ARCHITEKTURGESCHICHTE

Bauen um jeden Preis: Rudolf Wolters und seine politikkonforme Karriere

Jörn Düwel fessors Heinrich von Tessenow. Eine Beamtenlauf - Neue Städte für Stalin. Ein bahn kam für ihn nicht in Frage, er fühlte sich zu deutscher Architekt in der Sowjet - Höherem berufen. Trotz der Wirtschaftskrise und union 1932–1933. Mit einer Neu- seiner Entlassung hielt er an dem Vorhaben fest, ausgabe von Rudolf Wolters, Spezialist sich als freier Architekt zu etablieren. Ermöglicht in Sibirien. Berlin, DOM publishers wurde dies durch eine monatliche finanzielle Un - 2015. 212 S., zahlr. Ill. terstützung seines Onkels Peter Klöckner, eines ISBN 978-3-8692-2380-3. € 28,00 erfolgreichen Industrieunternehmers. Nach einer Dissertation über Empfangsgebäude von Fern - Jörn Düwel/Niels Gutschow bahnhöfen und einer unentlohnten Tätigkeit für Baukunst und Nationalsozialismus. die Reichsbahn gestaltete sich die Arbeitssuche Demonstration von Macht in weiterhin so schwierig, dass Wolters froh darüber Europa 1940–1943. Die Ausstellung war, im April 1932 einen Vertrag als ausländischer Neue Deutsche Baukunst von Rudolf Experte mit der Sowjetunion, genauer gesagt dem Wolters. Berlin, DOM publishers sowjetischen Volkskommissariat für Verkehrswe - 2015. 480 S., zahlr. Ill. sen, abschließen zu können. Bereits am 6. Juni ISBN 978-3-8692-2026-0. € 28,00 1932 kam er an seinem Einsatzort Nowosibirsk an.

SOWJETUNION ALS SEHNSUCHTSORT Über seine Zeit in der Sowjetunion verfasste Wol - ters noch 1933 einen Reisebericht, mit dem er da - mals einen publizistischen Erfolg verbuchen wei Publikationen in der Reihe konnte. Es folgte schon im selben Jahr eine zweite Grundlagen des Berliner Architek - Auflage, ab 1934 einige Übersetzungen sowie 1936 Ztur- und Architekt_innenverlages eine dritte Auflage. 1965 brachte Rudolf Wolters DOM widmen sich der theoretischen, praktischen das Buch im Eigenverlag erneut heraus, ergänzt und politischen Betätigung des 1903 geborenen um ein revanchistisches Nachwort, in dem die an - Architekten Rudolf Wolters. Nach seinem Studi - ti-russische nationalsozialistische Propaganda und um in München und Berlin in den 1920er Jahren Rassetheorie fortwirkt und die Sowjetunion zur arbeitete er 1932/33 in der Sowjetunion. Zurück in Urheberin des totalen Kriegs und der Politik der Deutschland, machte er, gefördert von seinem Stu - verbrannten Erde erklärt wird (12f.). Jörn Düwel dienfreund sowie von Joseph Goeb - hat den Originaltext 2015 neu aufgelegt, inklusive bels, eine beachtliche Karriere im nationalsozialis - der Zeichnungen von Wolters’ Freund Heinrich tischen Bau- und Propagandaapparat. Nach Lauter. Der Neuausgabe vorangestellt ist ein Essay Kriegsende konnte er seine Karriere bruchlos wei - ungefähr gleichen Umfangs, in dem Düwel Wol - terführen, an die professionellen Verbindungen ters’ Publikation und Auslandsaufenthalt histo - aus der NS-Zeit in der Bundesrepublik anknüpfen risch verortet, mit anderen Reiseberichten deut - und sie festigen. scher Architekten vergleicht und weiteres privates Wie kam es zu Rudolf Wolters’ Tätigkeit in der Textmaterial von Wolters einführt. Sowjetunion? Nach Abschluss seines Studiums ar - Seit 1928 hatte die Sowjetunion gezielt „Spe - beitete er zunächst im Büro seines vormaligen Pro - zialisten“ im Ausland angeworben, um die Indus -

