Diplomarbeit

Titel der Diplomarbeit

„Wienerwald – nachhaltige Suburbanisierung?“

Eine siedlungsgeographische Analyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Schutzgebieten im suburbanen Raum am Beispiel des Landschaftsschutzgebietes Wienerwald

Verfasserin

Wibke Strahl

Angestrebter akademischer Grad

Magistra (Mag. rer. nat.)

Wien, im Mai 2007

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 454

Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Raumforschung und Raumordnung

Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann Hiermit erkläre ich, dass ich vorliegende Diplomarbeit nach den anerkannten

Grundsätzen für wissenschaftliche Abhandlungen selbstständig verfasst und alle verwendeten Hilfsmittel, insbesondere zugrunde liegende Literatur, genannt habe.

Wibke Strahl

I Danksagung

Es ist Zeit Danke zu sagen, an all die Personen, die geholfen haben, dass diese Arbeit verwirklicht werden konnte. Ein ganz herzliches Dankeschön an:

• Herr o. Univ. Prof. Heinz FASSMANN als Betreuer der Diplomarbeit,

der mir im Entstehen der Arbeit immer wieder Denkanstöße gab

• Herrn Dr. MMag. Robert MUSIL (ISR/ Österreichische Akademie der

Wissenschaften): für die Bereitstellung der DKM und der Orthophotos

der Wienerwaldgemeinden von der NÖ Landesregierung im Rahmen

meiner Diplomarbeit, sowie für sein/e Hilfe und Feedback bei der

Umsetzung der Arbeit

• Herrn Mag. Peter PINDUR (ISR/ Österreichische Akademie der

Wissenschaften): für seine Ratschläge bei der GIS-gestützten

Gebäudeanalyse und seine Unterstützung

• Herrn Mag. Marco HELBICH (ISR/ Österreichische Akademie der

Wissenschaften), der mir von Anfang bis Ende der Arbeit zur Seite

stand. Danke für den Gedanken-Input beim Umgang mit dem GIS, bei

der Umsetzung bestimmter Graphiken und für das Lesen der Arbeit.

• Herrn Mag. Jörn BRIEN als Lektor der Arbeit

• Herrn Clemens NADERER, der mir besonders am Ende der Arbeit

hilfreichst zur Seite stand. Danke für die Unterstützung und das Lesen

der Arbeit

• Meinen Eltern Heike und Bernd für ihre tatkräftige Unterstützung

während der gesamten Studienzeit. Danke für die Ermöglichung des

Studiums in Wien.

• Herrn DI Michael MAXIAN und Dr. Peter FRITZ für die

Auskunftsbereitschaft und freundliche Unterstützung

• Frau Claudia BOCK und Herrn Franz ALLMAYER, die mir in ihrer

Funktion als Bürgermeister/in Rede und Antwort standen

II Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG 1 1.1 Problemstellung 1 1.2 Forschungsfrage 2 1.3 Methodik 2 1.4 Zielsetzung 3

2. SUBURBANISIERUNG - BEGRIFFSANNÄHERUNG UND MERKMALE 4 2.1 Begriffsannäherung 4 2.2 Die Folgeerscheinung „Suburbia“ 5 2.3 Ursachen und Gründe der Suburbanisierung 8 2.4 Geschichtlicher Abriss des Phänomens Suburbanisierung 9 2.5 Suburbanisierung – eine Phase im Stadtentwicklungszyklus 12 2.6 Aktuelle Tendenzen der Suburbanisierung 16 2.7 Die Bevölkerungs- oder Wohnsuburbanisierung 19 2.8 Die Wiener Suburbia 22

3. SCHUTZGEBIETE UND AUSWIRKUNGEN AUF DIE RAUMORDNUNG 25 3.1 Annäherung an die Begrifflichkeit des Landschaftsschutzgebiets 25 3.1.1 Naturschutzrecht und Landschaftsschutzgebiete - Deutschland vs. Österreich 26 3.2 Der Landschaftsschutz in Österreich 29 3.2.1 Geschichtlicher Abriss 29 3.2.2 Naturschutz und Raumordnung 31 3.2.3 Naturschutzrechtliche Implikationen auf den Flächen- widmungsplan im niederösterreichischen Raumordnungsgesetz 33 3.3 Das Landschaftsschutzgebiet im Naturschutzgesetz 36 3.3.1 Landschaftsschutzgebiete nach niederösterreichischem Recht 36

4. DER WIENERWALD – LANDSCHAFTSSCHUTZGEBIET UND SIEDLUNGSRAUM 42 4.1 Schutzgebiete im Wienerwald 42 4.1.1 Der Biosphärenpark Wienerwald 43 4.2 Allgemeine Beschreibung des Untersuchungsgebietes – Lage, Größe, Topographie 45 4.2.1 Naturräumliche Gegebenheiten 46 4.3 Der Wienerwald als Siedlungsraum 47 4.3.1 Der Siedlungscharakter des Wienerwaldes 48 4.3.2 Aktuelle Siedlungssituation des Wienerwaldes 50 4.3.3 Die Entwicklungsdynamik der Untersuchungsgemeinden im Landschaftsschutzgebiet Wienerwald 51 4.3.3.1 Bevölkerungsdynamiken der Wienerwaldgemeinden 51 4.3.3.2 Wanderungsbilanzen der Untersuchungsgemeinden 56 4.3.3.3 Die Wohnbauten-Situation 60

III 5. FALLGEMEINDEN: AUSWIRKUNGEN DES LANDSCHAFTSSCHUTZ- GEBIETS AUF DIE SIEDLUNGSRAUMENTWICKLUNG 65 5.1 Die Gemeinde 71 5.2 Die Gemeinde Maria-Anzbach 73 5.3 Darstellende Siedlungsentwicklung 1980 bis 2005 75 5.3.1 Gebäudeanalyse der Gemeinde Wolfsgraben 76 5.3.2 Gebäudeanalyse der Gemeinde Maria-Anzbach 79 5.3.3 Bauflächen und Bauflächenverfügbarkeit der Gemeinden 83 5.4 Begehungen vor Ort 85 5.5 Qualitative Interviews der beiden Beispielgemeinden 87 5.5.1 Bürgermeisterin-Interview Gemeinde Wolfsgraben 89 5.5.2 Bürgermeister-Interview Gemeinde Maria-Anzbach 93 5.6 Expertenmeinungen zum Thema Schutz und Nutzen des Wienerwaldes 99 5.4.1 Statement der Niederösterreichischen Landesregierung 100 5.4.2 Statement des Niederösterreichischen Naturschutzbunds 107

6. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE IN FOLGE EMPIRISCHER UNTERSUCHUNGEN 111 6.1 Output aus den Bürgermeister-Interviews 111 6.2 Output aus den Expertenmeinungen 113 6.3 Aussage zur Forschungsfrage und Ausblick 116

7. SUMMARY 117

8. LITERATURVERZEICHNIS

IV Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Phasenmodell der Stadtentwicklung 13

Abb. 2: Ein morphologischer Prozess nach Cedric Price (1998) 15

Abb. 3: Übersicht über Landschaftsschutzgebiete in Österreich 28

Abb. 4: Logo Biosphärenpark 43

Abb. 5: Zonierung eines Biosphärenparks 44

Abb. 6: Gebietsabgrenzung des Landschaftsschutzgebiets nach der PGO 46

Abb. 7: Grundrisstypen ländlicher Siedlungen (nach BORN 1977) 49

Abb. 8: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschafts- schutzgebiet von 1961 bis 1981 52

Abb. 9: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschafts- schutzgebiet von 1981 bis 2001 54

Abb. 10: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutz- gebiet von 1971 bis 1981 56

Abb. 11: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutz- gebiet von 1981 bis 1991 57

Abb. 12: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutz- gebiet von 1991 bis 2000 59

Abb. 13: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschafts- schutzgebiet um 1981 61

Abb. 14: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschafts- schutzgebiet um 1981 62

Abb. 15: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschafts- schutzgebiet um 2001 63

Abb. 16: Potenzielle Wienerwaldgemeinden im Landschaftsschutzgebiet 65

Abb. 17: Aktuelle Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschafts- schutzgebiet von 2001-2005 66

Abb. 18: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutz- gebiet von 1961-2001 67

Abb. 19: Die Untersuchungsgemeinden in Relation zu den Entwicklungs- Dynamiken 69

V Abb. 20: Die Untersuchungsgemeinden in Relation zur Entwicklungs- dynamik und Erreichbarkeit 70

Abb. 21: Katasterflächenanteile (Nutzung) Wolfsgraben 2005 71

Abb. 22: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut, Wolfsgraben 72

Abb. 23: Wanderungsbilanzen im Vergleich 72

Abb. 24: Anteil der Wohngebäude Wolfsgraben 73

Abb. 25: Katasterflächenanteile (Nutzung) Maria-Anzbach 2005 74

Abb. 26: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut, Maria-Anzbach 74

Abb. 27: Anteil der Wohngebäude Maria-Anzbach 75

Abb. 28: Überblick über die Siedlungssituation Wolfsgrabens 77

Abb. 29: Übersicht Gebäudebestand Wolfsgraben, Neu und Alt (1) 78

Abb. 30: Übersicht Gebäudebestand Wolfsgraben, Neu und Alt (2) 78

Abb.: 31: Überblick über die Siedlungssituation Maria-Anzbachs 79

Abb. 32: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (1) 80

Abb. 33: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (2) 81

Abb. 34: Baulandreserve Wolfsgraben 2005 83

Abb. 35: Baulandreserve Maria-Anzbach 2005 84

Abb. 36: Bautätigkeit Rumelsiedlung, Wolfsgraben 86

Abb. 37: Hofstatt, Maria-Anzbach 86

Abb. 38: Baulückenaufschließung Wolfsgraben 90

Abb. 39: Rumelsiedlung, Wolfsgraben 91

Abb. 40: 500m² Einfamilienhausparzellen, Maria-Anzbach 98

Abb. 41: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im RROP innerhalb der Beispielgemeinde Wolfsgraben 102

Abb. 42: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im RROP innerhalb der Beispielgemeinde Maria-Anzbach 103

VI 1. Einleitung

1.1 Problemstellung

In den letzten Jahrzehnten ist vor allem rund um die großen Städte ein Phäno- men zu beobachten, das u. a. als Suburbanisierung bekannt ist. Im Allgemeinen versteht man darunter die Ausdehnung der Städte über ihre administrativen

Grenzen hinaus. Infolgedessen sich eine Stadtregion heraus bildet, deren Über- gang von Stadt zu Umland nicht mehr klar ersichtlich ist, da sich städtische

Strukturen auch in der Suburbia fortsetzen.

Auch Wien ist von Suburbanisierungsprozessen gekennzeichnet, am intensivs- ten betroffenen sind dabei die Gemeinden im Süden von Wien. Sie gehören u. a. aufgrund der guten infrastrukturellen Anbindung zu den „frühen“ Suburbani- sierungsgemeinden Wiens. Wobei diese neben einer Wohn- auch von einer In- dustrie- bzw. Gewerbesuburbanisierung geprägt sind.

In den letzten Jahren sind jedoch die potenziellen Freiflächen dieser südlichen

Wiener Umland-Gemeinden bereits geschrumpft, was zu einer Verteuerung der

Bodenpreise und im Weiteren der Immobilienpreise führte. Daraus schlussfol- gernd kommen für eine weitere Suburbanisierung nun Gemeinden in Betracht, die abgelegener und schlechter erschlossen sind, aber niedrigere Boden- und

Immobilienpreise aufweisen. Potenzielle Suburbia-Bewohner nehmen eher wei- tere Pendlerdistanzen in Kauf, wenn dadurch die Bodenpreise sinken (BRAKE et al. 2001: 17). So gab es laut ÖROK-Studie (ÖROK-Prognosen 2004: I-de f.) be- reits im Zeitraum 1991 bis 2001 auch in den schlechter erschlossenen Wiener- wald-Bezirken (Wien-Umgebung, Korneuburg, Baden, Mödling, St. Pöltener

Land, Tulln) Bevölkerungszuwächse. Tulln und Korneuburg zählten dabei mit ca. 12 Prozent zu den stärksten Gewinnern im österreichischen Vergleich. Auch für die kommenden Jahre bis 2031 prognostiziert die ÖROK (Szenario 1, 2004:

116 f.) für diese Bezirke eine Bevölkerungszunahme von ca. 16 Prozent, die primär aus Wanderungsgewinnen resultiert.

1 Anhand dieser Studie ist feststellbar dass der Wienerwald in einen Nutzungs- konflikt geraten ist, da zum einen ein Schutzgedanke im Sinne von Nachhaltig- keit verfolgt, dieser zum anderen jedoch von Suburbanisierungstendenzen be- einflusst wird. Somit gerät der Wald immer stärker unter einen Druck zwischen

Schutz und Nutzung.

1.2 Forschungsfrage

Unter Schutz wurde der Wienerwald durch das Instrument des Landschafts- schutzgebiets1 1979 gestellt, die aufgrund des auftretenden Konflikts resultie- rende Forschungsfrage lautet: Inwiefern konnte der Wienerwald mittels dieses

Schutz-Instruments dem Suburbanisierungsprozess in den letzten 25 Jahren entgegenwirken? und weiterführend: Sind Schutzgebiete wirksame Instrumen- te um Suburbia einzuschränken?

1.3 Methodik

Diese Arbeit folgt einer induktiven Lösung, das heißt, die gewonnen Einzeler- kenntnisse werden zu einem Gesamtbild zusammengesetzt, infolge dessen sich die Ergebnisse herauskristallisieren.

Nach der Bearbeitung des Theorieblocks wird zu allererst eine Flächenabgren- zung des Wienerwald-Gebiets anhand der PGO2-Vorgaben erfolgen. Wobei der darin inkludierte Wiener Teil außer Acht gelassen wird, da diese Arbeit Subur- bia und nicht die Kernstadt ansprechen soll. Des Weiteren folgen statistische

Maßzahlen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung, der Wanderungsbilan- zen sowie der Wohnbaustatistik. Darauf aufbauend werden zwei Beispielge- meinden als Repräsentanten aller anderen aus dem Untersuchungsgebiet her-

1 Wurde daher gewählt, weil der Suburbanisierungsprozess der letzten 25 Jahre bzgl. der Beeinflussung durch den Naturschutz aufgezeigt werden sollte und das Landschaftsschutzgebiet die erste flächende- ckende Schutzgebietskategorie war, durch die der Wienerwald unter Schutz gestellt wurde. 2 Planungsgemeinschaft Ost (PGO) ist eine gemeinsame Organisation der Länderverwaltungen Burgen- land, Niederösterreich und Wien zur Abstimmung, Koordination und Vorbereitung raumplanerisch rele- vanter Fragen in der österreichischen "Länderregion Ost". 2 ausgefiltert, um anhand dieser die Siedlungsentwicklung (Zubauten, Flächen- verbrauch,…) in den letzten 25 Jahren im Wienerwald aufzuzeigen. Weiterfüh- rend soll nachgewiesen werden, inwiefern das Landschaftsschutzgebiet bei den

Ausweisungen in den Flächenwidmungsplänen der zwei Beispielgemeinden

Wolfsgraben und Maria-Anzbach berücksichtigt wurde und welche Wirkung davon ausgeht. Nachfolgend sollen qualitative Interviews mit den Bürgermeis- tern der zwei Beispielgemeinden helfen, die gewonnen Informationen anhand der statistischen Ergebnisse und anhand der Resultate der GIS-gestützten Sied- lungsanalyse abzurunden. Mittels abschließenden Experten-Interviews mit der

Niederösterreichischen Landesregierung und einer nicht-staatlichen Natur- schutzbehörde sollen die zuvor angeführten Forschungsfragen beantwortet werden.

1.4 Zielsetzung

Die Absicht der Diplomarbeit liegt darin, einen Beitrag zur Problematik der

Suburbanisierung Wiens zu leisten und dies im Besonderen unter Berücksichti- gung der Ausweisung von Schutzgebieten, in diesem Falle am Landschafts- schutzgebiet Wienerwald. Es soll aufgezeigt werden, inwieweit Suburbanisie- rung stattgefunden hat und in welchen Formen diese sich äußert. Zudem soll eine Aussage getroffen werden inwiefern das Instrumentarium Landschafts- schutzgebiet in den letzten 25 Jahren Wirkung gezeigt hat um Suburbanisie- rungsprozesse und ihre Auswirkungen (Flächenverbrauch, Zersiedelung, urban sprawl) einzugrenzen und in weiterer Folge den Wienerwald zu schützen.

3 2. Suburbanisierung - Begriffsannäherung und Merkmale

2.1 Begriffsannäherung

Die Fachliteratur kennt zahlreiche Definitionen von Suburbanisierung. Im We- sentlichen bezeichnet sie den Vorgang der Dekonzentration von Bevölkerung,

Produktion, Handel sowie Dienstleistungen innerhalb einer Region (HEINE-

BERG 2001: 40 f.).

Unter Suburbanisierung ist also im Allgemeinen die Ausdehnung großer Städte

über ihre administrativen Grenzen hinaus zu verstehen, wobei die Übergänge zwischen Stadt und Umland eher fließend verlaufen und somit nicht mehr klar ersichtlich sind. Suburbanisierungsprozesse haben die Städte in siedlungsstruk- turell nicht mehr zu trennende und funktional eng miteinander verflochtene

Stadtregionen verwandelt.

Stadtregionen sind gekennzeichnet durch eine „geringere Dichte, wiederkeh- rende Siedlungselemente und einen abnehmbaren Kern-Rand-Gradienten“.

Stadtkerne und ihre Ränder bilden somit zusammengenommen einen „relativ homogenen Siedlungskörper mit vereinzelten Nutzungsinseln“ (vgl. FASS-

MANN 2004: 115). Die Stadt entwickelte sich im Zuge des Suburbanisierungs- prozesses von einem monozentrischen zu einem polyzentrischen System, in- dem die Kernstadt weiterhin als Zentrum fungiert. Daneben existieren aber noch weitere ausgelagerte Zentren, mono- oder multifunktionaler Art. (FASS-

MANN 2004: 115).

Eine weitere immer wieder aufscheinende Begriffserklärung für Suburbanisie- rung, ist jene nach FRIEDRICHS (1975): „Verlagerung von Nutzungen und Be- völkerung aus der Kernstadt, dem ländlichen Raum oder anderen metropolita- nen3 Gebieten in das städtische Umland bei gleichzeitiger Reorganisation der

Verteilung von Nutzungen und Bevölkerung in der gesamten Fläche des metro- politanen Gebietes". Anhand dieser Definition wird sichtbar, dass Suburbani-

3metropolitanes Gebiet ist zusammengenommen die Kernstadt und ihr angrenzendes städtisches Umland 4 sierung nicht nur als Stadt-Randwanderung sondern auch als Wanderung von außen gesehen werden muss. Sie äußert sich zum einen in einer dynamischen

Siedlungsexpansion ins angrenzende Umland und zum anderen in einer Um- verteilung ihrer einzelnen Siedlungskomponenten. Es lassen sich dabei drei

Formen unterscheiden: die Suburbanisierung von Produktionsstätten (sekundä- rer Sektor), die Bevölkerungssuburbanisierung und in den letzten Jahrzehnten auch verstärkt die Suburbanisierung im Bereich Dienstleistung, (Einzel-)Handel und Entertainment. Diese einzelnen Suburbanisierungsdimensionen finden nicht losgelöst voneinander statt, sondern bedingen einander, d.h. sie können zwar parallel zueinander verlaufen, sich gegenseitig aber auch beeinflussen und verstärken. So stellt die Bevölkerungssuburbanisierung eine Vorausset- zung für die Ansiedlung von Einzelhandelsunternehmen im Agglomerations- raum dar. Durch die Verlagerung von Einzelhandelsunternehmen und Produk- tionsstätten jeglicher Art, werden Arbeitsplätze im Umland geschaffen, die wiederum die Wohnstandortwahl „suburbaner Raum“ positiv beeinflussen können (HEINEBERG 2001: 40ff.). Kennzeichen konstanter Suburbanisierung sind demnach abnehmende Siedlungsdichten, ubiquitäres Wachstum sowie

Ansätze flächenhafter Verstädterung (DOSCH 2004: 68). Wie sich diese Sied- lungsexpansion von Bevölkerung und Betrieben in der Fläche widerspiegelt, soll im nachfolgenden Kapitel näher erörtert werden.

2.2 Die Folgeerscheinung „Suburbia“

Dadurch, dass sich die Stadt durch die Verlagerung von Bevölkerung und

Wirtschaftsbetrieben großflächig in ihr Umland ausdehnt, weicht das Bild einer kompakten Stadt dem einer Citta Diffusá4 oder Ville Émergente5. Auch der eng- lische Begriff Urban Sprawl beschreibt die Erscheinungsformen der Suburbani- sierung treffend. DANGSCHAT (2004: 1) versteht unter Sprawling: „…eine Ka-

4Begriff von B. Secchi 5 Begriff von G. Dubois-Taine verwendet 5 tegorie zur Beschreibung des Ausmaßes der Zersiedelung ehemals naturnaher landwirtschaftlich genutzter Flächen und damit Ergebnis einer gesellschaftli- chen Organisation in Raum und Zeit.“ Naturnahe Landschaftselemente werden somit von städtischen Strukturen und Funktionen überformt. Im Zuge der Sub- urbanisierung wird die Stadt weitflächig, autoabhängig und erscheint unge- ordnet gleich einem „Siedlungsbrei“ (vgl. FASSMANN 2004: 115). Dieser Beg- riff birgt eine negative Komponente in sich, da die kompakte historisch ge- wachsene europäische Stadt durch die Suburbanisierung aufgelöst und die um- liegende Fläche der Großstadt zersiedelt wird. Die Zersiedelung, oftmals auch mit dem englischen Terminus „urban sprawl“ bezeichnet, ist aus funktionalen,

ökologischen, aber auch ästhetischen Gründen eine ernstzunehmende Proble- matik. Zahlreiche Experten und Entscheidungsträger versuchen durch Setzung verschiedener Maßnahmen, wie der Schaffung attraktiver Betriebsstandorte oder der Verbesserung der Wohnqualität im dicht verbauten Stadtgebiet, etc. die Flächenzersiedelung einzudämmen und ihr entgegenzuwirken (PINTER

2005: 15). Hervorgerufen wird sie zum einen durch Bevölkerungsbewegungen

(Wohnsuburbanisierung) aber zu einem erheblichen Teil auch durch die Stand- ortwahl von Dienstleistungseinrichtungen und Gewerbe (Shopping Centers,

Freizeiteinrichtungen oder Firmenniederlassungen).

Suburbia ist in Bezug auf seine landschaftliche Lage, seine städtebauliche Typo- logie, der Sozialstruktur seiner Nutzer und Bewohner und seiner Funktionen ein extrem heterogener Raum (BODENSCHATZ 2004: 57). Deswegen ist es nicht nur schwierig, die US-amerikanischen Suburbs mit der (West-) Europäi- schen, sondern auch diese mit der osteuropäischen Suburbia zu vergleichen, welche durch postsozialistische Suburbanisierungsprozesse gekennzeichnet ist

(MATTHIESEN et al. 2002: 34ff).

Aufgrund der extrem unterschiedlichen räumlichen Dimensionen, aber auch wegen der unterschiedlichen politischen Systeme und städtebaulichen Traditi- onen zwischen der Suburbia der Vereinigten Staaten und der europäischen

6 werden in Europa zahlreiche Versuche getätigt, neue Namen für das städtische

Umland zu finden (s. Citta Diffusá oder Ville Émergente). In Deutschland hat

SIEVERTS (1998: 7) erfolgreich den Begriff der Zwischenstadt als Weiterent- wicklung der klassischen Suburbia eingeführt. Er versteht darunter eine:

„…Stadt zwischen den alten historischen Stadtkernen und der offenen Land- schaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den Nicht-Orten der Raum-

überwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der

Abhängigkeit vom Weltmarkt.“ Diese verstädterte Landschaft oder verland- schaftete Stadt, also weder Stadt noch Land, ist ein Raum ohne Namen und An- schauung, Suburbia ist ein Zustand aber dennoch bedeutender Lebensraum der

Menschheit. Niemand spricht von einem Ort „Suburbia“ und gebraucht ihn gleich wie den Citybegriff, indem er sagt: „Heute fahre ich nach Suburbia“.

Man bereist Suburbia nur dann, wenn man dort wohnt, arbeitet oder beispiels- weise von Freunden, dahin eingeladen wurde. (vgl. LOOTSMA 2004: 6)

Die Siedlungsform Suburbia oder Zwischenstadt und die dazugehörigen Le- bensweisen haben sich im Zuge der Globalisierung der arbeitsteiligen kapitalis- tisch-industriellen Produktionsweisen auf der ganzen Welt ausgebreitet (SIE-

VERTS 1998: 14f.). So muss auch die Tatsache ins Bewusstsein gelangen, dass der Großteil der Bevölkerung der industrialisierten Welt nicht mehr allein in den Großstädten selbst sondern ebenso in dessen Agglomerationsräumen lebt, die durch eine vergleichsweise günstigere Bevölkerungsentwicklung im Gegen- satz zur Kernstadt gekennzeichnet sind (MARETZKE 2004: 46). Suburbia ist spätestens seit den 1970er Jahren die normale dominante Wohnumgebung ge- worden, mit einem riesigen Flächenverbrauch – in den USA, in Europa wie

überall auf der Welt.

7 2.3 Ursachen und Gründe der Suburbanisierung

Der Hauptverursacher der verschiedenen Erscheinungsformen im Raum ist der

Mensch selbst, indem er sich darin bewegt, handelt, agiert und auf bestimmte

Gegebenheiten reagiert.

Die wesentliche Ursache für Suburbanisierung ist der gestiegene Flächenbedarf jener Akteure, die ein Interesse am Gesamtstandort Stadt haben, sei es hinsicht- lich Wohnraumverwirklichungen, Gewerbe- oder Betriebsansiedlungen. Diese

Bedürfnisse lassen sich mitunter aufgrund der hohen Grundstückspreise und

Mieten, der beengten Wohnverhältnisse und des geringen Leerflächenangebots innerhalb der Kernstadt nicht befriedigen (BRAKE et al. 2001: 16). Auch suchen

Akteure ganz gezielt das suburbane Umland auf, da sie Großstädte gleichsetzen mit Lärm, Aggression, Stress und erhöhter Umweltverschmutzung bei geringe- rer Naturnähe. Hinzu kommt der Aspekt, dass die City höhere Wohn- und Le- benshaltungskosten aufweist und die Bildung von Wohneigentum aufgrund der immens hohen Boden- und Immobilienpreise vielen Akteuren als Standort verwehrt bleibt.

Eine Rolle spielt aber auch der Planungsaspekt: Bis zum 20. Jahrhundert ging die baulich-räumliche Entwicklung vom städtischen Kern aus, wohingegen sie heute von einer Vielzahl kommunaler und unternehmerischer Perspektiven einzelner Bauherren aus gesteuert oder zumindest beeinflusst wird. Sie sind maßgeblich an der Gestaltung der Agglomeration beteiligt (ZIBELL 2004: S.50).

Wegbereiter der Suburbanisierungsprozesse waren zweifelsohne das

Bodenpreisgefälle zwischen Stadt und Umland, die Förderpolitik, die funkti- onsräumliche Trennung, die neuen Kommunikationstechnologien, der sozio-

ökonomische Wandel6, die gestiegene Mobilität aber auch der gestiegene

Wohlstand der kaufkräftigen Mittelschicht (MARETZKE 2004: 46 und MAYER

2004: 5). Der Ausbau des Verkehrswegenetzes und des ÖPNVs7 sowie die stark

6 die Gesellschaft wie die Wirtschaft in ihrer gesellschaftlichen Struktur betreffend, gleich einem Struk- turwandel; hier Übergang zur Wissensgesellschaft 7 Öffentlicher Personennahverkehr 8 gestiegene Motorisierung ebneten dem Suburbanisierungsprozess noch zusätz- lich seinen Weg.

2.4 Geschichtlicher Abriss des Phänomens Suburbanisierung

Nachfolgend wird auf die europäische Suburbanisierungsgeschichte näher ein- gegangen, die US-amerikanische soll hierbei außen vor bleiben, da sie im Kon- text der vorliegenden Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Zwar sind die Vereinigten Staaten von Amerika der Prototyp einer suburbanen

Gesellschaft, weshalb zahlreiche europäische Studien sich gern an dem US-

Modell orientieren, doch darf dabei nie außer Acht gelassen werden, dass es in

Europa noch immer so etwas wie eine Kultur das Städtischen gibt. Während die

USA ihren Fokus bzgl. der Stadtentwicklung und -gestaltung auf die Bauin- dustrie und Developer (Entwicklungsgesellschaften) gerichtet haben, kann Eu- ropa auf eine lange Tradition der Städtebau- und Stadtplanungspolitik zurück- blicken. Hinzu kommen unterschiedliche geschichtliche, kulturelle und räumli- che Gegebenheiten um nur ein paar Unterschiede zwischen Europa und den

USA aufzuzählen.

Suburbanisierung ist nicht erst ein Phänomen der letzten Jahrzehnte, Vorboten gab es in Europa bereits schon im Mittelalter. Schon damals kam es aufgrund der Ansiedlung ärmerer Bevölkerungsschichten außerhalb der befestigten

Stadtmauern zu Vorortbildungen, Eingemeindungen sowie Fusionierungen. So haben sich 1432 die zwei nebeneinander gelegenen und bisweilen nahezu zu- sammengewachsenen Städte Coelln und Berlin zur Stadtgemeinde Berlin zu- sammengeschlossen.

Verstärkt wurde das Flächenwachstum der Städte vor allem mit der Schleifung der Stadtmauern und der aufgrund von Reformen erwirkten prinzipiellen Mög- lichkeit der freien Standortwahl, die im Feudalismus nur bedingt gegeben war.

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich liegen die ersten wesentlichen

Ursprünge der Suburbanisierung im 19. Jahrhundert (BRAKE et al. 2001: 15).

9 Mit dem Wegfall der Befestigungsmauer kam es zu einer Lösung der „bauli- chen und räumlichen Abschottung der Städte“ von ihrem weiteren Umland.

Hinzu kam der „rasant gestiegene Baulandbedarf“ der Städte für „bürgerliches

Wohnen, industrielles Gewerbe und für die Infrastrukturbauten der Ver- und

Entsorgung“. Aufgrund dessen dehnten sich die Städte8 auch damals weiter

über ihre bislang gültigen Grenzen hinweg aus und es kam zur Bebauung ihrer

äußeren großteils dünn besiedelten Umgebung (vgl. BRAKE et al. 2001: 15).

Zu dieser Zeit entstanden als Folge besserer Verkehrsverbindungen so genann- te Landhaus- und Villenkolonien als neues Stadtrandphänomen. Es galt damals wie heute als schick unter der wohlhabenden Bevölkerung, eine Villa im Grü- nen in landschaftlich attraktiver Lage sowie in unmittelbarer Nähe zur Groß- stadt zu besitzen. Neben Villen wurden aber im Zuge der Industrialisierung zur selben Zeit an Rohstoffquellen oder entlang von Bahnlinien auch flächenexten- sive Produktionsstätten und Arbeiterwohnunterkünfte im Umland errichtet, da die Städte selbst nicht mehr über die notwendigen Flächenkapazitäten verfüg- ten. Somit setzte die Durchmischung des Umlandes zwischen reichen und ar- men Bevölkerungsschichten ein. Es entstanden Vororte, die im Zuge der sich weiter ausbreitenden Stadt wieder eingeholt wurden. So bildete sich etwa 1920 aus einer bisweilen von einem starken Flächenwachstum gekennzeichneten

Stadt die Einheitsgemeinde „Grosz-Berlin“ (MATTHIESEN et al. 2002: 73).

Der unkoordinierte Bauboom des frühen industriellen Zeitalters führte zu

Wildwuchs bzw. Fehlentwicklungen. Um diese zu korrigieren, entwickelte der

Engländer E. Howard (1898) das Konzept der Gartenstadt. „Gartenstädte soll- ten aufgrund ihrer Lage im Einflussbereich von Großstädten sowohl deren

Überschussbevölkerung aufnehmen, als auch einen Teil der Abwanderung vom

Land in die Stadt abfangen. Gartenstädte sind durchgrünte und mit der Land- wirtschaft verknüpfte Städte, in der Einwohner aller sozialer Schichten in einem gesunden Umfeld, ohne räumliche Segregation, wohnen und arbeiten können

8 Impulse für die Suburbanisierung gehen in Europa historisch von den solitär gelegenen Städten aus. 10 sollen. Umgesetzt wurde dieses Konzept erstmals in England durch die Errich- tung der Städte Letchworth (1902) und Welwyn Garden City (1919) im Ein- zugsbereich von London“ (vgl. DIERCKE-Wörterbuch 2001: 240). Mit fort- schreitender Industrialisierung fand die Gartenstadtidee auch in Deutschland ihre Verbreitung. Um auf die Probleme und Nöte (beengte Wohnräume, Ge- sundheitsgefährdung aufgrund von Umweltverschmutzung etc.) der Arbeiter einzugehen, gründete sich 1902 in Berlin die Deutsche Gartenstadtgesellschaft

DGG. Die erste deutsche Gartenstadt, die zugleich die vollständigste und radi- kalste Umsetzung einer Gartenstadt in Deutschland war, war neben der in Es- sen errichteten Krupp-Siedlung „Margaretenhöhe“ die Stadt Hellerau (1909), heute als Dresden-Hellerau bekannt (http://www.dresden-und-sachsen. de/dresden/hellerau.htm 25.03.2006).

