Sebastian Noelle

Peter D. Lax (© – The Abel Prize/The Norwegian Academy Abelpreis 2005 an Peter D. Lax of Science and Letters) von Sebastian Noelle Am 24. 5. 2005 wurde der mit 6 Millionen Kronen (ca. 750 000 Euro) dotierte Abelpreis des Jahres 2005 an Professor Peter D. Lax vom Courant Institute of Mathematical Sciences der New York University verliehen.

Die folgende Begegnung mag vielleicht die außeror- Preistr¨ager Erd˝os uber¨ die Ableitungen eines Po- dentliche wissenschaftliche und pers¨onliche Ausstrah- lynoms. Einen sehr sch¨onen Uberblick¨ findet man lung von Lax andeuten. Im Jahr 1987 fuhr ich ein in dem von Chern und Hirzebruch herausgegebenen Stuck¨ in der New Yorker subway mit Louis Niren- Band uber¨ die Wolfspreistr¨ager [1]. berg. Er fragte mich, wie es mir bisher im PhD- Da die Arbeiten zu Systemen von Erhaltungss¨atzen Programm des Courant Instituts ergangen sei, wohin den historisch l¨angsten Zeitraum umfassen, und da ich nach einem Fulbright-Jahr in New Orleans ge- dies auch mein eigenes Arbeitgebiet ist, m¨ochte ich wechselt war. Ich sagte, ich habe begonnen, mit Peter hier beginnen. Nun k¨onnen Sie an vielen Stellen uber¨ Lax zu arbeiten. Nirenberg strahlte und sagte: Oh, ” dieses sehr anschauliche und mit vielerlei Anwendun- he is a wonderful “. In den Fruhjahrs-¨ gen verwobene Thema lesen, und auch Lax’ Beitr¨age ferien besuchte ich New Orleans und erz¨ahlte Jerry werden im oben zitierten Wolf-Preis-Band von ihm Goldstein, einem meiner dortigen Lehrer, davon. Er selber meisterhaft beschrieben. Lassen Sie mich des- erwiderte ohne jedes Z¨ogern: He is even more won- ” halb die Perspektive ein wenig wechseln, und einen derful as a person!“ Blick auf einige der entscheidenden Orte und Prota- Schwerpunkte von Lax’ Werk sind gonisten der wissenschaftlichen Entwicklung werfen. – die Arbeiten zu Systemen hyperbolischer Erhal- In G¨ottingen sind es Bernhard Riemann, Richard tungss¨atze, deren Formulierung, Analyse und nu- Courant und Kurt-Otto Friedrichs. In Budapest merische Analyse er von 1954 bis in die 90er Jahre Theodore von Karman, John von Neumann und Pe- wesentlich beeinflusst hat, ter Lax. Bis auf den naturlich¨ l¨angst verstorbenen – die Arbeiten mit Ralph Phillips zur Streutheorie in Riemann und den noch jugendlichen Lax waren sie den 60er bis hin zu den 80er Jahren, sowie sich alle in Gottingen¨ begegnet. Im Zuge der Emi- – die Arbeiten zu vollst¨andig integrierbaren Syste- gration und der dramatischen wissenschaftlichen Zu- men wie der Korteweg–de-Vries-Gleichung sowie sammenarbeit zur Abwehr Hitlers und sp¨ater Stalins zu weiteren dispersiven Gleichungen seit Mitte der trafen sie sich in den USA wieder, in New York, am siebziger Jahre. Caltech, in Princeton und in Los Alamos. Daneben gibt es eine Vielzahl wundersch¨oner einzel- Dabei spielen Systeme von Erhaltungss¨atzen eine ner Arbeiten, angefangen mit dem vom siebzehnj¨ah- große Rolle. Diese beschreiben die Grundlagen der rigen verfassten Beweis einer Vermutung von Wolf- Kontinuumsmechanik, n¨amlich die Erhaltung von

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Masse, Impuls und Energie. Sie sind Bilanzen fur¨ die zeitliche Ver¨anderung der Erhaltungsgr¨oße u in ei- nem betrachteten Kontrollvolumen D,demFlussf uber¨ den Rand des Kontrollvolumens, sowie den auf das Volumen wirkenden Kr¨aften b,    d udx + f(u) · ndS = b(x, t, u). dt D ∂D D Fur¨ glatte L¨osungen ist es m¨oglich, das als System partieller Differentialgleichungen in Divergenzform zu schreiben,

ut + ∇f(u)=b(u).

