BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, HASLACHER STR. 61, 79115 FREIBURG Kreisverband

Rechenschaftsbericht des Hannegret Bauß Kreisvorsitzende Jochen Hefer Kreisvorstands 2013 Kreisvorsitzender

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Freiburg, den 10. April 2013

RUMPELIG AUF DEM WEG ZUR VOLKSPARTEI

Der Rückblick auf die ablaufende Amtszeit des Kreisvorstandes wird schärfer, wenn wir zunächst etwas weiter in die Vergangenheit sehen. Die vorletzte Jahreshauptversamm- lung fand im Frühjahr 2011 statt. Die Atomkatastrophe von Fukushima, die Fehler un- serer politischen Wettbewerber und dreißig Jahre Politik gegen Atomkraft bescherten uns in Baden-Württemberg den ersten grünen Ministerpräsidenten und auf Bundesebe- ne stabile Umfrageergebnisse von mehr als 20 %. Seitdem wird in unterschiedlicher In- tensität die Debatte geführt, ob die Grünen eine neue kleine Volkspartei sind oder wer- den sollten.

Wird „Volkspartei“ daran gemessen, dass eine Partei bei der Entwicklung ihrer Pro- grammatik die Interessen sämtlicher Bevölkerungsgruppen berücksichtigt, hat diese Dis- kussion etwas unverständliches. Jede Partei, die sich nicht wie die FDP auf die Interes- sen der Schönen, Reichen und Gesunden beschränken will, muss mit einem verantwor- tungsbewussten Regierungsprogramm Volkspartei sein. Das bedingt schon das richtige Amtsverständnis der Regierenden. Dieter Salomon ist der Oberbürgermeister aller Frei- burgerinnen und Freiburger und nicht nur seiner Wählerinnen und Wähler. ist als Landwirtschaftsminister nicht nur für Biobauern, sondern auch für konven- tionell produzierende Landwirte zuständig. Richtig formuliert geht es für die Grünen um die Frage, ob sie als verantwortungsbewusste Regierungspartei oder als Oppositionspar- tei in den Bundestagswahlkampf gehen wollen.

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Die Ausgangsposition ist günstig. Viele grüne Themen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nicht die Grünen wurden bürgerlich – die Bürgerlichen wurden grün (womit zugleich die grüne Hybris, die Partei habe diese Gesellschaft aus den Angeln ge- hoben, abgeräumt wäre). Die Partei hat die große Chance, sich dauerhaft als Mittelpar- tei im Bereich zwischen 15 und 20 % zu etablieren.

Im letzten Jahr ist auf Bundesebene viel unternommen worden, um diese Chance nicht zu nutzen. Tagespolitische Taktik geht zu Lasten der Glaubwürdigkeit. Der Vorschlag, den Bundestagswahlkampf personalisiert gegen Angela Merkel zu führen, ist zudem ein taktischer Fehler. Dasselbe gilt für die Aufgabe der grünen Eigenständigkeit, mit der wir bei der Landtagswahl antraten, zugunsten einer sehr weitgehenden Festlegung auf ein Bündnis mit der SPD.

Das letzte Glied in dieser Kette ist der Programmentwurf des Bundesvorstands. Dabei sind es weniger die einzelnen Vorschläge, die unter der Überschrift „Gerechtigkeit“ gemacht werden, als vielmehr deren Zusammenwirken. Steuererhöhungen im Gesamt- umfang von etwa 32 Milliarden Euro (so eine Schätzung des Bundesfinanzministeriums) werden die Solidarität der Mittelschicht möglicherweise überfordern. Das grüne Miss- trauen, allein durch staatliche Umverteilung Armut vermeiden zu können, ist einer weit- reichenden Staatsgläubigkeit gewichen. Die einzige glaubwürdige Umweltpartei läuft Gefahr, mit diesem Programm ihre wichtigen ökologischen Themen wie die Energie- wende, Umwelt- und Naturschutz, ökologische Landwirtschaft oder gesundes Essen in den Hintergrund zu drängen.

