DIE ERBIN Wie wird man mit der Last eines berühmten Vaters fertig? Indem man dasselbe macht wie er. Deshalb hat ein federleichtes Popalbum aufgenommen.

VON CHRISTOPH DALLACH

er es sich in Rekordzeit mit Charlotte wirklich kein Problem“, sagt sie. Zumal ihr in die- Gainsbourg verderben will, solle sie auf sem Monat erscheinendes Album „5.55“ tatsäch- Wihren Vater ansprechen, heißt es. Dann lich an die Musik ihres berühmten Vaters erinnert. verstumme die ohnehin schon schüchterne Künst- Charlotte Gainsbourg ist auf den ersten Blick als lerin auf der Stelle. Im Grunde verständlich: Wer Tochter des Chansonsängers zu identifizieren: star- ART + COMMERCE möchte sich schon ein Leben lang mit seinem Va- ke Augenbrauen, markante Nase, kräftiges Kinn. ter vergleichen lassen, zumal wenn der eine fran- Und auf den zweiten Blick als Tochter der engli- zösische Legende ist und dann auch noch in der- schen Schauspielerin und Sängerin Jane Birkin: ova- selben Branche gearbeitet hat wie man selbst? les Gesicht, glatte Haare, melancholische Augen. Aber so ist das mit Gerüchten: wenige stimmen. Kann gut sein, dass die Prominenz der Eltern ge- Da sitzt die hauptberufliche Schauspielerin und ne- holfen hat, prominente Unterstützer zu finden, die benberufliche Sängerin Charlotte Gainsbourg, 35, der Tochter bei ihrer neuen Platte zur Hand gingen. nun in einem dezenten Pariser Luxushotel, um die Die flauschigen Melodien haben zum Beispiel die Ecke von dem Haus, in dem sich ihr Vater zu Tode Versailler Schöngeister Nicolas Godin und JB gesoffen hat, und plaudert ganz unbeschwert über Dunckel alias Air, geschrieben und gespielt. Bei den den Übervater Serge. „Wenn man über französi- Texten standen ihr die beiden Brit-Pop-Veteranen sche Popmusik redet, muss sein Name fast zwangs- Neil Hannon von The Divine Comedy sowie Jarvis

läufig irgendwann fallen, und damit habe auch ich Cocker, ehemals Sänger bei Pulp, bei. / MATADIN UND VINOODH LAMSWEERDE INEZ VAN FOTO:

14 8/2006 KulturSPIEGEL

Auch der Produzent kommt aus der Liga der Stars. „Als mein Vater 1991 Nigel Godrich gilt als Studio-Meister und half schon Beck, Radiohead und zuletzt Paul McCartney auf die Sprünge. starb, habe ich mit ihm Bei der hochklassigen Besetzung konnte eigentlich nichts schiefgehen. Und tatsächlich ist „5.55“ ein fe- mein Interesse an eigener derleichtes französisches Sommer-Pop-Album, eine Hommage an Serges schöne Melodien. Aber das Erstaunlichste an dieser Platte ist, dass es Musik beerdigt“, sagt sie überhaupt gibt. Jedenfalls für Charlotte Gains- bourg. Bis vor zwei Jahren wäre es für sie noch un- sie. Ihre Stimme ist dabei vorstellbar gewesen, diese Lieder aufzunehmen, er- zählt sie. Als Kind habe sie mit ihrem Vater Musik gemacht, das war „sehr natürlich für mich, denn er noch leiser als sonst. war Musiker“.„Aber als er 1991 starb, habe ich mit ihm mein Interesse an eigener Musik beerdigt“,sagt sie, die Stimme ist noch leiser als sonst. Nach Serge Gainsbourgs Tod entsorgten Mutter und Tochter sogar alle Radios im Haushalt, um bis auf Weiteres seiner Stimme und seinen Melodien zu entgehen. Dabei ist das in Frankreich praktisch un- möglich, immerhin hatte der allgegenwärtige Ser- ge neben eigenen Bestsellern auch jahrzehntelang Pop-Lolitas von France Gall bis mit eingängigen Rennern versorgt. Charlotte Gainsbourg fand erst langsam wieder Ge- fallen an Musik, der dann aber exponentiell wuchs. Irgendwann „hatte ich große Lust, eigene Lieder aufzunehmen. Das Problem war nur, dass ich nicht im Entferntesten mit meines Vaters Talenten ge- segnet bin“. Der französische Pop-Held Etienne Daho be- schwatzte sie dann, es erst mal mit Texten zu ver- suchen – das könne jeder, denn es sei deutlich leich- ter, als zu singen.„Und ich habe es wirklich probiert, aber leider habe ich keinen Rhythmus in meiner Sprache gefunden“,erzählt sie. Jarvis Cocker – auch ein gewaltiger Verehrer ihres Vaters – hat ihr dann auf die Schnelle einen Probetext auf die Stimme gedichtet. Das Thema? Wie schwierig es ist, einen berühmten Vater zu haben.„Ich habe jedes Wort da- von gehasst, aber dann haben wir uns ausgespro- chen, und es wurde wunderbar.“ Dass die Texte nun, mit einer Ausnahme, auf Englisch sind, hat natürlich auch mit Charlottes Papa zu tun. „Er hat in der französischen Sprache Maßstäbe gesetzt, da konnte ich nur scheitern“, sagt sie. Zum Glück spricht sie, dank ihrer Mutter, akzentfrei Englisch. In einem Punkt hat sie die Gesetze ihres Vaters ge- brochen: Sie nahm Gesangsunterricht. Für den Aus- nahmemusiker wäre das eine Todsünde gewesen: „Er hätte vor Wut gespuckt, weil er nur unbehan- delte Stimmen aufregend fand.“ So wie damals 1969, als mit der jungen Ge- sangsamateurin Jane Birkin, die er bei gemeinsamen Dreharbeiten aufgegabelt hatte, die legendäre