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts erlangte die Suburbanisierung aufgrund ihrer dynamischen Prozesse an quantitativer Bedeutung. Ausschlaggebend dafür war der immer bessere Ausbau des öffentlichen Verkehrs- (Eisen- und Straßen- bahn) sowie des Automobilnetzes, wobei sich die Eisenbahn „sternförmig- linear“ in der Fläche ausdehnte, während das Auto die dazwischen liegenden

Bereiche ausfüllte (vgl. SIEVERTS 1998: 13). Ein weiteres wesentliches Faktum waren die verbesserten Lagerungs- und Transportmöglichkeiten landwirt- schaftlicher Produkte und damit das Ende der Nahversorgung der Großstadt durch das Umland. Infolge dessen spezialisierte sich das Umland auf national sowie international nachgefragte landwirtschaftliche Produkte, die viel weniger

Fläche in Anspruch nahmen. Es wurde dadurch billiger Boden für andere Nut- zungen freigesetzt, der in weiterer Folge der Suburbanisierung in den Bereichen

Gewerbe und Bevölkerung dienlich wurde (MARIK 2001: 9f.).

Sowohl Gewerbe als auch Wohnflächen mit entsprechender Infrastruktur wur- den ohne erkennbares Zentrum in aufgelockerter Weise ähnlich einem Patch- workmuster und zudem flächenextensiv im Umland angesiedelt. Diese Ent- wicklungen setzten etwa um 1920 ein und folgten somit nicht mehr den sied-

11 lungsplanerischen Vorstellungen einer europäisch-kompakten Stadt (BRAKE et al. 2001: 16).

Einen weiteren wesentlichen Suburbanisierungsimpuls gab es nach dem Zwei- ten Weltkrieg. Mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders wuchs der

Wohlstand, so dass sich nicht mehr nur die reiche Bevölkerung ihren Wunsch von einem Haus im Grünen erfüllen konnte, sondern nun auf Eigeninitiative auch die breite Mittelschicht. Seit den 1960er Jahren beginnen sich Freizeitein- richtungen, Dienstleistungs- und (Einzel-)Handelsunternehmen über die admi- nistrativen Grenzen hinweg im suburbanen Raum anzusiedeln, dies jedoch noch zunächst als eine Ergänzungsfunktion zum Wohnen. Erst ab den 1980er

Jahren siedeln sich im städtischen Umland aufgrund der immer geringer wer- denden Überwindungskomponente „Raum“ auch Nutzungen für das gesamte metropolitane Gebiet an wie beispielsweise Einkaufszentren oder zum Teil auch produktionsorientierte Dienstleistungsbetriebe. Dabei fällt auf, dass nicht mehr nur von der Kernstadt kommend gesiedelt wird, gleich ob Unternehmen oder Bevölkerungswanderungen, sondern dass auch von außen aus dem länd- lichen Raum oder nahe liegenden Klein- und Mittelstädten Zuwächse im sub- urbanen Raum, in der Suburbia, zu bemerken sind (BRAKE et al. 2001: 16f.).

2.5 Suburbanisierung – eine Phase im Stadtentwicklungszyklus

Suburbanisierung und damit die Randwanderung von Bevölkerung, Handel und Gewerbe gehören zu den quantitativ bedeutenden Stadtentwicklungsphä- nomenen der westeuropäischen Industriegesellschaften seit der Nachkriegszeit.

Zahlreiche Studien haben versucht diese Erscheinung im Stadtentwicklungs- zyklus zu verorten. Eines der einflussreichsten Phasenmodelle ist jenes nach

Leo van den Berg et al. (1982) mit vier charakteristischen Entwicklungsetappen:

Urbanisierung, Suburbanisierung, Desuburbanisierung und Resuburbanisirung.

Das Modell schließt nicht aus, dass die einzelnen Entwicklungsphasen im städ- tischen Umfeld auch als parallele Phänomene anzutreffen sind (MATTHIESEN

12 et al. 2002: 37). Dies setzt jedoch eine kontinuierliche Wiederkehr der einzelnen

Phasen voraus. Demnach ist die Stadtentwicklung ein zyklischer und kein line- ar voranschreitender Prozess (FASSMANN 2005: 103).

Die erste Phase ist die Urbanisierung, sie ist die älteste und historisch am wei- testen zurückreichende Phase. Während der Urbanisierung kam es zu einem

Bevölkerungswachstum in der Kernstadt, was zu einer baulichen Verdichtung

bzgl. ansteigenden Wohn-

bedarfs und zu einer Konzen-

tration von Funktionen führte.

Die innerstädtischen Freiflä-

chen wurden aufgrund dessen

stark verdichtet, was eine Sen-

kung der Lebensqualität

Abb.1: Phasenmodell der Stadtentwicklung bewirkte. Neben der Verdich- Quelle: Nach VAN DEN BERG aus: FASSMANN 2004: 105 tung der Flächen nahmen die- se innerhalb der Stadt rapide ab, so dass das Bauland verteuert werden musste

(FASSMANN 2005: 103f.)

Damit wurde die Phase der Suburbanisierung eingeleitet. Suburbanisierung aus heutiger Sicht ist ein flächendeckendes Phänomen, das zeitlich und räumlich

(USA vs. Europa) unterschiedlich verläuft und auch in seiner Qualität und In- tensität von Region zu Region Unterschiede aufweist (MARETZKE 2004: 46).

Hervorgerufen werden diese durch politische und ideologische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und rechtliche Gegebenheiten der jeweiligen Staaten. Subur- banisierung ist eine Frage der Menge und eine Funktion von Wohlstand und

Mobilität. Das heißt, dass Suburbanisierung auf der Vollmotorisierung der pri- vaten Haushalte und auf dem Vorhandensein von genügend Bauland im Stadt- umland sowie auf der Wohlstandsentwicklung der Bevölkerung beruht, die den Eigenheimwunsch mit Garten bzw. den Umzugswunsch ins Grüne allge- mein ermöglicht. Für die Suburbanisierung von entscheidender Bedeutung sind

13 aber auch die neuen Formen des Einzelhandels (Factory Outlet Centers, groß- flächige Shopping Malls, etc.), die sich verstärkt im städtischen Umland ansie- deln.

Daran anschließend kann van den Berg zufolge die Phase der Desuburbanisie- rung einsetzen. Darunter versteht man eine großräumige, interregionale De- konzentration der Unternehmen und der Wohnbevölkerung zulasten der Stadt- regionen und nicht mehr allein der großen Städte befinden. Von diesem Phä- nomen profitieren die ländlichen Regionen, die sich in großer Entfernung zu den Einzugsbereichen der großen Städte befinden. Es kommt zu einem Hinaus- schieben der Suburbia ins weiter entfernte Umland bei einer gleichzeitigen funktionalen Abkopplung von der Kernstadt, aufgrund der flächendeckend vorhandenen harten Standortfaktoren.

Die darauf nachfolgende Phase ist die der Reurbanisierung. Sie wird eingeleitet, wenn die Verkehrsbelastung im Umland immens wird, und damit zahlreiche

Staus zu Zeitverlust und starker Umweltbelastung führen. Das Wohnen im

Grünen wird dann nicht minder wenig von Umweltverschmutzung beeinflusst wie es innerhalb der Stadt der Fall ist. Somit wird die Stadt als Wohnort wieder entdeckt. Die Wohnbevölkerung kehrt zurück, die Zahl der Beschäftigten nimmt zu, die städtische Bausubstanz wird durch Sanierung und Modernisie- rung wieder aufgewertet, so dass es zu einem soziodemographischen Wandel innerhalb der Bewohnerstruktur kommt, der mit Gentrification9 gleichgesetzt werden kann (FASSMANN 2005: 104f.).

Zur weiteren Veranschaulichung dieser vier Phasen wird seit neuestem die von

C. PRICE (1998) vorgeschlagene Metapher „The City as an Egg“ herangezo- gen. Dabei werden Stadterweiterungsdynamiken mit Hilfe von vier Ag- gregatzuständen von Hühnereiern dargestellt. Die Phase der Urbanisierung

9 Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte wie Studenten, junge Familien, Alleinerziehende oder Mi-granten durch die neue urbane Elite, dadurch kommt es zu einer sozialen und baulichen Aufwertung von Wohnungen, Häusern und Stadtvierteln. Begriff geprägt durch R. GLASS 1964. 14 wird mit dem Aussehen eines gekochten Eis gleichgesetzt: „die wachsende

Stadt saugt

Bevölkerungsreserven des Umlandes auf“. Dagegen gleicht die Suburbanisie- rung einem Spiegelei: „das Umland wächst, da der (Stadt-)Kern zu einem Eng- pass geworden ist.“ Die

Desuburbanisierung ist gleichzusetzen mit einem

Rührei: „das Hinterland wächst auf Kosten des Bal- Abb.2: Ein morphologischer Prozess nach Cedric PRICE (1998) lungsraums, dies vor al- Quelle: http://www.stb.tuwien.ac.at/lehre/down/stadt_regio/ Skript_01.pdf (20.03.06) lem wegen seinen kumulie- renden Agglomerationsnachteilen.“ Die Reurbanisierung ist ein Omelett: da ei- ne Revitalisierung der Innenstädte einsetzt, die von einer Integration weiter ent- fernter ländlicher Gebiete begleitet wird. Es kommt zu einer Maßstabsvergröße- rung zum nächsten Zyklus. Inzwischen wird noch von einer weiteren, fünften

Phase gesprochen, die der Post-Suburbanisierung. Sie hat das Aussehen einer

Chorizo-Tortilla: verschiedenartige Inseln (Technologie-, Gewerbe-, Wohn- oder Freizeitparks) in der Suburbia, die zu einer gewissen Eigenständigkeit ge- langen.

Trotz der guten Veranschaulichung der Stadterweiterungsprozesse gibt es be- gründete Kritik an diesem pfad- und kontextfreien Zyklen-Modell, das als vor- herbestimmt gilt. Nicht alle Stadterweiterungen können anhand dieses An- schauungsmodells a priori erklärt werden. Es können zwar die Wachstums- und Verteilungsdynamiken des westeuropäischen Städtesystems dargestellt werden, doch bei nachholenden Suburbanisierungstendenzen wie beispielswei- se in Osteuropa gerät das von C. PRICE erschaffene Modell an seine Grenzen, da es zu einfach wäre, westeuropäische erlebte Norm auf andere für lange Zeit unterschiedliche wirtschaftliche, ideologische und politische Systeme zu über- tragen (MATTHIESEN et al. 2002: 37f.).

15 2.6 Aktuelle Tendenzen der Suburbanisierung

Von Suburbia ist bereits bekannt, dass sie dezentral, dispers und flächenauf- wändig wächst und dies vor allem in nicht-zentralörtlichen Gemeinden. Dabei neu hinzugekommen ist das Reifestadium der frühen suburbanen Gemeinden

(DOSCH 2004: 68). Dies drückt sich in der Verknappung der Freiflächen aus, da der suburbane Raum bereits zu einem großen Teil zersiedelt ist. Die Folge ist, dass auf eine weniger flächenaufwändige Bebauung zurückgegriffen werden muss und sich der Wunsch nach einem Eigenheim im Grünen nicht überall mehr in unmittelbarer Nähe zur Großstadt erfüllen lässt. Es ist eine neue weite- re Phase der Stadtentwicklung hinzugekommen, die den Abschluss der Subur- banisierung, die zunehmende Verstädterung des Umlandes, also das Reifesta- dium darstellt (BRAKE et al. 2001: 10). Es handelt sich hierbei um den Begriff der Postsuburbanisierung, der aus den USA stammt. Es wurde damit auf die schwindende Darstellungskraft der Begriffstrias „rural“, „urban“ und „subur- ban“ reagiert, die allein die neu auftretenden Raumtypen im suburbanen Raum nicht mehr charakterisieren können. Das verstädterte Umland ist während der

Suburbanisierungsphase nicht nur gewachsen und weiter verdichtet worden, sondern hat gleichzeitig auch baulich, ökonomisch, kulturell und sozial an Viel- falt gewonnen (ARING und HERFERT 2001: 43).

Suburbs haben sich urbanisiert, wodurch sich der Charakter und das Bild der suburbanen Räume gewandelt haben. Die heutigen Raumtypen der Suburbia sind nicht mehr nur hauptsächlich geprägt von den wenig verdichteten Ein- und Zweifamilienhaussiedlungen, sondern auch von postmodernen Bürohäu- sern, riesigen Shoppingmalls und von Freizeit-, Gewerbe- und Industrieparks mit den dazugehörigen großen Autostellplatzflächen. Für die USA, wo sich die- se Formen im Vergleich zu Europa in überproportionalen Dimensionen, finden lassen, prägte Garreau (1991) den Begriff der Edge Cities. Darunter werden im

Wesentlichen junge, rasant gewachsene, kompakte Orte mit einer vielfältigen wirtschaftlichen Struktur verstanden, in denen es mehr Beschäftigte als Bewoh-

16 ner und demnach auch ein positives Pendlersaldo gibt. Sie trugen dazu bei, dass die Peripherie der Verdichtungsräume neben der politischen auch zuneh- mend eine ökonomische Selbstständigkeit gewinnen konnte (MÜLLER und

ROHR-ZÄNKER 2001: 27).

Edge Cities sind derweil noch spezifisch für die USA und lassen sich in ihrer

Form und Größe in Europa bislang noch nicht finden. Das europäische Raum- muster und Städtesystem ist viel feinmaschiger als das US-amerikanische. Die europäische Peripherie ist großteils gekennzeichnet von traditionellen Mittel- und Kleinstädten, die auch der Ankerpunkt des europäischen Wirtschafts- wachstums sind. Die darüber hinaus übrig bleibenden Freiflächen sind zu klein und das Wachstumspotenzial ist zu gering, als dass sich neue große, vielfältig- dynamische Zentren am Rande der Verdichtungsräume entwickeln könnten, so wie es bei den Edge Cities in den USA der Fall war. Die Entwicklung der west- europäischen Agglomerationsräume wirft Parallelen zu den USA auf, ist aber keine Kopie davon. Es geht zwar auch klar in die polyzentrische Richtung, wird aber aufgrund der hiesigen Raum- und Marktbedingungen sowie der unter- schiedlichen Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand, nie die Maß- stabsdimensionen der USA erreichen (MÜLLER und ROHR-ZÄNKER 2001, 36).

Die fortgeschrittene Suburbanisierung in Westeuropa der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte ist gekennzeichnet von einer Zersiedelung des Weiteren sub- urbanen Umlandes. Der anfänglich äußere Siedlungsbereich ist dabei flächen- deckend noch nicht ausgenutzt. Dem planerischen Idealbild der „dezentralen Konzentration“ wird damit völlig widersprochen. Das von der Stadt weiter ent- fernte beziehungsweise schlechter erschlossene Hinterland wird nun ebenfalls zunehmend suburbanisiert. So, dass BRAKE et al. von einem zweiten Suburba- nisierungsring spricht. Während im Ersten die Suburbanisierung auf die primär besser erschlossenen Umlandgemeinden ausgerichtet war, greift sie im Zweiten nicht zwingend auf die von der Kernstadt weiter entfernten Gemeinden zurück. Es können auch jene in Betracht kommen, die verkehrstechnisch ungünstiger zu erreichen sind, da sie zwischen den zentralen Verkehrsachsen liegen (BRAKE et

17 al. 2001: 8). Daraus ergibt sich, dass sich der zweite Suburbanisierungsring nicht zwingend um den ersten legt, so dass in Suburbia keine konzentrischen son- dern vielmehr sektorale Erscheinungsformen anzutreffen sind. Diese zweite sektorale Suburbanisierungsphase geht zurück auf die Verknappung der Frei- flächen im engeren suburbanen Raum und die daraus resultierenden hohen Bauland- und Immobilienpreise, sodass von potenziellen Suburbaniten10 weite- re Pendlerdistanzen in Kauf genommen werden, wenn dadurch der Bodenpreis sinkt. Hinzu kommt der Aspekt, dass Abkoppelungstendenzen der Suburbia von der Kernstadt feststellbar sind, sodass bei der Standortwahl die Distanz zu den herausgebildeten suburbanen Zentren schon oftmals bedeutender ist als je- ne zur Kernstadt (BRAKE et al. 2001: 17f.). Die einstigen Vororte der Großstadt sind urbanisiert und haben sich zu Orten mit nahezu stadtgleichen Qualitäten entwickelt. Sie gehören zu den neuen postsuburbanen Zentren, die sich aus ih- rer Abhängigkeit von der Ursprungsstadt gelöst haben und gleichzeitig mit ihr ein neues Verhältnis von Wechselwirkungen eingegangen sind (BRAKE et al. 2001: 14). Während bei der traditionellen Suburbanisierungsphase von der Kernstadt ins Umland gewandert wurde, kommt es nun auch verstärkt zu Wohn- und Ge- werbeansiedlungen von außerhalb der Stadtregion. Dies weist auf die Attrakti- vität nicht mehr allein der Kernstadt, sondern auch ihres Umlandes hin. Unter- strichen wird diese Attraktivität durch die Tatsache, dass viele Suburbaniten die Kernstadtbereiche mit höchster Zentralitätsstufe nur noch selten aufsuchen. Sie bilden, arbeiten, versorgen und erholen sich vielmehr innerhalb Suburbias. Dadurch kommt es zu einem Anstieg der tangentialen Verkehrsverbindungen. Die jahrzehntelange Dominanz der radialen Verbindungen zwischen Kernstadt und Umland wird nun zunehmend von den „suburb-to-suburb“-Verbindungen gebrochen (HESSE 2004: 38), was wiederum ein Indiz für die Loslösung Subur- bias von der Kernstadt darstellt. Wenn diese vollständige Abkopplung eintritt, wird aus Suburbia die Postsuburbia.

10 Begriff geprägt von FRIEDRICHS 1975: ursprünglich Bewohner der Suburbia, hier erweitert auf Un- ternehmer 18 2.7 Die Bevölkerungs- oder Wohnsuburbanisierung

Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn - aber abends zum Kino hast dus nicht weit.

(...) Kurt Tucholsky (aus: „Das Ideal“,

1927)

Kurt Tucholsky sprach schon in den 1920er Jahren von den Bedürfnissen der

Menschen nach großflächigem Wohnraum im Grünen, in landschaftlich- attraktiver Lage, aber dennoch ohne Verzicht auf Kultur und die Vorzüge der

Stadt. Er sprach von der Sehnsucht beides zu vereinen, das Städtische mit dem

Ländlichen.

So unterscheiden sich die Wünsche nach knapp einem Jahrhundert nicht we- sentlich von damals. Es ist ein Abwägen des Für und Widers einer Standortent- scheidung. Nicht von vornherein wird ausschließlich der suburbane Raum als neuer Wohnstandort präferiert, oftmals versucht man auch die Wohnwünsche in der Kernstadt zu verwirklichen, scheitert dabei des Öfteren jedoch an der fi- nanziellen Machbarkeit und weicht auf Suburbia aus. Demnach ist die Wohn- suburbanisierung weitgehend eine Folge der vorherrschenden Gegebenheiten des regionalen Wohnungsmarkts. Wohnraum und Wohnfläche wie die Immo- bilien- und Bodenpreise sind in der Kernstadt um wesentlich teurer zu erwer- ben als im angrenzenden Umland (FRIEDRICHS 1995: 105).

Der Wohnungswechsel und die damit verbundene Wohnflächen- und Wohn- umfeldaufwertung, liegen im Wunsch nach Veränderung des sozialen Status’ und/ oder der Stellung im Lebenszyklus eines Menschen begründet (FRIED-

RICHS 1975). Es ist mitunter ein Drahtseilakt, zwischen den Pull- und Pushfak- toren für oder gegen das Umland beziehungsweise die Kernstadt zu entschei- den. So will man doch beides: Wohnen im Grünen, wo Kinder beruhigt auf- wachsen können, eine Nähe zur Natur ohne Autoabgase und Umweltver- schmutzung, eine Ruhe fernab vom hektischen Großstadt-, Verkehrs- und Bau- 19 lärm aber auch Sicherheit ohne Angst vor Kriminalität zu haben. Trotzdem möchte man auf das vielfältige Leistungsangebot der Kernstadt nicht verzich- ten, das sich unter anderem im Bereich der Versorgung, Bildung, Kultur, Ge- sundheit und in einem zumeist breiteren Arbeitsplatzangebot äußert (MA-

RETZKE 2004: 46). Das oberste Ziel ist aber eine Verbesserung der Wohnfläche, des Wohnraums, der Wohnqualität und des Umfelds. In der Stadt sind die

Wohnungen häufig zu klein und der Wohnkomfort der Altbauwohnungen ent- spricht zumeist nicht mehr den heutigen Vorstellungen. Dabei sind die Mieten und Bodenpreise hoch und steigen nach entsprechenden Sanierungs- und Auf- wertungsmaßen nochmals an. Hinzu kommen der Flächenmangel, Nutzungs- konflikte, Planungsrestriktionen oder schwierige Verkehrssituationen, die eine

Verwirklichung des Wohnstandorts „Stadt“ zusätzlich erschweren. Im subur- banen Raum hingegen sind die Bodenpreise niedriger, der gestiegene Wohnflä- chenbedarf lässt sich auch dank Eigenheimförderung leichter verwirklichen.

Eine gute Verkehrsanbindung im Bereich des ÖPNVs und des MIVs11 zwischen

Suburbia und Kernstadt erleichtern die Entscheidung für den suburbanen

Raum (MARIK 2001: 8).

Oft wurde Wohnsuburbanisierung gleichgesetzt mit Stadtflucht, Stadt-Umland-

Wanderung besser verdienender Familien und Einfamilienhaussiedlungen am

Stadtrand. Der Eigenheimsektor ist zwar nach wie vor ein klassisches Charakte- ristikum der Wohnsuburbanisierung, dennoch wird die Sozialstruktur der Su- burbaniten immer heterogener. Es wandern nicht mehr nur junge Familien mit

Kindern in den suburbanen Raum wie es in Europa verstärkt in den 1960er bis

1980er Jahren der Fall war (FRIEDRICHS 1995, 105 sowie ARING und HER-

FERT 2001: 50), sondern heutzutage lassen sich in Suburbia meist in Mietwoh- nungen auch Singles, Alleinerziehende oder Zweipersonenhaushalte nieder.

Trotz allem ist der suburbane Raum nach wie vor durch das dominierende

Vorherrschen von Ein- und Zweifamilienwohnhäusern gekennzeichnet.

11 Öffentlicher Personennahverkehr und Motorisierter Individualverkehr 20 Neben der Auslagerung der Wohnfunktion siedelten sich in den letzten Jahr- zehnten auch verstärkt Gewerbe und Handel in Suburbia an. So ist es auch nicht verwunderlich, dass man nicht mehr nur im Umland der Städte wohnt, sondern auch dort arbeitet und sich versorgt. Hinzu kommt, dass Suburbia auch für die Kernstadtbevölkerung als Arbeitsort an Attraktivität gewinnt

(DANGSCHAT 2004: 13). So ist nach HESSE (2004:: 38) die Kernstadt nicht mehr räumlicher Ausgangspunkt der Alltagsorganisation, vielmehr legt sich das individuelle Netz von Aktivitäten über die gesamte Stadtregion. Ermöglicht wurde dies über gut ausgebaute Verkehrswege und die Motorisierung der meisten Haushalte. Dadurch konnte ein selektives Raumnutzungsmuster ent- stehen, dass auch als ‚Regionalisierung von Lebensweisen’ gesehen werden kann: „Wohnen im Grünen, Arbeiten entweder dort oder in der Kernstadt,

Freizeit im suburbanen Raum, aber auch in den metropolitanen Kulturzentren.“

(HESSE 2004 : 38 f.).

Die Wohn- oder Bevölkerungssuburbanisierung brachte dem Umland der gro-

ßen Städte seit den 1970er Jahren einen steten Bevölkerungszuwachs, während in vielen Kernstädten Westeuropas das Bevölkerungswachstum zurückging

(LOOTSMA 2004: 6 und DOSCH 2004: 68). Dies führte zu Steuerverlusten für die Kernstädte, obwohl sie weiterhin zumeist der Arbeitsort vieler Suburbani- ten blieb12. Im Zuge der Wohnsuburbanisierung kam es weiterhin zu einem er- höhten Verkehrsaufkommen aufgrund der Pendlerströme und dadurch wie- derum zu einer Belastung der Umwelt. Mitunter wurden wichtige Naturräume zerschnitten und der Grundwasserspiegel durch die immense Bautätigkeit ver-

ändert. Zudem erforderte die Ausweisung neuer Siedlungsgebiete eine ange- messene Erschließung. Dies zeigt, dass Infrastruktur- und Siedlungsentwick- lung einander bedingen. Beide hingegen führen jedoch zur Flächenversiegelung des suburbanen Raumes (DANGSCHAT 2004: 2).

12 die Lohnsteuer entfällt auf die Gemeinde, in der der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat 21 2.8 Die Wiener Suburbia

Die Suburbanisierung hat in Wien im Vergleich zu den USA oder den deut- schen Städten spät eingesetzt, verändert seit den 1990er Jahren das Wiener Um- land jedoch durchaus dynamisch. Gründe dafür waren, dass Wien innerhalb seiner administrativen Grenzen über ausreichende Baulandreserven und Frei- flächen für Betriebsansiedlungen verfügte. Zwar gab es bereits in den 1960er

Jahren erste verstärkte Tendenzen der Stadt-Umland-Wanderung einiger

Haushalte, die sich auf das Konto des Wirtschaftswunders13 zum einen und auf die Vollmotorisierung zum anderen zurückführen lassen, doch spielten diese im europäischen Vergleich eher eine untergeordnete Rolle. (MARIK 2002: 283).

Primär erfolgte die Wiener Suburbanisierung entlang der radial ausstrahlenden

Bahnlinien. Das heißt entlang der Westbahn Richtung , der Nord- westbahn Richtung Stockerau, entlang der Nordbahn Richtung Gänserndorf und entlang der Franz-Josefs-Bahn ins südliche Tullnerfeld. Dabei vollzog sich die Suburbanisierung im Bereich um Stockerau und dem Tullnerfeld in den letzten zehn Jahren besonders dynamisch. Die wichtigste Entwicklungsachse von Suburbia ist jedoch zweifelsohne die gen Süden. Innerhalb der südlichen

Suburbia ist die stärkste Bevölkerungskonzentration innerhalb der Wiener Ag- glomeration zu verbuchen. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die

Südbahnstrecke Richtung Mödling, Baden und Wiener Neudorf von einer lan- gen urbanen Tradition geprägt ist, sodass Kleinstädte und Industrieanlagen keine Seltenheit sind. Aufgrund der Straßenbahnverbindung „Badener Bahn“ ist der Wiener Süden schon sehr früh mit Suburbanisierungstendenzen kon- frontiert gewesen. Es entstanden innerhalb dieser Region schon vor 1918 Villen und Landhäuser der Wiener Elite (MARIK 2002: 284 f.).

Begünstigt wurde die Suburbanisierung neben dem Eisenbahnausbau auch durch die infrastrukturelle Verbesserung im motorisierten Individualverkehrs-

13 Wohnsitzwechsel begünstigt durch Eigenheimzulage der öffentlichen Hand und andere steuerlichen Beihilfen wie zum Beispiel Pendlerpauschalen 22 netz, wie beispielsweise durch den Bau der Süd- und Westautobahn, der B1714 sowie des Flughafens Schwechat.

Die Gemeinden abseits der Verkehrsachsen wurden dagegen, wenn überhaupt, erst sehr spät von (Wohn-)Suburbanisierungstendenzen ergriffen. So waren

Suburbanisierungsprozesse in den südwestlichen Wienerwald-Gemeinden

Gaaden, Heiligenkreuz oder Laab im Walde erst in den 1970er Jahren zu be- merken (MUSIL 2002: 44).

Seit den 1980er und frühen 1990er Jahren kam es im Wiener Umland und dies vor allem wiederum im Süden der Stadt zu suburbanen Sättigungserscheinun- gen. Dies ist zum wesentlichen Teil auf die Wohnsuburbanisierung zurückzu- führen, aber auch auf die seit den 1970er Jahren verstärkte Umlandwanderung von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, die aufgrund ihres gestiege- nen Flächenbedarfs und der hohen Grundstückspreise in der Kernstadt in die

Suburbia auswichen. Baulandreserven waren größtenteils aufgebraucht, Immo- bilienpreise stiegen sukzessive an, so dass die Suburbanisierung auf Bereiche außerhalb der Verdichtungsachsen ausweichen musste, wie beispielsweise auf die Wienerwaldgemeinden (MUSIL 2002: 45). Diese Gebiete verfügten noch

über größere Freiflächenreserven und die Bodenpreise waren wesentlich güns- tiger. Andererseits veränderte sich in den frühen Suburbanisierungsgemeinden wie in Mödling die Bauweise. So wich der über Jahrzehnte bestehende großflä- chige Einfamilienhausbau größtenteils dem verdichteten Wohnbau. Aufgrund des Bauflächenmangels versucht man in den letzten Jahren vor allem in der südlichen Suburbia dichter und höher zu bauen, was jedoch mitunter auf mas- siven Widerstand der Bevölkerung stößt (MAYER 2004: 12).

Festzuhalten ist, dass das Einfamilienhaus im Wiener Umland nach wie vor die dominante Siedlungsform ist und dies zudem überwiegend in offener Verbau- ung am Ortsrand. Hinzu kommt, dass in Österreich nach 1945 der Einfamilien- hausbau überwiegend in privater Hand verblieb, da kommunale und genossen-

14 südliche Bundesstraße Wien - Wiener Neustadt 23 schaftliche Bauträger diese Bauweise als unwirtschaftlich ansahen. Aufgrund dessen ist eine zunehmend disperse Ausweitung der Suburbanisierung nicht verwunderlich, da jeder Grundstückseigentümer sein Grundstück nach den

Richtlinien des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes so verbauen kann, wie es ihm beliebt ganz gleich ob das Bauland dabei optimal ausgenutzt wird oder nicht (MARIK 2002: 287).

Das Wiener Umland ist gekennzeichnet von einer traditionellen klein- bis mit- telstädtischen und dörflichen Kulturlandschaft, die jedoch zu einem großen Teil bereits von suburbanen Wohn-, Gewerbe- und Industriebauten sowie kompli- mentierend von Shopping-Centern überformt wurde. So trifft man auch in der

Wiener Suburbia auf Subzentren wie den Businesspark Wien-Süd CAMPUS 21 in Brunn am Gebirge (potenzieller Arbeitsplatzgeber für die Wiener oder Su- burbaniten), die Tendenzen einer Verselbstständigung und Loslösung des Um- landes von der Kernstadt bilden. Er ist in der Wiener Suburbia jedoch bisweilen das einzige Subzentrum dieser Art, wo sich das Umland von der Kernstadt löst.

Laut Bevölkerungsprognosen der ÖROK 2001-2031 wird die Suburbanisie- rung auch weiterhin andauern und der Wiener Agglomerationsraum weiter wachsen, verstärkt im äußeren suburbanen Raum (ÖROK-Prognose 2004: 66).

Obwohl die Siedlungsexpansion positive Effekte wie Wirtschaftswachstum oder Erhöhung der Wohnqualität15 hervorbrachte, besteht Handlungsbedarf, da es im Zuge der Suburbanisierung auch zu vielen negativen Auswirkungen kam. So ist der Flächenverbrauch intensiver, die Landschaft unterliegt einer starken Zersiedlung und Versiegelung, was unter anderem Hochwassergefah- ren hervorruft. Zusätzlich wird durch den anwachsenden Individual- und Gü- terverkehr die Umwelt verstärkt belastet. Die Landschaft wird rücksichtslos vereinnahmt, Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden zerstört, aber auch die Siedlungs-, Bau- und Wohnformen der Ortschaften in Suburbia verändern sich fortwährend (MAYER 2004: 15 und MAYER 2004: 67f.). Erschwerend

15 Erhöhung der Wohnnutzfläche, Wohnraumanzahl und der Ausstattungskategorie gegenüber der Stadt 24 kommt hinzu, dass alle steuernden raumordnerischen Maßnahmen auf regiona- ler Ebene aufgrund der hohen Gemeindeautonomie und der politisch unter- schiedlich gesonnenen Bundesländer Wien und Niederösterreich16 wirkungslos bleiben (FASSMANN 2004: 4). Inwiefern das Instrumentarium Landschafts- schutzgebiet auf die Suburbanisierung einwirken kann und Auswirkungen zeigt, soll innerhalb dieser Arbeit am Beispiel des Wienerwaldes geklärt wer- den.

