Schloss Heiligenberg, ein Denkmal der deutschen Renaissance Josef Hecht, Konstanz Überlingen und . Badische Heimat 23 (1936) Zusammenfassung des Inhalts und Ergänzungen aus der neueren Literatur von Christoph Bühler

Schloss Heiligenberg geht auf eine Anlage zu- 1516 den Grafen Friedrich von Fürstenberg, rück, die die Grafen von Heiligenberg - als In- der dann nach dem Tod des letzten Werden- haber der gleichnamigen Landgrafschaft - um bergers 1534 Schloss und Grafschaft Heiligen- die Mitte des 13. Jahrhunderts als „novum ca- berg erbte. Er gestaltete die Burg Heiligenberg stellum sanctis montis“ errichteten. Sie ersetz- von Grund auf im Stil der Renaissance um. ten damit ihre ältere Anlage Alt-Heiligenberg Vorbilder für die Renaissancekunst an Boden- (Gde. ) durch eine repräsentativere see gab es bereits einige. Da ist zunächst die Burg. Die Grafen von Heiligenberg selbst leiten Orgelempore, die Bischof Hugo von Hohen- sich von der Sippe der Udalrichinger und damit landenberg 1517 mitsamt einem Gehäuse für von den alten alemannischen Herzögen ab. die neue Orgel seines Münsters in Konstanz Kurz nach dem Bau der neuen Burg verkaufte in Auftrag gab. Um dieselbe Zeit gab Michael Berthold von Heiligenberg die Landgraf- Eggensdorfer, der Abt des Allerheiligenklosters schaft mitsamt der Burg für „recht günstige“ in Schaffhausen, den Auftrag zur Erweiterung 500 Mark Konstanzer Silber an die Grafen von seiner Pfarrkirche St. Johann um zwei Seiten- Werdenberg, vermutlich aufgrund von wirt- schiffe, und David von Winkelnheim, Abt des schaftlichen Schwierigkeiten. Er behielt sich St. Georgenklosters in Stein am Rhein, ließ jedoch das lebenslange Nutzungsrecht vor.Die eine neue Prälatur errichten. Andere Beispie- Erbtochter der Werdenberger Grafen heiratete le datieren wesentlich später, vom Ende des

1 Jahrhunderts: Das Alte Rathaus in Konstanz entstand 1592, das Kanzleigebäude in Über- lingen 1599. Eine Parallele zu einem gleichzeitigen Schloss- bau findet sich nur im Schloss der Herzöge von Württemberg, das seit 1507 über Tübingen entstand, aber ein Vorbild für den Neubau in Heiligenberg ist hier nicht zu erkennen. Für den Besucher, der vom Dorf her kommt, liegt vor dem Schloss der dreiseitig umbaute Wirtschaftshof mit einem „Kampanil“, einem

Glockenturm mit einer schweren, barocken Zwiebelhaube, an seinem östlichen Ende. An den beiden nördlichen Ecken der Dreiflügelan- lage stehen vierstöckige Eckpavillons, die, we- niger in der Tradition „spätmittelalterliche Flan- kierungstürme“ stehen (Losse 73), als vielmehr der modernen Auffassung von Renaissance- Architektur folgen und in direkter Nachfolge von Schloss Messkirch und damit des serliani- schen Baus von Ancy-le-Franc zu sehen sind (Budde/Merten 1986, S. 103). Der Turm diente tatsächlich als Glockenturm für die „Kurat- und S. 1: Schloss mit Vorbauten und Brücke (Abb. 1) Leutkirche“ im Schloss; von seinem Geläute ist die älteste Glocke von 1688 (Berenbach 1937, oben rechts: Westseite mit Schlossturm S. 38). oben: Glockenturm mit Ostflügel des Wirtschaftshofs (Abb. 3) Die Brücke (von 1846), über die man das S. 3: Innenhof mit Renaissancearkaden (Abb. 4) Schloss betritt, mündet in die Giebelseite eines Torbaus, in dessen Flucht linkerhand ein Altan

