BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Plenarprotokoll Landtag 15. Sitzung 20. Wahlperiode 07.10.2020 und 08.10.2020

15. Sitzung am Mittwoch, dem 7. Oktober 2020, und Donnerstag, dem 8. Oktober 2020

Inhalt

Aktuelle Stunde Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1964 Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 1965 Tarifverhandlungen und Warnstreiks: Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst Grünen) ...... 1966 brauchen Aufwertung und Anerkennung – auch als Konsequenz aus der Pandemie Bürgermeister Dr. Bovenschulte ...... 1967 Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1937 Auschwitz-Birkenau und andere KZ- Abgeordneter Schäck (FDP) ...... 1938 Gedenkstätten im Ausland in der Covid- Abgeordneter Jürgewitz (AfD) ...... 1940 19-Pandemie unterstützen Abgeordnete Aulepp (SPD) ...... 1940 Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Abgeordneter Eckhoff (CDU) ...... 1942 vom 14. Juli 2020 Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die (Drucksache 20/550) ...... 1968 Grünen) ...... 1944 Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1944 Bremisches Ausführungsgesetz zu § 30 Staatsrat Dr. Hagen ...... 1945 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes Mitteilung des Senats vom 22. September Zuständigkeitschaos beenden – Sexueller 2020 Gewalt gegen Kinder entschieden (Drucksache 20/616) ...... 1968 entgegentreten Beflaggung der Bremischen Bürgerschaft Abgeordneter Röwekamp (CDU) ...... 1946 zum Internationalen Tag gegen Gewalt Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die an Frauen Grünen) ...... 1949 Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 1951 90/Die Grünen, DIE LINKE, der CDU und Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1953 der FDP vom 6. Oktober 2020 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE) ...... 1954 (Drucksache 20/645) ...... 1969 Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1956 Senatorin Stahmann ...... 1957 Rassismus entschieden entgegentreten – Abgeordneter Röwekamp (CDU) ...... 1959 Landesaktionsplan gegen Rassismus erstellen Zukunft der Pilotinnen- und Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Pilotenausbildung der Lufthansa am Grünen, der SPD und DIE LINKE Luftfahrtstandort vom 1. Juli 2020 (Drucksache 20/527) Abgeordneter Güngör (SPD) ...... 1961 Abgeordnete Wischhusen (FDP) ...... 1963 1932 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis Bündelung der Verantwortung für alle 90/Die Grünen) ...... 1970 bremischen Seehäfen beim Land Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1971 Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 21. April 2020 Abgeordneter Flißikowski (CDU) ...... 1973 (Drucksache 20/356) Abgeordneter Jürgewitz (AfD) ...... 1974 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 1975 Dazu Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 1976 Mitteilung des Senats vom 22. September Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 2020 90/Die Grünen) ...... 1977 (Drucksache 20/618) Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1977 Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 1998 Senatorin Stahmann ...... 1978 Abgeordneter Zager (SPD) ...... 1999 Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1980 Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 2000 Abstimmung ...... 1980 Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen) ...... 2001 „Digitales Gesamtkonzept Schule“ für Bremen und Bremerhaven Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP) ...... 2002 Antrag der Fraktion der FDP Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 2003 vom 17. Juli 2020 Senatorin Dr. Schilling ...... 2004 (Drucksache 20/554) Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP) ...... 1980 Das Wahlrecht für Obdachlose stärken Abgeordnete Bredehorst (SPD) ...... 1981 Prüfungsauftrag der Bremischen Bürgerschaft vom 12. Dezember 2019 Abgeordnete Strunge (DIE LINKE) ...... 1982 Mitteilung des Senats vom 3. Juni 2020 Abgeordnete Averwerser (CDU)...... 1983 (Drucksache 20/418) Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Abgeordneter Pörschke (Bündnis 90/Die Grünen) ...... 1985 Grünen) ...... 2005 Abgeordnete Averwerser (CDU)...... 1986 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE) ...... 2006 Senatorin Dr. Bogedan ...... 1987 Abgeordnete Grönert (CDU) ...... 2008 Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP) ...... 1988 Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 2009 Abstimmung ...... 1990 Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 2010 Staatsrat Bull ...... 2010 Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung im Bremer Bildungssystem – Sachstand und Fragestunde Ausblick Große Anfrage der Fraktion der CDU Anfrage 1: Prozess zur Einführung vom 25. Februar 2020 einer Ausbildungsplatzabgabe (Drucksache 20/289) Anfrage der Abgeordneten Frau Heritani, Stahmann, Güngör und Dazu Fraktion der SPD vom 10. September 2020 ...... 2012 Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2020 Anfrage 2: Export von Plastikmüll (Drucksache 20/432) Anfrage der Abgeordneten Gottschalk, Abgeordnete Averwerser (CDU)...... 1990 Güngör und Fraktion der SPD vom 10. September 2020 ...... 2013 Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Grünen) ...... 1991 Anfrage 3: Stand der Planungen für den Neubau des Abgeordnete Strunge (DIE LINKE) ...... 1992 Ausstellungsbereiches Abgeordnete Bredehorst (SPD) ...... 1993 „Extremwetter“ im Klimahaus Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP) ...... 1995 Bremerhaven Abgeordnete Averwerser (CDU)...... 1995 Anfrage der Abgeordneten Raschen, Röwekamp und Fraktion der CDU Senatorin Dr. Bogedan ...... 1997 vom 11. September 2020 ...... 2014 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 1933

Anfrage 4: Wann kommt ein Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die ezidisches Gemeindehaus in Bremen? Grünen) ...... 2029 Anfrage der Abgeordneten Tuncel, Abgeordnete Wischhusen (FDP) ...... 2030 Frau Leonidakis und Fraktion DIE Abgeordneter Stahmann (SPD) ...... 2032 LINKE vom 14. September 2020 ...... 2015 Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 2033 Anfrage 5: Mindestlohn bei den Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Botendiensten Grünen) ...... 2034 Anfrage der Abgeordneten Tebje, Frau Abgeordneter Stahmann (SPD) ...... 2035 Leonidakis, Janßen und Fraktion DIE Abgeordneter Eckhoff (CDU) ...... 2035 LINKE vom 14. September 2020 ...... 2017 Abgeordnete Wischhusen (FDP) ...... 2037 Anfrage 6: Welchen Stellenwert hat Staatsrat Wiebe ...... 2038 barrierefreies Planen und Bauen für den Senat? Abstimmung ...... 2040 Anfrage der Abgeordneten Frau Grönert, Frau Neumeyer, Röwekamp Übergangspflegestellen im und Fraktion der CDU Notaufnahmesystem der Kinder- und vom 15. September 2020 ...... 2018 Jugendhilfe attraktiver gestalten! Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis Anfrage 7: Seute Deern auf Grund – 90/Die Grünen und DIE LINKE Kosten durch die Decke? vom 7. September 2020 Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. (Drucksache 20/591) Eschen, Frau Dogan, Müller, Frau Fensak, Fecker und Fraktion Bündnis Abgeordnete Pfeiffer (SPD) ...... 2040 90/Die Grünen Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis vom 16. September 2020 ...... 2020 90/Die Grünen) ...... 2042 Anfrage 8: Thema „Koloniales Erbe“ Abgeordneter Tuncel (DIE LINKE) ...... 2043 in den Bildungsplänen der Bremer Abgeordnete Ahrens (CDU) ...... 2043 Schulen Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 2045 Anfrage der Abgeordneten Frau Strunge, Frau Leonidakis, Janßen und Abgeordnete Pfeiffer (SPD) ...... 2045 Fraktion DIE LINKE Senatorin Stahmann ...... 2045 vom 17. September 2020 ...... 2024 Abstimmung ...... 2046 Die schriftlich beantworteten Anfragen der Fragestunde finden Sie im Anhang. Solidarität mit den friedlichen Protesten in Belarus „First in – Last out“ – Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Überbrückungsmaßnahmen und Grünen, der SPD, der FDP, der CDU und Förderprogramme für die DIE LINKE Veranstaltungswirtschaft zielgenau vom 6. Oktober 2020 ausrichten! (Drucksache 20/646) Antrag der Fraktionen der CDU und der Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU)...... 2047 FDP Bürgermeister Dr. Bovenschulte ...... 2049 vom 30. September 2020 (Drucksache 20/637) Abstimmung ...... 2050

Die Veranstaltungswirtschaft im Land Energie- und Wassersperren minimieren, Bremen auf dem Weg in die Zukunft Härtefallfonds realisieren: Konzept für begleiten die Ausgestaltung des Härtefallfonds Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis „Energie- und Wassersperren“ 90/Die Grünen und DIE LINKE entwickeln vom 6. Oktober 2020 Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der (Drucksache 20/643) SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 6. Oktober 2020 Abgeordneter Eckhoff (CDU) ...... 2028 (Drucksache 20/650) Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2050 1934 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2075 90/Die Grünen) ...... 2051 Senatorin Stahmann ...... 2076 Abgeordnete Grönert (CDU) ...... 2052 Abstimmung ...... 2077 Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 2053 Abgeordnete Pfeiffer (SPD) ...... 2053 Krise als Chance nutzen, ein Zukunftskonzept für die Jacobs Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2054 University Bremen gemeinsam Abgeordnete Grönert (CDU) ...... 2056 entwickeln! Senatorin Stahmann ...... 2057 Antrag der Fraktion der CDU Abstimmung ...... 2058 vom 6. Oktober 2020 (Neufassung der Drucksache 20/515 vom Externe Evaluation zur kontinuierlichen 30. Juni 20) Verbesserung frühkindlicher Bildung (Drucksache 20/647) Antrag der Fraktion der FDP vom 3. Juni 2020 Dazu (Drucksache 20/419) Änderungsantrag der Fraktion der FDP Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 2059 vom 7. Juli 2020 Abgeordnete Ahrens (CDU) ...... 2060 (Drucksache 20/542) Abgeordnete Krümpfer (SPD) ...... 2061 Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 2077 Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Abgeordnete Brünjes (SPD) ...... 2079 Grünen) ...... 2062 Abgeordnete Strunge (DIE LINKE) ...... 2079 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2063 Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Abgeordnete Krümpfer (SPD) ...... 2063 Grünen) ...... 2080 Abgeordnete Ahrens (CDU) ...... 2064 Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 2082 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2065 Abgeordneter Gottschalk (SPD) ...... 2083 Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 2066 Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 2084 Senatorin Dr. Bogedan ...... 2067 Abgeordnete Strunge (DIE LINKE) ...... 2085 Abstimmung ...... 2069 Senatorin Dr. Schilling ...... 2085 Abgeordneter Bensch (CDU) ...... 2087 Keine Anrechnung von Elterngeld und Kindergeld: Soziale Gerechtigkeit für Abstimmung ...... 2088 Eltern im Bezug von SGB II-, SGB XII- und AsylbLG-Leistungen schaffen! Anhang zum Plenarprotokoll Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der Schriftlich vom Senat beantwortete SPD und Bündnis 90/Die Grünen Anfragen aus der Fragestunde der vom 19. Juni 2020 Bürgerschaft (Landtag) vom 8. Oktober (Drucksache 20/451) 2020 ...... 2089 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2069 Anfrage 9: Verbot von Reichs- und Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis Reichskriegsflaggen 90/Die Grünen) ...... 2070 Anfrage der Abgeordneten Janßen, Frau Leonidakis und Fraktion DIE Abgeordnete Pfeiffer (SPD) ...... 2071 LINKE Abgeordnete Ahrens (CDU) ...... 2072 vom 17. September 2020 ...... 2089 Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 2073 Konsensliste ...... 2090 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 2074 Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 2075 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1935

Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Bolayela, Bruck, Hupe, Koc, Frau Dr. Müller, Rupp (7.10.20). Bolayela, Prof. Dr. Hilz, Hupe, Koc, Frau Dr. Müller, Frau Quante-Brandt, Rupp, Tokmak, Welt (8.10.20). 1936 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Präsident Imhoff eröffnet die Sitzung um 10:02 Uhr. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden. Präsident Imhoff: Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die 15. Sitzung der Bürgerschaft Sie haben für diese Sitzung die Konsensliste über- (Landtag) ist eröffnet. mittelt bekommen. Es handelt sich um die Zusam- menfassung der Vorlagen, die ohne Debatte und Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Her- einstimmig behandelt werden sollen. Auf dieser ren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Me- Liste sind die Tagesordnungspunkte 41 sowie 46 dien. bis 48.

