e-paper: 10904727 DIENSTAG KULTUR 21. OKTOBER 2014 Terroristen Wuchtiges Duell mit Judas Verdruckster Sex rauben Wenzel Storch blickt auf katholische Ratgeber Alexander Klaws spielt in Dortmund die Titelrolle in „Jesus Christ Superstar“ Von Rolf Pfeiffer der Kaplan selbst, dem Hein- Kunst Von Ursula Pfennig rich Fischer aus dem Senio- DORTMUND ½ Das sittliche renclub des Schauspielhauses Gesetz soll Handel DORTMUND ½ Die Menge fei- Wohlergehen des jungen mit urwestfälischem Zungen- ert und verehrt ihn, sie über- Menschen ging ihr über alles. schlag starken Charakter ein- eindämmen rollt und verhöhnt ihn, und Die katholische Kirche hat haucht. (Er bleibt nur viel zu BERLIN ½ Die Bundesregie- schließlich fordert sie seine sich in vergangenen Zeiten sympathisch.) Den größten rung will den illegalen Han- Kreuzigung. „Jesus Christ Su- viel Mühe gegeben, Pubertie- Anteil am Unterhaltungswert del mit Kulturgütern vor al- perstar“, in Dortmund ver- renden durch die Untiefen des Abends jedoch hat Thors- lem aus Krisenregionen ein- körpert von DSDS-Gewinner der Pubertät zu führen. Und ten Bihegue als „Wissen- dämmen. Nach Einschätzung Alexander Klaws, durchlebt eine Fülle von Peinlichkeit schaftler“, der mit pennäler- von Experten finanziert sich und durchleidet in seinen hervorgebracht, die Ihresglei- haft-schlaksiger, ungemein die Terrormiliz „Islamischer letzten Tagen in letzter Kon- chen sucht und großen Un- lebhafter Körpersprache für Staat“ inzwischen zu einem sequenz, was die von ihm terhaltungswert hat. Heiterkeit sorgt. Wenn er ver- Gutteil aus solch geraubten selbst mobilisierten Massen Ein besonders bemühter druckste Jugendbuchtitel en- Kulturschätzen. bewirken können. und produktiver Verfasser thusiastisch präsentiert, ist Der stellvertretende Regie- Andrew Lloyd Webber war kirchlicher Jugendschriften das ein komödiantischer Hö- rungssprecher Georg Streiter erst 21 Jahre alt, als er „Jesus war in den frühen 50er Jah- hepunkt des Abends. Weiter- bestätigte, dass ein entspre- Christ Superstar“ 1971 auf ren der Päpstliche Ehrenprä- hin wirkt der Dortmunder chendes Gesetz 2016 in Kraft den Broadway brachte, Li- lat Berthold Lutz, der 2013 im Sprechchor mit – mal als treten soll. Ziel der Vorlage brettist Tim Rice wenig älter. gesegneten Alter von 90 Jah- Nonnenchor, mal als wunder- von Kulturstaatsministerin Es ist eine Rock-Oper voller ren dahinging und dessen bar dekorierte bunte Blumen, Monika Grütters sei, unrecht- Wut und Kraft, und die reißt Schaffen nun Widerhall in ei- Blüten, Samendolden, mäßig erworbene ausländi- im Stadttheater Dortmund nem Theaterstück findet. Fruchtstempel usw. (Bühne sche Kulturgüter an die Hei- auch das Premierenpublikum „Komm in meinen Wigwam“ und Kostüme: Pia Maria Ma- matländer zurückgeben zu beim Schlussablauf von den heißt es im Studio des Dort- ckert). Ja, es geht um Sex, können. Nach Berichten von Rängen. Die Inszenierung munder Theaters. doch immer in der Light-Ver- „Süddeutscher Zeitung“ und stammt von Gil Mehmert, der Autor und Regisseur ist sion. Man unterhält man sich ARD ist Deutschland einer in Hamburg jetzt beim Musi- Wenzel Storch, der als Filme- gut in diesen 80 Minuten, die der Hauptumschlagplätze für cal „Das Wunder von Bern“ macher („Sommer der Liebe“, augenzwinkernd in einer ver- internationale Schmuggler Regie führte. Die Inszenie- „Die Reise ins Glück“) und gangenen Zeit verharren. antiker Kunst. rung wurde bereits in Bonn Kolumnist („Der Bulldozer Weder nimmt das Stück Die Staatsministerin im aufgeführt, allerdings ohne Gottes“) in Erscheinung trat. ausdrücklich Bezug auf die