3. Schutzgebiete und Auswirkungen auf die Raumordnung

3.1 Annäherung an die Begrifflichkeit des Landschaftsschutzge- biets

Um hinter die Bedeutung des Begriffs Landschaftsschutzgebiet zu gelangen, ist es hilfreich sich mit der begrifflichen Zusammensetzung des Wortes auseinan- derzusetzen. So wird im Allgemeinen unter „Landschaft“ eine Region, eine erd- räumliche Gesamtheit oder aber auch nur der bildliche Eindruck eines begrenz- ten Gebietes verstanden. Berücksichtigt werden muss jedoch die Tatsache, dass es dabei zwei unterschiedliche Betrachtungsmöglichkeiten gibt: nämlich die

Landschaft als Naturlandschaft oder als die vom Menschen geprägte und ge- formte Kulturlandschaft anzusehen. Unter Landschaftsschutz versteht man

„allgemein Maßnahmen zur Erhaltung und Pflege der natürlichen und kulturel- len Eigenart einer Landschaft“ (DIERCKE-Wörterbuch 2001: 439 und 451), so dass diese in Hinblick auf das Prinzip der Nachhaltigkeit17 nicht verloren geht.

Aufgrund dessen soll durch die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten und deren rechtlichen Parametern der Schutz von Natur und Landschaft ge-

16 Wien wird SPÖ - regiert, hingegen Niederösterreich von der ÖVP 17 Nachhaltigkeit ist gleichzusetzen mit der Zukunftsfähigkeit einer modernen Gesellschaft und bedeutet soviel wie nicht zu Lasten zukünftiger Generationen zu leben. Das bedeutet u.a., mit Rohstoffen äußerst sparsam umzugehen, möglichst nur noch erneuerbare Energiequellen zu nutzen und so wenig wie mög- lich umweltschädlichen Müll und gasförmige Schadstoffe zu hinterlassen. Auch die Bewahrung der Ar- tenvielfalt, intakter Böden, Gewässer und Wälder, sowie des labilen Klimasystems und der schützenden Ozonschicht gehört zu den Pflichten der Nachhaltigkeit (nach der Brundtland-Kommission 1987). 25 währleistet werden. Im Allgemeinen wird unter einem Landschaftsschutzgebiet ein „gesetzlich geschützter und eindeutig abgegrenzter, meist größerräumiger

Landschaftsraum, oft mit Erholungsgebietscharakter, der über ein charakteristi- sches Landschaftsbild verfügt“, verstanden, der „ebenso wie der Naturhaushalt in der Landschaft, vor nachhaltig schädigenden, wesentlichen Eingriffen durch wirtschaftliche und sonstige raum- und ökosystemwirksame Aktivitäten des

Menschen geschützt werden […]“ soll (vgl. DIERCKE-Wörterbuch 2001: 451).

Deswegen wurden Landschaftsschutzgebiete sowohl in Österreich als auch in

Deutschland als rechtsverbindliche Instrumente ausgewiesen. Dennoch beste- hen Unterschiede in der Gesetzesgrundlage zwischen den beiden Republiken auf die nachfolgend kurz eingegangen wird.

3.1.1 Naturschutzrecht und Landschaftsschutzgebiete - Deutschland vs. Österreich

Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Staaten ist die Tatsache, dass alle deutschen Bundesländer zwar ihre eigenen (Landes-) Naturschutzgesetze ha- ben, diese jedoch dem Bund unterstehen, da es in Deutschland ein einheitlich gültiges Bundesnaturschutzgesetz (BNschG) gibt. In Österreich hingegen fehlt die Bundeskompetenz völlig, Naturschutz ist hier komplett Ländersache.

Das deutsche Bundesnaturschutzgesetz jedoch versteht sich gemäß §75 des

Grundgesetzes als ein Rahmengesetz des Bundes und beinhaltet die bundes- weit geltenden Grundregeln des gesetzlichen Naturschutzes sowie die Vorga- ben für die Naturschutzgesetzgebung der Bundesländer.

Im österreichischen Bundesverfassungsrecht ist der Begriff des Naturschutzes und in weiterer Folge auch der des Landschaftsschutzes nicht definiert bezie- hungsweise noch nicht einmal erwähnt. Aufgrund dessen fällt er unter die Ge- neralklausel des Art. 15 Abs. 1 B-VG18 und somit in die Gesetzgebung- und

18 Artikel 15 (B- VG): „Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbstständigen Wir- kungsbereich der Länder“. 26 Vollziehungszuständigkeit der Bundesländer (BUSSJÄGER 1995: 17 sowie

LIEHR et al. 1986: 17). Es gibt in Österreich daher im Gegensatz zu Deutschland kein Bundesnaturschutzgesetz, das Rahmenvorschriften vorgibt, die im jeweili- gen Landesnaturschutzrecht umzusetzen sind. Vielmehr haben die Bundeslän- der in Österreich ihre eigenen individuellen Naturschutzgesetze, die zudem un- terschiedlich in ihrem Aufbau und Inhalt sind. Dies führt unter anderem zu

Problemen zwischen den Ländern beispielsweise im Hinblick auf ein landes- grenzenüberschreitendes Naturschutzvorhaben wie der Schaffung eines grenz-

überschreitenden Landschaftsschutzgebietes oder Nationalparks (SCHACHT

1997: 8). Aber auch im Bereich der Umsetzung von EU-Richtlinien erweist sich das unkoordinierte Vorgehen zwischen Bund und Ländern als nachteilig was zuletzt die Klage der EU-Kommission im Juli 2004 bezüglich mangelnder Um- setzung der Vogelschutz- und Habitatrichtlinie in Österreich bestätigte. Grund dafür ist, dass internationale Übereinkommen zum Schutz von Natur und

Landschaft, im Einverständnis der Bundesländer, durch den Bund erfolgen, der auch die dafür notwendigen Gesetze verabschiedet, die nationalen Natur- schutzbestimmungen hingegen jedoch die Länder regeln (AUBRECHT et al.

2002: 18).

Landschaftsschutzgebiete und somit der Landschaftsschutz in Österreich sind

Bestandteil der einzelnen Landesnaturschutzgesetze oder wurden wie im Bun- desland Vorarlberg als ein eigenes Landschaftsschutzgesetz erlassen. Im All- gemeinen versteht man in Österreich laut ÖROK-Definition unter einem Land- schaftsschutzgebiet einen „Teil der Landschaft, der sich durch hervorragende landschaftliche Schönheit oder Eigenart auszeichnet und/ oder besonderen Er- holungswert hat. In solchen Gebieten (Kulturlandschaft) soll der Mensch als gestaltender Faktor erhalten bleiben, das heißt, bisherige Nutzungen (nach Art und Ausmaß) werden beibehalten. Neue Nutzungen und Vorhaben bedürfen einer Bewilligung.“ (SCHACHT 1997: 12). Diese Ausführung kommt, trotz ge-

27 gebenen Abweichungen, den jeweiligen Landesdefinitionen eines Landschafts- schutzgebiets recht nahe.

Etwa 25 Prozent der Fläche Österreichs stehen in den verschiedenen Kategorien des Gebietsschutzes unter Schutz. Landschaftsschutzgebiete sind dabei unter allen anderen Schutzgebietskategorien wie Naturschutzgebiet oder Natur- denkmal19 etc. flächenmäßig am weitesten verbreitet. So gab es im Dezember

2000 253 Landschaftsschutzgebiete mit einer Flächengröße von 9.120 km², was rund elf Prozent der Gesamtfläche Österreichs ausmacht (http://www.umwelt bundesamt.at/umweltschutz/naturschutz/schutzgebiete/landschaftsschutz

21.04.06).

Nachstehende Karte zeigt die Verortung aller Landschaftsschutzgebiete inner- halb der österreichischen Landesgrenzen.

Abb.3: Übersicht über Landschaftsschutzgebiete in Österreich mit eigener Heraus- hebung des LSG Wienerwald Quelle: http://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/naturschutz/schutzgebiete/ landschaftsschutz (28.04.2006)

19 Diese drei Schutzgebietskategorien existieren in allen neun Bundesländern, alle anderen Kategorien (Naturparke, Biosphärenreservate etc.) beschränken sich auf ein oder mehrere Länder. 28 3.2 Der Landschaftsschutz in Österreich

Um die Landschaft zu schützen sowie die unterschiedlichen Naturschutzbe- strebungen zu gewährleisten, bedarf es rechtlicher Grundlagen. Diese reichen von nationalen Naturschutzbestimmungen für den Arten-, Biotop- oder Land- schaftsschutz bis hin zu internationalen Übereinkommen wie beispielsweise der

Umsetzung von Biosphärenreservaten. Alle Gebiete die den jeweiligen Schutz- gebietskategorien nach nationalen Bestimmungen zugehörig sind, werden durch Verordnung der Landesregierung oder durch Verordnung bzw. Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörden unter Schutz gestellt, so auch das Land- schaftsschutzgebiet (AUBRECHT et al. 2002: 18).

3.2.1 Geschichtlicher Abriss

Der Landschaftsschutz darf nicht als historischer Kern des Naturschutzrechts gesehen werden. Die Landschaft als solche wurde erst relativ spät als eine schützenswerte Kategorie ins Naturschutzrecht mit aufgenommen. Zwar wur- de der Schutz des Landschaftsbildes bereits 1924 im niederösterreichischen Na- turschutzgesetz erwähnt. Man verstand darunter aber nur die Erhaltung eines schönen Landschaftsbildes, sodass gegebenenfalls Bauwerke an ihre natürliche

Umgebung anzupassen waren.

Einen Gebietsschutz gab es erst mit dem Reichsnaturschutzgesetz (RNG) 193920, wo es nach §5 besonders wertvolle Landschaftsteile, wenn diese zur Zierde oder zur Belebung des Landschaftsbildes beitrugen, zu schützen galt (BUSSJÄ-

GER 1995: 16). Die ersten Naturschutzgesetze hatten zwar Regelungen über Na- turdenkmäler und Naturschutzgebiete inne, das RNG jedoch gewährte als Er- neuerung auch den Schutz einzelner Landschaftsteile, die zwar als Natur- denkmal oder Naturschutzgebiet nicht in Betracht kamen, aber doch wertvoll waren und stellte diese ebenfalls unter Schutz (BUSSJÄGER 1995: 12).

20 mit 17.02.1939 wurde in ganz Österreich das 1935 geschaffene deutsche Reichsnaturschutzgesetz ein- geführt 29 Da das RNG ein durchaus fortschrittliches, zukunftsweisendes Gesetz war und nur wenig NS-Jargon enthielt, ging es nach 1949 nahezu unverändert in das ös- terreichische Recht als landesgesetzliche Regelung ein und wandelte sich somit in neun einzelne Landesnaturschutzgesetze. Erst in den 1960er und 1970er Jah- ren wurde das RNG durch andere landesgesetzliche Regelungen abgeändert oder ersetzt, seine Institutionen sind aber im Wesentlichen bestehen geblieben.

Als wesentliche Neuerung dieser Zeit ist der umfassende Landschaftsschutz zu sehen. Nicht mehr einzelne Teile sondern die Landschaft als Ganzes, als eigene

Schutzgebietskategorie wurde seit Anfang der 1970er Jahre in die landesgesetz- lichen Naturschutzregelungen mit aufgenommen (BUSSJÄGER 1995: 13).

Festgehalten werden kann, dass die Entwicklung des Landschaftsschutzes von einem punktuellen Eingriffsschutz (Bewilligungspflichten für bestimmte Ein- griffe) besonders bedeutender Landschaftsteile zu einem immer umfassenderen

Flächenhaften (Bewilligungspflichten für alle Eingriffe in bestimmten Zonen) verlief. Dabei wurde der flächenhafte Gebietsschutz jedoch erst recht spät um- gesetzt, als große Teile der Landschaft bereits aufgrund der Industrialisierung, der Zersiedelung und Versiegelung in den Alpen zerstört waren. Die Begrün- dung dafür liegt unter anderem in dem erst ab den frühen 1970er Jahren beste- henden Reglement von umfassenden Bewilligungspflichten hinsichtlich stören- der Eingriffe in die Landschaft.

Neben den Bewilligungspflichten enthalten die landesschutzrechtlichen Rege- lungen auch bestimmte Verbote zum Schutz der Landschaft, bei denen es sich oftmals allgemein um die Verunstaltung der freien Landschaft handelt. Trotz- dem sind die Natur- und Landschaftsschutzgesetze der Länder von einem tat- sächlich umfassenden Schutz der freien Natur und Landschaft großteils noch immer weit entfernt (BUSSJÄGER 1995: 16ff. und BUSSJÄGER 2001: 39).

30 3.2.2 Naturschutz und Raumordnung

Neben dem Naturschutz ist auch die österreichische Raumordnung keine Auf- gabe des Bundes, da auch sie in der Bundesverfassung keine Erwähnung findet.

Dies besagt die Generalklausel des Art. 15, Abs. 1 des B-VGs, wonach all jene

Materien, die nicht implizit in der Bundesverfassung benannt werden, dem selbstständigen Wirkungsbereich der Bundesländer zugewiesen werden. An- ders als in föderalistisch organisierten Staaten wie beispielsweise Deutschland oder der Schweiz hat der Bund in Österreich demnach keine Rahmenkompe- tenz im Bereich der Raumordnung und des Naturschutzes. Auch innerhalb die- ses Bereiches wäre eine Bundesraumordnung, wie es sie in Deutschland gibt, von Nöten, um sowohl Probleme wie Flächenzersiedelung oder

Unkoordiniertheit der jeweiligen Landesraumordnungsgesetze als auch deren unterschiedliche Bezeichnungen einzudämmen.

In Österreich ist Raumordnung daher Aufgabe der Länder, die entsprechende

Raumordnungsgesetze (ROG) verabschieden, die als Grundlage und rechtlicher

Rahmen für die eigenständige Ausgestaltung der jeweiligen Landesraumord- nung dienen, ebenso bei den Landesnaturschutzgesetzen.

Beide Materien dürfen nicht losgelöst voneinander gesehen werden, vielmehr bedingen sie einander aufgrund ihrer zahlreichen Überschneidungen. Sicher haben beide Materien auch Aspekte, die nur peripher miteinander zu tun ha- ben. Doch kann mit Raumordnung die planmäßige und vorausschauende Ges- taltung eines Gebietes zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung und zur

Sicherung des Lebensraumes gleichgesetzt werden (ÖROK 2002: 138). Und ebenso verfolgt der Naturschutz das Ziel den Landschafts- und Lebensraum zu sichern, indem er jenen unter Schutz stellt.

Naturschutz hat heute einen gesellschaftspolitischen Anspruch erlangt, wes- halb es nicht verwunderlich ist, dass er seinen Eingang in die Raum- und Land- schaftsplanung gefunden hat und mit den Instrumenten der Landschaftspla- nung und –pflege in den meisten österreichischen Naturschutzgesetzen veran-

31 kert ist. Daher stellen die bereits benannten Gebietsschutzkategorien wie Na- turschutzgebiete, Naturdenkmäler, geschützte Landschaftsteile oder Land- schaftsschutzgebiete neben Instrumenten des Naturschutzes auch Planungsin- strumente dar, mit denen wirkungsvolle ökologische Raumplanung betrieben werden kann. So gelten beispielsweise nach §4 des OÖ. Naturschutzgesetz

(LGBl. Nr. 37/95) „Naturschutzrahmenpläne als Raumordnungsprogramme für

Sachbereiche“.

Von besonderer Bedeutung für den Naturschutz ist auch die Regelung, dass in einigen Bundesländern alle Flächen außerhalb von Bauland und Verkehrsflä- chen als Grünland besonderen naturschutzrechtlichen Bestimmungen unter- worfen sind, wodurch der landschaftsplanerische und -pflegerische Hand- lungsspielraum entscheidend verbessert und erweitert wurde (BUSSJÄGER

1995: 29ff.). Diese ersten Bemühungen, naturschutzrechtliche Bestimmungen mit raumordnungsrelevanten Fragestellungen in Verbindung zu setzen, signa- lisieren einen wichtigen und zukunftsweisenden Weg um nachhaltig mit der

Materie Raum umgehen zu können.

Von immenser Wichtigkeit ist, dass es entsprechend dem Beispiel einiger Bun- desländer zu einer bundesweit allgemein gültigen Verknüpfung zwischen Na- turschutz und Raumordnung kommt, da diese in einer wechselseitigen Inter- dependenz zueinander stehen sowie einander bedingen (BUSSJÄGER 1995: 30).

Im Bereich der örtlichen Raumordnung fehlt die Verbindung zwischen

Naturschutz und Raumordnung zudem nahezu ganz, sodass auch hier umge- hender Handlungsbedarf erforderlich ist. Zwar sind in Flächenwidmungsplä- nen Natur- und Landschaftsschutzgebiete zu berücksichtigen. Die naturräumli- che Grundlagenforschung hingegen beruht auf sehr vagen Formulierungen, wie, dass „bei allen Eingriffen und Maßnahmen der örtlichen Raumordnung es den Naturraum zu berücksichtigen und schonend zu nutzen“ gilt. Nach man- chen Landesgesetzen haben naturschutzrechtliche Festlegungen wie beispiels- weise der Schutz des Grünlandes im Rahmen der Anzeige- und Bewilligungs-

32 pflicht von Maßnahmen im Bereich des Grünlandes einen direkten Einfluss auf die örtliche Raumordnung. In den Raumordnungsgesetzen sind hingegen Rege- lungen im Sinne des Naturschutzes zu allgemein gefasst bzw. fehlen gänzlich.

Dieser Zustand muss dringend überdacht und erneuert werden. So sollte die

Landschaftsplanung im Rahmen der Raumordnung als ökologisch- strukturelles, querschnittsorientiertes Fachinstrument berücksichtigt werden, wie beispielsweise bezüglich der Integration des Natur- und Landschafts- so- wie des Umweltschutzes als „zuständige“ Fachplanung (sektorale) in der örtli- chen und überörtlichen Raumordnung (vgl. SCHACHT 1997: 15).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Raumordnung wie der Natur- schutz Querschnittsmaterien sind, deren Überlappungsbereiche es sinnvoll zu kombinieren gilt, um einen nachhaltigen Schutz der Landschaft auch für die nachfolgenden Generationen garantieren zu können. So sind die Interessen des

Naturschutzes – innerhalb der Länder graduell unterschiedlich - wesentliche

Inhalte der meisten österreichischen Raumordnungsgesetze, doch bedarf es bei den Planungsinstrumenten noch einiger Abstimmung zwischen den Ländern.

Dies vor allem im Bereich der Definition ihrer „Inhalte“, innerhalb der Bezeich- nung der Planung sowie bei ihrem Stellenwert. Besondere Wichtigkeit erlangt die Abstimmung und Vereinheitlichung bei grenzüberschreitenden Gemein- schaftsvorhaben der Länder. Daher ist es von maßgeblichem Interesse, die In- strumente der Landschafts- und Raumplanung bundesweit abgestimmt in den

Raumordnungsgesetzen zu verankern. Naturschutz und Raumordnung sollen daher nicht mehr isoliert, sondern als „übergeordnete, umsetzungsorientierte“

Gesamtplanung angesehen werden (SCHACHT 1997: 15).

3.2.3 Naturschutzrechtliche Implikationen auf den Flächenwid- mungsplan im niederösterreichischen Raumordnungsgesetz

Die Raumordnung in Österreich ist hierarchisch aufgebaut und zudem zweige- teilt. So gibt es eine überörtliche und eine örtliche Raumordnung. Sie untersteht

33 wie bereits zuvor erwähnt nicht dem Bund, so betreibt dieser doch in Hinsicht auf Bundesstraßen- und Schienenausbau, öffentlichen Einrichtungen oder bzgl.

Regeln des Finanzausgleiches Raumordnung. Da (überörtliche) Raumordnung allerdings Landessache ist, ebenso wie der Naturschutz, gibt es von beiden Ma- terien neun verschiedene Gesetze, für jedes Bundesland eines. Die Raumord- nungsgesetze sehen auf überörtlicher Ebene verbindliche Pläne vor, deren In- halte die nachgeordneten Pläne auf Gemeindeebene binden. Sie sind somit dienlich, um Grundsätze und Ziele aufzustellen, die einen Rahmen für die örtli- che (Gemeinde-)Planung vorgeben sollen. Träger der überörtlichen Raumord- nung ist wie zuvor erwähnt die Landesregierung, welche im Zusammenhang mit der Raumordnung unterschiedliche Funktionen auszuüben hat. So tritt sie als Planungsbehörde für die überörtliche Raumordnung in Erscheinung, ist zu- dem Aufsichtsbehörde für die örtliche Raumordnung und übt weiters eine Be- ratungs- und Unterstützungstätigkeit für die Gemeinden aus.

Der Flächenwidmungsplan ist im Land Niederösterreich, welches im Rahmen der Diplomarbeit besondere Beachtung findet, neben dem Örtlichen Entwick- lungskonzept und dem Bebauungsplan Bestandteil der örtlichen Raumord- nung, welcher den Gemeinden obliegt. In Österreich herrscht aufgrund Art 118

Abs. 3 Z 9 B-VG eine ausgesprochene Gemeindeautonomie, wodurch die Ge- meinden befugt sind im Rahmen der Bundes- und Landesgesetze örtliche

Raumordnung im eigenen Wirkungsbereich auszuüben. In Niederösterreich gibt darauf aufbauend das Land mittels dem Niederösterreichischen Raumord- nungsgesetz 1976 §13 einen Rahmenplan vor, wonach jede Gemeinde ein örtli- ches Raumordnungsprogramm aufzustellen und durch den Gemeinderat zu verordnen hat. Darauf folgend hat die Landesregierung dieses zu prüfen und bei entsprechender (Nicht-)Erfüllung der Vorgaben zu genehmigen oder zu versagen. Das örtliche Raumordnungsprogramm muss eine Grundlagenfor- schung, ein örtliches Entwicklungskonzept und einen Flächenwidmungsplan enthalten, mittels derer die Planungsziele der Gemeinden für die nächsten fünf

34 bis zehn Jahre sowie die Maßnahmen für deren Umsetzung, festzulegen sind.

Des Weiteren muss dabei auf Planungen und Maßnahmen des Bundes, des

Landes und benachbarter Gemeinden Bedacht genommen werden (vgl. NÖ

ROG 1976: http://www.ris. bka.gv.at/lr-niederoesterreich (05.08.2006)).

Der Flächenwidmungsplan ist planungsrechtlich das wichtigste Instrument der

örtlichen Raumordnung. Nach § 14 des Niederösterreichischen Raumord- nungsgesetzes 1976 werden in ihm die Widmungen für alle Flächen im Ge- meindegebiet parzellenscharf festgelegt. Dabei ist grundsätzlich zwischen den

Widmungsarten Bauland, Verkehrsflächen und Grünland zu unterscheiden.

Die Bauland- und Grünlandarten untergliedern sich in Folge dessen entspre- chend den örtlichen Gegebenheiten in jeweilige Unterkategorien wie beispiels- weise Bauland Wohngebiet oder Grünland Land- und forstwirtschaftliche Flä- chen, womit jeweils der Rahmen ihrer möglichen Nutzung definiert ist. Neben den Widmungen, welche in der autonomen Entscheidungsfreiheit der Gemein- den liegen, müssen im Flächenwidmungsplan ebenso überörtliche Planungen und Nutzungen kenntlich gemacht werden. Kenntlichmachungen sind zum ei- nen Festlegungen von Bundes- und Landesbehörden wie Eisenbahnen oder be- stehende bzw. verbindlich geplante Bundesstraßen sowie zum anderen Nut- zungsbeschränkungen, die aufgrund von Bundes- und Landesgesetzen beste- hen. Dazu zählen Schutzgebiete von Wasserversorgungsanlagen, Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebiete. Darüber hinaus sind im Flächenwidmungsplan auch Bereiche mit gravierenden Gefährdungen zum Beispiel durch Hochwas- ser, Lawinen oder Altlasten kenntlich zu machen.

Somit fällt die örtliche Raumordnung zwar in den eigenen Wirkungsbereich der

Gemeinden, jedoch können Bund und Länder verbindliche Bodennutzungen festlegen, die als Kenntlichmachung im Flächenwidmungsplan auszuweisen sind, und an deren Vorgaben sich die Gemeinden zu halten haben. Das heißt, die Flächen sind für die Gemeinden tabu und können kommunal nicht anders gewidmet werden. Damit ist die Planungshoheit der Gemeinden für diese Flä-

35 chen reduziert. Diese überörtlich verordneten Nutzungsbeschränkungen kom- men dem Naturschutz und darin inkludiert den Landschaftsschutzgebieten zu

Gute. Da diese in Flächenwidmungsplänen ausgewiesen werden müssen und dadurch für weitere Nutzungsarten beschränkt sind. Somit soll zumeist eine Si- cherung des Freiraums durch Besiedlung erwirkt werden (vgl. http://www.ris.bka.gv.at/lr-niederoesterreich (05.08.2006)).

3.3 Das Landschaftsschutzgebiet im Naturschutzgesetz

Die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten obliegt den einzelnen Bundes- ländern mit ihrer jeweiligen Gesetzgebung. Allen Ländern gleich ist (mit Aus- nahme von Vorarlberg), dass das Landschaftsschutzgebiet ein Bestandteil der einzelnen Landesnaturschutzgesetze ist, wenn es für diese auch keine nament- liche Vereinheitlichung gibt. So widmen sich beispielsweise das oberösterrei- chische Natur- und Landschaftsschutzgesetz im §11 und das niederösterreichi- sche Naturschutzgesetz im §8 dem Landschaftsschutzgebiet als eine schüt- zenswerte Gebietsschutzkategorie.

3.3.1 Landschaftsschutzgebiete nach niederösterreichischem Recht

In Niederösterreich, dem Land mit dem ältesten Naturschutzgesetz Österreichs von 1868, unterstehen Landschaftsschutzgebiete dem Naturschutzrecht. So gibt es in der aktuellen Fassung des Naturschutzgesetzes von 2000 im Abschnitt III:

Besondere Schutzbestimmungen mit dem §8 einen eigenen Paragraphen

„Landschaftsschutzgebiet“. Aufgrund dieser gesetzlichen Verankerung werden dem Landschaftsschutzgebiet eine eigene Gebietsschutzkategorie und ein In- strumentarium zuerkannt. Da in dieser Arbeit die Siedlungsentwicklung der letzten 25 Jahre innerhalb der sich im Landschaftsschutzgebiet Wienerwald be- findlichen Gemeinden aufgezeigt werden soll, ist es maßgeblich, neben dem

36 heute gültigen NÖ Naturschutzgesetz 200021 auch jene Fassung von 1976 samt seiner Novellierungen zum Vergleich heranzuziehen.

Am 11. November 1976 wurde ein Gesetz über die „Erhaltung und die Pflege der Natur“, LGBl. 5500-0, erlassen. Im damaligen Niederösterreichischen Na- turschutzgesetz im §1 Abs 1 heißt es wie folgt:

„Der Naturschutz hat zum Ziel, die Natur in all ihren Erscheinungsformen, insbeson- dere in ihrem Wirkungsgefüge und in ihrer Vielfalt zu erhalten und zu pflegen; dazu gehört auch das Bestreben, die der Gesundheit des Menschen und seiner Erholung dienenden Umwelt als bestmögliche Lebensgrundlage zu erhalten oder wiederherzu- stellen oder zu verbessern. Die Erhaltung und Pflege der Natur erstreckt sich auf all ih- re Erscheinungsformen, gleichgültig, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand be- finden oder durch den Menschen gestaltet wurden.“ (BUSSJÄGER 1995: 4).

Die hier ausformulierten Ziele des Naturschutzes sind sehr allgemein gefasst.

Es gilt die Natur in ihren jeglichen Erscheinungsformen, ob Natur- oder Kultur- landschaft, zu schützen, zu pflegen und für den Menschen als Erholungs- und

Lebensraum zu erhalten.

Erstmalig wurde im Naturschutzgesetz von 1976 dem Landschaftsgebietsschutz besondere Beachtung im §6 (3. Abschnitt: Besondere Schutzbestimmungen) beigemessen. So heißt es da wie folgt:

(1) Gebiete, die eine hervorragende landschaftliche Schönheit oder Eigenart aufweisen, als charakteristische Kulturlandschaft von Bedeutung sind, oder die der Erholung der Bevölkerung oder dem Fremdenverkehr dienen, können durch Verordnung der Landesregierung zu Landschaftsschutzgebieten erklärt werden. (2) In Landschaftsschutzgebieten bedürfen der Bewilligung durch die Landesregierung 1. die Widmung von Grundstücken als Bauland und als Verkehrsfläche, sowie die Fest- legung von Nutzungsarten im Grünland, mit Ausnahme jener, die der Land- und Forstwirtschaft vorbehalten sind, nach Maßgabe der Bestimmung des NÖ Raum- ordnungsgesetzes; 2. die Erlassung von Bebauungsplänen nach Maßgabe der Bestimmungen der NÖ Bau- ordnung, LGBl. 8200; und in folgenden Fällen der Bewilligung durch die Behörde 3. Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 und §5 Abs. 1 Z. 1 außerhalb des Geltungsbe- reichs von Bebauungsplänen; 4. die Rodung, sowie der Kahlhieb von Baumgruppen, auf welche das Forstgesetz 1975, BGBl. Nr. 440, keine Anwendung findet.

21 letzte Novelle 30.11.2005 37 5. Erdbewegungen im Grünland, die nicht im Zuge anderer nach diesem Gesetz be- willigungs- oder anzeigepflichtiger Vorhaben stattfinden, sofern sie sich auf ei- ne Fläche von mehr als 1.000m² erstrecken, oder durch die eine Änderung des bisherigen Niveaus um mehr als einen Meter erfolgt. (3) Um die Bewilligung hat der Berechtigte anzusuchen. (4) Die Bewilligung ist zu versagen, wenn durch Maßnahmen oder Vorhaben gemäß Abs. 2 1. das Landschaftsbild 2. die Landschaft in ihrer Schönheit und Eigenart oder 3. der Erholungswert der Landschaft für die Bevölkerung und den Fremdenverkehr dau- ernd und maßgeblich beeinträchtigt wird und nicht durch Vorschreibung von Vor- kehrungen die Beeinträchtigung weitgehend ausgeschlossen werden kann. Da- bei ist auf die Erfordernisse einer zeitgemäßen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung soweit wie möglich Bedacht zu nehmen. (5) Die Behörde kann Landschaftsschutzgebiete kennzeichnen. Der Berechtigte über das betroffene Grundstück ist verpflichtet, die Anbringung der Kennzeichnung un- entgeltlich zu dulden.

Anhand der gesetzlichen Bestimmungen wird deutlich, dass die Erhaltung und

Pflege der landschaftlichen Gestaltung eines Gebietes als oberstes Ziel ange- strebt wird, wobei es dabei unerheblich ist, welche Widmung die einzelnen

Grundstücke dieses Gebietes aufweisen. In ein Landschaftsschutzgebiet können somit auch Grundstücke einbezogen werden, die die Widmung Bauland haben.

Dafür kommen sowohl Gebiete in Frage, die eine hervorragende landschaftli- che Schönheit oder Eigenart aufweisen als auch die, die als charakteristische

Kulturlandschaft von Bedeutung sind oder der Erholung der Bevölkerung bzw. dem Fremdenverkehr dienen. Zumindest einer dieser Gründe muss gegeben sein, damit die Landesregierung das Gebiet in der Kategorie Landschafts- schutzgebiet unter Schutz stellen kann.

Verordnungen nach §6 NSchG gelten als Raumordnungsprogramme des Lan- des nach dem NÖ Raumordnungsgesetz 1976 (LGBl. 8000-1), und entfalten so- mit die Wirkung von Raumordnungsprogrammen. Daher darf ein örtliches

Raumordnungsprogramm (§13 NÖ ROG 1976) einer Landschaftsschutzgebiets- verordnung nicht widersprechen (vgl. §21 Abs. 5 Z. 1 NÖ ROG 1976). Verord- nungen nach dem §6 NSchG dürfen aber nicht als Raumordnungsprogramme im Sinne des NÖ Raumordnungsgesetzes gesehen werden, da sie nicht den Er-

38 zeugungsregeln des NÖ ROG unterliegen. Sie sind nicht final determiniert, wodurch dem Verordnungsgeber der für die Raumordnungsprogramme typi- sche Planungsspielraum fehlt (LIEHR et al. 1986: 94).