Die Sitzung beginnt heute Vormittag mit der Aktu- Um diese Punkte im vereinfachten Verfahren zu ellen Stunde. Danach wird die Tagesordnung in behandeln, bedarf es eines einstimmigen Beschlus- der regulären Reihenfolge fortgesetzt. ses der Bürgerschaft (Landtag). Ich lasse jetzt dar- über abstimmen, ob eine Behandlung im verein- Weiter geht es dann nach der Mittagspause mit den fachten Verfahren erfolgen soll. Tagesordnungspunkten 15 und 22. Im Anschluss daran wird die Tagesordnung in der regulären Rei- Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. henfolge fortgeführt. Ich bitte um die Gegenprobe. Die Sitzung am Donnerstag beginnt mit der Frage- stunde, danach werden die miteinander verbunde- Stimmenthaltungen? nen Tagesordnungspunkte 49 und 51 aufgerufen. Weiter geht es danach mit dem Tagesordnungs- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit punkt 32. dem vereinfachten Verfahren einverstanden.

Am Donnerstagnachmittag wird nach der Pause (Einstimmig) zuerst der Tagesordnungspunkt 53 und im An- schluss daran der Tagesordnungspunkt 54 behan- Entsprechend § 22 der Geschäftsordnung rufe ich delt. Danach wird die Tagesordnung in der regulä- nun die Konsensliste zur Abstimmung auf. ren Reihenfolge fortgesetzt. Wer der Konsensliste seine Zustimmung geben Die übrigen interfraktionellen Absprachen können möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Sie der digital versandten Tagesordnung entneh- men. Dieser Tagesordnung können Sie auch die (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Eingänge gemäß § 37 der Geschäftsordnung ent- LINKE, FDP, M.R.F., Abgeordneter Jürgewitz nehmen, bei denen interfraktionell vereinbart [AfD]) wurde, diese nachträglich auf die Tagesordnung zu setzen – es handelt sich insoweit um die Tagesord- Ich bitte um die Gegenprobe. nungspunkte 51 bis 54. Stimmenthaltungen? Wird das Wort zu den interfraktionellen Abspra- chen gewünscht? – Das ist nicht der Fall. (Abgeordneter Beck [AfD])

Wer mit den interfraktionellen Absprachen einver- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt standen ist, den bitte ich um das Handzeichen. der Konsensliste zu.

(Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Wir treten in die Tagesordnung ein. LINKE, FDP, M.R.F., Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) Aktuelle Stunde

Ich bitte um die Gegenprobe. Für die Aktuelle Stunde liegen drei Themen vor, und zwar erstens auf Antrag der Abgeordneten Stimmenthaltungen? Tebje, Frau Leonidakis, Janßen und Fraktion DIE LINKE: „Tarifverhandlungen und Warnstreiks: Die (Abgeordneter Beck [AfD]) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1937

Beschäftigten im öffentlichen Dienst brauchen Auf- wende zu schaffen und um ausreichenden Nach- wertung und Anerkennung – auch als Konsequenz wuchs für den ÖPNV zu gewinnen, streiken die aus der Pandemie.“ Kolleg*innen auch heute für einen Flächentarifver- trag im Nahverkehr. Das zweite Thema lautet auf Antrag des Abgeord- neten Röwekamp und Fraktion der CDU: „Zustän- Applaus vom Balkon und Fensterreden von Politi- digkeitschaos beenden – Sexueller Gewalt gegen kern reichen den Kolleg*innen nicht. Sie wollen zu Kinder entschieden entgegentreten.“ Recht mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen für ihre systemrelevanten Tätigkeiten in der Ge- Das dritte Thema lautet auf Antrag des Abgeord- sellschaft und nehmen dafür ihr Streikrecht in An- neten Güngör und Fraktion der SPD: „Zukunft der spruch, und das ist auch gut so. Pilotinnen- und Pilotenausbildung der Lufthansa am Luftfahrtstandort Bremen.“ (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Dr. Warum diskutieren wir das hier im Rahmen einer Hagen, Frau Senatorin Stahmann und Herr Bürger- Aktuellen Stunde? Weil diese Tarifauseinanderset- meister Dr. Bovenschulte. zung eine ganze Reihe von Fragen berührt, die in den letzten Wochen und Monaten ständig Thema Hinsichtlich der Reihenfolge der Redner wird nach hier im Haus waren: Stärkung des Gesundheitswe- der Reihenfolge des Eingangs der Themen verfah- sens, Fachkräftesicherung, Verkehrswende, sys- ren. temwichtige Bereiche.

Ich stelle Einverständnis fest. Inzwischen hat aber ein erheblicher Gedächtnis- schwund eingesetzt. Nach den ganzen Bekundun- Die Beratung ist eröffnet. gen, wie wichtig die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für die Bewältigung der Coronakrise Das erste Thema lautet: seien, ist davon in der Tarifrunde nichts mehr zu spüren, und aus diesem Haus kommen teilweise Tarifverhandlungen und Warnstreiks: Die Be- kritische Äußerungen zur Ausübung des Streik- schäftigten im öffentlichen Dienst brauchen Auf- rechts, so habe ich zum Beispiel teilweise Herrn wertung und Anerkennung – auch als Konse- Strohmann verstanden. Es wird bemängelt, dass quenz aus der Pandemie der Zeitpunkt nicht passend für eine Tarifauseinan- dersetzung ist und wie man in der jetzigen Lage in Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Warnstreiks gehen könne. Ich sage, ich bin seit Tebje. knapp 30 Jahren Mitglied einer Gewerkschaft und habe viele Tarifrunden erlebt. Eines habe ich aber Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrter noch nie erlebt, nämlich dass in Tarifrunden die Ar- Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! beitgeber sagen, der Zeitpunkt für Tarifauseinan- Heute ist die BSAG im Warnstreik. Letzte Woche dersetzungen und das Streikrecht seien passend. haben TVöD-Beschäftigte schon an vier Tagen in Irgendetwas an der Situation passt immer nicht, Bremerhaven und Bremen Warnstreikmaßnahmen und jetzt ist die Situation, wie sie ist. durchgeführt. Die Beschäftigten des Magistrats Bremerhavens, die Kolleg*innen der BSAG, das Ich will das hier aber auch einmal geraderücken, Pflegepersonal der Kliniken, Kolleg*innen aus un- gerade jetzt in diesen Coronazeiten: Die Gewerk- terschiedlichen Reinigungsbereichen des öffentli- schaften des öffentlichen Dienstes hatten vorge- chen Sektors sowie aus den sozialen und Erzie- schlagen, die Tarifrunde mit einer Einmalzahlung hungsdiensten sind in den Ausstand getreten. auf nach Corona zu verlegen. Aber das hat gerade die VKA, also der für den TVöD zuständige Sie fordern 4,8 Prozent Lohnerhöhung mit einem Verband kommunaler Arbeitgeber, zurückgewie- Mindestbetrag von 150 Euro, damit gerade die un- sen und das blockiert. teren Lohngruppen stärker von dem Tarifergebnis profitieren. Für den Pflegebereich und den Ge- Wahrscheinlich mit dem Ziel, in dieser Lage die sundheitsdienst werden eine Pflegezulage, eine Gunst der Stunde für besonders niedrige Ab- bessere Eingruppierung von Ärzten und Entlas- schlüsse zu nutzen. Nur deshalb findet diese Tarif- tungsmaßnahmen gefordert. Um die Verkehrs- runde jetzt mit all den Konsequenzen für die Be- schäftigten und die Bevölkerung überhaupt statt. 1938 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften da- ist. Das ist aber nur möglich, wenn auch untere Ein- für die Schuld in die Schuhe zu schieben, halte ich kommensgruppen stärker von diesen Tarifergeb- für eine Frechheit. nissen profitieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD) Es ist völlig klar, dass Arbeitgeberverbände wie die VKA und ihre Mitglieder wie das Land Bremen Über die Problemlage der Gewinnung und das Hal- über den KAV Bremen die Einkommenssituation ten von Pflegekräften in unserem Gesundheitssys- der öffentlichen Hand im Blick haben. Das kann tem ist hier im Haus schon oft debattiert worden. aber nicht alles sein. Tarifverhandlungen im öffent- Wie das ohne Tariferhöhungen und tarifliche Ver- lichen Dienst haben auch immer eine politische Di- besserung der Arbeitsbedingungen gelingen soll, mension. Da geht es auch um die Konsistenz des- ist mir ein Rätsel. Gerade deshalb gibt es genau für sen, was die öffentliche Hand tut. diesen Bereich ein Extrabehandlungscluster. Man kann in den Tarifverhandlungen nicht alles Die BSAG streikt heute, wie wir wissen. Mobilitäts- über Bord werfen, was man vorher an anderer wende und Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs Stelle gesagt hat. Es ist schon richtig, dass man als sind nicht nur in der Enquetekommission wichtige Land und als Kommune hinterher für die Tarifer- Themen, sondern meines Erachtens immer wieder gebnisse aufkommen muss. Aber man zahlt auch fraktionsübergreifend gewollt und gefordert. Mo- die Zeche für einen unterbezahlten öffentlichen mentan ist absehbar, dass die Altersfluktuation bei Dienst, und die ist bereits jetzt schon schmerzlich den Fahrer*innen kaum noch gedeckt werden hoch. kann. Ein Wechselschichtbetrieb an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr, bei mäßiger Bezahlung, ist Deswegen erwarten wir als Fraktion DIE LINKE, halt nicht besonders attraktiv. dass sich das Land Bremen im Rahmen seines Ein- flusses für einen fachkräftesichernden Abschluss Die Verweigerung eines Flächentarifvertrages einsetzt, sich positiv zu Flächentarifverträgen im kann sich hier schnell als Bumerang für den öffent- ÖPNV verhält, die besonderen Herausforderungen lichen Nahverkehr erweisen. Erst bekommt man im Gesundheitsdienst und den Kliniken anerkennt nicht mehr ausreichend Personal, dann wandert es und sich für untere Lohngruppen und Einstiegs- zu besseren Bedingungen ab und am Schluss hat löhne, auch, wenn sie in Bremen kaum vorkom- man Zustände wie vor Kurzem bei der NordWest- men, oberhalb der Armutssicherung starkmacht. Bahn und kann die Fahrpläne nicht mehr aufrecht- erhalten. Gerade deshalb gibt es auch einen Zu- (Beifall DIE LINKE, SPD) sammenschluss zwischen den Gewerkschaften und Fridays for Future, die sagen, für eine Verkehrs- Eine Erinnerung an das, was man gerade in der wende brauche man bessere Arbeitsbedingungen Pandemie immer wiederholt hat, sollte schon mög- bei den Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr. lich sein. Deshalb wünsche ich den Streikenden in den weiteren Auseinandersetzungen viel Erfolg. – (Beifall DIE LINKE) Ich danke für die Aufmerksamkeit!

