der Dies hängt, wie gesagt, wieder davon ab, wie die Um- Bund noch die Länder bei diesem Austausch von 3286 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme zwei Steuern irgendeinen Vorteil haben sollen. Dies Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des ist das Ziel. Abgeordneten Rossmanith.

Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage des Ab- Rossmanith (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, sind geordneten Dr. Jobst. Sie nicht auch der Meinung, daß auf Grund der Ver- worrenheit, die Sie durch Ihre Ausführungen her- Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist es vorgerufen haben, im Hinblick auf die Abschaffung nicht — wenn Sie die Autofahrer mit der Erhöhung der Kfz-Steuer mit einer Zustimmung der Länder zu der Kilometerpauschale bis zu dem Zeitpunkt ver- einem derart unausgegorenen Vorhaben nicht ge- trösten wollen, an dem die Kfz-Steuer auf die rechnet werden kann? Mineralölsteuer umgelegt sein wird — so, daß die Bundesregierung die Kraftfahrer zunächst erneut Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein. Wir haben durch eine weitaus höhere Mineralölsteuer erheb- in der Regierungserklärung eine klare Ankündi- lich belasten und erst dann eine Entlastung durch gung. Bereits dort ist gesagt worden, daß vorab die eine höhere Kilometerpauschale bringen will? Finanzausgleichsproblematik zu klären ist. Es hätte wenig Sinn, mit einem voll ausformulierten Gesetz- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann die Be- entwurf durch die Instanzen zu gehen und dann im wertung, die in dieser Frage steckt, nicht bestätigen. Bundesrat wegen der Finanzausgleichsproblematik Ich habe ausgeführt, daß die Gespräche mit den Län- hängenzublieben. Das muß besonders wegen der ge- dern am 16. Oktober 1981 abgewartet worden und genwärtigen Haushaltslage zwischen Bund, Län- daß dann die Bundesregierung prüft, welche weite- dern und Gemeinden vorab diskutiert werden und ren Schritte unternommen werden. Das hat mit der entschieden sein. viel zitierten Sankt-Nimmerleins-Tag-Terminierung Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- des Kollegen Jäger (Wangen) überhaupt nichts zu gen. tun. Ich rufe Frage 21 des Abgeordneten Dr. Kunz Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage des Ab- auf: geordneten Dr. Kunz. Beabsichtigt der Bundeskanzler, von seiner Richtlinienkompetenz da- hin gehend Gebrauch zu machen, daß er zur Entlastung der Arbeitneh- mer insbesondere in den ländlichen Räumen im Bundeskabinett den Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- Beschluß herbeiführt, einen Gesetzentwurf zur Erhöhung der Kilome- tär, können Sie in Abrede stellen, daß die vorgese- terpauschale vorzulegen? hene Umlegung der Kfz-Steuer für Bund und Län- Bitte, Herr Staatssekretär. der zwar aufkommensneutral ist, aber zu Lasten der dünner besiedelten ländlichen Räume gehen wird? Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Probleme des ländlichen Raums sind der Bundesregierung be- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das kann ich wußt. Man kann allerdings nicht davon ausgehen — nicht bestätigen, weil man nicht sagen kann, daß im wie Sie das in Ihrer Frage offenbar tun —, daß die ländlichen Raum die Ausstattung mit öffentlichen Verkehrsverhältnisse, insbesondere das Angebot an Verkehrsmitteln generell schlecht oder umgekehrt öffentlichem Nahverkehr, in Ballungsräumen gene- in Ballungsräumen generell gut ist. Da gibt es sehr rell gut und in ländlichen Räumen generell schlecht große Unterschiede. sei. Es gibt sowohl in ländlichen Gebieten als auch in Ballungsräumen einerseits schnelle und direkte Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage des Ab- Verkehrsverbindungen des öffentlichen Nahver- geordneten Fellner. kehrs. Es gibt andererseits aber auch Wohngebiete, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur in unregel- Fellner (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ich mäßigen Zeitabschnitten bei wenigen Haltestellen möchte gleich an Ihre Antwort anknüpfen. Meinen bedient werden. Sie nicht auch — Sie haben das vorhin ja bestä- Die Bundesregierung prüft deshalb bei den Über- tigt —, daß die Vielfahrer künftig mehr Steuern zah- legungen im Zusammenhang mit der Umlegung der len müssen und vielleicht für diejenigen Steuern Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer, ob ein soge- mitzahlen, die das Auto nur dazu benutzen, um am nannter Fernpendlerausgleich den unterschiedli- Wochenende ins Grüne fahren zu können? Meinen chen Verkehrsverhältnissen und insbesondere dem Sie nicht, daß gerade die Pendler, die während der unterschiedlichen Angebot an schnellen und direk- Woche einen Pkw brauchen, um zu ihrer Arbeit zu ten Verkehrsverbindungen am ehesten Rechnung kommen, ungerechterweise für die anderen die tragen kann. Steuern mitzahlen? Wie schon mehrfach ausgeführt, wartet die Bun- desregierung das Ergebnis der Gespräche mit den Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies ist die grund- sätzliche Frage, ob eine Umlegung der Kfz-Steuer Bundesländern in dieser Frage ab und wird an- auf die Mineralölsteuer - wodurch die Vielfahrer schließend über ihre weiteren Schritte entschei- getroffen werden — richtig ist oder nicht. Wenn man den. vom energiepolitischen und umweltpolitischen An- Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage des Abgeordne- satz ausgeht, muß man sicher sagen, daß es richtig ten Kunz. ist, die Vielfahrer zu belasten, um Energie zu sparen und um auch die Umwelt zu schonen. Daß es Gegen- Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- argumente gibt, ist sehr wohl bekannt. Da muß man tär, nachdem Sie Ihre Lösung auf die Fernpendler abwägen. Dies geschieht zur Zeit. abstellen, möchte ich Sie fragen: Wie hoch schätzt Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3287

