Plenarprotokoll 19/202

Deutscher

Stenografischer Bericht

202. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Inhalt:

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble ...... 25333 A ferverträge für den ungeförderten Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Zubau und Betrieb von erneuerbaren neten Renate Künast ...... 25333 B Energien nutzen Drucksachen 19/20532, 19/25301, Wahl des Abgeordneten als 19/25346 ...... 25334 A stellvertretendes Mitglied des Kuratoriums der Stiftung „Haus der Geschichte der Bun- c) Beschlussempfehlung und Bericht des desrepublik Deutschland“ ...... 25333 C Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Lorenz Erweiterung der Tagesordnung ...... 25333 C Gösta Beutin, , Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ökostromausbau zukunftsfähig gestalten Drucksachen 19/23933, 19/25300, Tagesordnungspunkt 8: 19/25343 ...... 25334 A a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- in Verbindung mit wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vor- Zusatzpunkt 5: schriften Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksachen 19/23482, 19/24234, schusses für Wirtschaft und Energie zu dem 19/24535 Nr. 10, 19/25302, 19/25326 . . 25333 D Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Kraft, – Zweite und dritte Beratung des von den , , weiterer Abge- Abgeordneten Dr. Heiko Heßenkemper, ordneter und der Fraktion der AfD: Keine Steffen Kotré, , weiteren Nachfolgeförderung für alte Anlagen nach Abgeordneten und der Fraktion der AfD dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Drucksachen 19/22427, 19/25301, 19/25346 . . 25334 B zur Änderung des Erneuerbare-Ener- gien-Gesetzes – Abschaffung des EEG in Verbindung mit für Anlagen, die ab 1. Januar 2021 in Betrieb genommen werden Drucksachen 19/23714, 19/25302, Zusatzpunkt 6: 19/25326 ...... 25333 D Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, b) Beschlussempfehlung und Bericht des , , weiterer Ab- Ausschusses für Wirtschaft und Energie geordneter und der Fraktion der FDP: 55+5 – zu dem Antrag der Abgeordneten Sandra Ein ambitioniertes EU-Klimaziel mit Nega- Weeser, , Reinhard tivemissionstechnologien ermöglichen Houben, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/25295 ...... 25334 B Fraktion der FDP: Langfristige Stromlie- Dr. (CDU/CSU) ...... 25334 C II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. , Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Steffen Kotré (AfD) ...... 25335 D Tagesordnungspunkt 22: Dr. (SPD) ...... 25337 A a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 14. Bericht der Bundesregierung über Michael Theurer (FDP) ...... 25338 A ihre Menschenrechtspolitik – (Berichts- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 25339 A zeitraum 1. Oktober 2018 bis 30. Sep- tember 2020) (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/25000 ...... 25357 D DIE GRÜNEN) ...... 25339 D b) Antrag der Abgeordneten , (SPD) ...... 25340 A , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Dr. (CDU/CSU) ...... 25341 B Menschenrechtsverteidigerinnen und (SPD) ...... 25342 B Menschenrechtsverteidiger in Deutsch- land schützen und vor ausländischer Verfolgung und Überwachung bewah- Namentliche Abstimmung ...... 25343 C ren Drucksache 19/25242 ...... 25357 D Ergebnis ...... 25352 C , Bundesminister AA ...... 25358 A Jürgen Braun (AfD) ...... 25359 A Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU) ...... 25360 A Tagesordnungspunkt 23: Gyde Jensen (FDP) ...... 25361 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Zaklin Nastic (DIE LINKE) ...... 25362 A Friesen, Jürgen Braun, , (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN) ...... 25362 D der AfD: Einen Bundesbeauftragten zur Bekämpfung von Christenfeindlichkeit Dr. (CDU/CSU) ...... 25363 C in Deutschland berufen (SPD) ...... 25364 B Drucksache 19/25311 ...... 25344 B (CDU/CSU) ...... 25365 A b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Braun, , Dr. , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der Tagesordnungspunkt 9: AfD: Christenverfolgung in Nigeria äch- ten – Menschenrechte für alle Nigeria- Erste Beratung des von den Abgeordneten ner stärken Christine Aschenberg-Dugnus, Michael Drucksache 19/25310 ...... 25344 B Theurer, , weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der FDP eingebrachten a) Antrag der Abgeordneten Jürgen Braun, Entwurfs eines Gesetzes zur Priorisierung Waldemar Herdt, Dr. , wei- bei der Schutzimpfung gegen das Corona- terer Abgeordneter und der Fraktion der virus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfge- AfD: Christenverfolgung in Pakistan setz – CoronaImpfG) stoppen – Druck auf die Regierung in Drucksache 19/25260 ...... 25366 A Islamabad erhöhen Drucksache 19/25309 ...... 25344 C Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 25366 B (CDU/CSU) ...... 25367 B Dr. Anton Friesen (AfD) ...... 25344 C Dr. (FDP) ...... 25367 C Markus Grübel (CDU/CSU) ...... 25345 B Dr. (AfD) ...... 25369 B Peter Heidt (FDP) ...... 25346 B (SPD) ...... 25370 B (SPD) ...... 25346 D Dr. (DIE LINKE) ...... 25371 A (AfD) ...... 25348 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 25349 C DIE GRÜNEN) ...... 25371 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 25350 B (CDU/CSU) ...... 25372 B (SPD) ...... 25373 A (Chemnitz) (CDU/CSU) ...... 25351 A Dr. (CDU/CSU) ...... 25374 A (DIE LINKE) ...... 25351 D Dr. (BÜNDNIS 90/ Jürgen Braun (AfD) ...... 25355 B DIE GRÜNEN) ...... 25374 D (CDU/CSU) ...... 25356 C Dr. Claudia Schmidtke (CDU/CSU) ...... 25375 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 III

Tagesordnungspunkt 13: Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 25381 C a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur weiteren Ver- Tagesordnungspunkt 24: kürzung des Restschuldbefreiungs- Antrag der Abgeordneten , verfahrens , Sabine Zimmermann (Zwi- Drucksachen 19/21981, 19/22773, ckau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion 19/23054 Nr. 4, 19/25251, 19/25322 . . . 25375 C DIE LINKE: Sonderregelungen zum – Zweite und dritte Beratung des von den Arbeitslosengeld und zum vereinfachten Abgeordneten Dr. Manuela Rottmann, Zugang zur Grundsicherung verlängern Katharina Dröge, , weite- und verbessern ren Abgeordneten und der Fraktion Drucksache 19/25068 ...... 25383 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur in Verbindung mit insolvenzrechtlichen Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (COVID-19-Insolvenzfolgen-Abmil- Zusatzpunkt 7: derungsgesetz) Drucksachen 19/18681, 19/25251, Antrag der Abgeordneten , Katja 19/25322 ...... 25375 C Kipping, Susanne Ferschl, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale b) Antrag der Abgeordneten Amira Härten in der Pandemie vermeiden – Son- Mohamed Ali, Dr. André Hahn, Doris derzahlung für die Ärmsten Achelwilm, weiterer Abgeordneter und Drucksache 19/25252 ...... 25383 B der Fraktion DIE LINKE: Soziale Schuld- ner- und Insolvenzberatung umgehend Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 25383 C in ganz Deutschland stärken (CDU/CSU) ...... 25384 B Drucksache 19/25256 ...... 25375 C (AfD) ...... 25385 C in Verbindung mit (SPD) ...... 25386 C (FDP) ...... 25387 C Zusatzpunkt 8: Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25388 B Antrag der Abgeordneten , Stephan Thomae, , wei- Kai Whittaker (CDU/CSU) ...... 25388 C terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (CDU/CSU) ...... 25389 D Für schnelle Rechtsklarheit in der Corona- Krise, gegen einseitige Lastenverteilungen Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 25391 A im Gewerbemietrecht (SPD) ...... 25391 C Drucksache 19/25318 ...... 25375 D (CDU/CSU) ...... 25392 B in Verbindung mit Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 25393 A

Zusatzpunkt 9: Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Amira Mohamed a) Zweite und dritte Beratung des von der Ali, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Verbraucherrechte in der Corona-Krise Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanie- stärken rungs- und Insolvenzrechtsfortentwick- Drucksache 19/25257 ...... 25375 D lungsgesetz – SanInsFoG) Dr. (SPD) ...... 25376 A Drucksachen 19/24181, 19/24903, Tobias Matthias Peterka (AfD) ...... 25376 D 19/25170 Nr. 1.7, 19/25303, 19/25353 . . . . 25394 A Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 25377 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- Katharina Willkomm (FDP) ...... 25378 D schutz (DIE LINKE) ...... 25379 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Thomae, , Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/ Renata Alt, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN) ...... 25380 A der Fraktion der FDP: Unverschuldete Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 25380 D Insolvenzen vermeiden und überle- IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

bensfähige Unternehmen sichern – Tagesordnungspunkt 27: Für ein modernes und effizientes a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Restrukturierungsrecht brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- – zu dem Antrag der Abgeordneten besserung der Strafverfolgung hinsicht- Dr. Manuela Rottmann, Claudia Müller, lich des Handels mit inkriminierten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter Gütern unter Nutzung von Postdienstl- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE eistern GRÜNEN: Coronabedingte Insolven- Drucksache 19/20347 ...... 25411 B zen vermeiden – Ein vereinfachtes Restrukturierungsverfahren für klei- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- ne und mittlere Unternehmen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksachen 19/20560, 19/24379, zes zur Umsetzung der Verordnung des 19/25303, 19/25353 ...... 25394 B Europäischen Parlaments und des Rates über europäische Unternehmensstatisti- Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 25394 B ken zur Aufhebung von zehn Rechtsak- (AfD) ...... 25395 B ten im Bereich Unternehmensstatistiken (CDU/CSU) ...... 25396 A und zur Änderung anderer Statistikge- setze Judith Skudelny (FDP) ...... 25396 D Drucksache 19/24840 ...... 25411 C Friedrich Straetmanns (DIE LINKE) ...... 25397 C c) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/ (Tübingen), Dr. , Lisa DIE GRÜNEN) ...... 25398 A Badum, weiterer Abgeordneter und der Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 25399 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. (CDU/CSU) ...... 25399 D Mit dem CO2-Preis im Wärmebereich echte Lenkungswirkung erzielen Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 25400 D Drucksache 19/24432 ...... 25411 C

d) Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Tagesordnungspunkt 11: Sabine Zimmermann (Zwickau), Susanne Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ferschl, weiterer Abgeordneter und der schusses für Inneres und Heimat Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen ermögli- – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise chen und sichern Amtsberg, , Dr. Franziska Drucksache 19/24690 ...... 25411 C Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: e) Antrag der Abgeordneten Dr. Robby Für einen solidarischen und menschen- Schlund, Dr. , Detlev rechtsbasierten Neuanfang in der Euro- Spangenberg, weiterer Abgeordneter und päischen Flüchtlingspolitik der Fraktion der AfD: Videotherapie im – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Heilmittelbereich dauerhaft ermögli- Jelpke, , Dr. André Hahn, chen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/25315 ...... 25411 D DIE LINKE: Schutz- und Menschen- rechte im europäischen Asylsystem in f) Antrag der Abgeordneten , den Mittelpunkt stellen , Dr. Axel Gehrke, weiterer Ab- Drucksachen 19/18680, 19/22125, 19/25179 . . 25402 A geordneter und der Fraktion der AfD: Dis- kriminierung von Menschen mit Behin- (CDU/CSU) ...... 25402 B derung und anderen vulnerablen Dr. Christian Wirth (AfD) ...... 25403 A Gruppen durch Mund-Nasen-Bede- ckung beenden Dr. (SPD) ...... 25404 A Drucksache 19/25314 ...... 25411 D (FDP) ...... 25404 C g) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz (DIE LINKE) ...... 25405 C Frömming, Dr. , Martin Erwin (BÜNDNIS 90/ Renner, weiterer Abgeordneter und der DIE GRÜNEN) ...... 25406 C Fraktion AfD: Die Landshut endlich aus- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) ...... 25407 D stellen – Ein Museum für die Opfer des RAF-Terrorismus errichten Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 25408 D Drucksache 19/25313 ...... 25412 A Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) ...... 25409 A h) Antrag der Abgeordneten , Helge Lindh (SPD) ...... 25409 B , Dr. Gesine Lötzsch, weite- (CDU/CSU) ...... 25410 A rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 V

LINKE: Innenstädte retten – Gemischte der FDP: Chancen der privaten Arbeits- und lebenswerte Nachbarschaften vermittlung für Arbeitssuchende besser schaffen nutzen Drucksache 19/25258 ...... 25412 A Drucksache 19/25299 ...... 25412 D i) Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, j) Antrag der Abgeordneten Dr. Florian Sören Pellmann, , weiterer Toncar, Frank Schäffler, Christian Dürr, Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- weiterer Abgeordneter und der Fraktion KE: Konzept zur Neustrukturierung des der FDP: Transparenzoffensive für pri- Leistungssports und der Spitzensport- vate Finanzgeschäfte von Staatsbediens- förderung auf den Prüfstand stellen teten Drucksache 19/25253 ...... 25412 B Drucksache 19/25297 ...... 25413 A k) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, in Verbindung mit Dr. Gesine Lötzsch, Gökay Akbulut, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zwangsräumungen verhindern, Obdachlose sicher unterbringen – Soli- Zusatzpunkt 10: darisch durch den Corona-Winter b) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/25259 ...... 25413 A , Grigorios Aggelidis, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der in Verbindung mit FDP: European Heritage Trust – Erhalt europäischer Baudenkmäler und kultu- relle Revitalisierung ländlicher Regio- Tagesordnungspunkt 7: nen Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE Drucksache 19/24208 ...... 25412 B GRÜNEN, DIE LINKE und FDP: Bau des Besucherinformationszentrums vorantrei- c) Antrag der Abgeordneten Britta Katharina ben – Bauzeitenverzögerungen und höhere Dassler, Stephan Thomae, Reginald Kosten vermeiden Hanke, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/20791 ...... 25413 A Fraktion der FDP: Erhalt der Breiten- sportlandschaft in Pandemiezeiten Drucksache 19/25245 ...... 25412 B in Verbindung mit d) Antrag der Abgeordneten Britta Katharina Dassler, Stephan Thomae, Reginald Zusatzpunkt 10: Hanke, weiterer Abgeordneter und der a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Fraktion der FDP: Transparenz schaffen , Dr. , und Potenzialanalysesystem verbessern Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Drucksache 19/25243 ...... 25412 C Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- f) Antrag der Abgeordneten Daniel Föst, wurfs eines Gesetzes für einen Pande- Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer mierat des Bundestages (Pandemierat- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: gesetz – PandemieratG) Fairer Klimaschutz für Mieter und Ver- Drucksache 19/25254 ...... 25413 B mieter Drucksache 19/25246 ...... 25412 C in Verbindung mit g) Antrag der Abgeordneten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Manfred Zusatzpunkt 10: Todtenhausen, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: e) Antrag der Abgeordneten Dr. Andrew Neuer Schwung für unsere Innenstädte Ullmann, Michael Theurer, Grigorios Drucksache 19/25296 ...... 25412 C Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Einsamkeit – Erken- h) Antrag der Abgeordneten Benjamin nen, evaluieren und entschlossen entge- Strasser, Stephan Thomae, Grigorios gentreten Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/25249 ...... 25413 C Fraktion der FDP: Einsatz von Ver- trauenspersonen konsequent gesetzlich regeln Tagesordnungspunkt 28: Drucksache 19/25248 ...... 25412 D a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung i) Antrag der Abgeordneten Pascal Kober, des von der Bundesregierung eingebrach- Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abkommen vom 2. Mai 2019 zur Ände- VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

rung des Abkommens vom 8. März 1967 – zu dem Antrag der Fraktionen der zwischen der Bundesrepublik Deutsch- CDU/CSU und SPD: Schutz von exoti- land und den Vereinigten Mexikani- schen Tieren bei Handel und Haltung schen Staaten über den Luftverkehr verbessern – Ursachen für Pandemien Drucksachen 19/24224, 19/25157 ...... 25413 D bekämpfen b) – Zweite und dritte Beratung des von der – zu dem Antrag der Abgeordneten Judith Bundesregierung eingebrachten Ent- Skudelny, Frank Sitta, Grigorios wurfs eines Gesetzes über eine einma- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und lige Sonderzahlung aus Anlass der der Fraktion der FDP: Verbreitung COVID-19-Pandemie an Besoldungs- von Zoonosen im Handel mit Wildtie- und Wehrsoldempfänger ren verhindern – Bessere Regeln statt Drucksachen 19/24839, 19/25323 ...... 25414 A Verbote – Bericht des Haushaltsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten gemäß § 96 der Geschäftsordnung Dr. , Ralph Lenkert, Drucksache 19/25381 ...... 25414 B Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeord- c) Zweite und dritte Beratung des von der neter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Moratorium für Wildtierhandel aus eines Gesetzes zur Änderung des ethischer und epidemiologischer Ver- Umweltschadensgesetzes, des Umwelt- antwortung informationsgesetzes und weiterer – zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi umweltrechtlicher Vorschriften Lemke, Renate Künast, , Drucksachen 19/24230, 19/25325 ...... 25414 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion d) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Natur- Ausschusses für Wirtschaft und Energie zerstörung, Wildtierhandel und Pelz- zu der Verordnung der Bundesregierung: tierfarmen stoppen – Risiko für Sechzehnte Verordnung zur Änderung zukünftige Pandemien senken der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 19/24645, 19/24593, Drucksachen 19/23834, 19/24132 Nr. 2, 19/20551, 19/24435, 19/25345 ...... 25418 D 19/24793 ...... 25414 D h) Beschlussempfehlung und Bericht des e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat zu Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität dem Antrag der Abgeordneten Joana und Geschäftsordnung: Änderung der Cotar, , Marcus Bühl, weiterer Geschäftsordnung des Deutschen Bun- Abgeordneter und der Fraktion der AfD: destages – hier: Verlängerung der Gel- Freie Meinungsäußerung sicherstellen – tungsdauer der Regelung zur besonde- Rechtssicherheit der Datenschutz- ren Anwendung der Geschäftsordnung Grundverordnung – Erweiterung des aufgrund der allgemeinen Beeinträchti- Medienprivilegs auf Blogger, Fotografen gung durch COVID-19, § 126a GO- und Tätige im Bereich der Öffentlich- Beschäftigte keitsarbeit Drucksache 19/25177 ...... 25414 D Drucksachen 19/7430, 19/10011 ...... 25419 A (AfD) ...... 25415 A i) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. (CDU/CSU) ...... 25415 D Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Brandner (AfD) ...... 25416 C , Uwe Schulz, Dr. Michael Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Espendiller, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN) ...... 25417 B der Fraktion der AfD: Freiheit im Inter- net – Bürgerrechte stärken f) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/10172, 19/16140 ...... 25419 B Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zu der Verordnung j) Beschlussempfehlung und Bericht des der Bundesregierung: Verordnung über Ausschusses für Gesundheit zu dem An- das Verbot des Inverkehrbringens von trag der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe bestimmten Einwegkunststoffproduk- Schulz, Dr. , weiterer ten und von Produkten aus oxo-abbau- Abgeordneter und der Fraktion der AfD: barem Kunststoff (Einwegkunststoff- Grundrechten wieder Geltung verschaf- verbotsverordnung – EWKVerbotsV) fen – Keine Datensammlung durch eine Drucksachen 19/24440, 19/24795 Nr. 2, Corona-App 19/25324 ...... 25418 B Drucksachen 19/18976, 19/22915 ...... 25419 C g) Beschlussempfehlung und Bericht des k) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Finanzausschusses zu dem Antrag der Ab- und nukleare Sicherheit geordneten Stefan Schmidt, Dr. Kirsten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 VII

Kappert-Gonther, Dr. , wei- c) Beschlussempfehlung und Bericht des terer Abgeordneter und der Fraktion Ausschusses für Ernährung und Landwirt- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Tabaksteuerrichtlinie zu einer Steuer- , Frank Sitta, Dr. Gero richtlinie für Rauch- und Dampfpro- Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter dukte weiterentwickeln und an gesund- und der Fraktion der FDP: Notfallzulas- heitlichen Auswirkungen ausrichten sung für Neonikotinoide ermöglichen Drucksachen 19/18978, 19/25320 ...... 25419 C Drucksachen 19/24374, 19/25355 ...... 25424 A l)–dd) Beratung der Beschlussempfehlun- gen des Petitionsausschusses: Sam- melübersichten 728, 729, 730, 731, Zusatzpunkt 12: 732, 733, 734, 735, 736, 737, 738, Beratung der Beschlussempfehlung des Ver- 739, 740, 741, 742, 743, 744, 745 mittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ver- und 746 zu Petitionen besserung der Hilfen für Familien bei Drucksachen 19/25101, 19/25102, Adoption (Adoptionshilfe-Gesetz) 19/25103, 19/25104, 19/25105, 19/25106, Drucksachen 19/16718, 19/19596, 19/20892, 19/25107, 19/25108, 19/25109, 19/25110, 19/24905, 19/25163 ...... 25424 B 19/25111, 19/25112, 19/25113, 19/25114, Stephan Brandner (AfD) ...... 25424 C 19/25115, 19/25116, 19/25117, 19/25118, 19/25119 ...... 25419 D Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) ...... 25425 B (FDP) ...... 25420 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 25426 A in Verbindung mit Zusatzpunkt 13: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Zusatzpunkt 15: DIE LINKE: Der Fall Haribo – Niedergang des ostdeutschen Arbeitsmarktes stoppen a)–r) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 25426 D sichten 747, 748, 749, 750, 751, 752, Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 25427 C 753, 754, 755, 756, 757, 758, 759, 760, Jürgen Pohl (AfD) ...... 25428 C 761, 762, 763 und 764 zu Petitionen Drucksachen 19/25357, 19/25358, Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) ...... 25429 D 19/25359, 19/25360, 19/25361, 19/25362, Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 25430 D 19/25363, 19/25364, 19/25365, 19/25366, 19/25367, 19/25368, 19/25369, 19/25370, Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ 19/25371, 19/25372, 19/25373, 19/25374 . 25422 A DIE GRÜNEN) ...... 25431 D (CDU/CSU) ...... 25432 D in Verbindung mit René Springer (AfD) ...... 25434 A Daniela Kolbe (SPD) ...... 25435 A Zusatzpunkt 11: Matthias Höhn (DIE LINKE) ...... 25436 A a) Beschlussempfehlung und Bericht des Alexander Krauß (CDU/CSU) ...... 25437 A Ausschusses für Ernährung und Landwirt- (SPD) ...... 25438 A schaft zu dem Antrag der Abgeordneten , Frank Sitta, Dr. Gero Jana Schimke (CDU/CSU) ...... 25439 A Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verbot von Grünlandumbruch streichen Tagesordnungspunkt 16: Drucksachen 19/24326, 19/24802 ...... 25423 D a) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Beschlussempfehlung und Bericht des rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschusses für Verkehr und digitale In- zes zum Schutz von Kindern mit Varian- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten der Geschlechtsentwicklung ten , Frank Sitta, Oliver Drucksache 19/24686 ...... 25440 B Luksic, weiterer Abgeordneter und der b) Antrag der Abgeordneten Sven Lehmann, Fraktion der FDP: Keine einseitige Sub- , Kai Gehring, weiterer ventionierung für den Deutsche-Bahn- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Konzern – Unterstützung für den Schie- NIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädigungs- nenverkehr wettbewerbsneutral ausge- fonds für trans- und intergeschlecht- stalten liche Menschen Drucksachen 19/24639, 19/25386 ...... 25424 A Drucksache 19/22214 ...... 25440 C VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 25440 C Tobias Pflüger (DIE LINKE) ...... 25462 A Dr. Robby Schlund (AfD) ...... 25441 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 25463 A (CDU/CSU) ...... 25442 A (CDU/CSU) ...... 25464 A Dr. (Rhein-Neckar) (FDP) . 25443 A (DIE LINKE) ...... 25443 D Tagesordnungspunkt 19: Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Uwe Schulz, Joana DIE GRÜNEN) ...... 25444 C Cotar, Dr. Michael Espendiller, weiterer Abge- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 25445 B ordneter und der Fraktion der AfD: Erstellung einer Studie über die 5G-Technologie und Alexander Krauß (CDU/CSU) ...... 25446 B deren Auswirkungen Drucksache 19/25308 ...... 25465 D Tagesordnungspunkt 14: Uwe Schulz (AfD) ...... 25465 D Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 25466 D Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, weiterer Judith Skudelny (FDP) ...... 25467 D Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Wis- senschaft von Ideologie befreien – Förde- (SPD) ...... 25468 C rung der Gender-Forschung beenden Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 25469 C Drucksache 19/25312 ...... 25447 B (BÜNDNIS 90/ Dr. Marc Jongen (AfD) ...... 25447 C DIE GRÜNEN) ...... 25470 B Dr. (CDU/CSU) ...... 25448 D (CDU/CSU) ...... 25470 D Dr. h. c. (FDP) ...... 25450 A Dr. (SPD) ...... 25450 D Tagesordnungspunkt 21: (DIE LINKE) ...... 25452 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 25453 B schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Johannes Vogel (Olpe), (CDU/CSU) ...... 25454 A Michael Theurer, , weiterer Abge- Dr. Götz Frömming (AfD) ...... 25455 C ordneter und der Fraktion der FDP: Corona- Sybille Benning (CDU/CSU) ...... 25455 D Krise generationengerecht überwinden – Nachholfaktor in der Rentenformel wieder- einführen Tagesordnungspunkt 17: Drucksachen 19/20195, 19/24536 ...... 25472 B Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- (SPD) ...... 25472 C digungsausschusses zu dem Antrag der Ab- Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 25474 A geordneten Dr. Alexander S. Neu, Tobias (CDU/CSU) ...... 25475 B Pflüger, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Ausrüs- Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 25476 C tung der Bundeswehr mit bewaffneten Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 25477 C Drohnen Drucksachen 19/22369, 19/25321 ...... 25456 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 25478 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) ...... 25479 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 25: Zusatzpunkt 14 Antrag der Abgeordneten Katja Suding, Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Mario Margarete Bause, Dr. , wei- Brandenburg (Südpfalz), weiterer Abgeordne- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ter und der Fraktion der FDP: Keine Zeit NIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Beschaffung mehr zu verlieren – Die Digitalisierung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr von Schulen endlich beschleunigen Drucksache 19/25293 ...... 25456 B Drucksache 19/25298 ...... 25480 A (CDU/CSU) ...... 25456 B Katja Suding (FDP) ...... 25480 B (AfD) ...... 25458 A Dr. (CDU/CSU) ...... 25481 A Siemtje Möller (SPD) ...... 25459 A Nicole Höchst (AfD) ...... 25482 C Dr. (FDP) ...... 25460 C Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 25483 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) ...... 25461 B Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 25484 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 IX

Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/ Anlage 1 DIE GRÜNEN) ...... 25484 D Entschuldigte Abgeordnete ...... 25497 A Dr. (CDU/CSU) ...... 25485 C (SPD) ...... 25486 D Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Tagesordnungspunkt 26: Sebastian Brehm (CDU/CSU) zu der Abstim- Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, mung über den von der Bundesregierung ein- Maria Klein-Schmeink, , weiterer gebrachten Entwurf eines Jahressteuerge- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- setzes 2020 (Jahressteuergesetz 2020 – NIS 90/DIE GRÜNEN: Sozialstaat auf JStG 2020) Augenhöhe – Zugang zu Teilhabeleistungen (201. Sitzung, 16.12.2020, Tagesordnungs- verbessern punkt 6 a) ...... 25498 B Drucksache 19/24437 ...... 25487 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Anlage 3 DIE GRÜNEN) ...... 25487 D (CDU/CSU) ...... 25488 C Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (CDU/CSU) zu der namentli- Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 25490 C chen Abstimmung über den von der Bundes- Angelika Glöckner (SPD) ...... 25491 D regierung eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Änderung des Erneuerbare-Energien- Jens Beeck (FDP) ...... 25492 C Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vor- Sören Pellmann (DIE LINKE) ...... 25493 C schriften Dr. (SPD) ...... 25494 B (Tagesordnungspunkt 8 a) ...... 25498 D

Nächste Sitzung ...... 25495 C Anlage 4 Berichtigung ...... 25495 A Amtliche Mitteilung ...... 25499 C

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(A) (C)

202. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir müssen noch eine Wahl durchführen. Die Fraktion Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, den Kollegen nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Erhard Grundl als Nachfolger für die ausgeschiedene Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der letzte Kollegin Katja Dörner als stellvertretendes Mitglied des reguläre Sitzungstag in einem Jahr, das uns und die ganze Kuratoriums der Stiftung Haus der Geschichte der Welt in unvorhersehbarer Weise herausgefordert hat. Vor Bundesrepublik Deutschland zu wählen. Sind Sie da- zwölf Monaten kannte noch niemand das Virus, das unser mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann Leben radikal verändert hat und das uns zwingt, auf ist der Kollege zum stellvertretenden Mitglied des Kura- gewohnte Freiheiten zu verzichten und unser ganzes wirt- toriums gewählt. schaftliches, soziales, familiäres Leben stark einzu- Interfraktionell ist vereinbart worden, die Sammel- schränken. übersichten 747 bis 764 des Petitionsausschusses auf (B) Inzwischen sind im Zusammenhang mit der Corona- den Drucksachen 19/25357 bis 19/25374 zusammen mit (D) infektion allein in Deutschland mehr als 24 000 Menschen den Ohne-Debatten-Punkten aufzusetzen. – Ich höre kei- gestorben. Wir denken an diese Toten. nen Widerspruch. Dann sind Sie damit einverstanden, und es ist so beschlossen. Zahlen sind abstrakt, aber dahinter stehen persönliche Schicksale und Angehörige, die sich von den Sterbenden Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c sowie vielfach noch nicht einmal würdig verabschieden konn- Zusatzpunkte 5 und 6 auf: ten. Wir denken auch an all diejenigen, die in Kranken- 8 a) – Zweite und dritte Beratung des von der häusern und Pflegeeinrichtungen unter den verschärften Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Kontaktbeschränkungen besonders leiden, weil die ihnen eines Gesetzes zur Änderung des Nahestehenden Abstand halten müssen. Erneuerbare-Energien-Gesetzes und Wir danken den vielen, vielen Menschen in den weiterer energierechtlicher Vorschrif- Heil- und Pflegeberufen, die auch in den kommenden ten Weihnachtstagen in Krankenhäusern, in Heimen, in Pri- Drucksachen 19/23482, 19/24234, vathaushalten überlebenswichtige Hilfe leisten, 19/24535 Nr. 10 (Beifall im ganzen Hause) – Zweite und dritte Beratung des von den die an der psychischen wie physischen Belastungsgrenze Abgeordneten Dr. Heiko Heßenkemper, arbeiten und im Übrigen dabei einem hohen Infektions- Steffen Kotré, Tino Chrupalla, weiteren risiko ausgesetzt sind. Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Wie menschlich eine Gesellschaft ist, bemisst sich an zur Änderung des Erneuerbare-Ener- ihrem Umgang mit den Schwächsten. Und so zeigt sich in gien-Gesetzes – Abschaffung des EEG der Pandemie, dass es in unserer Hand liegt, wie gut wir für Anlagen, die ab 1. Januar 2021 in diesem Anspruch gerecht werden. Es braucht nicht ein- Betrieb genommen werden mal Feiertage, sich darauf zu besinnen. Drucksache 19/23714 Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich nach- träglich der Kollegin Renate Künast zu ihrem Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- 65. Geburtstag. Alle guten Wünsche im Namen des gan- schusses für Wirtschaft und Energie (9. Aus- zen Hauses. schuss) (Beifall) Drucksachen 19/25302, 19/25326 25334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): (C) Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der ist jetzt vor Weihnachten, und wir haben gemeinsam mit Abgeordneten , Michael dem Koalitionspartner ein Paket geschnürt, aufbauend Theurer, , weiterer Abge- auf einem Vorschlag für das EEG, für den die Bundesre- ordneter und der Fraktion der FDP gierung, insbesondere das Haus von , eine gute Vorbereitung geliefert hat. Wir haben es im parla- Langfristige Stromlieferverträge für den mentarischen Verfahren noch besser gemacht. ungeförderten Zubau und Betrieb von erneuerbaren Energien nutzen Was machen wir? Wir stärken den Markt und stärken die Ausbauperspektive für die erneuerbaren Energien. Drucksachen 19/20532, 19/25301, Wir verbessern und fördern die Wettbewerbsfähigkeit 19/25346 von Mittelstand und Industrie. Wir treiben die Digitali- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des sierung im Bereich der Energieversorgung voran. Wir Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und stärken die Kommunen. Wir entbürokratisieren das Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Erneuerbare-Energien-Gesetz. Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin, Ralph (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lenkert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abge- NEN]: Was? 320 Seiten Änderungsanträge!) ordneter und der Fraktion DIE LINKE Und wir schaffen vor allem auch eine Entfesselung für Ökostromausbau zukunftsfähig gestalten den Wasserstoff, indem wir die Rahmenbedingungen so Drucksachen 19/23933, 19/25300, setzen, dass der Wasserstoffmarkt und alle damit verbun- 19/25343 denen Dinge so starten können, wie wir uns das wün- ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des schen. Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Was machen wir im Einzelnen? Wir stärken den Markt Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- und stärken die Ausbauperspektiven für die Erneuerba- ordneten Dr. Rainer Kraft, Karsten Hilse, Marc ren, indem wir im Marktdesign die negativen Strompreise Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Frak- reduzieren. Die Blöcke werden von sechs Stunden auf tion der AfD vier Stunden verkürzt. Das ist ein erster Schritt, dem Keine Nachfolgeförderung für alte Anlagen noch weitere folgen müssen. nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz Wir nehmen Ausschreibungen in das System auf, wo (B) Drucksachen 19/22427, 19/25301, 19/25346 bisher Potenziale ungenutzt sind. Zum Beispiel werden (D) die Potenziale großer Dachflächen durch das EEG heute ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten nicht im notwendigen Umfang gehoben und genutzt. Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios Deshalb führen wir zielgerichtet bei einer Größ- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- enordnung von 300 Kilowatt bis 750 Kilowatt neben tion der FDP dem EEG eine Wahlmöglichkeit zu Ausschreibungen 55+5 – Ein ambitioniertes EU-Klimaziel mit ein. Es gibt oftmals in Industrie- und Gewerbegebieten Negativemissionstechnologien ermöglichen große Dachflächen, die zum Beispiel ein Großhändler oder ein Handwerker nicht für den Eigenverbrauch nut- Drucksache 19/25295 zen kann und die deshalb brachliegen. Durch eine Aus- Überweisungsvorschlag: schreibung können wir diese Potenziale heben und dann Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie beispielsweise bei den Freiflächen entsprechend einspa- ren. Ich glaube, wir haben da eine sehr intelligente und Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände- gute Lösung gefunden. rung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vorschriften liegen ein Entschlie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ßungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschlie- Wir verbessern und fördern die Wettbewerbsfähigkeit ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. von Mittelstand und Industrie, indem wir beispielsweise Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich die Besondere Ausgleichsregelung jetzt krisenfest abstimmen. machen. Beispielsweise kann geschätzt statt gemessen werden, wenn das pandemiebedingt schwierig ist; wir Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten verlängern coronabedingt Fristen, und es gibt viele ande- beschlossen. re Dinge mehr. Die Aussprache eröffne ich jetzt und erteile das Wort Wir treiben die Digitalisierung der Energieversorgung dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU. voran, indem wir zukünftig Smart Meter im Verteilnetz (Beifall bei der CDU/CSU) als Regel und Pflicht anstreben. Warum tun wir das? Die Digitalisierung im Bereich der Energieversorgung Kommen Sie ruhig ans Pult! braucht Transparenz. Man muss wissen, welcher Strom (Heiterkeit – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: im Netz ist. Die Anlagen müssen gesteuert werden, und Die Plätze sind ja hier übersichtlich im zwar nicht nur im Industriebereich, auch im privaten Be- Moment! – [Erfurt] [SPD]: reich. Wenn Wärmepumpen bei der Sektorkopplung Ein- So! Eine Minute Redezeit ist weg!) zug halten sollen oder wenn beispielsweise auch im pri- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25335

Dr. Joachim Pfeiffer (A) vaten Bereich die Elektromobilität durch Ladestationen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) stark ausgebaut wird, dann müssen diese Dinge zukünftig Die Redezeit ist schon abgelaufen. steuerbar sein, damit sich neue Geschäftsmodelle beim Demand-Side-Management – zeit- und lastvariable Tari- Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): fe – entsprechend entwickeln können. Nein, war sie noch nicht. Wir stärken die Kommunen, indem wir im Bereich der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Interesses Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die Zielbestimmung des § 1 Absatz 5 EEG in der Ent- Herr Kollege, ich lasse nie Zwischenfragen zu, wenn wurfsfassung streichen, weil sie die kommunale Selbst- die Redezeit schon abgelaufen ist, und Ihre ist schon verwaltung einschränkt und weil sie die Planungshoheit abgelaufen. der Kommunen beschränkt. Das wollen wir nicht. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unglaublich!) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Wir setzen weitere Akzeptanzpunkte, indem wir bei- Das war sie noch nicht, aber okay. – Dann komme ich spielsweise im Windbereich den Kommunen – 0,2 Cent zum Schluss. Es gibt noch viel zu tun, um die Komple- pro Kilowattstunde bei Neubau und bei Repowering – xität zu reduzieren. Das EEG 2000 hatte fünf Seiten im entsprechende Anreize geben, damit sie sich dieser Dinge Bundesgesetzblatt, zwölf Paragrafen. Allein die Formu- annehmen. lierungshilfe, die wir gestern im Ausschuss vorliegen Auch bei der Gewerbesteuerzerlegung – in der Ent- hatten, hatte 320 Seiten. Da sieht man: Das EEG muss schließung ist das enthalten – sind viele Punkte, die wir zurückgeführt werden. auch noch abarbeiten und angehen wollen. Wir wollen die EEG-Umlage ausphasen. Wir wollen Wir entbürokratisieren das EEG, indem wir eine One- das EEG dann auch so beenden, dass sich mit der Been- Stop-Agency schaffen, indem das Marktstammdatenre- digung der Kohleverstromung der Markt entsprechend gister weiterentwickelt wird und beispielsweise für den durchsetzt, und wir wollen die Finanzierung entspre- Normalbürger eine vereinfachte Anmeldung möglich ist. chend regeln. Deshalb haben wir hier noch eine große Aufgabe, die wir unmittelbar nach der Weihnachtspause Beim Wasserstoff wird dafür gesorgt, dass von Anfang mit dem Koalitionspartner angehen werden und auch an die Elektrolyse, wenn sie mit Grünem Wasserstoff noch in dieser Legislaturperiode einer Lösung zuführen erfolgt, von der EEG-Umlage befreit wird oder dass die wollen und werden. Besondere Ausgleichsregelung alternativ gewählt wer- (B) den kann. Beim Wasserstoff dürfen wir den Fehler des Vielen Dank. (D) EEG nicht wiederholen, sondern es gilt, von Anfang an (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann eine Systembetrachtung anzustellen, bei der Transport [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange und Speicherung berücksichtigt werden. Damit gelingt haben Sie jetzt für den fulminanten Vortrag es, den Mengenhochlauf von Wasserstoff zu adressieren. hier gebraucht? – Gegenruf: 20 Minuten! – Bei der Eigenversorgung, egal ob PV-Anlagen auf dem Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- Dach für das Einfamilienhaus oder im Industriebereich, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Damit schaffen wir Rechtssicherheit bei der Scheibenpacht, bei- schon um 9 Uhr loslegen! – Zuruf von der LIN- spielsweise für Unternehmen, die im internationalen KEN: Wie kann man so wenig in so viel Zeit Wettbewerb stehen und vor Existenzfragen stehen. Wir sagen?) wollen die Unternehmen nicht, anders als hier vielleicht manch anderer – das werden wir nachher noch hören –, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: aus dem Land vertreiben. Mein lieber Mann, das war knapp. – Nächster Redner (Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜND- ist der Kollege Steffen Kotré, AfD. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der AfD – [SPD]: Oje!) Wir brauchen die energieintensiven Unternehmen und Wertschöpfungsketten in diesem Land, Steffen Kotré (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU) Schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Energiewende ist weil es ohne sie keinen ICE, keine PV-Anlagen und auch nicht mehr zu retten. kein Windrad gibt. ( [SPD]: Die AfD ist nicht Aber wir sind noch lange nicht fertig. Wir wollen die mehr zu retten!) Komplexität des Systems reduzieren. Was hat die Bundesregierung bisher alles versucht, um (Abg. Dr. [AfD] meldet sich zu diese instabile, unökonomische und ungeeignete Strom- einer Zwischenfrage – Britta Haßelmann erzeugung aus Wind und Sonne zu retten? Verhundertfa- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es besteht chung der Netzeingriffe, Abregelung von Windindustrie- der Wunsch nach einer Frage! – anlagen, Stromsperren bei Strommangel, verstärkten [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stromimport, Netzausbau, Wasserstoff, Mieterstrom, Nicht schon wieder!) Bürgerenergie und vieles andere mehr. 25336 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Steffen Kotré (A) Um die Preise dieser Planwirtschaft zu stabilisieren, (Timon Gremmels [SPD]: Sagen Sie auch mal (C) werden also auch bald wie zu DDR-Zeiten nicht nur die was zur Sache?) Stromkunden zur Kasse gebeten, sondern jetzt auch der Besondere Ausgleichsregelung-Gebührenverordnung, Steuerzahler, der dann die Subventionen mitbezahlen EEG- und Ausschreibungsgebührenverordnung, muss, meine Damen und Herren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nun (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) müssen Sie mal richtig arbeiten!) Die Anzeichen, dass es nicht funktionieren kann, fin- Erneuerbare-Energien-Verordnung, Besondere Aus- den sich auch in dem Gesetzesverfahren selbst. Das gleichsregelung-Durchschnittsstrompreis-Verordnung, Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ständig novelliert wor- den. Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Also, Erneuerbare-Energien-Gesetzes und anderer Gesetze Ihnen scheint sonst zu diesem Thema nichts der Koalition ist bereits in erster Lesung im Plenum eingefallen zu sein!) gewesen und wird jetzt trotzdem mit einem 320-seitigen Grenzüberschreitende-Erneuerbare-Energien-Verord- Änderungsantrag nung, Herkunfts- und Regionalnachweis-Durchführungs- verordnung, (Timon Gremmels [SPD]: Das nennt man „par- lamentarische Arbeit“! Das ist unser Job! Das (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lesen ist Aufgabe von Parlamentariern, Gesetzent- Sie doch mal ein paar Gesetze vor!) würfe zu diskutieren, zu verbessern! – Gegen- Herkunfts- und Regionalnachweis-Gebührenverordnung, ruf von der AfD) (Timon Gremmels [SPD]: So kann man die geändert werden. Redezeit auch verplempern!) Das, meine Damen und Herren, ist kein Ausdruck des- Innovationsausschreibungsverordnung, Kraft-Wärme- sen, dass die Opposition hier ihre Gedanken mit einbrin- Kopplungsgesetz-Gebührenverordnung, gen konnte. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist (Timon Gremmels [SPD]: Mein Gott! Machen ja endlich mal eine Rede mit Inhalt!) Sie Ihren Job!) Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, Nein, das ist Ausdruck dessen, dass die Koalition hand- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) werklich nicht gut arbeitet, Kraft-Wärme-Kopplungs-Ausschreibungsverordnung, (Beifall bei der AfD) (B) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Verord- (D) dass aus den Ministerien Gesetzentwürfe kommen, die nungen sind keine Gesetze, aber das nur mal so handwerklich nicht gut gemacht worden sind und die am Rande!) nachgebessert werden müssen. Das passiert immer häufi- Windenergie-auf-See-Gesetz, Verordnung zur Anrech- ger, meine Damen und Herren. Aber das ist eben auch nung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeite- kein Wunder bei der Komplexität dieser Planwirtschaft; ten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote, da muss man eben ständig nachbessern. Ich denke, wir werden hier also kurz- und mittelfristig wieder weitere (Johann Saathoff [SPD]: Das ist ein Offenba- Änderungen erleben. rungseid jetzt!) (Timon Gremmels [SPD]: Selbstverständlich!) Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus, Kohleverstromungsbeendigungsgesetz und, und, und. Der Änderungsantrag zum Änderungsantrag, 320 Sei- ten, ist uns 50, nein, 70 Minuten vor der eigentlichen (Ulli Nissen [SPD]: Das ist eine echt spannen- Ausschusssitzung, in der dieser Änderungsantrag behan- de Rede, die Sie da halten!) delt werden sollte, zugegangen. 70 Minuten! Zu allem Damit haben wir ganz klar auf dem Tisch: Wir haben Überfluss kamen noch zwei mündliche Änderungsanträ- es hier mit Planwirtschaft zu tun. ge hinzu, auf die wir uns natürlich auch nicht vorbereiten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber konnten. Das ist keine Sternstunde der Demokratie, mei- das mit dem Vorlesen funktioniert! – Lachen ne Damen und Herren. des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) (Beifall bei der AfD) Wir haben es hier mit Bürokratieaufbau zu tun, den wir Die Stromerzeugung hat früher der Markt geregelt. Die ohne das alles nicht hätten. Unternehmen hatten verlässliche Rahmenbedingungen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ist das Ihre Es hat funktioniert: geringe Strompreise, hohe Stromver- Kernkritik? Das ist ja lächerlich!) sorgung, umweltschonende Energieversorgung. Aber diese Marktwirtschaft haben wir jetzt nicht mehr. Damit haben wir hier ein komplexes System, das so bald nicht mehr funktioniert. Deswegen sagen wir: Weg mit Ich kann Ihnen mal gerne den Wust der Gesetze und dem EEG und Begleitgesetzen! Verordnungen vorlesen, die jetzt notwendig sind, um die- se Planwirtschaft zu regeln. Also, wir haben da Bio- (Beifall bei der AfD) massestrom-Nachhaltigkeitsverordnung, Erneuerbare- Das ist die einfache Richtung, und das ist Marktwirt- Energien-Ausführungsverordnung, schaft, meine Damen und Herren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25337

Steffen Kotré (A) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (C) (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider Wenn hier von „Markt“ gesprochen wird von einer [Erfurt] [SPD]: Da kennt ihr euch ja mit Fraktion, die auf Atomkraft setzt, eine Technologie, die aus! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: ohne Milliardensubventionen von den Bürgerinnen und Aber schön vorgelesen! Da gibt es nichts!) Bürgern niemals überlebensfähig wäre, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dr. Rainer Kraft [AfD] meldet sich zu einer Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Zwischenfrage) Miersch, SPD. dann sage ich: Es ist der Übergang in eine neue Zeit. (Beifall bei der SPD) ( [AfD]: Sie haben ja keine Ahnung!) Dr. Matthias Miersch (SPD): Das muss gefördert werden. Die Erneuerbaren sind die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zukunft und nichts anderes, liebe Kolleginnen und Kol- Kotré, das, was wir hier heute Morgen machen, ist Parla- legen. mentarismus pur. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Marc Bernhard [AfD]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dass CDU/CSU und SPD die Kraft haben, einen Gesetz- Herr Kollege Miersch, gestatten Sie eine Zwischen- entwurf der Regierung massiv zu verbessern, ist Parla- frage aus der AfD? mentarismus. Ich bin stolz darauf, dass wir dieses hier heute miteinander beschließen. Dr. Matthias Miersch (SPD): Nein, die gestatte ich nicht, weil ich meine Gedanken- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – gänge jetzt fortführen will. Zuruf des Abg. Marc Bernhard [AfD]) (Lachen des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD]) Wir haben in der ersten Lesung an vielen, vielen Stel- len die Kritik der Opposition gehört, und all diese Punkte Ich will sagen, dass wir an dieser Stelle nicht stehen sind jetzt durch diese Veränderung aufgenommen wor- bleiben dürfen. Die Sozialdemokratie ist bereit, weitere den. große Fragen zu klären. Das betrifft natürlich die Finan- (B) zierung – Stichwort: EEG-Umlage –, und das betrifft (D) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch die Ausbaupfade, die ohne Zweifel erweitert werden NEN]: Was?) müssen. Deswegen ist uns die Entschließung so wichtig, Die Sozialdemokratie hat massiv dafür gesorgt – darauf in der wir bereits sagen: Im ersten Quartal im nächsten bin ich stolz –, dass wir gerade für ältere Windenergiean- Jahr wollen wir diese Fragen klären. lagen Brücken, Perspektiven geschaffen haben, damit (Beifall bei der SPD) diese Anlagen nicht abgeschaltet werden. Nach den konstruktiven Gesprächen mit der CDU/CSU (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD) bin ich sicher: Wir werden das schaffen. Wir haben den Unsinn aus dem Gesetz gestrichen, dass (Beifall des Abg. Dr. Bürgerinnen und Bürger, die seit Jahren in Solaranlagen [CDU/CSU]) investiert haben, mit Messstellen etc. belastet werden. Wir haben hier entbürokratisiert, und dieses wird weiter Und weil das Ganze ein Zukunftsprojekt mit allen wer- gefördert. den soll und wir kurz vor Weihnachten sind, würde ich mir dazu noch etwas wünschen. Wir haben das große (Beifall bei der SPD – Problem, dass wir die Ziele locker setzen können. Aber [AfD]: Lächerlich!) das, was wir hier heute machen, ist mindestens genauso Wir haben für Kommunen Anreize geschaffen, wirk- wichtig; denn da geht es um die Instrumente. Wir sehen lich in Erneuerbare zu investieren und Wertschöpfung, gerade bei der Windkraft, dass wir nicht weiterkommen. die vor Ort entsteht, vor Ort zu lassen. Damit – da sind Die Grünen, die 11 von 16 Umweltministern in den Län- wir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen – wird die dern stellen, machen gerade die Erfahrung, dass seit über Akzeptanz von Windkraft weiter steigen. Darüber sind anderthalb Jahren daran herumgedoktert wird, wie man wir froh. Genehmigungsverfahren im Bereich der Windenergie beschleunigen kann – ohne irgendein Ergebnis. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und: Für uns ist wichtig, dass das Ganze ein Mitmach- (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- projekt für die Bevölkerung ist, dass jeder die Möglich- NIS 90/DIE GRÜNEN]) keit hat, in erneuerbare Energien zu investieren. Deswe- Deswegen: Machen Sie mal einen konstruktiven Vor- gen ist es aus meiner Sicht ein wirklicher Meilenstein, schlag, was die Genehmigungsverfahren betrifft! Das dass wir ein Mieterstrommodell entwickelt haben, an liegt in Ihrer Hoheit. Schaffen Sie die Voraussetzungen dem alle partizipieren können, nicht nur Eigenheimbesit- dafür, dass nicht, wie in Hessen im letzten Jahr passiert, zer, liebe Kolleginnen und Kollegen. nur ganze vier Windkraftanlagen genehmigt werden! 25338 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Matthias Miersch (A) (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND- einige vernünftige Vorschläge hier vorgetragen, die die (C) NISSES 90/DIE GRÜNEN) FDP ja unterstützt. Aber Sie machen als CDU/CSU gar Das ist der nächste Schritt, den wir gehen müssen. Ich nicht das, was Sie hier vorgetragen haben. lade Sie herzlich ein, im nächsten Quartal diese Frage mit (Beifall bei der FDP) uns zusammen zu klären. Dann regeln wir die Ausbaup- fade und das Thema Erneuerbare-Energien-Umlage. Wir sagen an der Stelle: Wir fordern dringend eine Reform des EEG ein. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Meine Damen und Herren, ja, wir brauchen auch in (Beifall bei der SPD – Britta Haßelmann Zukunft den Import von CO2-neutral hergestelltem Was- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott! serstoff und klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen. Leute, Leute!) Deutschland wird nie energieautark sein, wenn man nicht will, dass die Industrie in Deutschland praktisch kaputt- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gemacht wird, sondern wir importieren derzeit Energie – Michael Theurer, FDP, ist der nächste Redner. eben Öl und Gas –, und wir als Freie Demokraten wollen den Klimaschutz erreichen mit CO2-neutralen syntheti- (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer schen Kraftstoffen und Wasserstoff, der dann woanders in [CDU/CSU]: Michael, jetzt erklär denen mal der Welt hergestellt wird, weil er da zu geringeren volks- die Marktwirtschaft! – Gegenruf des Abg. wirtschaftlichen Kosten hergestellt werden kann als hier Michael Theurer [FDP]: Ja, ich probiere es! – in Deutschland. Timon Gremmels [SPD]: Der Energieexperte der FDP!) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, die FDP setzt auf den Michael Theurer (FDP): schnelleren Ausstieg aus der EEG-Umlage. Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! 54 Prozent (Timon Gremmels [SPD]: Die EEG-Umlage- der installierten Kraftwerksleistung in Deutschland im Steigerung war unter einem FDP-Wirtschafts- Jahr 2019 sind erneuerbare Energien. Allerdings trugen minister, Herr Theurer! Sie haben es doch teu- sie nur knapp 38 Prozent zur Stromerzeugung bei. Denn rer gemacht!) Fakt ist, dass Sonne und Wind eben diskontinuierlich zur Wir wollen eine grundlegende Reform von Steuern, Verfügung stehen. Man kann sagen: Das EEG, das in Umlagen und Abgaben auf Energie und eine Entbürokra- diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum feiert – Rot-Grün hat tisierung des Energierechts. Sie, Herr Minister Altmaier, (B) es ja eingeführt, und Herr Trittin sagte damals: Es kostet setzen stattdessen auf Verteilen, Verwalten und Verschie- (D) nicht mehr als eine Kugel Eis –, ist ein immens teures ben. Das ist falsch, meine Damen und Herren. Instrument, um erneuerbare Energien hochzufahren. 26 Milliarden Euro Umlage, das sind 323 Euro pro Bür- (Beifall bei der FDP – Timon Gremmels gerin und Bürger in Deutschland. Da kann man einen [SPD]: An die eigene Nase packen!) Haufen Eis kaufen; so viel Eis wollen die Bürger, glaube Wir haben in der Zeit, als die FDP an der Regierung ich, gar nicht kaufen. war – und das waren nur vier Jahre in den vergangenen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 20 Jahren –, der AfD) (Klaus Mindrup [SPD]: Schlimm genug!) Wir wollen an der Stelle mal deutlich machen: Diese durch marktwirtschaftliche Instrumente dafür gesorgt, massive Umverteilungsmaschinerie EEG war am Anfang dass die EEG-Umlage heute nicht so stark gestiegen ist, für die Markteinführungshilfe gut, muss aber jetzt drin- gend reformiert werden; denn es kommen ja dann noch (Ulli Nissen [SPD]: Was? – Timon Gremmels Milliarden aus dem Bundeshaushalt dazu. Die Bundesre- [SPD]: Das ist falsch!) gierung rechnet mit Ausgaben im Jahr 2021 von 34 Mil- wie sie bei Ihrem staatsplanwirtschaftlichen Instrument liarden Euro. Nach Berechnungen des Instituts der deut- gestiegen wäre. schen Wirtschaft in Köln hätte man CO2 viel günstiger vermeiden können. Historisch gesehen hat das EEG dazu (Beifall bei der FDP) geführt, dass bei Solarstrom 1 Tonne CO2 für 415 Euro Das muss man an der Stelle mal festhalten. vermieden wurde, während 1 Tonne CO2-Vermeidung im Emissionshandel nur 31 Euro kostet. Vielen Dank, Herr Präsident. Wir konzentrieren uns deshalb als FDP darauf, wie (Beifall bei der FDP – Claudia Roth [Augs- man das Klimaschutzziel effizienter erreichen kann. burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atom- ausstieg! – Johann Saathoff [SPD]: 4,6 Milliar- (Beifall bei der FDP) den Euro Atomausstieg! – Gegenruf der Abg. Es ist tragisch, dass die Bundesregierung die dringend Ulli Nissen [SPD]: Wenn wir die noch hätten!) notwendige Reform des EEG verschiebt – nicht in die nächste Wahlperiode, sondern in die übernächste Wahl- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: periode. Herr Minister Altmaier, das ist bedauerlich. Das Lorenz Gösta Beutin, Die Linke, erhält jetzt das Wort. lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Jetzt muss das EEG reformiert werden. Und Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25339

(A) Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Es gibt jetzt eine Entschließung, in der steht: Wir ver- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schieben die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerba- Geschichte der erneuerbaren Energien in Deutschland ist ren Energien ins nächste Jahr. – Woher nehmen SPD und eine Erfolgsgeschichte. CDU/CSU die große Hoffnung, dass sie im nächsten Jahr, im Jahr der Bundestagswahl, das erreichen können, was (Lachen bei Abgeordneten der AfD) sie in den ganzen Jahren vorher nicht erreicht haben? Das Es ist der Erfolg der vielen Menschen in unserem Land, ist eine wahnsinnige Illusion. Wir werden Ihnen weiter die sich seit den 1990er-Jahren auf den Weg gemacht Druck machen, dass doch noch etwas passiert, was pas- haben: gegen den Klimawandel, für den Ausbau der sieren muss. erneuerbaren Energien. Im Jahr 2000 ist mit dem (Beifall bei der LINKEN) Erneuerbare-Energien-Gesetz der Rahmen geschaffen worden, um den Ausbau der erneuerbaren Energien auf Anders als den Braun-Blauen nehme ich Ihnen ja ab: eine rechtliche Basis zu stellen. Entgegen den Vorhersa- Sie haben die Gefahr der Klimakatastrophe begriffen, gen aller Schlechtrednerinnen und Schlechtredner, aller und Sie wollen handeln. Aber Ihnen fehlt eben der Mut, Lobbys und aller fossilen Konzerne haben wir mittler- Ihnen fehlen die Visionen, um sich gegen die Konzerne weile 50 Prozent Ökostrom im Netz, und das finde ich und gegen die Lobbygruppen zur Wehr zu setzen. Viel- großartig. leicht nutzen Sie einmal die stillen Tage über Weihnach- ten, um in sich zu gehen und sich zu überlegen, auf (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- welcher Seite der Geschichte Sie stehen wollen. Ich wün- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sche Ihnen frohe Weihnachten. Aber in allen guten Geschichten ist es so, dass der Held Vielen Dank. irgendwann angegriffen wird; dann braucht er unsere Hilfe. Der Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ist auch durch die schwarz-gelbe Koalition immer weiter NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marco durchlöchert worden: immer weitere Ausnahmen für die Buschmann [FDP]: Der historische Materialis- Großkonzerne, die zulasten der Stromkundinnen und mus kehrt zurück! – Gegenruf des Abg. Lorenz Stromkunden gehen, immer mehr Ausschreibungsme- Gösta Beutin [DIE LINKE]: Der ist schon chanismen, die es Bürgerinnen- und Bürgerenergie und lange nicht da!) Genossenschaften immer schwerer machen, zum Zuge zu kommen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dann kommt Anfang des Jahres Wirtschaftsminister Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, erhält als (B) Altmaier zur Hilfe und sagt: Wir wollen eine große Nächster das Wort. (D) Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. – Doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wer die Verzögerungstaktik dieses Wirtschaftsministers kennt, etwa beim Kohleausstieg oder bei der Photovoltaik Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und der Windkraft, weiß: Wenn Herr Altmaier um die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ecke kommt, kann das nichts Gutes bedeuten. Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Dreh- und (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Angelpunkt jeder Klimaschutzstrategie. Wenn wir Was- NIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse- serstoff, E-Fuels, Elektromobilität, Wärmepumpen, was Brömer [CDU/CSU]: Ich finde, das kann man auch immer, wollen, dann müssen wir den Ausbau der so nicht sagen!) erneuerbaren Energien vorantreiben, dann müssen wir das Ausbautempo in Deutschland vervielfachen. Aber dass die Reform des Erneuerbare-Energien- Gesetzes nicht so schlecht geworden ist, wie es sich viel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leicht Herr Altmaier und die großen Konzerne gewünscht Ich sage es mal ganz deutlich: Diese Novelle wird diesem hätten, das ist dem Druck der Vereine und Verbände, das Anspruch nicht im Ansatz gerecht. Das muss hier ganz ist dem Druck der Klimabewegung zu verdanken und, ja, klar gesagt werden. in diesem Fall auch der SPD, die einmal ihren Rücken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geradegemacht hat. Meine Damen und Herren, das wird am deutlichsten, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wenn man in die Entschließung guckt, die Sie mit neten der SPD) beschließen wollen. Da dokumentieren Sie, dass Sie Aber es reicht eben absolut nicht aus, das Schlimmste sich nicht auf Ziele und Ausbaupfade verständigen konn- zu verhindern. Denn wir haben weiter überbordende Aus- ten. Was ist das für eine Bankrotterklärung, wenn man ein nahmen für die große Industrie, und das wird mit dieser Gesetz verabschiedet, das kein Ziel hat, das keine Aus- sogenannten Reform noch einmal ausgeweitet. Wir haben baupfade nennt? Das ist ein Armutszeugnis, meine weiterhin wahnsinnige, irre Milliardensubventionen für Damen und Herren. die fossile Industrie, und Genossenschaften und Bürger- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) innen- und Bürgerenergie werden weiter ausgebremst. Diese Bundesregierung lässt sie am langen Arm verhun- Lieber Matthias Miersch, ich finde es, ehrlich gesagt, gern. Das ist ein riesiges Problem. ein bisschen unverschämt, hier nicht die Grundlage für den Ausbau im Land zu liefern und dann auf die Länder (Beifall bei der LINKEN) zu zeigen. Man müsste mal darüber reden: Welche Rolle 25340 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Oliver Krischer (A) haben eigentlich Sozialdemokraten in diesen Ländern? (Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augs- (C) Da werden wir sehr schnell fündig. Da erkennen wir burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unver- sehr schnell, wer den Ausbau der erneuerbaren Energien schämtheit!) dort bremst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Timon Gremmels [SPD]: Hessen! In Hessen Auf die Polemik am Schluss muss man gar nicht ein- haben wir gar keine Verantwortung, leider!) gehen. – Lieber Kollege, ich weiß ja nicht, wo Sie im letzten Jahr waren; aber ist seit einem Jahr Kommissionspräsidentin und sagt: Wir brau- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: chen ein ambitioniertes Klimaschutzziel. – Sie sagt Herr Kollege Krischer, dazu möchte Ihnen ein Mit- 55 Prozent. Das Parlament sagt 60 Prozent. Es ist seit glied der sozialdemokratischen Fraktion eine Zwischen- einem Jahr klar, dass wir das Ziel von 40 auf mindestens frage stellen. 55 oder 60 Prozent erhöhen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da habe ich sehnsüchtig drauf gewartet. Deshalb frage ich mich: Wenn Sie vorangehen wollen, warum sagen Sie nicht: „Wir machen die 60 Prozent, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir setzen das um, wir Sozialdemokraten reiten endlich NEN]: Wahrscheinlich hast du das abgespro- mal wieder voraus“? chen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klaus Mindrup (SPD): Herr Kollege, auf die Frage nach Baden-Württemberg Lieber Oliver Krischer, Sie sind gestern im „Handels- habe ich gewartet. Sie gibt mir die Gelegenheit, die Agen- blatt“ zitiert worden. Es ging darum, warum wir die EU- tur für Erneuerbare Energien zu zitieren, die Baden- Klimaschutzziele nicht umsetzen. Aber Sie wissen ja – Württemberg und Schleswig-Holstein – beide Bundes- hoffentlich – ebenso wie ich, dass die noch gar nicht länder haben übrigens grüne Umweltminister – Platz eins fixiert sind. Die Staaten der EU sagen jetzt: Minus 55 Pro- beim Ausbau der erneuerbaren Energien 2019 zugespro- zent – mit ein paar Schlupflöchern, wie die Kritiker es chen hat. sagen. Das Europäische Parlament will in den Verhand- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lungen 60 Prozent erreichen. Das ist noch nicht entschie- den. Die Entscheidung kommt erst in den nächsten Das älteste Klimaschutzgesetz – ein Klimaschutzgesetz, (B) Wochen. als Sie noch nicht wussten, was das ist –, die Solarpflicht, (D) ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz, all das ist in Baden- (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Württemberg gemacht worden. DIE GRÜNEN]) Dann möchte ich hier mal eines erwähnen: In Baden- Wenn Sie jetzt so tun, als sei die Entscheidung für Württemberg ist der Ausbau der Windenergie verfünf- 55 Prozent schon gefallen, dann fallen Sie damit den facht worden. Das reicht bei Weitem noch nicht aus; Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, damit haben Sie völlig recht. Aber woran liegt das die jetzt hart für eine Verschärfung der Ziele streiten, in denn? Ich weiß, das hören Sie nicht mehr gerne, aber es den Rücken. gab hier mal einen Energieminister – den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) erwähnen Sie heute nicht mehr so oft –, der Ausschrei- bungen gemacht hat, die die südlichen Bundesländer sys- Das müssen Sie auch mal klar sagen. Deswegen wäre es tematisch benachteiligt haben. seriös, die Zieldebatte zu verschieben. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Mit den Zielen nehmen Sie es ja auch nicht so genau. GRÜNEN]: Genau!) Gucken wir mal nach Baden-Württemberg: Ein Minus von 25 Prozent ist dort im Klimaschutzgesetz geregelt. Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz sind Das schaffen Sie nicht. Im Bund sind es minus 40 Prozent. danach zurückgeworfen worden, weil Sie den Osten Wenigstens gibt es hier eine Überprüfung. und den Norden an der Stelle gestärkt haben. ( [AfD]: Was ist das für ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schwachsinn?) Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Dazu sollten Sie hier In dem Prüfbericht steht drin: Der Bund hat einen guten auch mal stehen und nicht mit dem Finger auf andere Job gemacht, was das Klimaschutzgesetz angeht. zeigen, meine Damen und Herren. Warum – das ist jetzt meine Frage an Sie – werden Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – nicht endlich konstruktiv? Warum werden Sie nicht sach- Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich? Bereiten Sie sich schon auf die Hängematte mit NEN]: Sehr gut, Kollege! – Zuruf des Abg. Herrn Altmaier vor, oder was soll das hier? Dr. Matthias Miersch [SPD]) Und jetzt – wie absurd! – feiert sich Matthias Miersch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für eine Großtat: Was die Sozialdemokratie, was die SPD Ich kann Ihnen nur eins sagen: Diese Hängematte kann geschafft habe, das müsse man anerkennen. Sie feiern schnell reißen. sich dafür, dass Sie ein paar von den Schikanen, die Peter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25341

Oliver Krischer (A) Altmaier in den Gesetzentwurf eingebaut hat, rausge- Klimaschutzziel 2020 erreichen. Und wir haben es (C) nommen haben. Aber nur ein paar Schikanen rauszuneh- geschafft, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenver- men, das macht aus einem miesen Gesetz kein gutes brauch zu entkoppeln, eben auch durch den Ausbau der Gesetz; davon sind wir weit entfernt. erneuerbaren Energien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Ihnen und Und an manchen Stellen – das muss man klar sagen – uns? Sie von den Grünen machen sich Gedanken über die haben Sie es sogar noch verschlechtert. Warum streichen Ziele. Wir schauen, wie man die Dinge umsetzt, wie sie Sie aus diesem Gesetz heraus, dass der Ausbau der letztlich zum Fliegen kommen. Sie meckern, wir machen. erneuerbaren Energien im öffentlichen Interesse ist? Das macht letztlich den Unterschied aus, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Erneuerbare sollen unsere zukünftige Energieversorgung Übrigens: Sie von der AfD stellen jetzt zum x-ten Mal sein, zu 100 Prozent. Wenn das nicht im öffentlichen den Antrag zur Abschaffung des EEG. An Ihren Debat- Interesse ist, was soll denn bitte schön dann im öffent- tenbeiträgen merkt man eigentlich sehr schnell, dass Sie lichen Interesse sein? gar nicht wissen, was Sie hier eigentlich abschaffen wol- len. Natürlich ist das EEG komplex, keine Frage; es ist (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- auch zu komplex. Die Frage ist nur, warum das EEG dem SES 90/DIE GRÜNEN) einen oder dem anderen zu komplex ist. Übrigens: Wenn Meine Damen und Herren, zum Abschluss – das möch- Sie beim nächsten Mal zustimmen, wenn wir Änderungs- te ich in aller Klarheit sagen –: Erneuerbare Energien anträge früher einreichen, dann werden wir uns das wirk- schaffen Arbeitsplätze. Peter Altmaier hat in seiner lich gut überlegen. Aber ich glaube, das ist bei Ihnen Amtszeit allein in der Windindustrie 40 000 Arbeitsplätze vergebene Liebesmüh. vernichtet. Das sind doppelt so viele Arbeitsplätze, wie es in der Kohleindustrie überhaupt gibt; das muss man klar Lassen Sie mich noch eines ganz klar sagen: Unser Ziel sagen. ist es natürlich, dass wir das EEG irgendwann gar nicht mehr brauchen, dass erneuerbare Anlagen auch ohne Ein- Zu dem, was Herr Pfeiffer hier gesagt hat, kann man speisevergütung am Markt wettbewerbsfähig sind. Gera- nur sagen: Automobilindustrie, Maschinenbau, Chemie – de um Marktfähigkeit, um Wirtschaftlichkeit, um Ambi- alle fordern den Ausbau der erneuerbaren Energien, weil tionen und um Motivation geht es auch in dieser Novelle. das die Zukunft ist. Sie bremsen diesen Ausbau. Wir entbürokratisieren bei der Photovoltaik. Zukünftig (B) (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Schwach- wird es bei der Errichtung von Photovoltaikanlagen einen (D) sinn!) sogenannten One-Stop-Shop geben. Nur eine Anlaufstel- le bei der Beantragung – das ist eine Riesenerleichterung Sie sind längst zum Standortrisiko für die Industrie in für die Bürgerinnen und Bürger; das wird der Photovol- Deutschland geworden, wenn es um den Ausbau der taik noch mal einen Schub geben. Wir erhöhen die Mög- erneuerbaren Energien geht. Das dokumentieren Sie mit lichkeiten beim Eigenverbrauch, nämlich für Anlagen bis dieser Novelle. zu 30 Kilowatt Peak. Auch hier schaffen wir Anreize. Für Wir werden diese Novelle ablehnen, meine Damen und uns gilt ganz klar: Eigenverbrauch vor Einspeisung. Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir schaffen zudem bei der Photovoltaik ein Segment NEN]: Sehr gut, Oliver!) für die Agro-PV, die insbesondere für Sonderkulturen geeignet ist, mit insgesamt 50 Megawatt im Jahr. Ebenso schaffen wir Ausschreibungsmöglichkeiten, unter ande- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rem ein Ausschreibungssegment für Dachanlagen. Für Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU, ist der nächste Redner. uns gilt nach wie vor: Dach vor Feld. So werden wir (Beifall bei der CDU/CSU) die Anreize auch weiterhin setzen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Wir bringen außerdem den Mieterstrom voran: PV in Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und die Stadt. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein gutes hat gestern von einem Paradigmenwechsel im positiven Gesetz, das wir heute verabschieden. Die verzweifelten Sinne gesprochen. Wir ermöglichen, dass Ü-20-Anlagen Versuche der Opposition, das Gesetz jetzt schlecht- am Netz bleiben können und so das System insgesamt zureden, verdeutlichen das eigentlich nur umso mehr. natürlich günstiger machen. Das alles wird bei der PV einen enormen Ausbauschub für ganz Deutschland brin- Wir stehen im Strombereich aktuell bei einem Anteil gen. der erneuerbaren Energien von annähernd 50 Prozent. Das ist immens, das ist eine große Leistung. Das ist vor Wir halten die Biomasse im Spiel der Erneuerbaren. allem die Leistung derer, die die Energiewende betreiben. Sie ist grundlastfähig und flexibel. Die Anlagen, die jetzt Es ist aber auch die Leistung dieser Koalition, um das am Markt sind, werden bei den Ausschreibungen auch einmal ganz klar zu sagen, meine sehr geehrten Damen zukünftig eine Chance erhalten, am Markt zu bleiben. und Herren. Wir werden allen Unkenrufen zum Trotz das Wir wollen die Biomasse im Gegensatz zu vielen anderen 25342 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Andreas Lenz (A) hier im Parlament, aber auch in der Gesellschaft eben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) nicht abschaffen, sondern wir wollen ihre Stärken ent- der CDU/CSU) sprechend nutzen. 0,2 Cent pro Kilowattstunde mag vielleicht nicht viel (Beifall bei der CDU/CSU) sein, ist aber für eine Gemeinde richtig viel Geld, und vor allen Dingen – diese Botschaft geht an alle Bürger- Wir stärken die Wasserkraft – eine erneuerbare Energie meisterinnen und Bürgermeister –: Sie ist auch kreisum- mit Tradition –, und wir stärken auch die Geothermie, die lagefrei. Das sind wirklich Verdienste in der Gemeinde, noch viel Zukunftspotenzial hat, das wir gerne heben die man umsetzen kann. wollen. Wir wollen, dass die Nutzung von Wasserstoff eine Erfolgsgeschichte wird, und dazu befreien wir Was- (Beifall bei der SPD) serstoff, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, von Bei Windparks, die an Gemeindegrenzen stehen, der EEG-Umlage. Wir schaffen die Voraussetzungen haben wir dafür gesorgt, dass beide Gemeinden profitie- dafür, dass die deutsche Wasserstoffstrategie ein Erfolg ren und dass man sich nicht im wahrsten Sinne des Wor- wird. tes gegeneinander abgrenzt. Dieser Profit wird vielmehr miteinander geteilt. Wir haben außerdem dafür gesorgt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass es eine rechtliche Sicherheit gibt für Bürgermeister Im Entschließungsantrag widmen wir uns noch einmal und ehrenamtlich tätige Kommunalpolitiker. Ich hätte den vielen Facetten, beispielsweise auch der Energieeffi- mir gewünscht, dass eine solche Regelung auch für vor- zienz. Wir wollen, dass gerade auch Energiedienstleister handene Windenergieanlagen, also für die Gemeinden, in zukünftig mehr Möglichkeiten haben, am Markt zu agie- denen die Energiewende schon gelebt worden ist, gefun- ren. Wir wollen, dass der, der einspart, letztlich nicht den worden wäre. Das haben wir jetzt nicht geschafft. bestraft wird, sondern dass er belohnt wird. Aber man kann jetzt freiwillig auch an Gemeinden straf- frei zahlen, und das ist ein großer Erfolg. Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass wir die Ausbauziele bei den Erneuerbaren im Bereich des Stro- (Beifall bei der SPD) mes immer übererfüllt haben. Trotzdem werden wir noch Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Windener- einmal über die Ziele sprechen, auch im Lichte der Ver- gieanlagen, die aus der EEG-Förderung rausfallen, haben einbarungen, die die EU treffen wird. Wir werden dabei wir jetzt drei Möglichkeiten. Erstens haben wir eine übrigens auch den Ausbau außerhalb des EEG berück- Übergangsförderung geregelt. Zweitens besteht die Mög- sichtigen, der bis dato bereits stattfindet. Wir werden uns lichkeit, an der Direktvermarktung teilzunehmen. Drit- auch die Reform der EEG-Umlage insgesamt anschauen. tens besteht die Möglichkeit, an einer Ausschreibung teil- (B) Sie reden – wir handeln; das ist der Unterschied. Man zunehmen. Damit verhindern wir den Rückbau, der sonst (D) könnte auch sagen: Wir liefern – Sie labern. angestanden hätte, und damit machen wir die Energie- wende ein Stück weit sicherer. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Oliver NEN]: Das war ja so flach!) Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die intensiv dazu In der Photovoltaik haben wir neue Modelle einge- beigetragen haben, dass das Gesetz zu einem Erfolg wur- führt, die man jetzt erproben kann: Floating-PV und de. Jetzt gilt es, das Gesetz auch entsprechend umzuset- Agri-PV, und wir stärken den Ausbau von PV-Dachan- zen. lagen. Wir verbessern auch die Möglichkeiten des Mie- In diesem Sinne herzlichen Dank. terstroms. Das, was hier zigmal gefordert worden ist – der Quartiersansatz –, ist jetzt drin, und das darf man auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mal feiern, liebe Kolleginnen und Kollegen. ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Der PV-Eigenverbrauch für Einfamilienhäuser ist künftig EEG-umlagebefreit; auch diese Forderung habe Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der ich hier tausend Mal gehört. Jetzt ist die Forderung Kollege Johannes Saathoff, SPD. erfüllt – und keiner freut sich darüber, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Timon Gremmels [SPD]: Doch, wir!) der CDU/CSU) jedenfalls keiner aus der Opposition.

Johann Saathoff (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der CDU/CSU) Kollegen! Ja, wir haben viel Arbeit geleistet in den letz- Darüber hinaus muss man bei alten PV-Anlagen nicht ten Wochen und Monaten. Wir haben uns intensiv aus- mehr befürchten, dass für sie teure technische Einrichtun- einandergesetzt, und wir haben auch gestritten; das ist gar gen gebaut werden müssen, die sie unwirtschaftlich kein Geheimnis. Aber wir haben auch gute Ergebnisse machen. Die Menschen, die frühe Pioniere der PV waren, erzielt, und die kann man heute mit Stolz verkünden. die ganz früh schon Anlagen gebaut haben, können die- Wir haben zum Beispiel in der Frage der Akzeptanz dafür sen Strom jetzt für ihren Eigenverbrauch nutzen und die gesorgt, dass es künftig eine Gemeindebeteiligung geben Stromerzeugung auch wirtschaftlich betreiben, ohne wird, wenn Windenergieanlagen aufgebaut werden. zusätzliche technische Anlagen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25343

Johann Saathoff (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Ordnungsrecht geahndet werden können. Ich bitte (C) der CDU/CSU) die Schriftführerinnen und Schriftführer, darauf zu ach- ten. Wir haben noch viel mehr Regelungen: Geothermie, Biomasse, Güllekleinanlagen, Altholzanlagen, Wasser- Diese haben auch schon ihre vorgesehenen Plätze ein- kraft. Ich hätte mir auch gewünscht, dass wir noch eine genommen, sodass ich die namentliche Schlussabstim- Küstenmeerregelung geschafft hätten. Das haben wir mung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf jetzt nicht erreicht. Außerdem haben wir Rechtssicherheit den Drucksachen 19/23482 und 19/24234 eröffne. Ich geschaffen für Industrieunternehmen, die Kraftwerks- bitte aber alle Kolleginnen und Kollegen hier im Saal, scheiben gepachtet haben; das ist wichtig für die Arbeit- an den einfachen Abstimmungen noch teilzunehmen. nehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Bereich. Die Abstimmungsurnen werden um 10.19 Uhr geschlos- sen werden. Das bevorstehende Ende der namentlichen Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch viel zu Abstimmung wird rechtzeitig bekannt gegeben.2) tun, und in den nächsten Wochen werden wir weiterhin intensiv an dem Thema arbeiten. Wir sind als Sozialde- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf mokraten jedenfalls dazu bereit, das Umfeld dafür besser den Drucksachen 19/25302 und 19/25326 empfiehlt der zu machen. Oder wie man in Ostfriesland sagt: De fegen Ausschuss für Wirtschaft und Energie, eine Entschlie- will, de find ok’n Bessen. ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – AfD, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke. Wer enthält sich? – (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Die FDP. Mit diesen Mehrheiten ist die Beschlussemp- Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) fehlung angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ßungsanträge, zunächst über den Entschließungsantrag Damit schließe ich die Aussprache. der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/25375. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- FDP. Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung Dann ist der Antrag der FDP gegen die Stimmen der des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer ener- FDP mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. gierechtlicher Vorschriften. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Es liegt mir eine Erklärung zur Abstimmung nach Grünen auf der Drucksache 19/25376. Wer stimmt 1) (B) § 31 unserer Geschäftsordnung vor. dafür? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – (D) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt Wer enthält sich? – Dieser Entschließungsantrag ist unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Drucksachen 19/25302 und 19/25326, den Gesetzentwurf haltung der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses der Bundesregierung auf den Drucksachen 19/23482 und abgelehnt. 19/24234 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- AfD zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind Abschaffung des EEG für Anlagen, die ab dem 1. Januar die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das 2021 in Betrieb genommen werden. Der Ausschuss für sind die Oppositionsfraktionen. Enthält sich jemand? – Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe c sei- Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zwei- ner Beschlussempfehlung auf den genannten Drucksa- ter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die chen, den Gesetzentwurf der Fraktion der AfD auf Druck- Stimmen der Opposition angenommen. sache 19/23714 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Dritte Beratung Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die AfD. Wer stimmt dagegen? – Der Rest des und Schlussabstimmung. Die Fraktion der AfD hat na- Hauses. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mentliche Abstimmung verlangt. Unmittelbar nach abgelehnt, und eine dritte Beratung entfällt nach unserer Eröffnung der namentlichen Abstimmung werden wir Geschäftsordnung. noch weitere Abstimmungen durchführen. Bleiben Sie also bitte im Saal. Tagesordnungspunkt 8 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Für die Stimmabgabe in der Westlobby haben Sie nach Fraktion der FDP mit dem Titel „Langfristige Stromlie- Eröffnung der Abstimmung 30 Minuten Zeit. Bitte gehen ferverträge für den ungeförderten Zubau und Betrieb von Sie nicht alle gleichzeitig, vor allen Dingen erst nach den erneuerbaren Energien nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt weiteren Abstimmungen, und halten Sie den Sicherheits- unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den abstand ein. Es stehen acht Urnen zur Verfügung. Ich Drucksachen 19/25301 und 19/25346, den Antrag der weise darauf hin, dass auch in der Westlobby die Pflicht Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/20532 abzuleh- zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung besteht und nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Aus- dass Verstöße gegen diese Pflicht mit dem parlamentari- schusses? – Die Koalition, Bündnis 90/Die Grünen, Die

1) Anlage 3 2) Ergebnis Seite 25352 C 25344 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Linke. Wer stimmt dagegen? – Die FDP. Wer enthält Christenverfolgung in Pakistan stoppen – (C) sich? – Die AfD. Mit den genannten Mehrheiten ist die Druck auf die Regierung in Islamabad Beschlussempfehlung angenommen. erhöhen Tagesordnungspunkt 8 c. Beschlussempfehlung des Drucksache 19/25309 Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Überweisungsvorschlag: Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ökostromausbau Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) zukunftsfähig gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- Auswärtiger Ausschuss ner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/25300 Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten und 19/25343, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der beschlossen. – Die würde ich auch eröffnen, sobald Sie Drucksache 19/23933 abzulehnen. Wer stimmt für diese die Voraussetzung für eine geordnete Aussprache im Ple- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer narsaal geschaffen haben. Das heißt, wer nicht teilneh- enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung gegen men will, möge den Saal verlassen, und die Übrigen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/ mögen bitte Platz nehmen. Denken Sie daran, dass Sie Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses ange- heute Abend froh sein werden, wenn Sie es zügig nommen. machen. Zusatzpunkt 5. Beschlussempfehlung des Ausschusses (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mor- für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion der gen auch noch!) AfD mit dem Titel „Keine Nachfolgeförderung für alte Anlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz“. Der Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Kollegen Dr. Anton Friesen, AfD. empfehlung auf den Drucksachen 19/25301 und (Beifall bei der AfD) 19/25346, den Antrag der Fraktion der AfD auf der Drucksache 19/22427 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält Dr. Anton Friesen (AfD): sich jemand? – Nein. Dann ist die Beschlussempfehlung Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! „Wenn sie mich ver- Hauses angenommen. folgt haben, so werden sie auch euch verfolgen.“ Was Jesus prophetisch ankündigt, ist längst für über 260 Mil- Zusatzpunkt 6. Interfraktionell wird Überweisung der lionen verfolgte Christen in 50 Staaten weltweit bittere Vorlage auf der Drucksache 19/25295 an die in der Tages- Wirklichkeit geworden. Doch nicht nur in Nigeria oder ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Pakistan sind Christen Übergriffen ausgesetzt. Auch bei (B) weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- uns mitten in Deutschland macht sich eine erschreckende (D) fahren wir wie vorgeschlagen. Christenfeindlichkeit breit. Noch sind wir weit von pakis- Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 23 c, 23 b und tanischen Zuständen entfernt, 23 a auf: (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten SES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Anton Friesen, Jürgen Braun, Waldemar aber wir sagen als AfD: Wehret den Anfängen! Herdt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der AfD (Beifall bei der AfD) Einen Bundesbeauftragten zur Be- Alleine von 2010 bis April 2019 hat es 1 731 Fälle von kämpfung von Christenfeindlichkeit in Angriffen auf Kirchen, auf christliche Friedhöfe und Ein- Deutschland berufen richtungen und Beschädigungen an ihnen gegeben. In fast 90 Prozent aller Fälle konnte der Täter nicht ermittelt Drucksache 19/25311 werden. Es ist schwer zu sagen, was erschreckender ist: Überweisungsvorschlag: diese Akte der barbarischen Gewalt oder die grassierende Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Intoleranz gegen Christen, die den Boden für sie bereitet. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nur um ein paar aktuelle Fälle zu nennen: Der Bischof Jürgen Braun, Peter Boehringer, Dr. Gottfried der Armenier hier in Deutschland hat davor gewarnt, dass Curio, weiterer Abgeordneter und der Frak- die armenischen Christen zur Zielscheibe der Grauen tion der AfD Wölfe werden, dieser türkisch-nationalistischen, islamis- Christenverfolgung in Nigeria ächten – tischen Organisation. Es ist eine Schande für Deutsch- Menschenrechte für alle Nigerianer stär- land, dass so etwas mitten in Deutschland möglich ist. ken (Beifall bei der AfD) Drucksache 19/25310 In Berlin wurde von der Staatsanwaltschaft ein Ermitt- Überweisungsvorschlag: lungsverfahren wegen vorgeblicher Homophobie gegen Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss eine gläubige Christin, Frau Park, eingeleitet. Grund: Sie hatte in den Schaufenstern ihres Lokals die Bibel zitiert. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zwar wurde mittlerweile dieses Ermittlungsverfahren Jürgen Braun, Waldemar Herdt, Dr. Anton eingestellt. Friesen, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der AfD (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eben!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25345

Dr. Anton Friesen (A) Wenn man allerdings als Christ alleine dadurch, dass man Christen sind als Angehörige der zahlenmäßig größ- (C) die Heilige Schrift zitiert, in das Visier der Strafverfol- ten Glaubensgemeinschaft weltweit von der Verlet- gungsbehörden gerät, dann ist einiges faul im Staate zung der Religionsfreiheit besonders betroffen. Deutschland. Das ist ein Zitat von Seiten 5 und 7 des letzten Religions- (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- freiheitsberichts. Der Absatz geht weiter: „Aber auch NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Grundgesetz gilt Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen überall in Deutschland!) leiden unter Diskriminierung und Verfolgung“: Muslime, Das gilt auch und gerade für die christlichen Konver- Bahai, Ahmadiyya, Jesiden, Juden, Atheisten. Hier ist der titen hier bei uns in Deutschland. Viele Asylbewerber, die erste Unterschied zu den vorliegenden Anträgen der AfD: zum Christentum übertreten, die sich islamkritisch Wir nehmen alle Menschenrechte in den Blick, und wir äußern, werden durch rohe Gewalt bedroht, auch in mei- schauen uns alle Religionen und Weltanschauungen an. nem Südthüringer Wahlkreis, wo sich die Erstaufnahme- einrichtung Suhl befindet. Allzu oft gibt es in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- land für die Täter Schutz und für die Opfer Verfolgung. neten der FDP und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir brauchen einen Bundesbeauftragten gegen Chris- tenfeindlichkeit in Deutschland, der in einem jährlichen Im Februar war ich in Nigeria. Schwerpunkt meiner Bericht die Situation beobachtet, analysiert, aber auch Reise war der Hirten-Bauern-Konflikt im sogenannten Maßnahmen gegen die Christenfeindlichkeit vorschlägt, Mittelgürtel nördlich von Abuja, der vor allem Christen betrifft und unter dem Christen besonders leiden. Wenige (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Der Wochen zuvor war Bundesminister Gerd Müller ganz im Markus Grübel, der macht das gut!) Norden, in der Region, wo Boko Haram wütet. Unter in Zusammenarbeit mit einem unabhängigen Experten- Boko Haram leiden alle Menschen, aber natürlich die gremium sowie Menschenrechtsorganisationen. christliche Minderheit ganz besonders. Diese Woche gab es wieder einen Übergriff auf eine Schule. Die Schü- Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft lerinnen und Schüler, die Eltern haben ein unsägliches und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleum- Schicksal. Es ist ein Skandal. Aber Sie sehen: Die Bun- det werdet. desregierung, der Bundestag, die Koalition befassen sich Mit diesen Worten Jesu aus der Bergpredigt wünsche ich mit der Verfolgung und Benachteiligung von Christen, allen eine gesegnete und besinnliche Weihnachtszeit. aber eben auch von allen anderen religiösen Minderhei- ten. Das ist ein glaubwürdiger Einsatz für Religionsfrei- (B) Vielen Dank. heit. (D) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Schauen wir auf Pakistan: Pakistan hat menschen- Nächster Redner ist der Kollege Markus Grübel, CDU/ rechtswidrige Blasphemiegesetze. Darunter leiden ganz CSU. besonders Christen, Hindus und Ahmadiyya. Auch das steht ausführlich in dem letzten Religionsfreiheitsbericht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein Blick ins Inland: Auch in Deutschland geht es um ein friedliches Miteinander von Christen, Muslimen und Markus Grübel (CDU/CSU): Juden. Deswegen besorgt mich auch die zunehmende Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Reli- Zahl von religiös motivierten Straftaten. Das Bundeskri- gionsfreiheit ist ein fundamentales Menschenrecht. Die- minalamt spricht von rund 2 000 antisemitischen Straf- ses fundamentale Menschenrecht wird zunehmend einge- taten im letzten Jahr, eine Steigerung um 13 Prozent, schränkt oder völlig infrage gestellt. Die Entwicklung in 950 islamfeindlichen Straftaten, eine Steigerung um der Welt ist leider negativ. 4 Prozent, und erst an dritter Stelle kommen christen- Das haben wir, die CDU/CSU, die Koalition, die Bun- feindliche Straftaten. Jede ist eine zu viel. Aber Ihr An- desregierung, früh erkannt. Darum haben wir das Amt trag erwähnt die anderen Straftaten, das größere Problem, des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite nicht und wendet sich nur einer Zahl zu, und das ist Religionsfreiheit geschaffen. Darum gibt es einen Reli- unglaubwürdig. gionsfreiheitsbericht; der letzte wurde am 28. Oktober vom Kabinett beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE ( [CDU/CSU]: Richtige GRÜNEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch Entscheidung!) [AfD]) Und darum haben wir das Thema in dieser Wahlperiode häufig debattiert, zuletzt im November hier im Plenum, Vor dem Christfest will ich das Gleichnis vom barm- im Menschenrechtsausschuss, aber auch im Ausschuss herzigen Samariter in Erinnerung rufen. Darin werden für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. gerade die frommen Menschen kritisiert, die anderen nur dann beistehen, wenn sie zur gleichen Religion gehö- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: ren. Christliche Nächstenliebe macht keinen Unterschied. Genau!) Christliche Nächstenliebe gilt allen Menschen. 25346 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Markus Grübel (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- heißt dort: „Es ist demnach davon auszugehen, dass die (C) neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des meisten christenfeindlichen Straftaten mutmaßlich durch BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) radikale Muslime verübt werden.“ Sie sehen die Verfol- Mir ist auch von den christlichen Kirchen in Deutsch- gung von Christen einseitig als ein Problem von islami- land keine Forderung nach einem Christenfeindlichkeits- schen Staaten an. Es ist aber gerade nicht so, dass der beauftragten bekannt. Die Kirchen in Deutschland haben Islamismus allein daran schuld ist. eine starke Stellung und sind gut organisiert. Wir stehen (Beatrix von Storch [AfD]: Doch!) in engem Kontakt. Sie besuchen die ja auch regelmäßig. Weltweit – Herr Kollege Grübel hat es gesagt – gerät Wir haben starke Streiter für die verfolgten Christen das Menschenrecht auf Religionsfreiheit immer mehr hier im Bundestag und in der deutschen Politik. Ich nenne unter Druck. Das gilt für alle religiösen Minderheiten, einige von der Union: – er singt „Das hohe auch in Europa. Ein gutes Beispiel ist Herr Orban in C“ in seinem jüngsten Buch –, Heribert Hirte, der Vor- Ungarn, der sich als Retter der Christenheit aufspielt. sitzende des Stephanuskreises für verfolgte Christen, Hermann Gröhe, unser kirchenpolitischer Sprecher, Die Verfolger von Christen haben viele Gesichter. Bei- oder Michael Brand und die weiteren Mitglieder der spiel China: Dort sollen die Religionen der sozialisti- AG Menschenrechte. schen Gesellschaft angepasst werden. Besonders den tibetischen Buddhismus, den Islam und das Christentum Ich kann also zusammenfassen: Christenverfolgung ist sieht die kommunistische Führung als Bedrohung für die eine große Herausforderung. Bundesregierung und Koa- eigene Machtbasis an. Nordkorea wirft Christen in lition kämpfen für die verfolgten Christen und die Stär- Gefängnisse und foltert die Menschen. Opfer des „Islami- kung von Religions- und Weltanschauungsfreiheit in schen Staates“ sind aber vor allem auch Muslime, die der Deutschland und weltweit. Ideologie des IS nicht folgen. Das zeigt: Die Opfer kom- Vielen Dank. men aus allen Religionen. Sie sind Christen, Juden, Hin- dus, Muslime, Buddhisten, Atheisten. Die Gründe sind (Beifall bei der CDU/CSU) vielfältig. Mit Ihren Anträgen werden Sie dem überhaupt nicht gerecht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Grübel, Sie haben auf Nigeria hingewie- Jetzt erhält das Wort der Kollege Peter Heidt, FDP. sen, auf den Konflikt vor allen Dingen zwischen Hirten (Beifall bei der FDP) und Bauern. Sie haben auch zu Recht auf das Amt des Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit hingewie- sen. Wir begrüßen das, das ist gut und richtig so, wir (B) Peter Heidt (FDP): (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und unterstützen Ihre Arbeit, Kollege Grübel. Wir müssen Kollegen! Ich bin evangelischer Christ. Evangelische uns als Menschenrechtler gerade dafür einsetzen, dass Christen werden in Deutschland verfolgt, sind Straftaten die Religionsfreiheit überall geschützt wird und nicht ausgesetzt; also brauchen wir einen Beauftragten zum nur in Deutschland. Schutz von evangelischen Christen. Ein Freund von mir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist Anhänger der christlich-orthodoxen Kirche. Orthodo- der CDU/CSU) xe Christen sind Opfer von Straftaten in Deutschland; also brauchen wir einen Beauftragten zum Schutz von Die Einrichtung eines Beauftragten zur Bekämpfung orthodoxen Christen in Deutschland. Ein anderer Freund von Christenfeindlichkeit in Deutschland wird der Viel- von mir ist Moslem. Moslems werden in Deutschland fältigkeit von Religionen nicht gerecht. Sie spielen die auch verfolgt; also brauchen wir einen Beauftragten für Religionen gegeneinander aus. Wir brauchen einen inter- den Schutz von Moslems in Deutschland. religiösen Dialog, wir brauchen eine Stärkung der Zivil- gesellschaft und nicht die Spaltung der Religionen. Das Angesichts der Vielzahl von Religionsgemeinschaften Thema zu nutzen, um sich als einsame Retter der Christen in Deutschland ist uns ja klar, wie viele Beauftragte wir auf Kosten der Muslime aufzuspielen, ist schäbig, ist insgesamt brauchen. Um das auf die Spitze zu treiben: absurd, und man tut den Christen damit keinen Gefallen. Wir brauchen auch einen Beauftragten für die Menschen, die gerade keiner Religionsgemeinschaft angehörig sein Vielen Dank. wollen. An der Stelle wird deutlich, wie absurd, wie (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem falsch der Antrag der AfD ist. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ordneten der SPD und der LINKEN) der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sehr gute Argu- Helge Lindh, SPD, ist der nächste Redner. mentation!) Ich will die Verfolgung von Christen in dieser Welt (Beifall bei der SPD) überhaupt nicht kleinreden. Es ist eine schmerzliche Tat- sache, dass Christen in vielen Ländern dieser Welt ver- Helge Lindh (SPD): folgt werden. Sie werden diskriminiert, vertrieben, ver- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir folgt und auch gefoltert und ermordet. Die Schuldigen sind keine christliche Partei. Wir sind eine deutsche Par- sind in den Anträgen der AfD schnell ausgemacht. Es tei, die sich bemüht, deutsche Interessen wahrzuneh- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25347

Helge Lindh (A) men.“ Das sagte in „Christ & Welt“ Und – auch das ist heute in Ihren Anträgen wunderbar (C) 2016. Recht hatte er; die AfD ist wahrhaftig keine christ- passend vorgeführt – Sie klagen an, dass dieses Land zu liche Partei. leiden hätte unter Hunderttausenden von Geflüchteten. Und dann paktieren Sie mit Assad, stellen ihn als einen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wahrer von Menschenrechten und Religionsfreiheit dar, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- obwohl Assad einer der Hauptgründe ist, warum sich NISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand Hunderttausende von Syrerinnen und Syrern auf die [Fulda] [CDU/CSU]: Auch keine patriotische!) Flucht begeben haben. Angesichts dieser richtigen Feststellung ist die Dreis- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Und sich tigkeit, ausgerechnet heute, gezielt kurz vor Weihnach- vorher versteckt haben, vor dem Krieg! – Zuruf ten, einen Bundesbeauftragten zur Bekämpfung von des Abg. Dr. [AfD]) Christenfeindlichkeit zu beantragen, die maximal mög- liche Verhöhnung und Verspottung von Musliminnen Um es kurz zu sagen: Sie paktieren mit Fluchtursachen, und Muslimen, Jüdinnen und Juden in diesem Land. und Fluchtursachenbekämpfung ist AfD-Bekämpfung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des NEN]) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicht nur das: Sie ist auch noch eine Verspottung aller Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir wollen ja über Christinnen und Christen, die Sie für Ihre Zwecke zu christliche Botschaften reden, daher möchte ich in diesem instrumentalisieren versuchen und auf deren Rücken Sie Moment an ein paar Widersprüche erinnern. Die christ- Anschluss aus Verzweiflung über mangelnde Unterstüt- liche Botschaft spricht von Nächsten- und Feindesliebe; zung suchen. ich erwähnte das. Was Sie praktizieren, sind Hass und Missgunst. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur dies sagte Herr Gauland; 2019 wies er im ARD-Sommerinter- (Enrico Komning [AfD]: Ach Sie! Werfen uns view auch noch darauf hin, dass die AfD dagegen wäre, Hass und Hetze vor!) dass die Kirchen – und nach meinem Verständnis haben Ergo: Die AfD ist eine christenfeindliche, antichristliche Kirchen normalerweise etwas mit Christentum zu tun – Partei. sich in die Politik einmischen und politische Antworten (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Deshalb geben. Jetzt stelle ich Ihnen die Frage: Wieso mischen Sie sind die auch fast alle konfessionslos!) sich denn in religiöse Fragen ein und behaupten, christ- (B) liche Antworten geben zu können? Ich sehe da eine Das Christentum – Stichwort „Bergpredigt“ – verbreitet (D) gewisse Inkonsistenz. Toleranz. Sie stehen für Intoleranz. Die AfD ist eine anti- christliche Partei. Aber wir sind kurz vor Weihnachten, wir sind geprägt auch von christlichen wie humanistischen Werten, und (Beatrix von Storch [AfD]: So viel dummes einer ist die Feindes- und Nächstenliebe. Im Sinne dieser Zeug in einer Rede haben noch nicht mal Sie Feindesliebe möchte ich auch der AfD meine Wertschät- bisher gebracht! – Gegenruf des Abg. Michael zung ausdrücken, Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Christliche Sanft- mütigkeit ist nicht Ihr Thema!) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) – Lesen Sie lieber mal die Bergpredigt; ich würde es meine Wertschätzung für Ihre Transparenz und Durch- Ihnen empfehlen. schaubarkeit; denn die Motive Ihrer Anträge sind maxi- mal durchschaubar. Das Christentum sagt unter anderem: Warum siehst du den Splitter nur im Auge deines Bruders, aber nicht den Sie interessieren sich genau dann für Terror, wenn sich Balken in deinem eigenen? – In Ihren Augen sind 500 damit Stimmung machen lässt gegen Islam und Musli- Balken, und ich würde Ihnen dringend raten, erst mal die minnen und Muslime. Sie interessieren sich genau dann – Balken zu sehen und nicht immer die Splitter bei den und nur dann – für die Rechte von Frauen, wenn sich anderen zu suchen. Und auch das ist eine christliche Bot- damit Stimmung machen lässt gegen Musliminnen und schaft. Sie haben sich aber leider nie mit dem Christen- Muslime. Sie interessieren sich genau dann für Antisemi- tum ernsthaft auseinandergesetzt; das ist Ihr Problem. tismus, wenn dies zur Stimmungsmache gegen Geflüch- tete und Musliminnen und Muslime geeignet ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Und nicht nur das; Sie steigern das Ganze auch noch. CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Wenn es antisemitische Vorfälle und Muster in Ihren eigenen Reihen gibt, schweigen Sie; aber Sie stellen Christentum bedeutet – heutzutage erst recht – Aner- Anträge zur Bekämpfung des Antisemitismus. Wenn in kennung von Religionsfreiheit. Was Sie tun, ist Missach- Ihren eigenen Reihen gegen Bischöfe, gegen Repräsen- tung von Religionsfreiheit. Christentum steht für Milde tanten der Kirche gewettert wird: kein Wort. Aber Sie und Gelassenheit. stellen Anträge zur Bekämpfung von Christenfeindlich- (Jürgen Braun [AfD]: Gerade Sie stehen für keit. Ruhe und Gelassenheit!) (Christine Buchholz [DIE LINKE]: So ist es! – Sie stehen – Frau von Storch, Sie haben es eben wieder Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) vorgeführt – für Hysterie, Daueraufgeregtheit und Hetze. 25348 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Helge Lindh (A) (Enrico Komning [AfD]: Wer hetzt denn hier? Helge Lindh (SPD): (C) Sie hetzen die ganze Zeit! – Michael Brand Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie Puls haben, [Fulda] [CDU/CSU]: Das stimmt! Frau von zeigt, dass ich was richtig gemacht habe; insofern werte Storch steht nicht für christliche Sanftmütig- ich das als Kompliment. Die Frage – habe ich das richtig keit!) verstanden? –, ob ich Jesus Christus liebe, ist eine sehr merkwürdige politische Frage. Die werde ich selbstver- Die AfD ist eine christenfeindliche und antichristliche ständlich hier nicht beantworten, Partei. (Beifall bei der SPD) (Lachen bei der AfD – Beatrix von Storch [AfD]: Jawoll!) Das Christentum steht für Empathie, steht dafür, mit den Schwachen und Verfolgten zu stehen, sie zu unter- weil das völlig irrelevant ist in diesem Parlament. Ich stützen. Sie leben davon, immer neu Schwache, Verfolgte kann nur eines sagen: und Arme auszuweisen und Schwache und Schwächere (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Religion ist Pri- gegeneinander auszuspielen. Die AfD ist eine antichrist- vatsache!) liche, christenfeindliche Partei. Ich bin mir immer unsicher; denn zum Glauben – aber Sie (Beatrix von Storch [AfD]: Bla, bla, bla!) haben ja wenig mit Glauben zu tun und sehr viel mit Gottlosigkeit – gehört ja immer der Zweifel. Zweifel ist Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ihnen fremd. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der (Beatrix von Storch [AfD]: Das ist lachhaft!) AfD? Was ich sagen kann: In Ihrem praktischen Handeln beweisen Sie, dass Sie offensichtlich Jesus Christus nicht Helge Lindh (SPD): Als Weihnachtsgeschenk: Selbstverständlich. lieben. Das kann ich in der Beurteilung nur so wahrneh- men. (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Oh! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des NEN]: Dann müssen wir uns noch mehr von BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denen anhören!) Zu Ihrer Logik. Das ist eigentlich immer wunderbar; denn die AfD hat die Kunst der unfreiwilligen Selbst- Dietmar Friedhoff (AfD): entlarvung auf die Spitze getrieben. (B) Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Lindh, danke, dass (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) (D) Sie meine Frage zulassen. – Ich merke gerade, wie ich Puls bekomme. Sie weisen ja darauf hin, es gebe islamistische Verfol- gung von Christen. Die gibt es, oh ja; wurde auch schon (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Endlich! Er alles hier ausgeführt. Sie weisen aber nie auf die Verfol- lebt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gung von den Uiguren und den Rohingya hin. Sie weisen NEN]: Dann gehen Sie raus und beruhigen nicht darauf hin, dass sich die Herren Gültekin, Özen, sich!) Abu El Hosna in Wien schützend vor ihre christlichen Ich liebe Jesus Christus, und ich würde behaupten, dass Brüder und Schwestern gestellt haben, was Sie, glaube ich ein liebender Christ bin. Ich bin aber kein Mitglied ich, nie tun. Sie schleusen nur rechte Blogger hier in den mehr der Kirche; das mal dazu. Aber ich bin ein Christ, Bundestag ein. Das ist Ihre Art von Mut, sprich: Feigheit. ein liebender Christ, so wie meine ganze Familie. (Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Herr Lindh, erste Frage: Lieben Sie Jesus Christus? Gott, Herr Lindh?) Die zweite Frage ist: Wollen Sie ernsthaft bestreiten, dass der ideologisch geprägte Islamismus die Christen Sie haben sich nie damit auseinandergesetzt, wie sich in als Feinde beschreibt und auch bekämpfen möchte? Wol- Indonesien, in Frankreich, in Kenia, in Jordanien nach- len Sie das allen Ernstes in diesem Raum sagen? Wollen weislich viele muslimische Organisationen schützend vor Sie allen Ernstes bezweifeln, dass in Afrika Christen ihre christlichen Schwestern und Brüder gestellt haben. getötet werden? Nigeria ist wieder ein Beispiel. Wollen All das erzählen Sie nicht. Auslassen ist auch eine Form Sie das hier ernsthaft bezweifeln? Das ist meine Frage. des Lügens. Und eines sage ich Ihnen: Wir sind ein christliches (Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Abendland. Das sind unsere Werte, unsere Kultur und Gott, Herr Lindh?) unser Glaube. Da wir heute ja so christlich sind und ich Ihnen auch (Husten des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] einen Einstieg ins Christentum gebe, komme ich nun zum [SPD]) Dekalog, den Zehn Geboten: Ich stehe dazu. Sie überhaupt nicht; das stelle ich hier (Dietmar Friedhoff [AfD]: Lieben Sie Jesus fest. Christus, Herr Lindh?) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Carsten „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist ein aufge- Nächsten.“ Was Sie permanent machen, ist falsch Zeug- klärtes Land hier!) nis reden wider deinen Nächsten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25349