Gerade in dieser Zeit der Pandemie hat sich ge- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) zeigt, wie wichtig Reinigung, Hygiene und Sauber- keit sind. Über die zusätzlichen Anforderungen der Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Straßenreinigung haben wir in der letzten Bürger- der Abgeordnete Schäck. schaftswoche gesprochen. Auch die Innenreini- gung – wir erleben es ja auch hier in unserem Ge- Abgeordneter Schäck (FDP): Herr Präsident, sehr bäude tagtäglich – ist von immenser Bedeutung. geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier Zusätzliche Hygienemaßnahmen, Hygienespender heute über die Streiks, die in der Vergangenheit in – die Kolleg*innen haben deutlich höhere Anforde- den letzten Tagen erfolgt sind und in Teilen auch rungen hinsichtlich der Hygienestandards in der in dieser Woche im öffentlichen Dienst noch fortge- Innenreinigung. führt werden. Grundsätzlich ist das Streikrecht ei- nes der wichtigsten Rechte für Arbeitnehmerinnen Mit der Koalition haben wir auch immer wieder und Arbeitnehmer in Deutschland, denn es ist ein deutlich gemacht, dass gerade für untere Einkom- Mittel für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mensgruppen ein auskömmliches und auch im Al- Druck auszuüben, auch einmal ihre Rechte einzu- ter armutsfestes Einkommen dringend notwendig fordern, Einfluss zu nehmen und ganz allgemein Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1939

Verbesserungen der Rahmenbedingungen ihres durch die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Arbeitsplatzes durchzusetzen. Dabei geht es auch nehmer gezahlt werden muss, die gerade nicht im ein Stück weit um Gleichgewicht, es geht um Fair- öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Deren Arbeits- ness und um Augenhöhe. plätze in privaten Unternehmen waren und sind in vielen Fällen genauso systemrelevant. Und es ha- Lieber Herr Tebje, Streiks gehören zur Tarifauto- ben sich in dieser Krise auch andere Menschen aus nomie, und ich glaube, es gibt hier im Hause keine der Privatwirtschaft verdient gemacht, nur um ein Fraktion, die das grundsätzlich infrage stellt. In Beispiel zu nennen, die vielen Menschen, die an Teilen gilt das Streikrecht auch für den öffentlichen Supermarktkassen gearbeitet haben, die trotz der Dienst, solange es grundsätzlich durch die Ge- hohen Ansteckungsgefahr durch viel Kundenkon- werkschaften organisiert ist. Dabei ist aber auch takt weiterhin ihren Beruf ausgeübt und dafür ge- wichtig, dass Streiks verhältnismäßig sind. Ich bin sorgt haben, dass wir alle in dieser Krise auch wei- sehr dankbar, dass zumindest im Bereich der Kita- terhin mit Lebensmitteln versorgt werden. betreuung diese Verantwortung erkannt worden ist und nach den coronabedingten vielen Monaten (Beifall FDP) ohne Kitabetreuung, die ja insbesondere nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern eine Diese Menschen mussten in der Coronakrise teil- Herausforderung und Belastung waren, mit Au- weise massive finanzielle Einschränkungen hin- genmaß agiert wurde. nehmen, und sie hatten eine große Last zu schul- tern. Sie mussten teilweise auch viel eigenes Geld, Ver.di fordert nun 4,8 Prozent Lohnerhöhung, min- das sie sich selbst erarbeitet haben, in die Hand destens 150 Euro im Monat. Das soll vor allem den nehmen, beispielsweise, um die Kinderbetreuung unteren Lohngruppen, wie etwa den jungen Erzie- abzudecken und weiter sicherzustellen. Diese herinnen und Erziehern und auch dem Pflegeper- Menschen haben den Laden ebenfalls am Laufen sonal, mehr Gehalt bringen. Grundsätzlich halte gehalten. Viele mussten in Kurzarbeit gehen und ich es für richtig, diesen, insbesondere im Bereich auf teils große Teile ihres Gehaltes verzichten, und der Erzieher und des Pflegepersonals, verhältnis- manche haben – ganz anders als bei den größten- mäßig schlecht bezahlten Berufen in Zukunft eine teils sehr sicheren Arbeitsplätzen im öffentlichen bessere Bezahlung zukommen zu lassen. Dienst – sogar ihren Arbeitsplatz verloren.

Das hat übrigens auch etwas mit der Frage zu tun, Ich bin, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher, ob die wie attraktiv diese Berufe sind. Wir alle sprechen Gehaltsforderungen des öffentlichen Dienstes, die uns immer wieder dafür aus, dass wir mehr Erzie- wir hier heute diskutieren, ein gutes Signal sind an herinnen und Erzieher brauchen, und wir wissen die Bevölkerung, die eine lange Phase mit harten auch, was die Pflegekräfte nicht nur in der Corona- Einschnitten hinter sich hat, deren normales Leben pandemie geleistet haben und auch bis heute leis- jetzt wieder anfängt, deren Kinder langsam wieder ten. Dafür gilt allen diesen Menschen erst einmal betreut werden, die auch einmal wieder ins Büro unser ausdrücklicher Dank. fahren können, und hoffen, in vielen Fällen irgend- wann auch wieder auf das Gehalt zu kommen, was (Beifall FDP) man einmal vor der Krise hatte. Von denen erwar- ten wir jetzt, dass sie die Gehaltserhöhung derjeni- Es muss aber auch klar sein: Es geht hier an dieser gen bezahlen, die größtenteils eben nicht in Kurz- Stelle bei diesen Streiks ja nicht nur um Erzieherin- arbeit mussten, die größtenteils keine Gehaltskür- nen und Erzieher oder Mitarbeiter der Pflegebran- zungen hinnehmen mussten und deren Arbeits- che, sondern es gibt im öffentlichen Dienst deutlich plätze sicher sind. mehr Menschen, so beispielsweise in den Umwelt- und Entsorgungsbetrieben, in den Museen, Volks- Das funktioniert für uns so nicht. Das ist kein gutes hochschulen, Bibliotheken, Theatern, Universitä- Signal an die Bevölkerung. Es muss fair bleiben, ten, Jobcentern und vielen mehr. Nach Berechnun- und wir müssen auch immer das Signal mitdenken, gen des Finanzressorts würden die geforderten Ge- das wir mit solchen Entscheidungen in die große haltserhöhungen der Gewerkschaft ganz grob Mehrheit der Bevölkerung senden, die gerade überschlagen 17 Millionen Euro kosten, und zwar nicht im öffentlichen Dienst tätig ist, sondern in der pro Jahr. Privatwirtschaft. Ich sage das noch einmal mit aller Deutlichkeit: Es geht hier nicht darum, die Leistung Das ist viel Geld, insbesondere, weil das Geld ja einzelner Berufsgruppen in den letzten sechs, sie- nicht einfach vom Himmel fällt, sondern auch ben Monaten zu schmälern. Es geht hier auch nicht 1940 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

um die Frage, wer und wie viel, und ich glaube, wir wirtschaft. Da sorgen sich die von der SED-Nach- sind uns alle einig, dass jeder Mensch gutes Geld folgepartei um den öffentlichen Dienst. Ja, es gibt verdienen soll. Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, die sind sehr anspruchsvoll, die sind sehr stressig, und die sind Es geht aber auch darum, sich anzuschauen, wie auch sehr gefährlich. Doch selbst diese sind sichere die Lebensrealität vieler Menschen in der Welt da Arbeitsplätze mit sicheren Betriebsrenten und an- draußen außerhalb dieser geschützten Blase des öf- deren Privilegien ausgestattet, die man oft in der fentlichen Dienstes aktuell aussieht und um die privaten Wirtschaft nicht findet. Versuchen Sie ein- Frage, ob das, was hier diskutiert wird, aktuell zu mal, eine Behörde anzurufen, in der freitags ab 12 diesem Zeitpunkt das richtige Signal ist. Da muss Uhr oder 14 Uhr nach einer Viereinhalb-Tage-Wo- man den Zeitpunkt, den ver.di hier gewählt hat, an che oder an Brückentagen keiner mehr zu errei- dieser Stelle auch einfach einmal deutlich kritisie- chen ist. ren. – Vielen Dank! Das sind unangenehme Wahrheiten, die möglichst (Beifall FDP) nicht diskutiert werden sollten; aber das erinnert zumindest mich irgendwie an die DDR, wo der An- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort trag ja irgendwie herkommt. Soziale Klassenunter- der Abgeordnete Jürgewitz. schiede.

Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Herr Präsident, Wer es in den öffentlichen Dienst geschafft hat, hat meine sehr verehrten Damen und Herren! Was soll viele Sorgen weniger. Er ist unkündbar, er hat eine der Antrag? bessere Bonität, er bekommt bessere Kredite, er be- kommt preiswertere Versicherungen und mächtige (Abgeordneter Güngör [SPD]: Welcher Antrag?) Personalräte, oftmals mit der jeweiligen Amtsfüh- rung verbunden. Win-win-Situation. Er ist Teil des Zunächst einmal haben wir Tarifautonomie – und Systems, solange diese in diesem System mitspie- darüber steht Antrag, danke für das Geschwätz, len wie einst in der DDR. Was kann da schon pas- Herr Kollege. sieren? Erst einmal muss ja eigentlich das Geld er- wirtschaftet werden, was im öffentlichen Dienst (Abgeordneter Güngör [SPD]: Das ist eine Aktuelle ausgegeben werden kann. Darum sollte es uns Stunde!) auch hier vornehmlich gehen. Was soll also dieser Antrag? Da sollte sich der Staat nicht einmischen. Er ist in diesem Fall eh Verhandlungspartei für den Steuer- Das ist purer Populismus oder vorsätzliche Schädi- zahler, und er ist somit betroffen. Dieser Antrag gung der Bauern und Werktätigen, um im DDR- kommt von einer Partei, die in der Regierung sitzt, Jargon der SED-Nachfolgepartei zu bleiben. In der ergo dafür sorgen könnte, dass, wenn es denn not- DDR aber spielte Produktivität, spielte Wertschöp- wendig wäre, der öffentliche Dienst zumindest hier fung ja auch keine Rolle. Wohin es geführt hat, wis- in Bremen besser bezahlt wird. sen wir, und das haben die Bürger Ostdeutschlands erlebt. Auch in diesem sozialistischen System hier Was soll ein Antrag von Leuten, die zumindest in in Bremen werden wir nicht erst in 30 Jahren ge- Teilen bisher kaum gearbeitet haben? Wissen die nauso scheitern wie die DDR, wenn Sie sich hier eigentlich, wovon sie sprechen? Nach der Statistik dieser SED-Nachfolgepartei weiter entsprechend der Bundesanstalt für Arbeit haben wir zurzeit andienen werden. In diesem Sinne ist dieses ein 7,85 Millionen Personen, die keine Arbeit haben o- völlig überflüssiger Antrag, der abzulehnen ist. – der in Kurzarbeit sind. Millionen Unternehmen, Dankeschön! Groß- wie Kleinunternehmen, kämpfen um ihre Existenz, und es wird in den nächsten Monaten und Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Jahren noch schlimmer werden. Diese Rezession ist Wort die Abgeordnete Aulepp. nicht allein Corona geschuldet, denn das haben Sie hier auch mit der Demontage der deutschen Indust- Abgeordnete Aulepp (SPD): Sehr geehrter Herr rie und der deutschen Gesellschaft mitverschuldet. Präsident, meine Damen und Herren! Nach den eben gehörten und eigentlich auch nicht wirklich Doch die Massenarbeitslosigkeit, die Pleitewelle kommentarwürdigen Peinlichkeiten der Unternehmen, betreffen vor allem die Privat- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1941

