Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit im österreichischen Fußballsport Aufgaben und Möglichkeiten der österreichischen Traditionsvereine

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität

vorgelegt von Florian HRIBAR

am Institut für Geschichte Begutachter: Univ.-Dozent Dr. Martin Moll

Graz, August 2020

1 Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum: 14.08.2020 Unterschrift: Florian Hribar

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Danksagung Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen Menschen bedanken, die diese Arbeit möglich gemacht haben. An erster Stelle bedanke ich mich bei meinen Eltern, die mir diesen Bildungsweg ermöglicht und mir alle die Jahre hindurch in jeder Hinsicht den Rücken gestärkt haben. Zudem bedanke ich mich bei allen meinen Freunden und StudienkollegInnen, die mich auf diesem Weg begleitet und unterstützt haben. Zudem bedanke ich mich bei Herrn Univ.-Dozent Dr. Martin Moll, der diese Arbeit betreut hat. Er brachte mich durch den Hinweis auf eine Studie auf dieses Thema und war in jeder Phase dieser Arbeit hilfsbereit und ausgesprochen schnell in der Beantwortung meiner Fragen.

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Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG 5

2 DIE GESCHICHTE DES ÖSTERREICHISCHEN FUßBALLSPORTS 8

2.1 WIE KOMMT DER FUßBALLSPORT NACH ÖSTERREICH? 8 2.2 ENTWICKLUNGEN DES FUßBALLSPORTS IN WIEN BIS 1938 10 2.3 ENTWICKLUNGEN DES FUßBALLSPORTS IN DER PROVINZ BIS 1938 14 2.4 FUßBALLSPORT IN WIEN 1938-1945 18 2.5 FUßBALLSPORT IN DER PROVINZ 1938-1945 23

3 VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG 27

3.1 BEGRIFFSGESCHICHTE UND DEFINITION VON „VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG“ 27 3.2 VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG IN ÖSTERREICH 32 3.3 VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG DER ÖSTERREICHISCHEN FUßBALLVEREINE 36

4 ANALYSE DER AUSGEWÄHLTEN WERKE DER ÖSTERREICHISCHEN FUßBALLVEREINE 40

4.1 RAPID WIEN – „GRÜN-WEIß UNTERM HAKENKREUZ“ 40 4.1.1 DARSTELLUNG DER NS-ZEIT IN „GRÜN-WEIß UNTERM HAKENKREUZ“ 41 4.1.2 OPPORTUNISMUS UND SCHULDEINGESTÄNDNIS IN „GRÜN-WEIß UNTERM HAKENKREUZ“ 50 4.1.3 AUFARBEITUNG DER VERGANGENHEIT ABSEITS DER STUDIE 52 4.2 WIEN - „EIN FUßALLVEREIN AUS WIEN“ 53 4.2.1 DARSTELLUNG DER NS-ZEIT IN „EIN FUßBALLVEREIN AUS WIEN“ 54 4.2.2 OPPORTUNISMUS UND SCHULDEINGESTÄNDNIS IN „EIN FUßBALLVEREIN AUS WIEN“ 60 4.2.3 AUFARBEITUNG DER VERGANGENHEIT ABSEITS DER STUDIE 63 4.3 „ERST DER VEREIN, DANN DIE PARTEI“ – STEIRISCHER FUßBALL 65 4.3.1 DARSTELLUNG DER NS-ZEIT IN „ERST DER VEREIN, DANN DIE PARTEI“ 65 4.4 VERGLEICH DER STUDIEN 70

5 RELEVANTE THEMENBEREICHE EINER VEREINSSTUDIE ZUR NS-ZEIT 72

6 ANALYSE WEITERER ÖSTERREICHISCHER FUßBALLVEREINE 74

6.1 SK STURM GRAZ 74 6.2 GRAZER ATHLETIKSPORT KLUB 76 6.3 KAPFENBERGER SV 77 6.4 LASK 77 6.5 FC SALZBURG 78 6.6 WEITERE ÖSTERREICHISCHE VEREINE 79

7 RESÜMEE 80

8 LITERATURVERZEICHNIS 83

9 ONLINE-QUELLENVERZEICHNIS 86

10 ANHANG 89

4 1 Einleitung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem aktuellen Forschungsstand der Vergangenheitsbewältigung im österreichischen Fußballsport beziehungsweise der Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Geschichte der Aufarbeitung der NS-Zeit in Österreich ist heute ein stark erforschtes Gebiet, doch das Interesse der Wissenschaft an dieser Thematik nimmt nicht ab, sondern verlagert seinen Fokus auf spezifischere Aspekte. Die Rolle Österreichs im Zweiten Weltkrieg und der Umgang einer gesamten Nation mit ihrer belasteten Vergangenheit standen spätestens nach der Jahrtausendwende im Mittelpunkt zahlreicher Betrachtungen. War vor wenigen Jahrzehnten der „Opfermythos“ Österreichs noch ein Novum in der Wissenschaft, so bildet die Opferthese heute bereits häufig den Ausgangspunkt einer spezifischeren Betrachtung dieser Thematik. Immer mehr Institutionen, Regionen oder Vereine begannen in den letzten Jahren, die eigene Rolle im Nationalsozialismus zu erforschen und so kam die moderne Vergangenheitsbewältigung schließlich auch im österreichischen Fußballsport an. Der erste Fußballverein, der sich aktiv um eine Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit bemühte, war der SK Rapid Wien im Jahr 2009, als im Zuge eines Freundschaftsspiels gegen den FC Schalke 04 Erinnerungen an das stark mythisierte Endspiel um die Großdeutsche Meisterschaft 1941 wach wurden. Die Frage, ob man als österreichischer Verein stolz auf einen Titel aus diesem dunkeln Abschnitt der Menschheitsgeschichte sein dürfe, wurde öffentlich diskutiert. Die Studie, die im Rahmen dieser Entwicklungen initiiert wurde, sollte den Startschuss zur Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im österreichischen Fußballsport darstellen, da im Zuge dessen auch weitere Vereine damit begannen, sich um eine wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Rolle im Nationalsozialismus zu bemühen.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, den aktuellen Forschungsstand der Vergangenheitsbewältigung im österreichischen Fußballsport zu evaluieren, zu zeigen, was in diesem Bereich bereits geleistet wurde, aber auch Leerstellen offenzulegen und zu beschreiben, bei welchen weiteren Fußballvereinen sich eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit lohnen würde. Es wurde in der Forschung bislang noch nicht präzise beschrieben, warum österreichische Fußballvereine sich mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit beziehungsweise mit ihrer Vergangenheit allgemein befassen sollten, und auch nicht, wie eine solche Beschäftigung aussehen sollte. Daraus ergibt sich die erste Forschungsfrage, die im Lauf diese Arbeit behandelt und schließlich im Resümee beantwortet wird: Welche Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen hat ein Fußballverein in Bezug auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und in welcher Art

5 und Weise sollte eine Beschäftigung mit der Vergangenheit erfolgen. Es soll hier zudem beschrieben werden, warum sich Fußballvereine allgemein mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen sollten. Zur Beantwortung dieser Frage wurden die wissenschaftlichen Vereinsstudien hinsichtlich ihrer Charakteristika und behandelten Aspekte analysiert und Interviews mit führenden Historikern auf diesem Gebiet geführt. Die zweite Forschungsfrage hängt eng damit zusammen, indem diskutiert wird, welche Fußballvereine eine solche Aufarbeitung anstreben beziehungsweise welche Vereine ihre bereits dargestellte Vereinsgeschichte überarbeiten sollten. Die dritte Forschungsfrage setzt sich mit der Darstellung ebendieser Vereinsgeschichte auseinander, indem erörtert wird, wie die Ergebnisse einer Vereinsstudie bestenfalls präsentiert werden sollten, beispielsweise auf Vereinshomepages oder in Vereinszeitschriften.

Um diese Fragen nachvollziehbar beantworten zu können, wird auch inhaltlich an die Thematik herangeführt, weswegen sich diese Arbeit folgendermaßen gliedert:

Es wird zunächst die Geschichte des österreichischen Fußballsports vorgestellt, um einerseits einen Überblick über den Handlungsspielraum der Vereine zu ermöglichen, aber auch um zu zeigen, dass sich nicht alle Fußballklubs mit denselben Herausforderungen konfrontiert sahen und es vor allem Unterschiede zwischen den Wiener Fußballklubs und den Provinzvereinen gab. Im daran wird der teils sehr breite und unpräzise Begriff der „Vergangenheitsbewältigung“ diskutiert, um zu zeigen, dass der Begriff häufig keine klaren Grenzen hat, und um zu beschreiben, wie man den Terminus im Kontext des Fußballsports verstehen könnte. Da die Geschichte der Vergangenheitsbewältigung in Österreich aber einen Sonderweg ging, wird diese in einem separaten Kapitel behandelt, um so zeigen zu können, dass diese späte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Fußballvereinen durchaus in das Bild der österreichischen Gesellschaft passt. Im Anschluss daran werden die Geschichte des österreichischen Fußballsports und der österreichische Prozess der Vergangenheitsbewältigung zusammengeführt, um zu erörtern, welche Aufgaben und Möglichkeiten die österreichischen Fußballvereine bei der Aufarbeitung der NS- Vergangenheit hatten und heute haben. Es wird beschrieben, nach welchen Kriterien die wissenschaftlichen Vereinsstudien analysiert werden können, um so einen Übergang zum analytischen Teil dieser Arbeit herzustellen. Hier werden die Publikationen des SK Rapid Wien, des FK Austria Wien sowie die Studie Ibers zu den steirischen Traditionsvereinen während des Nationalsozialismus hinsichtlich ihrer Charakteristika und behandelten Aspekte untersucht, um so im Anschluss daran in der Lage zu sein, in Form eines Inventars beurteilen

6 zu können, wie der Aufbau einer erfolgreichen Vereinsstudie aussehen sollte und welche Aspekte unbedingt behandelt werden müssen.

Diese drei Werke werden aber nicht nur hinsichtlich ihrer Rolle als Vorbildfunktion analysiert, sondern auch kritisch hinsichtlich einer aufgestellten These untersucht, die lautet: Verursacht durch die Tatsache, dass die Fußballvereine im Nationalsozialismus teilweise mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert waren und sie so der Regimewechsel unterschiedlich hart traf, könnten sich Unterschiede in der Darstellung der eigenen NS- Geschichte ergeben. Da beispielsweise im Zuge des „Anschlusses“ 1938 der zu dieser Zeit ausschließlich aus Juden bestehende Vorstand des FK Austria Wien aufgelöst und seine Mitglieder vertrieben wurden, könnte sich dieser Verein seiner Verantwortung zu entziehen versuchen, während der SK Rapid Wien, der auf Vorstandsebene immer starke Kontinuitäten aufwies, seine Mitschuld vor allem hinter dem latenten Opportunismus, der charakteristisch für alle Fußballvereine in der NS-Zeit war, verstecken könnte. Die These, dass sich aus diesen Gründen der SK Rapid Wien oder die steirischen Fußballvereine wesentlich mehr hinter opportunistischen Motiven verstecken könnten als der FK Austria Wien, soll im Rahmen dieser Betrachtungen verifiziert oder falsifiziert werden. Danach werden weitere Fußballvereine der 1. und 2. Österreichischen hinsichtlich ihrer Darstellung der Vereinsgeschichte untersucht, um so mögliche Leerstellen für weitere wissenschaftliche Betrachtungen offenzulegen. Im abschließenden Resümee kommt es zur Beantwortung der hier gestellten Forschungsfragen und zu einer zusammenfassenden Conclusio der Arbeit.

7 2 Die Geschichte des österreichischen Fußballsports

Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage, wie traditionelle österreichische Fußballvereine ihre NS-Vergangenheit aufgearbeitet haben und welche Kontinuitäten und Unterschiede der Aufarbeitung es hierbei zwischen den Vereinen gab, aber auch die Frage, ob man überhaupt österreichweit ein ähnliches Bild erwarten kann. Vor allem zwischen den Vereinen der Hauptstadt Wien und den Provinzvereinen in der Steiermark gab es sehr unterschiedliche Entwicklungen im Bereich des Fußballsports, was wiederum auch für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit zwischen 1938 und 1945 seitens der Vereine von Bedeutung ist. In diesem Teil der Arbeit ist deswegen zunächst beschrieben, wie der Fußballsport nach Österreich kam, welche Bedeutung er ursprünglich hatte und wie es dazu kam, dass er nach und nach immer populärer wurde, ehe er sich zu einem Massenphänomen entwickelte. Hier werden zudem die Unterschiede zwischen den städtischen Vereinen in Wien und den Provinzvereinen der Steiermark durch eine separate Beschreibung der Entwicklungen hervorgehoben.

2.1 Wie kommt der Fußballsport nach Österreich? Der Fußballsport wurde von englischen Geschäftsleuten in Wien etabliert, als sie sich auf der Jesuitenwiese im Prater trafen, um den in ihrer Heimat bereits beliebten Sport auszuüben. Die erste Vereinsgründung in Österreich wurde ebenfalls von Engländern initiiert, indem am 22. August 1894 der „I. Football Club“ gegründet wurde; bereits am nächsten Tag folgte die offizielle Bestätigung der Mannschaft des „Vienna Cricket and Football Club“ (23. August 1894). Wenige Monate später wurde das erste Fußballmatch auf österreichischem Boden zwischen den beiden Mannschaften ausgetragen.1

Der Fußballsport war zu dieser Zeit ein elitärer Sport, der dem Bürgertum vorbehalten blieb, da der Arbeiterschaft sowohl die nötige Freizeit als auch das Geld für die verhältnismäßig hohen Kosten der Ausrüstung fehlten.2 Wie in Wien kam der Fußball gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Graz. Georg August Wagner gilt als Begründer des steirischen Fußballsports, der ihn in Prag kennenlernte und 1893 nach Graz zog, um dort Medizin zu studieren. Er trat dem Akademisch-technischen Radfahrverein bei und gründete 1894 eine

1 Vgl. Klaus Dermutz: Kleine Geschichte des österreichischen Fußballs in 90 Minuten. Wien, Graz: Molden Verlag 2019, S. 10-12. 2 Vgl. Walter M. Iber: Erst der Verein, dann die Partei. Der steirische Fußball und seine Traditionsklubs im Nationalsozialismus. Graz: Leykam 2016, S. 27. 8 eigene Fußballsektion innerhalb des Vereins. Noch im selben Jahr wurde in Graz das erste Fußballspiel zwischen zwei internen Mannschaften des Akademisch-technischen Radfahrvereins ausgetragen.3 Der Fußballsport hatte in Österreich also mehrere Geburtsstätten zu einem ähnlichen Zeitpunkt. Bereits 1895 kam es zu einem ersten Fußballspiel zwischen einer Auswahl des Akademisch-technischen Radfahrvereins und der Vienna, das der Wiener Club deutlich gewann. Nach anfänglicher Abneigung gegenüber dem Fußball seitens der Turnvereine gründete der Akademische Turnverein eine eigene Fußballmannschaft und die Begeisterung für den Fußball begann sich in der Steiermark allmählich von den Studenten auf die Mittelschüler auszuweiten. Schon kurze Zeit später begann sich über Graz hinaus im Herzogtum Steiermark ein reger Fußballbetrieb zu entwickeln, mit Mannschaften in Leoben, Judenburg, Cilli/Celje und Laibach/Ljubljana im benachbarten Kronland Krain.4

1897 gründete der Wiener Athletiksport-Club (WAC) eine eigene Fußballsektion, die wiederum als Vorbild für die Gründung des Grazer Athletiksport Klub (GAK) fungieren sollte. Der GAK war ein Allroundsportverein und umfasste neben der Fußballsektion auch Sportarten wie Tennis, Schwimmen und Fechten.5 Nur ein Jahr später wurde 1898 der „1. Wiener Arbeiter Fußball-Club“ gegründet, aus dem 1899 der Sportklub Rapid entstand, der bis heute seine proletarischen Wurzeln betont.6 1909 schloss sich eine Gruppe Gymnasiasten zur Fußballmannschaft Sturm zusammen, die ab 1919 Grazer Sportklub Sturm hieß. Zu diesem Namen kam man wahrscheinlich in Anlehnung an den DBC Sturm Prag, gegen den man 1909 ein Spiel austrug.7 Der letzte in dieser Arbeit genauer beschriebene Fußballverein entstand 1911 in Wien als Wiener Amateur Sportverein, die heutige Austria Wien. Die Gründung ging aus der Tradition der Cricketer hervor, die maßgeblich am österreichischen Fußball dieser Zeit beteiligt waren.8 So geht die Gründung der heutigen Austria Wien zwar auf das Jahr 1911 zurück, der Verein selbst sieht sich aber schon in der Tradition des 1894 gegründeten „Vienna Cricket and Football Club“.

Während dieser ersten Welle an Vereinsgründungen gab es noch weitere, aus sportlicher Perspektive relevante Fußballvereine in der Steiermark und in Wien, doch sind für diese

3 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 28. 4 Vgl. ebda. 5 Vgl. ebda., S. 28-29. 6 Vgl. Jakob Rosenberg, Georg Spitaler: Grün-Weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938-1945). Wien: DÖW 2011, S. 36. 7 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 30. 8 Vgl. Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik, Rudolf Müllner et al.: Ein Fußballverein aus Wien. Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938-1945. Wien: Böhlau 2019. 9 Arbeit eben jene erwähnten Vereine die wesentlichen. Der Fußball wurde sowohl in Wien als auch in Graz von ausländischen Personen etabliert und geprägt, doch verbreitete er sich dort sehr rasch. Der Fußballsport war zu Beginn elitär, da sich die Arbeiterschaft die Ausrüstung nicht leisten konnte und sie die nötige Freizeit nicht gehabt hätte, um den Sport auszuüben. Erst mit der Gründung des „1. Wiener Arbeiter Fußball-Club“ wurde der Fußballsport auf die industriellen Vorstädte ausgedehnt, während sich in der Steiermark die Begeisterung für den Sport mit dem runden Leder von den Studenten auf die Mittelschüler ausbreitete und so auch eine größere geographische Reichweite erhielt. Die unterschiedlichen Entwicklungen, die der Fußballsport sowohl in der Hauptstadt als auch in der Provinz bis zum „Anschluss“ 1938 erfuhr, sind in den nächsten beiden Kapiteln gesondert beschrieben, um die Unterschiede deutlicher hervorzuheben.

2.2 Entwicklungen des Fußballsports in Wien bis 1938 Bereits mit der Saison 1911/12 wurde die Meisterschaft eingeführt, zeitgleich wurde 1912 die sogenannte „Pfarrwiese“, der neu gestaltete Fußballplatz des Sportclubs Rapid, eröffnet.9 Die Menschen konnten von nun an den Fußballsport in ihr Alltagsleben integrieren, indem sie sonntags ein Fußballspiel auf der Pfarrwiese gemeinsam mit Freunden sahen und diskutierten, doch war dies noch nicht der ganzen Bevölkerung möglich. Es waren der Erste Weltkrieg und seine Folgen, die den Boden dafür ebneten, dass der Fußballsport zum Massenphänomen werden konnte. Während des Ersten Weltkriegs entbrannte zunächst ein Diskurs darüber, welche Rolle der Fußball während des Krieges einnehmen sollte. Es wurde in ausführlichen Listen und Berichten dokumentiert, in welchen Regimentern die Sportler dienen, ob sie gefallen sind oder welche Verletzungen sie sich zugezogen hatten. In Österreich lief der Fußballbetrieb während des Krieges weiter, wenngleich viele Spieler an der Front kämpften.10 Dass die Fußballspieler aufgrund ihrer körperlichen und mentalen Fähigkeiten geeignete Soldaten darstellten, wurde zu dieser Zeit auch in Berichten betont. So hieß es im Bericht Krieg und Fußball im Illustrierten Österreichischen Sportblatt vom 25.12.1914, „die großgewachsenen, kräftigen, ausdauernden, abgehärteten Fußballspieler sind just die rechten Leute für das Militär“.11 Der Artikel kritisierte zudem die englische Situation, in der viele Fußballspieler den Kriegsdienst verweigerten, und hob die österreichische Kriegsbereitschaft, vermutlich auch aus Propagandazwecken, hervor, da es heißt:

9 Vgl. Dermutz: Kleine Geschichte des österreichischen Fußballs in 90 Minuten, S. 28. 10 Vgl. ebda., S. 30. 11 Felix Schmal: Krieg und Fußballspiel. In: Illustriertes Österreichisches Sportblatt 10 (1914), H. 44, S. 7-8. URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ios&datum=19141225&zoom=33 [28.01.2020]. 10 „Bei uns liegen die Dinge natürlich ganz anders. In Deutschland und Österreich ist der Fußball kein militärischer Sport, seine Anhänger haben nicht die Wahl Fußball oder Krieg, aber selbst wenn sie die Wahl hätten, so kann in Anbetracht der allgemeinen Stimmung kein Zweifel vorherrschen, wofür sie sich in diesem Falle entscheiden würden.“12

Die Folgen des Ersten Weltkrieges waren für den Fußballsport in Wien ausschlaggebend. Durch den Druck der revoltierenden Arbeiter, Heimkehrer und demobilisierten Soldaten setzte die reformistische Sozialdemokratie eine Sozialgesetzgebung durch, die unter anderem die Einführung des Achtstundentages und des Erholungsurlaubs beinhaltete. Dies bedeutete für die städtische Bevölkerung erstmals die Verfügung über freie Zeit, wodurch die sozialen Unterschichten spezifische kulturelle Standards und Ausdrucksformen in das öffentliche Leben einbrachten. In Wien war es vor allem die männliche Arbeiterschaft, die sich dem Fußballsport zuwandte, da er ihrer Mentalität und Erwartungshaltung entsprach.13 Das Derby zwischen Rapid und der Austria zog zu dieser Zeit bereits regelmäßig zwischen 40.000 und 50.000 Menschen an, was die Dimension dieses Massenspektakels gut wiedergibt.14

Anhand der Vereine Austria und Rapid lassen sich die zwei idealtypischen Tendenzen der Zwischenkriegszeit herausarbeiten und charakterisieren.15 Wie bereits erwähnt, war der Fußball als Spiel und Zuschauerereignis ein primär männlich-proletarisches Phänomen. Die Vorstadt bildete hierbei eine produktive Basis, denn dort fand man durch die Auslagerungs- und Ansiedlungsstätten der großen Industrien eine in Massen konzentrierte Arbeiterbevölkerung; in Wien waren dies beispielsweise und Floridsdorf.16 Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg herrschte eine galoppierende Inflation und eine strukturelle Wirtschaftskrise, weswegen sich der Fußballsport neben seiner Rolle als Massenspektakel in diesen Bezirken für die männliche Vorstadtjugend als die einzig realistische soziale Aufstiegsperspektive erwies. Aus diesem Grund konnten die Vorstädte dem Wiener Fußball ein großes Reservoir an Talenten stellen.17 Rapid Wien wurde zum Inbegriff und Synonym der Vorstadt, bedingt durch den sogenannten „Rapid-Geist“, der bedingungslosen Einsatz, Entschlossenheit und unbedingten Willen symbolisieren sollte. Zudem verglich man den Sportklub Rapid mit einer „gut funktionierenden Maschine“, einer

12 Felix Schmal: Krieg und Fußballspiel. In: Illustriertes Österreichisches Sportblatt 10 (1914), H. 44, S. 7-8. URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ios&datum=19141225&zoom=33 [28.01.2020], S. 8. 13 Vgl. Roman Horak, Wolfgang Maderthaner: Die Eleganz des runden Leders. Anmerkungen zur Wiener Fußballschule der Zwischenkriegszeit. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von: David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 25. 14 Vgl. ebda., S. 26. 15 Vgl. Roman Horak, Wolfgang Maderthaner: Mehr als ein Spiel. Fußball und populare Kulturen im Wien der Moderne. Wien: Löcker 1997, S. 113. 16 Vgl. Horak, Maderthaner: Die Eleganz des runden Leders, S. 28. 17 Vgl. ebda., S. 29. 11 wohl bewusst gewählten Metapher.18 Der Sektionsleiter Dionys Schönecker führte Rapid bereits seit 1910. Seine Ansprachen nach Heimspielen vor den Spielern, Fans und Funktionären eröffnete er angeblich stets mit den Worten „Meine Herren, wir sind Arbeiter und als Arbeiter müssen wir arbeiten!“19 Der Typus Rapid wurde so mit der Popularisierung des Fußballsports in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zur ersten wirklichen Leitfigur.20

Zeitgleich, wenngleich antithetisch, entstand in Wien aber ein zweiter Typus, jener der Austria, der für die City, das Kaffeehaus und das liberale Bürgertum stand.21 Der Fußball im modernen Wien war mehr als ein Spiel, das Massen mobilisieren konnte, er war ein Zusammenspiel vorstädtischer Alltagskulturen und einer speziellen, wienerischen Form von Bürgerlichkeit. Er repräsentierte die Durchmischung von vorstädtisch-proletarischen und innerstädtisch-urbanen Lebenswelten sowie das Ineinanderfließen von Massenkultur und Kaffeehauskultur.22 In den Cafés traten KünstlerInnen und Intellektuelle miteinander in Beziehung, was die kritische Aufnahme und Debatte aktueller Trends und Entwicklungen erleichterte, in diesem Fall das populär gewordene Massenspektakel Fußball. Das Ringcafé wurde zum zentralen Treffpunkt für die Wiener Fußballwelt, wodurch der Fußball nicht nur das Kaffeehaus eroberte, sondern auch das Kaffeehaus den Fußball, da es ihn als diskursives Phänomen erkannte.23 Während intellektuelle und kulturelle Eliten populären und volkstümlichen Subkulturen meist misstrauisch oder gar offen ablehnend gegenüberstanden, war dies in diesem Fall nur sehr bedingt der Fall.24 Die Austria positionierte sich absichtlich in Konkurrenz zum dominanten, von Rapid geprägten Typus. So verstand sich die Austria bereits 1920 als ein Verein, dessen Spieler mehrheitlich aus Intellektuellen, Studenten und Kaufleuten bestanden, und an dessen Spitze meist ein Doktor oder Professor stand.25

Nach 1920 begann sich der Wiener Fußball stärker von jenem der Provinzvereine zu unterscheiden. Ein wesentlicher Grund hierfür war die in der Saison 1924/25 eingeführte Profiliga, die zu intensiven Debatten führte. Die Verfechter des Amateursports argumentierten, dass Fußball lediglich eine Ertüchtigung des Körpers und der Seele sei; das Profitum verderbe den Geist der Spieler. Die Vertreter der Profiliga hingegen vertraten die Meinung, dass der österreichische Fußball im internationalen Wettkampf nur dann mithalten

18 Vgl. Horak, Maderthaner: Die Eleganz des runden Leders, S. 30. 19 Vgl. Dermutz. Kleine Geschichte des österreichischen Fußballs in 90 Minuten, S. 29. 20 Vgl. Horak, Maderthaner. Mehr als ein Spiel, S. 113. 21 Vgl. ebda., S. 115. 22 Vgl. Horak, Maderthaner: Die Eleganz des runden Leders, S. 26. 23 Vgl. ebda., S. 27. 24 Vgl. ebda. 25 Vgl. Horak, Maderthaner. Mehr als ein Spiel, S. 113. 12 könne, wenn die Spieler Fußball auf einer fachlichen Grundlage von Training und Taktik ausüben würden.26 Trotz dieser Debatte wurde vom Wiener Verband im Sommer 1924 beschlossen, dass Fußballer von nun an ihr Geld als Professionals verdienen können. Das führte dazu, dass sich aufgrund unterschiedlich hoher Gagen von Starspielern Unzufriedenheit im Lager der Amateurspieler ausbreitete, obwohl die Wiener Fußballklubs zu den besten Europas aufstiegen.27 In den folgenden Jahren wurde auch der Begriff des „Wunderteams“ ins Leben gerufen, der die österreichische Nationalmannschaft bezeichnete. Doch die Ära des Wunderteams war gleichzeitig eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit, sodass der Sport für die verarmte Bevölkerung „der leuchtende Bogen über einer dürftigen Lebensgrundlage“28 war. Zu diesem Zweck wurde am 11. Juli 1931 das Praterstadion eröffnet, das von Beginn an als „Österreichisches Nationalstadion“ konzipiert war, um das Nationalgefühl zu stärken. Das Stadion fasste 60.000 ZuschauerInnen und war zu diesem Zeitpunkt eine der größten Spielstätten Europas.29 Die Rolle des Fußballsports als Ablenkung von der schlechten wirtschaftlichen Situation und der Massenarbeitslosigkeit wurde auch von der damaligen Medienwelt aufgegriffen. So hieß es in einem Artikel der Zeitschrift „Der Abend“ vom 14.9.1931:

„Unsere Wirtschaftsordnung ist morsch geworden, und als Folge davon leiden wir bittere Not. Bedeuten die Spiele auch für uns ein Betäubungsmittel, das uns blind für die Erfordernisse der Zeit macht? Nein und tausendmal nein! Der Sportler hat sich sein klares Urteil bewahrt. Er weiß, was nottut, und er weiß, was er will. Das Kommen der 50.000 ist ein Ausdruck der unendlichen Sehnsucht nach ein klein wenig Freude. Trotz würgender Wirtschaftsnot und trotz drückender Sorgen will man auf wenige Stunden Mensch sein, sich freuen am Schönen und mit der Jugend verbunden und froh sein. Diese wenigen Stunden im Stadion sollen nicht den Geist benebeln, sondern ihn auf kurze Zeit ablenken, um ihn zu kräftigen. Dies ist die Erklärung dafür, dass gestern 50.000 Menschen das Stadion füllten.“30

Nach der verlorenen Weltmeisterschaft im Jahr 1934, in dem das österreichische Nationalteam nur den 4. Platz belegte, kam es zum Ende der spezifischen wienerischen populären Kultur des Fußballsports. Auch der wohl talentierteste österreichische Spieler, , der bei der Austria spielte, wurde danach immer seltener in der Auswahl des Nationalteams berücksichtigt. Das letzte Mal spielte er im sogenannten „Versöhnungsspiel“ am 3. April 1938, bei dem die Auswahlmannschaften von „Deutsch- Österreich“ und des „Altreichs“ im ausverkauften und mit Hakenkreuzfahnen bestückten

26 Vgl. Dermutz: Kleine Geschichte des österreichischen Fußballs in 90 Minuten, S. 42. 27 Vgl. ebda., S. 43. 28 Ebda., S. 48. 29 Vgl. ebda., S. 50. 30 Wilhelm Reffzern: Schlampige Genialität. In: Der Abend 17 (1931), H. 211, S. 8. URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=abd&datum=19310914&seite=1&zoom=36 [28.01.2020]. 13 Wiener Stadion aufeinandertrafen. Sindelar gestaltete das Spiel zu einer einzigen Demütigung der Reichsdeutschen und wurde aufgrund dieser Leistung später in den Kader der großdeutschen Nationalmannschaft berufen, doch dies ignorierte er aus unbekannten Gründen. Wenig später fand man Sindelar tot in seiner Wohnung; die genaue Ursache für seinen Tod konnte bis heute nicht ermittelt werden.31

Nach dem „Anschluss“ war natürlich die Situation des Fußballsports eine völlig andere, weswegen diese in einem separaten Kapitel genauer erläutert wird. Zunächst ist es notwendig, die Situation des Fußballs im restlichen Österreich zu dieser Zeit genauer zu beschreiben. Der Fußballsport nahm, so zeigt das nächste Kapitel, in der Provinz vor allem durch die fehlende Professionalisierung eine wesentlich unterschiedliche Entwicklung im Vergleich zur Hauptstadt.

