Deutschland

LINKE Not ohne Lösung Mit einem desolaten Führungsduo und ohne Programm zieht die Linke in das Superwahljahr 2011. Die pragmatischen Landeschefs im Osten planen längst die Zeit danach, während im Westen engagierte Funktionäre davonlaufen – und mögliche Bündnispartner sich abwenden.

Rivalen Gysi, Ernst, Lötzsch: „Wir predigen nicht nur Wein, wir trinken ihn auch“

ie Show ist für den Nachmittag an - Aber Gysi, der letzte Star der Partei, zum Rachefeldzug gegen die SPD ansetz - gesetzt. Um 15 Uhr werden sich ließ sich nichts vorschreiben. Nicht von te, schien nichts mehr ausgeschlossen. La - Ddie Linken im Berliner Congress Lötzsch und Ernst, denen er das Amt fontaine träumte davon, aus der Linken Center am Alexanderplatz treffen und so nicht zugetraut und die er doch installiert einen bundesdeutschen Machtfaktor zu tun, als wäre alles gut. „Wir wollen gemein - hatte. Früher hat er die Augen verdreht: machen. Bald war er knapp davor. sam den Startschuss geben in ein Jahr, in Gesine („na ja“) und der Klaus, „der ist Mit großer Geste bot er 2007 dem da - dem die Linke Motor politischer Verände - glücklich, wenn er auch mal in einer Talk - maligen SPD-Chef Kurt Beck an, ihn rungen sein will – und sein wird“, heißt es show sitzen darf“. So hat er über sie ge - nach einem Bruch der Großen Koalition in der Einladung zum „politischen Jahres - redet. zum Kanzler zu machen. Ein rot-rotes auftakt“ der Partei an diesem Montag, ge - Schließlich gab es einen Vorschlag. 60 Bündnis im Bund schien greifbar nahe, zeichnet „mit solidarischen Grüßen“: Ge - durch 3, also je 20 Minuten. Lötzsch er - eine Frage der Zeit. Ein Jahr später er - sine Lötzsch, Klaus Ernst und . öffnet, dann Gysi Hauptredner, zum klärte Lafontaine: „Die Linke regiert aus Pech für die Zuschauer, dass sie einen Schluss Ernst. Die Parteichefs murrten. der Opposition heraus. Wir bestimmen wesentlichen Teil der Show schon ver - Schon wieder Gysi als Hauptredner. Wür - die politische Agenda.“ Seine Genossen passt haben. Die schönste Aufführung de er sich wenigstens an die Redezeit tönten: „Wir bringen die Verhältnisse fand in den vergangenen Tagen und Wo - halten? Kaum vorstellbar, doch am Ende zum Tanzen.“ chen im Off statt, im Berliner Karl-Lieb - mussten sie abnicken, was Gysis Leute Und heute? Immer noch liegt die Partei knecht-Haus. Dort, im vierten Stock der diktierten. in den Umfragen erstaunlich stabil bei Parteizentrale, sitzen die Mitarbeiter der Die Show vor der Show zeigt exem - acht bis zehn Prozent, bundesweit. Und beiden Vorsitzenden Lötzsch und Ernst plarisch, was falsch läuft bei der Linken. immer noch malt FDP-Chef Guido Wes - und belauern sich. So wie ihre Chefs. Sie ist eine Partei ohne Führung. Im ver - terwelle ein rot-rot-grünes Linksbündnis Wer soll bei der Berliner Veranstaltung gangenen Mai wurden die Ost-Berlinerin als Schreckgespenst an die Wand. Tat - zuerst reden? Lötzsch oder Ernst? Wor - Lötzsch und der Bayer Ernst an die Spitze sächlich dürfte auch er wissen, dass die über und vor allem wie lange? Mails gin - gewählt, weil sich Patriarch Oskar Lafon - Linke nur noch als Popanz taugt. gen hin und her, Anrufe, wieder Mails. taine zurückzog und sein Co-Chef Lothar Kopflos geht die Partei in das Super - Vordergründig wurde um die Aufteilung Bisky nicht mehr mochte. Alle hatten wahljahr 2011, in dem sieben neue Land - von 60 Minuten Redezeit gerungen, tat - gewusst, dass es eine Notlösung war, aber tage gewählt werden. Mit Argwohn be - sächlich ging es um die Macht. sie hatten nicht geahnt, dass von Lösung obachten die pragmatischen Ost-Linken, Die beiden Parteichefs trauen sich bald nicht mehr die Rede sein würde. Nur wie die Sektierer im Westen den Ton an - nicht über den Weg, aber noch weniger noch von Not. geben. Gleichzeitig stockt die bislang trauen sie dem Mann, der wenige Kilo - Selten lagen in der bundesdeutschen scheinbar so erfolgreiche Westausdeh - meter weiter westlich in seinem Bundes - Parteiengeschichte Aufstieg und Fall so nung der Partei. Die Mitgliederzahl sinkt. tagsbüro sitzt. War Gysi als Hauptredner nah beieinander. Als die ostdeutsche PDS Die Bundespartei ist nur noch ein Tor - zu verhindern? Er würde sie locker an und die westdeutsche WASG 2005 ein so ohne Programm. Was will die Linke? die Wand spielen. Bündnis bildeten, als Populist Lafontaine Eine Rückkehr des Kommunismus oder