Dr. Kunz (Weiden) denn die Bundesregierung den Anteil der Arbeitneh- Dr. Warnke (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wür- mer, die, soweit sie zur Fahrt zum Arbeitsplatz einen den Sie nicht einen Anlaß zur Ausübung der Richtli- Pkw benutzen müssen, dann in den Genuß dieser nienkompetenz in der unbestrittenen Tatsache er- Vergünstigung kommen können? blicken, daß von dem sogenannten Gemeindepfen- nig — den sechs Pfennigen pro Liter Benzin Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Das hängt davon Mineralölsteueranteil für den gemeindlichen Ver- ab, wie die Fernpendlerpauschale ausgestaltet wäre, kehrsausbau — in den letzten elf Jahren nahezu 90 % ab welchem Kilometerstand sie ansetzt und welcher — ein Betrag in hoher Milliardengröße — in die Bal- Benutzerkreis dann zum Zuge kommt. Wie gesagt, lungsräume geflossen sind und daß damit die Arbeit- wird in der Lösungsskizze ein Fernpendlerausgleich nehmer in den ländlichen Räumen mit ihrem Ben- ab dem 25. Kilometer Entfernung zugrunde gelegt. zingeld Milliardenbeträge zum Ausbau der Unter- grund- und S-Bahnen in den Ballungsräumen ge- Vizepräsident Wurbs: Weitere Zusatzfrage des Ab- schickt und deshalb einen Ausgleich aus Gründen geordneten Kunz. der Gerechtigkeit dringend verdient haben? (Weiden) (CDU/CSU): Welche Entlastung. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kunz [Wei Dr. Kunz den] [CDU/CSU]: Das muß doch jeden Sozi plant die Bundesregierung für den Fall, daß die Lö- aldemokraten rot werden lassen!) sungsskizze, die Sie bisher j a geheimhalten wollen, im Bundesrat nicht mehrheitsfähig ist und zu keiner Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Aber, Herr Kolle- einvernehmlichen Lösung führt, für die schwerge- ge! Ich verstehe nicht, warum Sie die Frage an mich beutelten Arbeitnehmer? stellen. Das ist doch gar keine Frage an den Bund. Ich bitte Sie, die Rechtslage zu sehen. Die Rechts- Parl. Staatssekretär: Wie ich schon sag- Dr. Böhme, lage ist die, daß diese berühmten sechs Pfennige in te, wird die Bundesregierung erst das Ergebnis die- den sogenannten Topf nach dem Gemeindever- ser Gespräche abwarten und danach entscheiden. kehrsfinanzierungsgesetz gezahlt werden. Die Ver- Auch auf noch so viele Fragen heute nachmittag teilung dieser Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfi- werde ich keine andere Antwort geben. nanzierungsgesetz ist statisch und starr nach einem bestimmten Schlüssel auf die Länder verteilt, und Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage des Abgeordne- ten Jäger (Wangen). die Länder nehmen die Verteilung dieser Mittel wahr — doch nicht der Bund. Ihre Frage müssen Sie Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, an Ihre Bundesländer stellen. wollen Sie denn mit dem, was Sie dem Kollegen Dr. (Beifall bei der SPD und der FDP) Kunz gerade geantwortet haben, ernstlich bestrei- ten, daß — selbst wenn man Ihre Behauptung, es Vizepräsident Wurbs: Keine weitere Zusatzfrage. gebe im ländlichen Raum durchaus noch öffentli- Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Vogt (Dü- chen Personennahverkehr, als richtig unterstellt — ren) auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die der Arbeitnehmer, der in seinem Ort keinen Omni- Frage wird nicht beantwortet. bus und auch sonst nichts hat, auch wenn er weniger Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Jobst als 25 km von seiner Arbeitsstätte entfernt wohnt, auf: bei einer Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Falls der Bundeskanzler eine Erhöhung der Kilometerpauschale be- Mineralölsteuer erheblich stärker belastet wird und absichtigt, bis wann wird die Bundesregierung spätestens den Gesetz- daß also der dann erneut ... entwurf im Deutschen Bundestag einbringen? Bitte, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Wurbs: Ich bitte, eine Frage zu stel- len, Herr Abgeordneter. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- rung wird, wie mehrfach ausgeführt, die Erörterung Jäger (Wangen) (CDU/CSU): Herr Präsident, ich der Finanzminister abwarten. Falls dort ein positi- bin gerade am Ende meiner Frage angelangt — ves Votum erzielt werden kann, müßten die parla- ... besonders benachteiligt wäre, der dann- 24 km mentarischen Beratungen wegen der für die Um- von der Wohnung zur Arbeitsstätte zu fahren hät- stellung erforderlichen Vorlaufzeit möglichst te? schnell in Gang gesetzt werden.

Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies ist, mit Recht Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage, bitte sehr. festgestellt, die Schwäche z. B. jeglicher Stichtagsre- gelung im Steuerrecht und jeglicher Regelung, die Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, hat die ab einem bestimmten Zeitpunkt oder, wie hier, ab ei- Bundesregierung inzwischen Kriterien erarbeitet nem bestimmten Kilometer ansetzt. Deswegen ist zur Abgrenzung derjenigen Pendler, die auf die Be- das, was ich vorhin zur Fernpendlerverbesserung nutzung des eigenen Pkws angewiesen sind, von den sagte, nur eine Lösungsskizze. Was Sie hier fragen, Pendlern, denen der Übergang auf die öffentlichen bestätigt meine Ausführung von vorhin, daß hier Verkehrsmittel möglich und zumutbar ist, wie Ihr noch sehr ausgiebig und sehr gründlich diskutiert Kollege Haehser es in seiner Antwort vom 21. Au- werden muß, bevor man mit festen Vorschlägen in gust auf eine schriftliche Anfrage von mir angekün- die Öffentlichkeit gehen kann und soll. digt hat?

Vizepräsident Wurbs: Zusatzfrage des Abgeordne- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die ten Dr. Warnke. Fragen, die hier heute nachmittag jetzt fast eine 3288 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Parl. Staatssekretär Dr. Böhme Stunde gestellt wurden, sind außerordentlich üben, wenn die Gesetzeslage ganz anders ist und der schwerwiegend. Die Bundesregierung hat einen Bund eben nicht in die Länder hineinregieren kann. ganzen Katalog von mehreren Möglichkeiten zur Es sind doch die Länder, welche Kritik üben und sa- Prüfung herangezogen. Darunter ist als Variante gen, der Bund regiere mit dem goldenen Zügel in die auch eine Zumutbarkeitsgrenze, wie sie z. B. in Länder hinein. Schweden praktiziert wird. Aber die Verhältnisse in (Glos [CDU/CSU]: Dies ist wahr!) Schweden sind nicht so wie in der Bundesrepublik, weil in Schweden die meisten Landstriche nur we- Da dies eben ein Kritikpunkt ist, wird sich der Bund nig besiedelt sind, was mit den Verhältnissen bei uns hüten, einzelne Entscheidungen innerhalb der Bun- nicht übereinstimmt. Aber diese Zumutbarkeitsre- desländer selbst zu treffen oder vorzugeben. gelung ist in den Gesamtkatalog, was auf diesem Ge- biet gemacht werden kann, einbezogen. Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig. Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage. Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, hat die Bundes- Dr. Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, sieht regierung Informationen darüber erhalten, ob aus die Bundesregierung in dem Kommunalwahlergeb- den Reihen der CDU, die sich hier so vehement für nis von Niedersachsen ein Indiz auch dafür, daß sich die Erhöhung der Kilometerpauschale einsetzt, je- die Arbeitnehmer eine von der Bundesregierung be- mals ein Gesetzentwurf eingebracht worden ist, um triebene Verteuerung des Autofahrens nicht mehr die Kilometerpauschale zu erhöhen? gefallen lassen, und wird die Bundesregierung unter diesem Eindruck eine schnellere Gesetzesinitiative Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe Gelegen- ergreifen? heit, dies in der Antwort auf die Frage 24 des Abge- ordneten Müller (Remscheid) formell zu beantwor- Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- ten. rung wird alle Maßnahmen auf diesem Gebiet und alle Möglichkeiten prüfen, um zu einer bestmögli- Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des chen Regelung zu kommen. Ich darf noch einmal Abgeordneten Dr. Kunz. darauf hinweisen, daß diese Frage des Schweißes nicht nur der Bundesregierung, sondern eventuell Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- auch der Bundesländer oder auch dieser Opposition tär, eignet sich nach Auffassung der Bundesregie- im Bundestag wert ist. Alle können hier Überlegun- rung die so unbefriedigende Kilometerpauschale an- gen anstellen und entsprechende Anträge stellen. gesichts der tatsächlichen Belastung von Millionen von Arbeitnehmern zu diesem, wie ich fast sagen Wenn Ihnen wirklich das Anliegen der Pendler so möchte, unwürdigen politischen Schwarzen-Peter- am Herzen liegt, hätten Sie schon längst selber eine Spiel der Bundesregierung? Initiative ergreifen können und sich nicht nur auf lange Fragen in der Fragestunde des Deutschen Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe das aku- Bundestags beschränken müssen. stisch nicht verstanden.