Dieser Programmentwurf ist der einer Oppositionspartei, die gerne in der Opposition bleiben will. Auf der Ausgabenseite wird entgegen der Versicherung in der Präambel mehr versprochen, als solide finanzierbar ist. Auf der Einnahmenseite wird insgesamt der Bogen überspannt. Welche Subventionen eingespart werden sollen, bleibt weitge- hend nebulös. Es drängt sich der Verdacht auf, dass etliche Akteure auf der Bundesebe- ne lieber wie 2005 mit 8,1 % aus der Opposition einer großen Koalition Tag für Tag nachweisen wollen, dass die Grünen es besser wissen, als mit 18 % auszuloten, was der CDU abgerungen werden kann, wenn sie die Grünen braucht.

Etwa die Hälfte der Wählerinnen und Wähler kann sich vorstellen, ihr Kreuz bei den Grünen zu machen. Sie werden – nie alle gleichzeitig – nur dann grün wählen, wenn sie das Zutrauen haben, dass wir verantwortungsvolle Regierungspolitik machen.

Seit zwei Jahren stellen die Grünen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten. Der Erfolg dieser grün-roten Regierung hat eine enorme bundespolitische Bedeutung. An der jüngsten Auseinandersetzung zwischen der grünen Bundes- und Landesebene zum Thema Stuttgart 21 lässt sich noch einmal das richtige Regierungsverständnis able- sen. stellt als Ministerpräsident seine landespolitische Verantwor-

tung über die taktischen Überlegungen der Bundespartei. Das ist richtig. Zudem ist es auch noch erfolgreich. Aus den Zustimmungswerten, die er für diese Haltung erzielt, sollten wir etwas lernen.

Stimmenmaximierung ist kein Selbstzweck. Die letzten zwei Jahre zeigen uns aber (nicht gerade überraschend), dass wir mit mehr Stimmen mehr für unsere Werte erreichen können. Dabei geht es nicht allein um die Frage, wofür welcher Euro ausgegeben wird. Der Spielraum im Landeshaushalt ist bei dem hohen Anteil der Personalkosten gering. Aber wie der Staat handelt – etwa bei der Abschiebung von Flüchtlingen – können wir mit mehr Stimmen im Parlament besser beeinflussen als mit weniger.

In Freiburg machen die Partei, die Gemeinderatsfraktion, der Oberbürgermeister und die Dezernenten schon lange Politik für die ganze Stadt. Geht es allein nach den Wahl- ergebnissen, sind wir auch schon lange eine Volkspartei. Bei der Landtagswahl 2011 er- zielten die Grünen in der Stadt Freiburg mit 42 % fast so viele Stimmen wie SPD und CDU zusammen (46 %). Unsere Abgeordneten und sind bei der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer oder dem Hotel- und Gaststättenverband ebenso willkommen wie bei Umwelt- und Wohlfahrtsverbän- den. Sie besuchen Unternehmen genauso selbstverständlich wie Pflegeheime.

Also mal wieder heile Welt in „green city“ Freiburg? So ganz zufrieden dürfen wir uns nicht zurücklehnen. Auch in Freiburg ist die Partei ein Scheinriese. Sie wird immer klei- ner, je näher man ihr kommt. Trotz der vielen neuen Mitglieder (2010: 440; 2011: 509; 2012: 548; 2013: 558 - Zahlen jeweils für April) haben wir in Relation zu den bei Wah- len erzielten Stimmen um ein Vielfaches weniger Mitglieder als CDU oder SPD. Die Mitgliederbasis ist im Verhältnis zu diesen Parteien dünn und schmal.

Dabei geht es nicht vorrangig um mehr Mitgliedsbeiträge, mit denen wir unsere nach wie vor schwachen Strukturen stärken könnten. Viel wichtiger ist, dass jedes – auch passive – Mitglied unsere Politik direkt in die Gesellschaft trägt. (Wie sehr sich die passi- ven Mitglieder für die Partei interessieren, konnten wir an der hohen Wahlbeteiligung bei der Urwahl erkennen.) Jedes aktive Mitglied bringt seine Erfahrungen in die Partei ein, die zu manchen gesellschaftlichen Bereichen jenseits ihrer hauptamtlichen Politike- rinnen und Politiker sehr wenig Kontakt hat. Es soll das Engagement der vielen studie- renden, verbeamteten, selbständigen oder im Bereich der Humandienstleistungen täti- gen Mitglieder nicht schmälern. Aber eine Metzgermeisterin, ein mittelständischer Un- ternehmer, eine Betriebsrätin aus einem produzierenden Unternehmen oder ein Installa- teurmeister könnten uns bereichern und dabei helfen, Politik für die ganze Gesellschaft zu entwickeln.