nun zurück zu einer ernsthaften politischen Ausei- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) nandersetzung zwischen Abgeordneten, die wis- sen, wie Parlament geht, die den Unterschied zwi- Vielleicht doch noch ein Wort zu schlechten Zeiten: schen Anträgen und Aktuellen Stunden kennen. Diese Auseinandersetzung, die Frage, was eigent- lich die richtige, die gerechte und die angemessene (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Bezahlung ist, diese Auseinandersetzungen haben immer ihre Berechtigung. Dafür stehen wir von der Tarifauseinandersetzungen, Arbeitskampf, das SPD-Fraktion, auch und gerade in schlechten Zei- Ringen um eine gerechte und angemessene Ent- ten. lohnung einer Tätigkeit, der Kampf um gesell- schaftliche Anerkennung, die sich auch in einem (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Preis ausdrückt und ausdrücken muss, das ist guter Brauch. Das ist gelebte Demokratie in der Arbeits- Sicher ist es so – und da schauen durchaus viele an- welt, dere Länder neidvoll auf Deutschland –, dass un- sere öffentliche Daseinsvorsorge, unser öffentlicher (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Dienst ganz maßgeblich dazu beigetragen hat, dass wir bislang einigermaßen gut über die Coronakrise in einer Welt, die eine solche Demokratisierung gut gekommen sind. Da haben viele Kolleginnen und vertragen kann und in der – wir haben das hier Kollegen ganz engagiert und bis zum Anschlag ge- auch letzten Monat debattiert – auch noch Luft arbeitet, sogenannte systemrelevante Tätigkeiten nach oben für mehr ist. Mehr Demokratie wagen, ausgeübt. Wir wissen alle: Funktionierende öffent- liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Arbeitswelt, liche Daseinsvorsorge setzt gutes und motiviertes in der Wirtschaft, das ist gerade auch vor dem Hin- Personal voraus, und das setzt gute Arbeitsbedin- tergrund der hier schon debattierten Tarifflucht gungen voraus. und vor dem Hintergrund des aktuell stattfinden- den Abbaus von Mitbestimmungsmöglichkeiten (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) brandaktuell. Das hat Anerkennung verdient, und dazu stehe (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) auch ich, dazu steht auch die SPD. Gleichwohl muss man sagen, in wirtschaftlich schweren Zeiten, Natürlich stehen wir Sozialdemokratinnen und So- in denen im Bundesland Bremen über 100 000 zialdemokraten für die Freiheit und für das Recht, Menschen in Kurzarbeit beschäftigt sind und viele für einen guten und gerechten Tarif zu kämpfen. tausend Kolleginnen und Kollegen ihren Arbeits- Die derzeitigen Tarifauseinandersetzungen im öf- platz bereits verloren haben – da ist das, was der fentlichen Dienst berühren uns als Bundesland, als öffentliche Dienst zu bieten hat, nämlich Arbeits- Kommunen, aber auch als Parlament natürlich un- platzsicherheit, natürlich ein hohes Gut, und das mittelbar als Haushaltsgeber für die Arbeitgeber- wissen viele auch zu schätzen. seite in unserem Bundesland, und natürlich müssen sich die Ergebnisse der Tarifverhandlungen dann Wir stehen vor sehr großen Herausforderungen. auch in den Haushalten Bremens und Bremer- Corona wird zu erheblichen Einkommensverlusten havens abbilden, selbstverständlich. der öffentlichen Hand führen, und das hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere Spielräume. Des- Deswegen wäre es billig, sich einfach an die eine wegen gehe ich davon aus, dass die jetzigen Tarif- oder andere Seite zu werfen und zu sagen, die jetzt abschlüsse eher maßvolle Abschlüsse sein werden berechtigten Forderungen der Beschäftigten müs- und sein müssen. Zu einem Punkt aber – und das sen eins zu eins umgesetzt werden. Das werden Sie möchte ich hier auch noch einmal deutlich klarstel- hier von mir nicht hören, das ist auch nicht die Rolle len – stehe ich voll und ganz, und da steht nicht nur hier im Parlament. Wenn aber die zwischen den So- die SPD-Fraktion, sondern die gesamte SPD hinter zialpartnern verhandelten Tarifverträge auslaufen, mir: Die Forderung der Gewerkschaft, bei den un- dann muss neu verhandelt werden. Da geht es teren Entgeltgruppen eine pauschale Mindesterhö- nicht um gute oder schlechte Zeiten oder Zeit- hung vorzunehmen, findet unsere volle Unterstüt- punkte für Tarifauseinandersetzungen. Das ist Ta- zung. Ich hoffe sehr, dass da etwas Ordentliches rifautonomie, dazu stehen wir ganz klar, und natür- herauskommt, und ich habe auch gehört, dass uns lich auch mit den regulären Mitteln des Arbeits- die FDP da unterstützen wird, das freut mich natür- kampfes, liebe Kolleginnen und Kollegen! lich. 1942 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es schon gesagt, aber weil Herr Röwekamp das am Anfang In diesem Sinne begrüße ich auch ausdrücklich die offensichtlich nicht so deutlich gehört hat, sage ich Selbstverpflichtung der DGB-Gewerkschaften, zu es hier gern noch einmal: Nein, wir können uns sagen: Wir schließen keinen Tarifvertrag mehr un- nicht vorbehaltlos hinter die Forderung der Ge- ter zwölf Euro Mindeststundenlohn ab. Ich gehe werkschaften werfen. Wir können nicht so tun, als davon aus, dass es zu einem deutlichen Signal könnten wir alles eins zu eins umsetzen. kommen wird. Auch aus der Sicht der öffentlichen Hand macht das doch keinen Sinn, einerseits viel Es ist aber richtig, dass die Arbeitnehmerseite der zu niedrige Löhne zu zahlen, um dann andererseits Sozialpartnerschaft mit ihren Forderungen in die jetzt oder im Alter Aufstockungshilfen zu leisten. Auseinandersetzung hineingeht.

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Wie wird sich Das ist gut so, das ist gerechtfertigt. Dann muss der Senat denn verhalten?) zwischen der Gewerkschaft auf der Arbeitnehmer- und dem Arbeitgeberverband auf der Arbeitgeber- Herr Röwekamp, seite verhandelt werden, und zwar unter Berück- sichtigung aller Argumente. Verhandlung heißt ja (Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Sie sind doch auch nicht, ich habe Position A, du hast Position B, Arbeitgeber!) und dabei bleibt es, sondern dann findet ein Aus- tausch von Argumenten statt, und am Ende wird es darauf haben Sie völlig zu Recht hingewiesen. Ich ein Ergebnis geben. Natürlich werden wir aber hatte allerdings schon vor Ihnen darauf hingewie- auch mit diesem Ergebnis umgehen müssen. sen, dass wir da Arbeitgeber sind, und die öffentli- chen Arbeitgeber werden sich über den entspre- Ich will zum Schluss eines noch einmal ganz deut- chenden Arbeitgeberverbund in die Tarifverhand- lich betonen: Dass wir in einem Land leben, in dem lungen einbringen. An der Stelle vielleicht noch es Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie gibt, in einmal das deutliche Lob, dass der Senat sich an- dem es Arbeitskämpfe gibt und in dem Arbeits- ders als mancher Arbeitgeber in der Privatwirt- kämpfe mit allen ihren regulären Mitteln zum gu- schaft tatsächlich auch im entsprechenden Arbeit- ten Recht gehören, dass die Demokratie gerade geberverband engagiert. Da werden im Sinne der nicht vor dem Wirtschaftsleben haltmacht, das Tarifautonomie Verhandlungen geführt werden macht mich stolz, und das hat zu einem Gutteil und da wird am Ende ein Verhandlungsergebnis auch damit zu tun, dass es hier in Deutschland seit herauskommen. weit über 150 Jahren die Sozialdemokratie gibt. – In diesem Sinne Glückauf und herzlichen Dank! (Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Wie ist die Mei- nung Bremens?) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Die Situation, dass wir insbesondere in den unteren Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- Entgeltgruppen ordentlich nachlegen müssen, die geordnete Eckhoff das Wort. gilt natürlich auch – und das möchte ich an der Stelle betonen – für die Privatwirtschaft. Ich muss Abgeordneter Eckhoff (CDU): Herr Präsident, ehrlich sagen, das hat mich schon ziemlich getrof- meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, als fen, dass rund ein Viertel aller bremischen Beschäf- die Aktuelle Stunde eingereicht wurde, habe ich tigten, also ein Viertel der mehr als 300 000 im mich schon gefragt: Was wollen wir hier eigentlich Land Bremen Erwerbstätigen, weniger als diese debattieren? Mittlerweile, finde ich, ist es dann zwölf Euro die Stunde bekommen, zum Teil deut- doch ganz positiv, dass wir die Möglichkeit haben, lich weniger. Deswegen gehört natürlich auch in den einen oder anderen Tatbestand noch einmal zu die Debatte, dass auch im privatwirtschaftlichen kommentieren. Bereich Anerkennung und Aufwertung nottun, dass zum Beispiel in der Logistik, im Einzelhandel, Ich will das ganz deutlich sagen: Ich bin froh, dass in der Lebensmittelbranche systemrelevant hoch wir in der Bundesrepublik Deutschland und auch engagiert und belastet gearbeitet wird und dass in Bremen einen leistungsfähigen öffentlichen vernünftige Tarifverträge in allen Branchen nötig Dienst haben. Es gibt im öffentlichen Dienst ge- sind. nauso Leistungsträger, genauso durchschnittlich Arbeitende und genauso auch Beschäftigte, die es (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) an der einen oder anderen Stelle vielleicht schwer Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1943