Riemann bewies 1861, dass ebene Luftwellen von end- licher Schwingungsbreite sich in endlicher Zeit bre- Seine K¨onigliche Hoheit, der Kronprinz, uberreicht¨ den Abel- chen mussen,¨ und er zeigte, wie man fur¨ solche unste- Preis 2005 an Peter D. Lax (Photo: Knut Falch/Scanpix – The Abel Prize/The Norwegian Academy of Science and Letters) tigen L¨osungen sinnvoll zur Integralformulierung der Erhaltungss¨atze zuruckkehrt.¨ Damit waren grundle- gende Themen der hyperbolischen Erhaltungss¨atze bereits angelegt: Schocks und schwache L¨osungen. Ei- geschrieben (siehe z. B. die Biographie von Normann ne wesentliche Frage, n¨amlich die Auswahl der kor- MacRae [2], insbesondere auch die lebhafte Schilde- rekten schwachen L¨osung mittels einer Entropiebe- rung von Budapest bis etwa 1920). Ich m¨ochte mich dingung, bleibt in Riemanns Arbeit aber noch offen. nun auf konzentrieren. Der dafur¨ grundlegende zweite Hauptsatz der Ther- Wie viele andere burgerliche¨ judische¨ Familien waren modynamik wurde erst in den folgenden Jahren von die Laxens aus dem ¨ostereichischen Teil des Habsbur- Clausius und Boltzmann klar formuliert. ger Reiches nach Budapest gezogen, da es in der dor- Lassen Sie uns jetzt nach Budapest wechseln. Von tigen liberalen Athmosph¨are besonders gute Entfal- Karmans Vater war Direktor des Minta-Gymnasiums tungsm¨oglichkeiten gerade auch fur¨ die jungere¨ Gene- in Budapest. Er hatte nach einer Deutschlandreise in ration gab. Peter wurde dort am 1. Mai 1926 geboren. Budapest ein uberaus¨ erfolgreiches System der Be- Schon fruh¨ wurde seine ungew¨ohnliche Begabung er- gabtenf¨orderung eingerichtet. Theodore von Karman kannt. Es war in Budapest ublich,¨ dass derart begab- selber ging 1906 zu Prandtl nach G¨ottingen, um dort te Kinder bereits im Alter von sieben Jahren Privat- Str¨omungslehre zu studieren. Die Prandtlsche Grenz- unterricht von Universit¨atsprofessoren bekamen. Ob schichttheorie, die von Karmansche Turbulenztheo- er auf diese, oder andere, Weise gef¨ordert wurde, ist rie sowie die von beiden vorangetriebene Entwicklung mir nicht bekannt. In jedem Fall gewann er als Ju- des G¨ottinger“ Windtunnels waren entscheidend fur¨ gendlicher einen großen ungarischen F¨orderpreis. Die ” die Entwicklung der modernen Luftfahrt. Von Kar- erste, oben bereits angesprochene Arbeit publizierte man baute seit 1913 das aerodynamische Institut an Lax denn auch im im Alter von achtzehn Jahren im der RWTH Aachen auf. Dorthin schickte Courant Bulletin der American Mathematical Society (AMS). auch den jungen Kurt-Otto Friedrichs, um bei von Doch bereits zuvor hatte die Familie Budapest ver- Karman uber¨ Anwendungen der Mathematik zu ler- lassen mussen.¨ 1941 gelang es dem Vater, Arzt, Haus- nen. 1930 ging von Karman, wohl wegen der stark zu- arzt der ungarischen K¨onigsfamilie und des amerika- nehmenden antisemitischen Stimmung, ans Caltech, nischen Konsuls, fur¨ die Familie ein Einreisevisum wo er unter anderem das Jet Propulsion Laborato- in die USA sowie s¨amtliche europ¨aische Durchreise- ry aufbaute. Interessanterweise waren er und vor al- visa zu bekommen. Sie fuhren mit dem Zug durch lem einer seiner Assistenten in dieser Zeit regelm¨aßig