2 mit einem Pavillon errichtet ist. Dahinter erhebt und tiefschattende Blendbogen, in deren Rah- sich der Nordflügel, nach dessen westlichem men wiederum hinter schlichten Fensterkreu- Giebel offenbar 1913 die Blendarkadenprofile zen dunkle Räume locken. So beim Torbau, des Torbaus hergestellt wurden (Losse S. 74- wo seltsam genug aus dem Portalgiebel eine 75) und dessen östlicher Teil nach Süden ab- unterteilte Ädikula mit dem Doppelwappen knickt. An den Westgiebel schließt der West- herauswächst; so bei dem von einem Balu- bau an und verschwindet für den Betrachter stradengesims abgeschlossenen Altanenbau; hinter den Baumkronen, ehe er seinerseits an so beim Pavillonbau, bei dem durch Doppelpi- den Südflügel anstößt. (Hecht verwendet hier laster die Akzente in die Ecklinien verlegt sind zweimal den Ausdruck „unbestimmbare Schrä- und im breiten doppelteiligen Kranzgesimse ge“ für das dem Gelände angepasste Abknic- geblendete Kreisnischen ruhen.“ Es scheint ken der Baukörper). so, als würde Hecht die 1913 im Stil der Re- naissance errichtete Torhausfassade für au- „Den Vorbau mit der Einfahrt beherrscht sie thentisch halten. (=die Renaissance) ganz. Hier endlich ist Sym- metrie und Gliederung schön proportionierter Die gesamte Schlossanlage erhebt sich auf Flächen durch Quergesimse, vertikale Pilaster einem 70 m langen und 25 m breiten Berg- sporn, Süd-, Ost- und Westflügel stehen im Rechteck zueinander, nur der (ältere) Nordflügel steht schräg zur Anlage dieser neuen Flügel. Die Talseite des Westflügels ist in der Horizontalen nur durch zwei schmale Ge- simsbänder gegliedert, eine Gliederung der Vertikalen ist unterblieben und wird ausschließlich durch die Fenster gelei- stet. Symmetrie und Gliederung finden sich nur beim Westgiebel des Nordbaus, beim Torbau und bei Altan und Pavillon. Die Schwerheit der Dekoration betont – nicht ganz stilgemäß – die Giebel und begünstigt die Vertikale. Hecht sieht dar- in eine „Verwurzelung in der Gefühlswelt der Spätgotik“, die die „Formen des neuen Stils nach eigenem Gefallen“ verwendet. Durchquert man hinter dem Tor den Nord- flügel, fallen an Türrahmen und Gewölben die Werkformen des späten 15. Jahrhun- derts auf, des spätgotischen Palas aus der Werdenberger Zeit. Der Innenhof bildet ein langgestrecktes Rechteck von ca. 18 x 40 m, die Trep- pen liegen innerhalb der Gebäude, wobei der Ostflügel zwei dreiläufige quadrati-