373 ARCHITEKTURGESCHICHTE

trialisierung und technische Modernisierung des Frage, für welche Kritiken und Forderungen die Landes zu beschleunigen. Die Weltwirtschaftskri - Architektur und der Städtebau in Deutschland se brachte arbeitssuchende Ingenieure, Architek - Russland als Projektionsfläche dienten. ten oder Techniker aus vielen Ländern dazu, eine Hier seien nur zwei prominente Beispiele ge - Tätigkeit in der Sowjetunion anzunehmen, zumal nannt: Erich Mendelsohn veröffentlichte 1929 ein diese in den ersten Jahren (bis 1932) in Valuta be - Buch mit dem Titel Russland Europa Amerika (neu zahlt wurde. Dieser Gruppe ordnet Düwel auch aufgelegt von Birkhäuser 1989), in dem er enthusi - Wolters zu, der „aus Verzweiflung“ (21) und „ohne astisch von den (Zukunfts-)Entwürfen für Gesell - ein vorgefasstes ‚Weltbild‘“ (63) in die Sowjetuni - schaft und Architektur berichtet. Mendelsohn on aufgebrochen sei. Beim Aufbau der sozialisti - lässt in seine Studie scharfe Kritik an westeuro - schen Gesellschaft mitwirken zu können, reizte päischer Kultur und Architektur des 19. Jahrhun - hingegen diejenigen, die mit der russischen Revo - derts einfließen; das fremde Russland stellt sich so lution sympathisierten. Aber auch für nicht kom - einmal mehr auch als Folie für die Kritik am Eige - munistisch gesinnte Architekten und Stadtplaner nen dar. Im folgenden Jahr erschien El Lissitzkys war die Aussicht, komplett neue, moderne Städte Buch Russland als erstes einer dreibändigen Reihe aus dem Nichts, ohne Rücksicht auf historisch Ge - mit dem Titel Neues Bauen in der Welt (der Band wachsenes oder Grundbesitzverhältnisse planen wurde in diversen Übersetzungen und Wieder - und errichten zu können, verführerisch. In den auflagen publiziert, so 1965 in der Reihe Bauwelt- Modernisierungsbestrebungen und der Technik - Fundamente, Nachdruck 1989 und 2000). Mit begeisterung orientierte sich die frühe Sowjetuni - Lissitzky als Autor wird ein bislang unerwähnter on durchaus an ihrem politischen Antagonisten, Aspekt aufgeworfen, warum das revolutionäre den USA. So errichtete der US-amerikanische Ar - Projekt in Russland attraktiv erscheinen konnte: chitekt Albert Kahn 1929 ein Traktorenwerk nach Als Jude war er aus dem zaristischen Russland vor Fließbandsystem in Stalingrad sowie die in Gänze den antisemitischen Pogromen geflohen. Von der neu geplante Industriestadt Magnitogorsk im Ural Revolution erhoffte er sich nun nicht allein die (25f.). Möglichkeit, künstlerische und technische Inno - vationen durchzusetzen, sondern er betonte auch SPEZIALIST IN SIBIRIEN den sozialrevolutionären Anspruch der neuen Ge - Während seiner Zeit in Russland verfasste Wolters sellschaft. zahlreiche ausführliche Briefe an seinen Vater. Sie dienten ihm nach seiner Rückkehr ins elterliche Coesfeld im Mai 1933 als Grundlage für sein Buch, Neben diesen euphorischen Stimmen führt das bereits im Dezember im Berliner Verlag Wendt Düwel auch kritische Einschätzungen an. Der und Matthes erschien (Abb. 1) . Düwel charakteri - Russlandexperte Georg Cleinow informierte die siert den Text folgendermaßen: „ohne ideologisch Leserschaft der Bauwelt Ende 1930 über die har - starre Voreingenommenheit“ lege der Autor „ein - ten Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die in - drucksvolles Zeugnis von einem Ausschnitt aus nenpolitischen Spannungen in der UdSSR. Er kam dem sowjetischen Alltag“ dieser Zeit ab (12). Da - zu dem Schluss, trotz schlechter Wirtschaftslage in mit hebe er sich von allen anderen Berichten deut - Deutschland sei den hiesigen Architekten abzura - scher Spezialisten ab. Solche Berichte stellt Jörn ten, eine Arbeit in der Sowjetunion aufzunehmen. Düwel ausführlich vor und verortet sie in den De - Damit reagierte Cleinow auf die jüngsten wirt - batten um die Modernisierung des Städtebaus in schaftlichen und politischen Entwicklungen in der Westeuropa. Der Einblick in die breite publizisti - Sowjetunion. Avantgardistische Ansätze in Archi - sche Begleitung des revolutionären Russlands ist tektur und Städtebau galten der Partei nun als aufschlussreich sowohl im Hinblick auf die damali - schädlich. An den Plänen der nachholenden tech - ge Wahrnehmung der Sowjetunion als auch auf die nischen Modernisierung und Industrialisierung