Deutschland, ubernachteten¨ in Munchen¨ und reisten in Japan, wo sie ebenfalls die Windtunneltechnologie mit dem Schiff von Lissabon nach New York. W¨ah- einfuhrten,¨ auf deren Grundlage Japan unter Hoch- rend der Uberfahrt¨ kam der japanische Uberfall¨ auf druck seine Luftwaffe aufbaute. Ob ohne von Karman Pearl Harbor, und die USA erkl¨arten ihren Kriegs- Pearl Harbour m¨oglich gewesen w¨are? eintritt. Jetzt w¨aren die Reisepapiere der Familie in Wir wissen genugend¨ uber¨ Courant, Friedrichs, ihre Munchen¨ nicht mehr viel wert gewesen. Emigration und den Aufbau des sp¨ateren Courant- In New York besuchte Lax die High School, liebte das Instituts an der New York University (siehe z. B. Studium der amerikanischen Sprache und Geschich- die Hilbert-/Courant-Biographien von Constance te, war aber vom Mathematikunterricht freigestellt. Reid [3]). Auch uber¨ von Neumann wurde ausfuhrlich¨ Mathematik studierte er sofort an der New York Uni-

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versity bei Courant, Friedrichs und vielen anderen der dort bereits versammelten Emigranten. Er erhielt 1946 seinen Bachelor und 1949 den PhD. Doch zuvor sollte Einschneidendes passieren. Im Jahr 1944 wurde er in die amerikanische Armee eingezogen und sollte zuruck¨ in den Krieg nach Europa geschickt werden. Courant mit seinen weitgespannten Verbindungen er- reichte, dass der junge Rekrut zum Ingenieursstudi- um nach Texas abgeordnet wurde.

Nach einem halben Jahr wurde er Mitarbeiter John von Neumanns im Manhattan Project. Von Neumann konzentrierte sich zu dieser Zeit auf das Studium von Explosionen. Diese fuhren¨ zu einer Erweiterung der Die drei Abel-Preistr¨ager Peter D. Lax, Sir Michael Atiyah gasdynamischen Gleichungen und auf diesem Weg zu and (Photo: Knut Falch/Scanpix – The Abel Prize/The Norwegian Academy of Science and Letters) einem deutlich komplexeren System hyperbolischer Erhaltungs¨atze. Da es wegen der starken Nichtlinea- rit¨at nur in den seltensten F¨allen m¨oglich ist, durch exakte Rechnung genugend¨ Information uber¨ die L¨o- konvexe Erhaltungss¨atze stetig und kompakt bezug-¨ sung zu erhalten, sah von Neumann Computersimu- lich folgender Norm ist: lationen als den vielversprechendsten Weg zum Erfolg b an. u(·,t) := max | u(x, t)dx| a,b a Ende der vierziger Jahre ver¨offentlichten von Neu- mann und Richtmyer ein Finites Differenzen- In derselben Arbeit fuhrt¨ er auch das sp¨ater Verfahren fur¨ die eindimensionalen gasdynamischen Lax-Friedrichs (LF) genannte Finite Differenzen- Gleichungen, das zwar eine Konsistenz zweiter Ord- Verfahren ein, welches eigentlich auch Finites nung besaß, aber fur¨ Schockwellen Oszillationen ent- Volumen-Verfahren genannt werden k¨onnte, da es die wickelte. Von Neumann hielt dies fur¨ die physikalisch Zellmittelwerte auf konservative Weise diskretisiert. korrekte Darstellung thermischer Energie. Lax konn- Fur¨ einen Spezialfall beweist er die Konvergenz dieses te sp¨ater nachweisen, dass es sich um einen rein nu- Verfahrens, und er berechnet gasdynamische Schocks, merischen dispersiven Effekt handelte, welcher in die- die keine Oszillationen aufweisen. Numerische Dis- sem Fall die Physik nicht richtig