3 Schlosskapelle (Abb. 5). Blick vom Altar gegen das Oratorium mit der Orgel

4 sche Treppenhäuser, der Westflügel eine run- ersten Obergeschoss Holzfelderdecken vom de Wendeltreppe enthält. Auch die Hofseiten Anfng des 17. Jahrhunderts sowie die Biblio- von West-, Süd- und Ostflügel sind nur durch thek mit Stuckmarmorverkleidung der Wände schmale Gesimsbänder gegliedert. (um 1700). Dem – im Kern gotischen – Nordflügel dage- Die Kapelle, die darunter liegende Gruft und der gen ist eine vierstöckige Renaissanceloggia Rittersaal sind zur Besichtigung freigegeben. vorgelegt, der alte Palas erhielt damit eine Ein reich gestaltetes Portal führt vom Hof in die nach innen, zum Hof hin, wirkende Fassade. Kapelle in der Südecke des Westflügels. Über Kräftig profilierte horizontale Gesimse gliedern dem Sturz zeigt es eine Marienkrönung, auf die Fläche entsprechend den Stockwerken, der einen Seite steht ein Standbild des heili- die Rundbogen der Fensterarkaden sind durch gen Christophorus, auf der anderen eines des vorgelegte Pilaster voneinander getrennt. Die heiligen Georg, des Schutzpatrons der Ritter. Fenster stehen auf einer Brüstung, die durch Die Kapelle erstreckt sich über drei Stockwer- den Rücksprung der Fensternischen und die ke. Sie erhält ihr Licht durch schmale, spitzbo- Postamente der Pilaster gegliedert ist. Im Erd- gige Langfenster mit gotischen Profilen und geschoss bilden offene Pfeilerarkaden eine gotischem Maßwerk. An der Rückwand schafft Art Vorhalle. Das Einfahrtsportal trägt einen eine dreistöckige Empore den für den Dienst schweren Dreicksgiebel, der in die Brüstungs- notwendigen Platz. Das unterste Stockwerk zone des darüber liegenden Stockwerks ein- dieses Emporenbaus war zunächst als Orato- greift, und steht, der Konzeption des spätgo- rium gedacht und öffnet sich in einer eleganten tischen Altbaus folgend, nicht mittig in der dreifachen Arkade auf kanellierten Säulen zur Fassade, sondern um zwei Achsen nach links Kapelle. Die Bogen sind reliefiert und tragen gerückt. einen Schlusstein, in den Zwickeln sind leere Im Nordflügel liegen die Wohngemächer. Es Medaillons angebracht. Die Brüstung der dar- „gruppieren sich in einem der oberen Stock- über liegenden Orgelempore trägt Passions- werke um einen Ern – man betritt ihn von der szenen (Kreuzigung, Kreuzabnahme, Pietá, Laube her – niedrige, aber weite gotische Grablegung, Christus in der Vorhölle) aus dem Stuben, deren Wände und Balkendecken mit zu Beginn des 19. Jahhrunderts der Verkür- farbensatten Renaissancemalereien über- zung der Kapelle zum Opfer gefallenen Teil sponnen sind. Phantastisches Blumen- und der Decke. Der Prospekt der Orgel selbst ist Rankenwerk legt sich artig über die Unterzü- zweiteilig und an die Seitenwände gerückt. Die ge; Embleme des Landbaus, der Jagd, des Decke zur darüberliegenden Herrenloge trägt Krieges, der Künste, mit allerlei Früchten zu auf der Unterseite flache Schnitzereien. Festons verflochten, füllen die Zwischenfel- Die Wände tragen zwischen den gotisierenden der. An den Wänden hängen mit flatternden hohen Fenstern und auf den Flächen darüber Bändern verzierte Lorbeerkränze, um Doppel- und darunter Heiligendarstellungen in Wachs- wappen gewunden; die Fensterleibungen füllt farben auf Kalkputz, darunter die Darstellung Rollwerk.“ der Anna Selbdritt, der auf der anderen Seite In einem Gang des dritten Obergeschos- ein hl. Joachim entsprach. Mit beiden hat sich ses sind in Bildern von Ottmar Pattvogel die das Ehepaar Joachim von Fürstenberg und Kriegszüge Karls V. dargestellt (Losse S. 75). Anna von Zimmern ein Denkmal gesetzt. Der Ostflügel enthält herrschaftliche Wohn- Die Herrenloge im obersten Stockwerk ist mit räume des 17. - 19. Jahrhunderts, daruter im den Schlossgemächern durch einen schwe-

5 Schlosskapelle (Abb. 6). Galerie und Decke

6 Schlosskapelle (Abb. 7). Blick von der oberen Loge auf Galerie und Decke

7 benden Laufgang verbunden. Seine Brüstung, auf der Rück- seite der Kapelle und der länge- ren Hofseite, ist durchbrochen, in den dadurch gebildeten Arka- den stehen Büsten von Christus und den Aposteln. Auf dieser Brüstung steht eine Reihe von schmalen Arkaden, die ihrer- seits einen Fries von Triglyphen und Metopen tragen. Für die Apostel kommen zwei Standbil- der auf drei Brüstungsarkaden, nur die Christusbüste steht in einem drei Arkaden überspan- nenden Feld. Den dargestellten Aposteln ent- spricht in der Untersicht der Ga- leriedecke unter ihnen eien Dar- stellung ihres Martyriums. Vom Hochaltar aus gesehen sind das - An der Ostseite: 1. Jakobus der Jüngere - von der Zinne des Tempels ge- stürzt und mit einer Stange erschlagen; 2. Matthias - in Jerusalem ge- steinigt und enthauptet; 3. Andreas - am „Andreas- kreuz“ gekreuzigt; 4. Petrus - kopfüber gekreuzigt; 5. Christus - mit der Kreuzi- gungsgruppe; 6. Jakobus - auf Befehl des Kö- nigs Herodes in Jerusalem enthauptet; 7. Johannes - nach alter Le- gende unmittelbar nach der Schlosskapelle (Abb. 11a). Feld von der Gewölbedecke Hans Messfeier ins Grab gestie- Dürners (1 m breit, 2 m lang), Engel mit Musikinstrumenten gen;