2.3 Entwicklungen des Fußballsports in der Provinz bis 1938 Nicht nur in Wien war der Fußball in seinen Anfängen kein Massenphänomen, sondern vielmehr ein elitärer Sport des akademischen Milieus als eine Form der körperlichen Ertüchtigung und der Freizeitgestaltung. In Graz tauchte diese Sportart zum ersten Mal Ende des 19. Jahrhunderts in akademischen Kreisen auf. Georg August Wagner gilt als der Begründer des steirischen Fußballsports, der ihn bereits aus seiner Heimat Prag kannte. In Graz, wo er Medizin studierte, brachte er anderen Studenten den Fußballsport näher.32 1894 gründete Wagner, nachdem er dem Akademisch-technischen Radfahrverein (ATRV) beigetreten war, innerhalb dessen eine eigene Fußballsektion und noch im selben Jahr wurde das erste öffentliche Spiel zwischen zwei Mannschaften des ATRV ausgetragen. Bald danach gründete auch der Akademische Turnverein (ATV) einen eigenen Fußballverein und die Begeisterung für Fußball breitete sich langsam von den Studenten auf die Mittelschüler aus. Von Graz aus verbreitete sich dann der Fußballsport langsam nach Leoben, Judenburg, Cilli/Celje und Laibach und es entwickelte sich ein reger Fußballbetrieb im Herzogtum Steiermark. Der Akademische Sportverein (ASV) entwickelte sich bald zum bedeutendsten Klub des steirischen Fußballsports, bis 1902 von Grazer Studenten und Mittelschülern nach dem Vorbild des Wiener Athletiksport Club (WAC) der Grazer Athletiksport Klub (GAK) gegründet wurde.33 Konzipiert war der GAK ursprünglich als Allroundsportverein; neben Fußball gab es noch Sektionen für Tennis, Leichtathletik, Schwimmen, Fechten und

31 Vgl. Horak, Maderthaner: Die Eleganz des runden Leders, S. 32. 32 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 27. 33 Vgl. ebda., S. 28. 14 Wintersport. Seine Heimstätte fand der GAK in der Korösistraße, wo ein Fußballplatz, Leichtathletikanlagen und Tennisplätze errichtet wurden. 1904 wurde der Österreichische Fußballverband (ÖFV, Vorläufer des ÖFB) gegründet und im selben Jahr trat bereits der GAK mit anderen steirischen Vereinen bei.34

Auch in Vorarlberg ging die Etablierung des Fußballsports auf eine Person aus dem Ausland zurück, den Schweizer Emil Brüschweiler. 1907 konnte er einige Turner für den Fußball begeistern. Er gründete kurze Zeit später die Fußballriege des Turnvereins, im selben Jahr kam es noch zur Gründung des ersten Vorarlberger Fußballvereins, des FC Lustenau 07.35 Der nächste große Verein in der Steiermark wurde im Mai 1909 gegründet, als sich eine Gruppe Gymnasiasten zur Fußballmannschaft Sturm zusammenschloss, später als Grazer Fußballklub Sturm und Grazer Sportclub Sturm bekannt. Eine wahrscheinliche Annahme für die Namensgebung des Vereins geht auf den DBC Sturm Prag zurück, gegen den 1909 bereits ein Spiel ausgetragen wurde. Der Grazer Sportclub Sturm erhielt aber erst 1919 nach dem Ersten Weltkrieg seinen eigenen Vereinsplatz, der später als „Gruabn“ bekannt wurde. Die eigentliche Geburtsstunde des Steirischen Fußballverbandes war das Jahr 1910, als der ÖFV beim k.k. Innenministerium in Wien den „Deutsch-Alpenländischen Fußballverband“ per Antrag zu bilden versuchte, in den auch die Kronländer Tirol-Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich, Steiermark und Kärnten eingeschlossen sein sollten. Dem wurde stattgegeben und der Verband nahm seinen vorläufigen Sitz in Graz. Die erste eigene Meisterschaft wurde erstmals 1912/13 vom neu gegründeten Fußballverband zwischen 16 Vereinen ausgetragen.36

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war der steirische Fußball erst in seiner Entwicklungsphase. Durch die kriegsbedingte militärische Mobilmachung und die Ausrichtung des gesamten gesellschaftlichen Lebens auf den Krieg brachen die Strukturen im Fußballsport rasch zusammen. Bis zum Kriegsende 1918 konnte kein geregelter Spielbetrieb aufrechterhalten werden, da zahlreiche Spieler und Funktionäre zum Kriegsdienst eingezogen wurden und teilweise an der Front starben, doch diese Fronterfahrung war zugleich ein einschneidendes Erlebnis, das viele Vereinsfunktionäre miteinander verbinden sollte. Durch die soziale und wirtschaftliche Not zu und nach Kriegsende suchten viele Menschen nach Zerstreuung und Ablenkung vom Alltag und fanden dies häufig im Sport, weswegen der steirische Fußball nach dem Krieg schnell wieder eine hohe gesellschaftliche Relevanz

34 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 29. 35 Vgl. Ilga Maria Fritsch: Fußball in Vorarlberg: Das Beispiel des FC Lustenau 07. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von: David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 202. 36 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 30. 15 erlangte. Aber auch die Arbeiterschaft konnte durch die neu gewonnene Freizeit an Sportveranstaltungen teilnehmen und als Spieler oder Funktionäre in Vereinen agieren.37 In Vorarlberg führte der Kriegsausbruch zu einer Unterbrechung der Meisterschaft, doch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Fußballbetrieb wieder aufgenommen. In der Zwischenkriegszeit erfolgte dann auch in Vorarlberg die Transformation des Fußballs zum Massensport.38 Diese Entwicklungen waren, wie im letzten Kapitel beschrieben, auch in Wien festzustellen. Der Fußballsport diente österreichweit als Ablenkung von der sozialen Not der Bevölkerung, woran vor allem durch die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages auch die Arbeiterschaft teilnehmen konnte. In der Steiermark begann der SK Sturm sich der Arbeiterschaft zu öffnen; der Fußball begann in allen sozialen Schichten Fuß zu fassen und sich zum Massenspektakel zu entwickeln. Während sich diese Tendenz zur Öffnung für alle sozialen Schichten in den Vereinen weit verbreitete, blieb am Allroundverein GAK das Image des noblen und elitären Sportvereins haften.39 Auch hier lassen sich Parallelen zu Wien erkennen, denn in der Hauptstadt gab es mit Rapid Wien und Austria Wien ebenfalls diese zwei Typen des Arbeitervereins und des elitären akademischen Vereins.

In Graz wurde sehr viel in die Spielstätten investiert, da man einen Anschluss an die starken Wiener Klubs anstrebte, bei denen es wie erwähnt seit 1924 eine Profiliga – die erste auf dem europäischen Festland – gab. Doch die Weltwirtschaftskrise in der ersten Hälfte der 1930er Jahre erreichte auch den steirischen Fußball, sodass beispielsweise der GAK die Geldknappheit einiger Gönner zu spüren bekam und deshalb sportlich zurückfiel.40 Ab diesem Zeitpunkt gingen die Entwicklungen des Fußballsports in der Provinz und in Wien auseinander, denn während in Wien der Fußballsport professionalisiert wurde, gab es in der Steiermark bloß einen versteckten Professionalismus. Dies bedeutet, dass die Spieler nicht direkt bezahlt, sondern ihnen lediglich bessere Jobs angeboten wurden. Der Grazer Sportklub begann, Wiener Spieler mit sicheren Anstellungen bei der Straßenbahn nach Graz zu locken, GAK und Sturm hatten hingegen gute Beziehungen zur Grazer Stadtverwaltung und brachten dort so manchen Spieler unter.41 In Vorarlberg beim FC Lustenau 07 bestand bei den Fußballern der Wunsch nach einer finanziellen Entlohnung, doch aufgrund der Nähe des Turnvereins Lustenau, aus dem der FC Lustenau 07 hervorgegangen war, zum

37 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 32. 38 Vgl. Fritsch: Fußball in Vorarlberg: Das Beispiel des FC Lustenau 07, S. 203. 39 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 32. 40 Vgl. ebda., S. 36-37. 41 Vgl. ebda., S. 38-39. 16 deutschnationalen Lager, sah man Sport als „Dienst am Volk“, der deswegen nicht materiell belohnt wurde.42

Das Funktionärswesen in der Steiermark am Vorabend des „Anschlusses“ 1938 vermittelte ein vielschichtiges Bild, denn neben einer breiten Masse an politisch Unbedarften fand sich ein Konglomerat an Nationalsozialisten, Mitgliedern des Republikanischen Schutzbundes und Mitgliedern der Vaterländischen Front. Zudem waren jüdische Funktionäre in die Vereine integriert. Im Arierparagraphen äußerten sich deutschnationale und antisemitische Strömungen, beispielsweise beim GAK, wo es in den Gründungsstatuten von 1902 hieß, dass Mitglieder nur Deutsche arischer Abstimmung sein konnten. Derselbe Wortlaut fand sich im Arierparagraphen der Satzungen des SK Sturm von 1912.43.

Im Illustrierten Sportblatt vom 12. November 1921 wurde der Arierparagraph medial aufgegriffen, was zeigt, dass man sich in Wien durchaus vom Antisemitismus in der Steiermark zu distanzieren versuchte. So hieß es im Bericht, man hätte in Graz Jahrhunderte verschlafen und würde dort am liebsten eine vom Staat veranstaltete Verbrennung sämtlicher Juden sehen. Weiter hieß es, eine Person „wegen politischer und konfessioneller Umstände aus dem Verbande auszuschließen ist ein Unding“.44 Während der Arierparagraph 1932 aus den Vereinsstatuten des SK Sturm verschwand, hielt der GAK während der gesamten Zwischenkriegszeit an ihm fest, obwohl dies nur theoretisch eingehalten wurde, da es sehr wohl Spieler beim GAK gab, die sich offen zu linken Ideen bekannten.45

Die gesamte Situation im steirischen Fußball gestaltete sich in der Zwischenkriegszeit sehr ambivalent. So war beispielsweise 1927 bis 1929 Samuel Weiß von der Hakoah, ein jüdischer Sportverein aus Wien, Vizepräsident des steirischen Landesverbandes, und das unter Präsident Max Hruby, dem späteren steirischen Gauschatzmeister der NSDAP. Außerdem verlieh der Steirische Fußballverband jüdischen Funktionären und Fußballern hohe Auszeichnungen und ging hart gegen antisemitische Auswüchse im Spielbetrieb vor, beispielsweise gegen den Deutschen Sportverein Leoben (DSL), der neben dem Arierparagraphen in seinen Satzungen die Bestimmung verankert hatte, nicht gegen jüdische Vereine zu spielen. Als der jüdische Klub Grazer SC Hakoah in der Saison 1923/24 in den Meisterschaftsbetrieb einstieg und der DSL tatsächlich nicht zum Bewerbsspiel gegen die

42 Vgl. Fritsch: Fußball in Vorarlberg: Das Beispiel des FC Lustenau 07, S. 204. 43 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 44-45. 44 Viktor Brodt: Wochenschau. Freundschaftsspiele. – Geschlossene Bäder. – Der Arierparagraph. In: Illustriertes Sportblatt 17 (1921), H. 46, S. 3. URL: http://anno.onb.ac.at/cgicontent/anno?aid=ios&datum=19211112&seite=1&zoom=33 [10.02.2020]. 45 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 45-46. 17 Hakoah antrat, wurde der Deutsche Sportverein Leoben aus dem Steirischen Fußballverband ausgeschlossen.46

1934 wurden nach dem Inkrafttreten der neuen „ständischen“ Verfassung alle österreichischen Vereine, deren Mitglieder Sport betrieben, in einem autoritären Verband, der Österreichischen Sport- und Turnfront (ÖSTF), zusammengeschlossen. Zuvor war es zu Vereinsauflösungen seitens des autoritären Regimes gekommen, die den politischen Kontext meist widerspiegelten. So wurden 1933 nach dem Verbot der NSDAP deutsch-völkische Sportvereine aufgelöst und nach den Februarkämpfen 1934 kam es zur Auflösung vieler Arbeiter-Sportvereine. Die aufgelösten Vereine gründeten sich aber meist kurze Zeit nach ihrer Auflösung neu, unter einem andern Namen und mit einem politisch unbelasteten Vorstand.47 Der steirische Fußballbetrieb war 1938 mit dem professionalisierten in Wien nicht zu vergleichen, dennoch fühlte man sich am Vorabend des „Anschlusses“ reif genug für die österreichweite Nationalliga. Bereits 1937 stand SK Sturm kurz vor der Teilnahme an der Nationalliga, was aber durch die gescheiterte sportliche Qualifikation scheiterte. Zur ersten offiziellen Teilnahme eines steirischen Vereins an der höchsten „österreichischen“ Spielklasse kam es erst nach dem „Anschluss“ mit dem Grazer Sportklub Straßenbahn.48

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der Fußballsport österreichweit bis in die 1920er Jahre hinein sehr ähnlich entwickelte. Es waren vor allem Personen aus dem Ausland, die diesen Sport an unterschiedlichen Standorten etablierten. Erst nach dem Ersten Weltkrieg fand in der Provinz die Transformation zu einem massenkulturellen Phänomen statt, nicht zuletzt wegen der Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages. Doch im Unterschied zu Wien fand in der Provinz lediglich ein versteckter Professionalismus statt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur Hauptstadt war der Antisemitismus im Vereinswesen und vor allem in Vorarlberg die Nähe zum deutschnationalen Lager.

2.4 Fußballsport in Wien 1938-1945 Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 warf nicht nur die politischen Strukturen im Land um, sondern beeinflusste auch wesentlich die Bedingungen des Fußballsports in Österreich. Wie Klaus Dermutz ausführt, wurde der „Anschluss“ in allen sportlichen Institutionen vollzogen und das Vereinsleben auf die NS-Ideologie ausgerichtet. Der jüdische Verein SC Hakoah wurde nach der Machtübernahme sofort aufgelöst und

46 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 46-47. 47 Vgl. ebda., S. 53. 48 Vgl. ebda., S. 59-60. 18 beispielsweise Walter Nausch, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, wurde ein Trainerposten bei der Austria in Aussicht gestellt, unter der Bedingung, sich von seiner Frau zu trennen.49 Dies zeigt, dass die NS-Machthaber unmittelbar nach dem „Anschluss“ in unterschiedlichen Bereichen Einfluss auf den Fußballsport ausübten.

Zur Feier des „Anschlusses“ wurde für den 3. April 1938 im Praterstadion ein Fußballspiel angesetzt, das heute als „Anschluss-Spiel“ oder „Versöhnungsspiel“ bekannt ist.50 Im Neuen Wiener Abendblatt vom 31. März 1938 wurde das Match als „welthistorisches Ereignis“51 dargestellt. Das Match zwischen (Ex-)Österreich und Deutschland sollte gleichzeitig das vorläufige Ende der österreichischen Nationalmannschaft bedeuten.52 Es diente unterschiedlichen Zwecken: Zum einen Stand das Spiel im Zeichen der NS-Propaganda für die eine Woche später folgende Volksabstimmung. Der Admiraner Otto Marischka und Austria-Tormann Rudolf Zöhrer trugen hierzu ein Transparent mit der Aufschrift „Sportler stimmen Ja“ über das Feld.53 In der Nachkriegszeit wurde der 2:0 Erfolg der „deutsch- österreichischen Mannschaft“ als ein Akt des Widerstandes bewertet, bei dem die Austrianer Matthias Sindelar und die Deutschen förmlich vom Platz schossen. Übersehen wurde bei dieser Deutung jedoch, dass Sindelar und Sesta wesentlich von der Arisierung jüdischen Vermögens profitierten.54

Die Austria, die sich wie erwähnt 1910 vom Vienna Cricket and Football Club abgespalten hatte, wurde als liberaler jüdischer Klub des Wiener Bürgertums angesehen, den stets jüdische Funktionäre geprägt hatten. Nach dem „Anschluss“ wurde der Klub zwangsweise umstrukturiert.55 Im April 1938 erfolgte der Versuch einer Umbenennung der Wiener Austria in SC Ostmark, um nicht mehr an das ehemalige Österreich zu erinnern. Doch wenige Monate später, nach einem Wechsel in der Geschäftsführung, wurde die Zwangsumtaufe des Vereins zurückgenommen. Unter den aktiven Austria-Spielern des Kaders 1937-1938 gab es keine Juden, allerdings waren sehr viele ehemalige Spieler, die zu den Stützen des Vereins wurden,

49 Vgl. Dermutz. Kleine Geschichte des österreichischen Fußballs in 90 Minuten, S. 70. 50 Vgl. ebda., S. 71. 51 Die Jungen marschieren auf! Rekruten für die deutsche Nationalmannschaft. In: Neues Wiener Abendblatt (Wien) vom 31.03.1938, S. 6. URL: http://anno.onb.ac.at/cgicontent/anno?aid=nwg&datum=19380331&seite=40&zoom=33 [08.08.2020]. 52 Vgl. David Forster, Georg Spitaler: Das „Versöhnungsspiel“ am 3. April 1938. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von: David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 252. 53 Vgl. Forster, Spitaler: Das „Versöhnungsspiel“ am 3. April 1938, S. 252-253. 54 Vgl. ebda., S. 252. 55 Vgl. David Forster: Opfer Österreich, Opfer Austria? Der FK Austria und die NS-Zeit. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von: David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 106. 19 jüdischer Abstammung, die dann emigrieren mussten.56 Laut Forster bekam die Austria zurückblickend einen Opferstatus zugesprochen, der aufgrund der Konfiszierung von Vereinsgütern und der zwangsweisen Umstrukturierung des Klubs sowie des Exils von Spielern und der Vertreibung, Ermordung und Inhaftierung von Funktionären seine Berechtigung hat. Es handle sich hierbei allerdings um ein einseitiges Geschichtsbild, da mehrere Austria-Spieler wie erwähnt zur Propaganda für die Volksabstimmung am 10. April 1938 eingespannt wurden. Zudem berichtet Forster, dass zwei Austria-Stars von Enteignungen der jüdischen Bevölkerung profitierten. Matthias Sindelar erwarb von den lokalen NS-Stellen im Sommer 1938 zu einem Schnäppchenpreis ein Wiener Kaffeehaus, das er dann als Café Sindelar neu eröffnete. Auch sein Kollege Karl Sesta erwarb zu einem sehr günstigen Preis eine Filiale der Hammerbrot-Bäckerei, die zuvor ihr jüdischer Eigentümer geführt hatte. Der Grund für diesen Schritt der Austria-Stars sei die Tatsache gewesen, dass der Professionalismus im österreichischen Fußballsport von den NS-Machthabern abgeschafft wurde und sich Fußballspieler selbstständig ein Einkommen sichern mussten.57

Ein wenig anders gestaltete sich die Umstrukturierung Rapid Wiens nach dem „Anschluss“. Das Sport-Tagblatt vom 26. März 1938 veröffentlichte folgenden Aufruf:

„Rapid marschiert! Die Leitung des Sportklub Rapid fordert alle Funktionäre, die Mitglieder, sowohl aktive wie nichtaktive, und zwar aller Abteilungen und auch die Anhänger auf, sich morgen, Sonntag, um 7 Uhr früh im Saal des Restaurants Kochmann zum gemeinsamen Abmarsch zum Empfang des Reichssportführers zu versammeln. Allen Angehörigen Rapids wird die Beteiligung zur Pflicht gemacht.“58

Jakob Rosenberg und Georg Spitaler erkennen in diesem Ausschnitt aus dem Artikel, dass sich der Sportklub Rapid Wien zumindest in der offiziellen Außendarstellung schnell an die neuen politischen Verhältnisse angepasst hat. Wie auch beim FK Austria Wien demonstrierten die Nationalteamspieler Rapids beim „Versöhnungsspiel“ ihre Verbundenheit mit den großdeutschen Zielen und warben im Vorfeld der Volksabstimmung für den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich.59 Am 30. Juni 1938 wurde wie erwähnt der Professionalismus im Fußballsport abgeschafft, was die Strukturen im Fußballsport

56 Vgl. David Forster: Opfer Österreich, Opfer Austria?, S. 107-108. 57 Vgl. ebda. S. 112. 58 Empfang des Reichssportführers von Tschammer und Osten in Wien. In: Sport-Tagblatt (Wien) vom 26.03.1938, S. 5. URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wst&datum=19380326&zoom=33 [08.08.2020]. 59 Vgl. Jakob Rosenberg, Georg Spitaler: „Bodenständig“ und angepasst – der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 122-123. 20 wesentlich beeinflusste.60 In der Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters vom 20. Juli 1938 hieß es hierzu:

„Aber seit jeher war es das Bestreben dieses rührigen Vereines gewesen, seine Spieler in bürgerlichen Berufen unterzubringen und so bereitet die Umstellung Rapids nicht nur keine großen Schwierigkeiten, sondern wird freudigst begrüßt.“61

Rosenberg und Spitaler führen weiter aus, dass Rapid durch die tradierten Zuschreibungen eines bodenständigen, kämpferischen Arbeiterklubs die Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse erleichtert wurde. Zudem erwies sich die kulturelle Codierung als proletarischer Vorstadtklub als kompatibel mit den nationalsozialistischen Sportidealen.62 Da in der Gemeinde Wien mit SA-Brigadeführer Thomas Kozich ein Fußballfanatiker das Vizebürgermeisteramt bekleidete, mussten in der Saison 1937/38 nur zwei Rapid-Spieler den Kader verlassen, dem Großteil der Spieler wurde eine Arbeit bei der Gemeinde und nahestehenden Betrieben angeboten. Deswegen kann man hier, ähnlich wie in der Steiermark vor dem „Anschluss“, von einem Scheinamateurismus sprechen.63

Rapid bemühte sich zwar rasch um die Aufnahme prominenter Nationalsozialisten, doch der Vorstand bestand noch nach 1939 zum Großteil aus gewählten Mitgliedern, die bereits vor dem „Anschluss“ dort aktiv gewesen waren. Mit der Wahl des ehemaligen Vizepräsidenten Josef Kalenberg zum Vereinsführer hatte der Sportklub Rapid aber ein NSDAP-Mitglied an seiner Spitze. Viele Mitglieder Rapids waren zugleich Mitglieder der NSDAP, doch die meisten begründeten dies später mit der Tatsache, dass sie nur dem Verein helfen wollten. Die Fußballspieler selbst, die großteils aus der Arbeiterklasse stammten, gehörten nicht der NSDAP an. Sie profitierten zwar von den Scheinanstellungen bei der Gemeinde, aber eine Parteizugehörigkeit war hierfür nicht notwendig. Zwar wurden Fußballspieler auch später noch oft in den Medien uniformiert dargestellt, doch abseits davon dominierte das Bild des unpolitischen beziehungsweise politisch desinteressierten Fußballspielers.64

Nach dem „Anschluss“ konnte Rapid seinen Kader halten, doch aufgrund der Intensivierung der Kriegshandlungen mussten die Grün-Weißen bald auf wichtige Stützen verzichten, da sie

60 Vgl. Rosenberg, Spitaler: „Bodenständig“ und angepasst – der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus. S. 123. 61 Erstes Auftreten unserer Fußball-Amateure. In: Völkischer Beobachter (Wien) vom 20.07.1938, S. 11. URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=vob&datum=19380720&seite=11&zoom=33 [08.08.2020]. 62 Vgl. Rosenberg, Spitaler: „Bodenständig“ und angepasst – der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus, S. 124. 63 Vgl. ebda., S. 123. 64 Vgl. ebda., S. 125-126. 21 zur eingezogen wurden; bereits ab Herbst 1941 fiel Rapid sportlich zurück.65 Den FK Austria Wien traf die Einberufung von Spielern zur Wehrmacht ebenfalls, weswegen faire Wettbewerbsbedingungen nicht gegeben waren.66

Rapid setzte trotz personeller Probleme den Spielbetrieb bis März 1945 fort und stellte nach der Befreiung im April 1945 im Rahmen der 1.-Mai-Feierlichkeiten eine Mannschaft gegen eine Auswahl der Roten Armee. Auch hier gelang es dem Klub, sich bruchlos an die Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit anzupassen. Am 11. Mai 1945 gab der Verein eine provisorische, von NSDAP-Mitgliedern bereinigte Vorstandsliste bekannt. Meldepflichtige ehemalige Funktionäre versuchten ihre Parteimitgliedschaft mit angeblich systemzersetzenden Aktivitäten innerhalb des Fußballvereins zu rechtfertigen. Diese Verteidigungsstrategie könnte als populäre österreichische Opferhaltung in der Zweiten Republik betrachtet werden. Allerdings verdrängte die Geschichtsschreibung in Bezug auf Rapid Wien tatsächliche Opferbiografien, denn trotz der Codierung als bodenständiger Verein gab es jüdische Funktionäre und Spieler, die nach dem „Anschluss“ verfolgt, zur Flucht gezwungen oder ermordet wurden.67

Der Spielbetrieb selbst wurde durch den „Anschluss“ 1938 maßgeblich beeinflusst, denn bereits am 9. Juli 1938 wurde die neue „ Ostmark“ ins Leben gerufen. Erstmalig konnten Vereine wie der Grazer SC, Amateure Steyr und Wacker Wiener Neustadt in die oberste Spielklasse aufgenommen werden, doch die sportliche Dominanz der Wiener Klubs blieb unangetastet.68 Als erster „Ostmark“-Klub gelang der Admira 1939 die Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft, die der FC Schalke 04 9:0 gewinnen konnte. Im weiteren Verlauf fühlte sich Wien gegenüber dem Altreich massiv benachteiligt. So fand die „wienerische Resistenz“ im Fußball ein Ventil, weshalb zwischen 1939 und 1940 kaum ein Spiel in Wien ohne Handgreiflichkeiten und Ausschreitungen verlief. Doch dies ist keinesfalls mit einer Resistenz gegen das NS-Regime gleichzusetzen.69 1941 gelang Rapid Wien der Sieg im Schlussspiel um die Großdeutsche Meisterschaft gegen den FC Schalke 04 nach einem 0:3 Rückstand mit dem Endresultat von 4:3. Das Ergebnis führte zu vielen Mythen: Einerseits wurde im Nachkriegsösterreich der Sieg Rapids erneut als eine Art Widerstand gegen das

65 Vgl. Rosenberg, Spitaler: „Bodenständig“ und angepasst – der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus, S. 128. 66 Vgl. Forster: Opfer Österreich, Opfer Austria?, S. 110-111. 67 Vgl. Rosenberg, Spitaler: „Bodenständig“ und angepasst – der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus, S. 132. 68 Vgl. Ulrich Matheja: Die Beteiligung österreichischer Klubs an der „Großdeutschen Meisterschaft“ und am „Tschammer-Pokal“ 1938-1944. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 264. 69 Vgl. ebda., S. 265-266. 22 Regime hochstilisiert, auf der anderen Seite wurde der Sieg Rapids als „politisch beabsichtigt“ dargestellt.70

2.5 Fußballsport in der Provinz 1938-1945 Der „Anschluss“ Österreichs warf nicht nur in Wien die Strukturen des Sports um, auch die Provinzvereine waren davon betroffen. In der Steiermark kristallisierten sich kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich zwei Fußballzentren heraus: einerseits Graz mit den wichtigsten Vereinen GAK, SK Sturm Graz und dem Grazer Sportklub Straßenbahn (Grazer SC), andererseits die obersteirische Industrieregion mit den Bezirken Bruck und Leoben und mit den Vereinen Kapfenberger Sportklub und Sportverein Donawitz.71 Nach dem „Anschluss“ wurden zentrale Funktionärsposten bei den einzelnen Vereinen umgehend mit NSDAP-Mitgliedern und NS-Sympathisanten besetzt und an oberster Stelle „Vereinsführer“ installiert. Aus der „Ostmark“ wurde der Sportgau 17 des Reichsbundes für Leibesübungen. Die steirischen Klubs spielten zwischenzeitlich in einer „ Süd“ gemeinsam mit Kärntner Vereinen; nach der Angliederung der Untersteiermark 1941 kamen Vereine wie Rapid Marburg und Cilli hinzu. Aus sportlicher Perspektive spielten ab 1940 nur der Grazer SC (bis 1941) und der SK Sturm (bis 1943) eine Rolle, die mit den Wiener Großklubs in der obersten Spielklasse mitspielten. Der GAK war aus sportlicher Sicht zu dieser Zeit weniger relevant.72

Der Massensport Fußball war für die nationalsozialistischen Machthaber auch in der Steiermark vor allem nach Ausbruch des Krieges ein „Instrument zur Systemstabilisierung“.73 Die Heimspiele des größten steirischen Publikumsmagneten SK Sturm waren selbst mit Fortdauer des Krieges ein Massenspektakel und lockten bis zu 5.000 BesucherInnen ins Station.74 Eine hohe Besucherzahl auf dem Fußballplatz war für die Nationalsozialisten äußerst wichtig, da der Nutzen des Fußballs für die NS-Propaganda davon abhängig war.75 Bereits im März 1938 wurden jüdische Sportler, Funktionäre und Vereine vom Fußballsport

70 Vgl. Matheja: Die Beteiligung österreichischer Klubs an der „Großdeutschen Meisterschaft“ und am „Tschammer-Pokal“ 1938-1944, S. 267-268. 71 Vgl. Walter M. Iber, Harald Knoll, Alexander Fritz: Der steirische Fußball und seine Traditionsvereine in der NS-Zeit 1938-45. Schlaglichter auf erste Forschungsergebnisse. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 188. 72 Vgl. ebda., S. 188. 73 Ebda. 74 Vgl. ebda., S. 189. 75 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 110. 23 ausgeschlossen, allen voran betraf dies die Grazer Hakoah.76 Die Auslöschung des jüdischen Fußballsports blieb im Unterschied zu Wien nachhaltig; nach 1945 lebte das jüdische Vereinswesen nicht mehr auf.77 Am 13. März 1938 wurde im Grazer Fußball das erste Mal der Hitlergruß bei den Mannschaften des GAK und der Grazer Austria geleistet. Der steirische Fußballsport arrangierte sich 1938 schnell mit dem neuen politischen System – laut Iber auf den ersten Blick auch aus ideologischer Überzeugung. Neben der Anwendung des Hitlergrußes wurden auf den Sportplätzen rasch Hakenkreuzfahnen gehisst, zudem hatten Vereine wie der GAK und Donawitz wie erwähnt einen Arierparagraphen in ihren Statuten verankert, der GAK seit seiner Gründung 1902.78

Iber merkt allerdings an, dass es an der Realität vorbeigehen würde, sehe man den steirischen Fußball im politische Kontext des starken steirischen Deutschnationalismus, denn abgesehen davon, dass es unter den Sportlern und Funktionären Anhänger des Nationalsozialismus gab, war vieles, zum Beispiel der Hitlergruß oder die Hakenkreuzfahnen, vom Regime verordnet und anderes wurde von der gleichgeschalteten Presse propagandistisch vermarktet. So war der steirische Fußball bei näherer Betrachtung wesentlich unpolitischer, als es der Anschein nahelegt. Viele Funktionäre von Vereinen versuchten, besonders nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, vordergründig die Klubs selbst unter widrigsten Bedingungen aufrechtzuerhalten – Iber spricht hierbei von Vereinsegoismus.79

Durch die Zusammenarbeit mit der Hitlerjugend (HJ) sicherte man die eigene Nachwuchsarbeit und konnte nach Kriegsbeginn durch Kriegsdienst freigewordene Kaderplätze mit Einberufungen von HJ-Spielern kompensieren. Da Vereine wie SK Sturm und der GAK weniger werks- und staatsnah waren als zum Beispiel Kapfenberg oder Donawitz, konnten diese Grazer Vereine ihre Spieler nicht in kriegswichtigen Betrieben unterbringen, was bedeutete, dass sie nicht als unabkömmlich (uk.) eingestuft und somit häufig zum Kriegsdienst einberufen wurden. Deshalb griff man häufig auf Soldaten zurück, die gerade in Graz stationiert waren, weswegen die Nationalität oder politische Einstellung so gut wie keine Rolle spielte; am wichtigsten war den beiden Vereinen das Talent der Spieler.80