Vizepräsident Wurbs: Eine weitere Zusatzfrage des Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU): Eignet sich diese Abgeordneten Warnke. Problematik der Kilometerpauschale angesichts der außerordentlich hohen, in die Millionen gehenden Dr. Warnke (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, nach- Belastung der Arbeitnehmer zu diesem unwürdigen dem Sie auf meine letzte Frage hin nicht bestritten politischen Schwarzen-Peter-Spiel? haben, daß 90 % des Gemeindepfennigs in die Bal- lungsräume gehen: Wären Sie bereit, gegenüber (Zuruf von der SPD: Das haben Sie doch dem Hohen Haus klarzustellen, daß Ihre Auskunft, heute gemacht! — Wehner [SPD]: Schwarz die Verteilung dieser Mittel gehe ausschließlich sind Sie! — Dr. Spöri [SPD]: Sie Arbeit durch Entscheidungen der Länder vor sich, zumin- nehmerhelden! — Zuruf von der SPD: Veits dest grob mißverständlich ist und daß in -Wirklich- tanz! — Weitere Zurufe von der SPD und keit die 50 %, die in den öffentlichen Personennah- Gegenrufe von der CDU/CSU) verkehr gehen, ganz überwiegend — wenn nicht ausschließlich — für Sonderprogramme des Bundes Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Fragen zu beantworten, die mir in dieser gegeben werden, bei denen der Bund bezüglich der Fragestunde gestellt werden. Wenn ich es richtig Verteilung das Sagen hat? sehe, sind alle Fragen, die bisher zur km-Pauschale Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin gestellt worden sind — ich meine nicht die Zusatz- nicht bestätigt, daß 90 % in die Ballungsgebiete ge- fragen, sondern die Fragen, die zur Fragestunde ein- hen, sondern ich habe nur gesagt, daß die Mittel gebracht worden waren — aus Ihren Reihen gekom- nach dem sogenannten Gemeindeverkehrsfinanzie- men. rungsgesetz überwiegend von den Ländern verteilt werden und daß der Bund immer nur auf Vorschlag Vizepräsident Wurbs: Keine Zusatzfragen mehr? — Bitte, Herr Abgeordneter Rapp. der Länder im Einvernehmen mit den Ländern Ent- scheidungen trifft. Rapp (Göppingen) (SPD): Herr Staatssekretär, Das ist die Gesetzeslage, Herr Kollege. Wir kön- können Sie mir sagen, ob in dieser Lösungsskizze nen hier doch nicht Vorwürfe erheben oder Kritik der Bundesregierung auch Empfehlungen bezüglich Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3289

Rapp (Göppingen) der Gestaltung von Mitfahrergemeinschaften ent- Fragestunde am Freitag, dem 9. Oktober 1981, nur 60 halten sind? Minuten dauern. Sie wird von 8 bis 9 Uhr stattfin- den. Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, Mitfahrer- gemeinschaften sind in dieser Lösungsskizze nicht Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Ta- enthalten. Sie sind aber auch Gegenstand der Prü- gesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des fung durch die Bundesregierung. Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Oktober 1981, 8 Uhr ein. Vizepräsident Wurbs: Keine weiteren Zusatzfra- gen. Die Sitzung ist geschlossen. Ich möchte noch eine amtliche Mitteilung machen. Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates wird die (Schluß der Sitzung: 15.32 Uhr)

Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3291*

Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort des Parl. Staatssekretärs Stahl auf die Fragen des Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlicl Abgeordneten Cronenberg (FDP) (Drucksache 9/841 Dr. van Aerssen 9. 10. Fragen 114 und 115): Dr. Ahrens* 9. 10. Welche Priorität räumt die Bundesregierung im Rahmen ihres Pro- Dr. Althammer* 9. 10. gramms zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit dem Bereich der Gesundheitssystemforschung im Verhält- Dr. Arnold 9. 10. nis zu den Bereichen der Grundlagenforschung und der angewandten Dr. Bardens* 8. 10. Forschung zur Verbesserung von Vorsorge, Behandlung und Rehabilita- tion ein? Becker (Nienberge) 9. 10. Ist die Bundesregierung angesichts der längerfristig angespannten Böhm (Melsungen) * 9. 10. Haushaltslage bereit, der unmittelbar gesundheits- oder krankheitsbe- Broll 9. 10. zogenen Forschung den Vorrang vor der Gesundheitssystemforschung einzuräumen? Büchner (Speyer)* 9. 10. Bühler (Bruchsal) 9. 10. Burger 9. 10. Zu Frage 114: Eickmeyer* 9. 10. Das Programm der Bundesregierung „Forschung Dr. Enders* 9. 10. und Entwicklung im Dienste der Gesundheit" hat Eymer (Lübeck) 9. 10. die drei Schwerpunkte: Dr. Geßner* 9. 10. - Gesundheitsforschung, Dr. Häfele 9. 10. - Krankheitsforschung, in die die Rehabilitations- Hauck 9. 10. forschung einbezogen ist, Dr. Holtz* 9. 10. - Strukturforschung. Dr. Hubrig 9. 10. Ibrügger** 9. 10. Die Fördermaßnahmen des Bundes zu diesen Be- Jäger (Wangen) * 8. 10. reichen sind in einem Aktionsprogramm zusam- Jung (Kandel) * 8. 10. mengefaßt. Das Aktionsprogramm bezieht sich aus- Kittelmann* 9. 10. schließlich auf angewandte Forschung, die Grundla- Lemmrich* 9. 10. genforschung liegt außerhalb dieses Rahmens. Lenzer* 9. 10. Die drei Bereiche sind nicht unabhängig vonein- Dr. Müller* 9. 10. ander zu sehen. Insbesondere die Forschungsarbei- Müller (Wadern)* 9. 10. ten zur Verbesserung der Struktur unseres Gesund- Frau Pack* 9. 10. heitswesens - die Gesundheitssystemforschung - Pensky* 9. 10. erfüllen Querschnittsaufgaben und bereiten die Prangenberg 8. 10. wirksame Umsetzung der Ergebnisse der Gesund- Reddemann* 9. 10. heits- und Krankheitsforschung vor. Wegen dieser Rösch* 9. 10. Wechselbeziehung sollte keiner der drei Bereiche Roth 9. 10. vernachlässigt werden, wie im Gesundheitsfor- Dr. Schäuble * 9. 10. schungsprogramm der Bundesregierung darge- Frau Schlei 9. 10. stellt. Schluckebier* 9. 10. Schmidt (Hamburg) 8. 10. Schmidt (München) * 9. 10. Zu Frage 115: Schmidt (Würgendorf)* 9. 10. Die allgemein angespannte Haushaltslage hat na- Schulte (Unna)* 9. 10. türlich auch das Gesundheitsforschungsprogramm Dr. Schwörer 9. 10. betroffen. Gesundheitssystemforschung ist in ihren Dr. Solms 9. 10. wesentlichen Elementen Umsetzungsforschung, die Dr. Freiherr wissenschaftlich begründete Antworten auf die Spies von Büllesheim* 8. 10. Frage nach Versorgungslücken und Funktionsmän- Spranger 9. 10. geln des Gesundheitswesens geben soll. Wir wären Dr. Sprung* 9. 10. sicherlich schlecht beraten, wenn wir gerade heute Graf Stauffenberg 8. 10. die Forschung zur wirksamen Umsetzung des Fort- Topmann* 9. 10. schritts in Medizin und Technik in die Praxis der ge- Dr. Unland* 9. 10. sundheitlichen Versorgung vernachlässigen wür- Dr. Vohrer* 9. 10. den. Dr. Wittmann * 9. 10.

Anlage 3 Antwort * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates des Parl. Staatssekretärs Stahl auf die Fragen des ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Abgeordneten Leuschner (SPD) (Drucksache 9/841 Versammlung Fragen 116 und 117): 3292* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981

Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Diskus- sion über eine hohe Energieabhängigkeit von der OPEC beim Erdöl Mel- verwendung gefördert. Zu den förderungswürdigen dungen, nach denen ca. 60 v. H. der von deutschen Kernkraftwerken be- energiesparenden Maßnahmen zählt die Entwick- nötigten Uranbrennelemente in der Sowjetunion angereichert wer- den? lung energiesparender Lampen. Im Jahre 1979 be- trug der Energieverbrauch für Beleuchtung in der Wie hoch ist der prozentuale Anteil des bundesrepublikanischen Uranbezugs aus der Republik Südafrika und aus Namibia in den Jahren Bundesrepublik Deutschland 33 Mrd. kWh. Bei ge- 1976 bis 1980 gewesen? ringerem Energieaufwand für Beleuchtung kann in klimatisierten Verwaltungsgebäuden im Sommer Zu Frage 116: auch der Energieverbrauch für Kühlung gesenkt werden. Die Entwicklung energiesparender Lampen Nach Unterlagen der Versorgungsagentur von ist somit durchaus von volkswirtschaftlichem Inter- EURATOM betrug der Anteil der Sowjetunion an esse. Das BMFT hat bisher fünf Vorhaben geför- Anreicherungsdienstleistungen für deutsche Kern- dert. kraftwerke 1980 39 %. Dieser Anteil wird sich in den nächsten Jahren verringern. An diesen Vorhaben hat sich der BMFT mit 50 % beteiligt, weil die grundlegenden Forschungs- und Die Bemühungen der Bundesregierung im Rah- Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet mit großen men der Zusammenarbeit mit Großbritannien und technologischen Risiken verbunden sind. Die Ko- den Niederlanden bei der Entwicklung und Nutzung sten der weiteren Entwicklung und Produktionsein- des Gaszentrifugenverfahrens zur Herstellung an- führung werden von den Firmen allein getragen. gereicherten Urans haben zur Errichtung eigener Urananreicherungsanlagen geführt, die eine zuneh- mende Eigenversorgung gewährleisten. Die Bundes- Zu Frage 119: regierung sieht deshalb keine die Energieversor- Beim bereits jetzt erreichten hohen technischen gung beeinträchtigende Abhängigkeit von der So- Stand der Lampentechnik erfordert die weitere Ver- wjetunion. besserung der Lichtausbeute jahrelange kostspie- lige Entwicklungsarbeiten. Dazu sind nach vorlie- genden Informationen in der Bundesrepublik Zu Frage 117: Deutschland nur die Forschungslaboratorien von Grundsätzlich ist zu bemerken, daß die Elektrizi- Osram und Philips in der Lage. Anträge auf Förde- tätsversorgungsunternehmen ihren Natururanbe- rung entsprechender Entwicklungsvorhaben wur- darf auf dem freien Weltmarkt durch den Abschluß den daher auch nur von diesen beiden Firmen einge- langfristiger, privatwirtschaftlicher Lieferverträge reicht. sicherstellen. Der prozentuale Anteil des Uranbe- Abschlußberichte für drei der Vorhaben liegen vor zugs aus einem bestimmten Lieferland ist nur annä- und stehen interessierten Unternehmen zur Verfü- herungsweise zu ermitteln, weil das Material nicht gung. Die Zuwendungsempfänger (ZE) sind auf Ver- direkt in die Bundesrepublik Deutschland geliefert langen verpflichtet, Dritten gegen Entgelt ein Benut- wird, sondern über dritte Länder, in denen das Na- zungsrecht an den Ergebnissen einzuräumen. Die tururan konvertiert und angereichert wird. Unter beiden anderen Projekte wurden als marktnahe diesem Vorbehalt läßt sich sagen, daß der Anteil des Vorhaben gefördert. Im Erfolgsfall muß das Unter- Natururanbezugs aus Südafrika in den Jahren 1976 nehmen die Zuwendung nach Beendigung der Ar- bis 1980 zwischen 13 und 26 % lag. Aus Namibia ka- beiten zurückzahlen. In diesem Fall brauchen die ZE men 15 bis 30 %, mit Ausnahme des Jahres 1977, als Dritten kein Benutzungsrecht an den Ergebnissen der Anteil vorübergehend höher lag. einzuräumen.

Anlage 4 Antwort Anlage 5 des Parl. Staatssekretärs Stahl auf die Fragen- des Abgeordneten Dr. Hubrig (CDU/CSU) (Drucksache Antwort 9/841 Fragen 118 und 119): des Parl. Staatssekretärs Dr. Kreutzmann auf die Frage des Abgeordneten (Berlin) (CDU/ Welches waren die Gründe für die Vergabe von Forschungsprojekten Schulze zur Entwicklung energiesparender Glühlampen an ausgewählte Unter- CSU) (Drucksache 9/860 Frage 1): nehmen der deutschen Wirtschaft, und ist geprüft worden, warum diese Unternehmen die vergebenen Forschungsprojekte nicht aus eigenen Trifft es zu, daß zumindest für einige Bezirke der DDR eine Anwei- Mitteln finanzieren konnten? sung an Tankwarte besteht, wonach auf den Mindestumtausch für einen Tag in Höhe von 25 DM an „Kunden aus dem nichtsozialistischen Wirt- Was sind insbesondere die Gründe für die Vergabe von Forschungs- schaftsgebiet" keine Betankung erfolgen darf, und wie gedenkt die Bun- projekten über die Verbesserung der Lichtausbeute von Glühlampen an desregierung, falls zutreffend, auf diese einschränkende Maßnahme des die Firmen Philips und Osram für insgesamt 6,3 Millionen DM, und wel- innerdeutschen Besuchs- und Reiseverkehrs zu reagieren? chen Zugang haben kleinere und mittlere Unternehmen zu den For- schungsergebnissen für die nunmehr abgeschlossenen Forschungspro- jekte über energiespareende Glühlampen? Nach vorliegenden Informationen besteht eine DDR-Anweisung an die Tankstellen, daß DDR-Besu- Zu Frage 118: cher nur dann gegen Mark der DDR tanken dürfen, wenn sie den Umtausch nachweisen können. Im Rahmen des Programms Energieforschung und Energietechnologien werden u. a. Forschungs- Problematisch ist diese Regelung für Eintagesrei- und Entwicklungsvorhaben zur rationellen Energie sen sowie die Zweitagesreisen im Rahmen des Berli- Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 3293* ner Reise- und Besucherverkehrs. Bei diesen Reisen land-Pfalz hat seine Bereitschaft erklärt, die Errich- erteilt die DDR keine Quittungen für den verbindli- tung einer Wiederaufarbeitungsanlage zu prüfen. chen Mindestumtausch, so daß der geforderte Um- Wie in Hessen sind hier Standortkriterien des Lan- tauschnachweis nicht beigebracht werden kann. des vorgelegt worden. Die Bundesregierung hat die Angelegenheit ge- Für das Land Bayern hat Ministerpräsident genüber der DDR angesprochen, bisher leider noch Strauß in der Regierungserklärung vom 3. Dezem- ohne positives Ergebnis. Sie wird sich weiter um ber 1980 die Bereitschaft angekündigt zu untersu- eine akzeptable Lösung bemühen. chen, ob geeignete Standorte dort vorhanden sind. Die bayerische Landesregierung hat bisher jedoch noch keine Standortkriterien oder Ergebnisse von Untersuchungen der in Frage kommenden Standort- Anlage 6 regionen vorgelegt. Die Bundesregierung würde es Antwort deshalb begrüßen, wenn sich das Land Bayern bald- möglichst in eindeutiger Weise zur Frage einer Wie- des Parl. Staatssekretärs Brück auf die Frage des deraufarbeitungsanlage in Bayern erklären würde. Abgeordneten Dr. Hüsch (CDU/CSU) (Drucksache 9/860 Frage 2):