Helge Lindh (A) (Beatrix von Storch [AfD]: Geben Sie mal Christine Buchholz (DIE LINKE): (C) Zeugnis ab!) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Für uns als Linke ist klar: Wir wenden uns gegen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: jede Diskriminierung und Gewalt gegenüber Anhänge- rinnen und Anhängern, Repräsentanten und Einrichtun- Herr Kollege. gen jeglicher Religion und Weltanschauung, seien sie christlich, muslimisch, jüdisch, alevitisch, jesidisch, hin- Helge Lindh (SPD): duistisch oder auch atheistisch. Sie tun das nicht! Sie haben die Lüge auf die Spitze getrieben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Anträge der AfD zum Thema Christenverfolgung Herr Kollege. untergraben den dringenden Kampf für weltweite Reli- gionsfreiheit; denn sie schüren den Hass gegen den Islam Helge Lindh (SPD): und Muslime. Man sieht das exemplarisch an Ihrem An- Sie sind per definitionem eine antichristliche, unchrist- trag zur Situation in Nigeria und an Ihrem Antrag auf liche Partei. Berufung eines Beauftragten zur Bekämpfung von Chris- tenfeindlichkeit in Deutschland. (Zurufe von der AfD) Der Terror von Boko Haram ist schockierend; aber der Umgang der AfD mit den Terroropfern ist abstoßend und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: instrumentell. Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten. Kommen Sie bitte zum Ende. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Helge Lindh (SPD): Ich komme zum Schluss. – Fassen wir es zusammen: Sie machen alle Opfer zu Christen. Aber der Terror von Ihre Kernkompetenz ist mitnichten Christentum und Kir- Boko Haram und anderen trifft in Nigeria Christen und che. Muslime gleichermaßen, wie jüngst die 300 entführten Jungen im nordwestlichen Bundesstaat Katsina. (Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an Gott, Herr Lindh?) Die AfD führt die Gewalt in Nigeria auf die – in Anführungszeichen – Islamisierung zurück. Aber die (B) Ihre Kernkompetenz ist Hass und Hetze. Lesen Sie bitte Konflikte in Nigeria sind keine Religionskonflikte. (D) in Ihrem eigenen Antrag; da warnen Sie unter anderem (Jürgen Braun [AfD]: Nein, nein!) auch vor rechtsextremistisch motiviertem Hass gegen Christen. Nehmen Sie sich ein Beispiel. Auch in Nigeria sind es Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen wie Kleinbauern und Nomaden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Landraub und Ressourcenkonflikte sind die eigentlichen Verursacher Herr Kollege, ich muss Sie bitten, jetzt Ihre Rede zu und Verstärker der Konflikte. Mit ihren Thesen entlastet beenden. die AfD übrigens die Teile der nigerianischen Eliten, die (Dietmar Friedhoff [AfD]: Glauben Sie an ihren Anteil am Aufbau von Boko Haram haben, und sie Gott?) verschweigt – das ist besonders verwerflich –, dass sich christliche und muslimische Akteure in Nigeria gemein- sam um die Aufklärung von Gewalttaten, die Dokumen- Helge Lindh (SPD): tation gewaltsamer Zwischenfälle, um Versöhnung und Schaffen Sie diesen Beauftragten an! Als Erstes hat er gemeinsame Unterstützung von internen Vertriebenen sich mit Ihnen selbst zu beschäftigen; denn Sie sind das und vieles, vieles mehr kümmern. größte Problem der Christenfeindlichkeit in diesem Land. (Beifall bei der LINKEN – Dietmar Friedhoff (Beifall bei der SPD – Dr. Anton Friesen [AfD]: Was ist im Sudan, Frau Buchholz?) [AfD]: Kein einziger Satz zum Thema! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Statt Toleranz und gegenseitigen Respekt zu würdigen, machen Sie von der AfD hier genau das, was Sie immer machen: Sie spielen Christen und Muslime in Nigeria und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auch in anderen Regionen der Welt gegeneinander aus. Christine Buchholz, Die Linke, ist die nächste Redne- rin. Auch in Ihrem Antrag für einen Beauftragten zur Bekämpfung von Christenfeindlichkeit wird Ihr selekti- (Beifall bei der LINKEN) ves Verständnis für Religionsfreiheit im Speziellen und die Menschenrechte im Allgemeinen deutlich. Seit wann Moment, Frau Kollegin Buchholz, ich bitte um Ent- interessieren Sie sich eigentlich für Geflüchtete? Nur, schuldigung. – Ich sollte darauf hinweisen, dass in einer wenn es Christen sind? Minute die Urnen für die namentliche Abstimmung ge- schlossen werden. Am Ende Ihrer Redezeit werde ich sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schließen. – Bitte sehr, Sie haben das Wort. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 25350 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Christine Buchholz (A) Sie haben hier gehetzt, wenn wir einen besseren Schutz Hass schüren – da ist die AfD in ihrem Element. Auch in (C) für besonders Schutzbedürftige gefordert haben, übrigens Ihren heutigen Anträgen: Christen als größte Religions- auch für Konvertitinnen und Konvertiten. gruppe der Welt werden verfolgt von bösen Muslimen. Ihre alte Leier, Ihre Islamophobie schreit einfach zum (Beifall bei der LINKEN) Himmel. Die AfD will sogar an Grenzen auf Flüchtlinge (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) schießen. Wie wollen Sie denn da die Christen von den Muslimen unterscheiden? Der AfD-Antrag zur Christenverfolgung in Nigeria geht an der komplexen Realität vorbei. Wie der Bericht (Jürgen Braun [AfD]: Ihre Partei hat geschos- der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- sen! Sie sind die Mauerschützenpartei! Sie freiheit hervorhebt, waren im Nordosten Nigerias sowohl haben auf Menschen geschossen! Die SED christliche als auch muslimische Gotteshäuser Ziele von hat geschossen!) Terroranschlägen. Bei den meisten Konflikten im Land Sie haben hier gehetzt, wenn wir für eine menschen- geht es vorrangig um die Verteilung von Ressourcen, würdige Unterbringung und für eine soziale Perspektive Land und politische Teilhabe, nicht um Religion. für alle Geflüchteten argumentiert haben. Mit Ihrer (Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜND- Bigotterie, Ihrem Rassismus schützen Sie keine Christen. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie unterminieren den Kampf für die Rechte von verfolg- Aber religiöse und andere Minderheiten außerhalb der ten, unterdrückten und bedrängten Christen. beiden großen religiösen Gruppen der Christen und Mus- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lime werden in ihren Rechten massiv eingeschränkt. neten der SPD) Davon steht nichts in Ihren Anträgen. Das ist pure Heu- chelei. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 8 a und sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und frage, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, der LINKEN) das seine Stimme nicht abgegeben hat. – Das ist nicht Entlarvend ist, dass die AfD in ihren Anträgen zu der Fall. Pakistan nichts, aber auch gar nichts, zum Leid der Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Ahmadiyya-Minderheit sagt. Wer die Rechte einer ein- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zigen religiösen Minderheit so überhöht, der ist kein zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen Anwalt für Religionsfreiheit. (B) (D) später bekannt gegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Damit erteile ich als nächstem Redner das Wort dem sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kollegen Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. der LINKEN und der Abg. Gyde Jensen [FDP]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt derzeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 39 Bundesbeauftragte, unter anderem für Menschenrech- te und für Religionsfreiheit. Diese Ämter befassen sich Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tagtäglich mit der Diskriminierung aller Religionen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was Unter welchem Verfolgungswahn müssen Sie eigentlich feiert die AfD eigentlich an Weihnachten? leiden, einen Bundesbeauftragten zur Bekämpfung von Christenfeindlichkeit in Deutschland zu fordern? Richtig (Beatrix von Storch [AfD]: Die Geburt Chris- wäre, das Amt der Beauftragten für Menschenrechtspoli- ti!) tik und Humanitäre Hilfe deutlich zu stärken. Die Geburt Jesu kann es ja nicht sein; denn Jesus steht für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Werte wie Nächstenliebe, Empathie, Toleranz und fried- sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der liches Miteinander. All das lehnt die AfD doch entschie- Abg. Gyde Jensen [FDP]) den ab. Schon die Person Jesu ist der AfD ein Dorn im Auge; denn er ist ein Flüchtlingskind. In einem AfD- Doch darum geht es der AfD ja gar nicht. Sie instru- Regime hätte Maria nicht im Stall gebären dürfen, son- mentalisieren Christenverfolgung, Terrorismus, Frauen- dern wäre von Ihnen flugs abgeschoben worden. feindlichkeit, seit Neuestem auch Antisemitismus, um gegen andere Religionen zu hetzen. Es sind doch Mit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN glieder Ihrer Fraktion, die die Schließung von Moscheen und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten fordern. Sie machen islamfeindliche Hetze salonfähig der CDU/CSU – Beatrix von Storch [AfD]: und damit Anfeindungen von Gläubigen und Angriffe Dummes Zeug! – Dietmar Friedhoff [AfD]: auf Gotteshäuser. Menschenrechte und Religionsfreiheit So ein Quatsch!) sind für die AfD nur ein Deckmantel für ihre Diskrimi- Ihre Anträge sind pure Heuchelei. Sie können nicht für nierung anderer. das Christentum streiten, weil der AfD christliche Werte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fremd sind. Jesus steht für Frieden, Versöhnung und gesellschaftli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ches Miteinander. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) sind mit dem Christentum unvereinbar, die AfD auch. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25351

Kai Gehring (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gab es sieben Tage vorher einen Überfall, genau während (C) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- des Gottesdienstes. Ich konnte anhand des Liederbuches KEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch noch sehen, an welcher Stelle des Gottesdienstes. Fulani [AfD]) und Boko Haram waren über diese Kirche und dieses Frohe Weihnachten – ohne Ihren Quatsch. Dorf hergezogen. Ich weiß, wir müssen die Christen unterstützen und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Christenverfolgung thematisieren. Aber in der gleichen Frank Heinrich, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Region haben die Christen mich beauftragt, hier in die- sem Haus und an die Christen in der westlichen Welt zu (Beifall bei der CDU/CSU) sagen: Bitte vergessen Sie nicht, für Boko Haram zu beten. – Das ist eine vollkommen andere Haltung als Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): das, was ich im Geiste Ihres Antrags fühle. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Debatte zum Thema Christenverfolgung – da (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie schlagen jedes Mal zwei Herzen in meiner Brust. Auf der bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- einen Seite habe ich in der Vergangenheit selbst – als SES 90/DIE GRÜNEN) Christ, als ehemaliger Pastor und in meinem jetzigen Besonders schockierend finde ich Ihre Aufforderung, Amt – viele Menschen in verschiedenen Ländern getrof- dass die ungelösten Entführungsfälle christlicher Kinder fen, habe in ihre Augen gesehen und weiß, dass sich die zum Thema aller bilateralen Gespräche gemacht werden Situation für Christinnen und Christen in der Welt tat- sollen. Als wenn es darauf ankäme, die Religionszuge- sächlich an vielen Stellen verschlechtert hat. Auf der hörigkeit der Kinder festzustellen, um sich dann gege- anderen Seite schmerzt mich – das hat man ja auch in benenfalls für sie einzusetzen, falls sie denn christlich unserer Debatte bis jetzt miterlebt – die Schlagrichtung sind. Ihrer Anträge, die Anwaltschaft, die Sie da scheinbar übernehmen. Mit der einseitigen Beleuchtung – meine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Kollegen haben das gerade schon gesagt – dieses Themas bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- tun Sie genau das, was die Religionsfreiheit auch für SES 90/DIE GRÜNEN) Christen eher verschlechtert als verbessert, nämlich eine Gruppe herauszuheben. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie sprechen Pakistan in einem der Anträge an. In Herr Kollege Heinrich, eine Kollegin der Fraktion Die (B) Pakistan stellen fundamentalistische Organisationen für Linke würde gerne eine Zwischenfrage stellen. (D) einige gesellschaftliche Gruppen tatsächlich eine Bedro- hung dar. Die Bedrohung geht aus von sunnitischen Fun- damentalisten gegen Christen, aber eben auch gegen Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Schiiten, gegen Ahmadiyya, die tatsächlich vom Staat Bitte sehr. als nichtmuslimisch klassifiziert werden, gegen Sikh und auch gegen gemäßigte Sunniten. Ihr Antrag, der dif- Kathrin Vogler (DIE LINKE): ferenzierter ist als letztes Mal, Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kol- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lege, dass Sie die Zwischenfrage oder -bemerkung zulas- Nein!) sen. schreibt aber dann am Schluss doch als Fazit: Kümmert Ich möchte an dieser Stelle, weil wir ja auch im Advent euch um die Christen. sind, folgendes Beispiel aus meinem Wahlkreis berich- (Jürgen Braun [AfD]: Lesen Sie mal Galater 6, ten. Ich war vor einem Jahr zu einer Adventsfeier einge- Vers 10! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring laden, die mehr als ungewöhnlich war. Und zwar lud ein [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Halten Sie muslimischer Kultur- und Bildungsverein, der auch sich an die Zehn Gebote! Gegen wie viele Sprachkurse, Integrationskurse für Geflüchtete anbietet, von Ihnen wird eigentlich ermittelt? Sie sind zu einer Adventsfeier ein. doch mit einem Bein im Knast!) (Zuruf von der AfD: Ankunft des Herrn!) Im gleichen Tonfall sprechen Sie von Nigeria. Sie füh- ren eine Menge struktureller und komplexer Probleme in Hauptrednerin war eine nigerianische Christin, die in Nigeria an und schlussfolgern dann aus mir unbekannten einer eindrucksvollen, ja bedrückenden Präsentation Gründen, die wirkliche Ursache der mannigfaltigen Pro- ihre Erfahrungen hinsichtlich der Verfolgung von Chris- bleme sei die verheerende Christenverfolgung. Meine ten sowie Bilder von niedergebrannten Kirchen aus ihrer Kollegin hat es gerade gesagt: Es ist weit differenzierter, Heimat präsentierte. und es geht tatsächlich auf ganz andere Auseinanderset- Sind das nicht Beispiele, wie man miteinander durch zungen zurück. Selbst christliche Persönlichkeiten instru- einen Dialog der Religionsgemeinschaften, durch ein mentalisieren in diesem Land ihre Religion. Aufeinanderzugehen und durch die Suche nach gemein- Ich war 2014 in dem Land, in der Region, wo Boko samen Werten einen Ansatz für unser Land finden kann? Haram wütet, und habe eine Kirche besucht; ich habe das Müsste die Bundesregierung das nicht viel stärker unter- in meiner letzten Rede schon erwähnt. In dieser Kirche stützen und fördern? 25352 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Liebt eure Feinde und betet für die, die euch ver- (C) Ganz herzlichen Dank für Ihre Intervention und die folgen ... bestätigende Frage. – In einem Dorf in dieser Region in Nigeria, von der ich eben sprach, gab es das Ereignis, Und dann sind da die Christen aus Nigeria, die ich im Ohr dass sowohl die Kirche als auch die muslimische habe, die sagen: Betet auch für Boko Haram! Dann ist es Moschee zerstört wurden. Auch die muslimische Open Doors, die Sie in Ihren Anträgen mehrfach zitiert Moschee war von Muslimen zerstört worden. Da in die- haben, die gestern aus Kamerun geschrieben haben: „Bit- sem Fall die besseren Kontakte zu Christen bestanden, te betet für unsere Feinde!“ An einer weiteren Stelle heißt haben die Christen geholfen, neben dem Gebäude der es in der Bibel: Kirche auch die Moschee wiederaufzubauen mit der Fol- Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr ge, dass tatsächlich am Freitag danach der Pastor, der Besonderes, was tut ihr damit Besonderes? Tun Prediger der Kirche, in der Moschee reden durfte. Das das nicht auch die Heiden? entspricht für mich dem, was Sie gerade geschildert haben, nämlich die Chance zu sehen und die verbinden- Ganz anders ist der Geist Ihres Antrages. In dem Sinne den Elemente zu fördern. Solche Schritte brauchen wir. bitte ich Sie als Antragsteller, auch im weihnachtlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Sinne Ihren Antrag auf die mehrfach betonten christli- bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und chen Werte abzuchecken. Herr Lindh hat das vorhin des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sehr deutlich gemacht. Solche Schritte werden durch die einseitige Bevorzugung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) von Christen und Christinnen in solchen Anträgen, wie Sie sie hier vorgelegt haben, erschwert. Ich werde mich jedenfalls weiterhin für Verfolgte jeden Wenn ein Kind entführt wird, ist das eine Gräueltat, Glaubens einsetzen und für sie beten. egal ob es christlich, muslimisch oder atheistisch aufge- Danke schön. wachsen ist. Spätestens an dieser Stelle, der Unterschei- dung zwischen schützenswerten und nicht schützen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie werten bzw. weniger schützenswerten Kindern, wird Ihr bei Abgeordneten der SPD) angeblicher Einsatz für Menschenrechte ad absurdum geführt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Jetzt gebe ich das von den Schriftführerinnen und LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen (B) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregie- (D) Als Christ – Sie haben hineingerufen, ich soll mal in rung zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der Bibel lesen – gehe ich bei diesem Thema sogar noch und weiterer energierechtlicher Vorschriften – Druck- einen ganz kleinen Schritt weiter. Ich erlaube mir, den- sachen 19/23482, 19/24234, 19/25302, 19/25326 – jenigen zu zitieren, der gerade schon zweimal zitiert wur- bekannt: abgegebene Stimmenkarten 618. Mit Ja haben de, nämlich den Gründer unserer Religion, des Christen- gestimmt 357, mit Nein haben gestimmt 260, eine Ent- tums. Im Neuen Testament sagt Jesus: haltung. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis Sybille Benning Monika Grütters Abgegebene Stimmen: 618; Dr. André Berghegger Hermann Färber davon ja: 357 Florian Hahn nein: 260 Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jürgen Hardt enthalten: 1 Land) Dr. Mark Hauptmann Ja Thorsten Frei Dr. CDU/CSU Michael Brand (Fulda) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Michael von Abercron Dr. Dr. Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Norbert Maria Altenkamp Sebastian Brehm Rudolf Henke Peter Altmaier Ursula Groden-Kranich Dr. Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Dorothee Bär Michael Grosse-Brömer Dr. Heribert Hirte Thomas Bareiß Astrid Grotelüschen Alexander Hoffmann Markus Grübel Marie-Luise Dött Dr. (Börde) Hansjörg Durz Hans-Jürgen Irmer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25353

(A) Thomas Jarzombek Wilfried Oellers (C) Florian Oßner Michael Groß (Kleinsaara) Henning Otte Volker Kauder Dr. Johann David Dr. Stefan Kaufmann Martin Patzelt Wadephul (Peine) Dr. Joachim Pfeiffer Michael Kießling Stephan Pilsinger Dr. Dr. Christoph Ploß (Hamburg) Frank Junge Jens Koeppen Dr. Alexander Radwan Peter Weiß (Emmendingen) Carsten Körber Alois Rainer Sabine Weiss (Wesel I) Alexander Krauß Dr. Ralf Kapschack Dr. Günter Krings Kai Whittaker Rüdiger Kruse Annette Widmann-Mauz Dr. Roy Kühne Johannes Röring Bettina Margarethe Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Norbert Röttgen Wiesmann Dr. Bärbel Kofler Klaus-Peter Willsch Daniela Kolbe Ulrich Lange Erwin Rüddel Elisabeth Winkelmeier- -Emre Dr. Becker Paul Lehrieder Dr. Wolfgang Schäuble Tobias Zech Christian Lange (Backnang) Dr. Katja Leikert Dr. Dr. Andreas Lenz Jana Schimke Dr. Helge Lindh Christian Schmidt (Fürth) Dr. Carsten Linnemann Dr. Claudia Schmidtke Kirsten Lühmann SPD Heiko Maas (B) Nikolas Löbel Nadine Schön Isabel Mackensen (D) Ingrid Arndt-Brauer Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Ulrike Bahr Detlef Seif Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Dr. Thomas de Maizière Dr. Matthias Bartke Klaus Mindrup Dr. Patrick Sensburg Sören Bartol Dr. Bernd Siebert Bärbel Bas Falko Mohrs Hans-Georg von der Björn Simon (Heidelberg) Siemtje Möller Marwitz Dr. Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering (Altötting) Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Rolf Mützenich Dr. Dr. Wolfgang Stefinger Dr. Dr. Lars Castellucci Ulli Nissen Dr. (Rostock) Dr. Mahmut Özdemir (Duisburg) Karsten Möring Sabine Dittmar Dr. Wiebke Esdar Axel Müller (Minden) Dr. Gerd Müller Sepp Müller Max Straubinger Dr. Johannes Fechner Dr. Carsten Müller Dr. Hermann-Josef Dr. (Braunschweig) Tebroke Stefan Müller (Erlangen) Hans-Jürgen Thies Sönke Rix Michael Gerdes Dr. Dr. Dietlind Tiemann Dr. Angelika Glöckner René Röspel Dr. Georg Nüßlein Dr. Volker Ullrich Timon Gremmels Dr. 25354 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Susann Rüthrich Sandra Bubendorfer-Licht Linda Teuteberg (C) Bernd Rützel Franziska Gminder Dr. Michael Theurer Stephan Thomae Johann Saathoff Carl-Julius Cronenberg Manfred Todtenhausen Axel Schäfer (Bochum) Armin-Paulus Hampel Bijan Djir-Sarai Dr. Dr. Mariana Iris Harder- Christian Dürr Dr. Kühnel Hartmut Ebbing Dr. Dr. Dr. Marcus Faber Sandra Weeser Waldemar Herdt Daniel Föst (Aachen) Katharina Willkomm Carsten Schneider (Erfurt) Karsten Hilse Nicole Höchst DIE LINKE Peter Heidt Dr. Katrin Helling-Plahr Doris Achelwilm Leif-Erik Holm Gökay Akbulut (Spandau) Torsten Herbst Frank Schwabe Fabian Jacobi Dr. Dietmar Bartsch Dr. Lorenz Gösta Beutin Norbert Kleinwächter Manuel Höferlin Matthias W. Birkwald Rita Schwarzelühr-Sutter Enrico Komning Reinhard Houben Christine Buchholz Jörn König Dr. Birke Bull-Bischoff Steffen Kotré Jörg Cezanne Martina Stamm-Fibich Dr. Rainer Kraft Gyde Jensen Sevim Dağdelen Sonja Amalie Steffen Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Birgit Malsack- Nicole Gohlke Markus Töns Winkemann Pascal Kober Volker Münz Dr. Carsten Träger Dr. Lukas Köhler Sebastian Münzenmaier Dr. André Hahn Carina Konrad Heike Hänsel Marja-Liisa Völlers Jan Ralf Nolte Matthias Höhn Dirk Vöpel Ulrich Oehme Ulla Jelpke (B) (D) Tobias Matthias Peterka Gülistan Yüksel Alexander Graf Paul Viktor Podolay Lambsdorff Dr. Achim Kessler Jürgen Pohl Katja Kipping Jan Korte Dr. Jens Zimmermann Roman Johannes Reusch Ulrike Schielke-Ziesing (Heilbronn) Nein Dr. Robby Schlund Ralph Lenkert CDU/CSU Uwe Schulz Martin Sichert Dr. Jürgen Martens Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Dr. Dirk Spaniel Alexander Müller Pascal Meiser AfD René Springer Roman Müller-Böhm Amira Mohamed Ali Beatrix von Storch Frank Müller-Rosentritt Marc Bernhard Zaklin Nastic Dr. Dr. Peter Boehringer Dr. Alexander S. Neu Dr. Harald Weyel (Lausitz) Stephan Brandner Matthias Nölke Jürgen Braun Sören Pellmann Dr. Hagen Reinhold Marcus Bühl Dr. Christian Wirth Tobias Pflüger Uwe Witt Dr. h. c. Thomas Tino Chrupalla Sattelberger Joana Cotar Christian Sauter Dr. Gottfried Curio FDP Frank Schäffler Eva-Maria Schreiber Dr. Grigorios Aggelidis Dr. Wieland Schinnenburg Renata Alt Matthias Seestern-Pauly Friedrich Straetmanns Berengar Elsner von Christine Aschenberg- Frank Sitta Dr. Kirsten Tackmann Gronow Dugnus Judith Skudelny Dr. Michael Espendiller Nicole Bauer Dr. Jens Beeck Bettina Stark-Watzinger Kathrin Vogler Dietmar Friedhoff Dr. Jens Brandenburg Dr. Marie-Agnes Strack- Andreas Wagner Dr. Anton Friesen (Rhein-Neckar) Zimmermann Benjamin Strasser Sabine Zimmermann Dr. Götz Frömming (Südpfalz) Katja Suding (Zwickau) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25355

(A) BÜNDNIS 90/ Britta Haßelmann Beate Müller-Gemmeke (C) DIE GRÜNEN Dr. Bettina Hoffmann Dr. Jürgen Trittin Luise Amtsberg Dr. Dr. Dr. Julia Verlinden Dieter Janecek Beate Walter-Rosenheimer Dr. Kirsten Kappert- Cem Özdemir Margarete Bause Dr. Danyal Bayaz Gonther Uwe Kekeritz Filiz Polat Dr. Franziska Brantner Katja Keul Tabea Rößner Maria Klein-Schmeink Claudia Roth (Augsburg) Fraktionslos Dr. Sylvia Kotting-Uhl Dr. Manuela Rottmann Dr. Oliver Krischer Corinna Rüffer Ekin Deligöz Christian Kühn (Tübingen) Dr. Katharina Dröge Renate Künast Ulle Schauws Dr. Enthalten Sven Lehmann Stefan Schmidt Kai Gehring Kordula Schulz-Asche FDP Dr. Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Christoph Hoffmann Erhard Grundl Dr. Kuhn Anja Hajduk Claudia Müller Margit Stumpp Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt erhält als nächster Redner der Kollege Jürgen Ich könnte jetzt auch sagen, die SPD sei eine christen- Braun, AfD, das Wort. feindliche Partei. (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Meine NIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns bleibt heute Fresse!) nichts erspart!) Das könnte ich auch sagen – will ich zurückgeben, stimmt auch vermutlich. (B) (D) Jürgen Braun (AfD): (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Herr Braun, bekennen Sie sich zum Grund- Damen und Herren! Es ist schon interessant, was hier gesetz!) alles gesagt wurde. Aber ich sage, Herr Lindh, Sie passen eher in die Scharia- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ja!) Partei Deutschlands, um das einmal ganz klar zu sagen. Ganz klar: in die Scharia-Partei Deutschlands. Es ging im Wesentlichen um ein Ablenken vom Kern des Problems durch die Altparteien. (Beifall bei der AfD) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Boko Haram hat nichts mit dem Islam zu tun, habe ich NEN]: Fällt Ihnen nichts Besseres ein?) gerade gehört; denn in Nigeria geht es nicht um den Islam bei den Morden, die da passieren. – Das ist auch interes- Daran ändern auch nichts die teilweise nachdenkenswer- sant. Die SED war schon immer gut im Erfinden von ten Formulierungen – wie immer – von Herrn Grübel und Lügen und Halbwahrheiten. Herrn Heinrich. Die Christen sind weltweit die am meis- ten verfolgte Religionsgemeinschaft, weit über 200 Mil- (Helge Lindh [SPD]: Oh Gott!) lionen. Wer das leugnet, erzählt Unsinn. Das ist das Erste. Was Christenverfolgung bedeutet, erfahren wir beim aktuellen Blick auf Nigeria. (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wer leugnet das denn? – Peter (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heidt [FDP]: Prozentual werden Juden am Was sagen Sie denn zum Thema Assad und meisten verfolgt!) Syrien?) Das Zweite. Herr Lindh, tja, was soll man zu Ihnen 668 Schulkinder sind in dieser Woche nach einem bruta- eigentlich noch sagen? Sie weigern sich, sich zum Chris- len Angriff auf ihre Schule entführt worden – im Namen tentum zu bekennen, sagen aber immer, Sie seien ein des Islam. ganz toller Christ. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gibt es keinen Antrag zur Christenver- Bekennen Sie sich zur Demokratie, Herr folgung in China?) Braun! Können Sie sich zum Grundgesetz Die islamische Terrorgruppe Boko Haram reklamiert den bekennen? Bekennen Sie sich zum Grund- Anschlag für sich. Nigeria steht seit Jahren für schwerste gesetz!) Verbrechen an Christen – ihres Glaubens wegen. Über 25356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Jürgen Braun (A) 2 Millionen Christen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Martin Patzelt (CDU/CSU): (C) Land durch Gewalt im Namen des Islam. Boko Haram ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr nur eine von vielen Terrororganisationen. Braun, ich habe die Debatte aufmerksam verfolgt. Ich habe keinen Einzigen hier erlebt, der die Christenverfol- Drei Anträge gegen die Christenverfolgung weltweit gung in der Welt kleingeredet hat. stellen wir von der AfD heute hier im Plenum. Einer benennt die Christenverfolgung in Nigeria. Des Weiteren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie fordern wir die Benennung eines Beauftragten gegen die bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- Christenfeindlichkeit in Deutschland. Der Dritte gilt SES 90/DIE GRÜNEN) Pakistan. Nur wir kämpfen im Deutschen Bundestag Keinen! Ich glaube, dass die Debatte sehr deutlich mar- gegen die Christenverfolgung. kiert hat, wo unsere Unterschiede in der Betrachtung des (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- Phänomens liegen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ich rede hier nur zu Ihrem Antrag zum Beauftragten Peter Heidt [FDP]: So ein Schwachsinn!) zur Bekämpfung von Christenfeindlichkeit in Deutsch- Pakistan ist das Land, in dem Christen am stärksten land. Ich halte diesen Antrag für falsch und auch für weltweit gewaltsam verfolgt werden durch sunnitische gefährlich. Für falsch halte ich ihn deshalb, weil er nicht Moslems. Das belegt der aktuelle Weltverfolgungsindex mit unserem Grundgesetz übereinstimmt. Die Präambel der Menschenrechtsorganisation Open Doors. des Grundgesetzes, die sich auf Gott bezieht, bezieht sich nicht auf den Gott der Christenheit. Sie bezieht sich auf (Zuruf von der LINKEN) den Gott aller Menschen, die ihn als letzte Instanz, als Es sind örtliche Hassprediger, es ist eine Art Zivilgesell- letzten Grund, als letztes Ziel erleben und sehen. schaft, die in Pakistan diese Gewalt ausübt. Pakistan ist (Martin Hohmann [AfD]: Das haben Sie falsch die Drehscheibe des radikalen Islam für ganz Asien. verstanden!) Auch der Gründer und Anführer der radikal-islamischen Terroristen in Myanmar, Jununi, stammt aus Pakistan. Alle Gesetze, die sich aus dem Grundgesetz ableiten, tragen die Religionsfreiheit als ein die Identität bestim- Die massive Gewalt in Pakistan wird durch menschen- mendes Merkmal von Menschen in sich. In den harten rechtswidrige Gesetzgebung gefördert. Die Paragra- Kämpfen und Auseinandersetzungen, die wir sogar hier fen 295a bis 295c des Pakistan Penal Code sehen für führen, geht es immer – das merken wir – um Identitäten. die angebliche Beleidigung des Koran und des Propheten Woran glaube ich? Was ist in meinem Leben der letzte Mohammed die Todesstrafe vor. Stichwort: Blasphemie. Sinn? Wenn man das angreift, wenn man einem Men- schen das abspricht und wegnimmt, weil es nicht das (B) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) Sie sind die Drehscheibe für Rechtsextremis- Eigene ist, weil man vielleicht in seiner eigenen Identität mus!) auch ein bisschen unsicher ist, Seit Jahrzehnten wächst die Zahl der Angriffe auf (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Christen in Pakistan kontinuierlich, und häufig trifft es NEN]: Ja!) dabei Frauen. Mord, Entführung, Vergewaltigung, dann greift man die Wurzel und die Existenz des Men- Zwangsverheiratung, Zwangsräumung ihrer Häuser und schen an. Vertreibung: All dies müssen Christen in Pakistan jeder- zeit befürchten. Dabei kann die Anklage wegen Blasphe- Deswegen ist es falsch, einen Christenbeauftragten mie schon dazu führen, dass Nachbarn das erfahren und sozusagen über die anderen zu stellen und zu sagen: ihrerseits kurzerhand Lynchjustiz üben – so geschehen im Wir halten das Christentum letzten Endes, auch wenn Fall des Studenten Mashal Khan im pakistanischen Mar- wir für Religionsfreiheit sind, für die beste und richtigste dan. Religion. – Das mag jeder für sich entscheiden. Deswe- gen halte ich Ihren Antrag für falsch. (Zuruf von der LINKEN) Zum Zweiten will ich auch die Kirche anführen. Der genetische Code der Christenheit ist eigentlich – das wur- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: de hier vielfach gesagt – die Toleranz, die Duldung des Herr Kollege Braun! anderen.

Jürgen Braun (AfD): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Bundesregierung muss sich dieser Realität in Herr Patzelt, die Kollegin von Storch würde gerne eine Pakistan und woanders umgehend stellen! Zwischenfrage stellen. (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nase einpacken! Ist Martin Patzelt (CDU/CSU): nicht so schwer!) Ich würde gerne fertig werden. Ich antworte Ihnen gerne hinterher, Frau von Storch. – In der Enzyklika Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: „Nostra Aetate“ – „In unserer Zeit“ – aus dem Jahre 1965 schreibt die katholische Kirche, die ja nun wirklich Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der in ihrer Lehre, in ihrer Botschaft und in der Bewahrung Kollege Martin Patzelt, CDU/CSU. der Wahrheit relativ restriktiv erscheint – wenn ich zitie- (Beifall bei der CDU/CSU) ren darf, Herr Präsident –: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25357

Martin Patzelt (A) Alle Völker sind … eine einzige Gemeinschaft, sie und ich glaube daran, dass auch in Ihrer heterogenen (C) haben denselben Ursprung, da Gott das ganze Men- Gruppe gelernt werden kann, dass die Christenheit viel schengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis woh- mehr ist als eine Gruppe, die Rituale pflegt. nen ließ; auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wenn wir das als Christen so prominent und deutlich Herr Kollege Patzelt! sagen, dann ist jeder Versuch, die Christenheit herauszu- heben, besonders zu schützen und als besonders darzu- Martin Patzelt (CDU/CSU): stellen, ein Irrtum. Meine Zeit ist um. – Danke. Ich habe gesagt: Ich halte Ihren Antrag auch für gefähr- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP lich. Ich halte ihn für gefährlich, weil eine solche Hand- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie lungsweise tatsächlich die alten Gräben – was heißt „alte bei Abgeordneten der LINKEN) Gräben“? –, auch die neuen Gräben, die Gräben überall in der Welt weiter vertieft. Wir Menschen, auch wir Chris- ten, haben eine schlimme Vergangenheit. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/25311, 19/25310 und 19/25309 an Wir schämen uns dafür und sagen: Unsere Vorfahren, die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- unsere Eltern haben es nicht besser verstanden. – Aber schlagen. Gibt es weitere Vorschläge? sie waren auch immer geführt von Angst und von Vorbe- halten. Ich erinnere an die Kreuzzüge. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können wir nicht sofort Abstimmung (Zuruf von der AfD: Das ist schon ein paar machen?) Tage her!) – Das war kein weiterer Vorschlag. Dann verfahren wir so Ich erinnere an den Dreißigjährigen Krieg. Ich erinnere wie vorgeschlagen. mich, dass mir als Kind gesagt wurde, dass es eine Sünde sei, wenn ich in eine evangelische Kirche ginge. Wir Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: Christen haben geglaubt, andere mit unserer Wahrheit a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- und unserer Überzeugung belehren und, wenn nötig, desregierung (B) mit Gewalt agieren zu müssen: „Und willst du nicht (D) mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein.“ 14. Bericht der Bundesregierung über ihre Ich erinnere auch an die Sachsenmission. Menschenrechtspolitik Wir haben eine Geschichte, die uns deutlich gemacht (Berichtszeitraum 1. Oktober 2018 bis hat, wie gefährlich, wirklich gefährlich, es ist, wieder in 30. September 2020) diese Dimension einzutreten. Jesus Christus hat die Wur- Drucksache 19/25000 zel für eine andere Betrachtung unseres Zusammenseins, unseres Menschseins gelegt. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss (Beifall des Abg. Michael Brand [Fulda] Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz [CDU/CSU]) Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche“ – ich zitiere Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- erneut – „die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten lung …“ Wir sollten uns diesem Gedanken wirklich widmen. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es ist bald Weihnachten. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gyde Jensen, Benjamin Strasser, Peter Heidt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) FDP Herr Braun und alle anderen Abgeordneten der AfD- Menschenrechtsverteidigerinnen und Fraktion, ich möchte Sie nicht als unchristlich bezeich- Menschenrechtsverteidiger in Deutsch- nen. land schützen und vor ausländischer Ver- folgung und Überwachung bewahren Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege! Drucksache 19/25242 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Martin Patzelt (CDU/CSU): Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ich möchte keine neuen Gräben schaffen. Ich glaube an Federführung strittig Ihre Lernfähigkeit, Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (Helge Lindh [SPD]: Ich nicht!) beschlossen. 25358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort gemäß dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für (C) dem Bundesaußenminister Heiko Maas. Menschenrechte. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Wir widmen uns auch den ganz alltäglichen Heraus- Grosse-Brömer [CDU/CSU]) forderungen für die Menschenrechte, und zwar auch bei uns, in Europa: dem Schutz vor Hass und Hetze im Inter- Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: net und der Unterstützung von Minderheiten wie den Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Roma. ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Menschen- Der zweite Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, rechtsschutz erlebt seit Jahren weltweit Rückschläge. betrifft den Menschenrechtsschutz weltweit. Im Sicher- Konflikte, Vertreibungen, Repressionen, sexuelle heitsrat der Vereinten Nationen haben wir uns in den Gewalt, Diskriminierung sind die Ursachen dafür. Auch letzten zwei Jahren immer wieder dafür eingesetzt, Men- die Covid-19-Pandemie wird mancherorts als Vorwand schenrechtsverletzungen auf die Agenda dieses Gre- genutzt, um Menschenrechte noch weitergehend einzu- miums zu setzen. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, schränken. Umso wichtiger ist es, dass wir den Men- dass Täter weltweit zur Rechenschaft gezogen werden. schenrechtsschutz als Kernanliegen unserer Politik und Deutsche Gerichte und Staatsanwaltschaften gehören damit auch der Außenpolitik verstehen. hier weltweit zu den Vorreitern. Ich werde den Besuch Das betrifft erstens die Durchsetzung einer wirklich von Generalsekretär António Guterres heute und morgen europäischen Menschenrechtspolitik. Deshalb bin ich in Berlin auch dazu nutzen, gemeinsam mit ihm darüber außerordentlich froh, dass uns vor wenigen Tagen, noch zu diskutieren, wie wir diese Arbeit weiter auf der Ebene während unserer Ratspräsidentschaft, der Durchbruch zu der Vereinten Nationen intensivieren können. einem EU-Menschenrechtssanktionsregime gelungen ist; Der dritte und letzte Punkt, liebe Kolleginnen und Kol- denn es muss endlich Schluss sein damit, dass Täter, die legen, betrifft diejenigen, die Menschenrechte weltweit erhebliche Menschenrechtsverletzungen zu verantworten mutig verteidigen. Auch sie brauchen unseren Schutz. haben, unbehelligt über Einkaufsmeilen Europas schlen- dern und da ihr Geld in der Europäischen Union parken. (Beifall des Abg. Michael Brand [Fulda] Damit ist jetzt Schluss. Damit haben wir ein Instrument [CDU/CSU]) geschaffen, mit dem wir gegen solche Menschen vorge- Wenn ich im Ausland unterwegs bin, werde ich oft auf hen können. Das ist ein gutes Zeichen für die Europäische unser Programm „Parlamentarier schützen Parlamenta- Union. rier“ angesprochen. Viele von Ihnen, meine sehr verehr- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der ten Damen und Herren in diesem Haus, leisten damit (B) FDP) einen manchmal überlebensnotwendigen Beitrag für (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als China im eine solidarische Menschenrechtspolitik. Es steht uns Sommer in Hongkong hart gegen die Demokratiebewe- allen gut zu Gesicht, dass die Bundesregierung im Rah- gung durchgegriffen hat, men ihrer Zuständigkeit und Verantwortlichkeit dieses Thema highlightet. Das, was Sie mit diesem Programm (Gyde Jensen [FDP]: Im Sommer?) auf den Weg gebracht haben, hat vielen Menschen in haben wir Europäer, und zwar auf Vorschlag Deutsch- schwierigen Situationen schon das Leben gerettet, wofür lands und Frankreichs, geschlossen und koordiniert rea- sie Ihnen allen außerordentlich dankbar sind. giert, etwa durch gezielte Exportbeschränkungen oder (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der auch die Aussetzung unserer Auslieferungsabkommen CDU/CSU und der Abg. Kathrin Vogler [DIE mit Hongkong. Auch das ist richtig und notwendig gewe- LINKE]) sen. Auch die Sanktionen gegen Lukaschenko und andere Meine Damen und Herren, auch die Bundesregierung Verantwortliche für die Menschenrechtsverletzungen in hat dieses Jahr mit der Elisabeth-Selbert-Initiative ein Belarus sprechen eine eindeutige Sprache. Wir sind gera- neues Instrument geschaffen, um Menschenrechtsvertei- de dabei – wahrscheinlich wird das heute über die Bühne digerinnen und -verteidiger für eine Zeit aus der Schuss- gehen –, in Brüssel das dritte Sanktionspaket zu verab- linie zu nehmen. Die ersten Anträge für Schutzaufenthal- schieden. te in Deutschland sind bereits eingegangen. Die erste Menschenrechtsverteidigerin kann demnächst nach Auch als Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates, Deutschland ausreisen. Sie wird bedroht, weil sie sich den wir vor wenigen Tagen übernommen haben, werden in ihrer Heimat für die Rechte ehemaliger Kindersoldaten wir alles daransetzen, eine europäische Menschenrechts- eingesetzt hat. politik voranzubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 14. Menschen- Wir werden uns für eine bessere Umsetzung der Urteile rechtsbericht macht auf solche Schicksale aufmerksam – des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein- auf die großen und die vielen kleinen Plätze weltweit, an setzen. Etwa gegenüber der Türkei fordern wir zum Bei- denen Menschenrechte Tag für Tag verletzt werden. spiel die sofortige Freilassung von Osman Kavala und Solange dies der Fall ist, müssen wir weiter für ihren weiterer politischer Gefangener Schutz kämpfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Herzlichen Dank. FDP und des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25359

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Lachen bei der LINKEN – Michael Brand (C) Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Braun, AfD. [Fulda] [CDU/CSU]: Reden Sie mal über Ihre Pilgerreise zu Assad und Putin!) (Beifall bei der AfD) – Herr Brand, reden Sie sich nicht raus mit Zwischen- rufen. – Islamischer Extremismus fehlt komplett. Wir von Jürgen Braun (AfD): der AfD stellen uns klar gegen jeden Extremismus, sei er Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Im von rechts, von links oder islamisch. Bericht der Bundesregierung zur Menschenrechtspolitik fehlt vieles: Von Christenverfolgung in deutschen Asyl- (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] bewerberunterkünften lesen wir nichts, von den vielen [CDU/CSU]: Sie beten Putin und Assad an!) Schändungen von Kirchen landauf, landab in Deutsch- Die Bundesregierung vermengt Menschenrechte mit land – nichts. Auch der neue islamische Antisemitismus Forderungen der Klimahysteriker und von Linksextre- fehlt – er wird ignoriert –, stattdessen findet sich ein misten. Dutzende von Seiten sind mit links-grünen Spin- Wildwuchs des Begriffs „Zivilgesellschaft“. Hundertfach nereien gefüllt; ist davon die Rede, in mancherlei blumiger Umschrei- bung, in mancherlei Variante. Der Begriff der Zivilgesell- (Frank Schwabe [SPD]: Mein Gott!) schaft dient zur Aushebelung der Demokratie, nicht legi- um Menschenrechte geht es vielfach gar nicht. So klingt timierten Ausübung von Herrschaft. Auch politische dann eine Kapitelüberschrift – Zitat –: „Klima-, Bio- Stiftungen, die nicht legitimiert sind, gehören zur Zivil- diversitäts-, Umwelt- und Menschenrechtsschutz als gesellschaft. gemeinsame Herausforderung angehen“. Oder diese (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Querdenker hier: „Frauen, Frieden, Sicherheit“; fehlt nur noch: „Frie- auch!) de, Freude, Eierkuchen“. Das Gender Equality Forum – nicht legitimiert, diverse (Frank Schwabe [SPD]: Um Gottes willen!) Foren gegen Rassismus – nicht legitimiert, die „Mut- Das alles in einen Topf und gut umrühren. Geht es bei Macherinnen*“ von DaMigra – nicht legitimiert, Berliner Ihnen eigentlich noch bescheuerter? Geht es noch? CSR-Konsens zur Unternehmensverantwortung – alles nicht legitimiert. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bei der Lektüre von Seite 24 bin ich plötzlich erleich- NEN]: Wer legitimiert denn das? Sie viel- tert. Ich sehe das Wort „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ leicht?) (B) als Überschrift. Doch sofort stellt sich Ernüchterung ein: (D) Gruppen, die neudeutsch „NGO“ genannt werden: eine Die Bundesregierung bejubelt dieses menschenrechts- Spielwiese der Bundesregierung zur Durchsetzung der widrige Gesetz, anstatt es zu verurteilen; schamlose Inter- Interessen der Regierung. netzensur durch das NetzDG. (Beifall bei der AfD) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Jetzt wird wieder der AfD-Kanal gefüttert!) Millionen und Abermillionen an Steuergeld fließen, um der nicht legitimierten Zivilgesellschaft zum Erfolg zu Diese deutsche Form der Internetzensur wird von der verhelfen – undemokratisch par excellence. Kommunistischen Partei Chinas ausdrücklich gelobt und als vorbildlich angesehen. Das sind die Genossen (Frank Schwabe [SPD]: Ist das alles, was Sie der Bundesregierung bei der Verletzung von Menschen- zum Thema Menschenrechtspolitik zu sagen rechten, das sind die neosozialistischen Kumpane. haben, Herr Braun?) (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] Die Beschlüsse der Weltkonferenz gegen Rassismus [CDU/CSU]: Jetzt wird wieder der AfD-Kanal von Durban gelobt die Bundesregierung umzusetzen. gefüttert!) Dass dort Judenhass gepredigt wurde, scheint gar nicht aufzufallen. Nicht einmal für Infantilismus ist sich die Bundesre- gierung zu schade. Infantile Bezeichnungen wie das (Beifall bei der AfD – Frank Schwabe [SPD]: Gute-KiTa-Gesetz und das Starke-Familien-Gesetz müs- Sie haben auch genug Leute, die wissen, wie sen zur Lobhudelei herhalten. Antisemitismus geht!) (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Ist das schlechte Aber uns fällt so etwas auf. Die AfD kämpft entschieden Satire?) gegen jede Form des Antisemitismus. Derlei infantile Initiativen kommen aus dem Hause der (Beifall bei der AfD) Dr. Giffey, aus dem Hause der Falscher-Doktor-Ministe- rin. Der Menschenrechtsbericht verkommt zum Infantile- Weil die Bundesregierung die Menschenrechte verkom- Aktionen-Bericht. men lässt, ist es Zeit: Die AfD fordert die Einsetzung eines Beauftragten gegen Christenfeindlichkeit. (Beifall bei der AfD) Der Bericht zur Menschenrechtspolitik liest sich, als Trotz der seltsamen Coronapolitik dieser Bundesregie- wenn er von Linksextremisten geschrieben worden rung wünsche ich Ihnen allen eine frohe und gesegnete wäre. Linksextreme Straftaten kommen nicht vor. Weihnachtszeit. 25360 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Jürgen Braun (A) (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) KEN: Maske! – Frank Schwabe [SPD]: Mein ordneten der SPD) Gott, das ist doch infantil, was Sie da veran- stalten mit der Maske! – Kai Gehring [BÜND- Das Signal des Menschenrechtsberichts lautet: Die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sonst müssen Sie die Demokratien in der Welt sind eben nicht auf dem Rück- Nase abnehmen! Mein Gott, wie kann man nur zug. Wir kämpfen jetzt und in Zukunft für Demokratie so blöd sein!) und Menschenrechte. Dieses Signal gilt weltweit, und darauf können sich die Freunde Deutschlands verlassen, wie übrigens auch die Gegner der Menschenrechte. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Michael Brand, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Es ist international vielfach betont worden: Die größte Bedrohung von Menschenrechten geht von der größten (Beifall bei der CDU/CSU) Diktatur der Welt aus – von China. Aktuell, vor zwei Tagen, wurde eine neue entsetzliche Nachricht bekannt. Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): In einer international respektierten Studie wurde aufge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der deckt, dass das chinesische Regime die Minderheit der Menschenrechtsbericht dokumentiert die Veränderung Uiguren nicht nur in Zwangslager steckt, wo sie auf den der Weltlage in den letzten Jahren. Er ist auch eine War- selbsternannten Führer Xi Jinping schwören muss. Die nung. Menschenrechte und freiheitliche Gesellschaften neue Enthüllung dokumentiert auch, dass zwischen stehen trotz einzelner gegenteiliger Beispiele weltweit 500 000 und 1 Million Uiguren wie im Mittelalter in massiv unter Druck: von der brutalen politischen Füh- Zwangsarbeit geschickt werden, um auf Feldern Baum- rung in Moskau und Peking über Massenmörder in Syrien wolle zu pflücken. Diese Bilder kennen wir alle, liebe und Diktatoren von Saudi-Arabien bis hin zu katastro- Kolleginnen und Kollegen, und dafür gibt es ein Wort: phalen Entwicklungen von Menschenrechten in der Tür- Das, was das Regime dort praktiziert, kennen wir als kei und anderswo. Daher ist es umso wichtiger, dass sich Sklaverei. Es muss jedem hier im Haus, in Europa und die Europäische Union als eine Union der Menschenrech- weltweit klar sein: Das chinesische Regime hat mittel- te und Demokratie die Grundrechte nicht abkaufen lässt. alterliche Vorstellungen, und es hat – das macht es so Es ist ein wichtiges Signal, dass Deutschland, der größte gefährlich – totalitäre globale Ansprüche. China will die Mitgliedstaat, mit diesem profilierten Menschenrechtsbe- Abkehr von Menschenrechten und finanziert dies mit richt weiter vorangeht. Milliardensummen. In Xinjiang gibt es eine schlimme Fusion von digitaler Repression mit mittelalterlichem Lieber Herr Kollege Braun, wenn es ein Schlechte- Denken. China führt seinen globalen Kampf mit modern- Rede-Gesetz geben würde, dann würden Sie hier nicht ster Technik, mit wirtschaftlicher und ideologischer (B) mehr reden; denn das, was Sie über den Menschenrechts- (D) Kriegsführung. bericht sagen, ist nun wirklich ein Hohn. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Aktuell ist unser Partner Australien Opfer offener chi- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nesischer Aggression. Man will diese Demokratie durch Sanktionen gefügig machen. Auch deutsche Unterneh- Es ist glatte Propaganda. Ich bin dafür bekannt, dass ich men sind Opfer. Menschenrechtsorganisationen werden den Finger in die Wunde lege, auch beim Menschen- bekämpft. Selbst Abgeordnete dieses Parlaments sollen rechtsbericht, unter Druck gesetzt werden. Ich wiederhole: Es wird (Jürgen Braun [AfD]: Links-grüne CDU!) China nicht gelingen, uns den Mund zu verbieten. Das Regime hat uns nur aufgeweckt. aber ich sage ganz deutlich: Der Menschenrechtsbericht 2020 ist klarer als die der vergangenen Jahre. Ich danke (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bärbel Kofler ausdrücklich für diese Arbeit. neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN und des Abg. Frank Schwabe neten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Reden [SPD]) Sie sich nicht raus!) Allerdings ist auch klar: Wir werden uns dieser globa- Ich muss auch sagen: Am Ende zählt nicht der Buch- len Herausforderung zu stellen haben. Gemeinsam mit stabe oder die Überschrift in diesem Papier, sondern die unseren Partnern in Europa, jetzt auch wieder mit den Konsequenz in der Tagespolitik. Die EU hat unter der USA sowie mit Asien werden wir gemeinsame Strategien Führung der deutschen Ratspräsidentschaft – in der Tat, brauchen, um diese totalitäre Pandemie zu stoppen. Das Herr Außenminister – mit dem Magnitskij-Mechanismus geht nur, wenn wir nicht kapitulieren und wenn wir keine eine wichtige Entscheidung getroffen, um dafür zu sor- Opportunisten sind. Das chinesische Regime und die gen, zielgenaue Sanktionen gegen schwere Menschen- anderen Diktatoren der Erde müssen wissen: Wir bleiben! rechtsverbrecher durchzusetzen. Und deswegen, liebe Und die Freiheit wird bleiben! Und die Menschenrechte Kolleginnen und Kollegen, ist es auch richtig, diesen jetzt auch! Wir werden nämlich nicht kapitulieren, sondern zu nutzen, zum Beispiel im Fall Belarus, und zwar nicht kämpfen. nur auf Lukaschenko bezogen, sondern auch auf sein Vielen Dank. Umfeld. Deswegen: Nicht Papier, sondern Tagespolitik zählt. Ich kann nur sagen: Den Weg werden wir weiter (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem voranschreiten. Dem Außenminister sage ich ein herzli- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ches Dankeschön für seinen Einsatz. ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25361

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: Herr Außenminister, ganz ehrlich: Sie bekommen von (C) Vielen Dank, Michael Brand. – Einen schönen guten uns keinen Applaus für etwas, das Sie einfach nur konkret Morgen von mir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. dargestellt haben. Sie bekommen dann Applaus und ein Lob von uns und wir stehen dann an Ihrer Seite, wenn es (Beatrix von Storch [AfD]: Maskenverweige- in Ihrer Außenpolitik erkennbare konkrete Handlungs- rer! – Jürgen Braun [AfD]: Genau! Maskenver- empfehlungen und Ableitungen gibt, und das können weigerung! Ganz übel! – Gegenruf des Abg. wir momentan noch nicht feststellen. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist eine Maske! – Gegenruf der Abg. Beatrix von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Storch [AfD]: Aber Sie haben versucht, ohne des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu laufen! Das habe ich genau gesehen! – Denn seien wir ganz ehrlich: Dieser Bericht erweckt zwar Gegenruf des Abg. Michael Brand [Fulda] aufgrund seiner Struktur den Eindruck, dass es eine integ- [CDU/CSU]: Sie haben gesagt, ich habe die rierte Menschenrechtsstrategie der Bundesregierung gibt. Maske nicht aufgesetzt! – Peter Heidt [FDP], Aber wenn man dann genauer hinguckt, dann stellt man an Abg. Beatrix von Storch [AfD] gewandt: fest: Wenn Ministerien zusammenarbeiten müssen, dann Fehlende Intelligenz haben Sie! – Michael sieht es nicht danach aus, und dann holpert es ordentlich. Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Mein Gott, Ihre Aggression ist unfassbar, Frau von Storch, Der Sanktionsmechanismus bei der Verletzung von und Sie wollen was von Christentum und Menschenrechten, der auf EU-Ebene beschlossen wurde, Nächstenliebe sagen!) wurde angesprochen. Aber ob der funktionieren wird – das haben Sie, Herr Maas, gestern im Ausschuss selber So. Jetzt kommen wir mal wieder zurück. – Nächste gesagt –, das wissen Sie noch nicht, weil Einstimmigkeit Rednerin: für die FDP-Fraktion Gyde Jensen. erforderlich ist, weil gar nicht sicher ist, ob es tatsächlich maßgebliche Erweiterungen der Sanktionslisten geben (Beifall bei der FDP) wird. Wir werden Sie daran messen, ob Sie sich auch über die Ratspräsidentschaft hinaus dafür einsetzen wer- Gyde Jensen (FDP): den, dass das funktioniert. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (Beifall bei der FDP) und Kollegen! Wir diskutieren heute sowohl den 14. Men- schenrechtsbericht der Bundesregierung als auch einen Ich möchte gerne die letzten Sekunden darauf verwen- Antrag der Freien Demokraten zu den Möglichkeiten, den, die in unserem Antrag aufgezeigten Probleme zu wie wir Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger beschreiben, die sich auch auf die deutsche Menschen- (B) weltweit, aber vor allen Dingen hier in Deutschland bes- rechtspolitik beziehen lassen. Denn wenn Ministerien (D) ser schützen können. wie das Innenministerium und das Auswärtige Amt nicht zusammenarbeiten, dann wird man feststellen können – Ich möchte beim Menschenrechtsbericht anfangen und das hat im Oktober ein Team von Investigativjournalisten mit etwas Positivem starten. Es freut uns sehr, dass Sie getan –, dass beispielsweise Hackergruppen, die der viet- die Empfehlungen des UPR, des Universal Periodic namesischen Regierung nahestehen, vietnamesische Review, im Bericht nennen und sich damit kritisch aus- Menschenrechtsaktivisten hier in Deutschland bedrohen, einandersetzen. Das schafft Glaubwürdigkeit, um auch hacken und an ihrer Arbeit hindern. Die Behörden haben mit anderen Ländern kritisch ins Gericht zu gehen. nicht geholfen. Und der ägyptische Geheimdienst – das (Beifall bei der FDP) steht sogar im Verfassungsschutzbericht der Bundesre- gierung – späht hier Dissidenten aus. Außerdem ist gut, dass Sie angekündigt haben, sich im kommenden Menschenrechtsbericht vor allen Dingen der Meine Damen und Herren, was wir fordern, ist, dass Digitalisierung zu widmen. Das haben wir Freie Demo- Sie einen Gradmesser anlegen, wie es den Menschen- kraten schon in diesem Jahr mit dem Schwerpunktthema rechtsaktivisten in Deutschland geht und wie sie hier im Menschenrechtsausschuss gemacht. Das ist lange ihre wichtige Arbeit machen können. Dazu fordern wir überfällig. Wir freuen uns auf den nächsten Bericht. eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene und Behörden beim BKA, das dies dann zusammenführt und eine Warn- Vielen Dank auch – wir haben es gestern im Ausschuss kaskade für Betroffene aufstellt, so wie es auch beim angesprochen – für die klaren Worte zu den massiven Warnen im Bereich von Cybersicherheit bei Unterneh- Menschenrechtsverletzungen der chinesischen kommu- men geht. nistischen Partei in Hongkong und in Xinjiang. Doch wir werden Sie nicht an diesen Worten messen, liebe Bundesregierung, lieber Herr Außenminister. Wir werden Vizepräsident in Claudia Roth: Sie daran messen, was Sie tatsächlich für Konsequenzen Frau Kollegin! daraus ableiten. Gestern im Ausschuss hatte man fast den Eindruck, Sie Gyde Jensen (FDP): wollten Lob dafür, dass Sie konkret und realitätsgetreu Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir sehen die Fakten aufschreiben, was gerade in China – und zwar an diesem Menschenrechtsbericht, dass noch viel zu tun nicht nur in diesem Sommer, sondern schon über Monate ist. Wir freuen uns auf die Debatte auch über die komm- und Jahre hinweg – passiert. enden Berichte und fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Deutschland für Menschenrechts- (Beifall bei der FDP) verteidigerinnen und -verteidiger ein sicherer Hafen ist. 25362 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Schlim- (C) Frau Kollegin! mer Zynismus!) Aus dieser schrecklichen Erkenntnis heraus fordert Die Gyde Jensen (FDP): Linke ein Menschenrecht, das Menschenrecht auf Das ist momentan noch nicht der Fall. Gesundheit für alle. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Während der Pandemiezeit ist Amazon-Chef Jeff Vizepräsident in Claudia Roth: Bezos an einem Tag mal eben um 3 Milliarden Dollar reicher geworden, während der Chef des World Food Vielen Dank, Gyde Jensen. – Nächste Rednerin: für die Programme jetzt bei den Reichen auf Betteltour gehen Fraktion Die Linke Zaklin Nastic. muss, um den Welthunger zurückzudrängen. Auch der (Beifall bei der LINKEN) Lidl-Chef Dieter Schwarz ist während der Pandemiezeit um 11,1 Milliarden Euro reicher geworden, während gleichzeitig der Lohn der Kassiererinnen und Kassierer Zaklin Nastic (DIE LINKE): um 60 Euro monatlich gesunken ist. Das ist nicht nur ein Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Men- Skandal. Nein, für sie und für die Pflegekräfte fordert Die schenrechtsbericht heißt es, dass sich Frieden, Sicherheit Linke endlich gute Löhne. und die Wahrung der Menschrechte gegenseitig bedin- gen. Ja, dann dürfen Sie doch nicht weiter Mordwerkzeug (Beifall bei der LINKEN) an alle möglichen Menschenrechtsverletzer liefern! Es ist dringend notwendig, das Bündnis der Bundes- (Beifall bei der LINKEN) tagsmehrheit mit den Superreichen endlich zu beenden, auch im Sinne unseres Grundgesetzes; denn Eigentum Begonnen mit der Türkei, Ägypten, den Vereinigten Ara- verpflichtet. Es ist Zeit, die Vermögenden und Superrei- bischen Emiraten, durch die Hintertür weiter über Saudi- chen mit einer Vermögensabgabe zur Kasse zu bitten, Arabien, das einen verheerenden Krieg gegen den Jemen damit Menschenrechte, und zwar für alle, finanziert wer- führt, bis nach Syrien und bis zu den Drogenkriegen in den können. Mexiko: Überall wird mit deutschen Waffen gekämpft (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand und gemordet. Vergangene Haushaltswoche haben Sie [Fulda] [CDU/CSU]: Die Opfer in Belarus auch noch einen rekordartigen Rüstungsetat in Höhe und in Syrien werden angesichts Ihrer Rede von 50 Milliarden Euro beschlossen. Das ist mehr als den Kopf schütteln!) für Gesundheit und Bildung zusammen. Mit der Wahrung (B) von Menschenrechten hat das nichts zu tun. (D) Vizepräsident in Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Kollegin Nastic. – Nächste Rednerin: für Außenminister Maas, Sie schreiben im Bericht: Eine Bündnis 90/Die Grünen Margarete Bause. wesentliche Rolle spielt die Glaubwürdigkeit, mit der wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weltweit auftreten können, weil wir uns auch zu Hause um die Wahrung der Menschenrechte kümmern. – Wie Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): glaubwürdig ist das, Herr Maas, wenn wir gerade fest- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stellen mussten, dass wir in Deutschland, in einem der „Immer wieder werden Kleinkinder mit Rattenbissen reichsten Länder der Welt, mit 15,9 Prozent die höchste zur Behandlung in unsere Klinik gebracht“ – so die Armutsquote seit 1990 haben? Herr Maas, Die Linke will schockierende Schilderung der Hilfsorganisation Ärzte Menschenrechte für alle und nicht nur für diejenigen, die ohne Grenzen vor einigen Tagen. Der Alarmruf kommt sie sich kaufen können. nicht aus einem zerbombten Kriegsgebiet in Syrien; er (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand kommt aus einem Flüchtlingslager bei uns in Europa. [Fulda] [CDU/CSU]: So werden Menschen- Rattenbisse bei Kleinkindern sind zu einem so gravier- rechte instrumentalisiert!) enden Problem geworden, dass auf der Insel Samos eine großangelegte Tetanus-Impfkampagne gestartet werden Corona trifft eben nicht alle gleichermaßen. Nein, musste. In den Elendslagern auf den griechischen Inseln Corona trifft die Ärmsten am härtesten. Das sagt nicht ist die medizinische Versorgung nahezu komplett zusam- nur die Caritas, sondern auch der Armutsforscher mengebrochen. Die Zeltlager versinken in Regen und Christoph Butterwegge. Die Lebens- und Wohnverhält- Schlamm. Es mangelt an Trinkwasser, an Nahrung, an nisse sind dafür entscheidend, ob sich jemand ansteckt, Decken. Die Zustände sind seit Jahren bekannt. Sie wer- und das individuelle Immunsystem ist auch ein Spiegel- den immer katastrophaler, und sie sind menschenunwür- bild der Arbeitsverhältnisse. Es ist eben ein Unterschied, dig. ob jemand im Homeoffice arbeiten kann oder bei Tönnies Rinderhälften auseinandernehmen muss. Deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen wir als Linke, auch gegen das Virus: Wir brauchen und bei der LINKEN) gute Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitverkürzungen. Doch von all diesem Elend findet sich in Ihrem Bericht kein einziges Wort. Auf mehr als 300 Seiten schaffen Sie (Beifall bei der LINKEN) es nicht einmal, die Begriffe „Seenotrettung“ oder „Push- Wer ärmer lebt, ist früher tot! backs von Frontex“ zu erwähnen oder zu erwähnen, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25363

Margarete Bause (A) das Mittelmeer zur tödlichsten Grenze der Welt geworden Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): (C) ist. Flüchtlingslager gibt es für Sie in Myanmar und im Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Irak; aber mit der beschämenden Realität der europä- Kollegen! Der uns vorliegende Menschenrechtsbericht ischen Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen der Bundesregierung macht zwei Dinge ganz deutlich: wollen Sie sich in diesem Bericht nicht beschäftigen. Erstens ist die Menschenrechtslage in der Welt nicht bes- Das geht so nicht, liebe Bundesregierung. ser geworden, sondern schlechter, und zweitens wird es Zeit – das ist für mich ganz klar –, Menschenrechtspolitik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN endlich als Teil der Sicherheitspolitik ernst zu nehmen. und bei der LINKEN) Menschen zu schützen, ist nicht nur unsere innere Wir sind hier in der Verantwortung. Wir dürfen nicht Überzeugung, sondern unsere klare Pflicht als Europä- wegschauen, wir dürfen nicht schweigen. Gerade der erinnen und Europäer. Und es ist auch in unserem urei- Menschenrechtsbericht muss den Finger in diese Wunde gensten Interesse. Es liegt auf der Hand, dass es besser ist, legen und den menschenverachtenden Zynismus der präventiv Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen benennen. als anschließend mit massivem Einsatz von Diplomatie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklungshilfe und Militär die Situation retten zu und bei der LINKEN) wollen. Konflikte entstehen ja oft erstmals dort, wo Men- schenrechte massiv verletzt werden, von Honkong bis Wir müssen dringend handeln, um die Kinder, die Frauen Belarus. und die Männer endlich aus diesem Elend herauszuholen. Sehr geehrter Herr Minister Maas, ich begrüße aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN drücklich, dass Sie Ihren Bericht mit Frau Tichanowskaja und bei der LINKEN) beginnen; denn das Recht, das in Belarus herrscht, das Recht, das dort für Stabilität sorgt, folgt eben nicht unse- Kolleginnen und Kollegen, dass der Bericht dazu rem menschenrechtsbasierten Verständnis. Es ist gut, schweigt, ist umso ärgerlicher, weil in diesem Bericht dass Sie das in diesem Bericht klar und deutlich sagen. auch viel Richtiges und viel Gutes steht. Dass die Men- Für uns als Große Koalition gilt: Wir stehen fest an der schenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Seite der Menschen in Belarus. Kofler, die Kritikpunkte des Menschenrechtsausschusses aufgenommen hat, ist ebenso anerkennenswert wie ihre (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeit und ihr Engagement. Richtig ist auch: Dieser Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie verhindern wir 14. Bericht der Bundesregierung zur Menschenrechtspo- Menschenrechtsverletzungen? Für mich ist klar, dass wir litik ist ein Fortschritt gegenüber dem vergangenen Jahr. den Preis für Menschenrechtsverbrecher hochtreiben (B) Aber Sie mogeln sich an den Themen vorbei, bei denen müssen. Wer andere versklavt, verschleppt, vergewaltigt, (D) die Koalition versagt oder heillos zerstritten ist, Beispiel ermordet, der darf auf dieser Welt keinen sicheren Platz Lieferkettengesetz, Beispiel Ratifizierung des Zusatzpro- mehr finden, nicht für sich und eben auch nicht für sein tokolls zum UN-Sozialpakt. Hier muss ein Menschen- Geld. rechtsbericht Position beziehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, ist es gut, dass sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die Bekämpfung von Straflosigkeit jetzt Einzug gehalten Noch ein Punkt. Es reicht nicht mehr, vom Klimawan- hat in den „Aktionsplan Menschenrechte der Bundesre- del zu reden. Wir sind schon mittendrin in der Klima- gierung 2021-2022“ als Bestandteil des Menschenrechts- krise, mancherorts auch in der Klimakatastrophe. Dürren, berichts. Überschwemmungen, Hungerkatastrophen, Kriege, Wir wissen auch: Die Stärkung internationaler Straf- Flucht, Vertreibung sind schon längst bittere Realität, gerichtsbarkeit allein reicht nicht aus. Sie ist zu lücken- und das ist eine Bedrohung für die Menschenrechte auf haft, zu schwerfällig, um kurzfristig wirklich einen dieser Welt. Sie sind auch Konsequenz des fahrlässigen Unterschied zu machen. Deswegen ist gerade das erwei- Nichthandelns auch dieser Bundesregierung. terte Sanktionsregime der Europäischen Union – auch Wenn Sie es mit dem weitreichen Engagement für den wenn Sie da Skepsis angemeldet haben, Frau Jensen – Schutz der Menschenrechte ernst meinen, dann handeln ein ganz entscheidender Erfolg der deutschen Ratspräsi- Sie endlich, nicht nur mit umfangreichen Problembe- dentschaft, zu dem ich der Bundesregierung ausdrücklich schreibungen, nicht nur mit wichtigen Hilfsprogrammen, gratuliere. Dieses Instrument kann in der Tat ein Gamec- sondern auch mit konkreten Maßnahmen für den Schutz hanger in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspoli- von Klima und Menschenrechten. tik werden, weil wir jetzt zum ersten Mal schneller und präziser – oft wird kritisiert, dass wir zu langsam sind – Danke schön. genau da ansetzen können, wo es zählt. Wenn wir das im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einklang mit unseren Partnern weltweit tun, mit den Ver- einigten Staaten, Großbritannien, Japan und Kanada, dann machen wir die Welt für die schlimmsten Verbre- Vizepräsident in Claudia Roth: cher bedeutend kleiner. Vielen Dank, Margarete Bause. – Nächste Rednerin: für die Fraktion der CDU/CSU Dr. Katja Leikert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dieses Instrument jetzt rasch und mutig einsetzen. Ich denke (Beifall bei der CDU/CSU) dabei an Ramzan Kadyrow, den brutalen Machthaber 25364 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Katja Leikert (A) von Tschetschenien, übrigens ein Unterstützer des auch gut, wenn wir uns an die eigene Nase packen und (C) „lupenreinen Demokraten“, dem Sie von rechts außen überlegen, was wir zur Verbesserung der Menschen- sich hier so anbiedern. Ich denke dabei aber auch an rechtslage beitragen können. Deswegen sage ich noch Chen Quanguo, der als zuständiger Funktionär der KP mal für meine Fraktion und sicherlich auch für einen für die Internierung von 1 Million Uiguren verantwort- Großteil der Unionsfraktion: Wir wollen ein Lieferket- lich ist. tengesetz, und zwar eines, das Zähne hat, das am Ende Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken – Sie auch wirklich wirksam ist. Es ist an der Bundeskanzlerin setzen sich ja auch immer sehr für die Menschenrechte und an uns allen, dafür zu sorgen, dass das schnell ein –, kommt. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch sehr selektiv!) der CDU/CSU) vielleicht lernen Sie an dieser Stelle dazu, anstatt weiter- Zur Menschenrechtspolitik ist viel gesagt worden. Ich hin KP-Propagandisten in den Menschenrechtsausschuss glaube, es gab großes Lob – das habe ich jedenfalls raus- einzuladen. gehört – für diesen Menschenrechtsbericht. Ich will auch Für die Union ist jedenfalls klar: Je mehr China inter- ein bisschen Hoffnung verbreiten. Die Lage der Men- nationale Normen unterläuft und Menschenrechte miss- schenrechte auf der Welt ist schwierig; aber es gibt achtet, umso lauter werden wir deren Einhaltung fordern. auch gute Entwicklungen. Wenn man sich die Wahlen der letzten Monate anschaut, dann sieht man: Es finden (Beifall bei der CDU/CSU) harte Auseinandersetzungen um die Frage der Menschen- rechte statt. Wir gehen in diese Auseinandersetzung. Vizepräsident in Claudia Roth: Deutschland sollte in dieser Frage konsistent sein. Das Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Außenministerium und andere Ministerien sollten Men- -bemerkung von Frau Vogler von den Linken? schenrechtspolitik zu einem Schwerpunkt machen und als Querschnittsaufgabe begreifen. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Wir sollten in der Tat auf unser Handeln schauen, in Ich würde jetzt gerne zum Schluss kommen. Deutschland und in Europa. Das bringt mich zum Thema „Umgang mit Geflüchteten“; das Handeln Europas ist Vizepräsident in Claudia Roth: nämlich eine Schande. Gut, danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (B) (D) Abg. Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): GRÜNEN]) Weil die Minister gerade zusammensitzen und über das Lieferkettengesetz beraten, möchte ich abschließend an Ich erinnere an den Weihnachtsappell; wer will, kann sich dieser Stelle sagen: Ich würde mich freuen, wenn da eine noch daran beteiligen. Ich sage es mit den Worten von Einigung erzielt wird. United4Rescue, die ein Schiff ins Mittelmeer geschickt (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ich mich haben: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ auch! -Gegenruf des Abg. Gerald Ullrich Und es darf auch keine Pushbacks geben. Das ist ein [FDP]: Ich mich noch mehr! Wir sind Verstoß gegen internationales Recht. gespannt!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das würde Deutschland gut zu Gesicht stehen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der In diesem Sinne: Frohe Weihnachten Ihnen allen! Vie- LINKEN) len Dank. Das ist absolut inakzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Herr Außenminister hat den Europarat angespro- chen. Auch da ist es gut, wenn wir uns an die eigene Nase Vizepräsident in Claudia Roth: packen. Der Europarat hat eine Kommission gegen Ras- Vielen Dank, Dr. Katja Leikert. – Nächster Redner: für sismus, ECRI, eingesetzt. Die haben uns aufgefordert, die SPD-Fraktion Frank Schwabe. einen Bericht zu Racial Profiling bei Sicherheitsbehörden (Beifall bei der SPD) in Deutschland zu erstellen. Ich denke, dem sollten wir schlichtweg nachkommen.

Frank Schwabe (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Frau BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Dr. Leikert gibt mir die Gelegenheit, hier anzuknüpfen; Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) ich hatte gestern bei der Befragung der Bundesregierung ein kleines Tête-à-Tête mit der Bundeskanzlerin zu die- Wir haben dort auch GRECO, eine Organisation gegen sem Thema. Ich will aber zunächst noch einmal unter- Korruption, die gesagt hat: Wir brauchen ein effektives stützen: Das ist ein guter Menschenrechtsbericht. Ich Lobbyregister, übrigens auch mit exekutivem Fußab- glaube, es ist gut, wenn wir nach draußen in die Welt druck in Bezug auf das, was die Ministerien machen. schauen; Herr Kollege Brand hat es gesagt. Es ist aber Auch das sollten wir in Deutschland umsetzen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25365

Frank Schwabe (A) Ansonsten unterstütze ich auch, was Außenminister Wir begrüßen es daher sehr, dass die Bundesregierung (C) Maas zum Europäischen Gerichtshof gesagt hat. Ich Projekte auch in Südsudan, Mali, Äthiopien, Nigeria, weiß nicht, ob das Blasphemie ist, aber er ist im Grunde Myanmar, Afghanistan, Laos und El Salvador unterstützt, der Heilige Stuhl – so will ich es einmal nennen – des die für Frauen den Zugang zum Justizsystem verbessern. Europarates. Insofern sind die Gerichtsurteile Gesetz und Ich möchte ein zweites Thema aus dem 14. Bericht der müssen umgesetzt werden, auch von der Türkei, so im Bundesregierung herausgreifen, und das ist der illegale Fall Kavala und im Fall Demirtas. Organhandel. Seit 2012 ist in China eine sehr negative (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Entwicklung zu beobachten. Organhandel ist in China DIE GRÜNEN) zwar seit 2007 verboten. Aber Nichtregierungsorganisa- tionen kritisieren die völlig fehlende Prüfbarkeit der Her- Wir sind kurz vor Weihnachten. Deswegen darf ich kunft von Organen und die fehlende öffentliche Einseh- noch einen Wunsch zu Weihnachten äußern. Der Außen- barkeit in Organregister. Auch das ist ein Punkt, den wir minister hat das wichtige Programm des Bundestages, nicht hinnehmen dürfen, liebe Kolleginnen und Kollegen. PsP, angesprochen. Meine Patenkinder sind unter ande- rem Gönül Örs und Hozan Cane, die in der Türkei fest- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sitzen. Ich wünsche mir, dass sie sehr bald wieder in ihrer der SPD und der Abg. Margarete Bause Heimat Köln sein können. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vielen herzlichen Dank. Zwangsentnahme von Organen an lebenden Menschen ist ein erschreckend unmenschliches Morden. Niemand auf (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem dieser Welt hat das Recht, das Leben einer Person zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nehmen. Das Recht auf Leben ist universell und muss von uns geschützt werden. Vizepräsident in Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vielen Dank, Frank Schwabe. Ein schöner Wunsch. – der FDP und der Abg. Gabriela Heinrich Letzter Redner in dieser Debatte: für die CDU/CSU- [SPD]) Fraktion Sebastian Brehm. Der 14. Bericht der Bundesregierung zeigt auf, welch (Beifall bei der CDU/CSU) vielfältige und große Arbeit Deutschland auf internatio- naler Ebene für Menschenrechte geleistet hat. Aber Sebastian Brehm (CDU/CSU): gleichzeitig wird auch deutlich, dass angesichts der Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- schwierigen Menschenrechtslage in vielen Ländern – (B) (D) legen! Corona hat das noch einmal verstärkt – die Herausforde- rungen in 2021 nicht kleiner, sondern größer werden. Ich verpflichte mich dazu, die Stimme derer zu sein, Trotz dieser negativen Entwicklungen dürfen wir nicht die keine Stimme haben, und für die einzustehen, die aufgeben. Im Gegenteil, wir müssen uns noch stärker Gerechtigkeit fordern – vor allem für die Überleb- für die Menschenrechte weltweit einsetzen. enden von Gewalt, wo auch immer sie sein mögen. Ich komme zum Schluss. Menschenrechtsarbeit ist Das ist kein Zitat von mir, sondern von der Jesidin Nadia Friedensarbeit, und Frieden ist die Grundlage für Demo- Murad, die selbst Opfer sexueller Gewalt durch den IS kratie und Wohlstand und für eine Reduzierung von war. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ begann Flucht und Vertreibung. Dieses Leid zu lindern, liebe im August 2014 die Offensive auf die jesidischen Dörfer Kolleginnen und Kollegen, muss Ansporn und Auftrag im Irak und in Nordsyrien. Die gefangenen jesidischen zugleich sein. Männer wurden getötet, die Frauen verschleppt, verkauft, vergewaltigt und zwangsverheiratet. Die junge Jesidin Ich wünsche gesegnete Weihnachten. Nadia Murad war eine von ihnen. Sie erhielt 2018 ge- meinsam mit Denis Mukwege den Friedensnobelpreis (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- für ihren Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für ordneten der SPD) Rechte der Überlebenden. Vizepräsident in Claudia Roth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, konfliktbezogene, sexualisierte Gewalt – und das ist einer der Schwerpunkte Vielen Dank, Sebastian Brehm. – Damit schließe ich des Berichts – ist eine unmenschliche Taktik der Kriegs- die Aussprache. führung. Dadurch werden Menschen in die Flucht ge- Tagesordnungspunkt 22 a. Interfraktionell wird Über- trieben, psychisch zerstört und die Familien auseinan- weisung der Vorlage auf Drucksache 19/25000 an die in dergerissen. Solange diese Verbrechen gegen die der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Menschlichkeit unbestraft bleiben, werden Konflikte gen. – Es gibt keine weiteren Vorschläge. Dann wird so immer wieder aufs Neue entfacht. Deshalb müssen wir verfahren. dafür sorgen, dass Täter zur Rechenschaft gezogen wer- den. Tagesordnungspunkt 22 b. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 19/25242 an die in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- neten der SPD – Michael Brand [Fulda] [CDU/ gen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen CSU]: Das passt in die Kontinuität!) der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim 25366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident in Claudia Roth (A) Ausschuss für Inneres und Heimat. Die Fraktion der FDP Um verbindlich zu gelten, bedarf eine Priorisierung (C) wünscht Federführung beim Ausschuss für Menschen- aus ethischen wie verfassungsrechtlichen Gründen rechte und humanitäre Hilfe. einer hinreichend präzisen gesetzlichen Regelung. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diesen Über- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Wir als FDP-Bundestagsfraktion schließen uns dieser gen? – Ich sehe keine. Der Überweisungsvorschlag ist Ansicht vollumfänglich an. abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen der FDP und der Linken. Dagegengestimmt haben die Fraktionen (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD. GRÜNEN]: Wir auch!) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Deswegen dürfen diese grundlegenden ethischen und schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- verfassungsrechtlichen Fragen nur und ausschließlich führung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer hier, vom Deutschen Bundestag, entschieden werden, stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt meine Damen und Herren. dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten vorschlag ist angenommen. Zugestimmt haben die Frak- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der FDP Der Gesetzgeber ist in der Verantwortung, eine präzise und der Linken. gesetzliche Grundlage zu schaffen. Neben dem zitierten Positionspapier sieht ebenso der Wissenschaftliche Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: Dienst des Deutschen Bundestages eine gesetzliche Erste Beratung des von den Abgeordneten Regelung als dringend notwendig an. Das Gutachten hat Christine Aschenberg-Dugnus, Michael Theurer, übrigens mein geschätzter Kollege Stephan Thomae in Stephan Thomae, weiteren Abgeordneten und der Auftrag gegeben. Herzlichen Dank dafür! Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines (Beifall bei der FDP) Gesetzes zur Priorisierung bei der Schutzimp- fung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 Es ist also nicht nur das Anliegen der FDP-Bundestags- (Coronavirus-Impfgesetz – CoronaImpfG) fraktion, die Impfpriorisierung auf ein sicheres rechtli- ches Fundament zu stellen. Drucksache 19/25260 Meine Damen und Herren von der Regierung, ich weiß Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Gesundheit (f) aus Erfahrung, dass Sie unserer Gesetzgebung aus Prin- (D) zip nicht folgen wollen. Aber die Leopoldina, den Ethi- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten krat, den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bun- beschlossen. destages, alle die können Sie nicht einfach so ignorieren Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu neh- und beiseitewischen. men und die Gespräche an einem anderen Ort zu führen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten damit ich der ersten Rednerin das Wort erteilen kann. – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich gebe das Wort für die FDP-Fraktion Christine Aschenberg-Dugnus. Lassen Sie mich hier eines ganz deutlich sagen: Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, hier einen entsprechenden Ge- (Beifall bei der FDP) setzentwurf vorzulegen. (Beifall bei der FDP) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Unser Gesetzentwurf zielt darauf ab, ältere Menschen Kollegen! Wir können stolz sein, dass wir noch in diesem und Menschen mit Vorerkrankungen besonders zu schüt- Jahr 400 000 Impfdosen zur Verfügung haben werden. zen. Warum? Weil wir schon seit Längerem wissen, dass Das ist ein schönes Weihnachtsgeschenk und ein gutes gerade ältere Menschen, auch in Pflegeeinrichtungen, Signal. Und die Aussicht auf 11 Millionen weitere Impf- 90 Prozent der Covid-19-Todesfälle ausmachen. Meine dosen im ersten Quartal nächsten Jahres ist ebenfalls eine Damen und Herren, es macht uns doch wirklich alle sehr gute Nachricht. hier im Hause betroffen, wenn wir die Zahlen sehen. Heute sind wieder 698 Todesfälle zu beklagen, gestern (Beifall bei der FDP) 952; das lässt uns doch alle nicht kalt. Deshalb: Men- Bei aller verständlichen Euphorie für diesen in schen in Pflegeeinrichtungen, das Pflegepersonal, die Deutschland entwickelten Impfstoff wissen wir aber pflegenden Angehörigen und Menschen mit Behinderun- auch: Am Anfang wird nicht genügend Impfstoff für gen brauchen Schutz und müssen oberste Priorität bei der alle zur Verfügung stehen. Daher muss eine Priorisierung Impfung haben. erfolgen. Es muss also eine Reihenfolge geben, nach der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zunächst diejenigen geschützt werden, die am meisten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gefährdet sind. Ich möchte – mit Ihrer Erlaubnis – an dieser Stelle aus dem gemeinsamen Positionspapier der Ein weiteres Ziel ist es, die Belegung der Intensivbet- Leopoldina, des Ethikrates und der Ständigen Impfkom- ten zu reduzieren; mit dem Schutz der am meisten mission zitieren: Gefährdeten erreichen wir das auch. Durch unseren Ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25367

Christine Aschenberg-Dugnus (A) setzentwurf schaffen wir eine klare gesetzliche Regelung In dem Infektionsschutzgesetz, das wir durch das Bevöl- (C) und damit Rechtssicherheit für all diejenigen, die den kerungsschutzgesetz geändert haben, haben wir die Impfstoff am dringendsten benötigen. Ansprüche auf die Durchführung der Schutzimpfung (Beifall bei der FDP) geregelt. Das stärkt auch das Vertrauen der Bürgerinnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bürger in diese Impfstrategie. der SPD) Wir haben uns weitgehend an die wissenschaftliche Wir haben genau die Kriterien, die in der gemeinsamen Ausarbeitung der Ständigen Impfkommission gehalten. Empfehlung der Akademie der Wissenschaften, Leopol- Wir alle kennen das doch: In letzter Zeit haben wir viel dina, und der Ständigen Impfkommission enthalten sind, Post von Berufsgruppen bekommen, die meinen, sie auf die Sie sich beziehen, in das Gesetz hineingeschrie- müssten ganz oben auf die Priorisierungsliste. Aber: ben. Jeder Beruf ist wichtig. Es geht hier nicht um die Wich- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tigkeit eines Berufes, sondern es geht darum, Todesfälle Das sind die besonders vulnerablen Gruppen. Es sind und überlastete Intensivstationen zu verhindern. diejenigen, die sich um die besonders vulnerablen Grup- (Beifall bei der FDP) pen kümmern müssen. Es sind die, die für die Daseins- Deswegen ist es eben wichtig, dass wir eine gesetzliche fürsorgefunktionen in unserem Land verantwortlich sind, Regelung haben, die hier in der Öffentlichkeit des Deut- und es sind diejenigen, die für die staatliche Funktions- schen Bundestages besprochen wird. fähigkeit erforderlich sind. Meine Damen und Herren, ein solcher Gesetzgebungs- prozess ist doch das Instrument, das Transparenz und Vizepräsident in Claudia Roth: Akzeptanz in der Bevölkerung schafft; das wollen wir Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder doch alle. Es gibt kein einziges Argument, warum eine -bemerkung aus der FDP-Fraktion? solche wichtige Entscheidung nicht im Parlament getrof- fen werden könnte. Rudolf Henke (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Ja. DIE GRÜNEN) Dr. Wieland Schinnenburg (FDP): Alles, was Sie gestern in der Aktuellen Stunde vorgetra- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr gen haben, sind Ausflüchte. Es ist für Sie halt einfacher, Henke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Es ist hier das Parlament außen vor zu lassen und im Alleingang (B) eigentlich mehr eine Bemerkung. Wir haben es mehrfach (D) selbst zu entscheiden. Aber Gott sei Dank gibt es auch bei im Gesundheitsausschuss schon gesagt: Sie beziehen sich Ihnen wackere Menschen wie Thorsten Frei, der eben- auf § 20i SGB V, der eingefügt wurde. falls ein Impfgesetz gefordert hat. Zunächst mal: Allein das Gesetz müsste Ihnen doch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schon zeigen, dass das keine Priorisierung ist, sondern des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nur eine Anspruchsgrundlage. Das SGB V gewährt Sie hätten längst ein Gesetz vorlegen müssen. Und wie- Ansprüche. Es steht da, dass die Gruppen, die Sie nann- der einmal gehen wir als FDP-Bundestagsfraktion in Vor- ten, einen Anspruch haben. Da ist kein Wort darüber, wie leistung. Wir reden nicht nur. Wir handeln und legen zu verfahren ist. Ihnen hier einen konkreten Gesetzentwurf vor. Ich verspreche Ihnen – dazu würde ich gern Ihren (Beifall bei der FDP) Kommentar hören –, dass die Gerichte das nicht mitma- Ich bin jetzt auf die Diskussion gespannt; denn Sie chen werden. Es wird Menschen geben, die sagen: Ich bin benötigen verdammt gute Argumente gegen das, was krank, oder ich habe ein großes Problem. Ich passe aber die Leopoldina, der Ethikrat und der Wissenschaftliche nicht in irgendeine Priorisierung, die Sie jetzt hier Dienst sagen. gemacht haben. Ich klage mich ein. – Ich verspreche: Es wird Gerichte geben, die per Eilverfahren den Impf- Vielen Dank, meine Damen und Herren. zentren dazwischenfunken. (Beifall bei der FDP) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!) Vizepräsident in Claudia Roth: Sie produzieren auf diese Weise ein Chaos. Warum Vielen Dank, Christine Aschenberg-Dugnus. – Näch- sehen Sie nicht ein: § 20i SGB V ist eine Anspruchs- ster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Rudolf Henke. grundlage, aber keine Priorisierung. Damit kommen Sie (Beifall bei der CDU/CSU) nicht weiter. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Rudolf Henke (CDU/CSU): der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN) Meine Damen und Herren! Liebe Frau Aschenberg- Dugnus, wir haben ein Gesetz. Vizepräsident in Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Henke. 25368 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Rudolf Henke (CDU/CSU): In der Sache vermag ich gar keinen zentralen Unter- (C) Vielen Dank für diese Zwischenbemerkung oder schied zwischen den Regelungsvorschlägen in der Anfrage, Herr Schinnenburg. – Es ist so, dass das Gesetz Rechtsverordnung des Ministers, in den Empfehlungen eine Ermächtigung, eine Befugnis an den Bundesminister der Ständigen Impfkommission, die sich im Augenblick, für Gesundheit enthält, die Einzelheiten in einer Rechts- formal betrachtet, noch immer in einem zweiten Anhö- verordnung zu klären. Jetzt kann man natürlich sagen: rungsverfahren befinden – ich vermute, dass wir in den Ansprüche, die dort formuliert werden, gelten im SGB V nächsten Stunden oder Halbtagen die endgültige Fassung nur für diejenigen, die auch Mitglieder der gesetzlichen erfahren werden –, und dem, was Sie in dem Gesetzent- Krankenkassen sind. – Das ist ja eines der Argumente, wurf vorschlagen, erkennen. Es ist genau die gleiche das Sie nach Lektüre der Bemerkungen aus dem Wissen- Priorisierung. schaftlichen Dienst auch betont haben. Es ist aber mate- riell so, dass jeder, der nicht in der gesetzlichen Kranken- Insofern: Ich will das nicht einen Streit um des Kaisers kasse versichert ist, den gleichen Anspruch wie derjenige Bart nennen, weil es in der Tat um die Rolle des Parla- genießt, der in der gesetzlichen Krankenkasse versichert ments geht. Aber der Unterschied ist der, dass wir sagen: ist. Dafür beteiligt sich die PKV, beteiligen sich andere Wir vertrauen das dem Bundesminister für Gesundheit Finanziers an den Kosten. Aber die Anspruchsgrundlage an, und dann hat das Parlament jederzeit die Möglichkeit, ist in dem Gesetz unterschiedslos geregelt. eine solche Rechtsverordnung durch ein einfaches Gesetz wieder zurückzuholen und außer Kraft zu setzen. Das ist Deswegen hat natürlich die Frage einer anschließenden zu jedem Zeitpunkt möglich. Die parlamentarische Betei- Rechtsverordnung nichts mit einem ungeregelten Bereich ligung ist durch die gestrige Aktuelle Stunde, durch die oder fehlendem Gesetzesauftrag zu tun. Ich weise das heutige Debatte und durch die Möglichkeit, die Verord- zurück. Ich nehme Sie als Zeugen, weil Sie in Ihrem nung jederzeit zurückzuholen, immer gewährleistet. Gesetzentwurf, den wir heute diskutieren, schon für den Zeitpunkt 14 Tage nach der Anwendung Ihres vorge- Sie sagen aber: Wir möchten zurück zum Anfang. schlagenen Gesetzentwurfs eine Verordnungsermächti- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nicht gung in § 6 formuliert haben: nur wir!) (Beifall bei der SPD) – Ja, nicht nur Sie. – Aber die Frage ist, ob das praktisch Das Bundesministerium für Gesundheit wird ist, ob das pragmatisch ist. Ich habe deswegen Zweifel ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustim- daran, weil es nur unter der Voraussetzung zu Impfungen mung des Bundestages das Verfahren der Impfstoff- kommt, dass die EMA und die Europäische Kommission zuteilung zu regeln, die Risiko- und Indikations- den Impfstoff zulassen. Es ist nicht bewiesen, dass es so (B) gruppen nach § 3, auch im Hinblick auf die sein wird. Denklogisch ist es möglich, dass die EMA und (D) besonderen Belange von Menschen mit Behinde- die Europäische Kommission sagen: Das dauert noch rung sowie pflegender Angehöriger, zu konkretisie- etwas. – Dann ist auch noch die Freigabe der Chargen ren sowie im Falle neuer wissenschaftlicher durch das PEI notwendig. Es ist auch noch nicht bewie- Erkenntnisse ... sen, dass die kommt, und es ist auch nicht bewiesen, dass sie für jede der Chargen kommt. Dann: diese neuen Erkenntnisse dann zu interpretieren und auszulegen. Aber wenn das alles so passiert, wie wir uns das wün- Wenn Sie das verfassungsrechtlich für möglich halten, schen, dann wird das Impfen am 27. Dezember starten. dann ist der Streit, den wir jetzt haben, kein prinzipieller Deswegen ist gar keine Zeit, um das, was Sie vorschla- verfassungsrechtlicher Streit, sondern das ist ein Streit – gen, überhaupt noch zu realisieren. ich konzediere, dass ich das nachvollziehen kann, dass (Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Weil Sie das okay ist und dass das auch mit Blick auf parlamenta- nichts gemacht haben! – Christine rische Gepflogenheiten normal ist – um Zweckmäßigkei- Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie haben dafür ten. gesorgt mit Ihrer Untätigkeit! Das ist eine Es geht dann aber nicht um die verfassungsrechtliche Frechheit!) Grundlage; Wir haben gestern im Gesundheitsausschuss alle gemein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sam beschlossen, dass es zu Ihrem Gesetzentwurf am der SPD) 13. Januar eine parlamentarische Anhörung geben wird. denn wenn in unserem Fall die verfassungsrechtliche (Lachen des Abg. Michael Theurer [FDP]) Grundlage für eine Befugnis für den Bundesminister für Gesundheit fehlen sollte, dann müsste sie auch in Ihrem Danach kann dann erst die Meinungsbildung erfolgen. Fall fehlen, und dann müsste auch jede Konkretisierung (Michael Theurer [FDP]: Ja, ja!) als Parlamentsgesetz verabschiedet werden. Gesetzt den Fall, Sie würden sich mit dem Entwurf (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) durchsetzen, dann könnte der Bundesrat erst in seiner Insofern glaube ich, dass wir ein bisschen runterdimmen Sitzung im Februar darüber entscheiden. können. (Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Genau des- (Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Jetzt ist die wegen haben wir das Gesetz beschlossen! Das Redezeit aber um!) ist doch Heuchelei!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25369

Rudolf Henke (A) Wem wollen Sie denn erklären, dass wir bis zu diesem es doch gar nicht! Schon im dritten Satz Lügen (C) Zeitpunkt der Beseitigung Ihrer verfassungsrechtlichen verbreiten!) Bedenken warten sollen, bis wir mit der Impfkampagne System- und pandemierelevante Gruppen wie zum starten? Beispiel medizinische Kräfte, Polizei, Rettungskräfte, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bundeswehr und Pflegekräfte sollten natürlich absolut Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So was freiwillig zuerst geimpft werden, genauso wie auch unse- kann nur die Opposition!) re Bundesregierung. Die sollten hier mit gesundem und Das ist wirklich eine Art von Verfahrenskultur, die wir mit gutem Beispiel vorangehen. Wir werden Sie in den nicht mittragen können. Deswegen bitte ich herzlich um nächsten Wochen beobachten. Verständnis dafür, (Beifall bei der AfD) (Michael Theurer [FDP]: Dafür tragen Sie die Nach unserem AfD-Rastermanagement, welches wir Verantwortung! Sie haben monatelang Zeit mehrfach auch schon im Februar hier im Plenum vorge- verstreichen lassen, ohne dem Parlament einen stellt hatten, fordern wir immer den Schutz der Risiko- Gesetzentwurf vorzulegen! Das ist ein Versa- gruppen mit Maßnahmen wie angemessener Isolierung, gen der Bundesregierung und der regierungs- Social Distancing und FFP2-Masken. Statt ohne Not die tragenden Fraktionen!) Risikogruppen zu impfen, die wohl am meisten mit den dass wir auf der Basis des Bevölkerungsschutzgesetzes, Nebenwirkungen zu kämpfen haben, des geänderten Infektionsschutzgesetzes und der zu (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE erwartenden Rechtsverordnung des Bundesministers für GRÜNEN]: Woher wissen Sie das denn?) Gesundheit, die auch extra zurückgestellt worden ist, bis präferieren wir die von uns bereits benannten systemre- diese Debatte und die von gestern gelaufen sind und bis levanten Gruppen. die STIKO-Empfehlung angepasst ist, agieren wollen. Ich bitte Sie herzlich um Verständnis dafür, dass ich Sie Zusätzlich geht in Deutschland die Impfbereitschaft bitte, das dann auch zu unterstützen. massiv zurück. Aber warum ist das so? Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Weil Sie hier Unsinn verbreiten!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist hier die entscheidende Frage. Vizepräsident in Claudia Roth: (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wegen Ihrer Propaganda!) (B) Vielen Dank, Rudolf Henke. – Nächster Redner: für (D) die AfD-Fraktion Dr. Robby Schlund. Weil die Menschen das Vertrauen in die Bundesregierung (Beifall bei der AfD) und ihre Hauruckmaßnahmen verloren haben. (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- Dr. Robby Schlund (AfD): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie lauter Lügen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe verbreiten!) Fernsehzuschauer! Ich möchte vielleicht erst einmal ein Statt Rastermanagement proklamieren Sie hier ein paar Worte an die Kollegen richten und nach den Erfah- sogenanntes Clustermanagement, was nicht nur wahnsin- rungen der letzten Wochen einfach bitten, zuzuhören, nig teuer ist – 5 Milliarden Euro pro Woche! –, sondern nicht gleich herumzuschreien und hineinzuquatschen auch unseren kompletten Mittelstand demontiert und (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das letztendlich nichts gebracht hat außer ein riesiges Chaos. sagt der Richtige!) (Beifall bei der AfD) oder vielleicht wegen der Emotionen aus Versehen die Lediglich 37 Prozent der Menschen haben noch Ver- Einrichtung zu demolieren wie gestern. trauen in die Politik, und dieser Entwurf trägt nicht dazu Ich möchte Ihnen eines zuerst sagen: Ich bin grund- bei, das Vertrauen zurückzugewinnen. Genauso wenig sätzlich kein Impfgegner, ich bin aber gegen die Impfin- trägt ein genbasierter mRNA-Impfstoff szenierung, die Sie schon seit Wochen betreiben und die (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schon fast grotesk ist, wenn es nicht so traurig wäre. Boah!) (Beifall bei der AfD) dazu bei, wenn man keine Alternativen anbietet. Was ist Kritisch ist auch, dass dieser Gesetzentwurf vorsieht, zum Beispiel mit den Vektorimpfstoffen oder Totimpfs- dass vor allem ältere Patienten oder Hochrisikopatienten toffen? Hier liegt eine sehr gute Langzeiterfahrung vor, zuerst geimpft werden sollen. Das halten wir, ehrlich und in der Welt wurden schon einige zugelassen, zum gesagt, für komplett falsch und nicht zielführend, da in Beispiel in China dieser Gruppe mit den stärksten Nebenwirkungen des hochexperimentellen mRNA-Impfstoffes zu rechnen ist. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in Russland?) (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das gibt es doch nicht! – Steffi Lemke [BÜND- oder die beiden russischen Impfstoffe NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch schon (Lachen bei der SPD, der FDP und dem wieder gelogen, was Sie da erzählen! Das gibt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kordula 25370 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Robby Schlund (A) Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE (C) In Russland, genau!) GRÜNEN]: Das sagt doch auch niemand!) Sputnik V und EpiVacCorona. Zweifellos ist die Frage, wer zuerst geimpft werden kann, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, elementar und auch grundrechtsrelevant. Ich bin aber genau! Sputnik V als Lösung der Impfstrategie! davon überzeugt, dass der Weg, den wir hier eingeschla- Wo leben Sie eigentlich? Fangen Sie mal an, zu gen haben, nach wie vor der richtige ist. impfen, und zwar mit sich! Viel Spaß mit Sput- Der vorgelegte Entwurf der FDP zeigt, dass ein weite- nik!) res Gesetzgebungsverfahren zu keinem wesentlichen Wie sieht es hier mit der wissenschaftlichen Zusam- anderen Ergebnis bezüglich der Priorisierung kommt als menarbeit aus? Leider Fehlanzeige. Irgendwie wird das die Grundsätze, die wir im Dritten Bevölkerungsschutz- Ganze den Geruch nicht los, dass es hier einzig und allein gesetz bereits festgelegt haben. um Lobbyismus geht, und da macht auch der FDP-Ge- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Und setzentwurf keine Ausnahme. das verstehen Sie unter Parlamentarismus, (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- nicht?) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann er ja nach Diese sind der Schutz der vulnerablen Gruppen, der Russland fahren und sich da impfen lassen! – Schutz derer, die diese pflegen, betreuen und behandeln, Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht zu und der Schutz von Personen in den besonderen zentralen fassen!) Dienstleistungsbereichen. Genau das findet sich auch Man hat echt das Gefühl, man bekommt hier nur ausdifferenziert im Entwurf der Rechtsverordnung wie- Absinth, obwohl weltweit noch grüner Tee und Glühwein der, der auf wissenschaftlichen, epidemiologischen und zur Verfügung stehen. Ihnen allen schöne Weihnachten, ethischen Erkenntnissen basiert. und denken Sie einfach in der Weihnachtszeit einmal darüber nach, was ich Ihnen gesagt habe! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nee! Bei Ihnen haben ja auch alle Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur eine Grippe in der Fraktion! Auch wenn sie sieht ja ebenso die Rechtsverordnung für notwendige im Krankenhaus liegen! – Michael Theurer weitergehende Anpassungen und Ausgestaltung vor. [FDP]: Sie haben vielleicht auch zu viel Also scheint das auch in Ihren Augen ein passendes Absinth getrunken!) Instrument zu sein, um flexibel und schnell reagieren zu (B) können. (D) Vizepräsident in Claudia Roth: (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Mit Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Sabine Zustimmung des Bundestages!) Dittmar. Meine Damen und Herren, schnelles Handeln ist ange- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Andrea sichts der Infektionsdynamik – fast 30 000 Neuinfektio- Lindholz [CDU/CSU] – Andrea Lindholz nen, gestern fast 1 000 Todesfälle, heute fast 700 Todes- [CDU/CSU]: Sabine, sag was Gescheites!) fälle – dringend angesagt. Mit dem von der Koalition gewählten Weg können wir noch in diesem Jahr mit den angekündigten und erfreulicherweise bereitgestellten Sabine Dittmar (SPD): 400 000 Impfdosen beginnen. Mit dem von der FDP vor- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und geschlagenen Verfahren würden wir mit dem Impfen frü- Kollegen! Nach der Aktuellen Stunde gestern befassen hestens im Februar anfangen. wir uns heute erneut mit der Priorisierung der Covid- 19-Impfung in Deutschland. In den letzten beiden Sitz- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Weil ungen des Gesundheitsausschusses haben wir sehr aus- Sie uns nicht beteiligt haben!) führlich mit dem Gesundheitsminister, mit dem Robert- Koch-Institut, aber auch mit der Ständigen Impfkommis- Ich, meine Damen und Herren, hoffe, dass wir zu diesem sion die aktuellen Empfehlungen rund um die Impfstrate- Zeitpunkt dann bereits 1,5 Millionen Menschen mit bei- gie beraten. Als Parlament haben wir im Dritten Bevöl- den Impfungen versorgt haben werden. kerungsschutzgesetz die grundsätzlichen Vorgaben für (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Weil die Ausrichtung der Impfpriorisierung in der ersten Phase Sie nicht vorausschauend handeln!) erarbeitet. Kolleginnen und Kollegen, unter Berücksichtigung der Im Übrigen, Frau Aschenberg-Dugnus, war die von genannten Aspekte – Leitplanken für die Priorisierung Ihnen zitierte Forderung der Leopoldina und auch der sind bereits gesetzgeberisch vorgegeben, ein weiteres Ethikkommission Grundlage dieser Formulierung. gesetzgeberisches Verfahren bringt keine neuen Erkennt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nisse, und mit einer Rechtsverordnung ist ein schnelles CDU/CSU) und flexibles Agieren möglich – ist eine weitere gesetz- geberische Befassung nach meiner Meinung nicht not- Hier von einer Umgehung des Parlaments, von einem wendig. Hauruckverfahren oder von Geheimniskrämerei zu spre- chen, verkennt meiner Meinung nach die Realität. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25371