widerspiegelt. sipation stabilisiert dieses Verfahren, welches konsi- stent erster Ordnung ist. Oleinik benutzte es 1959 Die Zusammenarbeit mit von Neumann hat Lax fur¨ in einer beruhmten¨ Arbeit, um die Existenz, Ein- sein Leben gepr¨agt. Sehr lesenswert ist sein Fest- deutigkeit und das asymptotische Abklingverhalten vortrag zum 100-j¨ahrigen Geburtstag von Neumanns von L¨osungen skalarer konvexer Erhaltungss¨atze zu (San Diego 2004). Ahnlich¨ pr¨agend wie von Neumann beweisen, und noch heute nimmt das LF-Verfahren waren seine New Yorker Lehrer und einen zentralen Platz in der Analysis und numeri- vor allem sein Doktorvater Kurt-Otto Friedrichs. Die- schen Analysis von Erhaltungss¨atzen ein. se hatten Ende der vierziger Jahre im Buch Super- Nun folgen eine Reihe ganz herausragender Arbeiten ” sonic flow and shock waves“ das w¨ahrend des Krie- innerhalb von nur sechs Jahren. In einer gemeinsa- ges geheimgehaltene Wissen uber¨ die Gasdynamik men Arbeit mit Richtmyer von 1956 beweist Lax, zusammengetragen. Das Werk ist bis heute ein ein- dass ein lineares Differenzenverfahren, welches mit flussreiches Lehrbuch. Naturlich¨ haben Lax, Anneli einer linearen, zeitabh¨angigen partiellen Differenti- Lax, Morawetz, Nirenberg und viele andere der jun- algleichung konsistent ist, genau dann konvergiert, gen Generation des Courant-Instituts das Buch Kor- wenn es stabil ist. Dieser sogenannte Laxsche Aqui-¨ rektur gelesen und verstanden die Zusammenh¨ange valenzsatz gibt der in dieser Zeit ja erst entstehen- und offenen Fragen bis ins Detail. den numerischen Analysis ein Arbeitsprogramm und ruckt¨ die Suche nach Stabilit¨atskriterien in den Mit- Bereits im Jahr 1954 stellte Lax Uberlegungen¨ zu telpunkt. Ein wichtiges Kriterium hatten ubrigens¨ einer modernen Kompaktheitstheorie auf, die der schon 1928 Courant, Friedrichs und Lewy aufgestellt: Entwicklung des Gebiets gut zwanzig Jahre voraus die diskrete Ausbreitungsgeschwindigkeit darf nicht waren und erst in den Arbeiten von Tartar, Murat geringer sein als die physikalische, damit die tats¨ach- und DiPerna ganz aufgegriffen werden. Lax’ Beob- liche L¨osung uberhaupt¨ im Einflussbereich des nume- achtung ist, dass der L¨osungsoperator fur¨ skalare, rischen Verfahrens liegt. Das fuhrt¨ zu einer oberen

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Schranke an den Zeitschritt, die sogenannte CFL- Bedingung. Das LF-Verfahren ist genau dann sta- bil, wenn die CFL-Bedingung erfullt¨ ist. Lax’ Arbeit erg¨anzte sich vollkommen mit einem von von Neu- mann formulierten Stabilit¨atskriterium, und Heinz- Otto Kreiss und Lax konnten in den kommenden Jahren mittels tiefer Erkenntnisse uber¨ die Diskre- tisierungsmatrizen wichtige Stabilit¨atsfragen kl¨aren. Im n¨achsten Jahr, 1957, folgt die vielleicht bedeu- tendste Arbeit von Lax fur¨ Erhaltungss¨atze: Sy- ” stems of conservation laws II“. All die Erkenntnisse, die in Spezialf¨allen von Riemann, Rankine, Hugoniot, Courant, Friedrichs und vielen anderen erzielt worden waren, verallgemeinert Lax, indem er einige Grund- prinzipien herausarbeitet. Die so wichtige Konvexit¨at einer skalaren Flussfunktion wird zur genuine non- ” linearity“ einer Wellenfamilie eines Systems, und