Es gibt neben zahlreichen Versagungsgründen auch zahlreiche Bewilligungs- pflichten für (Um-)Widmungen oder andere Eingriffe in die Landschaft. Das

Anliegen des Naturschutzes ist zweifelsohne von überregionaler Bedeutung, daher sind die Bewilligungen für verschiedene Widmungen beispielsweise ei- nes Grundstückes als Bauland oder Verkehrsfläche durch die Landesregierung auch als Maßnahmen des Aufsichtsrechtes im Sinne des Art. 119a B-VG zu se- hen. Ebenso besteht auch kein Zweifel, dass die zahlreichen Versagungsgründe in §6 Abs. 4 NSchG überörtlichen Aspekten zugrunde liegen. Somit hat sich je- der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan einer Gemeinde schon von vorn- herein gänzlich in überörtliche Interessen einzufügen (LIEHR et al. 1986: 96).

Am 31. August 2000 kam es zu einer Neufassung des NÖ Naturschutzgesetzes, das bis dahin vier Mal novelliert worden ist. Gegenüber der Vorfassung wur- den die Ziele nur bedingt ergänzt bzw. vervollständigt. So heißt es wie folgt:

§ 1 Ziele

(1) Der Naturschutz hat zum Ziel, die Natur in allen ihren Erscheinungsformen so zu erhalten, zu pflegen oder wiederherzustellen, dass 1. ihre Eigenart und ihre Entwicklungsfähigkeit, 2. die ökologische Funktionstüchtigkeit der Lebensräume, die Vielfalt, der Artenreich- tum und die Repräsentanz der heimischen und standortgerechten Tier- und Pflan- zenwelt und 3. die Nachhaltigkeit der natürlich ablaufenden Prozesse regionstypisch gesichert und entwickelt werden; dazu gehört auch das Bestreben, die der Gesundheit des Men- schen und seiner Erholung dienende Umwelt als bestmögliche Lebensgrundlage zu er- halten, wiederherzustellen oder zu verbessern.

(2) Die Erhaltung und Pflege der Natur erstreckt sich auf alle ihre Erscheinungsfor- men, gleichgültig, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befinden oder durch den Menschen gestaltet wurden (Kulturlandschaft).

Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass im Vergleich zum NSchG

1976 zum einen die Ziele detaillierter formuliert worden sind und zum anderen im neuen NSchG 2000 die Aspekte der Nachhaltigkeit, der ökologischen Funk-

39 tionstätigkeit der Lebensräume und die Erhaltung ihrer Tier- und Pflanzenwelt ihre Berücksichtigung fanden.

Im Vergleich dazu wurden die Bestimmungen hinsichtlich des Landschafts- schutzgebietes im neuen NSchG 2000 kürzer gefasst und verallgemeinert wur- den So heißt es hier wie folgt:

§ 8 Landschaftsschutzgebiet

(1) Gebiete, die eine hervorragende landschaftliche Schönheit oder Eigenart aufweisen, als charakteristische Kulturlandschaft von Bedeutung sind oder die in besonderem Maße der Erholung der Bevölkerung oder dem Fremdenverkehr dienen, können durch Verordnung der Landesregierung zu Landschaftsschutzgebieten erklärt werden.

(2) In Landschaftsschutzgebieten hat die Landesregierung vor Genehmigung des örtlichen Raumordnungsprogramms oder seiner Änderungen (§§ 21 und 22 des NÖ Raum- ordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000), mit Ausnahme der Änderung der Widmungs- art innerhalb des Wohnbaulandes und der Festlegung der Widmungsart Land- und Forstwirtschaft im Grünland, sowie im Verordnungsprüfungsverfahren von Bebau- ungsplänen (§ 88 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000) ein Gutachten ei- nes Naturschutzsachverständigen zur Auswirkung auf die in Abs. 4 genann- ten Schutzgüter sowie eine Stellungnahme der NÖ Umweltanwaltschaft einzu- holen.

(3) Neben der Bewilligungspflicht nach § 7 Abs. 122 bedürfen in Landschaftsschutzge- bieten einer Bewilligung durch die Behörde: 1. die Kulturumwandlung von Flächen mit einem Ausmaß von mehr als einem Hektar; 2. die Beseitigung besonders landschaftsprägender Elemente im Sinne des Abs. 1.

(4) In Landschaftsschutzgebieten sind bewilligungspflichtige Vorhaben oder Maßnah- men (§§ 7 Abs. 1 und 8 Abs. 3) zu versagen, wenn 1. das Landschaftsbild, 2. der Erholungswert der Landschaft, 3. die ökologische Funktionstüchtigkeit im betroffenen Lebensraum, 4. die Schönheit oder Eigenart der Landschaft oder

22 §7 Abs.1: Außerhalb vom Ortsbereich, das ist ein baulich oder funktional zusammenhängender Teil ei- nes Siedlungsgebietes (z.B. Wohnsiedlungen, Industrie- oder Gewerbeparks), bedürfen der Bewilligung durch die Behörde: 1. die Errichtung und wesentliche Abänderung von allen Bauwerken, 2. die Errichtung, die Erweiterung sowie die Rekultivierung von Materialgewinnungs- oder Verarbei- tungsan- lagen jeder Art; 3. die Errichtung, Anbringung, Aufstellung, Veränderung und der Betrieb von Werbeanlagen 4. Abgrabungen oder Anschüttungen, 5. die Errichtung, die Erweiterung sowie der Betrieb von Sportanlagen sowie die Errichtung und Erweite- rung von Golfplätzen, Schipisten und Beschneiungsanlagen; 6. die Errichtung oder Erweiterung von Anlagen für die Behandlung von Abfällen sowie von Lagerplät- zen 7. die Errichtung, die Erweiterung sowie die wesentliche Änderung von künstlichen Wasseransammlun- gen auf einer Fläche von mehr als 100m², 8. die Errichtung oder Erweiterung von Anlagen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen auf einer Fläche von mehr als 500 m² im Grünland. 40 5. der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt wird und diese Beeinträchtigung nicht durch Vorschreibung von Vorkehrungen (§ 7 Abs. 4) weitgehend ausgeschlossen werden kann. Bei der Vorschreibung von Vor- kehrungen ist auf die Erfordernisse einer zeitgemäßen land- und forstwirt- schaftlichen Nutzung soweit wie möglich Bedacht zu nehmen.

Neu ist §8 Abs. 2, in dem die Landesregierung vor Genehmigung des örtlichen

Raumordnungsprogramms oder seiner Abänderung (mit einigen Ausnahmen) ein Gutachten eines Naturschutzsachverständigen sowie eine Stellungnahme der Niederösterreichische Umweltanwaltschaft23, hinsichtlich der Auswirkun- gen bestimmter Maßnahmen auf das Landschaftsschutzgebiet, einzuholen hat.

In dieser Bestimmung (Abs. 2) sind die detaillierten Festlegungen von §6, Abs. 2 des NSchG aus dem Jahr 1976 inkludiert. Wesentlich für die Siedlungsentwick- lung einer Gemeinde im Landschaftsschutzgebiet ist neben Abs. 2 vor allem

Abs. 3 (1), nach dem die Umwandlung von Flächen in einem Ausmaß von mehr als 1 ha durch die Behörde bewilligungspflichtig ist.

Im Großen und Ganzen sind die Bestimmungen im neuen §8 im Vergleich zum alten §6 kürzer, vereinfacht und allgemeiner gefasst. Auch die Gründe, um

Vorhaben im Landschaftsschutzgebiet zu untersagen, sind allgemeiner Natur und je nach Ansichts- und Auslegungssache anwendbar. Neu im Vergleich zum

NSchG §6 Abs. 4 sind die Sicherung der ökologischen Funktionstüchtigkeit des betroffenen Lebens-/ Landschaftsraumes sowie die nachhaltige Beeinträchti- gung dessen Charakters. Aussagen über die Kennzeichnung eines Landschafts- schutzgebietes durch die Landesregierung fehlen gänzlich.

Da, wie bereits erwähnt, die Siedlungsentwicklung im Landschaftsschutzgebiet

Wienerwald innerhalb der letzten 25 Jahre analysiert werden soll, war es von besonderem Interesse, die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen eines

Landschaftsschutzgebietes innerhalb dieses Zeitraums heranzuziehen und die

Naturschutzgesetze aus den Jahren 1976 und 2000 miteinander zu vergleichen.

Als wesentlicher Output kann festgehalten werden, dass die Bestimmungen aus

23 1985 mit Verabschiedung des NÖ Umweltschutzgesetzes eingerichtet, untersteht der NÖ Landesregie- rung, ist bei ihren Entscheidungen jedoch nicht an Weisungen gebunden. 41 dem Jahre 2000 vereinfacht wurden, was dem Schutz des Wienerwaldes nicht zugute kommen kann.

4. Der Wienerwald – Landschaftsschutzgebiet und Sied- lungsraum

Der niederösterreichische Teil des Wienerwaldes, der speziell in dieser Arbeit begutachtet werden soll, wurde am 27. April 1979 per Verordnung durch die

NÖ Landesregierung zum Landschaftsschutzgebiet Wienerwald erklärt. Da- durch sollte die Erhaltung des Waldes als bedeutende Kulturlandschaft Mittel- europas auch für nachfolgende Generationen gewährt werden, sodass die land- schaftliche Schönheit und Eigenart des Wienerwaldes als Erholungs- und Le- bensraum für den Menschen nicht verloren geht.

In Niederösterreich gibt es derzeit 28 Landschaftsschutzgebiete, diese umfassen insgesamt 22,4 Prozent der Landesfläche. Das Landschaftsschutzgebiet Wie- nerwald macht dabei einen Anteil von 5,5 Prozent aus (http://www.noe.gv.at/

Service/RU/RU5/Schutzgebiete/LSG.htm 08.08.2006).

4.1 Schutzgebiete im Wienerwald

Neben dem Landschaftsschutzgebiet beansprucht der Wienerwald noch weitere

Schutzgebietskategorien, so ist er Bestandteil des europaweiten ökologischen

Netzwerkes „Natura 2000“, das die Umsetzung seiner Vogelschutz- (1979) und seiner (FFH) Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (1992) auf europäischem Niveau verfolgt. Des Weiteren existieren innerhalb der Wienerwaldfläche drei Natur- schutzgebiete (Teufelstein, Eichkogel, Glaslauterriegel) und vier Naturparke: dazu zählen der Naturpark Sparbach, der Naturpark Föhrenberge, der Natur- park Eichkogel und, der Wienerwald-Naturpark: -Sandstein.

Hinzu kam Ende Juni des vergangenen Jahres 2005 die Erhebung des Wiener- waldes zum UNESCO Biosphärenpark (international: Biosphärenreservat).

42 Damit zählt er zu den 482 wertvollsten Gebieten in 102 Staaten weltweit, in Ös- terreich gibt es noch fünf weitere Biosphärenparks.

Nach der UNESCO-Definition eines Biosphärenparks geht es nicht nur allein um den Schutz der Natur sondern auch um die Verknüpfung zwischen Mensch und Natur. So heißt es da wie folgt:

„Jeder Biosphärenpark soll ein gelebtes Modell dafür sein, wie in einem be- stimmten Landschaftstyp Menschen nachhaltig wirtschaften und leben können. In einem Biosphärenpark geht es nicht allein um den Schutz von Naturgütern sondern gleichrangig auch um wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung auf rücksichtsvolle Weise ohne Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage.“ (http://www.noel.gv.at/Service/Lf/Lf4/Biosphaerenpark.htm 10.08.2006)

4.1.1 Der Biosphärenpark Wienerwald

Der Schutz des Wienerwaldes hat eine lange Tradition. Bereits 1905 wurde der

„Wiener Wald- und Wiesengürtel“ gegründet, der ein ausgedehntes Schläger-

ungs- und Bebauungsverbot beinhaltete. Darauffolgend

und wegweisend war die Unterzeichnung der ersten

Wienerwalddeklaration der Landeshauptleute von Wien,

Niederösterreich und dem Burgenland im Jahre 1987,

durch die ein umfassender Schutz und die Erhaltung des Abb. 4: Logo Quelle: Natur- und Kulturraumes Wienerwald gewährleistet http://www.biosphaeren park-wienerwald.org/ werden sollte. Darauf aufbauend kam es 2002 zu einer (31.05.2006) Neufassung der Deklaration, die noch immer den

Grundsatz der Erhaltung des Waldes für nachfolgende Generationen verfolgte.

Doch sollten nun zusätzlich auch wirksamere Schutzmaßnahmen gefunden werden. Damit wurde der Weg für die Errichtung eines Biosphärenparks gelegt, weil dieser nach der Erweiterung der Sevilla-Strategie 1995 um den

„Faktor Mensch“ am ehesten dem Schutzgedanken des Wienerwaldes entspricht. Im Anschluss an eine Machbarkeitsstudie und Regionalanalyse der

PGO zur Umsetzung des Parks wurde im darauffolgenden Jahr 2003 das „Bios- phärenpark Wienerwald Management“, als Wegbereiter dieser Schutzgebiets-

43 kategorie, gegründet. Der Biosphärenpark Wienerwald mit einer Fläche von mehr als 105.000 ha entspricht in Niederösterreich dem Landschafts- schutzgebiet, an dem 51 Gemeinden einen Flächenanteil haben. In Wien gehören Flächen von sieben Gemeindebezirken zu seinem Einzugsbereich.

Das UNESCO-Biosphärenpark-Konzept stellt ein umfassendes Schutz- und

Entwicklungsinstrument dar, da der Mensch als Landschaftsgestalter mit sei- nen unterschiedlichen Nutzungsansprüchen aktiv miteinbezogen wird. Somit wird Schutz mit Nutzung verbunden, wodurch das Konzept maßgeschneidert auf Kulturlandschaften mit hohen Naturwerten passt. Daraus ergeben sich fol- gende drei gleichrangige Funktionen für einen Biosphärenpark:

• Schutz von Ökosystemen, der Biodiversität und der genetischen Res- sourcen • Förderung einer ressourcenschonenden Nutzung und einer ökologisch wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Entwicklung hin zu einer Modell- region der Nachhaltigkeit.

• Umweltforschung und Umweltbildung für besseres Verständnis der wechselseitigen Beeinflussung von Mensch und Natur

Um diese zentralen Funktionen eines Biosphärenparks verwirklichen zu kön- nen, soll die Ausweisung folgender Zonen innerhalb seiner Fläche dienlich sein:

• Kernzonen: Hier soll sich die Natur weitgehend ohne Ein- fluss des Menschen entwickeln können. Im Wienerwald sind Kernzonen ausschließlich auf Waldflächen vorgesehen, die gegen Abgeltung frei von

forstwirtschaftlicher Nut- Abb. 5: Zonierung eines Biosphärenparks, Quelle: zung sein sollen. http://www.biosphaerenpark-wienerwald.org/

• Pflegezonen: Als Pufferbereiche um Kernzonen und zur Erhaltung der von landwirtschaftlicher Nutzung abhängigen Kulturlandschaft.

• Entwicklungszonen: Alle Flächen des Biospärenparks, die nicht Kern- oder Pflegezonen sind. Das sind rund 76 Prozent der Gesamtfläche, Wirtschaftswald, landwirtschaftliche Nutzflächen und Siedlungsräume bis hin zu urban verbauten Bereichen. Die Entwicklungszone ist Lebens-,

44 Wirtschafts- und Erholungsraum der Menschen. Hier gilt es in allen denkbaren Handlungs- und Tätigkeitsbereichen möglichst nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit vorzugehen. Ziel ist es, modellhafte Nut- zungsweisen zu entwickeln, die den Ansprüchen von Mensch und Natur in gleicher Weise gerecht werden.

4.2 Allgemeine Beschreibung des Untersuchungsgebietes – Lage, Größe, Topographie

Für die flächenhafte Abgrenzung des Untersuchungsgebiets sollen die Vorga- ben der Planungsgemeinschaft Ost (PGO) herangezogen werden. Die PGO ist eine gemeinsame Organisation der Länderverwaltungen Wien, Niederöster- reich und Burgenland. Sie dient der Abstimmung, Koordination und Vorberei- tung raumplanerisch relevanter Fragestellungen in der österreichischen „Län- derregion Ost“.

Der Hauptflächenanteil des Untersuchungsgebiets: „Landschaftsschutzgebiet

Wienerwald“ liegt mit ca. 95.700 ha in Niederösterreich, der Wiener Anteil24 ist mit verbleibenden 9670 ha sehr gering.

Nachfolgende Abbildung soll einen räumlichen Eindruck zur Lage und Größe des Untersuchungsraumes geben und die Verortung der sich darin befindlichen

51 Gemeinden erleichtern. Der Wiener Anteil am Landschaftsschutzgebiet wird dabei außer Acht gelassen, da die Arbeit die Suburbia und nicht die Kernstadt ansprechen soll.

24 Entspricht dem Wald- und Wiesengürtel 45

Abb. 6: Gebietsabgrenzung des Landschaftsschutzgebiets nach PGO, außer Achtlassung Wiens und der Gemeinden Furth und Traiskirchen, da beide zu 0% im Landschaftsschutzgebiet liegen Quelle: http://www.pgo.wien.at/ (08.01.2006) nach eigener Überarbeitung

Der Wienerwald liegt im Einzugsbereich der Bundeshauptstadt Wien und er- streckt sich halbkreisförmig westlich bis südwestlich davon. Im Osten wird er vom Wiener Becken, im Süden vom Triesting- und Gölsental begrenzt. Im Wes- ten und Norden von den Flüssen Große Tulln und Donau sowie dem Tullner- feld (MUSIL 2002: 41f.).

4.2.1 Naturräumliche Gegebenheiten

Der Wienerwald zählt zu Österreichs artenreichsten Waldökosystemen, ist ei- nes der größten geschlossenen Laubwaldgebiete Mitteleuropas und ist von

46 hunderten natürlichen Gewässern, vom kleinen Tümpel bis zum Wienfluss, durchzogen. Charakteristisch für diese einzigartige Kulturlandschaft ist ihr

„Offenland“, welches gekennzeichnet ist von Äckern, Wiesen und Weiden so- wie einer Fülle von kleinräumigen Landschaftselementen wie Hecken oder Bö- schungen (vgl. http://www.bundesforste.at/, 20.06.2005).

Somit ist unter dem Wienerwald bzw. der Wienerwaldlandschaft nicht allein die Waldfläche zu sehen, sondern vielmehr das ganze Ensemble, dass sich aus

Wiesen, Weiden, Feldern und Ackerfläche zusammensetzt. Zusätzlich dazu zählen auch die darin liegenden Siedlungen zur Wienerwaldlandschaft. Da der Wienerwald eine Vielfalt an Klimatypen, Gesteinsformen sowie hoher Biodiversität an Pflanzen- und Tierarten und deren Lebensräumen aufweist, ist er ein Gebiet mit besonders naturschutzfachlicher, kultureller und regionalwirt- schaftlicher Bedeutung, das es zu schützen gilt.

4.3 Der Wienerwald als Siedlungsraum

Der Wienerwald kann auf eine lange Besiedlungsgeschichte zurückblicken. Die ersten Dorfgründungen fanden vermutlich im 8. Jahrhundert statt, in der Zeit in der die Slawen und Awaren in dieses Gebiet vordrangen. Zugute kam der frühen Siedlungsentwicklung des Wienerwaldes das Vorhandensein von Orden wie der Zisterzienser und Kartäuser. Im Zuge der beiden Türkenbelagerungen

Wiens (1529 und 1683), von denen auch das Wiener Umland betroffen war, kam es zu einem Einschnitt der frühen Siedlungsentwicklung, da viele Dörfer wieder aufgegeben werden mussten.

Durch den Ausbau des Verkehrswegenetzes im 18. Jahrhundert, wie beispiels- weise der Bau der großen Reichsstraße und der Westbahn wurde der Weg für die Besiedelung des Waldes durch die Bewohner der Hauptstadt gelegt. Diese hält bis heute fortwährend an, so gilt der Wienerwald als attraktive Wohnge- gend und wichtigstes Naherholungsgebiet der Wiener Bevölkerung

(www.biosphärenparks.at 28.11.2006).

47 Dass der Wald heute noch als „Grüne Lunge Wiens“ bezeichnet werden kann und nicht dem vollständigen Kahlschlag zum Opfer gefallen ist, lässt sich an- hand der langen Tradition seines Schutzes erklären. So ist der Wald 1002 mit der Schenkungsurkunde an die Babenberger in Staatseigentum übergegangen, und wurde dank der Bemühungen von Joseph Schöffel von dessen Ausverkauf zur Füllung der kriegsgebeutelten Staatskasse bereits im 19. Jahrhundert be- wahrt (www.biosphärenparks.at 28.11.2006).. Fortwährend wurde der Schutz- gedanke des Wienerwaldes verfolgt. So wurde 1905 der Wald- und Wiesengür- tel durch den Wiener Gemeinderat beschlossen. Es folgten Schutzgedanken wie die Erhaltung des Landschaftsbildes (1924) oder die Ernennung zum Land- schaftsschutzgebiet (1979), zum Natura-2000-Gebiet (2004) und zuletzt zum

Biosphärenpark (2005), um ein paar aufzuzählen.

4.3.1 Der Siedlungscharakter des Wienerwaldes

Ursprünglich ist der Wienerwald ein ländlich geprägtes Gebiet, im Zuge der

Suburbanisierung wandelt sich jedoch das Erscheinungsbild seiner innewoh- nenden Gemeinden vom Ländlichen hin zum Städtischen, da diese von einer sukzessiven Flächenzunahme gekennzeichnet sind (s. Klosterneuburg oder Ba- den). Dennoch lassen sich zahlreiche ursprüngliche Siedlungsformen erkennen, auf die kurz näher eingegangen werden soll, wenn auch zweifelsohne das Flä- chenwachstum das Erscheinungsbild dieser zunehmend verändert hat.

Unter Siedlungsform ist die Besiedlungsweise sowie Art und Zahl der mensch- lichen Behausungen in ihrer Lage zueinander zu verstehen (vgl. DIERCKE-

Wörterbuch 1997: 778). Welche Formen und Arten es dabei gibt, verdeutlich nachstehende Abbildung nach BORN (1977).

Da das Siedlungswachstum und damit verbunden der Flächenverbrauch vom

Bevölkerungswachstum der jeweiligen Gemeinden abhängig ist, handelt es sich bei diesem um einen genauso dynamischen Prozess. Das heißt, so wie eine

Siedlung wächst, verändert sich nicht nur ihre Größe sondern auch ihre Form.

48 Mehr Einwohner brauchen bei gleich bleibenden Lebensgewohnheiten größere bebaute Flächen sowie mehr Verkehrsflächen. Dies führt dazu, dass sich aus

einstigen Haufendör-

fern in einem Strang

das Angerdorf und in

einem Weiteren das

Straßen- bzw. weiter-

führend das Reihen-

dorf entwickelten. Ei-

ne genauere Spezifi-

zierung der einzelnen

Siedlungsentwicklun-

gen lassen sich bei E.

PLESSL (1999) fin-

den.

Innerhalb des Wie- Abb. 7: Grundrisstypen ländlicher Siedlungen (nach BORN 1977) nerwaldes trifft man auf Angerdörfer wie Bisamberg oder Alland, aber auch auf Straßendörfer wie die Gemeinde Wienerwald. Laut E. PLESSL (1999) gibt es ebenso zahlreiche

Kirchensiedlungen im Wienerwaldgebiet und der daran angrenzenden Ther- menlinie. Bei dieser Siedlungsform handelt es sich um eine Zwischenstellung von der Entwicklung des Haufendorfes zum Straßendorf. Den zentralen Punkt einer Kirchensiedlung stellt eine Kirche dar, die wahrscheinlich die Funktion einer Wehrkirche innehatte. Ein Beispiel dieser Siedlungsform stellt die Ge- meinde Gumpoldskirchen dar (PLESSL 1999: 21).

Weiterführend kann festgehalten werden, dass sich im Zuge der Suburbanisie- rung nicht nur die Siedlungsformen der einst ländlich geprägten Wienerwald- gemeinden allein, sondern auch die Gebäudeformen verändert haben. So kann jedoch der Bruch mit den traditionellen Bauformen primär auf den Wandel der

49 Agrargesellschaft mit ihrer vorherrschenden Subsistenzwirtschaft zur Indust- rie- und Dienstleistungsgesellschaft zurückgeführt werden. Hinzu kommt der

Aspekt der architektonischen Neuerrungenschaften der Moderne, die zur Ver-

änderung des Baustils ihr Wesentliches mit beitrugen (vgl. PINDUR und MU-

SIL: 2005:117).

Das Wiener Umland wurde durch die Suburbanisierung urban überprägt, so dass Siedlungsgrenzen zwischen Stadt und Land kaum noch sichtbar sind, sondern vielmehr ineinander übergehen, etwa in Breitenfurt, Purkersdorf oder

Brunn am Gebirge. Hinzu kommt, dass sich auch die städtischen Lebensformen in diese einst ländlich geprägten Räume ausbreiten, was zur Folge hat, dass die

Stadt und ihr Umland nicht nur von der Siedlungsstruktur allein, sondern auch von ihren Bewohnern her immer mehr zusammenwachsen.

4.3.2 Aktuelle Siedlungssituation des Wienerwaldes

Nach der Größe und Form der Wienerwald-Gemeinden soll nun vorab ein zah- lenmäßiger Überblick über das Ausmaß der Besiedelung gegeben werden. So weisen die meisten Gemeinden eine Einwohnerzahl zwischen 1.000 und 2.000 auf, gemessen an den Hauptwohnsitzgemeldeten. Mit Berücksichtigung der

Nebenwohnsitze zählt mehr als die Hälfte der Gemeinden, ca. 60 Prozent, knapp 5.000 Einwohner. Ausnahme bilden dabei nur die Bezirkshauptstädte

Baden, Mödling und Klosterneuburg mit mehr als 20.000 Einwohnern. Der

Wienerwald gesamt zählt in etwa 200.000 Einwohner mit ständigem Wohnsitz, hinzukommen ca. weitere 50.000 Zweitwohnsitzer. Damit besitzen die meisten

Wienerwaldgemeinden ungefähr einen Anteil von 20 Prozent an Nebenwohn- sitzen (vgl. http://www.biosphaerenpark-wienerwald.org (22.12.2006)).

Tatsache dabei ist, dass je mehr hauptwohnsitzgemeldete Personen eine Ge- meinde aufweisen kann, umso mehr Zuschüsse aus dem Bundesfinanzaus- gleich bekommt, die wiederum der Allgemeinheit bzw. den Gemeindebürgern zu gute kommen, indem beispielsweise neue Straßen gebaut werden können

50 und somit die Infrastruktur aufgewertet werden kann. Daher ist es ein Anliegen der Gemeinden, ihre Einwohnerzahlen jährlich zu steigern, um somit mehr Zu- schüsse zu lukrieren. Anderseits muss mit der Wienerwaldlandschaft nachhal- tig umgegangen werden, da sonst die Zuwanderer über kurz oder lang ausblei- ben werden. Das „Zugpferd“: Wohnen im Grünen nahe der Hauptstadt geht verloren, wenn die landschaftliche Attraktivität der Wienerwaldgemeinden nicht mehr gegeben ist. Der Zuzug verringert sich bzw. die zugewanderten Per- sonen wandern weiter, wenn sie merken, dass die Stadt sie wieder einholt.

4.3.3 Die Entwicklungsdynamik der Untersuchungsgemeinden im Landschaftsschutzgebiet Wienerwald

Um den Bogen zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand des Landschafts- schutzgebiets Wienerwald zu spannen, ist es erforderlich, die dem zugrunde liegende Siedlungsentwicklung genauer zu untersuchen. Um diese darstellen zu können, soll vorab die Analyse der Bevölkerungsdynamik sowie mit dieser verknüpft die der Wanderungsbilanzen als auch die Wohnbaustatistik der letz- ten Jahrzehnte hilfreich sein.

4.3.3.1 Bevölkerungsdynamiken der Wienerwaldgemeinden

Um die Entwicklungsdynamik der Wienerwaldgemeinden besser skizzieren zu können, soll ein Vergleich zwischen den Bevölkerungsdynamiken 1961 bis 1981 und 1981 bis 2001 gezogen werden. Damit sind die frühen Anfänge der (Bevöl- kerungs-)Suburbanisierung in der Agglomeration Wiens und die darauf fol- gende Phase ihrer Intensivierung abgedeckt. Das Wiener Umland war im inter- nationalen Vergleich erst recht spät vom Suburbanisierungsprozess betroffen.

Gründe dafür waren die großen verfügbaren Freiflächen innerhalb der admi- nistrativen Grenzen Wiens, sowie dessen Bemühungen im sozialen Wohnbau.

Jedoch zeigte die Periode von 1961 bis 1981 anfängliche Suburbanisierungsten- denzen, da es im näheren Umland Wiens zu einer Dynamisierung des Bevölke- 51 rungswachstums kam. Nachfolgende Karte soll dazu beitragen, sich diesbezüg- lich einen Überblick zu verschaffen.

Abb. 8: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1961 bis 1981

Es ist gut erkennbar, dass die Wienerwaldgemeinden innerhalb dieses Zeit- raumes erst vereinzelt vom Suburbanisierungsprozess erfasst worden sind. So verzeichnen hauptsächlich die Gemeinden, die direkt an Wien angrenzen be- ziehungsweise die im nahen Umland der Bundeshauptstadt lokalisiert sind, ei- nen deutlichen Bevölkerungszuwachs. Bevölkerungsgewinner innerhalb dieser

Periode waren unter anderem die Gemeinden nahe der Südbahnstrecke, wie beispielsweise Perchtoldsdorf, Hinterbrühl oder Gießhübl, aber auch nahe der

Westbahnstrecke ansässige Gemeinden wie , oder Tullner- bach. Vereinzelt finden sich auch im Norden des Wienerwalds gelegene Ge- meinden mit starken Bevölkerungszuwächsen von über 40 Prozent und mehr wie Bisamberg, Tulln oder Tulbing, ebensolche nahe der Westautobahn wie

Wolfsgraben oder Breitenbrunn, welches neben Mauerbach und Maria-

52 Enzersdorf zu den absoluten Bevölkerungsgewinnern gehört (Zuwachs von >60

Prozent). Gründe dafür könnten die günstige Verkehrsanbindung (A1, A23), die gute Infrastruktur und die landschaftlich-attraktive Lage, direkt angrenzend an Wien sein. Auch Mauerbach zählt zu einem der beliebtesten Wohn- und

Siedlungsgebiete der Wiener, die Gründe dafür sind ähnlich wie die der Ge- meinde Breitenfurt. In Maria-Enzersdorf verdoppelte sich die Einwohnerzahl in den 1970er Jahren hingegen innerhalb einer Dekade, Grund dafür war die Fer- tigstellung des Baus der Südstadt, die als Gartenstadt geplant wurde.

Die Bevölkerungsverlierer dieses Zeitraums sind jene Gemeinden, die im Süd-

Westen des Wienerwaldes lokalisiert sind und neben der zunehmenden Entfer- nung zur Bundeshauptstadt zudem noch schlechter zu erreichen sind, da sie

über eine schlechtere technische Infrastruktur verfügen. Zu ihnen zählen Hain- feld, Kaumberg oder Pottenstein.

Die daran angrenzende Periode 1981-2001 steht für die Intensivierung der Um- landentwicklung Wiens. Nach BRAKE et al. (2001) spricht man von einer Er- weiterung des Suburbanisierungsrings25, so dass nun verstärkt auch die schlechter zu erreichenden Wienerwaldgemeinden von Bevölkerungszuwäch- sen betroffen sind. Die Baulandreserven innerhalb Wiens und auch die in den frühen Suburbanisierungsgemeinden der Südbahnstrecke (Achse Wien-Baden) sind knapp geworden, somit sind die Boden- und Immobilienpreise um ein

Vielfaches gestiegen, was dazu führt, dass auch Gemeinden, die abgelegener von der Bundeshauptstadt und schlechter erschlossen sind, in Betracht kom- men. Die Zersiedelung in diesen Gemeinden ist noch nicht soweit vorange- schritten, wodurch die Boden- und Immobilienpreise geringer ausfallen und die potenziellen Suburbia-Bewohner durchaus größere Pendlerdistanzen in Kauf nehmen, wenn dadurch der Bodenpreisgradient sinkt. Von diesem zweiten oder erweiterten Suburbanisierungsring kann auch dann gesprochen werden, wenn dieser keine konzentrische Form aufweist, weil er durchaus auch punk-

25 Trifft in Deutschland in einem stärkeren Maße zu als in Österreich 53 tuell beispielsweise zwischen bedeutenden Verkehrsachsen liegen kann und somit eher einer sektoralen Erscheinungsform entspricht. Nachfolgende Bevöl- kerungskarte soll den Bestand dieses Suburbanisierungsphänomens in den

Wienerwaldgemeinden belegen.

Abb. 9: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1981 bis 2001

Anhand dieser Karte ist gut erkennbar, dass sich das Bevölkerungswachstum auf nahezu alle Wienerwaldgemeinden ausgedehnt hat, mit Ausnahme von

Maria-Enzersdorf und Hainfeld. Bei Maria-Enzersdorf ist anzunehmen, dass nach einer Bevölkerungszunahme von mehr als 4.000 Personen durch den Bau der Südstadt eine Sättigung eingetreten ist und die Lebensqualität aufgrund der angestiegenen Zersiedelung zurückgegangen ist, was zu Wegzügen geführt ha- ben kann. Hainfeld ist die am weitesten von Wien entfernt gelegene Gemeinde und zählt zudem zu jenen, die schlechter erschlossen sind, so dass nach Wien durchaus mit Pendlerdistanzen von einer Stunde gerechnet werden muss.

