Die Musikkritischen Schriften Von Paul Dukas
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Bonner Schriften zur Musikwissenschaft 9 Die musikkritischen Schriften von Paul Dukas Bearbeitet von Dominik Rahmer 1. Auflage 2010. Buch. 236 S. Hardcover ISBN 978 3 631 59927 3 Format (B x L): 14,8 x 21 cm Gewicht: 470 g Weitere Fachgebiete > Musik, Darstellende Künste, Film > Musikwissenschaft Allgemein > Sachbuch, Musikführer, Musikkritik schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. i. einleitung Das Musikleben in Paris in den Jahren 1871 bis 1914 zählt zweifellos zu den vielschichtigsten und ereignisreichsten Phasen der französischen Musikge- schichte. Zeitlich relativ genau eingrenzbar durch die politisch, gesellschaft- lich und kulturell zäsursetzenden Ereignisse des deutsch-französischen Krie- ges 1870/71 und des Ausbruchs des 1. Weltkriegs, stellen die knapp 50 Jahre eine produktive und künstlerisch vielfältige Blütezeit dar, unter deren Prot- agonisten sich Namen wie Camille Saint-Saëns, César Franck, Gabriel Fauré, Jules Massenet, Claude Debussy oder Maurice Ravel in den Kanon jener Komponisten eingeschrieben haben, die auch heute einem breiten Publikum jenseits der Fachwelt bekannt sind. Doch auch für eine Musikhistorio- graphie, die über Einzelpersönlichkeiten hinaus das musikalische Leben, Denken und Schaffen in möglichst breitem Umfang erkunden will, bietet dieser Zeitraum eine nahezu unüberblickbare Vielfalt von ästhetischen De- batten und Polemiken, skandalauslösenden Aufführungen und Ereignissen, von kompositorischen Neuerkundungen und kulturellen Wechselbeziehun- gen. So standen über Jahrzehnte hinweg die Feuilletons, die Programmpoli- tik der Opernhäuser als auch das kompositorische Schaffen unter dem tiefen Eindruck der Musik und der Kunsttheorien Richard Wagners, dessen über- aus komplexe und vielgestaltige Rezeption in Frankreich unter dem Schlag- wort des wagnérisme ein eigenes Kapitel Musikgeschichte (und Literatur- geschichte) geschrieben hat. Die politisch-kulturelle Rivalität zu Deutsch- land hatte Einfluß auch auf die musikalischen Diskurse, wobei sich politi- sche Gegnerschaft und Anerkennung der künstlerischen Leistungen nicht ausschlossen: es war die gerade Vorbildfunktion der symphonischen und kammermusikalischen Werke der deutschen Klassik und Romantik, die in Frankreich in Absetzung von der traditionellen Prädominanz der Oper eine Art Renaissance der Instrumentalmusik initiierte. Dies zeigte sich auf kom- positorischer ebenso wie auf organisatorischer Ebene: durch ein wachsendes Interesse der Komponisten an Gattungen wie Symphonie, symphonischer Dichtung und Kammermusik, andererseits durch Institutionen, die sich der Aufführung und Verbreitung klassischer Werke widmeten und – wie die 1871 gegründete Société nationale de musique – auch dem zeitgenössischen 9 französischen Schaffen ein Forum boten. Neben diesem Bemühen um eine nationale Selbstfindung und Erneuerung in der aktuellen kompositorischen Produktion stand die Rückbesinnung auf die nahezu vergessene Musik jenseits der Wiener Klassik und des 19. Jahrhunderts. Bach, Couperin und Rameau, Werke der französischen Renaissance und selbst des Mittelalters wurden für Konzerte und Druckausgaben erschlossen. Nicht zufällig fällt auch in diese Zeit der Beginn einer eigenständigen französischen Musikfor- schung: 1904 erhielt Romain Rolland an der Sorbonne den ersten Lehrstuhl für Musikgeschichte in Frankreich.1 Neben der wissenschaftlichen For- schung und ihren Publikationen stehen die tagesaktuellen Debatten der Musikkritik in den vermehrt gegründeten musikalischen Fachperiodika und den zahllosen Tageszeitungen und Zeitschriften, deren Quantität und Viel- falt zur Zeit der Belle Époque einen bis dahin nicht gekannten Höhepunkt erreichte.2 War die Mehrzahl der Kritiken auch von nicht übermäßig hohem fachlichen Niveau und spiegelte die polemische Parteinahme oder die unge- nügende musikalische Ausbildung ihrer Autoren wider, so bildete sich doch zum Ausgang des 19. Jahrhunderts eine ernstzunehmende Fachkritik heraus, die das musikalische Geschehen reflektiert und inhaltlich fundiert zu kom- mentieren vermochte.3 Zu den in jener Zeit angesehensten Vertretern der französischen Musik- kritik zählt auch der Komponist Paul Dukas (1865–1935), der 13 Jahre lang, von 1892 bis 1905, regelmäßig in Konzertbesprechungen und Essays das musikalische Leben seiner Zeit analysierte und sich damit Achtung bei den unterschiedlichsten Vertretern aus dem breiten Spektrum des französischen Musiklebens verschaffte. Romain Rolland, dessen auf Neutralität und Ausge- wogenheit bedachten Urteilen besonderes Gewicht zukommt, hob in seiner Darstellung der Musikstadt Paris um 1900 Dukas bezeichnenderweise nicht nur als Komponisten, sondern auch als Musikdenker heraus: »Er besitzt einen reichen, scharfsinnigen Geist, ist gleichzeitig einer der ersten Musik- 1 Vgl. Stenzl, Verspätete Musikwissenschaft in Frankreich und Italien, S. 288. 