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: Sie müssten mindestens das Dritte Bevölkerungsschutz- (C) Vielen Dank, Sabine Dittmar. – Nächster Redner: für gesetz nachbessern, um nicht vor dem Verfassungsgericht die Fraktion Die Linke Dr. Achim Kessler. baden zu gehen; denn Inhalt, Ausmaß und Zweck der erteilten Ermächtigung zur Verordnung müssen im förm- (Beifall bei der LINKEN) lichen Gesetz hinreichend bestimmt sein. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Achim Kessler (DIE LINKE): Die Linke hat deshalb einen Antrag eingebracht, nach Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und dem die Bundesregierung dem Bundestag eine Impfstra- Herren! Auch mit zugelassenen und wirksamen Impfstof- tegie nebst Priorisierung zur Beratung und Entscheidung fen werden weiterhin Maßnahmen zur Pandemiebekämp- vorlegen soll. Wir freuen uns, dass die FDP anstelle der fung nötig sein – darüber sind wir uns fast alle einig –; Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf unserem An- trag entspricht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Lachen bei Abgeordneten der FDP) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir erkennen ausdrücklich an, dass die FDP damit ver- sucht, der Bundesregierung auf die Sprünge zu helfen. denn die Impfstoffe werden noch lange nicht für alle (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Menschen zur Verfügung stehen. Deshalb ist eine Priori- neten der FDP) sierung, das heißt die Festlegung einer Reihenfolge bei den Impfungen, unumgänglich, und das ist mit schwie- Aber dass Geflüchtete in Massenunterkünften, dass Woh- rigsten ethischen Fragen verbunden; denn die Festlegung, nungslose und Menschen, die in Schlachthöfen arbeiten, welche Bevölkerungsgruppen zuerst geimpft werden sol- die allesamt ein sehr, sehr hohes Infektionsrisiko haben, len, kann möglicherweise viele Menschenleben kosten, bei Ihrer Priorisierung nicht angemessen berücksichtigt wenn Impfungen für bestimmte Risikogruppen unterlas- sind, kritisieren wir scharf. Deshalb werden wir Ihrem sen oder erst verspätet ermöglicht werden. Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vor diesem ernsten Hintergrund ist es vollkommen unverständlich, dass die Bundesregierung beschlossen (Beifall bei der LINKEN) hat, diese schwerwiegende ethische Frage alleine zu beantworten und auch zu verantworten. Ich fürchte, Vizepräsident in Claudia Roth: dass Herr Spahn das noch bitter bereuen wird. (B) Vielen Dank, Dr. Kessler. – Nächste Rednerin: für (D) Bündnis 90/Die Grünen Kordula Schulz-Asche. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, eine Coronaimpfverord- nung reicht keineswegs aus, um schwerwiegende Ent- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- scheidungen ausreichend zu legitimieren. Auch der Wis- NEN): senschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kommt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Covid-19 in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine gesetz- betrifft uns alle – in diesem Jahr und wahrscheinlich auch liche Regelung durch den Bundestag zwingend erforder- im nächsten Jahr. Die Folgen sind verheerend – weltweit lich ist. Mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz und in gesundheitlicher, in sozialer und wahrscheinlich haben Sie es zwar dem Bundesgesundheitsministerium auch in politischer Hinsicht. Deswegen ist die Entwick- ermöglicht, den Anspruch auf Impfungen zu regeln; lung der Impfstoffe so wichtig für den Schutz der Bevöl- aber im Gesetz wurde eine Priorisierung nicht genau aus- kerung, für die Sicherheit der Bevölkerung. Ich bin mir geführt, sondern nur angedeutet. Deshalb hat vor dem sicher, dass alle demokratischen Mitglieder dieses Hau- Gesetz auch weiterhin grundsätzlich jeder Bürger und ses froh sind, dass wir durch gemeinsame, gemeinschaft- jede Bürgerin denselben Anspruch auf Impfung. Die liche Anstrengung bald mit den Impfungen beginnen Bundesregierung riskiert deshalb, dass ihre Rechtsver- können. ordnung von den Gerichten gekippt wird. Und das, meine Damen und Herren, ist verantwortungslos, weil es die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Impfungen verzögern kann. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Da anfangs nur wenige Impfstoffe zur Verfügung ste- Herr Henke, wenn Sie sich jetzt hierhinstellen und hen werden, ist es umso wichtiger, dass wir eine faire und sagen, eine gesetzliche Regelung sei nicht möglich, gerechte Verteilung hinbekommen, die nachvollziehbar weil das zu lange dauern würde, dann möchte ich Ihnen und einheitlich ist. Nun behauptet Minister Spahn, wir einmal sagen: Wir haben allen Fristverkürzungen zuge- hätten dafür eine Rechtsgrundlage und eine Verordnung stimmt, und es ist nachgerade eine Unverschämtheit, jetzt der Bundesregierung würde reichen. Aber ich frage Sie: hier Zeitgründe anzuführen. Ist das wirklich so? Ich sage: Nein; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und bei der FDP – Christine Aschenberg- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dugnus [FDP]: Sagen wir auch!) 25372 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Kordula Schulz-Asche (A) denn als Rechtfertigung beruft sich Spahn im Kern auf besondere die Intensivstationen stehen heute an ihrer (C) § 20i Absatz 3 des SGB V. Dort geht es nicht etwa um den Belastungsgrenze. Viele Häuser mussten in den vergan- Zugang zur Impfung, sondern es geht um die Kostener- genen Tagen bereits Patienten abweisen. stattung der Impfung. Damit fehlt die rechtliche Grund- Wir dürfen es nicht zulassen, dass unser Gesundheits- lage für die Priorisierung der Impfstoffverteilung. system unter der Last der zahlreich schwer erkrankten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Coronapatienten zusammenbricht. Genau aus diesem und bei der FDP) Grund mussten wir die Maßnahmen zu Beginn dieser Woche noch einmal massiv verschärfen. Das strikte Die begrenzte Verfügbarkeit eines Impfstoffes in Ver- Reduzieren von Kontakten und die konsequente Umset- bindung mit einer lebensbedrohlichen Infektion ist aus zung der erweiterten AHA-Regeln bleiben auf absehbare unserer Sicht grundrechtsrelevant. Das zeigt sich übri- Zeit unsere wirksamste Waffe gegen das Virus. gens auch im Ergebnis der Anhörung zum Dritten Bevöl- kerungsschutzgesetz sowie in den Empfehlungen der Doch es gibt Hoffnung. Ich möchte an dieser Stelle Leopoldina, des Ethikrates und der STIKO. Eine klare noch nicht von einem sprichwörtlichen Licht am Ende Rechtsgrundlage ist auch nötig, um die Arbeit der Ärztin- des Tunnels sprechen – so weit sind wir noch nicht –; nen und Ärzte und ihrer Teams zu erleichtern, die in den aber mit dem ersten bald zur Verfügung stehenden Impf- nächsten Tagen in den Impfzentren zu impfen beginnen, stoff haben wir dem Virus endlich etwas Wirkungsvolles und um sie nicht alleinzulassen. entgegenzusetzen. Bis eine ausreichende Anzahl von Menschen die Impfung erhalten hat, ist es trotzdem Der Gesetzentwurf der FDP ist ein richtiger und wich- noch ein sehr langer Weg. Die gute Nachricht aber ist: tiger Vorschlag. Auch wenn wir daran im Detail einiges Nach den vorliegenden Daten verhindert eine Impfung in kritisieren, ist er auf jeden Fall besser als keine Rechts- der überwiegenden Zahl der Fälle schwere und tödliche grundlage. Deswegen geht mein ausdrücklicher Dank an Krankheitsverläufe. Deshalb halte ich es auch für wich- die Kolleginnen und Kollegen von der FDP. tig, hier im Deutschen Bundestag noch einmal klar zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen: Nehmen Sie das Angebot auch wahr und lassen und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Sie sich gegen das Virus impfen! LINKEN) (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, in einer Krise – die Coro- Die Impfung wurde in den klinischen Studien von allen napandemie ist eine Krise – ist der Schutz der Rechte von 43 000 Testpersonen gut vertragen. Schwerwiegende Bürgerinnen und Bürgern gerade in einer Demokratie Nebenwirkungen traten nicht auf. Es ist ein historischer zentral. Um ihn sicherzustellen, gibt es die gewählten Durchbruch, dass Forscher aus Deutschland innerhalb so (B) Parlamente. Lassen Sie uns gemeinsam für eine sichere kurzer Zeit eine Waffe gegen die zerstörerische Pandemie (D) Rechtsgrundlage sorgen, damit die Priorisierung bei der entwickelt haben. Dieser Impfstoff, meine Damen und Impfung tatsächlich auf einer guten Grundlage steht und Herren, wird Leben retten. Ich möchte an dieser Stelle wir schnell und sicher durch diese Krise kommen. Dies noch einmal betonen, dass in Großbritannien und in den gelingt, indem wir möglichst viele Menschen impfen Vereinigten Staaten der Impfstoff nur auf dem Wege einer können und eine gute Immunisierung der Bevölkerung Notfallzulassung genehmigt worden ist. Die Zulassung erreichen. Wir sind auf einem guten Weg, aber lassen des Impfstoffs durch unsere europäischen Behörden Sie uns diesen auch rechtssicher gestalten. wird damit die erste reguläre Zulassung sein. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. Das Bundesministerium für Gesundheit hat der Ständi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen Impfkommission am Robert-Koch-Institut geboten, und bei der FDP) gemeinsam mit Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und des Deutschen Ethik- rates Kriterien für eine Priorisierung von Covid-19- Vizepräsident in Claudia Roth: Impfstoffen vorzuschlagen. Uns wird vonseiten der Vielen Dank, Kordula Schulz-Asche. – Nächster Red- Opposition immer wieder vorgeworfen, man müsse die ner für die CDU/CSU-Fraktion: Stephan Pilsinger. Priorisierung in einem Bundesgesetz regeln. Aber – das (Beifall bei der CDU/CSU) sage ich Ihnen ganz offen – kein Gesetzgeber kann in einer so sensiblen Fragestellung fundiertere Empfehlun- gen aussprechen als die Wissenschaft und ein Gremium Stephan Pilsinger (CDU/CSU): wie der Ethikrat. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Allein in Deutschland sind dem Coronavirus vorgestern über 950 Vizepräsident in Claudia Roth: Menschen zum Opfer gefallen – an einem einzigen Tag. Über 4 800 Menschen kämpfen aktuell auf unseren Inten- Kommen Sie zum Schluss, bitte. sivstationen um ihr Leben. Vielerorts mochte man in den vergangenen Tagen trotzdem nicht auf den geselligen Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Glühwein inmitten der belebten Einkaufsstraßen verzich- Sobald die Impfungen starten, sind die drei Institutio- ten. Auch deshalb infizieren sich aktuell trotz mehrwö- nen zudem aufgerufen, die Effekte der ersten Impfphase chigen Teil-Lockdowns immer mehr Menschen mit dem auf die Pandemie herauszuarbeiten, sowohl in Bezug auf Virus, leider auch immer mehr ältere Menschen und die epidemiologischen als auch in Bezug auf die ethi- Menschen aus Risikogruppen. Unsere Kliniken und ins- schen Implikationen. Durch diese Maßnahmen schaffen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25373

Stephan Pilsinger (A) wir die nötigen Voraussetzungen dafür, dass die knappen Wir gehen jetzt sehr direkt und pragmatisch und vor (C) Impfstoffe sinnvoll und zum Schutz der besonders betrof- allen Dingen für die Bevölkerung nachvollziehbar trans- fenen Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werden, auch parent in diese neue Phase zur Bewältigung der Pande- ohne ein entsprechendes Gesetz. Das ist richtig. Deswe- mie. Das erhöht unsere Glaubwürdigkeit, und das ist doch gen bitte ich darum, die Bundesregierung in ihrem bisher die Sicherheit, die die Bevölkerung jetzt braucht. stattgehabten Verfahren zu unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. der CDU/CSU – Abg. Michael Theurer [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich bin überzeugt, dass wir in ein paar Wochen –

Vizepräsident in Claudia Roth: Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Stephan Pilsinger. – Nächste Rednerin: Frau Kollegin. für die SPD-Fraktion Hilde Mattheis. (Beifall bei der SPD) Hilde Mattheis (SPD): – hier noch mal diskutieren werden müssen, wie denn der Stand – Hilde Mattheis (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben, glaube ich, in den letzten Debatten alle hier Vizepräsident in Claudia Roth: im Haus – von der rechten Seite abgesehen – gezeigt, dass Frau Kollegin, Entschuldigung, aber gestatten Sie eine uns die Wahrung von Grundrechten fundamental wichtig Zwischenfrage? ist. Das haben wir in allen Debatten herausgestellt. Des- halb ist jetzt in meinen Augen nicht der entscheidende Hilde Mattheis (SPD): Punkt, zu beweisen, dass wir weiterhin die Grundrechte Nein. wahren, sondern dass wir einen gangbaren Weg wählen, der die Erwartungen der Bevölkerung sehr schnell erfüllt. Vizepräsident in Claudia Roth: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nein. Wir alle sind froh, dass wir nach langen Monaten und aufwendigen Verfahren jetzt Impfstoffe zur Verfügung Hilde Mattheis (SPD): (B) haben. Ich habe hier die Gutachten dabei: Egal welches – der Erkenntnisse sein wird. Das machen wir in unse- (D) es ist – die Priorisierung ist für uns alle klar. Das haben rer Verantwortung als Parlamentarierinnen und Parla- wir in § 20i Absatz 3 SGB V genau so formuliert. Erst mentarier. kommen diejenigen, die am gefährdetsten sind, und dann Ich berufe mich jetzt noch mal darauf – das steht übri- schichten wir ab, bis die ganz normale Bevölkerung – so gens auch so in Ihrer Gesetzesvorlage –, wie die wie Sie, Herr Theurer, und wie ich – ebenfalls an diesen Abschichtung sein soll. Das geschieht alles in Überein- Impfstoff kommt. stimmung sowohl mit der Impfstrategie aus dem Haus Das ist richtig so. Warum? Weil wir nämlich eine und der Impfstrategie, die uns die Leopoldina vorschlägt, Knappheit haben und mit den Ressourcen gut umgehen als auch mit allen anderen Sachverständigen. Da stimmen müssen. wir ja völlig überein. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das (Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Was ist mit stellen wir doch gar nicht infrage!) Menschen mit Behinderung?) Also bitte ich Sie: Machen Sie doch das, was jetzt nach Von daher sage ich: Wir sind uns einig. Wir müssen der Verordnung notwendig ist: die Umsetzung dessen, diesen Impfstoff, der zur Verfügung steht, zunächst ein- was wir alle wollen! mal an die Bevölkerungsgruppen verimpfen, die am gefährdetsten sind. In einem Punkt würde ich Sie gerne kritisieren. Das mache ich auch abschließend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident in Claudia Roth: Was jetzt die gesetzliche Verankerung anbelangt, ist Das machen Sie aber nur ganz ratzfatz, schnell. das – es wurde schon gesagt – ein Stück weit eine Debatte um des Kaisers Bart. Wir werden in drei Monaten wieder eine andere Situation haben als jetzt. Wir haben immer Hilde Mattheis (SPD): gesagt: Wir sind in einem lernenden Verfahren. Sogar der Das Gesetz hat zum Ziel, die Impfverteilung so fair wie Wissenschaftliche Dienst sagt – und da bitte ich Sie, dass möglich zu organisieren. Für mich heißt das: Die Impf- Sie, wenn Sie sich schon darauf berufen, auch dies zitie- strategie muss so solidarisch wie möglich umgesetzt wer- ren –: Eine gesetzliche Regelung könnte insofern von den. kurzer Haltbarkeit sein. Vielen Dank. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie unseren § 6 gelesen?) der CDU/CSU) 25374 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: Dr. Claudia Schmidtke (CDU/CSU): (C) Vielen Dank, Hilde Mattheis. – Die letzte Rednerin in Nein. – Die Impfung ist keine Pflicht, sie ist ein Recht dieser Aussprache: Dr. Claudia Schmidtke für die CDU/ und eine Chance für uns alle. Mit ihrer Wahrnehmung ist CSU-Fraktion. auch ein moralisches Moment verbunden. Der Zuspruch und die Hilfsbereitschaft in den Impfzentren sind in mei- (Beifall bei der CDU/CSU) nem Umfeld sehr groß. Gleichwohl möchte ich die Gelegenheit nutzen, insbe- Dr. Claudia Schmidtke (CDU/CSU): sondere die noch skeptischen Mitarbeiterinnen und Mit- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und arbeiter im Gesundheitswesen zu motivieren. Die Bun- Kolleginnen! Ein perfider Aspekt dieser Pandemie ist desregierung und die Institute haben ihren Beitrag das Unbekannte. Wir, die heute politische Verantwortung geleistet, um ein einwandfreies, ein reguläres Zulas- tragen, das Gesundheitswesen, die kritische Öffentlich- sungsverfahren zu ermöglichen. Jetzt sollten alle, die keit, auch die Medien – wir alle müssen mit einer für uns gerade im medizinischen Bereich um die Bedeutung wis- nie dagewesenen Herausforderung umgehen. senschaftlicher Evidenz wissen, diese Gelegenheit auch (Beifall bei der CDU/CSU) wahrnehmen. Täglich wird neu hinzugelernt. Immer wieder müssen Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, gerade in Entscheidungen getroffen werden, die nach einer gewis- diesen düsteren Tagen sehen wir Licht. Wir benötigen senhaften Abwägung der möglichen Vor- und Nachteile jedoch noch Geduld, bevor wir es erreichen. Die nächsten trotzdem umstritten bleiben. Auch bei der ersehnten Imp- Monate werden schwer. Uns wird weiterhin viel Disziplin fung müssen wir abwägen; denn wir haben auch hier im Alltag abverlangt. Den digitalen Schwung müssen wir momentan nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung. weiter nutzen. Wir müssen in digitale Bildung investie- ren, aber auch in die digitale Ertüchtigung der Gesund- Vor diesem Hintergrund ist es fast verständlich, dass heitsämter, sodass Nachverfolgungen einfacher und we- die Opposition auch diese Gelegenheit für Kritik nutzt. niger aufwendig werden, beispielsweise mit dem von Und man muss ja anerkennen, dass Sie in diesem Fall Helmholtz entwickelten SORMAS-Programm. schon konstruktiver geworden sind. Denn die Impfungen sind nur eine Säule. Mit der Ver- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ordnung des Bundesgesundheitsministers sind sie auf – Abwarten! – Während die FDP-Fraktion im Sommer dem besten Weg. überhaupt keine nationale pandemische Gefahr mehr sah, Erlauben Sie mir – diese Zeit habe ich noch – ein (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Es geht letztes Wort an die antragstellenden Kolleginnen und (B) um die pandemische Lage! Das ist ein Unter- Kollegen der FDP. Ich musste es mehrfach lesen, weil (D) schied!) ich das gar nicht so richtig glauben konnte. Ich zitiere aus einem Interview eines Mitglieds Ihrer Fraktion: Die hat sie nun nur noch den Wunsch, dass die Impfreihen- Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums gehör- folge nicht über eine Verordnung auf Grundlage des von ten – Zitat – „jetzt nicht ins Homeoffice oder in den uns hier verabschiedeten Infektionsschutzgesetzes, son- Urlaub, sondern an ihre Schreibtische“. dern mit einem eigenen Gesetz geregelt wird. Meine Damen und Herren, die sprachliche Gleichset- Wir sind davon überzeugt, dass eine Verordnung der zung von Homeoffice und Urlaub mal beiseite; sie zeugt bessere Weg ist, weil sie schneller ist, weil wir bereits schon davon, wie wenig Sie tatsächlich von der Lebens- ausführlich die gesetzliche Grundlage besprochen und realität der Menschen verstanden haben. Doch ausge- geschaffen haben, aber auch weil sie besser geeignet ist, rechnet den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bun- den Empfehlungen der STIKO, der Leopoldina und des desgesundheitsministerium Untätigkeit zu unterstellen, Ethikrates, die ausdrücklich mit weiteren Erkenntnissen die sich in diesem Jahr Tag und Nacht für die Bekämp- über die zugelassenen Impfstoffe weiterentwickelt wer- fung dieses Virus einsetzen, statt nur schlaue Interviews den, zu entsprechen. Das erkennen Sie – Herr Henke hat zu geben – für eine solche Bemerkung sollten Sie sich es gesagt – in Ihrem Gesetzentwurf auch an, indem Sie schämen. aus diesem Grund weitere Verordnungen zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Im Ergebnis ist das, was Sie heute vorlegen, eine for- male Frage, die den realen Problemen, vor denen wir stehen, nicht gerecht wird. Wir sollten heute nicht darüber Vizepräsident in Claudia Roth: hadern, welche Überschrift wir über die Impfreihenfolge Vielen Dank, Dr. Claudia Schmidtke. – Ich gebe jetzt setzen; wir sollten vielmehr dafür werben, sich auch imp- das Wort für eine Kurzintervention Dr. Manuela fen zu lassen. Rottmann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Es geht NEN): um die Verfassungsmäßigkeit!) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir sind am Ende eines Jahres, und ich will Ihnen ehrlich sagen: Ich bin Vizepräsident in Claudia Roth: etwas erschöpft vom immer gleichen Kampf. Das ist Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Kampf gegen die Aussage, dass es hier einen Konflikt Frau Dr. Rottmann? zwischen schnell und rechtssicher oder zwischen schnell Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25375

Dr. Manuela Rottmann (A) und verfassungskonform gebe. Diesen Konflikt gibt es 13 a) – Zweite und dritte Beratung des von der (C) nicht, wenn wir den Satz „There is no glory in preven- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs tion“ auch mal aufs Recht anwenden und einfach recht- eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung zeitig anfangen, uns Gedanken zu machen. des Restschuldbefreiungsverfahrens (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksachen 19/21981, 19/22773, und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der 19/23054 Nr. 4 LINKEN) – Zweite und dritte Beratung des von den Ich will es in einem Punkt zusammenfassen: Auf Ihrer Abgeordneten Dr. Manuela Rottmann, Rechtsgrundlage können Sie keinem der 143 000 Men- Katharina Dröge, Dieter Janecek, weite- schen in Deutschland, die keine Krankenversicherung ren Abgeordneten und der Fraktion haben, erklären, welchen Zugang er zu diesem Impfstoff BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- hat. Das heißt, es ist ein konkretes rechtliches Problem. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur insolvenzrechtlichen Abmilderung der Wir haben in den letzten Monaten so viel gearbeitet, Folgen der COVID-19-Pandemie um Ihnen bei der Lösung Ihrer rechtlichen Probleme zu (COVID-19-Insolvenzfolgen-Abmilde- helfen. Sie hätten keine Rechtsgrundlage für die Bekämp- rungsgesetz) fung der zweiten Welle der Pandemie, wenn wir Sie nicht Drucksache 19/18681 immer wieder gebeten hätten, darauf zu achten, dass das Parlament mitarbeiten muss. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (6. Ausschuss) und bei der FDP) Drucksachen 19/25251, 19/25322 Genauso ist es hier, genauso ist es bei der schlimmen Frage der Triage. Also Schluss mit diesem Konflikt! Den b) Beratung des Antrags der Abgeordneten gibt es nicht. Es ist wirklich ein konstruktiver Vorschlag Amira Mohamed Ali, Dr. André Hahn, Doris der FDP, über den man streiten kann. Aber zu sagen, die Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der FDP sei daran schuld, dass der jetzt erst reinkommt, das Fraktion DIE LINKE bedeutet nun wirklich, den Finger in die ganz falsche Soziale Schuldner- und Insolvenzberatung Richtung zu wenden. Das ist nämlich eine Aufgabe, die umgehend in ganz Deutschland stärken die Koalition längst hätte erledigen können. (B) Drucksache 19/25256 (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten bei der FDP und der LINKEN) Katharina Willkomm, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Vizepräsident in Claudia Roth: FDP Vielen Dank, Manuela Rottmann. – Frau Für schnelle Rechtsklarheit in der Corona- Dr. Schmidtke. Krise, gegen einseitige Lastenverteilungen im Gewerbemietrecht Dr. Claudia Schmidtke (CDU/CSU): Drucksache 19/25318 Vielen Dank. – Wir haben ja in der Tat in dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz die Regelungen getroffen. Die ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Amira Basis ist da, und auf dieser Basis arbeiten wir. Mohamed Ali, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie ist LINKE gerade nicht da!) Verbraucherrechte in der Corona-Krise stär- Vielen Dank. ken (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Drucksache 19/25257 der SPD) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Ent- Vizepräsident in Claudia Roth: schließungsantrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grü- Damit schließe ich die Aussprache. nen vor. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, auf Drucksache 19/25260 an die in der Tagesordnung Platz zu nehmen. aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Uns liegen kei- ne weiteren Vorschläge vor. – Dann wird genau so vor- Ich gebe dem ersten Redner das Wort; das ist gegangen. Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b sowie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: der CDU/CSU) 25376 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Dr. Johannes Fechner (SPD): möchte nur einen Punkt herausgreifen, weil wir ja gerade (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in der Coronakrise befürchten müssen, dass Schuldnerin- Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Gewerbe- nen und Schuldner in Schwierigkeiten geraten. Da will mieterinnen und Gewerbemieter und liebe Schuldne- ich schon ganz klar sagen: Jeder Bürger hat eine zweite rinnen und Schuldner! Die Coronamaßnahmen der Chance verdient. Bundesländer, die die Ministerpräsidenten auf der Minis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) terpräsidentenkonferenz abgesprochen haben, sind unbe- stritten notwendig. Die Infektionszahlen und vor allem Wie schnell ist es passiert, dass man durch Krankheit, die Zahl der Coronatoten steigen drastisch an. Deswegen durch die Trennung vom Partner, durch Arbeitslosigkeit war es wichtig – es wäre vielleicht auch schon im oder dadurch in finanzielle Not gerät, dass man Opfer November wichtig gewesen –, diese harten Maßnahmen eines Betruges, einer Straftat wird! zu treffen, insbesondere dass jetzt auch Geschäfte schlie- Deswegen ist es gerade jetzt in der Coronakrise wich- ßen müssen. tig, dass wir in dieser Situation allen Schuldnerinnen und Das sind für die betroffenen Firmeninhaber sehr dras- Schuldnern schneller helfen, dass sie nicht mehr sechs tische Eingriffe. Aber wir dürfen nicht den Kollaps des Jahre die Schulden mit sich tragen, sondern dass die Gesundheitssystems riskieren. Vor allem, liebe Kollegin- Wohlverhaltensphase schon nach drei Jahren endet und nen und Kollegen: Wir dürfen unsere Seniorinnen und damit nach drei Jahren ihre Schulden erlassen sind, das Senioren nicht sterben lassen. Ich sage das in aller Deut- Ganze rückwirkend zum 1. Oktober 2020. Also, hier lichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. machen wir ein wirklich gutes Gesetz. Stimmen wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem zu! der CDU/CSU) Vielen Dank. Gerade weil die Betriebsschließungen massive Aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wirkungen negativer Art auf die Firmen haben, auf die der CDU/CSU) Geschäftsinhaber, auf die Mitarbeiter, dementsprechend die Familien, haben wir sie umfangreich unterstützt. Vizepräsident in Claudia Roth: Dazu gehört, dass wir mit der Novemberhilfe, der Dezemberhilfe und auch mit dem Überbrückungsgeld Vielen Dank, Dr. Fechner. – Nächster Redner: für die eine wirklich fette Unterstützung – ich sage auch das so AfD-Fraktion . deutlich – geleistet haben. Das war richtig, und es war (Beifall bei der AfD) wichtig. (B) (Beifall bei der SPD) Tobias Matthias Peterka (AfD): (D) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht der Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Die Möglich- Steuerzahler allein sollte das Risiko der Pandemie finan- keit, ohne De-facto-Existenzvernichtung aus finanziellen zieren. Nein, ich finde – und da freue ich mich, dass die Sackgassen herauszukommen, ist eine Errungenschaft, Union jetzt gesprungen ist und hier mitmacht –, auch die die man kaum hoch genug hängen kann, sei es nun für Vermieter von Gewerbeimmobilien müssen an den Private oder Unternehmer. Das Konkursrecht, die Insol- finanziellen Risiken der Pandemie beteiligt werden. venzordnung – all das sind über die Zeit gut entwickelte Institute im deutschen Recht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die EU-Richtlinie 2019/1023 ordnet nun an, dass die Frist für eine Restschuldbefreiung von regulär sechs Jah- Der Handelsverband des Einzelhandels, der HDE, ren auf drei Jahre halbiert zu werden hat. Auch Berufs- sagt, dass zwei Drittel der Gewerbemieter keine Einigung untersagungen müssen zwingend nach dieser Frist wieder mit den Vermietern über reduzierte Mieten erzielen konn- erlöschen. Daran ist Deutschland leider unionsrechtlich ten, und vom DEHOGA hören wir Ähnliches. Also, es gebunden. gibt offensichtlich Handlungsbedarf, und deswegen ist die SPD-Forderung berechtigt gewesen, dass wir mit die- (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE sem Gesetz eine gesetzliche Klarstellung treffen, dass GRÜNEN]: Zum Glück!) Corona eine Störung der Geschäftsgrundlage ist Es liegt hier nun mal wieder ein Paradebeispiel vor, wie (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sein a) Ansätze aus ganz anderen Rechtskreisen sich einfach kann!) durchsetzen und b) diese Bundesregierung beim Aus- rambolen der ganzen Sache in Brüssel einfach versagt und dass Gewerbemieter daraufhin einen Anspruch auf hat. Straßburg lasse ich hier mal weg; das Scheinparla- Reduzierung der Gewerbemiete haben. Das ist eine ganz ment hatte da wenig zu sagen. wichtige Unterstützung für den Einzelhandel und für die Gastronomie, liebe Kolleginnen und Kollegen. Also, wir halten die Möglichkeit, in sechs Jahren bei Zugeständnis einer moderaten Lebensführung seine (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Schulden erlassen zu bekommen – die sind dann weg –, Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) für völlig ausreichend und fair. Selbst wenn man in den Zum eigentlichen Gesetz, das wir heute beraten, wer- Fällen der Privatinsolvenzen, der Verbraucherinsolven- den gleich der Kollege Brunner und sicherlich auch der zen leichtfertiges Konsumverhalten für vernachlässigbar Kollege Hirte mit großer Begeisterung und Leidenschaft erklärt – was wir explizit nicht tun –, dann ist das deut- die Feinheiten des Insolvenzrechts hier vortragen. Ich sche System mit Anreizen zur Gläubigerbefriedigung mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25377

Tobias Matthias Peterka (A) dieser Quotelung gut austariert gewesen, und zwar sind Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): (C) die drei Jahre jetzt noch deutlich besser als das eine Jahr, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen was man allgemein als Endziel ausmachen kann. und Kollegen! Wir alle wissen: Die Coronapandemie hat Unternehmer, aber auch Verbraucher hart getroffen, Aber es geht ja auch hier schon los: In einem Ände- und zwar trotz der wirklich sehr, sehr umfangreichen rungsantrag wollen die Grünen das Eingehen von Ver- Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen, die wir alle mit- bindlichkeiten während dieser Zeit quasi freistellen. Erb- einander auf den Weg gebracht haben. schaften und Lottogewinne sollen dann nicht mal den Gläubigern zustehen, und die Sperrfrist nach erfolgter Deswegen muss man klar sagen: Es wird vermehrt zu Entschuldung für ein weiteres Insolvenzverfahren soll Insolvenzen kommen, bei Unternehmern, aber auch bei dann nicht mal erhöht werden, was ja ein kleiner Aus- Verbrauchern. Wir sagen ganz klar: Wir wollen nicht, gleich für die Halbierung der Insolvenzdauer hätte sein dass Corona am Ende zu einer jahrelangen Schuldenfalle können. Prost Mahlzeit, wenn nächstes Jahr das Tandem wird. Deswegen sagen wir: Wir wollen Verbrauchern und Söder/Habeck an den Start geht; denn dann wird das kleinen Unternehmen eine echte zweite Chance auf einen Gleichgewicht zwischen Erlass für den reuigen Schuld- wirtschaftlichen Neuanfang geben. Deswegen setzen wir ner und Geldverzicht der Gläubiger unter Umständen jetzt diese EU-Richtlinie um – für kleine Unternehmer, komplett über Bord geworfen. aber eben auch für Verbraucher. Wir verkürzen die Frist, innerhalb derer man sich seiner Schulden entledigen Merkwürdig, dass die FDP hier in ein ähnliches Horn kann, von sechs auf drei Jahre. Damit geben wir eine stößt, wobei die Ablehnung der Versagung der Rest- echte Perspektive und zeigen ein Licht am Ende des schuldbefreiung von Amts wegen zu begrüßen ist; den Tunnels. Gläubigern ist dann weiterhin ein Antrag im Verfahren (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. zuzumuten. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Bei den kurz vor knapp eingereichten Anträgen der Ich finde das sehr richtig. Natürlich gab es auch Kri- FDP zum Sonderrecht hätte sie sich eher auf den Scha- tiker. Natürlich gab es auch Leute, die gesagt haben: densersatz für die Unternehmen konzentrieren sollen. Setzen wir damit nicht falsche Anreize? Machen wir jetzt Schuldenmachen zu einem Kavaliersdelikt? – Da muss Meine Damen und Herren, freilich ist die Aussage der man ganz klar sagen: Nein, das ist absolut nicht der Fall. – Regierung, dieses Gesetz sei eine Coronamaßnahme, an Denn wenn man sich das mal anschaut: Wer sind denn die sich Quatsch. Hier wird einfach der Befehl aus Brüssel Personen, die in die Privatinsolvenz gehen? Was sind die umgesetzt und ein bisschen Kosmetik drumrumgepackt. Gründe dafür? Es ist ganz oft die Krankheit, die Arbeits- (B) Richtig ist, dass Einzelunternehmen und Verbraucher losigkeit, die Trennung oder die Scheidung, die Men- (D) durch die harten Lockdown-Maßnahmen leiden. Die schen in wirtschaftliche Not bringt. Deswegen kann AfD hat Aussetzungen der Insolvenzantragspflicht nur man schon sagen: Das Missbrauchspotenzial ist a priori streng befristet begrüßt. Es wird noch eine riesige Kon- sehr gering. kurswelle auf uns zukommen, und die wird nicht dadurch besser, dass man sie zombifiziert oder hinauszögert. Aber natürlich nehmen wir diese Kritik ernst. Deswe- gen sagen wir: In dieser Wohlverhaltensphase von drei Die Linken stellen hier erneut die üblichen Begleitan- Jahren wollen wir durchaus auch streng sein. Deswegen träge wie den auf Schuldnerberatung auf Kosten der sagen wir: Wenn jemand in dieser Wohlverhaltensphase Gläubiger. Das gibt es anders gelöst bereits in Gemeinden neue, unangemessene Verbindlichkeiten eingeht, dann und Kommunen und gehört nicht hierher. soll er natürlich von diesen Schulden nicht befreit wer- den, sondern er muss selbstverständlich alles dafür tun, Was aber hierhergehört, ist die Feststellung, dass auch dass er sich wohlverhält. Das ist, glaube ich, ein Gebot, das beste und angenehmste Insolvenzverfahren schluss- das man den Gläubigern an der Stelle zubilligen muss. endlich ein Scheitern darstellt, ein Scheitern, das in den Wichtig war uns, weil das Verfahren sich ein Stück nächsten Monaten hunderttausendfach auf Ihre Kappe weit verzögert hat, dass das alles rückwirkend in Kraft gehen wird. Durch erratisches Handeln dieser Regierung gesetzt wird. Alle Anträge, die seit dem 1. Oktober sind gesunde Geschäftsmodelle massenhaft hinfällig gestellt wurden, werden unter die verkürzte Restschuld- geworden. Wir sind gespannt auf die Medizin. Aber lei- befreiungsfrist fallen. Das ist uns wichtig, weil wir der wird bis dahin wohl amputiert werden müssen. Betroffene damit in einer für sie schwierigen Lebenspha- In diesem Sinn: Einen frohen Weihnachts-Lockdown! se vor einer gesellschaftlichen Stigmatisierung schützen und wir ein Licht am Ende des Tunnels anzünden. Wir Vielen Dank. geben den Betroffenen eine neue Perspektive. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es ein guter Gesetzentwurf, (Beifall bei der AfD) den wir hier vorgelegt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident in Claudia Roth: der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Jan- Es gibt noch weitere Punkte, die wir mit dem Gesetz- Marco Luczak. entwurf mitregeln. Darauf wird vielleicht mein Kollege Volker Ullrich eingehen. So stellen wir zu virtuellen (Beifall bei der CDU/CSU) Hauptversammlungen und zu den Aktionärsrechten 25378 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Jan-Marco Luczak (A) noch etwas klar; die Aktionäre erhalten wieder ein immer so, dass der Vermieter der Starke ist. Es ist nicht (C) umfangreicheres Fragerecht. Wir geben auch den ehren- immer so, dass der Mieter der Schwache ist. Wir haben amtlich Tätigen in den Vereinen wieder etwas mehr alle noch den Fall Adidas vor Augen, wo ein wirklich Rechtssicherheit, wenn sie ihre Mitgliederversammlun- milliardenstarker Konzern gesagt hat: Ich muss jetzt mei- gen digital durchführen wollen und das in den Satzungen ne Miete nicht mehr zahlen. – Das ist nicht angemessen. nicht geregelt ist. Das erlauben wir jetzt; das stellen wir Deswegen sagen wir auch in diesem Gesetz: Es kommt jetzt klar. immer auf den Einzelfall an. – Wenn sich die vertragli- chen Parteien im Wege einer individuellen Lösung schon Mir ist aber noch ein Punkt wichtig, den wir in diesem auf etwas geeinigt haben, wie man mit den Folgen der Zusammenhang auch mitregeln, und zwar der gesamte Coronapandemie umgeht, dann – das ist selbstverständ- Bereich der Gewerbemieten. Wir sehen, dass im Zuge lich auch klar – muss das natürlich vorgehen. Dann kann der Bekämpfung der Coronapandemie viele Gewerbetrei- am Ende nicht ein Gericht diesen vertraglichen Willen, bende wirtschaftlich wirklich harte Einschnitte hinneh- der sich in der Einigung manifestiert hat, ersetzen. men müssen. Restaurants und Hotels dürfen keine Gäste mehr haben. Klubs dürfen ihre Türen nicht mehr zum Wir geben damit Rückenwind für Verhandlungslösun- Tanz öffnen. Die Anzahl von Kunden im Einzelhandel gen; das ist unser Ziel. wird limitiert, oder, wie es jetzt im Lockdown der Fall ist, der Einzelhandel wird sogar ganz geschlossen. (Mechthild Rawert [SPD]: Die SPD hat die Tür geöffnet!) Das bedeutet natürlich für viele Unternehmen massive Einnahmeausfälle, während die Fixkosten etwa für Miete Die Parteien sollen sich zusammensetzen, damit am Ende und Pacht weiterlaufen. Das wird trotz der auch wirt- eine gute Lösung für alle Parteien herauskommt. schaftlich sehr umfangreichen Hilfsmaßnahmen, die wir Vielen Dank, dass Sie das unterstützen. auf den Weg gebracht haben, dazu führen, dass viele Gewerbemieter in arge wirtschaftliche Not geraten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Unser Ansinnen ist, dass wir ihnen mit diesem Gesetz, Sonja Amalie Steffen [SPD]) das wir jetzt auf den Weg bringen, den Rücken stärken und vor allen Dingen für mehr Rechtssicherheit sorgen. Vizepräsident in Claudia Roth: Wir stellen jetzt klar, dass staatliche Maßnahmen, die Vielen Dank, Dr. Jan-Marco Luczak. – Nächste Red- etwa zu Schließungen im Einzelhandel führen, eine nerin: für die FDP-Fraktion Katharina Willkomm. schwerwiegende Veränderung der Grundlage des Vertra- ges sein können, wenn die Nutzbarkeit der angemieteten (Beifall bei der FDP) (B) Räume erheblich beeinträchtigt ist. Wir sagen so deutlich, (D) dass wir das klarstellen, weil es in der Vergangenheit Katharina Willkomm (FDP): Rechtsprechung gab, die besagt hat, möglicherweise Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gebe es eine Sperrwirkung, sodass der Wegfall der Kollegen! Der Lockdown trifft laut HDE knapp 200 000 Geschäftsgrundlage, um den es hier geht, möglicherweise Handelsunternehmen. 250 000 Jobs könnte der zweite gar nicht einschlägig ist. Lockdown vernichten. Diese Unternehmen machen diese Deswegen sagen wir klar: Es kann – es kann – ein Woche buchstäblich den Laden dicht. Das ist für die Wegfall der Geschäftsgrundlage sein; es muss aber kein Betroffenen brutal hart. Die Einnahmen brechen weg, Wegfall der Geschäftsgrundlage sein. Das ist für uns ganz aber die Rechnungen und vor allem die Ladenmiete müs- wichtig: Es kommt immer auf den Einzelfall an. Die Ver- sen weiter bezahlt werden. mutung, die wir jetzt im Gesetz niederlegen, betrifft nur Die Koalition will heute deshalb eine Vermutungsrege- eine von drei Tatbestandsvoraussetzungen, die § 313 lung für die Störung der Geschäftsgrundlage beschließen BGB vorsieht. Wir gehen als Gesetzgeber nicht so weit, lassen. Diese Regelung ist falsch. Sie ist falsch aus drei dass wir die Rechtsfolge in irgendeiner Weise vorweg- Gründen: nehmen. Deswegen ist auch ganz klar zu sagen: Bei vie- len gewerblichen Vermietern, die jetzt auch Wirtschafts- Sie ist erstens falsch, weil es sie nicht braucht. Die hilfen bekommen, wird möglicherweise gar keine Regierung tut so, als gäbe es keine rechtliche Antwort. Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen, weil es am Dabei wurde die Störung der Geschäftsgrundlage kurz Ende zumutbar ist, am Vertrag festzuhalten. Es gibt nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt, als wirklich alles auch andere Konstellationen, wo etwa die Parteien von in Schutt und Asche lag. vornherein bestimmte Situationen vorgesehen haben, wo man etwa die Miete am Umsatz festgemacht hat, wo man Die Regelung ist zweitens falsch, weil die Regierung Sonderkündigungsrechte festgelegt hat, wenn der Umsatz genau weiß, was alles zusammenkommen muss, damit aufgrund bestimmter Ursachen zurückgeht. Das sind ein Gericht die Störung der Geschäftsgrundlage annimmt alles Konstellationen, wo möglicherweise § 313 BGB und eine ausgehandelte Miete reduziert. Bereits seit gar nicht greifen wird. Beginn der Coronakrise haben die ersten Landgerichte entsprechende Fälle entschieden. Das Problem war nicht, Das war für uns als Union ganz wichtig: Wir wollten dass sie die Störung der Geschäftsgrundlage nicht geprüft als Gesetzgeber die vertraglich vereinbarte Risikovertei- hätten – das Landgericht München etwa hat den § 313 lung nicht aufheben, wir wollten sie nicht umstülpen, wir BGB sogar für einschlägig erklärt –, sondern das Problem wollten nicht einseitig einen Teil der Parteien bevorzu- war meistens, wie Herr Luczak ja schon ausgeführt hatte, gen. Denn – auch das zeigt ja die Erfahrung – es ist nicht dass zum Beispiel der Richter den Vertrag auch dann als Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25379

Katharina Willkomm (A) zumutbar bewertet hat, wenn der Mieter den Geschäfts- Verfahren auf elf Jahre. Sie verkennen damit vollständig (C) raum auch anders hätte nutzen können, als Lager oder die soziale Lage im Land und die finanziellen Nöte der auch als Büro zum Beispiel. Menschen. Nehmen Sie einfach mal zur Kenntnis, dass Das zusammen führt zu dem dritten Grund, warum die viele Menschen überschuldet sind, weil sie arbeitslos Regelung falsch ist: Sie lässt in der Öffentlichkeit den werden, weil ihr Lohn zu niedrig ist und weil unter ande- Eindruck entstehen, dass nämlich die Regierung den rem eine Selbstständigkeit gescheitert ist. Gewerbemietern erlaube, in ihrer Not eigenmächtig die Es handelt sich um 10 Prozent der Bevölkerung über Miete zu senken. Und das, meine Damen und Herren, 18 Jahre, und davon sind übrigens nur 10 Prozent wegen genau das ist nicht der Fall. unangemessenen Konsumverhaltens überschuldet. In (Beifall bei der FDP) Ihrem Gesetzentwurf spürt man durchgängig das Vorur- teil, der überschuldete Teil der Bevölkerung lebe über So wecken Sie erst falsche Hoffnungen bei den Gewerbe- seine Verhältnisse. Das stimmt nicht. Nehmen Sie endlich mietern, schüren dann Frust und Wut über die Als-ob- mal die wissenschaftlich erhobenen Tatsachen zur Kennt- Politik und verunsichern schließlich die Gewerbevermie- nis. ter. Folgen Sie besser unserem Antrag. Mindern Sie den (Beifall bei der LINKEN) Kostendruck von Gewerbemietern und -vermietern durch Wir haben seit der verheerenden Agenda-Politik einen eine negative Gewinnsteuer mit einer deutlich erweiter- steigenden Anteil der prekären und befristeten Arbeits- ten Verlustrechnung. Helfen Sie den Parteien, sich bei verhältnisse. Das ist ein wesentlicher Grund für die von einer Schiedsstelle an einen Tisch zu setzen und einver- mir beschriebene Problemstellung. Folgen Sie uns end- nehmliche Lösungen zu ermöglichen. Und: Beschleuni- lich. Schaffen Sie Leiharbeit und prekäre Beschäftigung gen Sie die gerichtlichen Mietverfahren, damit Mieter ab. Unterstützen Sie die Lohnforderung der Gewerk- und Vermieter schnell Klarheit haben. schaften; dann wird sich auch die Überschuldung der Vielen Dank. Menschen verringern. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Zugleich fordern wir einen gesetzlichen Anspruch auf Vizepräsident in Claudia Roth: Schuldnerberatung für jeden. Die wertvolle Arbeit der Vielen Dank, Katharina Willkomm. – Nächster Red- Schuldnerberatungen kann nicht genug wertgeschätzt ner: für die Fraktion Die Linke Friedrich Straetmanns. werden. (B) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D)

Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Ergänzend sollten Sie aber auch die Inkassobranche Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- stärker kontrollieren und an die Kette legen. Wer über- nen und Kollegen! Heute wird der Entwurf eines Geset- schuldet ist, wird häufig genug durch diese Unternehmen zes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungs- wie eine Zitrone ausgepresst, ohne dass er über seine ihm verfahrens beraten. Wieder einmal muss die EU mit einer zustehenden Rechte ausreichend beraten wird. Das muss Richtlinie einen Impuls setzen, damit der deutsche sich ändern. Gesetzgeber tätig wird. Dabei sollte der Inhalt der Richt- (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. linie längst schon unser ureigenes Anliegen sein, da er Birkwald [DIE LINKE]: Unbedingt!) insolventen Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern eine Entschuldungsmöglichkeit gibt. Es gäbe noch viele Punkte anzusprechen; dazu reicht Ein Entschuldungsverfahren, das die volle Entschul- die Redezeit nicht. Aber in Kürze: In Anbetracht der dung spätestens nach drei Jahren ermöglicht, ist eine Coronakrise müsste mehr für Kleingewerbetreibende kleine Verbesserung gegenüber den derzeit gültigen sechs getan werden, als Sie das beabsichtigen. Jahren. Meine Fraktion und ich werden uns dennoch ent- Ich will bei aller Kritik mit einem Lob enden. Sie halten, da dieser Entwurf das grundsätzliche Problem haben einige Kritikpunkte der Sachverständigen aus der nicht wirklich lösen kann. Anhörung angenommen und grobe Fehler mit Ihrem (Beifall bei der LINKEN) Änderungsantrag beseitigt. Hier hat das einmal funktio- niert. Warum fällt mir das auf? Weil Sie Kritik aus Anhö- Darum nun zu unserer Kritik. rungen im Ausschuss in aller Regel leider nicht aufgrei- Warum gehen Sie im Entwurf nicht auf zwei Jahre fen. Restschuldbefreiung, wie es die Richtlinie ermöglicht und Die Linke klar fordert? Und warum wird das Ganze (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist bis 30. Juni 2025 befristet? Glauben Sie, dass dann die nun wirklich falsch! Das wissen Sie, Herr Kol- soziale Situation im Land eine andere ist? Wohl kaum. lege! Gut, dass Sie Ihr Lachen unter der Maske verbergen!) (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Und: Blei- Zugleich wollen Sie allen Ernstes bei einem zweiten ben Sie gesund! Restschuldbefreiungsverfahren die Frist von zwei auf fünf Jahre verlängern und die Wartefrist für das zweite (Beifall bei der LINKEN) 25380 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Vizepräsident in Claudia Roth: men nun endlich eine Grundlage für Verhandlungen mit (C) Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Redne- den Verpächtern über die Pachthöhe, wie wir Grüne es im rin: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Manuela Rottmann. September beantragt haben. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie ein bisschen was anderes beantragt!) Erste Urteile haben die coronabedingte Schließung Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schon als Störung der Geschäftsgrundlage gewertet. NEN): Aber, Frau Willkomm, Sie haben es nicht verstanden: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Wenn der Verpächter sagt: „Ich verhandle nicht mit dir, und Herren! Heute ist Dezember; ich freue mich über weil du keinen Anspruch hast“, dann muss man das klar- ein Antragsfeuerwerk der Kolleginnen aus der Opposi- stellen. Wir haben doch nicht die Zeit, zu warten, bis der tion. Ich verweise darauf, dass wir im April 2020 einen BGH den Leuten recht gibt. Deswegen ist es richtig, dass Gesetzentwurf zur Verkürzung der Frist für eine Rest- der Gesetzgeber hier die Verantwortung übernimmt. schuldbefreiung nach Insolvenz eingebracht haben. Denn uns war klar, dass man sich auf das Versprechen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Peter Altmaier – „Wir wollen, dass möglichst kein sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider- Unternehmen in Deutschland nur aufgrund der Corona- spruch der Abg. Katharina Willkomm [FDP]) Epidemie in die Insolvenz gehen muss“ – wahrscheinlich Es wäre völlig falsch, mit staatlichen Hilfen – statt nicht wird verlassen können. Existenzen zu sichern – nur das Immobilienvermögen vor den Folgen dieser Wirtschaftskrise abzusichern, wäh- Wegen der Einschränkungen für Unternehmen, aber rend für diejenigen, die mit ihrer Hände Arbeit die Mieten natürlich auch wegen der Kurzarbeit sind Erleichterun- und Pachten erst erwirtschaften müssen, nichts übrig gen für einen Neustart nach Überschuldung aufgrund der bleibt. Pandemie dringend nötig. Bei zu vielen kam die verspro- chene Hilfe im Sommer nicht an, und spätestens im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sommer hätten die vielen Soloselbstständigen, die Sie Wir haben seit April gekämpft, und wir haben mit haben hängen lassen, eine Grundlage für eine Entschei- beiden Punkten viel erreicht. Deswegen stimmen wir dung gebraucht, wie es weitergehen soll. heute zu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen wurden überschuldete Verbraucherinnen (B) und Selbstständige dazu gezwungen, den Antrag auf Pri- Vizepräsident in Claudia Roth: (D) vatinsolvenz monatelang hinauszuzögern. Ihr Neustart Vielen Dank, Dr. Manuela Rottmann. – Nächster Red- wurde unnötig verzögert. Die Risiken für Gläubigerinnen ner: für die SPD-Fraktion Dr. Karl-Heinz Brunner. wurden erhöht. Die Familien, die sich seit Monaten fra- (Beifall bei der SPD) gen, wie sie mit Kurzarbeitergeld ihre Kredite bedienen sollen, werden kein Verständnis dafür haben, dass wir erst Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): jetzt, im Dezember, darüber entscheiden. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn man die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt Erst heute wird die Frist für die Befreiung von der heute verfolgt hat, hat man festgestellt – ich nehme die Restschuld von sechs Jahren auf drei Jahre verkürzt. Kollegin Rottmann jetzt davon aus –, dass über das Insol- Dass Sie die Speicherung bei den Auskunfteien nicht venzrecht selbst, über die Verkürzung der Restschuldbe- angetastet haben, bleibt ein Schwachpunkt. Ich hoffe, freiung als solche relativ wenig gesprochen wurde, son- dass die Datenschutz-Grundverordnung dieser unseligen dern viel über das, was in diesem Zusammenhang richtig Praxis ein Ende setzt. Die Einführung zusätzlicher Oblie- und gut ist, und über das, was geändert wurde. genheiten für die Schuldner haben die Sachverständigen als überflüssig und auch als unpraktikabel bewertet. Es ist Ich möchte, weil einer der ersten Redner vom Konkurs ein weiteres Signal des Misstrauens gegen Schuldner in der Menschen gesprochen hat, auf Folgendes hinweisen: einer Situation unverschuldeter Insolvenzen. Das ist ein- Eine Marktwirtschaft, eine soziale Marktwirtschaft im fach falsch. Besonderen, lebt davon, dass zwischen Gläubiger und Schuldner ein Gleichgewicht besteht, ein gutes Gleichge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicht, das letztendlich zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Abg. Judith Skudelny [FDP]) und auch zur Restrukturierung von Unternehmen sowie zur Gesundung von Verbraucherinnen und Verbrauchern In anderen Punkten ist der jetzige Vorschlag verbes- führt. Genau das war der Grund, am 1. Januar 1999 das sert. Die Verkürzung gilt jetzt auch für Verbraucherinnen alte, auf Zerschlagung angelegte Konkursrecht zu beseiti- unbefristet, und die Versagung der Restschuldbefreiung gen und durch ein modernes, immer weiter fortentwickel- von Amts wegen ist gestrichen. Ich finde es auch gut, tes Insolvenzrecht zu ersetzen, dass Sie die Gelegenheit genutzt haben, die Rechte von Aktionärinnen und Aktionären in der virtuellen Haupt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) versammlung zu stärken. Und – das ist mir ganz wich- bei dem das Gleichgewicht der Schuldner und Gläubiger tig –: Die hart getroffenen Gewerbemieterinnen bekom- wieder in den Mittelpunkt gesetzt wurde. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25381

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Heute haben wir uns mit dem Entwurf eines Gesetzes lung der Restschuldbefreiung, die nunmehr einer kurzen (C) zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsver- Frist unterliegt, werden die Daten noch bis zu drei Jahre fahrens zu befassen, nicht nur, weil die EU-Richtlinie gespeichert. Dies deckt sich nicht mit unserem Verbrau- 2019/1023 dies zum 17. Juli 2021 einfordert, sondern cherbild, dem Verbraucherbild der Sozialdemokraten. auch, weil es gut, weil es richtig ist, Schuldnerinnen Diesen Punkt werden wir deshalb weiter einfordern. und Schuldnern, Unternehmerinnen und Unternehmern Aber, wie gesagt, das Insolvenzrecht ist ein lebendes einen Neustart zu diesem Gleichgewicht in der Gesell- Recht, und dies wird nicht die letzte Änderung sein. Blei- schaft zu ermöglichen. ben wir also dran. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, der CDU/CSU) lassen Sie mich fünf Punkte aus diesem Gesetzesvorha- ben ansprechen, die mit dem Restschuldbefreiungsver- fahren zusammenhängen: Vizepräsident in Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Brunner. – Letzter Redner in dieser Zum einen der epochale erste große Schritt, auf die Debatte: Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. europäische Einheit zugehend: die Verkürzung des Rest- schuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre. Das (Beifall bei der CDU/CSU) ist ein ganz wichtiger Schritt für die Schuldnerinnen und Schuldner, ein ganz wichtiger Schritt für die Verbraucher- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): innen und Verbraucher und ein ganz wichtiger Schritt für Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und in Insolvenz geratene Unternehmerinnen und Unterneh- Herren! Wir werden zum Ende des Jahres noch drei we- mer gleichermaßen. Nach nunmehr drei Jahren stehen sentliche rechtspolitische Fragen klären, die, wie ich mei- ihnen als redliche Schuldner der Wirtschaftsverkehr und ne, wichtig sind in einer schwierigen Zeit. der Rechtsverkehr wieder offen, wenn sie ihren Pflichten Lassen Sie mich eingangs sagen: Bei einigen Redebei- und Obliegenheiten während dieses Verfahrens nachge- trägen ist so ein bisschen angeklungen, es gebe hier einen kommen sind. Schuldnerinnen und Schuldner, Unterneh- Gegensatz, vor allen Dingen zwischen Gewerbemietern, merinnen und Unternehmer, die in Insolvenz geraten Vermietern, der wirtschaftlichen Lage des Handelsver- sind, sind keine minderjährigen Kinder, die ständig einer bands und unseren Bemühungen, der Coronakrise Herr Quästur bedürfen; sie sind voll aktionsfähig. zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind in einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Situation, in der wir uns unterhaken müssen. Diese (B) (D) Zweitens. Wir haben die Verkürzung für die nach dem Gemeinschaft und dieser Staat müssen diese Krise zu- 1. Oktober 2020 beantragten Insolvenzverfahren rück- sammen meistern. Das bedeutet Solidarität von jedem. wirkend geregelt. Das ist gut und das ist richtig so. Wir Das bedeutet gegebenenfalls rechtliche Anpassungen. haben vor allen Dingen das, was ursprünglich im Gesetz- Das bedeutet aber nicht, dass man sich gegeneinander entwurf enthalten war, die Ungleichbehandlung von Ver- ausspielen darf. Das wäre jetzt die völlig falsche Haltung. braucherinnen und Verbrauchern, aufgehoben. Dies war (Beifall bei der CDU/CSU) gut, dies war richtig so, und das wird für die Zukunft eine Wir werden Verbraucherinnen und Verbrauchern den sinnvolle Regelung sein. Weg erleichtern, eine zweite Chance zu bekommen; denn (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der jemand, der Insolvenz anmelden muss, muss das oftmals CDU/CSU) tun, weil er unverschuldet in Not geraten ist. Ich meine, dass die Dauer von drei Jahren Restschuldbefreiungsver- Wir haben darüber hinaus dem Struck’schen Gesetz fahren bei Selbstständigen auch im Bereich des Priva- folgend die bereits temporär zum 30. Juni 2021 geltende tinsolvenzrechts gelten muss. Das ist ein deutlicher Fort- Frist zwischen der außergerichtlichen Einigung oder dem schritt für die Menschen, die ihre Schulden loswerden Einigungsversuch und dem Antrag eines Verbrauchers wollen, die einen Neustart suchen. Wir weisen aber auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf zwölf auch darauf hin, dass im Rahmen dieser Wohlverhaltens- Monate verlängert, um in diesem Zeitraum keine verfal- phase Mitwirkungspflichten bestehen. lenden Einigungsversuche zu erzeugen und damit den Verbraucherverbänden, den Schuldnerverbänden die Klar ist auch, dass Entschuldung durch ein Insolvenz- Möglichkeit zu geben, dies ordentlich abzuwickeln. verfahren keine Art von Geschäftsgebaren sein darf. Des- wegen sagen wir auch: Bei einer zweiten Insolvenz ist die Last, but not least. Wir haben dem selbstständigen Phase dann länger, weil wir deutlich machen müssen, Schuldner einen Anspruch auf Entscheidung über Frei- dass es zu einem fairen Ausgleich zwischen Verbindlich- gabe seiner selbstständigen Tätigkeit und damit seiner keiten und deren Bezahlung kommen muss. Existenz ermöglicht, um ihn am Wirtschaftsleben teilha- ben lassen zu können. Ein weiterer Punkt, der uns wichtig ist, ist die Frage: Wie gehen wir im Aktienrecht vor allen Dingen auch mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den Rechten der Kleinaktionäre weiter um, Stichwort Eine Baustelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird „Fragerecht“? Es hat sich in den letzten Jahren immer aber noch bleiben. Unser Ziel, das Ziel der Sozialdemo- gezeigt, dass das Fragerecht vor allen Dingen auch der kraten, die Speicherfrist für Auskunfteien deutlich zu ver- Kleinaktionäre ein großer und wichtiger Teil der Kapital- kürzen, haben wir noch nicht erreicht. Auch nach Ertei- marktkontrolle ist. Das ist fast wie ein kleiner Nadelstich 25382 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Volker Ullrich (A) gegenüber größeren Stimmrechtsmehrheiten. Wir haben Vizepräsident in Claudia Roth: (C) im März im Zuge der ersten Welle beschlossen, dass in Vielen Dank, Dr. Volker Ullrich. – Ich schließe die sehr einer virtuellen Hauptversammlung der Vorstand ent- lehrreiche Aussprache. Wir hier oben haben viel gelernt. scheiden kann, ob er eine Frage beantwortet oder nicht. Danke schön. Das ist vor dem Hintergrund einer tauglichen Kapital- marktkontrolle nicht richtig; das müssen wir wieder än- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das können nur dern. Der Vorstand muss auch die Fragen von Einzelak- Nichtjuristen sagen!) tionären beantworten. Gerade der Wirecard-Skandal hat – Keine Einbildung! Sorry, Herr Kubicki. Das gibt Ärger gezeigt, dass oftmals auch Aktionärsschützer offene Fra- im Präsidium. gen haben, die man beantworten muss. Das ist auch Teil Tagesordnungspunkt 13 a. Wir kommen zur Abstim- der Kontrolle. mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Deswegen regeln wir es jetzt so, dass die Fragen beant- Gesetzentwurf zur weiteren Verkürzung des Restschuld- wortet werden müssen. Der Vorstand kann sich entschei- befreiungsverfahrens. Der Ausschuss für Recht und Ver- den, ob er die Fragen schriftlich beantwortet oder auch braucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- mündlich. Aber er kommt um die Beantwortung nicht schlussempfehlung auf den Drucksachen 19/25251 und herum; das ist ein wesentlicher Teil unserer Kapital- 19/25322, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf marktkontrolle. Stärkt die Aktionäre! Drucksachen 19/21981 und 19/22773 in der Ausschuss- fassung anzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/25377 vor, über den wir logischer- Wir werden auch Rechtssicherheit schaffen für unsere weise zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände- Ehrenamtlichen in den Vereinen, die sich die Frage stel- rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält len, ob sie jetzt eine Hauptversammlung ihres Vereins sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt durchführen müssen, weil die Satzung eine Hauptver- haben die Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/Die sammlung eben nur alle zwei Jahre vorsieht. Nein, wir Grünen. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der sagen jetzt: Solange diese Pandemie anhält, haben sie die SPD, der CDU/CSU und der AfD. Enthalten hat sich Möglichkeit, die Hauptversammlung zu verschieben. – die Fraktion der Linken. Wir machen aber auch deutlich, dass Vereine jetzt ohne Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Satzungsänderungen durch Videokonferenzen rechtssi- Bundesregierung auf den Drucksachen 19/21981 und chere Beschlüsse treffen können. Das ist ein wesentlicher 19/22773 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, (B) Fortschritt für das Ehrenamt und gibt vielen Ehrenamt- um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- (D) lichen auch die Gewissheit, dass es mit ihrem Verein hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- rechtssicher weitergehen kann. Ich glaube, auch das ist tung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen ein ganz wichtiges Signal, das wir heute aussenden. von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU. Ent- halten haben sich die Fraktionen der AfD, der FDP und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Linken. ordneten der SPD) Dritte Beratung Der letzte Punkt ist der der Gewerbemieten. Das ist ein und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem sensibles Thema; aber auch hier geht es um einen deut- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – lichen Interessenausgleich. § 313 des Bürgerlichen Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Gesetzbuches regelt den Wegfall der Geschäftsgrundla- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- ge. Im Recht kann nicht jeder Einzelfall und jede Fall- nen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU. konstellation geregelt werden. Aber wir schaffen jetzt im Enthalten haben sich die Fraktionen der Linken, der FDP Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche eine und der AfD. Auslegungsregel – keine Stundungsregel, bei allem Res- pekt; eine Auslegungsregel –, mit der wir deutlich Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- machen, dass hinsichtlich Restriktionen, die aufgrund tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/25378. der Coronapandemie eintreten, die Vermutung vorliegt, Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer dass hier das Recht besteht, die Gewerbemiete zu min- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Ent- dern. Dann können Vermieter und Mieter in einen Dialog schließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die eintreten, aufgrund dessen dieses Problem gelöst werden Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und kann. der Linken. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der AfD. So wollen wir in der Gesellschaft miteinander umge- Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion hen. Wir wollen ins Gespräch kommen, die Themen Bündnis 90/Die Grünen zur Abmilderung der Folgen adressieren und dann auch gemeinsam lösen. Deswegen der Covid-19-Pandemie. Der Ausschuss für Recht und bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/25251 Herzlichen Dank. und 19/25322, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/18681 abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25383

Vizepräsident in Claudia Roth (A) wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der LINKEN) (C) Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen Katja Kipping (DIE LINKE): Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linke. Dagegenge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die stimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU Lasten des Lockdowns sind ungleich verteilt. Konzernen und der AfD. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- wie Amazon lässt die Regierung immer wieder nung die weitere Beratung. Schlampereien beim Infektionsschutz durchgehen. Wir Tagesordnungspunkt 13 b. Abstimmung über den An- hören immer wieder, dass es in den Sortierzentren zu trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/25256 mit Ausbrüchen von Infektionen kommt. Während Amazon dem Titel „Soziale Schuldner- und Insolvenzberatung gerade das Geschäft seines Lebens macht, leiden die umgehend in ganz Deutschland stärken“. Wer stimmt Ärmsten besonders. Doch die Coronapolitik dieser für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Regierung hat leider blinde Flecken. Sie sehen einfach sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die jene nicht, die sich am Rande des Existenzminimums Fraktion der Linken. Dagegengestimmt haben die Frak- durchschlagen müssen. Deswegen meinen wir als Linke: tionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Enthalten hat Es ist höchste Zeit für sozialen Schutz auch für die Ärms- sich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. ten! Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Frak- (Beifall bei der LINKEN) tion der FDP auf Drucksache 19/25318 mit dem Titel Zu einem solidarischen Lockdown gehört erstens die „Für schnelle Rechtsklarheit in der Corona-Krise, gegen Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Prozent; denn einseitige Lastenverteilungen im Gewerbemietrecht“. für Menschen mit niedrigen Einkommen bedeutet Kurz- Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – arbeitergeld, dass sie die laufenden Ausgaben nicht mehr Enthaltungen? – Keine. Der Antrag ist abgelehnt bei decken können. Zustimmung der FDP und Ablehnung aller anderen Frak- tionen hier im Hause. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Die Harz-IV-Sätze reichten schon früher Zusatzpunkt 9. Abstimmung über den Antrag der Frak- nicht. Nun kommen coronabedingte Mehrausgaben hin- tion Die Linke auf Drucksache 19/25257 mit dem Titel zu. Höchste Zeit für einen Coronazuschlag oder für „Verbraucherrechte in der Corona-Krise stärken“. Wer Regelsätze, die eben nicht kleingerechnet werden! stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt. Zugestimmt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hat die Fraktion der Linken. Dagegengestimmt haben die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (B) Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Enthal- Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Senkung (D) ten hat sich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. der Mehrwertsteuer!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 sowie Zusatz- Eine der Tücken von Hartz IV ist die Anrechnung des punkt 7 auf: Partnerinneneinkommens. Das bedeutet in der Praxis zum Beispiel Folgendes: Ein Künstler, dem durch den 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Lockdown alle Einnahmen wegbrechen, könnte theore- Kipping, Susanne Ferschl, Sabine Zimmermann tisch Grundsicherung beantragen. Dabei muss er aber das (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak- Einkommen seiner Partnerin angeben. Sagen wir mal, sie tion DIE LINKE arbeitet in der Pflege. Je nachdem, wie die Wohnkosten Sonderregelungen zum Arbeitslosengeld und ausfallen, könnte schon bei einem Einkommen der Part- zum vereinfachten Zugang zur Grundsiche- nerin von 1 600 Euro netto ihm komplett die Grundsiche- rung verlängern und verbessern rung verweigert werden. Das heißt, die gesamten Kosten des Paares müssten dann durch das Gehalt der Pflegerin Drucksache 19/25068 gedeckt werden, die sich gerade für unser aller Gesund- Überweisungsvorschlag: heit einsetzt. Finden Sie das gerecht? Ich meine, die Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Anrechnung des Partnereinkommens muss sofort ausge- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzt werden; ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Oh, nicht Korte, Katja Kipping, Susanne Ferschl, weiterer so laut, nicht so laut! – Kai Whittaker [CDU/ Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE CSU]: Das steht noch nicht mal im Antrag Soziale Härten in der Pandemie vermeiden – drin!) Sonderzahlung für die Ärmsten denn niemand sollte in der Notlage dafür bestraft werden, Drucksache 19/25252 dass sein Partner oder seine Partnerin noch einer Arbeit nachgehen kann. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- beschlossen. NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu Armut und Hartz IV – das galt vor Corona vielen als tauschen und die Plätze einzunehmen. etwas, was nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Katja Hartz IV – das betrifft doch nur die anderen. Nun haben Kipping für die Fraktion Die Linke. neue Gruppen die Tücken von Hartz IV kennengelernt, 25384 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Katja Kipping (A) und eine Erkenntnis aus dieser schweren Zeit lautet ganz (Helin [DIE LINKE]: Das (C) klar: Armut und Hartz IV – das geht uns alle an, das reicht aber nicht aus! Kommt doch gar nichts müssen wir überwinden, und zwar dringend. an!) (Beifall bei der LINKEN) für die Jahre 2020 und 2021. Wir haben die Lohnfortzah- lung für Eltern bei Schul- und Kitaschließungen auf 10 Zum Abschluss und angesichts der Adventszeit möch- bzw. auf 20 Wochen verlängert. Wir haben das Kurzar- te ich einen grundlegenden Gedanken zitieren: beitergeld verlängert und erhöht auf bis zu 80 Prozent des Wenn wir den Armen etwas geben, geben wir nicht Nettogehaltes. Wir haben einen vereinfachten Zugang etwas von uns, sondern wir geben ihnen zurück, was zum SGB II gewährt, insbesondere für die Soloselbst- ihnen gehört. ständigen. Wir haben das Elterngeld angepasst, damit die Menschen nach wie vor Elternzeit nehmen können, Wir geben ihnen zurück, was ihnen gehört. – Ja, meine auch wenn das Gehalt wegbricht. Damen und Herren von der CDU, da könnten auch Sie klatschen, zumindest die Katholiken unter Ihnen; denn (Zurufe von der LINKEN) diese Worte stammen aus einer Enzyklika von Papst Wir haben dafür gesorgt, dass das BAföG weiter ausge- Franziskus. zahlt wird, obwohl die Unis geschlossen sind. Wir haben (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Überbrückungshilfen für gemeinnützige Organisationen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gezahlt, damit sie ihre wertvolle Arbeit weitermachen Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich wuss- können. Wir haben die Kinder- und Jugendbildungswer- te das!) ke geschützt, damit sie ihre wichtige Arbeit leisten kön- nen. Und wir haben den Werkstätten für Behinderte mit Wenn wir hier also über sozialen Schutz reden – ich Inklusionsbetrieben Hilfen gewährt, damit sie in dieser komme zum Schluss –, reden wir eben nicht über eine Krise nicht pleitegehen. milde Gabe, die auf einer besonderen Großzügigkeit der Regierung basiert, sondern wir reden über eine Selbstver- (Zurufe von der LINKEN) ständlichkeit, die jedem zusteht: nämlich garantierter Ich weiß nicht, wie Sie, Frau Kipping, sich hierhinstellen Schutz vor Armut und garantierte Teilhabe an der Gesell- und sagen können, wir hätten nichts getan. Das ist eine schaft. Frechheit! Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Birkwald [DIE LINKE]: Das hat sie nicht ge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – sagt! Zu wenig!) (B) (D) Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ansonsten Wenn Sie nicht schon rot wären, müssten sie vor Scham die katholische Kirche nur von außen kennen! rotwerden; das kann ich Ihnen sagen. Demnächst zitiere ich euch mal Marx!) (Lachen bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Ergebnisse lassen sich sehen. Wir haben in diesem Vielen Dank, Frau Kollegin Kipping. – Nächster Red- Monat 2,7 Millionen Arbeitslose. Das ist ein Rückgang – ner ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU-Fraktion. zum dritten Mal in Folge. Wir kommen von 3 Millionen. Die Zahl liegt im Jahresvergleich – also im Vergleich zum (Beifall bei der CDU/CSU) November des letzten Jahres – eine knappe halbe Million höher. Das ist erstaunlich wenig angesichts der Tatsache, Kai Whittaker (CDU/CSU): dass wir uns mitten in der größten Krise seit dem Zweiten Herr Präsident! Werte Kollegen! Weihnachtszeit ist Weltkrieg befinden. Märchenzeit. Auch wenn ich viel Sympathie für Märchen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) habe, sage ich Ihnen, liebe Frau Kollegin Kipping: Was Sie hier gerade erzählt haben, war ein Ammenmärchen. Und wir haben die Zahl derjenigen, die von dem probaten Mittel der Kurzarbeit betroffen sind, von anfangs 7 Mil- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach lionen auf jetzt 2 Millionen absenken können. Kai, das kannst du besser! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Och!) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Man könnte ja denken, das geht auf Sie zurück! Sie haben Und Ammenmärchen sind dazu da, die Leute zu verängs- doch dagegen immer Widerstand geleistet!) tigen, damit man sie dann mit seinen eigenen Rezepten nach Gusto erziehen kann. Aber ich lasse Ihnen diesen Auch das ein Erfolg unserer Arbeit! Vorwurf, dass wir als Große Koalition nichts für die Wissen Sie, Frau Kipping, wenn Sie sich hierhinstellen Schwächsten getan hätten, hier nicht durchgehen. und sagen: „Die Sanktionen müssen wieder weg“, dann (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zu ist das genau die gleiche Leier, die Sie hier schon seit wenig! Viel zu wenig! – Helin Evrim Sommer Jahren bringen. [DIE LINKE]: Zu wenig!) (Zurufe der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben den Kinderbonus und Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eingeführt: 300 Euro pro Kind. Wir haben den Entlas- NEN]) tungsbeitrag für Alleinerziehende auf 4 008 Euro erhöht Ich mache mir um etwas anderes Gedanken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25385

Kai Whittaker (A) Ich mache mir darüber Gedanken, wie die Jobcenter in Martin Sichert (AfD): (C) dieser Pandemie eigentlich den Kontakt zu den Arbeits- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich losen halten können, damit wir sie nicht verlieren, son- damals nach dem Studium angefangen habe, in der freien dern sie nach wie vor beraten werden können. Das ist die Wirtschaft zu arbeiten, hat mich ein Satz begleitet, und eigentliche Herausforderung, vor der die Jobcenter ste- zwar nicht nur mich, sondern auch ganz viele andere, die hen. damals anfingen, zu arbeiten. Dieser Satz hieß: Wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was“. – Weil man eben manch- Ich mache mir Gedanken, wie wir die Azubis nächstes mal auch Härten hinnehmen muss, weil man sich viele Jahr in den Job bringen, wenn sie denn nicht von ihrem Dinge hart erarbeiten muss und weil es im Leben nicht Betrieb übernommen werden sollten. immer so läuft, wie man es sich vorstellt und wünscht. (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Tolle Und zwar nicht deshalb, weil der böse Arbeitgeber sie Erkenntnis! Ist ja eine super Erkenntnis!) nicht einstellen will, sondern deshalb, weil der Arbeitge- ber gar nicht weiß, ob sein Betrieb nächstes Jahr über- Wenn man sich aber den Antrag, den Sie von den haupt noch existiert. Dafür müssen wir Lösungen finden Linken hier einbringen, anschaut, hat man das Gefühl, und nicht wie Sie darüber nachdenken, ob man ein Sie denken, Sie wären hier bei „Wünsch dir was“: Arbeitslosengeld Plus nachmachen sollte. Wissen Sie, 1 000 Euro Weihnachtsgeschenk für Asylbewerber, die SPD hatte diese Idee ja auch, 1 000 Euro Weihnachtsgeschenk für Hartz-IV-Empfän- ger, 50 Prozent mehr Grundleistungen für Hartz-IV-Emp- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Aha!) fänger, sämtliche Sanktionsmöglichkeiten an der Stelle aber bei denen hätte man wenigstens noch eine Weiter- abschaffen, bildung machen müssen. Das sehen Sie sogar noch als eine Zumutung für Ihre Leute an. Sie sagen: Noch nicht (Zurufe der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] mal eine Weiterbildung braucht es. – Das ist doch Blöd- und Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) sinn, was Sie da vorschlagen. und Mieter sollen in der Lage sein, einfach mal so ihre (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind Miete um 30 Prozent zu reduzieren. – Das ist absolutes sehr weiterbildungsfreundlich! Keine Fake „Wünsch dir was“, vor allem, wenn man bedenkt, dass News hier verbreiten! – Weitere Zurufe der wir schon in 2019 über 1 Billion Euro über den Sozial- Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] und Helin staat umverteilt haben. Evrim Sommer [DIE LINKE]) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie (B) Und: Ich mache mir Gedanken, wie wir die Prozesse hoch ist das Bruttoinlandsprodukt der Bundes- (D) straffen können; denn auch das ist eine Erfahrung, die die republik Deutschland derzeit? Sagen Sie mal!) Jobcenter zurzeit machen: Das Individualrecht, das wir haben, ist so kompliziert, dass es schwierig ist, es digital – Nein, wir müssen uns nicht das Bruttoinlandsprodukt zu administrieren. Statt immer weiter Leistungen auszu- anschauen. weiten, wäre es gut, wenn wir die Prozesse straffen könn- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie ten. hoch ist das BIP derzeit? Sagen Sie mal!) Insofern kann ich nur sagen: Ammenmärchen bekämpft man heute genauso wie damals auch, indem Wir müssen uns anschauen, wie viele Menschen das Gan- man Aufklärung betreibt. Sie dagegen folgen dem wis- ze finanzieren. senschaftlichen Rat beim Thema Arbeitslosenversiche- Wir wissen, wir haben circa 15 Millionen Nettosteuer- rung nicht. Deshalb kann ich nur sagen: Follow the Scien- zahler. Wie viele Nettosozialstaatsfinanzierer wir genau ce! Wir werden diesen Antrag ablehnen. haben, wissen wir nicht. Aber selbst wenn man davon Danke schön. ausginge, dass die Zahl bei 30 Millionen liegen würde – da liegt sie nie und nimmer; das ist sehr, sehr großzügig (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. geschätzt – und diese 30 Millionen 1 Billion Euro finan- Birkwald [DIE LINKE]: Eine Rede nach dem zieren müssten – 1 Billion, das ist 1 Million mal 1 Million; Motto: Getroffene Hunde bellen!) das ist eine Zahl, die so groß ist, dass sie sich kein Mensch da draußen vorstellen kann –, dann müsste jeder Vizepräsident Wolfgang Kubicki: von diesen 30 Millionen, die es nie und nimmer sind, Vielen Dank, Kollege Whittaker. – Ist ja richtig Leben 3 000 Euro jeden Monat abgeben. Und das tun die Men- in der Linksfraktion schen auch: 3 000 Euro Wertschöpfung gehen weg, die werden einfach umverteilt. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es gedacht!) (Kerstin Tack [SPD]: Was redet er denn da?) und das so kurz vor Weihnachten, Mensch! Das ist ein Riesenproblem, das wir im internationalen Nächster Redner ist der Kollege Martin Sichert, AfD- Wettbewerb haben; denn das ist in anderen Ländern nicht Fraktion. so. Und das ist die Ursache für die Armut in Deutschland, nämlich dass der Staat wie ein Vampir an den Menschen (Beifall bei der AfD) hängt und ihnen das Geld wegsaugt. 25386 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Martin Sichert (A) Vor ein paar Minuten erschien ein Artikel in der anhören muss! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ (C) „Welt“, in dem es heißt, dass nicht mal mehr die Men- CSU]: Bitte gründlich desinfizieren!) schen in der Mittelschicht in der Lage sind, sich ein Eigenheim zu leisten. Da sind wir inzwischen angekom- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: men. Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Rednerin (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erteile ich der Kollegin Daniela Kolbe, SPD-Fraktion, NEN]: Das hängt doch mit den Immobilien- das Wort. preisen zusammen!) (Beifall bei der SPD) Den Menschen wird während des Arbeitslebens so viel Geld weggenommen, dass sie nicht in der Lage sind, für Krisenzeiten vorzusorgen, dass sie nicht in der Lage sind, Daniela Kolbe (SPD): für das Alter vorzusorgen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sichert, das, was Sie eben vor- (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE getragen habe, war ein erneuter Beleg dafür, dass die AfD LINKE]) nicht nur eine nationalistische, sondern im Kern auch Wenn die Menschen dann irgendwann nicht mehr kön- eine extrem neoliberale Partei ist, die gegen die Interes- nen, weil sie krank oder weil sie alt sind, dann sind sie auf sen von allen Menschen arbeitet, die wenig im Geldbeu- den Sozialstaat angewiesen und landen in der Altersar- tel haben, die Geringverdiener oder die erwerbslos sind. mut. Das ist eine absolut verantwortungslose Politik, Ich hoffe, dass viele von denen hören, dass Sie gegen meine Damen und Herren. Da wollen wir nicht hin. diese Menschen arbeiten. (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Deswegen können wir hier nicht „Wünsch dir was“ spie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- len und das Geld mit beiden Händen immer weiter aus- ordneten der CDU/CSU) geben. Ich habe die Anträge der Linken gelesen. Man be- (Beifall bei der AfD) kommt sonst wenig Lob von Ihnen für Regierungsarbeit; aber hier habe ich ein bisschen Lob für Hubertus Heil Wir haben in Deutschland momentan eine absolut toxi- herausgelesen. sche Mischung: Auf der einen Seite die Vernichtung der Wirtschaft durch wahnwitzige europäische Regelungen (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das muss mir wie Euro 7 und anderes, aber auch durch diese Lock- entgangen sein!) (B) down-Politik, die viele Menschen, die eigentlich arbeiten – Doch. (D) wollen, im Moment beschäftigungslos macht, und auf der anderen Seite wird immer mehr Geld mit beiden Händen (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Nur für ausgegeben. Diese toxische Mischung vernichtet die Sie, die SPD! Nicht für die CDU/CSU!) Zukunftsfähigkeit Deutschlands, sie vernichtet den Sie schreiben an vielen Stellen: Manches sollte man noch Wohlstand in diesem Land, und sie sorgt dafür, dass in mehr machen, oder manches sollte man verlängern. Aber Zukunft noch sehr viel mehr Menschen in Armut leben das, was verlängert werden soll, ist doch im Kern nicht werden. schlecht. Von daher erst einmal lieben Dank für das Lob (Beifall bei der AfD) für Hubertus Heil. Das wollen wir als AfD nicht. Deswegen lehnen wir (Beifall bei der SPD – Zurufe von der LIN- „Wünsch dir was“-Anträge ab. KEN) Wir hoffen, dass man endlich zur Vernunft zurück- Sie weisen aber auch auf Fehlstellen hin. Ich kann das kehrt. Man muss umkehren und einen anderen Weg ein- auch verstehen; denn Sie haben vollkommen recht, das schlagen. Wir müssen die Wirtschaft wieder stärken. Und teilen wir: Die Coronakrise betrifft bestimmte Menschen, wir müssen dafür sorgen, dass die Sozialausgaben auf ein insbesondere die Erwerbstätigen, die niedrige Einkom- vernünftiges Maß zurückgeführt werden. 1 Billion Euro men haben, ganz besonders. Das sehen wir auch so, und Sozialausgaben – das ist langfristig international nicht deswegen handeln wir auch entsprechend. Ich möchte wettbewerbsfähig. stakkatomäßig aufzählen, was wir alles schon gemacht (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Viert- haben – über Verbesserungen kann man immer streiten –: höchstes Bruttoinlandsprodukt der Welt! Wir haben Zuschüsse, beispielsweise die November- Exportweltmeister oder Vize!) hilfen, für Kleinselbstständige, aber auch für Künstler- Damit können die Menschen nicht selber vorsorgen. Wir innen und Künstler auf den Weg gebracht; das hilft ihnen wollen, dass die Menschen selber in der Lage sind, durch massiv. das, was sie sich erarbeitet haben, für Notzeiten vorzusor- Wir haben den erwähnten erleichterten Zugang zur gen, und dass sie nicht immer am Tropf des Staates hän- Grundsicherung ohne Vermögensprüfung und ohne Prü- gen müssen. fung der Kosten der Unterkunft geschaffen; das gilt ja für Vielen Dank, meine Damen und Herren. alle, die gerade einen Antrag stellen. (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Wir haben für die erwähnte Verlängerung des [DIE LINKE]: Also, was man sich hier so alles Anspruchs auf Arbeitslosengeld gesorgt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25387

Daniela Kolbe (A) Wir haben für eine Erhöhung und für eine erweiterte Daniela Kolbe (SPD): (C) Dauer des Bezugs des Kurzarbeitergeldes gesorgt, und – dass so etwas nicht allein vom Anträgeschreiben zwar für die Beschäftigten, nicht für die Unternehmen. kommt, sondern man schon an der Regierung sein muss. Gleichzeitig fördern wir die Weiterbildung während (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da haben des Kurzarbeitergeldbezugs. wir euch aber auch ganz schön überzeugen müssen, dass ihr euch an der Regierung betei- Wir sichern Ausbildungsplätze in der Coronakrise. ligt! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ich habe Wir haben den erwähnten Kinderbonus in Höhe von eher das Gefühl, Sie bereiten sich schon auf 300 Euro eingeführt. die Opposition vor!) Wir unterstützen alleinerziehende Erwerbstätige. Und wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Wir machen ein Konjunkturpaket, das kleine Einkom- sind stolz auf das Erreichte. men stützt und in Zukunft investiert. (Beifall bei der SPD) Wir haben das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz auf den Weg gebracht, das unsere soziale Infrastruktur stützt, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: usw. usf. Ich meine, man kann die Bilanz der Großen Koalition (Beifall bei der SPD) auch zu Protokoll geben. Herr Whittaker, ich freue mich, dass Sie sich mit uns Der nächste Redner ist der Kollege Pascal Kober, FDP- über das freuen, was wir alles hinbekommen haben; aber Fraktion. als Sozialdemokratin will ich darauf hinweisen, dass wir (Beifall bei der FDP) uns auch an die Kraft erinnern können, die wir aufbringen mussten, um unseren geschätzten Koalitionspartner von Pascal Kober (FDP): all diesen Maßnahmen zu überzeugen. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Hört! legen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Hört!) Linke, Sie weisen in Ihren beiden Anträgen auf Probleme hin, die tatsächlich von diesem Hohen Haus wahrgenom- Über das Kurzarbeitergeld haben wir beispielsweise erst men und beantwortet werden müssten. Allerdings sind im Koalitionsausschuss diskutiert; vorher war das nicht die Lösungen, die Sie vorschlagen, einmal mehr nicht geklärt. Insofern: Danke, dass Sie sich jetzt unseren Maß- zielführend; und deshalb werden wir Ihren Anträgen lei- nahmen anschließen. der nicht zustimmen können, wenngleich Sie wichtige (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Probleme ansprechen. (D) Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) Natürlich wird die Coronapandemie Arbeitsplätze kos- Das waren jetzt auch nur die coronabedingten Maß- ten. Aber die Lösung ist doch nicht, vorzuschlagen, wie nahmen. Wir haben ein bisschen mehr gemacht. Wir die Zeit der Arbeitslosigkeit bearbeitet werden soll, son- haben gestern mit Ihrer Unterstützung endllich in der dern die Lösung ist, zu überlegen, wie wir die Zeit der Fleischbranche aufgeräumt. Wir haben trotz Corona die Arbeitslosigkeit verkürzen können. In Ihren Anträgen Grundrente und das Arbeit-von-morgen-Gesetz einge- fehlen aber jegliche Vorschläge hierzu. führt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Fazit: Als SPD sehen wir glücklicherweise eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schade, weil wir Renaissance des Sozialstaates in Reinkultur, die wir ge- gemeinsam in diesem Hohen Haus schon auch die Men- meinsam mit unserem Koalitionspartner – nach gewisser schen, die in dieser Coronapandemie am Rande stehen, Überzeugungsarbeit – im Blick haben müssen. Dazu gehören beispielsweise (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Also wirklich, auch die sogenannten vulnerablen Gruppen innerhalb Frau Kolbe, das ist doch Blödsinn! Frau Kolbe, der Grundsicherung. dafür müssen Sie sich entschuldigen!) Es freut mich ausdrücklich, dass Familienministerin auf den Weg bringen. Frau Giffey und auch Frau Staatsministerin Müntefering heute hier sind. Denn Sie, Frau Giffey, haben mit Franz Müntefering einen gemeinsamen Appell an die Gesell- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schaft und die Politik gerichtet, dass die vulnerablen Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. Gruppen in dieser besonderen Situation der Coronapan- demie der Solidarität und Unterstützung bedürfen. Aber Daniela Kolbe (SPD): wenn wir zum Beispiel den älteren Menschen in der Wir sind richtig stolz darauf, dass wir genau das auf Grundsicherung raten, zu Hause zu bleiben und mög- den Weg bringen. Und ihr als Linke müsst zugeben – ich lichst wenig unter Leute zu gehen, dann ist doch klar, weiß, dass euch das wehtut –, – dass sie nicht mehr den günstigsten Supermarkt aufsu- chen können, sondern dass sie den nächsten Supermarkt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: aufsuchen müssen. Wenn Sie, Frau Giffey, empfehlen, dass die Menschen sich Mahlzeiten und Lebensmittel Kommen Sie zum Schluss bitte, Frau Kollegin. nach Hause liefern lassen sollen, dann müssen natürlich (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ja!) auch die finanziellen Möglichkeiten gegeben sein. 25388 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Pascal Kober (A) (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- und von Unterstützungsangeboten, die wegfallen. Sie (C) Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fragt: Warum gibt es für mich eigentlich keinen einzigen Cent mehr, obwohl doch und andere große Hier versagt Ihr Sozialminister Hubertus Heil völlig. Er Unternehmen Millionen bekommen? Liebe Kolleginnen hat die Menschen in der Grundsicherung im Alter null auf und Kollegen von Union und SPD, können Sie das dieser dem Schirm. Ich bitte Sie, liebe Frau Giffey, als Familien- Rentnerin erklären? ministerin: Rufen Sie ihn zur Räson, erinnern Sie ihn an seine Verantwortung, damit hier eine Lösung gefunden (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) werden kann. Ich kann es nämlich nicht. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist richtig, lieber Kai Whittaker, dass es eine zusätz- und bei der LINKEN) liche Leistung für Kinder gegeben hat. Trotzdem haben Sie ein Problem nicht gelöst: Die Arbeitslosigkeit von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: morgen ist nämlich auch mitbedingt durch den Beschu- lungsverlust von heute. Die Kinder in der Grundsiche- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des rung haben einen Nachteil, weil sie häufig keine digitalen Kollegen Whittaker, CDU/CSU-Fraktion? Endgeräte haben. Wir haben schon weit vor der Corona- pandemie vorgeschlagen, dass man die Leistungen des Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bildungs- und Teilhabepakets für Schulmaterialien Ja, natürlich. erhöht. Hätten Sie dem damals zugestimmt, dann wären die Laptops heute schon zur Hälfte abbezahlt. Das wäre die richtige, weitsichtige Lösung gewesen; aber Sie Kai Whittaker (CDU/CSU): haben da nichts auf den Weg gebracht. Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr Kolle- ge, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben (Zuruf des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) gerade eben erneut – was Sie schon häufiger in Ihren Reden gemacht haben – von steigenden Lebensmittel- Lieber Herr Whittaker, ich sage Ihnen eins: Weihnach- preisen berichtet. Ich habe mir mal die Zahlen vom Sta- ten ist nicht die Zeit der Märchen, sondern Weihnachten tistischen Bundesamt geben lassen, das jeden Monat die ist die Zeit der Hoffnung, und ich habe die Hoffnung Preise ermittelt, nicht aufgegeben, dass die Fraktionen SPD und CDU/ CSU endlich ein Stück weit bereit sind, auch für die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schön Menschen am Rande dieser Gesellschaft die Verantwor- (B) differenzieren!) (D) tung zu übernehmen. und ich habe mir den letzten Preisstand von vor der Coro- (Beifall bei der FDP – Helin Evrim Sommer nakrise im Januar dieses Jahres sowie den Preisstand von [DIE LINKE]: Aber hallo! – Sven Lehmann November dieses Jahres angeschaut. Der Preisindex von [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP Januar dieses Jahres, gemessen an den Preisen von 2015, rückt nach links! – Zurufe von der SPD) liegt bei 109,2 und von November bei 108,9. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Für Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gemüse und Obst vorlesen!) Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Nächster Redner ist der Kollege Sven Lehmann, Bündnis 90/Die Grünen. Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass 108,9 weniger ist als 109,2 und dementsprechend Ihre Aussage, dass die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lebensmittelpreise gestiegen sind, falsch ist? (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NEN]: Was soll denn die Antwort an die Rent- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit nerin sein? – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- Wochen ruft in meinem Büro eine Rentnerin aus Rostock KE]: Für Gemüse und Obst vorlesen!) an, und zwar immer und immer wieder. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und ihr Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sagt: Falsch verbunden! – Zurufe von der LIN- Lieber Kollege Whittaker, vielen Dank für die Frage, KEN) die ich auch sehr eindeutig beantworten kann, nämlich damit, dass ich im März und im April – wie Sie wahr- – Ja, wenn ich jetzt lügen würde, hätte ich gesagt: Aus scheinlich auch; nehme ich mal an – in die Supermärkte Köln, aus meinem Wahlkreis. – Aber sie ist tatsächlich gegangen bin und eingekauft habe. Ich habe sehr schnell aus Rostock. – Die ältere Dame stockt mit der Grund- festgestellt, dass, wenn man nicht sofort morgens um 7 sicherung ihre kleine Rente auf. Die Coronakrise macht oder 8 Uhr dort steht, gerade die Produkte, die günstig ihre Sorgen noch größer. Sie berichtet von steigenden sind, bereits vergriffen waren. Lebensmittelpreisen, von teuren FFP2-Masken (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Och nee!) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Trotz Mehrwertsteuersenkung? Das glaube ich Das heißt: Die besonders günstigen Produkte sind sehr nicht!) schnell vergriffen gewesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25389

Sven Lehmann (A) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) doch eine Ausrede! Die Mehrwertsteuer ist Wir fordern eine deutliche Erhöhung des Regelsatzes, gesenkt worden!) damit jeder Mensch teilhaben kann. Wir fordern eine Und wenn Sie sich beispielsweise die Zahlen von Überwindung der Bedarfsgemeinschaften; denn jeder Foodwatch – das scheint Ihnen offenbar wehzutun – für Mensch hat aus sich heraus einen Anspruch auf soziale diesen Frühling mal genau anschauen, dann stellen Sie Sicherung. Lieber Kollege Whittaker, auch das blockiert fest: Es ist sehr eindeutig, dass gerade die frischen die Union, und diese Blockade muss endlich aufhören! Lebensmittel wie Obst und Gemüse deutlich teurer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geworden sind, sowie bei Abgeordneten der LINKEN – (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Rich- Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein, tig!) muss sie nicht!) und zwar so teuer wie seit Jahren nicht mehr. Und das Wir fordern einen Verzicht auf die bürokratische und sollten Sie akzeptieren. aufwendige Vermögensprüfung, die bloß Zeit und Res- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sourcen in den Jobcentern kostet. Und da habe ich sehr und bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer genau hingehört: Der Minister Heil sieht das genauso. [CDU/CSU]: Fleisch ist billiger geworden!) Auch das blockiert die Union. Es geht auf Ihr Konto, dass die Jobcenter hier Zeit mit Sachen verbringen, die Ich komme zurück zu meiner Rede. – Wir Grüne wer- einfach nur Zeit fressen und nicht im Sinne der Betroffe- ben deswegen, genau wie die Linken auch, seit Monaten nen sind. für einen Coronazuschlag auf die Grundsicherung, und zwar Seite an Seite mit einem breiten Bündnis aus Sozial- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wohlfahrtsverbänden, aus Familienverbänden, aus sowie der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE Gewerkschaften, aus den Tafeln. Wir werden nicht LINKE] – Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmen- lockerlassen, bis das dieser Bundestag endlich beschließt, dingen] [CDU/CSU]) liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ja, ich weiß, das tut weh. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Und vor allem: Stoppen Sie Stromsperren, und ver- und bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer hängen Sie ein Sanktionsmoratorium, damit niemandem [CDU/CSU]: Macht das Argument nicht bes- gerade in diesen Monaten das Existenzminimum genom- ser!) men wird. Auch das ist eine Leerstelle Ihrer Politik. Wir Denn es fehlt nicht an Fakten und Informationen. Wir warten bis heute auf die Umsetzung des Verfassungsge- (B) wissen doch, dass die Pandemie Menschen in Armut här- richtsurteils. Auch das muss schnellstmöglich im Sinne (D) ter trifft als andere, und zwar gesundheitlich und in ihrer der Menschen umgesetzt werden. Existenz. Warum lassen Sie also sehenden Auges zu, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich aus der Coronakrise eine verschärfte Armutskrise sowie der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE entwickelt? Das darf dieser Bundestag nicht zulassen, LINKE]) liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurzum: Lassen Sie uns unseren Sozialstaat würdevoll (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und krisenfest machen; denn ein starker Sozialstaat trägt und bei der LINKEN) im Wesentlichen dazu bei, dass eine Gesellschaft nicht Und jetzt ist dazu in der Koalition auch noch ein Kräf- auseinanderfällt. temessen um die richtige Hilfe für Soloselbstständige und In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, Kulturschaffende ausgebrochen. Die Union blockiert und bleiben Sie gesund! einen einfachen Zugang zur Grundsicherung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) ist ja vollkommen daneben gewesen!) Die SPD blockiert einen Unternehmer/-innenlohn für Selbstständige. Und so blockieren sich eigentlich alle, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sodass sich gar nichts ändert. Dieses Trauerspiel auf Vielen Dank, Herr Kollege Lehmann. – Nächste Red- dem Rücken der Betroffenen muss endlich aufhören, lie- nerin ist die Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion. be Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn gerade in Krisenzeiten brauchen wir einen star- Jana Schimke (CDU/CSU): ken Sozialstaat, der unbürokratisch ist, einen Sozialstaat, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nennen wir der unterstützt, der Halt und Sicherheit gibt, der Pers- es mal beim Namen: Den Linken geht es doch gar nicht pektiven bietet. Hartz IV leistet all das nicht. Deswegen um Bedürftige oder um Corona, um die Pandemie. fordern wir stattdessen einen einfachen Zugang zur Grundsicherung, zu einer würdevollen Garantiesiche- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So ein rung. Lieber Kollege Whittaker, das würde noch einfa- Quatsch!) cher funktionieren, wenn die Union genau das nicht blo- Es geht darum, das regelmäßige Ablehnen unserer ckieren würde. Sozialstaatsprinzipien 25390 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Jana Schimke (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist der ganz zentrale Unterschied, weswegen wir hier (C) Quatsch!) auch unterschiedlich vorgehen und die Leistungen den Menschen in unterschiedlicher Höhe zukommen lassen. hier einmal mehr vorzutragen, dem Ganzen ein neues Mäntelchen umzuhängen Sie fordern darüber hinaus, dass wir beim Bezug von Hartz IV die Sanktionen streichen. Ganz ehrlich: (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: So ein Zunächst einmal sind Sanktionen begrenzt. Das wurde Unsinn!) gerichtlich bestätigt; das akzeptieren wir selbstverständ- und zu sagen: Wir müssen wegen Corona alles ändern. lich auch. Es geht aber gerade bei Hartz IV um Steuer- gelder; das sei an dieser Stelle mal gesagt. Wir verwalten (Beifall bei der CDU/CSU – Helin Evrim das Geld der Menschen in diesem Land. Unsere Aufgabe Sommer [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch und die Aufgabe der Jobvermittler im Jobcenter ist es, mit selbst nicht, was Sie da sagen! – Weiterer Zuruf diesem Geld verantwortungsvoll umzugehen. Selbstver- der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) ständlich haben wir das Recht, die Menschen auch zu fragen und zu fordern und zu sagen: Wenn du zum wie- Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt: derholten Mal zum Termin nicht erscheinst, Unser Sozialstaat ist gut und gerecht aufgebaut. Wir befassen uns in jeder Sitzungswoche mit der Frage: Wie (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was für geht es bedürftigen Menschen in diesem Land? Wie kön- ein Termin? Wir sind in der Pandemie!) nen wir ihnen helfen? Wie können wir sie wieder in wenn du diese oder jene Auflage nicht erfüllst, dann Arbeit bringen? Das ist doch die ganz entscheidende dürfen wir dich selbstverständlich auch sanktionieren. Frage. Deswegen, meine Damen und Herren: Wir ziehen uns den Schuh, nichts getan zu haben, nicht an. Wir tun (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- seit Jahren nichts anderes, NEN]: Die haben doch nicht auf!) Das ist richtig, und dahinter stehe ich auch. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ihr habt nicht genug getan! Nicht genug!) (Beifall bei der CDU/CSU) als bedürftigen Menschen in diesem Land zu helfen, die- Soloselbstständige: Diese Diskussion, meine Damen ses Land voranzubringen, den Menschen Arbeit zu geben und Herren, wurde zu Recht in diesem Hause geführt, und Unternehmen zu helfen. und ich finde, das Problem wurde auch richtig gelöst. Zuerst hieß es: Ihr könnt Hartz IV beantragen. – Wir Das Prinzip des Forderns und Förderns – das möchte haben natürlich erkannt, dass man mit Selbstständigen, ich an dieser Stelle noch einmal sehr, sehr deutlich beto- mit Leistungsträgern dieser Gesellschaft in dieser beson- (B) nen – deren Situation, wie wir sie im Moment erleben, so nicht (D) (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- umgehen kann. Deswegen haben wir die Neustarthilfe NEN]: Ist gescheitert! – Helin Evrim Sommer eingeführt, die sich wahrlich sehen lassen kann; das [DIE LINKE]: Hat versagt!) darf an dieser Stelle auch mal gesagt werden. Bis zu 5 000 Euro können ab Januar bezogen werden. ist gerade beim Bezug von Hartz IV absolut wichtig, und (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das werden wir auch nicht aus dem Blick verlieren. Es NEN]: Menschen erster und zweiter Klasse! – geht nicht darum, Anreize zu setzen, dass Menschen sich Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: George dauerhaft im System der sozialen Hilfen einrichten und Orwell „Animal Farm“!) dort ausharren, sondern es geht darum, ihnen herauszu- helfen. Auch da haben wir einmal mehr bewiesen, dass wir in sozialstaatlichen Fragen durchaus beratungsfähig und (Beifall bei der CDU/CSU) lernfähig sind, meine Damen und Herren. Deswegen müssen wir uns auch immer wieder bei aller (Beifall bei der CDU/CSU – Helin Evrim Hilfestellung sehr kritisch mit der Frage auseinanderset- Sommer [DIE LINKE]: „Beratungsresistent“ zen, ob die Hilfen, die wir leisten, richtig und zielge- würde ich sagen!) richtet sind. Ich sehe, die Uhr blinkt. – Also: Worauf kommt es an? Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt verschiedene Es kommt in diesen Tagen auf wirtschaftlichen Sachver- Vorschläge in den beiden Anträgen, die uns vorliegen. stand an, meine Damen und Herren. Wir müssen alles Dazu zählt zum Beispiel, das Arbeitslosengeld I zu ver- dafür tun, Arbeitslosigkeit in diesem Land zu vermeiden. längern, Hartz IV zu erhöhen. Das Ganze wird in Bezug Wir müssen alles dafür tun, Arbeitsplätze zu erhalten. zum Kurzarbeitergeld gesetzt, das natürlich etwas bessere Und wir müssen vor allen Dingen unseren Unternehmen Regelungen bietet als der Arbeitslosengeldbezug in helfen, damit wir auch morgen noch Deutschland. Das hat auch einen Grund, meine Damen (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kraftvoll und Herren; denn das Kurzarbeitergeld ist eben keine zubeißen können!) Fürsorgeleistung. Es ist keine Sozialleistung im engeren Sinne wie Hartz IV. Nein! Es ist eine Versicherungsleis- ein gesundes, ein gutes Land sind, das sich mit seiner tung, und es ist, wenn Sie so wollen, eine Wirtschafts- wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sehen lassen kann. hilfe. Vielen Dank. (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25391

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Linke fordert ab sofort und dauerhaft erstens ein (C) Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. – Ich glaube, da erhöhtes Arbeitslosengeld von 68 Prozent vom letzten blinkt „Präsident“ und nicht die Uhr. Das ist mein heim- Netto, zweitens einen leichteren Zugang, vor allem für liches Rufen, um zum Schluss zu kommen. Beschäftigte mit kurzen Beitragszeiten, drittens für alle Versicherten eine beitragsfinanzierte Anschlussleistung. Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, niemand verliert freiwillig den Arbeitsplatz. Arbeitslo- (Beifall bei der LINKEN) sigkeit ist ein strukturelles Merkmal unseres Wirtschafts- systems mit seinen wiederkehrenden Krisen. Deshalb ist es das Mindeste, den Lebensstandard von erwerbslosen Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Menschen zu sichern. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schimke, wissen Sie, was uns, also Die Vielen Dank. Linke, und die CDU unterscheidet? (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein! – Jana Schimke [CDU/CSU]: Ganz viel!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Zimmermann. – Als näch- Sie haben den Sozialstaat in den letzten Jahren abgebaut, ster Redner hat das Wort der Kollege Michael Gerdes, und wir wollen ihn wiederherstellen. Das ist der Unter- SPD-Fraktion. schied! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die Michael Gerdes (SPD): Sozialquote ist gestiegen, Frau Zimmermann!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme Meine Damen und Herren, der Arbeitsmarkt erlebt dem Antrag der Fraktion Die Linke in einem Punkt zu. Da eine schwere Krise. Trotz Kurzarbeit sind eine halbe heißt es nämlich in den ersten zwei Eingangssätzen: Million Menschen mehr arbeitslos. Natürlich endet die Seit dem Frühjahr 2020 hat die Corona-Pandemie Krise nicht am 31. Dezember dieses Jahres. Deshalb, neben den gesundheitlichen Auswirkungen enorme meine Damen und Herren der Bundesregierung, haben ökonomische und soziale Verwerfungen verursacht. Sie die Sonderregelungen bei der Kurzarbeit bis 2021 Es ist dringend erforderlich, die ökonomischen und verlängert. Die Linke fordert: Verlängern Sie genauso (B) sozialen Folgen abzufedern und Arbeitsplätze zu (D) die Sonderregelung beim Arbeitslosengeld! Das ist drin- sichern. gend notwendig! Das stimmt, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Folgen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der Pandemie versetzen unser Land, die Welt insgesamt neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in einen Ausnahmezustand und bringen Ungleichheiten stärker ans Tageslicht. Und genau deshalb haben wir Drei Monate länger Arbeitslosengeld, das macht für viele zahlreiche Hilfen für die verschiedensten Zielgruppen Menschen einen riesigen Unterschied. Sie sparen hier auf auf den Weg gebracht, ein Konjunkturpaket erarbeitet dem Rücken derjenigen, die ihre Arbeitsplätze verlieren. und massiv Geld in die Hand genommen. Der Bundes- Das ist ungerecht, und das ist unsozial, meine Damen und haushalt 2021 beinhaltet Rekordausgaben, um die Folgen Herren. Wenn diese Koalition nicht den Beitrag zur der Pandemie abzumildern und unsere Gesundheit zu Arbeitslosenversicherung gesenkt hätte, dann wären die schützen. Und selbstverständlich geht es darum, soziale Reserven der Bundesagentur für Arbeit gut gefüllt. Der Härten abzufedern. Wirtschaftsabschwung hat sich doch schon vor Corona angebahnt. Dann muss man doch die Sozialversicherung Soziale Ungleichheit ist nicht nur ein Problem für die stärken. Das wäre eine gute Arbeitsmarktpolitik, meine Betroffenen selbst; sie blockiert stabile demokratische Damen und Herren. Strukturen und verhindert wirtschaftliches Wachstum. Deshalb ist uns daran gelegen, niemanden zurückzulas- (Beifall bei der LINKEN) sen; deshalb gilt die Regelung zum Kurzarbeitergeld; deshalb haben wir den vereinfachten Zugang zur Grund- Zur Zeit von Helmut Schmidt, der gewiss kein Linker sicherung verlängert; deshalb wurde unter anderem der war, betrug das Arbeitslosengeld 68 Prozent vom letzten Kindergeldbonus gezahlt oder die Sonderregelung für die Netto. Das stärkte in der Wirtschaftskrise die Konjunktur. Mittagsverpflegung von Schülerinnen und Schülern im Fast genau vor 17 Jahren, auch in einer Wirtschaftskrise, Rahmen des Bildungspakets verlängert. haben Union und SPD, Grüne und FDP die Agenda 2010 beschlossen. Seitdem bekommen Erwerbslose das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Arbeitslosengeld unter erschwerten Bedingungen und der CDU/CSU) müssen dann oft Hartz IV beziehen. Seitdem geht die Was können wir aber perspektivisch tun, sprich: über Angst um, den Arbeitsplatz und auch den Lebensstandard die Coronahilfen hinaus? Im Gegensatz zur AfD steht die zu verlieren. Damit muss endlich Schluss sein, meine SPD für einen starken Sozialstaat, der in Strukturen Damen und Herren! investiert und sich kümmert, (Beifall bei der LINKEN) (Kerstin Tack [SPD]: Jawohl!) 25392 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Michael Gerdes (A) einen Staat mit guter Kinderbetreuung, guten Schulen, Das Beste, das wir für das Land schaffen – ich weiß nicht, (C) guter Infrastruktur und verlässlichen Sozialversiche- warum wir hier darum ringen müssen –, sind sozialver- rungssystemen. sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Ich hat- te gehofft, das wäre eigentlich klar! Das ist unser Ziel. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wir stehen für einen Staat, der Menschen qualifiziert und Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Dagegen alles dafür tut, dass Arbeitslosigkeit gar nicht erst ent- haben wir doch gar nichts! Ganz im Gegenteil!) steht. Wir setzen auf Leistungsgerechtigkeit und Solida- rität. Deshalb haben wir für die Grundrente gekämpft; In den Debatten in den letzten Tagen habe ich sehr oft deshalb stehen wir zum Grundsatz: Je länger man in die erlebt, dass wir in die Nähe von Parteitagsreden kommen. Arbeitslosenversicherung einzahlt, desto länger hat man Ich finde das angesichts der Krise und der Herausforde- auch Anspruch auf Arbeitslosengeld I; Ältere brauchen rungen, vor denen wir stehen, nicht angemessen; denn einen längeren Anspruch als Jüngere. wir müssen auch Vertrauen in dieses Parlament, in diese Koalition und in diese Regierung haben. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der LINKEN) Ich weiß, Minijobber sind von der Krise besonders betroffen; man denke nur an die vielen Jobs in der Gast- Das wird mit Parteitagsreden nicht besser. ronomie und im Einzelhandel. Minijobber profitieren Aber Wahrheiten muss man aussprechen, und eine nicht von der Arbeitslosenversicherung. Wir sollten uns Wahrheit ist, dass wir seit 2005, seitdem die Union die aber klarmachen, dass Minijobs auch ohne Pandemie Bundesregierung führt, egal mit wem in der Koalition, keine wirkliche Perspektive oder Sicherheit bieten. Es fast 7 Millionen neue sozialversicherungspflichtige hat sich auch nicht die Hoffnung erfüllt, dass Minijobs Beschäftigungsverhältnisse geschaffen haben. Das sind eine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt bauen. 26 Prozent! Deshalb sagen wir als SPD immer wieder, dass unser (Beifall bei der CDU/CSU) erstes Ziel die Schaffung von sozialversicherungspflich- tigen Jobs sein muss, am besten mit Tarifbindung. 26 Prozent mehr Jobs – das ist ein Erfolg! Das kann man nachprüfen, nachlesen. Das hilft, dieses Land weiter nach (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vorne zu treiben. Und mit den Fähigkeiten, die wir haben, Nur gute Löhne verringern Vermögensungleichheit; nur wird das auch gelingen. gute Löhne sorgen für eine bessere Rente. Daran arbeiten Deswegen bin ich froh, Frau Kollegin Kolbe, dass wir wir. Wir handeln in der Krise. viele Gesetze, die aus SPD-geführten Häusern kommen, (B) Glück auf! Frohe Weihnachten Ihnen allen und einen noch mal im Koalitionsausschuss beraten. Wenn Gesetze (D) guten Rutsch in ein hoffentlich besseres Jahr 2021! Blei- mittlerweile handwerklich so schlecht gemacht sind, dass ben Sie gesund! sie nicht mal mehr in die Ressortabstimmung kommen, dann wird das dieser Krise und der Situation nicht Herzlichen Dank. gerecht. Wir dürfen uns hier nicht parteipolitischem Kla- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mauk hingeben, sondern sollten lieber etwas mehr in die der CDU/CSU – Bernd Rützel [SPD]: Sehr gut! Sacharbeit investieren, damit wir für die Menschen etwas Sehr gut gemacht!) auf den Weg bringen. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja eben! Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das tun Sie gerade nicht!) Vielen Dank, Herr Kollege Gerdes. Wenn wir für die Menschen etwas auf den Weg bringen wollen, dann ist es nicht damit getan, hier zu fordern, das (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Von der SPD Arbeitslosengeld zu erhöhen; dann muss man auch sagen, war er bisher der Beste!) wer das bezahlt. – Aber nur wegen der guten Wünsche. (Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] meldet sich (Heiterkeit bei der CDU/CSU) zu einer Zwischenfrage) Letzter Redner ist der Kollege Tobias Zech, CDU/ Und zahlen tun es nämlich die Arbeitnehmer und die CSU-Fraktion. Arbeitgeber. Das heißt, das Einzige, was Sie hier fordern, ist eine massive Erhöhung der Sozialabgaben für alle (Beifall bei der CDU/CSU) Erwerbstätigen in diesem Land und natürlich für die Arbeitgeber, Tobias Zech (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Eine heute einen spannenden Antrag vorliegen. Ich bin immer gerechte Verteilung!) bemüht, dass ich bei allen Anträgen, die ich lese, auch das von denen wir fordern, dass sie in den nächsten Monaten Positive finde. Hier habe ich mich echt schwergetan – tue wieder Jobs schaffen. – Ich warte, Frau Kipping. es jetzt immer noch –; denn er geht komplett an den Herausforderungen, vor denen wir stehen, vorbei. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- Herr Kollege, ich sehe an Ihrer Haltung, dass Sie eine KE]: Weil Sie sich nicht ordentlich kümmern!) Zwischenfrage der Kollegin Kipping zulassen wollen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25393