Der Nationalsozialismus vertrat als sein Ideal sportlicher Organisation sogenannte Sportgemeinschaften, da das traditionelle Vereinswesen den Machthabern grundsätzlich zu bürgerlich war. Es herrschte im Nationalsozialismus die Ansicht vor, die sei

76 Vgl. Iber, Knoll, Fritz: Der steirische Fußball und seine Traditionsvereine in der NS-Zeit 1938-45, S. 189. 77 Vgl. ebda., S. 78. 78 Vgl. ebda., S. 189. 79 Vgl. ebda., S. 190. 80 Vgl. ebda., S. 191. 24 in breiten strukturierten Gemeinschaften leichter umzusetzen und das Kollektiv sollte dem Individualismus vorangestellt werden. In diese Richtung zielend kam es ab 1938 in der Steiermark zu vielen Fusionierungen, beispielsweise begab sich der Schwäbisch- Akademische Sportklub unter das Dach von Sturm Graz.81 Kurze Zeit nach dem „Anschluss“ wurde der Professionalismus im Fußballsport verboten, doch dieses Verbot hatte im Gegensatz zu Wien auf die Steiermark keine gravierenden Auswirkungen, da sich ein offizielles Berufsspielertum vor dem „Anschluss“ noch nicht entwickelt hatte.82

Laut Iber zielte Hitler auf eine Beseitigung der österreichischen Identität ab, indem er Wien als ehemalige Hauptstadt Österreichs systematisch abwertete. Durch den Einzug des GSC in die oberste Spielklasse 1938 hefteten sich die Nationalsozialisten den Erfolg aus diesem Grund umgehend an ihre Fahnen.83 Der steirische Fußball boomte in der Spielzeit 1938/39, was auf die komfortable Position zurückzuführen ist, in der sich die Vereine durch den Opportunismus und vorauseilenden Gehorsam befanden. Doch durch den Überfall auf Polen 1939 und spätestens nach dem Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion 1941 stellte der Krieg die Klubs vor existenzbedrohende Probleme. Da viele Lokomotiven und Waggongarnituren für Versorgungs- und Nachschubdienste zur Front abgezogen wurden, war der Zugverkehr stark eingeschränkt. Deshalb konnten außerhalb von Graz keine Wettspiele stattfinden. So wurde zwischen Metropole und Provinz auch innerhalb der Steiermark ein Spannungsfeld geschaffen, wie es zuvor zwischen Wien und den Bundesländern existiert hatte. Die Grazer Vereine erklärten sich schließlich dazu bereit, zumindest in die Obersteiermark zu reisen, um Spiele gegen Donawitz und Kapfenberg zu absolvieren. Der Grazer Sportklub, der zu diesem Zeitpunkt in der obersten Spielklasse gegen Wiener Teams antrat, musste hingegen seinen durch die Kriegsereignisse bedingten Zwangsabstieg akzeptieren.84

In anderen Bundesländern lässt sich ebenfalls ein ähnliches Bild erkennen. Wie in der Steiermark und in Wien wurde der Fußballsport in Oberösterreich, aus dem nach dem „Anschluss“ der „ Oberdonau“ wurde, für die „Anschluss“-Propaganda instrumentalisiert, indem bei einem Match zwischen Oberdonau und Dresden am 3. April 1938 die Fußballer das Publikum zu einem „Ja für den Führer“ bei der Volksabstimmung aufforderten.85 John

81 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 72-73. 82 Vgl. ebda., S. 79. 83 Vgl. ebda., S. 108. 84 Vgl. ebda., S. 128-129. 85 Vgl. Michael John: „Mit deutschem Gruß“. Fußballsport und Nationalsozialismus im „Gau Oberdonau“. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 172-173. 25 erwähnt, dass die Aufwertung der „Provinz“ auch im Fußballsport das erklärte Ziel der nationalsozialistischen „Ostmark“-Politik war. Da Hitler in Linz und Umgebung aufwuchs, wurde die Stadt zur „Führerstadt“ und stand damit in einer Reihe mit Nürnberg, , München und .86

In Vorarlberg war es allen voran der FC Lustenau 07, der dem Deutschnationalismus ohnehin nahestand und bereits ab den 1930er Jahren ein enges Verhältnis zur NSDAP pflegte.87 In Vorarlberg, nach dem „Anschluss“ zum Tirol-Vorarlberg gehörend, wurde der Spielbetrieb nach 1938 zunächst fortgeführt, doch nach den vielen Einberufungen ab Kriegsbeginn 1939 gestaltete sich dies sehr schwierig. Während die erste Kriegsmeisterschaft 1939/40 noch vom FC Lustenau 07 gewonnen wurde, wurde die Meisterschaft 1941/42 bereits kriegsbedingt abgebrochen.88 Zunächst war die Situation für den FC Lustenau 07 unbeschwert, da man nun zu seinen ideologischen Grundsätzen stehen konnte und nicht mehr mit der Befürchtung leben musste, dass der Verein aufgrund seiner politischen Ausrichtung verboten werden könnte. Doch trotz der großen Erwartungen verbesserte sich die Situation des FC Lustenau 07 und anderer Vereine nicht, denn kriegsbedingt musste der Spielbetrieb eingestellt werden, viele Vereinsmitglieder starben an den Folgen des Krieges und auch die finanzielle Situation der Vereine verschlechterte sich kontinuierlich, da kaum Spiele ausgetragen werden konnten.89

In Salzburg hingegen war der Fußball im Vergleich zu anderen Bundesländern unterentwickelt, was auf die Dominanz des Wintersports zurückzuführen ist. Juden wurden bereits vor 1938 systematisch aus dem Sport ausgeschlossen, was vor allem daran liegt, dass der Antisemitismus im deutschnationalen Salzburger Bürgertum und somit auch im Vereinsleben weit verbreitet war. So ist der Arierparagraph bereits ab den 1890er Jahren in Vereinen dokumentiert.90 Aus sportlicher Perspektive waren die Salzburger Vereine vor und nach 1938 eine vernachlässigbare Größe.91

86 Vgl. John: „Mit deutschem Gruß“. Fußballsport und Nationalsozialismus im „Gau Oberdonau“, S. 173. 87 Vgl. Fritsch: Fußball in Vorarlberg: Das Beispiel des FC Lustenau 07, S. 205. 88 Vgl. ebda., S. 207. 89 Vgl. ebda., S. 208. 90 Vgl. Andreas Praher, Robert Schwarzbauer: Fußball in Salzburg 1938 bis 1945. In: Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“. Hrsg. von David Forster, Jakob Rosenberg und Georg Spitaler. Göttingen: Die Werkstatt 2014, S. 212-213. 91 Vgl. ebda., S. 221. 26 3 Vergangenheitsbewältigung Im Kapitel 2 dieser Arbeit wurde versucht, eine grobe Skizze der Geschichte ausgewählter österreichischer Traditionsvereine des Fußballsports mit Fokus auf die NS-Zeit zu erstellen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich nun mit der Art und Weise, wie man sich der Vergangenheit im Allgemeinen nähert, was der Zweck einer solchen Aufarbeitung ist und wie dieser Prozess aussieht. Zudem wird erläutert, wie die allgemeine Theorie der Vergangenheitsbewältigung konkret auf den österreichischen Fußballsport angewendet werden könnte, um einen Bogen zum folgenden Kapitel zu spannen, das die von den ausgewählten österreichischen Fußballvereinen durchgeführte wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit genauer analysiert.

Dieses Kapitel ist deswegen in die folgenden Unterkapitel gegliedert: Zunächst erfolgt eine allgemeine Begriffsdefinition von Vergangenheitsbewältigung, um eine fundierte wissenschaftliche Basis zu schaffen. Darauffolgend wird der spezifisch österreichische Weg der Vergangenheitsbewältigung vorgestellt, ehe im letzten Kapitel diskutiert wird, wie die Beschäftigung mit der Vergangenheit im Fußballsport aussehen könnte.

Jürgen Reifenbergers Werk Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung ist die aktuellste und wohl umfangreichste Arbeit, die zu diesem Thema erschienen ist, weswegen sie für dieses Kapitel die wissenschaftliche Basis darstellt.

3.1 Begriffsgeschichte und Definition von „Vergangenheitsbewältigung“ Zu Beginn dieses Kapitels muss erwähnt werden, dass es sich beim Terminus „Vergangenheitsbewältigung“ heute um einen globalen Begriff handelt, der nicht nur in Verbindung mit der NS-Zeit auftaucht, sondern mittlerweile viele unterschiedliche Bereiche aufgreift. Seine Wurzeln hat der Begriff allerdings in Deutschland, weshalb mit der Entstehung des Begriffs dort begonnen wird.

Reifenberger führt in seinem umfangreichen Werk an, dass bereits der Versailler Vertrag vom Juni 1919 als Anfang politischer Vergangenheitsbewältigung gelten kann, doch so weit soll im Rahmen dieser Arbeit nicht zurückgegriffen werden.92 Als Ausgangspunkt wird der Zweite Weltkrieg gewählt, denn bereits während dieses Krieges entwarfen die Alliierten eine mögliche tragfähige Nachkriegsordnung, die unter anderem Planungen zur Sühne und Wiedergutmachung seitens der Gegner enthielt. Außerdem wurde nach den geistigen,

92 Vgl. Jürgen Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung. Zur Geschichte und Theorie eines scheinbar erforschten Themas. Bielefeld: transcript 2019, S. 75. 27 politischen und materiellen Ursachen für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges gesucht, mit der Absicht, die inneren Verhältnisse so umzugestalten, dass ein Krieg, wie ihn Deutschland führte, nicht wiederholbar sei. In dieser Zeit wurde die Frage nach Schuld, Verantwortung und Wiedergutmachung eines ganzen Volkes einschließlich seiner Elite und Regierung zu einem „neuen Handlungsfeld zur Schaffung einer zukunftsorientierten Aufarbeitung vergangener Gewalt.“93 Nach Helmut König sind nämlich klare Vorstellungen über die Ursachen und Funktionsweisen des Vergangenen die Voraussetzung für einen Neuanfang und die Verunmöglichung der Wiederholung des Vergangenen.94

Da es keine historischen Parallelen zu derartigen Verbrechen wie jenen der Nationalsozialisten gab, war es eine wichtige Aufgabe, im Rahmen der Nürnberger Prozesse derartige Verbrechen in juristische Kategorien zu fassen und das Völkerrecht der neuen Situation anzupassen.95 Im Rahmen dieser Prozesse wurden Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Ausrottung und Deportationen der Zivilbevölkerung geahndet. Es saßen vor allem führende Repräsentanten des Hitlerstaats auf der Anklagebank, wo von den 22 Angeklagten 12 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. In den weiteren Verfahren von alliierten Gerichten gab es bis 1948 688 Todesurteile, von denen in etwa 500 vollstreckt wurden.96

Wesentlichen Einfluss auf die Umsetzung der alliierten Nachkriegspläne für Deutschland hatte das Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945, in dem man sich darauf einigte, Deutschland vollständig zu besetzen, um die Kontrolle über die gewünschte Neuordnung zu behalten. Die Vergangenheitspolitik war von der Einleitung einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über die politische und moralische Schuld Deutschlands flankiert. Reifenberger sieht hierin eine didaktische Struktur, die sich wie eine moderne pädagogische Zieltaxonomie, übertragen auf eine gesamte Gesellschaft, liest.97 Im Potsdamer Abkommen scheinen zudem alle Faktoren und Themen auf, die im Umgang mit dem Nationalsozialismus in den folgenden Jahrzehnten eine Rolle spielten. Es enthielt beispielsweise eine strukturelle Matrix der Vergangenheitsbewältigung, die das Nachkriegsdeutschland wesentlich konstituieren und prägen sollte. Doch auch die Unzulänglichkeiten und Begrenzungen politischen Handelns

93 Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung, S. 79. 94 Vgl. Helmut König: Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik. am Main: Fischer Verlag 2003, S. 172. 95 Vgl. Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung, S. 81. 96 Vgl. Manfred Kittel: Die Legende von der „Zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewältigung in der Ära Adenauer. Berlin, Frankfurt am Main: Ullstein 1993, S. 29. 97 Vgl. Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung, S. 87. 28 zeigten sich in diesem ersten großen Projekt der Vergangenheitsbewältigung, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Interpretationen durch unterschiedliche Weltbilder.98

Nach der Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen gingen die Wege im Bereich der Vergangenheitsbewältigung auseinander. Die sowjetische Besatzungsmacht sah die Dezentralisierung und Auflösung politischer und wirtschaftlicher Machtkonzentrationen sowie die politische Kontrolle der Wirtschaft als die wichtigsten Voraussetzungen, die Wiederholung der Vergangenheit unmöglich zu machen, während die westliche Seite eine liberale, demokratische und sozialstaatliche Republik anstrebte.99 Auch die Idee der Menschenrechte wurde im Zuge dieser ersten Phase der Vergangenheitsbewältigung geboren, wenngleich sie in den Überlegungen der Anti-Hitler-Koalition zunächst nur eine marginale Rolle spielte, da sie nur am Rande erwähnt wurde und keinen verbindlichen Charakter hatte. Die Idee der Menschenrechte entwickelte freilich eine ungeahnte globale Eigendynamik.100 Sie sollte im weiteren Verlauf einen wichtigen historischen Kontext für die Vergangenheitsbewältigung darstellen, als mit der Menschenrechtserklärung von 1948 die jahrhundertelange Tradition des Schweigens über die im Krieg begangenen Verbrechen und der Durchsetzung kurzsichtiger Eigeninteressen und Rachegedanken gebrochen wurde.101

Trotz der Beendigung des nationalsozialistischen Regimes waren die alten personellen und mentalen Strukturen allerdings nicht beseitigt, denn die alten ideologischen Streitpunkte sowie das Weltbild des Nationalsozialismus konnten nicht über Nacht verschwinden, weswegen sich schon vor der Gründung der Bundesrepublik eine Abneigung gegen die Entnazifizierungspolitik der Alliierten abzeichnete, was nach Reifenberger auf „das Fehlen eines allgemeinen Unrechtbewusstseins vom verbrecherischen Charakter des NS-Regimes“102 zurückzuführen ist. So wurde in der Zeit unter Konrad Adenauer eine Doppelstrategie verfolgt, indem sich die politische Öffentlichkeit einerseits vom alten Regime distanzierte, doch duldete man andererseits das zivilgesellschaftliche Schweigen über die Vergangenheit und hochrangige NS-Täter und Parteifunktionäre wurden durch staatliche und juristische Amnestien wieder integriert. Doch diese Amnestien bestärkten die weit verbreitete Neigung der Bevölkerung, das NS-Regime mit seinem Eroberungskrieg auszublenden.103

98 Vgl. Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung, S. 88. 99 Vgl. ebda., S. 89. 100 Vgl. ebda., S. 91. 101 Vgl. ebda., S. 99. 102 Ebda., S. 108. 103 Vgl. ebda., S. 108. 29 Durch den Verzicht auf die Bestrafung einiger NS-Täter und das Beschweigen der Verbrechen wurden wesentliche Vorgaben des Potsdamer Abkommens konterkariert, was auch Inhalt der Restaurationsphase der Adenauer-Ära werden sollte. Es trat ein Problem zutage, das auch den folgenden Vergangenheitsbewältigungen innewohnte und bis heute nicht gelöst ist, und zwar die Frage, wie vollständig eine Vergangenheitsbewältigung im Hinblick auf die Täter und Eliten vergangener Unrechtssysteme überhaupt sein und was sie leisten kann.104 So beschränkte sich in den folgenden Jahrzehnten die Vergangenheitspolitik der Bundesrepublik vor allem auf die Ächtung nationalsozialistischer Ideen, die Verurteilung des Völkermordes an Juden und Jüdinnen und die Entmilitarisierung der Gesellschaft.105

Erst Anfang der 1960er Jahre veränderte sich das Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit gegenüber der jüngsten Vergangenheit. Einerseits war es die Studentenbewegung, die erneut den Umgang mit den Verbrechen der alten Eliten scharfer Kritik unterzog, andererseits rückten der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 und der Auschwitz-Prozess 1965 den organisierten Massenmord an Juden und Jüdinnen ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit. So folgte auf die erste Phase des Beschweigens eine Phase der Aufarbeitung, in der die Ursachen des Nationalsozialismus, die Verantwortlichkeit nicht nur der direkten Täter, sondern auch der MitläuferInnen und derjenigen, die geschwiegen hatten, öffentlich behandelt wurden.106 Vor allem in den 1960er Jahren wurden von der studentischen Generation Fragen an Eltern, WissenschaftlerInnen, Kirchenleute, UnternehmerInnen, Soldaten, PolitikerInnen und weitere Gruppen gestellt, was ihre Rolle im Dritten Reich war und warum sie die NS- Verbrechen zugelassen haben.107

In dieser Zeit begann nicht zuletzt wegen der alliierten Aufklärung, ausländischen Drucks und des theoretischen Einflusses jüdischer Intellektueller die „bis heute anhaltende ‚lange Welle‘ der öffentlichen Kultur der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust, der Kultur der ‚Vergangenheitsbewältigung‘“.108 Die Täter, Mittäter und Opfer des Holocaust rückten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dokumentarserien und Spielfilme zeigten das Alltagsleben der NS-Jahre in Konzentrationslagern, Biographien führender Nationalsozialisten und ähnliche Themen. In diesen Jahren wurde zudem die NS-Vergangenheit das allgegenwärtige Thema politischer Kommunikation.109 Vergangenheitsbewältigung mutierte zu einem Gattungsbegriff für jeglichen Umgang mit Diktaturen und den Umgang mit den Hinterlassenschaften

104 Vgl. Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung, S. 109-110. 105 Vgl. ebda., S. 110. 106 Vgl. ebda., S. 110-111. 107 Vgl. ebda., S. 114. 108 Ebda., S. 119. 109 Vgl. ebda., S. 119. 30 vorhergehender Gewaltherrschaften. Es kam zu einer weltweiten Beschäftigung mit der eigenen Gewaltgeschichte.110

Die Jahrzehnte zwischen 1970 und 2000 waren weltweit durch politische Umbrüche geprägt, wodurch viele diktatorische Gewalt- und Militärherrschaften zu Ende gingen, die wiederum meist in liberale Verfassungsdemokratien transformiert wurden. In diesen Verläufen wurden Bewältigungsverfahren angewendet, die bereits während des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurden. In dieser Zeit rückten außerdem die europäischen Juden und Jüdinnen ins Zentrum der Geschichtserzählung im Kontext des Holocaust; zuvor wurde die Geschichte des Massenmords an den Juden häufig beschwiegen und sie bekam erst jetzt einen angemessenen geschichts- und gedenkpolitischen Stellenwert.111

Dieser kurze Exkurs in die Geschichte der Vergangenheitsbewältigung sollte zeigen, dass dieser Begriff sehr umfassend ist. Er reicht von der Entstehung neuer Rechtsvorstellungen, vom Systemwechsel und möglichen Konfliktursachen bis hin zum Streben nach einer Unwiederholbarkeit von Gewalt.112 Am Ende des Zweiten Weltkriegs stand bei den deutschsprachigen Historikern vor allem der Nationalsozialismus im Zentrum des Interesses im Zuge der Beschäftigung mit Vergangenheitsbewältigung, in den 1980er Jahren lag der Fokus auf dem deutschen Nachkriegsumgang mit dem Dritten Reich und schließlich begann man sich mit allen politischen, wissenschaftlichen und ästhetischen Äußerungen und Entscheidungen auseinanderzusetzen, die sich auf historische Ereignisse bezogen.113 Auch heute liegt das Hauptaugenmerk nach Reifenberger nach wie vor auf dem Umgang mit Gesellschafts- und Staatsverbrechen, deren Beendigung und möglichen Wegen eines Neuanfangs. Doch die Kernfrage, welche Ziele diese Prozesse verfolgen oder verfolgen sollten, wurde bislang nicht zufriedenstellend beantwortet.114

Da Geschichtswissenschaftler und Geschichtswissenschaftlerinnen vielfältigen Einflüssen ausgesetzt sind, beispielsweise einer privaten Projektfinanzierung, sind sie nicht frei von politischen Normierungen, die ihre Perspektive beeinflussen könnten. Daher konzentrierte sich die NS-Forschung der letzten 20 Jahre stark auf die Bewältigungsgeschichte und die Aufarbeitung von Verbrechen, da politische Kampagnen dies forcierten.115 Nach Reifenberger ist diese Beschäftigung angesichts weltweiter Trends nachvollziehbar, sie birgt aber die

110 Vgl. ebda., S. 121. 111 Vgl. ebda., S. 190-191. 112 Vgl. ebda., S. 217. 113 Vgl. ebda. 114 Vgl. ebda., S. 218. 115 Vgl. ebda., S. 220. 31 Gefahr in sich, die Analyse der Ursachen zu vernachlässigen, weswegen Dirk Schmaler davor warnt, „die Wahrnehmung der nationalsozialistischen Vergangenheit durch den vorgeblich erfolgreichen Umgang mit ihr zu ersetzten“.116

Es lässt sich kaum sagen, woran sich Vergangenheitsbewältigung festmachen lässt, seien es Demokratie, Systemwechsel, Austausch belasteter Eliten, Sühne und Wiedergutmachung oder Verwirklichung der Menschenrechte. Ihr Umgang, ihre Tiefe und Nachhaltigkeit lassen sich nicht genau bestimmen, genauso wenig, was sie leisten kann und wo ihre Grenzen liegen.117 Aus diesem Grund vertritt Reifenberger die Ansicht, den Begriff ohne viele Vorbedingungen als „Bewältigung der Hinterlassenschaft der Vergangenheit“118 zu definieren. Diese Ansicht wird auch im Rahmen dieser Diplomarbeit übernommen. Das folgende Kapitel geht nun noch genauer auf die österreichische Vergangenheitsbewältigung ein, da sie für diese Arbeit die eigentlich relevante darstellt.

3.2 Vergangenheitsbewältigung in Österreich Dass Vergangenheitsbewältigung teilweise sehr individuell verlaufen kann, wurde im letzten Kapitel bereits erwähnt, weshalb im Folgenden der spezifisch österreichische Weg, der vor allem durch den jahrzehntelang anhaltenden Opfermythos Österreichs geprägt war, skizziert wird. In der Forschung wurde dies bereits breit thematisiert, sodass sich eine Fülle an Literatur findet, die Österreichs Umgang mit seiner NS-Vergangenheit behandelt.

In Österreich gab es nach Doron Rabinovici bei der Vergangenheitsbewältigung einen wichtigen Unterschied zu anderen Ländern. Während in den 1960er Jahren, wie im vorherigen Kapitel erwähnt, beispielsweise in Deutschland viele unangenehme Fragen von StudentInnen an ihre Eltern hinsichtlich ihrer Rolle im Nationalsozialismus gestellt wurden, kam es in Österreich zu wenig Kritik seitens der jungen Generation. Die ältere Generation gab an, sich nicht am Nationalsozialismus beteiligt zu haben, was in anderen Ländern wohl als Bekenntnis einer Unterlassungsschuld gewertet worden wäre, doch in Österreich galt dies als Rechtfertigung und Freispruch, sogar als Beleg der These, das erste Opfer Hitlers gewesen zu

116 Vgl. Rainer Blasius: Umgang kontra Wahrnehmung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.02.2013. URL: https://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/politik/politische-buecher/dirk-schmaler-die- bundespraesidenten-und-die-ns-vergangenheit-zwischen-aufklaerung-und-verdraengung-umgang-kontra- wahrnehmung- 12083883.html?fbclid=IwAR3vPJGc1YbbGNaMdKXlahNtew6YrimB1o7pL_IaGxQ58yAB0Xpref-LWeU [08.08.2020]. Vgl. Reifenberger: Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung, S. 220. 117 Vgl. ebda. 118 Vgl. ebda., S. 231. 32 sein.119 Im Nachkriegsösterreich lautete die vorherrschende These, die alten Zeiten auf sich beruhen zu lassen und nicht von österreichischen Verstrickungen in die großdeutsche Vergangenheit zu reden. Der existierende Antisemitismus durfte ebenfalls nicht zum Thema gemacht werden.120

Als weiteren wesentlichen Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland nennt Rabinovici die Tatsache, dass die Alliierten lediglich versuchten, Österreich umzuorientieren und die Entnazifizierung spätestens 1948 mit Ausbruch des Kalten Krieges abgebrochen wurde.121 Meinrad Ziegler geht davon aus, dass in Österreich die eigene NS-Vergangenheit kaum in das soziale Denken einging und das Geschichtsbild, das Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus zeichnete, dazu neigte, die Erwartungen Österreichs an den Nationalsozialismus aus der Geschichte auszublenden. Nur die Erwartung nach der Beseitigung der Arbeitslosigkeit blieb erinnerungsfähig, denn wer sich in solch einer üblen Lage opportunistisch verhielt, durfte auf allgemeines Verständnis hoffen. Dadurch wurde die NS-Zeit eine Erfahrung, die einem zugestoßen ist, und nicht zu einer, die man begangen hat.122 Aus diesem Grund ist der Opportunismus, der sich bei den österreichischen Fußballvereinen bereits zeigte, nachvollziehbar, da er zum Zeitgeist der österreichischen Bevölkerung passte. Auch Ziegler sieht als wesentlichen Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland den großen kollektiven Handlungsdruck, da die Verhaltensweise des Mitlaufens potenziell unter Rechtfertigungszwang stand, während in Österreich Anpassung aus Zwang oder Opportunismus in der Opfergemeinschaft von 1945 und danach als nicht überdenkenswert galten. So beschreibt Ziegler Österreichs Umgang mit der NS- Vergangenheit in diesen ersten Jahrzehnten als reflexionslos, aber nicht als eine komplette Verdrängung der Vergangenheit.123

Hubertus Czernin merkt ebenfalls an, dass sich der überwiegende Teil der Wehrmachtsgeneration in völliger Verkennung der historischen Wirklichkeit nicht als maßgebliche Stütze des Nationalsozialismus verstand, sondern als dessen Opfer. Einer dieser Personen war Kurt Waldheim, Bundespräsident Österreichs zwischen 1986 und 1992, der sich

119 Vgl. Doron Rabinovici: Aktion und Artikulation. Das Bestehen des Republikanischen Clubs. In: Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986. Hrsg. von: Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici und Sibylle Summer. Wien: Löcker 2009, S. 12. 120 Vgl. ebda., S. 14. 121 Vgl. ebda. 122 Vgl. Meinrad Ziegler: Gedächtnis und Geschichte. In: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Hrsg. von: Meinrad Ziegler und Waltraud Kannonier-Finster. Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag 2016, S. 90. 123 Vgl. ebda., S. 92. 33 eben nicht als Stütze des NS-Regimes sah.124 Die Debatte, die aus seiner Kandidatur für das Bundespräsidentenamt 1986 entbrannte, wird heute in der Forschung als „Waldheim-Affäre“ bezeichnet, die Österreich erstmals öffentlich zu einer reflektierten Auseinandersetzung mit seiner NS-Vergangenheit zwang. Doch schon zuvor zeigten sich die ersten Risse im öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit, als 1978 ein politisch-historisches Aufklärungsprojekt des Schulfunkprogramms den enormen Gegensatz zwischen der Darstellung des NS-Regimes in Büchern und Filmen einerseits und andererseits jener der mündlichen Überlieferung, in der selbst 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer über positive Auswirkungen des Nationalsozialismus gesprochen wurde, zutage förderte.125

Unter dem Titel ihres ersten Kapitels Das Jahr 1986 als Ende der Fiktion einer bewältigten Vergangenheit beschreibt Heidemarie Uhl die Situation dieses Umbruchjahres der österreichischen Vergangenheitsbewältigung sehr pointiert, denn erst durch Kurt Waldheims bekannte Äußerung über die Pflichterfüllung im Zweiten Weltkrieg offenbarte sich „die Kluft zwischen offizieller Darstellung der österreichischen NS-Vergangenheit und der subjektiven Geschichtserfahrung vieler Österreicher“.126 Waldheims Wahl zum Bundespräsidenten sprengte die Geschichtsbilder der österreichischen Politik auf; zum ersten Mal fand eine breite Auseinandersetzung mit Österreichs Vergangenheit statt.127 Den österreichischen HistorikerInnen zeigte die Wahl auf, dass ihr Versuch der Aufklärung über die NS-Zeit wenig bis gar keine Wirkung gezeigt hatte.128 Nach Gerhard Botz gab es auch Stimmen der Erleichterung über die Beseitigung der auf Lebenslügen basierenden vorgeblichen Vergangenheitsbewältigung und über die Chance auf einen Neubeginn mit einer Auseinandersetzung, durch die der Fall Waldheim zu einem Klärungsprozess werden könnte.129 Laut Botz liegt das eigentliche Problem der österreichischen Vergangenheitsbewältigung nicht ausschließlich in der strafrechtlichen Verfolgung potenzieller österreichischer Kriegsverbrecher, sondern eher darin, dass Personen, die damals verbrecherischen Taten nahestanden, nicht vor Augen geführt wurde, in welchen

124 Vgl. Hubertus Czernin: Einleitung. In: 1986. Das Jahr, das Österreich veränderte. Hrsg. von: Barbara Tóth und Hubertus Czernin. Wien: Czernin Verlag 2006, S. 20. 125 Vgl. Heidemarie Uhl: Von „Endlösung“ zu „Holocaust“. In: Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20. Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21. Jahrhunderts. Innsbruck: Studienverlag 2003, S. 153. 126 Heidemarie Uhl: Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs historische Identität fünfzig Jahre nach dem „Anschluss“. Wien et al.: Böhlau 1992, S. 16. 127 Vgl. ebda. 128 Vgl. Gerhard Botz: Österreich und die NS-Vergangenheit. Verdrängung, Pflichterfüllung, Geschichtsklitterung. In: Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit. Hrsg. von: Dan Diner. Frankfurt am Main: Fischer 1987, S. 141. 129 Vgl. ebda. 34 Verstrickungen sie sich damals befunden hatten. Für Botz kann Vergangenheitsbewältigung nur heißen, das Vergangene nicht zu vergessen.130

Nach 1988 ließ sich allmählich eine Abkehr von dem nun 40 Jahre anhaltenden Opfermythos Österreichs erkennen; laut Botz gab man die Verantwortung für die Täterschaft Österreichs im Nationalsozialismus zwar mehr oder weniger zu, doch den staatsrechtlichen Opfer-Status wollte man dennoch nicht vollkommen aufgeben. Diese modifizierte Opfer-These, auch Mitverantwortungsthese genannt, differenzierte sich politisch zwischen den Links- und Rechts-Polen. Dieses „Sowohl-Täter-als-auch-Opfer-Bild“ sprach für die Entstehung einer generationsübergreifenden, verschiedene politische Richtungen umfassenden nationalen Erinnerungsgemeinschaft, die sich kritisch mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzte.131

Nach der Jahrtausendwende, genauer gesagt 2008, ist die Berufung auf die Opferthese nach Uhl bereits ein „Argument aus dem Museum der Nachkriegsmythen“.132 Seit den 1980er Jahren entwickelte sich mit dem „negativen Gedenken“133 eine neue Erinnerungskultur mit der historischen Schuld von Nationen als zentraler Aspekt. Die kritische Auseinandersetzung mit der verdrängten NS-Vergangenheit wurde zur Maxime der politischen Kultur, was eine Vielzahl von Medienberichten, Veranstaltungen und Ausstellungen deutlich macht. Heute ist es geschichtspolitischer Konsens, dass die österreichische Gesellschaft 1938-1945 eine Mitverantwortung an den Verbrechen des NS-Regimes zu tragen hat.

Dieses Kapitel zeigt, dass Österreichs Weg zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit ein sehr langer war. Während heute Politik, Medien, Schule etc. auf die Mitverantwortlichkeit im Nationalsozialismus verweisen und daran in unterschiedlichster Art und Weise zu erinnern versuchen, war die Zeit zwischen 1945 und 1988 geprägt durch Schweigen und Beharren auf Österreichs Opfer-Rolle im Zweiten Weltkrieg. Auch Österreichs Fußballvereine haben lange geschwiegen, doch in den letzten Jahren erschienen immer mehr Werke, mit denen einzelne Vereine versuchten, den Nationalsozialismus aus der Sicht des jeweiligen Vereins zu beschreiben. Wie diese Aufarbeitung der Vergangenheit aus der Perspektive des österreichischen Fußballsports aussieht, wird nun im folgenden Kapitel beschrieben.