54 Die Gemeinden mit den stärksten Bevölkerungsgewinnen sind die östlichsten

Gemeinden des Wienerwalds, wie Purkersdorf, Laab im Walde oder Wolfsgra- ben. Sie schmiegen sich konzentrisch um die Bundeshauptstadt, abgesehen von den frühen Suburbanisierungsgemeinden der Südbahnstrecke, die aufgrund der eingesetzten Sättigungserscheinungen nur noch ein leichtes Bevölkerungs- wachstum vorweisen.

Auffallend ist weiterhin, dass auch Gemeinden, die schlechter von Wien aus er- reichbar sind und in der Periode zuvor noch von einer Bevölkerungsabnahme gekennzeichnet waren, nun Bevölkerungszuwächse von bis zu 20 Prozent auf- weisen. Zu diesen zählen Altenmarkt, Klausen-Leopoldsdorf oder Weißenbach.

Aber auch peripherer gelegene Gemeinden des Wienerwaldes, die im Zeitraum

1961-1981 schon geringe Bevölkerungszuwächse von bis zu 20 Prozent verbuch- ten, konnten diese in der darauf folgenden Periode auf bis zu 40 Prozent26 aus- bauen, siehe Neulengbach, Judenau-Baumgarten, Zeiselmauer-Wolfpassing oder St. Andrä-Wödern. Anhand der hier dargestellten Bevölkerungsdynami- ken in den Wienerwaldgemeinden der letzten 40 Jahre lassen sich Rückschlüsse auf deren Siedlungsentwicklung ziehen. Welche Komponente jedoch dabei noch fehlt, ist neben der Geburtenbilanz die der Wanderungsbilanz, auf welche in weiterer Folge genauer eingegangen wird. Die Geburtenbilanzen der Ge- meinden im Untersuchungsgebiet sind nicht aussagekräftig genug, so dass sie in der Arbeit keine Berücksichtigung finden.

26 Bevölkerungsdynamiken von 40 und mehr Prozent, müssen immer im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Gemeinde gesehen werden. 55 4.3.3.2 Wanderungsbilanzen der Untersuchungsgemeinden

Um die Veränderungen in den Wanderungsbilanzen sichtbar werden zu lassen, wird ein Vergleich zwischen den Dekaden 1971-1981, 1981-1991 und 1991-2001 gezogen. Nachfolgende Karten sollen dabei helfen sich einen Überblick über die

Dimension der Zuwanderung in den Wienerwaldgemeinden zu verschaffen.

Damit sollen wiederum die Anfänge der Suburbanisierung als auch ihre inten- sive Phase und die damit verbundene Ausdehnung auf das Untersuchungsge- biet Berücksichtigung finden, um somit in weiterer Folge darauf Bezug zu nehmen.

Abb. 10: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1971 bis 1981

56

Abb. 11: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1981 bis 1991

Was in der Dekade 1971-1981 auffallend ist, ist dass die Gemeinden mit Bevöl- kerungsabwanderungen jeweils am Rande des Wienerwalds lokalisiert sind, wie Hainfeld, Pottenstein oder Weißenbach. Es sind wiederum jene Gemeinden, abgesehen von Pfaffstätten, die von der Bundeshauptstadt gesehen schlechter erreichbar sind und aufgrund dessen längere Pendlerzeiten anfallen. Zuwande- rungen von bis zu 30 Prozent finden sich hingegen in Gemeinden, die in unmit- telbarer Nähe zu Wien lokalisiert sind und eine gute Infrastruktur aufweisen.

Dazu gehören Breitenfurt, Wolfsgraben, oder Gablitz. In Summe kann festgehalten werden, dass, je weiter die Gemeinden von der Hauptstadt entfernt liegen, desto geringer fällt ihre Zuwanderung noch aus. Des Weiteren ist festzustellen, dass die südlichen Gemeinden des Untersuchungsgebietes, ab- gesehen von denen an der Südbahnstrecke, eine geringere Zuwanderung ver- zeichnen als die im Norden. So dass durchaus innerhalb dieser Dekade von ei- nem Nord-Süd-Gefälle gesprochen werden kann.

57 Im Vergleich zum darauf folgenden Zeitraum 1981-1991 zeigt sich, dass nahezu alle Wienerwaldgemeinden eine positive Wanderungsbilanz vorweisen kön- nen. Ausnahmen bilden hier nur die zwei Gemeinden an der Südbahn, Maria-

Enzersdorf und Sooß, die eine geringe Bevölkerungsabwanderung aufweisen, die sich aber auf die frühen Zuzüge ab den 1960er Jahren und damit auf die

Übersättigung der Gemeinden rückschließen lässt. Die Gemeinden mit den größten Zuwanderungsgewinnen von bis zu 30 Prozent und mehr, sind wieder all jene, die direkt an Wien angrenzen oder sich in unmittelbarer Nähe dazu be- finden. Zu diesen zählen Breitenfurt, Laab im Walde, Klosterneuburg oder

Langenzersdorf. Hinzu kommen jene Gemeinden, die in der Nähe der West- bahn bzw. der Westautobahn A1 lokalisiert sind wie beispielsweise, Pressbaum,

Tullnerbach, oder Neulengbach.

Auch weiterhin ist ein Nord-Südgefälle auszumachen, jedoch dieses schon in abgeschwächter Form. So kommt es allmählich zu einer Durchmischung, das heißt, dass auch in weiter von Wien entfernter gelegene Gemeinden, die schlechter zu erreichen sind, zugewandert wird. So ist die Zuwanderung, mit einzelnen punktuellen Unterbrechungen (Altenmarkt, Weißenbach), im Süden des Untersuchungsgebietes noch geringer als in den nördlichen Gemeinden, aber immerhin schon bei bis zu zehn Prozent. Nachstehende Karte wird ver- deutlichen, dass sich diese Durchmischung auch in der darauf folgenden Deka- de 1991-2001 weiterhin fortsetzt, womit die These vom erweiterten Suburbani- sierungsring nach BRAKE et al. (2001) ihre Berechtigung findet.

58

Abb. 12: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1991 bis 2001

Innerhalb dieser dritten dargestellten Dekade 1991-2001 ist festzustellen, dass es zu einer absoluten Durchmischung der Zuwanderung in den Wienerwaldge- meinden gekommen ist, ein Nord-Süd-Gefälle lässt sich nicht mehr zweifelsfrei ausmachen. Zwar sind die Gemeinden mit Bevölkerungsverlusten bzw. gerin- gen Zuwächsen wieder primär im Süden angesiedelt, jedoch trifft man hier auch auf Wanderungsbilanzen von bis zu 20 Prozent, siehe Klausen-

Leopoldsdorf, Alland oder Kottingbrunn. Dennoch ist festzuhalten, dass primär in die Gemeinden zugewandert wird, die eine gute Infrastruktur und Erreich- barkeit in Hinsicht auf Wien vorweisen können, wie Laab im Walde, Wolfsgra- ben, Pressbaum oder Tulln. Des Weiteren ist jedoch anzumerken, dass die Zu- wanderung insgesamt innerhalb dieser Dekade geringer ausgefallen ist, als in den zwei Vorhergehenden, so kommt es in dieser zu einer Verringerung um zehn Prozent. Die Frage, die sich nun stellt ist, ob Instrumente des Naturschut- zes, insbesondere die Ausweisung des Wienerwaldes zum Landschaftsschutz- gebiet, gegriffen und sich deswegen die Wanderungsbilanzen verringert haben. 59 Wenn dies der Fall sein sollte, warum kam es dann aber zu einer verringerten

Zuwanderung erst ein Jahrzehnt nach der Erhebung des Waldes zum Land- schaftsschutzgebiet? Dies spricht nicht wirklich für das Naturschutzinstru- ment. Die weiteren Abhandlungen sollen darüber Aufschluss geben.

4.3.3.3 Die Wohnbauten-Situation

Für die Darstellung der Siedlungsentwicklung in den Untersuchungsgebiets- gemeinden des Wienerwalds ist neben der Analyse der Bevölkerungsdynamik und der der Wanderungsbilanzen auch die der Wohnbaustatistik von besonde- rer Bedeutung. Denn die Frage, die sich stellt, lautet: in welche Wohnkategorien ziehen die zugewanderten Personen? So sollen anhand der nachstehenden Kar- ten die jeweiligen Wohnbautypen sowie das Ausmaß ihres Vorhandenseins in den einzelnen Gemeinden abgeklärt werden. Des Weiteren soll die kartogra- phische Darstellung der Wohnbauten-Situation ab den 1980er Jahren einen

Überblick über deren Entwicklung liefern. Neben dem Gebäudebestand in den jeweiligen Gemeinden wird in den nachfolgenden Abbildungen auch der Anteil der Baulandnutzung innerhalb des Gemeindegebiets illustriert. Das heißt, es wird der Anteil der Katasterfläche mit der Nutzungskategorie Bauland an der

Gesamtkatasterfläche der einzelnen Wienerwaldgemeinden 2005 abgebildet.

Auffallend dabei ist, dass die Gemeinden der Südachse Wien-Baden jene mit den größten Nutzungsanteilen an der Baufläche sind, was bedeutet, dass bei diesen der Flächenverbrauch schon am weitesten fortgeschritten ist. Gründe da- für sind neben der Wohn- auch die Industrie- bzw. Gewerbesuburbanisierung.

60

Abb. 13: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet um 1981

Es ist ganz deutlich festzustellen, dass bereits 1981 die vorherrschende Wohn- bauform in den Wienerwaldgemeinden, wie auch im Wiener Umland insge- samt, die des Einfamilienhauses ist. Reichlich 80 Prozent aller Gemeinden wei- sen zumindest zu zwei Dritteln diesen Gebäudetyp auf. Gerade einmal die städtischen Gemeinden Baden und Mödling können „nur“ einen Einfamilien- hausbestand von weniger als 50 Prozent vorweisen, wobei dieser gegenüber den anderen Wohnformen immer noch dominierend ist. Einen Anteil von reich- lich 50 Prozent weisen Bad Vöslau, Gumpoldskrichen, Guntramsdorf, Sooß und

Berndorf auf, bedingt noch Pottenstein und Hainfeld. In all jenen Gemeinden steht der Wohnungstyp des Zweifamilienhauses an zweiter Stelle und ist bis zu

25 Prozent vertreten. Gemeinden, in denen fast ausschließlich das Einfamilien- haus vorrangig vertreten ist, d.h. zu knapp 90 Prozent, sind Breitenfurt und

Wolfsgraben im Osten, Kaumberg im Westen, Sieghartskirchen, Zeiselmauer-

Wolfpassing und Tulbing im Norden des Untersuchungsgebietes. Alle anderen 61 Wohn- bzw. Gebäudeformen, abgesehen von der Kategorie „keine Wohnung“, sind zu einer derart geringen Prozentzahl vertreten, dass sie aufgrund ihres

Aussagemangels nicht mit berücksichtig werden.

Abb. 14: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet um 1991

62

Abb. 15: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet um 2001

Die Wohnbautensituation von 1981 hat sich in den zwei darauf folgenden De- kaden 1991 und 2001 nicht wesentlich verändert. Die Wohnform des Einfamili- enhauses ist nach wie vor führend und konnte sich bis 2001 noch weiter aus- bauen. So hatte beispielsweise die Gemeinde Wolfsgraben im Osten des Unter- suchungsgebiets 1981 einen Einfamilienhausanteil von 88 Prozent. Dieser er- höhte sich 1991 auf 90 Prozent und wuchs in der darauf folgenden Dekade bis

2001 auf 91 Prozent an. Des Weiteren konnten sich auch die anderen Wohnfor- men behaupten, wenn auch weiterhin stark untergeordnet. So konnte dem zum

Trotz der Anteil der Zweifamilienhäuser in der Gemeinde Hainfeld, südwest- lich im Untersuchungsgebiet gelegen, weiter anwachsen. Um 1981 besaß die

Gemeinde einen Zweifamilienhausanteil von 17 Prozent, dieser konnte bis 2001 auf 19 Prozent ausgebaut werden. Gebäude- bzw. Wohnformen wie das Rei- henhaus mit mehr als zwei Wohnungen, wenn auch nur vereinzelt vertreten, vor allem aber in den frühen und städtischen Suburbanisierungsgemeinden an- 63 zutreffen, konnte seine Stellung größtenteils behaupten. Allen Kartendarstel- lungen gemein ist der Anteil der Nutzungskategorie Baufläche in Prozent 2005, gemessen an der gesamten Flächennutzung einer Gemeinde.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Gemeinden des Wienerwaldes primär durch den Einfamilienhaus-Wohnbau geprägt sind, alle anderen Wohn- formen, das Zweifamilienhaus zum Teil noch ausgenommen, sind so gering vorhanden, dass sie für die Wienerwaldgemeinden eine untergeordnete Rolle spielen. Der Wohntyp des Einfamilienhauses ist jedoch auch jener mit dem größten Flächenverbrauch. Das heißt, dass generell mehr technische Infrastruk- tur von Nöten ist, wie beispielsweise das Verlegen von Abwasserleitungen,

Strom oder Straßenbauarbeiten, als dies beispielsweise bei Reihenhäusern der

Fall ist. Bei diesen werden bei gleichem infrastrukturellen Input mehr Haushal- te angeschlossen, wodurch schonender bzw. nachhaltiger mit der Fläche umge- gangen und diese weniger stark zersiedelt wird.

Die Frage, ob die Ausweisung des Wienerwaldes zum Landschaftsschutzgebiet, dazu beigetragen hat, dass die Zuwanderung in der Dekade von 1991-2001 ver- ringert war, kann anhand der Wohnbaustatistik nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Der Ausbau des Einfamilienhauses ist ungebrochen und konnte 1991 sowie 2001 zulegen, was nicht für den Schutz und die Erhaltung des Wiener- waldes spricht. Erschwerend kommt noch hinzu, dass auch das Bevölkerungs- wachstum ungebrochen ist und kein größenspezifischer Unterschied zwischen

1961-1981 und 1981-2001 besteht. Die GIS-gestütze Siedlungsraumanalyse im

Kapitel 5.3 soll darüber weiteren Aufschluss geben.

Zusammenfassend kann anhand der dargestellten Statistiken, angefangen von der Bevölkerungsdynamik, über die Wanderungsbilanzen bis hin zur Wohn- bausituation, ausgesagt werden, dass die Wienerwaldgemeinden sehr wohl mit

Suburbanisierungstendenzen konfrontiert sind, und dies bereits seit den 1970er

Jahren. So ist das Ausmaß der Suburbanisierung zwar ein geringeres als bei den

Gemeinden des Wiener Beckens (Südbahnstrecke) bzw. bei einigen Gemeinden

64 im Norden Wiens wie Korneuburg oder Gerasdorf, jedoch ist dafür neben der

Wohnsuburbanisierung auch die Gewerbliche verantwortlich, die in den Wie- nerwaldgemeinden quasi nicht gegeben ist. So wird die Suburbanisierung der

Wienerwaldgemeinden grundsätzlich aus der Wohnsuburbanisierung gespeist.

5. Fallgemeinden: Auswirkungen des Landschaftsschutzge- biets auf die Siedlungsraumentwicklung

Da die Analyse der Siedlungsraumentwicklung von 52 Wienerwaldgemeinden, nach Abgrenzung der Planungsgemeinschaft Ost, für diese Arbeit zu umfang- reich ist, sollen zwei herausgefilterte Gemeinden als Repräsentanten der ande- ren dienen.

Dabei wurden folgende Parameter herangezogen: es kommen nur jene Ge- meinden in Betracht, die zu 100 Prozent im Landschaftsschutzgebiet situiert sind. Aufgrund dessen bleiben 18 potenzielle Analysegemeinden übrig. Diese werden nachführend in Abbildung 16 kartographisch dargestellt.

Abb. 16: Potenzielle Wienerwaldgemeinden im Landschaftsschutzgebiet

65 Des Weiteren sollen von den 18 gebliebenen Untersuchungsgemeinden zwei

Repräsentanten gefunden werden, die annähernd gleich groß sind und dieselbe

Erreichbarkeit in Hinsicht auf Wien aufweisen, da das Umland primär auf die

Bundeshauptstadt konzentriert ist. Zudem soll bei den Gemeinden je ein Reprä- sentant mit einer hohen Entwicklungsdynamik gefunden werden sowie einer mit einer niedrigen, damit zwischen den beiden ein Vergleich gezogen werden kann. Da die Bevölkerungsentwicklung auch vom Faktor Zeit (Periodendauer) abhängig ist, sollen dafür zwei Zeiträume herangezogen werden. So soll eine

Gemeinde gefunden werden, die sowohl langfristig im Zeitraum von 1961-2001, als auch kurzfristig in der aktuellen Periode von 2001-2005 eine starke Bevölke- rungsentwicklung erfuhr. Zum Vergleich soll eine Gemeinde von den 18 Ver- bliebenen gefunden werden, die sowohl lang- als auch kurzfristig eine schwa- che Bevölkerungsentwicklung aufweist. Dafür wurden die aktuelle und die langfristige Bevölkerungsentwicklung anhand von statistischen Maßzahlen kar- tographisch aufbereitet.

Abb. 17: Aktuelle Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 2001-2005 66

Abb. 18: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1961-2001

Aufgrund der Gegenüberstellung dieser beiden Zeiträume können Fragen ge- klärt werden, wie beispielsweise: Setzt sich der Trend des Bevölkerungswachs- tums in den Wienerwaldgemeinden auch in der aktuellen Periode fort? oder:

Gibt es Unterschiede zwischen der langfristigen Entwicklungsdynamik mehre- rer Dekaden im Vergleich zur kurzfristigen? .

So zeigt die kurzfristige Entwicklungsdynamik Gemeinden mit Bevölkerungs- verlusten auf, die in den Dekaden zuvor fortwährend Bevölkerungsgewinne verbuchten, beispielsweise Judenau-Baumgarten, oder Alland.

Andererseits ist ein Bevölkerungswachstum bei Hainfeld zu verzeichnen, jene

Gemeinde, die in den vorangegangen Jahrzehnten immer mit einem negativen

Bevölkerungswachstum konfrontiert war. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass bzgl. Zuwanderung auf noch weiter entfernte und schlechter erreichbare Ge- meinden zurückgegriffen wird, da durch die allgemein vorherrschende schwa- che Geburtenbilanz dieses Plus nicht allein zustande gekommen sein kann. Des

Weiteren zeigt die aktuelle Entwicklung, dass BRAKEs These vom erweiterten 67 Suburbanisierungsring nach wie vor anwendbar ist. Da sich dieser Ring nicht konzentrisch ausbreiten muss, sondern auch sektoral, zeigen sich sowohl Ge- meinden als Bevölkerungsgewinner, die nahe am Stadtgebiet liegen, als auch diejenigen, die weiter entfernt sind, beispielsweise Gießhübl und Aspernhofen.

Für das Bevölkerungswachstum (Zuwanderung) einer Gemeinde ist immer die

Lebensqualität (landschaftliche Attraktivität, soziale und technische Infrastruk- tur, etc.) von essentieller Bedeutung.

Bei der langfristigen Bevölkerungsentwicklung von 1961 bis 2001 ergibt sich noch ein anderes Bild. Weiter entfernt gelegene Gemeinden wie Brand-Laaben,

Pottenstein, Berndorf und Hainfeld haben mit Bevölkerungsverlusten zu kämp- fen. Alle anderen Gemeinden haben Bevölkerungsgewinne vorzuzeigen, wobei die schwächeren Zuwächse der Südbahngemeinden sich wiederum auf deren

Bevölkerungssättigung zurückzuführen lassen. Im Vergleich zur kurzfristigen aktuellen Entwicklung zeigt sich, dass das Wachstum bzw. die Schrumpfung im Wienerwaldgebiet nicht punktuell und gemischt vorliegt, sondern eher ge- schlossen ist. So sind im Zeitraum 1961-2001 die Bevölkerungsverlierer aus- schließlich am Rande des Untersuchungsgebiets aufzufinden, wobei bei allen anderen Gemeinden Bevölkerungsgewinne vorzufinden sind. Hinzu kommt, dass das Ausmaß der Bevölkerungsentwicklung innerhalb dieser vier Dekaden drei Mal so hoch ist wie das der aktuellen. Dies lässt sich jedoch auf die Größe der Ausgangspopulation zurückführen, die bei einer Zeitspanne von 40 Jahren verständlicher Weise um ein Vielfaches geringer ausfällt als innerhalb von fünf

Jahren. Dennoch kann es im Zeitraum einer Dekade Extreme in beiden Rich- tungen geben, Wachstum wie Schrumpfung der jeweiligen Gemeinde, in Sum- me eines oder in diesem Falle vier Jahrzehnten können diese Ausreißer jedoch völlig verschwinden. Auch aufgrund dessen ist es sinnvoll, sowohl die fortlau- fende als auch die kurzfristige Dynamik aufzuzeigen. So konnte beispielsweise

Alland, welches kurzfristig einen Bevölkerungsschwund aufwies, diesen mit einem stärkeren Wachstum in den nächsten fünf Jahren wieder wettmachen.

68 Nach der statistischen Abhandlung der kurz- und langfristigen Bevölkerungs- entwicklung sollen anhand dieser zwei Parameter nun, aus den 18 verbliebenen

Gemeinden, je ein Vertreter mit einer starken und einer schwachen Entwick- lungsdynamik, kurz- wie langfristig, herausgefiltert werden.

Dafür wurden alle 18 Gemeinden in eine Matrix (s. Abb. 19) nach den Parame- tern starke, mittlere und schwache Bevölkerungsentwicklung in die jeweiligen

Entwicklungsperioden lang- und kurzfristig eingeordnet. Davor wurden, um die Gemeinden besser in die Gruppen stark, mittel und schwach wachsend ein- zuteilen, Quartile gebildet. Das heißt +/-25 Prozent vom Median des Gesamtbe- völkerungswachstums aller 18 Gemeinden ergibt die Kategorie „mittlere Ent- wicklungsdynamik“, alle Werte, die darunter liegen ergeben die Klasse

„schwache Entwicklungsdynamik“ und alle Werte darüber die Gruppe „starke

Entwicklungsdynamik“. Mittels dieser Matrix konnte die kurzfristige Entwick- lungsdynamik mit der langfristigen in Relation gesetzt und dadurch Gemein- den herausgefiltert werden, die sowohl kurz- als auch langfristig von einem starken Bevölkerungswachstum geprägt sind, wie die Gemeinde Wolfsgraben.

Ebenso konnten aber auch Gemeinden herauskristallisiert werden, die lang- wie kurzfristig ein schwaches Bevölkerungswachstum aufweisen, wie die Ge- meinden Alland, Hinterbrühl, Pressbaum oder Maria-Anzbach (vgl. Abb. 19).

Entwicklungsdynamik Entwicklungsdynamik langfristig (1961-2001) kurzfristig (2001-2005) + ~ -

• Wolfsgraben • Gaaden • + • Gießhübl • Klausen-Leopoldsdorf

• Eichgraben • Purkersdorf ~ • Kaltenleutgeben • Heiligenkreuz

• Gablitz • Wienerwald • Alland - • Mauerbach • Hinterbrühl • Laab i. Walde • Pressbaum • Breitenfurt b. Wien •

Abb. 19: Die Untersuchungsgemeinden in Relation zu den Entwicklungsdynamiken

69 Darauf folgend werden in einer weiteren Matrix (s. Abb. 20) die Ergebnisse der

Entwicklungsdynamik mit dem Parameter der Erreichbarkeit in Relation ge- setzt. Dafür wurde mittels der drei Routenplaner „www.tiscover.at“,

„www.map24.com“ und „www.routenplaner.at“ die durchschnittliche Er- reichbarkeit der 18 verbliebenen Untersuchungsgemeinden von Wien ermittelt.

Nachfolgend wurden mit Hilfe des Medians zwei Klassen gebildet: „gute Er- reichbarkeit“ und „weniger gute Erreichbarkeit“. Der Mittelwert lag dabei bei

25,8 Minuten, dass heißt, alle Gemeinden, die von Wien aus schneller zu errei- chen sind, haben eine gute Erreichbarkeit, alle anderen Gemeinden (>25,8 min) eine weniger Gute. Anschließend wurden die Gemeinden wieder in die jeweili- gen Klassen „Entwicklungsdynamik-Erreichbarkeit“ zugeordnet.

Entwicklungsdynamik Erreichbarkeit + -

++ • Wolfsgraben

+~

+- • Laab • Breitenfurt • Gablitz • Mauerbach

~+ • Gaaden • Gießhübl

-- • Alland • Maria-Anzbach • Hinterbrühl • Pressbaum

-~ • Purkersdorf • Heiligenkreuz

-+ • Klausen-Leopoldsdorf • Tullnerbach

~~ • Eichgraben • Kaltenleutgeben

~- • Wienerwald

Abb. 20: Die Untersuchungsgemeinden in Relation zur Entwicklungsdynamik und Erreichbarkeit 70 Mittels dieser Matrix konnten zwei Gemeinden herausgefiltert werden, die ca. dieselben Erreichbarkeiten aufweisen, wovon die eine lang- und kurzfristig stark und die andere schwach wachsend ist.

Es handelt sich dabei um die Gemeinden Wolfsgraben als Vertreter der stark wachsenden Gemeinden und um die Gemeinde Maria-Anzbach, als Repräsen- tant der schwach bzw. mittelmäßig Wachsenden (vgl. Abb. 20). Zudem weisen beide Gemeinden ca. die gleiche Fläche auf, Wolfsgraben mit einer Katasterflä- che von 17,34 km² und Maria-Anzbach mit einer Ausdehnung von 18,19 km², was die Vergleichbarkeit erleichtert.

Anhand dieser zwei Gemeinden soll weiterfolgend abgeschätzt werden, in- wieweit das Landschaftsschutzgebiet Wienerwald Auswirkungen auf die Sied- lungsentwicklung und in weiterer Folge auf den Suburbanisierungsprozess hat.

5.1 Die Gemeinde Wolfsgraben

Wolfsgraben bezeichnet sich selbst als die „Gemeinde im Herzen des Wiener- waldes“ und ist Teil des politischen Bezirks Wien-Umgebung, wobei die Ge- meinde knapp 10 km westlich von der Stadtgrenze Wiens entfernt liegt. Ihre

Flächenausdehnung beträgt in Nord-Süd-Richtung ca. 5 km, in West-Ost-

Richtung ca. 8 km.

Wolfsgraben 2005 Zudem weist Wolfsgraben 1% einen Waldflächenanteil von 3% Katasterfläche: Wald 65 Prozent auf, was mehr als 6% Katasterfläche: landw .Nutzung die Hälfte der Gesamtkatas- Katasterfläche: 25% Gärten terfläche von 17,34 km² aus- Katasterfläche: sonstige Fläche macht (vgl. Abb. 21). 65% Katasterfläche: Baufläche Wolfsgraben liegt auf einer

Abb. 21: Katasterflächenanteile (Nutzung) Wolfsgraben 2005, Seehöhe von 323 m, wobei Quelle: Statistik 2005, eigene Darstellung seine höchste Erhebung, der

„Hengstlberg“, mit 619 m im Süd-Westen der Gemeinde lokalisiert ist.

71 Wolfsgraben ist mit Laab im Walde und Breitenfurt an der Süd-West-Achse lo- kalisiert und liegt zudem ganz in der Nähe des Wienerwaldsees. Sein Gemein- degebiet wird im Norden von der Westautobahn A1 tangiert und vom Norden bis in den Südosten von der B13 durchschnitten, welche derzeit als engere Um- fahrungsstraße für den Süden von Wien fungiert. Die Landeshauptstraße L128

über den kleinen Semmering, Breitenfurt und dem Hochrotherd hat lediglich eine lokale Bedeutung. Dank der Westautobahn A1 und der Bundesstraße B13 ist die Gemeinde von Wien aus über den MIV27 dennoch gut erreichbar. Die

Aufschließung des öffentlichen Nahverkehrs ist hingegen sehr unbefriedigend.

So verfügt Wolfsgraben über zwei Buslinien, die zum einen bis nach Wien Hüt- teldorf und zum anderen nach Wien Liesing fahren. Zudem verkehren zwei

Mal täglich Busse nach Pressbaum und Breitenfurt, die vor allem als Schulbusse

Wolfsgraben Wanderungsbilanzen in Prozent

28 28 1500 1416 30 22 23 1089 20 20 1000 743 529 594 10 6 500 0 Wbil 1971-1981 Wbil 1981-1991 Wbil 1991-2001 0 Wbv1961 Wbv1971 Wbv1981 Wbv1991 Wbv2001 Wolfsgraben M aria Anzbach

Abb. 22: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut Abb. 23: Wanderungsbilanzen im Vergleich Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung

genutzt werden. Wolfsgraben zählt zu den Gemeinden mit den höchsten Be- völkerungsgewinnen. Seine Wohnbevölkerung hat sich von 1961 bis 2001 knapp verdreifacht (167,7 Prozent Wachstum). Die Wanderungsbilanzen liegen ab der Dekade 1971 bis 2001 zwischen 20 und 28 Prozent (vgl. Abb. 22 und 23).

Diese Statistiken zeigen, dass Wolfsgraben zu den stark wachsenden Gemein- den des Untersuchungsgebietes gehört, wofür sie als Repräsentant auch fun- giert. Die Bevölkerungsdichte pro km² Katasterfläche beträgt 80 Einwohner.

27 Motorisierter Individualverkehr 72 Laut Daten der Statistik Austria wurden im Zeitraum von 1991 bis 2005 35,4

Prozent des gewidmeten Baulandes bebaut, wobei die Wohnform des Einfami- lienhauses mit 91 Prozent (2001) dominiert (vgl. Abb. 24). Dies zeigt, dass fast ausschließlich Einfamilienhäuser als bevorzugte Wohnform anzutreffen sind, jene Form mit dem größten Wohnbauten-Situation Wolfsgraben 2001 Flächenverbrauch (Grund- 1% 3% stücksfläche, technische In- 5% frastruktur, etc.). 1 Wohnung In welchem Ausmaß die 2 Wohnungen Zersiedelung der Fläche keine Wohnung 3 bis 5 Wohnungen Wolfsgrabens fortgeschrit- 91% ten ist und wie viel Neubau- Abb. 24: Anteil der Wohngebäude Wolfsgraben Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung ten in den letzten 25 Jahren hinzugekommen sind, soll anhand der in den Kapitel 5.3.1 und 5.3.2 GIS- gestützten Gebäudebestandsanalyse ermittelt werden.

5.2 Die Gemeinde Maria-Anzbach

Die Gemeinde ist ein Wallfahrtsort im westlichen Wienerwald, wobei auch sie zu 100 Prozent im Untersuchungsgebiet verortet ist. Maria-Anzbach liegt zu- dem im Mostviertel, südlich von Neulengbach im Tal des Anzbaches, welcher ein Nebenfluss der Großen Tulln ist. Im Norden wird die Gemeinde vom Buch- berg mit 469 m und im Süden vom Kohlreithberg mit 516 m, welcher auch die höchste Erhebung Maria-Anzbachs darstellt, eingegrenzt. Das Gemeindegebiet liegt auf einer Seehöhe von 245 m.

Maria-Anzbach befindet sich etwa 20 km von der Ortsgrenze Wiens entfernt und wird von der Bundesstraße B44 und der Westbahn (ÖBB) gekreuzt, wobei die B44 die Zubringerstraße zur A1 darstellt, welche nach ca. 11 km bei Press- baum erreich ist. Das öffentliche Verkehrsmittelangebot ist in Maria-Anzbach unterbesetzt. Zwar liegt die Gemeinde mit drei Haltestellen direkt an der West-

73 bahnstrecke und besitzt somit eine gute Anbindung an Wien bzw. St. Pölten, doch gibt es daneben lediglich eine Buslinie, die zwischen Pressbaum und Neu- lengbach (St. Christophen) verkehrt.

Politisch zugehörig ist die Gemeinde dem Bezirk St. Pölten-Land. Anders als

Wolfsgraben ist Maria-Anzbach eine Marktgemeinde, wobei ihr Gemeindege- biet die Katastralgemeinden Maria-Anzbach mit den weiteren Orten Hofstatt am Anzbach, Klein-Weinberg, Maierhöfen und Pameth, sowie Götzwiesen und

Groß-Raßberg mit den weiteren Ortschaften Burgstall, Gschwendt, Oed und

Hof als auch Unter-Oberndorf mit den weiteren Orten Furth, Winkl und Win- ten und Hutten umfasst.