374 der frühen Sowjetunion: Leistungen und Grenzen, in: Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Ver - gangenheit, Gegenwart, Zukunft , hg. v. Dittmar Dahlmann, Stuttgart 2005, 81–106; Stefan Plag - genborg, Experiment Moderne. Der sowjetische Weg , Frankfurt a. M./New York 2006; GULAG. Texte und Dokumente 1929–1956 , hg. v. Julia Lan- dau/Irina Scherbakowa, Göttingen 2014), zumal an anderer Stelle konstatiert wird, es sei inzwi - schen unbestritten, dass es das „Bild von den Be - völkerungsmassen, die voller Optimismus einer kommunistischen Zukunft entgegeneilten“, nie - mals gegeben habe (66). Mit Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass Ernst May als euphorischem Verfechter des sowje - tischen Projekts unterstellt wird, er habe „massen - hafte[r] Gewaltanwendung und Mord“ nicht ver - Abb. 1 Heinrich Lauter, Umschlaggestaltung der ersten urteilt (54), weil die Modernisierung in der Sowjet - Auflage von Rudolf Wolters’ „Spezialist in Sibirien“, Berlin union diese Opfer rechtfertigte, während Wolters’ 1933 (Düwel/Gutschow 2015, S. 89) Zeilen: „Die Sozialdemokratie mag sich sträuben soviel sie will, sie wird restlos zertrümmert. Wenn hingegen wurde festgehalten, unter massenhaftem nicht auf legalem Wege, dann gelegentlich mit Ge - Einsatz von Zwangsarbeitern in neu errichteten walt“ (72) von 1932 lediglich als Abrechnung mit Lagern und sogenannten Sondersiedlungen. den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnis - sen bezeichnet wird. Desiderat bleibt weiterhin ERSTAUNLICHE BEWERTUNGEN eine Analyse und Kommentierung von Rudolf Insgesamt hätte Düwels Essay ein gründlicheres Wolters’ Text selbst. Jörn Düwel bezeichnet die - Lektorat im Hinblick auf Stil, Struktur und Satz sen nicht nur als Dokument, sondern hebt auch gut getan. Bedauerlich ist auch die teilweise ver - den dokumentarischen Charakter hervor. Zwei - kürzte Darstellung des historischen Kontextes, fellos bemüht sich Wolters, den Leser von der au - wenn zum Beispiel die Wirtschaftskrise in der thentischen und direkten Wirklichkeitswiederga - Weimarer Republik als einziger Grund für eine be des Erlebten zu überzeugen und bedient sich „Polarisierung der politischen Lager und Meinun - somit der Autorität des Dokumentarischen. Die gen“ angegeben wird (62). Inwiefern die Kollekti - Fragen, die an den Text als Dokument gestellt wer - vierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion den können, gehen aber über den von Düwel ange - „die Geburtsstunde des Massenterrors“ (48) war führten zeitgenössischen Einblick in den kulturel - bzw. was damit gemeint ist, führt Düwel nicht aus. len und gesellschaftlichen Wandel der frühen Auch für die Einschätzung des Autors, es sei „über - 1930er Jahre in der UdSSR hinaus. So könnte der haupt nicht zu beantworten“, inwieweit „die Visi - betont unpolitische Habitus hinterfragt und anti - on von der raschen Industrialisierung und Über - semitische Stereotype benannt, ein Vergleich mit windung der Rückständigkeit sowie einem baldi - anderen Berichten vorgenommen und nicht zu - gen Leben in Wohlstand innerhalb der Gesell - letzt Wolters’ Selbstdarstellung als Architekt ana - schaft eine breite Ausstrahlungskraft entfaltete“ lysiert werden. Eine solche weiterführende Ausei - (49), wäre ein Bezug auf aktuelle Forschungen zur nandersetzung leistet Düwel nicht, mit dem neu frühen Sowjetzeit wünschenswert (vgl. nur Man - aufgelegten Text ist sie nun aber für andere we - fred Hildermeier, Sozialgeschichte Russlands und sentlich erleichtert.