8 8. Bartholomäus - geschun- den, symbolisiert durch Messer und Haut); 9. Judas Thaddäus - mit ei- ner Keule erschlagen; - An der Südseite: 10. Simon - Märtyrertod in Persien durch Zersägen; 11. Matthäus - in Äthiopien am Altar mit dem Schwert erstochen; 12. Philippus - bei Hierapolis in Indien ans Kreuz ge- schlagen und mit Steinen beworfen. Die Ecke zwischen beiden Teilen hat an der Untersicht eine Darstellung des Apo- stels Paulus bei der Bekeh- rung auf dem Weg nach Damaskus (Angaben nach Berenbach 1937, S. 20/21). Über diesem niedrigen Lauf- gang spannt sich die einzig- artige Holzdecke aus goti- sierendem Kreuzgewölbe von 3 x 5 Feldern, von glit- zernden Gurten gefasst und mit geschnitzten hängenden Schlusssteinen. Sie ist am Gebälk der darüber liegen- den Geschossdecke mit 25 cm starken Hängepfosten befestigt. An diesem Himmel kreisen anbetende Engel um Sterne und Rosetten leuch- ten wie Sonnen. Die Attribute der Engel ver- weisen mit Geißel, Dornen- Schlosskapelle (Abb. 11b). Feld von der Gewölbedecke Hans Dürners krone, Nägeln, Würfeln und (1 m breit, 2 m lang), Engel mit Büchern und Spruchbändern anderem auf die Passion

9 Reliefs des H.U. Glöckler an der Decke des Oratoriums: Verspottung Christi (Abb. 12a) und Christus vor Herodes (Abb. 12b)

10 Reliefs des H.U. Glöckler an der Decke des Oratoriums: Martyrium des Apostels Simon (Abb. 12c) und Der hl. Hieronymus mit dem Löwen (Abb. 12d

11 Rittersaal (Abb. 8). Blick gegen Osten

Christi, andererseits mit Leuchter, Kelch und pelle 1930 wurden allerdings sowohl barocke Musikinstrumenten auf das Messopfer (Beren- als auch historistische Einbauten entfernt. bach 1937, S. 17). Herzstück des Schlosses ist der Rittersaal, der Da jedes Gewölbefeld aus vier Dreiecken be- sich über zwei Obergeschosse des Südflügels steht und jedes Dreieck zwei größere und ei- erstreckt. Auf allen vier Seiten durchfenstert nen kleineren Engel enthält, kommt man auf und so den ganzen Tag von Sonne und Licht eine Gesamtzahl von 120 großen und 60 klei- durchflutet erweist er sich als das Herzstück nen Engeln. des festlichen Hoflebens. Die Verwendung eines so historisierend wir- Der Saal ist 36 Meter lang, 11 Meter breit und kenden Gewölbes in einem Renaissancerah- 7 Meter hoch ( 36 x 10 x 6 m nach Losse S. men erklärt sich aus der gegenreformatori- 76) und richtet sich notwendigerweise mehr schen Stimmung, die die Gotik als Reverenz nach den baulichen Gegebenheiten als nach gegenüber dem alten, „wahren“ Glauben an- den Idealmaßen italienischer Renaissancesä- sah. le. „Die Ausstattung hat sich bis auf weniges in ihrer Ursprünglichkeit erhalten. Noch schmiegt Hans Ulrich Glöckler, der Meister dieser ge- sich die alte Kassettendecke mit einem ge- schnitzten Gewölbedecke, schuf 1592 auch stuften Kranzgesims den Wänden an, augen- den Gnadenaltar mit der Marienkrönung. scheinlich getragen von einem System kleiner Spätere Ausstattungsstücke, wie das Chorge- und größerer Konsolen; sie täuscht verschränk- stühl und die Kanzel, aber auch die Wandma- tes Gebälk vor, ist aber wie die Decke in der lereien, fügen sich in diesen Renaissanceraum Kapelle ‚aufgehängte Dekoration‘ [also wegen harmonisch ein. Bei der Überarbeitung der Ka- der großen Spannweite im darüber liegenden