Wir müssen uns öffnen, gezielt auf gesellschaftliche Gruppen zugehen, die nicht zur klassischen Stammwählerschaft der Grünen zählen. Und wir sollten unter unseren

Stammwählerinnen und –wählern aktiv dafür werben, in der Partei mitzuarbeiten oder ihr jedenfalls beizutreten. Viel Grün gibt es nur mit vielen Grünen.

Werben können wir nur, wenn wir ein attraktives Angebot haben. Dieses Angebot kann sein: Hier ist der Ort, an dem die wichtigen tagespolitischen Fragen offen und vorbe- haltlos diskutiert werden, an dem politische Informationen aus erster Hand – von de- nen, die die Entscheidungen in den Parlamenten treffen – erhältlich sind, an dem wegen flacher Hierarchien direkt Einfluss auf die Parlamente genommen werden kann, an dem neben der Tagespolitik interessante Debatten angestoßen werden.

An dieser Stelle ist schon einiges erreicht, etliches noch zu verbessern. Die wesentliche Leistung, die wir unseren passiven Mitgliedern bieten können, ist die direkt übermittelte Information. Die Redaktion des grünen Telegramms hat diese Leistung sehr verbessert. Neben der ansprechenden Neugestaltung sind vor allem die Themenausgaben zu nen- nen. Zusammen mit den wöchentlichen Rundbriefen können wir so einen guten Kon- takt zu unseren Mitgliedern und den vielen Interessierten halten.

Unsere Internetpräsenz hat sich im letzten Jahr dadurch deutlich verbessert, dass die Seite des Kreisverbands von Tim und Veronica laufend aktualisiert wird. Über Facebook und Twitter werden die wesentlichen Informationen schnell verbreitet. Eine Neugestal- tung der Internetseite, die David erledigt hat, ist kurz vor dem Abschluss.

Lebendige Arbeitskreise sind der Kern der inhaltlichen Arbeit des Kreisverbands. Sie hel- fen sehr dabei, neue Mitglieder in die Partei zu integrieren, was in Mitgliederversamm- lungen nicht immer optimal gelingt. Ein Treffen der Arbeitskreise mit dem Kreisvorstand hatte unter anderem das Ergebnis, dass eine engere Kooperation und teilweise mehr organisatorische Unterstützung gewünscht wird. Noch nicht alles, was dabei bespro- chen wurde, ist heute umgesetzt. Die häufige Übernahme der monatlichen Infostände durch die Arbeitskreise ist ein Zeichen dieser verbesserten Zusammenarbeit.

Die Grüne Jugend beteiligt sich rege am Parteileben. Meist nehmen deren Vorstands- mitglieder an den Sitzungen des Kreisvorstands teil. Dank des guten Landtagswahler- gebnisses können wir ihre Aktivitäten in dem benötigten Umfang finanzieren.

Neben den schon erwähnten monatlichen Infoständen treten wir über Mitgliederver- sammlungen und Veranstaltungen an die Öffentlichkeit. Dabei gilt es ein ausgewoge- nes Verhältnis zwischen Information, Diskussion und Entscheidungen zu finden. Ob der Vorstand immer die richtige Mischung gefunden hat, wird vermutlich unterschiedlich beurteilt.

In der Jahresplanung waren mehr öffentliche Veranstaltungen und weniger Mitglieder- versammlungen vorgesehen. Am Ende haben die organisatorischen Vorgaben des Par-

teilebens (Landes- und Bundesparteitag) eine höhere Anzahl von förmlichen Mitglieder- versammlungen notwendig gemacht.