die in der Gasdynamik ebenfalls auftretenden linearen Felder sind linearly degenerate“. Lori Berkowitz, Peter Lax und Sebastian Noelle auf der ” Abel Party, Oslo 2005 Die große Frage nach einem Auswahlkriterium fur¨ schwache L¨osungen beantwortet er mit der beruhm-¨ ten, sp¨ater nach ihm genannten Laxschen Entropie- der Thermodynamik. Ebenso wie die physikalische bedingung: eine Unstetigkeit heißt Stoßwelle der k- Entropie ist eine mathematische Entropie eine kon- ten Familie, falls die k-ten Charakteristiken von bei- vexe Funktion der ursprunglichen¨ Erhaltungsgr¨oßen den Seiten in den Stoß hineinlaufen. Das sichert die (Masse, Impuls und Energie in der Gasdynamik) und stetige Abh¨angigkeit der L¨osungen von den Anfangs- erfullt¨ fur¨ glatte, reversible L¨osungen einen zus¨atzli- daten. Lax konstruiert sodann fur¨ eine große Klasse chen Erhaltungssatz. An St¨oßen nimmt diese Gr¨oße von Systemen L¨osungen des Riemannproblems, das ab: Information wird irreversibel vernichtet. Insofern ist ein Cauchyproblem mit stuckweise¨ konstanten Da- vereinfachen St¨oße die L¨osungen, sie sind inherent ten (mit kleinem Sprung, es wird ein impliziter Funk- dissipativ. Lax studierte fur¨ Systeme von zwei Erhal- tionensatz verwendet). Weiter zeigt er die Eindeutig- tungss¨atzen die m¨oglichen Entropiepaare und fand keit, was seine Entropiebedingung untermauert, und eine große Klasse als konvexe L¨osungen einer hyper- viele im Fall der Gasdynamik bereits bekannte Ei- bolischen Gleichung zweiter Ordnung im Zustands- genschaften, z. B. dass die Zunahme der Entropie fur¨ raum. Diese Entropiepaare waren ein wesentliches kleine St¨oße von dritter Ordnung in der Stoßst¨arke Hilfsmittel fur¨ DiPernas beruhmte¨ Arbeiten, in de- ist. nen er mit Hilfe der compensated compactness die Dieser Satz von Lax ist grundlegend fur¨ fast alle ana- Existenz von L¨osungen der isentropen Gasdynamik lytischen Arbeiten im Gebiet der Erhaltungss¨atze. und anderer Gleichungen bewies. Mit seiner Hilfe, und einigen weiteren genialen Ein- Doch ich bin der Entwicklung vorausgeeilt. Ganz ne- sichten, konnte Glimm 1965 das allgemeine Cauchy- benbei schrieb Lax 1956 noch eine Arbeit Asympto- ” problem fur¨ Daten von kleiner totaler Variation l¨o- tic solutions of oscillatory initial value problems“, die sen. Glimm und Lax bewiesen 1970 das Abklingver- laut Peter Sarnak [1] den Anfang des Arbeitgebie- halten fur¨ Systeme von zwei Erhaltungss¨atzen, und tes der Fourier-Integraloperatoren markiert. Im Jahr 1990 bewies Bressan die Eindeutigkeit dieser L¨osun- 1960 folgt wieder eine grundlegende Arbeit zur Nu- gen. Noch heute wird von Lax-Schocks gesprochen. merik von Erhaltungss¨atzen, Systems of conservati- ” In den 80er Jahren tauchten beim Studium von Ol-¨ on laws“, gemeinsam mit Burton Wendroff. Zun¨achst Wasser-Gemischen St¨oße auf, die nicht Lax’ Axio- wird mit wenigen Federstrichen definiert, was ein men genugen.¨ Die Entdeckung dieser non-Laxian“ konservatives Verfahren ist: numerische Flussfunktio- ” Schocks war eine kleine Sensation – und gerade die- nen, die konsistent mit der physikalischen Flussfunk- se inverse Namensgebung scheint mir zu unterstrei- tion sein mussen,¨ diskretisieren den Ein- und Ausfluss chen, wie tief Lax’ Erkenntnisse unser Arbeitsgebiet zwischen benachbarten Zellen: gepr¨agt haben. Δt 1971 entwickelte Lax in der Arbeit Shock waves un+1 u − f u ,...,u ” i = i x( ( i−k+1 i+k) and entropy“ einen weiteren Entropiebegriff fur¨ Sy- Δ − f u ,...,u steme. Dieser verallgemeinert den zweiten Hauptsatz ( i−k i+k−1))