130 Vgl. Gerhard Botz: Verdrängung, Pflichterfüllung, Geschichtsklitterung: Probleme mit der NS- Vergangenheit. In: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Hrsg. von: Gerhard Botz und Gerald Sprengnagel. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008, S. 99-100. 131 Vgl. Gerhard Botz: Die „Waldheim-Affäre“ als Widerstand kollektiver Erinnerungen. In: 1986. Das Jahr, das Österreich veränderte. Hrsg. von: Barbara Tóth und Hubertus Czernin. Wien: Czernin Verlag 2006, S. 83. 132 Heidemarie Uhl: Abschied von der Opferthese. In: Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986. Hrsg. von: Brigitte Lehmann, Doron Rabinovici und Sibylle Summer. Wien: Löcker 2009, S. 59. 133 Ebda., S. 61. 35 3.3 Vergangenheitsbewältigung der österreichischen Fußballvereine Bislang wurden die Geschichte des österreichischen Fußballsports in der NS-Zeit sowie der Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ allgemein und jener spezifisch österreichische Weg der Vergangenheitsbewältigung beschrieben. Dieses Kapitel führt die Theorie der Vergangenheitsbewältigung mit der Geschichte des österreichischen Fußballsports zusammen, um darzulegen, wie und ob eine Vergangenheitsbewältigung der Traditionsvereine stattgefunden hat. Zudem sind in diesem Kapitel Überlegungen darüber beschrieben, was Fußballvereine speziell im Bereich der Vergangenheitsbewältigung leisten könnten, welche Aufgaben sie hätten und welche Dimensionen man sich von Vereinsseite aus erwarten könnte. Anhand dieser Überlegungen wird ein Kriterienkatalog erstellt, anhand dessen im folgenden analytischen Teil dieser Arbeit die gelungene oder nicht gelungene Vergangenheitsbewältigung der ausgewählten Fußballvereine diskutiert wird.

Es wurde bereits beschrieben, dass sich die österreichischen Fußballvereine im Lauf der Geschichte sehr opportunistisch verhielten. Während der NS-Zeit wurden ranghohe Nationalsozialisten in die Vereinsführungen aufgenommen und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs passten sich die Vereinsführungen der neuen politischen Gesinnung an. Doch es gab auch vor allem in der Steiermark Aktionen des „vorauseilenden Gehorsams“ am Vorabend des „Anschlusses“ Österreichs an Deutschland, weswegen von einer rein opportunistischen Haltung zum NS-Regime nicht auszugehen ist. Auch der Umgang mit dem Nationalsozialismus in den Jahren nach dem NS-Regime spiegelte den Umgang der österreichischen Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus wider: Der erste Wettbewerb mit dem Titel „Befreiungspokal“ kann durchaus mit dem österreichischen Opfermythos verglichen werden, wonach man als Opfer vom Nationalsozialismus befreit wurde. Auch beim Umgang mit ehemaligen NSDAP-Vereinsmitgliedern und hohen Funktionären lassen sich Ähnlichkeiten erkennen. So waren sowohl öffentliche Ämter in Österreich als auch Vereinsämter in den Fußballvereinen vom Entnazifizierungsprogramm der Alliierten betroffen, doch nach wenigen Jahren wurden ehemalige Mitglieder der NSDAP auf staatlicher Ebene in die Gesellschaft wieder eingegliedert und auf Vereinsebene setzten sich viele unbelastete Funktionäre für die Wiederaufnahme ehemaliger NSDAP-Mitglieder ein. Der österreichische Fußballsport ist demnach ein sehr repräsentativer Spiegel der österreichischen Gesellschaft, weshalb es nachvollziehbar ist, dass es in den folgenden Jahrzehnten im österreichischen Fußballsport hinsichtlich seiner NS-Vergangenheit ruhig war und dieser Abschnitt der Geschichte häufig ausgeblendet wurde, denn genau den gleichen Umgang mit der eigenen Vergangenheit praktizierte die Mehrheit der österreichischen Gesellschaft.

36 In Österreich kamen erst mit der „Waldheim-Affäre“ Prozesse in Gang, in denen die österreichische Gesellschaft ihre Rolle im Nationalsozialismus kritisch zu hinterfragen begann, wodurch eine Erinnerungs- und Wiedergutmachungskultur entstand. Die wesentlichen Punkte einer erfolgreichen Vergangenheitsbewältigung sind heute das Eingeständnis der Schuld oder Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus, das Erinnern an diesen Abschnitt der Geschichte sowie die Aufgabe, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, um solche Geschehnisse unwiederholbar zu machen.

In den letzten Jahren ist in der Forschung ein Trend zu erkennen, in dem sich immer kleinere Institutionen mit der Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit auseinandersetzen und hierfür nicht selten anerkannte HistorikerInnen zur Unterstützung heranziehen. Auch im Fußballsport ist dieser Trend längst angekommen, weswegen sich Vereine wie Rapid Wien, Austria Wien, aber auch viele steirische Vereine auf wissenschaftlicher Ebene mit der eigenen Rolle im Nationalsozialismus befasst haben. Der noble Grund einer solchen kritischen Auseinandersetzung ist das Ziel, Leerstellen in der Geschichte zu füllen, die Anhänger des eigenen Vereins aufzuklären und somit einer Wiederholung der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs vorzubeugen. Doch auch viel opportunistischere Gründe kämen hier infrage, zum Beispiel das eigene öffentliche Image zu pflegen, anderen Vereinen hinsichtlich der öffentlichen Arbeit nicht hinterherzuhinken oder öffentlicher und politischer Druck. Die Frage nach dem „Warum“ der Aufarbeitung der Vergangenheit seitens der Fußballvereine wird sich wahrscheinlich nicht mit Sicherheit beantworten lassen, da eine sehr homogene Antwort zu erwarten ist. Aus diesem Grund ist die Frage nach dem „Wie“ der Vergangenheitsbewältigung im Rahmen dieser Arbeit wesentlich relevanter. Im Zuge der Analyse der einschlägigen Werke werden deshalb folgende Kriterien untersucht, um im Anschluss daran einen Vergleich zwischen den Vereinen anstellen zu können:

1. Stellt der Verein seine Geschichte vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg ausführlich und lückenlos dar?

2. Erfolgt eine Einräumung von Schuld und Mitverantwortung am Nationalsozialismus oder gesteht man sich lediglich eine opportunistische Haltung ein?

3. Wird die Aufarbeitung der Vergangenheit mit der Veröffentlichung einer Studie als abgeschlossen betrachtet oder gibt es eine weiterführende Beschäftigung mit der Vergangenheit?

37 Anhand dieser Kriterien kann eine gelungene oder nicht gelungene Vergangenheitsbewältigung unter Berücksichtigung der Möglichkeiten, welche die Vereine in diesem Bereich haben, beschrieben werden. Sie decken grob die Zielsetzungen moderner Vergangenheitsbewältigung ab und greifen dabei auch den Trugschluss auf, dass man seine Vergangenheit final bewältigen könne, obwohl dies ein Prozess ist, der nicht abgeschlossen werden kann. Die folgende Analyse der Werke wird sich demnach an diesem Kriterienkatalog orientieren und strukturieren, indem die jeweiligen Kriterien separate Unterkapitel darstellen, um diese besser miteinander vergleichen zu können.

Zu Beantwortung der Frage, welche Aufgaben und Möglichkeiten österreichische Fußballvereine im Bereich der Aufarbeitung der NS-Zeit haben, gelang es im Rahmen dieser Arbeit, die Expertenmeinungen zweier führender Wissenschaftler in diesem Themenbereich einzuholen. Mit Dr. Georg Spitaler, der unter anderem an der Studie des SK Rapid Wien „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ sehr stark beteiligt war, konnte ein ausführliches telefonisches Interview geführt werden. Antworten zur selben Frage erhielt ich per E-Mail zudem von Dr. Matthias Marschik, der wiederum ein Mitverfasser der Studie des FK Austria Wien war. Auf die Frage, warum sich österreichische Fußballvereine im Allgemeinen mit ihrer (nationalsozialistischen) Geschichte auseinandersetzen sollten, verwies Spitaler einerseits auf die große Anhängerschaft, die viele österreichische Traditionsvereine haben. Diese Anhänger seien sehr an der Geschichte ihres Vereins interessiert, wodurch eine solche Studie eine große Zahl an Menschen erreicht. Aber auch kleinere Vereine haben häufig einen sehr harten Kern an Anhängern und Vereinsmitgliedern, die sich ebenfalls für eine solche Studie interessieren. So erreicht der Sport mit Themen wie Identitätspolitik oder Vergangenheitspolitik oft Menschen, die von sich meinen könnten, sie seien unpolitisch oder politisch nicht interessiert, was aber nicht bedeutet, dass sie sich nicht für Fragen des Sports interessieren, die durchaus als politisch zu betrachten sind.134 Nach Marschik lohnt sich ein Blick in die gesamte Geschichte des Vereins in jedem Fall, da dadurch viele Fragen, die sich aktuell auftun, relativiert werden können. Zudem prägten diese Vereine seit über einem Jahrhundert die Alltagskulturen in Österreich mit, weswegen es für sie wesentlich ist, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.135

Die zweite Frage bezog sich darauf, welche österreichischen Fußballvereine sich mit ihrer NS-Vergangenheit auseinandersetzen sollten, wonach sich auch die spätere Analyse ausgewählter Vereine richtet. Spitaler meint hierzu, es sei generell wichtig, sich mit der

134 Siehe Anhang, Interview mit Georg Spitaler. 135 E-Mail-Auskunft von Matthias Marschik vom 22.07.2020. 38 eigenen Geschichte zu befassen, sofern es die Quellenlage ermöglicht. So sei auch für kleinere Klubs, die in der NS-Zeit keine wichtige Rolle spielten, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vor allem für die Regionalgeschichte, aber auch für die Menschen aus der unmittelbaren Region interessant.136 Es lässt sich hier also festhalten, dass Spitaler der Ansicht ist, es sei gerade für Vereine mit einer großen Anhängerschaft wichtig, sich mit der Vereinsgeschichte auseinanderzusetzen, da man sehr viele Personen damit erreicht, die aufgrund ihrer Anhängerschaft ein natürliches Interesse am Verein haben, wodurch sie sich auch für Themen wie Vergangenheitspolitik interessieren, wenngleich manche meinen, sie seinen eher unpolitisch. Aber auch nach unten hin sieht Spitaler keine Grenze, da selbst kleinere Vereine mit einer Studie zu ihrer Vereinsgeschichte immer einen Mehrwert für die Regionalgeschichte produzieren würden und die in der Region lebenden Menschen ein natürliches Interesse an dieser Vereinsgeschichte hätten.

Die dritte und letzte Frage bezog sich darauf, was Vereine mit den aus einer solche Studie gewonnenen Informationen anfangen sollen und können. Spitaler meint hierzu, dass die Vereinshomepage ein sehr guter Ort ist, diese Informationen zu präsentieren, dass sich jedoch auch vereinsnahe Publikationen wie Vereinszeitschriften hierfür anbieten oder eine Vereinsveranstaltung, die die Erkenntnisse der Studie präsentiert. Viele kleinere Vereine haben natürlich kein eigenes Vereinsmuseum, doch man könnte neben einer Pokalvitrine Objekte oder Schriften aus der Vergangenheit, die man gefunden hat, präsentieren und kommentieren.137

Aufgrund der Einschätzungen der beiden Experten erscheint es für die Analyse der Vereine notwendig, sich mit vielen unterschiedlichen österreichischen Fußballklubs zu befassen. Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, werden aber in erster Linie jene Vereine betrachtet, die bereits eine Studie zu ihrer NS-Vergangenheit veröffentlicht haben. Zudem werden weitere Vereine aus der 1. und 2. Österreichischen Bundesliga dahingehend untersucht, ob sie sich mit ihrer Geschichte überhaupt befasst haben, indem vor allem die jeweiligen Vereinshomepages ausgewertet wurden.

136 Siehe Anhang, Interview mit Georg Spitaler. 137 Ebda. 39 4 Analyse der ausgewählten Werke der österreichischen Fußballvereine In diesem Kapitel erfolgt nun, wie eingangs angekündigt, eine Analyse der drei ausgewählten Werke von österreichischen Fußballvereinen im Hinblick auf einen Mehrwert für die österreichische Vergangenheitsbewältigung. Die Kapitel beginnen jeweils mit einer äußeren Quellenanalyse, die beschreibt, wer das Werk herausgegeben hat, von wem es finanziert wurde, wann es erschienen ist und welche HistorikerInnen daran beteiligt waren. Zudem wird der Aufbau des jeweiligen Werkes kurz beschrieben, um im Anschluss daran im ersten Kapitel beurteilen zu können, ob es zu einer lückenlosen Darstellung der Vereinsgeschichte vor und während des Nationalsozialismus gekommen ist. Das folgende Kapitel untersucht die eingangs erwähnte These, dass manche Vereine sich mehr als andere hinter dem latenten Opportunismus während der NS-Zeit verstecken könnten. Hierfür wird vor allem darauf geachtet, ob die analysierte Vereinsstudie Eingeständnisse einer Mitschuld trifft und alle unschönen Aspekte behandelt. Im letzten jeweiligen Kapitel wird die Anwendung der Studie untersucht, das heißt, wie der Verein die aus der Studie gewonnenen Informationen und Erkenntnisse präsentiert und ob es noch weitere vergangenheitspolitisch relevante Aktionen seitens des Vereins gibt.

4.1 Rapid Wien – „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ Als erster österreichischer Fußballverein überhaupt beschäftigte sich der SK Rapid Wien ab dem Jahr 2009 mit seiner Rolle im Nationalsozialismus und leistete somit eine Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Da Rapid Wien im Bereich der Aufarbeitung der Vergangenheit die ersten Zeichen setzte, beginnt diese Arbeit mit diesem Verein.

Auf eine direkte Anfrage an den SK Rapid Wien erhielt ich die Information, dass Rapid anlässlich seines 110. Geburtstags 2009 ein Freundschaftsspiel gegen den FC Schalke 04 organisierte, wodurch viele Vergleiche und Erinnerungen an das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1941 aufkamen. Jakob Rosenberg und Georg Spitaler nahmen den teils unreflektierten Umgang mit der Vergangenheit zum Anlass, einen Brief an den damaligen Rapid-Präsidenten Rudolf Edlinger zu schreiben und eine Aufarbeitung der Geschichte von Rapid Wien im Nationalsozialismus vorzuschlagen. Rudolf Edlinger veranlasste diese Studie in weiterer Folge und schloss eine Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ab, dessen Präsident er damals ebenfalls war und bis heute ist. Im Zuge dieser Kooperation wurde ein Forschungsteam zusammengestellt. Während

40 zunächst bloß eine rein interne Studie geplant war, erschien diese dem Team, den handelnden Personen des SK Rapid Wien sowie des DÖW als so wichtig, dass sie dann im Frühjahr 2011 publiziert wurde.

Finanziert wurde das Projekt direkt vom SK Rapid Wien und vom DÖW, wobei zumindest ein Rapid-Sponsor die Studie ebenfalls finanziell unterstützte.138

Eine wesentliche Frage, die auch einen Anteil daran hatte, dass es zu dieser Studie des SK Rapid Wien kam, lautete, ob der Sportklub tatsächlich stolz auf den Titel des „Großdeutschen Fußballmeisters“ 1941 sein könne, der unter dem NS-Regime errungen wurde.139 Der damalige Rapid-Präsident Edlinger schrieb hierzu, dass die sportlichen Leistungen der beteiligten Spieler ohne Einschränkung zu würdigen sind.140

4.1.1 Darstellung der NS-Zeit in „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ Dieses Kapitel geht der Frage nach, ob die Darstellung der Geschichte Rapid Wiens speziell während der Zeit zwischen 1938 und 1945 als lückenlos zu bezeichnen ist oder ob es eventuell Aspekte gibt, die in der Studie übersehen oder ausgespart wurden.

Bereits das vom damaligen Präsidenten Rapid Wiens verfasste Vorwort wirft eine zentrale Frage auf, die im gesamten Werk immer wieder behandelt wird, nämlich, ob Rapid Wien heute in der Retrospektive stolz auf den Titel „Großdeutscher Fußballmeister“ 1941 sein dürfe; Edlinger antwortet auf diese Frage:

„Die sportlichen Leistungen der beteiligten Spieler sind ohne Einschränkung zu würdigen. Wir sind stolz darauf, dass sich Rapid dem Zugriff der Nazis weitgehend entziehen konnte und viele anständig geblieben sind. Aber wir bedenken selbstverständlich, dass dieser Erfolg unter den Bedingungen eines zu verurteilenden totalitären Regimes erzielt wurde, die auch den Sport beeinflussen.“141

Neben einem weiteren Vorwort verfasste der Sporthistoriker Matthias Marschik ein interpretierendes Vorwort, in dem er neben einigen Vorbemerkungen unter anderem den Aufbau des Buches vorstellt. Es gehe zunächst um Fakten und im Anschluss daran um Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik, also Mythen, die bis heute tradiert werden.142

Betrachtet man die in der Einleitung präsentierten Forschungsfragen des Projekts, so fällt auf, dass diese Studie ein sehr breites Spektrum abzudecken versuchte. Es reicht von

138 E-Mail Auskunft von Laurin Rosenberg vom 14.07.2020. 139 Vgl. Rosenberg, Spitaler: Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, S. 9. 140 Vgl. ebda., S. 10. 141 Ebda. 142 Vgl. ebda., S. 19. 41 Auswirkungen des NS-Regimes auf den Verein, der Suche nach Opfern und Tätern in den Reihen Rapids, der Rolle Rapids im Krieg über die Rolle des Vereins in den nationalsozialistischen Medien bis hin zur Frage nach der Einordnung des deutschen Meistertitels und den Auswirkungen der Befreiung 1945 auf den Verein.143 Eine weitere mögliche Forschungsfrage, die sich mir bei der Auseinandersetzung mit den Opfern und Tätern in den Reihen Rapids direkt stellte, lautet, ob es Bemühungen des Vereins gab, nach 1945 Kontakt zu geflüchteten und vertriebenen jüdischen Funktionären und Angehörigen aufzunehmen, doch darauf wird an späterer Stelle eingegangen.

Inhaltlich beginnt das Werk mit der sozialen und politischen Einordnung Rapids vor 1938. Es setzt sich hierbei mit Zuschreibungen Rapids als „Inbegriff eines in proletarischer Tradition stehenden Klubs“144 auseinander. Bereits hier wird gezeigt, dass der SK Rapid Wien selbst mit dem Ende der Demokratie in den Februarkämpfen 1934 in der Vereinsführung über personelle Kontinuität verfügte, ein Phänomen, dass sich auch bei den folgenden Regimewechseln erkennen lässt.145 Zudem geht dieses Kapitel sehr stark auf jüdische Funktionäre und Spieler bei Rapid ein, was zeigt, dass die später sehr populäre Erinnerung an Rapid als einen „arischen“ Verein schlichtweg falsch war, da in der Zwischenkriegszeit eine Reihe jüdischer Funktionäre und Spieler bei Rapid tätig war.146 Als Kritik bemerkt eine Rezension des KSV zur gesellschaftlichen Verortung Rapids in der Zwischenkriegszeit, dass sich die Studie zur Beantwortung dieser Frage nahezu ausschließlich auf jüdische Spieler und Funktionäre konzentriert. Zudem soll der politische und soziale Kontext der Spieler, Funktionäre und Anhänger ausgeklammert worden sein, und eben diese Auslassung der sozialen Stellung der Spieler und Anhängerschaft seitens Rapid sei methodisch zu bemängeln.147 Dieser Kritik des Rezensenten, der aber im Wesentlichen die Arbeit von Rosenberg und Spitaler lobt, stimme ich nur bedingt zu. Zwar ist es richtig, dass auf den sozialen und politischen Kontext der Anhängerschaft Rapids zu dieser Zeit nicht genauer eingegangen wird (dies wäre sicher ein interessanter Punkt), doch liegt diese Auslassung, falls man sie überhaupt als eine solche bezeichnen will, eher daran, dass eine genaue Bestimmung aufgrund der Quellenlage nicht mehr möglich ist und es sich daher bestenfalls um Mutmaßungen handeln würde. Auf die soziale Stellung der Funktionäre Rapids wird durchaus eingegangen, da erwähnt wird, dass auch Geschäftsleute, Unternehmer, Gastronomen,

143 Vgl. ebda., S. 28. 144 Ebda., S. 36. 145 Vgl. ebda., S. 39. 146 Vgl. ebda., S. 42. 147 Vgl. Rezension zu „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“. Erstellt am: 19.07.2011. URL: https://www.comunista.at/artikel/rezension-zu-grun-weis-unterm-hakenkreuz.html [07.08.2020]. 42 Journalisten und leitende Angestellte und Beamte unter Rapids Funktionären waren.148 Eine weitere Rezension des ORF hebt hingegen gerade diese Beleuchtung jüdischer Rapid-Spieler und Funktionäre hervor, die sich als eine bisher wenig bekannte Facette der Geschichte Rapids dargestellt, was den wissenschaftlichen Mehrwert widerspiegelt.149

In Kapitel 3 beschäftigen sich Rosenberg und Spitaler mit der Frage, welche Auswirkungen der „Anschluss“ 1938 auf den SK Rapid Wien hatte. Sie räumen eingangs ein, dass Rapid „von der langjährigen Positionierung als ‚bodenständiger‘ und ‚volkstümlicher‘ Verein“150 profitierte. Anhand einzelner Personen werden die Vertreibung und Ermordung jüdischer Rapidler beschrieben, ehe gezeigt wird, wie sich der Verein an die neue Zeit anpasste.

Im vierten Kapitel wird auf das Verhältnis Rapid Wiens zur NSDAP eingegangen, wobei eingangs dargestellt ist, dass die Aufnahmepolitik der NSDAP bis Kriegsende relativ restriktiv war.151 Dies erscheint insofern interessant, als Mitgliedschaften von Vereinsfunktionären bei der NSDAP sehr kritisch zu betrachten sind, da ein bloßer Antrag für eine Aufnahme oft nicht genügte. Vielmehr musste man nachweisen, dass man bereits vor dem „Anschluss“ eine besondere Nähe zur Partei gezeigt hatte, beispielsweise in Form von Spenden. Als Beispiel hierfür wird Josef Kalenberg genannt, der 1939 zum neuen „Vereinsführer“ Rapids gewählt wurde und 1938 der NSDAP beitrat, auch deswegen, weil er Bestätigungen von Spenden während der „illegalen“ Zeit der NSDAP nachweisen konnte. Aufgrund des Mangels an Quellen gibt es über Josef Kalenbergs Aktivitäten in der NSDAP und seine Motive, ihr beizutreten, allerdings keine Angaben.152 Rosenberg und Spitaler räumen ein, dass es wohl im Fall Kalenbergs keine berufliche Verpflichtung zu einer Mitgliedschaft gab, aber sie präsentieren die These, dass es sich bei ihm in erster Linie um einen politischen Opportunisten handelte, da er 1933 Genesungswünsche an den austrofaschistischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß geschickt hatte.153 Auch weitere Personen, zum Beispiel der damalige Rapid-Trainer Nitsch, werden in diesem Kapitel hinsichtlich ihrer Motivation zur Mitgliedschaft in der NSDAP überprüft, wobei die Autoren sich stets auf Fakten zu berufen trachten, ohne sich zu sehr in Mutmaßungen oder Spekulationen zu verirren.

148 Vgl. Rosenberg, Spitaler: Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, S. 38. 149 Vgl. Täter, Opfer und Mitläufer. Erstellt am: 08.03.2011. URL: https://sportv2.orf.at/stories/2046373/2046366/ [07.08.2020]. 150 Rosenberg, Spitaler: Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, S. 7. 151 Vgl. ebda., S. 75. 152 Vgl. ebda., S. 81-83. 153 Vgl. ebda., S. 84. 43 In diesem Kontext stellt sich allerdings nach meiner Ansicht eine Frage, auf die das Buch nicht eingeht. Nach 1945 gaben zahlreiche ehemalige Rapid-Funktionäre, beispielsweise das ehemalige Rapid-Vorstandsmitglied Karl Kochmann, an, nur auf Druck von außen der NSDAP beigetreten zu sein.154 Diese Aussage ist zwar insofern nachvollziehbar, als man einer möglichen Strafe zu entgehen versuchte, aber wie kann man auf Druck von außen der NSDAP beitreten, wenn doch der Status als „Illegaler“, der ziemlich schwer zu erlangen war, eine Voraussetzung für die Aufnahme in die NSDAP darstellte? Hierzu wäre vielleicht eine genauere Auseinandersetzung interessant gewesen, aber womöglich ließ die Quellenlage eine Beantwortung dieser Frage nicht zu. Es wird ferner angeführt, dass in der wissenschaftlichen Einschätzung des Wiener Fußballs das Bild des „unpolitischen“ Fußballers dominiert.155 Rosenberg und Spitaler fanden heraus, dass zwischen 1938 und 1945 kein Spieler Mitglied der NSDAP war, aber auch hier könnte dies auf die strengen Aufnahmekriterien zurückzuführen sein. Hier wird zur Stützung der These, dass die Rapid-Spieler generell eher unpolitisch waren, das Beispiel genannt, dass sich an Heimabenden im Rahmen der HJ unpolitisch verhielt, da er bei einem Lied nicht mitsingen wollte und stattdessen tratschte, bis er rausgeschmissen wurde.156 Die These, dass Fußballspieler in dieser Zeit eher unpolitisch waren, wird wahrscheinlich in vielen Fällen zutreffen, doch meiner Ansicht nach stellt dies eher ein typisch kindisches Verhalten dar und keine Abwehrhaltung gegen das Regime. Es traten also zwar keine NSDAP-Mitgliedschaften bei aktiven Spielern zutage, worauf Rudolf Edlinger im Vorwort stolz verweist, doch wäre es interessant zu wissen, ob es Anträge zu einer solchen Mitgliedschaft gab, die aber abgelehnt wurden.

Ein weiteres wichtiges Gebiet, mit dem sich Rosenberg und Spitaler in Kapitel 5 beschäftigen, betrifft die Gönner Rapids in der Wiener NS-Sportpolitik. Auch dieses Kapitel stellt Personengeschichten namhafter NS-Funktionäre, dabei handelt es sich vor allem um den Polizeichef Otto Steinhäusl, SA-Brigadeführer Thomas Kozich und Stadtkämmerer Jakob Knissel, genauer vor.157 Man erfährt genau, inwiefern der SK Rapid Wien von den genannten Personen profitierte, vor allem vor dem Spiegel des „Scheinprofessionalismus“, der typisch für den Wiener Fußball dieser Zeit war. Kurz wird im Rahmen dieses Kapitels erwähnt, dass Rapid-Spieler eine Wohnung im Somogyihof bezog, nachdem deren jüdische Mieterin enteignet worden war.158 Dies wirft die Frage auf, ob es in den Reihen Rapid Wiens in dieser Zeit eventuell häufiger zu einer Bereicherung auf Kosten der jüdischen Bevölkerung

154 Vgl. ebda., S. 88. 155 Vgl. ebda., S. 93. 156 Vgl. ebda., S. 94. 157 Vgl. ebda., S. 102. 158 Vgl. ebda., S. 112. 44 gekommen ist. Dieses Thema an sich scheint doch so interessant zu sein, dass man ihm ein eigenes Kapitel hätte widmen können, sofern sich in den Quellen genügend Belege dazu finden ließen.

Zurecht in einem gesonderten Abschnitt beschrieben ist in Kapitel 6 das Verhältnis des SK Rapid Wien zu den nationalsozialistischen (Sport-)Medien. Für viele Geschichten und Mythen, die lange Zeit am Verein hafteten, waren mit Sicherheit Darstellungen Rapids in der nationalsozialistischen Medienlandschaft mitverantwortlich, da deren Aussagen über Rapid vermutlich unreflektiert von der Bevölkerung aufgenommen wurden. Insofern beschäftigen sich Rosenberg und Spitaler in diesem Kapitel vor allem mit der Darstellung des Klubs in den Medien und fragen danach, welche Auswirkungen der sportliche Erfolg Rapids in dieser Zeit auf die Berichterstattung hatte. Hierbei greifen sie auf Ausschnitte zahlreicher Tageszeitungen und Sportblätter zurück und kommen zu dem Schluss, dass vor allem die sportlichen Leistungen Rapids der Grund für die hohe Medienpräsenz des Vereins gewesen sein dürften.159 Rosenberg und Spitaler beschäftigten sich aber nicht nur mit der Darstellung des Vereins in den Medien, sondern zudem mit Berichten über einzelne Ikonen, im Fall Rapids Franz Binder, der zum Fußball-Medienstar aufstieg.160 Hier zeigen die Autoren zudem eine Reihe bildlicher Darstellungen, wie Binder in den NS-Medien dargestellt wurde. Zusammenfassend halten die Autoren fest, dass Rapids große mediale Aufmerksamkeit hauptsächlich in den sportlich erfolgreichen Jahren bis 1941 erkennbar ist und dass die Presse die Rapid-Stereotype des „Kampfgeists“ und der „Bodenständigkeit“ gerne aufgriff. Umgekehrt war aber auch der Verein selbst durch gute Pressearbeit dazu in der Lage, wichtige Ereignisse medienwirksam darzustellen.161 Rosenberg und Spitaler zeigen in diesem Kapitel sehr ausführlich, dass der SK Rapid Wien trotz seiner hohen Medienpräsenz wohl keine Bevorzugung in der medialen Darstellung erhielt, es aber auch umgekehrt keine gezielte negative Berichterstattung über Rapid gab.

In Kapitel 7 beschäftigen sich die Autoren mit dem Verhältnis von SK Rapid Wien zum deutschen Nationalteam und mit Rapid-Spielern, die auf nationaler Ebene eingesetzt wurden. Bereits zu Beginn wird erwähnt, dass der Reichstrainer der deutschen Nationalmannschaft Josef Herberger ab 1933 Mitglied der NSDAP war, er selbst jedoch seine Arbeit im Fußball nach 1945 als unpolitisch darstellte. Hierzu erwähnen die Autoren, dass ausgeblendet wurde,

159 Vgl. ebda., S. 130. 160 Vgl. ebda., S. 139. 161 Vgl. ebda., S. 151. 45 dass er als wichtiger Sportfunktionär an der Stabilisierung des NS-Regimes mitwirkte.162 Dies mag richtig sein, doch dürfte es sich wohl um ein Phänomen handeln, das auf alle Funktionäre und Vereine dieser Zeit zutraf. Auch der SK Rapid Wien wäre dann, wie alle anderen erfolgreichen Vereine, ein Stabilisator des NS-Regimes, da er seinen Anhängern durch die Ablenkung vom harten Alltag das Gefühl von Normalität suggerierte. Rosenberg und Spitaler zeigen jedoch auf, dass durchaus ein gutes Verhältnis zwischen Josef Herberger und den Wiener Nationalspielern bestand, wenngleich sich vor allem in sportlichen Belangen ein Konfliktpotenzial zwischen den Vereinsfunktionären Rapids und Herberger findet.163 So fanden die Autoren heraus, dass Herberger einen regen Briefkontakt mit seinen Teamkandidaten pflegte und sich die Spieler häufig in privaten Angelegenheiten an ihn wenden konnten.164 Es wird anhand vieler vorgestellter Briefwechsel gezeigt, dass Herberger auf Wünsche der Wiener Klubs Rücksicht nahm, beispielsweise wenn es um Teameinberufungen ging.165 Auch nach 1945 zeugen Briefe Wiener Spieler von einem guten Verhältnis zwischen dem deutschen Nationaltrainer und seinen ehemaligen Teamspielern.166

Rosenberg und Spitaler versuchen in Kapitel 8, Zuschauerausschreitungen und die antideutsche Stimmung bei Fußballspielen zu analysieren. Sie zeigen, dass Sportstadien zu einem ambivalenten Ort für den Nationalsozialismus wurden, da sie einerseits eine „Volksgemeinschaft“ suggerierten, aber andererseits gehörten sie zu den wenigen Orten, wo man politische Unzufriedenheit relativ ungefährdet äußern konnte.167 Auch hier zeigen die Autoren unter anderem mit Zeitzeugeninterviews auf, dass die Haltung der Wiener Bevölkerung zum NS-Regime sehr unbeständig war. So wird beschrieben, dass es antideutsche Publikumsausschreitungen im Fußball gab, aber die Autoren räumen ein, dass sich diese „Fußballwirbel“ nicht auf Spiele gegen Teams aus dem Altreich beschränkten.168 Es sind im Buch jedenfalls viele Berichte über Ausschreitungen bei Fußballspielen dokumentiert; häufig sind diese Unmutsäußerungen jedoch auf unerwünschte Spielverläufe zurückzuführen, weswegen die Autoren darin zurecht keinen klaren Hinweis auf einen möglichen Widerstand gegen das NS-Regime sehen.