375 ARCHITEKTURGESCHICHTE

ÄMTERHÄUFUNG UNTER DEM NS-REGIME ziger Mitarbeiter in Albert Speers neugegründe - Wolters’ Karriere im nationalsozialistischen tem Büro, bevor er erneut eine Anstellung bei der Deutschland ist der nächste Band der Grundlagen- Reichsbahn bekam. 1936 wurde Speer von Hitler Reihe gewidmet, den Jörn Düwel gemeinsam mit mit dem Umbau Berlins betraut, Wolters erhielt Niels Gutschow konzipiert hat. Im Zentrum steht noch vor Speers offizieller Ernennung zum „Gene - dabei die Propaganda-Ausstellung Neue Deutsche ralbauinspektor für die Neugestaltung der Reichs - Baukunst , die zwischen 1940 und 1943 in zehn ver - hauptstadt“ von diesem ein Angebot zur Mitarbeit. schiedenen europäischen Städten gezeigt wurde Neben vielfältigen planerischen Aufgaben, die er und die Wolters als Ausstellungskommissar ver - zu erfüllen hatte, war er außerdem Pressereferent antwortete. Als Motto haben die Autoren ein Dik - und ab Oktober 1938 „Schriftleiter“ der neu ge - tum des Osteuropa-Historikers Jörg Baberowski gründeten Zeitschrift Die Baukunst. Beilage zu Die gewählt: „Ich habe also nur getan, was Historiker Kunst im Deutschen Reich . Etwa zur gleichen Zeit tun sollen. Sie sollen verstehen, was sie lesen und ersann Speers Behörde die Schaffung „judenreiner hören. Denn sie sind weder Staatsanwälte noch Gebiete“ in Berlin (Abb. 2) – was mit den ab Ende Richter, die Menschen danach bemessen, ob sie 1940 „entmieteten“ Bewohnern sogenannter Ju - ihren moralischen Ansprüchen genügen.“ (8) Die - denwohnungen geschah, vermerken Düwel und ses Epigraph macht stutzig: Soll das etwa auch für Gutschow nicht (vgl. Paul B. Jaskot, Anti-Semitic Nazi-Verbrecher gelten? Zumindest äußerte Ba - Policy in Albert Speer’s Plans for the Rebuilding of berowski in einem Zeitungsinterview Verständnis Berlin, in: Art Bulletin 78/4, 1996, 622–632). Das für Wehrmachtssoldaten, die aus Panzern in Häu - Kapitel endet mit der Auflösung der Speer’schen ser schossen und Kriegsgefangene umbrachten Behörde und seines privaten Büros im Februar (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.9.2015). 1942, zu der die Erfordernisse des „totalen Kriegs“ Nach einem Vorwort und einer „Annäherun - geführt hatten. Wolters allerdings war „unab - gen“ überschriebenen Einleitung gliedert sich die kömmlich gestellt“ und somit vom Kriegsdienst Publikation in sechs Kapitel, auf die ein dreiteili - befreit. ger Anhang mit Dokumenten folgt. Der erste Ab - schnitt des Buches ist „Sehnsucht nach einer neu - en Baukunst“ betitelt und stellt programmatische Im dritten Kapitel werden wiederum pro - Schriften aus den Jahren 1913 bis 1939 zu Archi - grammatische zeitgenössische Quellen zusam - tektur und Städtebau sowie allgemein gesell - mengestellt und kommentiert, die sich um die schafts- und kulturkritische Texte vor, darunter Grundlegung einer zukünftigen nationalsozialisti - Beiträge so unterschiedlicher Autoren wie Walter schen bzw. deutschen Architektur bemühten. Vor Gropius, , Aldous Huxley und Fritz allem Hitlers Ausführungen zu diesem Thema Schumacher. Hervorgehoben werden die Ge - wird von den Autoren Bedeutung beigemessen, meinsamkeiten: die Verknüpfung von Architek - den Architekten wiederum habe es oblegen, „Wor - tur- und Gesellschaftskritik, der Primat des Neu - te in konkrete Entwürfe umzusetzen“ (126); wie en, der universelle Anspruch, das Ordnungsstre - diese Propaganda der „Worte aus Stein“ umgesetzt ben sowie die Befürwortung autoritärer Struktu - werden konnte, bleibt offen. Die tatsächliche Viel - ren zur Durchsetzung der eigenen Vorstellungen. falt architektonischer Gestaltungen von NS-Bau - Das folgende Kapitel stellt Rudolf Wolters’ ten sowie die häufig eklatante Diskrepanz zwi - Werdegang als „Städtebauer und Propagandist“ schen Entwurfsintention und gebauter Realität von 1929 bis 1943 vor, wobei der Teil zum Studium werden in den vorgestellten Publikationen nicht und Aufenthalt in der Sowjetunion weitgehend mit fassbar, obwohl dieser empirische Befund in der dem entsprechenden Abschnitt in der oben be - Forschung bereits verschiedentlich herausgear - sprochenen Publikation identisch ist. Zurück in beitet und analysiert wurde (vgl. nur Bauhaus-Mo - Deutschland, arbeitete Wolters kurzzeitig als ein - derne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiede -

376 tionalsozialistischer Mitglieder wurde der BDA zwei Monate später anlässlich der Schaffung der Reichskulturkammer aufgelöst. Inmitten der an - geführten Beispiele nationalsozialistischer Propa - ganda finden sich kommentarlos Aufsätze zweier emigrierter jüdischer Architekten, Julius Posener und Nikolaus Pevsner.

WANDERAUSSTELLUNG ZUR ARCHITEKTUR DER GEGENWART Der vierte Abschnitt des Buches stellt „Idee, Reali - sierung und Akteure“ der Wanderausstellung Neue Deutsche Baukunst vor. Im Mai 1939 erging vom Direktor des Prinz-Paul-Museums in Belgrad die Anregung an das Auswärtige Amt, in Jugosla - wien die „Meisterleistungen deutscher Kunst“ (179) vorzustellen. Goebbels Propagandaministe - rium wandte sich dann im Oktober an Speer mit Abb. 2 Markierung zukünftiger judenreiner Gebiete in der bereits von Hitler abgesegneten Planung einer Berlin, vermutlich Mai 1939. Bundesarchiv, 46.06, KS- 3560, Bl. 2 (Düwel/Gutschow 2015, S. 107) Wanderausstellung zur Architektur der Gegen - wart. rung und Verfolgung , hg. v. Winfried Nerdinger, Im Februar 1940 wurde schließlich Rudolf München 1993; Hans-Ernst Mittig, Industriear - Wolters offiziell zum Ausstellungskommissar be - chitektur des NS-Regimes: Das Volkswagenwerk, stellt. Für das Begleitbuch zur Schau verfasste er in: Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert , hg. einen Text von gerade einmal acht Seiten. Die da - v. Gabi Dolff-Bonekämper, Berlin 1996, 77–112; rauf folgenden 79 ganzseitigen Schwarz-Weiß- Eduard Führ, Morphologie und Topographie eines Abbildungen werden von Düwel und Gutschow Konzentrationslagers, in: Von der Erinnerung zum zwar bereits im vorangegangenen Kapitel bespro - Monument. Die Entstehung der nationalen Mahn- chen, sind aber nicht abgedruckt. Erscheinungs - und Gedenkstätte Sachsenhausen , hg. v. Günther datum der verschiedenen Übersetzungen sowie Morsch, Berlin 1996, 30–58; Werner Durth, Archi - Unterschiede in Papierqualität, Ausstattung und tekten im Dritten Reich, in: Österreichische Zeit - Reihenfolge der Abbildungen werden geschildert, schrift für Kunst und Denkmalpflege LXI, 2007/1, unklar bleibt allerdings, wer für deren Auswahl 82–87). und für die Zusammenstellung der jeweiligen Aus - Bei der Erwähnung der Jahresversammlung stellungen zuständig war bzw. nach welchen Kri - des Bundes Deutscher Architekten im September terien und Überlegungen diese erfolgten. Die zu - 1933 fehlt der Hinweis auf die dort beschlossene nächst nur für den westlichen Balkan geplante Satzungsänderung: Die Mitgliedschaft war nun an Tournee wurde nach Belgrad, Sofia und Budapest die Bedingung gebunden, dass der Architekt „die schließlich auch in Lissabon, Kopenhagen, Ma - deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, Gewähr da - drid, Barcelona sowie 1943 in der Türkei in Anka - für bietet, daß er jederzeit rückhaltlos für den na - ra, Istanbul und Izmir