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Heiterkeit) Das wollen Sie abschaffen. Das ist die Wahrheit. Sie (C) sagen es halt nicht. Deshalb: Nein, ich gebe Ihnen nicht recht. Wir sprechen hier über Sozialversicherungen und Tobias Zech (CDU/CSU): Ja. – Ich wollte Ihnen nicht vorgreifen, Herr Präsident. nicht über Steuer. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir reden über Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Grundsicherung und Arbeitslosengeld! – Frau Kollegin Kipping, Sie haben das Wort. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch steuerfinanziert!) Katja Kipping (DIE LINKE): Da sind Sie heute in der falschen Debatte, wenn Sie mit Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Zech, Sie haben mir darüber sprechen wollen. hier unterstellt, dass unsere Vorschläge eine Steuerbelas- tung – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir reden über Tobias Zech (CDU/CSU): Grundsicherung und Arbeitslosengeld!) Sozialabgaben. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Kipping, die Frage ist beantwortet. Es wird kein – für alle Erwerbstätigen bedeuten würden. Sind Sie Dialog jetzt werden. bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Steuerkonzept vorsieht, dass Alleinstehende mit einem Einkommen bis zu 7 000 Euro im Monat bei uns bessergestellt werden, Tobias Zech (CDU/CSU): dass wir aber sehr wohl sagen, woher Mehreinnahmen Ich habe jetzt gerade über das Arbeitslosengeld kommen sollen, und zwar indem wir Millionenerbschaf- gesprochen. ten, Millionengewinne und Millionenvermögen stärker besteuern wollen? (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Noch mal: Für mich ist es wichtig – um jetzt zum Ende zu kommen; ich glaube, die Differenzen sind aufgeklärt –, dass wir die Menschen nicht so lange wie möglich in der Tobias Zech (CDU/CSU): Arbeitslosigkeit belassen, sondern dass wir wieder (B) Frau Kipping, vielen Dank. – Ich bitte Sie, zur Kennt- sozialversicherungspflichtige Jobs schaffen, dass wir (D) nis nehmen, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversiche- die Menschen in eine vernünftige, gut bezahlte Arbeit rung keine Steuer ist, sondern eine Sozialabgabe. Darü- bekommen. Das hat die Union seit 2005 mit 7 Millionen ber sprechen wir jetzt. Dazu haben Sie ja auch Ihren mehr sozialversicherungspflichtigen Jobs bewiesen. Das Antrag gestellt. werden wir auch weiter tun; dann kommen wir auch gut (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) durch die Krise. Wenn Sie einen Steuerantrag stellen wollen, dann stellen Bei allen Differenzen: Frohe Weihnachten und einen Sie einen und bringen ihn zur Debatte, und dann können guten Start ins nächste Jahr! wir gerne darüber diskutieren. Gegen das, was Sie hier machen, was Sie hier in der Debatte erzählen, war (Beifall bei der CDU/CSU) Münchhausen ein Empiriker. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Zech. – Damit schließe ich Was Sie hier machen: Sie fordern, dass die Arbeitgeber die Aussprache. und Arbeitnehmer in diesem Land mit der Umsetzung Ihres Konzepts mehr zahlen müssen. Ich komme zunächst zu Tagesordnungspunkt 24. Inter- fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das weise ich sache 19/25068 an die in der Tagesordnung aufgeführten mit aller Entschiedenheit zurück!) Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überwei- Ich möchte nicht, dass sie mehr zahlen müssen. sungsvorschläge? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Ich sage Ihnen, was Sie noch fordern: Sie kartätschen die Arbeitslosenversicherung nieder. Sie fordern einen Zusatzpunkt 7. Wir kommen zur Abstimmung über direkten Anspruch für Einzahlungen in die Arbeitslosen- den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache versicherung. 19/25252 mit dem Titel „Soziale Härten in der Pandemie vermeiden – Sonderzahlung für die Ärmsten“. Wer (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie bauen einen stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- Popanz auf, Herr Zech!) haltungen? – Keine. Dann ist dieser Antrag gegen die Das will ich eben nicht. Wir sind hier in einer Solidarver- Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die sicherung, in einer Versicherung auf Gegenseitigkeit, wo Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des der Starke den Schwachen mitnimmt. Hauses abgelehnt. 25394 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: terhin geschäftstätig zu sein. Unternehmen, die noch zah- (C) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- lungsfähig sind, ist es erlaubt, die Verhandlungen über desregierung eingebrachten Entwurfs eines den Insolvenzplan mit den Gläubigern eigenständig zu Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanie- führen. Damit schaffen wir ein vorinsolvenzliches Ver- rungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- fahren, das es den Unternehmen ermöglichen wird, sich und Insolvenzrechtsfortentwicklungsge- wieder aufzurappeln. Das nutzt dann insbesondere auch setz – SanInsFoG) den Arbeitsplätzen, weil dadurch eine Chance besteht, dass die Betriebe fortgeführt werden und damit die Jobs Drucksachen 19/24181, 19/24903, weiter bestehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Des- 19/25170 Nr. 1.7 halb ist es ein ganz wichtiges Gesetz, gerade jetzt in der Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Coronakrise. schusses für Recht und Verbraucherschutz (Beifall bei der SPD) (6. Ausschuss) Die Details werden wir noch vom Kollegen Brunner Drucksachen 19/25303, 19/25353 hören. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, den wir an b) Beratung der Beschlussempfehlung und des dieses Gesetz angehängt haben und der für uns als SPD Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- wirklich sehr, sehr wichtig war; ich spreche über die Aus- braucherschutz (6. Ausschuss) setzung der Insolvenzantragspflicht auch für den Januar. Denn wenn ein Unternehmen unverschuldet in Schwie- – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan rigkeiten geraten ist und die Betriebe geschlossen wer- Thomae, Judith Skudelny, Renata Alt, den, was völlige Berechtigung hat aufgrund der momen- weiterer Abgeordneter und der Fraktion tanen Coronazahlen, dann ist es verfassungsrechtlich der FDP geboten, dass diese Unternehmen einen Ausgleich für Unverschuldete Insolvenzen vermeiden ihre Betriebsschließung bekommen; denn sie können und überlebensfähige Unternehmen durch diesen staatlichen Eingriff ja keine Umsätze mehr sichern – Für ein modernes und effi- erwirtschaften. Und wenn dann diese Unternehmen die zientes Restrukturierungsrecht Hilfen nicht ausbezahlt bekommen, weil EU-Beihilfe- recht noch zu prüfen ist oder weil es administrativ noch – zu dem Antrag der Abgeordneten nicht geregelt ist, dann, finde ich, können wir diese Dr. Manuela Rottmann, Claudia Müller, Unternehmen nicht in die Insolvenz treiben. Das geht Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter nicht. Die Unternehmen sind unverschuldet in diese Zah- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE lungsproblematik geraten. (B) GRÜNEN (D) Coronabedingte Insolvenzen vermei- (Zuruf der Abg. Judith Skudelny [FDP]) den – Ein vereinfachtes Restrukturie- Deswegen ist es gut, dass die SPD hier durchgesetzt rungsverfahren für kleine und mittlere hat, dass die Firmen, die antragsberechtigt sind und bei Unternehmen denen durchaus noch eine Überlebenschance besteht, Drucksachen 19/20560, 19/24379, auch noch im Januar tätig sein können, ohne Insolvenz 19/25303, 19/25353 beantragen zu müssen. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (Beifall bei der SPD) beschlossen. – Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine ganz wich- den Platzwechsel zügig vorzunehmen. tige Perspektive für diese Unternehmen; denn es geht hier Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- um die Unternehmen, es geht um die Jobs und auch um ner dem Kollegen Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion, die Familien, die dort dranhängen. Das ist uns wichtig. das Wort. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) (Beifall bei der SPD) So ärgerlich es ist, dass die Auszahlung der Hilfe noch nicht organisiert ist: Da erwarten wir aber, dass das so Dr. Johannes Fechner (SPD): schnell wie möglich geklärt wird, liebe Kolleginnen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Kollegen. be Zuschauerinnen und Zuschauer! Wie der Name des (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Gesetzes „Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwick- lungsgesetz“ erwarten lässt, haben wir es hier mit einem Zum Schluss möchte ich, weil ich davon ausgehe – spannenden, wichtigen, aber auch zugleich komplizierten man weiß zwar nie –, dass es die letzte rechtspolitische Gesetz zu tun, das zur richtigen Zeit kommt; denn wir Debatte in diesem Jahr hier im Plenum sein wird – – haben ja leider damit zu rechnen, dass es infolge der (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Es kommt noch Coronapandemie zu zahlreichen Unternehmensinsolven- eine!) zen kommen wird. – Bitte? Deshalb ist es gut, dass wir hier mit diesem neuen Restrukturierungsverfahren an den Start gehen. Mit dem (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es neuen Restrukturierungsverfahren kann es Unternehmen kommt noch eine!) nun möglich sein, sich rechtzeitig zu sanieren und wei- – Aber für heute. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25395

Dr. Johannes Fechner (A) (Judith Skudelny [FDP]: Auch nicht! – Zurufe menkommen, um auch noch die Unternehmen einzube- (C) von der CDU/CSU) ziehen, die einen Antrag stellen dürften, wenn sie es denn Also kurz: Ein herzliches Dankeschön an alle! Ich könnten. glaube, wir haben in diesem Jahr in der Rechtspolitik Ob das, was bei dieser mit der ganz heißen Nadel eine Menge auf die Beine gestellt. Ganz vielen Dank an gestrickten Nachbesserung herausgekommen ist, nun die Justizministerin! Geben Sie den Dank bitte auch an das Gelbe vom Ei ist, da habe ich meine Zweifel. Die die Mitarbeiter im BMJV weiter, die jetzt, gerade in den Kollegin von den Grünen, die ihre Bedenken bereits in letzten Tagen und Wochen, wirklich Großartiges geleistet der Ausschusssitzung deutlich formuliert hat, wird dazu haben. Aber auch die Fraktionsmitarbeiter und das Sekre- sicher gleich noch was sagen. tariat des Rechtsausschusses möchte ich hier ausdrück- lich nennen. Ich glaube, wir haben auch noch viel vor, Immerhin: Interessant, zu sehen, welche handwerkli- zum Beispiel heute bei den folgenden Tagesordnungs- chen Fehler denen unterlaufen – und dann eben im Hau- punkten, und das ist auch gut so. ruckverfahren noch ausgebügelt werden –, die sonst gewohnheitsmäßig anderen vermeintliche handwerkliche Vielen Dank. Schöne Weihnachten! Fehler vorzuhalten gewohnt sind! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Die Maske, andere Seite! – Heiterkeit bei Abgeord- Vielleicht führt es ja zu etwas mehr Bescheidenheit auf neten der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner dieser Seite; wer weiß. [SPD]: Die Zeit muss sein!) Zurück zum Gesetz. Einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, in dem Unternehmen, die von ihren Verbind- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lichkeiten erdrückt zu werden drohen, in einem geregel- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Fechner. – Rechtspoli- ten Verfahren unter gerichtlicher Beteiligung zu einem tiker gelten ja allgemein als etwas langsamer als die ande- teilweisen Schuldenerlass gelangen können, wenn denn ren, weil sie viele Sachen durchdenken müssen. Ich weiß, zumindest die Mehrheit der Gläubiger der Überzeugung wovon ich rede. ist, dass das Unternehmen dadurch eine Zukunft haben kann, ist sicherlich sinnvoll. Die zunächst vorgesehene Nächster Redner ist der Kollege Fabian Jacobi, AfD- Möglichkeit, dass sich das Unternehmen zusätzlich Fraktion. auch noch von laufenden Verträgen sollte freimachen (Beifall bei der AfD) können, ist in der Anhörung zu Recht heftig kritisiert und anschließend auch aus dem Entwurf gestrichen wor- (B) Fabian Jacobi (AfD): den. Ein so massiver Eingriff muss richtigerweise dem (D) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Insolvenzverfahren vorbehalten bleiben. heute hier zusammengekommen, um an diesem letzten (Beifall bei der AfD) Sitzungstag des Jahres noch das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- Weil das so ist, weil der Grundansatz des Gesetzes und Insolvenzrechts abzustimmen. Wir tun das in einer nicht verkehrt ist und wenigstens die gröbste Fehlleistung gewissen Eile, weil das Gesetz unbedingt bis zum 1. Janu- bei seiner Ausgestaltung zuletzt noch beseitigt wurde, ar in Kraft treten soll. Man möchte es wohl als Ausweis werden wir nicht gegen dieses Gesetz stimmen. der Handlungsfähigkeit des Staates verkaufen, als Hilfe Wir werden aber auch nicht für dieses Gesetz stimmen; für die von den Coronamaßnahmen der Regierung in denn es enthält neben den sinnvollen aus unserer Sicht ihrer Existenz bedrohten Unternehmen. Das ist ein Stück auch schädliche Inhalte. Das betrifft insbesondere die weit Augenwischerei; denn das Gesetz ist nicht zu diesem weitere Aufweichung des Insolvenzgrundes der Über- Zweck entstanden, sondern war ohnehin in der Mache, schuldung. Hier soll dauerhaft die Pflicht zur Einleitung weil Deutschland durch eine Richtlinie der EU aus dem des Insolvenzverfahrens entfallen, wenn man es nur hin- Jahr 2018 verpflichtet wird, ein solches Gesetz zu schaf- bekommt, darzustellen, dass man auf kurze Sicht nicht fen. Insofern ist das Gesetz auch nicht speziell auf die auch zahlungsunfähig wird. aktuelle Lage zugeschnitten, sondern soll ganz allgemein einen Rahmen für eine Sanierung zur präventiven Ver- So sinnvoll es ist, wenn zum Zwecke der Sanierung meidung von Insolvenzen darstellen. faule Kredite durch einen Teilerlass aus der Welt geschafft werden, so schädlich ist es, überschuldete In Ansehung der gegenwärtigen Verhältnisse wurden Unternehmen unter immer laxeren Bedingungen weiter allerdings noch einige Dinge hinzugefügt, so eine erneute wirtschaften zu lassen. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Monat Janu- ar, und zwar für Unternehmen, die jetzt im November und (Beifall bei der AfD) Dezember staatliche Hilfen beantragt haben. Dabei hatte Der Erhalt von Unternehmen und die Vermeidung von man allerdings übersehen, dass die zuständigen Stellen Insolvenzen sind anzustreben, aber das muss dann durch bisher nicht in der Lage waren, die technischen Voraus- tatsächliche Sanierung geschehen und nicht nur dadurch, setzungen dafür zu schaffen, dass diese Anträge über- dass man bloß den Insolvenzantrag immer weiter hinaus- haupt gestellt werden können. Und so musste der Rechts- schiebt. ausschuss, der eigentlich dieses Gesetz am Dienstag in einer Sondersitzung bereits behandelt hatte, noch am In diesem Sinne: Ich wünsche im Vorgriff schon mal gleichen Abend zu einer weiteren Sondersitzung zusam- frohe Weihnachten. Und bis nächstes Jahr! 25396 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Fabian Jacobi (A) (Beifall bei der AfD – Friedrich Straetmanns Insolvenzverwalter auf der anderen Seite, bei der das (C) [DIE LINKE]: Die Maske, Herr Kollege! – Unternehmen gezwungen ist, das Heft des Handelns Gegenruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD]: Ja, letztlich aus der Hand zu geben. natürlich, natürlich, natürlich! Gewiss doch!) Mit der vorinsolvenzlichen Restrukturierung schaffen wir es, dass auch eine große Mehrheit der Gläubiger in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Lage ist, dem Unternehmer das Vertrauen entgegen- Herzlichen Dank, Herr Kollege Jacobi. – Nächster zubringen, das Unternehmen im Sinne der Gläubiger sel- Redner dürfte der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU- ber aus der Krise zu führen. Das ist eine große Chance. Fraktion, sein. Das ist immer richtig, aber das ist in der wirtschaftlichen Situation, in der wir derzeit sind, ganz besonders wichtig (Beifall bei der CDU/CSU) und richtig. Deswegen ist es auch gut, dass wir das Ver- fahren beschleunigt haben, dass wir es dieses Jahr zum Thorsten Frei (CDU/CSU): Abschluss bringen und dass wir letztlich auch dafür sor- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gen können, dass es zum 1. Januar des kommenden Jahres Kollegen! „It’s the economy, stupid.“ Mit diesem Satz hat in Kraft treten kann. Bill Clinton 1992 nicht nur die Präsidentschaftswahl in Ich will darüber hinaus auch noch etwas zu den wirt- den USA gewonnen, sondern er hat damit letztlich auch schaftlichen Hilfen in der Pandemie und der Frage sagen, auf den Punkt gebracht, um was es geht: um die Grund- dass wir die Insolvenzantragspflicht auch für den sach- lagen von Wohlstand und Arbeitsplätzen, die Grundlage lichen Grund ausgesetzt haben, dass es im Zusammen- unseres Gemeinwesens schlechthin. hang mit verzögerten staatlichen Leistungen, nicht nur Wenn man sich das mal auf die Verhältnisse übersetzt, bei November- und Dezemberhilfen, sondern auch bei in denen wir leben, dann bedeutet das im Klartext, dass Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfe III und anderem eine funktionierende und prosperierende Wirtschaft der mehr, erfolgt. Grund dafür ist, dass wir in der Lage sind, jedes Jahr – in Wir machen diese Hilfen, damit wir Wirtschaftsstruk- diesem Jahr 153,2 Milliarden Euro – soziale Leistungen turen in der Krise nicht zerstören und wir aus dieser Krise auszubringen, dass wir in der Lage sind, diese unglau- gestärkt herausgehen können. Das wird letztlich nur dann blichen Wirtschaftshilfen im Rahmen der Bekämpfung passieren können, wenn die Hilfen, die wir ausgeben, die der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie auszubringen, Unternehmen auch erreichen, und zwar bevor sie insol- um nach der Krise auch wieder auf die Füße zu kommen. vent sind. Deswegen ist es richtig – dafür bedanke ich mich ausdrücklich –, dass der Rechtsausschuss zu diesem Ein wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden (B) Thema lange und ausgiebig getagt hat, um diese Ände- (D) Wirtschaft ist das Vertrauen, ist das Vertrauen in die rung noch zu ermöglichen und heute hier ins Parlament Marktordnung, ist das Vertrauen in die Marktteilnehmer, zu bringen. Ich glaube, das ist im Sinne von uns allen. ist das Vertrauen darauf, dass die Leistungen erbracht Das ist richtig und gut für die Unternehmen unseres werden, die Werke, die Dienstleistungen bezahlt werden Landes. und dass man nicht bei jedem einzelnen Fall davon aus- gehen muss, dass man Vorleistungen benötigt, dass man Herzlichen Dank. Sicherungen braucht und anderes mehr. Das würde dem (Beifall bei der CDU/CSU) Markt die Flexibilität entziehen. Deswegen, glaube ich, darf man nicht dem Trugschluss Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unterliegen, dass das Insolvenzwesen so etwas wie die Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Als nächste Redne- Friedhofsordnung der Marktwirtschaft wäre, sondern rin erhält das Wort die Kollegin Judith Skudelny, FDP- ganz im Gegenteil: Es ist die Grundvoraussetzung dafür, Fraktion. dass mit Vertrauen agiert werden kann. (Beifall bei der FDP) (Zuruf der Abg. Judith Skudelny [FDP]) Deswegen ist es so richtig, deswegen ist es so wichtig und Judith Skudelny (FDP): deswegen ist es notwendig, dass wir an diesem Thema Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben auch arbeiten. heute 30 Minuten Zeit, ein Gesetz von etwa 199 Seiten zu beraten. Die parlamentarische Beratung heute und hier ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) für dieses Gesetz ein bisschen symbolisch, das zwar tat- sächlich nicht vom Himmel gefallen ist, sondern lange Es geht um Vertrauen, um das Funktionieren der Wirt- angekündigt war, aber im parlamentarischen Verfahren schaft. Es geht – wir haben es vorhin in einer anderen doch ein klein wenig mit heißer Nadel gestrickt worden Debatte schon erlebt – auch um die zweite Chance. ist. Es stimmt, sehr geehrter Herr Kollege Jacobi: Das ist (Beifall bei der FDP) in der Tat nichts, was in der Adventszeit vom Himmel gefallen wäre, sondern wir haben eine EU-Richtlinie zur Diese Eile im parlamentarischen Verfahren spiegelt Restrukturierung. Diese ist gut und richtig, weil sie es sich leider Gottes auch im Gesetz wider. Wir haben von schafft, zwischen den beiden insolvenzrechtlichen Strän- der SPD und von der Union gehört: Wir sind in besonde- gen einen dritten guten Weg zu gehen – zwischen der ren Zeiten. Unsere Wirtschaft ist in der Krise. freien Sanierung auf der einen Seite und der mit dem (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25397

Judith Skudelny (A) Wir brauchen ein Restrukturierungsverfahren, das diesen (Beifall bei der FDP – Patrick Schnieder (C) Coronapatienten gerecht wird. [CDU/CSU]: Sprechen sie gerade über Rhein- land-Pfalz?) (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!) Deswegen können wir heute dem Gesetz leider nicht Blöderweise haben alle Experten gesagt: Die Anforde- zustimmen, obwohl ich die Gesetzesberatung sehr genos- rungen, die hier gestellt worden sind, erfüllt das Gesetz sen habe. Aber ich hoffe trotzdem, dass wir im Laufe der nicht. Gerade denjenigen, die in der Coronakrise Hilfe kommenden Zeit noch Verbesserungen in einem nächsten brauchen, wird von Ihnen nicht geholfen. Das ist ein Ver- Gesetz hinbekommen. säumnis; das muss laut und deutlich und klar gesagt wer- (Beifall bei der FDP) den.

(Beifall bei der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Skudelny. – Als nächster Das Gesetz ist in seiner Grundidee ganz gut. Das Ge- Redner bekommt das Wort der Kollege Friedrich setz sagt: Wir brauchen eine Restrukturierung für Firmen Straetmanns, Fraktion Die Linke. und für Unternehmen, die ein finanzielles Problem haben, die perspektivisch sehen, sie würden ihre Verbind- (Beifall bei der LINKEN) lichkeiten nicht zahlen können. Da brauchen wir ein außergerichtliches Sanierungsverfahren, das hier imple- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): mentiert wird. – Dummerweise droht den allermeisten Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Unternehmen, die wir in Deutschland haben, die Zah- nen und Kollegen! Als Jurist weiß ich: Die hier zu behan- lungsunfähigkeit nicht erst in zwei Jahren. Sie sind delnde Materie ist trockener Stoff; aber sie ist ein sehr mehr oder minder jetzt schon zahlungsunfähig, und sie wichtiger Stoff, weil es nämlich um die Sanierung von brauchen jetzt eine Hilfe. Unternehmen geht. Anlass ist die EU-Richtlinie 2019/1023 des EU-Parlaments und des Rates vom Genau das wird in diesem Gesetz ausgeschlossen. Hät- 20. Juni 2019, mit der eben die Anpassungen des Sanie- ten wir vielleicht die eine oder andere Woche mehr Zeit rungs- und Insolvenzrechts vorgenommen werden sollen, gehabt, das zu diskutieren, wäre das Gesetz genau in das gerade auch in dieser Coronakrise Gutes bewirken diesem Punkt besser und richtiger und würde den Men- soll. schen und Unternehmen da draußen auch richtig helfen können. Bei der Abstimmung zum Entwurf der Koalition wer- den wir uns als Linke allerdings enthalten. Wir begrüßen (B) (Beifall bei der FDP) zwar grundsätzlich das Konzept zur Einführung von (D) Restrukturierungsplänen zur vorbeugenden Abwendung Allerdings ist das nicht der einzige Grund, warum wir einer Insolvenz; denn frühzeitige Sanierungen helfen das Gesetz heute ablehnen werden. Es ist wenigstens mal sicherlich auch, Arbeitsplätze zu erhalten, und dieses ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir hoffen, Ziel findet unsere volle Unterstützung. dass hier im Laufe der Zeit nach einer Evaluierung noch wichtige Verbesserungen vorgenommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Der Grund, warum wir das Gesetz heute ablehnen wer- Allerdings wäre es für uns sehr wichtig, dass Arbeit- den, ist, dass Sie eine weitere Verunsicherung in die Wirt- nehmerforderungen von möglichen Vollstreckungs- und schaft hineinbringen, nämlich eine erneute Verlängerung Verwertungssperren ausgenommen sind. Es fehlen uns der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Erst hieß es: darüber hinaus auch spezifische Beteiligungsrechte von 30. September, dann hieß es: 31. Dezember, jetzt heißt es: Betriebsräten und Personalräten. Denn es sind die 31. Januar. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, Sie wol- Beschäftigten, die im Falle einer Insolvenz vom Arbeits- len den 31. März ins Visier nehmen, weil dann nämlich platzverlust in besonderer Weise betroffen sind. die beiden wichtigen Landtagswahlen vorbei sind. Nicht unbedenklich ist daneben, dass im Verfahren der (Beifall bei der FDP) Schuldner übrigens auch die Möglichkeit hat, das Restrukturierungsziel einseitig zu bestimmen, und dass Das ist eine Verschleierungstaktik, die eine unheimliche er einzelne Gläubiger bestimmen kann, die er dem Plan Unsicherheit in die Wirtschaft bringt. unterwirft. Als höchst problematisch sehen wir auch die Sie haben vorhin von Vertrauen gesprochen. Ja, wo ist Frage der Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten; denn das Vertrauen, wenn antragspflichtige Firmen kei- denn das Insolvenzgericht kann in den Fällen, wo der nen Insolvenzantrag stellen müssen? Die Begründung Schuldner einen solchen bestimmt, nur bei offensichtli- finde ich ganz besonders schön: Warum wird diese Insol- cher Nichteignung von der Bestimmung der gewählten venzantragspflicht jetzt auf dem Rücken der Wirtschaft Person abweichen. ausgetanzt? Weil das Bundeswirtschaftsministerium sei- Überhaupt ist für uns die zentrale Frage: Wer trägt hier ne Arbeit nicht machen kann! Sie kriegen das Geld, auf die Kosten? Der Gesetzentwurf sieht eine Privilegierung das die Firmen ein Anrecht haben, nicht auf die Straße. derjenigen Gläubiger vor, denen eine Kostenübernahme- Sie kriegen nicht mal die Software programmiert. Meine erklärung zugegangen ist. Das finden wir rechtlich Damen und Herren, es kann doch wohl nicht wahr sein, zumindest fragwürdig, da diejenigen, deren Kosten über- dass das Versagen der Regierung auf dem Rücken der nommen werden, anders verhandeln als diejenigen, die Wirtschaft ausgetanzt wird. ihre Kosten selber tragen müssen. 25398 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Friedrich Straetmanns (A) Zum Verfahren hinsichtlich des Gesetzentwurfes – es und das ist zu teuer für diese Unternehmen. Die Bereit- (C) ist schon angesprochen worden; aber ich will das noch stellung von Checklisten und Formularen bis zum Jahres- einmal betonen –: Es gab aus unserer Sicht keine aus- ende hilft doch keinem kleinen Unternehmen. Die reichende Distanz zur durchgeführten Expertinnen- und brauchen jetzt jemanden, der sie unterstützt bei den Expertenanhörung, um diese in Ruhe auszuwerten. Es Gesprächen mit Gläubigern, mit Vermietern, mit Liefer- gab diese Sondersitzung mit einem fast 200 Seiten umfas- anten. Das hätten wir finanzieren müssen. Das wäre ein senden Änderungsantrag, der dann noch nicht mal ganz Neustart gewesen. korrekt war, sodass da noch eine Sondersitzung erfolgen musste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verstehen Sie mich nicht falsch: Fehler können passie- Die Koalition hat tatsächlich in den letzten Monaten in ren, und wir verweigern uns hier der Arbeit und Mitarbeit dem Punkt den falschen Schwerpunkt gesetzt. Wir ganz sicher nicht. Aber wenn die Bundesregierung die beschäftigen uns jetzt hier mit Restrukturierungsinstru- Sommerpause nicht für eine strategische Planung nutzt, menten für Unternehmen, die auf Monate hin durchfinan- dann sind solche Fehler und Schlamassel im Grunde vor- ziert werden müssen, um diese Option überhaupt ziehen programmiert, und das sollten wir, wenn wir qualitativ zu können. gute Gesetze verabschieden wollen, uns eigentlich nicht häufiger leisten. Ich bin diesen Weg trotzdem lange mitgegangen, auch Vielen Dank. aus Anerkennung für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen der Koalition. Sie haben tatsächlich wesentli- (Beifall bei der LINKEN) che Einwände gegen den Regierungsentwurf aufgegrif- fen – ich verstehe, dass das an der Linkspartei vorbeige- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gangen ist, weil das Gesetzgebungsverfahren wirklich Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Das Wort chaotisch war –, zum Beispiel die Änderung, dass die hat nunmehr die Kollegin Dr. Manuela Rottmann, Frak- Beteiligung der Arbeitnehmervertreter auch dann mög- tion Bündnis 90/Die Grünen. lich ist, wenn sich das Verfahren einem insolvenzrecht- lichen Verfahren annähert. Ich habe das mitbekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich war sogar bereit, ein letztes Mal die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für einen klar begrenzten Zeit- Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- raum zu verlängern. Aber bei dem, was Sie da am Diens- NEN): tagabend um 21.30 Uhr vorgelegt haben, da gehe ich Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht mehr mit. (B) Kollegen! Es ist in der Tat so, dass es heute um ein Gesetz (D) geht, das im Kern mit der Bewältigung der Coronapan- Es gibt hier ein Missverständnis. Herr Fechner und demie gar nichts zu tun hat. Auf der einen Seite wird ein Frau Skudelny gehen davon aus, dass wir die Aussetzung vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren geschaf- der Insolvenzantragspflicht bis 31. Januar verlängern fen – das ist grundsätzlich sinnvoll –, auf der anderen wollen. Das tun wir nicht. Wir verlängern die Aussetzung Seite werden die Erfahrungen mit dem ESUG ausgewer- der Insolvenzantragspflicht, bis Peter Altmaier so weit tet, was das Schutzschirmverfahren und die Eigenverwal- ist, dass die Leute Anträge stellen können, also für einen tung angeht. Jetzt sind wir aber in der Coronakrise, und völlig unbegrenzten Zeitraum. die Auswertung der Erfahrungen, die wir eigentlich machen wollten, setzen wir jetzt erst mal wieder aus, (Beifall bei der FDP – Judith Skudelny [FDP]: weil wir ja in der Krise sind. An dem Beispiel sieht Genau! Es ist unbegrenzt!) man ganz gut, dass dieser Gesetzentwurf eigentlich nicht in diese Zeit passt. Und das geht so nicht, nicht im zehnten Monat der Ein- schränkungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen eines: Das Insolvenzrecht ist wichtig, Für keines dieser Anliegen wäre ein Inkrafttreten zum und es ist für vieles gut. Aber es ist definitiv der falsche 1. Januar erforderlich gewesen. Das will ich hier auch mal Ort, um die Insolvenzreife von Peter Altmaier zu kaschie- sagen: Es hätte uns allen gutgetan, die Justiz mit ein ren. bisschen mehr Zeit auszustatten, damit sie sich diesem völlig neuen Rechtsgebiet öffnen kann. Wir reden hier Vielen Dank. viel über den Pakt für den Rechtsstaat. Der Gesetzgeber wäre mal dran, Respekt vor der Justiz zu zeigen und (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ anzuerkennen, dass diese auch Zeit braucht, um so etwas DIE GRÜNEN – Beifall der Abg. Fabian umzusetzen. Aber es muss unbedingt der 1. Januar sein. Jacobi [AfD] und Judith Skudelny [FDP]) Das verstehe ich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sowie bei Abgeordneten der FDP) Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Rottmann. – Nächster Kleinen Unternehmen, die jetzt schon wegen der Aus- Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD- wirkungen der Pandemie zahlungsunfähig sind, nützt die- Fraktion. se Reform gar nichts. Das vorinsolvenzliche Restruktu- rierungsverfahren erfordert Beratung und Begleitung, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25399

(A) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): ter, was ich nicht erwarte, bis zu diesem Zeitpunkt die (C) Sehr verehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolle- Antragstellung nicht ermöglichen, vermutlich auch noch ginnen und Kollegen! Kein Unternehmen dieses Landes über den Termin hinaus, und kein Unternehmen in Europa hat es verdient, ins Insolvenzverfahren zu geraten und insolvenzreif zu wer- (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE den. Deshalb ist es richtig und gut – und durch die Richt- GRÜNEN]: Er wird sie nicht ermöglichen!) linie der Europäischen Union angemahnt –, Vorinsol- und zwar für all die Unternehmen in diesem Land, die venzsanierung als solche zu ermöglichen. berechtigt sind, November- und Dezemberhilfen zu bean- tragen. Sanierungen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gab es auch vor diesem Gesetzentwurf in Deutschland und in Ebenso haben wir bei der Konzentrierung von Insol- Europa schon lange. Allerdings waren die Sanierungen venzgerichten den Forderungen des Bundesrats entspro- von Unternehmen, die sanierungsfähig sind – und darauf chen und die entsprechende Regelung wieder gestrichen. kommt es an –, im Wesentlichen darauf gegründet, dass alle Gläubiger sich an dem Verfahren in gleicher Weise Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Wir haben die beteiligt haben. einseitigen Vertragsbeendigungen vom Tisch, es wird keine Sondersachwalter geben, eine weitere Gerichtskon- Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- zentration erfolgt nicht, die Beratungsleistungen für die und Insolvenzrechts, sperrig SanInsFoG genannt, und kleinen Unternehmen werden verbessert – das war uns dem darin enthaltenen Unternehmensstabilisierungs- Sozialdemokraten ganz besonders wichtig; denn das und -restrukturierungsgesetz, noch sperriger StaRUG Gesetz ist im Wesentlichen nicht auf kleine und mittel- genannt, geht der Gesetzgeber nunmehr den richtigen ständische Unternehmen, sondern auf größere zuge- Weg, dieses Insolvenzrecht fortzuentwickeln und es den schnitten –, die Mitwirkung der Mitarbeiterinnen und Unternehmen schneller, besser und rechtlich geregelter Mitarbeiter im Verfahren – auch das war uns sehr wich- zu ermöglichen, sich wieder aufzurappeln. tig – wird nunmehr gesichert. Und nicht zu vergessen: Die Insolvenzantragspflicht wird erneut verlängert, und Ich darf an dieser Stelle zuerst meinen herzlichen Dank die Unternehmen können gesichert die November- und an das Bundesministerium der Justiz und für Verbrau- Dezemberhilfen beantragen. cherschutz und insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Frau Ministerin, weitergeben, die Aus meiner Sicht ist dieser Gesetzentwurf, den wir nicht nur wie die Berichterstatter – das sind der Kollege heute verabschieden, ein guter Gesetzentwurf; das Gesetz Heribert Hirte und ich – und die betroffenen Fachpoli- ist ein Quantensprung im Insolvenzrecht. (B) tiker bis in die Nachtstunden, sondern weit über die Ich bitte um Ihre Zustimmung. (D) Nachstunden hinaus arbeiten mussten, um rechtzeitig zum Inkrafttreten am 31. Dezember diese umfangreichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann [FDP]: Ein Quantensprung ist Mit der europäischen Restrukturierungs- und Insol- der kleinste Sprung, Herr Kollege!) venzrichtlinie wurde ein flexibler Restrukturierungsrah- men ermöglicht und damit die Möglichkeit außergericht- licher Sanierungen deutlich gestärkt. Nach dem neuen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gesetz können Unternehmen, wenn sie noch zahlungs- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brunner. – Nächster fähig sind, im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens Redner ist der Kollege Professor Dr. Heribert Hirte, die Verhandlungen über einen Sanierungsplan mit den CDU/CSU-Fraktion. Gläubigern nunmehr eigenständig führen. Das ist gut, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das ist richtig so, und es ist auch gleichzeitig damit sicher- gestellt, dass das sogenannte Hopping von einem Land der Europäischen Union in andere Länder damit beseitigt Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): wird. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege Brunner gera- Gerade wegen der Folgen der Coronapandemie ist die- de gesagt hat. Er hat gesagt, kein Unternehmen habe es ses Verfahren besonders in den Fokus geraten; denn verdient, in die Insolvenz zu gehen. Das ist so nicht ganz durch die Folgen der Coronapandemie geraten immer richtig. Wir wünschen keinem Unternehmen, dass es in mehr Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten, und die Insolvenz gehen muss. Und mit diesem Gesetz wollen dieses Gesetz schließt die Lücke zwischen dem Bereich wir dazu beitragen, dass dieser Wunsch, dass es nicht zur der freien, ganz allein auf Konsens beruhenden Sanierung Insolvenz kommt, in Erfüllung geht. der Unternehmen und einer Sanierung im Insolvenzver- fahren; das ist das böse Wort mit „I“. Mit diesem Gesetz schaffen wir ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren. Wir schaffen die Möglichkeit, Außerdem erhält das Gesetz weitere Regelungen, die gerade nicht in die Insolvenz gehen zu müssen, sondern die Folgen der Covid-19-Pandemie abwenden oder bes- vorher zur Einigung zu kommen. Aus marktwirtschaftli- ser abfedern werden. So werden wir die Insolvenzant- cher Sicht sind freiwillige Einigungen mit den Gläubi- ragspflicht erneut aussetzen, und zwar, wie geschrieben, gern das Beste, dass man also in einem konsensualen bis zum 31. Januar 2021. Und sollte – da muss ich Frau Verfahren weiterkommt. Noch besser ist es, wenn das Kollegin Rottmann recht geben – der Wirtschaftsminis- alles antizipiert wird. 25400 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Heribert Hirte (A) Leider – das ist der Bezug zur Krise – passiert das nicht offengelegt. Jeder weiß jetzt, was das kostet und was (C) immer. Deshalb brauchen wir gewisse Mehrheitsent- die Verfahren im Vergleich kosten. Das ist viel, gerade scheidungen und einen gewissen Druck. Genau dafür auch für kleine und mittelständische Unternehmen. sorgen wir mit dem Verfahren, das wir jetzt zusätzlich Sicher – das kann ich mir vorstellen – könnte man noch einführen werden. Der Kollege Frei hat den gesamten mehr machen. Aber wir müssen jetzt erst mal einen volkswirtschaftlichen Zusammenhang schon erörtert. Schritt weiter kommen, und das tun wir. In der Tat geht das zurück auf eine europäische Richt- Frau Kollegin Rottmann, Sie haben recht: Das Verfah- linie. An der Rechtssetzung dieser Richtlinie – das muss ren ist am Ende unglücklich gelaufen. Aber ich bin in ich betonen – haben wir als Fraktion, haben wir als Bun- einem Punkt stolz darauf, dass es so gelaufen ist, wie es destag uns im Vorfeld beteiligt. Hier kommt nichts von gelaufen ist: Wir als Bundestag – und das haben wir im oben. Nein, das kommt von ganz unten, und es wird von Rechtsausschuss durchgesetzt – führen die Debatte über ganz Europa getragen. Das dient im Übrigen indirekt die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantrags- auch der Stabilisierung des Euro. pflicht. Wir sind das entscheidende Organ. Stellen Sie Wir haben im Vergleich zum Regierungsentwurf ein sich vor – das war ja anfangs in der Diskussion –, die paar wesentliche Punkte geändert. Einige möchte ich Ministerin, die hier sitzt, hätte das alleine gemacht. ein wenig erläutern: (Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann Das Wichtigste ist, glaube ich – das merkt man an den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rückmeldungen in den letzten Tagen –, dass wir in die- Dann hätten wir die Ministerin vielleicht noch kritisieren sem vorinsolvenzlichen Verfahren die Möglichkeit der können, aber wir hätten es nicht mal richtig erfahren. Jetzt Vertragsbeendigung gestrichen haben. Wir haben das diskutieren wir offen darüber. Ich finde es richtig, dass getan, weil wir in der Anhörung sehr deutlich gesagt Minister Altmaier sich um Hilfen für kleine und mittel- bekommen haben, dass die Gläubiger sonst möglicher- ständische Unternehmen bemüht, und ich finde es scha- weise bei ihrer Kreditpolitik auf die Möglichkeit eines de, dass die Grünen dies ablehnen. vorinsolvenzlichen Verfahrens Rücksicht nehmen müss- ten, dass sie weniger Kredit ausreichen, weniger Waren- Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzent- kredit gewähren würden, dass letztlich die Schuldner die- wurf. Das ist ein gutes Gesetz. ses Sanierungsrisiko an die Gläubiger weitergeben Vielen Dank. könnten und dass deshalb auch kleine und mittelständi- sche Unternehmen betroffen wären. Das ist der erste und (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. wichtigste Punkt. Das heißt nicht, dass man darüber nicht Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE (B) hätte nachdenken können – diese Möglichkeit besteht GRÜNEN]) (D) auch in anderen Ländern –; aber in der jetzigen Phase wäre das, glauben wir, ein falsches Zeichen, ein falscher Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Schritt gewesen. Vielen Dank, Herr Professor Dr. Hirte. Wir haben zweitens die Haftungsregelungen für Geschäftsleiter im Vorfeld der Insolvenz in den §§ 2 Bevor ich dem letzten Redner das Wort erteile, will ich und 3 des Regierungsentwurfs herausgenommen. Wir auf etwas hinweisen: Ich habe mehrfach gesehen, dass haben sie deshalb herausgenommen, weil wir die Sorge Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fraktionen hatten, dass sonst zum 1. Januar 2021 viele Geschäfts- aus dem Plenarsaal heraus mit ihrem Handy telefonieren. führer, vor allen Dingen von kleinen und mittelständi- Dies ist unzulässig. Ich weise darauf hin, dass dies mit schen Unternehmen, ihr Amt hätten niederlegen müssen – einem Ordnungsruf belegt werden kann und auch wird. aus Sorge, dass sie schon in der drohenden Zahlungsun- Nehmen Sie das wirklich ernst. fähigkeit sind. Gerade in der Anhörung wurde uns gesagt: Letzter Redner ist der Kollege Alexander Hoffmann, Das betrifft große Teile der Wirtschaft, je nach Bewer- CDU/CSU-Fraktion. tung. – Und das ist eines der Probleme. Diese Bewertung ist nicht ganz klar; sie wird im Nachhinein bestätigt. Und (Beifall bei der CDU/CSU) wenn Sie ein Unternehmen mit solchen Unsicherheiten belasten, dann ist das ein Risiko. Dieses Risiko haben wir Alexander Hoffmann (CDU/CSU): aus dem Gesetzentwurf rausgenommen. Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen Wir hätten uns gewünscht, dass wir die Liquiditätspla- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! nung, die Planung in die Zukunft, die jetzt in § 1 geregelt Für die Praxis im Insolvenzbereich, aber auch für viele ist, noch ein bisschen präziser hätten fassen können, gera- Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land de für kleine und mittelständische Unternehmen. Das gehen wir heute mit diesem Gesetz, wenn wir es in zwei- haben wir in der Tat in der Kürze der Zeit nicht geschafft. ter und dritter Lesung beschließen, einen gewaltigen Wir werden aber da im Dialog bleiben. – Vielen Dank. Schritt nach vorn. Ja, es ist richtig – das ist angeklungen –: Der Gesetzentwurf ist schon weit vor Corona und unab- (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE hängig von Corona auf die Gleise gesetzt worden. Aber er GRÜNEN]: Ei, ei, ei!) beinhaltet eben auch effektive und wirksame Instrumen- Und wir haben einen wichtigen Punkt gesetzt. Wir te, die Unternehmen in den nächsten Monaten brauchen haben nämlich die Vergütung sowohl der Restrukturie- werden, um gegen die Folgen der Coronapandemie anzu- rungsbeauftragten als auch der Insolvenzverwalter klar kämpfen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25401

Alexander Hoffmann (A) (Judith Skudelny [FDP]: Aber warum sagen Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- (C) dann die Experten was anderes?) fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Deshalb war es uns so wichtig, dass das Gesetz am auf Drucksachen 19/25303 und 19/25353, den Gesetzent- 1. Januar 2021 in Kraft tritt. wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/24181 und 19/24903 in der Ausschussfassung anzunehmen. Herzstück des Gesetzentwurfes – auch das ist schon Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- skizziert worden – sind die sogenannten präventiven schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Restrukturierungsmaßnahmen. Ich will an dem Punkt Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist etwas länger verweilen, um zu zeigen, wie wichtig das dieser Gesetzentwurf in der zweiten Lesung gegen die für die Praxis ist. Bislang hatten Sie nur die Wahlmög- Stimmen der Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die lichkeit zwischen zwei Instrumenten: entweder eine Grünen bei Enthaltung der Fraktionen der AfD und der außergerichtliche Sanierung, durch die das Insolvenzver- Linken mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ange- fahren entfiel – doch die musste einstimmig beschlossen nommen. werden –, oder die Einleitung eines Insolvenzverfahrens; dann galt das Mehrheitsprinzip. Aber das Insolvenzver- Dritte Beratung fahren musste dafür eingeleitet werden. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Jetzt gibt es eine weitere Variante vor dem Insolvenz- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – verfahren. Wir alle wissen natürlich, dass die Eröffnung Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist des Insolvenzverfahrens für jedes Unternehmen ein dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung und Malus ist, auch auf dem Markt. Zudem wird nun die Schlussabstimmung gegen die Stimmen der Fraktion Möglichkeit eröffnet, dass die Sanierungsmaßnahme der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei unter Umständen vom aktuellen Geschäftsführer vorge- Enthaltung der Fraktion der AfD und der Fraktion Die nommen werden kann. Dies sind Instrumente, von denen Linke mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ange- wir glauben, dass wir sie den Unternehmerinnen und nommen. Unternehmern unbedingt zum 1. Januar 2021 zur Verfü- gung stellen müssen. Sie bieten ein hohes Maß an Flexi- Tagesordnungspunkt 15 b. Wir setzen die Abstimmung bilität und eine sachgerechte Handhabung im Einzelfall. zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht Zudem ist ausgeschlossen, dass die negative Signalwir- und Verbraucherschutz auf Drucksachen 19/25303 und kung, die von einem Insolvenzverfahren ausgeht, das 19/25353 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchsta- Image eines Unternehmens belastet. be b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/20560 Es ist angeklungen, dass das Verfahren nicht ohne Pro- mit dem Titel „Unverschuldete Insolvenzen vermeiden (B) bleme war. Es ist richtig: Wir haben im Vorfeld viele und überlebensfähige Unternehmen sichern – Für ein (D) Diskussionen darüber geführt. Ich bin Ihnen, Frau Kolle- modernes und effizientes Restrukturierungsrecht“. Wer gin Rottmann, dankbar – das will ich ganz ehrlich sagen –, stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt weil Sie dem Vorhaben zu jedem Zeitpunkt mit sehr viel dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschluss- Verständnis begegnet sind. Ich kann Sie auch verstehen, empfehlung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei wenn Sie sagen, dass Sie spätestens diese zweite Son- Enthaltung der Fraktionen der AfD, der Linken und von dersitzung abends um 21.30 Uhr nicht mehr hinnehmen Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitions- können. fraktionen angenommen. Ich will aber auch deutlich machen, dass wir die ganze Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c Zeit – und das zeigt auch der Verlauf des Verfahrens – seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages immer von dem Wunsch beseelt waren, dass diese Instru- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache mentarien am 1. Januar 2021 zur Verfügung stehen. Inso- 19/24379 mit dem Titel „Coronabedingte Insolvenzen weit kann man das Verfahren auch mit einer anderen vermeiden – Ein vereinfachtes Restrukturierungsverfah- Überschrift versehen, nämlich dass der Rechtsausschuss ren für kleine und mittlere Unternehmen“. Wer stimmt für und das Parlament handlungswillig sind, dass sie auch in diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – der Krise handlungsfähig sind und Lösungen schaffen. Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung (Beifall bei der CDU/CSU – Judith Skudelny gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP und von [FDP]: Waren stets bemüht, zu handeln!) Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, Deshalb bitte ich um Zustimmung und bedanke mich SPD und AfD angenommen. für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages- ordnungspunkt 11 auf: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Beratung der Beschlussempfehlung und des Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann. – Damit schlie- Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat ße ich die Aussprache. (4. Ausschuss) Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungs- – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise punkt 15 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von Amtsberg, Filiz Polat, Dr. Franziska der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25402 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Für einen solidarischen und menschen- (Beifall bei der CDU/CSU) (C) rechtsbasierten Neuanfang in der Europä- Beide Anträge sprechen von den Schutzsuchenden, den ischen Flüchtlingspolitik Flüchtlingen, den Geflüchteten. Fakt ist aber, dass unser – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla europäisches Asylsystem zurzeit von sehr vielen Men- Jelpke, Michel Brandt, Dr. André Hahn, wei- schen missbraucht wird. terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal die Zahlen!) Schutz- und Menschenrechte im europä- ischen Asylsystem in den Mittelpunkt stel- Von den in den letzten Jahren EU-weit durchschnittlich len 600 000 Antragstellern pro Jahr sind rund 400 000 nicht schutzberechtigt. Drucksachen 19/18680, 19/22125, 19/25179 Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: beschlossen. Das klingt wie ein AfD-Antrag!) Bevor ich den ersten Redner aufrufe, muss ich Ihnen Das sind Daten und Fakten von Eurostat; das ist alles bedauerlicherweise mitteilen, dass heute kein Vertreter belegt. Wir reden von mehr als 1 Million Menschen in des Auswärtigen Amtes der Debatte dieses Tagesord- den letzten drei Jahren. Das kann nicht sein, und das darf nungspunktes beiwohnen wird, weil Herr Bundesaußen- nicht sein. Bitte nehmen Sie eines zur Kenntnis: Im minister Maas und Herr Staatsminister Niels Annen Ergebnis nehmen wir die Kapazitäten genau den Men- Herrn Guterres empfangen und die von uns sehr schen weg, die sie nötig haben, nämlich den tatsächlich geschätzten Kolleginnen und Kollegen Roth und Verfolgten, die unseren Schutzanspruch verdient haben. Müntefering – der eine coronabedingt in Quarantäne, (Beifall bei der CDU/CSU) die andere aus gesundheitlichen Gründen – nicht anwe- send sein können. Das sage ich, damit kein Redner das Meine Damen und Herren, warum sollten sich denn die nachher rügt. Menschen, die genau wissen, dass sie keinen Anspruch haben, plötzlich an Rechtsvorschriften halten? Registrie- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- rungszentren ohne freiheitsbeschränkende Maßnahmen ner dem Kollegen Detlef Seif, CDU/CSU-Fraktion, das werden nicht funktionieren. Die Menschen werden wei- Wort. terwandern, und sie werden sich ihr Ziel aussuchen: einen (Beifall bei der CDU/CSU) Mitgliedstaat, der ihnen gefällt. (B) (Zuruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE (D) Detlef Seif (CDU/CSU): GRÜNEN]) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit den vorliegen- Diejenigen, die ohne einen Schutzanspruch zu uns kom- den Anträgen fordern die Grünen und die Linken be- men, müssen ganz früh wissen, und zwar durch eine stimmte Maßnahmen eines neuen europäischen Asylsys- konsequente Rechtsanwendung von Anfang an, dass ihr tems. Vorhaben aussichtslos ist. Die Linken fordern unter anderem: Abschaffung der Zurzeit ist das anders. Bei der aktuellen Verfahrens- Grenzschutzagentur Frontex; und Abschiebepraxis besteht trotz des fehlenden Asylan- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!) spruchs eine ganz große Bleibeperspektive. Das Gemein- same Europäische Asylsystem ist zurzeit eher ein System keine Übertragung von Prüf- und Entscheidungsaufgaben allgemeiner Migration, verbunden mit etwas Asyl, und auf europäische Asylagenturen; keine Prüfungen in das kann nicht unsere Zustimmung finden. Dieses System beschleunigten Verfahren; keine freiheitsbeschränkenden hat eine ganz andere Zielsetzung. Maßnahmen bei Antragstellern, die sich im Rahmen einer Vorprüfung an der EU-Außengrenze aufhalten. Demge- Wichtig sind: Stärkung des Grenz- und Küstenschutzes genüber sollen die Wünsche und Interessen der Antrag- Frontex; beschleunigte Grenzverfahren mit Freiheitsbe- steller den Ausschlag dafür geben, welches Mitgliedsland schränkung; klare und dauerhafte Zuständigkeit eines zuständig ist. Die Linken sprechen von „free choice“, Mitgliedstaates; Ausbau von Partnerschaften mit Her- also freier Auswahl seitens der Antragsteller. kunftsstaaten und Drittstaaten, die eine konsequente Abschiebung ermöglichen. Der Antrag der Grünen ist hier schon etwas pragmati- scher. Die Grünen erkennen an, dass Registrierungszent- Die jüngsten Verhandlungen des Innenrates haben ren an der EU-Außengrenze sinnvoll sind. Sie sind der gezeigt, dass wir hier noch ganz, ganz dicke Bretter boh- Meinung, es müsse eine erkennungsdienstliche Behand- ren müssen; aber es lohnt sich. Ich bin der Bundesregie- lung durchgeführt werden, ebenso eine Sicherheitsüber- rung im Allgemeinen, aber auch Stephan Mayer, dem prüfung und ein Gesundheitscheck. Allerdings sollen die- Parlamentarischen Staatssekretär, im Besonderen für die se Registrierungszentren offen sein, das heißt, keine guten Ansätze dankbar, die auch in das Konzeptpapier freiheitsbeschränkenden Maßnahmen erlaubt sein. eingeflossen sind. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber wir gehen ihn gemeinsam. Es lohnt sich Die wichtigste Tatsache jedoch, die auch einen wesent- für das Gemeinsame Europäische Asylsystem. lichen Beitrag zur Krise des Jahres 2015 geleistet hat, wird in beiden Anträgen vollständig ausgeblendet. Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25403

Detlef Seif (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Filiz Polat (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Niemand (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wort flieht freiwillig!) zu Moria! – Gegenruf des Abg. Christoph de wenn am Ende nicht das Versprechen des NGO-Fähr- Vries [CDU/CSU]: Sie diktieren jetzt aber dienstes nach Europa stünde. NGOs retten nicht; sie nicht, was der Redner zu sagen hat! – Gegenruf schleppen, sie erpressen, sie verdienen am Leid der Men- der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen, und sie töten. NEN]: Ich darf doch wohl Zwischenrufe machen!) (Beifall bei der AfD – Mechthild Rawert [SPD]: Skandalöse Beschreibung! – Matthias Vizepräsident Wolfgang Kubicki: W. Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt hat das Niveau der Rede die Zimmertemperatur end- Vielen Dank, Herr Kollege Seif. – Nächster Redner ist gültig unterschritten! – Helin Evrim Sommer der Kollege Dr. Christian Wirth, AfD-Fraktion. [DIE LINKE]: Skandalöse Rede!) (Beifall bei der AfD) Jeder einzelne im Mittelmeer und im Atlantik ertrunkene oder in der Sahara verdurstete Migrant geht auf das Konto Dr. Christian Wirth (AfD): dieser Schleuserbanden und auf das Konto der Antrag- Herr Präsident! Werte Kollegen! Ich schließe mich steller. meinem Vorredner an. Sie beklagen das Fehlen legaler Wege für Flüchtlinge. Die Grünen fordern einen Neuanfang in der Flücht- Schauen wir doch mal: Wer aus einem EU-Nachbarland lingspolitik. Da haben sie absolut recht. Genauer gesagt flieht, der hat an einem anderen EU-Grenzübergang braucht es überhaupt mal eine Flüchtlingspolitik; denn nichts zu suchen; er befindet sich schon in einem sicheren seit spätestens 2015 kennt der schlingernde Kurs der Land. Wenn er von diesem sicheren Land weiter nach Bundesregierung und der EU nur eine Konstante, näm- Deutschland reisen will, ist er nicht Flüchtling, sondern lich: Wer die magischen vier Buchstaben „Asyl“ sagt, der Einwanderer. ist sakrosankt und wird – nur in Deutschland – vollver- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Hass und sorgt. Hetze!) Diese Kritik findet man naturgemäß nicht im Antrag Dafür haben wir Regeln. Was bleibt da an legalen der Grünen, für die ein Leben auf Staatskosten ja sowieso Wegen? Ja, wohl leider nur die allein 227 deutschen Aus- zum Markenkern gehört. Nein, vielmehr findet man in landsvertretungen, die Auslandsvertretungen aller ande- Ihrem Antrag ausreichend Schizophrenie. Da beklagen ren EU-Länder, die der EU, die Einrichtungen der UN (B) Sie, dass die europäischen Staaten unterschiedliche Vor- usw. (D) stellungen von Asylpolitik haben und diese auch noch umsetzen. Sie listen auf, wie und wo die Europäische Meine Damen und Herren, der Lockdown vernichtet Union Ihrer Meinung nach desaströs versagt hat. Und Arbeitsplätze und Unternehmen. Spätestens jetzt sollten wer soll uns nach Meinung der Grünen jetzt aus dieser wir die Steuergelder für die verwenden, die sie erwirt- Misere retten? – Richtig: die Europäische Union, die in schaftet haben und jetzt in Not geraten. Ihrer Traumwelt dann auf einmal doch effizient, gerecht hat kürzlich gesagt: Wenn wir die Zuwanderung und vor allem einer Meinung ist. 2015/2016 nicht gehabt hätten, hätten wir rund 1 Million Hartz-IV-Bezieher weniger. Das gehört zur Wahrheit Vielleicht träumen Sie auch versteckt von der starken, dazu. eisernen Hand Deutschlands, dem einzigen Land über- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Wo er recht hat, haupt, dessen Regierung noch für die offenen Türen hat er recht! – Helin Evrim Sommer [DIE LIN- Europas plädiert, um die bösen Rechtspopulisten von KE]: Tun Sie sich doch mit Friedrich Merz zu- Kurz bis Orban auf Linie zu bringen. sammen!) (Yasmin Fahimi [SPD]: Richtig!) – Und er hat recht. Das sind zehn Großstädte Hartz-IV- Anders lässt sich Ihr wirrer Antrag nicht interpretieren. Bezieher. Jeder Cent der Ausgaben für illegale Migranten ist eine Veruntreuung von Steuergeldern. Der Schutz von Flüchtlingen sei nicht verhandelbar, schreiben die Grünen in ihrem Antrag. Wissen Sie was, (Ulli Nissen [SPD]: Sie sollten sich schämen! – da stimmen wir Ihnen zu. Aber – und damit kommen wir Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viele auch zu dem Antrag der Linken – was auch nicht ver- der Flüchtlinge sind denn jetzt in sozialversi- handelbar ist, ist die resolut geschlossene Tür für jede cherungspflichtiger Beschäftigung? Das könn- Form illegaler Einwanderung. ten Sie auch einmal sagen! Das verschweigen Sie!) (Beifall bei der AfD) Seien Sie doch wenigstens ehrlich, liebe Linke: Sie In Ihrem Antrag beklagen Sie die Notwendigkeit von wollten früher niemanden rauslassen und wollen heute NGO-Schiffen zur sogenannten Seenotrettung – eine jeden reinholen. Sie und Ihre grünen Freunde finden in komplett selbstgeschaffene Notwendigkeit; denn nicht diesem Land nicht genug Wähler für Ihre historisch tau- ein einziger Migrant würde sich für 1 000 Dollar freiwil- sendfach gescheiterte Politik, aber hoffen, die nötigen lig auf überfüllte Nussschalen setzen und an der liby- Stimmen importieren zu können. Auch mit diesem Vor- schen Küste ins Meer gehen, haben werden Sie scheitern. Das versprechen wir Ihnen. 25404 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Christian Wirth (A) Frohe Weihnachten und Glück auf! Ich werde morgen auch schauen, wie das mit dem (C) Applaus ist, den Herr Guterres bekommt; denn auch (Beifall bei der AfD) hier gilt: Klatschen allein reicht nicht. Wir sind weiter aufgerufen, beherzt zu handeln. Es ist viel die Rede Vizepräsident Wolfgang Kubicki: davon, dass man dieses Jahr Weihnachten vielleicht nicht Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wirth. – Nächster Red- so feiern kann, wie man sich das vorgestellt hat. Aber ner ist der Kollege Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion. man kann sich erinnern, was Weihnachten ist. Und wer sich in den nächsten Tagen an die Idee von Weihnachten (Beifall bei der SPD) erinnern lässt, der wird sich auch im nächsten Jahr wieder für eine menschenrechtsbasierte und solidarische Flücht- lingspolitik einsetzen. Dazu rufe ich uns alle auf. Dr. Lars Castellucci (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Vielen Dank. sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen (Beifall bei der SPD) und Kollegen! Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und das ist vielleicht auch eine Gelegenheit, mal eine Zwi- schenbilanz zu ziehen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Castellucci. – Nächste In Deutschland werden Ende dieses Jahres absehbar Rednerin ist die Kollegin Linda Teuteberg, FDP-Frak- unter 100 000 Antragstellungen – Erst- und Folgeanträge tion. im Bereich Asyl – stattgefunden haben. Sie erinnern sich: (Beifall bei der FDP) Wir haben uns einen Korridor von 180 000 bis 220 000 vorgenommen. Wir engagieren uns als zweitgrößtes Auf- nahmeland weltweit. Wir engagieren uns als zweitgrößtes Linda Teuteberg (FDP): Geberland weltweit. Wir haben die Hälfte der Geflüchte- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ten, die zu uns gekommen sind, in Ausbildung oder in Kollegen! Wir sind in den letzten Tagen der deutschen Arbeit. EU-Ratspräsidentschaft, und dass wir heute erneut über europäische Flüchtlingspolitik debattieren, zeigt, dass Und ja, von der europäischen Flüchtlingspolitik haben wir hier auch weiterhin von klugen und nachhaltigen wir uns mehr erhofft – Lösungen europäischer Flüchtlingspolitik entfernt sind. Der gordische Knoten, er ist bei Weitem nicht durch- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) schlagend. Trotz der vollmundigen Ankündigungen des Bundesinnenministers und des vermeintlichen Fort- (B) vielleicht nicht wirklich mehr erwartet, aber mehr erhofft. (D) Umso wichtiger ist es, dass wir hier nicht nur auf Rechts- schrittsberichts, der eigentlich eine Nullfortschrittsbilanz akte setzen, sondern darauf, dass wir tatsächlich handeln. in der Migrationspolitik zeigt. Da muss man sagen: Erwartungsmanagement geht anders, liebe Bundesregie- Wir haben es immerhin geschafft, eine Koalition der rung. Menschlichkeit zusammenzubekommen, die Griechen- land bei der Umsiedlung von Geflüchteten hilft; neun Aber Ausgangspunkt dafür, dass wir heute über dieses Staaten in Europa engagieren sich aktiv in dieser Koali- Thema debattieren, sind Anträge von Grünen und Lin- tion; denn globale Probleme kann Deutschland nicht ken. Diese lehnen wir aus sachlichen Gründen ab. Es alleine lösen. Das ist für uns eine gute Zwischenbilanz, wurde hier mehrfach gesagt: Der Antrag der Linken die wir am Ende dieses Jahres vorlegen können. geht ganz besonders an den Erfordernissen vorbei; der der Grünen ist da schon differenzierter, aber auch nicht (Beifall bei der SPD) ausreichend. Morgen kommt der Generalsekretär der Vereinten Wir Freie Demokraten sind uns mit Ihnen einig darü- Nationen zu einem hier stattfindenden Festakt – er war ber, dass wir eine Reform des Gemeinsamen Europä- zuvor der Hohe Flüchtlingskommissar –, Guterres, und er ischen Asylsystems brauchen, aber nicht darüber, wie wird dafür eintreten, dass wir mehr tun müssen. Wir diese aussieht. Wir wollen eine Migrationspolitik, die können nicht damit zufrieden sein, dass bei uns die Dinge Humanität und Ordnung verbindet. nun besser geordnet und gesteuert sind, vielmehr haben (Beifall bei der FDP) wir es weltweit mit wachsenden Problemen zu tun, mit Die beiden Worte gehören allerdings nicht nur in Sonn- Menschenrechtsverletzungen auch an unseren Außen- tagsreden; sie müssen im Konkreten ausbuchstabiert wer- grenzen. den. Das bedeutet, dass wir denjenigen gegenüber, die Der UNHCR wirbt dafür, dass wir in zehn Jahren welt- unseren Schutz wirklich brauchen, unsere humanitären weit 1 Million Resettlement-Plätze bereitstellen. Wir sind Pflichten erfüllen, dass wir uns allerdings darüber hinaus schon der Auffassung, dass Deutschland hier angesichts selbst aussuchen, wen wir einladen, in unser Land der globalen Probleme einen noch größeren Beitrag leis- einzuwandern, wenn kein Asylanspruch besteht. ten muss. Reguläre Wege, legale Wege, sichere Wege (Beifall bei der FDP) sind allemal besser, als wenn sich Menschen auf unsiche- ren Pfaden auf den Weg machen müssen und ihr Leben Der zentrale Schlüssel dafür sind einige Punkte, die in riskieren, und dafür sollten wir uns auch alle einsetzen. diesen Anträgen zu kurz kommen oder sogar abgelehnt werden, nämlich Grenzverfahren und Aufnahmezentren, (Beifall bei der SPD) auch wenn sie gegenüber dem jetzigen Zustand verbes- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25405

Linda Teuteberg (A) serungswürdig sind. Richtig ist auch, dass Seenotrettung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) und Migrationspolitik nicht in die Hände privater NGOs Vielen Dank, Frau Kollegin Teuteberg. – Nächste Red- gehören, sondern darüber von demokratisch legitimierten nerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. Regierungen zu entscheiden ist. Aber dabei ist eben auch zu beachten, dass wir nicht Schleuserkriminalität fördern (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: dürfen, sondern eine rechtsstaatliche Seenotrettung orga- Wird wohl eine lange Rede!) nisieren, die vom Thema Asylverfahren zu trennen ist.

(Beifall bei der FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Die Free-Choice-Verfahren, die die Linken hier for- Angst, das ist nicht mein Redemanuskript; ich komme dern, sind das Gegenteil von dem, was wir auf europä- später darauf zu sprechen. ischer Ebene erreichen wollen. Sie sind nämlich das Noch im November zeigte sich Innenminister Seehofer Gegenteil von Lastenteilung. Sie würden sogar bedeuten, zuversichtlich, bis Ende des Jahres eine Verständigung dass Länder, die in besonderen Situationen einmal groß- über Grundsätze der europäischen Migrationspolitik zu zügig aufnehmen, dadurch automatisch zum Hauptziel- erreichen. Dieses Vorhaben ist krachend gescheitert. land von Migration werden. Das läuft einer sinnvollen Der Versuch, das hier jetzt auch noch schönzureden, ist Lastenteilung zuwider. einfach unerträglich, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- [DIE LINKE]: Ausgleichszahlungen, Frau NIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegin!) Seit Jahren sitzen Menschen, die vor Krieg, Verfol- Wer glaubt, seinen europäischen Nachbarn seine eige- gung und Not geflohen sind, in Lagern der EU und insbe- ne Migrationspolitik, seine Vorstellung ungesteuerter sondere auf den griechischen Inseln im Elend fest. Migration aufzwingen zu können, der gefährdet das Pro- jekt Europa. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!)

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wissen Sie, wodurch die häufigsten Verletzungen von der CDU/CSU) Kindern auf Lesbos zustande kommen? Durch Ratten- bisse. Für diese Naivität gibt es nämlich auch in Paris, Wien, Stockholm und Amsterdam kein Verständnis. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) NEN]: So furchtbar!) (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Keine Mitten in Europa werden Kinder nachts von Ratten ange- Naivität! Vorschlag von Pro Asyl! Die kennen fressen. Das ist wirklich eine unbeschreibliche Schande. sich damit aus!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Wir müssen den Kompromiss mit den Partnern suchen, NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- die eine gemeinsame europäische Migrationspolitik wol- ten der SPD) len. Und wir dürfen diejenigen, die sich dem verweigern, nicht durch eigene Alleingänge aus der Verantwortung Diese Lager der Inhumanität will die EU nicht etwa entlassen. auflösen; nein, das Hotspot-Konzept soll ausgeweitet werden. Das bedeutet noch mehr Menschenrechtsverlet- Deshalb ist das, was wir brauchen, eher praktische Vor- zungen an den EU-Außengrenzen, massenhafte Inhaftie- schläge, wie wir Sekundärmigration endlich in den Griff rungen, unfaire Verfahren und Zurückweisungen ohne bekommen. Denn wenn wir das Problem nicht lösen, inhaltliche Asylprüfungen. dann wären auch alle sinnvollen Einigungen auf Verteil- quoten – (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Unglaublich!) Über hundert Organisationen aus Deutschland appellie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ren mit einer Unterschriftensammlung an das Europä- Kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin. ische Parlament: Sagen Sie Nein zu einem Europa der Haftlager für Flüchtlinge! – Dem können wir uns nur anschließen. Linda Teuteberg (FDP): – und auf eine sinnvolle Nachfolgeregelung für Dublin (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Makulatur, wenn wir nicht sicherstellen, dass Schutzsu- NIS 90/DIE GRÜNEN) chende auch in dem Land bleiben, das nach gemeinsamen europäischen Regeln für ihr Asylverfahren zuständig ist. Meine Damen und Herren, viele schutzsuchende Men- schen können gar nicht erst einen Asylantrag in Europa Vielen Dank. stellen, weil an den Außengrenzen tagtäglich rechtswid- rige Pushbacks, also Zurückweisungen, stattfinden. (Beifall bei der FDP – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, oder ver- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Kriminell! – teilen! Dann hast du auch keine Sekundärmig- Christoph de Vries [CDU/CSU]: Falschbe- ration!) hauptungen!) 25406 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Ulla Jelpke (A) Auch deutsche Frontex-Polizisten sind daran beteiligt. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Geflüchtete werden brutal zurückgeprügelt, auf offene Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und See, wo sie in Lebensgefahr sind, zurückgeschleppt Kollegen! Die griechischen Inseln sind mittlerweile zum oder den Sklavenhändlern von der sogenannten libyschen Symbol einer gescheiterten europäischen Asylpolitik Küstenwache in die Hände getrieben. geworden. Es ist die Situation auf den griechischen Inseln, die uns verpflichtet, auch hier in diesem Haus Meine Damen und Herren, Die Linke fordert dagegen darüber zu diskutieren, welchen Beitrag die Bundesrepu- mit ihrem Antrag faire Asylverfahren für alle Schutzsu- blik leisten muss, um die fortdauernden Menschenrechts- chenden und eine solidarische Umverteilung in der EU. verletzungen an unseren Grenzen endlich zu beenden. Wir wollen sicherstellen, dass Fliehende nicht daran ge- hindert werden, ihr Asylrecht in Europa wahrzunehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen fordern wir auch eine wirksame Überwachung sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) der Frontex-Maßnahmen an den Außengrenzen durch unabhängige Akteure. Es ist jetzt genau ein Jahr her, als ich Bundeskanzlerin Merkel hier im Parlament gefragt habe, ob sie sich für die (Beifall bei der LINKEN) Aufnahme von 5 000 unbegleiteten Minderjährigen aus Griechenland offen zeigt. Die Antwort war, wenig über- Zum Schluss möchte ich noch einmal festhalten: Kei- raschend, ausweichend: kein Ja, kein Nein. In der Ant- nem Dokument der EU-Ratspräsidentschaft der Bundes- wort der Kanzlerin zeigt sich das Dilemma, das diese regierung ist bislang zu entnehmen, dass Menschen- Bundesregierung seither mit sich trägt: kein Ja, kein rechtsverletzungen überhaupt gesehen werden. Gestern Nein. Humanität in Trippelschritten, das ständige Verste- hat Staatssekretär Mayer im Innenausschuss immerhin cken hinter der Untätigkeit anderer EU-Mitgliedstaaten zugesichert, dass es Aufklärung geben soll. aus Sorge davor, Fakten zu schaffen, die in eine dauer- hafte Übernahme von Verantwortung seitens der Bundes- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: republik münden könnten. Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. Immer wieder haben Sie, liebe Kolleginnen und Kol- legen von der Union und auch vereinzelt von der SPD, Ulla Jelpke (DIE LINKE): uns hier erzählt, dass es nicht ginge, dass Deutschland Deshalb, meine Damen und Herren, habe ich ihm heute seinen Weg allein findet, sondern dass es auf die anderen die Dokumentation von NGOs und von Europaabgeord- EU-Staaten warten muss. „Kein Alleingang“, hieß es neten, die in zwei Bänden zusammengefasst sind und immer; es würde auf europäischer Ebene ja verhandelt (B) akribisch recherchiert wurden, mitgebracht. werden. Aber dass Sie sich hinter dieser Argumentation (D) jetzt nicht mehr verstecken können, ist, glaube ich, mit dem Ende der deutschen Ratspräsidentschaft völlig klar Vizepräsident Wolfgang Kubicki: geworden. Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich möchte ihm diese gerne überreichen. Ich denke, er Denn wie sieht die Situation ein Jahr danach aus? Eine wird sich freuen; denn die Aufklärung muss endlich dazu Einigung ist in weite Ferne gerückt, und auch der Innen- führen, dass das Schweigen gebrochen wird und eine minister kann uns nicht sagen, wie diese Uneinigkeiten andere Politik stattfindet. aufgelöst werden können. Und mit Blick auf die griechi- schen Inseln: Wir haben vor einem Jahr schon Superlative Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. verwenden müssen, um die menschenunwürdigen Zu- stände beispielsweise in Moria zu beschreiben. Heute, (Beifall bei der LINKEN) so kann ich nur sagen, gehen einem buchstäblich die Worte aus, wenn man überhaupt nur noch versucht, sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu beschreiben. Frau Kollegin, herzlichen Dank. – Nur fürs Protokoll: Das ist eine Dokumentation, die lautet: „The Black Book Es macht mich sprach- und fassungslos, was viele hier of Pushbacks“. Das Hochhalten alleine genügt nicht, da- im Hause mittlerweile bereit sind zu ertragen; ich sage mit der Titel ins Protokoll kommt. Deshalb habe ich ihn das ganz, ganz deutlich. Genau drei Monate ist es her, genannt, damit er im Protokoll vermerkt ist. dass das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Durch das Feuer sind über 12 000 Menschen obdach- (Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] überreicht los geworden, darunter nach Angaben des UN-Flücht- Parl. Staatssekretär Stephan Mayer zwei lingshilfswerks 4 000 Kinder mit ihren Familien. Im Bücher – Beifall bei der LINKEN) neu geschaffenen Ersatzlager fehlt es an allem: Wasser, Essen, warme Kleidung für den Winter, Duschen, Toilet- Nächste Rednerin ist die schleswig-holsteinische ten, Öfen. Wir sehen Bilder von überfluteten Zelten und Abgeordnete Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen. Kindern in durchnässter Kleidung, die im wahrsten Sinne des Wortes im Schlamm versinken. Auf Samos behan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deln Ärzte ohne Grenzen derzeit Babys mit Rattenbissen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25407

Luise Amtsberg (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, man darf bei solchen gliedstaaten. So wären alle Mitgliedstaaten gleicherma- (C) Bildern nicht wegsehen. Dass es diese Umstände gibt, ist ßen in der Verantwortung für die Asylverfahren, aber der Beweis dafür, dass der bisherige politische Weg auch für die Rückführungen. falsch war. Wenn wir ehrlich sind, haben wir uns in all den Jahren – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das ist eigentlich das, was man der Bundesregierung vor- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten werfen muss – nicht einen Schritt nach vorne bewegt. Die der SPD und des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Blockadelager sind die gleichen, die Gründe sind die Ja, die Bundesregierung hat Hilfsgüter entsandt, und gleichen. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene ste- ja, die Bundesregierung hat Menschen eine Aufnahme in cken in einer Sackgasse. Deshalb frage ich Sie: Worauf Deutschland ermöglicht. Aber Sie müssen doch selbst warten Sie noch? sehen, dass diese Unterstützung in keiner Relation zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorherrschenden Not steht. sowie bei Abgeordneten der SPD und des (Zuruf von der CDU/CSU) Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheim- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt: nis, dass wir Bündnisgrünen eine höhere Aufnahmebe- Wir können das besser, wir müssen das besser können. reitschaft von Deutschland fordern. Wir sind es den Menschen auf den griechischen Inseln, aber auch den Ankommenden auf den Kanaren und den (Hans-Jürgen Irmer [CDU/CSU]: Wie hoch frierenden Menschen entlang der Balkanroute schuldig. denn?) Den Menschen, vor allem Kindern, auf den griechischen (Zurufe von der CDU/CSU) Inseln muss jetzt geholfen werden. Bitte lassen Sie uns die Grund- und Menschenrechte wie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der in das Zentrum unseres politischen Handelns stellen. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Vielen Dank. KEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Und unsere Bundesländer stehen dafür bereit. Denn zur sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Wahrheit gehört auch, dass unsere aufnahmebereiten KEN) Kommunen deutlich mehr freie Kapazitäten haben, als die Bundesregierung in den jeweiligen Kontingenten be- schlossen hat. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) Vielen Dank, Frau Kollegin Amtsberg. – Nächste Red- (D) Es ist auch kein Geheimnis, dass wir die Vorschläge nerin ist die Kollegin Dr. Katja Leikert, CDU/CSU-Frak- der Kommission, so wie sie vorliegen, unterirdisch fin- tion. den, da sie an dem bestehenden Problem leider überhaupt nichts ändern würden; im Gegenteil. Sie wissen, dass die (Beifall bei der CDU/CSU) gleichen Fehler des jetzigen Systems in diesem Vorschlag fortgeschrieben werden. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Um nur drei davon zu nennen – in aller Tiefe wird man Kollegen! Liebe Kollegin Amtsberg, wenn ich Sie nach darauf hier nicht eingehen können –: Erstens: die men- Ihrem Rundumschlag darauf hinweisen darf: Wir in schenrechtlich äußerst fragwürdige Behandlung von Deutschland haben 40 Prozent aller Flüchtlinge seit Schutzsuchenden durch eine mögliche Inhaftierung. Beginn der Flüchtlingskrise 2015 aufgenommen. Und Zweitens: kein Zugang zu einem rechtsstaatlichen Ver- auch nach dem Brand in Moria haben wir eben nicht fahren. Und drittens: eine höchst unsolidarische Überbe- weggeguckt, sondern über 1 500 Flüchtlinge hier in lastung der Ersteinreisestaaten durch Verfahren und Deutschland aufgenommen. Rückführungen direkt an und von der Grenze. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Mathias Um das auch noch mal deutlich zu machen – die Kolle- Middelberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!) gin Teuteberg hat hier gesagt: es gilt, Sekundärmigration Wir müssen doch genau hinschauen. Das europäische zu hindern –: Wenn man Schutzsuchende direkt von den Asylsystem ist in den letzten Jahren enormen Heraus- Inseln aufnehmen und sie auf andere EU-Mitgliedstaaten forderungen ausgesetzt gewesen. Es bleibt eine hoch- verteilen würde, dann würde es diese Sekundärmigration komplexe Thematik; auch das müssen Sie berück- überhaupt nicht geben. Ich weiß gar nicht, worüber wir sichtigen. Es bleibt aus meiner Sicht die große hier reden. Bewährungsprobe für die Europäische Union. Wir kön- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen gerne hochambitionierte Ziele haben für einen digita- sowie bei Abgeordneten der SPD) len Binnenmarkt, die Bankenunion oder den Klima- schutz; aber am Ende ist die Frage, ob wir unsere Es ist wirklich kein Wunder, dass die südlichen Länder Außengrenzen schützen können, die zentrale Frage, an damit nicht einverstanden sind und zu Recht eine gerech- der sich die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union te Verantwortungsteilung fordern; denn echte Solidarität entscheiden wird. sieht anders aus. Echte Solidarität wäre eine Verteilung aller Schutzsuchenden nach der Ankunft auf die Mit- (Beifall bei der CDU/CSU) 25408 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜND- (C) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus NIS 90/DIE GRÜNEN]) der Fraktion Die Linke? Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken, Ihre Anträge tun darüber hinaus auch so, als Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): bestünde die Europäische Union aus Deutschland und Ich würde gern weitermachen, danke schön. – Es ist einem Rest, der dann einfach so folgen wird. eben nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Flücht- (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) lingsbewegung auf uns zukommen wird. Dazu reicht natürlich schon ein Blick auf den Nahen Osten oder die So einfach ist das aber nicht. Sie sehen ja, wie sich der Situation in Afghanistan. Genau deshalb wollen wir eine zuständige Minister und die Kanzlerin tagtäglich für realistische, eine pragmatische und eine für alle in Euro- Kompromisse einsetzen und für europäische Einigkeit pa – für die Osteuropäer, für die Südeuropäer und auch bei diesem Thema kämpfen. für uns in der Mitte – faire Reform des Asylsystems. (Zurufe der Abg. Luise Amtsberg [BÜND- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der NIS 90/DIE GRÜNEN] und Ulrich Lechte Linken, dass es einen Reformbedarf des europäischen [FDP]) Asylsystems gibt, bestreitet keiner. Aber leider sind die Ich verstehe nicht, warum Sie die Gefahr einer Überfor- heute hier vorliegenden Anträge kein Teil einer mögli- derung der europäischen Gesellschaften durch unkon- chen Lösung. Während andere in Brüssel die Arbeit trollierten Nachzug von Angehörigen beispielsweise machen, stellen Sie hier wohlfeile Forderung auf, überhaupt nicht ernst nehmen. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Also, wir machen wenigstens einen An- Unser Ziel muss es daher sein, mit den anderen Mit- trag, Frau Leikert!) gliedstaaten zusammen eine Lösung zu finden. Wir die mit der Realität aus meiner Sicht nichts, aber auch gar jedenfalls sind nicht bereit, den Zusammenhalt in Europa nichts zu tun haben. zu gefährden. Ihre Anträge sind im Kern sogar uneuro- päisch und blind gegenüber den Herausforderungen der (Beifall bei der CDU/CSU) Integration für unser eigenes Land. Deshalb werden wir Genau deshalb verhandelt Minister Seehofer intensiv mit Ihre Anträge ablehnen. seinen Amtskollegen im Rat über Reformen. Herzlichen Dank.

(B) (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) (D) NEN]: Wo ist denn der Antrag der CDU?) Die vermeintlichen Lösungen, die Sie vorschlagen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sind leider unbrauchbar. Sie fordern, komplett auf Vor- Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Leikert. – Die Fraktion prüfungen an den Außengrenzen zu verzichten. Das Die Linke hat für die Kollegin Hänsel, wenn ich es richtig zeigt, dass Sie nichts aus den Fehlern – das ist das, was zugeordnet habe, um eine Kurzintervention gebeten, die mich dabei am meisten verwundert – des bisherigen euro- ich zulasse. – Frau Kollegin Hänsel, Sie haben das Wort. päischen Asylsystems dazugelernt haben. Wer das Leid Wenn der Kollege Thomae zu mir kommen könnte, bin von Flüchtlingen vermindern will, der darf die Bedeutung ich ganz glücklich. von Pull-Effekten – ich weiß, dass das keine schöne Vor- stellung ist, aber es ist eine Tatsache – eben nicht völlig unterschätzen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzinter- Wir haben unsere Gründe dafür, warum wir die Vor- vention zulassen. – Ich hatte mich gemeldet, weil Frau prüfung an den Außengrenzen einfordern. Ein solcher Dr. Leikert sagte, 1 500 Menschen seien nach dem Brand Mechanismus ist am Ende des Tages fairer für alle. Viel- in Moria, der uns ja alle hier schockiert hat, mittlerweile leicht denken Sie einfach mal darüber nach; liebe Luise aufgenommen. Man muss dazu aber sagen: Die Bundes- Amtsberg, vielleicht auch du. regierung hatte letztendlich zugesagt – auch erst nach (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Druck aus der Öffentlichkeit und dem Parlament –, NEN]: Ich habe schon sehr viele Jahre sehr 1 700 Menschen aufzunehmen. lange über dieses Thema nachgedacht!) (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Einmal ist es fairer für all diejenigen, die Schutz suchen. Quatsch! Völliger Unsinn! – Widerspruch bei Sie haben eine höhere Bleibechance, ohne dass falsche der CDU/CSU) Hoffnungen geweckt werden. Und dann ist es auch fairer Von diesen zugesagten 1 700 Geflüchteten sind bisher für uns selbst, die wir Flüchtlinge aufnehmen wollen. nicht einmal die Hälfe in Deutschland angekommen. Es Denn nur, wenn wir zeigen, dass wir in der Lage sind, ist angesichts der Situation in diesen Lagern, die gerade Schutzberechtigte von Nichtschutzberechtigten klar zu beschrieben wurden und die nicht winterfest sind, ein trennen, werden unsere eigene Bevölkerung – auch das großer Skandal. Dass es die Bundesregierung in drei ist wichtig – und auch die anderen Mitgliedstaaten wieder Monaten nicht geschafft hat, wenigstens die zugesagte mehr Akzeptanz aufbringen. Aber es muss klar geordnet Zahl von Menschen hierherzuholen – das auch noch mit werden. Hinweis auf die Pandemie –, während sie es gestern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25409

Heike Hänsel (A) ermöglicht hat, mitten in einer Pandemie drei Sammelab- Erstens. Wir müssen Solidarität als etwas begreifen, (C) schiebungen in Kriegsgebiete zu organisieren, ist wirk- das alle, die an dem System teilhaben, betrifft, wie es in lich skandalös; das muss ich sagen, Frau Leikert. Sozialsystemen nun mal ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Wir sollten uns in unserem Auftreten gegen- über Griechenland, Italien, Malta und Spanien möglichst Das hat auch nichts mit humaner Flüchtlingspolitik zu damit zurückhalten, bevormundend, belehrend und pater- tun. Die Zahlen sind nicht erreicht. Wir setzen uns mit nalistisch aufzutreten. Allein schon die deutsch- vielen in der Zivilgesellschaft dafür ein, dass deutlich griechische Geschichte lehrt uns, da Demut zu üben und mehr Menschen hierherkommen können, gerade ange- pragmatisch zu denken. sichts des Winters; denn es gibt aufnahmebereite Kom- munen und Städte hier in Deutschland. Drittens. Angesichts der jetzigen, hinreichend be- (Beifall bei der LINKEN) schriebenen Situation auf den griechischen Inseln und auch der ungelösten Frage der Seenotrettung müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten beweisen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dass humanitäre Lager und Aufnahmesituationen mög- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Frau Dr. Leikert, wollen lich sind. Sonst ist jede Idee großer Aufnahmezentren Sie antworten? ziemlich zynisch und ziemlich absurd. Viertens. Wir brauchen auch Perspektiven für Dritt- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): staaten, in denen gegenwärtig Hunderttausende, ja Mil- Frau Hänsel, zu Ihrer Kurzintervention vielleicht nur lionen von Geflüchteten sind. Diese Frage ist oft unter- so viel: Ich weiß nicht, in welche Ecke Sie uns stellen beleuchtet. möchten. Wir als Deutschland haben insgesamt über 1,7 Millionen Menschen aufgenommen. Das hat kein Fünftens. Wir müssen uns darum kümmern, dass wir Land in Europa in dieser Form geleistet und kann es mehr auf das Instrument von Resettlement, von Neuan- auch nicht leisten. Von daher lassen wir uns von Ihnen siedlungen, setzen. Kanada gibt ein Beispiel. an dieser Stelle nicht vorführen. Sechstens – ein ganz wichtiger Punkt –: die Frage der Wir möchten eine Reform des Asylsystems, die es in schnellen Asylverfahren und unserer Lebenslügen. Es Zukunft ermöglicht, der Aufgabe gerecht zu werden, muss uns darum gehen, rechtssichere, schnelle Verfahren Menschen mit einem gerechtfertigten Schutzbedürfnis zu haben. Das bedeutet dann auch, dass es irgendwann hier bei uns aufzunehmen. Dafür brauchen wir die Steue- einen Entscheid gibt, und er bedeutet in der Konsequenz (B) rung von Humanität und Ordnung, und genau dafür ste- auch, dass es – und das ist kein angenehmer Punkt – auch (D) hen wir. Abschiebungen und Rückführungen gibt. Wenn es keinen Unterschied macht, wie der Entscheid ausfällt, brauchen (Beifall bei der CDU/CSU) wir kein Asylsystem.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zu den Illusionen gehört aber auch, dass wir die Zahl Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Helge der Abschiebungen immer maximal steigern können. Wir Lindh, SPD-Fraktion. wissen genau, dass das nicht der Fall ist. Und zu den Lebenslügen gehört auch, dass wir auf Systeme der Ord- (Beifall bei der SPD) nung und Steuerung stolz sind, aber ganz viele von uns regelmäßig mit ihren Einzelfällen zum BAMF, zum BMI oder zum AA laufen. – All das ist, glaube ich, kein Weg Helge Lindh (SPD): der Perspektive. Deshalb brauchen wir zusätzliche legale Die Herren Präsidenten, gerade beim Schichtwechsel! Wege der Migration, wir brauchen Rückführungsabkom- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Umgang mit men, und wir brauchen da eine pragmatische, rationale, Grenzen sagt sehr viel darüber, wer wir sind und wie humanitäre Politik. wir uns begreifen. Es scheint mir auch die zentrale Frage in Bezug auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem Siebtens. Wir brauchen vielleicht auch mal Fantasie der Zukunft zu sein. Und da kann eine Antwort gewiss und Kreativität und sollten nicht immer nur, weil die nicht lauten – zudem rassistisch motiviert –, eine komp- Fronten ja so sind, wie wir sie eben hier auch erlebt lette Politik der Abschottung zu fahren und zu verfolgen. haben, auf das Übliche, das ideologisch Verkarstete Aber auch die wesentlich zivileren Varianten – und wir setzen, sondern gucken, dass wir konstruktive Kräfte ein- haben es eben live in der Diskussion erleben können – binden – die Zivilgesellschaft, Kommunen, die hand- führen uns nicht weiter, weder ein Ansatz, der rein sicher- lungsfähig und handlungswillig sind – und nicht diejeni- heitspolitisch argumentiert, noch ein sicher gutgemeinter gen bestrafen, die nicht mitmachen, sondern diejenigen Ansatz, der aber mit einem moralischen Absolutismus belohnen, die aufnehmen wollen und unterstützen. Grenzöffnungen verficht und letztlich Dilemmata und Konflikte, die es gibt, einfach ausblendet. Beides Das scheint mir ein sinnvoller Weg zu sein, vor Weih- erscheint mir nicht sinnvoll. nachten und auch nach Weihnachten. Deshalb rege ich an, dass wir uns sieben mögliche Vielen Dank. Säulen eines künftigen europäischen Asylsystems angu- cken: (Beifall bei der SPD) 25410 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wäre es mehr als nötig, dass auch er damit beginnt. Regie- (C) Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist ren zu wollen, liebe Kollegen, heißt, Fakten zur Kenntnis der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU-Fraktion. nehmen zu wollen und echte Verantwortung übernehmen zu wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist so was von paternalistisch!) Michael Kuffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Der nette Sozialkundelehrer von nebenan reicht hierfür bin bei den Linken ja nicht überrascht. Aber, liebe Kolle- nicht. ginnen und Kollegen von den Grünen, ich kann Ihnen ein (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bild nicht ersparen: Sie verstehen sich als Anhänger einer Friedenspartei, und Sie sind in dieser Frage doch stur wie Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt, ein Panzer. zu erkennen, dass wir Menschen ohne Bleibeperspektive bei begrenzten Ressourcen in keine bessere Zukunft füh- (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Beifall der ren, wenn wir alle Ampeln auf Grün stellen, sondern in Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Ulla Jelpke Seenot und Lebensgefahr und später in Enttäuschung und [DIE LINKE], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Perspektivenlosigkeit. Verantwortung heißt auch, Fehler NEN gewandt: Super! Gut, dass Sie so sind!) zu vermeiden, die wir beim Grenzübertritt in Minuten Es sind in Ihrer Denkweise keinerlei Konsequenzen aus machen und nachher oft jahrelang nicht mehr eingefan- den Erfahrungen erkennbar, gen kriegen. Auch aus diesen Fehlern müssen wir lernen und Konsequenzen ziehen. Sie kennen die immensen (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schwierigkeiten bei der Aufenthaltsbeendigung. Deshalb NEN]: Ja, aber in Ihrer ja auch nicht!) sage ich Ihnen: Eine Verteilung in Europa vor Prüfung der Erfolgsaussichten des Asylantrages ist dauerhaft die wir in den letzten Jahren machen mussten. nicht verantwortbar. Sie und wir wissen, wie schwierig und wie verfahren (Beifall bei der CDU/CSU) die Lage auf EU-Ebene bei der Reform des GEAS ist. Und Sie wissen und sehen, dass sich die Bundeskanzlerin Als Letztes sage ich Ihnen: Verantwortung heißt seit Jahren um eine europäische Lösung für eine Reform schließlich auch Realismus. Sie können sich in dieser des Asylsystems bemüht. Der Bundesinnenminister läuft Frage den Bart abschminken. Es läuft auf europäischer sich ebenfalls seit nunmehr fast drei Jahren – und noch Ebene nicht so, wie Sie sich das erträumen und zusam- (B) stärker seit dem Regierungswechsel in Italien – bei den menreimen. (D) europäischen Partnern die Hacken ab, um in wichtigen (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fragen der Flüchtlingspolitik wenigstens einen Minimal- NEN]: So, wie Sie es wollen, ja auch nicht!) konsens zu erzielen. Wir kommen auf europäischer Ebene nur weiter, wenn Deutschland hat dazu stets nicht nur einen wesentli- wir uns bei unseren Partnern um echte Reformen bemü- chen humanitären Beitrag geleistet, sondern zeitweise hen und – jetzt kommt’s – gleichzeitig Vertrauen schaf- auch notwendige Entscheidungen vorübergehend zurück- fen, indem wir dabei die unterschiedlichen Perspektiven gestellt, um einen gemeinsamen europäischen Weg nicht respektieren, mit denen sich die Mitgliedstaaten dem zu gefährden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Thema nähern. die Frage der Zurückweisungen an der Grenze, die wir, wie sie wissen, mit Rücksicht auf den Gipfel im Sommer Es muss eine gemeinsame Lösung sein, die von Europa 2018 erst viel später angegangen sind als ursprünglich getragen wird, und keine deutsche Lösung, die nach geplant. Die Bundesregierung und wir als Koalition wol- Europa getragen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. len eine umfassende Reform des GEAS, und wir tun alles (Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg dafür. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch Liebe Grüne, ich glaube Ihnen, dass Sie das auch wol- gescheitert!) len. Nur muss ich Ihnen schonungslos sagen, dass Sie Und deshalb sage ich Ihnen als letzten Satz: Mit dem nichts dafür tun, ja sogar diesem Ziel mit Ihrer politischen Alleingang, den Sie hier wieder fordern, würden Sie jedes Traumtänzerei zuwiderhandeln. Vertrauen verspielen, eine europäische Lösung langfristig (Beifall bei der CDU/CSU) unmöglich machen Das, liebe Grüne, was nämlich zwischen gutem Willen (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und guten Ergebnissen liegt, ist der Bereich der Verant- NEN]: Sie kommt ja nicht!) wortung. Und diese Verantwortung, auch die Verantwor- und damit rein gar nichts erreichen. tung für das Ergebnis, zu übernehmen, bitte ich Sie drin- gend und endlich. Und wenn Herr Habeck wirklich Vielen Dank. Kanzlerkandidat werden will, (Beifall bei der CDU/CSU) (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, das ist Ihr Problem! Deswegen müs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sen wir uns Ihre Reden hier reinziehen!) Ich schließe die Aussprache. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25411

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Aufhebung von zehn Rechtsakten im Be- (C) fehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat auf reich Unternehmensstatistiken und zur Drucksache 19/25179. Der Ausschuss empfiehlt unter Änderung anderer Statistikgesetze Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Drucksache 19/24840 19/18680 mit dem Titel „Für einen solidarischen und Überweisungsvorschlag: menschenrechtsbasierten Neuanfang in der Europäischen Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Flüchtlingspolitik“. Wer stimmt für die Beschlussemp- Ausschuss Digitale Agenda fehlung des Ausschusses? – CDU/CSU, SPD, FDP und Haushaltsausschuss AfD. Gegenprobe! – Die Grünen. Enthaltung? – Die Lin- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten ke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Wir haben Verlinden, Lisa Badum, weiterer Abgeordne- dagegengestimmt!) ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Okay. Also noch mal. Mit dem CO2-Preis im Wärmebereich (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Sie waren zu echte Lenkungswirkung erzielen schnell! – Gegenruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]: Sie waren zu langsam! Wer Drucksache 19/24432 zu spät kommt, den bestraft das Leben!) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- – Ich war zu schnell. Bitte um Nachsicht! Ich dachte, nen (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Weihnachten kommt und jetzt müssen wir uns ein biss- Finanzausschuss chen beeilen, aber okay. – Gut, also: Es stimmen dafür Ausschuss für Wirtschaft und Energie CDU/CSU, SPD, AfD und FDP. Es stimmen dagegen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Enthaltungen? – d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Keine. Die Beschlussempfehlung ist trotzdem angenom- Sören Pellmann, Sabine Zimmermann (Zwi- men. ckau), Susanne Ferschl, weiterer Abgeordne- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- ter und der Fraktion DIE LINKE schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Gute Arbeit für Menschen mit Behinde- tion Die Linke auf Drucksache 19/22125 mit dem Titel rungen ermöglichen und sichern (B) „Schutz- und Menschenrechte im europäischen Asylsys- (D) tem in den Mittelpunkt stellen“. Wer stimmt für die Be- Drucksache 19/24690 schlussempfehlung des Ausschusses? – CDU/CSU, SPD, Überweisungsvorschlag: AfD und FDP. Wer ist dagegen? – Die Linke. Enthaltun- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gen? – Die Grünen. Die Beschlussempfehlung des Aus- Ausschuss für Wirtschaft und Energie schusses ist angenommen. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 i und Dr. Robby Schlund, Dr. Axel Gehrke, Detlev 7 sowie die Zusatzpunkte 10 a bis 10 k. Es geht dabei um Spangenberg, weiterer Abgeordneter und der Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Fraktion der AfD Debatte. Videotherapie im Heilmittelbereich Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- dauerhaft ermöglichen sungen. Das sind die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 i und 7 sowie die Zusatzpunkte 10 b bis 10 d sowie 10 f bis Drucksache 19/25315 10 k: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) 27 a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- Ausschuss Digitale Agenda besserung der Strafverfolgung hinsicht- lich des Handels mit inkriminierten f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gütern unter Nutzung von Postdienstleis- Ulrich Oehme, Uwe Witt, Dr. Axel Gehrke, tern weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Drucksache 19/20347 Diskriminierung von Menschen mit Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Behinderung und anderen vulnerablen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Gruppen durch Mund-Nasen-Bedeckung beenden b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Drucksache 19/25314 Umsetzung der Verordnung des Europä- Überweisungsvorschlag: ischen Parlaments und des Rates über Ausschuss für Gesundheit (f) europäische Unternehmensstatistiken zur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe 25412 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten d) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Dr. Götz Frömming, Dr. Marc Jongen, Britta Katharina Dassler, Stephan Thomae, Martin Erwin Renner, weiterer Abgeordneter Reginald Hanke, weiterer Abgeordneter und und der Fraktion AfD der Fraktion der FDP Die Landshut endlich ausstellen – Ein Transparenz schaffen und Potenzialanaly- Museum für die Opfer des RAF-Terroris- sesystem verbessern mus errichten Drucksache 19/25243

Drucksache 19/25313 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Kultur und Medien (f) Auswärtiger Ausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Föst, Frank Sitta, Grigorios Caren Lay, Pascal Meiser, Dr. Gesine Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Fraktion DIE LINKE Fairer Klimaschutz für Mieter und Ver- Innenstädte retten – Gemischte und mieter lebenswerte Nachbarschaften schaffen Drucksache 19/25246 Drucksache 19/25258 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- Überweisungsvorschlag: nen (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nen (f) Finanzausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Todtenhausen, Hagen Reinhold, Dr. André Hahn, Sören Pellmann, Thomas weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Lutze, weiterer Abgeordneter und der Frak- FDP tion DIE LINKE Neuer Schwung für unsere Innenstädte Konzept zur Neustrukturierung des Leis- (B) (D) tungssports und der Spitzensportförde- Drucksache 19/25296 rung auf den Prüfstand stellen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- Drucksache 19/25253 nen (f) Finanzausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie Sportausschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten ZP 10 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Benjamin Strasser, Stephan Thomae, Hartmut Ebbing, Katja Suding, Grigorios Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der und der Fraktion der FDP Fraktion der FDP Einsatz von Vertrauenspersonen konse- European Heritage Trust – Erhalt europä- quent gesetzlich regeln ischer Baudenkmäler und kulturelle Revi- talisierung ländlicher Regionen Drucksache 19/25248 Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/24208 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Pascal Kober, Johannes Vogel (Olpe), Haushaltsausschuss Michael Theurer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Katharina Dassler, Stephan Thomae, Chancen der privaten Arbeitsvermittlung Reginald Hanke, weiterer Abgeordneter und für Arbeitssuchende besser nutzen der Fraktion der FDP Drucksache 19/25299

Erhalt der Breitensportlandschaft in Pan- Überweisungsvorschlag: demiezeiten Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/25245 j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Florian Toncar, Frank Schäffler, Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Christian Dürr, weiterer Abgeordneter und Ausschuss für Gesundheit der Fraktion der FDP Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25413

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Transparenzoffensive für private Finanz- stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktionen des Hauses. (C) geschäfte von Staatsbediensteten Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist damit abgelehnt. Drucksache 19/25297