Auswärtigen Amt, Maria Böh- Alexander Klaws. Und den es auch im fortge- Mißbrauchsskandale der Ge- mer, hatte kürzlich davor ge- Die Band unter der Leitung schrittenen Alter noch genwart, noch zeigt es Men- warnt, dass vor allem Syrien von Jürgen Grimm ist über drängt, Lächerlichkeit und schen, die unter sexuellen und der Irak derzeit einen der schwarzen Bühne plat- passagenweise auch Schlüpf- Übergriffen der Geistlichkeit „dramatischen kulturellen ziert, die von Beatrice von rigkeit der „Aufklärungs- leiden. Beides hätte nahe ge- Aderlass“ durch Plünderun- Bomhard als Arena gestalte- schriften“ zu entlarven. legen. Nein, Wenzel Storch gen erlebten. ½ dpa tet wurde. Gesprochen wird Eher betulich wird dabei beschränkt sich darauf, Un- nicht, auch nicht viel getanzt. das Eine oder Andere aus zulänglichkeit, Lächerlich- Balladen, Rock- und Soul- dem Leben des Prälaten be- keit und Verkrampftheit Arien wechseln mit großen richtet, werden Buchtitel und bloßzustellen und das Wei- Türkei streicht Chor- und Ensemblenum- Textpassagen mit anschei- terdenken dem Publikum zu Werke von Say mern. Es wird Englisch ge- nend unfreiwillig (homo-)ero- überlassen. sungen. Übertitel erleichtern tischem Inhalt präsentiert, Zudem legt sein Stück nahe, ANKARA ½ Das türkische Kul- es, der Passionsgeschichte wirkt ein Kapitel über ein sich Kontinuitäten der Aden- turministerium hat Komposi- aus der Perspektive von Judas Zeltlager mit dem Kaplan auer-Zeit vor Augen zu füh- tionen des Pianisten und Re- zu folgen. plötzlich wie eine nicht ju- ren. Wie konnte wenige Jahre gierungskritikers Fazil Say Laut und rockig peitschen gendfreie Verführungsge- nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem staatlichen Orches- die Rhythmen die Jesus-An- schichte. Worte bekannter sich eine Erwachsenenwelt ter-Jahresprogramm gestri- hänger auf. Die bunte Schar Dichter mit erotischer Kon- wieder anmaßen, die Jugend chen. Das bestätigte der tür- ist Hippie- und Gothic-Kla- notation gelangen zu Gehör so erbarmungslos zu erzie- kische Weltstar über Twitter. motten gekleidet, aber auch und zeigen eine verblüffende hen und zu formen? Welche Dort fragte er nach der Be- Lederjacken, Ballonseide-Jog- Eine poppige Auslegung des Evangeliums: Alexander Klaws spielt im Dortmunder Musical „Jesus thematische Nähe zu den Ängste und Gelüste wollten gründung, warum seine Stü- ginghose und Kopftücher feh- Christ Superstar“ die Titelrolle. ½ Foto: Hickmann Hervorbringungen Lutz’. die oft traumatisierten Er- cke entfernt worden seien. len nicht. Die Situation ist All dies geschieht in einer wachsenen in ihrer Kinderer- Die Zeitung „Radikal“ berich- zerfahren und gefährlich. Je- einzige großartige Solist in Ein würdiger Gegenspieler nimmt die Premiere im zwei- Bühnenshow, in der ein ge- ziehung bekämpfen? Gedan- tete, das „Präsidiale Sympho- sus ist überfordert, Judas dieser Aufführung. David Ja- ist Mark Weigel als Pontius ten Teil richtig Fahrt auf. schniegelter Entertainer (Ek- ken wie diese beim Publikum nieorchester“ habe zwei Stü- warnt ihn, Maria Magdalena kobs gibt einen Judas, der ra- Pilatus. Meisterhaft arbeitet Nicht nur die Konflikte spit- kehard Freye) sein Publikum zu belassen und sie nicht als cke Says spielen sollen. Das verführt ihn. send vor Zorn und Sorge Je- er die Nuancen dieses viel- zen sich zu, auch die Regie- zur „Pilgerreise in die wun- auftrumpfendes, emotiona- Ministerium habe dem Or- Mit der Verpflichtung von sus an manchen Stellen auch schichtigen Charakters he- einfälle arbeiten das Span- dersame Welt der katholi- les Theater zu inszenieren, chester