gezeigt. tionalsozialistischen Staat eintritt und arischer Ab - Im fünften Kapitel werden die einzelnen Aus - stammung ist“ (Andrea Bärnreuther, Revision der stellungsstationen chronologisch vorgestellt. Da - Moderne unterm Hakenkreuz. Planungen für ein bei werden Wolters’ vorbereitende Aktivitäten so - „neues München“ , München 1993, 95). Trotz des wie die jeweilige Rezeption vor Ort geschildert, freiwilligen Ausschlusses jüdischer und nicht-na - wobei die Herausgeber eingangs darauf hinwei -

377 Abb. 3 Presserundgang durch die Ausstellung „Arquitectura Moderna Alemana“ in Barcelona am 19. Oktober 1942. Pho - tographie von Josep Brangulí Soler. Arxiu Nacional de Catalunya, Fons ANC1-42 (Düwel/Gutschow 2015, S. 236) sen, dass sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit Reisen als Kriegsberichterstatter für die Organisa - erheben und diese Dokumentation als „eher skiz - tion Todt wurde Rudolf Wolters schließlich im De - zenhaft“ bezeichnen (33). Detailliert werden zember 1942 deren „Hauptabteilungsleiter Kultur, Wolters’ Reisetätigkeit, seine Kontakte vor Ort, Presse und Propaganda“. die Auswahl und Größe des Ausstellungsortes und dergleichen vorgestellt, die Ausstellungen selbst sind jedoch – ungeachtet des Untertitels – nicht Auch von seinen Reisen in dieser Funktion Gegenstand der Untersuchung. Für die Stationen sind viele Berichte überliefert, anhand derer die Belgrad, Sofia, Madrid und vor allem Barcelona Autoren im sechsten Kapitel die Daten und Statio - geben immerhin Fotografien Einblick in deren nen rekonstruieren. Der Einsatz von Ausländern, Gestaltung (Abb. 3) . Kriegsgefangenen und Juden zur Zwangsarbeit ist Wolters ebenso eine Selbstverständlichkeit wie er REISEN FÜR DIE in Bezug auf Ernst Zörner, den Gouverneur des Bereits 1941 erweiterte sich Wolters’ Aufgaben - Distrikts Lublin im besetzten Polen, positiv her - spektrum erneut, er übernahm zusätzlich die vorhebt, dass dieser „die Juden heraus[wirft]“ Schriftleitung der neugegründeten Verlagsgruppe (260). Diese Verklausulierung des Holocaust wird Speer. Weiteren Machtzuwachs erhielten Speer von Düwel und Gutschow als „rigoroser Umgang und seine Gefolgsleute im Februar 1942, als der mit [...] Menschen“ (ebd.) bezeichnet. Generell Generalbevollmächtigte für die Bauwirtschaft, verwundert es, dass im Zusammenhang mit Wol - , tödlich verunglückte und die Organisa - ters’ Tätigkeiten in der Ukraine und in Russland tion Todt, die unter anderem für den Bau des weder der Holocaust noch der Vernichtungskrieg Westwalls, des Atlantikwalls und von U-Boot- der Deutschen erwähnt werden. Lediglich für Ser - Stützpunkten an der französischen Küste zustän - bien erfährt die Leserin von einer Massenerschie - dig war, bereits am nächsten Tag dem Baustab ßung von „300 Partisanen“ im Februar 1943, die Speer zugeordnet wurde. Nach verschiedenen Wolters neben der schönen Landschaft erwähnt.