Überweisungsvorschlag: Wir stimmen jetzt ab über den Überweisungsvorschlag Finanzausschuss (f) der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie beim Ausschuss für Gesundheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Alle Fraktionen des Hauses k) Beratung des Antrags der Abgeordneten mit Ausnahme der Linken. Wer stimmt dagegen? – Die Caren Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Gökay Linke stimmt dagegen. Enthaltungen? – Keine. Der Über- Akbulut, weiterer Abgeordneter und der weisungsvorschlag ist damit angenommen. Fraktion DIE LINKE Zwangsräumungen verhindern, Obdach- Zusatzpunkt 10 e: lose sicher unterbringen – Solidarisch Beratung des Antrags der Abgeordneten durch den Corona-Winter Dr. Andrew Ullmann, Michael Theurer, Drucksache 19/25259 Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Einsamkeit – Erkennen, evaluieren und ent- Ausschuss für Gesundheit schlossen entgegentreten Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen 7. Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND- Drucksache 19/25249 NIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Bau des Besucherinformationszentrums Ausschuss für Gesundheit (f) vorantreiben – Bauzeitenverzögerungen und Federführung strittig höhere Kosten vermeiden Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Drucksache 19/20791 Fraktion der FDP auf Drucksache 19/25249 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Fraktion der FDP möchte eine (B) Hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlagen (D) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Federführung beim Ausschuss für Gesundheit. überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvor- Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- schlag der Fraktion der FDP ab, also Überweisung an gen. den Gesundheitsausschuss. Wer ist für diesen Überwei- Wir kommen jetzt zu zwei Überweisungen, bei denen sungsvorschlag? – Die FDP und die Grünen. Wer stimmt die Federführung strittig ist. dagegen? – Die Koalition, AfD und Linke. Enthaltun- gen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Zusatzpunkt 10 a: Erste Beratung des von den Abgeordneten Amira Wir stimmen nun ab über den Überweisungsvorschlag Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – für einen Pandemierat des Bundestages (Pan- Die Linke, SPD, CDU/CSU und AfD. Wer stimmt dage- demieratgesetz – PandemieratG) gen? – FDP und Grüne. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Drucksache 19/25254 Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 dd Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) sowie die Zusatzpunkte 15 a bis 15 r und 11 a bis 11 c. Es Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) geht hier um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen Ausschuss für Inneres und Heimat Federführung strittig keine Aussprache vorgesehen ist. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 28 a: der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/25254 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des schlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- schen Federführung beim Ausschuss für Gesundheit, die wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Fraktion Die Linke möchte die Federführung beim Aus- 2. Mai 2019 zur Änderung des Abkommens schuss für Recht und Verbraucherschutz. vom 8. März 1967 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und den Vereinigten Mexi- Wir stimmen zunächst ab über den Überweisungsvor- kanischen Staaten über den Luftverkehr schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für den Über- weisungsvorschlag der Linken? – Die Linken. Wer Drucksache 19/24224 25414 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Tagesordnungspunkt 28 c: (C) ses für Verkehr und digitale Infrastruktur Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (15. Ausschuss) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Drucksache 19/25157 zur Änderung des Umweltschadensgesetzes, des Umweltinformationsgesetzes und weiterer Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur umweltrechtlicher Vorschriften empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Drucksache 19/24230 19/25157, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/24224 anzunehmen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Zweite Beratung Sicherheit (16. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Drucksache 19/25325 Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Das sind die CDU/CSU, die SPD, die FDP und die Sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf AfD. Wer stimmt dagegen? – Grüne und Linke stimmen Drucksache 19/25325, den Gesetzentwurf der Bundesre- dagegen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist gierung auf Drucksache 19/24230 anzunehmen. Wer angenommen. stimmt für den Gesetzentwurf? – Das sind alle Fraktionen Tagesordnungspunkt 28 b: mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Die AfD-Fraktion. Der – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Wir kommen zur Gesetzes über eine einmalige Sonderzah- lung aus Anlass der COVID-19-Pandemie dritten Beratung an Besoldungs- und Wehrsoldempfänger und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Drucksache 19/24839 Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Gegen- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- stimmen? – Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Es schusses für Inneres und Heimat (4. Aus- enthält sich die AfD. Der Gesetzentwurf ist angenom- schuss) men. Drucksache 19/25323 Tagesordnungspunkt 28 d: (B) (D) Beratung der Beschlussempfehlung und des – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Energie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Drucksache 19/25381 Bundesregierung Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt in Außenwirtschaftsverordnung seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/25323, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Drucksachen 19/23834, 19/24132 Nr. 2, 19/24839 in der Ausschussfassung anzunehmen. 19/24793 Es liegt ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion vor auf Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksache 19/25411. lung auf Drucksache 19/24793, die Aufhebung der Ver- ordnung auf Drucksache 19/23834 nicht zu verlangen. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschus- FDP ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der FDP? – ses? – Das sind alle Fraktionen des Hauses mit Ausnahme Die FDP, aber auch Grüne und Linke. Wer stimmt dage- der FDP-Fraktion. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Es gen? – CDU/CSU, SPD und AfD. Enthaltungen? – Kei- enthält sich die FDP-Fraktion. Die Beschlussempfehlung ne. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. ist angenommen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Bun- Tagesordnungspunkt 28 e: desregierung auf Drucksache 19/24839 in der Ausschuss- Beratung der Beschlussempfehlung und des fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? – Kei- Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) ne. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit Änderung der Geschäftsordnung des Deut- in zweiter Beratung angenommen. schen Bundestages Dritte Beratung hier: Verlängerung der Geltungsdauer der und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Regelung zur besonderen Anwendung der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es Geschäftsordnung aufgrund der allgemeinen erhebt sich das ganze Haus. Gegenstimmen? – Keine. Beeinträchtigung durch COVID-19, § 126a Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist angenom- GO-BT men. Drucksache 19/25177 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25415

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort ge- leichte Wahlkreiskorrekturen vorzunehmen! Es hatte ja (C) wünscht wird. Es beginnt der Abgeordnete Brandner, den Anschein – vor allem bei den Koalitionären –, dass der sich bitte mit Mund-Nase-Schutz dem Podiummikro- die Welt zusammenbräche, wenn der Bundestag auch nur fon nähert. Schön das Näschen zudecken! ein wenig kleiner wäre und nicht mehr auf 709 Abgeord- nete käme. (Stephan Brandner [AfD]: Das Näschen ist weg! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was beweisen wir jetzt? Das Näschen und das Mündchen!) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wenn Sie Bitte schön. weg wären, wäre es besser!) Wir beweisen seit einem Dreivierteljahr, in einer Krisen- Stephan Brandner (AfD): zeit, dass es möglich ist, den Bundestag und seine Aus- Das Näschen war weg. Nun ist das Näschen wieder da. schüsse mit 180 Abgeordneten in 21 Wochen im Jahr, bei (Ulli Nissen [SPD]: Nicht witzig!) zwei oder drei Tagen pro Woche, am Laufen zu halten. Der Laden läuft, meine Damen und Herren. Es gibt gar Meine Damen und Herren, bevor gleich wahrschein- kein Argument dafür, diesen Bundestag nicht deutlich zu lich wieder einer für alle Blockparteien oder vielleicht verkleinern. auch gar keiner von den Blockparteien hier auf mich erwidern wird, lassen Sie mich für die Opposition in (Beifall bei Abgeordneten der AfD) diesem Hause einige Worte dazu sagen. Es geht um die Wir sollten also diese Coronaphase nutzen, um einen zweite Verlängerung einer Ausnahmeregelung. Der Bun- Neustart zu machen, auch was die Frage der Parlaments- destag soll beschließen, schon dann beschlussfähig zu verkleinerung angeht. Es müssen ja nicht nur 180 Abge- sein, wenn knapp 180 von 709 Mitgliedern im Hause ordnete übrigbleiben, aber vielleicht irgendetwas zwi- sind. 75 Prozent der Bundestagsmitglieder schaffen sich schen 180 und 709. damit sozusagen fast selber ab! Deshalb lehnen wir den Antrag ab, meine Damen und Jetzt kann man sagen: Gut, wenn 25 Prozent der Herren. Wir sind kein Teilzeitparlament. Bundestagsmitglieder fleißig das ganze Jahr über hier sind, ist die Sache in Ordnung. Aber so ist es ja nicht. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Es sind knapp 180 von 709 Bundestagsmitgliedern, die an 21 von 52 Wochen im Jahr in Berlin anwesend sein Kommen Sie bitte zum Ende! sollen. Sitzungswochen in Berlin sind aber etwa nicht Wochen mit 7 Tagen, sondern Wochen von Dienstag bis Stephan Brandner (AfD): (B) Freitag. Wir haben eine Krisenzeit. Jeder sollte da arbeiten, und (D) zwar so, wie der Wähler es uns aufgetragen hat. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Im Gegensatz zu Ihnen kommen wir schon am Montag oder Vielen Dank. Sonntag!) (Beifall bei der AfD – Dr. Matthias Bartke So war es einmal. Auch da haben sich langsam schon [SPD]: Maske!) coronabedingte parlamentarische Gepflogenheiten einge- schliffen. Inzwischen haben wir Sitzungswochen wie die- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: se Woche, in denen nur der Mittwoch und Donnerstag Herr Brandner, Mund und Nase bedecken! Bedecken! Präsenztage sind. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich halte fest: Der Bundestag hat 709 Abgeordnete. NEN]: Das macht er doch extra!) Das Jahr hat 52 Wochen, und die Woche hat 7 Tage. Der Bundestag sagt aber: Es reichen knapp 180 von So viel Zeit muss sein! – Jawohl. 709 Abgeordneten. Es reichen 21 von 52 Wochen, und (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Arbeiten ist eine Woche hat nicht 7 Tage, sondern nur 2 Tage. mehr als Videos drehen!) Meine Damen und Herren, das hier ist kein Teilzeit- Jetzt hat der Kollege Professor Dr. Patrick Sensburg parlament. Wir haben alle Diäten in Höhe von über um das Wort gebeten. Bitte schön. 10 000 Euro im Monat in der Tasche. Und die werden auch nicht etwa gekürzt aufgrund von Corona. Also (Beifall bei der CDU/CSU) haben wir auch jeden Tag hier anzutreten und unsere Arbeit zu verrichten und dies nicht nur in einem Bruchteil Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): der Zeit zu tun. Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen (Beifall bei der AfD –. Michael Grosse-Brömer und Kollegen! Lieber Kollege Brandner, [CDU/CSU]: Machen wir doch!) (Ulli Nissen [SPD]: „Lieber“?) Wenn wir etwas Positives daraus ziehen wollen, dann ich hatte mich ja direkt zu Anfang Ihrer Rede gemeldet, können wir das tun: Ein Schuh wird nämlich daraus, um eine Frage zu stellen. Aber eigentlich habe ich mich wenn wir uns das Stichwort „Parlamentsverkleinerung“ gemeldet, um Sie vor einem Irrtum zu schützen. Sie anschauen. Was war es für ein kleinliches und peinliches haben ja im Internet schon vor Ihrer Rede gepostet, was Geschacher, als es vor einigen Monaten darum ging, eini- Sie heute sagen wollen, nämlich: Corona nicht zur ge Mandate bzw. Überhangmandate abzuschaffen und Arbeitsverweigerung im Bundestag missbrauchen. – 25416 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Patrick Sensburg (A) Das Thema ist aber eigentlich die Verlängerung der Gel- Stephan Brandner (AfD): (C) tungsdauer der Regelung in § 126a der Geschäftsordnung Auf den Punkt gebracht: Ob es mir hilft, weiß ich erst, des Deutschen Bundestages, wenn ich die Antwort höre. (Stephan Brandner [AfD]: Das hängt zusam- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Kommen men!) Sie zum Punkt!) in dem es gerade darum geht, in Zeiten von Corona hier Herr Kollege Sensburg, Sie haben gesagt, Teile meiner arbeitsfähig zu bleiben. Fraktion würden Corona leugnen. Können Sie das ein bisschen substanziieren? Wer aus meiner Fraktion hat (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, jemals gesagt, dass es Corona, das Coronavirus oder die der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Erkrankung an Corona, nicht geben würde? GRÜNEN – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der alte Faktenverdreher!) NEN]: Das sprengt die Redezeit von Herrn Sie haben, glaube ich, gar nicht erkannt, dass wir als Sensburg!) Deutscher Bundestag uns hier in vielen Debatten mit Corona, den Bedingungen und den Hilfen für Unterneh- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): men, für Unternehmerinnen und Unternehmer, aber Wir erleben es leider in jeder Sitzung des Deutschen natürlich auch mit unserer Arbeitsfähigkeit ganz intensiv Bundestages. Wenn Sie heute länger im Plenum waren, beschäftigen. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Gewesen Es geht um eine Verlängerung der Geltungsdauer der wären!) Regelung in § 126a – es ist die zweite Verlängerung – um drei Monate. Sie sehen: Es ist eine moderate Verlänge- dann haben Sie in vielen Debatten gemerkt, rung. (Dr. Roland Hartwig [AfD]: Wer denn? Kon- kret!) Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie zwi- schen den Zeilen gesagt: Es gibt Corona. – Das ist ja wie sowohl Corona als solches als auch die Auswirkun- schon mal etwas. gen von Corona geleugnet werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli (Stephan Brandner [AfD]: Wer? Wer? – Tino Nissen [SPD]: Oh!) Chrupalla [AfD]: Wer? Wer? Wer?) Wenn es Corona gibt – Sie leugnen das nicht, aber Teile Ich will Ihnen ein letztes Beispiel geben: Ich vermute, auch Sie kennen den Kollegen, der leider in den letzten (B) Ihrer Fraktion tun das anscheinend –, dann muss man (D) auch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen; Tagen an Corona verstorben ist, der die „Querdenken“- denn Corona geht an uns als Abgeordnete des Deutschen Demonstrationen mitorganisiert hat, Bundestages ja nicht vorüber. (Stephan Brandner [AfD]: Sie haben von unse- rer Fraktion geredet! Der war nicht in unserer (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wie man sieht!) Fraktion! Wer leugnet von uns Corona? Wer?) Auch hier gibt es Fälle – in allen Fraktionen, auch in der im Internet auch mit Kollegen aus der Bundestags- Ihrer. fraktion abgelichtet worden ist, der zu denen gehörte, die Von daher ist es wichtig, dass wir uns so organisieren, Corona lange geleugnet haben, der auf mehreren „Quer- dass wir auch unter diesen Bedingungen arbeitsfähig denken“-Demonstrationen am 19. und am 21. November sind, dass die Ausschüsse und auch die Untersuchungs- ohne Mund-Nase-Schutz gesichtet worden ist, ausschüsse arbeiten können, alle Ausschüsse, aber auch (Stephan Brandner [AfD]: Er ist aber kein das Plenum im Deutschen Bundestag. Fraktionsmitglied gewesen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wo man die Gefahr der Coronapandemie völlig ignoriert bei Abgeordneten der LINKEN) hat. Wenn ich jetzt noch Ihre Posts sehe wie „Corona nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zur Arbeitsverweigerung im Deutschen Bundestag miss- Herr Kollege, Herr Brandner hätte gerne eine Zwi- brauchen“, dann sage ich: Das macht ganz deutlich, dass schenfrage gestellt. Sie die Gefahr und die heftigen Auswirkungen dieser Pandemie negieren und sie herunterspielen. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, wenn ihm das hilft, dann gerne. Auch dass Sie den Mund-Nase-Schutz im Grunde als (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- „Maulkorb“ bezeichnen, zeigt doch sehr deutlich, dass NEN]: Nein! Er hat eine schlechte Rede gehal- Sie Corona nicht ernst nehmen. ten. Die wird nicht besser! – Carsten Schneider Ich gebe Ihnen noch eine Liste von Ihren Kolleginnen [Erfurt] [SPD]: Das kostet uns nur Lebenszeit!) und Kollegen – sie zu verlesen, würde wirklich meine Redezeit hier sprengen –, die Corona nicht ernst nehmen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Stephan Brandner [AfD]: Leugnen! Ich bin Kurz und präzise! gespannt!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25417

Dr. Patrick Sensburg (A) Dann können Sie sich mit denen ein bisschen auseinan- Um nicht den Eindruck zu erwecken, es würde irgend- (C) dersetzen. – Danke schön. wer für die Opposition sprechen, spreche ich hier auch für die FDP, wenn Sie es mir erlauben, für die Linken und für (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, die Grünen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben in den letzten Tagen leider ständig steigende Wir sind sehr einig gemeinsam mit der CDU/CSU- und Coronazahlen in Deutschland, heute allein 26 923 Neu- der SPD-Fraktion, dass diese Geschäftsordnungsrege- infizierte und 698 Todesfälle mit Corona. Das können wir lung, diese Sonderregelung sachgerecht und angemessen als Bundestag nicht einfach ignorieren und müssen uns ist. Sie ist auf drei Monate befristet, und der Geschäfts- deswegen so organisieren, dass wir auch in dieser Phase, ordnungsausschuss ist jederzeit in der Lage, zu sagen: in dieser Zeit arbeitsfähig sind. Das tun wir mit § 126a. Wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, dann Das machen wir. Jeder von uns, auch wenn er sich bei- ändern wir das. spielsweise in Quarantäne befindet, kann durch audiovi- suelles Zuschalten an den Sitzungen teilnehmen. Wir Ich bitte Sie: Lassen Sie es nicht zu, dass jemand wie haben die Quote der notwendigen Präsenz für die der Brandner die Fakten verdreht und das Parlament ver- Beschlussfähigkeit herabgesetzt, was aber nicht bedeutet, ächtlich macht! dass man nicht arbeitet; Herr Kollege Brandner, auch das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, haben Sie nicht verstanden. bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN – Lachen des Abg. Stephan Brandner (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bei denen [AfD]) schon!) Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir in die- Bei den Abstimmungen – das werden Sie im Internet sem Hause einen Konsens darüber haben, dass wir uns nachvollziehen können – sind die Kolleginnen und Kol- von diesen Typen nicht auf der Nase herumtanzen lassen. legen ja da. Auch die Abstimmungen haben wir so orga- nisiert, dass wir den Abstand einhalten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Ich würde eher sagen: Dieses Parlament ist arbeitsfä- LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: So können Sie hig, organisiert sich so, dass die Demokratie funktioniert, im Kindergarten sprechen, Frau Haßelmann! – und beteiligt sich an allen wesentlichen Entscheidungen Weiterer Zuruf von der AfD: Wo ist denn Ihre mit intensiven Debatten. Wir machen das möglich. Sie Kinderstube?) (B) wollen eigentlich eher etwas anderes. Sie würden sich (D) wünschen, dass dieses Parlament nicht arbeitsfähig ist. Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag ist Aber das machen wir nicht mit. Ihnen gehen wir nicht arbeitsfähig. So viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in auf den Leim. der Bundestagsverwaltung geben alles, ebenso in den Ministerien, in der Bundesregierung und Sie, wir, alle Danke schön. Abgeordneten auch. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Was haben wir in den letzten Wochen und Monaten der KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Coronapandemie, in dieser Krisenzeit, nicht alles ver- sowie bei Abgeordneten der FDP) sucht und nach Abwägungen schwere Entscheidungen getroffen. Da muss man das Kreuz ganz gerademachen vor diesen Typen, die versuchen, das Parlament verächt- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lich zu machen. Meine Damen und Herren, es gibt keinen Jetzt hat sich noch die Geschäftsführerin von Bünd- Grund, sich das bieten zu lassen. nis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet, die Kollegin Britta Haßelmann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der (Tino Chrupalla [AfD]: Aber nicht so laut, Frau LINKEN) Haßelmann!) Der Bundestag hat sehr intensiv darüber beraten, wie wir es schaffen können, uns alle in Zeiten der Pandemie arbeitsfähig zu halten. Dafür haben wir diese Sonderrege- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lung in der Geschäftsordnung getroffen, und nur dafür. Wenn Sie das Wort wollen, melden Sie sich beim Präsi- Wir wussten nämlich genau, dass wir Vorsorge treffen denten. – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter müssen für den Fall, dass auch Abgeordnete betroffen Herr Präsident! Da wir dem Eindruck, den der Abgeord- sind. nete Brandner hier wieder versucht hat zu vermitteln, entgegentreten müssen, An Ihrer Stelle wäre ich mal ganz still in dieser Woche. Wir hatten in der letzten Woche sieben coronapositiv (Jürgen Braun [AfD]: Müssen! Ja, müssen! – getestete Abgeordnete in diesem Haus, vier allein aus Stephan Brandner [AfD]: Zeigen Sie Haltung!) Ihrer Fraktion. will ich ganz deutlich sagen: Die Sachargumente, die der (Jürgen Braun [AfD]: Frau Göring-Eckardt! – Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses eben Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Sie sind vorgetragen hat, teilen wir alle gemeinsam. die Superspreader!) 25418 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Britta Haßelmann (A) Ich würde an Ihrer Stelle ganz ruhig sein und mir über- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (C) legen, wie sich der Bundestag und die Fraktionen arbeits- lung auf Drucksache 19/25324, der Verordnung auf fähig halten können. Drucksache 19/24440 zuzustimmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – CDU/CSU, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der dagegen? – AfD und FDP. Enthaltungen? – Keine. Die LINKEN) Beschlussempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Allein vier der sieben Abgeordneten sind aus der AfD- Tagesordnungspunkt 28 g: Fraktion. Das macht deutlich: Wir müssen Vorsorge tref- fen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Jetzt will ich noch einen Punkt ansprechen: Angesichts schutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) der Tatsache, dass heute 698 Tote gemeldet wurden – 698 Tote! – – – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (Jürgen Braun [AfD]: Sie sind eine Schauspielerin, Frau Haßelmann! Schmieren- Schutz von exotischen Tieren bei Handel komödiantin!) und Haltung verbessern – Ursachen für Pandemien bekämpfen – Können Sie nicht einfach mal schweigen angesichts dieser Zahl toter Menschen und ihrer Angehörigen und – zu dem Antrag der Abgeordneten Judith Familien? Skudelny, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Können Verbreitung von Zoonosen im Handel mit Sie nicht schweigen?) Wildtieren verhindern – Bessere Regeln statt Verbote Meine Damen und Herren, wir haben heute 30 400 Neuinfizierte und mit Ihnen eine Fraktion, die – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten bis heute die Gefahren dieser Pandemie leugnet. Bei aller Tackmann, Ralph Lenkert, Dr. Gesine Unterschiedlichkeit in der Sache: Lassen Sie uns als Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Wir Fraktion DIE LINKE haben einen guten Weg gefunden, das Parlament arbeits- Moratorium für Wildtierhandel aus ethi- (B) fähig zu halten; darüber bin ich froh. Das ist in Zeiten der scher und epidemiologischer Verantwor- (D) Pandemie auch dringend notwendig. tung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, – zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Lemke, Renate Künast, Uwe Kekeritz, wei- LINKEN) terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Naturzerstörung, Wildtierhandel und Vielen Dank für die Wortmeldungen. Pelztierfarmen stoppen – Risiko für Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- zukünftige Pandemien senken fehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität Drucksachen 19/24645, 19/24593, 19/20551, und Geschäftsordnung auf Drucksache 19/25177. Wer 19/24435, 19/25345 stimmt für die Beschlussempfehlung? – Das sind alle Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der AfD-Fraktion. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- Gegenprobe! – Die AfD stimmt dagegen. Enthaltungen? – schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/24645 mit dem Titel „Schutz von exotischen Tieren bei Handel Tagesordnungspunkt 28 f: und Haltung verbessern – Ursachen für Pandemien Beratung der Beschlussempfehlung und des bekämpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- des Ausschusses? – CDU/CSU, SPD und Linke. Gegen- schutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) probe! – AfD stimmt dagegen. Enthaltungen? – FDP und zu der Verordnung der Bundesregierung Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Verordnung über das Verbot des Inverkehr- bringens von bestimmten Einwegkunststoff- Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- produkten und von Produkten aus oxo-abbau- nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache barem Kunststoff 19/24593 mit dem Titel „Verbreitung von Zoonosen im Handel mit Wildtieren verhindern – Bessere Regeln statt (Einwegkunststoffverbotsverordnung – Verbote“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des EWKVerbotsV) Ausschusses? – CDU/CSU, SPD, AfD, Linke und Grüne. Drucksachen 19/24440, 19/24795 Nr. 2, Gegenprobe! – Dagegen stimmt die FDP. Enthaltungen? – 19/25324 Keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25419

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- ten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael (C) schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 19/20551 mit dem Titel tion der AfD „Moratorium für Wildtierhandel aus ethischer und epide- miologischer Verantwortung“. Wer stimmt für die Be- Grundrechten wieder Geltung verschaffen – schlussempfehlung? – CDU/CSU, SPD, FDP und AfD. Keine Datensammlung durch eine Corona- Gegenprobe! – Die Linke. Enthaltungen? – Die Grünen. App Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Drucksachen 19/18976, 19/22915 Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lung auf Drucksache 19/22915, den Antrag der Fraktion auf Drucksache 19/24435 mit dem Titel „Naturzerstö- der AfD auf Drucksache 19/18976 abzulehnen. Wer rung, Wildtierhandel und Pelztierfarmen stoppen – Risi- stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – ko für zukünftige Pandemien senken“. Wer stimmt für die Alle Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der AfD. Beschlussempfehlung des Ausschusses? – CDU/CSU, Gegenprobe! – Dagegen stimmt die AfD. Enthaltungen? – SPD, AfD und FDP. Gegenprobe! – Grüne und Linke Keine. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist stimmen dagegen. Enthaltungen? – Keine. Die Be- angenommen. schlussempfehlung des Ausschusses ist angenommen. Tagesordnungspunkt 28 h: Tagesordnungspunkt 28 k: Beratung der Beschlussempfehlung und des Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan Joana Cotar, Uwe Schulz, Marcus Bühl, weiterer Schmidt, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Abgeordneter und der Fraktion der AfD Dr. Danyal Bayaz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freie Meinungsäußerung sicherstellen – Rechtssicherheit der Datenschutz-Grund- EU-Tabaksteuerrichtlinie zu einer Steuer- verordnung – Erweiterung des Medienprivi- richtlinie für Rauch- und Dampfprodukte wei- legs auf Blogger, Fotografen und Tätige im terentwickeln und an gesundheitlichen Aus- Bereich der Öffentlichkeitsarbeit wirkungen ausrichten Drucksachen 19/7430, 19/10011 Drucksachen 19/18978, 19/25320 (B) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (D) lung auf Drucksache 19/10011, den Antrag der Fraktion Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- der AfD auf Drucksache 19/7430 abzulehnen. Wer lung auf Drucksache 19/25320, den Antrag der Fraktion stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/18978 abzu- Das sind alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Gegen- lehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – probe! – Die AfD stimmt gegen die Ausschussempfeh- AfD, FDP, CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – lung. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Enthaltungen? – Kei- des Ausschusses ist angenommen. ne. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 28 i: Tagesordnungspunkte 28 l bis 28 dd sowie Zusatz- punkte 15 a bis 15 r. Hier geht es um Beschlussempfeh- Beratung der Beschlussempfehlung und des lungen des Petitionsausschusses. Berichts des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Tagesordnungspunkt 28 l: Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, weiterer Abgeordneter Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- und der Fraktion der AfD tionsausschusses (2. Ausschuss) Freiheit im Internet – Bürgerrechte stärken Sammelübersicht 728 zu Petitionen Drucksachen 19/10172, 19/16140 Drucksache 19/25101 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Hier sind 100 Petitionen zusammengefasst. Wer lung auf Drucksache 19/16140, den Antrag der Fraktion stimmt für die Sammelübersicht 728? – Das sind alle der AfD auf Drucksache 19/10172 abzulehnen. Wer Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? – Enthaltun- stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – gen? – Keine. Die Sammelübersicht 728 ist damit ein- Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Gegenprobe! – stimmig angenommen. Dagegen stimmt die AfD-Fraktion. Enthaltungen? – Kei- ne. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist ange- Tagesordnungspunkt 28 m: nommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Tagesordnungspunkt 28 j: tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung und des Sammelübersicht 729 zu Petitionen Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- Drucksache 19/25102 25420 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Hier sind 91 Petitionen zusammengefasst. Wer stimmt In diesem Jahr haben uns etwa 15 000 Petitionen (C) für Sammelübersicht 729? – Das sind alle Fraktionen des erreicht, und wir sind uns – da können Sie sicher sein – Hauses. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Keine. Die nicht immer einig, was mit jeder einzelnen Petition pas- Sammelübersicht 729 ist ebenfalls einstimmig angenom- sieren soll. Aber bei dieser Petition, von der ich berichten men. werde, waren sich Koalition und Opposition einig, dass Tagesordnungspunkt 28 n: etwas passieren muss. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Worum geht es? Eine Petentin aus Bayern wollte sich tionsausschusses (2. Ausschuss) von einem Onlinehändler telefonisch beraten lassen. Des- wegen hat sie seine Telefonnummer gewählt, die mit Sammelübersicht 730 zu Petitionen „032“ beginnt. Sie dachte – wahrscheinlich wäre das Drucksache 19/25103 jedem von uns passiert –, dass es sich um eine Ortsnetz- 16 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind AfD, FDP, nummer aus dem Großraum Berlin handelt. Tatsächlich CDU/CSU und SPD. Gegenstimmen? – Die Linke. Ent- war es eine Servicehotline. Das ist ihr allerdings erst auf- haltungen? – Grüne. Die Sammelübersicht 730 ist ange- gefallen, als sie ihre Telefonrechnung bekommen hat. Die nommen. war zu ihrem Erstaunen um einiges höher als sonst. Weil sie aber zu Beginn ihres Anrufes nicht über die Kosten Tagesordnungspunkt 28 o: pro Minute informiert wurde, hat sie sich an die Bundes- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- netzagentur gewandt. Dort ist das Problem bekannt; denn tionsausschusses (2. Ausschuss) es gibt häufig Beschwerden über erhöhte Rechnungen wegen der Telefonnummer „032“. Sammelübersicht 731 zu Petitionen Drucksache 19/25104 Es handelt sich dabei nicht um eine Festnetznummer, wie man annehmen könnte, sondern es ist eine sogenann- 15 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind alle Frak- te nationale Teilnehmerrufnummer, die früher aus tech- tionen mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – nischen Gründen benötigt wurde. Hier gibt es eine Ge- Die AfD-Fraktion stimmt dagegen. Enthaltungen? – Kei- setzeslücke mit der Folge, dass die Regelungen zum ne. Sammelübersicht 731 ist angenommen. Verbraucherschutz im Telekommunikationsgesetz nicht Tagesordnungspunkt 28 p: greifen. Die „032“er-Nummern unterliegen bisher leider Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- nicht den Verpflichtungen der Preisangabe gemäß § 66a tionsausschusses (2. Ausschuss) des Telekommunikationsgesetzes. (B) Sammelübersicht 732 zu Petitionen Der gesamte Petitionsausschuss ist sich einig, dass hier (D) eine Lösung im Sinne des Verbraucherschutzes und der Drucksache 19/25105 Petentin gefunden werden muss. Wir haben uns deshalb Eine Petition. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD einstimmig dafür ausgesprochen, diese Petition dem und FDP. Wer stimmt dagegen? – AfD und Linke. Ent- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem haltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Die Sammelüber- Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sicht 732 ist angenommen. zur Erwägung zu überweisen. Damit fordern wir jetzt die Tagesordnungspunkt 28 q: Bundesregierung auf, nach Möglichkeiten der Abhilfe im Sinne der Petentin zu suchen. Ein gutes Beispiel der Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zusammenarbeit, das Schule machen kann! tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 733 zu Petitionen Vielen Dank. Drucksache 19/25106 (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Es geht hier um eine Petition. Bevor wir zur Abstim- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE mung über die Sammelübersicht kommen, erteile ich dem GRÜNEN) Kollegen Todtenhausen das Wort zu einer ergänzenden Berichterstattung. – Bitte schön. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Kollege Manfred Todtenhausen. – Wir kommen zur Abstimmung über Sammelübersicht 733 auf Drucksache 19/25106. Wer stimmt dafür? – Das Manfred Todtenhausen (FDP): sind alle Fraktionen des Hauses. – Keine Gegenstimmen, Herr Präsident, ich gönne Ihnen die Atempause. – Mei- keine Enthaltungen. Sammelübersicht 733 ist einstimmig ne lieben Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich angenommen. habe heute die große Freude, nicht nur für meine Fraktion reden zu dürfen, sondern für alle Fraktionen im Petitions- Tagesordnungspunkt 28 r: ausschuss, und das ist mir eine besondere Ehre. Vielleicht liegt es daran, weil ich in der Sitzungswoche, Herr Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Brandner, immer von sonntags bis freitags hier bin, weil tionsausschusses (2. Ausschuss) ich sonst meine Arbeit nicht schaffe. Sammelübersicht 734 zu Petitionen (Beifall bei der FDP und der LINKEN – Beifall des Abg. Stephan Brandner [AfD]) Drucksache 19/25107 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25421

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Eine Petition. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen des Tagesordnungspunkt 28 x: (C) Hauses. – Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Sammelübersicht 734 ist einstimmig angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 28 s: Sammelübersicht 740 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/25113 tionsausschusses (2. Ausschuss) Eine Petition. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD, Sammelübersicht 735 zu Petitionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Gegenstimmen? – AfD Drucksache 19/25108 ist dagegen. Enthaltungen? – Die Linke. Sammelüber- sicht 740 ist angenommen. Sieben Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind alle Tagesordnungspunkt 28 y: Fraktionen mit Ausnahme der Linken. Wer stimmt dage- gen? – Die Linke stimmt dagegen. Enthaltungen? – Kei- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- ne. Sammelübersicht 735 ist angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 28 t: Sammelübersicht 741 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/25114 tionsausschusses (2. Ausschuss) Eine Petition. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD, Sammelübersicht 736 zu Petitionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer stimmt dagegen? – AfD und Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammelüber- Drucksache 19/25109 sicht 741 ist angenommen. 21 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind AfD, FDP, Tagesordnungspunkt 28 z: CDU/CSU und SPD. Dagegen? – Bündnis 90/Die Grü- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- nen und Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammelüber- tionsausschusses (2. Ausschuss) sicht 736 ist angenommen. Sammelübersicht 742 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 28 u: Drucksache 19/25115 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Eine Petition. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD (B) und FDP. Wer stimmt dagegen? – AfD und Grüne. Ent- (D) Sammelübersicht 737 zu Petitionen haltungen? – Die Linke. Sammelübersicht 742 ist ange- Drucksache 19/25110 nommen. Tagesordnungspunkt 28 aa: Eine Petition. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen mit Ausnahme der FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Die FDP stimmt dagegen. Enthaltungen? – Keine. Sam- tionsausschusses (2. Ausschuss) melübersicht 737 ist angenommen. Sammelübersicht 743 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 28 v: Drucksache 19/25116 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Eine Petition. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD tionsausschusses (2. Ausschuss) und FDP. Dagegen? – AfD, Grüne und Linke. Enthaltun- Sammelübersicht 738 zu Petitionen gen? – Keine. Sammelübersicht 743 ist angenommen. Drucksache 19/25111 Tagesordnungspunkt 28 bb: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind alle tionsausschusses (2. Ausschuss) Fraktionen mit Ausnahme der AfD-Fraktion. Gegenstim- men? – Die AfD stimmt dagegen. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 744 zu Petitionen Sammelübersicht 738 angenommen. Drucksache 19/25117 Tageordnungspunkt 28 w: Vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD, Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Dagegen? – Die FDP tionsausschusses (2. Ausschuss) und die AfD. Enthaltungen? – Keine. Sammelüber- sicht 744 ist angenommen. Sammelübersicht 739 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 28 cc: Drucksache 19/25112 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Eine Petition. Wer stimmt dafür? – Das sind CDU/ tionsausschusses (2. Ausschuss) CSU, SPD, Linke und FDP. Wer stimmt dagegen? – Sammelübersicht 745 zu Petitionen AfD und Grüne stimmen dagegen. Enthaltungen? – Kei- ne. Sammelübersicht 739 ist angenommen. Drucksache 19/25118 25422 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD Zusatzpunkt 15 e: (C) und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen? – Linke, AfD und Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- FDP. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 745 ist tionsausschusses (2. Ausschuss) angenommen. Sammelübersicht 751 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 28 dd: Drucksache 19/25361 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Drei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? – Keine Sammelübersicht 746 zu Petitionen Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Sammelüber- Drucksache 19/25119 sicht 751 ist angenommen. Zusatzpunkt 15 f: Zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU und SPD stimmen dafür. Wer stimmt dagegen? – Grüne, Lin- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- ke, FDP, AfD, die Opposition komplett dagegen. Enthal- tionsausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Keine. Sammelübersicht 746 ist mit den Stim- Sammelübersicht 752 zu Petitionen men der Koalition angenommen. Drucksache 19/25362 Zusatzpunkt 15 a: Zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das sind alle a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der Linken. tionsausschusses (2. Ausschuss) Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Die Linke ent- Sammelübersicht 747 zu Petitionen hält sich. Sammelübersicht 752 ist angenommen. Drucksache 19/25357 Zusatzpunkt 15 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Es geht hier um 148 Petitionen. Wer stimmt dafür? – tionsausschusses (2. Ausschuss) Alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 747 ist einstim- Sammelübersicht 753 zu Petitionen mig angenommen. Drucksache 19/25363 Zusatzpunkt 15 b: Eine Petition. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen mit Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Ausnahme der Linken. Wer stimmt dagegen? – Die Lin- (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) ke. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 753 ist (D) angenommen. Sammelübersicht 748 zu Petitionen Zusatzpunkt 15 h: Drucksache 19/25358 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- 68 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen, tionsausschusses (2. Ausschuss) also einstimmig. – Keine Gegenstimmen, keine Enthal- Sammelübersicht 754 zu Petitionen tungen. Sammelübersicht 748 ist angenommen. Drucksache 19/25364 Zusatzpunkt 15 c: Sechs Petitionen. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- des Hauses mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dage- tionsausschusses (2. Ausschuss) gen? – Die AfD stimmt dagegen. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 749 zu Petitionen Sammelübersicht 754 ist angenommen. Drucksache 19/25359 Zusatzpunkt 15 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- 25 Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD, tionsausschusses (2. Ausschuss) FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Linke. Ent- haltungen? – Die Grünen. Sammelübersicht 749 ist ange- Sammelübersicht 755 zu Petitionen nommen. Drucksache 19/25365 Zusatzpunkt 15 d: Eine Petition. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen mit Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Ausnahme der Linken. Wer stimmt dagegen? – Keine tionsausschusses (2. Ausschuss) Gegenstimmen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Sammelübersicht 755 ist angenommen. Sammelübersicht 750 zu Petitionen Zusatzpunkt 15 j: Drucksache 19/25360 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- 26 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen mit tionsausschusses (2. Ausschuss) Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – AfD stimmt Sammelübersicht 756 zu Petitionen dagegen. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 750 ist angenommen. Drucksache 19/25366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25423

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Sieben Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, Zusatzpunkt 15 p: (C) SPD, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/ Die Grünen und Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammel- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- übersicht 756 ist angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 15 k: Sammelübersicht 762 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/25372 tionsausschusses (2. Ausschuss) Zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD Sammelübersicht 757 zu Petitionen und FDP. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grü- nen, Linke und AfD. Enthaltungen? – Keine. Sammel- Drucksache 19/25367 übersicht 762 ist angenommen. Eine Petition. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD, Zusatzpunkt 15 q: AfD und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/ Die Grünen, FDP. Enthaltungen? – Keine. Sammelüber- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- sicht 757 ist angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 15 l: Sammelübersicht 763 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/25373 tionsausschusses (2. Ausschuss) Sechs Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, Sammelübersicht 758 zu Petitionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die FDP, die AfD und Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Drucksache 19/25368 Sammelübersicht 763 ist angenommen. Zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, Zusatzpunkt 15 r: SPD, Linke und FDP. Gegenstimmen? – Die Grünen und die AfD. Enthaltungen? – Keine. Sammelüber- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- sicht 758 ist angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 15 m: Sammelübersicht 764 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/25374 tionsausschusses (2. Ausschuss) (B) Sieben Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU und (D) Sammelübersicht 759 zu Petitionen SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition geschlos- sen: AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Ent- Drucksache 19/25369 haltungen? – Keine. Sammelübersicht 764 ist mit den Zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, Stimmen der Koalition angenommen. SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP. Wer stimmt dage- Zusatzpunkt 11 a: gen? – AfD und Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammel- übersicht 759 ist angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Zusatzpunkt 15 n: Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- der Abgeordneten Nicole Bauer, Frank Sitta, tionsausschusses (2. Ausschuss) Dr. Gero Clemens Hocker, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Sammelübersicht 760 zu Petitionen Verbot von Grünlandumbruch streichen Drucksache 19/25370 Drucksachen 19/24326, 19/24802 Fünf Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Wer stimmt dage- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- gen? – Die FDP und die AfD. Enthaltungen? – Keine. lung auf Drucksache 19/24802, den Antrag der FDP- Sammelübersicht 760 ist angenommen. Fraktion auf Drucksache 19/24326 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – CDU/CSU und Zusatzpunkt 15 o: SPD. Gegenprobe! – AfD und FDP. Enthaltungen? – Grü- ne und Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenom- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- men. tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 761 zu Petitionen Zusatzpunkt 11 b: Drucksache 19/25371 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digita- Drei Petitionen. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD le Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag und AfD. Wer stimmt dagegen? – Die FDP, Bündnis 90/ der Abgeordneten Torsten Herbst, Frank Sitta, Die Grünen und Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammel- Oliver Luksic, weiterer Abgeordneter und der übersicht 761 ist angenommen. Fraktion der FDP 25424 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Keine einseitige Subventionierung für den [Erfurt] [SPD]: Herr Brandner, es ist doch Bun- (C) Deutsche-Bahn-Konzern – Unterstützung für destag gerade! Wo sind denn Ihre Leute?) den Schienenverkehr wettbewerbsneutral aus- gestalten Stephan Brandner (AfD): Drucksachen 19/24639, 19/25386 Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Arroganz der Macht der Blockparteien beklagen wir als Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- AfD uns ja häufig von hier vorne, und das auch zu Recht. lung auf Drucksache 19/25386, den Antrag der FDP- Fraktion auf Drucksache 19/24639 abzulehnen. Wer (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das haben stimmt für die Beschlussempfehlung? – CDU/CSU und wir doch alles schon gehört!) SPD. Gegenprobe! – AfD und FDP. Enthaltungen? – Wie ein Brennglas, was die Arroganz der Macht der Alt- Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Die Beschlussemp- parteien angeht, wirkt der Vermittlungsausschuss. So fehlung ist angenommen. auch hier, als der Vermittlungsausschuss über Änderun- Zusatzpunkt 11 c: gen zum Adoptionshilfe-Gesetz zu entscheiden hatte. Beratung der Beschlussempfehlung und des Wie war der Ablauf? Am 3. Dezember 2020 kam die Berichts des Ausschusses für Ernährung und Einladung zum Vermittlungsausschuss, der am Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag 10. Dezember, also eine Woche später, tagen sollte. So der Abgeordneten Carina Konrad, Frank Sitta, weit, so gut. Am 7. Dezember erreichte uns dann aus dem Dr. Gero Clemens Hocker, weiterer Abgeordne- Hause Dr. Giffey ein Schreiben mit dem Inhalt, dass nach ter und der Fraktion der FDP politischen Vorgesprächen ein Vermittlungsergebnis be- Notfallzulassung für Neonikotinoide ermögli- reits skizziert worden sei; der fertig formulierte Antrag chen war beigefügt. Das war am 7. Dezember, also drei Tage, bevor der Vermittlungsausschuss überhaupt zusammen- Drucksachen 19/24374, 19/25355 trat. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Wir trafen uns dann im Vermittlungsausschuss am lung auf Drucksache 19/25355, den Antrag der Fraktion 10. Dezember 2020; das war übrigens der Tag, als die der FDP auf Drucksache 19/24374 abzulehnen. Wer Kollegin Haßelmann – wo ist denn die Gute? hier vorne – stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Geburtstag hatte. Ich darf Ihnen nach Rücksprache mit Das sind CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grü- dem Kollegen Chrupalla noch herzlich nachträglich zum nen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – FDP und Geburtstag gratulieren. (B) AfD. – Keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung (D) ist angenommen. (Beifall bei der AfD) Wir kommen zu Zusatzpunkt 12: Jedenfalls trat am 10. Dezember der Vermittlungsaus- schuss zusammen; Gegenstand war das Ergebnis der poli- Beratung der Beschlussempfehlung des Vermitt- tischen Vorgespräche. Auf meine Frage, wer denn da was lungsausschusses politisch vorbesprochen haben wollte, sollte, durfte oder zu dem Gesetz zur Verbesserung der Hilfen konnte, betätigte sich die Vorsitzende des Vermittlungs- für Familien bei Adoption (Adoptionshilfe- ausschusses, Frau Schwesig, als Regierungssprecherin Gesetz) und teilte mir sinngemäß mit, das gehe mich gar nichts an, jeder könne mit jedem reden, wie er will, und was Drucksachen 19/16718, 19/19596, 19/20892, dann dabei rauskomme, sei auch egal. Auf meinen Ein- 19/24905, 19/25163 wand, aber das sei doch auf dem Briefkopf der Frau Die Berichterstattung im Bundestag lag bei der Abge- Dr. Giffey, also offiziell als ministerielles Schreiben ge- ordneten Katja Mast, im Bundesrat bei Senator kommen, wusste Frau Schwesig keine Antwort. Der Dr. Matthias Kollatz. SPD-Vertreter lief herum und schrie, er wolle nach Hau- se, er habe Angst um seine Lebenszeit. Herr Grosse- Mir ist mitgeteilt worden, dass nach § 10 Absatz 2 der Brömer äußerte sich dahin gehend, die AfD solle sich Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses das Wort konstruktiv einbringen. Auf meine Frage: „Wie soll das gewünscht wird. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten denn geschehen, Herr Grosse-Brömer, wenn wir von Stephan Brandner, AfD Fraktion. Ihren Hinterzimmeraktivitäten gar nichts wissen?“, kam (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Uns der Einwand: Ja, da müssen Sie selber sehen, wie Sie bleibt wieder nichts erspart! – Carsten zurechtkommen. – Also ein Chaos ohne Ende, eines Ver- Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist ja eine mittlungsausschusses absolut unwürdig. maue Teilnahme in der AfD-Fraktion! Sind Im Übrigen haben sich die Vertreter des Bundesrates die alle schon im Urlaub? – Dr. Franziska im Vermittlungsausschuss gar nicht dazu geäußert. Erst Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die nachdem der Kollege Frömming von der AfD dazu auf- sind alle krank! Die sind alle in Quarantäne! – gefordert hatte, kamen überhaupt ein, zwei Sätze aus Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 10 Prozent dieser Richtung. der AfD ist anwesend! Arbeitsverweigerung, Herr Brandner! Meine Güte! – Dr. Franziska Was für eine Präsenz war da? Der Vermittlungsaus- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, schuss ist ein Verfassungsorgan, nicht direkt, hat aber die sind in Quarantäne! – Carsten Schneider Verfassungsrang, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25425

Stephan Brandner (A) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie viele Es ist immer derselbe Text. Aus meiner Sicht gibt es nach (C) sind denn von der AfD da? Wie viele Abge- Ihrer Rede eigentlich nur zwei Möglichkeiten, Herr ordnete sind denn da? Haben Sie sie gesehen?) Brandner: Entweder Sie sind juristisch ahnungslos, was ich Ihnen nicht unterstellen will, oder Sie haben hier die wenn Sie in den Artikel 77 des Grundgesetzes hinein- Absicht, bewusst über die Abläufe zu täuschen und zu schauen. Der Vermittlungsausschuss besteht aus 32 Mit- tricksen. Es spricht viel für Letzteres. gliedern: 16 des Bundestages, 16 des Bundesrates. Vom Bundesrat waren exakt 10 von 16 da, vom Bundestag Es beweist im Übrigen auch, dass Ihre Fraktion, insbe- waren 11 von 16 da. Interessanterweise war die AfD die sondere Ihre Wortmeldungen, immer nur das Ziel haben, einzige Fraktion, die vollzählig anwesend war. diese Verfassung und auch ein Stück weit das Verfahren zu torpedieren, wo es nur geht. Sie haben selbst Artikel 77 (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Schämen des Grundgesetzes genannt, also wissen Sie ja, was Sinn Sie sich!) und Zweck des Vermittlungsverfahrens ist, nämlich zu Bei allen anderen Fraktionen klafften Lücken, mit Aus- vermitteln und ein Vermittlungsergebnis zu bekommen. nahme des Geburtstagskindes der Grünen. Die waren Dazu treffen sich Leute. Ich weiß nicht, wie das war, als auch vollständig, aber die haben nur ein Mitglied, da der kleine Stephan vielleicht nicht immer zu den Geburts- geht es schnell, dass man die Reihen auffüllt. tagspartys eingeladen worden ist. Also: Sie selber haben den Vermittlungsausschuss ad (Heiterkeit der Abg. Ulli Nissen [SPD] und absurdum geführt, Sie nehmen ihn selbst nicht ernst. Sie Alexander Graf Lambsdorff [FDP]) machen Hinterzimmerpolitik. Ich bin hier vorne aufge- Es sind nicht immer die schuld, die die Partys veranstal- fordert, noch einmal zu sagen: Beenden Sie die Hinter- ten, manchmal ist auch der schuld, der nicht eingeladen zimmerpolitik! wird, weil er sich nämlich um die ganzen Sachen nicht (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, beenden kümmert. Sie Ihre Rede!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Machen Sie Politik und Prozesse so, wie es im Grund- ordneten der SPD) gesetz geschrieben steht, wie es die Bürger draußen wol- Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Das Bundesver- len, nämlich transparent und demokratisch! fassungsgericht hat gesagt: „Zweck und Ziel des Vermitt- lungsverfahrens ist das Erzielen eines politischen Kom- Zum Vermittlungsergebnis als solchem enthalten wir promisses“ – daran haben Sie sich nicht beteiligt –, dabei uns, weil es keine wesentliche Verbesserung, aber auch kann sich der Ausschuss – Achtung! – „formeller und keine Verschlechterung dessen ergab, was schon verab- informeller Gremien zur Vorbereitung der Beschlussfas- (B) schiedet war. (D) sung“ bedienen. Wenn das also so gewesen ist, hat sich Vielen Dank. der Vermittlungsausschuss so verhalten, wie es das Bun- desverfassungsgericht nicht nur ermöglicht, sondern so- (Beifall bei der AfD) gar vorschlägt, Herr Brandner. Das vielleicht noch einmal zur Verbesserung Ihres juristischen Hintergrundes. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Im Übrigen ist es auch gar nicht so kompliziert, das zu Mund-Nase-Bedeckung! verstehen, aber, ich glaube, Sie wollen es auch nicht ver- (Stephan Brandner [AfD]: Ich lerne dazu!) stehen, weil Sie sich nämlich selbst an demokratische Spielregeln nicht halten, möglicherweise verachten Sie – Sehr gut. Gute persönliche Lernkurve. – Der Abgeord- diese sogar. Wir haben jetzt in der letzten Sitzungswoche nete Grosse-Brömer hat das Wort für die CDU/CSU- zur Kenntnis genommen, dass Ihre Fraktion mit einmo- Fraktion. natiger Verspätung den Austritt eines Fraktionsmitglieds (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Brandner mitgeteilt hat. Damit erschleichen Sie sich vier Wochen [AfD]: Die Schlaufen links und rechts sind lang Sitze in Ausschüssen, die Ihnen gar nicht mehr übrigens für die Ohren gedacht, nicht für die zustehen. Hände!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das ist natürlich die Sauerei. Sie müssen sich einmal Kollegen! Auch ich bin Mitglied des Vermittlungsaus- fragen lassen: Sie machen hier den großen Popanz und schusses. Ich habe beim letzten Vermittlungsausschuss halten sich selbst nicht an demokratische Spielregeln. dem gefundenen Vermittlungsergebnis nach einem geor- Das ist doch der Punkt, um den es hier geht. dneten, der Verfassung und der Geschäftsordnung ent- sprechenden Verfahren zugestimmt. So wurde es von (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses bestätigt. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich jetzt Herrn Brandner höre, dann ist das eigentlich immer so: Nach jedem Vermittlungsausschuss Sie schwadronieren von geordneten Verfahren und bedie- grüßt der Stephan als Murmeltier. nen sich selbst der übelsten Tricks. Ich will Ihnen sagen: Jetzt wird natürlich neu nachgerechnet. Sie werden Sitze (Ulli Nissen [SPD]: Murmeltier ist aber nett!) verlieren in den Ausschüssen. 25426 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Michael Grosse-Brömer (A) (Tino Chrupalla [AfD]: Einer!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Da müssen Sie jetzt aber nicht traurig sein, das ist so. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit schließe ich die Aussprache. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- NEN], an die AfD gewandt: Drei! – Gegenruf fehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache des Abg. Tino Chrupalla [AfD]: Nein, einer!) 19/25163 zum Adoptionshilfe-Gesetz. Gemäß § 10 Nicht, dass Sie wieder sagen: Oh Gott, oh Gott, ich darf Absatz 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermitt- wieder nicht dabei sein. lungsausschuss beschlossen, dass im Deutschen Bundes- tag über alle Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Aber ich möchte Ihnen abschließend eines sagen: Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt- Auch der Rechtsausschuss ist betroffen. Sollte es Ihren lungsausschusses? – Das sind alle Fraktionen mit Sitz treffen, Herr Brandner, und Sie müssen den Rechts- Ausnahme der AfD-Fraktion. Gegenprobe! – Keine ausschuss verlassen, wird die Rechtspolitik in Deutsch- Gegenstimmen. Enthaltungen? – Die AfD-Fraktion. Die land keinen großen Schaden nehmen. Beschlussempfehlung ist damit angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der Fall Haribo – Niedergang des ostdeut- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin schen Arbeitsmarktes stoppen Gesine Lötzsch. Ich eröffne die Aussprache und möchte darauf hinwei- (Beifall bei der LINKEN) sen, dass in der Aktuellen Stunde die Redezeit für jeden genau 5 Minuten beträgt, nicht 5,5 Minuten. Sie sind auf Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): der sicheren Seite, wenn Sie schon nach 4,5 Minuten auf- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- hören. ren! Wir wissen doch alle: Wenn über Verfahrensfragen Das Wort hat als Erste die Kollegin Sabine diskutiert wird, geht es auch immer um den Inhalt. Darum Zimmermann, Fraktion Die Linke. war Ihre Wortmeldung, Herr Brandner, auch nicht so richtig ehrlich; denn Sie haben ja im Vermittlungsaus- (Beifall bei der LINKEN) (B) schuss begründet, was Ihnen daran nicht passt. Ich sage (D) Ihnen, warum wir als Linke zustimmen werden: Wir leben im 21. Jahrhundert, und wir wollen, dass der Viel- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): falt der Lebensformen endlich auch gesetzlich Rechnung Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- getragen wird, meine Damen und Herren. ren! Besonders begrüßen möchte ich die Kolleginnen und Kollegen bei Haribo in Wilkau-Haßlau! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Vielfalt der Lebensformen war schon immer groß. Den Ostbeauftragten hätte ich auch gern begrüßt, aber er Es war schon immer mehr als Vater, Mutter, Kind. Wir ist heute leider nicht da. wollen die Menschen, die sich für andere Lebensformen Meine Damen und Herren, viele von Ihnen haben die entschieden haben, zum Beispiel in diesem Fall lesbische Berichterstattung verfolgt. Haribo plant, sein einziges Frauen, unterstützen und sie nicht behindern, wenn sie Werk in Ostdeutschland in Wilkau-Haßlau zum Jahres- sich dafür entschieden haben, gemeinsam Kinder groß- ende zu schließen. Das hat man den Beschäftigten aus zuziehen. Sie verdienen unsere Unterstützung, unsere heiterem Himmel im November erklärt, sozusagen als Hochachtung, und das muss auch rechtlich abgesichert Weihnachtsgeschenk. Dabei hat der Standort Gewinne sein, meine Damen und Herren. in Millionenhöhe erwirtschaftet, die aber Jahr für Jahr entsprechend einem Gewinnabführungsvertrag an die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- westdeutsche Zentrale überwiesen wurden. Eine halbe neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Million Euro öffentliche Fördermittel sind natürlich GRÜNEN) auch geflossen. Investiert wurde so gut wie nichts. Nun Dieses Vermittlungsergebnis ist ein Schritt in die rich- sagt die Geschäftsführung, das Werk sei marode und In- tige Richtung. Ich bin davon überzeugt, dass wir spätes- vestitionen zu teuer. Die Beschäftigten, die seit Jahrzehn- tens in der nächsten Legislaturperiode noch an weiteren ten zu niedrigen Löhnen schuften, werden einfach vor die Verbesserungen dieser Gesetze arbeiten werden. Aber Tür gesetzt. Das ist unverantwortlich, meine Damen und weil es ein richtiger Schritt ist, werden wir zustimmen. Herren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Haribo macht Kinder und Erwachsene froh. Bei mir in NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- der Region, wo das Werk liegt, macht Haribo seit Wochen ten der SPD) niemanden froh. Stattdessen dominieren hier nun Exis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25427

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) tenzangst und Zukunftssorgen. Ausgerechnet in einer bei- (Beifall bei der LINKEN) (C) spiellosen Arbeitsmarktkrise sollen die Beschäftigten Noch immer pendeln 400 000 Menschen aus Ost- ihre Arbeit verlieren. Das ist einfach nur schäbig. deutschland gen Westen, um dort zu arbeiten. Das zer- (Beifall bei der LINKEN) reißt die Familien. Und was diese Kolleginnen und Kol- Ich kritisiere auch die Hinhaltetaktik von Haribo mit legen leisten, um einen höheren Lohn als im Osten zu Blick auf einen möglichen Werksverkauf; denn das ist für bekommen und der Arbeitslosigkeit zu entfliehen, ver- die Beschäftigten natürlich ein Hoffnungsschimmer. dient höchsten Respekt. Aber Haribo verschweigt in der Öffentlichkeit, dass kei- (Beifall bei der LINKEN) nesfalls an andere Fruchtgummihersteller, also an die Viele ostdeutsche Betriebe wurden und werden als ver- Konkurrenz, verkauft werden soll. Hier muss Haribo end- längerte Werkbänke betrieben. Geschäftsführung, For- lich die Karten offenlegen, damit die Kolleginnen und schung und Entwicklung sitzen im Westen, im Osten Kollegen wissen, wie ihre Perspektive aussieht. wird nur produziert. Deshalb ist es so einfach, die Stand- (Beifall bei der LINKEN) orte im Osten zu schließen. In manchen Regionen kann Es darf nicht mit ihren Hoffnungen gespielt werden: Es man sogar von einer Deindustrialisierung sprechen, wenn ist unverantwortlich, wenn in der Öffentlichkeit jeden ich an Pasewalk denke, wo ich selber herkomme, oder Tag von vermeintlichen Kaufinteressenten geredet wird, aber auch an Ostsachsen. die Haribo wegen der Konkurrenz gar nicht will. Meine Damen und Herren, wir brauchen endlich eine Sehr geehrte Damen und Herren, leider ist Haribo nur gute Förderpolitik. Wir brauchen gute Arbeits- und ein Beispiel von vielen im Osten. Als hauptamtliche Lebensbedingungen in Ost- und in Westdeutschland. Gewerkschafterin habe ich gemeinsam mit den Beschäf- Danke. tigten und vielen Betrieben gekämpft. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ich dachte, du bist im Bundestag!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ich will nur einige nennen: Plauener Gardine, Germania Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion, der Kol- in Chemnitz, Foron in Schwarzenberg und jetzt Haribo in lege Carsten Körber. Wilkau-Haßlau. Die Liste wäre so lang, dass dafür die Zeit heute gar nicht reichen würde. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist immer wieder dieselbe Strategie: billig die Carsten Körber (CDU/CSU): (B) Standorte übernommen, Fördermittel abkassiert, kaum (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und investiert und die Gewinne so lange abgeschöpft, wie es Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe ging, und zu niedrige Löhne. So ist der Osten mitsamt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Wilkau-Haßlau von seinen Beschäftigten verkauft und ausgepresst worden. Haribo! Haribo macht dicht. Ende des Jahres wird das Das, meine Damen und Herren, ist unerträglich. Werk in Wilkau-Haßlau schließen: Diese Nachricht traf (Beifall bei der LINKEN) Anfang November die Region Zwickau natürlich wie ein Sehr geehrte Damen und Herren, im Jahr 2019 gab es Schock. in Ostdeutschland immer noch eine halbe Million Sehr schnell hatte sich in der gesamten Region in be- Beschäftigte weniger als Mitte der 90er-Jahre; das sind eindruckender Art und Weise eine Solidarisierung der fast 10 Prozent unter dem damaligen Stand. Die Entwick- Menschen ergeben, die den Erhalt des Werkes fordern. lung in Westdeutschland stellt sich hingegen ganz anders Die Mitarbeiter – das habe ich selber bei einem Vor-Ort- dar: Die Anzahl der Beschäftigten nahm im selben Zeit- Termin in Wilkau-Haßlau erlebt – haben in liebevoller raum um 5,5 Millionen kräftig zu, also um 25 Prozent. Da Kleinarbeit Plakate mit der Aufschrift „Haribo muss im müssen doch auch Sie erkennen, verehrte Damen und Osten bleiben“ gebastelt und haben wirklich mit ihrem Herren der Bundesregierung, dass hier etwas aus den Engagement nichts unversucht gelassen. Als Wahlkrei- Fugen geraten ist. Der Niedergang des ostdeutschen sabgeordneter möchte ich hier den Versuch unternehmen, Arbeitsmarktes konnte bis heute nicht kompensiert wer- diesen konkreten Fall zu schildern. den. Alle bisherigen Bundesregierungen haben hier kläg- Dieses Werk in Wilkau-Haßlau ist das kleinste im Kon- lich versagt; denn das sind nicht die gleichwertigen zern. Es ist das einzige im Osten, und es ist für die Stadt Lebensverhältnisse, die Sie damals versprochen haben. Wilkau-Haßlau der größte Gewerbesteuerzahler. Keine (Beifall bei der LINKEN) Frage: Diese Entscheidung schmerzt in vielerlei Hinsicht. Ihre verfehlte Arbeitsmarktpolitik haben viele Fakt ist aber auch – zur Wahrheit gehören auch immer Beschäftigte in Ostdeutschland mit Langzeitarbeitslosig- zwei Seiten –: Haribo bekennt sich insgesamt zum Stand- keit, Abwanderung und Armut bezahlt. Die Krönung ist, ort Deutschland. Haribo schafft in der Summe insgesamt dass den Ostdeutschen niedrige Löhne jahrzehntelang als neue Arbeitsplätze. Standortvorteil verkauft wurde. Wenn das so wäre, dann Mir ist natürlich vollkommen klar, dass das für die müssten in Mecklenburg-Vorpommern und in Ostsachsen betroffenen Mitarbeiter vor Ort kein Trost ist. Aber am die Arbeitsplätze wie Pilze aus dem Boden schießen. Das vergangenen Freitag wurde ein Sozialplan beschlossen, tun sie aber nicht. Das ist die Realität, mit der Sie sich den die Gewerkschaft NGG für die 150 Mitarbeiter sehr endlich mal auseinandersetzen müssten. gut verhandelt hat. Chapeau! 25428 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Carsten Körber (A) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Erpresst!) Standort und Beschäftigte übernehmen wollen. Erste Ge- (C) Dieser Sozialplan geht weit über das hinaus, was in sol- spräche mit Haribo dazu laufen bereits. So bringt man chen Fällen üblicherweise gezahlt wird. eine Region weiter: indem man in einen konstruktiven Dialog tritt, indem man nach Lösungen sucht, und nicht, Ganz klar: Ich hätte mir auch gewünscht, dass Haribo indem man alles schlechtredet. in Wilkau-Haßlau bleibt und an diesem Standort festhält. Aber die unternehmerische Entscheidung ist eine andere. Vielen Dank. Jetzt hat man in dieser Situation zwei Möglichkeiten: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Entweder man ist beleidigt, schimpft auf Haribo und Frank Müller-Rosentritt [FDP]) den Kapitalismus und macht den Mitarbeitern vielleicht unbegründete Hoffnungen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So wie Sie!) Der nächste Redner: der Abgeordnete Jürgen Pohl, Aber der Sozialplan ist unterschrieben. Das weiß die AfD-Fraktion. Gewerkschaft; sie hat ihn ja sehr gut verhandelt. Das (Beifall bei der AfD – Sabine Zimmermann wissen aber auch alle Beteiligten. Jetzt muss man sich [Zwickau] [DIE LINKE]: Jetzt schafft er es, an den Realitäten orientieren. die Flüchtlinge verantwortlich zu machen!) Da zu behaupten, es gäbe ernsthafte Alternativen dazu, ist nicht ehrlich. Erst etwas zu verhandeln und dann über Jürgen Pohl (AfD): die Folgen meckern, das geht nicht. Das ist das, Frau Kollegin von der Linken, was ich (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch!) Ihnen vorwerfe: Man darf doch nicht mit den Hoffnungen der Mitarbeiter (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Hat er den spielen. Das ist unredlich. Präsidenten nicht begrüßt?) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will mich mit dem Problem von Haribo in Ost- deutschland beschäftigen, und Sie fangen an, Witze zu Ich finde es schade, dass Die Linke diesen Fall Haribo reißen. benutzt, um daraus ihr eigenes politisches Süppchen zu kochen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- Hat die Rede schon begonnen? KE]: Also, so ein Unsinn!)

(B) Noch schlimmer: Die Linke benutzt den Fall Haribo, um Jürgen Pohl (AfD): (D) den gesamten Osten schlechtzureden. Doch, ich fange an. (Beifall bei der CDU/CSU) (Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie nehmen damit den Menschen ihr Selbstbewusstsein. NEN]: Das geht alles von der Redezeit ab, bit- Sie vertiefen die Spaltung mit so einer Debatte zwischen te!) Ost und West. Kein Wort von Ihnen zu den zahlreichen Herr Präsident! Verehrte Kollegen, die zuhören wol- Neuansiedlungen und Investitionen, gerade in der Region len! Werte Zuhörer an den Geräten und zu Hause! Zwickau. Kein Wort zu der Investition von 1,2 Milliarden Euro von Volkswagen Sachsen in den letzten beiden Jah- (Ulli Nissen [SPD]: Die Zuhörerinnen wieder ren. Glauben Sie denn ernsthaft, mit diesem Schlechtre- nicht!) den macht man eine Region attraktiv? Der Süßwarenhersteller Haribo schließt sein einziges (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werk in Ostdeutschland, weil es angeblich nicht mehr Widerspruch bei der LINKEN) wirtschaftlich ist und über keine moderne Produktions- struktur verfügt. Damit verlieren die rund 150 Mitarbeiter Dann gibt es, wie so oft im Leben, zum Glück noch zum Jahresende überraschend ihre Arbeit – mit herben eine andere Möglichkeit, mit der Situation umzugehen. Folgen für die Familie. Die in der Selbstbeschreibung Man kann selbstbewusst die Herausforderung annehmen, hochgelobte Wirtschaftskompetenz der sächsischen die Ärmel hochkrempeln und alles daransetzen, die Kuh Regierung konnte den Standort bei Zwickau offensicht- vom Eis zu holen. Das haben wir getan. Wir, das sind in lich nicht retten, was bei einem Wirtschaftsminister mit diesem konkreten Fall der sächsische Ministerpräsident SPD-Parteibuch auch nicht verwunderlich ist. , der Bürgermeister von Wilkau- Haßlau, Stefan Feustel, und ich. Wir haben in den letzten (Beifall bei der AfD – Detlef Müller [Chem- Wochen intensive Kontakte zur Haribo-Geschäftsfüh- nitz] [SPD]: Du lieber Himmel!) rung aufgenommen, stets auf der Suche nach einer guten Sehr geehrte Damen und Herren, was da gerade in Lösung. Und es gibt auch jetzt schon ein ganz konkretes Sachsen passiert, ist Ausdruck der Krise durch die wirt- Ergebnis: Haribo zahlt für die nächsten beiden Jahre die schaftliche Inkompetenz der Regierung in Fragen wie Summe an die Stadt, die es bisher immer als Gewerbe- zum Beispiel der Automobilwirtschaft, der Energiein- steuer gezahlt hat. Das ist gut und richtig. dustrie und letztendlich der wirren Lockdown-Politik. Aber was noch viel wichtiger ist: Wir brauchen eine Über den jahrzehntelangen Fleiß und den hohen Aufbau- Nachfolgeregelung für die Mitarbeiter und den Standort. willen der mitteldeutschen Beschäftigten wird fern der Wir haben für das Werk vier Interessenten präsentiert, die betroffenen Region mit einem Federstrich im Westen ent- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25429

Jürgen Pohl (A) schieden. Zum Hohn werden den auf die Straße gesetzten (Beifall bei der AfD) (C) ostdeutschen Beschäftigten meist Arbeitsplätze in den Dieses traurige Ende von ehemals sinnvollen Organisa- alten Bundesländern angeboten. Diese millionenfache tionen lässt mich in der Folge fordern: Machen Sie Platz Abwanderung qualifizierter Arbeitnehmer von Ost nach für neue Gewerkschaften, Platz für die, die die wirklichen West seit der Wende und dem Treuhanddebakel ist der Arbeitnehmerinteressen vertreten, Platz für AVA und Todesstoß für die Wirtschaft in den neuen Bundeslän- ALARM! Die AfD als neue Volkspartei, als Partei der dern. Das Gegenteil wäre vonseiten der Politik notwen- Arbeitnehmer dig, nämlich eine Steigerung der Attraktivität des Stand- ortes Ostdeutschland, zum Beispiel durch die Einrichtung (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einer Sonderwirtschaftszone, wie ich das als Vertreter DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der mitteldeutscher Interessen in unserer Fraktion fordere. CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) und der kleinen Gewerbetreibenden steht für unsere ost- und mitteldeutschen Arbeitnehmer. Meine Damen und Herren Kollegen, Haribo ist überall. Für meinen Wahlkreis in Nordthüringen bedeutet die zer- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Eine völ- störerische Politik in Ostdeutschland mit der Schließung kische Gewerkschaft, oder was?) der Firma Eaton in Nordhausen den Verlust von 250 Meine Damen, meine Herren, ich bedanke mich für die Industriearbeitsplätzen. Mühlhausen verliert durch die Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen Schließung der Firma Continental 160 Arbeitsplätze für qualifizierte Arbeitnehmer. Bei der Firma Erko in Beuren (Ulli Nissen [SPD]: Von Ihnen möchte ich fallen weitere 230 Arbeitnehmerstellen weg. Wir haben keine Wünsche!) in Eichsfeld, einer wichtigen Region in meinem Wahl- – danke schön – und vor allem Ihren Familien besinnliche kreis, bereits heute mehr als 30 Prozent mehr Arbeitslose und frohe Weihnachtsfeiertage. Ich bedanke mich aus- als im Vergleichszeitraum im Vorjahr. Ich sage Ihnen: drücklich bei unseren Mitarbeitern, die hier so tapfer Haribo ist überall. durchgehalten haben. (Beifall bei der AfD) Danke schön. Viele Mütter und Väter werden in der nahenden Weih- (Beifall bei der AfD) nachtszeit arbeitslos. Viele Kinder stehen also nicht freu- destrahlend vor einem reichgedeckten Gabentisch. Sie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: spüren schon leise die vielen Einschränkungen und redu- Sie können Platz nehmen. Schön Mund und Nase zierten Entwicklungsmöglichkeiten, die ihnen ein über (B) bedecken! (D) die Generationsgrenzen hinweg verschuldetes Land in der Zukunft bereithält. Das ganze Szenario erinnert an (Ulli Nissen [SPD]: Nase auch! Es heißt ein Land, das von innen her einfriert infolge sozialer „Mund-Nasen-Bedeckung“! – Dr. Matthias Kälte und politischem Starrsinn der Regierenden. Zimmer [CDU/CSU]: Nase auch! (Beifall bei der AfD) Der nächste Redner ist für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Detlef Müller. Schuld an dieser fatalen Entwicklung ist vorrangig eine wirre Politik wider die ökonomische Vernunft und – das (Beifall bei der SPD) wiegt umso schwerer – eine Regierungspolitik ohne so- ziales Gewissen oder den Blick für das Ganze. Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass wir an (Ulli Nissen [SPD]: So ein Unfug!) dieser Stelle einzelne Unternehmensentscheidungen Ansonsten nichts Neues. debattieren, kommt ausgesprochen selten vor. Das zeigt, welche Bedeutung und Tragweite die Entscheidung von (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Genau!) Haribo hat, das einzige Werk des Unternehmens in Ost- Wie immer trifft es in der Krise die Arbeiter zuerst und deutschland zu schließen. Mit der Spätschicht am morgi- am härtesten. Meine Frage: Welche Rolle spielen in die- gen Freitag endet vorerst die Produktion. Können Sie sich ser vermeidbaren Tragödie eigentlich die Gewerkschaf- vorstellen, was das mit den Menschen dort macht, so kurz ten als Vertretung lebensnotwendiger Belange der Arbeit- vor Weihnachten? nehmer? Kaum ein Wort ist von ihnen zum neuerlichen Seit über 100 Jahren werden in Wilkau-Haßlau Niedergang ostdeutscher Produktionsstätten zu hören. Süßwaren produziert, zunächst unter dem Namen des Gleichsam wie Opferlämmer im Hochamt des globalen Gründers Oswald Stengel, dann zu DDR-Zeiten als Coronakapitalismus meiden die Gewerkschaften jegli- VEB Süßwarenfabrik Wesa – also Westsachsen –, seit ches Aufbäumen für die Interessen der einheimischen 1990 dann als Haribo-Wesa GmbH. Das ist viel Wandel. Arbeitnehmerschaft und ergeben sich fast kampflos der Vieles ist aber auch gleichgeblieben: die hohe Qualität Abwicklung ganzer Wirtschaftszweige im struktur- der Produkte, die Einsatzbereitschaft der zuletzt schwachen Osten. 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Identifikation Kurzum: Spätestens mit dem Jahr 2020 wurden die mit dem Arbeitgeber und natürlich die Bedeutung des etablierten Gewerkschaften als Sachwalter lebensnot- Werkes für die Region, sowohl wirtschaftlich als auch – wendiger Arbeitnehmerinteressen durch den Druck der und vor allem – für das Selbstverständnis und das Selbst- Ereignisse historisiert. bewusstsein. 25430 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Detlef Müller (Chemnitz) (A) Von 1990 bis jetzt war und ist Haribo in Wilkau-Haß- Die sich nun stellenden Herausforderungen werden wir (C) lau eine Erfolgsgeschichte. Es war und ist Aushänge- daher nicht damit lösen können, dass wir immer nur auf schild für gelungenen wirtschaftlichen Wandel, hat für die Ungerechtigkeiten von damals verweisen, sondern Arbeit in der Region gesorgt und hat sicher auch den indem wir lösungsorientiert in die Zukunft blicken. Für ostdeutschen Markt für Haribo geöffnet. Mit der Produk- das Werk in Wilkau-Haßlau bedeutet das, dass es eine tion wurde zudem auch immer Geld verdient; gut so. Bis klare Perspektive für die Beschäftigten braucht, mit der zuletzt war der Produktionsstandort Wilkau-Haßlau auch die Arbeitsplätze erhalten werden. Die sächsische Lan- profitabel. Umso nachvollziehbarer ist daher das Unver- desregierung, Gewerkschaften und die Arbeitnehmerver- ständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die tretungen sind hier auf einem guten Weg; aber sie brau- Entscheidung, das Werk nun zu schließen. chen und haben unsere Unterstützung. Zu kritisieren sind vor allem die Art und Weise, wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diese Entscheidung kommuniziert und begründet wurde. der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Anfang Novem- NISSES 90/DIE GRÜNEN) ber in einer kurzen Ansprache zu verkünden, dass sie zum Jahresende ihre Arbeitsplätze verlieren, ist nicht nur nach Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun eine 30 Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit ein Unding, Beschäftigungsgarantie bis zum 31. März 2021 sowie und – Entschuldigung, Herr Präsident – es ist einfach einen Sozialplan haben, ist dabei ein erster Erfolg. Haribo auch eine Sauerei. ist damit aber nicht aus der Verantwortung entlassen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen Haribo ist in der Pflicht, eine tragfähige Nachfolgelösung dies nach 30 Jahren mit der Begründung tut, dass der und einen seriösen Interessenten und Investor zu finden. selbstgeführte Standort für die Anforderungen des Mark- Es gibt diese Interessenten. Haribo darf nicht versuchen, tes nicht die notwendige Flexibilität aufbringt, muss man sich mit Abfindungen oder Zahlungen an die Stadt von sich schon fragen, warum die unternehmerische Verant- der Verantwortung für den Abbau von Arbeitsplätzen wortung bei den Investitionsentscheidungen in den letz- freizukaufen. Haribo muss seine unternehmerische Ver- ten Jahren nicht wahrgenommen wurde. antwortung wahrnehmen. Im 30. Jahr der Wiedervereinigung geht die Bedeutung Deswegen kann und muss ich hier zum Schluss dieser Entscheidung aber auch viel weiter. Ostdeutsch- Thomas Gottschalk zitieren, der im November gegenüber land ist leider in vielen Fällen noch immer lediglich die dem Kölner „Express“ sagte – Zitat –: verlängerte Werkbank der alten Bundesländer. Produk- (B) tionsstandorte sind eben oft noch immer nur Außenstel- Wenn man sich auf die Fahne geschrieben hat: (D) len oder Filialen. „Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene eben- so“ muss man das auch als Arbeitgeber ernst neh- (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE men. LINKE]) Eines, Herr Dehm, Zitat Ende. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau das!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) darf man aber auch nicht verkennen: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird es immer harte unternehmer- Ihnen allen hier schöne Feiertage! Passen Sie auf sich ische Entscheidungen geben. Betriebsschließungen gibt auf, und bleiben Sie vor allen Dingen gesund! es auch im Saarland oder in NRW – und eben auch im Osten. Haribo ist nur ein Beispiel. Die geplante Schlie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ßung 2021 von Majorel-Standorten, einem der größten der CDU/CSU) Callcenter-Betreiber in Chemnitz, Neubrandenburg, Wis- mar und Schwerin mit über 1 400 Mitarbeiterinnen und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mitarbeitern, und auch von MAN in Plauen sind weitere. Der Nächste: für die FDP-Fraktion der Kollege Wir müssen aber gerade jetzt aufpassen, dass nicht Dr. Jürgen Martens. manches von dem wegbricht, was in den vergangenen (Beifall bei der FDP) Jahrzehnten mühsam aufgebaut wurde. Eines ist aber auch klar, Frau Zimmermann: Wir befinden uns nicht in der Nachwendezeit. Wir sind nicht im Jammertal, Dr. Jürgen Martens (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ren! Die Schließung eines Werkes, egal wo sie passiert, SPD und der FDP) ist immer ein Einschnitt. Sie bedeutet immer einen Ver- auch wenn die Kolleginnen und Kollegen der Linken lust, etwa an Kaufkraft für die örtliche Wirtschaft, an gerne so tun. Der Osten ist wirtschaftlich stärker gewor- Gewerbesteuereinnahmen, aber auch – und das ist das den. Sachsen hat sich als Industrieregion im wiederver- Wesentliche – einen Verlust an Arbeitsplätzen für die einten Deutschland etabliert. Die Arbeitslosenzahlen Betroffenen. Und es ist völlig gleichgültig, ob das in haben sich weit mehr als halbiert, die Wirtschaftsleistung Sachsen passiert, in Nordrhein-Westfalen oder in Schles- weit mehr als verdoppelt. Das gehört zur Wahrheit dazu. wig-Holstein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25431

Dr. Jürgen Martens (A) Was man erwarten kann, ist, dass der Unternehmer (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Von rechts (C) seine Entscheidung transparent macht und sie erklärt. außen! – Zuruf von der LINKEN: Ach, kom- Hier kam als Erklärung das Argument, Zwickau sei von men Sie!) Grafschaft bzw. Bonn 500 Kilometer und damit zu weit Diejenigen, die vom Todesstoß für die mitteldeutsche entfernt. – Entschuldigung, ein Unternehmen, das stolz Wirtschaft, vom Opfern der Arbeitsplätze auf dem Altar darauf ist, in über hundert Länder zu exportieren, nichts eines Coronakapitalismus sprechen. dagegen hat, wenn seine Produkte in der Antarktis und im Weltall verzehrt werden, entdeckt auf einmal, nach (Zuruf von der LINKEN: Was soll das denn?) 30 Jahren Produktion, dass ihm 500 Kilometer von Merken Sie, was Sie da tun? Bonn nach Zwickau zu weit sind? Etwas mehr Ernsthaf- tigkeit in der Kommunikation hätte man von Haribo (Zuruf von der LINKEN: Merken Sie, was Sie wirklich erwarten können, meine Damen und Herren. da tun, Herr Martens?) Ihre Taktik der Spaltung zwischen Ost und West dient (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht Ihnen, sie dient nicht den Betroffenen, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des (Zuruf von der LINKEN: Absurd!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sie dient höchstens einigen, von denen Sie wahrschein- Da überrascht es nicht, wenn sich die Lokalpolitiker und lich am wenigsten wollen, dass sie davon profitieren. vor allem die Arbeitnehmer ein gutes Stück verschaukelt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Katja fühlen. Kipping [DIE LINKE]: Ganz niedriges Aber das ist – da bin ich völlig anderer Auffassung als Niveau!) meine Kollegin Zimmermann – nicht das Regelbeispiel, Zusammengefasst, meine Damen und Herren. Die weder für den Osten und erst recht nicht für unsere Schließung des Haribo-Werkes ist eine Herausforderung Region Zwickau. für die Politik in der Region. Ich habe mit dem Geschäfts- führer telefoniert, und er hat mir versichert, dass ernsthaft (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verhandelt wird, um eine Nachfolgelösung zu finden, der CDU/CSU) damit die Arbeitsplätze nach Möglichkeit in der gleichen Branche erhalten bleiben. Darum sollten wir uns bemü- Die Region Zwickau ist eine der stärksten und am dich- hen. Die Geschichte der ganzen Region zeigt, dass mit testen besiedelten Regionen Ostdeutschlands. Es ist eine solchem Bemühen und ehrlicher Anstrengung sehr, sehr der wirtschaftlich stärksten Regionen, nicht nur in Sach- viel erreicht werden kann. Daran sollten wir weiter arbei- sen, sondern in ganz Ostdeutschland. Wir haben eine (B) ten, statt, wie Sie es machen, zu versuchen, das alles (D) Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent; das ist vergleichbar herunter- und schlechtzureden. mit der im Westen. Allein im Kreis Zwickau ist das Brut- toinlandsprodukt, also die Summe der Wirtschaftsleis- Das war mein Beitrag für jetzt und heute. Ich wünsche tung, von insgesamt 3 Milliarden Euro im Jahr 1990 auf uns allen ein friedliches Weihnachtsfest und einen guten fast 10 Milliarden Euro 2019 angewachsen; es hat sich Rutsch in ein hoffentlich gesünderes Jahr. also mehr als verdreifacht. Das BIP pro Kopf hat sich von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten knapp 20 000 Euro auf 62 000 Euro ebenfalls verdrei- der CDU/CSU) facht. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Arbeitsverhältnisse ist gestiegen, von 2005 112 000 auf Für Bündnis 90/Die Grünen hat nun das Wort die Kol- 2018 126 000. Das ist kein Misserfolg. Darauf kann man legin Claudia Müller. stolz sein. Ich wäre froh, wenn Sie auch ein bisschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr an diesem Stolz teilhaben könnten. Es geht nämlich um die Gesamtleistung dessen, was in unserer Region erreicht worden ist. Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Natürlich ist es schlimm, wenn ein Unternehmen ge- Kollegen! Es wurde jetzt schon viel über Haribo gesagt. schlossen wird. Ein Unternehmen – das muss man auch Vielem kann ich mich anschließen, ebenso wie mein Kol- sagen – ist mehr als nur eine Produktionsstätte. Ein lege Wolfgang Wetzel aus Zwickau, der sich vor Ort zu Unternehmen zu führen, heißt auch, dass der Unterneh- dem Thema einmischt und an der Seite der Betroffenen mer Verantwortung gegenüber seinen Arbeitnehmern hat. steht. Und ob man dieser Verantwortung hier ausreichend nach- Die Schließung des Werkes jetzt, zu Coronazeiten – gekommen ist, da kann man mit Recht unterschiedlicher und dann auch noch so kurz vor Weihnachten –, ist außer- Meinung sein, meine Damen und Herren. ordentlich kalt und situationsblind. Dass sie auch noch im Vor allen Dingen sollten Sie aber auch eines bedenken, Jubiläumsjahr – 30 Jahre Wiedervereinigung – stattfin- Frau Zimmermann: Sie haben hier davon gesprochen, das det, macht dieses Signal umso verheerender. sei ein Beispiel dafür, dass der Osten verkauft und aus- Aber ich möchte den Blick an dieser Stelle etwas gepresst werde. Haben Sie gemerkt, wo der Zuspruch weiten; denn der Fall Haribo ist leider nur ein weiteres herkam, welche in diesem Haus sich daraufhin mit Ihnen Beispiel für eine Wirtschaftsförderpolitik, die eben leider verbünden? nicht zum Erfolg führt. Bei Haribo im Speziellen trifft 25432 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Claudia Müller (A) diese Politik zusätzlich noch auf Missmanagement und wie wir es jetzt bei Haribo sehen, nicht vorstellbar. Das ist (C) kurzsichtige Profitgier. Haribo schließt dieses Werk, im Übrigen ein Erfolgsrezept, unter anderem in Baden- obwohl das Unternehmen 2019 seinen Umsatz um 3 Pro- Württemberg: die kleinen Unternehmen vor Ort zu stär- zent steigern konnte. Allerdings konnten die Mitbewer- ken, damit sie wachsen können; aber sie sind so veran- ber Storck und Katjes die Umsätze im gleichen Zeitraum kert, dass sie eben nicht jedem Förder-Euro hinterherzie- deutlich stärker steigern. Das gilt für Katjes ganz beson- hen. ders: Sie punkten zum Beispiel mit ihren veganen Frucht- gummis und werben mit tierfreier Herstellung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das brauchen wir in der Wirtschaftspolitik. Wir als der FDP) Grüne haben dazu auch schon mehrere Vorschläge Haribo hingegen hat in der Vergangenheit Trends ver- gemacht, zum Beispiel Innovationsförderung für kleine schlafen. Selbst den Klassiker „Goldbär“ hat man ver- Unternehmen, sodass sie ihre Produktion weiterentwi- nachlässigt. Die Leidtragenden dieser Fehlentschei- ckeln und möglicherweise auch umstellen können. Wir dungen sind jetzt die Mitarbeiterinnen in Sachsen. brauchen die Stärkung von regionalen Wertschöpfungs- Vielleicht hätte es geholfen, wenn man die Mitarbeiterin- ketten, damit die Gewinne in den Regionen bleiben. nen bzw. deren Vertretung frühzeitig und auf Augenhöhe Wir brauchen zudem Unterstützung bei der Marktein- mit in Entscheidungsprozesse einbezogen hätte. Viel- führung von Produkten. Die Entwicklung schaffen viele leicht wären so Konzepte entstanden, die den Standort Unternehmen selbst, aber die Markteinführung ist insbe- gerettet und Haribo insgesamt gestärkt hätten. sondere für kleine Unternehmen häufig der Knackpunkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hilfreich wären auch ein leichterer Zugang zur GRW- sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] Förderung und die Verknüpfung von traditionellen Wirt- [SPD]) schaftszweigen in den Regionen mit neuen Technologien Das war übrigens bei anderen Unternehmen in ähnlichen und Clusterbildung. All das sind Erfolgsrezepte, wie wir Situationen der Schlüssel zum Erfolg. sie schon in verschiedenen Regionen gesehen haben. Hierzu gehört auch eine Unterstützung für Gründerinnen Aber das ist nur die halbe Geschichte. 1990 kaufte der in strukturschwachen Regionen; wir Grünen haben das westdeutsche Spitzenreiter im Fruchtgummisegment den übrigens mal „Regionalbonus“ genannt. ostdeutschen Konkurrenten auf und erhielt dafür Förder- mittel. Nun schließt man dieses Werk aus Effizienzgrün- Insgesamt sollten wir einen Blick auf unsere Wirt- den. Man verlegt die Produktion zurück nach West- schaftsförderung richten und nicht mehr so sehr auf Ansiedlungen setzen, sondern das Vorhandene vor Ort (B) deutschland. Gleichzeitig aber baut man ein Werk in (D) den USA auf, in Wisconsin, und erhält dafür übrigens stärken und wachsen lassen, Innovationen vor Ort fördern 18 Millionen Euro an Fördermitteln. Man zieht, könnte und Clusterbildung unterstützen. Verantwortungsvolle man gemeinerweise sagen, praktisch dem nächsten För- Unternehmen in den Regionen haben es verdient, unter- dertopf hinterher. Dafür ist der Fall Haribo leider exemp- stützt zu werden, gerade jetzt in Zeiten von Corona. Das larisch. Er zeigt noch mal mit aller Härte: Deutschland gilt für die Großen, aber das gilt ganz besonders für die braucht eine andere Wirtschaftsförderung, Deutschland kleinen Unternehmen vor Ort. braucht eine andere Wirtschaftspolitik; Mit diesen letzten Sekunden meiner Redezeit möchte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ich Ihnen eine besinnliche, gesunde Weihnacht wün- Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Was schlagen schen, in der Hoffnung, dass wir irgendwann im nächsten Sie denn vor?) Jahr wieder zu einer gewissen Normalität übergehen kön- denn die Hoffnung, dass große Konzerne für Ostdeutsch- nen. Bleiben Sie gesund! Bis nächstes Jahr! land die Heilsbringer sein werden, ist schon lange Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schichte. Wir müssen uns ernsthaft fragen: Warum wer- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und den die Betriebe im Osten weiterhin nur als die der SPD) verlängerte Werkbank angesehen, die man dann leicht schließen kann? Diese Betriebe werden als eine variable Erweiterung der Produktion gesehen. Das ist keine lang- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fristige und verlässliche Investition in die Region. Hier Als Nächstes hat das Wort der Kollege Mark brauchen wir ein Umsteuern. Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion.

Was wir brauchen, ist die Stärkung der ansässigen (Beifall bei der CDU/CSU) Unternehmen in diesen strukturschwachen Regionen, sodass sie im Wettbewerb am Markt bestehen können. Das wäre nachhaltiger als ortsfremde Ansiedlung; denn Mark Hauptmann (CDU/CSU): diese ansässigen Unternehmen haben eine örtliche Bin- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kol- dung. Sie kennen ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- leginnen und Kollegen! Wie häufig in diesen Debatten mer eben nicht nur aus den Personalakten, sondern ganz hat bei der Linken der Jammerton den neuen Kammerton persönlich. Sie unterstützen Kulturvereine und Sportver- definiert. eine vor Ort. Die Kinder der Chefin gehen mit den Kin- dern der Arbeiterinnen gemeinsam zur Schule. Das (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – schweißt zusammen, und dann ist ein solches Handeln, Zuruf von der LINKEN: Das ist doch albern!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25433

Mark Hauptmann (A) Sie nutzen hier eine Werksschließung, wovon es übrigens Wir sehen also, dass Sie mit Ihren Vorschlägen aus der (C) viele in ganz Deutschland gibt. Sie haben ja keine Werks- Mottenkiste à la VEB Haribo eher noch die 3 000 weite- schließung in Nordrhein-Westfalen oder in Niedersach- ren Beschäftigten des Konzerns gefährden würden, als sen ausgesucht, sondern Sie nutzen bewusst eine Werks- die Zukunft zu sichern. schließung in Sachsen, um diese zu instrumentalisieren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich gebe Ihnen auch den Beweis dafür. Das zeigt sich, wenn man sich anschaut, welche Stimmung Sie vor den Unser Dank gilt hier ganz besonders zum einen dem Toren von Haribo machen und zu was Sie da eigentlich Wahlkreisabgeordneten Carsten Körber und zum anderen aufrufen. Ich zitiere: Es geht nicht um den Konflikt zwi- dem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer; denn die schen Ost und West, sondern zwischen Besitzern der beiden arbeiten an der Zukunftsperspektive vor Ort und Produktionsmittel und Beschäftigten. an der Zukunftsperspektive für die Beschäftigten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – – Und Sie klatschen auch noch. Zuruf von der LINKEN: Na ja!) (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber ja!) Was ist die Zukunftsperspektive? Erstens: zu schauen, Sie stimmen vor den Konzerntoren ein Lied an: „Stille wie Gewerbesteuerausfälle für die Kommune reduziert Nacht, streikende Nacht, wir pfeifen auf die Gnade des werden können. Für die nächsten Jahre gibt es eine Herrn und übernehmen den Haribo-Konzern“. Lösung, damit Gewerbesteuerausfälle kompensiert wer- den. Zweitens: eine sozialverträgliche Lösung zu finden, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) auch im Einvernehmen mit der Gewerkschaft. Die Das ist Ihr Niveau als Streit- und als Spaltpilz dieser Lösung, die hier präsentiert wurde: ein umfangreiches, Gesellschaft. millionenschweres soziales Paket, das geschnürt wurde, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zeit nach Weihnachten eine Möglichkeit zu geben. Drit- Sie sind mitnichten an dem Wohl der Beschäftigten inte- tens: eine Perspektive, wie man mit einem der vier mög- ressiert. Ihnen geht es darum, unsere Gesellschaft, unsere lichen Interessenten den Standort retten kann. Das ist soziale Marktwirtschaft zu überwinden. Das ist Ihr Konstruktivität, und nicht eine solche Spaltpilzargumen- eigentliches Ziel. tation, wie Sie sie hier in die Debatte einbringen. (Zuruf von der LINKEN: Ja, ja!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Ehrlich- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie keit in der Debatte gehört auch, dass ich von den Linken (B) ehrlich gewesen wären in dieser Debatte, noch nie Positivbeispiele dazu gehört habe, wo sich gera- (D) de im Osten die Wirtschaft in eine ganz andere Richtung (Zuruf der Abg. Sabine Zimmermann [Zwi- entwickelt hat, nämlich in eine positive. ckau] [DIE LINKE]) Frau Zimmermann, dann hätten Sie die Debatte geführt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – als Haribo das Werk in Bayern geschlossen hat, und nicht Zuruf von der LINKEN: Doch! In Thüringen! – erst dann, als das Werk in Sachsen geschlossen wurde. Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das wäre Das ist die Wahrheit. dann ja Kapitalismus! Das wäre nicht okay!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kein Wort von Ihnen dazu! Keine Aktuelle Stunde dazu, dass beispielsweise Tesla 12 000 neue Arbeitsplätze Ihnen geht es also mitnichten um Haribo. Ihnen geht es schafft mit der größten Batteriefabrik der Welt in Bran- mitnichten um die Beschäftigten, sondern um die Über- denburg. Kein Wort dazu, dass VW den größten Strate- windung unserer sozialen Marktwirtschaft. Und wir giewechsel in der Geschichte eingeleitet hat, indem in sagen als Unionsfraktion ganz klar: Wir stehen gegen Zwickau der Grundstein für die Produktion des VW ID.3 Enteignung, wie Sie das hier vorschlagen und beklat- gelegt wurde. Kein Wort dazu, dass in Meerane, woher schen. Wir wollen Konzernen, Unternehmen, Mittel- der Kollege stammt, die Akkuserienproduktion noch mal ständlern keine Vorgaben machen, wo sie vielleicht bes- 1 000 neue Jobs bringt. Kein Wort von Ihnen dazu, dass ser wirtschaften können. BASF sein Prestigezentrum für die Batteriekomponenten Aus einer wirtschaftlichen Perspektive kann man den nicht nach Baden, sondern nach Brandenburg verlagert. Schritt von Haribo sogar nachvollziehen; Kein Wort von Ihnen, dass BMW die E-Auto-Produktion in Leipzig aufbaut oder das chinesische Batterieunterneh- (Zuruf von der LINKEN: Ach!) men CATL in Thüringen eine Produktionsstätte aufbaut. denn die verbleibenden vier Werke von Haribo befinden sich alle in einem Radius von 100 Kilometern um den Ort (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wer ist denn Grafschaft in Nordrhein-Westfalen, um die Logistik des in Thüringen Ministerpräsident?) Konzerns besser ausnutzen zu können, um weniger Ver- Kein Wort von Ihnen dazu, dass die Agentur für Sprung- kehr auf die Straßen zu bringen und um sich stärker innovationen, bei der es darum geht, neue Geschäftsmo- Synergien und wettbewerbstechnische Möglichkeiten delle der Zukunft zu entwickeln, ebenfalls nach Leipzig zunutze zu machen. geht oder dass es eine Fülle von Regionen gibt, die sich in (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Exakt so der sozialen Marktwirtschaft nicht nur bewährt, sondern ist es!) noch weiter gesteigert haben. 25434 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Mark Hauptmann (A) Deswegen behalten wir den Kurs der Mitte in der so- während Sie nur 50 Kilometer weiter südlich in Grün- (C) zialen Marktwirtschaft bei und vertrauen nicht auf die heide eine Fabrik des US-Konzerns Tesla mit bis zu Streitpilzargumentationen der Ränder von Linken und 280 Millionen Euro subventionieren wollen. AfD. Um es klar zu sagen: Ich bin hocherfreut über jeden Herzlichen Dank. Industriearbeitsplatz in meiner Heimat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das merkt man nicht!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Aber an diesem Beispiel ist zu erkennen, welchen Stel- Der nächste Redner für die AfD-Fraktion ist der Abge- lenwert heimische Unternehmen und heimische Beschäf- ordnete René Springer. tigte bei Ihnen haben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Bundesregierung und Europäische Union unter Kom- René Springer (AfD): missionspräsidentin von der Leyen zerstören in Ost und Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- West aktiv die deutsche Automobilindustrie und damit, ren! Lassen Sie uns die Dinge beim Namen nennen: Der so Hans-Werner Sinn – den kennen Sie alle hier –, das Fall Haribo ist nur ein Fall von vielen. Das Ganze muss Rückgrat der deutschen Wirtschaft. man im größeren Kontext sehen, und der sieht so aus, Daimler lässt Motoren zukünftig in China bauen, und dass wir derzeit nicht weniger erleben als die Vernichtung BMW stellt die Fertigung seiner Verbrennungsmotoren in der Grundlagen der deutschen Wirtschaft durch diese Deutschland ein; sie werden künftig in Großbritannien Bundesregierung. gebaut. Auch die Zulieferindustrie hat bereits Zehntau- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ sende Menschen entlassen müssen und erwartet eine rie- CSU: Darunter machen Sie es nicht!) sige Pleitewelle, im Westen und im Osten. Im thüringi- schen Nordhausen etwa verlieren zum Jahresende weitere Die Fakten folgen. Wohin man blickt, macht sich – und 250 Menschen ihren Arbeitsplatz. Dort stellt der Auto- das wird bei Ihnen im Wahlkreis nicht anders sein – bei zulieferer Eaton seine Produktion ein und verlagert seine Arbeitnehmern und Unternehmen dieses Landes Endzeit- Fertigung nach Polen. Ihr sogenannter Aufbau Ost ist zu stimmung breit. einem gigantischen Abbau Ost geworden. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, wegen (Beifall bei der AfD – Dr. Jürgen Martens (B) euch! Wegen der AfD! Ganz klar! Ihr seid der [FDP]: Dummes Zeug! – Alexander Graf (D) Untergang Deutschlands!) Lambsdorff [FDP]: Voodoo-Ökonomie!) – Mit Sicherheit nicht wegen uns, sondern wegen Ihrer Und nun gefährdet ein in virtueller Hinterzimmerkun- Politik. – Dass vor allem wegen Ihrer Politik Unterneh- gelrunde unter Vorsitz von Merkel beschlossener Lock- men, Arbeitsplätze und Fachkräfte ins Ausland abwan- down laut Handelsverband auch noch bis zu 250 000 Stel- dern, nehmen Sie höchstens noch mit medientauglicher len im innerstädtischen Einzelhandel. Rund die Hälfte Betroffenheit zur Kenntnis. aller Gastrobetriebe ist von Insolvenz bedroht. Die Zahl der verdeckt überschuldeten Unternehmen könnte bis (Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) März auf bis zu 800 000 ansteigen. Nun schließt ein großes deutsches Fruchtgummiunter- Auch die Lufthansa wird wegen Ihres Lockdowns rund nehmen sein Werk in Sachsen und macht zukünftig im 40 000 Menschen entlassen. Diese Katastrophe für die US-Bundesstaat Wisconsin die Kinder froh. Arbeitnehmer haben Sie dann auch noch vom Steuerzah- (Zuruf von der CDU/CSU: Das eine hat doch ler mitfinanzieren lassen. Erst im Mai war die Fluglinie mit dem anderen nichts zu tun!) durch ein staatliches Hilfspaket von 9 Milliarden Euro gerettet und damit teilverstaatlicht worden. Hinzu Es ist dasselbe Unternehmen, das sich noch vor wenigen kommt, dass schon heute infolge von Digitalisierung Jahren mit 2,6 Millionen Euro EU-Fördermitteln – und und Automatisierung in ganz Deutschland fast 8 Millio- damit auch mit deutschen Steuergeldern – ein Werk in nen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze bedroht Ungarn bezuschussen ließ. Das ist nur einer von zahl- sind. Auch dazu gibt es von Ihnen kein Wort und schon reichen Fällen, in denen der deutsche Steuerzahler über gar keine vernünftige Politik. seine Milliardenzahlungen an die Europäische Union die Abwanderung deutscher Arbeitsplätze und damit indirekt (Beifall bei der AfD) auch seine eigene Arbeitslosigkeit mitfinanzieren darf. Meine Damen und Herren, die Kernkompetenz dieser Regierung scheint nur noch darin zu bestehen, die deut- (Beifall bei der AfD) schen Arbeitnehmer mittels Infektionsschutzgesetz zu Meine Damen und Herren, Ihre Wirtschafts- und entrechten und durch EU-Freizügigkeit, Coronakahl- Arbeitsmarktpolitik ist gerade in Ostdeutschland ein schlag und Zerstörung der Autoindustrie arbeitslos zu Totalversagen. In meiner Heimat Brandenburg plant thys- machen. Diese Bundesregierung löst keine Probleme; senkrupp rothe erde – man kann es den Medien entneh- sie ist mit Abstand das größte Risiko für deutsche men –, zum Ende kommenden Jahres sein Traditionswerk Beschäftigte und für den Wirtschaftsstandort Deutsch- in Eberswalde zu schließen. Dem sehen Sie tatenlos zu, land. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25435

René Springer (A) Vielen Dank. führt mit dazu, dass es im Osten immer noch niedrigere (C) (Beifall bei der AfD) Löhne gibt, schwächere Gewerkschaften, eine niedrigere Tarifbindung und auch eine niedrigere Kaufkraft.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So ist die Die nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Kolbe, Lage!) SPD-Fraktion. Aber, liebe Leute, das hat sich geändert, und das sieht (Beifall bei der SPD) man auch an Haribo in Wilkau-Haßlau. Und die SPD steht an der Seite dieser mutigen Beschäftigten; denn es braucht immer noch Mut – gerade im Osten –, sich zu Daniela Kolbe (SPD): wehren und in der Art und Weise zu kämpfen, wie das die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolleginnen und Kollegen dort tun. Kollegen! Das hatte sich die Haribo-Geschäftsführung so gedacht: So kurz vor Weihnachten, während der Corona- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ pandemie, still und leise, wird sich schon niemand groß DIE GRÜNEN) darüber aufregen. – Falsch gedacht! Dank einer aktiven Wir versuchen mit Gesetzen – das gestern beschlossene Belegschaft, eines wirklich umtriebigen Betriebsrates Arbeitsschutzkontrollgesetz ist eins von vielen –, dort zu und der NGG vor Ort wird mittlerweile überall und unterstützen. auch hier darüber gesprochen. Ich rufe den Beschäftigten in Ostdeutschland zu: Seid (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) mutig! Das führt zu was! – In dem konkreten Fall führt es Das Land Sachsen hat die Werbegeschenke, gefüllt mit zu einem Sozialplan, einem ordentlichen, viel besseren Gummibärchen, lieber an Schulen verschenkt, als weiter als dem, den Haribo erst vorgelegt hat, immerhin zu einer mit Haribo-Gummibärchen zu werben. zeitweisen Beschäftigungssicherung und zu jeder Menge (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) so wichtiger Aufmerksamkeit. Und als das ehemalige Werbegesicht, Thomas An die Adresse der Unternehmen sage ich: So, wie Gottschalk, sich dazu öffentlich geäußert und das Haribo das gemacht hat, läuft das nicht mehr, liebe Leu- gescholten hat, da war das Knallen dieser Ohrfeige wirk- te. – Martin Dulig hat es auf den Punkt gebracht, als er lich bundesweit zu vernehmen. gesagt hat: Der Osten ist nicht der Reservekanister des Westens. – Wir sind ein geeintes Land. Eure Verantwor- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. tung, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer, gilt in Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Ost wie in West. (B) (D) Liebe Haribo-Geschäftsführung, so macht man das nicht! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der LINKEN) der LINKEN) Aber ich will mal einen Schritt zurückgehen, damit Haribo mag jetzt glauben: Wir haben ja jetzt was man die Aufregung über die Schließung des Kleinstwer- gemacht; die Weihnachtsruhe kommt ja jetzt. – Nein, kes von Haribo nachvollziehen kann; denn tatsächlich wir schauen da weiter ganz genau hin. Es wäre am besten, wird bei vielen angesichts der Schließung etlicher ost- den Schließungsbeschluss rückgängig zu machen, keine deutscher Niederlassungen von westdeutschen Unterneh- Frage. Aber selbst wenn das nicht passiert, wollen wir men doch ein bisschen die Erinnerung an die 90er-Jahre sehen: Wer sind denn diese potenziellen Käufer, die jetzt wach. genannt sind? Und wir werden genauer hinschauen, dass Damals ist sehr vielen Kolleginnen und Kollegen nach die Beschäftigten in tarifgebundene neue Beschäftigung jahrzehntelanger Sicherheit und nach einem Leben voller kommen. Arbeit und voller Leistung einfach der Stuhl vor die Tür (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gesetzt worden, und das hat sich für die wie ein Arschtritt LINKEN) angefühlt. Es geht nicht um eine Abfindungshöhe. Es geht um gute (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Na, na, tarifgebundene Arbeitsplätze. na!) Aber in der Tat: Weihnachten steht vor der Tür, und der – Sorry, es lässt sich nicht feiner sagen. Weihnachtsmann ist ein Roter. Wenn der Weihnachts- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Parla- mann blau ist, ist das für keinen gut. mentarisch war das nicht!) (Beifall bei der SPD) Das hat vielen den Stolz genommen und auch manchen Der Weihnachtsmann ist ein Roter, und deswegen die Würde. haben wir in diesem Jahr viele Gesetze auf den Weg Was ist dann passiert? Statt sich als Beschäftigte gebracht, um Beschäftigte zu schützen – das verbesserte gegenseitig unterzuhaken, sich zu wehren, hat damals Kurzarbeitergeld, ein Arbeit-von-morgen-Gesetz, das die Angst gesiegt. Da ist lieber eine Allianz mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz –, und im Geschenkesack Chef eingegangen worden. Die nachvollziehbare Denke ist noch jede Menge Respekt und vor allen Dingen Mut war: Hauptsache, lieber Chef, mein Arbeitsplatz ist für die Beschäftigten, die sich für bessere Arbeitsbedin- sicher. Dafür bin ich auch still und leise, und dafür for- gungen in diesem Land einsetzen, und zwar im ganzen dere ich auch nichts. – Dieses weit verbreitete Phänomen Land. 25436 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Daniela Kolbe (A) (Beifall bei der SPD) Mal, wenn wir eine Ostdebatte führen, findet sich irgend- (C) Die SPD steht an eurer Seite. Frohe Weihnachten und wer, der als Erster das Wort „jammern“ in den Mund Glück auf! nimmt. Ehrlich gesagt, finde ich das mittlerweile nicht mehr erträglich, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dass immer dann, wenn über ostdeutsche Probleme gere- Jetzt kommt der Abgeordnete Matthias Höhn, Fraktion det wird, das Wort „jammern“ fällt. Ich kenne keine Die Linke. andere Debatte, wo wir über Missstände reden, bei denen wir miteinander etwas verbessern wollen, wo über Jam- (Beifall bei der LINKEN) merei geklagt wird. Nur wenn wir über Ostdeutsche reden, reden wir über die Jammerossis. Matthias Höhn (DIE LINKE): (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Aber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- haben Sie Frau Zimmermann nicht zugehört? ren! Wenn man so spät in einer Debatte das Wort be- Das war doch das Problem!) kommt, dann hat man ja die Gelegenheit, auf das eine oder andere zu reagieren, und das will ich tun. – Herr Lambsdorff, melden Sie sich doch bei Themen, wo Herr Martens, Sie haben uns vorhin mehr oder weniger Sie Ahnung haben. Die FDP ist mit dem Thema Ost- mahnend gefragt, ob wir noch merken, was wir bei der kompetenz bisher nicht aufgefallen. Debatte, die wir hier führen, als Linke tun, (Beifall bei der LINKEN) (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Und?) Ich finde, dass wir als Ostdeutsche – es ist über Selbst- und haben in Richtung AfD gezeigt. Herr Martens, ich bewusstsein geredet worden – doch insgesamt fragen würde Sie gerne fragen, ob Sie merken, was Sie unter- sollten: Warum fangen wir denn jetzt an, über Jammerei lassen. Ich würde Ihnen gerne sagen, dass es aus meiner zu reden? Nein, es ist auch Aufgabe dieses Hauses, über Sicht zutiefst die Aufgabe von demokratischen Parteien Probleme zu reden und sie nicht zu diskreditieren, Herr ist, soziale Ängste und soziale Missstände zu thematisie- Müller, bei allem, wo ich Ihnen zustimme. ren, Herr Martens. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Jetzt haben Sie gesagt: Der Osten ist wirtschaftlich Zimmer [CDU/CSU]: Aber nicht zu schüren! – stärker geworden. – Na ja, Herr Müller. Schauen wir Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nicht zu mal in den letzten Bericht der Bundesregierung zum (B) instrumentalisieren!) Stand der deutschen Einheit: Das wiederholt sich ja (D) Wenn wir das nicht mehr tun, dann überlassen wir denen mehr oder weniger jährlich. Schauen wir mal auf die das Feld, Herr Martens, die wir gemeinsam bekämpfen Entwicklung des BIP in Ostdeutschland im Vergleich zu wollen. Westdeutschland und zum bundesdeutschen Durch- (Beifall bei der LINKEN) schnitt. Was sehen wir denn da, Herr Müller? Wir sehen, dass es von 1990 bis 1995 einen starken Anstieg gab und Jetzt komme ich zu den Kollegen der Union. Dort wird wir de facto seit 1995 eine Seitwärtsbewegung haben und in ein ähnliches Horn geblasen: Die Linke spaltet. Die kein Zusammenwachsen von Ost und West in der Wirt- Linke redet den Osten schlecht. schaftsfrage. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das Da sind wir an dem Punkt, Herr Körber: Reden wir die stimmt!) Lage schlecht? Sagen, was ist, Herr Körber, das wäre mal – Ja, ja. – Liebe Kollegen, Sie reden die Lage schön, und eine Sache. Wir haben keinen wirtschaftlichen Aufhol- ich würde bezweifeln, dass das gute Politik ist. Wenn Sie prozess des Ostens. Das muss ausgesprochen und das sich anschauen, wie das Vertrauen der Menschen in muss geändert werden, meine sehr verehrten Damen Ostdeutschland in Demokratie ist, wie das Vertrauen in und Herren. politische Parteien ist, wie das Vertrauen in uns alle in (Beifall bei der LINKEN) Ostdeutschland ist, dann sollten Sie sich doch mal die Frage stellen, woher dieses massiv geschwundene Ver- Die letzte Bemerkung, die ich machen will, betrifft trauen kommt. Vielleicht, Herr Körber, vielleicht, Herr auch das Thema Gewerkschaften. Es ist in der Tat so – Hauptmann, hat es damit zu tun, dass den Leuten in den ich glaube, das wird hier niemand bestreiten –, dass wir letzten 30 Jahren Dinge erzählt worden sind, die krass an immer noch eine große Lohnlücke zu beklagen haben, der Realität vorbeigehen, weil die Bundesregierung die und es ist in der Tat so, dass wir in den letzten Jahren Lage einfach schönredet, liebe Kolleginnen und Kolle- ein massives Problem hatten: dass die Gewerkschaften gen. nicht mobilisieren konnten, dass sie vor Ort nicht veran- kert waren. Den Schlaubergern von der AfD sage ich: (Beifall bei der LINKEN) Herr Pohl, wenn Sie eine Ahnung von dem hätten, worü- Dann will ich sagen, Herr Müller: Ich kann sehr vielem ber Sie reden, dann wüssten Sie, dass sich genau das zustimmen, was Sie gesagt haben. Aber eine Bemerkung geändert hat und dass die reale Lage in Ostdeutschland will ich in dieser Debatte heute auch machen – ich finde, eine völlig andere ist und dass wir allein im Jahr 2020 dass gerade wir aus Ostdeutschland bei dieser Wortwahl mehr Arbeitskämpfe hatten als in den 25 Jahren davor. auch irgendwann mal besser werden müssen –: Jedes Alle, die etwas dafür tun wollen, um an der Situation in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25437