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E N O M I S den demokratischen Sozialismus? Will sie mete sie sich Plänen für den Umbau der Vorsitzenden („Wege zum Kommunis - Volkspartei sein wie in Ostdeutschland Parteizentrale. In baulicher Hinsicht. mus“) im Links-Blättchen „Junge Welt“, oder Polit-Sekte wie im Westen? Will sie In der vergangenen Woche nun de - mit dem sich Lötzsch offenbar bei den Reformen oder „revolutionäre Realpoli - monstrierte Lötzsch, dass auch sie für die Sektierern in ihrer Partei und dem links - tik“, wie es Lötzsch nun fordert? Will sie eine oder andere Schlagzeile gut ist. Aus - radikalen Umfeld anbiedern wollte. Sie das System überwinden oder ja sagen löser war ein Bericht von SPIEGEL ON - hatte zugesagt, mit einer Ex-Terroristin zum Grundgesetz? LINE über einen obskuren Traktat der und einer DKP-Funktionär in aufzutreten. Die Vorsitzenden haben Kaum wurde sie für ihre nicht die Autorität, diese Fra - Mecklenburg- Kommunismusthesen öffent - gen zu klären. Der eine, der Vorpommern lich kritisiert, schoss sie gegen altgediente Gewerkschafts - den Überbringer der Nach - Hamburg 22% funktionär Ernst, ist vor allem richt: „Der wutschnaubende 8% Infratest dimap, Mai 2009 damit beschäftigt, mit immer Trend Research, Dez. 2010 Verriss meines ,Junge Welt‘- neuen Peinlichkeiten für Beitrages durch den SPIEGEL Schlagzeilen zu sorgen. Bremen Berlin zeigt, wie verunsichert das Mal witzelte er über eine 8, 5% 15% Establishment ist, wenn es um Konkret Marktforschung, Forsa, Dezember 2010 langgediente Ostgenossin, die Dezember 2010 Alternativen zum kapitalisti - er für eine Sekretärin hielt. Mal 8 schen System geht.“ Sachsen-Anhalt sorgte er mit seinem bürger- 13 Beunruhigt beobachten die 30% lichen Lebensstil („Porsche- Infratest dimap, September 2010 mächtigen Ostlandesfürsten Klaus“) für Aufregung oder fiel der Partei das Treiben an der auf, weil er bei Partei und Spitze. aus Fraktion kassierte und zur Thüringen, Wulf Gallert aus Programmdebatte allenfalls Rheinland- Linke in den Ländern Sachsen-Anhalt, Plattheiten beizutragen hatte Pfalz Jüngste Prognosen für Die Linke aus Brandenburg und Steffen („Wir predigen nicht nur Wein, 4% bei den Landtagswahlen 2011 Bockhahn aus Schwerin si - wir trinken ihn auch“). Emnid, Dezember 2010 chern ihre Realo-Reservate, Als ruhender Pol der beiden Baden- schreiben Konzepte für Regie - Parteichefs galt bislang die Württemberg rungsbeteiligungen. Nach au - erfahrene Haushaltpolitikerin 4% ßen hin signalisieren Pragma - aus dem , Lötzsch. Emnid, Dezember 2010 tiker aus den Ländern lauwar - Die gute Nachricht: Sie schaffte me Unterstützung, doch so - es, nicht negativ aufzufallen. bald die Mikrofone abgeschal - Die schlechte: Sie fiel über - tet sind, fallen harte Worte. haupt nicht auf. Zuletzt wid - „Unfassbar“ sei das alles, die

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Die Saarländer hatten ihre Satzung um einen Strafkatalog wegen „parteischädigenden Verhaltens“ ergänzt, der böse Erinnerungen weckt. Das sei ja wie in der SED, protestierte der frühere Bundesgeschäftsführer . Berlin inter - venierte und bat die Saarländer, „auf die Aufhebung dieses Be - schlusses hinzuwirken“. Das gab es noch nie. Ohnehin fällt Lafontaines Landesverband vor allem durch Streit, Intrigen und gegenseiti - ge Beschuldigungen auf. Wenn am 15. Januar die Bundes - schiedskommission zusammen - kommt, stehen gleich sieben Verfahren aus dem Saarland auf der Tagesordnung. Es geht um Parteiausschlüsse, um N O I S