Teilt die Bundesregierung die in der Studie des „Birla Institute of Scientific Research" dargestellte Auffassung, daß die seit 30 Jahren vor- nehmlich aus dem Westen nach Indien fließende Entwicklungshilfe das Gleichgewicht der indischen Wirtschaft gestört und den Bemühungen Anlage 8 entgegengewirkt habe, tatsächlich unabhängig zu werden, und welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus diesem kritischen Ansatz des Berichts des „Birla Instituts of Scientific Research" hinsichtlich der Antwort entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutsch- land mit Indien ziehen? des Parl. Staatssekretärs von Schoeler auf die Frage des Abgeordneten Dr. Jentsch (Wiesbaden) (CDU/ Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, CSU) (Drucksache 9/860 Frage 8): von der mit der Regierung von Indien im einzelnen Was hat die Bundesregierung getan, um die Bevölkerung über die Zahl und Art der an der Demonstration am 10. Oktober 1981 in Bonn teil- vereinbarten entwicklungspolitischen Zusammen- nehmenden kommunistischen und anderen linksextremistischen Orga- arbeit abzugehen. Diese Zusammenarbeit entspricht nisationen zu informieren, und welche Wirkung hatte eine derartige eventuelle Aufklärungsarbeit der Bundesregierung gegenüber der Be- voll den von der indischen Regierung gesetzten Prio- völkerung? ritäten, die mit der entwicklungspolitischen Konzep- tion der Bundesregierung übereinstimmen. Mitglieder der Bundesregierung, u. a. der Bundes- kanzler und der Vizekanzler, haben sich wiederholt zu der für den 10. Oktober 1981 geplanten Demon- Anlage 7 stration, insbesondere zur Teilnahme von Mitglie- dern von Organisationen an dem Aufzug öffentlich Antwort geäußert. Insofern darf ich auch auf meine Antwort des Parl. Staatssekretärs von Schoeler auf die Frage zur Frage des Kollegen Dr. Miltner in der Frage- des Abgeordneten Dr. Kübler (SPD) (Drucksache stunde am 1. Oktober dieses Jahres hinweisen (An- 9/860 Frage 7): lage 12 zum Plenarprotokoll 9/55). Die Medien ha- ben hierüber ausführlich berichtet. In Presse, Rund- Trifft es zu, daß die bayerische Landesregierung bislang, obwohl sie auf Grund des gemeinsamen Beschlusses des Bundeskanzlers und der funk und Fernsehen ist die Bevölkerung wiederholt Ministerpräsidenten vom Februar 1980 dazu auch verpflichtet gewesen wäre, keine Vorschläge zu Entsorgungsformen wie Zwischenlager oder über den Kreis der Organisationen informiert wor- zu Standorten einer Wiederaufbereitungsanlage gemacht hat, und wenn den, die zu der Demonstration aufgerufen haben. ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