haben, zu folgen, was das Tempo betrifft. Ich müssen sich die Gewerkschaften dann natürlich in glaube, dass es gut ist, dass wir diesen Bereich ha- diesem Zusammenhang gefallen lassen: Auf der ei- ben, und ich halte überhaupt nichts davon, sich nen Seite wird jetzt demonstriert und zu Recht für hier in einem pauschalen Bashing mit dem öffentli- höhere Lohnforderungen gestreikt. Das ist ein gu- chen Dienst auseinanderzusetzen. tes Recht, und das spricht auch niemand den Ge- werkschaften ab. Auf der anderen Seite haben wir (Beifall CDU) im Moment in der Bundesrepublik Deutschland zwischen vier und fünf Millionen Kurzarbeiter, die Dieses vorweggeschickt möchte ich aber auch sa- haben wiederum noch ganz andere Ängste. gen: Macht es, lieber Herr Tebje, jetzt Sinn, diese Aktuelle Stunde zu beantragen? Ich habe mich die Deshalb muss sich die Gewerkschaft dann auch ganze Zeit während Ihrer Rede gefragt: Welche fragen lassen, ob sie sich mit einem solchen Streik Rolle spielt jetzt eigentlich die Partei DIE LINKE in zu diesem Zeitpunkt wirklich einen Gefallen tut. Bremen? Wenn Sie vor zwei Jahren diese Aktuelle Die Bürgermeisterin hat zu der Tarifauseinander- Stunde beantragt hätten, hätte ich gesagt, in Ord- setzung bei der BSAG ja klar Stellung bezogen, in- nung, Sie sind Oppositionspartei, dass Sie zu Recht dem sie gesagt hat: Es gibt, glaube ich, einen bes- darauf hinweisen, kann ich verstehen. seren Zeitpunkt für diesen Streik. Wir unterstützen diese Linie, aber ich frage mich zudem: Welche Li- Es hat sich allerdings eines geändert: Mittlerweile nie verfolgt eigentlich die Koalition in Bremen? sind Sie Regierungspartei. Ich finde es nicht beson- ders glaubwürdig, sich hier hinzustellen und zu sa- (Beifall CDU) gen, wir stellen uns an die Seite der Gewerkschaf- ten, die Forderungen sind alle zu Recht erhoben, Ich möchte auch noch eine andere Bemerkung ma- und gleichzeitig Teil des Senats zu sein und eine chen. Es wird ja viel darüber debattiert, dass die andere Seite mit zu vertreten. So ein Verhalten, lie- systemrelevanten Jobs bessergestellt werden und ber Herr Tebje, fördert leider die Politikverdrossen- eigentlich viel mehr verdienen müssen. Ich will ein- heit in unserem Land. mal einen Bereich nehmen, der – weil diese De- batte, glaube ich, gefährlich ist, übrigens auch aus (Beifall CDU) Gewerkschaftssicht – nicht direkt mit ver.di in Zu- sammenhang steht. Soll das zukünftig heißen, dass Man muss sich ja auch damit auseinandersetzen, die Verkäuferin in einem Supermarkt besser be- ob das eigentlich korrekt ist, was immer wieder ge- zahlt werden soll als die in einem Computerladen sagt wurde, nach dem Motto, der öffentliche Dienst oder in einem Sportartikelladen? sei in den letzten Jahren, Jahrzehnten so unattrak- tiv geworden. Also, die Zahlen sprechen dagegen. Wo soll diese Debatte tatsächlich hinführen, meine Seit 2007 hat der öffentliche Dienst in Deutschland sehr verehrten Damen und Herren? Welche Rele- von knapp 4,5 Millionen Beschäftigten auf 4,9 Mil- vanz zum Beispiel die Supermärkte haben, haben lionen Beschäftigte zugelegt. Offensichtlich fühlen wir ja auch während des Lockdowns gemerkt. Sie sich viele Menschen im Bereich des öffentlichen waren zur Nahversorgung unerlässlich und haben Dienstes wohl und arbeiten dort gern. Auch die einen wichtigen Beitrag geleistet. Deshalb, glaube Steigerung der Gehälter im öffentlichen Dienst lag ich, hilft es uns nur, wenn wir diese Debatte auf in den letzten zehn Jahren durchschnittlich bei ei- sachliche Art und Weise führen, wenn wir diese ner Realsteigerung von 1,4 Prozent. Debatte so führen, dass wir uns inhaltlich damit auseinandersetzen. Deshalb, lieber Herr Tebje, erweisen Sie, glaube ich, den öffentlich Beschäftigten einen Bären- Ich bin sehr froh, dass Frau Aulepp das eine oder dienst, wenn Sie permanent davon reden, sie seien andere für die Koalition gerade noch richtiggestellt zu schlecht bezahlt et cetera und wir erkennten die hat, aber solche Beiträge wie von Ihnen, Herr Leistung der Beschäftigten nicht richtig an. Ich Tebje, helfen uns in dieser Situation sicherlich glaube, dass das Gegenteil der Fall ist, und ich nicht weiter. – Vielen Dank! glaube, dass der Bereich des öffentlichen Dienstes durch das, was wir in der Pandemie erleben, in der (Beifall CDU) Zukunft noch attraktiver wird. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- Wir haben das in den Haushaltsberatungen bespro- geordnete Fecker das Wort. chen und auch darüber gesprochen, und auch das 1944 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Grünen): Aufsichtsratsvorsitzende eines kommunalen Unter- Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten nehmens, Herr Kollege Eckhoff, in erster Linie ein- Damen und Herren! Die Erfahrungen der letzten mal im Sinne ihres Betriebes unterwegs, und als Monate haben uns ja gezeigt, welch wichtige Ver- Mobilitätssenatorin muss sie natürlich auf die ne- sorgungsleistungen der öffentliche Dienst gerade gativen Punkte hinweisen. Ich sehe darin aber gar in Krisenzeiten zu erbringen hat. Es sind insbeson- keinen Widerspruch, sondern ich finde, das ist dere auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des sozusagen genau das, worin wir uns gerade befin- öffentlichen Dienstes gewesen, die die öffentliche den. Es gibt unterschiedliche Interessenslagen und Infrastruktur auf vielen Ebenen unseres Gemein- unterschiedliche Abwägungen. wesens am Laufen gehalten haben. Die Verhandlungen zwischen den Tarifparteien Deshalb verdienen die Mitarbeiterinnen und Mit- haben eine gute Tradition und leisten im Übrigen arbeiter beste Arbeitsbedingungen und gute auch zur sozialen Ausgewogenheit ihren Beitrag. Löhne, denn wenn alle anderen zu Hause bleiben Die Abwägung eben dieser unterschiedlichen Inte- sollen, müssen sie im Auftrag der Allgemeinheit ih- ressenslagen, das ist doch das, was unsere Demo- ren Dienst für uns alle weiter versehen, und das ist kratie auch ausmacht, was hier im Parlament statt- auch gerade in Bezug auf die unteren Lohngrup- findet, was aber auch zwischen den Tarifparteien pen im öffentlichen Dienst eine ganz wichtige Aus- stattfindet. Aus unserer Sicht ist diese Streitkultur sage. und auch diese Streikkultur gelebte Demokratie, meine Damen und Herren! Als Interessenvertretung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Gewerkschaften die (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) Aufgabe, beste Bedingungen für sie zu verhandeln. Die Arbeitgeberseite, hier also die öffentliche Warnstreiks gehören dazu, gerade wenn es bei Hand, der Senat, hat ihrerseits Interessen abzuwä- Verhandlungen aus irgendwelchen Gründen wie- gen, unter anderem die finanzielle Sicht, die hier der einmal nicht vorangeht. Ganz ehrlich, das ist auch schon eine Rolle spielte, und die Auswirkun- hier jetzt schon mehrfach gesagt worden und trotz- gen auf das Gemeinwesen in diesem Punkt. Auch dem bleibt es auch weiterhin richtig: Wenn ein das ist ein wichtiges Argument, das es in den Dis- Streik niemandem auffallen würde und wenn er kussionen abzuwägen gilt. keine Auswirkungen hätte und niemand davon Kenntnis hätte, welche Effekte hätte er dann? Wenn wie bei der BSAG die Beschäftigten streiken, damit es bundesweit einen Tarifvertrag gibt, der Nein, Streiks kommen grundsätzlich immer zur Un- den Rahmen vorgibt, dann ist das für all diejenigen, zeit. Wenn die wirtschaftliche Situation schlecht ist, die die Verkehrswende unterstützen, natürlich ist es ein schlechter Zeitpunkt für einen Streik, richtig und wichtig. Nur mit motivierten und enga- wenn die wirtschaftliche Situation gut ist, ist es ein gierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird schlechter Zeitpunkt für einen Streik. Das ist das deutschlandweit das gelingen, was wir unter Ver- Wesen von Streiks, dass sie aus Sicht der Arbeitge- kehrswende verstehen. Sie arbeiten rund um die berseite immer zu einer Unzeit kommen, aber das Uhr an 365 Tagen im Jahr, und da braucht es sie, ist nun einmal auch der Sinn von Warnstreiks. Sie und da ist es richtig, sich auch bundesweit für gute erhöhen den Druck bei den Verhandlungen, um im Arbeitsbedingungen einzusetzen, meine Damen Sinne aller zu einem guten Ergebnis zu kommen. und Herren. Das wird auch in den aktuellen Auseinanderset- zungen wieder so sein. – Herzlichen Dank für die Man merkt an Tagen wie diesem hier heute auch, Aufmerksamkeit! was einem fehlt. Man merkt, was einem die Arbeit, die dort geleistet wird, wert ist, weil der Bus auf (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) einmal nicht, wie sonst üblich, einigermaßen pünktlich vor der Tür steht und man relativ schnell Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- in die Innenstadt kommt, sondern man andere geordnete Tebje das Wort. Wege beschreiten muss. Insofern ist das aus unse- rer Sicht ein ganz normaler Vorgang, für den wir Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrter natürlich auch Sympathie haben. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte doch noch einmal in die Debatte eingrei- Auf der anderen Seite gibt es auch danach unter- fen. Ich finde, zum Thema Tarifautonomie ist hier schiedliche Rollenverteilungen. Natürlich ist die Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1945

viel gesagt worden und auch viel Richtiges. Deswe- Wenn jetzt hier Senatorin Dr. Bogedan säße, würde gen will ich das auch nicht wiederholen. Es geht sie genau sagen, wie die Situation dann kam. Das aber natürlich auch immer darum, zu schauen, wel- ist ja genau die Situation, die wir hier politisch dis- che Leitplanken hier beschrieben werden. kutieren. Wir brauchen auch zukünftig an ver- schiedenen Stellen einen Aufwuchs. Wenn wir ei- Frau Aulepp hat das ja auch beschrieben, was aus nen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wollen, Sicht der SPD wichtig ist, was also Kernpunkte dann brauchen wir nun einmal auch attraktive Be- sind, die wir entsprechend als Koalition als Leitrah- dingungen, damit wir die entsprechenden Kol- men diskutieren. Deswegen sind wir ja auch hier leg*innen finden. Das ist an verschiedenen Punk- im Parlament, um solche Fragen zu diskutieren. Ich ten gesagt worden. Dass das Ganze auch Verhand- will noch einmal auf zwei Punkte eingehen, die lungen sind, die in der Tarifautonomie entspre- hier in der Debatte vorkamen. Ich will noch einmal chend stattfinden, und mit den entsprechenden Er- den Zeitpunkt ansprechen, sowohl Herr Schäck als gebnissen, die solche Verhandlungen mit sich brin- auch Herr Röwekamp sind darauf eingegangen. gen, das ist völlig unstrittig. Trotzdem ist es doch aber wichtig, dass wir hier auch politisch darüber Ich hatte es in meiner Rede schon gesagt. Die Ge- sprechen, was eigentlich die Rahmenbedingungen werkschaften des öffentlichen Dienstes hatten sein sollen, die aus politischer Sicht sinnvoll sind. ganz explizit gefordert: Lasst uns doch einfach eine Einmalzahlung machen, die Tarifverhandlungen In dem Sinne noch einmal den Part, den ich auch zwölf Monate aussetzen und dann in die Tarifver- vorhin gesagt habe: Wir haben nun einmal in vielen handlungen gehen. Das ist vonseiten der Arbeitge- Bereichen des öffentlichen Dienstes im Vergleich ber abgelehnt worden, also haben wir die Situation zu den Industriegewerkschaften deutlich verloren. jetzt so, wie sie ist. Dann haben ja auch die Kolle- Herr Eckhoff, Sie haben gesagt, was positiv ist. Ja, gen alles gesagt, wie das mit den weiteren Folgen, es gab auch positive Abschlüsse in den letzten Jah- mit Streiks und Ähnlichem in einer Tarifautonomie ren. Man muss aber nun einmal auch zur Kenntnis ist und wie sich das entsprechend ergibt. nehmen, dass der öffentliche Sektor im Verhältnis zu den Industriebereichen in der Frage deutlich Ich wollte noch einmal auf die Frage eingehen, was verloren hat, weil die deutlich stärker gestiegen das eigentlich für die Ökonomie hier in Deutsch- sind. land bedeutet. Wie ist es mit den Branchen? Natür- lich haben wir Branchen, die momentan stark unter Das macht natürlich das Werben um Fachkräfte zu- Druck stehen, und Menschen, die um ihren Ar- künftig schwieriger. Das muss man sich einfach im beitsplatz fürchten. Wir haben aber auch Branchen, Rahmen von Tarifverhandlungen ansehen und zu die momentan extrem profitieren, Branchen, die entsprechenden Ergebnissen kommen. – Ich danke gut laufen, und wir brauchen für unsere Wirtschaft für die Aufmerksamkeit! momentan auch gute Tarifabschlüsse, die einen positiven Impuls für die gesamtwirtschaftliche (Beifall DIE LINKE, SPD) Lage geben. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat Staatsrat Der Abschluss bei der Post, denke ich mir, war so Dr. Hagen das Wort. einer. Wenn ich mir das ansehe, haben die Kolle- gen im öffentlichen Dienst momentan ein Problem Staatsrat Dr. Hagen: Sehr geehrter Herr Präsident, deutlich nicht: Sie haben keinen Beschäftigungs- sehr geehrte Abgeordnete! Die Beschäftigten des mangel, sondern wir haben ein aufwachsendes öffentlichen Dienstes brauchen Aufwertung und System. Herr Eckhoff, wenn Sie sagen, es sind doch Anerkennung, auch als Konsequenz aus der Pan- mehr Leute in den öffentlichen Dienst gekommen, demie. Diese Feststellung der Fraktion DIE LINKE dann, ja, stimmt das, aber es stimmt doch, weil wir wird auch vom Senat der Freien Hansestadt Bre- deutlich mehr Aufgaben im öffentlichen Dienst men ausdrücklich geteilt. wahrnehmen als vor Jahren. Wenn wir die Kinder- betreuung ausbauen, brauchen wir nun einmal (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) mehr Kolleginnen und Kollegen. Ich erinnere mich noch an 2015, da haben die Gewerkschaften ge- Die COVID-19-Pandemie konnte und kann nur be- sagt: Wir laufen auf einen Fachkräftemangel bei wältigt werden, wenn es einen starken öffentlichen den Erzieher*innen zu. Da hieß es von den öffent- Dienst gibt und gut geschulte, motivierte Beschäf- lichen Arbeitgebern, das gebe es alles nicht. tigte. Lassen Sie mich aber auch im Namen des Se- 1946 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