In Kapitel 9 setzen sich Rosenberg und Spitaler mit dem SK Rapid Wien und seiner Rolle in der Deutschen Wehrmacht auseinander. Sie berichten genau von einzelnen Spielern, die zum

162 Vgl. ebda., S. 159-160. 163 Vgl. ebda., S. 162-163. 164 Vgl. ebda., S. 167. 165 Vgl. ebda., S. 177. 166 Vgl. ebda., S. 181. 167 Vgl. ebda., S. 183. 168 Vgl. ebda., S. 187. 46 Wehrdienst einberufen wurden und wo diese stationiert waren. Man erfährt, dass es gewisse Bevorzugungen der Fußballspieler gab, da ein Großteil von ihnen in den ersten Kriegsjahren weder an der Front noch in großer Entfernung zu Wien stationiert war.169 Die Verfasser merken allerdings an, dass es mit Fortdauer des Krieges immer schwieriger wurde, Freistellungen zu erwirken.170

Für viele Mythen sorgte die Tatsache, dass nach der gewonnenen Großdeutschen Meisterschaft 1941 Rapid viele Spieler an die Front abgeben musste, was ein großer Teil der Anhängerschaft lange Zeit als Bestrafung Rapids auffasste. So präsentieren Rosenberg und Spitaler viele Aussagen von Zeitzeugen, die diese Einschätzung teilen. Die Autoren verweisen jedoch darauf, dass sich diese „Bestrafungsthese“ nicht mit offiziellen Dokumenten belegen lässt und sie finden vielmehr Indizien dafür, dass die Intensivierung der Kriegshandlungen das wichtigere Motiv war, Rapid-Spieler an die Front zu versetzen.171 Einen Teil dieses Kapitels widmen die Autoren der Suche nach möglichen wehrkraftzersetzenden Aktivitäten in den Reihen Rapids. Hier resümieren Rosenberg und Spitaler, dass kein Fall von Selbstverstümmelung (um dem Kriegsdienst zu umgehen) unter den aktiven Rapid-Spielern bekannt ist und dass es sich bei den üblichen Sportverletzungen maximal um Spekulationen handelt. Die Autoren erwähnen ferner, dass sich mit Fritz Durlach, einem ehemaligen Rapid- Spieler, zumindest einer der damals aktiven Spieler an Kriegsverbrechen beteiligte, der dafür später verurteilt wurde.172 Durlach war zwar kein Mitglied der NSDAP, aber an den Verbrechen des Nationalsozialismus direkt beteiligt, weswegen an dieser Stelle zu hinterfragen wäre, wieso im Vorwort des Werkes mit Stolz darauf hingewiesen wird, dass keiner der damals aktiven Rapid-Spieler Mitglied der NSDAP war, obwohl es mit Fritz Durchlach einen Spieler gab, der sich Kriegsverbrechen schuldig machte. An dieser Stelle wäre vielleicht eine Relativierung notwendig.

Ähnlich wie andere Vereinsstudien, beschäftigen sich Rosenberg und Spitaler zum Schluss im 10. Kapitel mit dem Wiederbeginn des Vereinslebens nach 1945. Es wird zunächst auf die neue Situation nach dem Regimewechsel eingegangen und beschrieben, wie der Fußball dennoch weiterging, ehe erneut der Fall Durlach genauer zur Sprache kommt. Es werden Kontinuitäten und Brüche auf der Ebene der Funktionäre beschrieben, da unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ehemalige NSDAP-Mitglieder ihrer Ämter enthoben wurden und so auch bei SK Rapid Wien vorerst keine Funktionärsposten ausüben durften.

169 Vgl. ebda., S. 204. 170 Vgl. ebda., S. 205. 171 Vgl. ebda., S. 213. 172 Vgl. ebda., S. 222. 47 Zudem wird untersucht, wie sich die Entnazifizierung auf Rapid Wien auswirkte. So erkannten die Autoren, dass zum 50-jährigen Vereinsjubiläum bereits wieder von einer starken Kontinuität auf Funktionärsebene gesprochen werden kann.173 Rosenberg und Spitaler erwähnen im Rahmen dieses Kapitels außerdem, dass von den jüdischen Opfern aus dem Umfeld Rapids nur Max Reich und Leo Schidrowitz zurückkehrten.174 An dieser Stelle hätte man gerne erfahren, ob es nach 1945 generell eine Form von Rückholaktion seitens Rapids gab, mit der man versuchte, ehemalige Rapid-Angehörige ausfindig zu machen und ihnen ihre alten Stellen vor der Vertreibung oder eine andere Art von Hilfe anzubieten. Denn selbst wenn während der NS-Zeit der Handlungsspielraum von Fußballvereinen offenkundig stark eingeschränkt war und sie ihre jüdischen Mitglieder nicht schützen konnten, hätte man ihnen zumindest nach 1945 Hilfe anbieten können.

In den Schlussfolgerungen erwähnen Rosenberg und Spitaler, dass ein Versuch der Einordnung des Fallbeispiels Rapid in andere österreichische Vereine sehr interessant wäre, aber wissenschaftliche Einzeldarstellungen damals noch fehlen.175 Dieser Versuch soll aber im Rahmen dieser Diplomarbeit unternommen werden, da mittlerweile mit Austria Wien und weiteren steirischen Vereinen ein solcher Vergleich möglich ist. In der Schlussfolgerung stellen die Autoren jedenfalls fest, dass neben der personellen Kontinuität der Funktionäre der hohe Anteil an NSDAP-Mitgliedern im Vorstand interessant ist. Die Autoren merken aber an, dass wenig über die Motive der Parteieintritte bekannt ist und Rechtfertigungen erst aus der Zeit nach der Befreiung existieren.176 Als eines ihrer Hauptergebnisse präsentieren Rosenberg und Spitaler die Erkenntnis, dass es beim SK Rapid Wien, trotz Zuschreibungen als „bodenständiger“ und „arischer“ Verein nach dem „Anschluss“, vor allem in den frühen Jahren des Vereins viele jüdische Spieler, Funktionäre und sogar zwei Präsidenten aus jüdischen Familien gab.177 Darüber hinaus geben die Verfasser an, dass eine Bewertung der antideutschen Stimmungen beim Wiener Fußball im Nachhinein sehr schwer ist.178

Es soll nun abschließend für dieses Kapitel eine Einschätzung erfolgen, ob die Darstellung der Zeit zwischen 1938 und 1945 in „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ als lückenlos zu bezeichnen ist oder ob gravierende Aspekte außer Acht gelassen wurden. Dazu sei noch gesagt, dass die finale Bewertung erst im Vergleich mit den beiden anderen österreichischen Studien erfolgt.

173 Vgl. ebda., S. 261. 174 Vgl. ebda., S. 264. 175 Vgl. ebda., S. 267. 176 Vgl. ebda., S. 269. 177 Vgl. ebda., S. 272. 178 Vgl. ebda., S. 273. 48 Rosenberg und Spitaler beschreiben in ihrer Studie, an der natürlich noch viele weitere Mitarbeiter beteiligt waren, akribisch unterschiedlichste Aspekte der NS-Zeit aus der Perspektive des SK Rapid Wien, darunter jene, denen sich Vereine im Allgemeinen vielleicht nicht so gerne stellen, beispielsweise das Verhältnis zwischen Rapid und der NSDAP. Ihnen ist es gelungen, die soziale und politische Einordnung Rapids vor 1938 in einem kurzen und übersichtlichen Kapitel zusammenzufassen, wodurch sie anderen Themen mehr Aufmerksamkeit schenken konnten. Im Wesentlichen haben sich Rosenberg und Spitaler auf das konzentriert, was jüdischen Rapidlern nach dem „Anschluss“ wiederfahren ist, wie sich der Verein dem neuen Regime angepasst hat, welche Vereins- und Vorstandsmitglieder engeren Kontakt mit der NSDAP hatten, von wem der SK Rapid während der NS-Zeit profitierte, wie der Verein in den nationalsozialistischen (Sport-)Medien dargestellt wurde, wie das Verhältnis zwischen dem deutschen Nationalteam und Rapid war, ob die Zuschauerausschreitungen während Fußballspielen als antideutsche Stimmung zu werten waren, welche Rolle Rapid-Spieler und Funktionäre in der Deutschen Wehrmacht hatten, und schließlich, wie sich der Wiederbeginn im neuen Österreich gestaltete. Diese Punkte decken ein breites Spektrum an möglichen Fragestellungen an die eigene Vergangenheit ab, auch jene Aspekte, die man sich als Verein vielleicht nicht gerne eingesteht. Aus diesem Grund ist dieses Werk beziehungsweise die Studie als wertvoller Beitrag zur österreichischen Vergangenheitsbewältigung zu bewerten.

In diesem Kapitel wurden weitere mögliche Fragestellungen erwähnt, die in der Studie nicht oder nur peripher vorkamen, dies kann aber auf die Quellenlage zurückzuführen sein. Dennoch wäre es beispielsweise interessant zu erfahren, ob der SK Rapid Wien versucht hat, geflüchtete jüdische Funktionäre, Rapid-Anhänger oder deren Angehörige ausfindig zu machen, um ihnen in irgendeiner Form Unterstützung anzubieten. Zudem wären Arisierungen ein Themengebiet, dem man eine größere Aufmerksamkeit schenken könnte, aber da die Autoren anmerken, dass sie zu diesem Thema keine Belege finden konnten, ist davon auszugehen, dass dieser Aspekt den SK Rapid Wien nicht so sehr betraf, beziehungsweise dass Quellen, die dies belegen könnten, nicht mehr erhalten sind. Auf jeden Fall ist dies aber ein Aspekt, den man unbedingt untersuchen sollte, wenn man sich als Verein mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Nicht zu vergessen ist, dass es sich bei „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ um die erste Vereinsstudie zur NS-Zeit in Österreich überhaupt handelt. Die Autoren und die Beteiligten an der Studie leisteten hier eine Pionierarbeit und haben späteren Studien einen wertvollen Dienst erwiesen. Dass sich der SK Rapid in der NS-Zeit opportunistisch verhielt, dürfte den Normalfall darstellen, da natürlich mehr oder weniger alle

49 Vereine, nicht nur Sportvereine, versuchten, diese Zeit auch wirtschaftlich zu überleben. Wie aber dieser Opportunismus zu bewerten ist, darauf geht das folgende Kapitel ein.

4.1.2 Opportunismus und Schuldeingeständnis in „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ Dieses Kapitel untersucht, gleich wie die folgenden Analysen, die These, Fußballvereine könnten sich potenziell bei ihrer Beschäftigung mit der eigenen NS-Vergangenheit hinter dem latenten Opportunismus verstecken, um so von etwaigen politischen oder ideologischen Überzeugungen ablenken zu können. In der vergangenheitspolitischen Geschichte Österreichs herrschte lange Zeit der „Opfermythos“ vor und man lehnte jegliche Schuld ab. Da in der Gegenwart die Darstellung Österreichs als Opfer des Nationalsozialismus einem Skandal gleichkommt, kam ich zur Annahme, dass Fußballvereine prinzipiell nicht behaupten können, sie seien Opfer des Nationalsozialismus gewesen (abgesehen von jüdischen Vereinen). Der eine Verein hat vielleicht mehr vom Nationalsozialismus profitiert, den anderen traf der Regimewechsel eventuell härter, aber die Tatsache, dass man den Spielbetrieb fortsetzte, war für den Nationalsozialismus wichtig, da man durch solche Sportveranstaltungen Normalität im Alltag suggerierte, weswegen jeder Verein, der zwischen 1938 und 1945 noch spielte, bis zu einem gewissen Grad als Stütze des Nationalsozialismus betrachtet werden kann. Aus diesem Grund stellt sich mir hier nicht die Frage, ob sich ein Verein als Opfer des NS- Regimes darstellt oder nicht, sondern ob das offensichtlich opportunistische Verhalten, das sich bei allen Vereinen dieser Zeit findet, in den Vordergrund gestellt wird oder ob es auch Eingeständnisse von Schuld abseits dieses Opportunismus gibt. Mit dieser Frage beschäftigt sich dieses Kapitel.

Bereits im Vorwort von Rudolf Edliger findet sich ein Hinweis, der diesen Opportunismus relativiert, da er angibt, dass sich neben jenen, die versuchten, sich mit dem Regime zu arrangieren, auch Funktionäre finden, die sich aus Überzeugung um eine NSDAP- Mitgliedschaft bemühten.179 Es wird sich verständlicherweise bei den meisten Vereinen und deren Mitgliedern, die Kontakt zur NSDAP hatten, um Opportunisten handeln; umso wichtiger ist es, bei einer solchen Studie nach Personen zu suchen, die aus Überzeugung Nationalsozialisten waren, und dies nicht auszublenden. Die Studie des SK Rapid Wien hat in diesem Kontext zahlreiche Personen genau analysiert und eine auf Fakten bezogene Bewertung getroffen.

179 Vgl. Rosenberg, Spitaler: Grün-Weiß unterm Hakenkreuz, S. 10. 50 Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang wichtig erscheint, bezieht sich auf die Mythen Rapids als Widerstandskämpfer beziehungsweise als Opfer des NS-Regimes, da nach dem Endspiel 1941 zahlreiche Rapid-Spieler an die Front versetzt wurden. So heißt es dazu bereits im Vorwort, dass diese Mythen als historisch widerlegt gelten, obwohl sie bis heute das Selbstbild Rapids prägen.180 An dieser Aussage erkennt man gut, dass der aufklärerische Zugang bei dieser Studie einen besonderen Stellenwert hat. Die Fragestellungen dieser Studie zielen darauf ab, die Mitschuld Rapids an den NS-Verbrechen zu untersuchen, und nicht darauf, den Opportunismus in den Vordergrund zu rücken. So wird beispielsweise untersucht, welche Rapid-Funktionäre und -Spieler eine Rolle in der Deutschen Wehrmacht spielten und ob sie an NS-Verbrechen beteiligt waren. Stellt man solche Fragen an sich selbst, ist davon auszugehen, dass man auch die dunklen Aspekte seiner Geschichte offenlegen möchte. Wichtig erscheint hier, dass es im Rahmen dieser Studie Untersuchungen gegeben hat, die sich mit dem Antisemitismus bei Rapid vor dem „Anschluss“ auseinanderzusetzen. Hier wird die Erkenntnis gewonnen, dass es vor allem in den 1920er Jahren noch viele jüdische Spieler und Funktionäre bei Rapid gab, dass deren Zahl in den 1930er Jahren aber vermutlich wegen des zunehmenden aggressiven Antisemitismus im Wiener Sport zurückging.181 Rosenberg und Spitaler merken zwar, an, dass diese Aussage aufgrund fehlender Spielerdaten zu Wiener Vereinen schwer zu verifizieren ist, aber die Tatsache, dass sie trotzdem nicht auf diesen, wenngleich unbewiesenen, bitteren Umstand hinweisen, zeugt vom Versuch, alle potenziellen negativen Aspekte offenzulegen. Dies darf als Indiz dafür gelten, dass der Verein eben nicht versucht, sich hinter dem Opportunismus zu verstecken, sondern Gründe sucht, wieso der Verein vom NS-Regime so gerne instrumentalisiert wurde.

Wenige Seiten später wird dargestellt, dass der SK Rapid Wien offenbar von der langjährigen Positionierung als „bodenständiger“ und „volkstümlicher Verein“ profitierte und die Medien den Verein als eine Organisation, „deren Führung stets arisch gewesen“ sei, darstellten.182 Die antideutschen Stimmungen und regimefeindlichen Handlungen hätte man sicher, wenn man es darauf anlegen wollte, als Widerstand gegen das Regime interpretieren können. Doch Rosenberg und Spitaler begegnen dieser Frage sehr kritisch und gelangen zum Schluss, dass auch der ausgeprägte Lokalstolz des Wiener Fußballs ein Grund dafür sein könnte, selbst wenn antifaschistische Rapid-AnhängerInnen die Erfolge gegen Vereine des „Altreichs“ möglicherweise als antinazistisches Verhalten deuten. Die Autoren relativieren diese Ausschreitungen, indem sie anführen, dass bei Spielen ohne deutsche Beteiligung solche

180 Vgl. ebda., S. 19. 181 Vgl. ebda., S. 47. 182 Vgl. ebda., S. 57. 51 Unmutsäußerungen ebenfalls nicht ungewöhnlich waren.183 Sie durchleuchten hiermit einen Mythos, der lange Zeit am Verein haftete und sicherlich als positiv galt, nämlich jenen Rapids als zumindest sportlicher Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime.

Zusammenfassend lässt sich die These, dass sich österreichische Fußballvereine möglicherweise hinter dem Opportunismus verstecken könnten, um etwaigen schwerwiegenderen Schuldeingeständnissen zu entgehen, im Fall des SK Rapid Wien nicht verifizieren. Im Gegenteil legten Rosenberg, Spitaler und die weiteren Beteiligten an der Studie großen Wert darauf, auch die dunklen Aspekte der Vereinsgeschichte zu durchleuchten, indem sie nach NS-TäterInnen in den eigenen Reihen gesucht haben. Zudem relativieren sie viele langanhaltende, teils positiv behaftete Mythen, um im Sinne der Wissenschaft einen transparenten Blick auf die Geschichte Rapid Wiens zu ermöglichen.

4.1.3 Aufarbeitung der Vergangenheit abseits der Studie Dieses Kapitel will kurz beschreiben, welche Arten der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des SK Rapid Wien außerhalb der veröffentlichten Studie anzutreffen sind. Informationen hierzu erhielt ich vor allem von Laurin Rosenberg, dem Koordinator des vereinseigenen Museums Rapids (Rapideum).

Der SK Rapid Wien verwendete die aus der Studie gewonnenen Informationen einerseits für die Veröffentlichung der Studie, andererseits sind diese auch im Rapideum dargestellt. Die Vereinshomepage führt hierzu an:

„Ein besonderer Themen-Schwerpunkt liegt in der Aufarbeitung der Geschichte Rapids von 1938 bis 1945. Da die Zeit des Nationalsozialismus für Rapid sportliche Erfolge brachte, stellt sich die Frage: Sollen Erfolge, die in das dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte fallen, gefeiert werden? Die Erfolge werden nicht einfach als solche stehen gelassen, sondern in den Kontext der Zeit gestellt: Die Täter, Mitläufer, Widerständler und Opfer, die aus den Reihen des SK Rapid kamen, werden ohne Tabu dargestellt.“184

Auf Anfrage an Laurin Rosenberg erfuhr ich, dass bereits bei der Planung des ersten Museums – damals noch im Hanappi-Stadion – dieses Thema große Aufmerksamkeit erfuhr, weswegen von Anfang an klar war, dass die Studie beziehungsweise dieser Abschnitt der Geschichte im Rapideum vorkommen müssen. Auch im zweiten Rapideum wurde dies beibehalten; in vielen allgemeinen Museumsführungen wird dieser Aspekt zum Thema gemacht. Dazu kommt, dass es in regelmäßigen Abständen spezielle Führungen mit dem

183 Vgl. ebda., S. 273. 184 Rapideum. URL: https://www.skrapid.at/de/startseite/verein/geschichte/rapideum [08.08.2020]. 52 Schwerpunkt „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ gibt.185 An dieser Stelle ist anzumerken und hervorzuheben, dass der SK Rapid Wien nicht den Fehler gemacht hat anzunehmen, mit dem Abschluss einer solchen Studie hätte man das Thema Nationalsozialismus endgültig bewältigt, sondern man ist sich bewusst (das geht auch aus dem E-Mail-Austausch hervor), dass die Studie nicht das Ende der Aufarbeitung dieser Zeit war, sondern erst der Anfang.

Abgesehen von den Museumsführungen klärt der SK Rapid Wien auf der Vereinshomepage in Form einer detaillierten Zeitreise über die gesamte Geschichte des SK Rapid Wien, auch den Jahren zwischen 1938 und 1945, auf.186 Dies geschieht natürlich wesentlich oberflächlicher als in der Studie oder wahrscheinlich bei den Museumsführungen, doch die wesentlichen und kritischen Punkte sind erwähnt, sodass auch LeserInnen, die bloß die auf der Homepage präsentierten Eckdaten kennenlernen, ein grobes Verständnis der Vereinsgeschichte erhalten.

Im Kontext der nationalsozialistischen Vergangenheitsbewältigung seitens des SK Rapid Wien ist zu erwähnen, dass anlässlich des 120. Jahrestages der Umbenennung vom „1. Wiener Arbeiter Fußball-Klub“ in damals „Sportclub Rapid“, wofür vor allem der jüdische Wilhelm Goldschmidt verantwortlich war, vor seinem Wohnhaus, in dem er bis 1939 lebte, ehe er von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurde, ein Stein der Erinnerung platziert wurde.187 Auch dies ist als aktive Beschäftigung mit der eigenen NS-Vergangenheit in Form von Erinnerung und Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus zu bewerten. Aus diesem Grund kann abschließend resümiert werden, dass der SK Rapid Wien mit seiner Studie „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ und mit seinem Umgang mit seiner NS- Vergangenheit außerhalb dieser Studie einen erheblichen Mehrwert für die österreichische Vergangenheitsbewältigung erbracht hat. Der Verein ruht sich zudem nicht auf seiner Studie aus, was suggerieren könnte, dass man die Vergangenheit als endgültig bewältigt betrachtet, sondern er setzt sich permanent mit der Vergangenheit auseinander und hat als Verein den Anspruch, Fans und Interessierte zu diesem Gebiet aufzuklären.

4.2 Austria Wien - „Ein Fußallverein aus Wien“ Mit demselben Verfahren wie in Kapitel 4.1 wird in den folgenden Kapiteln beschrieben, mit welchen Themen sich die Studie des FK Austria Wien im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit seiner NS-Vergangenheit beschäftigte, um so zu ermitteln, ob noch weitere Aspekte

185 E-Mail-Auskunft von Laurin Rosenberg vom 18.07.2020. 186 Vgl. URL: https://www.skrapid.at/de/startseite/verein/geschichte/zeitreise-des-sk-rapid#15105 [08.08.2020]. 187 E-Mail-Auskunft von Laurin Rosenberg vom 18.07.2020. 53 berücksichtigt hätten werden können. Zudem wird auch diese Studie hinsichtlich ihrer Beschäftigung mit den dunklen Aspekten der Geschichte des Vereins analysiert, ehe abschließend zur Sprache kommt, ob und wie sich der Verein abseits der Studie mit seiner NS-Vergangenheit beschäftigt. Zunächst sei jedoch die Studie an sich grob vorgestellt.

Auf eine Anfrage an Matthias Marschik, der direkt an der Studie des FK Austria Wien beteiligt war, erhielt ich die Information, dass die Initiative zu diesem Projekt, ähnlich wie beim SK Rapid Wien, von den ForscherInnen ausgegangen ist, die den Vorschlag an den Verein herangetragen haben. Der Verein selbst sei von dieser Idee sehr schnell überzeugt gewesen und habe sie auch unterstützt und mitgetragen, ohne sich aber in die Projektarbeit einzumischen. Dem Verein war es demnach wichtig, die Ergebnisse dieses Projekts öffentlich zu präsentieren und für die Nachwuchsarbeit einzusetzen.188 Der Entschluss, die Studie durchzuführen, bestand seit dem Jahr 2014, die konkrete Arbeit begann 2016.189 Eine Buchpräsentation dieser Studie fand schließlich am 26. November 2018 im Festsaal des Wiener Rathauses im Rahmen einer Lesung zum Thema „Fußball zwischen Demokratie und Diktatur“ statt, bei der unter anderem die vier beteiligten Autoren die Studie vorstellten.190 Der SK Austria Wien gibt als weitere Förderer der Studie den Zukunftsfonds der Republik Österreich, den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus sowie die Stadt Wien an.191

4.2.1 Darstellung der NS-Zeit in „Ein Fußballverein aus Wien“ Wie bereits Spitaler im Interview anmerkte, äußert der damalige Wiener Bürgermeister Dr. Michael Häupl (SPÖ) im Vorwort des Werkes, dass die Geschichte der Wiener Vereine zugleich ein Teil der Geschichte Wiens ist, womit er einen wesentlichen Grund anspricht, sich mit einem solchen Thema überhaupt zu beschäftigen.192 Das folgende Kapitel führt aus, mit welchen Aspekten der Geschichte sich der FK Austria Wien im Rahmen seiner Studie zu seiner NS-Vergangenheit auseinandersetzte; zudem wird erörtert, welche Themen sich mit der Studie von SK Rapid Wien überschneiden, welche fehlen und welche hinzukommen.

Im ersten Kapitel des Werks beschäftigen sich die Autoren mit Zuschreibungen, die vor 1938 am Verein hafteten. So wurde untersucht, wofür die Austria im Frühjahr 1938 stand, was sie

188 E-Mail-Auskunft von Matthias Marschik vom 22.07.2020. 189 Vgl. URL: http://www.fk-austria.at/de/n/news/2018/11/die-austria-setzt-sich-kritisch-mit-ihrer-geschichte- auseinander/ [08.08.2020]. 190 Vgl. URL: http://www.fk-austria.at/de/n/news/2018/11/buchpraesentation-austria-wien-im- nationalsozialismus/ [08.08.2020]. 191 Vgl. URL: http://www.fk-austria.at/de/klub/aufarbeitung-der-ns-zeit/ [08.08.2020]. 192 Vgl. Hachleitner, Marschik, Müllner et al.: Ein Fußballverein aus Wien, S. 10. 54 repräsentierte und was ihr zugeschrieben wurde.193 Es werden alte Mythen genauer analysiert, beispielsweise jener, wonach sich der FK Austria Wien sowohl anhand seiner intelligenten Spielweise als auch anhand seiner Anhänger aus den Kreisen der jugendlichen Intelligenz identifiziert. Dieser Mythos wird mit dem Verweis, dass sowohl die Spieler als auch die Anhänger mehrheitlich aus der Vorstadt kamen, relativiert.194 Im Gegensatz zum SK Rapid Wien, der die Zuschreibung als bodenständiger Klub hatte, wurde dies bei der Austria gegenteilig gesehen, was vor allem auf die mangelnde lokale Verbundenheit zurückzuführen war, da man kein eigenes Stadion hatte.195 Darüber hinaus wurden Vereine wie die Austria oder die Hakoah als „Cityvereine“ bezeichnet, da sie im Gegensatz zu anderen, „bodenständigeren“ Vereinen ihr Sekretariat oder ihre Geschäftsstelle häufig im 1. Bezirk, also in der „City“, ansiedelten. Nicht zuletzt wegen dieser Zuschreibung als „Kaffeehausklub“ wurde der Verein als jüdisch wahrgenommen. Der Vorstadt und dem Proletariat werden demnach die City und das Bürgertum gegenübergestellt, die beide zu dieser Zeit jüdisch konnotiert waren, weswegen die Austria als großbürgerlich-jüdischer Cityklub galt.196

Die Autoren beschäftigten sich zudem mit dem Mythos, die Spieler der Austria seien nur Intellektuelle gewesen, was anscheinend stimmt, denn bei den Spielern, Funktionären und Anhängern fand man meist eine bürgerliche Grundhaltung.197 Die Zuschreibungen kamen aber keineswegs nur von außen, denn sie entsprachen dem Selbstverständnis des Klubs, der eine eigene Marke im österreichischen Fußball repräsentieren wollte.198 Diese ganzen Zuschreibungen, also von City und Kaffeehaus, von Mangel an Bodenständigkeit, hoher Finanzkraft und einem „Intelligenzlertum“, mündeten in ein antisemitisches Stereotyp. Zudem gab es im Lauf der Jahre viele jüdische Spieler und noch mehr jüdische Funktionäre in den Reihen der Austria, weshalb der Verein häufig als „Judenklub“ bezeichnet wurde; die Nationalsozialisten unterschieden später allerdings klar zwischen dem jüdischen Verein Hakoah und dem „Judenklub“ Austria. Die Autoren kommen zum Schluss, dass der Verein selbst nie ein jüdischer Verein war, da nicht ausschließlich Juden aufgenommen wurden, wie das beispielsweise bei der Hakoah der Fall war. Die Austria galt aber als „Judenklub“, weil eine große Zahl jüdischer Funktionäre und lange Zeit auch viele jüdische Spieler im Verein tätig waren.199 Der spielerische Stil der Austria wird in diesem Kapitel ebenfalls beschrieben,

193 Vgl. ebda., S. 29. 194 Vgl. ebda. 195 Vgl. ebda., S. 40. 196 Vgl. ebda., S. 44. 197 Vgl. ebda., S. 45. 198 Vgl. ebda. 199 Vgl. ebda., S. 51. 55 wonach nicht Härte und Zähigkeit, Einsatz und Siegeswille bis zum Schlusspfiff zu den Kernqualitäten der Austria zählten; vielmehr wurde der Verein durch technische Raffinesse und eine tänzerische, fast schon künstlerische Qualität des Spiels zum Synonym der Wiener Fußballschule.200

Im zweiten Kapitel beschäftigen sich die Autoren mit dem Wiener Fußball und dem FK Austria Wien nach dem „Anschluss“. Zum Wiener Fußball lässt sich anmerken, dass die Studien von Austria Wien und Rapid Wien inhaltlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen, lediglich der vereinsspezifische Teil unterscheidet sich. Die Autoren legen dar, dass zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ sämtliche Funktionäre des FK Austria Wien jüdischer Abstammung waren, doch kein einziger Spieler aus dem Kader der Kampfmannschaft. Aus diesem Grund war die Austria stärker als andere Vereine von den nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen betroffen, denn alle Vorstandsmitglieder wurden ihrer Ämter enthoben.201 Ähnlich wie bei Rapid Wien wurden die Spieler der Austria hinsichtlich der ihnen vermittelten Stellen nach der Abschaffung des Professionalismus im Fußballsport untersucht; hier ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei Rapid, was auf einen homogenen Umgang mit Wiener Fußballern nach dem „Anschluss“ schließen lässt: Wie bei Rapid, kam bei der Austria ein Großteil der Spieler bei der Gemeinde Wien oder in deren nahem Umfeld unter.202 Ein wesentlicher Unterschied zur Studie Rapids fällt aber bereits in diesem Kapitel auf und zieht sich durch die gesamte Studie: Die Arbeit zum FK Austria Wien beschäftigt sich sehr intensiv mit der Geschichte einzelner Individuen in dieser Zeit, nicht nur mit Opfern des Nationalsozialismus, zum Beispiel Peter Lang oder Walter Nausch, sondern auch mit NSDAP-Mitgliedern der Austria wie Hanns Janisch. Diese Biographien sind sehr detailliert dargestellt und an jenen Stellen, an denen die Personen das erste Mal als wichtige Figuren auftauchen, eingeschoben. In diesem Kapitel wird in dieser Form der gesamte neue Vorstand des FK Austria vorgestellt: Bruno Eckerl, Ernst Kaltenbrunner und viele weitere. Der letzte wichtige Punkt in diesem Kapitel, der sich von der Studie von Rapid Wien unterscheidet, ist, dass sich die Autoren der Studie des FK Austria Wien sehr intensiv mit Arisierungsgewinnen von Austria-Spielern, genauer mit Sesta und Sindelar, beschäftigen.