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Und dann sofort der entscheidende Lax-Wendroff“- ” Satz: falls ein konservatives Verfahren unter Git- terverfeinerung beschr¨ankt fast uberall¨ konvergiert, so ist der Grenzwert eine schwache L¨osung. Sprich, Stoßwellen breiten sich mit der richtigen Geschwin- digkeit aus. War der Laxsche Aquivalenzsatz¨ von 1956 noch auf lineare Gleichungen und Verfahren be- grenzt, so wird hier eine numerische Analysis fur¨ das voll nichtlineare Problem einschließlich der Schocks geschaffen. Ausserdem konstruierten Lax und Wen- droff ein konservatives Verfahren zweiter Ordnung, welches zwar an Unstetigkeiten oszilliert, aber un- ter Beachtung des CFL-Kriteriums immer noch von Neumann stabil ist. Bereits in ihrer ersten Arbeit schlugen Lax und Wendroff eine zus¨atzliche Stabi- lisierung ihres Verfahrens vor, welche fur¨ steile Gra- dienten Dissipation hinzufugt.¨ In gewissem Sinne ist der gr¨oßte Teil der in den folgenden 25 Jahren ent- Peter Lax auf der Abel Party, Oslo 2005 wickelten numerischen Verfahren fur¨ Erhaltungss¨at- ze, einschließlich der TVD-Verfahren, eine nichtlinea- re Kombination von LF und LW. Mitte der siebzi- ger Jahre fuhrte¨ Lax mit seinen Schulern¨ Harten und mit Ralph Phillips schrieb er von 1960 bis 1990 na- Hyman diskrete Entropiepaare ein, die im Falle der hezu dreißig Arbeiten zur Streutheorie. Als Nicht- Konvergenz die gewunschte¨ schwache Entropiebedin- Experte z¨ogere ich, eine Wurdigung¨ dieser Thema- gung sichern. Anfang der achtziger Jahre geh¨orten tik auch nur zu versuchen. Peter Sarnak [1] kommt Harten, Lax und van Leer neben Phil Roe zu den er- jedoch zu dem Schluss: sten, die approximative Riemannl¨oser einfuhrten.¨ Ihr This collaboration is the only one that I can think of HLL-L¨oser verallgemeinert den LF-Fluss und genugt¨ that rivals that of Hardy and Littlewood. auch fur¨ Systeme einer diskreten Entropiebedingung. Seit Mitte der siebziger Jahre arbeitete Lax teils In den 50er Jahren, mitten im kalten Krieg, und nach- allein, teils mit seinem Schuler¨ David Levermore, dem die Sowjetunion als erste die Wasserstoffbombe an vollst¨andig integrierbaren Systemen wie den gebaut hatte, wurde von der US-Regierung ein Aus- Korteweg–de-Vries-Gleichungen. Eine seiner zentra- schuss unter der Leitung von Karmans eingesetzt. len Einsichten war die Einfuhrung¨ der sogenannten Er sollte den Vorschlag eines Aerodynamikers pru-¨ Lax-Paare, mit deren Hilfe man eine Fulle¨ von In- fen, Transkontinentalraketen zu entwickeln. Auf Vor- formationen uber¨ die Eigenwerte des Systems erh¨alt. schlag Courants, der Mitglied des Ausschusses war, Damit lassen sich so faszinierende Ph¨anomene wie wurde auch der junge Peter Lax hinzugenommen, Solitonen tiefer verstehen. weil er einer der wenigen war, die bereits gasdyna- mische Rechnungen durchfuhrten.