Maria-Anzbach 2005 Ihre Gesamtkatasterfläche 0%

1% Katasterfläche: macht 18,19 km² aus, wobei landw .Nutzung 4% Katasterfläche: 51 Prozent der Fläche land- Wald 8% Katasterfläche: wirtschaftlich genutzt wird, Gärten Katasterfläche: sonstige Fläche jedoch fallen immerhin 36 51% Katasterfläche: Baufläche Prozent auf die Benützung 36% Katasterfläche: Gew ässer Wald, was einen Waldflä-

chenanteil von mehr als ei- Abb. 25: Katasterflächenanteile (Nutzung) Maria-Anzbach 2005 Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung nem Drittel ausmacht.

Als Repräsentant des Gemeinde-Typus mit einer mittelmäßigen Entwicklungs- dynamik, macht das Wachstum Maria-Anzbach der Wohnbevölkerung Maria- 3000 2562 2621 2500 Anzbachs im Zeitraum von 1961 2151 1914 2000 1808 bis 2001 immerhin 36,9 Prozent 1500 aus. Die Bevölkerungsdichte pro 1000 km² Katasterfläche liegt bei 144 500 0 Einwohnern, was im Vergleich zu Wbv1961 Wbv1971 Wbv1981 Wbv1991 Wbv2001

Wolfsgraben erträglich ist (80:144). Abb. 26: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut, M.-A. Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung

74 Das Bevölkerungswachstum ist zudem nach einem Blick auf die Wan- derungsbilanzen der Gemeinde (vgl. Abb. 23) vorrangig auf die Zuwanderung zurückzuführen, welche jedoch in der letzten Dekade 1991 bis 2001 auf ledig- lich sechs Prozent zurückgegangen ist. Ob ein Zusammenhang zwischen den statistisch ermittelten mittleren Bevölkerungswachstums und den schrumpfen- de Wanderungsbilanzen mit einer nachhaltigen Gemeindepolitik hinsichtlich des Landschaftsschutzes auszumachen ist, soll das Bürgermeister-Interview in

Kapitel 5.5 klären.

Die Nutzung der Baufläche hat laut Statistik Austria im Zeitraum von 1991 bis

2005 in Maria-Anzbach um 26 Wohnbauten-Situation Maria-Anzbach 2001 Prozent zugenommen. Das 1% 2% heißt, dass 26 Prozent vom be- 6% 1 Wohnung 6% reits gewidmeten Bauland in 2 Wohnungen keine Wohnung diesem Zeitraum bebaut wur- 3 bis 5 Wohnungen de. Die dominante Wohnform 6 bis 10 Wohnungen 85% ist ebenso wie in Wolfsgra-

Abb. 27: Anteil der Wohngebäude Maria-Anzbach ben das flächenextensive Einfa- Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung milienhaus mit 84 Prozent, gefolgt vom Zweifamilienhaus mit sieben Prozent und der Kategorie „keine

Wohnung“ mit sechs Prozent, die jedoch auf das Alterspflegeheim St. Louise der Gemeinde zurückzuführen ist. Alle anderen Wohnformen spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Inwieweit die Gemeindefläche von Maria-Anzbach zersiedelt wurde und wie viel Neubauten in den letzten 25 Jahren hinzugekommen sind, soll nachfolgend in Kapitel 5.3.2 abgeklärt werden.

5.3 Darstellende Siedlungsentwicklung 1980 bis 2005

Unter einer Siedlung bzw. einem Siedlungsraum versteht man im Allgemeinen diejenigen Teile der Erde, die zum ständigen Lebensraum des Menschen gehö-

75 ren, man spricht dabei auch von dem so genannten Dauersiedlungsraum (vgl.

DIERCKE-Wörterbuch 2001: 779).

Da der Gebäudebestand einer Gemeinde neben der technischen Infrastruktur und den Grünflächen einen wesentlichen Bestandteil einer Siedlung ausmacht, soll hier primär der Fokus liegen. Dafür wurde der Gebäudebestand der Ge- meinden Wolfsgraben und Maria-Anzbach mit Hilfe von Luftbildern des Bun- desamts für Eich- und Vermessungswesen (BEV) aus dem Jahr 1980 erhoben.

Anschließend wurde dieser mit Hilfe des vorhandenen Gebäudebestands in der

Digitalen Katastralmappe (DKM) beider Gemeinden aus dem Jahr 2005 vergli- chen. Mitunter waren die Orthophotos der zwei Wienerwaldgemeinden aus dem Jahr 2000 bei einigen nicht klaren Fällen wie beispielsweise Gebäudeabriss bei der Analyse hilfreich. Sowohl die DKM als auch die Orthophotos sind für diese Analysemethode durch das Institut für Stadt- und Regionalforschung

(ISR) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) von der Nie- derösterreichischen Landesregierung zur Verfügung gestellt worden.

Durch den Vergleich des Gebäudebestandes auf den Luftbildern von 1980 und dem auf der Digitalen Katastralmappe von 2005 konnten Neu- und Zubauten ausgemacht werden und im Zuge dessen Rückschlüsse auf den Flächen- verbrauch sowie die Zersiedelung gezogen werden. Es wurde bewusst dieser

Zeitraum gewählt, weil er die Siedlungssituation von den Anfängen der Aus- weisung des Wienerwaldes als Landschaftsschutzgebiet im Jahr 1979 bis hin zur heutigen Entwicklung abdeckt. Damit soll die Frage geklärt werden, ob und welchen Nutzen das Instrument des Landschaftsschutzgebietes für die Sied- lungsraumentwicklung innerhalb des Wienerwaldes hat.

5.3.1 Gebäudeanalyse der Gemeinde Wolfsgraben

Nachstehende Karte, Abb. 28, soll einen Gesamtüberblick über die Gemeinde

Wolfsgraben geben, über die Verteilung der Wald- und Flurflächen, des Stra-

ßennetzes sowie der Siedlungsfläche. Aufgrund des Maßstabs der Karte wur-

76 den nachfolgend die Siedlungsflächenteile herausgenommen, in denen es die meisten Neu- und Zubauten im Untersuchungszeitraum gab, s. Abb. 29 und 30.

2

1

Abb. 28: Überblick über die Siedlungssituation Wolfsgrabens

Mittels der GIS-gestützten Gebäudeanalyse konnte ermittelt werden, dass

Wolfsgraben einen Gebäudebestand von 937 Bauten besitzt. Davon existierten

1980 bereits 801, das heißt, dass bis 2005, in 25 Jahren 133 Gebäude hinzuka- men, wobei nur jene berücksichtigt wurden, die eine Grundfläche von mindes- tens 20 m² aufweisen. All jene die mit ihrer Quadratmeterzahl darunter liegen, gelten laut Statistik Austria (Häuser- und Wohnungszählung) nicht als Haus.

Insgesamt hat der Gebäudebestand der Gemeinde Wolfsgraben in den vergan- genen 25 Jahren um 16,6 Prozent zugenommen, was nicht überdurchschnittlich hoch erscheint. In Summe sind dies jedoch mehr als fünf Neubauten pro Jahr innerhalb eines Gemeindegebiets mit fast zwei Dritteln Waldfläche und zudem innerhalb eines sensiblen Landschaftsgebiets. Zusätzlich zudem muss der As- pekt berücksichtigt werden, dass die Wienerwaldgemeinden durch die fehlen-

77 de Komponente von Industrie und Gewerbe weniger stark von der

Suburbanisierung betroffen und somit weniger versiegelt sind, als die Gemein-

den an der Südbahnstrecke.

1 Anhand der detaillierten Karten-

ausschnitte in Abb. 29 und 30 ist

erkennbar, dass die Zersiedelung

der Fläche schon vor 1980 ein-

gesetzt hat. So liegen zwischen

einigen Grundstücken bzw. Häu-

sern 250 bis 500 m Freiflächen. In

den vergangenen 25 Jahren wur-

den diese Baulücken teilweise

durch weitere Bauten aufge-

schlossen. Einige Straßen wurden

jedoch aufgrund von Neubauten

erweitert oder neu gebaut.

Zusammenfassend kann festge-

halten werden, dass Wolfsgraben Abb. 29: Übersicht Gebäudebestand, Wgr. Neu und Alt (1) eine stark zersiedelte Gemeinde ist, in der das Ortszentrum ohne Ausweisung der Kirche nicht klar ersichtlich ist. Die Zersiedelung der Fläche setzte jedoch schon vor 1945 ein, was durch

2

Abb. 30: Übersicht Gebäudebestand Wolfsgraben, Neu und Alt (2) 78 den historischen Flächenwidmungsplan von 1978, welche bei der Niederöster- reichischen Landesregierung in Baden aufliegt, ersichtlich wurde. So gab es die

Heimbautalsiedlung im Nordosten der Gemeinde (s. Abb. 28) schon vor 1945.

Sie wurde in den Jahren darauf durch weitere Gebäude aufgestockt. So wie in der Heimbautalsiedlung wurde auch in den 25 Untersuchungsjahren der Ge- bäudeanalyse versucht, die damals entstandenen Baulücken in Richtung kom- pakte, verdichtete Bauweise aufzufüllen, was auch anhand von Abb. 30 sichtbar wird.

5.3.2 Gebäudeanalyse der Gemeinde Maria-Anzbach

1

2

Abb. 31: Überblick über die Siedlungssituation Maria-Anzbachs

Ebenso wie in Wolfsgraben soll in Maria-Anzbach anhand voran stehender Kar- te, Abb. 31, ein Überblick über das Siedlungsgebiet, die Wald- und Flurvertei- lung sowie die Lage der technischen Infrastruktur innerhalb der Gemeinde ge- geben werden. Die darauf folgenden detaillierten Kartenausschnitte in Abb. 32

79 und 33 bilden die Siedlungsteile mit den meisten Neu- und Zubauten ab und geben zudem Aufschluss über ihre Lage im Siedlungsraum.

Anhand der Gebäu-

1 deanalyse konnte für

Maria-Anzbach fest-

gestellt werden, dass

der Gebäudeanteil in

der Periode von 1980

bis 2005 um 12,2

Prozent zugenom-

men hat, was 4,4

Prozent weniger sind

als in der Gemeinde

Wolfsgraben. Das

macht zwar keinen

großen Unterschied

aus, ist aber durch-

aus durch die unter- Abb. 32: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (1) schiedliche Bevölke- rungsentwicklung in den letzten Jahren zwischen einer stark und einer mittel- mäßig wachsenden Gemeinde zu erklären. Zwar übertrumpft Maria-Anzbach in absoluten Zahlen Wolfsgraben um 59 Gebäuden, jedoch müssen diese immer in Relation zum Gesamtgebäudebestand gesehen werden, welcher in Wolfsgra- ben fast um die Hälfte geringer ist und sich in Maria-Anzbach schon 1980 auf

1573 belief. Demzufolge muss von einer anderen Größendimension ausgegan- gen werden. Der gesamte Gebäudebestand (2005) beträgt in Maria-Anzbach

1765, was bedeutet, dass in den zurückliegenden 25 Jahren 192 Häuser hinzu- gekommen sind, sprich mehr als sieben Gebäude pro Jahr.

Somit kann dennoch festgehalten werden, dass Maria-Anzbach mehr Neubau-

80 ten aufweist als Wolfsgraben, obwohl die Gemeinde dem mittelfristig-wachsen- den Gemeindetyp entspricht.

2

Abb. 33: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (2)

Das Gemeindegebiet von Maria-Anzbach setzt sich aus vier Katastralgemein- den: Maria-Anzbach, Götzwiesen, Groß-Raßberg und Unter-Oberndorf zu- sammen (vgl. Kapitel 5.2), wohingegen Wolfsgraben aus einer Katastralge- meinde - Wolfsgraben - besteht. Maria-Anzbach ist zwar im Vergleich zu

Wolfsgraben nur um 90 ha größer, aber wirkt dennoch städtisch geprägter, was auch nicht verwunderlich ist, bei einem Gesamtgebäudebestand, der um 47,1

Prozent höher ist als der, der Gemeinde Wolfsgraben. Auch von den Einwoh- nerzahlen übertrumpft Maria-Anzbach Wolfsgraben um 46 Prozent. Was je- doch auch damit zu erklären ist, dass Maria-Anzbach auf eine 535 Jahre längere

Siedlungsgeschichte zurückblicken kann. So wurde die Siedlung Maria-

Anzbach um 998 das erste Mal urkundlich erwähnt. Der Name Wolfsgraben er- scheint hingegen 1533 das erste Mal urkundlich auf. Dies alles sind jedoch

Hinweise darauf, dass das Flächenwachstum in Maria-Anzbach schon fortge-

81 schrittener ist als in Wolfsgraben, und aufgrund dessen das Wachstum eventu- ell durch gemeindepolitische Restriktionen in den vergangen 25 Jahren herab- gesetzt wurde. Darüber soll jedoch das Bürgermeister-Interview in Kapitel 5.5

Aufschluss geben.

Beim Vergleich der beiden Gemeinden sind darüber hinaus die naturräumli- chen Gegebenheiten zu berücksichtigen, die einen immens hohen Einfluss auf die Siedlungsentwicklung haben. Inwieweit Maria-Anzbach von der Zersiede- lung der Fläche betroffen ist, darüber sollen die Karten in den Abb. 32 bis 33

Auskunft geben.

Vor allem in Abb. 33 ist gut erkennbar, wie stark das Gemeindegebiet zersiedelt ist. So trifft man auf Siedlungszüge im Norden, im Süden sowie entlang der

Westbahnstrecke, wobei diese die Hauptsiedlungsachse ausmacht. Die Karten in Abb. 32 und 33 zeigen dabei sehr deutlich, dass der Siedlungszug entlang der

Westbahn oftmals durch 500 und mehr Meter unterbrochen ist bis eine neue

Wohnsiedlung anschließt. Zwischen den vier Katastralgemeiden liegen mitun- ter ein bis zwei Kilometer Entfernung. Sie sind, abgesehen von Maria-Anzbach und Unter-Oberndorf, die an der Westbahn gelegen sind, nur durch das Auto zu erreichen.

Ebenso wie in Wolfsgraben wurde das Gemeindegebiet in Maria-Anzbach schon vor 1980 der Zersiedelung ausgesetzt, was anhand der voran stehenden

Karten gut veranschaulicht wird. Man trifft jedoch innerhalb der 25 Jahre der

Gebäudebestandsanalyse auf Baulückenaufschließungen wie auch auf neue

Straßenzüge mit Neubauten, siehe Abb. 32.

Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass auch Maria-Anzbach zersiedelt ist und dies noch stärker als das Gemeindegebiet von Wolfsgraben. Zu bemer- ken ist dabei jedoch, dass die Zersiedelung der Fläche ebenfalls vor 1980 ge- schah und in der Periode bis 2005 nicht erweitert sondern in Richtung verdich- tete Bauweise, wie auch in Wolfsgraben, aufgeschlossen wurde. Hinsichtlich der herabgesetzten Wanderungsbilanzen im Zuge der Ausweisung der Fläche

82 zum Landschaftsschutzgebiet kann mittels der Gebäudeanalyse keine treffende

Aussage getroffen werden, sodass diese Fragestellung allein durch die qualita- tiven Interviews ab Kapitel 5.5 beantwortet werden kann.

In weiterer Folge soll neben der Gebäudeanalyse auch auf das gewidmete Bau- land der Gemeinden näher eingegangen werden, da dieses ja die Grundlage für alle Bauten in einem Gemeindegebiet darstellt.

5.3.3 Bauflächen und Bauflächenverfügbarkeit der Gemeinden

Mittels der Digitalen Katastralmappe 2005 und der Orthophotos der Gemein- den aus dem Jahr 2000 konnten die bebauten und unverbauten Bauflächen in- nerhalb der Widmung im Flächenwidmungsplan ausgemacht werden. Dafür wurden im Vergleich der DKM mit den Orthophotos alle Freiflächen im Bau- land digitalisiert und entsprechend aufbereitet, zusätzlich wurden die durch

das Land Nieder-

österreich einge-

brachten Siedlungs-

grenzen (vgl. Kapi-

tel 5.4.1) dabei mit

berücksichtigt. In

Folge ergab sich für

die Gemeinde Wolf-

sgraben folgendes

Bild: Wolfsgraben

Abb. 34: Baulandreserve Wolfsgraben 2005 verfügt über 102,3 ha gewidmetes Bauland, wobei davon bereits 78,8 ha bebaut sind. Dies macht eine Baulandreserve von 23,5 ha aus, was einem Anteil von 23 Prozent ent- spricht. Generell steht in der Gemeinde Wolfsgraben, wie in Abb. 34 karto- graphisch verdeutlicht, für die nächsten Jahrzehnte noch genügend unbebautes gewidmetes Bauland zur Verfügung.

83 Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Gemeinde Maria-Anzbach. So besitzt diese

302,3 ha gewidmetes Bauland, von dem bereits 223,4 ha verbaut sind, was zu einer Baulandreserve von 78,9 ha führt.

Dies entspricht einem Anteil von 26,1 Prozent. Das zeigt, dass auch in der Ge-

meinde Maria-Anz-

bach nochgenügend

gewidmete Bauland-

reserven verfügbar

sind. Zudem besitzt

Maria-Anzbach reich-

lich drei Mal soviel

gewidmete Bauland-

freiflächen wie Wolfs-

graben, hat jedoch in

Abb. 35: Baulandreserve Maria - Anzbach 2005 Summe 200 ha Katas- terfläche mehr gewidmetes Bauland zur Verfügung als Wolfsgraben. Da die großen Baulandwidmungen bereits in den 1960er/ 70er Jahren erfolgten, wie

Gespräche mit der Niederösterreichischen Landesregierung ergaben, ist die

Frage, wie viel Grünland seit Ernennung des Wienerwaldes zum Landschafts- schutzgebiet in Bauland umgewidmet wurden, hinfällig. Anhand einer PGO-

Studie aus dem Jahr 1986 mit dem Titel: „Baulandreserven“ im Wienerwald, konnte jedoch der Baulandanteil für die zwei Beispielgemeinden zu diesem

Zeitpunkt ermittelt werden. Als Grundlage für die Bearbeitung der Studie standen der PGO die Flächenwidmungspläne aller niederösterreichischen Wie- nerwaldgemeinden zur Verfügung. Darauf aufbauend konnte für Wolfsgraben ein gewidmetes Bauland von 104,9 ha festgestellt werden bei einer Baulandre- serve von 15,9 ha. Dies entspricht einem Anteil von 15,2 Prozent. Dabei fällt auf, dass die PGO-Daten mit den selbst Ermittelten sowie mit den Daten aus dem

örtlichen Entwicklungskonzept der Gemeinde nicht kompatibel sind. So hatte

84 Wolfsgraben 1986 mehr Bauland zur Verfügung als heute, was man mittels

Rückwidmungen erklären könnte, jedoch war damals von diesem bereits ein deutlich größerer Teil verbaut als dies heute der Fall ist. So ergibt sich eine Dif- ferenz von 10,2 ha bebauter Fläche zwischen 1986 und 2005. Bei Maria-Anzbach zeichnet sich ein anderes Bild ab. So verfügte die Gemeinde damals über 242,9 ha gewidmetes Bauland, bei einer Baulandreserve von 50,1 ha, was einem An- teil von 20,6 Prozent entspricht. Demnach sind innerhalb der letzten 19 Jahre immerhin 59,4 ha an Bauland in Maria-Anzbach hinzugekommen, wobei von diesen bis heute 30,8 ha bereits verbaut wurden. Somit sind pro Jahr durch- schnittlich mehr als 31.000 m² Bauland hinzugekommen, was einen beträchtli- chen Anteil ausmacht.

Anhand der Karten in Abb. 34 und 35 sowie mittels der Statistiken ist erkenn- bar, dass Maria-Anzbach bei einer annähernd gleichen Gemeindekatasterfläche einen weit größeren Flächenverbrauch aufweist als Wolfsgraben, obwohl

Wolfsgraben in den letzten 25 Jahren eine fast doppelt so hohe Entwicklungs- dynamik vorzuweisen hat. Diese Entwicklung geht darauf zurück, dass Maria-

Anzbach eine kontinuierlich gewachsene Siedlung ist, die schon 535 Jahre län- ger existiert, wohingegen Wolfsgraben sein Siedlungswachstum in der Periode von 1980 bis 2005 immens ausbauen konnte. Somit handelt es sich bei den bei- den um eine schnell und eine langsam wachsende Gemeinde.

Inwieweit der Landschaftsschutz und somit der Schutz des Wienerwalds in- nerhalb der beiden Gemeinden, die ja als Repräsentanten aller Wienerwaldge- meinden fungieren, eine Rolle in Hinsicht auf Flächenverbrauch und Zersiede- lung spielen, soll anhand nachfolgender qualitativer Interviews in Kapitel 5.5 ermittelt werden.

5.4 Begehungen vor Ort

Bevor auf Grundlage der Bürgermeister-Befragung auf die örtliche Raumord- nung der zwei Beispielgemeinden Wolfsgraben und Maria-Anzbach Bezug ge-

85 nommen wird, sollte durch eine Begehung vor Ort ein weiterer Überblick über die Siedlungssituation und die Zersiedelung des Gemeindegebiets gewonnen werden. So war in beiden Gemeinden ein starker Zersiedelungscharakter deut- lich erkennbar. Sowohl Wolfsgraben als auch Maria-Anzbach sind von mehre- ren Siedlungskörpern, die mehr oder weniger zusammenhängen, geprägt. Man kann dabei in Wolfsgraben von Siedlungssplittern ohne räumlichen Zusam- menhang zur gewachsenen Ortschaft sprechen. So liegt das Heimbautal, im

Nord-Westen des Gemeindegebiets vom

Ortszentrum mehr als 3 km entfernt. Die

Rumelsiedlung, südlich der Westauto-

bahn im Norden der Gemeinde lokalisiert,

befindet sich ca. 2 km vom Ortskern ent-

fernt. Zu bemerken ist, dass diese beiden

Siedlungen sowie die Ansiedlung ent- Abb. 36: Bautätigkeit Rumelsiedlung, Wolfs- graben, eigene Aufnahme lang der Brentenmaisstraße, westlich der

Rumelsiedlung gelegen, mittlerweile den Großteil der Bevölkerung Wolfsgra- bens (ca. 60 Prozent) beherbergen. Aus der einstigen Streusiedlung wandelte sich Wolfsgraben im letzten Jahrhundert durch die rege Siedlungstätigkeit, vor allem entlang der Hauptstraße, zu einem Straßendorf.

Aber auch Maria-Anzbach kann keinen kompakten Siedlungskörper vorweisen.

So setzt sich das Gemeindegebiet aus vier weit voneinander entfernt liegenden Ka- tastralgemeinden zusammen. So liegt Un- ter-Oberndorf im Osten der Marktge- meinde von Maria-Anzbach Ortskern ca. Abb. 37: Hofstatt, Maria-Anzbach,

3km, Groß-Raßberg mit der Ortschaft eigene Aufnahme

Burgstall, im Norden lokalisiert, sogar 4 km entfernt. Die Bewohner der Ka- tastralgemeinde Götzwiesen, im Südes des Gemeindegebiets, müssen aufgrund

86 mangelnder Infrastruktur sogar die Landesstraße über die Nachbargemeinde

Altlengbach benutzen, um ins Ortszentrum von Maria-Anzbach zu ge- langen, was insgesamt eine Wegstrecke von ca. 7 km ausmacht. Im Gegensatz zu Wolfsgraben handelt es sich hierbei aber nicht um Siedlungssplitter sondern um einzelne gewachsene Ortschaften, die sich politisch zur Marktgemeinde

Maria-Anzbach als Ganzes zusammensetzen. Dennoch handelt es sich um ein

Gemeindegebiet, das stark zersiedelt ist und ebenso wie Wolfsgraben sehr locker bebaute Einfamilienhausbereiche aufweist.

So ist anhand der Gebäudeanalyse als auch durch die Begehungen vor Ort deutlich sichtbar, dass in den letzten 25 Jahren primär Baulückenaufschließun- gen durch Einfamilienhausbauten getätigt wurden, wobei nicht außer Acht ge- lassen werden darf, dass dem Gegenüber auch eine Bevorzugung von

Grundstücken in Aussichtslagen gegeben ist, die völlig neu erschlossen werden mussten. Auch in den kommenden Jahren werden die Gemeinden mit flächen- extensiven Einfamilienhausneubauten konfrontiert sein, worauf zahlreiche

Grundstücksverkäufe sowohl in Wolfgraben, und da vor allem in der Heimbau- talsiedlung, als auch in Maria-Anzbach hinweisen. Nebenstehende Abbildun- gen sollen dabei einen kleinen Einblick über die Wohnbautensituation und

Siedlungstätigkeit in den Gemeinden liefern.

5.5 Qualitative Interviews der beiden Beispielgemeinden

Anhand der Bürgermeister-Befragungen in Wolfsgraben und Maria-Anzbach soll mit Hilfe der örtlichen Raumordnung der Gemeinden auf die Siedlungstä- tigkeit sowie in Folge auf die Zersiedelung der Fläche unter Berücksichtigung der Schutzgebietskategorie Landschaftsschutzgebiet Bezug genommen werden.

Dabei soll auf den Bekanntheitsgrad des Landschaftsschutzgebiets, dessen Wir- kung auf die Siedlungsentwicklung in den Gemeinden sowie dessen Berück- sichtigung innerhalb der örtlichen Raumordnung eingegangen werden.

87 Vorab soll die Nützlichkeit der örtlichen Entwicklungskonzepte als Bestandteil der örtlichen Raumordnungsprogramme für das Landschaftsschutzgebiet Wie- nerwald abgeklärt werden, also inwiefern dieses in den Entwicklungs- und

Planungsabsichten der Gemeinden seine Berücksichtigung findet. Jedoch ges- taltet es sich schwierig, einen gleichwertigen Bezug zwischen den Gemeinden herzustellen, da die Gemeinde Maria-Anzbach nicht über ein örtliches Entwick- lungskonzept verfügt. Maria-Anzbach besitzt lediglich einen Flächenwid- mungsplan mit dem die Gemeinde agiert und ihre Planungen umsetzt. Wolfs- graben hingegen hat solch ein Dokument aus dem Jahr 2004, auf welches in

Hinblick auf das Landschaftsschutzgebiet Wienerwald kurz eingegangen wird.

Im Kapitel 5, S. 19, des örtlichen Entwicklungskonzepts Wolfsgraben mit dem Titel „Natur, Umwelt und Ökologie“ findet das Landschaftsschutzgebiet seine marginale Berücksichtigung, indem vermerkt wird, dass sich das gesamte

Gemeindegebiet innerhalb dieser Schutzgebietskategorie befindet. In Summe wird jedoch allgemein auf die naturräumlichen Gegebenheiten des Gemeinde- gebiets und dessen Schutz Bezug genommen. Der einzige Punkt, der gegen eine weitere Zersiedelung der Fläche im Rahmen des Naturschutzes spricht, ist, dass

Offenlandschaftsflächen durch die Erstellung von Teilbebauungsplänen und der Festlegung von verdichteten Bebauungsplänen geschützt werden sollen. Im

Kapitel 2, S.11, „Siedlungsentwicklung, Bebauung“ wird zudem indirekt in den

Zielsetzungen ein weiteres und letztes Mal auf Natur- und Landschaftsschutz

Bezug genommen. So heißt es da: „Neuwidmungen von Wohnbaulandflächen sind nur entlang von bestehenden öffentlichen Verkehrsflächen mit Wasser- und Kanalanschluss sinnvoll, sofern es sich um das Schließen von Bauland-

Lücken handelt und keine anderen Gründe dagegen sprechen (Natur- und

Landschaftsschutz, Gewässerschutz etc.)“ Somit ist die Ausbeute im örtlichen

Entwicklungskonzept im Hinblick auf die Steuerung der Siedlungsentwicklung durch den Naturschutz und im Speziellen durch das Landschaftsschutzgebiet zu gering und quasi nicht gegeben. Nachfolgende Interviews sollen diesen Ein-

88 druck noch verstärken.

5.5.1 Bürgermeisterin-Interview Gemeinde Wolfsgraben

Am 29. März 2007 fand im Gemeindeamt Wolfsgraben die Befragung der dort agierenden Frau Bürgermeisterin Claudia Bock statt. Im Zuge dessen konnten wesentliche Informationen in Hinblick auf örtliche Raumordnung, Gemeinde- politik und den Nutzen sowie die Wirkungskraft des Naturschutzes gewonnen werden.

Frau Bock, die seit 01. Dezember 2006 das Amt der Bürgermeisterin inne hat, kannte den Begriff des Landschaftsschutzgebietes und fand diese Schutzge- bietskategorie auch durchaus sinnvoll, wenn eine Begründung wie beispiels- weise Artenschutz vorliegt. Grundsätzlich findet sie, dass die Wienerwaldland- schaft, diese typischen Wiesen- und Waldkombinationen geschützt gehören.

Jedoch gab es in den letzten 25 Jahren in der Gemeinde Wolfsgraben keine Re- striktionen vom Landschaftsschutzgebiet aus, in dem Sinne, dass bestimmte

Planungen und Bauten nicht umgesetzt werden konnten. Ihre persönliche Mei- nung ist zudem, dass man einige Baulandflächen auch hätte zurückwidmen können. Dies sei jedoch ein schwieriges Unterfangen, da der Großteil des Bau- landes im Gemeindegebiet schon vor 1973 gewidmet wurde und vom tätigen

Gemeinderat in den letzten 25 Jahren niemand einen Einfluss darauf gehabt ha- ben soll. Die Begründung liegt darin, dass die Baulandflächen, außer einer ein- zigen gemeindeeigenen Fläche auf dem das Gemeindeamt lokalisiert, in Privat- besitz sind, und die Gemeinde zudem nicht die finanziellen Mittel zur Verfü- gung hat um Baulandflächen wieder zurückzuwidmen.

Die Umwidmungen im Gemeindegebiet von Grünland in Bauland waren in den letzten 25 Jahren, laut Angaben von Frau Bock, marginal und kaum vertre- ten, es gab nur wenige Flächenabtausche, bei denen es sich um einzelne Grün- landflächen handelte, die in einem umschlossenen Baulandgebiet lagen. Diese

Flächen, da sie inmitten des Landschaftsschutzgebiets Wienerwald verortet

89 sind, wurden und werden dabei stets von der Naturschutzbehörde des Landes begutachtet. Zumeist spricht jedoch bei diesen vom Bauland umschlossenen

Grünlandflächen von Seiten des Landes nichts dagegen, sie in Bauland umzu- widmen. Zwar strebt die Gemeinde, nach Angaben von Frau Bock, nicht an, diese Gebiete zu verbauen, weil dadurch weitere Flächen versiegelt werden und Wolfsgraben zudem zu den Bodenbündnisgemeinden28 gehört. Auch wol- len der Gemeinderat und die Frau Bürgermeisterin die Struktur des Dorfes

Wolfsgraben erhalten und verhindern, dass der Ort urban überprägt wird. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Wolfsgraben eine reine Einfamilienhaus-

Gemeinde ist, es gibt etwa fünf Zweifamilienhäuser und zwei Geschosswohn- bauten, wobei eines davon sich noch in Bau befindet. Diese zwei wurden von der Gemeinde auf den 99jährigen Pachtgründen der Bundesforste errichtet.

Damit soll sich der verdichtete Wohnbau für Frau Bürgermeisterin Bock in

Wolfsgraben mittels mehrstöckigen Genossenschaftsbauten, wofür sich der vorherige Bürgermeister stark gemacht hat, erledigt haben.

Es soll jedoch auch dann, wenn die Baulandreserve durch den Einfamilien- hausbau von zurzeit noch ca. 20 Prozent aufgebraucht ist, keine Bauland-

Neuwidmungen mehr geben. Zudem ist die Infrastruktur des Ortes nicht so angelegt ist, dass Wolfsgraben noch deutlich erweitert werden und wachsen könnte. So gibt es einen Kanal, der auf 2.500 Einwohner angelegt ist, die Ge- meinde weist zurzeit jedoch schon ca. 1.500 Ständige und in etwa 500 Zweit- wohnsitzbewohner, wodurch ein weiteres Wachstum beschränkt ist.

Die starke Zuwanderung in den letzten 25 Jahren ist darauf zurückzuführen, dass die Gemeinde vor allem den Anteil an Hauptwohnsitzen steigern konnte.

Dies war laut Angaben der Bürgermeisterin einer guten Gemeindepolitik zu verdanken. Diese hohen Bevölkerungszahlen resultieren aus den Bemühungen der Gemeinde die Zweitwohnsitzmeldungen in Hauptwohnsitze umzuwan- deln. So versuchte der Gemeinderat den Bewohnern bewusst zu machen, dass

28 Das Bodenbündnis ist ein Zusammenschluss von Städten und Gemeinden in Europa mit dem Ziel, aktiv für einen nachhaltigen Umgang mit Böden einzutreten. 90 es wichtig ist, dass sie ihren Hauptwohnsitz in Wolfsgraben haben, da sonst aufgrund mangelnder Ertragsanteile, bestimmte Leistungen wie beispielsweise eine Straßenasphaltierung von der Gemeinde nicht erbracht werden können.