Auch im dritten Kapitel, das sich mit der nationalsozialistischen Normalität im Fußballsport beschäftigt, lassen sich viele Kontinuitäten, aber auch Unterschiede zwischen den Studien Rapids und der Austria erkennen. Geht es um den rein informativen Bereich, so

200 Vgl. ebda., S. 53. 201 Vgl. ebda., S. 59. 202 Vgl. ebda., S. 72. 56 überschneiden sich verständlicherweise Themen wie der beiderseitige Nutzen für den Wiener Fußball und die nationalsozialistische Politik. Marschik und weitere beteiligte Autoren der Studie stellen in diesem Kapitel aber eine in drei Phasen eingeteilte Geschichte des Wiener Fußballgeschehens zwischen 1939 und 1945 vor, was in der Studie Rapids nicht vorkam. Die erste Phase lässt sich demnach als eine anti-preußische Resistenz beschreiben, in der als „preußisch“ die neuen nationalsozialistischen Ordnungen auf den Fußballplätzen und darüber hinaus zu verstehen sind. Als zweite Phase definieren die Autoren die Zeit ab Sommer 1941 bis ins Frühjahr 1943, in der der Fußball die Funktion hatte, durch kleine Glücksmomente von den Kriegshandlungen abzulenken. Die dritte Phase ist von der Aufrechterhaltung des Spielbetriebs trotz der trostlosen Lage in Wien gekennzeichnet, als die Spiele immer unwichtiger wurden und das primäre Interesse aller Beteiligten lediglich darin bestand, dass die Spiele überhaupt stattfinden.203 Diese Einteilung der Fußballgeschichte in Wien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in drei Phasen ist hilfreich in Werken, die darauf abzielen, die Leserschaft zu diesem Gebiet aufzuklären und zu bilden, weswegen dies durchaus für die Studie von Rapid Wien interessant gewesen wäre. Neben anderen Themen, die sich in diesem Kapitel wieder überschneiden, werden erneut einige Biographien von Gastspielern, Stammspielern und neuen Funktionären präsentiert. Zudem ist das Kapitel weniger in Themenbereiche unterteilt, sondern die Saisonen werden chronologisch bis 1945 aus sportlicher Perspektive dargestellt. An dieser Stelle sei zusammengefasst, dass sich das dritte Kapitel der Studie FK Austria Wiens als sehr übersichtlicher Leitfaden der Geschichte des Wiener Fußballsports zur NS-Zeit herausgestellt hat, da in chronologischer Reihenfolge die einzelnen Saisonen dargestellt sind. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Studie Rapid Wiens, die ihren Fokus eher auf unterschiedliche Themenbereiche legt, weniger auf die chronologische Reihenfolge.

Im viertel Kapitel beschäftigen sich die Autoren mit dem Verhältnis des FK Austria Wien zum Altreich und zur deutschen Nationalmannschaft. Im Zentrum steht vor allem, welche Wiener Spieler von der deutschen Nationalmannschaft berücksichtigt wurden und welche nicht. So wird die Frage aufgeworfen, wieso der Austria-Weltstar Sindelar nicht für die deutsche Nationalmannschaft nominiert wurde und ob Sindelar vielleicht aus politischen Gründen Distanz zum Regime hielt, doch diese These wird relativiert, da Sindelar einerseits von der „Arisierung“ profitierte und andererseits im Austria-Vorstand saß, der zu diesem

203 Vgl. ebda., S. 112. 57 Zeitpunkt ausschließlich aus Nationalsozialisten bestand, weswegen es keine Hinweise auf ein politisch widerständiges Verhalten gibt.204

Auch Karl Sesta, ein weiterer Austria Wien-, wird in Erzählungen häufig als eine wienerisch-widerständige Figur dargestellt, doch ähnlich wie Sindelar profitierte auch er von einer „Arisierung“, aus der er eine Hammerbrot-Filiale erhielt. Es hielt sich lange der Mythos, Sesta sei als Antimilitarist häufig mit dem NS-Reichssportführer in Konflikt geraten, was tatsächlich stimmt, doch hieraus können die Autoren keine politische Widerständigkeit ablesen.205 Abgesehen von der Rolle von Austria-Spielern in der deutschen Nationalmannschaft, geht dieses Kapitel sehr stark auf die Rolle des FK Austria Wien im Altreich ein. Die Austria wird als starke Marke präsentiert, die insgesamt den Wiener Fußball wie kein anderer Wiener Verein verkörpert. Aus diesem Grund wurden viele Spiele gegen Mannschaften aus dem Altreich eingesetzt; anhand der Medienberichte lässt sich die Popularität erahnen. Die Mannschaft hatte zwar zwischen 1938 und 1945 keine großen sportlichen Erfolge, sie zählte aber, wenn sie in Form war, zu den stärksten Mannschaften im Deutschen Reich.206 , der Trainer der Deutschen Nationalmannschaft, bekommt in diesem Kapitel sehr viel Aufmerksamkeit. Dieser Fokus auf Herberger lässt sich zudem in der Studie des SK Rapid Wien erkennen. Die Studie SFK Austria Wiens analysiert das Verhältnis zwischen Herberger und der Austria; der Trainer wird zudem als paternalistischer Kümmerer dargestellt. Sowohl bei Rapid als auch bei der Austria war Herberger nicht nur Ansprechperson bei sportlichen Problemen, sondern außerdem bei Angelegenheiten, die mit dem Militärdienst zusammenhingen.207

Im letzten Kapitel beschäftigen sich die Autoren, gleich wie bei der Studie SK Rapid Wiens, mit den Nachwirkungen des Nationalsozialismus nach 1945. Hier wird auf die spezifische Rolle der Austria eingegangen, wonach der Klub schon allein mit dem Namen „Austria“ im besonderen Maß dazu befähigt war, auf seinen Tourneen als Repräsentant eines sympathischen Österreichs und der Kulturmetropole Wien zu agieren. Die Austria war sich zudem dieser Repräsentationsfunktion bewusst. Neben anderen SportlerInnen waren es vor allem Fußballer, die das Nachkriegsösterreich als schönes, fleißiges und friedvolles Land darstellen sollten. Zudem stärkte der Nachkriegssport das Selbstbewusstsein und die Identität im eigenen Land. Der Sport sollte also Bilder entwerfen, die Österreich als kleinen, fleißigen „Operettenstaat“ zeigten, was nur unter Ausblendung der NS-Zeit und durch eine Forcierung

204 Vgl. ebda., S. 171. 205 Vgl. ebda., S. 172. 206 Vgl. ebda., S. 181. 207 Vgl. ebda., S. 186. 58 der Opferrolle gelingen konnte.208 Die Autoren merken in diesem Kapitel zudem an, dass die NS-Jahre tiefe Einschnitte bis weit in die Nachkriegsära hinein hinterließen, weswegen es in einer Historie eines Vereins notwendig ist, dessen Geschichte bis zum Ende der 1950er Jahre zu verfolgen.209 Dieser Punkt erscheint als ganz wesentlich, wenn man sich die Werke hinsichtlich eines roten Fadens betrachtet, wie Fußballvereine sich im Allgemeinen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit nähern könnten oder sollten. An einer Stelle des Kapitels eröffnet sich kurz eine Thematik, deren Fehlen bereits bei der Studie des SK Rapid Wien erwähnt wurde – es wird nämlich beschrieben, dass der ehemalige jüdische Spieler Otto Fuchs, der mit einer Nicht-Jüdin verheiratet war, die Shoa in Wien überlebte und 1947 Vorstandsmitglied der Austria wurde.210 Es wäre in diesem Kontext interessant gewesen zu erfahren, ob der Verein selbst nach 1945 aktiv versuchte, ehemalige vertriebene jüdische Vereinsmitglieder ausfindig zu machen, zurückzuholen oder sie in einer anderen Art und Weise zu unterstützen. Sehr nahe daran heran kommt jedoch die Arbeit der Beteiligten an der Studie, denn im Rahmen dieses Kapitels werden erneut die Lebenswege der Vorstandsmitglieder des FK Austria vom März 1938 vorgestellt.

Zusammenfassend sei nun gefragt, ob in der Darstellung der NS-Vergangenheit des FK Austria Wien Themenbereiche behandelt wurden, die in der Studie des SK Rapid Wien noch nicht vorkamen, oder ob es Aspekte gibt, die vergessen wurden oder aus Mangel an Quellen nicht bearbeitet werden konnten.

Inhaltlich waren die beiden Studien bedingt durch ihre gemeinsame Geschichte im Wiener Fußballsport sehr ähnlich, wobei anzumerken ist, dass die Studie des FK Austria Wien eine eher chronologische Aufarbeitung bietet, wodurch der Verlauf der Geschichte sehr nachvollziehbar dargestellt ist. Bedingt durch diesen Zugang liegt der Fokus aber nicht auf gewissen Themen, sondern eher auf Prozessen. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass gewisse Aspekte wenig oder gar nicht behandelt sind, natürlich könnte aber auch die Quellenlage das Fehlen erklären. Es wurde zum Beispiel nicht auf die Unterstützung von NS- Funktionären beziehungsweise auf nationalsozialistische Förderer des Vereins genauer eingegangen und auch die Rolle von Spielern und Funktionären in der Deutschen Wehrmacht kam im Vergleich zur Studie des SK Rapid Wien in einem viel geringeren Ausmaß zur Sprache. Die Darstellung des Vereins in den NS-Medien ist zwar am Rand erwähnt, aber auch hier hätte sich wahrscheinlich ein separates Kapitel angeboten. Umgekehrt gibt es natürlich

208 Vgl. ebda., S. 192-193. 209 Vgl. ebda., S. 194. 210 Vgl. ebda., S. 197. 59 Punkte, die in der Studie des FK Austria Wien behandelt wurden, bei Rapid jedoch fehlen. Zu nennen sind vor allem die sehr detaillierten Biographien zahlreicher jüdischer Funktionäre und Vorstandsmitglieder, aber auch von etlichen Spielern. Diese genaue Darstellung einzelner Personen und deren Lebenswegen während des Zweiten Weltkriegs ist nicht nur interessant, sondern weckt sehr viel Emotionalität, weshalb sich die Studie wahrscheinlich sehr gut präsentieren lässt und das Publikum durch emotionale Verbundenheit berühren könnte.

4.2.2 Opportunismus und Schuldeingeständnis in „Ein Fußballverein aus Wien“ Auch die Studie des FK Austria Wien soll hinsichtlich der These analysiert werden, Fußballvereine könnten sich bei der Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit hinter dem bekannten Opportunismus verstecken, um zumindest einen Teil der Schuld von sich abzuwälzen. Zudem wird die Vorannahme überprüft, dass der FK Austria Wien, den aus historischer Perspektive die Umwälzungen auf sportlicher und politischer Ebene unmittelbar nach dem „Anschluss“ wesentlich härter trafen als beispielsweise den SK Rapid Wien, deshalb dazu neigen könnte, seine Geschichte eher aus einer „Opferperspektive“ zu beschreiben.

Der Opportunismus wird innerhalb des Werks bereits auf der ersten Seite von ÖGB-Präsident Wolfang Katzian, dem Präsidenten des FK Austria Wien, angesprochen, indem er vorwegnimmt, dass manche Fußballer den opportunistischen Versuchungen erlagen, andere sich aber anpassten und manche wiederum der NSDAP beitraten. Er fährt fort, dass Fußballvereine als die Vertreter des populärsten Sports die Pflicht haben, die Verantwortung für die Gegenwart wahrzunehmen.211 Diese Verantwortung führt der damalige Wiener Bürgermeister Dr. Michael Häupl weiter, indem er in Verbindung mit dem Werk einen elaborierten Diskurs mit der eigenen Geschichte fordert, der die Voraussetzung dafür sei, vergangene Fehler nicht zu wiederholen.212 Damit trifft er das Wesen der modernen Vergangenheitsbewältigung, weshalb bereits das Vorwort des Werks auf einen wertvollen Beitrag zur österreichischen Vergangenheitsbewältigung hoffen lässt.

Das erste strittige Thema, das die Autoren wertneutral analysieren, ist jenes der Deutung des Versöhnungsspieles 1938, bei dem eine österreichische Auswahl gegen eine deutsche antrat. Um dieses Spiel entwickelten sich nämlich diverse Widerstandsmythen: Vor allem Sindelar und Sesta sollen eine angebliche Vereinbarung gebrochen und ihre Tore demonstrativ vor der

211 Vgl. ebda., S. 9. 212 Vgl. ebda., S. 10. 60 mit NS-Prominenz besetzten Ehrentribüne bejubelt haben. Dieser Mythos wird von den Autoren relativiert, da sie keine Belege für das angeblich widerständige Verhalten finden konnten.213 Im gesamten Werk werden viele Geschichten und Mythen, welche die Austria in einer gewissen Opferrolle darstellen, sehr genau betrachtet und meist widerlegt. Es herrschte beispielsweise lange Zeit das Narrativ vor, die Austria sei nach dem „Anschluss“ gesperrt worden, allerdings fahren die Autoren fort, dass dies auf den Spielbetrieb nie zutraf, wenngleich es Einschränkungen gab. Die Geschichte von der angeblichen Sperre dürfte vor allem deswegen weitererzählt worden sein, weil die Austria nach dem „Anschluss“ tatsächlich kurze Zeit ohne Trainingsmöglichkeit dastand, was aber nicht auf jüdische Berührungspunkte zurückzuführen sei, sondern weil das Stadion der Austria kurzfristig für die Unterbringung deutscher Soldaten genutzt wurde.214

Ähnlich wie in der Studie des SK Rapid Wien wird hier die NSDAP-Mitgliedschaft einzelner Austria-Funktionäre, die nach dem „Anschluss“ neu etabliert wurden, genau betrachtet. Es heißt, dass es ohne enge Verbindungen zu Nationalsozialisten unmöglich gewesen wäre, in einem derart prominenten Verein wie der Austria einen Posten zu bekommen. Hermann Haldenwang, der neu installierte kommissarische Leiter Austrias nach dem „Anschluss“, trat der NSDAP unmittelbar nach dem „Anschluss“ bei, was die Autoren mit seiner vorherigen Tätigkeit für die Partei gleichsetzen.215

Zudem soll der FK Austria Wien nach der Ablösung des jüdischen Vorstands für die Nationalsozialisten als ein „normaler“ Verein gegolten haben. Die Autoren merken an, dass nichts darauf hindeutet, dass der Verein strukturell oder medial benachteiligt wurde.216 Vielmehr profitierte er davon, dass mit dem Ende des Professionalismus im Fußballsport die Spieler ihr Geld nun von der Stadt Wien bezogen, wo sie neben ihrem Gehalt auch „Härteausgleichszulagen“ erhielten.217

Jener Abschnitt, der die These, FK Austria Wien könnte sich hinter dem latenten Opportunismus und seiner Opferrolle verstecken, am deutlichsten widerlegt, ist der, der Sesta und Sindelar hinsichtlich ihrer Rolle als „Ariseure“ beschreibt. Da versucht wird, den Status als „Widerstandskämpfer“ zweier Vereinsikonen der Austria kritisch offenzulegen, zeugt dies meiner Ansicht nach davon, dass die Autoren der Studie bemüht waren, keinen Zweifel an der vollständigen Transparenz der Geschichte der Austria offenzulassen. Es ist sehr klar

213 Vgl. ebda., S. 58. 214 Vgl. ebda., S. 60. 215 Vgl. ebda., S. 61. 216 Vgl. ebda., S. 67. 217 Vgl. ebda., S. 73. 61 dargestellt, dass sich sowohl Sesta als auch Sindelar im Rahmen von „Arisierungen“ bereichert haben, indem sie jüdischen Vorbesitzern einen Preis deutlich unter dem Marktwert für ein Café und eine Bäckerei zahlten. Die Autoren merken an, dass die Widerstandslegenden nicht zu den öffentlichen Bildern von Sesta und Sindelar passen, so wie sie jahrzehntelang tradiert wurden.

Die Autoren durchleuchten außerdem akribisch die hoch mythisierte Geschichte des Ehepaars Nausch anhand der Biographie von Walter Nausch. Walter Nausch, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, war in den Medien und in der Fußballwelt ein sehr beliebter und häufig gelobter Mann. Nach dem „Anschluss“ sei ihm nach mündlichen Überlieferungen ein Job als Gautrainer angeboten worden, sofern er sich von seiner jüdischen Frau trenne, doch er lehnte ab und verließ mit ihr später das Land in Richtung Schweiz. Die Geschichte des Ehepaares ist bis heute ein fixer Bestandteil des antifaschistischen Widerstands- und Opfernarrativs, da ihr drei emotionale Subtexte zugeschrieben sind: Einerseits die Opferrolle des Ehepaares Nausch, die moralische Integrität und Anständigkeit von Walter Nausch, der für seine Frau auf die Karriere verzichtete, andererseits und drittens die Geschichte vom sicheren Hafen in der Schweiz, wo das Paar den Krieg angeblich sorgenlos überleben konnte. Die Autoren der Studie relativieren zumindest zwei dieser drei Subtexte: Zum einen erwähnen sie, dass es in der gesamten Recherche keinen Beleg dafür gibt, dass Nausch besagter Trainerposten wirklich angeboten worden ist und dass es hierzu nur mündliche Überlieferungen gibt; zum anderen wird gezeigt, dass das Ehepaar Nausch keineswegs sorgenfrei in der Schweiz leben konnte, da sie selbst dort mit versuchten Enteignungen konfrontiert waren. Diese Durchleuchtung hochstilisierter Mythen, die dem FK Austria Wien lange Zeit zugeschrieben wurden und teils heute noch werden, kann meiner Ansicht nach als deutliches Indiz gewertet werden, dass die Autoren mit ihrer Studie versuchten, die nationalsozialistische Realität offenzulegen.

Es ist zudem möglicherweise als Schuldeingeständnis zu werten, dass die Autoren der Studie ausführen, dass der Fußball an sich einen Beitrag zur medial suggerierten Normalität des Alltags lieferte.218 Sie stellen außerdem klar, dass die Tatsache, dass Wiener Stadien häufig zu Orten der Resistenz gegen das „Preußische“ und das „Altreich“ wurden, nicht mit einem Widerstand gegen das NS-Regime gleichzusetzen ist.219

218 Vgl. ebda., S. 105. 219 Vgl. ebda., S. 110. 62 Diese sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Verein hängt damit zusammen, dass für die Autoren die Hinterfragung der Opferthese am Beginn der Aufarbeitung stand.220 Auch die Tatsache, dass 1938 der gesamte jüdische Vorstand entlassen wurde, setzen die Verfasser nicht mit einer Übernahme von außen oder von oben gleich, da sie zeigen konnten, dass bis auf wenige Ausnahmen alle neuen Vorstandsmitglieder schon vor 1938 eine Verbindung zur Austria gehabt hatten.221 Sie gehen sogar noch weiter, indem sie der Austria eine Mittäterschaft aufgrund ihres Antreten als deutscher Verein in Kopenhagen attestieren.222 Der Mythos, die Austria habe aufgrund systematischer Benachteiligung während der NS-Zeit geringe sportliche Erfolge einfahren können, war ebenfalls nicht zu belegen.223

Zusammenfassend ist an dieser Stelle also festzuhalten, dass sich die Annahme, der FK Austria Wien könnte aufgrund seiner Vergangenheit die Geschehnisse während der NS-Zeit aus der Opferperspektive erzählen, nicht bestätigt hat. Im Gegenteil, die Autoren haben akribisch unterschiedlichste Tradierungen und Mythen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts analysiert und so ein transparentes Bild der NS-Vergangenheit erzeugt. An jenen Stellen der Geschichte, an denen man die Einnahme der Opferrolle vermuten könnte, beispielsweise die Absetzung des jüdischen Vorstands 1938 oder die folgende vergleichsweise erfolglose sportliche Zeit, wurde gezeigt, dass sich der Verein durchaus gut in der neuen Zeit zurecht fand und dass der mangelnde Erfolg nicht auf eine systematische Benachteiligung zurückzuführen ist.

4.2.3 Aufarbeitung der Vergangenheit abseits der Studie Dieses Kapitel erläutert, in welchen Bereichen der FK Austria Wien sich dem Thema der Aufarbeitung der Vergangenheit abseits der Studie widmet beziehungsweise in welchen Bereichen die Ergebnisse der Studie zum Einsatz kommen.

Zu Beginn sei auf jenes Medium verwiesen, das wohl die meisten AnhängerInnen und Interessierten erreicht: die Vereinshomepage. Unter dem Reiter „Geschichte“ findet sich auf der Homepage eine Unterteilung in vier Bereiche, den „Beginn“, den „Zweiten Weltkrieg“, das „Europacup-Finale“ und „Heute“.224 Hier lässt sich schon erkennen, welche zentrale Rolle die Studie bei der Präsentation der Vereinsgeschichte einnimmt. Auf der Vereinshomepage

220 Vgl. ebda., S. 224. 221 Vgl. ebda. 222 Vgl. ebda., S. 226. 223 Vgl. ebda. 224 Vgl. URL: http://www.fk-austria.at/de/klub/geschichte/geschichte/ [08.08.2020]. 63 lassen sich aber Fehler erkennen, wenn man sich den Text zum Zweiten Weltkrieg durchliest. So heißt es beispielsweise,

„die Austria war dem NS-Regime aus zwei Gründen besonders zuwider: Erstens als Klub, der vor allem unter den Funktionären einen hohen Anteil an jüdischen Bürgern hatte und zweitens als Verein, der besonders das spielerische Element, das ‚Wiener Scheiberlspiel‘, betonte. Dieser Spielstil vertrug sich überhaupt nicht mit dem geradlinigen Spiel der Deutschen und war deshalb nicht gerne gesehen.“225

Dies stimmt nicht ganz mit den Ergebnissen der Studie überein, denn zum einen behandelte, wie aus der Studie hervorgeht, das NS-Regime nach der Absetzung des jüdischen Vorstands den FK Austria Wien als „normalen“ Verein und laut den Autoren gibt es wie erwähnt keine Belege dafür, dass das NS-Regime die Austria benachteiligt hätte.226 Zum anderen ist auch das zweite Argument nicht ganz korrekt, denn der Wiener Fußballstil vertrug sich zwar im Rahmen der Deutschen Nationalmannschaft nicht so gut mit dem deutschen WM-System, doch die Autoren der Studie haben klar nachgewiesen, dass der Wiener Fußballstil vor allem in den deutschen Medien, aber auch beim deutschen Publikum, oft sehr viel Anerkennung fand.227 Ein weiterer Fehler auf der Homepage steckt in der folgenden Aussage:

„Die Mannschaft der Austria war allerdings zwischen 1938 und 1945 wesentlich schwächer als in den Jahren davor. Die jüdischen Spieler waren emigriert, viele Nachwuchsspieler wurden zum Heer eingezogen, so dass nur mehr eine Rumpfmannschaft zur Verfügung stand.“228

Hier wird einerseits der Fehler begangen zu behaupten, dass jüdische Spieler der Austria emigrierten, obwohl es in der Realität, wie die Autoren anmerken, 1938 keinen einzigen jüdischen Spieler in der Kampfmannschaft gab.229 Der Text auf der Vereinshomepage steht sehr stark unter dem Eindruck des Opfermythos. Die wesentlichen Ziele und neuen Erkenntnisse der Studie sind in diesem Text einerseits nicht erwähnt, andererseits erweckt der Text den Anschein, die neuen Erkenntnisse zu verschweigen. Er sollte auf jeden Fall überarbeitet werden, da neben der Unterschlagung wesentlicher Aspekte falsche Aussagen getroffen werden, die angesichts der Tatsache, dass der Verein Zugriff auf eine gut gelungene und groß angelegte Studie hat, nicht nachvollziehbar sind.

Abseits des Internets veranstaltete der FK Austria Wien mehrere Lesungen, in denen die Ergebnisse der Studie vorgestellt wurden. Aus einer E-Mail von Matthias Marschik230 erfuhr ich, dass der Verein die gewonnenen Erkenntnisse wohl auch für die Nachwuchsarbeit

225 Vgl. URL: http://www.fk-austria.at/de/klub/geschichte/2--weltkrieg/ [08.08.2020]. 226 Vgl. Hachleitner, Marschik, Müllner et al.: Ein Fußballverein aus Wien, S. 67. 227 Vgl. ebda., S. 180. 228 Vgl. http://www.fk-austria.at/de/klub/geschichte/2--weltkrieg/ [08.08.2020]. 229 Vgl. Hachleitner, Marschik, Müllner et al.: Ein Fußballverein aus Wien, S. 51. 230 E-Mail-Auskunft von Matthias Marschik vom 22.07.2020. 64 einsetzt. Auf eine Anfrage, ob die Studie im Vereinsmuseum ausgestellt ist und ob es Abende mit einem Themenschwerpunkt zum Nationalsozialismus gibt, erhielt ich leider keine Antwort, aber es ist wohl davon auszugehen, dass die Studie ihren Platz im Vereinsmuseum gefunden hat.

4.3 „Erst der Verein, dann die Partei“ – Steirischer Fußball Anders als bei den beiden vorangehenden Studien der Wiener Fußballmannschaften handelt es sich beim folgenden Werk um eine Studie von Dr. Iber, in der er sich nicht mit einem einzelnen Verein auseinandersetzt, sondern den gesamten steirischen Fußball während der NS-Zeit analysiert und dabei die Rolle unterschiedlicher Fußballklubs beleuchtet. Iber verriet in einer E-Mail, dass die Studie im Grunde eine Eigeninitiative des Bolzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung bzw. von Mag. Harald Knoll und eben Iber selbst war. In dieser E- Mail merkt er auch an, dass der Steirische Fußballverband unter Präsident Dr. Wolfgang Bartosch und Direktor Thomas Nußgruber sowie der Archivar des SK Sturm Graz Dr. Herbert Troger im Rahmen dieses Projekts eine wesentliche Hilfestellung leisteten. Der Zukunftsfonds der Republik Österreich unter dem Vorsitzenden Dr. Kurt Scholz und Generalsekretär Herwig Hösele sowie die Industriellenvereinigung Steiermark unter Präsident Mag. Jochen Pildner-Steinburg und Geschäftsführer Dr. Thomas Krautzer werden als Förderer des Projekts genannt.231 Die Publikation der Studie erschien im Jahr 2016 und ist somit zeitlich nach der Studie des SK Rapid Wien und vor jener des FK Austria Wien einzuordnen.

4.3.1 Darstellung der NS-Zeit in „Erst der Verein, dann die Partei“ Die Analyse des Werks von Iber gestaltet sich anders als jene der Studien zu den Wiener Fußballklubs, da sich der Autor einerseits mit dem gesamten steirischen Fußball während der NS-Zeit beschäftigt hat und nicht aus der Perspektive eines bestimmten Vereins, beispielsweise des FK Austria Wien oder SK Rapid Wien; andererseits waren es in diesem Fall nicht die Vereine selbst, die das Projekt forciert haben, sondern sie leisteten lediglich eine Hilfestellung bei der Recherche und waren finanziell, soweit dies in Erfahrung gebracht werden konnte, nicht an der Studie beteiligt. Aus diesem Grund beschränkt sich die Analyse in diesem Fall auf zwei wesentliche Bereiche: einerseits den Aufbau des Werkes, um im folgenden Kapitel durch den Vergleich der drei behandelten Studien ein Inventar zu erstellen,

231 Vgl. Iber: Erst der Verein, dann die Partei, S. 9-10. 65 das verdeutlichen soll, wie sich Fußballvereine einer Aufarbeitung ihrer Geschichte beziehungsweise ihrer NS-Vergangenheit annähern könnten, und andererseits die unterschiedlichen Aspekte, die Iber im Rahmen seiner Studie aufgreift, um so diskutieren zu können, ob mit dem heutigen Wissensstand noch weitere Themen der Geschichte des steirischen Fußballs während der NS-Zeit eine genauere Betrachtung verdienen.

Die Struktur der Studie Ibers beschränkt sich inhaltlich auf drei Kapitel, die chronologisch aufeinander aufbauen. Das erste Kapitel beginnt mit der Vorgeschichte des steirischen Fußballs und behandelt ungefähr die Zeit zwischen 1910 und 1938. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem steirischen Fußballsport und dem Spielbetrieb während der NS-Zeit und das dritte Kapitel behandelt das Kriegsende und die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, zudem aber auch die Vergangenheitsbewältigung der Vereine.

Im Kapitel zur Vorgeschichte und Entwicklung des steirischen Fußballs bis 1938 beginnt Iber mit der Entstehung des Fußballsports im steirischen Gebiet, wodurch er wesentlich früher ansetzt als die Wiener Studien. Er schildert, wie sich die ersten Mannschaften entwickelten und wie es zu den ersten Vereinsgründungen kam beziehungsweise wie diese Mannschaften erste Wettspiele untereinander austrugen. Iber beginnt also bereits vor dem Ersten Weltkrieg, ehe er die Auswirkungen dieses Krieges auf den steirischen Fußballsport umreißt. Er stellt zudem dar, welche Fußballzentren sich in den 1920er Jahren etablierten und wer die Gönner der Vereine waren, beispielsweise der SC Kapfenberg mit dem Böhler Konzern, dessen Firmenlogo der Verein in seinem Wappen trug.232 Für die 1930er Jahren beschäftigt sich Iber mit dem sich entwickelnden versteckten Professionalismus, dessen Systematik er beschreibt, sowie einzelnen Topspielern und Spitzenfunktionären. Mit dem Deutschnationalismus und dem Antisemitismus behandelt Iber in dieser Vorgeschichte zwei wesentliche Strömungen, die besonders im Hinblick auf den „Anschluss“ 1938 von Bedeutung sind. Der Autor erwähnt beispielsweise, dass der GAK bereits 1902 einen Arierparagraphen in seinen Gründungsstatuten verankerte, der festlegte, dass nur Deutsche arischer Abkunft Mitglieder des Vereins werden konnten. Denselben Wortlaut fand er auch in den Satzungen des SK Sturm aus dem Jahr 1912.233

Eine wesentlich genauere Betrachtung als bei den Wiener Studien findet sich zur Zeit zwischen 1934 und 1938, also zum „Ständestaat“. Iber beschreibt hier unter anderem die autoritären Strukturen abseits des Fußballsports, wodurch die Auswirkungen dieses Regimes

232 Vgl. ebda., S. 34-35. 233 Vgl. ebda., S. 45. 66 auf die Sportvereine nachvollziehbarer sind. Als solche Auswirkungen nennt der Autor neben dem Zusammenschluss aller österreichischen Sportverbände und -vereine zu einem autoritären Verband den Einfluss der Katholischen Kirche, wodurch alle sonntäglichen Fußballspiele gleichzeitig angesetzt werden mussten, um Jugendliche nicht an der Ausübung ihrer religiösen Pflichten zu hindern. Eine weitere Folge des autoritären Regimes waren zahlreiche Vereinsauflösungen, die ab 1934 vor allem Arbeiter-Sportvereine trafen.234 Auch hier wäre es interessant, ob und wie beispielsweise der SK Rapid Wien, der bekanntermaßen die Zuschreibung als Arbeiterverein hat, in dieser Zeit mit dem Regime Berührungspunkte hatte. Ein Aspekt, den die Wiener Studien für diesen Zeitraum nicht behandelten, war der Umgang mit der Jugend vor dem „Anschluss“. Am Ende dieses Kapitels wird der Weg des steirischen Fußballs heraus aus der Fußballprovinz und hinein in die Nationalliga beschrieben, womit der Übergang zur NS-Zeit der steirischen Fußballgeschichte erfolgt. Die Idee einer Integration von Klubs aus der Provinz in die Nationalliga bestand demnach schon länger und bereits im „Ständestaat“ wurden die Weichen dafür gestellt, aber abgesehen von der sportlichen Qualifikation gab es hierbei noch immer Streitigkeiten um Entschädigungssätze, da die Wiener Vereine für die Fahrten nach Graz 800 Schilling forderten; umgekehrt billigte man bei Spielen in Wien den Provinzklubs nur 400 Schilling zu. So kam es erst nach dem „Anschluss“ mit dem Grazer Sportklub Straßenbahn zur ersten Teilnahme eines steirischen Vereins in der höchsten „österreichischen“ Spielklasse.235

In seinem zweiten Kapitel beschäftigt sich Iber mit dem steirischen Fußball und dessen Traditionsklubs in der NS-Zeit. Er behandelt dabei ein sehr breites Spektrum an unterschiedlichen Aspekten. Hier seien im Folgenden vor allem jene Themen genannt, die die Wiener Studien nicht behandelten. Ein Aspekt, der im steirischen Fußball laut Iber zu finden ist, ist jener des vorauseilenden Gehorsams. Mit Blick darauf beschreibt der Autor, wie sich die steirischen Traditionsvereine teilweise bereits vor den neuen Bestimmungen des nationalsozialistischen Sports mehr oder weniger regimekonform verhalten haben. So hat der GAK bereits vor den verbindlichen Reformen das Hakenkreuz an den rot-weißen Dressen angebracht, wofür der Verein vom Regime Lob erhielt. Auch der SK Sturm versicherte nur wenige Tage nach dem „Anschluss“ treue Gefolgschaft im nationalsozialistischen Deutschland.236 Ob es bei den Wiener Vereinen ähnliche Aktionen des vorauseilenden Gehorsams gab, bleibt ungenannt. In jedem Fall macht es unter Berücksichtigung des österreichischen Opfermythos einen Unterschied, ob die neuen Verordnungen des NS-

234 Vgl. ebda., S. 52-53. 235 Vgl. ebda., S. 60. 236 Vgl. ebda., S. 62. 67 Regimes eingehalten wurden oder ob Vereine durch solche Aktionen versuchten, sich in einem aus nationalsozialistischer Perspektive guten Licht zu präsentieren.