R angebliche Durchstechereien, E V

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Täuschungsvorwürfe. H C

S Und das Saarland ist kein T I D

N Einzelfall. In vielen Westver - A I T S

I bänden ist die Lage desolat. R H

C Fast jeder Parteitag wird zum Scheidende Parteiführer Lafontaine, Bisky*: Rückkehr zum Kommunismus oder Reformpolitik? Sonderparteitag. In Bremen etwa stritten die gewöhnlich so - beiden seien „unfähig“, „sie können es Es ist eine Spitze gegen Bries früheren zial eingestellten Genossen um Zeitver - nicht“. Freund Gysi, der das Duo ins Amt ge - träge ihrer eigenen Mitarbeiter. In Bayern In vertraulichen Runden diskutieren hievt hatte. zog sich der Landesschatzmeister zurück, sie ein Szenario: Gestärkt durch Wahler - Tatsächlich ist Gysi derzeit die letzte nachdem er der Parteiführung Manipula - folge in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg- Führungspersönlichkeit der Partei im tionen vorgeworfen hatte. Vorpommern und Berlin, wollen die Rea - Bund. Doch sein Charisma verblasst, sein In Nordrhein-Westfalen versemmelte los verlorene Bastionen in der Partei und Ansehen ist gesunken, sein Charakter die Linke die bislang wichtigste Abstim - der Bundesspitze zurückerobern. Der habe sich geändert, sagen Weggefährten. mung im Düsseldorfer Landtag seit der Name Ramelow fällt immer wieder. Aus dem launigen Gesellen sei ein Ein - Wahl im vergangenen Mai. Die Partei, Dem schlagfertigen Fraktionschef in zelgänger geworden, dem es nur noch um die sich zuvor auf Enthaltung festgelegt Thüringen trauen viele den Parteivorsitz sich und seine Rolle im Geschichtsbuch hatte, stimmte dem rot-grünen Nachtrags - zu. Ironisch hatte er vergangene Woche gehe. Die Krise der Linken ist auch eine haushalt dann doch mehrheitlich zu – die Lötzsch dafür gedankt, endlich die Pro - Gysi-Krise und die einer Partei, die von beiden Fraktionsvorsitzenden hatten im grammdebatte angestoßen zu haben. ihm seit 20 Jahren abhängig ist. Lange Verlauf der Abstimmung die Orientie - Nicht ohne hinzuzufügen, dass er den auf Gedeih, nun auf Verderb. rung verloren. Kommunismusbegriff für untauglich hal - Gysis alter Verbündeter Lafontaine hat Kaum eine Woche vergeht, in der nicht te: „Ich hätte ihn nicht verwendet.“ sich aus der Führung zurückgezogen, of - irgendwo im Westen der Republik eine Auch Gysi, berichten Vertraute, sei ent - fiziell ist er nur noch Fraktions - Parteiflucht zu vermelden ist. nervt. Erst beklagte er die „Selbstbeschäf - chef im Saarland. Doch Patri - Und es sind nicht nur einfache tigung“ der Partei, nun distanzierte er arch bleibt Patriarch. Mit Ulrich „Führung?“, Mitglieder, die gehen, auch sich von Lötzschs Papier. Andere würden Maurer hat er einen seiner fragt André Mandatsträger wenden sich ab. unter dem Begriff Kommunismus Stalin Getreuen in der Parteispitze Brie, „das ist Die Begründungen ähneln sich verstehen und an die Mauer denken. Ex- platziert. Telefonisch gibt allenfalls eine meist: ideologischer Streit, Chef urteilt ironisch, man Lafontaine Ratschläge, jetzt Form von Druck von oben, interner trete „erfolgreich auf der Stelle“. drängt er wieder Richtung Verwaltung.“ Zwist. Der frühere Parteistratege André Brie Kameras. „Der Oberlimberg In Gelsenkirchen löste sich ist einer der wenigen, die offen ausspre - spricht“, spotten Genossen die linke Ratsfraktion am 20. chen, was viele Genossen denken. „Füh - dann in Anspielung auf den Wohnort des Dezember durch einen einstimmigen Be - rung?“, fragt er, als wüsste er nicht, wer Saarländers. schluss auf und gründete sich am Tag dar - gemeint ist. „Das ist allenfalls eine Form Vor allem Ernst gilt als Lafontaine-hörig. auf als Bürger-Bündnis-Gelsenkirchen von Verwaltung, unprofessionell, unin - Seine Aussagen über den politischen Geg - neu. „Ich war die ständigen Streitereien, spiriert, unintellektuell und, wie sich jetzt ner („die Hartz-IV-Parteien“) klingen ver - Intrigen und Schiedskommissionen leid zeigt, unhistorisch.“ Das Lötzsch-Be - dächtig nach dem Saarländer. Doch Lafon - und dass man von den eigenen Leuten kenntnis zum Kommunismus lasse ihn taines Macht lässt nach. Sein Versuch, die vorgeführt wird“, sagt einer der Vierer - „resignieren“. Pragmatiker des rot-roten Berliner Senats gruppe, der Maler Ralf Herrmann, 48: „Im Allerdings: Die Führung sei doch nie zu disziplinieren, scheiterte. Vor wenigen vergangenen Jahr ist mir klargeworden, installiert worden, um wirklich zu führen. Wochen kam es zum ersten Mal zu einem dass ich auf dem falschen Dampfer gelan - harten Konflikt zwischen Lafontaines Lan - det bin.“ Seine Mitstreiterin Marion Stroh - * Beim Parteitag der Linken in Rostock am 15. Mai 2010. desverband und der Bundesspitze. meier, 61, glaubt, dass die Partei nicht