Matthias Höhn (A) Ostdeutschland etwas zu verbessern und Löhne zu stei- geber gesagt: Vor meiner Tür stehen noch 20 andere, die (C) gern, sollten Gewerkschaften unterstützen und nicht, wie deinen Job machen wollen; du kannst gehen. – Wenn das die AfD es tut, bekämpfen. jetzt ein Unternehmer sagen würde, dann würde da nie- Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. mand mehr stehen, da gibt es niemanden mehr. Wie ist es denn jetzt bei den Ausbildungsmessen? Da ist es doch so, (Beifall bei der LINKEN) dass sich nicht ein Lehrling bei einem Unternehmen bewirbt, sondern dass sich dort Unternehmen bei Lehr- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lingen bewerben. Das ist die Situation, die wir mittler- Vielen Dank, Herr Kollege Höhn. – Nächster Redner weile auf dem Arbeitsmarkt haben, und darüber freue ich ist der Kollege Alexander Krauß, CDU/CSU-Fraktion. mich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das heißt nicht, dass alles gut ist, keine Frage; wir Alexander Krauß (CDU/CSU): liegen bei den Gehältern leider noch zurück. Ich wünsche Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- mir mehr tarifliche Bezahlung, gerade im Osten. Wir ren! Ich möchte gern dort ansetzen, wo Herr Höhn auf- brauchen mehr Tarifverträge; das ist ganz, ganz wichtig. gehört hat: sagen, was ist, und einfach mal ein paar Zah- Ich wünsche mir natürlich auch mehr Unternehmenszent- len einführen. ralen, die im Osten sind. Jetzt muss man sagen: Wir Wir hatten im Jahr 2005 in Sachsen – also in dem hätten natürlich mehr gehabt. Wir hätten zum Beispiel Bundesland, wo auch Haribo einen Sitz hatte – eine Audi als Firmensitz bei Zwickau, 5 Kilometer von Wil- Arbeitslosenquote von 18,3 Prozent. Dazu gab es auch kau-Haßlau entfernt, wenn Sie nicht alle Unternehmer zu eine ganze Menge ABM-Maßnahmen, von denen wir der Zeit, wo Sie regiert haben, außer Landes getrieben heute gar nicht mehr alle kennen. Wir sind jetzt bei 6 Pro- hätten. zent. Es gab also einen Rückgang um zwei Drittel bei den (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitslosenzahlen. Ich finde, das ist ein riesengroßer Erfolg, der da in den letzten Jahren stattgefunden hat. Wir haben also – das kann man noch mal sagen – eine Ich will auch ganz deutlich sagen: Das hätte niemand gute wirtschaftliche Entwicklung. Wir können stolz drauf gedacht. Wer sich hier 2005 hingestellt und gesagt hätte: sein, dass das so ist. Es ist nicht so, dass wir keine Pro- „Es wird mal in Ostdeutschland eine Arbeitslosenquote bleme haben. geben, die nahe der Vollbeschäftigung liegt“, der wäre Es gibt im Übrigen auch noch ein paar andere Zahlen, ausgelacht worden. Jetzt haben wir diese Situation. (B) die man sich mal anschauen kann, Stichwort „Wander- (D) Ich will auch sagen: Das haben wir nicht dem Weih- ungsverluste“. Natürlich haben wir die ersten 25 Jahre nachtsmann zu verdanken. nach der deutschen Einheit sehr viele Menschen verloren, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die in den Westen gegangen sind, um dort zu arbeiten. ordneten der FDP) Das hat uns geschmerzt. Jetzt haben wir seit 2014 den entgegengesetzten Trend. Wir haben den entgegengesetz- Das haben wir engagierten Arbeitnehmern zu verdanken. ten Trend: Wir haben mehr Menschen, die von Westen in Das haben wir engagierten Unternehmern zu verdanken, den Osten gehen. Darüber freue ich mich, dass das so ist: die hierbei Eigeninitiative entfaltet haben. Aber wir dass wir Wanderungsgewinne haben. Das sind die Zahlen haben es auch der Bundesregierung zu verdanken – der seit 2014. von Helmut Kohl in den 90er-Jahren –, die eine gute Wirtschaftspolitik angegangen ist, die einfach grundle- (Zurufe von der LINKEN) gende Entscheidungen richtig getroffen hat, sodass im – Das mag Ihnen bei den Linken nicht gefallen. Aber das Osten Deutschlands blühende Landschaften entstanden ist die Realität; das besagt die Statistik. Das zeigt, dass sind. auch der Wirtschaftsstandort, der Lebensstandort Ost- (Beifall bei der CDU/CSU) deutschland attraktiv ist. Wir müssen weiter daran arbei- ten, dass das so bleibt. Jetzt ist es traurig – keine Frage –, dass Haribo geht. Aber schauen wir uns an, wie die Lage ist: Es gibt vier Ich will nur ganz deutlich sagen, was Helmut Kohl uns Unternehmen, die Interesse haben, diesen Standort zu gesagt hat: Es wird „blühende Landschaften“ geben. übernehmen, weil sie sehen: Das größte Potenzial, das Jeder, der mit offenen Augen durch Ostdeutschland dieser Standort hat, sind die qualifizierten Mitarbeiter. – geht, der sieht bei allen Problemen, die es gibt: Wir haben Das ist doch eine positive Nachricht, die zeigt, was es in blühende Landschaften. den 90er-Jahren eben nicht gab. Da gab es kein oder ganz wenige Unternehmen, die gesagt haben: Ich möchte dort Vielen Dank. jetzt unbedingt einsteigen. – Die Lage ist vollkommen (Beifall bei der CDU/CSU) anders. Diesen fundamentalen Wandel sieht man auch, wenn man sonst mal mit Unternehmern oder mit Arbeit- nehmern spricht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Nächster Redner Wie war es denn gewesen vor 20 Jahren? Wenn da ein ist der Kollege Frank Junge, SPD-Fraktion. Arbeitnehmer gekommen ist und zum Beispiel gesagt hat: „Ich möchte mehr Lohn haben“, dann hat der Arbeit- (Beifall bei der SPD) 25438 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Frank Junge (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich der CDU/CSU) will zu Beginn noch mal ausdrücklich unterstreichen: Der Es offenbart auch – das will ich ganz klar sagen – eine ostdeutsche Arbeitsmarkt ist nicht im Niedergang begrif- unternehmerische Rücksichtslosigkeit, auf dem Rücken fen. Ich sage das so ausdrücklich, weil Sie, liebe Fraktion der Beschäftigten solche Entscheidungen zu treffen und Die Linke, im Titel der von Ihnen beantragten Aktuellen damit auch die Kommunen vor Ort mit den fatalen Ket- Stunde – „Niedergang des ostdeutschen Arbeitsmarktes tenreaktionen im Stich zu lassen. Das hat aus meiner stoppen“ – bewusst den Eindruck vermitteln wollen, dass Sicht nichts mit verantwortungsbewusstem Unterneh- das so sei. Das ist nicht so, merhandeln zu tun. Gleichzeitig will ich hier aber auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – sagen, dass das Einzelfälle sind und dass damit nicht eine Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist Gesamtsituation im Osten belegt werden kann. Diese das Jammern, Herr Höhn!) Einzelfälle sind dennoch stark zu kritisieren. und das will ich auch noch mal an einigen Zahlen deutlich Was können wir tun? Das will ich hier auch ganz klar machen. sagen: Die Wirtschaftskraft und das Pro-Kopf-Einkommen Wir können uns – erstens – an die Seite der Beschäftig- haben sich seit der Wende verdoppelt. Das BIP liegt ge- ten stellen, uns mit ihnen solidarisieren und all die Mög- genwärtig bei 75 Prozent Westniveau. Die Arbeitslosig- lichkeiten, die wir als MdBs vor Ort haben, nutzen, um keit lag vor Corona bei 6,4 Prozent, auf einem histori- das Problem öffentlich zu machen. schen Tiefststand. Wenn man auch noch mal darauf (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) schaut, dass die Arbeitslosenquote 2005 im Vergleich zum Westen 10 Prozent auseinandergelegen hat, und Diesen öffentlichen Druck dürfen wir nicht unterschät- wenn man sieht, dass das 2020 nur noch 2 Prozent waren, zen; er ist unbedingt nötig. dann kann hier keiner behaupten, im Osten wäre am (Beifall bei der SPD) Arbeitsmarkt der Teufel los. Vielmehr zeigt sich: Hier sind richtige Entscheidungen getroffen worden, und diese Zweitens – das will ich auch ganz klar sagen – müssen Entscheidungen sind in die richtige Richtung entwickelt wir im Rahmen einer guten Wirtschaftsförderung, einer worden. guten Strukturpolitik alles dafür tun, nach wie vor ähnlich gut zu arbeiten, wie wir das bisher gemacht haben. Aus (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Kulissen, liebe Claudia Müller, wie dem ERP-Sonderver- CDU/CSU) mögen oder der GRW sind seit 1990 fast 100 Milliarden (B) Ich sage das so ausdrücklich deshalb, weil Sie offenbar Euro in die Förderung des Ostens geflossen. Ohne diese (D) das Kalkül haben, das Thema „Haribo“ zu benutzen, um Mittel wäre der Osten lange nicht dort, wo er jetzt ist. den Eindruck zu vermitteln, im Osten sei alles verloren. Unser Bemühen muss dahin gehen, diese Mittel weiter Dagegen können wir uns zu Recht wehren. zu verstetigen, damit die entsprechenden Strukturschwä- chen weiter abgebaut werden können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Drittens – das erscheint mir an dieser Stelle mit der wichtigste Punkt –: Das wichtigste Instrument, solchen Dennoch bin ich weit davon entfernt – das will ich hier fragwürdigen Unternehmensentscheidungen wirksam ebenfalls ausdrücklich sagen –, die Geschehnisse um entgegenzutreten und damit auch für die Interessen der Haribo schönzureden oder nicht ernst zu nehmen. Ich Ostdeutschen einzutreten, sind starke Gewerkschaften will damit auch zum Ausdruck bringen, dass wir hier und Betriebsräte. zwar exemplarisch über Haribo reden, aber wir auch über Majorel, über MAN, über Mahle, über Continental (Beifall bei der SPD) und über Stena Line sprechen. Ich unterstreiche das ausdrücklich. Wo immer solche (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ach!) Arbeitnehmervertretungen den Arbeitskampf führen kön- nen, sind die Aussichten auf Erfolg wesentlich höher. Das alles sind Beispiele von Unternehmen, die die Gele- genheit nutzen, sich aufgrund fragwürdiger Entscheidun- Das beste Beispiel ist Görlitz – ich sage auch das aus- gen, wie ich finde, aus dem Osten zu verabschieden, drücklich –; denn dort konnte der Schließung des Sie- mens-Dampfturbinenwerks auch durch den massiven (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ach!) Widerstand der Gewerkschaften Einhalt geboten werden. obwohl über Jahre hinweg dort Wertschöpfung betrieben Das ist ein Punkt, den wir an der Stelle zur Kenntnis worden ist und an Unternehmensgewinnen mitgearbeitet nehmen müssen. wurde. Das ist aus meiner Sicht verantwortungslos, (Beifall bei der SPD) sozialpolitisch untragbar und gesellschaftspolitisch äußerst fahrlässig. Ich will zum Abschluss sagen: Wo immer wir Mög- lichkeiten haben, Gewerkschaften zu stärken, fängt das (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ach, guck mal bei uns selbst an. Damit will ich auch einen frommen an!) Wunsch zu Weihnachten verbinden: Neben einem Denn es spielt denen in die Hände, die dieses Thema besinnlichen Fest und dem Wunsch, dass Sie alle gesund bewusst politisch nutzen wollen, um es gegen die Men- bleiben, wünsche ich mir, dass Sie alle überprüfen, ob Sie schen zu verwenden. schon in einer Gewerkschaft sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25439

Frank Junge (A) (Mechthild Rawert [SPD]: Länger als in der (Kai Whittaker [CDU/CSU], an die Abg. (C) SPD!) Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] gewandt: Zurücktreten sollten Sie!) Wenn nicht, überlegen Sie mal, ob das nicht gut wäre. Das darf ich an dieser Stelle mal sagen. So stelle ich mir (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Sozialpartnerschaft nicht vor. Wenn wir ernst meinen, was wir sagen, nämlich dass wir Tarifbindung fördern Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wollen, dass wir Unternehmen unterstützen wollen, Vielen Dank, Herr Kollege Junge. – Letzte Rednerin zu wenn wir aber auch leidenschaftliche Gewerkschafter diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Jana sind, dann sollten wir uns auch an die Grundregeln des Schimke, CDU/CSU-Fraktion. Alltäglichen halten. (Beifall bei der CDU/CSU) Noch etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen sowohl von der Linken als auch von der AfD: Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft und in keiner Planwirtschaft. Jana Schimke (CDU/CSU): Das heißt: Scheitern, Arbeitslosigkeit oder wiederum Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlust Unternehmensansiedlungen gehören zum Leben leider des Arbeitsplatzes ist bitter. Das habe ich in meiner Bio- dazu. grafie selbst erfahren dürfen, und ich kann mir zu gut vorstellen, wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Einfach von Haribo in Wilkau-Haßlau im Moment fühlen. Aber – Schicksal! Ja, super!) Entschuldigung, Frau Zimmermann – das, was Sie hier So ist das. Ich möchte keine volkseigenen Betriebe, die tun, ist, eine politische Debatte vom Zaun zu brechen – subventioniert werden, die rote Zahlen schreiben und die auf dem Rücken eines Familienbetriebes man irgendwie versucht am Leben zu halten. Ich will eine gesunde Wirtschaft haben. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ja!) Unsere Aufgabe als Parlament ist nicht nur, den Men- und auf dem Rücken der Beschäftigten. schen einerseits die Kraft zu geben, mit solchen Lebens- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- situationen umzugehen, ihnen soziale Hilfestellung zu neten der FDP – Matthias Höhn [DIE LINKE]: geben Ich glaube, das sehen die Beschäftigten (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ja, da sind Sie anders!) ganz toll drin!) Frau Zimmermann, Sie sind nach meiner Kenntnis – (B) und sie andererseits bei der Jobsuche zu unterstützen, (D) korrigieren Sie mich, wenn es falsch ist – ehemalige sondern auch, den Unternehmen dahin gehend zu helfen, hauptamtliche Gewerkschafterin, und Sie sind aktuell ihren unternehmerischen Erfolg, wo auch immer, best- die DGB-Vorsitzende in Zwickau. möglich – im besten Fall natürlich in Deutschland – (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- umzusetzen. Das ist unsere Aufgabe. KE]: Richtig!) Es ist nicht unsere Aufgabe, eine unternehmerische Entscheidung, die ich persönlich schon nachvollziehen Da sollten Sie sich eigentlich auskennen mit der Frage, kann – in Zeiten der Globalisierung, der Digitalisierung was Sozialpartnerschaft bedeutet, geht es darum, effiziente Lieferketten herzustellen –, zu (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- kommentieren und gar noch zu bewerten. Liebe Frau KE]: Eben!) Zimmermann, unsere Betriebe brauchen keine Unterneh- mensberatung durch die Politik. Ich sage das, weil ich der was es bedeutet, wenn Unternehmensleitung und Auffassung bin, dass der Staat nicht der bessere Unter- Betriebsrat eine Vereinbarung treffen. nehmer ist, meine Damen und Herren. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) KE]: Genau!) Worum geht es, liebe Kolleginnen und Kollegen? Es Nichts anderes ist bei Haribo geschehen. Es gibt einen geht bei diesen Diskussionen – wie wir sie damals schon Sozialplan, einen sehr guten Sozialplan – die Kollegen mit Blick auf Siemens in Sachsen geführt haben – haben das heute schon sehr eindrucksvoll hier dargelegt – zunächst einmal darum, bei den Fakten zu bleiben: mit großzügiger Unterstützung, der gemeinschaftlich Benennen Sie die guten Ergebnisse des Sozialplans. zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat beschlos- Sagen Sie, dass das eine gemeinschaftliche Einigung sen und verabredet wurde. von Geschäftsführung und Betriebsrat ist. Sagen Sie (Zurufe von der LINKEN) den Menschen, dass das auch eine unumstößliche Ent- scheidung ist. Warum, liebe Frau Zimmermann, treten Sie hier also auf, führen eine Debatte vor der gesamten Bundesre- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das publik und führen damit all das ad absurdum, was Ihre stimmt doch gar nicht!) Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat mit der Hier steht nicht zur Diskussion, ob Haribo am Standort in Geschäftsleitung vereinbart haben? Liebe Frau Wilkau-Haßlau bleibt; das steht gar nicht zur Debatte. Zimmermann, das ist nicht nur unprofessionell, das ist Machen Sie den Menschen keine falschen Hoffnungen. auch menschlich unterirdisch. Das ist das Schlimmste, finde ich, was Verantwortungs- 25440 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Jana Schimke (A) träger wie wir tun können. Wir müssen die Menschen mit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (C) Ausschuss für Gesundheit der Wahrheit konfrontieren und sie darin unterstützen, in Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ihrem Leben neue Wege zu finden. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) Sven Lehmann, Ulle Schauws, Kai Gehring, Die Entscheidung von Haribo ist keine Entscheidung weiterer Abgeordneter und der Fraktion gegen den Osten; das darf an dieser Stelle auch gesagt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein. Natürlich kämpfen wir als ostdeutsche Kolleginnen Entschädigungsfonds für trans- und inter- und Kollegen für unsere Heimat. Wir wollen, dass dort geschlechtliche Menschen was passiert. Wir wollen, dass Unternehmen dahin kom- Drucksache 19/22214 men. Wir können aber auch die Defizite – geschuldet durch 40 Jahre DDR – eben nicht einfach wegdiskutieren; Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) das ist so. Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ja, ja!) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Aber es ist unglaublich viel im Osten passiert. Wir haben eine super Identität entwickeln können. Wir haben Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten ein neues Selbstbewusstsein entwickeln können. Bei uns beschlossen. gibt es viele Start-ups. Bei uns gibt es junge Unterneh- Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Platz- mensgründer. Bei uns gibt es einen Mittelstand, der sich wechsel zügig vorzunehmen. Wir hängen bereits eine immer mehr stabilisiert. Das, meine Damen und Herren, Stunde, was dazu führen wird, dass ich sehr genau auf sollten wir weiterhin unterstützen. die Redezeiten achten werde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ner Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Christian Last, but not least, liebe Kolleginnen und Kollegen: – Lange für die Bundesregierung das Wort.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin. Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Jana Schimke (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und – Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Die Ent- (B) Kollegen! „Der wahre Charakter der Gesellschaft zeigt (D) scheidung von Haribo ist nach wie vor eine Entscheidung sich darin, wie sie ihre Kinder behandelt.“ Meine Damen für Deutschland gewesen. und Herren, so hat Nelson Mandela es einmal treffend (Widerspruch bei der LINKEN) formuliert. Wir wollen, dass Kinder gut behandelt wer- den, dass Kinderrechte geachtet werden. Darin liegt der In Rheinland-Pfalz entstehen nämlich mehr Arbeitsplät- Grund für unseren Gesetzentwurf. ze, als jetzt verloren gehen. Jedes Jahr kommen Kinder auf die Welt, meine Damen und Herren, deren biologisches Geschlecht nicht eindeu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tig weiblich und auch nicht eindeutig männlich ist – Kin- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. der mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. Um diese Kinder geht es uns. Wir wollen das Selbstbestimmungs- Jana Schimke (CDU/CSU): recht dieser Kinder besser schützen. Auch das ist unsere Aufgabe: dies als Deutscher Bun- Noch immer gibt es in unserem Land Operationen an destag anzuerkennen. diesen Kindern, die vornehmlich ein Ziel haben: die Vielen Dank. Geschlechtszuordnung. Ein Kind, das körperlich nicht eindeutig weiblich, nicht eindeutig männlich ist, soll (Beifall bei der CDU/CSU) einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden. Diese Eingriffe mögen in bester Absicht erfolgen. Doch sie sind Vizepräsident Wolfgang Kubicki: falsch; denn sie verletzen die sexuelle Selbstbestimmung Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. – Damit ist die des Kindes für immer. Aktuelle Stunde beendet. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Jens a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Kindern mit Varianten der Denn so eine Operation, meine Damen und Herren, ist Geschlechtsentwicklung meistens nicht reversibel. Drucksache 19/24686 Betroffene und Interessenverbände fordern deshalb zu Recht: Wir müssen die Selbstbestimmung dieser Kinder Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) besser schützen. Genau dies tun wir mit unserem Gesetz- Ausschuss für Inneres und Heimat entwurf. Für Kinder, die noch nicht selbst entscheiden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25441

Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) können, stellen wir klar: Operationen mit dem alleinigen Dr. Robby Schlund (AfD): (C) Ziel der Geschlechtsangleichung sind verboten – ohne Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Es geht Wenn und Aber. um ein sehr privates und sensibles Thema. Wir sprechen hier über kleine und große Kinder, die als intersexuelle Darüber hinaus schreiben wir fest: Operative Eingriffe, Menschen geboren wurden. Die angeborenen Ge- die möglicherweise eine geschlechtsangleichende Wir- schlechtsmerkmale sind nicht eindeutig, oder es gibt kung haben, dürfen nur unter strengen Voraussetzungen sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsanteile. vorgenommen werden. Kann der Eingriff aufgeschoben Die Frage stellt sich nun: In welchem Geschlecht soll das werden, bis das Kind selbst entscheiden kann, dann darf Kind aufgezogen werden, welche Geschlechtszuweisung der Eingriff nicht stattfinden, im Interesse der Selbstbe- ist die beste, und welche hormonellen oder gar chirurgi- stimmung. Stattdessen dürfen solche Eingriffe zudem schen Behandlungen sind sinnvoll oder notwendig? auch nur dann stattfinden, wenn das Familiengericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Eingriff dem Wohl des Wir alle haben bis zur siebten Woche der Embryonal- betroffenen Kindes am besten entspricht. Was dem phase Vorstufen beider Geschlechter, und die äußeren Wohl des betroffenen Kindes am besten entspricht, ist Organe entwickeln sich nun hin zum männlichen oder in solchen sensiblen Fällen häufig keine einfache Frage, weiblichen Geschlecht. Doch manchmal macht die Natur zumal für uns Juristinnen und Juristen. Auch diesem einen Strich durch die Rechnung, und das Geschlecht ist Umstand tragen wir Rechnung: Wir geben den Eltern eben nicht eindeutig. Dabei gibt es verschiedene Ursa- die Möglichkeit, psychologische, medizinische, pädago- chen, wie genetische, Enzym- oder auch Stoffwechselstö- gische Expertise heranzuziehen. Befürwortet eine inter- rungen. Für die Betroffenen allerdings, die Eltern und disziplinäre, fachkundige Kommission den Eingriff, so auch die Gesellschaft ist das eine sehr große Herausfor- wird vermutet, dass der Eingriff dem Wohl des Kindes derung. entspricht. Seit dem 1. November 2018 besteht die Möglichkeit, dass für Intersexuelle im Geburtenregister der Eintrag Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Junge oder Mäd- „divers“ vermerkt werden kann; man bekennt sich quasi chen?“, das ist manchmal einfach die falsche Frage. zu keinem der beiden Geschlechter. Doch ist das die Unsere Welt ist vielfältig. Das zeigen die Kinder mit Lösung? Varianten der Geschlechtsentwicklung. Kinder haben ein Recht auf Achtung, auf Fürsorge und auf Schutz ihrer (Mechthild Rawert [SPD]: Ja!) Selbstbestimmung. Aus diesem Grunde, meine Damen Aus ärztlicher Sicht muss man wirklich differenzieren, und Herren, müssen wir übrigens auch Kinderrechte end- zum Beispiel, welche Behandlungsmethoden für alle lich ausdrücklich im Grundgesetz verankern. Betroffenen, vorrangig natürlich für das Kind, am besten (B) (D) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sind. Es muss nicht in allen Fällen sofort operiert werden; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- aber offensichtliche Fehlbildungen sollten auch nicht auf- ordneten der CDU/CSU und der FDP) grund gesetzlicher Vorgaben öffentlich zur Schau gestellt werden. Und aus diesem Grund, meine Damen und Herren, müs- (Beifall bei der AfD – Sven Lehmann [BÜND- sen wir Kinder besser vor geschlechtsangleichenden Ein- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema verfehlt! – griffen schützen. Mechthild Rawert [SPD]: Das sind doch keine Fehlbildungen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Kinder und Jugendliche sollen möglichst normal auf- wachsen, unabhängig von ihren körperlichen Unterschie- Genau dies tut unser Gesetzentwurf. Er trägt ebendieser den und Besonderheiten. Vielfalt des Lebens Rechnung und sieht ein differenzier- tes Schutzkonzept vor. Vor dem Hintergrund der psychologischen Stabilität des Kindes muss gelten: Elternfürsorge statt familienge- Das Signal, das von ihm ausgeht, ist klar: Wir wollen, richtliche Bevormundung. Es ist hier ein Zusammenspiel dass unsere Gesellschaft den Charaktertest besteht, von aller Parteien und vor allen Dingen natürlich medizi- dem Nelson Mandela – eingangs habe ich ihn zitiert – nische Aufklärung und Zusammenarbeit mit den Selbst- gesprochen hat. Wir wollen die Selbstbestimmung der hilfeverbänden nötig. Zusätzlich muss auch mit den Kinder achten. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung Erziehungskräften im Kindergarten oder in der Schule zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. der Dialog geführt werden, um Ausgrenzungen und Benachteiligungen in der Gruppe zu verhindern. Herzlichen Dank. Zusammenfassend sage ich: Wir werden das im Aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schuss diskutieren; denn aus medizinischer Sicht kann der CDU/CSU) dieser Gesetzentwurf die rechtlichen Belange nicht ein- deutig klären, obwohl darin durchaus positive Aspekte angesprochen werden. Wir halten es zunächst für sinn- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: voll, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner anzustoßen, ist der Kollege Dr. Robby Schlund, AfD-Fraktion. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Das ist Quatsch!) 25442 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Robby Schlund (A) um noch mehr Kennzahlen und daraus resultierende begegnete. Ich konnte und kann ein Sein in dieser (C) Ergebnisse zur Intersexualität zu erhalten. Danach sollte Welt ohne die Kategorie männlich-weiblich über- abschließend eine sowohl medizinisch als auch juristisch haupt nicht fassen. belastbare parlamentarische Entscheidung zu treffen sein. Für die meisten Eltern gehörte die unerwartete Kon- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- frontation mit dieser Thematik zu einer der größten NEN]: Wir diskutieren hier schon seit zwei Herausforderungen überhaupt. Man kann nur erahnen, Jahren!) wie viele schlaflose Nächte und Sorgen damit einherge- Ich wünsche Ihnen allen schöne Weihnachten und hen. Auch für uns Parlamentarier ist dies keine einfache besinnliche, aber auch nachdenkliche Stunden und Zeit Thematik. Wie stellt sich die medizinische bzw. wissen- für sich selbst, um für das nächste Jahr die richtigen schaftliche Situation dar? Was dürfen Eltern entscheiden, Lösungen und Entscheidungen zu planen. und was müssen wir tun, um eine ungestörte Persönlich- keitsentwicklung in einer binär – männlich/weiblich – Vielen Dank. geprägten Gesellschaft zu gewährleisten? (Beifall bei der AfD) Betrachtet man die reinen Fallzahlen, ergibt sich leider kein einheitliches Bild. Das Bundesverfassungsgericht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hat sich beispielsweise 2017 auf einen Fall auf 500 Neu- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schlund. – Als nächster geborene festgelegt. Die Fachliteratur nennt hier eine Redner erhält das Wort der Kollege Paul Lehrieder, CDU/ deutlich geringere Häufigkeit bei Neugeborenen von CSU-Fraktion. 1 : 5 500. Gelesen habe ich auch von 300 Geburten im Jahr, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet (Beifall bei der CDU/CSU) werden können. Doch ganz egal, wie oft dies tatsächlich vorkommt, eines gilt: Intergeschlechtlichkeit als unnor- Paul Lehrieder (CDU/CSU): mal zu betrachten und auf operativer Basis zu ändern, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- damit will die Große Koalition mit diesem Gesetzentwurf be Kollegen! Wir debattieren heute über einen äußerst Schluss machen. sensiblen und vielschichtigen Themenbereich. Der heute in erster Lesung vorliegende Gesetzentwurf soll zukünf- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tig verhindern, dass in Deutschland geborene Kinder, die DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zugeord- CDU/CSU) net werden können, durch Operation der inneren und Wir wollen die körperliche Integrität der Kinder und äußeren Geschlechtsorgane angeglichen werden. Dies (B) ihr Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung schüt- (D) war häufig medizinisch nicht notwendig und geschah zen. Ich hatte es eingangs bereits gesagt: Wir müssen auf der Grundlage der damaligen medizinischen und wis- dabei auch auf die Eltern schauen. Der Gesetzentwurf senschaftlichen Erkenntnisse und leider oft zum Leidwe- zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechts- sen der betroffenen Kinder. Diese Praxis – so steht es entwicklung schränkt die Rechte und Möglichkeiten der auch im Koalitionsvertrag – wollen CDU/CSU und Eltern, in deren Obhut dieser kleine Mensch für die SPD nun beenden und feminisierende oder maskulinisie- nächsten Jahre entlassen wird, ein. Herr Staatssekretär rende Operationen nur noch in unaufschiebbaren Fällen, hat bereits darauf hingewiesen: Es gilt hier dasselbe – – also in einem medizinischen Notfall, erlauben. (Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Die Frage nach dem Geschlecht eines Kindes wird in der Regel, sofern die werdenden Eltern es wissen möch- – Langsam, ich bin noch nicht so weit, Frau Rawert. Ganz ten, bereits während der Schwangerschaft, aber spätes- ruhig! Ich bin noch nicht fertig. tens nach der Geburt augenscheinlich schnell beantwor- (Mechthild Rawert [SPD]: Ich rege mich doch tet – für viele Menschen zweifellos einer der schönsten gar nicht auf!) und emotionalsten Momente ihres Lebens. Doch es gibt Kinder, die gesund auf die Welt kommen, aber anato- Es gilt hier dasselbe wie in vielen Bereichen mit Kinder- misch nicht eindeutig in die Kategorien „männlich“ bezug: Auch hier muss das Kindeswohl – das, was für das oder „weiblich“ passen. Jeder, der das Wunder der Geburt Kind eben notwendig ist – im Mittelpunkt stehen. schon einmal erleben durfte, der kann sich sicher sehr gut (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vorstellen, welche sorgenvollen Gedanken Eltern im ers- ten Moment durch den Kopf gehen müssen. Bei dieser jetzt anstehenden Diskussion, Herr Staats- sekretär, sehe ich die Chance, dass wir im Dreiecksver- Eine Betroffene schildert es in einem Zeitungsartikel hältnis zwischen den Ärzten, dem Familiengericht und so – ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten dem Erziehungsrecht der Eltern in Form von Beratung zitieren –: durch das Familiengericht und die Medizin das Kindes- Als mein Kind auf die Welt kam, wurde alles infrage wohl am ehesten ermitteln. Im Dialog zwischen den drei gestellt, was ich bis dahin über Geschlechtsidentität Beteiligten ist am ehesten zu eruieren, was dem Kindes- wusste. Die Geburt meines Kindes hat mich in einen wohl dient. Ich freue mich auf die Sachverständigenanhö- Zustand versetzt, den ich am ehesten mit einem rung am 13. Januar 2021. Da werden wir genau diese Schock umschreiben würde; nicht weil ich dieses Fragen und genau diese Problematik im Spannungsver- Kind nicht wollte – im Gegenteil –, sondern weil hältnis dieser drei eruieren, ausloten und hoffentlich eine ich kein Denkschema für das hatte, was uns da neu gute Regelung auf den Weg bringen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25443

Paul Lehrieder (A) Herzlichen Dank. nach Einschätzung des Familiengerichts dem Wohl des (C) Kindes am besten entsprechen. Um Letzteres nachzuwei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sen, sollen sie auf eigene Kosten die Stellungnahme einer ordneten der SPD) interdisziplinären Kommission einholen können. Viele Fragen bleiben dabei aber offen: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Erstens. Viele Eltern, Ärzte und Familienrichter sind Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder. Das war ja phä- nicht allzu oft mit Fragen der geschlechtlichen Vielfalt nomenal; damit haben Sie alle Überziehungen aufge- konfrontiert. Sie sollten eine qualifizierte Beratung erhal- holt. – Als nächster Redner wird der Kollege Dr. Jens ten. Brandenburg, FDP-Fraktion, zu uns sprechen. Zweitens. Auch die Auswahlkriterien der Kommis- (Beifall bei der FDP) sionsmitglieder und auch das Thema der Kostenübernah- men müssen auf den Prüfstand. Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drittens. Auch Folgeschäden und fragwürdige „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“, werden künftige Behandlungen, wie die schmerzhafte Vaginaldehnung Eltern oft schon vor der Geburt gefragt. Für beide Varian- im Kindesalter, müssen in den Fokus dieser Debatte. ten suchen sie sich dann oftmals passende Vornamen aus. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wenn das Kind bei der Geburt dann eben doch nicht ein- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- deutig männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale NEN) hat, ist die Überraschung groß: Wie konnte das passieren? Der heutige Gesetzentwurf lässt viel Luft nach oben, Was erzählen wir unseren Freunden und Nachbarn? Kann aber das gemeinsame Anliegen ist doch richtig. Dass in mein Kind so ein glückliches Leben führen? Deutschland immer noch Kinder operiert werden, nur um Auch für viele Ärzte ist das keine Routine. Allzu oft ihre Geschlechtsteile in eine vermeintliche Norm zu pres- raten sie dann zu operativen Eingriffen, nur um das äuße- sen, ist beschämend. re Erscheinungsbild der Genitalien an die gesellschaft- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem liche Erwartungshaltung anzupassen. Die Unsicherheit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ist groß, der gefühlte Zeitdruck ebenso. Selten gibt es ordneten der SPD) eine ausgewogene Beratung, und am liebsten will man wohl nie wieder darüber sprechen. Stärken wir die Selbstbestimmung der Betroffenen! Das Kind hat dabei keine Mitsprache. Mit irreversiblen Dafür werben wir Freie Demokraten. (B) Operationen wird es vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich freue mich auf die Debatte und wünsche Ihnen (D) Körperlich wie psychisch leiden Betroffene oft ein Leben allen eine schöne Weihnachtszeit. lang. Die Operationen verletzen ihre körperliche Unver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sehrtheit und Selbstbestimmung im intimsten Bereich. der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Sie sollten später selbst entscheiden. Intergeschlechtlich- SES 90/DIE GRÜNEN) keit ist keine Krankheit und keine Störung, und Men- schen sind vielfältig. Kein Kind soll operiert werden, nur um es in eine männliche oder weibliche Schublade Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu stecken! Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brandenburg. – Nächs- te Rednerin ist die Kollegin Doris Achelwilm, Fraktion (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Die Linke. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Fast 2 000 solcher Operationen gibt es ja in Deutsch- land jedes Jahr – oft ohne medizinische Notwendigkeit. Doris Achelwilm (DIE LINKE): Die medizinischen Leitlinien – auch der Deutsche Ethi- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- krat – fordern seit vielen Jahren, dass sie zur medizinisch be Anwesende! In diesen Zeiten ist es wichtig, zu wür- indizierten Ausnahme werden, solange die Betroffenen digen, wenn Gutes passiert. Ein Schutzgesetz für interge- nicht selbst entscheiden können, schlechtliche Neugeborene und Kinder ist etwas Gutes, weil es Menschen, denen erst mal nichts Wesentliches (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der fehlt außer Akzeptanz, davor bewahrt, ohne Einwilligung SPD) körperlich verändert und angepasst zu werden. und trotzdem geht die Zahl der Operationen nicht zurück. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir brauchen endlich ein gesetzliches Verbot dieser men- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schenrechtswidrigen Eingriffe! GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Seit den 50er-Jahren gilt in vielen Ländern die medi- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zinische Praxis, Kinder an den Genitalien zu operieren, SPD) wenn diese nicht eindeutig männlichen oder weiblichen Nach dem Gesetzentwurf der Koalition dürfen die Normvorstellungen entsprechen. Eine Gesundheits- oder Eltern nur noch in genitalverändernde Operationen ihrer lebensbedrohliche Indikation besteht für diese Eingriffe Kinder einwilligen, wenn sie nicht aufschiebbar sind und meistens nicht. Wir sprechen hier von kosmetischen OPs, 25444 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Doris Achelwilm (A) denen die Annahme zugrunde liegt, dass das betroffene Ich freue mich auf die weitere Auseinandersetzung und (C) Kind dem angepassten Geschlecht schon wird folgen wünsche allen frohe Festtage und ein schönes Wochen- können und damit dann vermeintlich besser lebt. Und ende. wir sprechen davon, dass diese Prozeduren absolut nicht harmlos und auch nicht in Ordnung sind, sondern persön- Vielen Dank. lichkeitsverletzende Grundrechtseingriffe. Schluss da- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mit! neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- und der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Konsequenzen dieser Praxis wurden lange Zeit Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der schwer unterschätzt, weil die Betroffenen ja nicht gefragt Kollege Sven Lehmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grü- wurden, sich oft gar nicht zu den Folgen der früheren nen. körperlichen Fremdbestimmung verhalten konnten, mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Erfahrung lebten, irgendwie nicht kommunizierbar zu sein. Die Ignoranz allgemein war wirklich beträcht- lich. Unter anderem Traumata, Verlust geschlechtlicher Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Empfindungsfähigkeit, unnötige Hormonbehandlungen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, waren und sind bis heute der Preis, den die Geschädigten kaum etwas auf dieser Welt ist so starr wie die Aufteilung zahlen – heimlich und oft ohne Hilfe. der Menschheit in männlich und weiblich. Die Selbstvertretungen intergeschlechtlicher Men- (Mechthild Rawert [SPD]: Stimmt leider!) schen leisten hier seit vielen Jahren Aufklärung und treiben Ansprüche und Forderungen voran. Dank insbe- Das beginnt in der Tat, wie Jens Brandenburg das richtig sondere an den Verein Intersexuelle Menschen, die Inter- beschrieben hat, schon vor der Geburt mit der Frage: nationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen, Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Eltern stehen den Bundesverband Trans*, an dgti und viele, viele dann unter großem Druck, wenn sie ein Kind bekommen, mehr, darunter Christian Schenk, der erstmals 2001 in das nicht eindeutig in diese Kategorien passt. Dabei ist da diesem Haus mit der damaligen PDS-Fraktion parlamen- ein kleiner, schutzbedürftiger Mensch, der ein Recht tarische Initiativen zu diesem Thema angeschoben hat. darauf hat, anerkannt zu werden, und zwar ganz genau so, wie er auf diese Welt gekommen ist, liebe Kollegin- (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nen und Kollegen. (D) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Dass die Bundesregierung jetzt ein Schutzgesetz vor- SPD, der FDP und der LINKEN) legt, wird Zeit. Es gibt zwar eine Behandlungsleitlinie von 2016, die Abhilfe schaffen sollte, aber diese Selbst- Eltern wollen in der Regel das Beste für ihr Kind. Ja. regulierung des Gesundheitssystems hat nicht funktio- Sie entscheiden sich für eine Operation an ihrem interge- niert. Wir haben es gehört: Die OPs gingen in einer Größ- schlechtlichen Kind, weil sie es schützen wollen vor Aus- enordnung von etwa 2 000 pro Jahr weiter. grenzung, weil sie alleingelassen und überfordert sind in einer für sie neuen Situation. Aber: Das ist eben nicht Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat nun zum immer die beste Entscheidung für das Kind und für sein Ziel, dass diese nicht nötigen Zwangs-OPs an Inter-Kin- Leben. So wie zum Beispiel bei Lynn. Für das zweijäh- dern fortan unterlassen werden. Das ist sehr klar und sehr rige Kind begann ein Operationsmarathon: Eierstöcke gut. Wenn Entscheidungen über doch notwendige Ein- und Hoden wurden entfernt, der Penis amputiert, künst- griffe zu treffen sind, dann nicht mehr allein zwischen liche Schamlippen angebracht; sieben Operation inner- den Eltern und den Medizinerinnen und Medizinern. halb von zwei Jahren. Lynn wuchs als Mädchen auf und Künftig sollen auch weitere Instanzen über Ausnahmen versuchte verzweifelt, in die für sie vorgesehene Schub- entscheiden. Um Fehler zu vermeiden und spätere lade zu passen. Aber Lynn fühlte sich weder den Mäd- Recherchen von Betroffenen zu gewährleisten, wollen chen noch den Jungs zugehörig. Das Resultat war eine wir, dass alle Behandlungen in einem zentralen Register von Unsicherheiten und Selbstzweifeln geprägte Kind- dokumentiert werden. Die Verlängerung der Aufbewah- heit und Jugend. Lynn sagt heute: Ich hatte das Gefühl, rungsfristen für Akten von Patientinnen und Patienten, ich bin ein Freak, ein Alien, irgendwie wurde ich hier wie wir sie als Linke schon mehrfach in unseren Anträgen abgeworfen über dieser Welt, und ich pass hier nicht rein. gefordert haben, ist nötig für Aufklärung und Nachsorge. All das werden wir in den Ausschüssen noch weiter bere- Mir ist wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute den. Lynn und allen intergeschlechtlichen Menschen zu sagen: Doch, du passt hier rein, du bist richtig, ganz genau so, Für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wie du bist! werden wir als Linke weiter kämpfen, unter anderem mit unserem laufenden Antrag zur Entschädigung der Betrof- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fenen von Inter-OPs und Transsexuellengesetz, der bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- aktuell die Beratung zur Abschaffung des TSG begleitet. ordneten der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25445

Sven Lehmann (A) Knapp 2 000 dieser Operationen gibt es jedes Jahr in beide Geschlechter zu haben; Kinder, die in ihrer Ent- (C) Deutschland. Dieses Leid ist vermeidbar. Nicht die Kin- wicklung stehen und erst mit der Pubertät feststellen, der müssen verändert werden, wir müssen uns ändern, welche Geschlechtlichkeit sie in sich haben. Aber sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind geboren mit dem, was in Deutschland und weltweit sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- das Unausgesprochene ist. Man spricht nicht darüber; KEN) man schämt sich als Eltern vor den Nachbarn, vor den Verwandten, weil man nicht in Blau oder in Rosa in wir müssen lernen, mit der Realität einer Geschlechter- Freude über die Geburt des Kindes sprechen will und vielfalt umzugehen. kann und weil die Gesellschaft diese Frage nicht aner- Wir Grüne fordern schon sehr lange ein Verbot von kennt. medizinisch nicht notwendigen geschlechtszuweisenden Operationen, um diese schweren Menschenrechtsverlet- Die Vereinten Nationen haben in einer Statistik zungen endlich zu beseitigen. Dieses Gesetz darf aber wiedergegeben, dass rund 1,7 Prozent der Bevölkerung keine Schutzlücken haben. Warum schützt der Entwurf mehrgeschlechtlich oder mit unterschiedlichen Ge- der Regierung nur Kinder mit einer sogenannten Variante schlechtsvarianten geboren werden. Ich überlasse es der Geschlechtsentwicklung? Warum gibt es dann weite- Ihnen, die Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutsch- re Einschränkungen dieses Verbotes? Das könnte erneut land auf die 1,7 Prozent herunterzurechnen, und dann dazu führen, dass das Verbot ausgehöhlt wird, wenn zum nehmen wir die 2 000 Operationen, die immer noch Beispiel Ärztinnen und Ärzte behaupten, es läge über- durchgeführt werden. haupt keine solche Variante vor. (Mechthild Rawert [SPD]: Ich habe meinen Wir brauchen ein Schutzgesetz, dass alle Kinder Rechner gar nicht dabei!) rechtssicher schützt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich freue mich ganz außerordentlich, dass die körper- sowie bei Abgeordneten der SPD und der liche Unversehrtheit und das Recht der Kinder mit dem Abg. Doris Achelwilm [DIE LINKE]) Gesetz zum Operationsverbot nunmehr auf einem guten und richtigen Weg ist, bedanke mich ganz herzlich bei ein Gesetz, das Eltern eine fundierte Beratung ermög- dieser Gelegenheit bei unserer Bundesjustizministerin licht. Und wir brauchen zusätzlich einen Fonds zur Ent- und darf mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär, bedanken, schädigung von Inter und Trans, die bis heute unter den dass Sie auch den weiteren Schritt, der notwendig ist, Folgen von medizinisch nicht notwendigen Operationen nämlich, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, leiden. Lassen Sie uns bitte beides mit einer sehr breiten hier so deutlich angesprochen haben. (B) Mehrheit in diesem Bundestag auf den Weg bringen! (D) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Und bleiben Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gesund über die Feiertage! Vielen Dank. Das ist notwendig, um Kindern das Recht in unserer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaft zu ermöglichen, das ihnen zusteht. Kinder sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der können sich in dieser Gesellschaft aber nur dann entwi- SPD und des Abg. Dr. Jens Brandenburg ckeln, wenn sie in ihren Familien, in den Schulen, in den [Rhein-Neckar] [FDP]) Kindergärten, in dieser Gesellschaft auch ihren Platz gefunden haben. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Lehmann. – Vorletzter Red- Dazu ist es erforderlich, dass wir neben einem Gesetz, ner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Karl-Heinz das, wie ich es umschreiben würde, feststellt, dass ein Brunner, SPD-Fraktion. Nein ein Nein sein muss bei der Operation, auch ein gutes Beratungsangebot machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Dazu muss auch gehören, dass in den Schulen beim Sexualkundeunterricht die Kinder bereits lernen, dass es Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): neben dem Männlich und Weiblich auch andere Ausbil- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und dungen der Geschlechtlichkeit gibt. Kollegen! Normalerweise hilft ein Blick ins Grund- gesetz. Wir könnten uns dabei den Artikel 2 Absatz 2 (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, Satz 1 ansehen, in dem es da heißt: der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dazu müssen wir auch die Bundesärztekammer über- „Jeder?“, will ich hier die Frage stellen. In Deutschland, zeugen, dass sie nicht Götter in Weiß sind, die alles vor der Einbringung dieses Gesetzes und bis zum heuti- machen können, gen Tag, nicht jeder: nicht Kinder, die mit unterschied- lichen Ausbildungen der Geschlechtlichkeit geboren (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sind, nicht Kinder, die nicht dem Traum vieler Eltern Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] und und der Gesellschaft entsprechen, männlich oder Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE weiblich zu sein – Kinder, die vielleicht das Glück haben, GRÜNEN]) 25446 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) sondern dazu da sind, den Menschen in ihren Nöten zu Was man in der Statistik auch nachlesen kann, das ist (C) helfen. Ich sage dies nicht nur wegen des Blutspendever- etwas Trauriges: bots, sondern auch wegen der Stellungnahme, die die (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Bundesärztekammer zum Operationsverbot abgegeben Genau gerade voll am Thema vorbei!) hat. Von diesen 53 lebend Geborenen in diesen vier Jahren, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von denen ich jetzt gerade gesprochen habe, sind 9 im Säuglingsalter gestorben. Das sind also sehr schwierige Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Schicksale, über die wir hier reden – zum Glück Einzel- Kommen Sie zum Schluss, bitte. fälle. Und zum Glück betrifft es nur wenige Kinder, die diese vielen Operationen – wenn man das einmal zusam- menrechnet, sind es ja meistens über 20 Operationen – Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): über sich ergehen lassen müssen. Sehr verehrter Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Ich hoffe, dass wir im Rahmen der öffentlichen (Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: 2 000!) Anhörung noch gute Anregungen bekommen, das her- Dennoch haben diese Kinder unsere volle Achtung und vorragende Gesetz zu verbessern, sodass wir am Ende unsere volle Hilfe verdient. des Gesetzgebungsverfahrens so wie bei sexuellem Miss- brauch sagen können: Nein heißt Nein, auch bei Opera- Jedes Schicksal ist anders. Die Bundesärztekammer tionen an Kindern. verweist in ihrer Stellungnahme richtig darauf – ich zitie- re –, Vielen Dank. Einen schönen vierten Advent! dass es medizinisch-wissenschaftlich betrachtet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht „die Intersexualität“ gibt, sondern eine erheb- der FDP und des Abg. Dr. Heribert Hirte liche Bandbreite an Varianten/Störungen der [CDU/CSU]) Geschlechtsentwicklung mit sehr unterschiedlichem Behandlungsbedarf. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Mechthild Rawert [SPD]: „Störungen“ is Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brunner. – Und nun zu nich!) guter Letzt der Kollege Alexander Krauß, CDU/CSU- Fraktion. Ich finde, wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Vorstellung, dass keine Operationen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das Beste sei, ist nicht meine. Es kommt darauf an, was (B) das Beste für das Kind ist. Das kann eine Operation sein; (D) Alexander Krauß (CDU/CSU): es muss keine Operation sein. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Meine sehr geehrten Damen und Herren, vom Referen- ren! Ich möchte gern mit Fakten beginnen: Wie groß ist tenentwurf zum Gesetzentwurf gab es aus meiner Sicht die Gruppe eigentlich, über die wir jetzt sprechen? deutliche Verbesserungen. Ich denke an die interdiszipli- (Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] näre Kommission, die dazugekommen ist. Das ist sehr [DIE LINKE]) gut und macht mich zuversichtlich, dass das Gesetz wei- ter verbessert werden kann. In den weiteren Beratungen Seit einigen Jahren, seit 2016, ist es ja möglich, dass in sollte, finde ich, die Expertise der Bundesärztekammer der Geburtsstatistik erfasst wird, wenn es nicht deutlich und der medizinischen Fachgesellschaften weiter genutzt wird: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Dann wird in werden. Es handelt sich um ganz wichtige Hinweise, die der Geburtsurkunde „divers“ eingetragen. Insofern kann uns von dort gegeben werden. Und ich kann nur die man die Zahlen ganz gut auch bei den Statistischen Lan- Anregung meines Kollegen Lehrieder unterstützen, dass desämtern oder beim Statistischen Bundesamt erfragen. man auch sehr stark den Austausch mit den Eltern suchen Wir hatten 2016 10 Geburten in dieser Kategorie gehabt, muss; denn die Eltern sind die geborenen Anwälte der also nicht pro Tag oder pro Monat, sondern im ganzen Kinder und wollen das Beste für ihr Kind. Deswegen Jahr 10 – bei knapp 800 000 Geborenen. Wir hatten kann man das sehr gut mit den Eltern zusammen machen. 2017 17 Geburten, wir hatten 2018 15 Geburten, wir hatten 2019 11 Geburten, bei denen das Kriterium (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – „divers“ eingetragen wurde. Das ist die ganz saubere Zurufe der Abg. Mechthild Rawert [SPD] und Statistik des Statistischen Bundesamtes, die Sie nachle- Marianne Schieder [SPD]) sen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Grünen haben den Antrag „Entschädigungsfonds für trans- und (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: intergeschlechtliche Menschen“ gestellt. Der Grund- Aber die ist falsch! – Sven Lehmann [BÜND- gedanke bzw. die Grundphilosophie, die dahintersteht, NIS 90/DIE GRÜNEN]: 2016 gab es „divers“ ist nicht meine; das will ich ganz deutlich sagen. Ich noch gar nicht!) persönlich halte nichts davon, dass man sich selbst aus- Das heißt, wir reden über 0,003 Prozent aller Geburten. suchen kann, ob man Mann, Frau oder jemand anderes (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sein möchte. NEN]: Aber nur diejenigen, die es eintragen (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lassen!) NEN]: Meine Güte! Das kann die AfD nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25447

Alexander Krauß (A) schöner sagen! – Norbert Müller [Potsdam] (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Da (C) [DIE LINKE]: Wer soll das denn dann aussu- sitzen nur Typen bei der AfD! – Mechthild chen? – Marianne Schieder [SPD]: Aus wel- Rawert [SPD]: Gender laut AfD ist 100 Prozent cher Mottenkiste habt ihr denn den ausgegra- Mann!) ben?) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Wenn Sie hier wie auch bei Gesetzentwürfen von Ihnen ner dem Kollegen Dr. Marc Jongen, AfD-Fraktion, das vorschlagen, dass jeder 14-jährige pubertierende Jugend- Wort. liche selbst entscheiden soll, ob er Junge oder Mädchen ist, ohne dass seine Eltern mitreden dürfen, dann halte ich (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Vor das für einen absurden Vorschlag. Weihnachten bleibt einem auch nichts erspart!) (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Marc Jongen (AfD): NEN]: Das Verfassungsgericht ist sehr viel Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Hier stock weiter als Sie! – Weitere Zurufe vom BÜND- ich schon“, möchte ich sagen. Denn darf ich Sie wirklich NIS 90/DIE GRÜNEN) als Damen und Herren ansprechen? Aus Sicht der Das entspricht nicht meiner Vorstellung. Das teile ich Genderideologie, über die wir heute reden, ist diese nicht. Grußformel in ihrer kruden Polarität eigentlich beleidi- (Mechthild Rawert [SPD]: Wer soll es denn gend für die wahlweise 30 bis über 60 Geschlechter, die entscheiden?) damit übergangen werden. Wir sind als Mann und Frau geschaffen. Das kann man (Zurufe von der SPD) sich nicht aussuchen. Das ist vorgegeben. Ich finde im Und wenn es nach der Universität Leipzig geht, dann Übrigen auch, dass das gut so ist. Insofern werde ich dem hätte ich eigentlich Herr Präsidentin sagen müssen; Antrag, den Sie gestellt haben, nicht zustimmen. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Keiner redet so (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- viel über Gender wie die AfD-Fraktion!) NEN]: Verfassungsgerichtsurteile!) denn dort werden alle Professoren, ob Mann oder Frau, Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. mittlerweile offiziell als Professorin angesprochen – kein Auch Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest! Witz! Sprache als radikalfeministisches Herrschaftsin- (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten strument, das darf der Staat nicht fördern. Er muss es der CDU/CSU – Sven Lehmann [BÜND- unterbinden, meine Damen und Herren! (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die AfD klatscht (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. (D) mehr als die eigene Fraktion!) Mechthild Rawert [SPD]) Und dieser Irrsinn hat nicht nur die akademische Welt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: voll im Griff. Er hat auf die Gesellschaft, die Medien, das Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Damit schließe staatliche Handeln massiv übergegriffen. Die Autorin ich die Aussprache. J. K. Rowling, bekannt durch die Harry-Potter-Romane, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf hat es kürzlich gewagt, den politisch korrekten Ausdruck den Drucksachen 19/24686 und 19/22214 an die in der „Menschen, die menstruieren“ auf Twitter einfach mit Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. „Frauen“ zu übersetzen. Daraufhin wurde sie als „transp- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist hob“, als „Bitch“, als „Feminazi“ beschimpft. Wenn erkennbar nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorge- dagegen die französische Feministin Pauline Harmange schlagen. ein Buch schreibt mit dem Titel „Ich hasse Männer“, dann nimmt niemand daran Anstoß. Das deutsche Feuilleton Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: sinniert über das Befreiungspotenzial von Hass. Oder Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc Männer als Auslaufmodell der Evolution zu bezeichnen, Jongen, Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, wei- Frauen und mehr noch Androgynität als die Zukunft, wie terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD das Autorinnenduo Welpe und Welpe es tut, das ist völlig normal geworden. Wissenschaft von Ideologie befreien – Förde- rung der Gender-Forschung beenden (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Sie müssen Drucksache 19/25312 einen krassen Minderwertigkeitskomplex haben! Das ist irre!) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Aufschrei gegen Hassrede? Fehlanzeige! Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Zuruf des Abg. René Röspel [SPD]) (Mechthild Rawert [SPD]: Da ist ja schon der Ansatz falsch!) Meine Damen und Herren, dieses verhetzte und ver- giftete Klima, dieser Geschlechterkampf, und zwar nicht Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten so sehr zwischen Männern und Frauen, sondern mehr beschlossen. noch gegen Männer und Frauen, fällt nicht vom Himmel. Können Sie freundlicherweise den Platzwechsel zügig Er geht auf Ideen zurück, die zuerst an Universitäten aus- vornehmen? gebrütet wurden, 25448 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Marc Jongen (A) (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Frauen in den Bereich des Unterdrückerischen und (C) Abseitigen rücken, für das man sich eigentlich schämen und zwar im Rahmen der sogenannten Gender Studies, sollte. und deshalb ist es hoch an der Zeit, dass der Staat seine massive Förderung für diese unwissenschaftliche Ideolo- (Widerspruch bei der SPD – Zurufe von der gie einstellt. LINKEN) (Beifall bei der AfD – Mechthild Rawert Schon die Kleinsten im Kindergarten sollen an ihrer [SPD]: Ich bleibe dabei: Es ist Befreiung!) geschlechtlichen Identität irre gemacht werden. Ein rigi- des Sprachsystem soll das Sprechen und Denken der Und da Herr Röspel, SPD, an dieser Stelle kürzlich Menschen gendergerecht machen. behauptet hat, die AfD wolle die Genderforschung ver- bieten: Das war eine Falschbehauptung wider besseres Ich möchte mitnichten der Intoleranz gegenüber Wissen, sprich eine Lüge. Wir wollen alle staatlichen Lebensweisen das Wort reden, die von der traditionellen Fehlanreize beseitigen, Familie abweichen. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Mechthild Rawert [SPD]: Hört sich so an!) wie etwa das Professorinnenprogramm, damit die Uni- Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Aber darum versitäten wieder zu einer rationalen Erwägung zurück- geht es längst nicht mehr. Die feministische Juristin kehren, wie viel Raum sie dieser Ideologie wirklich Susanne Baer, 2011 auf Vorschlag von SPD und Grünen geben wollen. Das ist unser Antrag. zur Bundesverfassungsrichterin berufen, Weit über 200 Gender-Professuren gibt es bereits in (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ Deutschland, DIE GRÜNEN]) (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) formulierte 2003 mit Blick auf geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – ich zitiere –: gegenüber 190 für Pharmazie oder 120 für alte Sprachen. Das zeigt schon, von welcher Fehlallokation von For- Für die Rechtspolitik bedeutet das, Wahlfreiheit zu schungsmitteln wir hier reden. Und wo sollen die vielen ermöglichen und Entscheidungen mit diskriminier- Tausend Absolventen dieser Studienrichtungen eigent- ender Wirkung, die frei getroffen werden, zu ver- lich Arbeit finden? Doch nur als Gleichstellungsbeauf- bieten. tragte in Universitäten, Behörden und großen Unterneh- Ich komme zum Schluss. Man ist also so lange frei, wie men. man mit der Genderdoktrin konform geht. Wenn nicht, (B) (Mechthild Rawert [SPD]: Beim Deutschen begegnet man der härtesten Intoleranz. Diese Mentalität, (D) Bundestag!) die mittlerweile an oberster Stelle Recht spricht in Deutschland, darf nicht länger an den Universitäten Sie decken dort einen Bedarf, der rein künstlich erzeugt gefördert werden. Machen wir die Genderforschung wurde, auf Druck aggressiver Lobbygruppen, von einer zum Auslaufmodell! willfährigen Verwaltung in vorauseilendem Gehorsam implementiert. Vielen Dank. (Lachen der Abg. Mechthild Rawert [SPD] und (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – NIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie das Bun- Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: desverfassungsgericht in Ruhe! Sie sollten sich Wow! Fünf Verschwörungstheorien in einem schämen! Demokratiezersetzer!) Satz!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zu jeder Wissenschaft, meine Damen und Herren, gehören Neugier gegenüber ihrem Forschungsgegen- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang stand und eine prinzipielle Ergebnisoffenheit, also die Stefinger, CDU/CSU-Fraktion. Bereitschaft, Irrtümer zu korrigieren und Theorien von (Beifall bei der CDU/CSU) der Realität falsifizieren zu lassen. Das Gegenteil ist der Fall in der Genderforschung: Wer das Dogma nicht Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): akzeptiert, dass das Geschlecht, dass Gender eine soziale Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Konstruktion sei, völlig unabhängig vom biologischen Kollegen! Wenn man sich den Antrag der AfD, den wir Geschlecht, der wird als „Biologist“ mundtot gemacht heute Abend beraten, durchliest, könnte man durchaus oder als „Angreifer“ diffamiert. meinen, die Genderforschung sei aus Langeweile ent- Und die Genderforschung will auch gar keine neutrale standen, weil man nicht gewusst hat, was man noch objektive Wissenschaft sein. Sie versteht sich explizit als machen soll. So ist es natürlich nicht. Es gehört schon akademischer Arm der LGBTQ-Lobby, also der sexuel- dazu, dass wir uns auch kritisch mit der Entstehungsge- len Minderheiten. schichte dieser Forschungsrichtung auseinandersetzen. Da müssen wir einfach in die Historie blicken, nämlich (Mechthild Rawert [SPD]: LGBTQI!) in die Geschichte einer langen Zeit von Diskriminierung Sie will die angeblich patriarchale Wissenschaft sowie oder Unterdrückung, und uns auch das Thema „Macht- heteronormative Einstellungen dekonstruieren, also hete- verhältnisse und sich wandelnde Wertvorstellungen in rosexuelle Normalbeziehungen zwischen Männern und der Gesellschaft“ anschauen. Berücksichtigt man diesen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25449

Dr. Wolfgang Stefinger (A) historischen Kontext, dann kommt man einfach zu einem sage Ihnen eines: Doch, man darf in Deutschland alles (C) anderen, zu einem differenzierteren Urteil als Sie in sagen! Und wissen Sie, warum? Weil wir nämlich Mei- Ihrem Antrag; denn dieser ist wie immer undifferenziert nungsfreiheit haben! Sie können sich als Abgeordnete und pauschal. hier an dieses Rednerpult hinstellen und jeglichen Blöd- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. sinn erzählen, was Sie ja regelmäßig tun. Und was pas- Dr. Wiebke Esdar [SPD] und Kai Gehring siert Ihnen? Nichts! Jeder kann sich in Deutschland auf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die Straße stellen, kann demonstrieren, kann seine Mei- nung sagen und sogar laut brüllen. Wird er dafür einge- Selbstverständlich darf man einen Diskurs führen. sperrt? Nein! Gott sei Dank wird er das nicht, weil wir Ganz selbstverständlich kann man auch Thesen der Meinungsfreiheit in Deutschland haben. Genderforschung kritisieren; das ist möglich. Das ist im Übrigen genauso in diesem Bereich möglich, wie es in (Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) vielen anderen Forschungsbereichen möglich ist, dass Deswegen ist es wirklich eine Ironie, dass ausgerech- man kritisieren kann. Und wissen Sie, warum es möglich net Sie von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit spre- ist? Weil wir nämlich in Deutschland Meinungsfreiheit chen und beides auch verteidigen wollen. und auch Wissenschaftsfreiheit haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- sowie bei Abgeordneten der FDP) ordneten der FDP und der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Ich darf mal an die ganzen Debatten erinnern, die wir hier im Hause führen, zum Thema Corona beispielsweise. Es Deshalb ist es ja geradezu lächerlich, wenn sich hier nimmt Ihnen doch keiner ab, dass Sie die Wissenschafts- die AfD-Fraktion dazu aufschwingt, die Wissenschafts- freiheit verteidigen wollen, freiheit zu verteidigen, oder gar fordert, die Wissen- schaftsfreiheit wiederherzustellen. (Enrico Komning [AfD]: Reden Sie doch mal zur Sache! Zur Sache, Herr Kollege!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) wenn Sie gleichzeitig die Wissenschaftler diskreditieren, die andere Beschlüsse oder Erkenntnisse haben als Sie Gerade Sie sollten nämlich den Begriff der Freiheit schon und als die, die Ihnen in den Kram passen. noch mal überprüfen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Zurufe von der AfD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (B) Denn was heißt denn „Freiheit“ bei der AfD? „Freiheit“ ordneten der FDP und der LINKEN – Zuruf des (D) heißt bei der AfD nämlich, frei gewählte Abgeordnete des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD]) Deutschen Bundestages zu bedrängen; so schaut nämlich Sie wollen keine freie Wissenschaft; Sie wollen eine Wis- bei Ihnen die Freiheit aus. senschaft, die Ihrer Ideologie nützt. Das ist alles, was Sie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- wollen. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- sowie bei Abgeordneten der FDP – Enrico KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Komning [AfD]: Schreien Sie doch nicht so!) Oder „Freiheit“ bedeutet bei der AfD darüber hinaus, Und wenn Sie hier anfangen, mit Belegen und Zahlen Fake News zu verbreiten, wie aktuell wieder geschehen. zu operieren: 213 Lehrstühle für den Bereich Gender – viel zu viel! –; nur 195 für Pharmazie und 147 für Zahn- (Enrico Komning [AfD]: Kommen Sie doch medizin. Ja haben Sie nicht noch ein paar Bereiche gefun- mal zur Sache!) den, wo wir vielleicht weniger gehabt hätten? Dann Da werden Bilder gepostet vom letzten Jahr, wo unsere komme ich nämlich mal mit Vergleichszahlen: 5 850 Ministerpräsidenten zusammenstehen beim Glühwein, Lehrstühle im Bereich Rechtswissenschaften, Wirt- und es wird behauptet, es sei dieses Jahr gewesen, schaftswissenschaften und Sozialwissenschaften, 5 575 in Mathematik und Naturwissenschaften, 3 447 im Be- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE reich der Medizin. Merken Sie was? Ihr Vergleich ist GRÜNEN]: Pfui!) echt lächerlich! und es wird behauptet, die Ministerpräsidenten würden (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- ihre eigenen Beschlüsse nicht einhalten. Das hat mit Frei- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heit nichts zu tun, sondern das ist eine Frechheit, die Sie sowie bei Abgeordneten der FDP) hier abliefern. Und dann gendern Sie selber noch Ihren Antrag; das ist (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, ja das Aberwitzigste! Das muss man auch mal dazusagen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, „Freiheit“ bedeutet bei Ihnen nämlich außerdem, die der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- freie Presse als „Lügenpresse“ zu bezeichnen, wenn über NEN) Fakten berichtet wird, die Ihnen halt nicht in den Kram Aber, Herr Präsident, weil Weihnachten kommt, möch- passen. Sie und Ihre Anhänger behaupten regelmäßig, te ich versöhnlich schließen: Wissen Sie, Meinungsfrei- man dürfe in Deutschland ja nicht mehr alles sagen. Ich heit und auch Wissenschaftsfreiheit heißt, auch andere 25450 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Wolfgang Stefinger (A) Meinungen auszuhalten. Ja, man darf widersprechen; das Viele Fragen sind offen: Wie wirkt sich Geschlecht auf (C) gehört zur Meinungsfreiheit nämlich dazu; das ist sogar Privilegien und auf Diskriminierung aus? Wie viel der Grundgedanke der Meinungsfreiheit. Aber man muss Impact haben „Sex“ und „Gender“ bei klinischen Stu- auch anerkennen, dass, wenn die eigene Meinung nicht dien, bei Crashtests, bei künstlicher Intelligenz? Welchen umgesetzt wird, dann die Mehrheit wohl eine andere Einfluss hat die Religion auf die Rollen von Frauen und Meinung hatte. von Männern? Welche Rolle spielt Mixed Leadership bei unternehmerischem Erfolg und bei Innovation? Hochgra- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Bei der Gender- dig politikrelevant für die Frage, wie Deutschland Viel- ideologie, da wäre ich mir nicht so sicher!) falt fördert und Barrieren beseitigt! Das ist in einer Demokratie so, und das ist auch gut so. Spiegelbildlich auch bei der Beseitigung von Benach- Frohe Weihnachten! teiligung von Männern. Ist es zum Beispiel richtig, wenn (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Familiengerichte im Streitfall das Sorgerecht viermal BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- häufiger den Müttern zusprechen? ordneten der LINKEN und der FDP – Ulli Herr Jongen, Ihr Doktorvater Peter Sloterdijk Nissen [SPD]: Schöne Rede, Herr Kollege! – Gegenruf der Abg. Ulle Schauws [BÜND- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hätte nichts ande- Oh mein Gott!) res erwartet!) billigt Ihnen ja eine gewisse philosophische Bildung zu – allerdings mit falschen Zitaten, wie er sagt. Diese Bil- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dung endet offenkundig bei Erkenntnissen über Wissen- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stefinger. – Nächster schaftsevolution. Redner ist der Kollege Dr. Thomas Sattelberger, FDP- Fraktion. „Ich bitte um keine Gefälligkeiten für mein Ge- schlecht“, hat die jüngst verstorbene US-Verfassungs- (Beifall bei der FDP) richterin Ruth Bader Ginsburg 1973 gesagt. Und: „Alles, was ich von unseren Brüdern verlange, ist, dass sie ihre Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): Stiefel aus unseren Nacken nehmen.“ Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN AfD ist Genderforschung keine Wissenschaft. Ich möchte und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Antragstellern erläutern, warum sie irren. bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) 1935 hat der Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck die (D) Entstehung einer Disziplin skizziert: Die Uridee entwi- Herr Jongen, möge die AfD mit ihren Stiefeln nicht nur ckelt sich zum Gedankenbrei, der sich evolutionär zur der Genderforschung, sondern keiner einzigen Wissen- Wissenschaft präzisiert. Im Umkehrschluss: Irriges ist schaft jemals zu nahe treten können. der Zwilling von Uridee. Wer Skurriles, unsinnig Frohe Weihnacht! Erscheinendes von vorneherein ausschließt, negiert vor allem sich evolutionär entwickelnde Forschung. (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Bei Geistes- wie bei Naturwissenschaften mendelt sich bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Götz Irriges und Absurdes heraus, auch bei der Genderfor- Frömming [AfD]: Oh, oh! Jetzt können Sie schung. Dummes verschwindet – wie ein identitätspoliti- den Stahlhelm wieder absetzen! – Martin scher Privilegiencheck oder Männer und Frauen als opti- Hohmann [AfD]: Das war eine angsterfüllte sche Täuschung. Rede, Herr Sattelberger! – Gegenruf des Abg. Präziser als Deutsch ist manchmal das Englische. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Ach, „Sex“ steht hier für das biologische Geschlecht, „Gen- Angst!) der“ für das soziale. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: GRÜNEN]: Ja!) Vielen Dank, Herr Dr. Sattelberger. – Nächste Redne- rin ist die Kollegin Dr. Wiebke Esdar, SPD-Fraktion. „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ – Simone de Beauvoir, 1949. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Hartmut Ebbing [FDP] und Nicole Dr. Wiebke Esdar (SPD): Gohlke [DIE LINKE] und Dr. Franziska Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es mag Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) vielleicht Zufall sein, dass in der Debatte über Geschlech- Aus dieser spannenden These entstand eine Wissen- terforschung, die wir gerade führen, erst an vierter Stelle schaft. Gut so! die erste Frau redet. Dass in den Reihen der AfD nicht eine einzige Frau derzeit zu finden ist, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Götz Frömming [AfD]: Woher wissen Sie GRÜNEN) denn das?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25451

Dr. Wiebke Esdar (A) ist, glaube ich, kein Zufall, sondern auch schon der erste dass sich anhand von Körperorganen oder Hormonen (C) Offenbarungseid über das Problem, das die AfD mit ableiten lässt, was wir sind, dass wir so determiniert Frauen hat. sind, sondern es geht darum, dass wir soziale Wesen sind, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Dr. Götz Frömming [AfD]: Auch!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- dass wir durch die Erfahrungen, durch die Umwelt, die ordneten der FDP) Umgebung, in der wir leben, geprägt werden und dass es Der Antrag, der uns heute vorliegt, ist aber, wenn man darum auch entscheidend ist, in welcher sozialen Umwelt ihn genau liest, ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. wir aufwachsen. Ich will da gerne meinen Kollegen René Röspel, der das (Dr. Marc Jongen [AfD]: Auch, aber nicht nur!) in einer der vorherigen Debatten bereits ausgeführt hat, noch mal konkretisieren. Denn Sie legen die Axt an die Warum verdienen denn Frauen europaweit immer noch Wissenschaftsfreiheit, indem Sie die Genderforschung 16 Prozent weniger als Männer, obwohl sie gleiche Beru- abschaffen wollen. fe ausüben? Der erste Schritt, den Sie hier ganz präzise beschrei- (Mechthild Rawert [SPD]: Der Stiefel im ben, ist der Schritt, dass Sie die finanzielle Förderung Nacken! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Weil abschaffen wollen. Aber der Blick in die anderen europä- sie häufiger Teilzeit arbeiten!) ischen Länder und auf das, was Ihre Brüder im Geiste, Wie kann der Staat besser vor häuslicher Gewalt, unter andere rechtsextreme Parteien, dort durchführen, lässt der vor allem Frauen leiden, schützen? Die Geschlechter- offenbar werden, was das einzige Ziel ist, nämlich mittel- forschung stellt diese Fragen und findet darauf die rich- fristig die Geschlechterforschung ganz zu verbieten. tigen Antworten. Die Geschlechterforschung kann auch (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau darum Leben retten, indem sie aufzeigt, dass bei medizinischen geht es! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Und Untersuchungen nicht vernachlässigt werden darf, dass was ist mit Norwegen? Kein Wort zu Norwe- beispielsweise bei Schlaganfällen oder bei Herzinfarkten gen!) die Symptome bei Frauen anders sind. In der medizin- ischen Forschung besteht weiterhin eine Benachteiligung Der Blick dazu nach Ungarn zeigt ganz konkret, wie von Frauen, die Regierung Einfluss genommen hat auf Wissen- schaftsfreiheit und alle Studiengänge zur Geschlechter- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ forschung verboten hat. Die Folgen für Ungarn sind ver- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der heerend, weil viele junge, gut ausgebildete Ungarinnen LINKEN) (B) und Ungarn deswegen das Land verlassen, aber vor weil diese Phänomene in Studien nicht intensiv unter- (D) allem, weil viele junge Menschen oder auch Menschen sucht werden. jeden Alters enorm in der Ausgestaltung ihres Lebens eingeschränkt werden. Ihre Forderung hat zum Ziel, (Dr. Götz Frömming [AfD]: Hat niemand was Frauen zu missbrauchen, sie an den Herd zu drängen, dagegen!) sie auf die Rolle der Frau und Mutter zu reduzieren. Für Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wer so wie Sie uns als SPD ist ganz klar: Das ist mit uns nicht zu die Geschlechterforschung abschaffen will, der stellt da- machen. Wir stehen für die Gleichberechtigung aller mit die Geistes- und die Sozialwissenschaften in Gänze Lebensentwürfe. infrage. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Dr. Götz Frömming [AfD]: Nein, gerade bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nicht!) GRÜNEN – Martin Hohmann [AfD]: Völliger Und das, meine Damen und Herren, ist mit der SPD nicht Quatsch!) zu machen. Warum ist Geschlechterforschung wichtig? Die (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Geschlechterforschung hilft, zu erkennen, dass die zent- Dr. Marc Jongen [AfD]: Das ist doch ralen Unterscheidungsmerkmale der Menschen beweg- Quatsch!) lich sind, dass wir keine hormongesteuerten Wesen sind, so wie Sie zu behaupten versuchen, indem Sie in Darum freue ich mich, dass wir den Förderschwer- der scheinbar wissenschaftlichen Abhandlung in der Ein- punkt „Innovative Frauen im Fokus“ in den nächsten leitung Ihres Antrags biologistisch argumentieren. sechs Jahren mit 41 Millionen Euro unterstützen (Mechthild Rawert [SPD]: Auch die Männer (Ulli Nissen [SPD]: Super!) sind hormongesteuert!) und damit bis zu 90 Forschungsvorhaben fördern, die Meine Damen und Herren, ich dachte, die Zeiten bio- zum Ziel haben, Frauen in den Fokus zu stellen, Wissen- logistischer Argumentationen hätten wir mit dem dunkel- schaftlerinnen, deren wissenschaftliche Leistung, deren sten Kapitel unserer Geschichte überwunden. Innovationen immer noch weniger sichtbar sind als das, was von Männern erforscht und geleistet wird. Das för- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) dern wir als Große Koalition explizit und holen damit Es geht in der Geschlechterforschung nämlich eben Frauen aus dem Schatten heraus und machen sichtbarer, nicht darum, dass wir hormongesteuerte Wesen sind, welchen Beitrag sie leisten. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Auch!) (Beifall bei der SPD) 25452 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Wiebke Esdar (A) Ich freue mich auch ganz allgemein, dass an so vielen Immer dann, wirklich immer dann, wenn ansonsten gar (C) Standorten – Sie haben ja die Zahlen rausgesucht – Gen- nichts mehr zusammengeht bei Ihnen, weil Sie sich intern der Studies zu studieren sind, so wie bei mir zu Hause an mal wieder völlig zerlegen, wie Sie es ja gerade wieder der Universität Bielefeld, dass es dort Forschungsinsti- vor drei Wochen auf Ihrem Parteitag getan haben, weil tute gibt wie beispielsweise das Interdisziplinäre Zentrum die AfD nämlich bei den wirklich wichtigen Fragen unse- für Geschlechterforschung und dass all diese Menschen, rer Gesellschaft, bei Fragen wie steigenden Mieten, sink- die das studieren und daran forschen, morgen den Wis- enden Renten senschaftstag Geschlechterforschung begehen. Unter #4genderstudies werden Sie verfolgen können, was dort (Dr. Götz Frömming [AfD]: Ist Gender nicht erarbeitet wird. Ich wünsche allen Akteurinnen und wichtig?) Akteuren morgen ein gutes Gelingen, einen erfolgreichen gar keine Antworten hat, muss der Hass auf andere oder Tag. Und: Sie können sich gewiss sein: Wir lassen Sie in auf Minderheiten herhalten aller Freiheit forschen und lehren; aber wenn es um die politische Interpretation Ihrer Ergebnisse geht, dann (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- haben Sie die SPD an Ihrer Seite. neten der SPD) Danke schön. als inszeniertes Zusammengehörigkeitsgefühl und Binde- mittel Ihrer Partei. Das ist einfach nur billig und absolut (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai erbärmlich. Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Marc Jongen [AfD]: Alles bestätigt! Dan- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ke!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Götz Frömming [AfD]: Ist Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gleichberechtigung nicht wichtig?) Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Esdar. – Nächste Red- Der Antifeminismus gehört wie der Rassismus zur nerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke. DNA der extremen Rechten. Entstanden ist er als Reak- tion auf die politische Idee von gleichen Rechten und als (Beifall bei der LINKEN) Abwehr der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, und er ist der Bruder im Geiste von Nationalismus, Antisemitis- Nicole Gohlke (DIE LINKE): mus und Faschismus. Von Deutschnationalen wurde Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die AfD damals gehetzt, dass Frauenbewegung, Sozialdemokratie legt uns einen Antrag vor mit dem Ziel, die Geschlechter- und Judentum miteinander verwandt seien. Die National- (B) forschung in der Wissenschaft, die Gender Studies, finan- sozialisten behaupteten, Frauenemanzipation sei nur ein (D) ziell auszutrocknen und so zum Erliegen zu bringen. vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort; deutsche Frauen bräuchten sich nicht zu emanzipieren. Von diesem (Siegbert Droese [AfD]: Sehr richtig!) menschenverachtenden Mist, von diesem Mist hat sich Inmitten der vielen zähen Kämpfe um Gleichberechti- die AfD keinen Millimeter entfernt. gung, für gleiche Rechte von Frauen, (Dr. Götz Frömming [AfD]: Sie reden einen (Dr. Götz Frömming [AfD]: Hat damit gar Unsinn, das geht auf keine Kuhhaut!) nichts zu tun!) Das ist die Wahrheit, und das stellen Sie hier gerade will die AfD das Rad der Zeit wieder zurückdrehen und wieder unter Beweis. verhindern, dass Wissenschaft sich im Dienst von Plura- lität und Gleichberechtigung versteht. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Niemand hat was SES 90/DIE GRÜNEN) gegen Gleichberechtigung!) Und Sie reihen sich im Übrigen nicht nur ein in die Das ist angesichts des ergrauten und durchweg männli- Frauenverachtung dieser alten Nazis. Sie sind auch Stich- chen Bildes, das die AfD-Fraktion da abgibt, natürlich wortgeber der rechtsterroristischen Attentäter von heute. auch wenig verwunderlich. Breivik zum Beispiel, der Attentäter von Oslo, fantasierte von einer Kriegsführung gegen den europäischen Mann. Die Wahrheit ist aber, dass der Antifeminismus, mit Das ist die Gesellschaft, in der Sie sich befinden; dafür dem Sie heute daherkommen – es geht nämlich hier um sollten Sie sich schämen. Antifeminismus –, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie Mechthild Rawert [SPD]: Ja!) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Sie genauso wie Ihr Rassismus, das einzig wirklich Verbin- sind an den Stalinismus-Toten auch schuld! dende ist in Ihrer extrem rechten Seilschaft. Millionen Opfer des Kommunismus!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dann tun Sie auch noch so, als würde es Ihnen hier um neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Wissenschaft gehen. Ganz ehrlich: Das ist wirklich lach- GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Jetzt haft, wenn Sie damit daherkommen – eine Fraktion, die wird es auch noch persönlich!) jeden Tag in der Coronakrise beweist, dass sie weder auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25453

Nicole Gohlke (A) dem Boden der Aufklärung noch dem der Wissenschaft der mit seiner Missachtung der Grundrechte die EU (C) steht, sondern dass sie sich gemeinmacht mit Verschwö- lahmlegte. Wir sagen: So nicht! rungsmythen und Fake News. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und bei der SPD und der LINKEN) der SPD) Sie behaupten, es gebe über 200 Professuren der Niemand nimmt Ihnen das Anliegen einer ernstzunehm- Geschlechterforschung in Deutschland. Ich sage nur: enden Wissenschaftskritik ab. Sie sitzen im Glashaus. Schön wär’s! Die allermeisten dieser Professuren tragen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- „Geschlecht“ im Titel. In Wahrheit sind es Lehrstühle für neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Literaturwissenschaft, Medizin oder Rechtswissenschaft. GRÜNEN) Viele dieser Professuren sind in Wahrheit befristet oder gerade unbesetzt. Einige der von Ihnen attackierten deut- Wenn Sie davon reden, die Wissenschaft – angeblich – schen Lehrstühle befinden sich in Wahrheit in Wien, von Ideologie befreien zu wollen, dann geht es Ihnen in Salzburg oder Basel. Kaufen Sie sich mal eine aktuelle Wahrheit um die Abwehr und das Mundtotmachen ande- Deutschlandkarte! Hören sie auf, das Plenum mit so rer Standpunkte als Ihres eigenen. einem Kokolores zu belasten! (Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir wollen nicht zurück in die DDR!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- Was Sie hier aufführen, ist die pure Demagogie; aber das ordneten der CDU/CSU und der FDP) durchschauen wir. Ihre Mission würde unserer exzellenten Forschungs- Vielen Dank. landschaft massiv schaden. Mitten in der Pandemie wol- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem len Sie Gesundheitsforschung stoppen, wenn diese BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geschlechteraspekte untersucht. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Nächster Red- Geht’s noch? Die Menschheit weiß, dass Krankheits- ner ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. symptome und Nebenwirkungen von Medikamenten bei den Geschlechtern sehr unterschiedlich ausfallen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gute Wissenschaft muss hier biologische und soziale Faktoren untersuchen. (B) (D) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die AfD-Fraktion wäre ein super Forschungsobjekt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Warum verharmlosen rechte Männerbünde die Corona- Welt durchleidet eine Jahrhundertpandemie. Alle blicken pandemie? – Das beschäftigt uns doch alle. auf Wissenschaft und ihre Erkenntnisse. Und was hat die AfD beizutragen? Nichts! Nichts, außer Zerstörerisches. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- ordneten der CDU/CSU) KEN) Wir debattieren verstärkt, wer Sorgearbeit, Kinder- Ihr Antrag ist ein Generalangriff auf Forschungsfreiheit. und Altenbetreuung leistet. Das sind vor allem Frauen, Wir schützen die Wissenschaft vor Ihren Attacken. während Männer in der Chefetage unter sich bleiben. Genderforschung untersucht solche Themen und setzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie auf die Agenda. Ihre Erkenntnisse machen Geschlech- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten tergerechtigkeit besser möglich. Morgen mehr dazu unter der SPD) #4genderstudies. Danke Gender Studies! Sie haben Angst vor Wissenschaftsfreiheit; denn For- scherinnen und Forscher und Denkerinnen und Denker (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dekonstruieren die AfD als das, was Sie sind: Wissen- bei der SPD und der LINKEN) schaftsfeinde und Antifeministen. Darum haben Sie Wer ernsthaft über Geschlechterforschung sprechen Angst vor kritischem Denken. mag, mit uns Grünen immer gerne! Unsere Wissen- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schaftssenatorin Katharina Fegebank hat beim Wissen- schaftsrat angeregt, eine Strukturbegutachtung der Gen- Darum will die AfD die Klimaforschung auf null zusam- der Studies durchzuführen. menstreichen. Darum wollen Sie Geisteswissenschaften zertrümmern. Darum verklagen Sie Forschungsinstitute, deren Erkenntnisse Ihnen nicht passen. Jetzt soll die Axt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mal wieder an die Genderforschung gelegt werden. Da- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. mit folgt die AfD – Trump spielt ja keine Rolle mehr – ihrem großen Vorbild Viktor Orban, Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir brauchen kein Ich freue mich auf die Ergebnisse und Impulse für Vorbild!) nachhaltige Stärkung dieser Forschung. 25454 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Kai Gehring (A) Letzter Satz an die Wissenschaftsfeinde und Gender- gerade in diesen Zeiten, statistisch belegbar, besonders (C) feinde rechts außen: Kommen Sie klar, dass es mehr gibt von der Krise betroffen ist. Und auch die wissenschaft- als Mann, Mann, Mann und Frau. lichen Erkenntnisse bei der Unterscheidung im bio- logischen Geschlecht scheinen mir im wahrsten Sinne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, des Wortes lebensnotwendig. Denn der wesentliche Ein- bei der SPD und der LINKEN – Dr. Götz fluss des biologischen Geschlechts auf die Gesundheit ist Frömming [AfD]: Sie haben so oft „Mann“ ge- mittlerweile gut untersucht und belegt. Wir wissen, dass sagt und nur einmal „Frau“! Was sehen Sie sich Symptome bei einzelnen Erkrankungen nach denn da? – Gegenruf des Abg. Kai Gehring Geschlechtern unterscheiden – die Kollegen haben es [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gucken eben angesprochen –, zum Beispiel bei einem Schlagan- Sie sich einmal Ihre Geschlechterverhältnisse fall. an! Wo ist eigentlich Frau von Storch? – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Dr. Götz Frömming [AfD]: Darum geht es GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die doch gar nicht!) fehlt uns nicht! – Weitere Zurufe) Wenn wir also einen Beitrag zur Verbesserung der Ver- sorgungsqualität, der Versorgungseffizienz, der Patien- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tensicherheit und der Patientenorientierung leisten wol- Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Letzte Rednerin len, dann müssen wir geschlechtssensible Forschung, wie zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sybille beispielsweise in der Medizin, fördern. Benning, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen mehr Erkenntnisse zu frauenspezifischen und männerspezifischen Krankheiten, um die Versor- Sybille Benning (CDU/CSU): gungspraktiken entsprechend anzupassen und zu stärken. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und (Beifall des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD]) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insbesondere in dieser Zeit der Pandemie wird uns immer wieder vor Meine Damen und Herren, trotz all der politischen Augen geführt, warum der wissenschaftliche Blick auf Forderungen, die wir haben mögen, möchte ich deutlich die Rolle der Geschlechter wichtig ist. Krisen verstärken betonen, dass Artikel 5 unseres Grundgesetzes die Frei- alle existierenden Ungleichheiten. UN Women beschreibt heit der Wissenschaft und Forschung gewährleistet. die Coronakrise daher auch bewusst als eine Krise der Einen Eingriff durch den sogenannten Stopp des Gender- Frauen. wahns, wie ihn die AfD oft und gerne propagiert, halte (B) ich für eine unnötige, wenn nicht sogar gefährliche Unter- (D) In allen Gesellschaften – Deutschland und Europa ein- sagung der Wissenschaftsfreiheit. geschlossen – zählen Frauen zu den Menschen, die auf- grund ihrer gesellschaftlichen Rollen besonders hart von (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP den Folgen dieser Pandemie betroffen sind. Weltweit sind und der LINKEN) 70 Prozent des Personals in Sozial- und Pflegeberufen Wir hingegen können dank belegbarer Erkenntnisse Frauen. Unbezahlte Care-Arbeit leisten Frauen durch- mit den bereits vorhandenen Förderprogrammen des schnittlich dreimal so viel wie Männer. Die Sektoren, in Bundes eine Grundlage schaffen, damit geschlechtsspe- denen vermehrt Frauen arbeiten, kämpfen in dieser Zeit zifische Unterschiede in der Forschung, der Versorgung, mit enormen wirtschaftlichen Herausforderungen. Es der Prävention, der Gesundheitsförderung und in den sind vor allen Dingen der Einzelhandel, das Gastgewerbe Curricula besser berücksichtigt werden. und der Tourismus. Gleichzeitig sind es in der Überzahl Frauen – Kassiererinnen, Krankenschwestern, Altenpfle- Wenn das Geschlecht also als eine Dimension von gerinnen –, die in den so oft gelobten systemrelevanten Forschung berücksichtigt wird, können Forschungser- Berufen tätig sind. Ohne sie würde in der gegenwärtigen gebnisse in ihrer Aussagekraft, Anwendbarkeit und Krise nichts laufen. Sie sind diejenigen, die den Laden Nachhaltigkeit präzisiert werden. – Verstanden? zusammenhalten und sich dafür tagtäglich den Infek- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der tionsgefahren aussetzen. SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- Krisen treffen eben nicht alle gleich. Sie treffen Indust- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming rienationen anders als sogenannte Entwicklungsländer. [AfD]: Ja!) Sie treffen internetbasierte Unternehmen anders als den Dieses hilft auch den Entscheidungsträgerinnen und traditionellen, stationären Einzelhandel. Und: Krisen Entscheidungsträgern in diesem Land, Lebensrealitäten, treffen eben auch Männer und Frauen unterschiedlich Bedürfnisse und Interessen von Bürgerinnen und Bürgern und sind daher nicht geschlechtsneutral. genauer analysieren und nachvollziehen zu können, um Um diesen auf Gender basierten Ungleichheiten und Entscheidungen so zu treffen, dass sie der gesamten Ungerechtigkeiten politisch entgegenzuwirken, bedarf es Gesellschaft, unabhängig vom Geschlecht, den besten einer Forschung, die sich datenbasiert auf die soziale und Nutzen bringen. Daher fördert das BMBF zu Recht gesellschaftliche Dimension von Geschlecht konzen- gendersensible Studien in der Präventions- und Versor- triert. Geschlechterspezifische Forschung bezieht sich gungsforschung. also nicht nur auf das biologische, sondern auch auf das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem soziale und gesellschaftliche Geschlecht, wovon eines BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25455

Sybille Benning (A) ordneten der LINKEN – Kai Gehring [BÜND- Ich sage herzlichen Dank und wünsche Ihnen auch (C) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch zu wenig!) frohe Weihnachten. Liebe interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer, mit dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Professorinnenprogramm wollen Bund und Länder die neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- Anzahl von Professorinnen an Hochschulen insgesamt NISSES 90/DIE GRÜNEN) weiter erhöhen. Eine Einschränkung der Fächergruppen wird daher nicht vorgenommen. Das Ziel bleibt ein aus- gewogenes Geschlechterverhältnis in der Gesamtheit der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Professorinnen und Professoren. Das Professorinnenpro- Vielen Dank, Frau Kollegin Benning. – Sie haben gramm hat bedeutende Impulse für die Chancengerech- wahrscheinlich gleich noch Gelegenheit zur Erwiderung; tigkeit von Frauen sowohl im Wissenschaftssystem als denn die AfD hat eine Kurzintervention beantragt. auch für die gendersensible Fachforschung in unter- Ich erteile dem Kollegen Dr. Götz Frömming das Wort schiedlichen Disziplinen gegeben, was entsprechende zu einer Kurzintervention. Evaluationen nachgewiesen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dr. Götz Frömming (AfD): der SPD – Abg. Dr. Götz Frömming [AfD] Vielen Dank, Herr Präsident, dass die Kurzintervention meldet sich zu einer Zwischenfrage) zugelassen wurde. – Sehr geehrte Frau Kollegin Benning, schade, dass ich die Zwischenfrage eben nicht stellen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: konnte. Jetzt muss ich die Stelle in Erinnerung rufen, Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus auf die ich mich beziehen wollte. der AfD-Fraktion? (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sybille Benning (CDU/CSU): Nein, danke. – In den Fördermaßnahmen des BMBF zu – Zuhören ist auch eine demokratische Tugend, meine „Globale Ernährungssicherung“ sowie zu „Bioökonomie Damen und Herren. als gesellschaftlicher Wandel“ werden in einer Vielzahl Sie haben zu Recht abgehoben auf die Forschungslinie von sozioökonomischen Fragen explizit Genderaspekte des BMBF und ausgeführt, dass das BMBF im Bereich bearbeitet, um die zu oft vernachlässigte Berücksichti- der Genderforschung einige Gelder investiert. gung der Dimension des Geschlechts zu gewährleisten. Ich möchte Sie an dieser Stelle fragen: Ist es nicht eine (B) Die bewusste Auseinandersetzung mit diesem Thema (D) hat auch zu Programmgestaltungen geführt, mit denen zulässige politische Haltung in diesem Bereich, zum Bei- insbesondere der Anteil von Frauen in den MINT- spiel eine Erhöhung der Unterstützung zu fordern oder zu Fächern gesteigert werden soll. Und: Zielgenaue Anspra- fordern, dass sie gleich bleibt, oder auch der Meinung zu chen, wie bei dem Förderschwerpunkt „Innovative sein, dass sie abnehmen sollte oder vielleicht gestrichen Frauen im Fokus“ – das wurde gerade schon genannt – werden sollte, weil wir andere Prioritäten setzen wollen? ermöglichen es, Leistungen und Potenziale von Frauen in (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ Wissenschaft, Forschung und Innovation sichtbar zu DIE GRÜNEN]) machen und strukturell zu verankern. Vielfältige Per- spektiven – eben alle Geschlechter – helfen dabei, bessere Was wir wollen, ist nicht, Wissenschaft zu verbieten, Lösungen für die Gesellschaft zu finden. sondern die Forderungen, die wir erheben, sind meiner Meinung nach politische Forderungen, die durchaus Nicht zu vergessen sind die Digitalisierungsprozesse. zulässig sind. Und das hat nichts mit dem Verbot von Wenn KI-Systeme künftig geschlechtergerecht agieren Wissenschaften zu tun, so wie Sie es vorhin insinuiert sollen, dann müssen wir heute alles dafür tun, dass diese haben. künftig mit Daten trainiert werden, die eben keine Ungleichbehandlung oder Stereotypen abbilden. (Zuruf von der LINKEN: Stehen Sie doch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wenigstens dazu!) Sie sehen, Geschlechterforschung umfasst viele unter- schiedliche Facetten und sollte als überfakultäre und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: interdisziplinäre Forschung verstanden werden. Sie fin- Frau Kollegin Benning, wollen Sie darauf antworten? det sich sowohl in den Geistes- und Sozialwissenschaften (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Er lässt aus dem als auch in den Naturwissenschaften wieder. Das wird Teich das Wasser ab und wundert sich, dass wir sich auf wissenschaftlicher Ebene nicht ändern, – noch schwimmen!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. Sybille Benning (CDU/CSU): Herr Kollege Dr. Frömming, ich bin sehr froh, in die- sem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat leben zu Sybille Benning (CDU/CSU): können. – egal wie oft die AfD die Relevanz dieser Forschung ideologisch verneinen mag. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Ich auch!) 25456 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Sybille Benning (A) Ich bin dankbar dafür, dass wir mit demokratischen trag der Fraktion Die Linke und einen Antrag der Frak- (C) Mehrheiten hier die Beschlüsse fassen, um Forschung tion Bündnis 90/Die Grünen. Der eine lautet: „Keine zu ermöglichen, um der Wissenschaftsfreiheit Ausdruck Ausrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen“, zu gebieten. Ich hoffe, dass das immer so bleibt. der andere lautet: „Keine Beschaffung bewaffneter Droh- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nen für die Bundeswehr“. Wenn der Hintergrund dieser bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Götz Anträge nicht so schäbig wäre, könnte man witzeln: Frömming [AfD]: Das akzeptieren wir! Dan- Wenigstens der Satzbau wurde individuell gestaltet. Im ke!) Kern aber lehnen beide Anträge die Bewaffnung von Drohnen ab.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Sie gefährden damit Leib und Leben der Bundeswehr- Herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. soldatinnen und -soldaten. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das stimmt Drucksache 19/25312 an die in der Tagesordnung aufge- doch gar nicht!) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- weisungsvorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Da möchte ich mal sehen, wie die betroffenen Familien Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. auf Sie reagieren. Grüne wie Linke lehnen beide aus linksideologischer Arroganz die Einführung dieser Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatz- Schutzdrohnen ab. punkt 14 auf: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 17 Beratung der Beschlussempfehlung und des neten der FDP – Gerold Otten [AfD]: Die SPD Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- auch!) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu, Tobias Pflüger, Heike Meine Damen und Herren, Drohnen sind nichts ande- Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion res als ferngesteuerte Fluggeräte; ferngesteuert von aus- DIE LINKE gebildeten Bundeswehrsoldaten. Sie antizipieren von Anfang an einen unsachgemäßen Gebrauch, und Sie Keine Ausrüstung der Bundeswehr mit misstrauen unseren Soldatinnen und Soldaten. Sie ent- bewaffneten Drohnen ziehen ihnen damit das Vertrauen. Drucksachen 19/22369, 19/25321 (Zurufe von der LINKEN) ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja (B) Das ist unsachgemäß, und das ist schäbig, meine Damen (D) Keul, Margarete Bause, Dr. Franziska Brantner, und Herren. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr Sie von der Linken müssen sich zu diesem Thema überhaupt nicht melden: Sie lehnen die Bundeswehr ja Drucksache 19/25293 von Grund auf ab. Aber auch die Grünen zeigen jetzt ihr Überweisungsvorschlag: wahres Gesicht. Sie steuern ja vermeintlich auf dem poli- Verteidigungsausschuss (f) tischen Mittelstreifen und biegen, ohne zu blinken, mit Auswärtiger Ausschuss diesem Antrag scharf nach links ab. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten beschlossen. Aber, meine Damen und Herren – das besorgt mich sehr –: Ich halte das Verhalten der SPD-Spitze auch für Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte vollziehen Sie schäbig. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass den Platzwechsel ein bisschen zügiger. Sie können sich wir nach einer Anhörung die Bewaffnung von Drohnen später voneinander in die Weihnachtsferien verabschie- ermöglichen. Wir sind jetzt acht Jahre dabei, zu diskutie- den. ren. Im Sommer 2017 war es ja der Mister-100-Prozent (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulz, der gesagt hat: Es ist verboten, im Verteidigungs- Nein, können wir nicht! Wann denn?) ausschuss zuzustimmen. – 2020 war es Herr Walter-Bor- jans, der verboten hat, zuzustimmen – gegen die Ein- Ich meine damit alle Beteiligten, die noch Gespräche stellung der roten Verteidigungspolitiker, was zum untereinander führen. Rücktritt des verteidigungspolitischen Sprechers, von Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- , geführt hat. Das bedauere ich sehr, ner das Wort dem Kollegen Henning Otte, CDU/CSU- aber ich bedanke mich persönlich bei dir, Fritz, für die Fraktion. gute Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Henning Otte (CDU/CSU): Die SPD aus Partei, Fraktion und Kabinett lässt die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Bundeswehr hiermit im Stich. Die SPD bricht auch das Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen Wort in der Koalition. Es geht hier um Leben und um und Herren! Wir beraten heute zwei Anträge: einen An- Tod: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25457