Im weiteren Verlauf des Kapitels kommen viele kleinere Aspekte zur Sprache, die den Fußballsport im Allgemeinen betrafen, zum Beispiel die Auflösungen und Fusionierungen vieler kleiner Sportvereine, die Bildung von Betriebssportgemeinschaften, die komplette Auslöschung des jüdischen Fußballs oder die Abschaffung des Professionalismus. Die genauere Beschäftigung mit diesen Themen bietet sich natürlich in einem vereinsübergreifenden Kontext viel eher an als bei einer Vereinsstudie, die solche Gebiete aus Platzmangel nur anschneiden sollte. Iber umreißt in weiterer Folge, welche Funktionäre, Spieler, Kreisfachwarte, Vereinsführer und Sportwarte es in dieser Zeit in der Steiermark gab und was deren Funktionen waren. Ein eigenes Kapitel widmet er dem Massenspektakel Fußball im Kontext der NS-Politik und -Propaganda. Die genauere Beschreibung des Phänomens, warum der Massensport Fußball für die NS-Propaganda so wichtig war, stellt einen geschichtlichen Kontext her, der in einer Vereinsstudie mit dem Ziel, ihr Publikum aufzuklären und weiterzubilden, eigentlich nicht fehlen dürfte.

Ein weiteres von Iber behandeltes Phänomen, das wahrscheinlich den gesamten österreichischen Fußball betroffen hat, waren die schwierigen Auswärtsfahrten aufgrund der starken Einschränkung des zivilen Reiseverkehrs. Der Verfasser merkt an, dass viele Auswärtsfahrten für manche Vereine zu einer Odyssee werden konnten, da eine angemessene Reiseplanung kaum möglich war.237 Dies ist ein Thema, das die Wiener Studien nicht aufgegriffen haben, wenngleich es interessant wäre zu erfahren, ob Wiener Vereine ebenso unter den erschwerten Reisebedingungen litten, oder ob dies nur Provinzvereine betraf, die ein Spiel in Wien zu bestreiten hatten.

Im dritten Kapitel beschäftigt sich Iber mit dem Kriegsende, dem Wiederaufbau und der Vergangenheitsbewältigung im steirischen Fußballsport. Es wird das übliche Bild vom österreichischen Fußballsport gezeichnet, wonach es zu einer raschen Wiederaufnahme des Spielbetriebs gekommen ist. Die Darstellung, dass die Vereine nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vom Entnazifizierungsprogramm der Alliierten betroffen waren und sich die Fußballklubs oft neu gründen oder umstrukturieren mussten, findet sich ebenfalls in allen untersuchten Studien. Johann Janisch wird zudem in seiner Rolle als „Ariseur“ kritisch untersucht, was wiederum ein Thema darstellt, das die beiden Wiener Studien aufgriffen, ebenso wie die Behandlung von Fußballmythen.

237 Vgl. ebda., S. 131. 68 Iber führt in seinem Fazit aus, dass die Darstellung des steirischen Fußballs und seiner Traditionsklubs im Nationalsozialismus ein ähnliches Bild wie der Wiener Fußball vermittelt.238 Dies kann im Vergleich der drei Studien bestätigt werden, denn sehr viele Themen überschneiden einander selbstredend. Ein wesentlicher Punkt der Studie Ibers ist die Gleichschaltung des steirischen Fußballs und seiner Traditionsklubs durch den Nationalsozialismus. Hier beschäftigte er sich vor allem damit, welche Einflüsse der „Anschluss“ auf den steirischen Fußballsport hatte und wie sich die Vereine damit arrangierten. Der Autor untersuchte zudem den Nutzen des Massenspektakels Fußball für das NS-Regime, ein Thema, das die Wiener Studien zwar am Rande behandeln, Iber jedoch betrachtet es aus einer allgemeineren Perspektive. Für ihn zählt die Analyse des Verhaltens von Funktionären, Spielern und Anhängern zu den Kerngebieten seiner Studie. Neben den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf den allgemeinen Spielbetrieb, beispielsweise die stetig schlechter werdenden Verkehrsverbindungen innerhalb der „Ostmark“, beschäftigte sich Iber mit dem Umgang der Vereine mit ihrer Vergangenheit nach 1945, wobei er vor allem heute immer noch virulente Mythen als Relikte mangelnder Vergangenheitsbewältigung ausmacht.239

Zusammenfassend lässt sich zu Ibers Werk festhalten, dass es inhaltlich viele Überschneidungen mit den Wiener Studien aufweist, was aber auf den gemeinsamen Kontext zurückgeht. Seine Studie hat einen wesentlich historischeren Anspruch, da viele Aspekte im Gesamtkontext und sehr allgemein beschrieben sind. Die einzelnen steirischen Traditionsvereine, wie der SK Sturm oder GAK, dienen meist nur als Exempel, um einen Sachverhalt in unterschiedlichen Vereinen darzustellen. Iber greift im Wesentlichen sämtliche Aspekte der Wiener Studien auf, er konnte allerdings noch weitere Themen hinzufügen. Aus diesem Grund stellt sein Opus nicht nur für LeserInnen einen breiten Überblick über den steirischen Fußball während der NS-Zeit zur Verfügung, sondern es bietet den steirischen Traditionsvereinen die Möglichkeit, sehr einfach auf Informationen zum eigenen Fußballklub zuzugreifen. In Kapitel 6, das weitere österreichische Fußballvereine der 1. und 2. Bundesliga hinsichtlich ihres Beitrags zur österreichischen Vergangenheitsbewältigung analysiert, wird bei den steirischen Vereinen insbesondere darauf geachtet, ob sie die ihnen bereits zur Verfügung gestellten Informationen in irgendeiner Form verwerten.

238 Vgl. ebda., S. 195. 239 Vgl. ebda., S. 193. 69 4.4 Vergleich der Studien Dieses Kapitel behandelt sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede der jeweiligen Studien, um so im Anschluss daran ein Inventar zu erstellen, das die wesentlichen Charakteristika und Aspekte einer erfolgreichen Vereinsstudie zusammenfasst.

Als erstes gemeinsames Merkmal der Studien ist zu nennen, dass sich in der Herangehensweise an ein solches Projekt ein homogenes Muster erkennen lässt. Fußballvereine sind zumindest im österreichischen Kontext nicht diejenigen, die in erster Linie an der Durchführung einer solchen Studie interessiert sind, sondern es sind vielmehr Individuen, meist einzelne HistorikerInnen, welche die Idee und die Notwendigkeit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit aus der Perspektive eines Vereins an die jeweiligen Fußballklubs herantragen. Diese Personen sind dann mit der Aufgabe konfrontiert, die Vereine von einer Mitarbeit zu überzeugen, oder im Fall der Studie Ibers, die Vereine zumindest um die Bereitstellung von Quellen zu bitten. Es ist also wahrscheinlich auch in Zukunft nicht davon auszugehen, dass Fußballklubs von sich aus bei einer Auseinandersetzung mit der eigenen (NS-)Vergangenheit die Initiative ergreifen werden.

Beim Aufbau der Studien beziehungsweise bei deren Veröffentlichungen lassen sich ebenfalls starke Parallelen erkennen. Die Studien setzen zeitlich aus nachvollziehbaren Gründen alle bereits vor dem „Anschluss“ 1938 an, um so die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Vereine oder den Fußballsport an sich nachvollziehbar beschreiben zu können. Ein Unterschied, der sich hierbei aber ergibt, besteht darin, dass Iber wesentlich weiter zurückgreift, indem er beschreibt, wie der Fußballsport überhaupt in die Steiermark gekommen ist und welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf den sich erst entwickelnden Fußballsport hatte. Die Wiener Studien setzen später ein und behandeln diese Entwicklungen nicht. Inhaltlich werden ebenfalls teils unterschiedliche Themen behandelt. Während sich die Wiener Studien beispielsweise sehr auf die Traditionen und Zuschreibungen des eigenen Vereins vor 1938 und auf den Anteil jüdischer Spieler und Funktionäre konzentrieren, beschäftigt sich Iber in seinem ersten Kapitel mit allgemeineren Themen des Fußballsports wie dem versteckten Professionalismus, dem Deutschnationalismus und Antisemitismus.

Die drei Studien untersuchen die Zeit der NS-Herrschaft aus thematischer Perspektive in einer ähnlichen Art und Weise. Gemeinsamkeiten sind die Darstellung von Spielern und Funktionären, die im Nationalsozialismus eine Rolle spielten, die Auswirkungen des Krieges auf die Vereine, vor allem auf die neu etablierten Vorstandsmitglieder, sowie die Auswirkungen der Abschaffung des Professionalismus auf den Fußballsport. Während die

70 Wiener Studien jeweils ein sehr starkes Gewicht auf die Untersuchung vertriebener und ermordeter jüdischer Spieler und Funktionäre legen, behandelt Iber dieses Thema nur am Rande, da er einzelne jüdische Personen nicht genauer durchleuchtet. Ein Unterschied findet sich außerdem zwischen den Wiener Studien, denn während die Vertreibung und Ermordung jüdischer Rapidler in „Grün-Weiß unterm Hakenkreuz“ nur in Form eines kleineren Kapitels vorkommen, was vermutlich der Tatsache geschuldet ist, dass dieses Thema den SK Rapid Wien in einem geringeren Ausmaß betraf als die Austria, widmete der FK Austria Wien diesem Thema zahlreiche Biographien jüdischer Funktionäre. Auch dieser Unterschied scheint aber nachvollziehbar, da der FK Austria Wien zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ einen durchwegs jüdischen Vorstand hatte, wodurch wesentlich mehr jüdische Personen untersucht werden konnten. Weitere Unterschiede findet man in den Studien vor allem hinsichtlich der Schwerpunktsetzung der Themen. Der SK Rapid Wien befasste sich in einem größeren Ausmaß mit den Gönnern des Vereins in der Wiener NS-Sportpolitik oder mit der Rolle Rapids in den nationalsozialistischen (Sport-)Medien. Der FK Austria Wien legte seinen Fokus vor allem auf individuelle Personengeschichten innerhalb des Vereins, neben jenen vertriebenen jüdischen Funktionären auch einzelne Spieler wie Sindelar oder Sesta, die in unterschiedlichen Bereichen eine bedeutende Rolle spielten. Iber behandelt in seiner Studie zum steirischen Fußballsport in der NS-Zeit hingegen allgemeine Themen wie der Bedeutung des Massenspektakels Fußball für die NS-Politik und -Propaganda viel detaillierter und in einem größeren Kontext, weswegen er einzelne steirische Traditionsvereine eher beispielhaft abhandelt, anstatt sie in den Fokus zu rücken. Die Wiener Studien haben zudem gemeinsam, dass sie sich sehr intensiv mit dem Verhältnis des eigenen Vereins zur deutschen Nationalmannschaft beschäftigen, wohingegen Iber dieses Thema kaum behandelt, vermutlich weil die deutsche Nationalmannschaft wesentlich weniger Spieler aus den Provinzvereinen berücksichtigte.

Alle Studien beschreiben zudem die unmittelbare Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es wird auf sportlicher Ebene die rasche Wiederaufnahme des Spielbetriebs dargestellt, Änderungen und Kontinuitäten in den Vorständen sind beschrieben und der Umgang mit NS-Verbrechern aus den Vereinen wird in einem ähnlichen Ausmaß analysiert. Es lässt sich festhalten, dass die drei Studien vor allem die Nachkriegszeit im österreichischen Fußballsport relativ ähnlich aufarbeiten.

Dieses Kapitel sollte zeigen, welche Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten die bisherigen Studien zum österreichischen Fußballsport in der NS-Zeit aufweisen und worauf diese zurückzuführen sind. Im folgenden Kapitel 5 wird nun der Versuch unternommen, ein

71 Inventar zu erstellen, das erfasst, welche Aspekte bei einer Vereinsstudie zur NS- Vergangenheit unbedingt berücksichtigt werden sollen.

5 Relevante Themenbereiche einer Vereinsstudie zur NS-Zeit Je nachdem, ob eine Studie einzelne Vereine behandelt oder mehrere Vereine hinsichtlich ihrer NS-Vergangenheit im Sinne einer Regionalgeschichte analysiert, können sich die Schwerpunkte der Betrachtung verschieben, doch der untersuchte Zeitrahmen dürfte relativ vorgegeben sein. So demonstriert die Studie Ibers zu den steirischen Traditionsvereinen, dass es sich durchaus anbietet, bei der Entstehung des Fußballs in Österreich zu beginnen. Vermutlich werden beispielsweise viele LeserInnen der Wiener Studien oder die BesucherInnen eines Vereinsmuseums abseits dieser Projekte nicht mehr häufig in Kontakt mit der österreichischen Fußballgeschichte kommen, weswegen die Entstehungsgeschichte und die sich entwickelnde Eigendynamik des Fußballsports als Kontextwissen einen besonderen Mehrwert bringen könnten. Zudem ermöglichen kurze Einblicke in den Fußballsport während des Ersten Weltkriegs und während des Ständestaats interessante Vergleiche des Verhaltens von Fußballvereinen während eines Krieges oder bei einem Regimewechsel. Ein Verein, der sich mit seiner (nationalsozialistischen) Vergangenheit auseinandersetzt, sollte sich bei der Betrachtung des Fußballklubs vor dem „Anschluss“ 1938 auf jeden Fall mit der Tradition beziehungsweise dem Image des Vereins beschäftigen, also damit, welche Attribute ihm zugeschrieben wurden. Dies ist vor allem für das Verhältnis zum NS-Regime wichtig, da es ganz entscheidend war, ob ein Klub viele oder wenige Anhänger hatte, ob er eher ein bürgerlicher Verein oder ein Arbeiterklub war, oder ob er viele oder wenige jüdische Mitglieder, Spieler und Anhänger hatte. Ein weiterer wesentlicher Aspekt für die Zeit vor dem NS-Regime in Österreich ist die Suche nach jüdischen Vereinsmitgliedern und Spielern. Es sollte aufgezeigt werden, wie viele jüdische Personen es in den eigenen Reihen gab; lässt es die Quellenlage zu, erscheint auch eine biographische Vorstellung dieser Personen, wie es beispielsweise der FK Austria Wien gemacht hat, aus vergangenheitspolitischer Perspektive als äußerst relevant.

Bei der Analyse der Vereinsgeschichten während der NS-Zeit bieten sich viele unterschiedliche Aspekte an, die wiederum stark von der Quellenlage abhängen. Eine wichtige Frage, der man nachgehen sollte, lautet, was den jüdischen Spielern und Funktionären nach dem „Anschluss“ widerfuhr. Auch hier scheint eine biographische

72 Darstellung der jüdischen Betroffenen sehr übersichtlich und praktisch, da man solche Biographien zudem in Museen und bei Führungen sehr gut präsentieren kann. Neben den Opfern aus den Reihen des eigenen Vereins ist die Suche nach möglichen Tätern relevant, weswegen beschrieben werden sollte, welche Spieler und Funktionäre des Vereins Kontakt zur NSDAP hatten, ob sie Parteimitglieder waren, welche Gründe sich für eine Mitgliedschaft finden lassen, ob opportunistische Vereinsinteressen im Vordergrund standen oder ob sich eine ideologische Nähe feststellen lässt. In diesem Kontext sollte sich ein Verein aber auch mit möglichen „Arisierungen“ beschäftigen, um zu ermitteln, ob es Spieler oder Funktionäre gab, die direkt von jüdischen Enteignungen profitierten und sich an diesen Verbrechen beteiligten.

Neben Einzelpersonen sollte die Vereinsebene analysiert werden, vor allem, wie sich der Verein dem neuen Regime angepasst hat. In diesem Kontext sollte man sich auch damit beschäftigen, von welchen ranghohen NS-Funktionären der Verein profitiert hat und ob es Gönner innerhalb des NS-Regimes gab. Da der österreichische Fußballsport für das NS- Regime neben seiner Funktion als Ablenkung vom Kriegsalltag gerade in der Anfangszeit aus propagandistischen Gründen von großer Bedeutung war, sollte zudem der Darstellung des Vereins in den nationalsozialistischen (Sport-)Medien, vor allem in Form von Zeitungsartikeln, Aufmerksamkeit geschenkt werden. Anhand dieser Darstellungen lässt sich nämlich gut auf Zuschreibungen des Vereins seitens des NS-Regimes und der Bevölkerung schließen. Ein weiterer großer Aspekt, der in die NS-Zeit fällt, ist die Rolle von Spielern und Funktionären in der Deutschen Wehrmacht. Hier lassen sich unterschiedliche Bereiche untersuchen, zum Beispiel die Auswirkungen der Kriegseinsätze auf den Kader der Mannschaft oder ob es im Verein dokumentierte „wehrkraftzersetzende“ Handlungen gab. Ein letzter Punkt, der für die NS-Zeit mancher Vereine analysiert werden könnte, ist das Verhältnis des jeweiligen Vereins zur deutschen Nationalmannschaft. Gerade deren Trainer Sepp Herberger unterhielt einen regen Briefwechsel mit vielen Funktionären und Spielern in der „Ostmark“, weshalb sich hier vielleicht auch bei Vereinen, die während der NS-Zeit eine weniger bedeutende Rolle spielten, die eine oder andere Quelle finden lässt. Neben diesen Aspekten sollte natürlich der Verlauf des Krieges und der NS-Herrschaft in Österreich mitskizziert werden und vor allem die sich intensivierenden Kriegshandlungen sollten mit dem immer schwieriger aufrechtzuerhaltenden Spielbetrieb in Verbindung gebracht werden.

Die Studie sollte auf keinen Fall mit dem Ende dieses Krieges 1945 enden, denn vor allem die folgenden Jahre bis etwa 1950/55 sind aus vergangenheitspolitischer Perspektive sehr relevant. Hier können insbesondere Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Vereins auf

73 Vorstandsebene, aber auch jene des Kaders, untersucht werden. Bedingt durch das NS- Regime fanden sich im Vorstand der österreichischen Vereine viele Nationalsozialisten, da diese vom Regime dort installiert wurden, um auf die Fußballklubs direkt einwirken zu können. Der Umgang mit diesen Nationalsozialisten im Rahmen des Entnazifizierungsprogramms der Alliierten bietet sich für eine Analyse sehr gut an. Es sollte zudem dargestellt werden, wie der Fußballsport im neuen Österreich wieder aufgenommen wurde und welche Auswirkungen der erneute Regimewechsel auf den jeweiligen Verein hatte. Ein Aspekt, den die bisherigen Studien noch nicht aufgegriffen haben, würde sich für diese Zeit eventuell anbieten. Man könnte untersuchen, ob der jeweilige Verein aktiv versuchte, Kontakt zu vertriebenen jüdischen Vereinsmitgliedern aufzunehmen, und ob er ihnen Unterstützung oder Hilfe anbot. Dies wäre erneut aus vergangenheitspolitischer Perspektive ein sehr interessanter Aspekt.

6 Analyse weiterer österreichischer Fußballvereine Dieses Kapitel analysiert weitere österreichische Fußballvereine der 1. und 2. Bundesliga hinsichtlich ihrer Aufarbeitung ihrer (nationalsozialistischen) Vergangenheit. Das Ziel besteht darin, mögliche Leerstellen in der österreichischen Vergangenheitsbewältigung im Fußballsport offenzulegen und zu beschreiben, für welche Vereine sich eine Beschäftigung mit der Vergangenheit besonders anbietet, um so eventuelle weiterführende Forschungsgebiete zu eröffnen. Begonnen wird mit den steirischen Fußballklubs der 1. und 2. Bundesliga, da diese an der Studie Ibers zu den steirischen Traditionsvereinen während des Nationalsozialismus bereits unterstützend mitwirkten und so relativ einfach auf die daraus gewonnenen Erkenntnisse zugreifen können.

6.1 SK Sturm Graz Wie bereits erwähnt, unterstützte der SK Sturm Graz Iber bei der Studie zu den steirischen Traditionsvereinen während der NS-Zeit vor allem bei den Recherchearbeiten, was Iber in einer E-Mail an mich besonders hervorhob.240 Aus vergangenheitspolitischer Perspektive ist es aber auch wichtig, wie der Verein mit den aus der Studie gewonnenen Erkenntnissen umgeht, weswegen sich ein Blick auf die Vereinshomepage des SK Sturm Graz lohnt. Unter dem Reiter „Klub“ und weiter „Geschichte“ wird die Vereinsgeschichte des Fußballklubs sehr

240 E-Mail Auskunft von Walter Iber vom 22.07.2020. 74 ausführlich dargestellt. Sie setzt hier bereits bei der Gründung an, sodass auch Themen wie der Erste Weltkrieg behandelt werden. Die NS-Zeit wird in der Vereinsgeschichte nicht ausgespart, so wird etwa der Spielbetrieb nach dem „Anschluss“ 1938 beschrieben. An der Darstellung der NS-Zeit auf der Vereinshomepage gibt es allerdings Kritik. So heißt es dort beispielsweise:

„Doch in der zweiten Ebene ist Sturm – wie heutige Forschungen beweisen – unpolitisch und nicht belastet. Der Klub spielt zwar 1941 bis 1943 mit den Wiener Klubs in der ‚Bereichsklasse‘, doch werden sämtliche Stützen zur Wehrmacht eingezogen. Ein sportliches Fiasko ist die Folge.“241

Es ist zwar richtig, dass Ibers Studie besagt, dass sich die steirischen Traditionsvereine während der NS-Zeit opportunistisch verhielten und der Verein an erster Stelle kam, doch kann man nicht davon sprechen, dass der Verein unbelastet sei. Wie die Studie zeigt, übten sich der SK Sturm Graz und der GAK in „vorauseilendem Gehorsam“, was bedeutet, dass der Verein durchaus ohne Zwang nationalsozialistische Wünsche erfüllte. In diesem Kontext ist auch folgende Aussage auf der Homepage zu relativieren:

„Der Verein, der in den 1920er- und 1930er-Jahren in der antisemitischen Grundstimmung in Graz auf ein tolerantes, offenes Verhältnis wert legt, arrangiert sich während der NS-Zeit wie alle Klubs mit den Machthabern und wird von einem parteitreuen ‚Vereinsführer‘ geleitet [...]“242

Mag diese Aussage an sich nicht falsch sein, so hatte doch der SK Sturm Graz, gleich wie der GAK, zu dieser Zeit einen Arierparagraphen in seinen Statuten verankert, der besagte, dass lediglich Deutsche arischer Abstammung Vereinsmitglieder werden konnten. Dieser Arierparagraph wurde, wie in Kapitel 2 beschrieben, erst 1934 aus den Statuten entfernt. Es gibt also noch Überarbeitungsbedarf für die Vereinshomepage des SK Sturm Graz, da manche Aspekte zu einseitig dargestellt sind. Unangenehme Eingeständnisse, wie die Verankerung des Arierparagraphen in den Statuten oder Aktionen des „vorauseilenden Gehorsams“, sollten aus vergangenheitspolitischer Sicht definitiv erwähnt werden.

Zu erwähnen ist aber, dass der SK Sturm Graz im Rahmen seiner Vereinszeitschrift „Sturmecho“ dem Thema Sturm Graz im Nationalsozialismus 2015 eine eigene Ausgabe mit dem Titel „Überleben in dunkler Zeit. Sturm Graz im Nationalsozialismus“ widmete, in der anlässlich des 70. Jahrestages des Zusammenbruchs des Nationalsozialismus auf die Überlebensstrategie des Vereins während der NS-Herrschaft, die Anpassung an das Regime

241 Vgl. Erstellt am: 12.06.2017. URL: https://www.sksturm.at/de/klub/geschichte/chronik/chronik-teaser/ns-zeit/ [08.08.2020]. 242 Vgl. ebda. 75 und auf den vorherrschenden Opportunismus eingegangen wird; zusätzlich findet sich darin ein Zeitzeugeninterview.243

6.2 Grazer Athletiksport Klub Ebenso wie der SK Sturm Graz beschreibt der GAK seine Vereinsgeschichte auf der Homepage ab dem Gründungsjahr 1902. Ein wesentlicher Unterschied zur Darstellung der Geschichte beim SK Sturm Graz besteht jedoch darin, dass der GAK mit seinem Arierparagraphen offen umgeht, so heißt es etwa:

„Auch im GAK selbst gibt es unterschiedliche Lager und eine Debatte, ob der Sport nun ‚(Deutsch)National‘ oder ‚International‘ zu sein habe. Unzweifelhaft ist, dass man auch 1927 sehr stolz darauf ist, den seit der Gründung in den Statuten verankerten ‚Arierparagraphen‘ stets eingehalten zu haben. Allerdings bestreitet der GAK im Gegensatz etwa zum Deutschen Sportklub Leoben sehr wohl Wettkämpfe gegen jüdische Mannschaften und tritt sogar fallweise in gemischten Teams an (so etwa spielt GAK/Hakoah Graz kombiniert im Wasserball gegen Hakoah Wien).“244

Diese Haltung hinsichtlich der Mitschuld ist aus vergangenheitspolitischer Perspektive äußerst wertvoll. So ist der GAK laut seiner Homepage bemüht, jene Stellen offenzulegen, wo sich der Verein und die Funktionäre schuldig gemacht haben, aber auch, wo ihm zu Unrecht Mythen zugeschrieben werden. So heißt es weiter im Text:

„Durch unsere Arbeit und jene von in Vereinshinsicht ‚neutralen‘ Historikern wollen wir zur Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus abseits von Stereotypen ermuntern um die Gräuel ebenso wie die Widerständigkeit oder das ‚Mitläufertum‘ der damals handelnden Personen zum Zweck des Lernens aus der Geschichte ein Stück verständlicher zu machen.“245

Mit diesem Vorhaben treffen die Verantwortlichen exakt den modernen Zeitgeist der österreichischen Vergangenheitsbewältigung. Diese Haltung muss an dieser Stelle positiv hervorgehoben werden, denn wie die Analyse weiterer Vereine zeigen wird, ist dies nicht der Regelfall. Anzumerken ist aber, dass die Darstellung der Geschichte auf der Vereinshomepage leider mit 1945 endet und dass, anders als beim SK Sturm Graz, kein Hinweis auf eine Behandlung der Thematik in einer Vereinszeitschrift zu finden war. Dennoch präsentiert der GAK für die Jahre 1902 bis 1945 eine ausführliche und reflektierte Darstellung seiner Vergangenheit.

243 Sturmecho Ausgabe 342 aus dem Frühjahr 2015. 244 Vgl. URL: https://www.grazerak.at/geschichte/zwischenkriegszeit-1919-1937 [08.08.2020]. 245 Vgl. URL: https://www.grazerak.at/geschichte/gak-ns-zeit-1938-1945 [08.08.2020]. 76 6.3 Kapfenberger SV Der Kapfenberger SV wurde in Ibers Studie zu den steirischen Traditionsvereinen ebenfalls häufig erwähnt, sodass es eigentlich naheliegen sollte, dass er die aus dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse teilweise auf seiner Vereinshomepage präsentiert. Dort sind jedoch lediglich die sportlichen Ereignisse festgehalten und die Zeit des Nationalsozialismus wird kaum behandelt. Der gesamte Zeitraum 1938-1945 wird hier folgendermaßen präsentiert:

„Im Spieljahr 1940/41 wurde die Qualifikation zur höchsten Spielklasse mit dem 2. Rang hinter dem SK Sturm Graz nur knapp verpasst. In der Folgesaison eroberte der Verein endlich den Meistertitel der Gauliga Steiermark durfte jedoch nicht in die höchste Liga aufsteigen, da diese vorübergehend wieder nur den Wiener Vereinen vorbehalten war. 1942/43 gewann der Kapfenberger SC die steirische Meisterschaft mit einem 0:2 und 6:1 Erfolg gegen die BSG Rosental und qualifizierte sich damit für die Aufstiegsspiele zur Gauliga Ostmark. Mit drei Siegen und einer Niederlage scheiterte der Klub nur aufgrund der Tordifferenz am LSV Markersdorf an der Pielach.“246

Dies zeigt, dass sich der Verein anscheinend bislang nicht mit Ibers Studie befasste, auch wenn es aufgrund der Tatsache, dass er zurzeit in der höchsten österreichischen Spielklasse spielt, mit Sicherheit eine große Anhängerschaft gibt, die sich für eine detailliertere Darstellung der Vereinsgeschichte interessieren würde. Es konnte außerdem keine Vereinszeitschrift ausfindig gemacht werden, die das Thema behandelt. Auf eine Anfrage direkt an den Verein, wieso die Studie Ibers nicht für die Aufwertung der dargestellten Vereinsgeschichte verwendet wurde, erhielt ich keine Antwort.