12 Rittersaal (Abb. 9). Gliederung der Wand

13 Rittersaal (Abb. 10a) Detail von der Decke mit Gesims und Konsolen

Dachgebälk aufgehängt]. Ihre weite Fläche Ganzen verbunden sind. Dem entspricht auch zeigt in drei Reihen im Wechsel stehende und die Dekoration der Wandverkleidung (Abb. 9): liegende, mit Ranken, Füllhörnern, Vasen, Put- wuchtige Fensterpfeiler mit Sockel und kräftig ten, Porträtköpfen, Hermen, Fabeltieren reich gegliedertem Kämpfer nehmen die Nischen- ornamentierte Felder verschiedener Größe, bogen auf; mit Kostümbüsten und Masken die durch die gleichmäßig mit geometrischen belebte Konsolen vermitteln zwischen Wand, Mustern belegten Geschränkte verknüpft und Gesims und Decke. Überrascht entdecken wir durch eine raffinierte Farbengebung — im unterhalb der Kämpferplatten und unterhalb wesentlichen ist Blau, Grün und Not versetzt des Gesimses ein breites Schmuckband mit mit Gold und Silber — zu einem strahlenden wohlbekanntem antiken Ziermuster — einen

14 Rittersaal (Abb. 10b). Detail von der Decke

Triglyphenfries, der aber — Ähnliches sahen Die geschnitzte Decke besteht aus mehreren, wir ja auch schon am Kranzgesims der Kapel- durch reiche Profilleisten voneinander abge- lengalerie — in köstlicher Naivität wiederum in grenzten Kassetten. Quadratische Kreuze und die heimische Sprache übersetzt ist. Die zwi- Kassetten wechseln sich ab. schen den vergoldeten Triglyphen gespann- „Jede Kassette ist durch ein breites Band mit ten Metopenfelder sind bei den Pfeilern mit Flachornamenten eingesäumt. In das Quadrat Doppelwappen gefüllt, bei dem Deckenfries ist ein Kreis eingeschrieben, so dass in den mit Grotesken. Zu all dem sind aus derselben vier Ecken vier rechtwinklige Felder entstehen. Scheu vor der leeren Fläche über und unter In den Kreis ist wiederum ein Quadrat einge- dem Kämpferfries flatternde Spruchbänder in zeichnet, in dieses nochmals ein kleineres Silber befestigt. Quadrat. Nach ihrer Mitte zu hat die Kassette An den Schmalseiten des Saales prangen zwei einen erheblichen Rücklauf von genau einem Sandsteinkamine mit Statuennischen im Auf- Meter; den Mittelpunkt bildet eine Rosette.“ satz nach der Art des Konstanzers Hans Mo- (Berenbach 1937 S. 39). rinck. An der vorderen Zarge der von Karyati- Dargestellt sind nicht nur das Allianzwappen den getragenen Platte halten zwei aus Ranken Fürstenberg-Messkirch und die Porträts der gleitende Delphin-Weibchen einen Kranz mit Bauherren und ihrer Familie, sondern auch - dem Datum 1584, dem Jahr, da die gesamte künstlerisches Selbstbewusstsein der Renais- Ausstattung des Saales vollendet war.“ sance ausstrahlend - mehrere Male der Schnit-