Glamour-Paar Birkin, Gainsbourg, Tochter Charlotte (1971) Schmuddel-Sex-Hymne „Je t’aime ... moi non plus“ FRANK TONY / CORBIS / SYGMA FOTOS:

16 8/2006 KulturSPIEGEL veröffentlichte. Die Nummer wurde ein weltweiter Skandal-Bestseller und die beiden zu einem der le- gendären Glamour-Paare ihrer Zeit. Charlotte, das einzige Kind dieser Liaison, war von Geburt an im Rampenlicht. Erste Babyfotos knipste ihr Paten- onkel Yul Brunner. „Meine Eltern nahmen ihr öffentliches Leben sehr lässig. Es gab keine Grenze zur Privatsphäre. Mein Vater liebte es, in Magazinen vorzukommen und zu wissen, dass die Leute über ihn reden. Ich war im- mer eher schüchtern.“ Dass sie als Tochter mit dem Vater identifiziert wurde, erfuhr Charlotte Gains- bourg schon damals. Als Serge im französischen Fernsehen eine 500-Francs-Note vor laufender Ka- mera abfackelte, um gegen die Steuerpolitik der Re- gierung zu protestieren, verbrannten Charlottes Klassenkameraden ein Bild, das sie im Kunstunter- richt gemalt hatte. Logisch, dass das ohnehin zurückhaltende Kind immer stiller wurde. Überhaupt war Serge nicht gerade ein vorbildlicher Vater. Charlotte war 13 Jahre alt, als er mit ihr die Skandal-Nummer „Lemon Incest“ veröffentlichte. Im dazugehörigen Video wälzte er sich mit seiner Tochter halbnackt im Bett. Auch wenn sie standhaft behauptet hat, dass das in Ordnung gewesen sei, trug es sicher nicht zu einer entspannten Kind- heit bei. Heute will sie darüber gar nicht mehr sprechen. Exzessiver als all wüsten Auftritte war sein Al- koholkonsum. Jane Birkin verließ deshalb mit ihrer Tochter 1981 den dauerbetrunkenen Serge. Zehn Jahre später starb er an einer Herzattacke; Charlot- te wurde seine Nachlassverwalterin. Heute kann sie als Sängerin sein Erbe fortführen, weil sie längst ihren eigenen Weg gefunden hat. Sie hat zwei Kinder und eine eigene Karriere, als Schau- spielerin. Sie ist in französischen Filmen zu sehen („Lemming“), und auch in Hollywood ist sie ange- kommen. Sie spielte in „21 Gramm“ neben Sean Penn und ist Ende September in Michel Gondrys „Science Skandalvideo mit Serge Gainsbourg, Charlotte (1985) of Sleep – Anleitung zum Träumen“ zu sehen. Mit den Jahren ist sie also lässiger geworden, als sie das vielleicht selbst geglaubt hätte. Wahrscheinlich will sie im Herbst in sogar ein Konzert geben; Standhaft behauptete sie, vor Publikum, das ja auch buhen könnte. Hat Charlotte Gainsbourg sich also daran gewöhnt, es sei in Ordnung gewe- die berühmte Tochter des legendären Vaters zu sein? „Vielleicht“, sagt sie. Vor kurzem war sie für vier Monate in Buenos Aires. Da bedeuteten ihr Name, sen, sich mit ihrem Vater ihr Gesicht und ihr Vater gar nichts.„Als ich zurück nach Paris kam, habe ich es doch ein wenig genos- im Bett zu wälzen. Zu einer sen, am Flughafen angestarrt zu werden“, sagt sie. Und lächelt. Ihr Vater wäre sicher stolz. entspannten Kindheit trug Album: „5.55“ (ab 25.8.). Single: „The Songs That We Sing“, erhältlich als Download bei verschiedenen es aber wohl nicht bei. Anbietern im Internet.

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