nahegelegt, das Pro- Alexander Klaws in der Titel- gesanglich fast in den Schat- raus, der mal als Verbündeter nungsfeld zwischen dem schen Aufklärungs- und An- das macht den „Wigwam“ zu gramm zu ändern. ½ dpa rolle gelang Dortmund ein ten stellt. Welch eine Wucht, der Macht, mal als schleimi- blutrünstigen Sturm der Öf- standsliteratur“ einlädt. Wei- einer klugen, geschmeidigen Glücksgriff. Klaws gewann als die beiden beim Abend- ger, ironischer Moderator fentlichkeit und den verzwei- tere Mitwirkende sind ein Inszenierung, die gleichwohl die erste Staffel der RTL-Show mahl ungebremst aufeinan- und mal als drogensüchtiger, felten Menschen im Brenn- Mädchen und ein Knabe (Jana ohne Tragik nicht ist. „Deutschland sucht den Su- der losgehen! Patricia Mee- zerbrechlicher Zweifler auf- punkt – Jesus, Judas, Maria Katharina Lawrence und KURZ NOTIERT perstar“ und danach „Let’s den, bekannt aus „Sister Act“, tritt. Der Bass Hans Werner und auch Pilatus – schmerz- Leon Müller), zwei Meßdie- 24.10. (ausv.), dance“ beim selben Sender. ergänzt die Starriege. Umwer- Bramer verleiht der Macht haft deutlich heraus, bis das ner (Finnja Loddenkemper Tel. 0231/ 50 27 222 Der Schriftsteller Ralf Roth- Er überzeugt nicht nur ge- fend schön und sexy bietet der Hohepriester als Kaiphas Ganze in einer Kreuzigung und Maximilian Kurth) und www.theaterdo.de mann erhält den Kunst- und sanglich. Seine Ballade als sie Jesus als Maria Magdalena seine dunkel bedrohliche am beleuchteten Kreuz aus Kulturpreis der deutschen Ka- zweifelnder Jesus im Garten eine intime Ruhestatt im Tru- Stimme, und Hannes Brock Plexiglas kulminiert. tholiken. Die Auszeichnung Gethsemane gehörte zu den bel der öffentlichen Unru- verhöhnt Jesus als Herodes- (25 000 Euro) wird von der Bi- Höhepunkten des Abends. hen. Auch ihr Stimmvolu- Clown mit Revuegirls und 24.10.,, 1., 9., 15., 23., 30.11., schofskonferenz und dem Auch als Schauspieler über- men ist betörend. Allerdings Cheerleaders. 5., 11. 17., 25.12.; Zentralkomitee der deut- mittelte er mit großer Prä- leidet die emotionale Aus- Während im ersten Teil der Tel. 0231 / 50 27 222, schen Katholiken (ZdK) für senz und Ernsthaftigkeit das strahlung unter dem manch- zweistündigen Aufführung www.theaterdo.de herausragende kulturelle Leiden Jesus. mal etwas affektiert wirken- das Zusammenspiel teilweise Alexander Klaws spielt in 14 von Leistungen vergeben. Doch Klaws ist nicht der den Gestus. noch etwas zerfahren wirkt, 17 Aufführungen die Titelrolle

Der Schriftsteller Hans Ple- schinski ist für seinen Roman „Königsallee“ mit dem Nie- derrheinischen Literaturpreis Liebes-Duett mit lauten Rülpsern der Stadt Krefeld (10 000 Euro) ausgezeichnet worden. In Düsseldorf begeistert die Musical-Version des Märchen-Films „Shrek“

Von Nicola Reyk Aufwendige Bühnentechnik gibt den Szenen eine filmmä- TAGESTIPP DÜSSELDORF ½ Begeisterte ßige Tiefe; so zum Beispiel, Fans hatte Shrek nicht erst wenn ein liebestoller pinkfar- beim Schlussapplaus: Grün, bener Riesendrache Shrek, Tuba-Konzert grün, grün waren Kleider, Fiona und ihren Freund, den Schlipse, Strumpfhosen, Ket- Esel, durch die Wälder jagt. in Hagen Aufklärung inmitten von Früchten und Blüten: Szene aus „Komm in ten und Haarbänder im Publi- Die Gospelsängerin Deborah meinen Wigwam“ in Dortmund mit Leon Müller, Ekkehard Freye Selten genug darf die schwe- kum, als sich im Capitol Woodson gibt dem Drachen und dem Sprechchor. ½ Foto: Hupfeld ren Tuba im klassischen Kon- Theater in Düsseldorf der – ihre Stimme und bekommt zert Solo-Instrument sein. selbstverständlich grün-glit- dafür Szenenapplaus. Beim