nats zunächst und an dieser Stelle ausdrücklich al- sonderheiten, insbesondere im Gesundheitsbe- len Beschäftigten im öffentlichen Dienst danken. reich und in der Pflege, aber auch bei den Sparkas- Unser Dank gilt den Beschäftigten in den Kranken- sen und bei den Flughäfen. Die Forderung der Ge- häusern, im öffentlichen Gesundheitsdienst, im werkschaften halten wir für zu hoch. Sie ist nicht Ordnungsamt, bei Polizei und Feuerwehr und in bezahlbar, denn für die Freie Hansestadt Bremen den Krisenstäben, aber auch in allen anderen Be- wären das Mehrkosten von knapp sechs Millionen reichen der Verwaltung in Bremen und Bremer- Euro, die noch im Jahr 2020 anfallen würden, und haven. Die Beschäftigten hier arbeiten alle daran, 17,5 Millionen Euro dann im Jahr 2021. die Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Viele von ihnen tun das mit großer persönlicher Aufopferung. Wir wollen aber auch die Entgelte erhöhen, jedoch in moderaterer Form. Für die Beschäftigten des öf- Wir glauben, dass der bisherige Verlauf der aktu- fentlichen Dienstes liegt die Steigerung der Tarif- ellen Tarifverhandlungen nicht zum Anlass ge- entgelte seit 2009 höher als in der Gesamtwirt- nommen werden sollte, an dieser Wertschätzung zu schaft und auch über den Verbraucherpreissteige- zweifeln. Die Tarifrunde findet in diesem Jahr un- rungen, sodass es hier deutliche Reallohnzuwächse ter erschwerten Bedingungen statt, die durch die gegeben hat. Auch bieten wir sichere und familien- Coronapandemie begründet sind. Als Vorstands- freundliche Arbeitsplätze. Das darf man in dieser vorsitzender des Kommunalen Arbeitgeberverban- Krise auch nicht unberücksichtigt lassen. des Bremen und Mitglied im Präsidium der Verei- nigung der kommunalen Arbeitgeberverbände bin Zum Schluss noch ein Wort zu den Tarifverhand- ich daran beteiligt. lungen im Nahverkehr, weil auch die BSAG heute wieder bestreikt wird. Gefordert wird hier die Auf- Lassen Sie mich vielleicht an dieser Stelle auch nahme von bundeseinheitlichen Tarifverhandlun- noch einmal sagen, dass wir das gern tun, denn wir gen. Dazu hat der Verband der kommunalen Ar- sind in Bremen ein relativ kleiner kommunaler Ar- beitgeber jedoch kein Mandat, weil die Gewerk- beitgeberverband. Durch die Mitgliedschaft in der schaften darauf bestanden haben, neben den bun- Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberver- deseinheitlichen Verhandlungen zeitgleich auch bände ist es für Bremen, glaube ich, für beide Sei- Verhandlungen auf der Landesebene zu führen. ten, sowohl für die Arbeitgeberseite als auch für die gewerkschaftliche Seite, gut, dass wir hier mit star- Von mangelnder Wertschätzung der Beschäftigten ken Partnern auf Augenhöhe verhandeln. Insofern kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Wir beteiligen wir uns an der bundesweiten Verhand- brauchen einen fairen Kompromiss zwischen den lung, die zurzeit in den Tarifrunden in Potsdam Interessen der Beschäftigten und der außeror- stattfindet. dentlich schwierigen finanziellen Situation der Städte. – Vielen Dank! Die VKA strebt einen langfristigen Abschluss an, gerade weil wir in der Krise sind. Wir haben dra- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) matische Einnahmeverluste – das war eben schon Gegenstand der Debatte – bei öffentlichen Unter- Präsident Imhoff: Meine Damen und Herren, wei- nehmen. Wir haben einen dramatischen Einbruch tere Wortmeldungen liegen zu dem ersten The- bei der Gewerbesteuer, und wir werden weniger menbereich nicht vor. Geld in der öffentlichen Hand haben, als wir uns das noch letztes Jahr vorgestellt haben. Wir sehen Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Stunde ja auch, dass die Krise leider immer noch nicht vor- auf: bei ist. Ich glaube, deshalb war es richtig, dass die Arbeitgeber gesagt haben, wir brauchen Planungs- Zuständigkeitschaos beenden – Sexueller Gewalt sicherheit, und auch deshalb sind wir nicht auf das gegen Kinder entschieden entgegentreten Angebot eingegangen, die Tarifverhandlungen hier jetzt zu verschieben und eine Einmalzahlung Als erster Redner hat der Abgeordnete Röwekamp zu leisten. das Wort.

Deshalb befinden wir uns nun in Tarifverhandlun- Abgeordneter Röwekamp (CDU): Sehr geehrter gen. Es gab bereits zwei Runden, die dritte Runde Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und ist terminiert. Als Arbeitgeber fordern wir beson- Herren! Die statistische Datenlage ist erschre- ders die Berücksichtigung spartenbezogener Be- ckend. Allein im vergangenen Jahr wurden bun- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1947

desweit 13 000 Fälle von sexuellem Kindesmiss- tracht dieser auch dramatisch steigenden Fallzah- brauch gemeldet. Dazu kommen mehr als 1 000 len der letzten Jahre diesen Umständen anpassen. Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen Wir brauchen einen Masterplan gegen sexuali- und mehr als 12 000 angezeigte Fälle von Abbil- sierte Gewalt von Kindern auch in Bremen und Bre- dung sexueller Gewalt an Kindern, umgangs- merhaven. sprachlich Kinderpornografie genannt. Schließlich gab es im vergangenen Jahr noch 3 000 Fälle des (Beifall CDU) Einwirkens auf Kinder mittels digitaler Medien, so- genanntes Cyber-Grooming. Der zweite Grund, der die Aktualität ausmacht, ist, dass ja offensichtlich unter nicht ausreichender Be- Die Annahmen der Experten, dass wegen des achtung des Senats zurzeit bundesweit zahlreiche Lockdowns und der Zunahme digitaler Tätigkeiten Initiativen auf dem Weg sind, um der Gefahr, die diese Zahl in diesem Jahr noch höher ausfallen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ausgeht, wird, sind, glaube ich, berechtigt. Meine sehr ver- stärker und entschiedener entgegenzutreten. Der ehrten Damen und Herren, zusammengefasst kann Bundesrat hat in seiner Sitzung am 18. September man sagen: Das sind insgesamt mehr als 72 Miss- eine Entschließung gefasst. Anfang Juli hat die brauchsfälle pro Tag. Allein während des Gangs Bundesjustizministerin einen Gesetzentwurf, einen dieser Aktuellen Stunde werden statistisch drei Referentenentwurf zur Verschärfung strafrechtli- Kinder Opfer von sexualisierter Gewalt. cher Normen im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder auf den Weg gebracht. Nun könnte man sagen: Das ist doch kein Grund für eine Aktuelle Stunde, weil es ja jeden Tag pas- Wir als CDU-Fraktion finden, dass die Debatte an siert, das ganze Jahr über. Die Aktualität ergibt Bremen nicht vorbeigehen sollte. Wir müssen uns sich aber aus unserer Sicht aus drei Umständen. auch in diese bundesweite Debatte einbringen, Erstens ist das Thema nicht nur statistisch. Wer ges- und deswegen haben wir kein Verständnis dafür, tern Abend die Nachrichten geschaut hat, hat ge- dass der von diesem Parlament an die Innendepu- hört, dass es das Urteil gegen den Haupttäter des tation überwiesene Antrag, der sich genau mit die- schweren Missbrauchsfalls von Bergisch Gladbach sen Themen beschäftigen soll, nicht in der letzten gegeben hat – ein Fall, der im Jahr 2019 die Öffent- Sitzung der Innendeputation behandelt, sondern lichkeit erreicht hat und der jetzt im September o- vertagt worden ist, obwohl bereits im Oktober die der Oktober 2020 mit der Verurteilung des Haupt- ersten Beratungen in Bundesrat und Bundestag an- täters zu zwölf Jahren Haft mit anschließender Si- stehen, obwohl die Stellungnahmefrist zum Ge- cherheitsverwahrung, wie ich finde, eine gute und setzentwurf der Bundesministerin mittlerweile am schnelle Reaktion des Staates erfahren hat. 14. September abgelaufen ist.

Hier hat der Staat Zähne gezeigt und seine Auf- Ich finde, Bremen kann sich bei dieser Debatte gabe wahrgenommen. Es hat eine schnelle Straf- nicht wegducken oder heraushalten, Bremen muss verfolgung mit angemessener und ausgewogener sich beteiligen an dieser Debatte, wie wir mit der Urteilsfindung gegeben. Das, kann ich für die sexualisierten Gewalt an Kindern in Zukunft als CDU-Fraktion erklären, findet unsere uneinge- Staat stärker und konsequenter umgehen, meine schränkte Unterstützung. Damen und Herren.

(Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) (Beifall CDU)

Wir reden aber nicht nur über Missbrauchsfälle in Der dritte Anlass für die Aktuelle Stunde ist, dass anderen Ländern. Radio Bremen hat Anfang dieser wir erfahren haben, dass der Senat sich nicht nur Woche gemeldet, dass in Bremerhaven Ende Sep- nicht aktiv in dieser Debatte einbringt, sondern of- tember ein Tatverdächtiger festgenommen worden fensichtlich nicht einmal Briefe beantwortet. Ich ist, der im Verdacht steht, das minderjährige Kind bin sehr froh, dass es den unabhängigen Beauftrag- seiner Lebensgefährtin mehrfach und auch schwer ten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs missbraucht zu haben. Diese Fälle machen deut- auf Bundesebene gibt, und ich bin sehr froh, dass lich: Es braucht ein entschiedenes und ein ent- er immer wieder die Stimme erhebt und eben auf schlossenes Handeln aller staatlichen Stellen zur die von mir skizzierten Auswirkungen und Aus- Bekämpfung von Fällen sexualisierter Gewalt ge- maße von sexualisierter Gewalt gegen Kinder hin- gen Kinder. Wir müssen unser System in Anbe- weist. 1948 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

In diesem Zusammenhang hat sich der Bundesbe- Verbrechen charakterisieren und entsprechend be- auftragte – also nicht irgendwer, würde ich einmal strafen. Sexuelle Gewalt an Kindern, meine Damen sagen – auch an den Präsidenten des Senats ge- und Herren, muss in Deutschland ein Verbrechen wandt. In einem Brief von April 2019 hat er dafür werden. geworben, dass es bestimmte Maßnahmen, insbe- sondere eine verstärkte Zusammenarbeit auch res- (Beifall CDU) sortübergreifend in den Ländern gegen sexuali- sierte Gewalt von Kindern geben soll. Der Brief, Das Gleiche gilt für die Verbreitung und den Besitz meine Damen und Herren, ist offensichtlich auch und die Besitzverschaffung von Kinderpornografie. im Rathaus angekommen, aber danach verlieren Auch das ist kein Bagatelldelikt. Auch hier muss es sich seine Spuren. zu einer Mindeststrafandrohung von einem Jahr kommen. Auch Kinderpornografie, hinter der viel Beantwortet worden ist der Brief, worauf wir hinge- schäbige Geschäftsabsicht steckt und nicht nur wiesen worden sind, zumindest bis heute nicht. Of- eine sexuelle Orientierung, bei der es um viel Geld fensichtlich ist er vom Rathaus an die Senatorin für und viel Leid geht, muss im Ranking unserer Straf- Soziales weitergeleitet worden. Nach den uns er- tatbestände dringend als Verbrechen geahndet teilten Informationen soll es auch einen Antwort- werden. Auch hier unterstützen wir als CDU-Frak- entwurf gegeben haben, aber nach Mitteilung des tion uneingeschränkt die Position der Bundesjustiz- Bundesbeauftragten ist dort bis heute keine Stel- ministerin, meine Damen und Herren. lungnahme eingegangen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Bekämpfung sexuali- (Beifall CDU) sierter Gewalt gegen Kinder ernst nimmt, muss sich auch auf solche Diskussionen einlassen und zu sol- Schließlich geht es auch um die Frage der Verjäh- chen Forderungen Stellung nehmen. rung. Wir haben natürlich die Situation, dass ein 16 Monate altes Kind die an ihm begangene Straftat Ich erwarte, dass der Senat heute erklärt, wie es nicht den Ermittlungsbehörden offenbaren kann. dazu kommen konnte, dass dieser Brief unbeant- Deswegen ist es richtig, dass die Verjährung auch wortet blieb und wie eigentlich die Auffassung des dieser Sexualstraftaten frühestens mit dem 30. Le- Senats zu dem Inhalt der Forderungen des Bundes- bensjahr des Opfers beginnt. Auch hier geht es da- beauftragten ist. Es wirft kein gutes Licht auf Bre- rum, die Ermittlungsarbeit der Behörden nicht men, wenn solche Vorgänge nicht sachgerecht be- durch zu kurze Fristen zu beseitigen. arbeitet werden. Schließlich geht es auch darum – und auch da sind (Beifall CDU) wir auf die Auffassung des Senats gespannt –, wie es eigentlich in Zukunft mit der Frage von Verfol- Lassen Sie mich schließlich zusammenfassen, wo- gungsmöglichkeiten von Ermittlungsbehörden im rum es uns als CDU-Fraktion auch im Rahmen die- Zusammenhang mit Taten sexualisierter Gewalt ser Aktuellen Stunde geht. Wir wollen die Initiative gegen Kinder weitergehen soll. Wir wissen, dass der Bundesjustizministerin unterstützen. Ihre ge- die Rückverfolgung insbesondere von Straftaten in setzlichen Vorhaben zur Verschärfung des Straf- der digitalen Welt häufig daran scheitert, dass die rechts finden unsere uneingeschränkte Unterstüt- zugehörigen IP-Adressen von den Anbietern viel zung. Ja, der Grundtatbestand der sexualisierten zu früh gelöscht und deswegen die Täter nicht er- Gewalt gegen Kinder muss in Zukunft ein Verbre- mittel- und rückverfolgbar sind. chen werden und mindestens mit einer Freiheits- strafe von einem Jahr auch strafrechtlich geahndet Alle – auch die Bundesjustizministerin, aber insbe- werden. sondere auch der Bundesbeauftragte – fordern da- her, dass es in diesem Bereich zumindest für diese (Beifall CDU) schweren Straftaten auch die Vorratsdatenspeiche- rung braucht. Wir müssen unsere Ermittlungsbe- Es mag sein, dass Pädophilie per Definition eine hörden in die Lage versetzen, solch schwere Straf- psychische Erkrankung ist. Aus Sicht der Täter taten auch verfolgen und die Täter ermitteln zu mag das stimmen. Aus Sicht der Opfer ist Pädophi- können. Wir dürfen ja auch im digitalen Zeitalter lie, die immer auch das Risiko der Tat in sich trägt, nicht den Täterinnen und Tätern hinterherlaufen. ein Verbrechen. Deswegen ist es richtig, dass wir Der Staat muss stark und reaktionsfähig sein. auch als Gesellschaft im Strafrecht diese Tat als Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1949

Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung. Wir und wir brauchen einen ressortübergreifenden An- brauchen die Telekommunikationsüberwachung. satz zur Bekämpfung dieses schweren Kriminali- Wir brauchen die Verlängerung und Verschärfung tätsdelikts. Dafür werben wir in dieser Aktuellen dieses Strafrechts. Die CDU-Fraktion steht unein- Stunde. – Vielen Dank! geschränkt dafür, und uns interessiert, wie der Se- nat sich eigentlich im Bundesrat in diese Debatte (Beifall CDU) einbringen will. Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das (Beifall CDU) Wort die Abgeordnete Dogan.

Schließlich wird es darum gehen, dass wir die Be- Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): kämpfung und die Instrumentarien der Behörden Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, im Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern sehr geehrte Herren! Kinder haben das Recht auf neu ordnen. Der Bundesbeauftragte hat dazu in Schutz vor Gewalt, auf Schutz vor körperlicher Ge- seinem Positionspapier am 2. Oktober, wie wir als walt, auf Schutz vor psychischer Gewalt und auch CDU finden, sehr viele gute Vorschläge gemacht. auf Schutz vor sexualisierter Gewalt. Der Staat Es geht darum, dass wir verbindliche Schutzkon- muss alles dafür tun, diesen Schutz auch zu ge- zepte in Kitas, Schulen und in der Kinder- und Ju- währleisten. Es ist unsere Aufgabe, dafür auch die gendarbeit umsetzen. Es geht darum, dass wir be- Voraussetzungen zu schaffen, meine Damen und darfsgerechte niedrigschwellige und umfassende Herren. und barrierefreie Beratungs- und Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige finden. Es geht aber Sexualisierte Gewalt ist jedoch keine Ausnahmeer- auch darum, dass wir eine kindgerechte Justiz ge- scheinung, sondern leider Alltag für Tausende Kin- stalten mit Kompetenzzentren, Schwerpunktstaats- der und Jugendliche, auch hier im Land Bremen. anwaltschaften und Schwerpunktgerichten. Das zeigen uns die bekannten Zahlen und diese gehen leider auch seit Jahren nicht zurück. Fach- Es geht auch darum, dass wir die Interventions- leute gehen davon aus, dass die Anzahl der aufge- möglichkeiten der Ermittlungsbehörden auch im deckten Delikte aufgrund der Sensibilität für das Datenausgleich und im Bereich der Jugendhilfe er- Thema weiterhin steigt. Privatpersonen, Lehrkräfte leichtern. Natürlich geht es auch darum, dass wir in wie auch die Polizei sind in den letzten Jahrzehn- der Lehrerausbildung, aber auch allgemein bei ten deutlich aufmerksamer geworden. Dennoch Forschung und Ausbildung für dieses Thema sen- bleibt das Dunkelfeld sehr groß. sibilisieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter, die Kontakt zu Kindern haben, in die Lage ver- Die meisten Taten werden weder aufgedeckt noch setzen, Missbrauchsfälle zu erkennen und zu mel- angezeigt, meine Damen und Herren. Die Weltge- den. sundheitsorganisation geht für Deutschland von ei- ner Million Kindern und Jugendlichen aus, die se- Zusammengefasst muss man sagen: Wir brauchen xualisierter Gewalt ausgesetzt sind oder waren. nicht unbeantwortete Briefe. Wir brauchen keine Das sind ein bis zwei Schüler*innen in jeder Klasse. verteilten Kompetenzen in den unterschiedlichen Das sind erschreckende Zahlen. Oberstes Ziel ist senatorischen Dienststellen. Wir brauchen einen es, solche Taten zu verhindern. Gelingt dies nicht, gemeinsamen, ressortübergreifenden Masterplan gilt es, sie aufzudecken und konsequent zu verfol- für die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an gen und damit Kinder von ihrem Leid zu befreien. Kindern. Was mich aber umtreibt, ist die Strafe, zu der nie (Beifall CDU) verurteilt wurde, die Fälle, in denen nie ermittelt wurde, weil wir sie nicht gesehen haben und nach Ob dazu am Ende auch ein Kinderschutzbeauftrag- wie vor auch nicht sehen. Hinter diesen Taten ste- ter eingesetzt wird, wie er gestern in der Debatte in cken Kinder, die meist durch ihre nächsten Ange- der Stadtbürgerschaft schon einmal eine Rolle ge- hörigen brutale Gewalt erlebt haben, und Herr Rö- spielt hat, kann und mag dann diskutiert werden. wekamp hat auf einen aktuellen Fall aus Bremer- Entscheidend ist aber erst einmal, dass wir keine haven gerade auch richtigerweise Bezug genom- neuen Stellen schaffen. Wir brauchen ein neues men. Handlungskonzept. Wir brauchen Strafrechtsver- schärfung, wir brauchen Ermittlungserleichterung Das Leid dieser Kinder und ihre Hilflosigkeit ange- sichts dieser massiven physischen und psychischen 1950 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Verletzungen sind unvorstellbar, und sie leiden ein bin ich auch sehr froh. Über eine erweiterte Digita- Leben lang unter den Folgen der traumatisieren- lisierung der Beratungsangebote durch die Ämter den Erlebnisse, die sie erfahren haben. Wir haben sind wir auch mit der Koalition im Gespräch. Im zum Beispiel als Grüne eine Initiative 2018 hier in Land Bremen wird sehr viel getan. Es gibt ein Netz der Bürgerschaft initiiert, gemeinsam mit unserem von Hilfeeinrichtungen, Beratungseinrichtungen Koalitionspartner auch beschlossen, die die Versor- für Betroffene von sexueller Gewalt. Das umfasst gung von häuslicher Gewalt betroffener Kinder auch die Durchführung von Öffentlichkeits- und und Jugendlicher in den Blick nimmt und zusätz- Präventionsarbeit. lich das Instrument der aufsuchenden Fachbera- tung eingefordert hat. Das ist gut und richtig so. Ich möchte ein Projekt, das Frau Stahmann, ich glaube, letztes Jahr initiiert hat, „Trau Dich!“, das Herr Röwekamp, Sie sind auf diesen Brief einge- bei 20 000 Schülerinnen und Schülern auch ange- gangen, den ich nicht kenne, von dem ich nicht kommen ist, auch noch einmal loben und mich weiß. Ich finde es sehr bedauerlich, dass darauf tat- auch bedanken, dass die Senatorin das mitgemacht sächlich nicht geantwortet wurde. Deshalb aber, hat, das haben zum Beispiel nicht alle Bundeslän- Herr Röwekamp, von einem Zuständigkeitschaos der in Deutschland mitgemacht. zu sprechen, wäre meiner Meinung nach übertrie- ben. Die vielfältigen Strukturen, die im Notfall Lieber Herr Röwekamp! Ich habe Ihnen ja in vie- greifen, funktionieren hier im Land Bremen. Auch lem von dem, was Sie hier vorgetragen haben, die Präventions- und Beratungsangebote finden in recht gegeben. Wenn Sie aber hier versuchen, den Bremen einwandfrei statt, selbst während der Pan- Eindruck zu vermitteln, dass wir als Koalition die- demie. Es finden auch Onlineberatungen statt, zum ses Thema nicht ernst nehmen, dann finde ich das Teil bereits seit Jahren, wie zum Beispiel auch bei nicht fair, das können Sie ja vielleicht gleich auch Schattenriss. noch einmal korrigieren.

Auch andere Einrichtungen haben sich unmittelbar Sie haben in den letzten Jahren, das habe ich mir zu Beginn der Coronakrise auf den Weg gemacht, ganz genau angesehen, Herr Röwekamp, als Frak- ihr Angebot entsprechend auszuweiten, meine Da- tion sehr viele Große Anfragen, was ich auch rich- men und Herren. Die Beratung von Kindern, Eltern tig gut fand und finde, zu dieser Thematik in der oder Personen aus dem Umfeld war und ist sicher- Bürgerschaft eingereicht. Aus den Antworten, Herr gestellt, sowohl vonseiten des Jugendamts als auch Röwekamp, haben Sie auch ganz deutlich gesehen, durch Kinderschutzeinrichtungen. Die frühe Kom- was hier in Bremen aber auch in der Stadtge- munikation und Einbindung führt zu schnelleren meinde Bremerhaven durch die Polizei an Präven- Ermittlungsverfahren als das noch in der Vergan- tionsarbeit in Grundschulen und anderen guten genheit war. Die rechtssichere Übermittlung der Projekten tatsächlich umgesetzt wird. Ich finde, das Daten zwischen den Beratungsstellen und der Poli- wäre ein Negieren der guten Arbeit, die tagtäglich zei wird auch im neuen Polizeigesetz deutlich, in beiden Städten hier geleistet wird in diesem Be- meine Damen und Herren, auch ausgeweitet. reich.

Ich habe ja Bezug genommen auf die aufsuchende (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Fachberatungsstelle, deren Arbeit für Kinder star- tet, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Damit Natürlich, Herr Röwekamp, haben Sie recht, wenn schließen wir auch eine Lücke im System, die es Sie den Missbrauchsbeauftragten loben, das tun bisher gab. Für die Haushalte 2020/2021 ist für den wir auch. Dieser ist wichtig, gerade für diesen Bereich Kinderschutz eine Steigerung um 25 Pro- wichtigen Themenkomplex, und Sie haben ja in Ih- zent im Vergleich zu den Vorjahren vorgenommen rer Rede richtigerweise auch gesagt, dass er am 2. worden. Dank des politischen Willens dieser Koali- Oktober ein Positionspapier veröffentlicht hat. tion ist es uns gelungen, diese Erhöhung auch so in Auch wir als Koalition finden, dass der Miss- den Haushalt einzubringen. brauchsbeauftragte in diesem Positionspapier Dinge festgeschrieben und Empfehlungen ausge- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) sprochen hat, und das möchte ich auch noch einmal deutlich sagen, Herr Röwekamp, das hat er nicht In Bremen, meine Damen und Herren, und das nur dem Land Bremen gegenüber geäußert, son- möchte ich schon deutlich sagen, wird der Kinder- dern gegenüber allen Bundesländern, aber auch schutz gestärkt, und das ist richtig so und darüber Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1951

