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Rückler-Zytig September 1974

Tennis International von Dr. R. Arpagaus Die goldenen Jahre

Die Jahre von 1919 bis zum Ausbruch des zweiten grossen Krieges sind als sie «goldenen» in die Tennisgeschichte eingegangen. Fast will es scheinen, dass es damals nur so von Tennispersönlichkeiten wimmelte, die, hochgejubelt von einer begeisterungsfähigen Zeit, wie Könige agierten, wenn sie sich anschickten, ihren Tennisthron zu verteidigen. Die Spitzenspieler der 20er und 30er Jahre waren in erster Linie Stars, und ihr Spiel empfand man vor allen Dingen als künstlerische Darbietung. Da gab es die sprunggewaltige , die Göttliche, die unter Wirkung von in Cognac getauchten Zuckerstückchen noch himmlischer spielte. Da war , die in den USA verheiratete Norwegerin, die 1921 Suzanne Lenglen in Forest Hills entzauberte; unter Tränen verliess die Göttliche den Platz, als sie den ersten Satz 6:2 verloren hatte. In jenen Jahren konnte man die technischen Raffinessen des Big und des Little bewundern, Da waren die unvergesslichen Auftritte von Elisabeth «Bunny» Ryan, da gab das Wunderkind , den Gentleman und den Australier mit dem härtesten Aufschlag aller Zeiten. Donald Budge vermochte die Kraft eines Bulldozers mit der Schnelligkeit einer Gazelle zu

Suzanne Lenglen 1925 verbinden; als erster gewann er den «». Da gab es , , Willmer Allison und natürlich den deutschen Tennisbaron , dessen sprichwörtliche Fairness und absolute Noblesse noch heute in Wimbledon gelobt werden. Da waren die blonde Spanierin Lili de Alvarez, die Meisterin des Halbvolleys, die dunkle Cilly Aussen, die langbeinige, unermüdliche Läuferin Hilde Krahwinkel, die sich 1936 die Sympathien des Wimbledon-Publikums für alle Zeiten verscherzte, als sie die Britin auf «unfaire» Weise aus dem Turnier ausbootete; der Engländerin war während des Matches der Träger des Büstenhalters gerissen, weshalb sie ihre Gegnerin um eine Kampfpause bat, diese aber lehnte ab. Und natürlich gab es die 4 Musketiere aus Frankreich, Jacques Brognon – der Taktiker, René Lacoste – der Theoretiker, der fliegende Baske Jean Borotraund – das Genie. Das Quartett entführte 1927 den Davis-Pokal aus den USA und gab ihn bis 1933 nicht mehr preis. Und es gab die exotische Chilenin , die immer traurige , die schöne Bobby Heine, Poker Face und die unerbittliche

Ellsworth Vines 1933

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1939 gingen die «goldenen» Jahre zu Ende und sie wurden abgelöst von solchen, an denen beim besten Willen nichts Goldenes mehr zu finden war.

Das grosse Geld

Nach dem Krieg war eine der ersten grossen Sportarten, die sich neu formiert und organisiert hatte. Die Massstäbe setzten Australien und die USA, und dabei blieb es bis zum heutigen Tag. Eine neue Ära war angebrochen, die Zeiten waren nüchterner, materialistischer geworden. Im Vordergrund stand das Geld.

Schon 1877 war das erste Tennisturnier aus finanziellen Erwägungen durchgeführt worden. Das änderte nichts daran, dass bis zum 2. Weltkrieg das grosse Geld im Tennis nicht zu machen war. Die Einteilung der Spieler in Amateure und Profis wurde zwar schon bald einmal vorgenommen, Probleme erwuchsen daraus aber keine, weil es wirklich nur ein paar ganz wenigen Weltklassespielern vorbehalten blieb, Zahlungen unter dem Tisch zugesteckt zu erhalten und diese wurden mehr oder weniger offen, aber stillschweigend sanktioniert.

Noch 1946 war die Einhaltung des reinen Amateurstatus nahezu unmöglich. Die Bezahlung von zum Teil recht erheblichen Spesen nach verschiedenen Gesichtspunkten war notwendig, wollte man ein Turnier mit einer nur einigermassen klangvollen Besetzung ausstatten. Trotzdem war vielen Spielern das freie Leben gegen Spesen auf die Dauer zu unsicher, sie zogen das von einem Promotor garantierte Geld vor, obwohl sie nun gezwungen waren, auch Steuern zu zahlen. Der Gewinn von Wimbledon oder Forest Hills wurde mehr und mehr zu einer Voraussetzung für das sichere und auch grössere Geld im Tenniszirkus. Die Liste der Amateurmeister, die diesen Weg einschlugen, verlängerte sich von Jahr zu Jahr.

Von den 15 Herren, die zwischen 1946 und 1967 als Nummer 1 der Weltrangliste galten, behielten nur 5 ihren Amateurstatus. Unter denen, die zu den Profis gingen, waren Jack Krämer, Ricardo Gonzales, , , , , Lew Load, , , , Alejandro Olmedo, Barry MacKay, Earl Buchholz, , , und . Die Absurdität des sogenannten Amateur-Tennis wuchs praktisch mit jedem grossen Turnier. Es gab kaum einen Grund mehr, der plausibel genug klang, das Aufeinandertreffen der Spieler beider Lager zu verbieten. Diese Situation forcierte den Wunsch nach einer Reform.

Endlich, im Dezember 1967, bei der Generalversammlung des britischen Tennisverbandes, wurde beschlossen, mit Wirkung ab 22. April 1968 offene Turniere durchzuführen. Befreit von jahrzehntelanger Lügnerei und unterstützt von zahlungswilligen Sponsoren, hätte Tennis nun schönen und ruhigen Zeiten entgegengehen können.

Leider kam es anders. In Dallas Texas übernahm der Ölmilliardär die Kontrolle über die «World Championship Tennis Incorporated» (WCT), ein auf rein kommerzieller Basis geführtes Tennisunternehmen. Den meisten bei der WCT unter Vertrag genommenen Spielern wurden hohe Mindestsaläre garantiert. Gewinngelder durften die Spieler vollumfänglich in die eigene Tasche stecken. Das Fixum wurde von der WCT über den Umweg von Startgeldern finanziert, die sie von den Veranstaltern kassierte, damit ihre Vertragsspieler überhaupt den Kampf um die Preisgelder aufnahmen. Als die WCT auch noch auf einer direkten Einflussnahme in die Turnierverwaltung beharrte, war dies der Funke ins offene Pulverfass, und es kam zum offenen Bruch. Mit Wirkung vom 1. Januar 1972 verbannte der Internationale Tennisverband alle WCT-Spieler von seinen Turnieren. Damit stand man wieder vor einem Scherbenhaufen.

In der Zwischenzeit hat man sich angeschickt, das zerbrochene Porzellan wieder zu flicken. Wo so viel Geld auf dem Spiel steht, wird die «Vernunft» schliesslich siegen.

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Die Moderne hat auch vor dem Tennis nicht haltgemacht und neue Ziel gesetzt. Um die Jahrhundertwende brachte ein Wimbledon-Spieler beim All England Club den Wunsch vor, seinen Tee unentgeltlich einnehmen zu dürfen. 1972 scheffelte der Rumäne Ilie Nastase als freischaffender Tennisamateur weit über eine halbe Million Schweizerfranken auf die Seite. Mögen die Zeiten auch nicht mehr golden sein, das Tennis-Handwerk hat zumindest goldenen Boden.

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