Henning Otte (A) (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ja, genau!) Dieses Gefecht, dieses Manöver ist so was von offen- (C) Leben, wenn man sich gegen einen Beschuss mit bewaff- sichtlich: Die SPD dreht scharf nach links ab und sucht neten Drohnen wehren kann; Tod, wenn man sich gegen die Option im rot-grünen-linken Glück. Aber dieses diesen Beschuss nicht wehren kann. Glück wäre bei den sicherheitspolitischen Herausforde- rungen ein Unglück für unser Land. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!) (Zurufe von der LINKEN) In Kunduz war die Situation, dass die Soldaten mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einer Beobachtungsdrohne eine Gefahrenquelle gesehen hatten. Sie mussten sich auf den Boden legen und auf Herr Kollege – – Glück hoffen, dass sie nicht getroffen werden. Hätte man eine bewaffnete Drohne gehabt, dann hätte man Henning Otte (CDU/CSU): sich wehren können. Deswegen kommt es auf die Union an. Wir als CDU/ CSU stehen weiter zu unserer NATO-Verpflichtung. Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stehen zu unserer Truppe. Es geht lediglich um die Beschaffung von fünf Luft- fahrzeugen. Ich stelle hier die Frage: Dürfen wir als Par- (Gerold Otten [AfD]: Öffnen Sie doch die lamentarier unsere Soldatinnen und Soldaten in gefähr- Abstimmung!) liche Einsätze entsenden und ihnen gleichzeitig die Wir sind bereit, 46,9 Milliarden Euro auszugeben. Wir technisch notwendigen und vorhandenen Möglichkeiten werden weiter in die Modernisierung investieren müssen, entziehen, sich zu wehren? Nein, das dürfen wir nicht, in die Einsatzbereitschaft, damit wir auch mit einem meine Damen und Herren. Deswegen brauchen wir eine guten Gewissen sagen können: Ja, wir entsenden Solda- bewaffnete Drohne. tinnen und Soldaten in gefährliche Einsätze. Ja, wir geben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ihnen aber auch die möglichen Schutzsysteme mit an die neten der FDP – Dr. Achim Kessler [DIE LIN- Hand. KE]: Die Bundeswehr muss in Deutschland bleiben!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die SPD behauptet ja, sie wolle jetzt Zeit zum Disku- Herr Kollege – – tieren haben. Wir verlieren wertvolle Zeit für die Aus- bildung der Piloten, für die Beratung der Verträge und Henning Otte (CDU/CSU): (B) auch für die Beschaffung. Es wäre Pflicht des Bundes- Es geht darum, Frieden und Freiheit zu bewahren, (D) finanzministers gewesen, der sich als Vizekanzler Sicherheit zu bewahren. Deswegen lehnen wir diesen bezeichnet und Kanzlerkandidat der SPD ist, unserem Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren, ab. Land zu dienen, die Finanzierbarkeit zu ermöglichen, die Vorlage durchzugeben und damit Schaden von unse- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ren Soldaten abzuwenden. Herr Kollege, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage Aber die Beschaffung von Drohnen gibt die Möglich- aus der SPD-Fraktion? Ich versuche die ganze Zeit, keit, den übergeordneten Sinn einer Debatte zu verstehen. dazwischenzukommen, aber Sie haben ja nicht mal Luft Wie stehe ich denn als Bundestagsabgeordneter und als geholt. Partei zu unseren Soldaten, zu unserer Bundeswehr und (Heiterkeit) zu unserem Land? Ich hätte erwartet, dass der Generalsekretär der SPD, Erlauben Sie also noch eine Zwischenfrage aus der SPD- Fraktion? Lars Klingbeil, hier ist. Er ist Abgeordneter vom größten Bundeswehrstandort, nämlich Munster. Lars stellt sich in Munster hin und verabschiedet wort- und blumenreich Henning Otte (CDU/CSU): die Soldaten in den Einsatz. Aber er hat nicht den Ich bin jetzt am Schluss meiner Rede und möchte noch Mumm und den Schneid, als Generalsekretär gegen die einmal sagen: Parteispitze aufzustehen und das zu fordern, was man (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Nicht mal eine braucht: Schutzkomponenten für unsere Soldaten. Frage des Koalitionspartners zulassen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir hoffen und setzen auf die Einsicht der SPD. Wir als ordneten der FDP) Union stehen zu unserer Truppe. Wir lehnen den Antrag Hier zeigt sich, meine Damen und Herren, ein gemein- ab. samer Kniefall von SPD, Linken und Grünen vor der Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sozialistisch-pazifistischen Ideologie. (Beifall bei der CDU/CSU – Tobias Pflüger (Widerspruch bei der LINKEN) [DIE LINKE]: Das war eine schäbige Rede!) Das ist ein Verrat an der Bundeswehr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Glauben Sie Gut. Die Antwort war Nein. – Nächster Redner ist der eigentlich selber, was Sie da reden?) Kollege Gerold Otten, AfD-Fraktion. 25458 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Beifall bei der AfD) mit Ihren Stimmen in gefährliche Auslandseinsätze nach (C) Afghanistan oder Mali schicken, denen Sie dann aber aus Gerold Otten (AfD): parteitaktischen Erwägungen die Mittel zum Schutz vor Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- feindlichen Angriffen verweigern. gen! Wir haben gerade eine emotionale Rede gehört. In (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Darum geht es den vergangenen Monaten und Jahren wurde in mehreren nicht! Aber das kapiert er nicht!) Foren über die Notwendigkeit von bewaffneten Drohnen diskutiert. Den Abschluss bildete, wie schon gehört, eine Meine Damen und Herren, die Beschaffung bewaffne- Anhörung im Bundestag. ter Drohnen ist ein hochbrisantes gesellschaftliches The- ma. Allein das widerspricht schon der These von einer Vor wenigen Tagen fiel dann aber der SPD auf, dass die mangelnden öffentlichen Debatte. Fakt ist: Es gibt seit bisherige Debatte zu sehr auf den Schutz unserer Solda- mehr als einem Jahrzehnt eine breitangelegte Kampagne ten verengt wäre. Der Krieg in Bergkarabach zeigt aber gegen bewaffnete Drohnen, vorangetrieben von links und nun, dass bewaffnete Drohnen auch als Angriffswaffe Grün und ihren Gesinnungsgenossen an den Schalthebeln genutzt werden können, so die Kollegin Heinrich von der veröffentlichten Meinung. der SPD. Union und FDP wussten schon vor mehr als zehn Jah- Meine Damen und Herren, das ist doch der sicherheits- ren, was nötig ist; doch bei der selbsternannten politi- politische Offenbarungseid der SPD, was Sie da ablie- schen Mitte regierte hier die Furcht: die Furcht, für einen fern. Mit dieser Argumentation könnten Sie genauso Pan- Teil der medial fehlinformierten und parteipolitisch zer, Korvetten und Kampfflugzeuge ablehnen; denn das instrumentalisierten Gesellschaft nicht mehr wählbar zu sind auch Angriffswaffen, wenn Sie so wollen. sein. Darum wurde diese Entscheidung über mehr als ein Dennoch enthält diese Erkenntnis zwei bemerkenswer- Jahrzehnt verschleppt. te Aspekte: In der SPD bricht sich nun aber wieder die linke Hal- Erstens. Der Union fällt nun ihre Argumentation voll tung Bahn. Die Furcht von Mützenich und Borjans ist auf die Füße, diese Waffensysteme dienten nur dem groß, von der linken Wählerklientel abgestraft zu werden, Schutz unserer Soldaten im Einsatz. würde man einer Beschaffung von Drohnen zustimmen. Ähnlich so bei den Grünen: Auch Sie sind Opfer Ihrer (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ja, das ist das eigenen linken und weltfremden Propaganda. Und viel Märchen, das sie die ganze Zeit erzählen!) Spaß, meine Damen und Herren von der Union, mit Zweitens. Die SPD-Führung offenbart hier ein erschre- Ihrem kommenden Koalitionspartner. (B) ckendes Maß an Ignoranz. Oder ist es kaltes politisches (Beifall bei der AfD) (D) Kalkül? Ich weiß nicht, was verachtenswerter ist. Wie fühlt man sich eigentlich, nachdem die SPD Ihnen (Siemtje Möller [SPD]: Die AfD!) Ihr Herzensprojekt der Verteidigung versenkt hat? Und Vor einem Jahr habe ich hier an dieser Stelle bereits in das alles vor dem Hintergrund, dass Sie der SPD in dieser der Theorie das vorhergesagt, was in Bergkarabach ein- Legislaturperiode jeden Wunsch erfüllt haben, bis hin zur getreten ist. Bewaffnete Drohnen sind Wirkmittel zur Grundrente. Aufklärung, Überwachung und Bekämpfung gegneri- (Mechthild Rawert [SPD]: Leider nicht! – scher Kräfte. Die Aserbaidschaner verdanken ihren Sieg Dr. Götz Frömming [AfD]: Bis hin zur Selbst- der Fähigkeit, feindliche Stellungen und Kriegsgerät auf- aufgabe!) zuklären und punktgenau zu bekämpfen, besser als es eben Artillerie oder Kampfflugzeuge können, vorausge- All das geschah aber zum Leidwesen der Bundeswehr, setzt eine wirksame Luftabwehr fehlt. ihrer Soldaten und der Sicherheit unseres Landes. Ich fasste dies damals so zusammen – das gilt auch Während nun viele unserer verbündeten Streitkräfte heute noch –: Schutz für unsere Soldaten entsteht einzig über diese Waffensysteme verfügen, ist die Bundeswehr durch Aufklärung und Wirkungsmöglichkeit auf dem auf dem Weg, eine drittklassige Armee zu werden: tech- Gefechtsfeld. Und natürlich sind bewaffnete Drohnen nisch veraltet, materiell gebeutelt, personell ausgehöhlt, dazu das geeignete Luftkriegsmittel. (Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt reden Sie Das alles aber zeigt: In der SPD-Fraktion fehlt es nicht aber die Bundeswehr wieder schlecht!) nur an Sachverstand, sondern jeglicher Bezug zur Reali- ohne Befähigung zum Kampf, nicht in der Lage, unsere tät ist verloren gegangen, und das in der Partei, die mit Heimat zu verteidigen. Dafür sind Sie mitverantwortlich. Helmut Schmidt oder Georg Leber renommierte Verteidi- gungsminister in diesem Land stellte. Schämen sollten (Beifall bei der AfD – Henning Otte [CDU/ Sie sich! CSU]: Sie reden die Bundeswehr schlecht!) Man kann das Lavieren der SPD nur als schizophren Wir fordern daher die SPD auf, zurückzukehren auf bezeichnen. Vorgestern sprechen Sie sich gegen eine den Kurs der Realpolitik, einen Kurs, den ein Helmut Bewaffnung von Drohnen aus. Gestern stimmen Sie im Schmidt gefahren hätte. Verteidigungsausschuss gegen einen gleichlautenden An- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. trag der Linkspartei. Das ist doch eine sicherheitspoliti- sche Geisterfahrt, was Sie hier veranstalten. Das erklären (Beifall bei der AfD – Dr. Götz Frömming Sie doch bitte mal unseren Soldaten, die Sie leichtfertig [AfD]: Sehr gute Rede!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25459

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD) (C) Vielen Dank, Herr Kollege Otten. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Siemtje Möller, SPD-Fraktion. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Strack-Zimmermann? Siemtje Möller (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Siemtje Möller (SPD): Angesichts der beiden Anträge der Opposition, die uns Ich würde gerne meine Rede zu Ende halten. Danke. hier zur Abstimmung vorgelegt wurden, könnte ich es mir sehr leicht machen und meine Rede nun mit „Wir lehnen Ich halte auch fest: Klar, auch die Heron TP kann eine ab“ abschließen. solche Lebensversicherung sein. Ich bin mir sehr bewusst, welche Fragen unsere Debatte in der Fraktion (Gerold Otten [AfD]: Zustimmen müssen Sie hervorgerufen hat. Lassen Sie mich deshalb kurz einige doch!) der Gedankengänge skizzieren. Aber angesichts der hochkochenden Debatte in den Ganz grundsätzlich ist es doch so: Das Waffensystem analogen und sozialen Medien und der Überemotionali- Heron TP läuft per Leasing ab nächstem Jahr zu, dann sierung von allen Seiten möchte ich die Gelegenheit nut- gehen die Soldatinnen und Soldaten in die Ausbildung, zen und mich vor allen Dingen an Sie, liebe Soldatinnen und frühestens in 2022 wird die Heron TP sich in einem und Soldaten, wenden. Einsatzszenario befinden. Damit ist es doch mitnichten (Gerold Otten [AfD]: Jetzt geht’s ans Herz!) so, Herr Kollege Otte, dass der erhöhte Gesprächsbedarf Ich möchte Ihnen deutlich sagen, dass ich mich für die in der SPD-Bundestagsfraktion nun dazu führt, dass Beschaffung der Bewaffnung ausspreche und damit die unmittelbar Leben von Soldatinnen und Soldaten aufs vorgelegten Anträge auch inhaltlich ablehne. Spiel gesetzt wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Henning Otte [CDU/CSU]: Natürlich!) Ich tue das, weil mir Ihr Schutz in den Einsätzen wichtig Denn frühestens in 2022 könnte Heron TP seine Schutz- ist. wirkung entfalten. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Gleiches Mär- (Henning Otte [CDU/CSU]: Wir hätten sie ja chen!) schon 2017 bestellen können!) Dieser Grundsatz gilt ebenso für alle meine Kollegin- (B) Klar ist angesichts der Turbulenzen in der internationa- (D) nen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, unabhän- len Politik doch auch, dass heute niemand voraussagen gig davon, ob sie sich für oder gegen die Bewaffnung kann, in welchen Szenarien sich die Bundeswehr dann aussprechen. Uns sind Ihr Schutz und Ihre Ausrüstung befinden wird wichtig. (Beifall bei der SPD – Bettina Stark-Watzinger (Beifall bei der SPD) [FDP]: Nee, nee, nee! So einfach nicht! – und inwiefern Force Protection, insbesondere mobile Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Force Protection, beispielsweise für Patrouillen, über- Nein, das ist zu einfach! – Henning Otte [CDU/ haupt benötigt wird. CSU]: Ist Rolf Mützenich nicht mehr Frak- tionsvorsitzender?) Natürlich: Heron TP kann Force Protection mobil, aber auch stationär gewähren. Für den stationären Schutz von Deswegen stehen wir als Bundestagsfraktion seit 2014, Lagern eignen sich aber auch andere Waffensysteme wie ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, zu dem Auf- beispielsweise das Nächstverteidigungssystem MANTIS, wuchs im Einzelplan 14. Auch in 2021 stellen wir Ihnen ein wirksames Verteidigungssystem für den Nahbereich. gemeinsam mit dem Koalitionspartner erneut mehr Mit- tel – satte 1,5 Milliarden Euro – zur Verfügung, (Gerold Otten [AfD]: Wollen Sie die Soldaten unbewaffnet in den Einsatz schicken?) (Gerold Otten [AfD]: Das ist doch Ablen- kung! – Dr. Marcus Faber [FDP]: Darum geht Leider hat die Bundeswehr nur ein System dieser Art, ein es doch gar nicht!) einziges für alle Einsatzgebiete. Das befindet sich in trotz Corona, trotz vieler anderer Bedarfe und Forderun- Mali. Ein Antrag der SPD- und der CDU/CSU-Fraktion gen, die an uns herangetragen werden: weil wir wissen, wurde vom Ministerium zwar zur Kenntnis genommen; dass es massiver Investitionen bei der Bundeswehr be- aber dennoch wurden keine weiteren Mittel zur Verfü- darf, weil wir wissen, dass viel Gerät in die Jahre gekom- gung gestellt, um beispielsweise für das von der Minis- men ist terin in ihrer Rede erwähnte Lager in Kunduz einen wirk- samen Schutz zur Verfügung zu stellen, der noch dazu (Dr. Marcus Faber [FDP]: Zur Sache!) von der Stange erhältlich wäre. Ich finde, dieser Kritik oder sich, besser gesagt, im Greisenalter befindet, weil müssen Sie sich stellen, wir wissen, dass am Ende verfügbares, funktionierendes (Beifall bei der SPD) Material sowie die Ausbildung an diesem Ihre Lebens- versicherung sind, wenn Sie sich für uns im Einsatz wenn Sie uns vorwerfen – ich zitiere –, uns an den Sol- befinden. datinnen und Soldaten zu versündigen. 25460 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Siemtje Möller (A) Richtig ist doch, dass es neben den Drohnen noch (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (C) weitere Möglichkeiten für den Schutz von Lagern und Das wird aber Zeit, dass Sie das machen! – Soldatinnen und Soldaten gibt, Schutzeinrichtungen, für Henning Otte [CDU/CSU]: Darauf soll die die sich der Verteidigungsausschuss mit den Stimmen der Bundeswehr warten? – Michael Brand [Fulda] SPD und auch der CDU/CSU ausgesprochen hat, [CDU/CSU]: Das ist doch eine Ausrede!) Schutzeinrichtungen, die Sie zu beschaffen nicht in der Und sie konnten es vor allen Dingen auch zu Hause nicht Lage sind. in den Wahlkreisen mit der Zivilgesellschaft diskutieren. (Gerold Otten [AfD]: Dann lassen Sie die Sol- Aber das ist auch unser Job und Teil der repräsentativen daten doch zu Hause! Dann brauchen sie kei- Demokratie. nen Schutz!) (Beifall bei der SPD) Ich finde, hier kann und muss das Ministerium mehr tun, wenn Ihnen so wie uns das Leben der Soldatinnen und Es geht auch momentan nicht, weil nun die weltweite Soldaten und deren Schutz und Sicherheit am Herzen Pandemie Zusammenkünfte schlicht und ergreifend liegen. unmöglich macht. Moltke hat einmal gesagt: „Erst wägen, dann wagen!“ – Wir lehnen den Antrag ab. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. In 2018 haben wir gemeinsam im Koalitionsvertrag festgehalten – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsi- (Beifall bei der SPD) dent –: „Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtli- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: cher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung Vielen Dank, Frau Kollegin Möller. – Nächster Redner gesondert entscheiden.“ ist der Kollege Dr. Marcus Faber, FDP-Fraktion. (Gerold Otten [AfD]: Die ist doch abgeschlos- (Beifall bei der FDP) sen!) Wir haben das so festgehalten, eben weil das ein Thema Dr. Marcus Faber (FDP): mit großem gesellschaftlichem Verhetzungspotenzial ist, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ein Thema, das man in großen Teilen der Gesellschaft Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist leider eher erklären muss. die Regel als die Ausnahme, dass wir uns in der besinn- (Gerold Otten [AfD]: Nein!) lichen Weihnachtszeit – wie passend – mit bewaffneten (B) Drohnen beschäftigen. In diesem Jahr proudly presented (D) Für diese Erklärung braucht man eine Grundlage, und by Die Linke. – Vielen Dank dafür. zwar eine Grundlage, die die wesentlichen Fragen erläu- tert: Was sind die geplanten Einsatzszenarien? Was sind (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Der Antrag ist sie mit Blick auf Drohneneinsätze anderer Nationen eben viermal verschoben worden! Das liegt nicht an auch gerade nicht? uns!) (Gerold Otten [AfD]: Das ist nicht zu fassen! – Was mich allerdings wirklich wütend macht, ist die Dr. Marcus Faber [FDP]: Das ist drei Jahre SPD. Liebe Genossinnen und Genossen, seit knapp her!) zehn Jahren beschäftigen wir uns damit, ob wir unsere Drohnen bewaffnen, um unsere Soldatinnen und Solda- Wo sitzt der Operator? Wer gibt einen Befehl? Wie viele ten im Einsatz zu schützen. Alle Argumente sind mehr- Augen sind beteiligt? Muss der Einsatz der Drohne Teil fach ausgetauscht worden. Sie haben mehrfach mit Ihrem des Mandats sein, oder kann die Bundeswehr selbst ent- Koalitionspartner entschieden, dass das eine sinnvolle scheiden, wie und wo sie die Drohne einsetzt? Sache ist, und wir Freien Demokraten unterstützen das. Spätestens seit 2018, verehrte Kolleginnen und Kol- Aber immer, wenn es zur Entscheidung kommt – jedes legen, mit dem Abschluss des Koalitionsvertrages ist einzelne Mal –, schlagen Sie sich in die Büsche und sind doch klar, dass die SPD-Fraktion diese Fragen beantwor- auf einmal nicht mehr ansprechbar. Das regt mich auf. tet sehen will und sie diskutieren will. Sie sind nicht neu. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aber ich muss konstatieren, dass das Ministerium sich der CDU/CSU und der AfD – Zuruf des Abg. erst jetzt ernsthaft dem Abarbeiten dieser Passagen René Röspel [SPD]) (Henning Otte [CDU/CSU]: Ha! Jetzt flüchten Das regt aber nicht nur mich auf. Das regt auch dieje- Sie mal nicht!) nigen auf, die Ihre Politik umsetzen müssen. Vizeadmiral und diesem im Koalitionsvertrag festgelegten Verfahren Stawitzki ist Abteilungsleiter im BMVg. Ihn regt das gestellt hat. auch auf. Er schreibt in den sozialen Medien öffentlich – ich zitiere –: Mir fehlen die Worte. 23 unserer Kameraden (Beifall bei der SPD) habe ich in meiner Zeit als Adjutant von drei Ministern zu Es liegt in der Natur der Sache, dass Fachpolitikerin- Grabe getragen. Wie viele könnten heute noch leben? – nen und Fachpolitiker tief in der Materie stecken und eine Zitat Ende. Dieses Zitat macht, glaube ich, deutlich, dass Haltung dazu entwickelt haben. Viele meiner Kollegin- Ihre Verweigerungshaltung, dass Ihre Weigerung, eine nen und Kollegen konnten das bisher nicht, eben weil die Entscheidung zu treffen, Menschenleben kostet. Das ist Entscheidungsgrundlage fehlte. das Fatale. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25461

Dr. Marcus Faber (A) (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – (C) Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das ist zynisch! – Bettina Stark-Watzinger Dass Sie diese Entscheidung verweigern, weil Sie sich [FDP]: Jetzt reden Sie sich doch nicht von Ihrer bei Menschen, die völlig realitätsfern argumentieren, auf- Verantwortung frei, die Sie heute haben!) plustern wollen, widert mich an. Das widert glücklicherweise nicht nur mich an. Es wurde eben schon angesprochen: Der verteidigungspoli- Dr. Marcus Faber (FDP): tische Sprecher der SPD, Herr Felgentreu, ist diese Werte Kollegin, vielen Dank für Ihre Frage. – Die FDP Woche von ebendiesem Amt zurückgetreten, weil auch hat ihren Bildungsurlaub gemacht. er das nicht mittragen kann. Dafür mein höchster Res- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: pekt! Ach, Bildungsurlaub war das!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Und wir sind aus der außerparlamentarischen Zeit der CDU/CSU) schlauer zurückgekommen, als wir hineingegangen Es geht darum, unsere Soldatinnen und Soldaten im sind. Ich wünsche Ihnen das auch. Einsatz zu schützen. Das sind wir ihnen schuldig, das sind wir aber auch ihren Angehörigen schuldig. Frau (Zurufe von der LINKEN) Mattheis von der SPD spricht in diesem Zusammenhang Sie haben jeden Tag die Möglichkeit, hinzuzulernen. Ich vom automatisierten Töten; sage Ihnen: Wenn wir bewaffnete Drohnen zum Schutz (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: von Patrouillen hätten, dann würden wir vielleicht in den Die hat gar nichts kapiert! Sie ist so blind!) Einsatzländern häufiger auf Patrouille gehen. sie ist heute leider nicht anwesend, wenn ich das richtig (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ach so!) sehe. Ich frage mich, welchen Teil der zehnjährigen Debatte sie nicht mitbekommen hat; denn es gibt keinen Dann hätten wir vielleicht die Chance, den Terror in die- Unterschied. Nach ihrer Argumentation dürften wir heute sen Ländern zu bekämpfen und der Zivilbevölkerung dort auch keine Artillerie einsetzen. Es macht keinen Unter- besser zu helfen. So könnten wir vielleicht dafür sorgen, schied. Wenn Frau Mattheis mal im Gefechtsstand war, dass Entwicklungshelfer dort ihre Arbeit tun können; sie dann weiß sie, dass man da in einem Container mit Bild- können das derzeit im Norden von Afghanistan nämlich schirmen sitzt; der Drohnenpilot sitzt auch in einem Con- nicht. tainer mit Bildschirmen. Nach unserem Vorschlag sitzt er (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) übrigens im Einsatzland, und das ist gut. Deswegen müs- der CDU/CSU) sen Sie auch keine Angst vor sich selbst haben; denn auch wenn wir irgendwann bewaffnete Drohnen hätten, wür- den alle, die in diesem Saal sitzen, bei jedem Bundes- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wehreinsatz darüber entscheiden, ob wir sie mit den Sol- Herr Dr. Faber, einen kleinen Moment. Sie haben daten in den Einsatz schicken oder nicht. gleich Gelegenheit, zu antworten, solange Sie wollen. Der Kollege Dr. Brecht, SPD-Fraktion, möchte auch ger- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ne eine Zwischenfrage stellen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Dr. Marcus Faber (FDP): Fraktion Die Linke? Ach, nein.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dr. Marcus Faber (FDP): Ja. Die lassen Sie nicht mehr zu?

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dr. Marcus Faber (FDP): Bitte schön. Nein.

Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Dr. Faber, dass Sie meine Zwi- Herr Dr. Brecht, tut mir leid. schenfrage zulassen. – Mich würde jetzt doch mal interes- sieren, ob wir von diesem doch mythenumwobenen Vor- Dr. Marcus Faber (FDP): trag mal zu Daten, zu Fakten, zu Zahlen kommen können. Herr Brecht, wir kommen ja beide aus Sachsen-Anhalt, Können Sie bitte diesem Haus erklären, wie viele Solda- wir können das gerne bilateral fortsetzen. ten der deutschen Bundeswehr in den letzten fünf Jahren im Auslandseinsatz nicht hätten sterben müssen, hätte die FDP damals, als sie in Regierungsverantwortung war, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: diese Entscheidung, die Sie heute wollen, bereits durch- Das kann Herr Kollege Dr. Faber entscheiden, wie er gesetzt? Können Sie da eine Zahl sagen? möchte. – Dann ist Ihre Redezeit fast zu Ende. 25462 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Dr. Marcus Faber (FDP): lich ist es, diese militärischen Einsatzszenarien hinter (C) Genau. – Ich komme zum Ende. Ich möchte Sie per- dem Begriff „Schutz“ zu verstecken. „Schutz“ heißt sönlich fragen, ob Sie wissen, wie man „Verantwortung“ beim Militär eben auch, dass wir anderen Menschen das schreibt. Leben nehmen werden. Das gehört dazu. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Er sagt weiter: Wir müssen aufhören, nur vom Schutz Das wäre nämlich wichtig. Mir wäre wichtig, dass Sie für Soldatinnen und Soldaten zu reden. Im besten Falle sich einen Ruck geben, dass Sie nach zehn Jahren Debatte schießen sie nie, die Drohnen. Wenn wir sie aber nutzen, zu einer Entscheidung kommen. Uns Freien Demokraten dann meist mit dem Ziel, Menschen zu töten. ist das wichtig. Ich stehe auch gerne Ihrem Parteivor- (Henning Otte [CDU/CSU]: Die andere Men- sitzenden zur Verfügung, der offensichtlich noch Infor- schen töten wollen!) mations- und Diskussionsbedarf hat. Ich sage Ihnen: Da nur „Schutz“ zu sagen, ist unehrlich. Mein Handy ist für Sie immer an, auch über Weihnach- ten. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Das ist der zentrale Punkt: Sie erzählen quasi nur einen Teil der Szenarien. Es gibt breite Szenarien für diese (Beifall bei der FDP – Anke Domscheit-Berg bewaffneten Drohnen; deshalb sollen sie angeschafft [DIE LINKE]: Ich empfehle einen zweiten Bil- werden. Das sind Kampfdrohnen. Das sind auch dungsurlaub! Der erste hat es nicht gebracht!) Angriffswaffen. Deshalb lehnen wir diese Anschaffung der Drohnen ab. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Faber. – Nächster Red- ner ist der Kollege Tobias Pflüger, Fraktion Die Linke. Der beste Schutz für die Soldatinnen und Soldaten ist nicht die Anschaffung von Kampfdrohen, sondern dass (Beifall bei der LINKEN) man sie gar nicht erst in den Auslandseinsatz schickt. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Tobias Pflüger (DIE LINKE): Darum geht es!) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal will ich mich ausdrücklich dafür bedanken, Das wäre der beste Schutz. dass vonseiten der SPD die Entscheidung über die (Beifall bei der LINKEN) Bewaffnung von Drohnen geschoben wurde. So kommt es diese Legislaturperiode nicht mehr zu einer Beschaf- Anja Dahlmann von der Stiftung Wissenschaft und (B) fung der Bewaffnung für die Drohne Heron TP. Das Politik hat darauf hingewiesen: (D) begrüßen wir als Linke ausdrücklich. Bewaffnete, ferngesteuerte Drohnen können in (Beifall bei der LINKEN) bestimmten Szenarien operative Vorteile bieten, sind aber grundsätzlich auch geeignet, rechtlich Bedanken möchte ich mich bei den Akteuren aus der fragwürdige Einsätze zu begünstigen und zu Pfad- Zivilgesellschaft, der Friedensbewegung, der Wissen- abhängigkeiten zu führen, die auf Autonomie schaft, bei der SPD, den Grünen und den Linken, die hinauslaufen. dieses möglich gemacht haben. Insbesondere könnten bewaffnete Drohnen der erste Wir werden später hören, dass diese Debatte über die Schritt sein in Richtung autonomer Waffensysteme. – Bewaffnung von Drohnen ausführlich geführt worden Und genau das ist geplant. sei. Na ja, wir wissen aber auch: Das Verteidigungsmi- nisterium hat eine im Wesentlichen gelenkte Debatte (Widerspruch bei der FDP) geführt. Eine ausführliche, breite gesellschaftliche Gucken Sie sich das Future Combat Air System an. Debatte sieht völlig anders aus. Dort ist von autonomen Waffensystemen die Rede, von (Beifall bei der LINKEN) Drohnenschwärmen. Genau das ist die Entwicklung, die wir nicht wollen. Wir wollen nicht, dass dieser Pfad Dazu gehören auch viele andere Akteure, zum Beispiel geöffnet wird. Deshalb lehnen wir die Bewaffnung der aus dem Bereich der Gewerkschaften und der Religions- Drohnen ab. gemeinschaften. Das zur Ehrenrettung von Norbert Walter-Borjans und Rolf Mützenich. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Was haben Sie denn für eine Fan- Immer wieder wird von den Befürwortern der Bewaff- tasie? Was gucken Sie denn für Filme?) nung vorgebracht, Drohnen würden nur und ausschließ- lich zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten sowie von Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht ein kleiner Lagern und Konvois eingesetzt. Jeder, der sich mit Droh- Tipp an diejenigen innerhalb der SPD, die jetzt dafür nen auskennt, weiß: Das ist, freundlich formuliert, nur ein gesorgt haben, dass es zu dieser guten Entscheidung ge- Teil der Wahrheit. Für Kampfdrohnen gibt es breite Ein- kommen ist. Für die Eurodrohne sind trotzdem noch satzszenarien. Schauen Sie zum Beispiel in das Thesen- 232 Millionen Euro im jetzigen Haushalt enthalten. papier „Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte“ vom Auch diese Drohne ist bewaffnet geplant, und deshalb Kommando Heer. Da sind solche Szenarien konkret muss auch sie aus dem Haushalt gestrichen werden. beschrieben. Da ist von UAV-Wirkmitteln gegen Gegner Auch das ist eine bewaffnete Drohne, die wir ablehnen. die Rede. Ich zitiere mal einen Soldaten. Er sagt: Unehr- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25463

Tobias Pflüger (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es schon Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) interessant, mit welcher Aufregung diese Debatte geführt Frau Abgeordnete? wird. Es handelt sich um ein Waffensystem, das eine grundsätzliche Veränderung der Kriegsführung bedeutet, und das ist der Grund, warum wir es ablehnen. Ihre For- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mulierungen, die Sie vorhin gebracht haben – unter ande- Ich würde gerne vortragen. – Die vorgetragenen Fall- rem Sie, Herr Otte –, fand ich schon sehr problematisch. beispiele waren allerdings erschreckend ungeeignet, um Ich halte es für notwendig, dass wir die Debatte ganz den Vorteil bewaffneter Drohnen darzulegen. Ich hätte ruhig und sachlich führen. Dieses Waffensystem ist prob- erwartet, dass Sie es uns schwerer machen. Durch Droh- lematisch, und deshalb sollten wir es nicht einführen. nen hätte weder die dargestellte Hinrichtung durch Ter- roristen verhindert noch ein unübersichtliches Kampfge- Vielen Dank. schehen beim Angriff auf eine Patrouille beendet werden (Beifall bei der LINKEN) können. Bewaffnete Drohnen sind eben keine sauberen Wunderwaffen, die nur die Bösen treffen und die Guten schonen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank. – Das Wort geht an Katja Keul von der Von den zehn bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. im Ausland wird derzeit keiner mit einem Einsatzszena- rio für bewaffnete Drohnen gefahren, und das ist auch gut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) so. (Henning Otte [CDU/CSU]: In Kunduz war das Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): so!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch wir Grüne haben uns nach zehnjähri- – Der Abzug aus Kunduz war ohnehin notwendig, und ger Debatte eine Meinung gebildet und sind gegen die daran hätten auch die bewaffneten Drohnen nichts geän- Bewaffnung der Drohnen. dert, Herr Otte. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe bei der Bundesregierung trotzdem noch ein- mal schriftlich nachgefragt, wie oft die Bundeswehr in Liebe SPD, ich finde es langsam etwas albern, zu Afghanistan auf den Schutz durch bewaffnete Drohnen behaupten, es sei noch nicht genug diskutiert worden. der Bündnispartner angewiesen war; denn das wäre ja Sagt doch einfach, wo die Bedenken liegen, und entschei- durchaus relevant gewesen. Die Antwort der Bundesre- det euch. gierung war allen Ernstes, dass sie darüber keine Kennt- (B) (D) (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner nis hat. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von (Abg. Henning Otte [CDU/CSU] meldet sich der CDU/CSU: Genau!) zu einer Zwischenfrage) An die Union gerichtet muss ich sagen: Eine Debatte Also, bitte: Wenn Sie uns von der Notwendigkeit dieser vereinbart man wegen des Erkenntnisgewinns, und nicht, Waffensysteme überzeugen wollen, dann sollten Sie sol- weil man eine bereits getroffene Entscheidung im Nach- che Kenntnisse besser haben. hinein legitimieren will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Tobias Pflüger [DIE LINKE]) und bei der LINKEN) Ich bitte die Soldatinnen und Soldaten um Verständnis, Akzeptieren Sie endlich, dass die Debatte nicht das aber wir müssen bei der Abwägung nicht nur das aktuelle gewünschte Ergebnis gebracht hat. Einsatzszenario ansehen, sondern auch mit einbeziehen, (Henning Otte [CDU/CSU]: Sie verwechseln dass die Verfügbarkeit bewaffneter Drohnen das Einsatz- hier Huhn und Ei!) szenario künftig verändern wird. Trotzdem haben meine Kolleginnen und ich uns die neu- Falls die Union insgeheim vorhat, die Bundeswehr erliche Präsentation der Argumente noch einmal gründ- künftig auch an bilateralen Antiterrormissionen zu betei- lich angesehen. Wenn Sie uns nämlich davon überzeugen ligen, dann soll sie das offen sagen. Ich sage Ihnen: Diese könnten, dass der konkrete Vorteil einer bewaffneten Form des Antiterrorkampfes hat sich weder bei den Ame- Drohne gegenüber der herkömmlichen Luftunterstützung rikanern in Afghanistan noch bei den Franzosen in Mali so groß ist, dass er die Nachteile aufwiegt, dann hätten als hilfreich und nachhaltig erwiesen. wir unsere Entscheidung durchaus überdacht; (Dr. Marcus Faber [FDP]: Aber bei den Aser- (Henning Otte [CDU/CSU]: Die sind doch baidschanern!) offensichtlich!) Wir halten es für richtig, dass die Bundeswehr die denn der Schutz der Soldatinnen und Soldaten ist für uns UNO-Mission in Mali unterstützt. Für dieses aktuelle ein entscheidendes Kriterium. Einsatzszenario brauchen wir die Bewaffnung der Droh- nen nicht. Ein anderes Szenario würde das Leben der (Henning Otte [CDU/CSU]: Dann mal los! – Soldatinnen und Soldaten mehr gefährden als schützen. Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vielen Dank. 25464 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Katja Keul (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der Anhörung im Bundestag, bei den Äußerungen des (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bundeswehrverbands sind überall Soldaten zu Wort ge- kommen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte haben Sie Ver- [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) ständnis dafür, dass wir mit der Redezeit jetzt etwas stren- – Frau Präsidentin? – Viele Soldaten sind befragt worden, ger umgehen müssen und auch Kurzinterventionen und die genau diese Szenarien beschrieben haben, und das aus Zwischenbemerkungen nicht mehr zulassen werden. voller Überzeugung, aus eigener Erfahrung. Wenn das (Henning Otte [CDU/CSU]: Das kann aber die nicht genug ist, was braucht es denn dann noch mehr? Rednerin ablehnen! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir sind schon Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: zwei Stunden in Verzug! – Gegenruf des Abg. Ich wiederhole mich ungern, aber ich möchte gerne, Henning Otte [CDU/CSU]: Dann kommt es ja dass die Debatten jetzt zügig zu Ende geführt werden. wohl nicht auf eine Minute an! – Dr. Marie- Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das ist ja (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unglaublich!) der LINKEN – Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann [FDP]: Ich habe eine Frage, und Als Nächstes hat das Wort Florian Hahn, um fünf er hat die Frage genehmigt!) Minuten für die Fraktion der CDU/CSU zu reden. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Gut. Ich würde sie genehmigen, aber ich muss jetzt Florian Hahn (CDU/CSU): leider weiterreden. Frau Strack-Zimmermann, ich hätte Frau Präsidentin, schön, dass man jetzt beim letzten den Genuss Ihrer Zwischenfrage gerne gehabt. Redner darauf achtet, aber gut. – Liebe Kolleginnen (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: und Kollegen! Es liegen zwei Anträge vor – von der Da ist ja unerhört! – Weitere Zurufe) Linken und von den Grünen –, die inhaltlich auf das Mit Blick auf die zehn Jahre, die ich im Deutschen Gleiche hinauswollen, nämlich dass die Bundeswehr Bundestag bin, fallen mir spontan drei Situationen ein, nicht mit bewaffnungsfähigen Drohnen ausgerüstet wer- bei denen ich glaube, dass dort eine bewaffnungsfähige den soll. Drohne den Unterschied gemacht hätte: Das ist Kunduz, Beim Antrag der Linken ist es so, dass sich sechs das ist das Karfreitagsgefecht, und das ist der Beschuss (B) Zeilen mit der Beschlussfassung beschäftigen und acht des deutschen Lagers letztes Jahr in Afghanistan. Das (D) Zeilen mit der Begründung. Das ist relativ dünn, und sollte man nicht übersehen. das ist ungefähr genauso dünn wie das, was der Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Pflüger hier abgezogen hat. Er hat Argumente angeführt – die in dem Antrag der Linken gänzlich fehlen –, die Sie Als weiteres Argument hatten Sie gesagt, bewaffnete im Grunde für jede andere Waffe, die die Bundeswehr Drohnen würden aktuell überwiegend völkerrechtswidrig einsetzt, auch ins Feld führen können. zum Einsatz kommen. Da kann ich nur fragen: Was ist denn das für ein großer Unsinn? Das entspricht überhaupt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht der Realität. Und selbst die Völkerrechtsexperten, neten der FDP – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: die Grüne und Linke in der Anhörung aufgefahren haben, Das stimmt doch nicht!) haben klar gesagt, dass Drohnen in Übereinstimmung mit Daran zeigt sich einmal mehr: Dogmatisch konsequent dem humanitären Völkerrecht eingesetzt werden können und ideologisch treu – so ist Die Linke, und deswegen und dass es keinen rechtlichen Unterschied zu anderen wollen wir uns damit gar nicht länger befassen. Waffensystemen, beispielsweise zu Kampfflugzeugen, gibt. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Da haben Sie Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Richtig an dem nicht richtig zugehört!) Antrag ist – und das hat die Kollegin Keul auch gesagt –: Die Debatte wird jetzt seit fast zehn Jahren geführt, und Ihr drittes Argument war, dass bewaffnete Drohnen es sind tatsächlich alle Pros und Kontras auf den Tisch dazu führen, dass die Hemmschwelle für militärische gelegt, abgewogen und diskutiert worden. Falsch ist aller- Einsätze sinkt. Da kann ich nur sagen: Diese Frage hat dings der Schluss, den Sie ziehen, liebe Kollegin Keul. Es mit Drohnen nichts zu tun; ist falsch, diese bewaffnungsfähige Drohne nicht (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist ziemlich anschaffen zu wollen, und ich sage Ihnen auch als Ant- eindeutig! – Zuruf der Abg. Agnieszka Brugger wort auf Ihre Argumente, warum. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie sagen unter anderem, das BMVg hätte nicht aus- denn jede neue Fähigkeit verändert selbstverständlich die reichend Einsatzszenarien geliefert, um den Unterschied Einsatzszenarien. Ein Beispiel: Vor zehn Jahren haben zwischen Drohnen und herkömmlicher Luftunterstützung wir Schutzkomponenten für den Dingo angeschafft. aufzuzeigen und deutlich zu machen, warum das notwen- Warum? Weil unsere Soldatinnen und Soldaten einfach dig ist. Ich kann nur sagen: Bei den vielen Veranstaltun- nicht sicher genug ausgerüstet waren, als sie in Afghanis- gen, an denen ich teilgenommen habe, bei den Debatten, tan Patrouille gefahren sind. Was ist dann passiert? Wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25465

Florian Hahn (A) haben die Dingos ausgestattet, das Fahrzeug war sicherer, Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind (C) und selbstverständlich sind dann mehr Patrouillen gefah- die Fraktionen der SPD, Teile der CDU/CSU-Fraktion – – ren worden. Das ist doch ganz klar. (Zuruf: Das war nicht zu verstehen! – Gegen- Ein zweites Beispiel: September 2020, Beschaffung ruf: Weil es so laut ist! – Dr. Marie-Agnes eines schweren Bombenkörpers, der GBU-48, für den Strack-Zimmermann [FDP]: Können Sie das Eurofighter. Selbstverständlich haben wir hier zuge- vielleicht noch mal wiederholen, aber schnell? stimmt, weil das eine wichtige Fähigkeit ist. Im Übrigen Wir haben es ja eilig! – Gegenrufe von der SPD haben Sie, liebe Frau Keul, und die Grünen zugestimmt. und der LINKEN) Wozu führt die GBU-48? Zu ganz anderen Möglichkei- – Ja, wenn Sie auch Ihren Mund halten würden, wäre es ten, den Eurofighter in den Einsatz zu bringen. Das hat möglich, dass alle zuhören könnten. Jetzt reicht es aber mit der Frage „Drohne – ja oder nein?“ nichts zu tun. langsam! Neue Fähigkeiten bedeuten im Zweifel auch neue Ein- satzszenarien. (Beifall bei der SPD) Ich wiederhole jetzt die Abstimmung: Der Ausschuss Ich richte einen Appell an , den Finanz- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache minister. Er hat die Vorlage bei sich liegen. Er soll jetzt 19/25321, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- seines Amtes walten und soll – das Geld ist hinterlegt – sache 19/22369 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- die Vorlage in den Deutschen Bundestag einbringen. schlussempfehlung? – Das sind die Fraktionen der SPD, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der CDU/CSU, der FDP und der AfD. Wer stimmt dage- der FDP) gen? – Das sind die Fraktionen von Linken und Bünd- nis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht An die SPD habe ich jetzt noch den dringenden Rat: der Fall. Die Beschlussempfehlung ist damit angenom- Liebe Frau Möller, Sie haben das hier tapfer gemacht. Es men. ist übrigens bezeichnend, dass Sie als die Einzige, die dafür ist, hier reden, während sich offensichtlich die Interfraktionell wird die Überweisung – Zusatz- Mehrheit in Ihrer Partei aktuell drückt. Aber, liebe SPD, punkt 14 – der Vorlage auf Drucksache 19/25293 an die hören Sie auf Ihre Fachpolitiker, hören Sie auf die Wehr- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- beauftragte Eva Högl, auf den ehemaligen Wehrbeauft- schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – ragten Herrn Bartels! Lassen Sie die Bundeswehr, lassen Das sehe ich nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschla- Sie unsere Soldatinnen und Soldaten nicht im Stich! Sie gen. werden einen massiven, schweren politischen Schaden Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: (B) davontragen, wenn Sie diese Entscheidung tatsächlich (D) so treffen, und Sie treiben treue Wähler, die Sie hatten, Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe nicht zuletzt auch in die Arme der AfD. Schulz, Joana Cotar, Dr. Michael Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Herzlichen Dank. Erstellung einer Studie über die 5G-Technolo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gie und deren Auswirkungen Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Oijoijoi! – Drucksache 19/25308 Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Überweisungsvorschlag: Jetzt aber schnell, Frau Präsidentin! Unerhört, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) keine Zwischenfrage zuzulassen!) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Federführung strittig Vielen Dank, Herr Hahn. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Aber schnell! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi- DIE GRÜNEN]: Jetzt ist aber gut, Mensch! gungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke Unverschämtheit!) mit dem Titel „Keine Ausrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen“. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten beschlossen. 30 Minuten gilt für alle. – Vielen Dank. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Jetzt aber schnell!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Uwe Schulz von der Fraktion der AfD. – Wenn Sie Lust auf eine Abmahnung haben, können Sie (Beifall bei der AfD – Norbert Müller [Pots- die gerne bekommen. dam] [DIE LINKE]: Frau Strack-Zimmermann (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe) will doch nicht etwa gerade gehen? Ich dachte, sie wollte bis zum Ende bleiben!) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/25321, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/22369 abzulehnen. Uwe Schulz (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! (Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- Weihnachtsstimmung im Parlament. – So langsam Zimmermann [FDP] – Gegenruf der Abg. kommt der Ausbau des 5-G-Netzes in Deutschland in Heike Hänsel [DIE LINKE]) Fahrt, und das ist auch gut so. Meine Fraktion sieht 5 G 25466 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Uwe Schulz (A) als wichtige Zukunftstechnologie für Stadt und Land. Wir Daher brauchen wir eine von wirtschaftlichen Interessen (C) haben als AfD hier an dieser Stelle immer auch Rechts- unabhängige Studie, die uns eine größtmögliche Trans- und Planungssicherheit eingefordert, wenn es darum parenz über vielleicht doch vorhandene Tücken und geht, ob staatsnahe Unternehmen aus Fernost Netzkom- Gesundheitsgefahren liefert. ponenten für 5 G liefern dürfen oder nicht. Die Bundes- (Beifall bei der AfD) regierung hat die Chance, hierzu im aktuellen Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes Klarheit zu schaffen. Aber lei- Die Ergebnisse und Ableitungen aus der Studie, meine der drückt sie sich wieder um eine Lösung. – Aber das nur Damen und Herren, müssen für ein breites Publikum ver- am Rande; darüber reden wir dann im nächsten Jahr. ständlich sein. Denn sehr viele Bürger aus allen Gesell- Heute geht es auch um 5 G, aber in einem anderen schaftsbereichen wollen wirklich verstehen, um was es Zusammenhang. hier geht. Nur so wird es gelingen, gerade den unseriösen selbsternannten „Experten“ den Wind aus den Segeln zu Liebe Kollegen, 5 G ist eine Revolution für den mobi- nehmen. Und sollte sich am Ende des Tages herausstel- len Datentransport, aber viele Mitbürger haben Beden- len, dass wirkliche gesundheitliche Probleme mit der ken. Die Angst vor Strahlung ist gerade beim Mobilfunk Anwendung von 5 G verbunden sein können, dann hat groß. Die Diskussion begann schon Mitte der 90er-Jahre die Bundesregierung auch gleich eine Argumentations- bei den frühen Mobilfunkgenerationen. Unzählige Bür- grundlage für die notwendigen Entscheidungen und gerinitiativen wurden gegründet, um Antennenstandorte Schritte. zu verhindern. Die Gerichte haben auch heute noch viel Meine Damen und Herren, es ist an uns hier im Deut- damit zu tun. schen Bundestag, Klarheit für unsere Bürger zu schaffen. Bei 5 G nehmen die Streitigkeiten jedoch inhaltlich Wir müssen das gegenseitige Misstrauen auflösen, das neue Dimensionen an. Mittlerweile fordern auch viele zwischen 5-G-Befürwortern und 5-G-Gegnern besteht. Experten, Ärzte und wissenschaftliche Organisationen Wenn wir die Digitalisierung wirklich weiterbringen wol- Aufklärung über eventuelle Gefahren, und sie fragen, len, brauchen wir sichere Datenautobahnen, die auch wie die Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung genutzt und akzeptiert werden. Und wir müssen gewähr- zu bewerten sind. Auch der Wissenschaftliche Dienst leisten, dass die 5-G-Infrastruktur zügig wachsen kann – des Europäischen Parlamentes – den gibt es auch dort – überall in unserem Land, und zwar ohne Gutachtern, mahnt umfangreiche Untersuchungen zur realen oder Anwälten und Gerichten ständig Futter zu geben. vermuteten Gefährlichkeit von 5 G an. Ich bitte Sie, unterstützen Sie unseren Antrag, und beweisen Sie damit, dass Sie die Nöte der Menschen Die Bandbreite der Vorbehalte ist bei 5 G besonders wirklich ernst nehmen, (B) groß und nicht immer seriös. Die Bedenken reichen von (D) fundierten wissenschaftlichen Argumenten bis hin zum (Lachen der Abg. Margit Stumpp [BÜND- Auflisten angeblicher Geschehnisse. Von Vögeln, die NIS 90/DIE GRÜNEN]) wegen 5-G-Strahlung vom Himmel fallen, ist die Rede und zeigen Sie gleichzeitig, dass der Deutsche Bundestag und von absterbenden Bäumen. Es werden 5-G-Apoka- dem Ausbau der digitalen Infrastruktur nicht im Wege lypsen heraufbeschworen; 5 G wird als Strahlenwaffe steht. bezeichnet und als Instrument für den Völkermord. Auf der anderen Seite befinden sich Interessengruppen, die Ihnen ein schönes Weihnachtsfest! Vielen Dank. jede negative Auswirkung von 5 G direkt ins Reich der (Beifall bei der AfD) Märchen verweisen. Insgesamt sind die Fronten zwischen den Lagern ver- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: härtet. Die Diskussion um 5 G stellt alle Vorbehalte in den Vielen Dank, Herr Schulz. – Gleich geht das Wort an Schatten, die wir bereits zu 3 G und 4 G hörten. Aber Karsten Möring von der CDU/CSU-Fraktion. Tatsache ist: Es gibt keine anerkannten Belege dafür, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 5 G das Wohlergehen von Mensch, Tier und Natur schä- digt. Tatsache ist aber auch: Es gibt keine unabhängigen Karsten Möring (CDU/CSU): Studien, die die Gefahrlosigkeit von 5 G beweisen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Falko Mohrs [SPD]: Quatsch!) Wir haben eben von der AfD die Begründung ihres Antrags gehört, und es gibt vor allem keine Studien, die auf eine Lang- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Die war gut!) zeitbetrachtung fokussiert sind. und ich sage mal: Hinter der scheinsachlichen Begrün- Uns allen muss bewusst sein: Die 5-G-Technologie dung steckt in Wirklichkeit ein ganz anderes Motiv. Das kann das digitale Nervenzentrum unserer Wirtschaft Motiv haben wir im letzten Jahr schon kennengelernt, als und Infrastruktur werden. Aber es ist logisch, dass sich es darum ging, bei einem 5-G-Experimentierfeld in Sach- das enorme Innovationspotenzial erst dann entfaltet, sen Unruhe in der Bevölkerung mit der Behauptung zu wenn 5 G von den Bürgern angenommen und akzeptiert schüren, es sei unsicher, ob es gesundheitliche Gefähr- wird. Und wie erzeugt man Akzeptanz? Indem man Klar- dungen gebe. Auch bei diesem Antrag wird unterschwel- heit schafft und den Menschen die Angst nimmt. lig suggeriert: Wir müssen so eine Untersuchung machen, weil es gesundheitliche Gefährdungen gibt, die es aufzu- (Falko Mohrs [SPD]: Das ist ja Ihre Stärke!) klären gilt. – Hinter dieser Attitüde des Aufklärers ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25467

Karsten Möring (A) birgt sich in Wirklichkeit ein Unruhestifter, der argumen- tionen hat feststellen können. Dann fügt man einen (C) tieren möchte: Solange so etwas nicht ganz klar ist, so Sicherheitszuschlag hinzu, der zwischen dem Zehn- und lange sollten wir die Finger davon lassen. dem Hundertfachen liegt. Auf diese Weise betreibt man (Zuruf von der AfD: Richtig!) Risikominimierung. Dann kann man seriös abwägen und sagen, welches Risiko wir in Kauf nehmen können und Das ist genau der falsche Weg. welche Vorteile die Anwendung von 5 G hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir 5-G-Grenzwerte von bis zu 300 Gigahertz Selbstverständlich müssen wir uns mit den Konse- haben, die Geräte in Wirklichkeit aber im einstelligen quenzen einer 5-G-Einführung und der Auswirkung auf Gigahertzbereich arbeiten, dann kann man mit Fug und menschliche Gesundheit intensiv beschäftigen. Aber Recht sagen, dass wir alles getan haben, um die Risiken, nicht erst in jüngster Zeit, Herr Kollege, ist das so, son- die vielleicht in der Technologie stecken, so weit mini- dern das machen wir schon seit sehr langer Zeit. miert zu haben, dass wir es verantworten können. Ich darf nur mal an ein paar Daten erinnern: Anfrage Dann sagen Sie: Es soll transparent zugehen. – Trans- der AfD vom 10. Mai 2019 zu diesem Thema, Antwort parent geht es zu. Vielleicht haben Sie mal zur Kenntnis der Bundesregierung vom 29. Mai 2019: elf Seiten; genommen, dass wir seit Anfang Dezember den Inter- Emissionsminderungsbericht der Bundesregierung vom netauftritt www.deutschland-spricht-ueber-5g.de haben. Dezember 2018 mit, ich weiß nicht, 30 Seiten; Debatte Da haben Bürger, die interessiert sind, nicht nur die Mög- dazu im Februar im Ausschuss für Umwelt; Stellungnah- lichkeit, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. me des Bundesamts für Strahlenschutz zu dem so In diesem Portal stehen auch alle nennenswerten For- genannten NTP-Thema, das dort angesprochen wurde; schungsergebnisse mit Quellenangaben, in denen man Anfrage der Grünen, 13. März dieses Jahres, Antwort: nachgucken und sich informieren kann, und zwar in einer 26 Seiten; NRW-Debatte vor zwei Monaten zu diesem Sprache, die, wie Sie fordern, allgemein verständlich ist. Thema: mehrere Stunden lang. Dazu dient dieses Portal. Nutzen Sie es! Vielleicht kön- nen Sie beim nächsten Mal daraus einen Nutzen ziehen Wenn Sie behaupten, das sei bisher nicht ausreichend und einen Antrag formulieren, der ein bisschen seriöser Thema gewesen, dann kann ich nur sagen: Dass Sie so und ein bisschen fundierter ist als das, was Sie heute einen Antrag schreiben, der sich auf sage und schreibe abgeliefert haben. fünf Pressemeldungen als Quelle dafür konzentriert, dass es einige Wissenschaftler gibt – ob sie es sind oder nicht, Ein letzter Punkt. Wenn Sie alles das nicht glauben und lasse ich mal dahingestellt –, die sagen, man solle ein sagen: „Das ist mir viel zu unsicher“, dann habe ich einen Moratorium zu 5 G machen, ist die absolut unseriöseste ganz einfachen Rat: Wer sich auf 5 G nicht einlassen will, (B) Weise, mit diesem Thema umzugehen, die ich mir über- der holt sich kein 5-G-Handy; denn 95 Prozent der Strah- (D) haupt vorstellen kann. lungseinwirkung kommt über das Handy und nicht über (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Sendemasten. Niemand ist gezwungen, das zu nutzen. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Er kann die Finger davon lassen. Das gilt für alle Aluhut- träger genauso wie für den normalen besorgten Bürger, Wie sind wir in Deutschland in diesem Bereich unter- der sagt: Das Risiko ist mir zu groß. wegs? Wir haben das Deutsche Mobilfunk-Forschungs- programm. Wir haben die Internationale Kommission Aber wir lassen uns die Vorteile von 5 G dadurch nicht zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung, die uns vermiesen! Die brauchen wir. bei der Frage von Grenzwerten berät, an die wir uns (Beifall bei der CDU/CSU) halten. Wir haben die Strahlenschutzkommission. Wir haben seit Anfang dieses Jahres das Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder. Wir haben Organisationen Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: bei der WHO und bei der UN, die sich mit diesen Fragen Vielen Dank, Herr Möring. – Jetzt geht das Wort an beschäftigen. Judith Skudelny von der Fraktion der FDP. Wenn Sie sagen, wir hätten noch nicht ausreichend (Beifall bei der FDP) geforscht und könnten nicht ausschließen, dass es gesundheitliche Folgen gibt, dann kann ich nur sagen: Judith Skudelny (FDP): Sie hätten damit nicht unrecht, wenn Sie akzeptieren Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich könn- würden, wie solche Untersuchungen stattfinden. Alle te es mir mit diesem Antrag vergleichsweise einfach empirischen Untersuchungen haben, solange sie nicht machen. Ich könnte darauf hinweisen, dass das Büro für falsifiziert sind, ein Ergebnis: Es gibt keine Gefährdung. Technikfolgen-Abschätzung gerade zu dem Thema Wenn man das potenzielle Risiko, dass man irgend- „elektromagnetische Strahlungen“ einen Auftrag dieses wann doch noch etwas findet, für die praktische Anwen- Hauses angenommen hat und kurz vor dem Abschluss dung ausschließen will, hat man dafür ein Instrument: eines Berichtes genau über dieses Thema steht. Ich könn- Man hat Grenzwerte, die man so festsetzt, dass die Diffe- te darauf hinweisen, dass das Bundesamt für Strahlen- renz zu dem, was wir an Erkenntnissen haben, genügend schutz in der Lausitz ein Kompetenzzentrum Elektro- groß ist. Die Grenzwerte, die wir für die Mobilfunktele- magnetische Felder eingerichtet hat und dass dieses fone, aber auch für die Sendemasten festgesetzt haben, Haus, das Parlament, jetzt erst 1,75 Millionen Euro für orientieren sich schlicht und einfach daran, wo oder bei Forschung über 5 G zur Verfügung gestellt hat. Das wäre welchen Werten man biologische oder thermische Reak- die einfache Antwort auf Ihren Antrag. 25468 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Judith Skudelny (A) (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) Vielen Dank, Frau Skudelny. – Als nächsten Redner Allerdings möchte ich meine restliche Redezeit doch erwarten wir Falko Mohrs von der SPD-Fraktion. für etwas nutzen, das ein bisschen anders ist. Ihr Antrag beruht darauf, dass Sie verwirrt darüber sind, dass unter- (Beifall bei der SPD) schiedliche Zeitungen ganz unterschiedlich über 5 G berichten. Sie sind verwirrt darüber, dass dann, wenn Falko Mohrs (SPD): man nach Gefahren von 5 G googelt, unterschiedliche Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Antworten kommen. Aber, meine Damen und Herren, ren! 5 G, also die fünfte Mobilfunkgeneration, erlaubt es das ist das Wesen einer westlichen Demokratie. Wir uns, schneller und mehr Daten zu übertragen. Das ist das haben freie Wissenschaft, wir haben freien Journalismus, Neue. Es gibt Anwendungsfelder im Bereich der Land- und wir haben die freie Meinungsäußerung. Wenn Sie wirtschaft, in der Industrie, in der Mobilität, in der nicht wollen, dass unterschiedliche Menschen Ergebnisse Gesundheit: viele Anwendungsfelder, von denen wir als und Sachen unterschiedlich werten, dann müssen Sie in Gesellschaft uns einen Fortschritt versprechen. Das, mei- ein anderes Regime gehen, wo es nur eine Meinung gibt. ne Damen und Herren, ist das Neue. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wir haben Modellregionen in Deutschland, in Wolfs- Norbert Kleinwächter [AfD]: Genau weil es burg zum Beispiel im Bereich Mobilität – ich hoffe, in unterschiedliche Erkenntnisse gibt, brauchen Helmstedt und Wolfenbüttel bald im Bereich Landwirt- wir diese Studie! Es ist eben nicht so einfach, schaft und Umweltschutz –, wo genau Standards und wie Sie sagen!) Anwendungsfälle erforscht werden. Was nicht neu ist, meine Damen und Herren, sind die Hier haben wir viele Meinungen, und es ist gut, dass man Frequenzen, die bei 5 G genutzt werden. Wir nutzen bei- diese vielen Meinungen abwägen kann. spielsweise bei 5 G Frequenzen, die jeder WLAN-Router Interessant ist, dass gerade Sie so staatsgläubig sind, zu Hause im Haushalt heute eben auch nutzt. Wir haben dass Sie sagen: Der Staat muss die eine Wahrheit bringen. perspektivisch im Bereich von 20 Gigahertz vor, auch Der Staat muss die Studie bringen, die uns erklärt, was zusätzliche und neue Frequenzen zu nutzen. In der Tat richtig oder falsch ist. – Meine Damen und Herren, es ist muss man hier bei der Studienlage wahrscheinlich ein nicht am Staat, etwas für richtig oder falsch zu erklären. klein wenig unterscheiden. Aber ich glaube, trotzdem Die Bürgerinnen und Bürgern haben ihr Vertrauen in die hilft es, sich einige Fakten noch mal sehr genau anzu- Hand dieses Parlamentes gelegt. Unsere Verantwortung schauen. (B) ist es, die Informationen, die wir aus der Wissenschaft Elektromagnetische Felder haben ungefähr ab dem Be- (D) bekommen, zu gewichten und – das gilt für jeden indivi- reich eine krebserregende Wirkung, in dem auch UV- duell – seine Entscheidung auf der Basis dieser Erkennt- Strahlen eine solche haben. Wir reden hier aber zum Bei- nisse zu treffen. Das nennt man Demokratie, und darauf spiel über einen Energiegehalt von 3,1 Elektronenvolt. bin ich hier in Deutschland stolz. Um das mal ins Verhältnis zu setzen: Beim Mobilfunk sind wir im Mikroelektronenvoltbereich. Also, meine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Damen und Herren, wir haben hier nun tatsächlich alleine der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- schon beim Energiegehalt, wenn man sich diese Fakten SES 90/DIE GRÜNEN) anschaut, einen massiven Unterschied gegenüber den Frequenzen und der Strahlung, die im Bereich von Deswegen fand ich die Begründung, die Sie genannt Mobilfunk genutzt werden. Der Kollege Möring hat es haben: „Wir brauchen eine Weisheit, eine Heilsbringung, ja gesagt: Über 90 Prozent der Strahlung gehen beim eine Wissenschaft“, tatsächlich das, was ich an diesem Mobilfunk von Endgeräten und nicht von den Antennen Antrag so bedenklich fand; denn was wir brauchen, ist aus. Übrigens war die Strahlung vor allem bei GSM, also die Pluralität. Wissenschaftler sind auch nur Menschen, auch bei 3 G und 4 G, höher als das, was wir bei 5 G die Fakten auswerten und unterschiedlich bewerten. Sie erwarten. sind keine Religionsstifter und keine Heilsbringer. Des- wegen ist es gut, dass wir viele Wissenschaftler haben Insofern ist das, was von der AfD hier vorgelegt wird, und dass wir diese fördern. aus meiner Sicht eher der Versuch, Sorgen zu schüren, Ängste ins Spiel zu bringen und den Eiertanz zwischen Dieses Parlament hat das Geld in die Hand genommen, den Polen, die Sie gerne zusammenführen wollen, irgend- die Wissenschaft zu fördern und 5 G auszubauen, damit wie hinzubekommen. Aber, meine Damen und Herren, wir, weil Wissenschaft auch keine abschließende ich glaube, das misslingt der AfD hier grundsätzlich. Erkenntnis bedeutet, die Erkenntnisse fortentwickeln (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten können und mit unseren Gesetzen und unseren Verord- der CDU/CSU) nungen uns dem Stand der Technik anpassen können. Das ist die Aufgabe, die wir hier im Parlament haben, und das Wenn Sie als AfD sich in Ihrem Antrag um Missinfor- ist das, was wir mit unseren Erkenntnissen, die wir von mation und den Verlust von Fakten Sorgen zu machen dem Bundesamt für Strahlenschutz bekommen, sehr gut scheinen, dann würde ich das eher als etwas putzig abtun. mit Leben füllen können. Denn: Ja, wir brauchen Fakten, wir brauchen Transpa- renz; aber das setzt voraus, dass alle Beteiligten auch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bereit sind, Fakten anzunehmen, meine Damen und Her- der CDU/CSU und der SPD) ren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25469

Falko Mohrs (A) (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Wir haben eine Studienlage mit rund 28 000 Studien, der CDU/CSU) die im Archiv der RWTH Aachen hinterlegt sind. Diese Studienlage sagt klar, dass von der Strahlung von 5 G Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: keine Gefahr ausgeht. Demgegenüber stehen 400 Studien, Vielen Dank, Herr Mohrs. – Das Wort geht an Anke die von den Gegnern von 5 G immer wieder herange- Domscheit-Berg von der Fraktion Die Linke. zogen werden, wovon übrigens bei Wiederholungsstu- dien, was in der Wissenschaft ein gängiges Mittel ist, (Beifall bei der LINKEN) keine genau zu dem Ergebnis kommt, dass eine Gefahr davon ausgeht. Also, meine Damen und Herren, die Stu- Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): dienlage bei 5 G ist sehr klar. Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Apropos Fakten: Vielleicht hätte es der AfD geholfen, legen! In Ihrem Antrag überrascht die AfD mit bahn- sich einmal genau mit den Fakten, mit der Realität aus- brechenden Erkenntnissen, nämlich dass man im Internet einanderzusetzen, bevor man diesen Antrag schreibt. widersprüchliche Aussagen zu 5 G findet. Donnerwetter! Ich kann Ihnen ein Geheimnis verraten: Das ist bei ande- (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Nein, ren Themen auch so. hätte es nicht!) – Ich habe immer noch Hoffnung, dass es der AfD hilft, Die AfD fordert im Antrag eine Studie zum Zusam- auch wenn sie vielleicht gering ist, Frau Kollegin; das menhang zwischen gesundheitlichen Schäden und stimmt. – Sie hätten vielleicht zur Kenntnis nehmen kön- Mobilfunk, insbesondere 5 G, sowie einfach verständ- nen, dass die Bundesregierung vor wenigen Tagen, im liche Erklärungen. Das haben schon viele vor ihr gefor- Dezember, eine Dialoginitiative gestartet hat – der Kolle- dert, auch meine Fraktion, die Linksfraktion. Und selbst ge hat es angesprochen –: „Deutschland spricht über die Bundesregierung ist darauf schon gekommen. 5 G“. Dazu gibt es eine Internetseite mit sehr guten Links, Beim Bundesamt für Strahlenschutz findet man elf sehr guten Informationen, einem sehr guten Verweis zu laufende Forschungsvorhaben zum Mobilfunk. Mehr als vorhandenen Studien, sodass sich jeder genau, transpa- die Hälfte davon ist bereits zum Zusammenhang zwi- rent und umfangreich informieren kann. Auch das ist schen Gesundheit und Mobilfunk, einige sogar explizit eines der Dinge, die Sie hätten zur Kenntnis nehmen zu 5 G. Aber Recherche ist nicht so das Ding der AfD. können. Die interessiert sich nicht für Fakten, die möchte Seit Februar dieses Jahres gibt es übrigens ein neues anschlussfähig bleiben an Angstbotschaften. (B) Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder. Auch Bisher allerdings konnte es der AfD gar nicht schnell (D) hier kann man sich umfangreich informieren. Es gibt genug gehen mit dem 5-G-Ausbau. Ich zitiere mal Ihren das Bundesamt für Strahlenschutz. Auch hier gibt es Kollegen Matthias Büttner – hier an dieser Stelle hat er eine sehr übersichtlich gestaltete Seite mit Blick auf die das gesagt –: Frage von Strahlung und Gefahren. Also, meine Damen und Herren, es gibt eine sehr gute Studienlage für die Lassen Sie uns bei der 5G-Technologie nicht die Frequenzen, die wir heute sehr gut kennen. alten Fehler wiederholen. Lassen Sie uns stark beginnen, lassen Sie uns zur Abwechslung den (Beifall bei der SPD) Technologiesprung aber einmal vollständig vollzie- Jetzt habe ich vorhin angesprochen, dass es im 20- hen, sodass das Potenzial des neuen Standards voll- Gigahertz-Bereich durchaus Frequenzen gibt, die wir umfänglich ausgeschöpft werden kann … noch nicht so gut kennen. Da kann man vielleicht über Grundlagenforschung aus dem Ministerium für Bildung – Das klang jetzt wirklich nicht ängstlich. und Forschung oder aus der Wissenschaft nachdenken. (Heiterkeit bei der LINKEN und der CDU/ Es liegt beim BMBF, hier im Bereich der Grundlagenfor- CSU) schung aktiv zu werden. Das Umweltministerium macht im Bereich der Ressortforschung einiges. Grundlagenfor- Die AfD ist durch widersprüchliche Informationen im schung ist Aufgabe des Bundesministeriums für Bildung Internet verwirrt. Auch ich empfehle ihr die Informa- und Forschung. Ich glaube, hier haben wir in der Tat noch tionsplattform der Bundesregierung als Orientierungshil- ein klein wenig Bedarf. fe. Sie heißt „Deutschland spricht über 5 G“. Das Logo in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schwarz-Rot-Gold dürfte Ihnen besonders zusagen. Und es ist auch in einfach verständlicher Sprache. Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir haben mit 5 G eine Technologie vor uns, die Neues (Heiterkeit bei der LINKEN – Falko Mohrs ermöglicht, die uns als Gesellschaft Fortschritte bringt. [SPD]: Das ist ein guter Hinweis für die AfD Wir haben eine Technik, die wir gut kennen, die gut gewesen!) erforscht ist, über die wir uns keine Sorgen machen müs- Da finden sich Rubriken zum Mobilfunk und zu sen. Deswegen hoffe ich, dass wir mit 5 G gut und verant- Zusammenhängen zu Krebs, Fruchtbarkeit, Immunsys- wortungsvoll umgehen, dass wir es in der gesamten Flä- tem oder DNA. Studien werden erklärt, die Wirkungen che ausbauen, in den Städten und auf dem Land, und uns von Strahlungen durch Mobilfunk ebenso. Da lernt man nicht von solchen Anträgen aufhalten lassen. zum Beispiel, dass die höchste Strahlungsquelle im Vielen Dank. Zusammenhang mit Mobilfunk in der Tat das eigene 25470 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Anke Domscheit-Berg (A) Handy ist. Und man erfährt: 5 G ist gar keine Mikrowelle, antwortung, die Potenziale neuer Technologien genauso (C) sondern ein neues Übertragungsprotokoll, das höhere in den Blick zu nehmen wie mögliche Gesundheitsgefah- Frequenzen nutzen kann, aber gar nicht muss. ren. Die , Vodafone und Telefónica Tatsächlich sind die jetzt genutzten Frequenzen 2 und schalten gerade nach und nach 3 G ab und nutzen dafür – 3,4 Gigahertz und 700 Megahertz sehr gut untersucht und man höre und staune – die gleichen Frequenzen für 5 G. nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gesundheit- 5 G auf sehr hohen Frequenzen hat eine superkurze lich unbedenklich. Schließlich nutzen wir diese Frequen- Reichweite und macht deshalb nicht mal Sinn in Stadt zen schon seit 70 und seit 100 Jahren für Fernsehen und und Land, sondern in Industrieanlagen. für Radio. Wären Langzeitfolgen aufgetreten, wären sie Nach hohen wissenschaftlichen Standards durchge- bekannt. führte Studien – viele davon – geben bisher keinerlei (Zuruf von der LINKEN: Bei der AfD!) Anlass zur Sorge. Dennoch ist es richtig, dass hier weiter Anders verhält es sich bei hohen Frequenzen über geforscht wird; denn mehr Forschung bedeutet mehr Fak- 20 Gigahertz. Auf unsere Kleine Anfrage zu Beginn die- ten, und die sollten Grundlage staatlichen Handelns sein. ses Jahres hat die Bundesregierung bestätigt, dass es hier (Beifall bei der LINKEN und der SPD) noch Forschungsbedarf gibt. Sie hat aber auch dargelegt, Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen dass es dazu bereits laufende Forschungsvorhaben – sie zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht ver- wurden genannt – vonseiten der Regierung gibt. Es ist loren haben. § 219a gehört abgeschafft! Ich gebe die bezeichnend für die parlamentarische Arbeit der AfD, Hoffnung für 2021 nicht auf, dass wir das schaffen. dass ihr offenbar sowohl unsere Anfrage als auch die Antwort entgangen ist. Im Regierungsauftrag – so die Ansonsten möchte auch ich Ihnen frohe Feiertage Aussage – laufen bereits sechs Studien, dazu kommen wünschen, möglichst in sehr kleinem Rahmen in diesem etliche externe. Daher haben wir Grünen darauf verzich- Jahr. Verabschieden wir gemeinsam dieses unerträgliche tet, noch eine weitere Studie vonseiten der Bundesregie- 2020, und kommen wir alle – hoffentlich gut – in ein rung anzustoßen. Wichtiger ist es doch, Frau Skudelny, besseres neues Jahr. unterschiedliche Studien unterschiedlicher Auftraggeber Vielen Dank. und unterschiedlicher wissenschaftlicher Einrichtungen zu haben, um Evidenz zu generieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Beate Müller- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jetzt, viele Monate später, will die AfD, die jegliche wissenschaftliche Erkenntnis, die die Bundesregierung (B) (D) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: anführt – zum Beispiel beim Thema Klimaschutz –, in Vielen Dank, Frau Domscheit-Berg. – Jetzt hat Margit Abrede stellt, also noch eine weitere Studie zu 5 G initi- Stumpp von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ieren. Wozu? Es sind schon etliche Studien unterwegs, und die Ergebnisse, weil von der Regierung beauftragt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird diese AfD anschließend ohnehin in Zweifel ziehen. Ich denke, jede und jeder hier im Plenum kennt die Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wahren Motive: Die AfD wartet nur darauf, die Ergeb- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen nisse zu instrumentalisieren und die beteiligten Institutio- und Herren! Ich hatte schon darauf gewartet. Spätestens nen zu diffamieren. – Dafür ist dieses und jedes andere seit Verschwörungstheorien die Verbreitung des Corona- Thema zu wichtig und jegliche Zeit und übrigens auch virus mit 5 G in Verbindung gebracht haben, war damit zu jegliches Steuergeld zu schade. rechnen, dass die AfD das Thema aufgreift. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Heiterkeit bei der LINKEN) bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Die Theorie ist zwar absurd – vor zehn Monaten gab es so Katharina Landgraf [CDU/CSU]) gut wie keine 5-G-Sendeanlagen in Deutschland –; aber der AfD ist keine Gelegenheit zu schade, die Ängste und Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Unsicherheiten von Menschen aufzugreifen und zu ver- Vielen Dank, Kollegin Stumpp. – Das Wort hat stärken. Thomas Jarzombek von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Jetzt also 5 G. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): (Dr. Götz Frömming [AfD]: Haben die Grünen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese noch nie gemacht! Gründungsmythos! Natur- Debatte hier hat für mich heute doch einen sehr erfreu- tod! Waldsterben!) lichen Punkt: Ich bin der zweite Redner unserer Fraktion In Bezug auf diese Technologie spielen aus unserer nach meinem Kölner Kollegen Karsten Möring, und es Sicht zwei Aspekte eine wichtige Rolle: der Ausbau freut den Düsseldorfer doch, dass er sagen kann: Mein von Infrastruktur für Zukunftstechnologien auf der einen Kollege aus Köln hat es perfekt auf den Punkt gebracht. Seite und der Schutz der Gesundheit und der Umwelt auf (Beifall bei der CDU/CSU – Falko Mohrs der anderen Seite. – Als Grüne sehen wir uns in der Ver- [SPD]: Da ist aber die Wiederwahl gefährdet!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25471

Thomas Jarzombek (A) – Ich gucke genau, wer jetzt hier applaudiert. digitalen Mobilfunk eingeführt hat, da gab es die Angst (C) vor Strahlung. Dann kam die gepulste Strahlung; davor (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, hatte man Angst. Dann kam 3 G; davor hatte man Angst. der SPD und der LINKEN) Jetzt ist es eben so, dass man am Ende – und das haben Meine Damen und Herren, das ist vielleicht noch die Sie ja sogar noch in Ihrer Ansprache hier beschrieben – interessanteste Note in dieser Diskussion; denn am Ende Langzeitstudien braucht. Logischerweise kann man vor macht es eigentlich wenig Freude, mit der AfD zu disku- der Einführung einer Technologie keine Langzeitstudie tieren. Ich habe mich gar nicht darum gerissen, hier zu mit Messergebnissen aus 20 Jahren veröffentlichen. reden. Das Problem liegt nämlich immer darin, dass Sie ja gar nicht mit uns diskutieren, sondern hier für Ihr Pro- (Heiterkeit der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LIN- gramm reden. Sie injizieren das in Ihre Blase, und Sie KE]) haben überhaupt nicht den Mut – einen stärkeren Aus- Aber es ist ganz interessant, vielleicht mal zu gucken, was druck will ich nicht verwenden –, Argumente anderer in die Langzeitstudien zu den Dingen ergeben haben, von Ihre Blase hineinzulassen. denen man vor 20 Jahren dachte, sie wären gefährlich. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- haben ergeben: Es gibt keine Auffälligkeiten, keine NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- erhöhten Krebszahlen. Und so wird es hier eben auch ten der SPD, der FDP und der LINKEN – Zuruf sein. von der AfD: Reden Sie über sich?) Meine Damen und Herren, die größte Gefahr, die uns Wenn Sie den Mut hätten, würden Sie die Rede vom droht, ist, dass wir mit solchen Debatten, wie hier heute Kollegen Möring mal in Ihre Blase hineinbringen. Abend von der AfD angestoßen, die Technikfeindlichkeit in diesem Lande stärken. Ich glaube, dass wir nicht das Aber Sie können uns ja hier heute Abend auch mal ein Land sein sollten, das darauf wartet, bis überall anders auf bisschen Klarheit darüber verschaffen, was Sie als AfD der Welt neue Technologien eingeführt werden, sodass eigentlich selber glauben. Sie haben ja in Ihrem Antrag man unser Land als ein Technikmuseum ansieht. geschrieben, es gebe „so genannte Verschwörungstheo- rien“. Das wissen wir ja alle. Im Internet wird geschrie- Vor 100 Jahren hatten wir einen unglaublichen Entde- ben, dass Corona aus 5-G-Sendern kommt, dass Fleder- ckergeist. Da sind diese ganzen großen Konzerne entstan- mäuse damit aufgeladen werden. den, von denen wir heute noch leben. Als das Auto ein- geführt wurde, da hat keiner gesagt: Mensch, das Pferd ist (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) aber vielleicht doch besser, und vielleicht finden wir noch Meine Frage an Sie: Glauben Sie das? – Sie sind so ruhig. stärkeres Kraftfutter. (B) (D) (Nicole Höchst [AfD]: Wo lesen Sie denn?) (Ralf Kapschack [SPD]: Doch, Wilhelm II.! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sagen Sie doch mal was: Glauben Sie das? Doch! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Doch, die gab es damals auch!) Zurufe von der AfD) – Das Zitat ist übrigens ein Gerücht; ich finde es aber – Ich habe jetzt hier kein Dementi gehört, meine Damen lustig. – Jedenfalls hat sich da keiner an die Entwicklung und Herren. von Kraftfutter gemacht. Da waren wir doch sehr viel euphorischer, was neue Technologien betrifft. (Zuruf von der AfD: Das ist doch Kindergar- ten!) Und diese ganze Angst, die Sie vor dem Elektroauto haben! Lassen Sie die Leute doch mal entscheiden. Sie können das stark dementieren. Ich habe den Eindruck: Sie nehmen solche Verschwörungstheorien ganz gerne (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie lassen die billigend in Kauf. Sie zahlen mit diesem Antrag hier Leute doch nicht entscheiden! heute auf genau dieses Konto ein, um all diejenigen ein- Ich habe nur Angst davor, dass wir die Zukunft – – zusammeln, die in diesem Land wirklich die krudesten Dinge glauben. Insofern macht es auch gar keinen Sinn, (Zurufe von der AfD) sich in der Sache damit auseinanderzusetzen. – Wollen Sie auf die Frage mit den Fledermäusen ant- Ich könnte Ihnen jetzt sagen, was die WHO sagt. Ich worten? kann es zitieren: (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Berücksichtigt man die sehr niedrigen Feldstärken und die bisher vorhandenen Forschungsergebnisse, Bitte, Sie kriegen sofort das Wort. lässt sich kein überzeugender wissenschaftlicher Beleg dafür finden, dass sich die schwachen HF- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Signale von Basisstationen und drahtlosen Netzwer- Das Wort erteilt immer noch die Präsidentin. ken nachteilig auf die menschliche Gesundheit aus- wirken. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Aber es gibt natürlich Menschen, die davor Angst Ja, natürlich, Frau Präsidentin. Ich verbeuge mich mit haben. Das ist nichts Neues. Ich weiß nicht, wie lange Respekt. Natürlich kann das nur die Präsidentin entschei- ich schon diese Diskussion führe. Als man damals den den. 25472 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Thomas Jarzombek (A) Nichtsdestotrotz habe ich heute Abend gelernt: Die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Ralf (C) AfD distanziert sich nicht von den Verschwörungstheo- Kapschack von der SPD-Fraktion. rien rund um die Fledermäuse, die AfD ist technikfeind- (Beifall bei der SPD) lich, und die AfD möchte gerne, dass wir 5 G erst dann einführen, wenn es 20 Jahre lang in China und sonst wo erprobt worden ist. Das ist jedenfalls nicht meine Philo- Ralf Kapschack (SPD): sophie und, wie ich heute lerne, auch nicht die Philoso- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! phie der anderen Fraktionen in diesem Hause. Das stimmt Die FDP hat ihren Antrag damit begründet, dass es um mich wiederum optimistisch. Fairness und Solidität in der gesetzlichen Rentenversi- cherung ginge. Vielen Dank. (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Exakt!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- Das sehen wir auch so. Nur, wir sind völlig anderer Mei- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der nung als Sie, wie man dahin kommt und welche Konse- AfD: Bitte gehen Sie in den Kindergarten! – quenzen man da zieht. Nicole Höchst [AfD]: Fakt ist, dass Sie Worum geht es bei Ihrem Vorschlag konkret? Die Deutschland zum Technikmuseum gemacht Renten folgen den Löhnen. Durch die sogenannte haben! Sie waren das, nicht wir!) Rentengarantie kommt es bei sinkenden Löhnen in der Krise nicht zu Rentenkürzungen. Das soll durch geringe- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: re Rentensteigerungen in der Zeit danach aufgefangen Vielen Dank, Herr Jarzombek. – Ich schließe die Aus- werden. Das ist Kern des Nachholfaktors. Es bedeutet sprache. aber, dass Sie Rentnerinnen und Rentner für die Krise mehrfach zahlen lassen wollen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/25308 an die in der Tagesordnung aufge- (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Eben nicht! – führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Was? – Gegen- jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der ruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LIN- SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für KE]: Ja, da hat der Kollege recht!) Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Frak- Denn durch die nächstes Jahr anstehende Nullrunde und tion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss auch als Steuerzahler zahlen sie ohnehin schon. Digitale Agenda. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Moment, das (B) Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- ist aber was anderes!) (D) schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- Und Sie setzen noch einen drauf und wollen die künftigen weisungsvorschlag? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer Rentenerhöhungen kürzen. Das machen wir nicht mit. stimmt dagegen? – Das ist der Rest des Hauses. Gibt es Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Damit ist der Überwei- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie sungsvorschlag abgelehnt. des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Sie verbrämen das in Ihrem Antrag mit dem Deckmantel schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: vermeintlicher Generationengerechtigkeit. Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das ist nicht und nukleare Sicherheit. Wer stimmt für diesen Überwei- „vermeintlich“, das ist Realität!) sungsvorschlag? – Das sind die Fraktionen der Linken, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU, Sie reden von „Generationengerechtigkeit“; im Grunde der FDP. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der AfD. meinen Sie „Beitragsstabilität“. Was das mit Gerechtig- Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Über- keit zu tun hat, ist mir schleierhaft. weisungsvorschlag ist damit angenommen. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Weil Sie nur Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: für die nächsten fünf Jahre rechnen!) Beratung der Beschlussempfehlung und des – Hören Sie doch einfach mal zu. – Sie tun so, als seien Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales höhere Beiträge per se ungerecht. Das ist eine reichlich (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten schlichte Argumentation. Johannes Vogel (Olpe), Michael Theurer, Jens (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Beeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion W. Birkwald [DIE LINKE]) der FDP Das sehen auch Jüngere so: Es ist doch längst bekannt, Corona-Krise generationengerecht überwin- dass Jüngere durchaus bereit sind, höhere Beiträge zur den – Nachholfaktor in der Rentenformel wie- Rentenversicherung zu zahlen – dereinführen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da gibt Drucksachen 19/20195, 19/24536 es Studien zu!) Für die Aussprache ist die Dauer von 30 Minuten be- dann, wenn sie einigermaßen sicher sein können, dass sie schlossen. auch eine ordentliche Rente bekommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25473

Ralf Kapschack (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Rich- denn die verfügbaren Löhne sind seit Beginn der 2000er- (C) tig!) Jahre um rund 41,6 Prozent gestiegen, die Renten um 13 Prozent weniger. Deshalb haben wir das Vertrauen in die gesetzliche Rente gestärkt, Voraussetzungen für gute Renten sind gute Löhne, Tarifbindung und faire Arbeitsbedingungen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deshalb haben wir eine Haltelinie bei Niveau und Bei- DIE GRÜNEN) trägen eingeführt. Diese gilt bis 2025, und wenn es nach uns geht, gilt sie auch länger. Und der Nachholfaktor Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten! ist ausgesetzt, weil sonst das Niveau nachträglich relati- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE viert würde. So schafft man Vertrauen in die gesetzliche GRÜNEN]: Da könnte ja auch die Regierung Rente und damit in den Sozialstaat. mal was zu der Tarifbindung sagen!) (Beifall bei der SPD – Bettina Stark-Watzinger Gestern haben Sie, Kolleginnen und Kollegen von der [FDP]: Machen Sie den Leuten keine Angst!) FDP, allerdings eine große Chance vertan, als Sie das Sie sagen, wie immer: Wer soll das bezahlen? – Das ist Arbeitsschutzkontrollgesetz abgelehnt haben. die alte Leier. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: „Leier“?) Der Nachholfaktor ist ausgesetzt, weil wir eine doppelte Nur noch mal zur Erinnerung: Der Anteil der Rentenaus- Haltelinie bei Niveau und Beitrag festgelegt haben. Das gaben am Bruttosozialprodukt ist in den vergangenen bleibt so. Jahren gesunken, (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Da ist aber (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist inhaltlich kein Zusammenhang, mein Lieber!) es!) Das war es dann – fast! – Wenn man so kurz vor trotz steigender Zahl an Rentnerinnen und Rentnern. Weihnachten diesen Antrag diskutiert, dann muss man Insofern ist es eine politische Entscheidung, was wir sich die Frage stellen, was Weihnachtsmann und Christ- uns die Rente kosten lassen wollen und was wir uns kind mit diesem Thema zu tun haben. leisten wollen. Es ist eine politische Entscheidung und (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ach nein, kein Naturgesetz. komm! Das ist unter deinem Niveau!) (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich finde, eine ganze Menge; denn die beiden sind ja (D) Ihre Vorstellungen bedeuten, dass langfristig das Ren- zurzeit schwer beschäftigt. Aber sind Weihnachtsmann tenniveau und die ausgezahlten Renten für alle dauerhaft und Christkind selbstständig, oder sind sie abhängig be- niedriger wären als nach geltendem Recht. schäftigt? Ist das eine Art Plattformökonomie, in der beide aktiv sind? (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Hat hiermit nichts zu tun! – Gegenruf des Abg. Matthias (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Jetzt kommt W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch!) aber alles zusammen!) Wie diese Einbußen ausgeglichen werden sollen, lassen Sind die beiden vielleicht soloselbstständig? Dann wür- Sie offen, nach dem Motto: Wenn jeder für sich sorgt, ist den sie vermutlich von der geplanten Einbeziehung von für alle gesorgt. – Aber so läuft das nicht, und das wissen Selbstständigen in die Rentenversicherung profitieren. Sie ganz genau. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Was hat denn (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Also, das ist die Bundesregierung für die Soloselbstständi- ja mal Quatsch!) gen in der Krise bisher gemacht?) Das bedeutet, Sie wollen in der Krise die belasten, die Das ist übrigens ein zusätzliches Argument für diese Idee. eh schon wenig haben. Gleichzeitig spielen Sie immer Das heißt aber, sie wären auch vom Nachholfaktor betrof- noch mit dem Gedanken einer Abschaffung des Soli für fen. – Oder sind Weihnachtsmann und Christkind abhän- die obersten Einkommen. Das ist der Unterschied; und gig beschäftigt, befristet beschäftigt, unständig beschäf- das wollen wir nicht. tigt? Auch dann berührt sie der Nachholfaktor. – Fragen über Fragen! (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Vermutlich muss die Rentenversicherung mit dem bewährten Statusfeststellungsverfahren Licht ins Dunkel Wir wollen solidarische Sicherungssysteme, auf die bringen man sich gerade in der Krise verlassen kann. Wir wollen, dass Rentnerinnen und Rentner einen ordentlichen Anteil (Heiterkeit des Abg. Dr. Martin Rosemann am gesellschaftlichen Wohlstand erhalten, und da gibt es [SPD]) an manchen Stellen eher Nachholbedarf als die Notwen- und die Frage klären, ob Weihnachtsmann und Christkind digkeit, den Nachholfaktor wieder in Kraft zu setzen; selbstständig oder abhängig beschäftigt sind. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl Diese zentralen Fragen haben Sie in Ihrem Antrag wahr!) nicht mal angetippt. 25474 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Ralf Kapschack (A) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Weile. Das ist dieser Nachholfaktor, und der wurde aus- (C) SPD) gesetzt, um eben diese Haltelinien zu halten und auch eine Rentenangleichung Ost hinzukriegen. Vermutlich haben Sie sich darüber überhaupt keine Ge- danken gemacht. Es ist zwar systemisch richtig gedacht, ihn wieder ein- zusetzen, aber ein anderes volkswirtschaftliches Argu- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Über Solo- ment spricht dagegen – und das hat wieder mit Corona selbstständige machen Sie sich wohl am und der Lockdown-Politik der Bundesregierung zu tun –: wenigsten Gedanken!) Die EZB druckt gerade massiv Geld. Und wenn Sie den Auch deshalb lehnen wir ihn ab. Weihnachtsvortrag von Hans-Werner Sinn gehört haben, dann wissen Sie, dass er eine relativ starke Inflation auf- Vielen Dank. grund Ihrer Politik befürchtet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wis- der CDU/CSU) sen, dass der eigentlich „Unsinn“ heißt – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der lag Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: doch bisher immer falsch!) Vielen Dank, Herr Kapschack. – Nun hat Norbert – Der liegt nicht falsch; der liegt sehr, sehr richtig, Herr Kleinwächter von der AfD das Wort. Kollege. (Beifall bei der AfD) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ach, natürlich! Beim Mindestlohn hat er auch falsch Norbert Kleinwächter (AfD): gelegen!) Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Und das Problem dabei ist Folgendes: Wenn wir nächstes, Kollegen! Die FDP will den Nachholfaktor in der Ren- übernächstes und überübernächstes Jahr eine starke Infla- tenversicherung wieder einführen, um die Rentenversi- tion haben und die Renten nicht anpassen, wenn also der cherung wieder generationengerecht zu machen. Um Nachholfaktor noch bleibt und die Renten nicht steigen, eine Sache mal vorauszuschicken: Bei der Bundesregie- dann haben die Rentner ein großes Problem, und ich rung wird gar nichts mehr generationengerecht. Nach glaube, wir haben eine Verantwortung den Rentnern diesem Generalangriff auf den Mittelstand, nach diesem gegenüber, dass sie ihr Alter tatsächlich auch in Wohl- Generalangriff auf unsere fleißigen Leute, nach diesen stand verbringen können. Betriebsschließungen ohne jegliche wissenschaftliche (B) Evidenz im Rahmen Ihrer gesamten Corona-Lockdown- (Beifall bei der AfD) (D) Politik wird das nicht mehr generationengerecht. Das ist bei aller Nachhaltigkeit und Generationengerech- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie haben tigkeit auch Aufgabe der Politik. einen, der im Krankenhaus liegt mit Corona, und dann erzählen Sie so einen Quatsch hier!) Ach ja, wenn ich schon bei der Generationengerechtig- keit bin, muss ich doch noch mal ein Wort über die FDP Für diesen Super-GAU von Bundesregierung werden verlieren. noch unsere Enkel und unsere Urenkel zu bezahlen haben. Deswegen: Generationengerechtigkeit ist nichts, (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sparen Sie worüber man hier wirklich nachhaltig reden kann. sich das!) (Beifall bei der AfD – Dr. Matthias Zimmer Die FDP sollte sich mal gut überlegen, wofür sie hier [CDU/CSU]: Meine Güte! Ihr habt einen Kol- eintritt. Sie waren es doch – bzw. Ihre Vorgängerfraktion legen im Krankenhaus mit Corona, und dann in der 17. Wahlperiode –, die nicht in der Lage waren, reden Sie so ein Zeug!) Ihre Beiträge zur Rheinischen Zusatzversorgungskasse zu bezahlen. Allerdings ist es natürlich so, dass die Große Koalition 2018 im Rentenversicherungsleistungsverbesserungs- (Beifall bei der AfD – Bettina Stark-Watzinger und Stabilisierungsgesetz im System herumgepfuscht [FDP]: Das lesen Sie aber mal besser nach! So und diesen Nachholfaktor ausgesetzt hat. Da hat man ein Quatsch!) letztendlich erkannt, dass diese Riester/Rürup-Konstruk- 5,8 Millionen Euro haben Sie da geprellt, hat die Zusatz- tion von Rot-Grün komplett an die Wand fährt, man hat versorgungskasse eben nicht einnehmen können, weil Sie sich deswegen Haltelinien und irgendeine Möglichkeit schlecht gewirtschaftet hatten und diese Beiträge letzt- überlegt, wie man das Rentenniveau einigermaßen stabi- endlich nicht bezahlt haben. lisieren kann, und dann wurde eben dieser Nachholfaktor ausgesetzt. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Reden wir mal über Ihre Vorgänger!) Noch mal ganz kurz zur Erklärung. Normalerweise ist es ja so, dass die Renten ein Jahr, nachdem die Löhne Da haben Sie ein Umlagesystem im Stich gelassen, gestiegen sind, im gleichen Umfang steigen. Wenn die was Sie jetzt zu verteidigen suchen. Herr Vogel, Sie Löhne aber sinken, bleiben die Renten eigentlich gleich, waren selber Mitglied dieser Fraktion, und ich finde es und wenn die Löhne dann wieder steigen, dann steigen ganz einfach nicht gerade angebracht, so aufzutreten. die Renten nicht gleich mit, sondern das dauert dann eine Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten müsst ihr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25475

Norbert Kleinwächter (A) sie messen! Hier von Generationengerechtigkeit zu Menschen in unserem Land auf die Rente und auf die (C) schwadronieren und tatsächlich was komplett anderes gesetzliche Rentenversicherung verlassen können. Ich zu tun, ist schon nicht gerade angemessen. glaube, dass wir hier sehr klug gehandelt haben, auf der (Beifall bei der AfD) einen Seite den Rentnern in unserem Lande Sicherheit zu geben, aber gleichzeitig auch die jungen Beitragszahler Die einzige Lösung besteht tatsächlich aus drei nicht zu überfordern. Der Kollege Kapschack hat gerade Schritten: Erstens. Diese Regierung Merkel muss weg. zur doppelten Haltelinie ausgeführt, dass es uns auf der Zweitens. Wir brauchen eine Rentenreform. Drittens. einen Seite wichtig war, das Rentenniveau bei 48 Prozent Wir brauchen eine Steuerreform. zu halten, aber gleichzeitig auch, die Beitragszahler nicht (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und die zu überfordern. Deswegen wird der Beitragssatz bis 2025 AfD muss weg!) nicht über 20 Prozent steigen. Die Rentenreform haben wir Ihnen auf dem Sozial- Jetzt wissen alle, die sich schon lange mit der Renten- parteitag in Kalkar vorgestellt. politik in unserem Land beschäftigen und auseinander- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – setzen, dass nicht nur ein Faktor bestimmend sein kann Zurufe von der CDU/CSU – Matthias W. für eine verlässliche Rente für die Bürgerinnen und Birkwald [DIE LINKE]: Was für eine Renten- Bürger im Land, dass nicht nur ein Faktor entscheidend reform? Das ist eine Lachnummer!) ist, ob wir das als gerecht oder als weniger gerecht emp- finden. Diese Gerechtigkeitsfrage wird, glaube ich, in Da haben wir eine generationengerechte Rente entwor- keinster Weise in dem Antrag der FDP gelöst. fen, die darauf zielt, dass wir tatsächlich den generativen Beitrag berücksichtigen, mit einem Beitragsbonus, um (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – damit die Rentenversicherung dauerhaft zu stabilisieren. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Gerechtigkeit haben die es halt nicht!) Ja, wir brauchen auch eine Steuerreform. Wir müssen runter mit den Steuern und Abgaben. Wir müssen runter Denn es konnte ja nirgendwo begründet werden, wo die mit den Ausgaben. Gerechtigkeit tatsächlich liegt. Wir hatten schon Jahre (Beifall bei Abgeordneten der AfD) mit Beitragssätzen von 19,8 Prozent, ja, von 20 Prozent, einmal, glaube ich, sogar von 20,2 Prozent in unserem Das heißt, wir müssen runter mit den Ausgaben für Brüs- Land. Ich glaube nicht, dass jemand sagen kann: „Das sel, runter mit den Ausgaben für illegale Migration und war völlig ungerecht“, oder: Der jetzige Beitragssatz runter mit den Ausgaben für diese irrsinnigen Corona- von 18,6 Prozent ist vollends gerecht. – Also, das wird maßnahmen. sich nie ganz manifestieren lassen. (B) (D) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deshalb haben wir zu diesem Antrag der FDP eine NEN]: Sie wollen Deutschland herunterwirt- Anhörung durchgeführt. Ich persönlich konnte an der schaften!) Anhörung nicht teilnehmen ob eines anderen Termins; Dann haben wir auch Geld, um die Rentenversicherung aber ich habe sie mir heute einmal ein bisschen zu Gemü- dauerhaft zu stabilisieren und die Beiträge auf erträglich- te geführt, indem ich das Protokoll gelesen habe. Und ich em Niveau zu halten. musste feststellen, dass eigentlich niemand von den gela- Haben Sie herzlichen Dank. denen Sachverständigen beziffern konnte, (Beifall bei der AfD) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Was?) wie sich die Belastung auf die Jungen auswirken wird, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: wenn wir den Nachholfaktor bis 2025 nicht in Kraft set- Vielen Dank. – Das Wort geht an den Abgeordneten zen. Selbst die geladene Sachverständige der FDP, Frau Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion. Kochskämper, konnte dies in der Anhörung nicht mit (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Bitte ganz Zahlen manifestieren. gründlich desinfizieren! Das braucht man (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Nicht auf den jetzt! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ Euro, aber natürlich! Liegt in der Natur der CSU]: Endlich ein Redner, der was von der Sache!) Sache versteht! – Uwe Schummer [CDU/ CSU]: Jetzt Ruhe und Kompetenz! – Steffi Die Zahlen, die Sie in den schriftlichen Unterlagen Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das genannt haben, wurden von vielen anderen Renten- mit den Fledermäusen ist dann jetzt auch wissenschaftlern zerpflückt. Von daher: Die Feststellung, wenigstens geklärt!) es gäbe eine große Ungerechtigkeit im Handeln der Regierungsfraktionen, lieber Johannes Vogel, haben die Max Straubinger (CDU/CSU): Sachverständigen hier nicht untermauert. Geschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Quatsch!) Kollegen! Wir debattieren heute zum zweiten Mal den Antrag der FDP, den Nachholfaktor wieder in Kraft zu Selbst die Arbeitgeberseite, vertreten durch Herrn setzen; denn er ist ja nicht abgeschafft, sondern nur bis Gunkel, die ja sicherlich danach trachtet, es unter den 2025 außer Kraft gesetzt. Das haben wir als Koalition Gesichtspunkten der Wirtschaftsbetriebe, die sie beson- auch unter dem Gesichtspunkt vereinbart, dass sich die ders vertreten, zu sehen, 25476 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Max Straubinger (A) (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Hätten Sie (Beifall bei der CDU/CSU) (C) mal hingehört!) hat die Konfliktsituation dargelegt – nämlich den Nach- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: holfaktor auszusetzen bzw. die Haltelinie von 48 Prozent Vielen Dank. – Und schon spricht die FDP-Fraktion beizubehalten – und auf das Primat der Politik verwiesen. mit Johannes Vogel. Er hat gesagt: Auch in der Frage „Renten und Halteli- nien“ gilt das Primat der Politik. (Beifall bei der FDP) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Aha!) Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Somit fühlen wir uns in unserem Handeln bestätigt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Und wer Eine der Lehren dieses Jahres ist doch: Absehbare Ver- bezahlt das?) säumnisse holen einen ein, früher oder später. Und dass die Stabilität der Rentenfinanzen in dem Jahrzehnt, das Ich glaube, dass hiermit dargelegt ist: Es ist weiterhin wir begonnen haben, in den nächsten Jahren eine extrem generationengerecht, den Nachholfaktor auszusetzen schwierige politische Herausforderung sein wird, das ist und – vor allen Dingen – an den doppelten Haltelinien heute schon absehbar. Deswegen ist es erschreckend, festzuhalten, nämlich zum einen das Rentenniveau bei dass Sie sich weigern, sich darüber Gedanken zu machen, 48 Prozent festzuschreiben – wenn es geht, natürlich liebe Kolleginnen und Kollegen. auch darüber liegend –, aber gleichzeitig den Beitragssatz weiterhin bei unter 20 Prozent zu halten, damit die junge (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald Generation, die beitragszahlende Generation nicht über- [DIE LINKE]: Weil wir an die Rentnerinnen fordert wird. und Rentner denken in erster Linie! Das ist (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Die zahlen es das Wichtige!) über die Steuer!) Lieber Kollege Kapschack, Sie zitieren uns korrekt, Deshalb, glaube ich, lohnt es sich, Herr Kollege Vogel, wenn Sie sagen: Ja, die FDP stellt dann immer die Frage wesentlich stärker über den großen Rahmen der Renten- „Wie soll das bezahlt werden?“. Das dann aber als „alte versicherung zu diskutieren als nur über einen kleinen Leier“ zu bezeichnen, finde ich schon bemerkenswert. Faktor, (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Große Wir- kung!) Ja, wir machen uns Gedanken darüber, wie Stabilität, (B) Solidität und Fairness in der Rente gewährleistet werden (D) der jetzt Grund Ihres Antrags ist. Es geht um die große können. Ehrlich gesagt, sind das genau die Anforderun- Linie: Wie sorgen wir dafür, dass die Generation nach gen, die man als Bürgerin und Bürger an die Politik in 2025 eine gute Rente hat? diesem Haus auch stellen kann, liebe Kolleginnen und (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wo sind denn Kollegen. die Ergebnisse?) (Beifall bei der FDP) Ich sage es ganz offen: Die SPD steht hier immer mehr auf der Verteilungsseite und sagt, hohe Beiträge und hohe Worum geht es? Es geht ganz konkret darum, dass es Löhne seien der Garant dafür. Aber lieber Kollege richtig ist, dass wir die Rentnerinnen und Rentner in Kapschack, da kommt zuerst das Wirtschaften! Wir brau- diesem Land nächstes Jahr vor einer Rentenkürzung chen genügend Arbeitsplätze und eine hohe Zahl sozial- bewahren. Dieses Jahr haben wir eine schwere Wirt- versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse; das schaftskrise und nach den ursprünglichen Regeln der ist letztendlich die Grundlage. Rente müssten nächstes Jahr die Renten gekürzt werden. Im Konsens wurde hier politisch entschieden, dass so (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- etwas nicht zumutbar ist. Und das ist richtig. NEN]: Haben wir alles! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 39 Millionen sind Lieber Kollege Kapschack, ich weise daher die jetzt nicht so schlecht, Herr Kollege Behauptung scharf zurück – weil das schlicht Fake Straubinger!) News sind –, dass wir für Rentenkürzungen wären. Das sind wir nicht. Wir stellen schon auch die Wirtschaft mit in den Vorder- grund. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ist letztendlich mit eine Grundlage dafür, dass wir sichere falsch! Ihr seid für Rentenkürzungen, und zwar Renten in unserem Land und einen sicheren Sozialstaat ganz doll!) haben. Die Union steht in besonderem Maße dafür; das hat sie über die Jahrzehnte bewiesen. Worum es beim Nachholfaktor geht, ist, dass in den Fol- gejahren die Rentensteigerungen, die kommen werden, Wir lehnen aus guten Gründen und auch mit gutem so verrechnet werden, dass langfristig die Renten nicht Gewissen, selbst wenn wir in der Weihnachtszeit sind, stärker steigen als die Löhne. den Antrag der FDP ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das (Christian Dürr [FDP]: Was?) nennt man auch Rentenkürzung! Das sind Ren- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. tenkürzungen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25477