Die Baugründe seien in dem Zuge jedoch nicht vergünstigt angeboten worden, der m² Baugrund kostet unaufgeschlossen um die 140 Euro.

In den 1970er Jahren soll sich in Wolfsgraben eine Bilanz von 1,5 Einwohnern pro Haus abgezeichnet haben, so dass aufgrund des daraus resultierenden ex- trem hohen Zweitwohnsitzanteils die Gemeinde finanziell stark belastet wurde.

In den darauf folgenden Jahren konnte der Anteil durch die offensive Gemein- depolitik auf 35 Prozent reduziert werden.

Für Neuzugezogene wurden, laut Angaben von Frau Bock, Gründe ausgewiesen, die zur Baulückenaufschließung dienten. So ist weiters die Zersiedelung Wolfsgrabens eine im letzten Jahrhundert Gewachsene. Im

Gemeindegebiet gibt es mehr Wald als Wie- Abb. 38: Baulückenaufschließung, Wolfsgra- ben, eigene Aufnahme sen und Bauland, wodurch die Besiede- lung dieser Fläche vor allem durch die Köhler und in weiterer Folge durch die

Forstarbeiter entstanden ist. So haben sich anschließend die Bauern angesiedelt, nachdem die Forstarbeiter das Holz geschlägert hatten. In Folge dessen sind einzelne Gehöfte entstanden und um diese Gehöfte kamen im Laufe der Zeit weitere Ansiedlungen hinzu. Eine Ausnahme bildet die Rumelsiedlung. Sie

entstand als eigener Siedlungskörper im

Zuge des Autobahnbaus, es handelt sich

dabei um eine Schüttgrube. Auch das

Heimbautal als weiterer eigener Siedlungs-

körper ist im Zuge einer vermutlichen Ab-

holzung nach dem Krieg entstanden.

Abb. 39: Rumelsiedlung, Wolfsgraben, ei- gene Aufnahme

91 Die vier großen Siedlungskörper: Ortszentrum, Brentenmaisstraße, Rumel- siedlung und Heimbautal sind im letzten Jahrhundert gewachsen und sollen im

Jetzigen, laut Bürgermeisterin Bock, nicht miteinander verbunden werden.

Ein weiteres Wachstum der Bevölkerung wird der Gemeinde in den nächsten

Jahren nicht erspart bleiben, auch wenn der Gemeinderat und die Frau Bür- germeisterin dies nicht anfokussieren, zumal es die Restriktionen bzgl. der

Siedlungsgrenzen (s. Interview DI Maxian) vom Land Niederösterreich gibt und jegliche Umwidmung von diesem auch begutachtet wird. Des Weiteren kommt es zu einem Identitätsverlust durch die Mehrheit der Zugezogenen, weil sich, laut Angaben von Frau Bock, nur ein Bruchteil von ihnen in der Ge- meinde integrieren will. So sollen die meisten ihre Ruhe haben wollen und auch

Veranstaltungen wie Feuerwehr- oder Pfarrfeste seien zumeist nicht hilfreich, ein Identitätsbewusstsein zu schüren.

Auch ist die öffentliche Nahverkehrsverbindung durch Bus und Bahn in der

Gemeinde eher schlecht, sodass auf den motorisierten Individualverkehr zu- rückgegriffen werden muss. Für eine eigene Buslinie fehle das Geld. Hinzu kommt, dass die Komponente der sozialen Infrastruktur in Wolfsgraben schwä- cher vorhanden ist als in anderen Gemeinden. So verfügt die Gemeinde zwar

über einen Kindergarten, doch ihre Volksschule wurde bereits in den 1960er

Jahren geschlossen. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ist nur durch einen kleinen Greißler gewährleistet, alle größeren Besorgungen müssen in den umliegenden Gemeinden wie Pressbaum oder Purkersdorf erledigt werden.

In Summe kann festgehalten werden, dass laut Meinung von Frau Bürgermeis- terin Bock Schutzgebietskategorien wie das Landschaftsschutzgebiet, der Bio- sphärenpark etc. einen Einfluss auf die Erhaltung des Wienerwaldes und gegen die Zersiedelung der Fläche haben. Dies vor allem weil sie im Flächenwid- mungsplan ausgewiesen sind und so immer jemand von der Naturschutzbe- hörde als Gutachter sowie ein Vertreter von der Raumordnungsabteilung vom

Land bei Umwidmungen im Zuge vom Flächenaustausch die ganze Situation

92 vor Ort begutachtet und dabei immer ein Für und Wieder abwägt. Ein Problem wird jedoch sein, wer diese ganzen schützenswerten Wiesenflächen in Zukunft pflegen soll. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt ab – sie sind zu- dem fast immer Nebenerwerbsbetriebe. Die Frage, die sich Frau Bürgermeiste- rin Bock dabei stellt, ist, ob die nachfolgende Generation das Bauerntum auf- rechterhalten wird und die Wiesenflächen durch entsprechende Pflege weiter- hin als Wiesenflächen erhalten bleiben können, oder ob die öffentliche Hand für die Gemeinden mit Förderungen vom Land einmal Landschaftspfleger einset- zen muss.

5.5.2 Bürgermeister-Interview Gemeinde Maria-Anzbach

Am 27. März 2007 fand im Gemeindeamt von Maria-Anzbach die Befragung des dort seit 13 Jahren tätigen Bürgermeisters Franz Allmayer statt. Im Ver- gleich zum Interview mit Frau Bürgermeisterin Bock der Gemeinde Wolfsgra- ben als Repräsentant einer stark wachsenden Gemeinde, ließen sich bei diesem

Gemeindetypus einer schwach bzw. mittelfristig wachsenden Gemeinde inte- ressante Entdeckungen machen. So wurde ebenfalls auf die Themenkomplexe

örtliche Raumordnung verknüpft mit Bevölkerungswachstum und Zersiede- lung der Fläche sowie auf die Bedeutung des Landschaftsschutzes eingegangen.

Herr Bürgermeister Allmayer ging unsicher mit dem Begriff des Land- schaftsschutzgebiets Wienerwald um. Ihm war nicht bewusst, dass Maria-

Anzbach innerhalb dieser Schutzgebietskategorie liegt. So meinte er, dass die

Gemeinde zwar im Schutzgebiet Wienerwald liegt, und der Wienerwald auch eine Art Landschaftsschutzgebiet darstellt, aber dieses kein sehr strenges Reg- lement sei. In Maria-Anzbach gebe es zwar den Status des Wienerwaldes, aber ein richtiges Landschaftsschutzgebiet ist es in den Augen von Bürgermeister

Allmayer nicht. Ebenso war es ihm fremd, dass im Flächenwidmungsplan

Schutzgebietskategorien wie das Landschaftsschutzgebiet und der Biosphären- park ausgewiesen sind. Weiterführend ist er seiner eigenen Meinung nach dem

93 Natur- und Landschaftsschutz gegenüber positiv eingestellt, doch nur insoweit die Entwicklung der Gemeinde damit nicht auf null gesetzt wird, weil sie ein lebendes Gebiet sei und ihr somit die Selbstständigkeit an Planung und Umset- zung gewährleistet werden muss. Entwicklungsstillstand heiße immer Rück- schritt. Es könne nicht sein, dass der Gemeinde auferlegt wird, nichts mehr entwickeln zu dürfen, indem beispielsweise der Bau von Straßen verboten wer- de. So sollte in Maria-Anzbach ein Stückchen Grünland zwischen Bundesstraße und Bahn in Bauland Betriebsgebiet umgewidmet werden, darüber verläuft je- doch ein Vogelschutzgebiet, das heißt, die Widmungsmöglichkeit ist gleich null und dies sei, laut Allmayer, nicht rechtens. Es ist ihm unbegreiflich, wie diese

Schutzgebietskategorie an jener Stelle platziert werden konnte – ein kleines

Stückchen zwischen Bundesstraße und Bahnlinie, wo kein Wald- und Wiesen- gebiet involviert ist und wo sich kein Vogel zum Nisten niederlassen würde.

Gegen diese Planungsrestriktion will die Gemeinde am Beispiel anderer Ge- meinden vorgehen, um dadurch Schutzgebietskategorien auf die wirklich not- wendigen Gebiete, beispielsweise entlang von Fluss- und Bachläufen einzu- grenzen. Weiterführend könne es ebenso wenig sein einem Bauern vorzu- schreiben, dass er zur Offenhaltung für Bussarde, keinen Mais mehr anbauen darf.

Das Biosphärenpark-Projekt ist, laut Allmayer, ein gutes Projekt, aber in erster

Linie sei es ein Werbegag für die zwei Landeshauptmänner, da der der Wie- nerwald nicht in Gefahr ist und dies auch nie gewesen ist, weil es in Österreich das strengste Forstgesetz von ganz Europa gebe. So müsse im Falle einer Ro- dung einer Fläche für Straßenbauten etc., nachgewiesen werden, dass diese Flä- che woanders wieder aufgeforstet wird und das obwohl Österreich schon lang- sam verwaldet, so Allmayer. Vielmehr müsste das Land Niederösterreich die

Bauern fördern, weil sonst die Wienerwaldwiesen in 20 Jahren nicht mehr ge- mäht und sie dann sukzessive Wald würden. Da junge Bäume nach 10 Jahren laut dem Forstgesetz Wald sind und man sie somit nicht mehr roden darf. Der

94 Wienerwald wird nicht weniger, er wird mehr werden, prognostizierte der

Bürgermeister.

Maria-Anzbach ist die einzige Wienerwaldgemeinde, die bei der letzten Volks- zählung nur eine geringfügige Zuwachsrate vorweisen konnte. Gründe dafür sind laut Bürgermeister Allmayer zum einen die vielen Doppelmeldungen, die durch die Zweitwohnsitzproblematik verursacht worden sind, und zum ande- ren vor allem die Gemeindepolitik, da sich die Gemeinde streng an die Richtli- nien des Flächenwidmungsplans gehalten hat. Maria-Anzbach sei die erste

Gemeinde in Niederösterreich gewesen, die einen provisorischen Flächenwid- mungsplan umgesetzt hatte, welcher 1976 in einen Definitiven überging. Somit seien die Flächenwidmungen damals schon reglementiert gewesen, wo andere

Gemeinden, zum Beispiel die Nachbargemeinde Neulengbach, ohne so ein gül- tiges Dokument noch frei widmen konnten. Darauf folgende zusätzliche Wid- mungen sind in Maria-Anzbach, laut Allmayer, eher bescheiden ausgefallen und wurden zudem immer vom Land, Abteilung RU2, begutachtet. Die Ge- meinde hat nur nominell noch größere Baulandreserven zur Verfügung, die letzten gemeindeeigenen Parzellen sind im vergangenen Jahr bebaut worden, bedauerte Allmayer. Der Großteil der noch verfügbaren Baulandreserven in günstiger ortsnaher Lage gehöre dem Gutsbetrieb Liechtenstein, der diese Flä- chen jedoch nicht verkaufen wolle, da er eine Familienstiftung hat und somit nur dann verkaufen könne, wenn er woanders wieder einen neuen Grund zum

Kaufen bekäme. Somit müsste die Gemeinde abtauschen, was sie aber nicht kann, weil sie über keine gemeindeeigenen Flächen mehr verfügt. Das wirklich große Manko Maria-Anzbachs ist, dass es faktisch gar keine Grundstücksreser- ven mehr hat. Jede Grundstückswidmung ist, Allmayers zufolge, in der Ge- meinde praktisch eine Vergoldung des Grundstückes, weil kaum ein Eigentü- mer diese Baulandflächen dann zum Verkauf freigibt. Die Gemeinde widme aber nicht, zur Hortung von Bauland, damit der Private sich eine gute Reserve anlegt, sondern damit Flächen verbaut werden können und die Bevölkerung

95 wachsen kann. Hinzu kommt, dass der Grundstückswidmer, der die Fläche umwidmen will, nicht dafür bezahlt, sondern dass die Gemeinde auf den Kos- ten sitzen bleibe, was einen Betrag von knapp 1.100 Euro pro Grundstück aus- mache. Es müsste demnach angedacht werden, dass die Privatpersonen für

Umwidmungen eine Steuer zu zahlen oder eine Abgabe an die Gemeinde zu liefern haben, betonte Allmayer.

In Maria-Anzbach stammen 60 Prozent der Gemeindeeinnahmen aus dem Fi- nanzausgleich. Pro Einwohner bekommt die Gemeinde nach Abgabe an das

Land in etwa 300 Euro, weswegen man auf Seiten des Gemeinderates bemüht ist, den Einwohnern zu vermitteln sich in Maria-Anzbach hauptwohnsitzlich zu melden. Dennoch kann die Gemeinde nichts dagegen unternehmen, wenn sich die Neuzugezogenen mit Zweitwohnsitz anmelden, auch wenn sie durch ihre

Zweitwohnsitze jährlich in etwa 150.000 Euro Kosten hat. In Niederösterreich gibt es keine Zweitwohnsitzsteuer, was jedoch empfehlenswert wäre, da die

Landgemeinden finanziell sukzessive ausgehungert würden, so Allmayer.

Wien bekommt pro Kopf ca. 3-Mal soviel Geld wie Maria-Anzbach, weil es

Land und Gemeinde in einem ist. So bekommt es den Gemeinde- und zusätz- lich den Landanteil, kritisierte der Bürgermeister. Hinzu kommt, dass die Be- reitstellung von Wasser, Abwasser etc. auf dem Land pro Kopf der Bevölke- rung viel teurer ist, als in Wien mit der dominant vorherrschenden Bebauungs- form der mehrstöckigen Wohnbauten. So ist die Bebauungsdichte auf dem

Land eine geringere, was dazu führt, dass für dieselbe Leistung viel mehr Ki- lometer Rohre, Kabel etc. verlegt werden müssen als in der Stadt. Daher ist es natürlich das Bestreben einer jeden Landgemeinde, ihre Bevölkerungszahl zu heben. Zudem sei Maria-Anzbach eine reine Wohngemeinde, Gewerbe und In- dustrie seien nicht vertreten, durch die Geld in die Gemeindekasse fließen könnte. Die Hälfte der Bevölkerung bestehe aus Wienern, die zumeist gut be- tucht sind und wiederum die größten Widerstände entfachen, wenn Bürger- meister Allmayer Gewerbebetriebe oder größere Wohnbauten im Gemeindege-

96 biet ansiedeln möchte. So will Maria-Anzbach den Weg des Bevölkerungs- wachstums gehen um mehr Gelder für die Gemeinde zu lukrieren. Bei der letz- ten Volkszählung 2001 zählte man 2.621 hauptwohnsitzgemeldete und ca. 920

Personen mit einem Zweitwohnsitz in der Gemeinde. In den kommenden Jah- ren möchte Bürgermeister Allmayer diese Zahlen zumindest mit den Zweit- wohnsitzen auf insgesamt 5.000 Einwohner anheben. Damit will er die drei

Bahnhaltestellen der Gemeinde sichern, die die Bundesbahn auf eine minimie- ren möchte, was auf Seiten der Bahn auch verständlich ist, da die Nachbarge- meinde Eichgraben mit der Gemeinde Altlengbach zusammen nur eine Halte- stelle besitzt bei 3-Mal soviel Einwohnern. Doch Maria-Anzbach ist in seiner

Ost-West-Ausdehnung 7 bis 8 km lang, wodurch bei Reduzierung der Halte- stellen das öffentliche Verkehrsmittel Bahn für die Bevölkerung noch weniger attraktiv ist, zudem die Bahn bisweilen nach Wien und St. Pölten nur einmal in der Stunde verkehrt. Hinzu kommt, dass es sich als sehr schwierig erwiesen haben soll, den neuen Supermarkt am Ortseingang (Richtung Wien) zu be- kommen, da keine Handelskette bereit gewesen wäre in eine Gemeinde unter

5.000 Einwohnern zu gehen.

Unterbringen möchte Allmayer die zukünftige Bevölkerung Maria-Anzbachs aufgrund von fehlenden Baulandreserven in Reihenhäusern und mehrgeschos- sigen Wohnbauten, dem Beispiel der Nachbargemeinde Neulengbach folgend.

Durch diese dichtere Verbauungsmöglichkeit kann die Gemeinde bei weniger

Landschaftsverbrauch wachsen. Zwar wollen die meisten von außen Zuge- wanderten ihr eigenes Häuschen im Grünen, aber jene, vor allem die jungen

Leute, die aus Maria-Anzbach abgewandert sind, wandern dadurch wieder zu- rück, da somit relativ günstiger Wohnraum geschaffen wird, meinte Allmayer.

So hat die Gemeinde im letzten Jahr ein Grundstück durch Tausch erworben auf welchem sie durch die Wohnbaugenossenschaft29 40 Wohneinheiten errich- tet, 20 davon sind vor kurzem eröffnet worden. In diese 20 Wohneinheiten sind

29 mit dem Ziel einer relativ dichten Verbauung. 97 vor allem junge Maria-Anzbacher gezogen, die sonst abgewandert wären, räumte Allmayer ein. In den Reihenhäusern befinden sich vier und in den

Wohnblöcken zwölf Wohneinheiten. Ebenfalls möchte der Bürgermeister die zuziehende Bevölkerung durch Baulückenschließungen unterbringen. In den

1970er Jahren haben einige Privatpersonen drei oder vier Grundstücksparzellen gekauft, von denen aber nur eine Parzelle bebaut wurde. Die Restlichen wur- den als Wertrücklage benutzt und werden nun sukzessive wieder auf den

Markt gebracht. Neben der Baulückenschließung möchte Bürgermeister All- mayer noch Arrondierungen entlang der Ortschaft schaffen, damit dadurch das

Gemeindewachstum zusätzlich angekurbelt werden kann. So betrug damals die

Größe einer Baulandparzelle mindestens

1.000 m², heute ist im Zuge der Gemeinde- politik die Grundstücksfläche auf 500 m² herunter gebrochen wurden, wo-durch der

Bürgermeister wiederum das Doppelte an

Bevölkerung unterbringen kann. Dies ist, laut Allmayer, vor allem Abb. 40: 500m² Einfamilienhausparzellen, Maria-Anzbach, eigene Aufnahme auch für weniger gut betuchte Personen hilfreich, da die Gründe in Maria-Anzbach pro m² ca. 80-100 Euro kosten. So möchte die Gemeinde keine großen Reservate als Rückzugsgebiete für gestress- te Städter schaffen, die sich einen großen Park anlegen und keine Nachbarn ha- ben wollen, sondern will in erster Linie, dass die jungen Leute in der Gemeinde bleiben oder sich die Weggezogenen wieder ansiedeln. Durch den Zuzug von geplanten weiteren 1.500 Personen soll der ländliche Charakter des Gemeinde- gebiets nicht verloren gehen, und zudem soll die Gemeindefläche nicht so stark versiegelt werden wie in den Gemeinden Eichgraben oder Pressbaum.

In den letzten 25 Jahren sind kaum Baulandwidmungen hinzugekommen, es bringe der Gemeinde nur Kosten, wenn die betreffenden Eigentümer nicht ver- kaufen, sondern nur ihr Bauland horten. Den wirklich großen Bauboom erlebte

98 die Gemeinde in der Zwischenkriegszeit durch den Bau der Bundesbahn, so

Bürgermeister Allmayer.

Ein örtliches Entwicklungskonzept kann die Gemeinde bislang noch nicht vor- weisen, weil im Grunde durch den Flächenwidmungsplan, der im Oktober 2006 neu gefasst wurde, bereits alles geregelt ist. Laut Bürgermeister Allmayer kann man in Maria-Anzbach auch nicht viel entwickeln, weil die Flächen dazu fehlen und von Seiten der Landesregierung diese auch nicht mehr genehmigt werden.

So ist zwar ein solches örtliches Entwicklungskonzept in Arbeit, aber viel Sinn- bringender sei das kleinregionale Entwicklungskonzept (KREK), weil dieses gemeindeübergreifend ist. So ist Maria-Anzbach auch Mitglied des KREK Wie- nerwald-Regionen. Zwar möchte die Landesregierung nicht, dass die Gemein- den wie ein Band zusammenwachsen, wie es von Purkersdorf bis Rekawinkel der Fall ist, es biete sich aber an der B44 an. Ein relativ geschlossener Sied- lungskörper sei, nach Meinung des Bürgermeisters, immer noch besser als eine verstreute Siedlungsstruktur. Auch gehen die Überlegungen von Allmayer so- weit, dass im Bereich zwischen St. Pölten und Wien Betriebsflächen geschaffen werden sollten, wodurch Arbeitsplätze entstehen, um damit die Auspendler- zahl nach Wien zu reduzieren.

5.6 Expertenmeinungen zum Thema Schutz und Nutzen des Wienerwaldes

Um die vorangegangen Erkenntnisse abzurunden, wurden Gespräche mit der

Niederösterreichischen Landesregierung in der Abteilung der überörtlichen

Raumordnung und mit einer NGO-tätigen Naturschutzbehörde geführt. Diese zwei Einrichtungen wurden bewusst gewählt, da zum einen die überörtliche

Raumordnung durch ihre Raumordnungsprogramme einen wesentlichen Bei- trag gegen die Zersiedelung der Fläche leistet und zum anderen der Natur- schutz, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen Landschaftsverbrauch und für den Schutz des Wienerwaldes vorzugehen. Es sollte eine Naturschutzbe-

99 hörde sein die nicht für das Land Niederösterreich tätig ist, sondern unabhän- gig von diesem, um das Thema Schutz und Nutzen der Wienerwaldfläche von zwei unterschiedlichen Seiten aus zu beleuchten.

Aufgrund dessen wurde zum einen Kontakt mit Herrn Hofrat DI Michael Max- ian von Seiten der Niederösterreichischen Landesregierung in der Abteilung

Raumordnung und Regionalpolitik, RU2 Baden, aufgenommen und zum ande- ren mit Herrn Dr. Peter Fritz, der im Vorstand des Niederösterreichischen Na- turschutzbundes tätig ist und die letzten 30 Jahre die Präsidentschaft des Ver- eins "Wienerwaldkonferenz, Verein zum Schutz der Wienerwaldlandschaft" in- ne hatte.

5.6.1 Statement der Niederösterreichischen Landesregierung

Am 13. März 2007 fand in der Bezirkshauptmannschaft Baden das Interview mit Herrn DI Maxian statt. Herr Maxian lieferte im Zuge dessen wesentliche

Erkenntnisse um die Thematik Wienerwald - Schutz und Nutzen aus raumord- nerischer Sicht und von Seiten der Gesetzeslage noch besser zu erfassen.

So ist seiner Ansicht nach das Landschaftsschutzgebiet kein wirkungsloses, aber ein schwaches Instrument, um die Zersiedelung der Fläche einzugrenzen und dieser entgegen zu wirken. Das Landschaftsschutzgebiet sei nach Maxian eine Wortsubstitution. Zu Beginn der Raumordnung in Niederösterreich habe es mit der Flächenwidmung fast nichts zu tun gehabt, erst mit der Neufassung des Raumordnungsgesetzes 1976, im selben Jahre wurde auch das Natur- schutzgesetz neu gefasst, wurden beide Gesetze so miteinander abgestimmt, dass seit diesem Zeitpunkt der Naturschutz ein Mitspracherecht im Raumord- nungsverfahren in Landschaftsschutzgebieten hat. Das heißt, wenn in einem

Landschaftsschutzgebiet Grünland in Bauland umgewidmet werden soll, dann muss auch ein Naturschutzgutachten angefordert werden. Wenn aus der Sicht des Naturschutzes jedoch gravierende Einsprüche dagegen vorhanden sind, dann wird diese Widmung nicht genehmigt. Daraus resultierend gab es in der

100 Praxis konkrete Beispiele für Bauversagungen oder Abänderungen der Bauplä- ne. Nähere Ausführungen können aufgrund des Amtsgeheimnisses jedoch nicht getätigt werden. Somit hat das Instrument Landschaftsschutzgebiet, laut

Maxian, viel bewirkt, ist jedoch auch an seine Grenzen gestoßen, da nicht alles innerhalb dieser Schutzgebietskategorie verboten ist.

Nach der Gesetzeslage gibt es drei Kriterien, wonach Umwidmungen aufgrund von Landschaftsschutzgebieten nicht erfolgen dürfen: wenn die Landschaft in ihrer Schönheit und Eigenart, im Erholungswert und im inneren ökologischen

Wert gefährdet wird. In manchen Fällen lasse sich dies festmachen, diese müs- sen jedoch immer mittels eines Gutachtens beweisbar sein. Daher muss man, so

Maxian, nach der Frage des Landschaftsschutzgebietes immer punktuell und grundsätzlich bewerten, nach der jeweiligen örtlichen Situation. Dies sei in vie- len Fällen umsetzbar, wenn es sich um eine Fläche mit einer freien, sehr weiten sichtbaren Lage handelt. So wird die Umwidmung von Grünland in Bauland zu nahezu 100 Prozent nicht genehmigt werden. Wenn es sich jedoch um eine Flä- che handelt, die schon von bestehenden Häusern umgeben wird, so wird kaum jemand Einwände haben dieses Grünland in Bauland umzuwidmen.

Bei Landschaftsschutzgebieten handelt es sich um sehr großflächige, weiträu- mige Gebiete, wobei die Siedlungen mit einfließen, somit sind darin nicht nur

Flächen mit allererster Landschaftsqualität involviert, sondern auch Räume, die mitunter schon so zersiedelt sind, dass, laut Maxian, weitere Zu- bzw. Neubau- ten nicht ins Gewicht fallen. Überall habe der Naturschutz nicht die Möglich- keit zu beweisen, dass bei den betroffenen Flächen das Landschaftsbild gefähr- det werde. Bei diesen Flächen sei entsprechende Freizügigkeit gegeben. Das

Landschaftsschutzgebiet ist besser als gar kein Instrument, doch so griffig wie das Regionale Raumordnungsprogramm sei es bei Weitem nicht, so Maxian.

Im Zuge der Wienerwald-Deklaration wurde im Jahr 1990 ein Regionales

Raumordnungsprogramm für die Bereiche rund um Wien erlassen. Das politi- sche Ziel dieser Deklaration der beiden Bundesländer Niederösterreich und

101 Wien war alles zu unternehmen, dass der Wienerwald nicht weiter durch Zer- siedelung zerstört wird. Das darauf aufbauende Regionale Raumordnungspro- gramm existiert noch heute und ist bislang 2-Mal adaptiert worden. Alle Festle- gungen in diesem Programm sind vor seiner Umsetzung auch mit der Fachab- teilung für Naturschutz abgesprochen worden, sodass auch deren Interessen mit einfließen konnten, erklärte Maxian. Bedeutend für den nachhaltigen Um- gang mit der Wienerwaldfläche waren die Siedlungsgrenzen, die mittels die-

sem Regionalen Raum-

ordnungsprogramm in

die Gemeinden eingefügt

worden. In vielen Ge-

meinden des Wienerwal-

des, vor allem dort wo die

Zersiedelung schon ziem-

lich weit fortgeschritten

Abb. 41: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im RROP in war, wurden so genannte Wolfsgraben flächige Siedlungsgrenzen gesetzt. Diese sagen aus, dass die Gemeinden die Menge ihres Baulandes um keinen Quadratmeter mehr vergrößern dürfen. Damit wird der Entwicklungs- spielraum der Gemeinde quasi auf Null gedreht. Daneben gibt es so genannte lineare Siedlungsgrenzen, diese legen fest, dass über diese Linie die Gemeinde- fläche nicht weiter verbaut werden darf. Das heißt, an dieser Linie ist stopp, im sonstigen Gemeindegebiet können Flächen noch in Bauland umgewidmet wer- den, aber über diese Siedlungsgrenzen hinaus nicht mehr, wie Maxian erläutert.

Manche Gemeinden habe eine Kombination von beiden Siedlungsgrenzen, zum Beispiel die Gemeinde Brunn am Gebirge. Sie hat lineare Siedlungsgren- zen und zudem eine flächige. Mittels dieser soll der letzte große Grünraum in diesem schon ganz verstädterten Gebiet erhalten bleiben. Das heißt, die Ge- meinde kann ihre Baulandflächen zwar hin- und herschieben, aber nicht mehr

102 in diese Grünlandfläche hinein, führte Maxian aus. In den Wienerwaldgemein- den seien flächige Siedlungsgrenzen vor allem innerhalb der Südachse Wien-

Baden anzutreffen, weil man in diesen Gemeinden schon jetzt an die Leistungs- fähigkeit der Infrastruktur angelangt sei, obwohl noch nicht einmal alle Bau- landreserven ausgenutzt seien.

Diese Siedlungsgrenzen im Regio- nalen Raumordnungsprogramm sind, laut Maxian, der Vorteil, den die Raumordnung gegenüber dem

Naturschutz hat. Mittels dieser

Grenzen könne die Siedlungs- entwicklung in den Gemeinden grundsätzlich eingedämmt wer- den. Das heißt auch dann, wenn es sich um Flächen handelt, die vom

Naturschutz gar nicht betroffen Abb. 42: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im sind. Mittels der Raumordnung ha- RROP in Maria-Anzbach be man ein viel umfassenderes Argumentationsspektrum als der Naturschutz allein, da durch zu großen Zuzug beispielsweise das Straßennetz überlastet wird oder die soziale Infrastruktur nachgereicht werden müsste, die es in die- sen Regionen sinnvollerweise gar nicht geben sollte oder dass die Vorfluter nicht für so viele Menschen ausgelegt sind etc.. Der Naturschutz hingegen kön- ne nur jene Flächen schützen, bei denen er wirklich im Kern betroffen ist. Das sei nicht überall im gleichen Umfang der Fall.

Dass die Ziele im Naturschutzgesetz so allgemein gefasst sind, ist Maxian zu- folge, zum einen Sache der politischen Entscheidungsfreudigkeit, wie präzise man es haben wolle und zum anderen ein Argument allgemeiner Art. Das heißt, dass das Gesetz allein nicht jeden einzelnen Fall vorwegnehmen müsse, sondern dort wo es nötig sei, man die jeweils entsprechenden Schutzinstrumen-

103 te auf der Grundlage des Naturschutzgesetzes heranziehen könne. Das Land- schaftsschutzgebiet ist dabei sehr großflächig, in dem nicht nur einzelne Natur- denkmäler oder Naturparke enthalten sind, sondern auch ganze Siedlungen.

Deswegen muss auch dieses allgemeiner gefasst werden als zum Beispiel das kleindimensionale Naturschutzgesetz. Beim Naturschutz sei es genauso wie bei der Raumordnung. Je größer das Ganze wird, desto allgemeiner wird es, als

Beispiel könne dazu die örtliche und die überörtliche Raumordnung angeführt werden.

Auch der Biosphärenpark werde für die Siedlungsentwicklung keine Änderung bringen, er lasse zudem Siedlungsentwicklung in seinen dafür ausgewiesenen

Entwicklungszonen zu. In Bezug auf die Wirkung hinsichtlich der Zersiedlung und des Schutzes der Fläche gibt es, laut Maxian, keinen Unterschied zwischen

Biosphärenpark und Landschaftsschutzgebiet Wienerwald, viel mehr wurde da, wo bereits ein Schloss hing, ein zweites angehängt. Was die Bevölkerung bei alledem nicht wisse, sei, dass das Ganze immens viel Geld kostet, betonte der

Experte. In den Kernzonen, dort wo die Eigentümer dem Wald nichts mehr an

Holznutzung entnehmen können, bekommen sie das vom Land abgegolten. Bei

Naturschutzgebieten und Naturdenkmälern sei das dasselbe, das Land könne diese Gebiete nicht festlegen, ohne dass der Eigentümer die Hand aufhalte und

Entschädigungsansprüche stelle. Das heißt in Summe, Naturschutz kostet et- was, und ab einem gewissen Ausmaß an Flächen von Schutzgebieten hat das

Land dafür eventuell kein Geld mehr zur Verfügung. Daher sind alle abge- schlossen Verträge auch befristet, weil niemand weiß, ob Österreich sich Natur- schutz in diesem Maße in 40 Jahren noch leisten kann, so der Experte.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das grundsätzlichste In- strument, mit dem man der Zersiedelung der Wienerwaldfläche entgegenwir- ken kann, nach Maxian, das Regionale Raumordnungsprogramm ist.