15 zer samt seiner Familie. Darüber hinaus wer- Messkirch. Vermutlich kam er im Gefolge der den „Familienliebe und Autorität des Staates“, Anna von Zimmern nach Heiligenberg, was „Lehentreue und edle Geselligkeit“, sowie die den Baubeginn an Nord- und Südflügel auf ca. Teile Österreichs und die Stände des Reichs 1562 datieren lässt. dargestellt (Berenbach 1939, S. 42). Insge- Unter Graf Joachim (+ 1598), dem Sohn des samt hat Jörg Schwarzenberger diese Decke Grafen Friedrich, werden Ost- und Westflügel mit 1500 Köpfen verziert. errichtet, datiert durch die Zahl 1569 über der Darüber hinaus ist der Rittersaal durch zwei Brunnenhalle. Die Schlosskapelle ist 1586 im an prägender Stelle angebrachte Metopen Rohbau fertig. Ab 1594 werden, anfangs unter des antikisierenden Frieses ein Denkmal der Graf Joachim, dann unter seinem Sohn Fried- gegenreformatorischen Bestrebungen des für- rich, der dann allerdings Trochtelfingen als Re- stenbergischen Grafenhauses. Die eine von sidenz bezog, der spätgotische Palas mit den ihnen zeigt bei einem jugendlichen Chronos Hofarkaden und dem Renaissance-Westgiebel ein Choralbuch mit dem Anfang des kirchli- versehen sowie der Torbau und der Glocken- chen Stundengebets „Alleluia: Deus ad adi- turm errichtet. Baumeister sind hier 1569 und uvandum me festina“ (Herr, eile mir zu helfen), 1570 die Brüder Hans und Benedikt Oertlin, in die andere einen greisen Chronoskopf mit „Te der folgenden Zeit bis 1603 Hans Brielmaier, Deum laudamus, Te Deum confitemur“ (Dich, alles bekannte Maurer und Steinmetzen aus Herr, loben wir, zu Dir, Herr, bekennen wir uns) Überlingen. Brielmaier stellt 1584 eine Rech- (Berenbach 1937, S. 16) nung aus über „etliche arbeit als dirgericht mit bildern“, worunter unter anderem das Eingang- Die Decke wird scheinbar durch schwere Kon- sportal zur Schlosskapelle zu verstehen sein solen getragen, von denen vier in den Ecken dürfte. 1589 arbeitet er an der Brunnenhalle, des Raums, je eine an den beiden Schmalsei- von 1591 datiert das Relief mit dem heiligen ten und je sieben an den beiden Längsseiten Felix über dem Portal des Ostflügels. 1594 angebracht sind. Im Quaternionensystem zei- errichtet er einen „neuen Turm“, den Glocken- gen sie ver Grafen von Schwarzenberg, vier turm, und eine „Althune“, den Altan neben dem Meister aus , vier Meister aus an- Torbau. deren Orten und viermal die Mutter bzw. die Schwiegermutter des Künstlers (Berenbach Brielmaier baute außerdem 1585-86 im Auftrag 1939, S. 44) der Grafen von Fürstenberg an der Pfarrkirche in Donaueschingen und 1598 an der Über- Zu erwähnen sind noch Prudentia und Justitia linger Stadtkanzlei, wo vermutlich Portal und als Statuen in den Kaminaufbauten. Wappenädikula von seiner Hand sind. 1606 Die Untersuchung der Bauvorgänge am und arbeitete er am bischöflich konstanzischen im Schloss ist nach Hecht angesichts der dürf- Schloss in Hegne, 1614 an der Wallfahrtskir- tigen Quellenlage schwierig. Unter Graf Fried- che Altbirnau und 1614 - 21 an den Neubauten rich (+ 1559) wurde zwischen 1540 und 1562 im Kloster Salem. die alte Burg bis auf den Palas abgebrochen Die Ausstattung der Räume, vor allem des Rit- und der Südflügel mit dem Rittersaal errich- tersaals, schreibt Hecht noch dem Überlinger tet, der bereits 1562 als „nuwer Sal im nuwen Meister Hans Ulrich Glöckler zu. Kurz nach bau“ erwähnt wird. Baumeister ist hier Jörg Erscheinen seines Aufsatzes wies Eduard Schwartzenberger, erstmal erwähnt 1575, der Berenbach überzeugend nach, dass der Rit- Baumeister des Zimmernschen Schlosses in tersaal auf den Messkircher Meister Jörg Schwarzenberger, vieleicht wirklich ein unehe-