2 Vgl. dazu La Belle Époque des revues, insbesondere die Einleitung von Michel Leymarie; er konstatiert « l’expansion, le foisonnement, la prolifération des revues» und zieht das Resü- mee: «[…] cette Belle Époque apparaît donc en France comme celle de la belle époque des re- vues, alors que triomphe la République » (S. 9 f.). Zur Pressevielfalt vgl. auch Arbour, Revues littéraires éphémères. 3 Vgl. das Kapitel »Presse und Musikkritik« bei Trillig, Rezeption Claude Debussys, S. 85–188; ähnlich Goubault, Critique musicale, S. 25–84. 10 kritiker unserer Zeit […]«4. Dukas’ musikalischer Sachverstand, sein histori- sches Wissen und kritisches Urteilsvermögen sicherten ihm dabei schon sehr früh die Anerkennung etablierter und namhafter Komponisten aus seiner Lehrergeneration, wie etwa Camille Saint-Saëns, Vincent d’Indy, Gabriel Fauré oder Ernest Chausson.5 So berief d’Indy 1894 den erst 29jährigen in die prominent besetzte Jury eines Kompositionswettbewerbs6 – zu einem Zeitpunkt, zu dem Dukas selbst noch kaum als Komponist öffentlich in Erscheinung getreten war.7 Als Saint-Saëns 1895 nach dem Tod von Ernest Guiraud die Aufgabe zufiel, dessen Fragment gebliebene Oper Frédégonde zu vervollständigen, vertraute er dem jungen Paul Dukas, der Schüler Guirauds am Conservatoire gewesen war, die Orchestrierung der ersten drei Akte aus den hinterlassenen Skizzen an.8 Gabriel Fauré schätzte an Dukas dessen « esprit philosophique » und fühlte sich ihm in persönlicher und künstleri- scher Hinsicht eng verbunden.9 Aus der jüngeren Generation französischer Komponisten ist vor allem Claude Debussy herauszuheben, den mit Dukas eine lebenslange Freund- 4 Rolland, Paris als Musikstadt, S. 65. 5 Chausson notierte nach seiner ersten Begegnung mit Dukas im Januar 1892 in sein Tage- buch: «Depuis huit jours seulement je connais Dukas, et je sens en lui quelqu’un de vraiment intéressant.» Gallois, Ernest Chausson, S. 356. 6 Die Wahl Dukas’ in die Jury, neben Chausson, Messager, Guilmant und Bourgault-Ducou- dray, begründete d’Indy: « Paul Dukas, très bon juge, apte à tempérer les trop dramatiques indulgences de Bourgault…» Vallas, Vincent d’Indy, S.32. 7 Nur seine Ouvertüre zu Polyeucte war in Paris zur öffentlichen Aufführung gekommen, zum ersten Mal am 24.1.1892 in der Reihe der Concerts Lamoureux (vgl. Palaux-Simonnet, Paul Dukas, S. 32–34). 8 “He arrived back in France in May [1895] and handed over the task of orchestrating Acts One to Three to Paul Dukas, a pupil of Guiraud, for whom he had a high esteem.” Rees, Saint-Saëns, S. 316. Vgl. auch Dukas’ eigene Erinnerungen in seinem Artikel zu Guirauds Frédégonde, Écrits, S. 529f. (RHeb, 21. 12. 1895). 9 Die Freundschaft ging v. a. auf einen gemeinsamen Aufenthalt in Lausanne 1907 zurück, von dem Fauré seiner Frau mehrfach brieflich berichtete: « Paul Dukas, – un artiste que j’estime énormément, à tous les points de vue […]» (Fauré, Lettres intimes, S.146). « Ce Dukas gagne encore à être connu. C’est un sérieux, doué d’un véritable esprit philosophique, et de cerveau bien garni.» (Ebd., S.150). Auch Faurés Sohn Philippe betont dessen enge Freundschaft mit Dukas: «Son dernier article fut pour saluer celui de ses cadets qu’il aimait et admirait le plus, Paul Dukas […] » (Fauré-Fremiet, Gabriel Fauré, S.90.) « Parmi les plus jeunes composi- teurs, c’est Paul Dukas qu’il aimait le mieux. Il trouvait en lui ce qu’il estimait par-dessus tout dans un homme : le savoir, la raison jointe à l’enthousiasme intérieur, l’horreur de la facilité. […] A lui seul Gabriel Fauré pouvait confier toute sa pensée, car il l’admirait sans réserve et tous deux concevaient la musique avec la même pureté et dans le même isolement de l’âme.» (Ebd., S. 115 f.) 11 schaft verband10 und der bereits in der Kompositionsklasse von Guiraud die Urteilsfähigkeit seines Kameraden bewunderte. Wiederholt betonte Debussy in Briefen die Bedeutung, die er Dukas’ Kritik für sein eigenes Schaffen bei- maß.11 Ein ähnliches Bild von der intellektuellen und zugleich distanzierten Persönlichkeit Dukas’ zeichnete der Komponist Alfred Bachelet, ebenfalls dessen Mitschüler am Konservatorium: « À la classe de Guiraud […] Dukas nous étonnait déjà par ses critiques sûres, mordantes, profondes, succinctes, et nous déroutait par son érudition et son esprit un peu distant […] À part sa classe de composition […]