Philharmonischen Kon- zernde – Vorhang hob. Neben Shrek-Darsteller An- zert in der Stadthalle Hagen Grün ist auch die Hautfarbe dreas Lichtenberger und Bet- aber geht das. Jörg Duda hat von Shrek, dem Oger, einem tina Mönch als Fiona gewann Geißendörfer als Stifter sogar dem Solisten Andreas unförmigen Fantasiewesen, vor allem Esel Andreas Wolf- Martin Hofmair das Konzert das zufrieden in seiner Hütte ram in Düsseldorf die Herzen auf den Leib geschrieben. Der im Sumpf lebt, im Schlamm der Zuschauer. Für Abwechs- Kinofest Lünen feiert mit neuem Preis Musiker ist durchaus promi- badet und für sein Leben ger- lung sorgte ein steppendes LÜNEN ½ Das Kinofest Lünen ben, den „Lindenstraße“-Pro- nent, betätigt er sich mit sei- ne Ungeziefer frisst. So lange, Bunt in Düsseldorf: Die Darsteller von „Shrek“, Bettina Mönch, An- Rattenballet oder blinde Mäu- feiert vom 13. bis 16. Novem- duzent Hans W. Geißendörfer nem Stamm-Ensemble „La bis er von dem feigen Zwer- dreas Lichtenberger und Andreas Wolfram (von links). ½ Foto: dpa se in weißen Glitzer-Outfits ber sein 25-jähriges Bestehen. gestiftet hat. Eröffnet wird Brass Banda“ doch eher in genkönig Lord Farquaad ge- als Go-Go-Girl-Truppe. Mit mehr als 50 Produktio- das Festival mit „Jack“ von Crossover-Gefilden zwischen zwungen wird, die schöne ben. Das ungleiche Märchen- derbem Witz. Die eigentliche Überra- nen vom Spielfilm bis zum Edward Berger. Damit pop und Weltmusik. Ge- Prinzessin Fiona aus ihrem paar verliebt sich trotzdem Für die deutsche Spielzeit schung aber ist das Happy Dokumentarfilm bietet es ei- schließt sich ein Kreis, beton- rahmt wird das Werk von Si- verzauberten Turm zu befrei- ineinander – gar nicht mär- wurde Shreks Märchenwelt End: Nicht der Oger wird zum nen breiten Querschnitt te Kinofest-Leiter Mike Wie- belius’ romantischem Werk en. Der Lord braucht eine Kö- chentypisch wetteifern sie im etwas verändert. So waren in schönen Prinzen, sondern die durch das aktuelle deutsche demann. Der Regisseur war „Nächtlicher Ritt und Son- nigin, hat aber selbst viel zu Liebes-Duett mit lauten Für- Düsseldorf zum ersten Mal Prinzessin zur Ogerin. Und Filmschaffen, kündigt die 1998 der zweite Filmema- nenaufgang“ sowie Elgars viel Angst vor dem Abenteu- zen und Rülpsern und haben die Textübersetzungen von als am Ende der Chor der Film- und Medienstiftung cher, der den Filmpreis der „Enigma-Variationen“. Die er. Fiona träumt schon seit jede Menge Spaß. Dass das in Heiko Wohlgemuth zu hö- Märchenfiguren „Freie Fahrt NRW an. Außerdem werden Stadt Lünen gewann. Das Fest Hagener Philharmoniker diri- 8423 Tagen von ihrem Retter der inszenierung von Regis- ren. Zur Crew der Märchenfi- für Freaks“ forderte, hielt es der mit 10 000 Euro dotierte endet mit „Das finstere Tal“ giert Florian Ludwig. – einen hässlichen Oger hat seur Andreas Gergen nicht guren gehören auch typisch die Zuschauer kaum mehr Publikumspreis „Lüdia“ so- von Andreas Prochaska, der sie nicht erwartet. peinlich, sondern sympa- deutsche Charaktere: Struw- auf den Plätzen. ½ dpa wie zwölf weitere Auszeich- acht Lolas beim Deutschen Stadthalle Hagen, 20 Uhr, Shrek will eigentlich nur thisch wirkt, liegt an der gut welpeter und Max und Moritz nungen verliehen. Erstmals Filmpreis gewann. ½ epd Tel. 02331/ 207 32 18, seinen Sumpf retten, Gefühle getroffenen Balance zwi- singen und tanzen zwischen In Düsseldorf bis 4. Januar, wird der mit 2.500 Euro do- www.theaterhagen.de können ihm gestohlen blei- schen Herzschmerz und teils Frau Holle und Peter Pan. www.mehr.de/musicals tierte „Filmpreis 60+“ verge- www.kinofest-luenen.de