16 licher Spross der Grafen von Schwarzenberg, Spätere Hinzufügungen und Veränderungen zurückgeht. Dieser ließ sich dann auch mehr- an der Ausstattung wurden im Wesentlichen fach in der Schnitzdecke abbilden. bei den Restaurierungsarbeiten 1930 wieder entfernt, so dass der Gesamteindruck des aus- Ab 1589 arbeitete Hans Ulrich Glöckler mit gehenden 16. Jahrhunderts zurückgewonnen dem zweiten Heiligenberger Meister, Hans werden konnte. Dürner aus Biberach, an der Ausstattung der Schlosskapelle. Von diesem sind die Empo- Abschließend stellt Hecht zusammenfassend ren und die Galerie mit dem Passionszyklus fest, dass „in dem gewaltigen Werk des Hei- der Orgelempore, den Apostelmartyrien und ligenberger Schlosses“ nur wenig zu finden den Einzelheiligen. 1593 bis 1596 entstanden sei, „das sich dem Begriff des aus der Fremde aus seiner Hand die Büsten der Galerie. Hans gekommenen Zeitstils, in dem es doch geplant Dürners Werkstatt fertigte zwischen 1590 und und aufgeführt worden ist, restlos einfügen 1599 das Prunkstück der Kapelle, die hölzerne will.“ Er trennt zwischen der Architektur, die Gewölbedecke. aus der „bewegten Gefühlswelt der Spätgotik“ komme, und der Dekoration, die „nach südli- „Öffnen wir für einen Augenblick nochmals die chen Formen“ greife, aber nur, „um sie unbe- Türe zum Rittersaal und vergleichen wir die bei- denklich umzugestalten und nach eigenem den Decken! Dort im festlichen Gesellschafts- Sinn zu verwenden“. Und schließlich: „Dieser raum ein im Nachempfinden starkes Talent, in Anlage, Aufbau und Ausstattung sich aus- das im Ornamentalen wie im Figürlichen die wirkende immanente Gegensatz zwischen ihm aus Stichen und Holzschnitten zugekom- nordischem Bau- und Raumgefühl und italieni- menen Fremdformen des Klassizismus hand- scher Formgesetzlichkeit gibt diesem großarti- werklich beherrscht und mit Geschmack ver- gen Fürstensitz jenes Gepräge wundersamer wendet (Abb. 10); hier ein begabter, empfind- Romantik, das wir als deutsche Renaissance samer Spätgotiker, dessen Schönheitsgefühl bezeichnen.“ sich frei auslebt, der den neuen Strömungen sein Herz nicht verschließt, in den weichen und vollen Gestalten seiner bewegten, aus der Flä- che plastisch hervor ins Licht getriebenen En- gel jedoch der Tradition und sich selbst mehr treu bleibt (Abb. 11 a und b). In diesem Chor der Himmelsboten wird Dürner nie so glatt und trocken wie Glöckler in den Feldern der Saal- decke, nie so derb und leer, wie in den Pas- sionsbildern und in den Martyrien oder in den steifen Apostelbüsten (Abb. 12 a bis b). Aber im Ensemble gehen ja auch Glöcklers Schwä- chen schließlich in Schönheit unter.“ Die Malereien in Kapelle und Palas stammen von dem Überlinger Meister Othmar Battvogel, dessen Arbeiten allerdings stark restauriert sind. „In der Bemalung des von Konrad Beckh gefassten Schnitzwerkes der Kapelle liebt er die farbenfrohen Töne, die er mit dem Metall harmonisch zusammenstimmt.“

17 Der Aufsatz folgt im wesentlichen dem im Titel zitierten Aufsatz von Josef Hecht (1936). Direkt übernommene wörtliche Passagen sind kursiv gesetzt. Mit der Nachbearbeitung, die vor al- lem die heute doch recht schwülstige Sprache betraf, wurden auch Forschungsergebnisse anderer Autoren mit eingearbeitet und entspre- chend gekennzeichnet. Die Schwarz-weiß-Abbildungen sind dem Auf- satz in der Badischen Heimat entnommen, die Farbaufnahmen vom Verfasser.

Literatur: Budde, Kai; Marten, Klaus: Die Architektur im deutshcen Südwesten zwischen 1530 und 1634. In: Die Renaissance im deutschen Süd- westen. Katalog 1986. S. 87-123 Berenbach, Eduard: Der Meister des Ritter- saales im Schlosse zu Heiligenberg. Überlin- gen 1939 Berenbach, Eduard: Die Fürstlich Fürstenber- gische Hofkapelle in Heiligenberg. Überlingen 1937 Losse, Michael (Hg.): Burgen, Schlösser, Adelssitze und Befestigungen am nördlichen Bodensee. Bd. 1.1, Westliucher Teil rund um , Überlingen, Heiligenberg und Salem. Petersberg 2012 Lynar, EW. Graf zu: Schloss Heiligenberg. Große Kunstführer 87. München, Zürich 1981

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