378 ARCHITEKTURGESCHICHTE

Am 1. Januar 1944 wird er schließlich zum seits das seitens der nationalsozialistischen Füh- Chef des Arbeitsstabs Wiederaufbau zerstörter rung in ihn gesetzte Vertrauen und andererseits Städte ernannt. Diese letzte Station seiner NS- seine Machtfülle. Verdienstvoll ist es allemal, den Karriere ist im Inhaltsverzeichnis als eigenes Ka- Architekten Rudolf Wolters zu thematisieren, sei- pitel ausgewiesen, scheint dem Umfang und dem ne Unterstützung nationalsozialistischer Politik Layout im Textteil nach aber ein Unterpunkt des konkret aufzuzeigen und die (Fach-)Öffentlichkeit Abschnitts zu Wolters’ Tätigkeit nach Ausstel- auf die für das Ausland konzipierte Werbeausstel- lungsende zu sein. Damit sei auch für diesen Band lung Neue Deutsche Baukunst aufmerksam zu ma- auf das mangelhafte Lektorat hingewiesen, das in chen. Es ist zu hoffen, dass weitere, kritisch kon- bedauerlichem Kontrast zu der aufwendigen Ge- textualisierende Studien zu diesen Themen folgen staltung und Bebilderung des Buches steht. Vor al- werden. lem Redundanzen und vielfache zeitliche Vor- und Rückgriffe erschweren die Orientierung beim Lesen. DR. ANNIKA WIENERT

Der Anhang versammelt Faksimiles der die Ausstellung begleitenden Publikation in allen zehn Sprachen sowie Abschriften der 17 im Nach- lass Rudolf Wolters im Bundesarchiv auf- bewahrten Reiseberichte und Tagebucheinträge, die im Zusammenhang mit der Wanderausstel- lung stehen. Daran anschließend werden vier so genannte „Kulturreden“ Hitlers aus den Jahren 1935 bis 1938 abgedruckt, die allerdings an ande- rer Stelle bereits zugänglich sind (Adolf Hitler, Re- den zur Kunst- und Kulturpolitik 1933–1939, hg. v. Robert Eikmeyer, Frankfurt a. M. 2004).

FAZIT Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Buch zwar eine Fülle an Material ausbreitet, aller- dings im Hinblick auf Auswahl und Kommentie- rung Fragen aufwirft und eine Verortung in der einschlägigen Forschungsliteratur vermissen lässt. Etwas ratlos macht die Detailfülle angesichts der Tatsache, dass Deutungen, Zusammenfassungen und Kommentare ausbleiben, da sich die Autoren lediglich der „Darstellung des Vergangenen“ ver- pflichtet fühlen (10), dabei aber nicht reflektieren, dass dieser notwendigerweise ein Auswahlprozess zugrunde liegt. Die Dokumente zeigen Wolters als überzeugten Anhänger nationalsozialistischer Po- litik und Ideologie, belegen seine Nähe zu und angesichts der Vielzahl der ihm übertragenen Funktionen und Aufgaben einer-

379