Johannes Vogel (Olpe) (A) Das wäre unfair, weil die Generationen dann auseinan- wesentliche Frage der Gerechtigkeit, nämlich der Gene- (C) derlaufen; wir müssen sie aber zusammenhalten, liebe rationengerechtigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen Kolleginnen und Kollegen. von der Union. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Und so, wie die SPD dagegen vorgeht, muss ich mich Ich höre immer wieder, dass auch Sie angeblich Fair- schon fragen, lieber Kollege Kapschack, ob das nicht ein ness für alle Generationen betonen, dass man die Gene- bisschen schizophren ist. Denn was wir als Freie Demo- rationen, lieber Kai Whittaker, zusammenhalten und die kraten hier beantragen, ist nicht mehr und nicht weniger, Lasten bei der Rente fair verteilen müsse. Es geht hier als exakt die Rentenformel zurückhaben zu wollen, die allerdings nicht um Worte, sondern man muss irgend- ein gewisser Olaf Scholz als Sozialminister einmal ein- wann auch Taten folgen lassen und an irgendeiner Stelle geführt hat. auch einmal Verantwortung für eine generationengerech- (Christian Dürr [FDP]: Aha!) te Rente übernehmen. Darauf warten wir noch heute, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Hier zu beantragen, die gute Rentenformel von Olaf Scholz zurückhaben zu wollen, das halte ich für vernünf- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. tige Politik. (Beifall bei der FDP) (Pascal Kober [FDP]: Das ist Herrn Kapschack egal!) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Erschreckend ist, dass die Sozialdemokraten hier nicht zu Vielen Dank, Herr Vogel. – Als Nächstes hat Matthias den Überzeugungen ihres Kanzlerkandidaten stehen, lie- W. Birkwald das Wort für die Fraktion Die Linke. be Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Einmal haben sie etwas gelernt! Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das ist doch gut! – Matthias W. Birkwald [DIE Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- LINKE]: Der will den Nachholfaktor bis 2025 ren! Die FDP will den Nachholfaktor in der Rentenan- auch nicht wieder einführen!) passungsformel wieder in Kraft setzen. Das bedeutet Dass die SPD und auch die Grünen sich in der Renten- nicht – ich betone: nicht –, dass der ausgezahlte Betrag politik von Jahr zu Jahr immer etwas mehr so anhören einer Rente abgesenkt werden soll. Aber es bedeutet, dass wie von der Linkspartei, daran haben die FDP die Rentenformel manipulieren will, um die (B) wir uns schon gewöhnt. Renten künftig zu kürzen. Und das lehnt Die Linke (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die ohne Wenn und Aber ab. Linke! Die Linkspartei gibt’s nicht mehr!) (Beifall bei der LINKEN) Wenn die Wählerinnen und Wähler der Grünen wüssten, Meine Damen und Herren, eigentlich heißt das Prinzip: wie links Sie in der Sozialpolitik sind, ich glaube, die Die Renten folgen den Löhnen – eigentlich. Aber seit Hälfte würde weglaufen. knapp 20 Jahren sorgen die Kürzungsfaktoren in der Ren- (Heiterkeit des Abg. Christian Dürr [FDP] – tenanpassungsformel dafür, dass die Renten nicht mehr Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: den Löhnen folgen. Sie werden verharmlosend Dämp- Unterschätzen Sie unsere Wähler nicht!) fungsfaktoren genannt. Sie heißen Beitragssatzfaktor, Riester-Faktor, Nachhaltigkeitsfaktor, und ohne sie Das können Sie noch ein halbes Jahr kaschieren. wären die aktuellen Renten und vor allem die Renten Aber ich will schon die Kolleginnen und Kollegen von der heute jungen und mittelalten Menschen in Zukunft der Union fragen, ob sie das eigentlich für verantwortbar deutlich höher. Die durchschnittlich ausgezahlte Rente halten. Denn, lieber Kollege Straubinger, schauen wir aller rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner liegt doch einmal auf die Sachverständigen in der Anhörung, derzeit bei nur 1 048 Euro. Das ist viel zu wenig, und die wir in der Tat gehört haben. Der alternierende Ver- darum, liebe FDP, verbietet sich jede weitere Manipula- waltungsratsvorsitzende der Deutschen Rentenversiche- tion der Rentenanpassungsformel. rung – also nicht irgendwer – hat klar dargelegt, dass, (Beifall bei der LINKEN) wenn Sie vor Ende dieser Legislaturperiode den Nach- holfaktor nicht wieder einführen, mit hoher Wahrschein- Was will denn die FDP rentenpolitisch in, während und lichkeit im nächsten Herbst Folgendes passieren wird: nach der Coronakrise? Vor der Coronakrise fand die FDP Sie müssen schon im nächsten Herbst eine Renten- es spitze, dass die Rentenerhöhungen Jahr für Jahr hinter beitragssatzsteigerung beschließen, die so hoch sein der Lohnentwicklung zurückblieben. Das ist schlecht. wird, dass das 40-Prozent-Ziel bei den Sozialversiche- Während der Coronakrise findet es die FDP okay, dass rungsbeiträgen nicht zu halten sein wird. Liebe Kollegin- die Renten dieses Jahr um 3,45 Prozent im Westen und nen und Kollegen von der Union, dass das den Sozial- um 4,2 Prozent im Osten steigen. Das ist gut. Aber nächs- politikern egal sein mag, nehmen wir zur Kenntnis. Aber tes Jahr droht aufgrund der Lohnentwicklung eine Null- wie der sogenannte Wirtschaftsflügel der Union so etwas runde bei den Renten. Das findet die FDP gut. Die Linke mitmachen kann, das fragen wir uns schon. Ist er schon in hingegen fordert deshalb, nun endlich das Rentenniveau Weihnachtsferien? Wir halten jedenfalls die Finanzierung schrittweise wieder von 48 auf 53 Prozent anzuheben; der Rente und auch finanzierbare Sozialbeiträge für eine denn dann stiegen die Renten auch im kommenden Jahr. 25478 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Matthias W. Birkwald (A) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Und nach der Coronakrise sagt die FDP: So, liebe Rent- sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ nerinnen und Rentner, jetzt ist mal Schluss. – Denn dann CSU]) sollen nach dem Willen der Liberalen die Renten noch Wir stehen eine Woche vor dem Weihnachtsfest, einem weiter hinter der Lohnentwicklung zurückbleiben. Und Weihnachtsfest, das leider für viele Rentnerinnen und das ist bei diesen Durchschnittsrenten, die Millionen Rentner ein stilles und zu oft auch ein einsames Weih- von Rentnerinnen noch nicht einmal erreichen, unverant- nachtsfest sein wird. Die Rentnerinnen und Rentner im wortlich. Westen jedenfalls wissen schon, dass im Jahr 2021 eine (Beifall bei der LINKEN) Nullrunde bei der Rente kommt. In dieser Situation – gleichzeitig die größte gesundheits- und wirtschaftspoli- Meine Damen und Herren, den Nachholfaktor vor tische Krise unseres Landes seit Langem – fällt der FDP 2025 wieder einzuführen, lehnt nicht nur Die Linke ab. nichts Besseres ein, als an genau diese Personengruppe Alle Sozialverbände und alle Gewerkschaften lehnten das die Botschaft zu senden, dass 2022 wohlmöglich eine in der Anhörung strikt ab. weitere Nullrunde gewünscht ist. Das verstehe, wer (Christian Dürr [FDP]: Die nachfolgenden will. Ein sehr eigenwilliger Sinn für das politische Generationen sind Ihnen doch total egal! Das Timing! sagen Sie doch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir müssen verhindern, dass die Rentnerinnen und sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Rentner nach der Nullrunde im kommenden Jahr noch KEN) mehr verzichten müssen, als sie es in diesen harten Zeiten Ich will aber zum politischen Hauptargument der FDP eh schon tun müssen. Sie, liebe FDP, wollen aber, dass kommen, dass die Aussetzung des Nachholfaktors mit das Rentenniveau, also das Verhältnis der Standardrente dem Prinzip der lohnbezogenen Rente bricht. Das ist zum Durchschnittslohn, noch weiter unter 48 Prozent richtig. Aber das ist – das ist auch in der Anhörung sehr absinkt. deutlich geworden – in der Geschichte rentenpolitischer (Christian Dürr [FDP]: Sie sind gegen junge Entscheidungen überhaupt nichts Neues. Manche Brüche Menschen!) dieser Art sind sinnvoll. Das sind jeweils politische Ent- scheidungen, wie der Kollege Kapschack zu Recht gesagt Ihnen reicht es nicht, dass der Manipulationsfaktor Num- hat. Manche stellen sich im Nachhinein als nicht so sinn- mer eins, der Nachhaltigkeitsfaktor, nach Angaben der voll heraus. Da möchte ich insbesondere die Absenkung Bundesregierung ab 2021 bis auf eine Ausnahme Jahr des Rentenniveaus nennen, die durch die Riester-Treppe für Jahr die Rentenanpassung kürzen wird. (B) passiert ist. (D) Lieber Johannes Vogel, in den dunklen Jahren nach (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Rich- 2005 hatten wir Nullrunden, Nachholfaktoren, Aus- tig! – Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das Ge- gleichsbedarf und hohe Inflation. Wollt ihr das 20 Jahre setz hat du doch beschlossen!) später und nach dieser schlimmen Krise den Menschen ernsthaft noch einmal zumuten? Wenn ihr diese Kürz- Das ist das Entscheidende. Kollege Birkwald, den Nach- ungsfaktoren streichen wolltet, dann könnten wir darüber haltigkeitsfaktor will ich an dieser Stelle nur kurz als reden, ob der Nachholfaktor gerechtfertigt ist, aber erst Fußnote nennen; denn er hat bislang rentensteigernd dann; denn dann würden die Renten wirklich den Löhnen und nicht rentensenkend gewirkt. folgen und die Rentnerinnen und Rentner am Wohlstand (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – teilhaben. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch!) (Beifall bei der LINKEN) Aber der Riester-Faktor, der inzwischen ausgelaufen ist, Wir Linken sagen: Wir brauchen gute Löhne und eine hat das Niveau der gesetzlichen Rente um 13 Prozent gute Rente, gerade auch für die Krankenschwestern, abgesenkt. Das heißt, es wurde mit dem Prinzip der lohn- Paketzusteller und Altenpflegerinnen; denn die Rente bezogenen Rente gebrochen, in der Hoffnung darauf, muss zum Leben reichen. dass möglichst alle Leute privat vorsorgen, dass die Ver- zinsung dauerhaft bei 4 Prozent liegt und dass der Anteil Herzlichen Dank. der Verwaltungskosten nur 10 Prozent beträgt. Heute, (Beifall bei der LINKEN) nach ungefähr 20 Jahren, sind wir etwas schlauer und sehen, dass nur 6,4 Millionen Riester-Verträge voll bes- part werden, dass also dieses Koppelgeschäft nicht wirk- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: lich aufgegangen ist. Vielen Dank. – Das Wort geht an Markus Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In dieser Lage kann man durchaus argumentieren – ich tue das –, dass das Aussetzen des Nachholfaktors – er ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ja gar nicht abgeschafft – ein klitzekleiner Ausgleich für das Abweichen vom Prinzip der lohnbezogenen Rente in Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den Jahren zuvor ist. So kann man sich die ganze Sache Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! durchaus einmal ansehen. Die Vertreter der gesetzlichen Eines muss man der FDP allerdings lassen: Sie hat einen Rentenversicherung haben bei der Anhörung sehr deut- gewissen Sinn für antizyklische politische Kommunika- lich gesagt, dass sie die finanziellen Konsequenzen für tion. absolut überschaubar halten. Sie, meine Damen und Her- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25479

Markus Kurth (A) ren von der FDP, machen hier aus einer Mücke einen Die Rentenstabilität ist unser Hauptanliegen. Gleich- (C) Elefanten, und das zu einem Zeitpunkt, wo Rentnerinnen zeitig hat, als wir das 2018 gemacht haben, keiner von und Rentner tatsächlich Stabilität und Vertrauen und uns erwartet, dass wir in so kurzer Zeit in eine solche nicht zusätzliche Verunsicherung brauchen. Krise kommen würden, wie wir sie gerade erleben. Sie schlagen nun in Ihrem Antrag vor, den Nachholfaktor Vielen Dank. doch bitte wieder zu aktivieren, um das Rentenniveau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch in schlechteren Zeiten an die Entwicklung der Löh- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- ne zu koppeln. Das könnte dazu führen, dass es krisen- KEN) bedingte Rentenkürzungen gibt, die auch durch spätere gedämpfte Rentenanpassungen wirksam werden; so viel Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: zum Stichwort „Nachholfaktor“. Das Rentenniveau ins- gesamt könnte sich dadurch verschlechtern. Das will die Vielen Dank, Herr Kurth. – Das Wort geht an Frank Koalition mit aller Anstrengung verhindern, und deshalb Heinrich von der CDU/CSU-Fraktion. werden wir das, was Sie vorschlagen, nicht machen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ralf Kapschack [SPD] – Johannes Vogel [Olpe] Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): [FDP]: Kürzungen sind sowieso ausgeschlos- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sen!) Kollegen! Es ist als letzter Redner schon spannend, vorab die Debatte zu verfolgen und zu schauen, ob man auf das Wir sind gegen diese kurzfristige Reaktion. Den Rentner- eine oder andere reagieren will, und zu hören, was wir innen und Rentnern trotz der Rentengarantie schon jetzt über die Rentenpolitik des jeweils anderen wissen und potenzielle Einbußen abzuverlangen, geht uns einfach zu darüber sagen. Allein dadurch kann man ganz viel lernen. schnell. Wir haben diesen Blick im Moment noch nicht. Wir haben diese Debatte schon vor einem halben Jahr, im Gerade in der jetzigen Situation muss das Vertrauen in die Sommer, geführt. Ich habe mich damals am Ende meiner gesetzliche Rentenversicherung gestärkt werden. Rede bei Ihnen für die Einbringung dieses Themas Wie in der bereits zitierten Anhörung gesagt, lassen bedankt. Das mache ich jetzt nicht ganz so laut. Aber sich nach den Angaben der Deutschen Rentenversiche- dafür, dass wir darüber diskutieren, sind Sie verantwort- rung die genauen Minderausgaben, die bei Umsetzung lich. des FDP-Antrages zu erwarten wären, gar nicht abschät- Zusammenfassend – das ist es, was man als letzter zen. Redner machen kann – will ich sagen: Wir haben heute (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Das liegt ja in (B) all die verschiedenen Positionen gehört, was unter Ren- der Natur der Sache, weil wir noch in der Krise (D) tengerechtigkeit verstanden wird. Gerechtigkeit ist Ihr sind!) großes Thema, das Sie mit der Rente verbinden. Sie bemühen sich in dem Antrag vor allem um Generationen- Wir als Koalition möchten die tatsächlichen Auswirkun- gerechtigkeit; so überschreiben Sie zumindest den An- gen der Krise in validen Zahlen vorliegen haben, bevor trag. Allseits bekannt ist, dass die jährlichen Zuschüsse über mögliche notwendige Anpassungen bei der Renten- schon heute 100 Milliarden Euro ausmachen. Niemand formel entschieden wird. Wir wollen wachsam bleiben. möchte, dass das noch mehr Milliarden werden; das will Falls es theoretisch über mehrere Jahre nach dem Ver- hier keiner. Dieses Grundanliegen unterstützen wir. hältnis „Lohnentwicklung zu Rentenanpassung“ zu einer Negativanpassung kommen müsste, was ich für ein ver- (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ah! Und nun? – nünftiges System halte, dies aber durch die Aussetzung Norbert Kleinwächter [AfD]: Und was tun des Nachholfaktors nicht passiert und auch später nicht Sie?) ausgeglichen werden kann, läuft es am Ende auf die Fra- Sie haben gerade gesagt, Herr Vogel: An Stabilität, ge hinaus, wie viel Geld der Bund dann perspektivisch für Solidität und Fairness bemisst sich die Verantwortung. die Rente aufbringen muss. Für die eingangs angespro- Die Art und Weise des Weges macht aber möglicherweise chene Generationengerechtigkeit müssen wir da sehr, den Unterschied. sehr gut aufpassen. Letztlich bliebe auch noch Zeit, den Nachholfaktor vor möglichen stärkeren Rentenerhöhun- (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Aber was gen gegebenenfalls in Zukunft wieder einzuführen. Des- genau?) halb: Danke für Ihren Antrag, dafür, dass wir das hier so Wir lehnen die drei Themen nicht ab. Für uns ist in dem klarmachen können. Kontext die Rentengarantie das oberste Gebot, das Ver- (Christian Dürr [FDP]: Wir sind ja Serviceop- sprechen, das wir gegeben haben. Zugunsten dieser haben position!) wir – das möchte ich kurz nebeneinanderstellen – den Nachholfaktor ausgesetzt. Mit dem Rentenpaket sind Ich kann jetzt nur noch sagen: Ich wünsche eine geseg- zwei Ziele, zwei Gedanken, zwei Garantien verbunden, nete Restadventszeit sowie ein der Uridee angemessenes die doppelte Haltelinie; so haben Sie, Herr Kapschack, Weihnachten. das vorhin genannt. Bis 2025 darf das Rentenniveau Ich habe am Schluss keine weitere Sekunde zu ver- 48 Prozent nicht unterschreiten und der Beitragssatz schenken. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. 20 Prozent nicht überschreiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Christian Dürr [FDP]: Und danach?) ordneten der SPD) 25480 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: gar so instabil, dass der dortige Kultusminister den (C) Herzlichen Dank an den letzten Redner der Debatte. – Schulen fast vollständig vom Distanzunterricht abraten Ich schließe die Aussprache. musste. Dass Bildungsministerin Karliczek – und die ist offenbar bereits in den Weihnachtsferien – noch Ende Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- November davon sprach, dass die Schulen heute besser ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion für digitales Lernen gerüstet seien als im Frühjahr, kann der FDP mit dem Titel „Corona-Krise generationenge- angesichts dieser Zustände wirklich nur ein schlechter recht überwinden – Nachholfaktor in der Rentenformel Scherz gewesen sein. wiedereinführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf der Drucksache 19/24536, den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Antrag der FDP auf Drucksache 19/20195 abzulehnen. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind GRÜNEN) die Fraktionen der Linken, der SPD, Bündnis 90/Die Liebe Frau Karliczek, was haben Sie im Sommer Grünen, der CDU/CSU und der AfD. Wer stimmt dage- eigentlich konkret getan, um Schülern und Lehrkräften gen? – Das ist die Fraktion der FDP. Gibt es Enthaltun- heute digitalen Unterricht von zu Hause zu ermöglichen? gen? – Das sehe ich nicht. Damit ist die Beschlussemp- Haben Sie den Abfluss der Digitalmittel beschleunigt? fehlung angenommen. Fehlanzeige! Noch immer kommt nur ein Bruchteil der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Mittel bei den Schulen an. Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Haben Sie den Lehrkräften endlich flächendeckend Lap- Mario Brandenburg (Südpfalz), weiterer Abge- tops zur Verfügung gestellt? Auch hier: Fehlanzeige! Die ordneter und der Fraktion der FDP ersten Geräte kommen frühestens im neuen Jahr an. Keine Zeit mehr zu verlieren – Die Digitalisie- Haben Sie Kindern aus benachteiligten Familien digitale rung von Schulen endlich beschleunigen Endgeräte besorgt, damit sie nicht wieder die größten Drucksache 19/25298 Verlierer der geschlossenen Schulen sind? Auch hier: Fehlanzeige! Nur 14 Prozent der Schüler hätten bisher Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten einen Laptop aus Bundesmitteln erhalten, berichtet das beschlossen. „Handelsblatt“ im November. Und für diese digitale Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katja Suding Misere trägt die Ministerin die volle Verantwortung. Sie von der Fraktion der FDP. hat den Sommer verschlafen, und das ist eine politische Bankrotterklärung, meine Damen und Herren. (B) (Beifall bei der FDP) (D) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE Katja Suding (FDP): GRÜNEN]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern befindet sich unser Land im zweiten bundes- Wir müssen jetzt jeden einzelnen Tag nutzen und eine weiten Shutdown. Angesichts der immer weiter steigen- tragfähige Langzeitstrategie für den Bildungssektor ent- den Zahl von Coronainfizierten und leider auch -toten ist wickeln. Schüler, Eltern und Lehrkräfte wollen wissen, diese Notbremse nachvollziehbar. wie es ab dem 11. Januar weitergeht. Für uns ist klar, dass wir schnellstmöglich flächendeckend zum Präsenzbetrieb Auch unser Bildungswesen befindet sich seit gestern unter Hygienebedingungen zurückkehren sollten. im Shutdown. Schulen und Kitas sind geschlossen. Das jedoch wäre vermeidbar gewesen. Frau Ministerin (Christian Dürr [FDP]: Richtig! – Dr. Götz Karliczek, Sie haben eben nicht alles dafür getan, die Frömming [AfD]: Jawohl!) Schulen auch während eines Shutdowns im Präsenzbe- Um aber für lokale Schulschließungen und Distanzunter- trieb offen zu halten, und das rächt sich bitter. richt besser gewappnet zu sein, braucht es jetzt endlich (Beifall bei der FDP) einen Digitalturbo für die Schulen. Nur so kann jeder Schüler sein Recht auf Bildung wahrnehmen, in Präsenz Jetzt droht ein zweites Unterrichtschaos. Lehrkräfte ver- und digital. schicken wieder Arbeitsblätter mit der Post. Die drei Geschwister teilen sich wieder den einen Familienlaptop, (Beifall bei der FDP) um die Hausaufgaben zu erledigen. Und schon wieder Dafür schlagen wir drei Akutmaßnahmen vor: Erstens. bringen wir alleinerziehende Eltern – und das sind über- Beschleunigen wir die Beantragung aus dem DigitalPakt wiegend Frauen – erneut über ihre Belastungsgrenze. Das und seinem Zusatzprogramm durch die Schaffung einer ist vollkommen inakzeptabel, meine Damen und Herren. zentralen Antragsplattform! Zweitens. Geben wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Schulen mit einer Whitelist zu datenschutzrechtlich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) unbedenklicher Bildungssoftware die nötige Rechtsicher- heit! Drittens. Beschleunigen wir endlich den Breitband- Die bundesweite Aussetzung des Präsenzunterrichts ist ausbau an den Schulen! erst ein paar Stunden alt, und schon bricht das digitale Schulsystem vielerorts völlig zusammen. Bereits am Die Unionsfraktion hat die Dringlichkeit dieser Maß- Dienstag war die vom Bund finanzierte HPI Schul-Cloud nahmen anscheinend sogar verstanden und macht ihrer überlastet, und in Bayern ist die Bildungsplattform Mebis müden Ministerin nun Druck mit einer digitalen Bil- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25481

Katja Suding (A) dungsoffensive. Es ist erfreulich, dass Sie vieles daraus (Christian Dürr [FDP]: Wow! Was genau (C) aus unserem Antrag zum Digitalpakt 2.0 abgeschrieben bewirkt das denn?) haben. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Ihr Antrag liest sich in Teilen wie Stücke unseres Union: Korrigieren wir doch heute gemeinsam die Ver- Beschlusses. Für uns ist ganz wichtig – ich will es hier säumnisse und die Strategielosigkeit von Frau Karliczek! noch einmal sehr deutlich machen –, das Thema „Digita- Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit die Ministerin lisierung und Schule“ auf zwei Säulen zu stellen – das ist über die Weihnachtszeit endlich aktiv wird, um ein erneu- unverzichtbar –: die pädagogische Säule und die infra- tes Unterrichtschaos zu vermeiden! strukturelle Säule. Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten. (Christian Dürr [FDP]: Das ist wirklich ein (Beifall bei der FDP) Hohn, was Sie hier vortragen!) „Pädagogisch“ bedeutet für uns nicht nur, den analogen Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Unterricht durch digitalen Unterricht zu ersetzen. – Wenn Vielen Dank, Frau Suding. – Das Wort geht an Frau Sie einfach einmal ganz ruhig zuhören, könnten Sie den Dr. Dietlind Tiemann für die CDU/CSU-Fraktion. Schülern ein Vorbild sein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Ein Vorbild ist das gerade nicht! Unfassbar!) Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Für uns geht es darum – das haben wir festgeschrie- Kollegen! Liebe Frau Suding! „Und täglich grüßt das ben –, dass Lehrkräfte und Schüler mit allen Aspekten der Murmeltier“! Digitalisierung bekannt und vertraut gemacht werden. Das bedeutet sowohl, wie gelernt wird, als auch, was (Christian Dürr [FDP]: Ja! Das ist das Problem gelernt wird. Ganz einfach. dieser Regierung! Das hätten Sie besser nicht sagen können: Täglich grüßt das Murmeltier!) Wichtig ist aber auch hier, das Rad nicht neu zu erfin- den; auch darüber sind wir uns in diesem Haus, glaube Es ist wunderschön, zu erleben – deswegen darf ich Sie ich, einig. Was und wie die Digitalisierung in die Schulen noch einmal ganz kurz daran erinnern –, dass wir uns hier getragen wird, hat die KMK bereits im Dezember 2016 in diesem Hohen Hause alle darüber einig sind, wie wich- festgeschrieben. Hier unterstützen wir im Rahmen unse- tig Bildung ist, wie wichtig Digitalisierung ist. rer rechtlichen Möglichkeiten zum Beispiel durch die (Christian Dürr [FDP]: Ja, toll!) „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“. Damit ist der Spiel- (B) raum für uns als Bundespolitiker ausgereizt, wenn wir die (D) Aber indem wir es dauernd formelhaft wiederholen, wird föderalen Strukturen respektieren, und das tun wir. es nicht besser. (Christian Dürr [FDP]: Ich befürchte, es ist (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr Ihnen egal, Frau Tiemann!) [FDP]: Dann muss man mal arbeiten! Das stimmt!) Infrastrukturell finde ich in Ihrem Antrag vieles wie- der, das ich teile und das sich bereits auch in der Umset- Sie haben die Eckdaten des laufenden DigitalPakts zung befindet. Im Mittelpunkt dieser Infrastruktur steht zusammengefasst, vielen Dank. Die Zahlen sind nicht natürlich der DigitalPakt Schule. Sie sprechen die Nach- mehr ganz aktuell; aber man kann sie nachvollziehen. reichung der Medienkonzepte an, die wir im DigitalPakt Bei den Schlussfolgerungen finden sich einige Forderun- beschlossen haben. Auch darüber waren wir uns einig. gen, mit denen wir sogar übereinstimmen; das ist gar Leider lagen die Medienkonzepte nicht vor; deshalb nichts Neues. Ich nenne hier zum Beispiel die Forderung haben wir gemeinsam entschieden, wir lassen sie nach- nach kürzeren Berichtspflichten für den DigitalPakt reichen. Das ist sicher eine zentrale Beschleunigungs- Schule – was wird mit dem Geld, das wir hier beschlossen maßnahme; da werden Sie mir zustimmen. haben, wirklich umgesetzt, wie wird es umgesetzt, (Christian Dürr [FDP]: Was ist mit dem IT- (Christian Dürr [FDP]: Es kommt nichts an!) Support? Warum wird der nicht aus dem Digi- kommt es dort an, wofür wir es beschlossen haben? – talPakt finanziert?) oder auch die Forderung nach einer Positivliste für Platt- Sie sprechen den Breitbandausbau an. Dafür hat der Bund formen und Anbieter digitaler Programme. schon Ende 2018 durch das BMVI die nötigen Gelder bereitgestellt. Das sind alles richtige Vorschläge, sie (Christian Dürr [FDP]: Sie wiederholen ja nur sind alle auch schon in der Umsetzung! das, was Frau Suding gesagt hat! Es passiert nichts!) (Lachen des Abg. Christian Dürr [FDP]) Das finden wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Bei Ihren Forderungen zum Umbau des DigitalPakts auch richtig; das ist gar nichts Neues. gehe ich nicht mit. Man kann kritisieren, dass die Antrag- stellung analog und nicht über eine digitale Plattform Wir haben deshalb bereits am 24. November – Sie funktioniert. können sich vielleicht erinnern – zu den genannten Punk- ten und darüber hinaus ein Positionspapier verabschiedet; (Christian Dürr [FDP]: Die funktioniert halt gar darin kann man das nachlesen. nicht!) 25482 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Dietlind Tiemann (A) Aber innerhalb des Antragsprozesses dürfen wir die Nicole Höchst (AfD): (C) Plattform nicht wechseln. Das sorgt nur für Verwirrung Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe Bürger! Man bei Schulen und Kommunen, liebe Kolleginnen und Kol- kommt sich beinahe vor wie im Film „Und täglich grüßt legen der FDP. Das Gleiche gilt für die drei Zusatzver- das Murmeltier“. Abermals beschäftigen wir uns mit dem einbarungen: zu den Schülerendgeräten, zu den Lehrer- Steckenpferd der FDP-Fraktion, der Digitalisierung von laptops und zu den IT-Administratoren. Hier sollten Sie Schulen und Unterricht. Auch die AfD-Fraktion setzt sich einfach einmal registrieren, dass es mit den Zusatzver- für eine maßvolle Einbindung digitaler Lehr- und Lern- einbarungen drei große Verbesserungen – von Forderung mittel im Unterricht ein und befürwortet den Ausbau über Finanzierung bis zur Verabschiedung durch die digitaler Infrastruktur; dazu liegen Anträge von uns vor. Bund-Länder-Vereinbarung – innerhalb weniger Monate (Beifall bei der AfD) in die Praxis geschafft haben, und das, obwohl der Bund immer noch nicht federführend für dieses Thema zustän- Das ändert aber nichts an unserer grundsätzlichen Kri- dig ist. Sie haben sicherlich die Zeit, sich Herrn Meidin- tik am DigitalPakt Schule. Er greift zu stark in den ger vom Deutschen Lehrerverband zu Gemüte zu führen. Hoheitsbereich der Länder ein und beschäftigt sich mit Er kritisiert, die Hü-und-hott-Politik der Länder sei Problemfeldern, die weit weg sind vom tatsächlichen unsäglich und demotivierend. Vielleicht lesen Sie das Bedarf der Schulen unseres Landes. Dass die Fördermit- einfach nach, um zu sehen, wo die Verantwortung wirk- tel nicht abgerufen werden, ist doch der beste Beweis für lich liegt. die Untauglichkeit dieses Paktes. (Beifall bei der AfD) Ein Sprichwort sagt: Mitten im Fluss wechselt man nicht die Pferde. – Zu diesem Grundgedanken sollten Zur Erinnerung: Es handelt sich hier um zweckgebunde- wir weiter stehen; denn auch wenn die Umsetzung des nes, aber geschenktes Geld, das anscheinend niemand DigitalPakts vielleicht verbesserungswürdig ist, bleibt haben möchte. die Strategie die richtige. Wir müssen den Weg jetzt wei- (Christian Dürr [FDP]: Das ist ein Hohn! Die ter konsequent beschreiten. Wir müssen Unsicherheit bei Schulen brauchen das Geld dringend!) der Beantragung vermeiden, um erfolgreiche Ergebnisse gewährleisten zu können. Das stellen sogar die Antragsteller selbst fest. Sie kom- men aber leider nicht auf die naheliegende Einsicht, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das mit der Gießkanne verschüttete Geld unter anderem deshalb niemand annimmt, weil der damit verbundene Das Gleiche gilt für Ihre Dauerforderung eines Digital- Zweck an der Lebensrealität der Schulen vorbeigeht. Pakts 2.0. Erst einmal müssen die Mittel des Digital- (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: So (B) Pakts I bis 2024 abgerufen werden; auch das ist nichts ein Quatsch!) (D) Neues. Grundsätzlich gilt immer noch: Die Länder müs- sen ihren Aufgaben nachkommen. Die Lehrer wollen einfach keine durchtechnologisierte Digitalschule mit toll klingenden Unnötigkeiten wie (Beifall bei der CDU/CSU) Smart Spaces. Lehrer wollen eine sinnvolle und unter- stützende Einbindung digitaler Elemente in den Unter- Ein DigitalPakt des Bundes als Dauereinrichtung wür- richt und keinen Tech-Start-up-Verschnitt, wie Sie ihn de doch wohl den Föderalismus buchstäblich über den den Klassenzimmern dieser Republik gerne aufzwingen Haufen werfen. Das gilt auch für Ihre Forderung, der würden. Bund solle die Durchführung von Abschlussklausuren (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: gewährleisten – alles ureigene Aufgaben der Länder. Oh Gott! Gehen Sie zurück ins 19. Jahrhundert! Wir stehen deshalb, ob am Jahresanfang oder am Jah- Da sind Sie besser aufgehoben!) resende, dafür ein, Aufgabenverteilung im föderalen Sys- Lehrer wollen die Kinder bilden, nicht programmieren; tem zu beachten, die Digitalisierung nach den erwähnten Säulen umzusetzen und den DigitalPakt Schule in seiner (Dr. Götz Frömming [AfD]: Schulen sind kein Form zu erhalten. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kol- Start-up!) legen der FDP, können wir Ihrem Antrag leider nicht sie wollen Lesen, Schreiben und Rechnen lehren statt zustimmen. Wischen und Klicken. Hören Sie doch mal auf das päda- gogische Fachpersonal, statt Politik an diesem vorbei zu Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. machen! Die haben nämlich weiß Gott andere Probleme. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr (Beifall bei der AfD) [FDP]: Sie hätten auch sagen können: Uns ist Auch die Coronamaßnahmenkrise, die Sie als Vehikel es egal! Das hätte auch gereicht! Unfassbar vor für Ihre Digitalisierungsträume nutzen wollen, wird dem Hintergrund, was in den Schulen passiert!) daran nichts ändern, meine Damen und Herren. Die Rezepte für eine pandemiekrisensichere Schule sind alt: Vizepräsidentin Petra Pau: Wir brauchen kleinere Klassen, mehr Lehrer und sanierte Danke schön. – Das Wort hat die Abgeordnete Nicole Schulen. Mit diesen Maßnahmen könnten wir einen mög- Höchst für die AfD-Fraktion. lichst normalen Präsenzunterricht weitestgehend gewähr- leisten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25483

Nicole Höchst (A) Eltern müssten nicht erneut zusätzlich zu ihren oftmals Als Bildungspolitikerin und Lehrerin habe ich in dieser (C) aushäusigen Erwerbstätigkeiten auch noch für die Bil- schwierigen Situation vor allem die Bildungschancen dung ihrer Kinder sorgen. aller Kinder und Jugendlichen im Blick. Wir wissen mitt- lerweile aus internationalen Studien, dass die Lernver- Ich appelliere an Sie: Stellen Sie ein, bilden Sie aus, luste im Frühjahr und Sommer sehr groß waren und vor fort und weiter, bauen und renovieren Sie die Schulen, allem immer noch ungleich verteilt sind. verkleinern Sie die Schulklassen dort, wo Sie mitregie- ren. Da, wo die Länderhoheit für die Bildung liegt, sind (Dr. Götz Frömming [AfD]: So ist es!) Sie doch in Regierungsverantwortung. Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien sind deut- (Beifall bei der AfD) lich stärker betroffen. Die Bildungsschere geht also wei- ter auseinander. Es wird deshalb im nächsten Jahr stärker Entwickeln, erproben und evaluieren Sie unter Hoch- denn je darauf ankommen, diese vorhandenen Lernrück- druck, den Sie hier fordern, mit den Lehrern dort gang- stände auszugleichen. bare digitale Konzepte zur Ergänzung von Präsenzunter- richt. (Beifall bei der SPD) Beschleunigen Bund und Länder dann auch noch den Natürlich spielt dabei die Digitalisierung eine entschei- Breitbandausbau an Schulen, dann, ja dann ist unser Bil- dende Rolle. Ich glaube an das Potenzial des digital unter- dungssystem nicht nur für Krisenzeiten gewappnet, son- stützten Unterrichts, gerade im Hinblick auf individuelle dern auch wieder bereit, einen Platz an der Weltspitze Förderung und Inklusion. Digitale Elemente müssen einzunehmen, meine Damen und Herren. ergänzend fester Bestandteil des Schulalltags werden. Wenn uns das gelingt, haben wir eine gute Chance, dass (Beifall bei der AfD) jene Bildungsschere wieder zusammengeführt wird. Schließlich möchte ich noch allen Menschen draußen (Beifall bei der SPD) frohe Weihnachten wünschen. An diesem sehr speziellen Schade nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Weihnachten sei vor allem auch an diejenigen gedacht, FDP, dass Sie zu den gleichen Startvoraussetzungen oder die ängstlich, einsam, deprimiert und verzweifelt sind. zur Inklusion in Ihrem Antrag wieder kein Wort verloren Bitte erinnern Sie sich stets daran, dass unser Glaube, haben. unsere Liebe zu unseren Familien und unserem Land größer und stärker ist als die Angst. Liebe, Freiheit, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Demokratie und Zusammenhalt sind die Gebote der Stun- de. Ihr Licht brennt hell und warm in dieser dunklen Zeit Frau Suding, Sie haben in Ihrer Rede ein paar Punkte (B) und spiegelt sich in den seelenvollen Augen unserer Kin- genannt, im Antrag selbst findet man dazu gar nichts. (D) der. Manchmal habe ich leider den Eindruck – Frau Kollegin Tiemann hat das gerade in ihrer Analyse der Anträge (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wunderbar seziert –, dass Sie immer wieder dieselben Warum müssen Sie das ablesen? So was muss Anträge mit minimalen Veränderungen einbringen und man doch frei sprechen können!) es Ihnen im Prinzip gar nicht um die Kinder geht, sondern nur darum, sich gut darzustellen. Wir halten stand. Selten war die weihnachtliche Bot- schaft so wichtig: Fürchtet euch nicht! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schöne Weihnachten! Was die technische Ausstattung betrifft, haben wir als SPD bereits einiges mit unserem Koalitionspartner (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- erreicht. Wir haben Tablets und Laptops für Lehrkräfte NIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas ablesen! besorgt. Peinlich! – Christian Dürr [FDP]: Sie hat ver- gessen, zu sagen, die Erde ist eine Scheibe! Das (Christian Dürr [FDP]: Nein, die kommen erst wäre perfekt gewesen!) nächstes Jahr! Sie haben versprochen!) Wir sorgen dafür, dass bedürftige Schülerinnen und Vizepräsidentin Petra Pau: Schüler auch Laptops bekommen können. Wir bauen Das Wort hat Marja-Liisa Völlers für die SPD-Frak- IT-Beratungsstrukturen in unseren Schulen weiter aus. tion. (Christian Dürr [FDP]: Die Lehrer, mit denen ich heute Morgen tele- (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: foniert habe, haben keine!) Was soll man danach noch sagen?) Doch wir sehen immer noch: Ausgerechnet dort, wo Schülerinnen und Schüler zu Hause nicht die notwendige Marja-Liisa Völlers (SPD): Unterstützung bekommen, sind die Schulen leider Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- schlechter aufgestellt. Deswegen brauchen wir so drin- ren! Wir befinden uns in einer Situation, in der Bund und gend das Programm „Schule macht stark“. Ich hoffe Länder die Notbremse ziehen mussten. Leider betrifft das sehr, liebes Bildungsministerium, Staatssekretär Rachel, auch unser Bildungssystem. Die Zahl der Infektionen dass es im nächsten Jahr pünktlich startet. steigt nach wie vor, und gleichzeitig sinkt die Anzahl freier Intensivbetten – eine tödliche Kombination. (Beifall bei der SPD) 25484 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Marja-Liisa Völlers (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie Die Öffnung des Grundgesetzes muss man nun für (C) es Ihnen allen am Sonntag ging, aber mein Handy klin- grundsätzliche Lösungen nutzen, aber nicht wieder für gelte fast die ganze Zeit. Eltern, Lehrerkolleginnen und kleinteilige Förderprogramme, die mit Sicherheit nur Lehrerkollegen, Freunde aus mehreren Bundesländern bis zur nächsten Ecke reichen. Das heißt, es muss dauer- meldeten sich. Viele Fragen waren noch offen. haft und mehr digitale Infrastruktur finanziert werden. Es bedarf der Förderung von mindestens technischem Per- (Grigorios Aggelidis [FDP]: Das ist immer sonal, und, meine Damen und Herren – das ist uns beson- noch so!) ders wichtig –, es muss sozial gerecht zugehen. – Nein, nein, nein. – Wir brauchen also eine klare und gut (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- verständliche Kommunikation. Das ist so wichtig. Dazu neten der SPD und der Abg. Margit Stumpp gehört auch, klarzumachen, dass wir heute noch nicht mit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sicherheit sagen können, ob die Schulen und Kitas nach dem 10. Januar wieder in einen normalen Betrieb gehen Das heißt: Dort, wo die größten Herausforderungen sind, können. Aber wir müssen vorbereitet sein. Das nieder- wo am meisten gebraucht wird, muss das meiste Geld sächsische Kultusministerium ist bislang das einzige, hinfließen. Dafür brauchen wir individuelle Rechte auf das einen entsprechenden Pandemieplan für die Zeit ab eine digitale Grundsicherung: auf Laptop und Drucker dem 10. Januar vorgelegt hat. Daran sollten sich alle für alle, mindestens aber für die jungen Menschen, denen anderen Bundesländer ein Beispiel nehmen. das Bildungssystem hierzulande schon jetzt eine Nieder- In diesem Sinne: Frohe Weihnachten! Bitte bleiben Sie lage nach der anderen präsentiert. alle gesund und insbesondere ein Dank an die Lehrkräfte (Beifall bei der LINKEN) und das Kitapersonal, die sich so stark um unsere Kinder kümmern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch oder gerade in digitaler Gesellschaft gilt: Es geht immer noch um Bil- Vielen Dank. dung. Das hat viel mit Unabhängigkeit und Selbststän- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) digkeit zu tun. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Es geht auch um Vizepräsidentin Petra Pau: Geschäfte!) Dr. Birke Bull-Bischoff hat für die Fraktion Die Linke Deshalb sind uns die Standards offener Bildung wichtig: das Wort. quellcodeoffene digitale Bildungsmaterialien, eine Kul- (Beifall bei der LINKEN) tur des Tauschens und des Teilens. (B) (D) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Des Kaufens!) Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): Es geht um Datenschutz, und dafür muss jetzt Vorsorge Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wirklich geschaffen werden, wenig, was noch nicht gesagt ist, und das vielfach. Aber es gibt immer etwas, was immer wieder gesagt (Beifall bei der LINKEN) werden muss, und zwar deshalb, weil es sich endlich und zwar schnell und verbindlich. Das Problem ist, dass ändern muss. viele Schulen ausgehungert sind und Beurteilungskom- Ja, eine der größten Bildungsbremsen für einen sinn- petenz fehlt. Schulen nehmen, was sie kriegen können. vollen Wechsel zwischen Lernen in Distanz und in Prä- Das hat nicht in jedem Fall etwas mit freier Bildung zu senz ist der fehlende Zugang zu leistungsfähigem Internet tun. und zu angemessenen Geräten, und zwar nicht nur in Was wir nicht brauchen, sind Lock-in-Effekte. Das allgemeinbildenden Schulen, sondern ebenso in berufli- gefährdet digitale Mündigkeit, und das beschränkt Bil- chen Schulen. Auch hier zeigt sich im Übrigen: In den dung auf Anwenderkompetenzen. Gern darf mit Bildung sogenannten Brennpunktschulen, wo junge Leute unter- Geld verdient werden, aber die Schulen dienen in erster wegs sind, denen es nicht so gut geht, die auf finanzielle Linie den Interessen von jungen Menschen, der Freiheit Unterstützung angewiesen sind, gibt es den größten Man- und der Selbstbestimmung. Kurz gesagt: Es geht um die gel. Auch – über den Tellerrand hinausgeblickt – in der Bildung junger Menschen – Punkt, aus, Ende. außerbetrieblichen Ausbildung, in der Jugendsozialar- beit, im Übergangssystem, in der beruflichen Bildung (Beifall bei der LINKEN) oder in der Grundbildung ist der Mangel am größten. Aber Lernen mit und über digitale Mittel und Medien Vizepräsidentin Petra Pau: ist kein Notnagel für Krisenzeiten. Es ist eine Zukunfts- frage für alle Kinder. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Margit Stumpp das Wort. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und der Abg. Margit Stumpp (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb ist es eine Zukunftsfrage für die Politik. Und: Es Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): muss jetzt gehandelt werden. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Empfehlung der Leopoldina, die Schul- (Beifall bei der LINKEN) pflicht auszusetzen, war ein Schock. Warum? Weil dies Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25485

Margit Stumpp (A) faktisch die Preisgabe des Grundrechts auf Bildung Vizepräsidentin Petra Pau: (C) bedeutet. Das käme einem Offenbarungseid unserer libe- Dr. Michael von Abercron hat für die CDU/CSU-Frak- ralen Demokratie gleich; das darf uns nicht passieren. tion das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Motivation war vermutlich die dringend notwendige Kontaktreduzierung. Dem wird jetzt mit der Aufhebung Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der Präsenzpflicht und dem Vorziehen von Ferien nach- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gekommen. Aber am 11. Januar ist die Pandemie nicht gab einen allseits bekannten Werbespruch eines großen vorbei. Was kommt danach? Seit fast zehn Monaten müs- Kaufhauses, der, insbesondere beim Schlussverkauf, sen Schulen auf kurzfristige Pauschalentscheidungen rea- besagte: Das Beste zum Schluss. – Ob man den vorlie gieren. Sie brauchen einen Plan A, einen Plan B und - genden Antrag der FDP zum Thema Digitalisierung zum einen Plan C. Das kann so nicht weitergehen. Ende unserer Sitzung damit bewerben kann, das will ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an ein paar Beispielen überprüfen. Ich kann Ihnen auch sagen: Sie müssen sich nicht fürchten. Viel zu viele Schulen können die digitalen Mittel für hybriden Unterricht immer noch nicht nutzen. Diesen (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Punkt greift die FDP völlig zu Recht auf. Die, die es Gleich der Punkt 1 dieses Antrages zeigt eine gewisse konnten, durften die digitalen Mittel nicht nutzen. Wahr Realitätsferne. So soll innerhalb der nächsten dreieinhalb ist aber auch: Grund- und Förderschulen helfen digitale Wochen – die Festtage natürlich mit eingeschlossen – Mittel nur bedingt, weil die Kinder damit überfordert eine bundesweite Whitelist von sämtlichen schulischen sind. Plattformanbietern in Abstimmung mit allen Bundeslän- dern vom Bund erstellt werden. Diese soll auch noch den Allen Schulen ist gemeinsam, dass die bestehenden Möglichkeiten, den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, zu datenschutzrechtlichen Anforderungen für eine öffentli- starr sind und nicht ausreichen. Sie brauchen weitere che Nutzung genügen. Instrumente und mehr Flexibilität: Ganz abgesehen davon, dass eine Durchführung dieser Forderung zeitlich gar nicht möglich ist, gibt es doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erhebliche Unwägbarkeiten hinsichtlich der vergabe- Luftreinigungsgeräte, größere Räume, mehr Personal wie rechtlichen Fragen, die es zu klären gilt. studentische Hilfskräfte oder Lernbegleitungen. Kurz: (Katja Suding [FDP]: Immer nur Ausreden!) Schulen brauchen keine starren Vorgaben, sondern ver- (B) Es besteht nämlich das Risiko, dass Bund und Länder (D) bindliche und klare Ziele zur Erreichbarkeit von Kindern massiv angreifbar sein könnten, wenn bei der Erstellung und zu Kontakten zu Lehrkräften. der Whitelist zum Beispiel ein Anbieter entweder ver- Prüfungen, Lernlücken, es gibt viele Herausforderun- gessen worden ist oder möglicherweise nicht berücksich- gen, denen wir nicht allein mit einem Weiße-Flecken- tigt wurde. Programm für schulische Breitbandanschlüsse beikom- (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: men werden, auch nicht nur mit einem Programm für Das schiebt das Problem doch nur auf die Lehr- Basisdigitalisierung. Wir brauchen für Schulen eine viel kräfte ab!) weiter gehende Strategie: Wir brauchen ein Weiße-Fle- cken-Programm für Bildung. Ist er zu Unrecht von der Liste verschwunden, könnte das in der Tat millionenschwere Schadensersatzforderungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Folge haben. Einen Untersuchungsausschuss würden Sie mit Sicherheit sofort fordern, wenn das alles nicht Liebe KMK, liebe Ministerin Karliczek, setzen Sie klappt. sich endlich zusammen, und erarbeiten Sie eine tragfähi- ge Strategie! Und: Beziehen Sie die Betroffenen mit ein! (Katja Suding [FDP]: Ja, natürlich!) Beteiligen Sie Elternvertretungen, Schülerinnen und Die FDP fordert weiter mit willkürlich gegriffenen Schüler, Lehrkräfte und Schulträger in diesen Diskussio- Terminsetzungen, die Mittelabflüsse zur Beschaffung nen! Sie sind diejenigen, die alle Entscheidungen umset- von technischem Equipment zu beschleunigen. zen und aushalten müssen; das ist das Mindeste. (Katja Suding [FDP]: Mann, das war doch Ihr Zum Schluss möchte ich mich bei all jenen bedanken, Zeitplan!) die in diesem Jahr Schulen am Laufen gehalten haben und Abgesehen davon, dass mich das eher an planwirtschaft- mit all ihren Kräften das Recht auf Bildung verteidigt liche Vorgaben erinnert, blendet die FDP mehr oder we- haben: Lehrkräfte, Eltern, Schulträger und nicht zuletzt niger gekonnt aus, dass auch hier Vergabeverfahren ein- Schülerinnen und Schüler. Vielen Dank für Ihr Engage- gehalten werden müssen. ment und eure Geduld. Ich hoffe, Sie können die nächsten Wochen zur Erholung nutzen. Bleiben Sie zuversichtlich (Christian Dürr [FDP]: Das hat überhaupt und gesund! Das wünsche ich uns allen und viele Licht- nichts mit Vergabeverfahren zu tun!) blicke und Erleichterungen im kommenden Jahr. – Doch, doch, das hat schon etwas damit zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Christian Dürr [FDP]: Nein! Genau darüber sowie bei Abgeordneten der LINKEN) haben wir heute geredet! Das ist falsch!) 25486 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Dr. Michael von Abercron (A) Ich will aber nicht verhehlen, dass die Forderung auch Wir sind doch nicht dazu da, uns hier im Bundestag als (C) einen wichtigen Aspekt hat – hören Sie zu! –, bei dem wir Zahlmeister für die Schulbildung in den Ländern anzu- Ihnen an dieser Stelle entgegenkommen. Es ist nämlich empfehlen. Das machen Sie mit diesem Antrag, meine die Frage, ob staatliche Prozesse und die Ausschreibung Damen und Herren. nicht auch ein wenig entbürokratisiert werden können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Leider scheinen die Verfechter einer Entbürokratisierung Christian Dürr [FDP]: Stattdessen hält man von Berlin bis Brüssel trotz aller öffentlicher Bekundun- 99 Prozent der Mittel zurück! Was soll das gen immer weniger gehört zu werden. Das sage ich auch denn?) ganz selbstkritisch, wenn ich daran denke, was wir heute Morgen mit dem notwendigen, aber doch in dieser Hin- Gut. Sollte in der letzten Sitzung des Jahres 2020 die- sicht nicht gerade vorbildlichen EEG beschlossen haben, ser Antrag „das Beste zum Schluss“ sein, so sehe ich auch das kein Beispiel für Entbürokratisierung ist. bei diesem Schlussverkaufsartikel doch noch einigen Optimierungsbedarf, In Punkt 5 des Antrages wird gefordert, dass alle Schulen zum 30. Juni über einen schnellen Internetzu- (Christian Dürr [FDP]: Oh Gott! Bitte, bitte!) gang verfügen sollen. Jeder wird diese Forderung sofort wie auch insgesamt – das gebe ich zu – bei der Digitali- unterstützen. Aber auch hier holt uns doch die Realität sierung unserer Schulen. ein: Gehen Sie mal vor Ort hin, und beauftragen Sie einen Unternehmer, der möglicherweise gar nicht da ist. Wir können uns noch so laut und immer wieder über die Frage Vizepräsidentin Petra Pau: unterhalten, warum das nicht schnell zu machen ist, wenn Kollege Abercron, die gute Nachricht: Ihre Kollegin vor Ort nicht die Kabel gelegt werden. Automatisch wer- hat die Redezeit eingehalten. Die schlechte: Sie müssen den sie eben auch nicht aufgerollt. Also, insofern ist die zum Punkt kommen. Frage sehr wichtig: Wie bekommt man das vor Ort gelöst? Darauf gehen Sie nicht ein. Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Was jedoch überhaupt keine Erwähnung in Ihrem An- Ja. – Ich wünsche Ihnen – das war gerade mein trag findet, ist die Tatsache, dass nicht nur Schulen besser Wunsch – nicht nur digital, sondern auch von Herzen ausgestattet werden müssen, sondern natürlich auch die alles Gute zu Weihnachten, ein frohes Weihnachtsfest Haushalte der Eltern. Ich selber habe das Problem, dass und ein gesegnetes und gesundes 2021! ich im ländlichen Raum wohne und mit LTE so gerade Herzlichen Dank. versorgt werde. Ich kann Ihnen berichten, dass unser Hausanschluss manchmal zu eng ist. Meine kleine schul- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (B) (D) pflichtige Tochter hat Schwierigkeiten, ihre Aufgaben Oliver Kaczmarek [SPD]) vollständig mit dem System IServ zu empfangen, die ältere Tochter muss darum bangen, dass das Programm Vizepräsidentin Petra Pau: itslearning vollständig auf ihrem Laptop erscheint. Das Das Wort hat die Kollegin Ulrike Bahr für die SPD- bedeutet doch am Ende, dass wir dringend dafür sorgen Fraktion. müssen, dass der ländliche Raum komplett mit Internet versorgt wird, und zwar egal mit welchen technischen (Beifall bei der SPD) Lösungen, sonst wird der ländliche Raum schulisch abge- hängt. Das müssen wir verhindern, meine Damen und Ulrike Bahr (SPD): Herren. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Kollegen! Sosehr ich mich über bildungspolitische Oliver Kaczmarek [SPD]) Debatten hier im Plenum freue, so muss ich mich lang- sam über die Anträge der FDP wundern, die so tun, als Ein anderer Punkt macht mir bei Ihnen große Sorgen – würden sie das Rad neu erfinden. Wir haben in den ver- den finde ich auch besonders kritisch –, nämlich der gangenen Monaten die Thematik der digitalen Bildung an Punkt 8. Sie fordern, mit den Ländern sofort über eine dieser Stelle hoch- und runterdiskutiert. Für mich sieht Nachfolgeregelung des DigitalPakts zu verhandeln. das so aus, als müssten Sie vor Weihnachten noch einmal (Katja Suding [FDP]: Ja!) versuchen, im Gespräch zu bleiben. Wenn dieser Antrag für eines gut ist, dann ist es doch die Es ist ja nicht so, dass Ihre Vorschläge in der bundes- Erkenntnis der Notwendigkeit einer genauen Evaluation politischen Debatte verfangen; denn die Koalition hat des DigitalPakts und seiner Erweiterung. Nur so können bereits geliefert; Sie schreiben es selbst in Ihrem Antrag. wir in Zukunft überhaupt Fehler vermeiden. Wir haben ad hoc dreimal eine halbe Milliarde Euro den Ländern zur Verfügung gestellt, um den digitalen Unter- Aber das Problem ist: Solange wir ein föderales Bil- richt, der ja hoffentlich im kommenden Jahr nicht mehr in dungssystem haben – ich gebe zu, ich bin selbst nicht so großem Umfang nötig sein wird, besser zu ermögli- immer ein großer Fan davon –, darf die Devise doch nicht chen. Es gab 500 Millionen Euro für Laptops und Tablets sein: Die Länder entscheiden, die Länder verkünden, die für Schülerinnen und Schüler, die kein eigenes Gerät Länder wählen aus, und der Bund zahlt. – Das kann es haben, doch nicht sein. (Christian Dürr [FDP]: Das ist ja wohl ein (Beifall bei der CDU/CSU) Witz!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25487

Ulrike Bahr (A) 500 Millionen Euro für Techniker und Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Systemadministratoren, um die angeschaffte Technik zu Ich schließe die Aussprache. warten, sowie 500 Millionen Euro für Lehrerinnen- und Lehrerlaptops, damit sie endlich nicht mehr mit ihren Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Privatgeräten arbeiten müssen. Fraktion der FDP auf Drucksache 19/25298 mit dem Titel „Keine Zeit mehr zu verlieren – Die Digitalisierung von (Christian Dürr [FDP]: Das ist wie bei Olaf Schulen endlich beschleunigen“. Wer stimmt für diesen Scholz! Es liegt was im Schaufenster, aber im Antrag? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dage- Laden ist nichts!) gen? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke und die Frak- Der DigitalPakt gilt dazu unvermindert weiter. Länder tion Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag ist damit abge- können weiterhin mit Bundesgeldern in ihre digitale Bil- lehnt. dungsinfrastruktur investieren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Wenn Ihnen der Mittelabfluss nicht schnell genug geht, dann klopfen Sie doch mal an die Tür Ihrer FDP-Landes- Beratung des Antrags der Abgeordneten Corinna ministerin für Bildung in Nordrhein-Westfalen und Rüffer, Maria Klein-Schmeink, Anja Hajduk, machen Frau Gebauer Dampf unterm Kessel. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Sie Sozialstaat auf Augenhöhe – Zugang zu Teil- haben nicht verstanden, dass der DigitalPakt habeleistungen verbessern so nicht funktioniert!) Drucksache 19/24437 Natürlich will auch meine Fraktion, dass Schulen für Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) den digitalen Wandel gewappnet sind – nicht nur in Zei- Ausschuss für Inneres und Heimat ten der Pandemie –, und wir wollen auch, dass die Ver- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zahnung von digitalem und Präsenzunterricht möglichst Ausschuss für Gesundheit reibungslos klappt. Wie das aussehen kann, hat die SPD- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Fraktion in einem Positionspapier bereits vor Monaten beschlossen. Ich bitte, zügig den Platzwechsel zu voll- skizziert. Wir wollen die digitale Lernmittelfreiheit für ziehen. alle. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin (Beifall bei der SPD) Corinna Rüffer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (B) (D) Dazu braucht es beispielsweise ein neues Förderpro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gramm, das Schülerinnen und Schüler unterstützt, den Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: verpassten Stoff nachzuholen. Bei allem digitalen Aus- Das Beste kommt zum Schluss!) bau ist daher wichtig festzuhalten, dass Digitales den eigentlichen Präsenzunterricht immer nur ergänzen Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kann und nicht ersetzen darf. Die unmittelbare Teilhabe Vielen Dank. Das Beste, sagt Markus Kurth, und das der Schülerinnen und Schüler und der direkte Kontakt Wichtigste kommt zum Schluss. – Sehr geehrte Frau Prä- sind essenziell. Das kann kein Gerät ersetzen. sidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Viel- leicht haben Sie es mitbekommen: Familie Lechleuthner (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ist der Kragen geplatzt. Für diejenigen, die es nicht mitbe- Daher ist es auch so wichtig, dass wir den Rechtsan- kommen haben, will ich einmal erläutern, was der Hinter- spruch für eine Ganztagsbetreuung für Kinder im Grund- grund ist: Die Lechleuthners leben mit ihren vier Kindern schulalter schnellstmöglich umsetzen. Denn wer von in Bayern. Korbinian – so heißt das jüngste Kind – ist Anfang an dabei ist und die Chancen zum gemeinsamen dreieinhalb Jahre alt. Seine Muskeln sind anders als bei Aufwachsen und zum Von-und-miteinander-Lernen hat – anderen Kindern; aber das ist sicher nicht das Problem. analog und digital –, der hat es später auch leichter, sich Aber damit Korbinian das bekommt, was er braucht, zurechtzufinden. Deswegen müssen wir neben den müssen seine Eltern ständig gegen Behörden kämpfen. Finanzen auch die Qualität des Ganztags im Blick behal- Zurzeit geht es zum Beispiel unter anderem um einen ten. Dieser muss mit außerschulischen Bildungsangebo- speziellen Stuhl, den das Kind in der Kita braucht, um ten eng verzahnt werden, zum Beispiel mit dem MINT- seine kleinen Freundinnen und Freunde zu sehen. Das ist Bereich oder mit Angeboten zur politischen Kinderbil- technisch eigentlich überhaupt kein Problem. Die Kran- dung. Davon steht nichts im Antrag, obwohl es dazuge- kenkasse sollte das finanzieren, tut sie aber nicht. So hören müsste. Wir können dem Antrag von daher nicht müssen die Eltern wertvolle Zeit damit verplempern – zustimmen. die würden auch gerne mit ihren Kindern spielen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zeit mit ihnen verbringen –, sich mit der Kasse herum- der CDU/CSU) zuschlagen, damit ihr Sohn das bekommt, was er braucht. Herzlichen Dank und schöne Weihnachten. Als neulich wieder eine Ablehnung im Briefkasten landete, startete Frau Lechleuthner eine Petition mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dem Ziel, die Blockade der Krankenkassen endlich zu der CDU/CSU) stoppen. Sie kämpft damit nicht nur für sich und vor allen 25488 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Corinna Rüffer (A) Dingen ihren Sohn, sondern sie kämpft für ganz viele Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Menschen in diesem Land, die vergleichbare Probleme Kollegin Rüffer. haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – letzter Satz –, der für sie da ist, wenn sie ihn brau- Ich habe vor einiger Zeit eine Umfrage gemacht, um chen. Lassen Sie uns das gemeinsam tun. In diesem Sin- herauszufinden, wie es denn ist mit dem Zugang zu Teil- ne: Frohe Weihnachten! habeleistungen und wo im Einzelnen die Probleme lie- Vielen Dank. gen. Ich habe innerhalb weniger Wochen tatsächlich Tau- sende von Rückmeldungen bekommen; nicht ein paar, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern Tausende. Die Menschen berichteten mir, dass sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sie sich als Bittsteller fühlen, dass sie schlecht beraten würden und vor allem nicht auf Augenhöhe, dass sie Vizepräsidentin Petra Pau: müde seien und kaum noch Kraft hätten, jeden Tag aufs Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Wilfried Neue gegen Behörden und ebendiese vermaledeite Büro- Oellers das Wort. kratie anzukämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es waren viele Eltern von Kindern mit Behinderung darunter. Sie schreiben davon – es ist wie bei den Lech- leuthners –, dass sie, anstatt die Zeit mit ihren Kindern Wilfried Oellers (CDU/CSU): verbringen zu können, Aktenordner mit Anträgen, Wider- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- sprüchen und all dem, was an Papierkram so anfällt, fül- nen und Kollegen! Liebe Zuhörer an den Endgeräten! len. Frau Rüffer, als ich den Antrag gelesen habe, wusste ich zunächst nicht, ob er einen roten Faden hat. Sie haben Blinde Menschen berichteten, dass sie Unterlagen viele Punkte aufgeführt, die selbst in den elf Minuten handschriftlich ausfüllen sollten. Gehörlosen ist ihr Recht meiner Redezeit – das sage ich ganz ehrlich – schwer verwehrt worden, Gebärdendolmetscher mit zu Behörden zu erfassen sind. zu nehmen, um ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Es gab auch viele Fälle, bei denen es darum ging, Leistungen Um die Geschichte der vielen betroffenen Menschen, zu verlängern, die sie ja schon seit langer Zeit bekommen. die Sie gerade erzählt haben, vielleicht als Erstes aufzu- Als ob jemand, der zum Beispiel auf eine 24-Stunden- greifen: Diese Fälle werden mir auch geschildert, und ich Assistenz angewiesen ist, diese ein Jahr später nicht mehr muss sagen, in einigen Fällen bin ich fassungslos, wenn (B) braucht! Eine Behinderung verschwindet doch nicht ein- ich sehe, wie die Verfahren laufen. Dennoch muss man (D) fach so. Deswegen macht es überhaupt keinen Sinn, dass natürlich sagen, dass selbst diese Ansprüche zunächst man immer und immer wieder die gleichen Fragen beant- mal zu beantragen sind und ein Verfahren durchzuführen worten muss und die gleichen Unterlagen auszufüllen ist. Auch ich würde mir da mehr Beschleunigung wün- hat. Das ist totaler Unsinn. schen; das sage ich ganz ehrlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie sprechen von einem „Sozialstaat auf Augenhöhe“. und bei der LINKEN) Was heißt das eigentlich? Ich will betonen, dass das Sozialleistungsverhältnis ein Leistungs-, Pflichten- und Wir schlagen vor, endlich damit Schluss zu machen Obliegenheitsverhältnis ist. Die Bürger müssen einen und diesen Zustand zu beenden. Wir wollen einen Sozial- Antrag stellen. Dieser sollte zügig bearbeitet werden; da staat, der den Menschen auf Augenhöhe begegnet, einen bin ich voll bei Ihnen. Dann geht es aber darum, vonsei- Servicestaat und keinen Kafka-Staat. Verfahren müssen ten des Staates solche Ansprüche – das verstehe ich unter spürbar beschleunigt werden, damit die Menschen nicht einem „Sozialstaat auf Augenhöhe“, und ich bin der Mei- monatelang auf die Bearbeitung ihres Antrags warten nung, dass wir diese Augenhöhe haben – kontinuierlich müssen. Ich habe die Geschichte einer alten Frau im zu begleiten. Ich gebe zu: Das kann zum Teil sehr müh- Kopf, die zwei Jahre lang auf die Genehmigung ihrer sam sein, ja. Aber ich glaube schon, dass wir in den orthopädischen Schuhe warten musste und in dieser letzten Jahren als Bundesregierung da vieles getan haben, Zeit faktisch ihre Wohnung kaum noch verlassen konnte. insbesondere durch das BTHG. Das bringt natürlich viele Das sind unhaltbare Zustände. Es müssen Konsequenzen Umstellungen und Neuerungen mit sich, auf die sich die gezogen werden. Die Menschen haben keine Kraft, vor Behörden bzw. Leistungsträger einstellen müssen. Gerichte zu ziehen. Wir müssen ihnen unter die Arme greifen. Ich greife mal als ersten Punkt das Leistungsrecht heraus. Was haben wir nicht alles eingeführt! Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wunsch- und Wahlrecht nach SGB IX wurde mit dem sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bundesteilhabegesetz eingebracht. Die angemessenen Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter unserem An- Wünsche der Leistungsberechtigten werden im Rahmen trag – das ist, glaube ich, offensichtlich – steckt ein enor- der persönlichen, familiären und örtlichen Umstände, mes Problem. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich diese gerade was die gewünschte Wohnform betrifft, berück- Menschen frustriert abwenden, weil sie irgendwann nur sichtigt. Selbst unangemessenen Wünschen ist zu ent- noch das Gefühl haben, gegängelt zu werden. Lassen Sie sprechen, wenn ansonsten der Bedarf nicht oder nicht uns gemeinsam daran arbeiten, dass wieder Vertrauen umfassend gedeckt werden kann oder alternative Leistun- entsteht in einen Staat – gen nicht zumutbar sind. Dem Wohnen außerhalb von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25489

Wilfried Oellers (A) besonderen Wohnformen ist immer der Vorzug zu geben, darauf, wer der zuständige Rehaträger ist. An dieser Stel- (C) wenn der Leistungsberechtigte dies wünscht. Und damit le haben wir, denke ich, vieles verbessert. Verbesserungs- einhergehende Assistenzleistungen im Bereich der potenzial besteht sicherlich immer noch. Gestaltung sozialer Beziehungen und persönlicher (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lebensplanungen sind ebenfalls zu berücksichtigen. NEN]: Dann setzen wir doch da an und verbes- Den Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz haben sern!) wir im BTHG verankert. Gerade die persönlichen Assis- Aber ich will den Blick auch noch mal darauf lenken, tenzleistungen dürfen nicht gemeinsam erbracht werden – dass wir mit dem geplanten Kinder- und Jugendstär- Stichwort „Poolen“ –, wenn Leistungsberechtigte dies kungsgesetz den geforderten Verfahrenslotsen, den Sie nicht ausdrücklich wünschen. Also, an der Stelle haben angesprochen haben, einführen, damit Eltern von behin- wir, denke ich, rechtlich alles getan. derten Kindern und Jugendlichen an der Schnittstelle Auch die in Ihrem Antrag enthaltene Forderung nach zwischen Jugendhilfe und Eingliederungshilfe unterstützt Einrichtung einer Clearingstelle haben wir mit der Ein- werden. Damit möchten wir eine verbindliche Zusam- richtung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabebera- menarbeit der beteiligten Leistungsträger und eine ver- tung, denke ich, eigentlich schon erledigt. Da werden bindliche Beratung betroffener Kinder, Jugendlicher Menschen an die Hand genommen und durch den zuge- und ihrer Eltern erreichen. Auch wenn es bis dahin gebenermaßen bestehenden Dschungel von Leistungsan- noch ein längerer Prozess ist, haben wir diese inklusive trägen geführt. Lösung fest im Blick. (Grigorios Aggelidis [FDP]: Es geht darum, Als dritten Punkt will ich hier das von Ihnen ange- diesen Dschungel abzuschaffen!) sprochene Thema der Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in politische Prozesse aufgreifen. Das liegt Das Bemerkenswerte an den EUTBs ist, dass die Bera- mir ganz besonders am Herzen. Wir haben trotz Corona – tung gerade durch selbst betroffene Menschen, die ihre zumindest war es bei mir so – viele Gespräche mit behin- eigenen Erfahrungen einbringen können, geleistet derten Menschen geführt. Dank digitaler Techniken war werden kann und so eine gute Beratung erfolgen kann. das alles möglich, und auf diese Weise konnten die Inte- Wir haben mittlerweile 500 Beratungsstellen mit ressen von behinderten Menschen trotzdem platziert wer- 1 800 Beschäftigten in Deutschland. Ja, bei den EUTBs den. Ich denke dabei an Veranstaltungen, die wir in unse- gab es in jüngster Vergangenheit Schwierigkeiten mit den rer Fraktion durchgeführt haben, zum Beispiel an den Förderungen. Da haben wir jetzt aber noch mal nachge- Festakt „100 Jahre Schwerbehindertenvertretung“, eine legt. Dieses Problem sollte jetzt behoben sein, vor allen digitale Werkstatträtekonferenz und viele andere Veran- (B) Dingen vor dem Hintergrund, dass wir die finanzielle staltungen, die wir durchgeführt haben. Dort haben Men- (D) Unterstützung der EUTBs entfristet haben. Damit haben schen mit einer Behinderung die Möglichkeit gehabt, ihre wir letztlich diesen Einrichtungen Planungssicherheit Anliegen direkt zu platzieren und Impulse zu geben. gegeben, was ich für besonders wichtig halte. Ich denke, Daraus sind Dinge erwachsen, die letztlich auch umge- das muss man an der Stelle besonders betonen. setzt worden sind. Ich darf hier an die Finanzierung der Aber nicht nur das Sozialrecht ist hier zu berücksich- Werkstatträte Deutschland erinnern, die ihr Finanzie- tigen. Ich denke, man sollte auch die Reform des Vor- rungsproblem dargelegt hatten – sie waren ja auch zwi- mundschafts- und Betreuungsrechts besonders hervorhe- schen den Trägern etwas hin- und hergetrieben; das konn- ben. Wir waren in dieser Woche ja gemeinsam in der te gelöst werden –, öffentlichen Anhörung. In diesem Zusammenhang will (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich besonders das Instrument der „erweiterten Unterstüt- NEN]: Ein kleines bisschen!) zung“ hervorheben. Es soll eingeführt werden, um statt der Anordnung einer Betreuung auch andere sozialrecht- und insbesondere an den Behinderten-Pauschbetrag im liche Hilfen zu vermitteln. Insgesamt werden mit dieser Steuerrecht, der seit 1975, nach so vielen Jahren, erstmals Reform auch der Erforderlichkeitsgrundsatz und das wieder angehoben worden ist. Ich gebe zu: Das ist viel zu Prinzip der unterstützenden Entscheidungsfindung nach spät; das hätte man viel früher lösen können. der UN-Behindertenrechtskonvention gestärkt. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Danke, Olaf Der zweite Punkt: verfahrensrechtliche Verbesserun- Scholz!) gen. Um die in Ihrem Antrag geforderte bessere Koordi- Aber trotzdem: Es ist jetzt mal geschehen; da haben wir nierung von Sozialleistungen zu erreichen, ist ja auch sicherlich einiges bewirkt. gerade im Bundesteilhabegesetz das Teilhabeplanverfah- ren eingeführt worden. Dieses Verfahren sorgt dafür, dass Im Rahmen der Coronapandemie hat sich auch gezeigt, bei mehreren Kostenträgern Leistungen aus einer Hand wie wandelbar und schnell leistungsfähig ein Sozialstaat erbracht werden können. Für dieses Verfahren haben wir ist. Was haben wir nicht alles für Programme auf den Weg Fristen vorgesehen, damit man das nicht unendlich in die gebracht: Mit dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, mit Länge ziehen kann, zum Beispiel, was die Zuständigkeit KfW-Programmen und Überbrückungshilfen haben wir und Weiterleitung eines Antrags betrifft. Zu knapp dürfen die ganzen Einrichtungen gestützt, und das wollen wir diese Fristen natürlich nicht bemessen sein. Sie müssen natürlich auch weiterhin machen. im Teilhabeplanverfahren hinterlegt werden; denn sie (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen die ganze Komplexität, die solche Fälle mit sich NEN]: Aber wir wollen ja nicht nur Einrichtun- bringen, mit berücksichtigen, gerade auch im Hinblick gen stützen! Wir wollen ja Menschen helfen!) 25490 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Wilfried Oellers (A) Da wird es ganz wichtig sein, nicht nur die Zeit der Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Coronapandemie zu betrachten, sondern auch darüber Auch wenn das der letzte Tagesordnungspunkt ist: Ich hinauszublicken. In dem Zusammenhang möchte ich bitte, alle Wünsche, Danksagungen usw. gleich in den einen ganz herzlichen Dank an alle Behindertenverbände Redebeiträgen entsprechend einzuplanen. – Das Wort aussprechen, die während der ganzen Zeit nicht müde hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD- geworden sind, ihre Belange, die Belange der Einrichtun- Fraktion. gen und die Belange der behinderten Menschen vorzu- tragen, damit wir hier in der Politik genau wussten, wo (Beifall bei der AfD) wir ansetzen mussten. Diese Hinweisgeber brauchen wir weiterhin. Ich darf alle ermuntern, weiterhin den direkten Norbert Kleinwächter (AfD): Weg zu den Abgeordneten, zur Politik zu suchen. Ich bemühe mich, Frau Präsidentin. – Frau Präsiden- tin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) te über einen verbesserten Zugang zu Teilhabeleistungen. Das sind Leistungen, die Menschen mit Behinderungen Meine sehr geehrten Damen und Herren, um zum dabei helfen, ihr Leben zu meistern. Anfang der Rede zurückzukommen: Sozialstaat auf So wichtig es ist, über bessere Regelungen in der Teil- Augenhöhe – was bedeutet das? Unser Sozialstaat hat habe zu reden, so wichtig ist es, dabei fair und gerecht zu sich, wie ich gesagt habe, im Rahmen der Coronapande- bleiben. Menschen mit Behinderungen haben es verdient, mie in kürzester Zeit handlungsfähig und wandlungsfähig dass sie nicht zum Spielball von Ideologie werden, son- gezeigt. Aber auch darüber hinaus müssen wir schauen, dern dass die Politik ihre Bedürfnisse ernst nimmt. Und dass wir die Situation der Menschen mit Behinderungen darum geht es Ihnen von den Grünen leider nicht. verbessern und dass insbesondere die Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes, also die Hinführung von Frau Rüffer, was Sie vorgetragen haben, ist unglaub- Menschen mit einer Behinderung auf den ersten Arbeits- würdig, wenn man das mit dem Antrag vergleicht, den markt, geleistet wird. Sie gestellt haben. (Zuruf von der LINKEN: Ich fand es sehr Da stelle ich mir vor, dass man noch eine trägerüber- glaubwürdig!) greifende, unabhängige Lotsenstelle für Arbeitgeber ein- richtet, damit auch diese durch das Dickicht der Förder- Der Antrag bringt keine echten Lösungen; er fabuliert an leistungen geführt werden, und dass im Rahmen der verschiedenen Stellen, dass etwas verbessert werden soll, Werkstätten für behinderte Menschen auch das Werkstat- sagt aber nicht, wie. Vieles von dem, was Sie vorschla- tentgelt so finanziert wird, dass das Arbeitsförderungs- gen, existiert schon. Was ich Ihnen wirklich vorwerfe, ist (B) geld an das Ausbildungsförderungsgeld gekoppelt wird. die Tatsache, dass es keinen einzigen Antrag der Grünen (D) zu geben scheint, in dem nicht irgendwo Politik für Nächster großer Punkt: die Barrierefreiheit. Da muss Migranten versteckt ist. sicherlich viel mehr Tempo auf die Bahn, (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Sören Pellmann [DIE LIN- KE]) In diesem spezifischen Antrag fabulieren Sie sogar Men- schenrechte herbei, die es nicht gibt, um Politik gegen aber da ist man schon dran. Deutschland zu begründen. Das ist in der Behinderten- politik besonders verwerflich, meine Damen und Herren! Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der AfD – Sören Pellmann [DIE Kollege Oellers, Sie haben zwar beklagt, dass elf LINKE]: Nicht mal eine Minute hat das Minuten wenig Redezeit sind, aber das ist mit Abstand gedauert! Nicht mal eine Minute! – Matthias die längste heute gewährte Redezeit, und Sie müssen jetzt W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie die einen Punkt setzen. Menschenrechtskonvention überhaupt mal gelesen?) Und darauf will ich eingehen: Auf Seite 8 ersinnen Sie, Wilfried Oellers (CDU/CSU): das Recht auf Teilhabe sei ein universelles Menschen- Ich bin auch dabei. Ich wollte gerade zum Abschluss recht, um dann gleich hinzuzufügen, dass es nicht vom kommen. aufenthaltsrechtlichen Status abhängig gemacht werden darf. (Heiterkeit – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich will auch elf Minuten (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Redezeit!) NEN]: Das ist geltendes Recht in der Bundes- republik Deutschland!) Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest und bedanke Damit begründen Sie ein unbegrenztes Leistungs-, mich für die Aufmerksamkeit. – Mehr wollte ich gar nicht Wunsch- und Wahlrecht. Die Gemeinschaft hat alles zu mehr sagen, Frau Präsidentin. bezahlen für alle aus aller Welt. Die Wahrheit ist aber – um das jetzt ein für alle Mal zu klären –: Ein universelles (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Menschenrecht auf Teilhabe gibt es nicht, übrigens ordneten der SPD) genauso wenig wie auf Sozialleistungen oder Migration, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25491

Norbert Kleinwächter (A) (Beifall bei der AfD) Ganz wichtig sind Ihnen natürlich die Leistungen für (C) Asylbewerber. Sie fordern Eingliederungshilfen vom ers- nicht in der Europäischen Menschenrechtskonvention ten Tag an. Wollen wir wirklich den eingliedern, der und auch nicht in der Allgemeinen Erklärung der Men- geduldet ist oder direkt vor der Abschiebung steht? – schenrechte der UN. Dort gibt es aber eine gegenseitige Das ist ganz bestimmt nicht das Ziel von Behinderten- Verantwortlichkeit zwischen Gemeinschaft und Indivi- rechtspolitik. duum. Lesen Sie mal Artikel 22: Als Mitglied der Gesell- schaft hat jeder unter Berücksichtigung der Mittel des Meine Damen und Herren, der Antrag, den Sie gestellt Staates Anspruch darauf, in den Genuss der Rechte zu haben, dient nicht den Menschen mit Behinderungen. Er gelangen, die für seine Würde unentbehrlich sind. – Auf dient dazu, die Tür zu öffnen für Eingliederung und Ext- der anderen Seite gibt es Artikel 29: „Jeder hat Pflichten raleistungen für Menschen aus der ganzen Welt. Teilhabe gegenüber der Gemeinschaft.“ – Ja, schreiben Sie sich wird so erweitert zu einer Art Nachteilsausgleich für das mal hinter die grünen Ohren! illegale Migranten. Wenn Sie so die Menschen mit Behin- derungen für Ihre One-World-Ideologie – (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Haben Sie eigentlich niemand, der zum Antrag redet? Das ist echt traurig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kleinwächter, achten Sie bitte auf die Zeit. Und in der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es auch keine entsprechenden Regelungen. In Artikel 19 haben die Vertragsstaaten deklariert, dass sie Maßnah- Norbert Kleinwächter (AfD): men treffen, um Menschen mit Behinderungen ihre volle – instrumentalisieren, ist das wirklich moralisch inak- Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der zeptabel. Gemeinschaft zu erleichtern. Das steht aber unter dem (Beifall bei der AfD – Josephine Ortleb [SPD]: Progressionsvorbehalt des Artikels 4, nämlich der ver- Ihre Redezeit ist vorbei!) fügbaren Mittel und der Verwirklichung nach und nach. Meine Damen und Herren, – Der Anspruch auf Leistungen ist also kein universelles Menschenrecht. Der Staat hat die Pflicht, im Rahmen Vizepräsidentin Petra Pau: seiner Mittel für jedes Mitglied der Gesellschaft auf Teil- Herr Kleinwächter, Sie müssen zum Schluss kommen. habe hinzuwirken. Ihre Prämisse, die Sie in den Antrag geschrieben haben, ist einfach falsch, wie in vielen ande- ren Anträge auch. Und das werfe ich Ihnen vor: dass Sie Norbert Kleinwächter (AfD): – ich komme zum Schluss – die Adventszeit ist eine (B) die Behindertenpolitik zu dieser Art von Forderungen (D) missbrauchen. Zeit der Besinnung und der Umkehr. Die wünsche ich Ihnen, und Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Weih- (Beifall bei der AfD) nachtsfest. Die anderen wohlfeilen Forderungen, die Sie stellen, Haben Sie herzlichen Dank. fallen ganz schnell auseinander, wenn man sich intensi- (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- ver damit beschäftigt. Ich mache mal einen kurzen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da verzichte ich auf Durchlauf. Ihre Wünsche gern! Von Menschenrechten Erstens. Das Wunsch- und Wahlrecht wollen Sie aus- haben Sie weiß Gott keine Ahnung!) weiten, insbesondere bezüglich der Leistungen und des Wohnorts und des Pflegetyps. Nach der geltenden Vizepräsidentin Petra Pau: Rechtslage gibt es bereits jetzt einen Ausschluss deutlich Vielen Dank. – Das Wort hat die Kollegin Angelika teurerer Leistungen nur nach einer Abwägung der Situa- Glöckner für die SPD-Fraktion. tion, nach einer Prüfung der Zumutbarkeit. Das steht in § 104 SGB IX; den muss man halt lesen. (Beifall bei der SPD) (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und Sie müssen mal in die Praxis Angelika Glöckner (SPD): gucken!) Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir hier im Deutschen Zweitens. Sie wollen neue Berichtspflichten und neue Bundestag Gesetze beschließen, dann machen wir das, Fristen einführen. Sie haben selber festgestellt, dass die weil wir damit bei den Menschen etwas bewirken wollen. Behörden schon überlastet sind; Sie wollen sie aber noch Das gilt für alle Gesetze, aber insbesondere dann, wenn es weiter überfordern, obwohl es solche Fristen schon längst um die Belange von Menschen mit Behinderungen geht. gibt. Bei Überschreitungen gibt es die sogenannte Geneh- Das gehört für mich und meine Fraktion, die SPD, zum migungsfiktion; das heißt, die Leistungsberechtigten Selbstverständnis. könnten sich die Leistungen einfach selber einkaufen. Das stört Sie aber wieder. Sie sagen, das könnten die nicht Sie haben den vorliegenden Antrag gestellt, werte Kol- finanzieren, haben aber offensichtlich überlesen, dass leginnen und Kollegen der Grünen, und Sie machen darin diese Leute Anspruch auf Abschlagszahlungen haben, geltend, dass die Hilfe nun doch nicht vor Ort ankommt. und zwar nach § 18 Absatz 4 SGB IX. Das gibt uns die Gelegenheit, noch mal darüber zu reden, dass das für uns ein wichtiges Thema ist, das wir hier (Zuruf von der AfD: Schaufensterantrag!) aufgegriffen haben, und dass wir deswegen mit dem 25492 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Angelika Glöckner (A) BTHG ein umfassendes Regelwerk verfasst und Instru- Angelika Glöckner (SPD): (C) mente entwickelt haben, damit die Hilfe vor Ort bei den Mach ich gerne, Frau Präsidentin. Menschen ankommt, und zwar viel mehr, als es bisher der Fall war. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich will das noch mal an einigen wenigen Beispielen Ich glaube, Ihr Kollege findet das nicht so gut. benennen. Genannt wurde bereits die Ergänzende unab- hängige Teilhabeberatung, die geschaffen wurde, damit Angelika Glöckner (SPD): Menschen eine erste Anlaufstelle haben und eben nicht – Ich komme zum Schluss. – Ich finde, es ist ein guter wie Sie in Ihrem Antrag befürchten – durch einen Behör- Ansatz, und an der Stelle können wir weitermachen. dendschungel gehen müssen und nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Darum war uns das so wichtig. Vielen Dank und schöne Weihnachten auch von meiner Seite. Wir haben die Teilhabeplanverfahren verbindlich etab- liert und geregelt, damit es gerade dann, wenn mehrere (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Träger involviert sind, möglich ist, die Zuständigkeiten abzugrenzen, und die Menschen nicht von Pontius zu Vizepräsidentin Petra Pau: Pilatus laufen müssen. Das war uns ganz wichtig. Wo Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Jens Beeck es möglich und von den Leistungsberechtigten gewollt das Wort. ist – so kann man das Verfahren transparent machen; da können sich alle an einen runden Tisch setzen –, gibt es (Beifall bei der FDP) diese Form der Mitwirkung; man kann auch eine Ver- trauensperson mitnehmen. Jens Beeck (FDP): Das alles sind Ansätze, mit denen wir genau dem, was Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Sie in Ihrem Antrag beschreiben, in positiver Art und und Kollegen! Erst mal ganz herzlichen Dank, dass wir Weise entgegenwirken wollen. heute die Gelegenheit haben, sozusagen zum Abschluss des Plenarjahres noch mal über die Situation von Men- (Beifall bei der SPD) schen mit Behinderungen zu sprechen. Wir haben auch versucht, die personenzentrierte Hilfe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- auf den Weg zu bringen, damit es eben nicht mehr darum neten der SPD) geht, welche Leistungen ein Mensch bekommt oder ob er Das ist ein gutes Signal. Aber es ist auf der anderen Seite (B) in der Wohnform A oder B ist, sondern welchen Bedarf er (D) auch so ein bisschen beispielhaft: Wir sprechen wieder ganz individuell hat. Das alles sind wichtige Akzente, die als Letztes über die Menschen mit Behinderungen, und wir gesetzt haben. Das, was wir hier auf den Weg bringen, das ist, Herr Kollege Oellers, bei all den wichtigen Din- muss sich in den Behörden aber auch einüben. Das sind gen, die Sie genannt haben, leider auch in der aktuellen andere Arbeitsgänge und andere Arbeitsweisen. Ich glau- Krise so gewesen. be, das ist ein ganz wichtiger Aspekt vor Ort. Während schon lange Hilfen in den Einrichtungen des Es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Das SGB XI angekommen sind, war für die Einrichtungen der Ganze hat auch etwas mit Qualitätsfragen und mit Finan- Eingliederungshilfe zunächst gar nichts vorgesehen. Das zierungsfragen zu tun. Es geht – abgesehen von den SGB- SodEG ist an den Bedürfnissen der Werkstätten, der V-Leistungen bei den Krankenkassen – bei dem, was Sie besonderen Wohnformen und der verschiedenen Einrich- angesprochen haben, teilweise oder sogar überwiegend tungen der Eingliederungshilfe noch voll vorbeigegan- um Leistungen der Länder, und da braucht es auch die gen. Die verschiedenen Hilfsprogramme haben die Werk- finanziellen Mittel. Sie haben auch darauf abgezielt, dass stätten zunächst nicht erreicht und haben die Bedürfnisse die Eingliederungshilfen ausgeweitet werden. Das ist der Inklusionsfirmen nicht erfüllt. Das war schade. immer auch eine Frage, ob die Länder dazu bereit sind und ob sie das mitfinanzieren können und wollen. Auch (Zuruf von der FDP: Skandal!) da, wo Sie in den Regierungen sitzen oder mitregieren, wissen Sie, dass das nicht so einfach umzusetzen ist. Das Sie haben dann Hinweise von der Fraktion der Freien ist doch ein Punkt, mit dem man hier einfach umgehen Demokraten und auch von der Fraktion der Grünen und muss. Das können wir nicht alleine in Berlin bestimmen. der Linken bekommen. Die haben Sie wie immer – das ist das parlamentarische Spiel – zunächst abgelehnt. Dann Ich will auch noch sagen: Wir haben das Bundesteilha- haben Sie gemerkt: Da ist doch was dran. Und deswegen begesetz auf das Gleis gesetzt. Ich finde, das Bundes- haben Sie am Ende nachgebessert. Das ist das Versöhn- teilhabegesetz ist ein gutes Gesetz, eine Errungenschaft. liche in der Adventszeit: dass viele Dinge in der aktuellen Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, sodass es sukzes- Krise tatsächlich gut gelöst worden sind, jedenfalls so, sive verbessert wird. Das BMAS begleitet die Umsetzung dass man damit jetzt leben kann. wissenschaftlich. Aber es zeigt auf: Die Komplexität des Bundesteilha- begesetzes – das ist auch der Gegenstand des Antrags der Vizepräsidentin Petra Pau: Grünen – ist nach wie vor so hoch, dass das, was alle in Kollegin Glöckner, Sie können weitersprechen, tun es Bundestag und Bundesrat – das unterstelle ich – mit dem aber jetzt auf Kosten Ihres Kollegen. Bundesteilhabegesetz erreichen wollten, eben nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25493

Jens Beeck (A) erreicht wird. – Herr Kleinwächter, an der Stelle merkt (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. (C) man eben: Sie reden über Dinge, von denen Sie, mit Ver- Birkwald [DIE LINKE]: Das Beste kommt laub, überhaupt keine Ahnung haben. zum Schluss!) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Sören Pellmann (DIE LINKE): GRÜNEN – Widerspruch des Abg. Norbert Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kleinwächter [AfD]) Letzter Tagesordnungspunkt im Jahr 2020 im Deutschen Bundestag, Thema: Menschen mit Behinderungen. Ich – Doch, das ist so. Da brauchen Sie den Kopf nicht zu hätte mir gewünscht, dass die Große Koalition diesen schütteln. – Sie haben ein Gesetz gelesen, und Sie haben Tagesordnungspunkt als Weihnachtsbotschaft aufsetzt. eine Vielzahl von Ansprüchen da herausgelesen, die Leider ist das nicht der Fall gewesen. Deswegen, liebe aber – da können Sie jeden Sozialrechtler, jeden Verband Grüne, vielen Dank, dass ihr das möglich gemacht habt. und jeden betroffenen Menschen fragen – so nicht gewährt werden. Worum wir uns hier zu kümmern haben, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ist, die Lebenswirklichkeit von Menschen zu verbessern, NIS 90/DIE GRÜNEN) und nicht, dicke Bücher zu füllen. Kurz vor dem Jahresende ist es ja üblich, dass man (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Jahresrückblicke anstellt. Es ist noch ein bisschen Zeit, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE aber ich will zumindest heute schon mal anfangen. GRÜNEN) Seit dem Frühjahr dieses Jahres, 2020, hat uns alle die Das ist übrigens auch ein Unterschied zu Ihnen, Frau Pandemie Corona voll im Griff. Nach einer sommerli- Kollegin Glöckner. Ich stimme Ihnen zu: Wir machen chen Unterbrechung ist das öffentliche Leben nunmehr wissenschaftliche Begleitung, und es sind immer schnell wieder fast zum Stillstand gekommen. Die Bundesregie- 200 Seiten, die dabei zusammenkommen. Schöner wäre rung hat nach meiner und nach Auffassung meiner Frak- es, es kämen nur noch 20 Seiten zusammen, weil die tion deutlich zu lange mit Maßnahmen gewartet. Diese Lösungsansätze tatsächlich bei den Menschen ankom- wurden nur teil- und stückchenweise in sogenannter Sala- men. mitaktik vorgenommen. Warum hat die Bundesregierung Ich will ausdrücklich sagen: Entbürokratisierung – ich die Sommerzeit nicht genutzt, um aktiv zu werden? dachte immer, dieses Thema wäre eher bei uns als bei den Bereits am Beginn der Pandemie waren Menschen mit Grünen angesiedelt –, da erkenne ich ein paar Ansätze, Behinderungen eben nicht im Bewusstsein der Bundesre- liebe Corinna Rüffer, über die wir im Ausschuss sehr gierung. Wer bekam denn von der Bundesregierung den (B) gerne sprechen können. Es sind auch ein paar andere Vorrang, als es um die Staatshilfen ging? Großkonzerne (D) Sachen drin: neue Berichtspflichten, neue Formen der bekamen trotz milliardenschwerer Dividenden staatliche Betreuung. Man muss darüber reden, ob das die Dinge Hilfe in Milliardenhöhe. Das ist genau der falsche Weg. nicht eher noch komplexer macht, als sie ohnehin sind. (Beifall bei der LINKEN) Dann wäre es nicht hilfreich. Wie sah es denn in Betrieben aus, welche vornehmlich Aber in meinen letzten 20 Sekunden darf ich sagen: Menschen mit Behinderungen beschäftigen? Inklusions- Wir hatten am Anfang dieser Krise eine sehr schwierige betriebe wurden, wenn ich zurückblicke, in den ersten Situation, als Eltern ihre behinderten Kinder nicht besu- Hilfspaketen vollständig vergessen. Werkstätten für chen konnten. Wir kommen jetzt mit täglich mehr als Menschen mit Behinderungen spielten kaum eine Rolle. 30 000 Coronaneuinfektionen – es ist wie eine gebroche- ne Schallmauer – in eine Situation, die es notwendig Bei der Versorgung mit Schutzausrüstungen schauten macht, dass wir wieder in diese Richtung gehen. Wir sich Betroffene bereits im Frühjahr ratlos an. Hat die bekommen Triagediskussionen, und wir bekommen Dis- Bundesregierung aus diesen Fehlern eigentlich gelernt? kussionen darüber, wer eigentlich zuerst geimpft wird. Mittlerweile, fast ein Jahr nach Beginn der pandemischen Meine Fraktion hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Situation, werden FFP2-Masken an Personen über 60 Jah- re verteilt, auch an Menschen mit Behinderungen. Das ist Bei diesem guten Miteinander, das wir haben, und bei eine richtige Maßnahme, kommt aber nach Auffassung aller kritischen Auseinandersetzung äußere ich die herz- der Linken deutlich zu spät. liche Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam sowohl bei der Priorisierung hinsichtlich der Impfung als auch in der (Beifall bei der LINKEN) Triagediskussion für die Menschen mit Behinderungen Wie sieht es denn nun bei Menschen mit Behinderun- eintreten. gen, bei chronisch Kranken aus, die nicht in Einrichtun- In diesem Sinne für uns alle ein wesentlich schöneres gen leben und ihre Assistenzkräfte zum Beispiel selbst Jahr 2021! beschäftigen? Diese Gruppe fällt völlig raus. Hier muss (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, dringend nachgesteuert werden. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke fordert für diese Menschen, erstens, kosten- Vizepräsidentin Petra Pau: freie und bedarfsgerechte Schutzausrüstungen, zweitens, Das Wort hat der Kollege Sören Pellmann für die Frak- kostenfreie und präventive Testmaßnahmen und, drittens, tion Die Linke. kostenfreie und schnelle Impfungen. 25494 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

Sören Pellmann (A) (Beifall bei der LINKEN) Das hat hoffentlich Nachhall; denn das Jahr 2020 war (C) In ihrem Antrag fordern Bündnis 90/Die Grünen einen für uns alle eine Herausforderung. Aber für Menschen besseren Zugang zu barrierefreien Teilhabeleistungen mit Behinderungen waren die Herausforderungen und und verweisen hier auf zahlreiche Berichte von Betroffe- auch die Bedrohung in der Pandemie stärker als für ande- nen und Angehörigen. Liebe Große Koalition – das richte re. Deshalb ist es richtig, dass wir hier und heute noch ich auch an die Herren von der AfD –, das sind eben keine einmal ganz genau auf ihre Situation schauen. Menschen Fake News, wie es Herr Kleinwächter hier dargestellt hat. mit geistiger Behinderung verstehen zum Beispiel häufig überhaupt nicht, warum sie plötzlich nicht mehr in ihre (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ich habe nicht geliebte Werkstatt dürfen. gesagt, dass sie das sind!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den ersten Das sind Berichte, sie sind echt, und sie beschreiben die schwierigen Pandemiemonaten im Frühjahr haben wir tatsächlichen Verhältnisse. Ich könnte diese Berichte zum Glück viele Maßnahmen beschlossen, um zu helfen, auch noch deutlich erweitern und mehr davon vorlegen. zu retten und vor allem zu schützen. Wir helfen Werk- Auch wenn Weihnachten 2020 mit Hoffnung verbun- stätten, die im Lockdown ihre Rücklagen aufgebraucht den ist: Ich hoffe darauf, dass Sie als Koalition ein Ein- haben. Der Bund hat dafür auf einen Teil der Ausgleichs- sehen haben. Aber ich glaube nicht, dass Sie dazu bereit abgabe verzichtet. Dieser Teil soll an die Werkstätten sind. An dieser Stelle will ich nur an unsere zehn Anträge gehen, und zwar direkt an die Beschäftigten dort. zur Barrierefreiheit – Herr Oellers, Sie haben das Thema angesprochen – erinnern: keine Unterstützung durch Sie (Beifall bei der SPD) und auch kein Problembewusstsein bei Ihnen. 2021 muss Aber dafür müssten die Länder den Werkstätten das Geld deutlich besser werden. Ich will abschließen – – schnell und unbürokratisch zur Verfügung stellen. Daher (Beifall bei der LINKEN) mein Appell an die Länder: Bringen Sie das Geld zu den Werkstätten und dort zu deren Beschäftigten! Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Kollege Pellmann, wir haben jetzt weder Zeit für die Wir retten Inklusionsbetriebe. Der neue Corona-Teil- zehn Anträge noch für anderes. habe-Fonds wird Anfang Januar freigeschaltet. Damit helfen wir Inklusionsbetrieben und retten Arbeitsplätze Sören Pellmann (DIE LINKE): für Beschäftigte mit Behinderung. Ich möchte mit einem Zitat des Behindertenbeauftrag- (B) ten der Bundesregierung schließen: Für Deutschland bie- (Beifall bei der SPD) (D) te sich die Chance, jetzt in Sachen Barrierefreiheit im privaten Bereich aktiv zu werden. Dazu lägen vielver- Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes haben sprechende Beispiele aus Österreich und Schweden vor. wir festgelegt, dass alle Verordnungen ihre sozialen Aus- Wir sollten Fehler nicht wiederholen. wirkungen im Blick haben müssen. Die Schutzmaßnah- men dürfen nicht zur Isolation von einzelnen Personen Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, – oder Gruppen führen. Und: Wir schützen Menschen mit der nun sehr bald verfügbaren Impfung. Es ist jetzt klar, Vizepräsidentin Petra Pau: dass Menschen mit Behinderung zum Glück früh geimpft Kollege Pellmann, nun ist gut. Ich wollte nicht das werden und eine hohe Priorität bei der Impfstrategie Zitat des Behindertenbeauftragten unterbrechen. haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein starker Sozial- Sören Pellmann (DIE LINKE): staat hilft, rettet und schützt. Der Sozialstaat ist Partner – ich wünsche Ihnen noch frohe Weihnachten und alles der Bürger. Die Bürgerinnen und Bürger sind Träger von Gute. Bleiben Sie gesund! sozialen Rechten und keine Bittsteller vor den Behörden; Frau Rüffer, darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jens (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Beeck [FDP]) Daher, Frau Rüffer, am Ende noch eine Anmerkung zu Ihrem Antrag: Ich finde, er ist wahrlich von Sachkenntnis Vizepräsidentin Petra Pau: geprägt. Viele Dinge, die Sie fordern, fordern Sie zu Das Wort hat Dr. Matthias Bartke für die SPD-Frak- Recht. Natürlich ist die Inklusion in unserem Land noch tion. lange nicht umgesetzt. Schon im Titel Ihres Antrages (Beifall bei der SPD) fordern Sie einen „Sozialstaat auf Augenhöhe“. Das passt sehr zum Sozialstaatskonzept der deutschen Sozialdemo- kratie, das genau dieses Konzept einfordert. Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Liebe Frau Rüffer, liebe Grüne, Weihnachten steht vor Kollegen! Im Gegensatz zu Herrn Beeck finde ich es sehr der Tür. Die weihnachtliche Botschaft heute ist doch: In schön, dass wir hier in dieser letzten Debatte in diesem der Behindertenpolitik gibt es sicher einiges, was uns besonderen Jahr die Menschen mit Behinderungen in den trennt. Aber Ihr Antrag zeigt uns: Es gibt viel mehr, Mittelpunkt stellen. was uns verbindet. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25495

Dr. Matthias Bartke (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war die letzte Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (C) Plenarrede dieses Jahr in diesem Hohen Hause. Es bleibt tages auf Mittwoch, den 13. Januar 2021, 13 Uhr, ein. mir, Ihnen frohe Festtage und ein schönes Jahr 2021 zu wünschen. Uns allen wünsche ich, dass es ein besseres Ich danke Ihnen allen, aber ich danke vor allen Dingen Jahr wird. Den Menschen mit Behinderung wünsche ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundes- das ganz besonders. tagsverwaltung, Frohe Weihnachten! (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, die uns nicht nur durch diese schwierige Zeit begleiten, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE sondern auch dafür sorgen, dass wir morgen den General- GRÜNEN) sekretär der Vereinten Nationen hier empfangen und mit ihm ins Gespräch kommen können. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Ich wünsche Ihnen allen gute Erholung, ein bisschen Besinnlichkeit, vor allen Dingen Gesundheit. Kommen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Sie gut ins neue Jahr und vor allen Dingen gesund zu- Drucksache 19/24437 an die in der Tagesordnung aufge- rück! führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- Die Sitzung ist geschlossen. fahren wir wie vorgeschlagen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- nung. (Schluss: 21.43 Uhr)

Berichtigung 201. Sitzung, Seite 25258 B, erste Spalte (Endgültiges Ergebnis): Abgegebene Stimmen: 630, davon Ja: 473. Bei den Jastimmen der CDU/CSU-Fraktion ist der Name „Manfred Behrens (Börde)“ zu ergänzen.

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25497

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bluhm-Förster, Heidrun DIE LINKE Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Brandt, Michel DIE LINKE Korte, Jan DIE LINKE Bülow, Marco fraktionslos Lay, Caren DIE LINKE Büttner, Matthias AfD Liebich, Stefan DIE LINKE Dassler, Britta Katharina FDP Lotze, Hiltrud SPD De Ridder, Dr. Daniela SPD Lucassen, Rüdiger AfD Domscheit-Berg, Anke DIE LINKE Miazga, Corinna AfD Ferschl, Susanne DIE LINKE Michelbach, Dr. h. c. Hans CDU/CSU Freihold, Brigitte DIE LINKE Mieruch, Mario fraktionslos Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Möhring, Cornelia DIE LINKE Gädechens, Ingo CDU/CSU Mrosek, Andreas AfD Gauland, Dr. Alexander AfD Müller, Bettina SPD Gohlke, Nicole DIE LINKE Müller, Hansjörg AfD Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ (B) (D) DIE GRÜNEN Noll, Michaela CDU/CSU Grötsch, Uli SPD Pasemann, Frank fraktionslos Hagl-Kehl, Rita SPD Pilger, Detlev SPD Haug, Jochen AfD Poschmann, Sabine SPD Hebner, Martin AfD Post, Florian SPD Hemmelgarn, Udo Theodor AfD Reichardt, Martin AfD Hendricks, Dr. Barbara SPD Reinhold, Hagen FDP Herrmann, Lars fraktionslos Remmers, Ingrid DIE LINKE Herzog, Gustav SPD Renner, Martin Erwin AfD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Rimkus, Andreas SPD Hiller-Ohm, Gabriele SPD Roth (Heringen), Michael SPD Hunko, Andrej DIE LINKE Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Irlstorfer, Erich CDU/CSU Schiefner, Udo SPD Kartes, Torbjörn CDU/CSU Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD Katzmarek, Gabriele SPD Schneidewind-Hartnagel, BÜNDNIS 90/ Charlotte DIE GRÜNEN Kaufmann, Dr. Stefan CDU/CSU Seitz, Thomas AfD Kemmer, Ronja* CDU/CSU Steffel, Frank CDU/CSU Keuter, Stefan AfD 25498 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020

(A) Auch setzen wir den Kampf gegen Steuerhinterzie- (C) Abgeordnete(r) hung weiter fort, indem wir insbesondere bei den Cum/ Ex-Fällen den Steuerbetrügern ihre Tatbeute nicht über- Steinke, Kersten DIE LINKE lassen, auch wenn die Cum/Ex-Betrugsfälle schon länger zurückliegen. Indem wir die Fristen für die strafrechtliche Stetten, Christian Freiherr CDU/CSU Einziehung ausdehnen, stellen wir sicher, dass diesen von Kriminellen ihre Taterträge nicht verbleiben. Thews, Michael SPD Allerdings bedauere ich es sehr, dass im Jahressteuer- Tillmann, Antje CDU/CSU gesetz 2020 nicht weitere Entlastungen und Verbesserun- gen für die deutsche Wirtschaft beschlossen wurden, Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE obwohl wir uns in der größten Wirtschaftskrise der Bun- desrepublik Deutschland befinden. Es wäre richtig gewe- Weber, Gabi SPD sen, die Höchstbeträge im Rahmen des Verlustrücktrags weiter anzuheben und so der deutschen Wirtschaft Weiler, Albert H. CDU/CSU schnell und unbürokratisch weitere finanzielle Hilfen zukommen zu lassen. Auch wäre es wichtig gewesen, Weingarten, Dr. Joe SPD die Regelungen zur Begünstigung nicht entnommener Werner, Katrin DIE LINKE Gewinne, das sogenannte Thesaurierungsprivileg, zu reformieren. Dies hätte ebenfalls zu einer weiteren Stär- Westphal, Bernd SPD kung der Eigenkapitalbasis deutscher Unternehmen bei- getragen. Yüksel, Gülistan SPD In Abwägung meiner Überlegungen stimme ich dem Zdebel, Hubertus DIE LINKE vorliegenden Gesetzentwurf dennoch zu. Das Jahres- steuergesetz enthält eine Vielzahl notwendiger Anpas- Zimmermann, Pia DIE LINKE sungen, die sich aus der veränderten EU-Rechtslage und vergangener Rechtsprechung ergeben. Diese sind zu * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes wichtig, als dass sie wegen anderer Bedenken nicht umgesetzt werden.

Anlage 2 (B) Anlage 3 (D) Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Sebastian Brehm (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- des Abgeordneten Jens Koeppen (CDU/CSU) zu rung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuerge- der namentlichen Abstimmung über den von der setzes 2020 (Jahressteuergesetz 2020 – JStG 2020) Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Ener- (201. Sitzung, 16.12.2020, Tagesordnungspunkt 6 a) gien-Gesetzes und weiterer energierechtlicher Vor- schriften Zu meiner Zustimmung zum Gesetzentwurf eines Jahressteuergesetzes 2020 – Drucksachen 19/22850, (Tagesordnungspunkt 8 a) 19/25160 – erkläre ich: Zur Sicherung einer bezahlbaren, verlässlichen und Grundsätzlich unterstütze ich das Vorhaben, mit dem klimafreundlichen Energieversorgung ist der Ausbau Jahressteuergesetz 2020 notwendige und technische der erneuerbaren Energien notwendig, aber allein der Anpassungen an EU-Recht sowie BFH- und EuGH- bloße Ausbau der erneuerbaren Energien reicht nicht! Rechtsprechung vorzunehmen. Das EEG in seiner heutigen Ausgestaltung ist zu kom- Im vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir eine Viel- plex, zu kleinteilig und zu unübersichtlich geworden, zahl steuerlicher Maßnahmen, von denen ich viele aus- sodass es als Innovationstreiber denkbar ungeeignet ist. drücklich unterstütze. So führen wir unter anderem eine Vielmehr ist das Gesetz eine Bremse für eine moderne, Homeoffice-Pauschale für all jene Steuerpflichtigen ein, innovative und zukunftsweisende Energieversorgung. die aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen am Küchen- oder Esszimmertisch ihrer Arbeit mobil In der vorliegenden Novellierung fehlen Anreize von nachgehen. Im Rahmen der Coronapandemie stellen wir Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien, auch sicher, dass mieterfreundliche Vermieter steuer- durch ausreichend Speicherkapazitäten, durch die Nut- rechtlich nicht bestraft werden, indem sie die Mieträume zung von Wasserstoff, durch verbindliche internationale den Mietern verbilligt überlassen. So können Vermieter Kooperationen, durch Energieeffizienz, aber auch durch auch zukünftig ihre mietbezogenen Aufwendungen gel- die Bereitstellung von ausreichenden Netzkapazitäten, tend machen, auch wenn die Miete nur 50 Prozent der damit der Verbrauch und die Erzeugung auch zeitlich ortsüblichen Marktmiete beträgt. und räumlich in Übereinstimmung gebracht werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 202. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2020 25499

(A) Das EEG zielt fast ausschließlich auf den Zubau von Akzeptanz der Energiewende weiter negativ beeinträch- (C) Erzeugungskapazitäten ab, ohne dass Innovationsanfor- tigt. Die Streichung der Passage war für mich ein klares derungen gestellt werden. So wird das für 2050 formu- Zustimmungskriterium. lierte Klimaziel nicht erreichbar sein! Ich stimme dem EEG 2021 mit den leichten Verbesse- Anstelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes brauchen rungen gegenüber der geltenden Gesetzeslage in der wir ein marktwirtschaftliches Innovationsinstrument wie Hoffnung zu, dass wir im nächsten Jahr einen verläss- den für alle Sektoren geltenden europaweiten Emissions- lichen Ausstiegspfad aus dem EEG vereinbaren, der syn- handel. chron zum Ausstieg aus der Erzeugung von Strom aus Bei den Förderungen sollten Innovationen für eine ver- Kernenergie und Kohle in Deutschland einhergeht. lässliche Energieversorgung zukünftig im Mittelpunkt stehen und nicht der alleinige Anlagenzubau, ohne eine Nutzung der volatilen Energieträger sicherzustellen. Anlage 4 Durch den vorliegenden Entschließungsantrag zum Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Gesetzentwurf wurden einige, noch sehr zaghafte, Impul- se in diese Richtung gegeben. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Aus- Als wichtiges Signal der Beratungen sehe ich zudem schuss) hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 auch die Streichung von § 1 Absatz 5, in dem die erneuer- der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der baren Energien in den Bereich der öffentlichen Sicherheit nachstehenden Vorlage absieht: und des öffentlichen Interesses eingestuft werden sollten – Unterrichtung durch die Bundesregierung und somit eine zusätzliche Privilegierung erhalten hätten. Nationale Wasserstoffstrategie Damit wäre das Planungsrecht der Kommunen auf eine unzulässige Weise eingeschränkt worden. Das hätte die Drucksachen 19/20363, 19/20806 Nr. 1.5

(B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333