20 & '%" # 2/2011 mehr lange auf dem Markt sein werde. Die Leute liefen ja scharenweise davon. In Köln verlor die Linke im April 2010 an einem Tag 56 Mitglieder. Der Zustand der Linken in der Stadt und auf Landes - ebene sei „unheilbar desolat“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Der Kreis - verband habe sich zu einer „unkontrollier - baren Gruppe entwickelt“, dessen Mitglie - der so unterschiedliche Ansichten besä - ßen, dass in der Partei keine glaubwürdige politische Arbeit mehr möglich sei. In Bremen trat Sirvan Cakici, 30, aus der Linkspartei aus und Ende November 2010 in die SPD ein. Die sozial- und mi - grationspolitische Sprecherin der Linken sagt, sie „bereue es, Mitglied in der Links - partei geworden zu sein. Es waren vier Jahre Alptraum, und wenn ich könnte, würde ich die Zeit wieder zurückdrehen“. In Saarbrücken verließ Jessica Zeyer, 34, Anfang September 2010 die Partei, be - hielt aber ihr Mandat im Stadtrat und wechselte wenig später in die SPD. „In der Linkspartei werden nicht gern Leute gesehen, die eine eigene Meinung haben“, sagt sie, „diese Führungsclique um Gysi und Lafontaine ist nicht bereit, etwas von ihrer Macht abzugeben. Sie ist nicht bereit, junge Leute aufzubauen, die sich system - kritisch mit der Partei auseinandersetzen.“ Austritte, Querelen, Richtungsstreit – bislang gehörte zu dem Phänomen der Linkspartei auch der erstaunliche Um - stand, dass die Umfragewerte stabil blie - ben. Während sich FDP-Wähler durch Negativschlagzeilen erschüttern lassen, sind Linken-Anhänger offenbar resistent. Ein anderes „Mediennutzungsverhalten“ attestieren die Experten dem roten An - hang. Negativschlagzeilen in den „bür - gerlichen Medien“ würden die Wähler eher bestärken als abschrecken. Doch die Absetzbewegung von der Lin - ken könnten diesmal an die Substanz ge - hen. Nicht nur einzelne Mitglieder gehen. Nicht nur die Presselage ist schlecht. Auch sicher geglaubte Verbündete rücken ab. In vertraulichen Gesprächen mit So - zialdemokraten haben Gewerkschaftsbos - se bereits ihren Flirt mit der Linken be - dauert. Die Sozialdemokraten genießen jeden - falls das Leiden des ewigen Widerparts. Im rot-roten Bruderzwist wird ein neues Kapitel aufgeschlagen, so glauben sie. Parteichef lud via „Süd - deutsche Zeitung“ diejenigen Linken, die den „Unsinn“ leid seien, in die SPD ein. „Die DDR ist tot, der Kommunismus ist mause tot“, sagt Brandenburgs sozialde - mokratischer Ministerpräsident Matthias Platzeck. Draufschlagen will er nicht. Er weiß nur zu gut, was die Genossen zu - sammenschweißt. Denn auch in der SPD kennen sie ei - nen Lieblingssatz des Saarländers Erich Honecker: Totgesagte leben länger. S( $ B& , S&! P$)&

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