6.4 LASK Der Linzer Athletik-Sport-Klub, kurz LASK, spielte aus historischer Perspektive eine wichtige Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. Michael John beschäftigte sich bereits mit dem Fußballsport und dem Nationalsozialismus im Reichsgau Oberdonau und beschrieb, dass auch der LASK von den Nationalsozialisten massiv für die „Anschluss“-Propaganda instrumentalisiert wurde. Da Hitler in Linz und Umgebung aufgewachsen war, erklärte er die Stadt zur „Führerstadt“ und hatte in weiterer Folge vor, Linz zur „Sportstadt“ zu machen. Aus diesem Grund stieg der LASK 1940 in die „Gauliga Ostmark“ auf, obwohl er im Vorjahr lediglich den dritten Platz belegt hatte. Vorwärts Steyr und Amateure Steyr, die den ersten und zweiten Platz belegten, gingen leer aus.247 Es lässt sich also festhalten, dass der LASK die Erstklassigkeit zum ersten Mal unter dem NS-Regime erreichte und zwar auf sehr dubiose Art und Weise. Konsultiert man vor diesem Hintergrund die Vereinshomepage des LASK, so fällt

246 Vgl. URL: https://www.ksv1919.at/Content/Verein-Geschichte [08.08.2020]. 247 Vgl. John: „Mit deutschem Gruß“, S. 173-174. 77 auf, dass sich der Verein nicht mit der eigenen Vereinsgeschichte befasst, er beschreibt lediglich die erzielten Vereinserfolge. Allerdings wird bei dieser Auflistung die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich ausgeklammert; mit 1950 wird der erste Aufstieg in die höchste Spielklasse genannt. Dass sich diese Information als falsch herausstellt, wurde mit Verweis auf Michael John bewiesen, weswegen ich den LASK kontaktierte und anfragte, wieso der Aufstieg in die höchste Spielklasse 1940 unerwähnt blieb und ob es eventuell Bestrebungen gibt, die Zeit des Nationalsozialismus in Form einer Studie aufzuarbeiten. Vom Assistenten der Geschäftsleitung, Clemens Hinterdorfer, erhielt ich daraufhin die Information, dass zum damaligen Zeitpunkt niemand mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit des Vereins betraut ist, aber dass meine E-Mail zum Anlass genommen werde, in Zukunft die Geschichte des Vereins inklusive der Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.248 Hier zeigt sich ein interessantes Bild, das durchaus mit Aussagen Spitalers im geführten Interview zu vergleichen ist. Anscheinend dürften vielen österreichischen Traditionsvereinen Lücken in ihren Vereinsgeschichten nicht bewusst sein beziehungsweise sind sie sich vielleicht nicht darüber im Klaren, dass die Aufarbeitung der Vereinsgeschichte in jedem Fall als wertvoller Beitrag zur österreichischen Geschichte zu betrachten ist. Spitalers Vermutung, dass HistorikerInnen wohl unterstützend mitwirken müssen, damit eine solche Vereinsstudie ins Leben gerufen wird, lässt sich in diesem Fall bestätigen.

6.5 FC Red Bull Salzburg 1933 wurde der SV Austria Salzburg (heute FC Red Bull Salzburg) gegründet. Im Jahr 1943 wurde eine Kriegssportgemeinschaft zwischen der Austria , dem SAK 1914 und dem SSK 1919 gegründet, um den Spielbetrieb aufrechterhalten zu können.249 Ein großer Teil der Funktionäre des Salzburger Fußballsports bekleidete während der NS-Zeit ein politisches Amt innerhalb der NSDAP, doch die Machtübernahme der Nationalsozialisten nach dem „Anschluss“ hatte in Salzburg nur geringe personelle Auswirkungen, da viele Funktionäre dem deutschnationalen Bürgertum entstammten.250 Auf sportlicher Ebene spielten die Salzburger Vereine vor und nach 1938 eine provinzielle Rolle.251 FC Red Bull Salzburg, damals SV Austria Salzburg und später FG Salzburg, spielte aus sportlicher Sicht im Nationalsozialismus keine große Rolle. Die vergleichsweise niedrige Zuschauerzahl dürfte ein weiterer Grund dafür gewesen sein, dass das NS-Regime keine weitreichenden Pläne mit dem

248 E-Mail-Auskunft von Clemens Hinterdorfer vom 21.07.2020. 249 Vgl. Praher, Schwarzbauer: Fußball in Salzburg 1938 bis 1945, S. 215. 250 Vgl. ebda., S. 217. 251 Ebda., S. 221. 78 Verein hatte, abgesehen von der Aufrechterhaltung des Spielbetriebs zur Ablenkung vom kriegsbestimmten Alltag. Dennoch gibt es Forschungen von Praher und Schwarzbauer zu den Salzburger Fußballklubs während des NS-Regimes, weswegen ich die Homepage des FC Red Bull Salzburg hinsichtlich ihrer Ausführungen zur NS-Zeit untersucht habe. Hier fällt sofort auf, dass der Verein erst Entwicklungen und Ereignisse ab der Jahrtausendwende genauer beschreibt. Vor 1950 ist lediglich eine Episode erwähnt, in der es heißt: „1933 Gründung des SV Austria Salzburg durch Zusammenschluss der Salzburger Vereine FC Hertha und FC Rapid.“252 FC Red Bull Salzburg, der erfolgreichste österreichische Verein der letzten Jahre und mit Sicherheit auch der finanzstärkste, geht auf seine Geschichte auf der Vereinshomepage kaum ein und blendet damit die gesamte NS-Zeit aus; zudem war keine Publikation des Vereins zu diesem Thema zu finden. Auf eine direkte Anfrage erhielt ich leider keine Antwort. Da es bereits Forschungen zur Salzburger Fußballgeschichte während der NS-Zeit gibt, dürfte es eigentlich keinen großen Aufwand darstellen, diese Informationen auf der Vereinshomepage zu präsentieren. Auch in diesem Fall würde sich eine Studie seitens des Vereins anbieten, da der Grundstein dafür bereits gelegt wurde.

6.6 Weitere österreichische Vereine In der 1. und 2. österreichischen Bundesliga finden sich weitere Vereine, die während des Zweiten Weltkriegs existierten und bei denen sich aus diesem Grund eine Aufarbeitung der Vergangenheit lohnen würde.

Der RZ Pellets WAC wurde 1931 gegründet. Er verfügt heute über eine große Anhängerschaft, doch die auf der Vereinshomepage dargestellte Vereinsgeschichte überspringt die Jahre des Nationalsozialismus und beginnt mit 1946.253 Der SCR Altach zeigt auf seiner Homepage eine sehr übersichtliche und detaillierte Darstellung der Geschichte des Vereins, doch auch hier sind die Jahre 1938-1945 vollständig ausgeklammert.254 Der FC Flyeralarm Admira stellt die Vereinsgeschichte wesentlich detaillierter dar als die anderen in diesem Kapitel beschriebenen Vereine und er behandelt auch die Zeit des Zweiten Weltkrieges, aber es wird ausschließlich die Teilnahme an der Großdeutschen Meisterschaft und die Einberufung vieler Spieler zu Fronteinsätzen erwähnt, obwohl der Wiener Fußballsport während der NS-Zeit gründlich erforscht ist.255 Der WSG Swarovski Tirol

252 Vgl. URL: https://www.redbullsalzburg.at/de/fc-red-bull-salzburg/geschichte.html [08.08.2020]. 253 Vgl. URL: https://www.rzpelletswac.at/chronik/ [08.08.2020]. 254 Vgl. URL: https://www.scra.at/verein/geschichte/ [08.08.2020]. 255 Vgl. URL: https://flyeralarmadmira.at/geschichte/ [08.08.2020]. 79 klammert die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich wiederum vollständig aus.256 Der FC Wacker Innsbruck behandelt seine Vereinsgeschichte sehr ausführlich, auch die Zeit des NS- Regimes in Österreich, aber es wird lediglich erwähnt, dass man bis 1943 in der höchsten Landesliga spielte, ehe man abstieg.257 Der SK Vorwärts Steyr wurde bereits im Kontext der Austria Lustenau erwähnt, da dem Verein trotz des 1. Tabellenplatzes 1939 der Aufstieg in die höchste Spielklasse verwehrt blieb. Es gibt also Studien, die den Verein behandeln, dennoch beschäftigt er sich auf seine Homepage überhaupt nicht mit seiner Geschichte. Der Floridsdorfer AC beschreibt seine Geschichte ausführlicher und behandelt auch die NS-Zeit, aber lediglich mit sportlichen Eckdaten.258 Der SV Ried schildert ebenfalls seine Entstehungszeit, doch wird die Zeit zwischen 1938 und 1945 komplett ausgeklammert.259

Dieses Kapitel sollte zeigen, dass es allein in der 1. und 2. österreichischen Bundesliga etliche Vereine gibt, für die sich eine Aufarbeitung ihrer Vergangenheit anbieten würde, und dass es daneben Fußballklubs gibt, die auf bereits durchgeführte Studien zurückgreifen könnten, dies bis dato aber nicht getan haben. Dadurch eröffnen sich viele Möglichkeiten für HistorikerInnen, an diese Vereine heranzutreten und in Form von kleineren Seminar-, Bachelor- oder Masterarbeiten die Geschichte dieser Vereine zu analysieren, die wiederum auf diese Erkenntnisse zugreifen und so ihre Vereinshomepages oder Newsletter aus vergangenheitspolitischer Perspektive aufwerten könnten.

7 Resümee Im Folgenden werden die drei eingangs gestellten Forschungsfragen beantwortet, die Arbeit in wenigen Worten zusammengefasst sowie weiterführende Forschungsfragen diskutiert.

Die Frage, warum sich österreichische Fußballvereine mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit befassen sollten und welche Aufgaben und Möglichkeiten die Vereine hierbei besitzen, wurde bislang in der einschlägigen Literatur nicht explizit behandelt, doch diese Arbeit dürfte dazu in Lage sein, Antworten auf diese Fragen zu geben. Insbesondere das Interview mit Georg Spitaler, aber auch der E-Mail-Austausch mit Matthias Marschik lieferten solche Antworten. Österreichische Fußballvereine sollten sich demnach aus mehreren Gründen mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen. Gerade große, erfolgreiche

256 Vgl. URL: https://www.wsg-fussball.at/de/verein/geschichte/ [08.08.2020]. 257 Vgl. URL: https://www.fc-wacker-innsbruck.at/verein-2/geschichte.html [08.08.2020]. 258 Vgl. URL: https://fac.at/unser-fac/geschichte/#zweiter-weltkrieg [08.08.2020]. 259 Vgl. URL: https://www.svried.at/verein/chronik/ [08.08.2020]. 80 Traditionsvereine verfügen meist über eine dementsprechend große Anhängerschaft, die ein natürliches Interesse an allem hat, was den Verein betrifft – somit auch an dessen Geschichte. Viele dieser Anhänger mögen sich vielleicht als politisch desinteressiert bezeichnen, doch könnten sie durchaus Interesse an sportlichen Fragen rund um den Verein haben, die man wiederum als politisch bezeichnen könnte.

Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs noch nicht selbstständig reflektiert hat, ansonsten hätte sich der Opfermythos Österreichs nicht bis heute in den Köpfen vieler Menschen festgesetzt. Fußballvereine erreichen auf diese Art und Weise einen großen Teil der Bevölkerung, die auf diesem Weg das erste Mal überhaupt mit vergangenheitspolitischen Fragen konfrontiert sein könnte. Aber auch für kleinere Vereine, die weniger Anhänger oder aufgrund ihrer unwichtigen Rolle für den Nationalsozialismus heute weniger Quellen zur Verfügung haben, lohnt sich der Blick in die Vergangenheit, womit die zweite Frage beantwortet werden soll, nämlich, welche Fußballvereine eine Vereinsstudie anstreben sollten. Im Prinzip ist von dieser Aufgabe sowohl aus historischer als auch aus vergangenheitspolitischer Perspektive kein Verein auszuschließen. Auch kleine, nur regional bedeutsame Fußballvereine können mit Forschungen oder mit der Unterstützung solcher Forschungen seitens einzelner HistorikerInnen im regionalgeschichtlichen Kontext einen wertvollen Beitrag liefern. Zudem haben Menschen ein natürliches Interesse an Fragen, die ihre Region betreffen.

Hier schließt die dritte Forschungsfrage an, nämlich, wie Ergebnisse oder Erkenntnisse einer solchen Vereinsstudie bestenfalls präsentiert werden sollen. Für erfolgreiche Vereine mit einer großen Anhängerschaft, die auf ausreichende Quellen zugreifen können, lohnt es sich natürlich auch aus finanzieller Sicht, eine erfolgreich durchgeführte Studie zu publizieren, denn wie die Beispiele SK Rapid Wien und FK Austria Wien zeigen, werden solche Publikationen vor allem von der Anhängerschaft, aber auch von geschichtsinteressierten Personen gerne gelesen. Für Vereine, die ein Vereinsmuseum besitzen, bietet sich natürlich die Darstellung der Ergebnisse im Rahmen dieses Museums an. Zudem ist es möglich, wie es etwa der SK Rapid Wien handhabt, in regelmäßigen Abständen Führungen mit dem Themenschwerpunkt NS-Zeit durchzuführen. Viele Vereine der 1. und 2. österreichischen Bundesliga publizieren zudem regelmäßig Vereinszeitschriften, zum Beispiel der SK Sturm Graz das „Sturmecho“. Die Darstellung unterschiedlicher Aspekte der NS-Zeit in solchen Zeitschriften bietet sich geradezu an und eine große Studie kann hier monatelang Ideen für kleinere Artikel liefern. Aber auch kleinere Fußballvereine können von kleinen Studien

81 profitieren und diese vor allem im regionalen Kontext gut präsentieren, beispielsweise in Form von Themenabenden, an denen die Erkenntnisse der Studie präsentiert werden. Für regionale Zeitungen dürften Informationen zum Verhalten des größten Fußballvereins der jeweiligen Region während des Nationalsozialismus ebenfalls von besonderem Interesse sein. Aber auch sehr kleine Handlungen, beispielsweise die Ausstellung und Kommentierung von Quellen aus der NS-Zeit neben einer Pokalvitrine, sind aus vergangenheitspolitischer Sicht als Mehrwert zu betrachten.

Diese Arbeit wollte zeigen, dass österreichische Fußballvereine auf eine ebenso lange Tradition des Schweigens über die NS-Zeit zurückblicken wie die österreichische Gesellschaft insgesamt. In den letzten Jahren wurde dieses Schweigen aber gebrochen. Neben dem wissenschaftlichen Interesse an der Geschichte der österreichischen Fußballvereine interessiert sich auch ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung für solche Vereinsstudien und die Vereine selbst entwickeln langsam ein Interesse daran, sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Es wurde mit dieser Arbeit allerdings gezeigt, dass es häufig sowohl bereits etablierte HistorikerInnen brauchen wird, die große Vereine auf die Notwendigkeit einer Studie hinweisen, als auch viele junge, engagierte HistorikerInnen oder GeschichtsstudentInnen, die sich mit der Geschichte kleinerer Fußballvereine, die nicht über die finanziellen Mittel für eine umfassende Studie verfügen, in Form von Seminar- oder Abschlussarbeiten beschäftigen. Je mehr man sich aus historischer Perspektive mit der Geschichte von Fußballvereinen beschäftigt, auf desto mehr Informationen können diese Vereine zugreifen, die sie wiederum aus einer vergangenheitspolitischen Perspektive wertvoll einsetzen könnten. Die Analyse vieler Vereinshomepages zeigte leider, dass das Angebot seitens der Vereine häufig nicht genutzt wird, weil sie vielleicht einfach noch nicht darauf hingewiesen wurden, oder vielleicht auch, weil der Opfermythos teilweise noch in den Köpfen mancher Menschen verankert ist und man aus diesem Grund diesen dunklen Abschnitt der Vergangenheit ausklammern möchte.

Das Fazit dieser Arbeit lautet demnach: der sprichwörtliche Stein der Vergangenheitsbewältigung im österreichischen Fußballsport wurde ins Rollen gebracht, wichtige Studien wurden unter der Mitarbeit von bedeutenden Fußballvereinen bereits veröffentlicht und haben einen breiten Teil der österreichischen Gesellschaft erreicht. Nun liegt es einerseits am Engagement einzelner HistorikerInnen und Fußballvereine, weiter in diese Richtung zu forschen, und andererseits an der österreichischen Gesellschaft, sich weiterhin für diese Themen zu interessieren, damit dieser aus vergangenheitspolitischer und historischer Perspektive so relevante Prozess fortgesetzt wird.

82 8 Literaturverzeichnis

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URL: https://www.svried.at/verein/chronik/ [08.08.2020].

88 10 Anhang

Telefonisches Experteninterview mit Dr. Georg Spitaler (Transkription) Hribar:

Meine erste Frage an Sie wäre, warum österreichische Fußballvereine ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten sollten, also für wen sind solche Ergebnisse so einer Studie ein besonderer Mehrwert, und ist es vielleicht ein wichtiger Grund, dass Vereine mit einer großen Anhängerschaft mit so einer Studie einen breiten Teil der Gesellschaft erreichen würden, die sich mit dieser NS-Vergangenheit zuvor eventuell noch nicht kritisch auseinandergesetzt hat? Deswegen wäre die erste Frage, warum Vereine das machen sollten.

Spitaler:

Also vielleicht ganz vorab, also warum sie es machen sollten, ich glaube in der Zwischenzeit haben es schon viele Vereine gemacht, also es ist sicher eine Entwicklung der letzten 10 Jahre gewesen. Also, in Österreich, was jetzt so die Bundesligavereine betrifft, war eben Rapid der erste Verein, aber in der Zwischenzeit gibt’s eine Reihe von Studien, die jetzt umfangreich oder weniger umfangreich sind, Sie haben es erwähnt, über die steirischen Klubs gibt’s eine Studie, also über GAK und Sturm, wobei Sturm, der als Verein glaube ich mehr gemacht hat, aber das wissen Sie glaube ich eh besser, dann gab es über die Austria vor einiger Zeit ein Projekt, also es gibt schon einiges, jetzt nicht von allen Vereinen, aber von einigen der wichtigen, jenen, die auch in den 30er Jahren wichtig waren, und da sind ja auch Vereine dabei, die heute nicht mehr in der Bundesliga sind, wie der Wiener Sportklub oder die Vienna, die einiges gemacht haben, und das ist auch gleich wichtig dazuzusagen, der Anstoß zu diesen Projekten kam eigentlich fast immer von Fanseite. Meistens war es nicht so, dass der Verein oder Vereinsfunktionäre gesagt haben, „wir müssen jetzt da was machen“, sondern oft kam der Anstoß zumindest auch von Fans. Also das war auch bei der Studie von Rapid beispielsweise so, da kam es zu einer Mischung, wo einerseits Jakob Rosenberg vom Fußballmagazin ballesterer und ich, wir haben damals dem Präsidenten von Rapid einen Brief geschrieben, das ist eh in der Studie erklärt, und es war dann ein Funktionär, dem das auch selbst ein Anliegen war, und er hat das dann praktisch durchgesetzt. Aber wie gesagt, die Fans spielen hier eine wichtige Rolle, gerade weil, das gilt nicht für alle Fußballfans, aber für einige, aber man kann sagen, fast allen Fußballfans ist die Geschichte ihrer Vereine wichtig und gehört zu den Erinnerungsorten dieser Vereine, bestimmte Spiele, bestimmte Spieler, Ereignisse, Erfolge, Misserfolge, die zum Teil auch sehr mythisiert sind, und aus dem heraus

89 war es auch vielen Fans ein Anliegen, sich auch gerade mit der NS-Zeit zu beschäftigen, weil auch für viele glaube ich das eigene Fantum mit bestimmten Werthaltungen verbunden ist, und man will halt, wenn man Fan eines Klubs ist, dass dieser sich auch zu bestimmten gesellschaftlichen Themen so verhält, wie man es selber für richtig findet. Also das würde ich jetzt mal vorwegsagen.

Warum sie es jetzt gemacht haben, warum sie es machen sollten, das haben Sie eh schon angesprochen. Ich glaube auch, es hat viel mit der Gegenwart zu tun. Fußballvereine, zumindest manche Fußballvereine, haben eine große Anhängerschaft, andere haben zumindest einen harten Kern von sehr engagierten Mitarbeitern, Funktionären, Funktionärinnen und auch Anhänger. Einerseits glaube ich ist es für diese Gruppe wichtig, also für die, die wirklich an dem Verein dranhängen, die da mitarbeiten, und andererseits aber auch, wie Sie erwähnt haben, für eine breitere Öffentlichkeit, weil zum Beispiel ein Verein wie Rapid interessiert zumindest viele Leute, also wenn Sie einen Artikel haben, einen Sportartikel online, müssen Sie nur Rapid in die Überschrift schreiben und die Klicks gehen nach oben. Also natürlich, es stimmt, man erreicht viele Leute über das Thema Sport ganz allgemein, weil es viele Leute interessiert und auch emotional berührt, insofern ist es natürlich eine Ebene, wo auch solche Fragen von Identitätspolitik, von Vergangenheitspolitik Leute erreichen, die sich jetzt nicht für Politik interessieren oder zumindest denken, dass sie eher unpolitisch sind, was jetzt aber nicht bedeutet, dass sie sich nicht sehr wohl interessieren für Fragen im Sport, die man durchaus als politisch verstehen könnte, also ich rede jetzt von Fanfragen, von Fanpolitik und Ähnlichem. Also insofern hatten wir schon den Eindruck bei Rapid zum Beispiel, also das Buch hat sich jetzt vergleichsweise ganz gut verkauft und wurde sowohl vom Fanshop vertrieben von Rapid als auch über das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, weil die waren eigentlich auch Projektpartner und haben uns damals auch beauftragt, das zu machen. Und insofern haben das viele Leute gelesen und auch viele Fans gelesen, also vor allem Fans gelesen, würde ich jetzt mal sagen. Und da hat uns natürlich gefreut, dass das auch gerade in der organisierten Fanszene wahrgenommen wurde. Und ich glaube, das ist auch ein ganz wichtiger Punkt, dass wenn Vereine eine solche Studie machen oder gemacht haben, ist es glaube ich ganz wichtig, dass das eben nicht von außen sozusagen aufgesetzt wird, sondern auch erstens wirklich ein Anliegen von Leuten aus dem Verein oder Fans ist, und dass diese auch gleichzeitig eingebunden sind in das Projekt. Also wir hatten den großen Vorteil bei unserem Projekt, dass es damals eine Gruppe von engagierten Fans gab, die ein Museum von Rapid aufgebaut haben und die uns dann auch sehr bei der Recherche unterstützt haben, die natürlich auch sehr viel wissen. Fans sind ja praktisch auch Experten für

90 ihre Vereine und kennen sich da sehr gut aus. Und die haben tatsächlich bei der Recherche auch mitgeholfen und das ist wichtig, weil diese Leute sind dann auch wichtige Vermittler in die Fanszene hinein. Also das hat Rapid zum Beispiel sehr gut gemacht, was das Museum betrifft. Die haben dann dort auch der NS-Geschichte einen wichtigen Platz eingeräumt, natürlich auch deshalb, weil das auch sportlich für viele Fans eine bekannte Zeile ist bei diesem berüchtigten Meistertitel, also deutschem Meistertitel 1941 in erster Linie. Und ich glaube, das hat gar nicht so schlecht funktioniert. Und es gibt natürlich, sagen wir mal jetzt, also was die Gegenwart betrifft, ist es eben immer gut, also man kann glaube ich Fans, also man findet Argumentationshilfen, wenn es um gegenwärtigen Rechtspopulismus geht und um Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, ist es immer gut auf die Vereinsgeschichte Bezug nehmen zu können und daraus zu argumentieren und zu erklären, warum bestimme Dinge abzulehnen sind. Also das ist glaube ich ein wichtiger Punkt. Ich glaube, es ist einerseits wichtig, Debatten zu führen in der Gegenwart und auch als Verein, als Institution, der sich die eigene Geschichte ja im Prinzip wichtig nimmt, der sie auch vermarktet und Tradition hochhält. Dazu gehört auch, dass man eben einen offenen Umgang mit der eigenen Vereinsgeschichte hat und auch mögliche dunkle Aspekte der Geschichte aufarbeitet. Die kann man eh nicht ungeschehen machen, aber man kann sozusagen einen aufgeklärten Umgang damit pflegen. Es gibt das gute Beispiel des Wiener Sportklubs, das war ein Verein, der in den 1920er Jahren eigentlich der einzige große Fußballklub in Wien war, der keine jüdischen Funktionäre hatte, der zwar keinen expliziten, aber einen informellen Arierparagraphen hatte, der aber heute eine ich würde sagen eher linksalternative Fankultur hat, wenn die sich jetzt mit der Geschichte ihres Vereins beschäftigen, heißt es ja nicht, dass sie alle rechts sind, sondern ganz im Gegenteil. Und sie können auch nichts dafür, dass der Sportklub in den 20er Jahren so war, wie er war. Aber natürlich interessiert sie das und wollen sich damit auseinandersetzen, und das ist dementsprechend glaube ich ein sehr guter Umgang mit der eigenen Geschichte.

Hribar:

Sie haben in der ersten Frage meine zweite Frage angeschnitten, mich interessiert nämlich auch, was Sie dazu sagen, welche österreichischen Fußballvereine Ihrer Meinung nach eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit anstreben sollten. Also sind es beispielsweise eher große Vereine mit einer großen Anhängerschaft, die während des NS-Regimes damals auch schon bekannterweise Kontakt mit dem NS-Regime gehabt haben. Oder sollte generell jeder Verein, auch kleinere, wie zum Beispiel der WAC, der in der NS-Zeit eher eine marginale Rolle aus

91 sportlicher Perspektive gespielt hat, also ob diese Vereine auch eine Aufarbeitung anstreben sollten.

Spitaler:

Also ich glaube es ist immer gut, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen, es ist dann immer eher die Frage der Quellen, also was findet man überhaupt noch, und da ist es natürlich ganz unterschiedlich. Es gibt Klubs, die haben ein Vereinsarchiv, wo man wirklich noch Unterlagen findet aus den NS-Jahren. Da gibt es auch schon einiges an Studien, zum Beispiel aus Vorarlberg weiß ich, da hat FC Lustenau zum Beispiel einiges gemacht, und das sind zum Teil auch hochinteressante Regionalstudien. Also wenn es praktisch um regionalen Fußball geht, kann das sehr interessant sein, sowohl für die beteiligten Vereinsmitglieder als auch für seine Regionalgeschichte, sich das näher anzuschauen. Natürlich waren dies Fußballklubs, auch wenn sie jetzt nicht auf einer gesamtösterreichischen Ebene oder in diesem regional österreichischen Kontext im NS-Staat so wichtig waren, aber für die Orte, wo sie gelegen sind, waren sie trotzdem wichtige Institutionen. Nicht so wie es heute ist, die freiwillige Feuerwehr, die Musikkapelle, der Fußballklub, das sind halt einfach so die zivilgesellschaftlichen Institutionen, und wenn man etwas erfahren will über die Art und Weise, wie der Nationalsozialismus in der eigenen Heimat vor Ort funktioniert hat, ist es natürlich schon spannend, sich anzuschauen, wie das beim Sportverein war. Sind da Leute rausgeschmissen worden, hat man sich dem Regime angebiedert oder gab es sogar Fälle von Widerstand, waren das Orte, wo sich Leute treffen konnten, um zu reden, in einer halbwegs geschützten Öffentlichkeit. Das kann sehr unterschiedlich ausfallen, und das finde ich auf jeden Fall interessant, also ich bin ja auch Historiker und deshalb interessiert mich das sowieso, aber ich glaube schon, dass das für jeden Verein interessant ist, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen.

Hribar:

Also man könnte sagen, dass man sich im Vorhinein darüber informieren sollte, ob es beim Verein die Quellenlage zulassen würde, aber es wäre immer ein Mehrwert für die Geschichte.

Spitaler:

Ja, und suchen kann man immer. Es ist oft so, dass man erfinderisch sein muss, wenn der Verein selbst keine Unterlagen mehr hat, oder das zumindest denkt – gibt es vielleicht noch Funktionäre, Nachkommen von Funktionären, die noch etwas daheim haben, man kann schauen, vielleicht gibt es doch in Regionalzeitungen Artikel, also insofern die Suche ist es

92 schon wert, aber man muss da auch realistisch sein, das wird natürlich gerade bei Vereinen, die nicht so viel Geld haben, schon immer an der Eigeninitiative von Funktionären, von Fans liegen, damit da wirklich etwas passiert, so realistisch muss man sein. Aber wenn sich das jemand antut, ist es super, und die andere Möglichkeit ist es zu sagen, man reicht ein Forschungsprojekt ein und man versucht, mehrere Vereine sich anzuschauen in einem Bundesland zum Beispiel, das ist natürlich auch möglich. Da braucht man aber im Idealfall Unterstützung von Historikern und Historikerinnen, die an der Uni sitzen und die man vielleicht gewinnt dazu, oder für Abschlussarbeiten, Masterarbeiten, Dissertationen ist sowas sicher auch ein interessantes Thema.

Hribar:

Mich würde interessieren, was Ihrer Meinung nach, also nehmen wir an, dass ein Verein ein paar Informationen herausfindet, aber nicht so viele, dass man eine große Studie durchführen könnte, was sollten diese Vereine mit diesen Ergebnissen machen? Ich denke da beispielsweise daran, dass man zumindest auf der Vereinshomepage, die ja auch sehr viele Fans regelmäßig aufsuchen, dafür sorgen sollte, dass man diese historischen Daten vielleicht irgendwo präsentiert, und nicht nur sportliche Eckdaten präsentiert. Also wo könnte man kleinere Studien unterbringen?

Spitaler:

Ja unbedingt, eine Homepage ist sicher ein guter Ort dafür, oft gibt es aber auch Publikationen im Vereinsumfeld, wie Vereinsnachrichten oder Ähnliches, das würde sich auch anbieten, oder eben in regionalen Medien, regionale Zeitungen beispielsweise, oder man könnte sich überlegen, eine Veranstaltung zu machen im Verein, wo man das präsentiert, was man herausgefunden hat. Museen, das haben kleinere Vereine praktisch wahrscheinlich sehr selten, aber vielleicht reicht es, wenn man eh schon Pokale ausstellt, dass man auch eine Vitrine hat, wenn man irgendwelche Objekte gefunden hat, dass man diese ausstellt und kommentiert, also alles das, was mit Erinnerungskultur generell zu tun hat, da wäre das natürlich gut. Es ist natürlich auch gut, wenn man das einbettet. Es wäre vielleicht komisch, wenn nur zur NS- Geschichte ein Eintrag ist und zur rechtlichen Geschichte des Vereins gibt es nichts, aber es ist ja meistens eher der umgekehrte Fall, und das betrifft ja nicht nur Sportvereine, das hat bis vor wenigen Jahren fast alle Institutionen in Österreich betroffen und auch Firmengeschichten, die sind oft recht umfangreich und so auch ähnlich im Sport, mit vielen Daten und Fakten und Spielen, aber sie werden dann sehr dürr, was die Jahre 38-45 betrifft. Also das würde ich sagen ist das Minimale, wenn es schon eine Vereinsgeschichte gibt, die

93 irgendwo publiziert ist, dass dort die Jahre 38-45 nicht ausgespart bleiben, sondern eben gut und genau geschildert werden. Also das wäre eben das Minimalziel, würde ich sagen.

Hribar:

Und ich glaube auch, dass man das Ganze nicht ausklammern sollte. Beispielsweise beim LASK ist mir aufgefallen, dass man auch unter den sportlichen Erfolgen mehr oder weniger verschweigt, wenn auch unbewusst, dass es in der Saison 1938/39, also in der Saison vom „Anschluss“, ist es zur erstmaligen Erstklassigkeit vom Verein gekommen, und das wird zum Beispiel auf der Vereinshomepage nicht angeführt, und solche Sachen versuche ich gerade zu analysieren und herauszufinden. Also ich beschränke mich zurzeit auf die 1. und 2. Bundesliga und schaue mir an, welche Vereine Berührungspunkte in dieser Zeit gehabt haben, und schaue, ob sie etwas herausgebracht haben oder etwas hierzu machen.

Spitaler:

Ja das ist doch gut beim LASK. Ich weiß, es gibt auf jeden Fall Studien von Historikern, da gibt es schon interessante Recherchen oder Studien, also zumindest Artikel, zum Beispiel von Michael John, der hat da vieles geschrieben dazu, ein Historiker aus Oberösterreich, aber eben, ich glaube auch, ich wüsste nicht, dass der Verein da groß aktiv geworden wäre, also man müsste eigentlich schon nur zusammentragen und nicht groß neu recherchieren, man könnte natürlich das noch erweitern, aber da ist schon recht viel bekannt. Also das stimmt, das ist ein gutes Beispiel.

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