Weiterführend teilte der Experte mit, dass sich in den letzten 25 Jahren die

Menge des Baulandes im gesamten Wienerwald nicht vergrößert hat. Die große

104 Phase der Baulandwidmungen hat es in den 1960er/ 70er Jahren gegeben. Eben- so gibt es noch viele alte Widmungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg indem aus Wien Groß-Wien werden sollte. Aufgrund dessen wurde in vielen

Wienerwaldgemeinden sehr großzügig gewidmet, da das Gebiet einen groß- städtischen Charakter einnehmen sollte. Das beste Beispiel hierfür ist die Ge- meinde Breitenfurt, in der so umfangreich gewidmet und geplant wurde, als ob sie sich mitten in Wien befinden würde. Aus dieser Zeit stammen viele der heu- te angerissenen Siedlungsstrukturen in den Wienerwaldgemeinden. Hinzu kommt der Aspekt, dass das Bauland von diesen Uralt-Widmungen aus den

1930er/ 40er Jahren bis heute noch nicht vollständig bebaut ist. Aufgrund des- sen ist der Höhepunkt der Verbauung des Wienerwaldes sicher noch nicht er- reicht und hängt vor allem von der privaten Seite ab, wie die Eigentümer mit ihren Grundstücken disponieren. Neben Baulandwidmungen gab es aber auch

Rückwidmungen, wie beispielsweise in der Gemeinde Klosterneuburg, wo so- gar 100 ha Bauland rückgewidmet wurden. Dazu trug der Naturschutz nur tangential mit bei. Der Hauptgrund lag darin, dass diese Flächen nicht günstig zu erschließen und nicht rentabel zu bebauen waren. Neben Klosterneuburg haben auch andere Wienerwaldgemeinden Bauland zurückgewidmet, doch nicht in so einem großen Stil, so der Experte.

Vor 30 Jahren, als DI Maxian das Amt in der Niederösterreichischen Landesre- gierung antrat, war die große Phase der Baulandwidmungen. Die Gemeinderä- te haben sich damals als die Interessensvertreter ihrer Bürger verstanden, die die große Chance sahen reich zu werden, indem Grünland zu Bauland umge- widmet wurde. Inzwischen ist sehr vieles von diesem damals gewidmeten Bau- land konsumiert worden, größtenteils von Zugewanderten aus der Bundes- hauptstadt. Diese finden eine Natur vor, die vom Zeitpunkt ihres Zuzuges mit jedem Tag weniger wird. Das heißt, das große Motiv, das die Leute hatten, nämlich der Stadt zu entfliehen, relativiert sich, wenn sie bemerken, dass die

Stadt sie wieder einholt. Wenn die Zahl der zugezogenen Personen eine gewis-

105 se Größe erreicht hat, artikulieren sie sich, beginnen sich zusammenzuschließen und auch ihre Vertreter sitzen dann im Gemeinderat. Dabei haben, Maxian zu- folge, alle nur das Ziel zu schauen, dass dasselbe, was sie erreicht haben, nie- mand anderer nach ihnen mehr erreichen kann. Die größten Schützer des Wie- nerwaldes seien jene geworden, die erst vor kurzem da ein Haus errichtet ha- ben. Das sei ein gewisser Egoismus, den die Leute da ausüben, aber wenn die- ser Egoismus eine gewisse Breite von der Anzahl der Personen habe, dann sei die Gemeindelinie damit eine andere geworden. Es sei in der heutigen Zeit kein

Problem gewesen, den jeweiligen Gemeinden mitzuteilen, dass es ab sofort kei- nen Quadratmeter zusätzliches Bauland mehr gebe.

In der Gemeinde Maria-Anzbach gibt es, laut Ausführungen Maxians, nur ei- nen alten Flächenwidmungsplan aus dem Jahre 197630, es gibt kein ab dem Jahr

1995 zu erbringendes örtliches Entwicklungskonzept, keine Grundlagenfor- schung etc.. Die Landesregierung im Bereich der örtlichen Raumordnung ist zwar Aufsichtsbehörde, aber kann wenig dagegen unternehmen, um diese

Missstände zu beseitigen. Aufgrund der Gemeindeautonomie in Österreich kann nur die Gemeinde allein Flächenwidmungen festlegen und nicht das

Land. In Niederösterreich sind die Gemeinden zudem nicht dazu verpflichtet, alle zehn Jahre ihren Flächenwidmungsplan zu überarbeiten, dafür gibt es kei- ne Frist. Die Lebensdauer, der Planungshorizont auf dem hinaus geplant wird, ergibt sich aus der Praxis mit ca. zehn bis maximal 15 Jahren, aber im Gesetz ist das so nicht verankert. Es steht auch keine Verpflichtung darin, dass der Flä- chenwidmungsplan immer wieder angepasst werden muss. Man könne nichts dagegen unternehmen, wenn die Gemeinde ihren Flächenwidmungsplan nicht selbst überarbeitet, da man die Gemeinde nicht auflösen könne und so einen weißen Fleck auf der Landkarte hinterlassen, so Maxian.

30 Verwunderlich war, dass in der Gemeinde am 10.Oktober 2006 ein neuer Flächenwidmungsplan ver- ordnet wurde, von Seiten des Landes darüber aber keine Kenntnis bestand 106 5.6.1 Statement des Niederösterreichischen Naturschutzbunds

Als ehrenamtliches Vorstandsmitglied des niederösterreichischen Naturschutz- bundes erklärte sich Herr Dr. Peter Fritz am 03. April 2007 zu einem Gespräch und einer gemeinsamen Begehung der Wienerwaldgemeinden bereit. Er selbst war die letzten 35 Jahre am Institut für Raumordnung, Stadt- und Regionalent- wicklung der Wirtschaftsuniversität Wien und zudem die letzten 30 Jahre als Präsident des Vereins "Wienerwaldkonferenz, Verein zum Schutz der Wie- nerwaldlandschaft" tätig und konnte im Zuge dessen viele Informationen über die Wienerwald-Situation gewinnen, sammeln und weitergeben. Herr Dr. Fritz ist gebürtiger Wiener und mit einer Zwischenstation in Perchtoldsdorf 1981 in die Gemeinde Mauerbach gezogen.

So ist auch seiner Meinung nach das Landschaftsschutzgebiet in der Praxis kaum wirksam, vor allem nicht gegen den Suburbanisierungsdruck von Wien kommend. Es greife nur in Einzelfällen, vor allem weil es von der Gesetzeslage so allgemein gefasst sei, dass es jedermann zu seinem Nutzen auslegen könne.

Das Naturschutzgesetz wurde bei seiner Neufassung im Jahr 2000 noch allge- meiner gefasst und dies sei von Seiten des Landes auch gewollt gewesen, damit allfällig klar definierten Rechtsnormen im äußerten Notfall noch ausgewichen werden könne.

Ganz wichtig sei, dass der Wienerwald nicht nur das Waldgebiet, sondern die gesamte Landschaft ist. Der Wienerwald ist Fritz zufolge als Landschaftsbegriff zu verstehen, inklusive seiner Wiesen, Felder und auch Siedlungen. Nicht der

Wald ist in Gefahr, dieser werde durch das Forstgesetz sehr gut geschützt, son- dern die Wiesenflächen, artikulierte Fritz. Das Problem sei der rapide Rückgang der Landwirtschaft, wodurch vor allem das Offenland gefährdet sei. Dieser

Rückgang setzte, laut Fritz, seit der Nachkriegszeit, in den 1950er/ 60er Jahren ein, wodurch sich eine Nutzungslücke für das Grünland ergab und die Bauern und Großgrundbesitzer in den Jahren danach begonnen haben, ihr Grünland zu

107 verkaufen. Diese Freiflächen wurden mittels des landwirtschaftlichen Sied- lungsfonds billig aufgekauft, umgewidmet und dann, nach Angaben von Dr.

Fritz, als Bauland mit 1.000 oder mehr Prozent Gewinn weiter vermarktet, ohne aber damit die zukünftige Infrastruktur voll abzudecken. Von den Gemeinden selbst wurde wenig aufgekauft, da sie zu wenig Geld zur Verfügung hatten, großteils waren dies private Personen. Später haben die Privatpersonen begon- nen ihre Baulandflächen an Immobilienfirmen zu verkaufen, weil dies finanziell gesehen am lukrativsten war. Im Zuge dessen haben sich die Immobilienfirmen mit Planungsbüros und Genossenschaften in Verbindung gesetzt und zumeist spekulativ Einfamilien- und Reihenhäuser auf die Grundstücke gebaut, die sie dann durch den Zuzug von Wien leicht weiterverkaufen konnten. Die notwen- dige Infrastruktur wurde jedoch nicht mitgeliefert. Es fehlten Wasser-, Abwas- ser und Kanalanschlüsse, Kläranlagen, Internetkabel oder Asphaltierungen der

Straßen. Für all das mussten in weiterer Folge die Gemeinden aufkommen, wo- durch sie in die Verschuldungsschere gelangten, wie Fritz betonte. Zusätzlich musste auch die soziale Infrastruktur nachgeliefert werden, angefangen von der

Schule bis zum Altersheim, weil durch den Zuzug alles zu klein geworden sei, erklärte Fritz. Es gebe dadurch fast keine Wienerwaldgemeinde, die nicht ver- schuldet sei und kommissarisch vom Land verwaltet werde. Je größer die Ge- meinde werde, desto ungleichmäßiger sei die Verteilung des Finanzausgleichs, sodass es sich alles in allem einfach nicht mehr rechne. Zwar bekommen die

Gemeinden pro Hauptwohnsitzgemeldeten mehr Geld, doch müssen sie auch dementsprechend mehr infrastrukturelle Leistungen liefern, sodass sie sich in der Verschuldungsschere wieder fänden und diese immer breiter werde. Hinzu komme, dass, je stärker die Gemeindefläche zersiedelt sei, desto größer die Dis- tanzen seien, die nicht nur allein bei Schneeräumungen zu überwinden sind.

Rückwidmungen hat es in den Wienerwaldgemeinden kaum gegeben, der da- für benötigte Wienerwaldfonds hätte 60 Mio. Schilling gekostet, was zu teuer war. Es gab vereinzelte Rückwidmungen in Klosterneuburg und Kaltenleutge-

108 ben, wobei sich diese Flächen aber auf Feuchtwiesen und Rutschhängen befan- den. Daneben habe es noch kleine Alibirückwidmungen gegeben, die, laut

Fritz, aber nicht ins Gewicht fallen. In Folge dessen ist eine Bandstadt von Wien

über Purkersdorf, Tullernbach, Maria-Anzbach bis nach Neulengbach entstan- den. So ist ein einzelnes dichtes Siedlungsband deutlich sichtbar, meinte der

Experte.

Die Nutzung darf, laut Fritz, nur so weit gehen, dass die typische Wienerwald- landschaft weitestgehend erhalten bleibt. Die Zersiedelungsaktivitäten seien je- doch soweit gegangen, dass es zu einer Verinselung der Naturlandschaft ge- kommen sei. Durch das Zusammenwachsen der Siedlungen werde der Natur- raum zu einer Insel und dagegen müsse etwas unternommen werden. Durch den Naturschutzbund konnten Impulse gesetzt werden und einige Projekte auch verhindert werden, wie beispielsweise der Bau der Terrassensiedlungen in

Sickendorf, Großwohnblocks für Eichgraben, ein achtgeschössiges Hochhaus in

Mauerbach, Baulückenschlüsse in Breitenfurt, eine mehrstöckige Wohnsiedlung am Tulbinger Kogel oder das Verbot für Deponien im Wienerwald, da sich die- se mitten im Landschaftsschutzgebiet befanden. Vorgegangen sind die Natur- schützer beim Kampf gegen solche Großprojekte immer mittels geologischen

Gutachten, dem Verkehrskonzept, Bürgerinitiativen, Unterschriftenlisten, aber auch mittels der Presse und dem Druckmittel der nächsten Wahl. Doch oftmals erschwere der völlige Informationsmangel die Arbeit. So können die Leute vom

Naturschutzbund oftmals erst dann aktiv werden, wenn bereits die ersten Bag- ger auffahren und dann ist es oftmals schon zu spät, weil dann bereits alle gül- tigen Bescheide vorliegen.

Die Zersiedelung hat im Wienerwald, nach Fritz, zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten eingesetzt, sodass man nicht von einer generelle Entwick- lung sprechen kann. Im Osten ist der Wienerwald viel stärker zersiedelt als im

Westen. Dies ist schon allein auf den Agglomerationsdruck zurückzuführen.

Die Besiedelung des Waldes ist schon so fortgeschritten, dass man überall auf

109 Sackgassen in den Gemeinden trifft, dies zeigt, dass sich die Siedlungsfläche be- reits in den Wald hineinverlegt hat. Wo die Baulandreserven immer knapper werden, steigen die Gemeinden von der Bebauungsart des Einfamilienhauses auf Reihenhäuser und Wohnblöcke um. Doch geht durch verdichtete Bebau- ungsformen der Siedlungscharakter sowie die Sichtachse verloren. Flächenspa- rende Wohnbauten passen nur vereinzelt in das Bild des Wienerwaldes, da an- sonsten das Landschaftsbild verfremdet wird, führte der Experte aus. Hinzu kommt, laut Fritz, die Tatsache, dass ab einer bestimmten Prozentzahl an Zu- gewanderten das Konfliktpotential untereinander und vor allem in der Nach- barschaft steigt.

Die Verknüpfung zwischen dem Naturschutz und der Raumordnung sei viel zu allgemein und zudem völlig zahnlos. Die Naturschutzabteilung beim Land sei politisch gesteuert. Weil alles vom Land selbst gefördert werde, seien die

Projekte des Naturschutzes auch gegenüber dem Land abzurechnen. Von der

Gesetzeslage her, ergeben sich zwischen den zwei Institutionen Sachzwänge.

Die Naturschutzbehörde denke nicht verknüpft, sie schütze nur punktuell ein- zelne Arten und dies zudem jede Abteilung für sich. Der Naturschutzbund ha- be sich daher schon oft gefragt, wofür man die Naturschutzbehörde eigentlich brauche. Von der formalen finanztechnischen Seite ist sie, Fritz zufolge, auf- grund von Fördermitteln gut, aber sachlich wirkungslos, da die fachliche Kom- ponente für die brennenden Fragen, die zu lösen wären, aufgrund von man- gelnder Qualifikation, mangelnder Durchschlagskraft, mangelnden Kenntnis- sen und mangelndem Konfliktverhalten fehle.

Die Hoffnung liegt nun im Biosphärenparkprojekt, um der Zersiedelung des

Wienerwaldes entgegen zu steuern, doch werde sich hinsichtlich der Raumord- nung im Vergleich zum Landschaftsschutzgebiet nichts ändern. Allerdings aber in Richtung der Vermarktung, um mittels dieser die letzten Bauern existenzfä- hig zu halten. Jedoch sei anzunehmen, dass das Biosphärenparkmanagement von der eigenen Landesregierung so gemaßregelt werde, dass seine eigene Kre-

110 ativität und zudem deren Umsetzungskraft eingebremst wird. Die Raumord- nung, die man dem Biosphärenparkmanagement versprochen hat, findet laut

Fritz, nicht statt. So müsste man von Seiten der Landesregierung den Gemein- den einen Anreiz liefern, indem man sagt: Gemeinden unter acht Prozent

Wachstum werden gefördert, alle anderen bekommen keine Förderung. Doch sei die Umsetzung dieser Idee in einer westlichen Demokratie schwer, da sie oft mit Kommunismus und Planvorgaben verwechselt werde. Derzeit gibt es, Fritz zufolge, keine wirklich wirksamen Instrumente um der Zersiedelung der Wie- nerwaldflächen entgegenzuwirken.

6. Darstellung der Ergebnisse in Folge empirischer Untersu- chungen

Die empirischen Untersuchungen waren hilfreich, die aus der amtlichen Statis- tik und der GIS-gestützten Gebäudeanalyse gewonnenen Erkenntnisse zum ei- nen besser zu begreifen und zum anderen zu relativieren. So konnte mit Hilfe der Experten-Interviews die im Raum stehende Forschungsfrage beantwortet werden. Aber auch die beiden Bürgermeister-Interviews haben gezeigt, dass der Natur- und Landschaftsschutz innerhalb der Gemeindepolitik eine unter- geordnete Rolle spielt, und somit hinsichtlich der herabgesetzten Wanderungs- bilanzen (vgl. Kapitel 4.3.3.2) keine Auswirkungen hatte.

6.1 Output aus den Bürgermeister-Interviews

Die auf den Statistikdaten basierenden Vermutungen einer mittelfristig und ei- ner stark wachsenden Gemeinde wurden durch die Aussagen der Bürgermeis- ter in Hinsicht auf ihre Gemeindepolitik zunichte gemacht. So möchte Maria-

Anzbach als Gemeinderepräsentant mittelfristig wachsender Gemeinden in punkto Bevölkerungsentwicklung aufholen und stark wachsende Gemeinden wie der Repräsentant Wolfsgraben möchten nur noch so weit wachsen bis die

111 Baulandreserven im Gemeindegebiet aufgebraucht sind. Maria-Anzbach ist nicht glücklich, ein so geringes Bevölkerungswachstum aufzuweisen, was in diesem Fall jedoch auf die zu geringen potenziellen Baulandreserven für einen weiteren Zuzug zurückführbar war. Hingegen würde der Gemeinde Wolfsgra- ben, als Repräsentant einer stark wachsenden Gemeinde, von Seiten der Frau

Bürgermeisterin und des Gemeinderats ihr Zuzug bislang reichen, jedoch ha- ben sie zuwenig Handhabe, weil dieser prinzipiell von der privaten Hand ge- steuert wird. Dennoch kämpfen beide Gemeinden um zugewanderte und zu- wandernde Personen, die sich im Gemeindegebiet hauptwohnsitzlich melden, was auf den raumordnungspolitisch kontraproduktiven Finanzausgleich zu- rückzuführen ist. In diesem wird die Verteilung des österreichischen Steuerauf- kommens auf den Bund, die Länder und die Gemeinden geregelt. So entschei- det auf der einen Seite die Zahl der Gewerbebetriebe und ihrer Mitarbeiter am jeweiligen Standort darüber, welche Gemeinde die Kommunalsteuer erhält. Auf der anderen Seite wird das Steueraufkommen nach dem so genannten „abge- stuften Bevölkerungsschlüssel“ auf die Gemeinden verteilt. Das heißt, neben den betrieblichen Steuervergünstigungen erfolgt die Zuteilung der sonstigen

Steuermittel nach der Anzahl der hauptwohnsitzgemeldeten Gemeindebewoh- ner und nicht nach der tatsächlich im Gemeindegebiet ansässigen Bevölkerung

(PAULA 2005: 91). Im Land Niederösterreich gibt es zudem keine Zweitwohn- sitzsteuer, sodass die Gemeinden indirekt gezwungen werden, auf mehr hauptwohnsitzgemeldete Personen zu kommen, um somit mehr Steuereinnah- men zu lukrieren. So kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Fi- nanzausgleich einen wesentlichen Impuls für die Suburbanisierung und den damit verbundenen Flächenverbrauch liefert. Aufgrund dessen ist es nicht verwunderlich, dass Maria-Anzbachs Bürgermeister die Einwohnerzahl in den nächsten Jahren von ca. 3.500 auf 5.000 anheben möchte, wenn auch nur durch

Zweitwohnsitze. Mit diesem Vorhaben manövriert er Maria-Anzbach mit gro-

ßer Sicherheit in die so genannte Verschuldungsschere, da auf die Gemeinde

112 durch zusätzliche Einwohner auch zusätzliche Kosten zukommen, die durch den Finanzausgleich kaum zu finanzieren sind, wobei dieser durch Zweit- wohnsitzmeldungen zudem noch ausbleibt. Hinzu kommt die Tatsache, dass das Bauland in der Gemeinde mehr gehortet als verkauft wird, weswegen auf flächensparende Bebauungsformen zurückgegriffen wird, was aus Sicht der

Nachhaltigkeit löblich ist, jedoch den Siedlungscharakter des ländlichen Rau- mes zunehmend urban überprägt. Hingegen setzt Wolfsgraben weiterhin auf den Einfamilienhausbau um den dörflichen Charakter der Gemeinde zu erhal- ten, was jedoch wenig mit einem nachhaltigen Umgang der Ressource Boden zu tun hat. So müssen in einem Landschaftsschutzgebiet immer beide Seiten der Medaille beleuchtet werden. Dadurch, dass die größten Baulandreserven in den Wienerwaldgemeinden aufgebraucht sind, die Gemeinden aber in Folge des Finanzausgleichs weiterhin zum Wachstum angeregt werden, bleibt meist nur die Möglichkeit des Geschosswohnbaus, wodurch die Stadt sich weiter in ihr Umland ausbreiten kann.

6.2 Output aus den Expertenmeinungen

Mit Landschafts- und Naturschutz hat das nicht viel zu tun. So ist das Instru- ment des Landschaftsschutzgebiets in Bezug auf die Zersiedelung der Fläche eher schwach und in der Praxis kaum wirksam. Aufgrund seiner allgemeinen und zudem sehr auslegungsfreien Gesetzeslage ist es nur punktuell in Einzel- fällen wirksam, wie anhand der Expertengespräche festzustellen war. Im Land- schaftsschutzgebiet gibt es kein generelles Umwidmungsverbot, sondern es muss von Fall zu Fall vor Ort abgeklärt und grundsätzlich bewertet werden, was dazu führt, dass kein absoluter Schutz der Wienerwaldlandschaft gegeben ist. Zwar sind Schutzgebietskategorien im Flächenwidmungsplan der Gemein- den verortet und Umwidmungen können dadurch nicht willkürlich erfolgen, sondern müssen begutachtet werden, wodurch es an sich nicht wirkungslos ist.

Dennoch gab es in den zwei Beispielgemeinden, nach Angaben der Bürgermeis-

113 ter, innerhalb der letzten 25 Jahre keine Planungsrestriktionen aufgrund des

Landschaftsschutzgebiets. Zudem stehen beide Gemeindevertreter dem Land- schafts- und Naturschutz generell positiv gegenüber, wenn er begründbar und nachvollziehbar ist, wie beispielsweise bei kleinräumigen Gebieten wie Natur- denkmälern oder Naturschutzgebieten, bei denen das Siedlungsgebiet jedoch außen vor bleibt. Des Weiteren soll der Natur- und Landschaftsschutz die Ent- wicklung innerhalb der Gemeindefläche nicht behindern, da Entwicklungsstill- stand Rückschritt bedeutet. Es ist eine komplizierte Sachlage, in der sich die

Wienerwaldlandschaft befindet, so sind die Flächen ohne Frage schützenswert und für die nachfolgenden Generationen zu erhalten, jedoch wollen die darin lebenden und zukünftig dort lebenden Personen diese Fläche für sich nutzen, was sie seit den 1970er Jahren schon verstärkt tun. So zeigt zwar das von Herrn

DI Maxian hoch angepriesene Regionale Raumordnungsprogramm gegen die

(zukünftige) Zersiedelung der Fläche bei Weitem mehr Wirkung als das In- strument des Landschaftsschutzgebiets31 oder anderer Schutzgebietskategorien, doch ist es für den Wienerwald zu spät verordnet worden. Die Zersiedelung der Wienerwaldfläche begann in der Zwischenkriegszeit, in der aus Wien Groß-

Wien werden sollte und im Zuge dessen Flächen großzügig gewidmet und ver- baut wurden. Hinzu kamen die illegalen Siedlungen, wie beispielsweise Wald- heim nahe der Gemeinde Gablitz, die mitten aus dem Wald geschlägert und wo einst Anbauflächen gegen die Hungersnot im Krieg mit dazugehörigen Be- darfsunterkünften angelegt wurden. Daraus sind mitten im Wald großflächige

Einfamilienhaussiedlungen hervorgegangen, die im Nachhinein legalisiert wur- den. Aus heutiger Sicht ist die Zersiedelung des Wienerwaldes so fortgeschrit- ten, dass die Wienerwaldgemeinden an ihren Grenzen zusammenwachsen und man schon bald von einer Bandstadt zwischen Wien und St. Pölten sprechen kann, dazwischen wird der Naturraum zu einer Insel. Wesentlich dabei ist, dass der Wienerwald in den 1970er Jahren im Zuge des landwirtschaftlichen Sied-

31 Zudem kein Bekanntheitsgrad in Maria-Anzbach 114 lungsfonds, ab 1991 als Niederösterreichischer landwirtschaftlicher Förde- rungsfonds im §5 des Niederösterreichischen Förderungsfonds- und Siede- lungsgesetz verortet, ausverkauft wurde. In dieser Zeit wurde immens viel

Grünland in Bauland umgewidmet, was über kurz oder lang das Ende der noch freien Wienerwaldwiesen darstellen wird. So ist es doch ein Kampf gegen

Windmühlen auf Seiten des Naturschutzes, weil das Recht und Gesetz auf Sei- ten der Privateigentümer steht. Zwar wurde das Landschaftsschutzgebiet Wie- nerwald 1978 per Verordnung ausgerufen, jedoch war zu diesem Zeitpunkt der

Ausverkauf der Wienerwaldlandschaft schon vonstatten gegangen. Wesentliche

Ursache für die Wirkungslosigkeit des Instruments Landschaftsschutzgebiet ist die Tatsache, dass bereits bestehende Flächenwidmungen von späteren Schutz- gebieten nicht berührt werden. Das Niederösterreichische Raumordnungsge- setz enthält eine Rücknahmeverpflichtung für noch unbebaute Baulandwid- mungen nur im Zusammenhang mit einer später auftretenden oder erkennbar werdenden Gefährdung durch Naturgewalten wie Hochwasser, Hangrut- schungen etc., für Naturschutzflächen jedoch nicht. Weiters gilt für Niederös- terreich - dies ist von Bundesland zu Bundesland verschieden – dass, wenn eine

Gemeinde eine baureife Baulandwidmung zurücknimmt, die nicht von Natur- gewalten bedroht ist, der Eigentümer das Recht hat, sich von der Gemeinde je- ne Investitionen zurückzuholen, die er für die bauliche Verwertung nachweis- lich ausgegeben hat (Niederösterreichisches Raumordnungsgesetz 1976, §24).

Da die meisten Wienerwaldgemeinden über solche finanziellen Mittel aber nicht verfügen, können auch keine Rückwidmungen eingeleitet werden. Für die

Praxis heißt das, dass die im Siedlungsgebiet vorhandenen Wienerwaldwiesen nur noch solange existent sind, so lange die Privateigentümer diese Flächen nicht verkaufen, da sie zumeist Bauland gewidmet sind, was aus den Flächen- widmungsplänen der zwei Beispielgemeinden Wolfsgraben und Maria-

Anzbach zu entnehmen war.

115 6.3 Aussage zur Forschungsfrage und Ausblick

Summa Summarum kann festgehalten werden, dass die Forschungsfrage:

„Wienerwald – eine nachhaltige Suburbanisierung?“ zu verneinen ist, da weder in den vergangenen Jahren noch zum heutigen Zeitpunkt nachhaltig mit der

Wienerwaldfläche umgegangen wurde. Vielmehr hat man es mit Baulandwid- mungen im großen Stil im Sinne eines Ausverkaufs der Landschaft in den

1970er Jahren zu tun, die durch den ungebremsten Zuzug von Wien heute ihre

Auswirkungen zeigen. So wurde auf der Grundlage der Gemeindeautonomie in Österreich der Weg zur Zersiedelung der Wienerwaldlandschaft gelegt. Das

Landschaftsschutzgebiet sowie alle anderen Schutzgebietkategorien sind auf- grund der oben beschriebenen Gesetzeslage keine brauchbaren Instrumente, um der Suburbanisierung und der damit einhergehenden Zersiedelung der Flä- che und dem Landschaftsverbrauch entgegenzuwirken. Nur in Hinsicht auf zukünftige Widmungen, die jedoch im Wienerwald nur marginal gegeben sind, sind Schutzgebietskategorien nicht wirkungslos jedoch zu unpräzise im Natur- schutzgesetz formuliert und daher von Fall zu Fall verschieden umsetzbar. Bes- sere Wirkung zeigt hier zweifelsohne das Regionale Raumordnungsprogramm mit seinen verschiedenen Siedlungsgrenzen, wodurch die Siedlungsentwick- lung zum heutigen Zeitpunkt noch am ehesten eingeschränkt wird. Eine Ver- knüpfung zwischen Raumordnung und Naturschutz im Bereich der Gesetzes- lage wäre wünschenswert, da beide Materien nicht unabhängig voneinander gesehen werden dürfen. Beide verfolgen das Prinzip der Nachhaltigkeit und somit das des ressourcensparenden Umgangs mit der Fläche. Zuweilen besteht ein vernetztes Denken untereinander jedoch nicht, vielmehr herrschte innerhalb der örtlichen wie der überörtlichen Raumordnung eher das Vorurteil, dass der

Naturschutz eine Bürde sei, die verstärkt vor allem durch die EU auferlegt worden ist.

Um der Zersiedelung der Wienerwaldlandschaft entgegenzuwirken, müssten vor allem Anreize in der Stadt gesetzt werden, um den Zuzug aufs Land zu

116 verringern, indem mehr Grünflächen für die städtische Bevölkerung geschaffen werden und nicht allein steinerne öffentliche Begegnungsplätze. Eine Aufwer- tung der Lebensqualität in der Stadt könnte aber auch durch die Schaffung von

Balkons gewährleistet werden, wie dies beispielsweise in Berlin oder anderen europäischen Städten der Fall ist. Des Weiteren sollte bedeutungslos geworde- ne Landwirtschaft mittels Projekten wie Biogasanlagen oder auch durch die

Vermarktung einheimischer Produkte etc. gefördert und aufgewertet werden.

Ebenso müssen die noch tätigen Bauern subventioniert werden, damit die noch existierenden Wienerwaldwiesen weiterhin gepflegt werden und nicht der

Verwaldung zum Opfer fallen. Aber auch die Erneuerung des Althausbestan- des der Wienerwaldgemeinden sollte forciert werden, um somit Neubauten entgegenwirken zu können. Zusätzlich sollte die oftmals zu große Parzellierung von Grundstücken eingedämmt werden. Das sind nur ein paar Möglichkeiten wie man der Flächenversiegelung und -zersiedelung entgegen wirken kann.

7. Summary

Die Suburbanisierung im Wienerwald wird primär von der Wohnsuburbanisie- rung getragen, welche Ende der 1970er Jahre im Zuge der großen Bauland- widmungen einsetzte und die Wienerwaldfläche bis zur heutigen Zeit immer mehr versiegelt. Nicht alle Gemeinden wurden in gleicher Weise von der Sub- urbanisierung ergriffen, was zum einen auf die Rücksichtsnahme bzgl. Wähler- stimmen und zum anderen auf den jeweiligen Privatbesitz an Bauland zurück- zuführen ist. So ist aufgrund des Agglomerationsdrucks und der Nähe zu Wien der Osten des Untersuchungsgebiets stärker zersiedelt als der Westen, der nun jedoch aufgrund der Verknappung des Baulandes auch nach und nach von Be- völkerungszunahme- und Zersiedelungstendenzen eingeholt wird. Der

Wunsch nach einem Haus im Grünen nahe der Hauptstadt ist ungebrochen, wird aber in den letzten zehn Jahren aufgrund von Bauflächenmangel durch verdichtete Wohnbauten wie Reihenhäuser oder Geschosswohnbauten durch-

117 setzt. In Summe kann festgehalten werden, dass sich in allen Wienerwaldge- meinden Suburbanisierungstendenzen finden lassen, und aufgrund des Zuzugs und der Baulandwidmungen mit der Wienerwaldfläche nicht nachhaltig um- gegangen worden ist. Vielmehr zeichnet sich eine wachsende Bandstadt zwi- schen Wien und St. Pölten ab.

Schutzgebietskategorien wie das Landschaftsschutzgebiet oder der Biosphä- renpark zeigen in der Praxis keine Wirkung gegen die Zersiedelung der Fläche, obwohl beide in den Flächenwidmungsplänen der Wienerwaldgemeinden aus- gewiesen sind. Aufgrund der Gesetzeslage im Naturschutzgesetz sind Schutz- gebiete jedoch zu schwache Instrumente um Siedlungsentwicklungen zu beein- flussen, da sie sich subjektiv auslegen lassen und dadurch keinen absoluten

Schutz gewähren können. Hinzu kommt der Aspekt, dass die Baulandhortung innerhalb der Wienerwaldflächen schon zum größten Teil umgesetzt war, be- vor die Wienerwaldlandschaft mittels des Landschaftsschutzgebiets unter

Schutz gestellt wurde. Wesentlich dabei war, dass aufgrund des österreichi- schen Rechtssystems die Rechtssicherheit einen sehr hohen Stellenwert hat, so- dass in erworbene Rechte möglichst nicht eingegriffen wird. Die Judikatur hat dabei der Flächenwidmung einen erhöhten Rechtsschutz zugeordnet. Somit bleiben bestehende Flächenwidmungen erhalten, weil sonst gewaltig in das

Vermögen der Grundeigentümer eingegriffen werden kann. Für die Wiener- waldlandschaft heißt das, dass Baulandwidmungen auch nach Ausweisung der

Flächen zum Landschaftsschutzgebiet bestehen bleiben, selbst dann, wenn durch den Verlust, in diesem Fall der Wienerwaldwiesen, aufgrund der urba- nen Überprägung, der Charakter des Offenlandes verloren geht.

Es kann festgehalten werden, dass die Siedlungsentwicklung primär von den

Wienerwaldbewohnern mit ihrem Privatbesitz an Bauland selbst gestaltet wird.

Weder die Gemeinden, das Land (Raumordnungsabteilung) noch der Natur- schutz können dieser Entwicklung im erforderlichen Maße entgegensteuern.

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