¨ Der Ingenieur er- In den 60er Jahren wurde von der US-Regierung die l¨auterte seine Pl¨ane, und behauptete, man werde mit National Science Medal geschaffen, und erster Preis- seinen Raketen ein Gurkenfass in Moskau treffen k¨on- tr¨ager war von Karman. Nun, um diesen Bogen zu nen. Der verantwortliche Offizier wandte sich an von schließen, auch Peter Lax diente der US-Regierung, Karman: Professor von Karman, do you believe that vor allem dem Los Alamos National Laboratory, in ” this should be possible?“ Dieser war um eine Antwort einer Vielzahl von Funktionen. In den Jahren 1972 nicht verlegen: bis 1980 war er außerdem Direktor des Courant- Instituts, und von 1978 bis 1980 Pr¨asident der AMS. Well, this reminds me of a story about the Rabbi of Im Jahre 1986 erhielt auch er die National Science Lemberg. It was told by his disciples, that he once fell into a trance, and shouted: ‘I see Cracow burning!’. Medal, und im Jahr 1987 den Wolf Prize. Viele wei- They continued: ‘This gave us enough time to pre- tere Auszeichnungen sind ihm verliehen worden. pare an emergency mission to help the people of the Als im Jahr 1988 das von von Karman gegrun-¨ Cracow ghetto’. The disciples were asked: ‘And, was dete aerodynamische Institut der RWTH sein 75- Cracow burning when you arrived?’ They admitted: j¨ahriges Bestehen feierte und zwei Aerodynamiker ‘No, it was not – but isn’t it wonderful that the Rabbi mit dem Ehrendoktor auszeichnete, verlieh auch die could see that far?’ mathematisch-naturwissenschaftliche Fakult¨at einen In den sechziger und siebziger Jahren entwickelte Lax Ehrendoktortitel – an Peter Lax. Viele Menschen in noch zwei weitere Arbeitsschwerpunkte. Gemeinsam Deutschland sind ihm eng verbunden. Bereits in den

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funfziger¨ und sechziger Jahren waren Franz Rellich, Literatur Claus Muller,¨ Gunther¨ Hellwig, Rolf Leis und Egon [1] S. S. Chern und F. Hirzebruch (Herausg.): Wolf Prize in Krause als Gastdozenten, Postdocs oder zur Promo- Mathematics, Vol. 2: World Scientific 2001. tion nach New York gezogen. In den siebziger Jah- [2] N. MacRae, John von Neumann: The scientific genius who pioneered the modern computer, game theory, nuclear de- ren waren Stefan Hildebrandt und Willi J¨ager Cou- terrence, and much more. AMS 1992. rants Assistenten. Andere aus der jungeren¨ Genera- [3] C. Reid, Hilbert. Courant. Springer 1986. tion folgten in den achtziger und neunziger Jahren. Das Courant-Institut war und ist nicht nur ein großes Zentrum der Mathematik, insbesondere der partiel- Adresse des Autors len Differentialgleichungen. Richard Courant nahm Prof. Dr. Sebastian Noelle viele seiner Kollegen und Schuler¨ in eine große Fa- Institut fur¨ Geometrie und Praktische Mathematik milie auf. Die Courants, Friedrichs, Johns trafen sich RWTH Aachen zum Musizieren, Wandern, Skifahren. Mit dabei wa- Templergraben 55 ren , Cathleen Morawetz, Anneli und 52056 Aachen Peter Lax, Jerry Berkowitz und Jurgen¨ Moser. Ber- [email protected] kowitz und Moser heiraten T¨ochter Courants. Noch sind einige dieser grand dames und grand seigneurs am Institut pr¨asent. Sie schaffen eine Atmosph¨are der Konzentration auf die Wissenschaft und des offenen, Sebastian Noelle, 1961 in Berlin geboren, freundschaftlichen Austauschs. studierte Mathematik in Tubingen¨ und an Peter Lax ist seit uber¨ sechzig Jahren im innersten der Tulane University, New Orleans. 