Die verbesserte finanzielle Lage des Kreisverbands hat es uns erlaubt, regelmäßig mit Plakaten auf unsere Veranstaltungen und zuletzt auch auf eine Mitgliederversammlung und das morgige Treffen für Neumitglieder und Interessierte aufmerksam zu machen. Wie schon bei der Veranstaltung zu einem Jahr grün-rot (der eine kurze Mitgliederver- sammlung vorausging) war auch die Mitgliederversammlung mit Katrin Göring-Eckardt sehr gut besucht und eher eine „Mischform“ zwischen Versammlung und Veranstal- tung.

Unter die Überschrift Information fallen die Mitgliederversammlungen mit Prof. Dr. Lars Feld zur Euro-Krise und Tarek al Wazir. Diskussion stand bei den beiden Mitgliederver- sammlungen zur Wohnungspolitik der Gemeinderatsfraktion und der Debatte über den Landeshaushalt und den Haushalt der Stadt Freiburg im Vordergrund. Entscheidungen wurden in der Mitgliederversammlung zum Thema Alkoholverbot, bei der Aufstellung unserer Wahlkreiskandidatin für die Bundestagswahl, der Wahl der Delegierten zur Auf- stellung der Landesliste zur Bundestagswahl und die Abstimmungen über mehr als 70 Änderungsanträge zum Bundestagswahlprogramm gefällt.

In der Öffentlichkeit wird zwischen Aktivitäten der Partei, der Gemeinderatsfraktion o- der der Abgeordneten nicht unterschieden. Daher ist es gut, dass die gute Zusammen- arbeit aller Mitarbeiter im grünen Büro die vielen Aktivitäten aus den Parlamenten mit den Vorhaben der Partei (fast immer) reibungslos koordiniert. Zusammen mit dem „grünen Kino“, „bei Andreae“, „grün liest“ und der „Fraktion vor Ort“ hat sich die Präsenz der Partei in den letzten zwei Jahren deutlich erhöht. Es vergeht kaum ein Mo- nat, in dem nicht mit Plakaten auf eine grüne Veranstaltung aufmerksam gemacht wird. Obwohl ein wahlfreies Jahr hinter uns liegt, war die Medienpräsenz des Kreisverbandes selbst wieder verbesserungsfähig. Neben dem strukturellen Problem, dass die ehrenamt- lichen Vorstände oft nicht so schnell reagieren können, wie es die Medienwelt braucht, liegt das aber auch an der sehr guten Pressearbeit der Abgeordneten und der Gemein- deratsfraktion. Und wenn wir Katrin Göring-Eckardt über „nachgefragt“ und ein Re- daktionsgespräch zweimal in die Badische Zeitung bringen, bleibt zwangsläufig für ei- nen Bericht über die Mitgliederversammlung, auf der sie sprach, kein Raum mehr. Dennoch können und sollten wir hier besser werden. Vor allem in innerparteilichen Fra- gen könnten wir als zweitgrößter Kreisverband in Baden-Württemberg noch deutlich mehr öffentlich wahrnehmbare Politik machen.

Vorrangig geht es in diesem Jahr aber um die Bundestagswahl. Die Entwicklungen auf der Bundesebene zeigen, dass es richtig war, mit Kerstin Andreae das Freiburger Di- rektmandat anzustreben. Wenn das gelingen sollte, stärken wir in Berlin einer Abgeord- neten den Rücken, die sachlich, undogmatisch und sehr glaubwürdig Politik für die gan-

ze Gesellschaft macht. Damit es gelingt, müssen wir über unsere Stammwählerschaft hinaus einen großen Teil derjenigen Wählerinnen und Wähler wieder erreichen, die bei der Landtagswahl grün gewählt haben. „Kerstin direkt!“ wird viele davon sehr viel mehr motivieren als der vorliegende Entwurf des Wahlprogramms.

Selbst wenn wir dieses ambitionierte Ziel nicht erreichen sollten, werden wir im Bundes- tagswahlkampf gewinnen. Volkspartei her oder hin – als verantwortungsbewusste Re- gierungspartei werden wir in Freiburg viele Menschen neu für grüne Politik begeistern. Genau dafür haben wir eine Spitzen-Kandidatin.

Freiburg, den 10 April 2013

Jochen Hefer