Die Regierungschefs des Bundes und der Länder haben in ihrem Beschluß zur Entsorgung der Kern- kraftwerke vom 28. September 1979 die Bereitschaft Anlage 9 der Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen - Antwort und Niedersachsen begrüßt, externe Zwischenlager aufzunehmen. Sie haben zur Kenntnis genommen, des Parl. Staatssekretärs von Schoeler auf die Frage daß einige Länder durch Zulassung von Kompaktla- des Abgeordneten Dr. Miltner (CDU/CSU) (Druck- gern einen Beitrag zur Entsorgungsvorsorge leisten sache 9/860 Frage 9): wollen. Zu diesen Ländern gehört auch das Land Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, daß Extremi- Bayern. sten die Demonstration vom 10. Oktober 1981 in Bonn zum Anlaß neh- men, Gewalt anzuwenden und das Recht auf friedliche Versammlung zu Nach dem Beschluß der Regierungschefs muß mißbrauchen? darauf hingewirkt werden, daß eine Wiederaufarbei- tungsanlage so zügig errichtet werden kann, wie dies Den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern unter Beachtung aller in Betracht kommenden Ge- liegen keine konkreten Erkenntnisse über geplante sichtspunkte möglich ist. Dieser Verantwortung hat Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit der De- sich das Land Hessen bereits im Februar 1980 ge- monstration am 10. Oktober 1981 in Bonn vor. Die stellt. Ein Antrag auf eine kleine Wiederaufarbei- Bundesregierung ist — wie das Land Nordrhein- tungsanlage befindet sich seitdem dort in der Prü- westfalen — davon überzeugt, daß der ganz überwie- fung. Neue Vorschläge für einen Standort werden gende Teil der Teilnehmer eine friedliche Demon- vom Antragsteller erwartet. Auch das Land Rhein stration anstrebt. Allerdings kann nicht ausge- 3294* Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1981 schlossen werden, daß es am Rande der Demonstra- Plant die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag eine Gesetzes- initiative vorzulegen, die zum Ziel hat, die aus Österreich nach Übersee tion zu Gewalttätigkeiten kommt. ausgewanderten Siebenbürger Sachsen in den Personenkreis aufzuneh- men, auf den die Bestimmungen des Lastenausgleichs- bzw. Kriegsschä- dengesetzes anzuwenden sind, und wie groß ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung der davon betroffene Personenkreis?

Anlage 10 Antwort Eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung im des Parl. Staatssekretärs Dr. Böhme auf die Frage Sinne Ihrer Frage kann ich nicht in Aussicht stel- des Abgeordneten Dr. Hennig (CDU/CSU) (Drucksa- len. che 9/860 Frage 10): Eine solche Initiative müßte das Reparationsschä- Spricht nach Ansicht der Bundesregierung irgend etwas dagegen, die Regelung des § 11 des Feuerschutzsteuergesetzes über das Jahr 1983 zu dengesetz betreffen, das 1969 für Vertriebene mit verlängern, und wie beurteilt die Bundesregierung die künftige Ent- ständigem Aufenthalt im westlichen Ausland eine wicklung des Aufkommens aus diesem Gesetz in den Jahren 1982 und 1983? dem Lastenausgleich entsprechende Regelung ge- bracht hat. In diesem Gesetz wurde Volksdeutschen Nach § 11 Abs. 2 und 3 des Feuerschutzsteuerge- ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein Anspruch setzes vom 21. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2353) wird nur zugebilligt, wenn sie nach dem Kriege eine be- die Steuer bei Versicherern, deren Wirkungskreis stimmte elementare Bindung zur Bundesrepublik sich über das Gebiet mehrerer Länder erstreckt, zer- (etwa durch Begründung eines hiesigen Aufenthalts legt. Diese Regelungen sind bis zum 31. Dezember oder durch Erwerb der deutschen Staatsangehörig- 1983 befristet. Die Bundesregierung wird rechtzeitig keit) hergestellt haben. Dies haben die über Oster- prüfen, ob sie einen Gesetzentwurf zur Neuregelung reich nach Übersee, aber beispielsweise auch nach der Zerlegung einbringen wird. Wie diese Neurege- Frankreich, gelangten Siebenbürger Sachsen nicht lung gestaltet werden kann, läßt sich zur Zeit noch getan. Deshalb können sie keine Leistungen nach nicht übersehen. Falls sich bei den Beratungen über dem Reparationsschädengesetz erhalten. Auf das den Gesetzentwurf ergeben sollte, daß die Verlänge- Erfordernis einer Bindung an die Bundesrepublik rung der geltenden Regelung einer Neuregelung Deutschland kann nach Auffassung der Bundesre- vorzuziehen ist, wäre die Bundesregierung auch da- gierung nicht verzichtet werden, da sich sonst Beru- für offen. fungen anderer Personenkreise mit erheblichen fi- nanziellen Belastungen ergeben würden. Ohnehin Das Aufkommen der Feuerschutzsteuer hat im könnte eine Gesetzesänderung nicht auf die von Ih- Jahre 1980 rd. 242 Mio. DM betragen. Es wird für nen erwähnten Siebenbürger Sachsen beschränkt 1981 auf 275 Mio. DM, für 1982 auf 285 Mio. DM und bleiben, sondern müßte auch Angehörige anderer für 1983 auf 295 Mio. DM geschätzt. deutscher Volksgruppen aus Ost- und Südosteuropa erfassen, die sich jetzt im westlichen Ausland auf- halten, beispielsweise Banater Schwaben oder Anlage 11 Volksdeutsche aus der Gottschee.

Antwort Den Betroffenen kann daher nur im Einzelfall des Parl. Staatssekretärs Dr. Böhme auf die Frage nach der auch für sie geltenden Härteregelung in des Abgeordneten Linsmeier (CDU/CSU) (Drucksa- § 301 b des Lastenausgleichsgesetzes geholfen wer- che 9/890 Frage 15): den.