1986 Kern dieser Gemeinschaft, und er hat sie mitgepr¨agt. PhD-Programm des Courant-Instituts, dort Begegnung mit Peter Lax, bei dem er 1990 Und so ehrt der diesj¨ahrige Abel-Preis auch Cou- uber¨ Systeme von Erhaltungss¨atzen promo- rant und Friedrichs, ehrt von Neumann, Morawetz vierte. 1998 Habilitation in Bonn, 2000 Pro- und Nirenberg. Die Preisvergabe wurde in der conser- fessor fur¨ Mathematik an der RWTH Aa- vation law community mit Begeisterung aufgenom- chen. Arbeitsschwerpunkt ist die Entwick- lung und Analyse numerischer Verfahren fur¨ men. Besucht Lax noch einmal eine unserer Tagun- hyperbolische Erhaltungss¨atze. Sebastian Noelle ist Mitglied gen, so empfinden wir das als etwas ganz besonderes. des Editorial Boards des SIAM Journals on Scientific Com- puting, des Scientific Committees der International Confer- Aber auch wenn er nicht anwesend ist, kommt das ” Gespr¨ach immer wieder auf ihn, und man kann diese ence on Hyperbolic Problems“ und der Planungsgruppe des EU Netzwerkes Hyperbolic and Kinetic Equations (HYKE)“. ” Verehrung und Zuneigung nur schwer in Worte fas- Im Mai 2005 war er in Oslo Festredner bei der Verleihung des sen. Abelpreises an Peter Lax.

Von Courant’s Institute zum Courant Institute

Die New York University (NYU), zu der das Diese Einrichtung wurde ab 1946 als Institut fur¨ Courant-Institut geh¨ort, ist eine der gr¨oßten priva- Mathematik und Mechanik und schließlich als Cou- ten Universit¨aten der USA. Sie besteht seit 1831, rant Institute of Mathematical Sciences (CIMS) be- ihren jetzigen Namen fuhrt¨ sie seit 1896. zeichnet. Sie umfasst gegenw¨artigetwa80Ange- Richard Courant emigrierte 1934 in die USA und h¨orige und rund 230 Studenten (dazu weitere 370 wurde Professor an der NYU. Bereits in seinem er- part-time-students); in der Bibliothek befinden sich sten akademischen Jahr begann Courant, das bis- 50 000 B¨ande. lang mittelm¨aßige Niveau anzuheben, indem er u. a. Ursprunglich¨ befand sich das Institut im Bible Hou- C. L. Siegel und J. Douglas vortragen ließ. Courant se der American Bible Society, zog aber 1965 in den wurde fest in den Lehrk¨orper aufgenommen und er- neu errichteten Warren Weaver-Bau unweit des Wa- hielt die Aufgabe, ein mathematisches Graduierten- shington Squares ein, wobei sich heute weitere Ab- programm zu entwickeln. 1935 grundete¨ er hierzu teilungen am nahegelegenen Broadway befinden. ein Institut ( Courant’s Institute“), das er bis 1958 Weitere Direktoren nach Courant waren: J. J. Sto- ” leitete. ker 1958–1966; K. O. Friedrichs 1966–1967; J. Moser Neben der Mathematik befasst man sich im In- 1967–1970; L. Nirenberg 1970–1972; P. D. Lax 1972– stitut auch mit Computer Science, ein spezielles 1980; sowie Srinivasa Varadhan, C. Moravetz, H. Forschungsgebiet sind die partiellen Differentialglei- McKean, D. McLaughlin und gegenw¨artig C. New- chungen und ihre Anwendungen. man. (Rudiger¨ Thiele)

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