allen Parteien, dass man für dieses Thema zukünf- das hier schon mehrfach gesagt – vor einigen Ta- tig sensibilisiert wird und Dinge umsetzt, die bisher gen vorgestellt. nicht umgesetzt werden. Das – wenn man das in einem Zusammenhang so Sie haben einige Beispiele, richtige Beispiele aus sagen darf – Gute: Fast alle Empfehlungen, die er diesem Positionspapier genannt, aber ich kann dort nennt, werden in Bremen bereits umgesetzt. Ihnen auch ganz deutlich sagen, dass bestimmte Die Situation ist auch bei uns in Bremen ernst. Beim Sachen auch hier im Land Bremen bereits umge- sexuellen Missbrauch von Kindern hat sich die setzt werden, Herr Röwekamp. Bei einigen Punk- Fallzahl in der Stadt Bremen 2018/2019 um fast ten, da muss man sich das aber genauer ansehen 65 Prozent, nämlich von 68 auf 112 Fälle, erhöht. und diese Empfehlungen natürlich auch überneh- Im gesamten Land Bremen stieg sie von 81 auf men, wenn sie notwendig sind und wenn das noch 137 Fälle. Bei Straftaten im Zusammenhang mit nicht vorhanden ist, Herr Röwekamp. Kinderpornografie haben sich die Fallzahlen in Stadt und Land Bremen von 2015 bis 2019 nahezu Sie haben selbst gesagt, am 2. Oktober, meine Da- verdreifacht. men und Herren. Lieber Herr Röwekamp, geben Sie uns doch Gelegenheit, dass wir uns diese Emp- Hierfür gibt es vor allem zwei Ursachen. Sowohl fehlungen genauer anschauen – ich habe sie mir das Anzeigeverhalten als auch die Aufklärung sind angeschaut, Sie anscheinend auch, viele andere gestiegen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch – und dann können wir gemeinsam diskutie- sind gute Nachrichten. Uns allen ist aber bewusst, ren, ob wir bestimmte Dinge hier umsetzen und be- dass die gemeldeten Zahlen und natürlich auch die nötigen. Da haben Sie die Koalition, uns Grüne an deutlich höhere Dunkelziffer immer noch viel zu Ihrer Seite bei diesem wichtigen Thema. Reden Sie hoch sind. Bereits seit den 1980er-Jahren wird da- bitte aber nicht von einem Zuständigkeitschaos, rauf aufmerksam gemacht, dass sexuelle Gewalt nur weil es dieses aktuelle Positionspapier gibt. – keineswegs selten ist, dass vor allem Vertrauens- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit! personen der Opfer die Täter sind und dass sexuel- ler Missbrauch in vielen Formen daherkommt, mit (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Gewalt, Drohungen und Erpressung, aber auch ge- tarnt als Zuwendung, Freundschaft, Liebe und des- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort wegen immer wieder nur schwer als Übergriff von der Abgeordnete Lenkeit. außen erkennbar ist.

Abgeordneter Lenkeit (SPD): Sehr geehrter Herr Aus der Arbeit der Fachstellen haben wir gelernt: Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Jörg L., eine Sexuelle Übergriffe können überall passieren, wo der zentralen Figuren des Missbrauchskomplexes Kinder sind, in Familien, in Schule und Kita, in Ju- aus Bergisch Gladbach, wurde gestern zu zwölfein- gendhilfeeinrichtungen und im Sport. Auch, wenn halb Jahren Haft mit anschließender Sicherheits- sich das Thema nicht für Werbung im eigentlichen verwahrung verurteilt. Seine unfassbaren Taten Sinne eignet, so sei mir der Hinweis auf die mor- sind für uns nicht nur schwerlich zu ertragen, und gige Veranstaltung der SPD-Fraktion zum Thema die anzunehmende Dimension der im Zusammen- „Sexueller Missbrauch auch im Sport ein Thema“ hang stehenden Verbrechen macht uns alle sprach- erlaubt. Unsere Kollegin Frau Professorin Quante- los. Brandt würde sich sicherlich freuen, viele von uns zu diesem wichtigen Thema begrüßen zu können. Es zeigt sich wieder einmal bedrückend deutlich: Kindesmissbrauch ist keine gesellschaftliche Rand- Sexualisierte Gewalt ist eine geplante, vorbereitete erscheinung. Kindesmissbrauch findet überall statt. und bewusste Tat, die sich oft über Jahre wieder- Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist holt. Gerade daher ist die Arbeit der professionel- Alltag in Deutschland und das Ausmaß ist erschre- len Beratungsstellen so wichtig. Sie bietet den Op- ckend. Schätzungen zufolge sind mehr als eine fern und ihren Angehörigen Schutz, eine unbüro- Million Kinder und Jugendliche Opfer von sexuali- kratische Akutversorgung, Beratung, therapeuti- sierter Gewalt. Der unabhängige Beauftragte für sche und juristische Hilfe. Fragen des sexuellen Missbrauchs der Bundesre- gierung hat seine Empfehlung an die Landespolitik (Beifall SPD) und die politischen Parteien auf Landesebene in seinem Bericht gemeinsam gegen sexuellen Miss- brauch an Kindern und Jugendlichen – so wurde 1952 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Die Beratungsstellen können – und das ist uns, Natürlich wurde das Problem sexualisierter Gewalt glaube ich, allen bewusst – die Taten nicht unge- durch Corona verstärkt. Daher ist die Öffnung der schehen machen, aber sie können bei der Verarbei- Schulen und Kitas so wichtig, damit eben Fachleute tung und Bewältigung helfen. Bislang haben Kin- auch Anzeichen für sexualisierte Gewalt gegen der und Jugendliche allerdings keinen Rechtsan- Kinder identifizieren können. Wir müssen diejeni- spruch auf eine Beratung im Falle eines Miss- gen schützen, die es selbst nicht können, Kollegin- brauchs. Das Beratungsangebot ist nach dem Ge- nen und Kollegen. setz lediglich eine sogenannte freiwillige Leistung der Jugendhilfe. Das heißt, Länder und Kommunen (Beifall SPD) sind nicht verpflichtet, spezielle Beratung zu finan- zieren. Auch in der Justiz wird großer Wert auf ein kind- gerechtes Ambiente der Gestaltung der Zeugenbe- Die Folge ist: Die Beratungsstellen sind finanziell treuungszimmer und der Wartebereiche für Pro- nicht ausreichend ausgestattet und arbeiten am Li- zessbeteiligte gelegt. Der individuelle Umgang mit mit mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Zeugen ist Teil vieler Schulungen und Weiterbil- bedarfsgerechte Versorgungslage. Kolleginnen dungen der richterlichen Berufslaufbahn. Hier wird und Kollegen, deswegen – und Frau Dogan hat das sich auch intensiv dem Thema der kindlichen Zeu- gerade bereits erwähnt – stocken wir im aktuellen gen gewidmet. Damit, lieber Herr Röwekamp, liebe Haushalt die Fachberatungsstellen im Kinder- CDU, ist vieles – nicht alles, aber vieles –, was der schutz um gut ein Viertel mehr Mittel für die Bera- Bundesbeauftragte fordert, in Bremen bereits um- tung auf. Wir nehmen dieses Thema sehr ernst. gesetzt oder bereits auf dem Weg.

(Beifall SPD) Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, ich bin ein Freund direkter Sprache, für die eine oder andere Von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder und Spitze immer zu haben, und verbalen Angriffen auf Jugendliche brauchen einen eigenständigen den politischen Gegner kann ich viel abgewinnen, Rechtsanspruch auf niedrigschwellige Beratungs- wenn gut gemacht, auch auf Kosten meiner eige- und Unterstützungsangebote, insbesondere durch nen Partei. Wofür ich allerdings kein Verständnis qualifizierte Fachkräfte. Wir brauchen die Veran- habe, ist die Art und Weise, wie das Thema hier kerung eines sozialgesetzlichen Rechtsanspruches heute aufs Tapet gebracht wird. Es fängt bei der für von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder und Überschrift an, dort ist von einem Zuständigkeits- Jugendliche auf Beratung durch qualifizierte Fach- chaos die Rede. Wer dem Land Bremen beim kräfte. Dafür machen wir uns seit Jahren auf Bun- Kampf gegen Kindesmissbrauch eine vollständige desebene stark und werden dies auch in Zukunft Unordnung – das ist die Definition des Begriffes tun, Kolleginnen und Kollegen. Chaos – unterstellt, der hat entweder keine Ah- nung, oder er betreibt irgendeine Art von persönli- (Beifall SPD) cher oder parteipolitischer Profilierung.

Auch statten wir die zuständige IT-Abteilung bei (Beifall SPD) der Polizei mit fast 50 Prozent mehr Personal aus, eine Tatsache, die uns in der Haushaltsdebatte als Diese hätte ich von einer demokratischen Partei bei Klientelpolitik ausgelegt wurde. Sie sehen, Klien- diesem Thema nicht erwartet, und es schockiert telpolitik muss nicht falsch sein. mich ein bisschen.

(Beifall SPD) (Zuruf Abgeordnete Ahrens [CDU])

Weiterhin gibt es auch im Land Bremen bereits Die von Ihnen angesprochene Tatsache, dass wir gute Präventionsangebote. Die Polizei bietet ver- die Berichtsbitte der CDU-Fraktion in der Innende- schiedene Präventionsprogramme für Schulkinder putation in der Novembersitzung behandeln, an. Dabei werden Themen wie Gewaltsituationen, wurde von den Vertreterinnen und Vertretern Ihrer die Gefahr, Opfer zu werden, Opfern zu helfen so- Fraktion in der vergangenen Woche in der Innen- wie Gefahrenerkennung und -vermeidung behan- deputation zur Kenntnis genommen. Keine Wort- delt. Die Polizei ist natürlich auch Ansprechpartner meldung, keine Protestnote, also bitte machen Sie für Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Er- aus einem völlig normalen Vorgang kein künstli- zieher aber auch für alle Akteure der Zivilgesell- ches Drama. Dafür ist das Thema viel zu ernst. schaft und Privatpersonen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1953

(Beifall SPD) Sexueller Missbrauch ist kein Einzelfall, wir haben das gehört. Ende Juni hat der NRW-Justizminister Ein wenig mehr politische Redlichkeit stünde Peter Biesenbach, CDU, mitgeteilt, dass die Ermitt- Ihnen hier gut zu Gesicht, Herr Röwekamp. Allein ler im Missbrauchskomplex Bergisch-Gladbach auf die Formulierung, dass das Land Bremen die Be- 30 000 Spuren gestoßen seien, die zu potenziell mühungen des Beauftragten nicht unterstützt, ist mehr als 30 000 verdächtigen Tatorten und Opfern nicht nur falsch, sondern auch fahrlässig. Schluss- führen könnten. Es gehe dabei nicht nur um die endlich bleibt es aber dabei, dass gerade in Zeiten Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie, der Coronapandemie der Schutz von Kindern und sondern um schweren Kindesmissbrauch. Am Tag Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt weiterhin nach der Bremer Veranstaltung lasen wir in der die Beachtung aller bedarf und es sich um eine Zeitung von Razzien, die in Bremen im Zusammen- wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, hang dieser Ermittlungen auch durchgeführt wur- die nur im Zusammenspiel aller Akteure behandelt den. werden kann. Dabei sehen wir Bremen auf einem guten Weg. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksam- Das Thema ist daher nicht, wie eine Aktuelle keit! Stunde es assoziiert, wirklich neu. Aktuell ist es dennoch. Die Schäden an den Kinderseelen sind so (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) gravierend, dass das Thema daueraktuell sein muss. Auf Bundesebene kämpft die SPD-Justizmi- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das nisterin Lambrecht für ein Anziehen des Strafrah- Wort die Abgeordnete Bergmann. mens, auf jeden Fall aber für eine Mindestfreiheits- strafe von einem Jahr, denn sexuelle Gewalt an Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrter Herr Kindern sei kein Vergehen, sondern ein Verbre- Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her- chen. Ich finde, sie hat recht. ren! Das Thema geht unter die Haut. Das Thema ist unmenschlich und abstoßend, und es zieht häufig (Beifall FDP) Gefühle von Ohnmacht, Rat- und Sprachlosigkeit nach sich bei Bürgern, bei Beraterinnen und Bera- Ich finde, auch die Anbahnung sexueller Kontakte tern, und wie wir mitbekommen haben auch bei mit Kindern und die Beteiligung an Tauschbörsen Beamten der Polizei, bei der Justiz und manchmal von kinderpornografischem Material müssen unbe- auch in der Politik. dingt strafbar sein. An all diese Themen muss die Bundesregierung heran. Allerdings bestätigt der Dass dies so ist, müssen wir akzeptieren; dass Kin- Bundesbeauftragte jetzt in der Vorlage, die für un- derpornografie und sexueller Missbrauch an Kin- sere Aktuelle Stunde Anlass gab, was viele Unter- dern handlungsunfähig machen, das akzeptieren suchungen eben auch belegen: Höhere Strafen be- wir nicht. Mit uns beschäftigt dieses Thema die wirken kaum eine Verhaltensveränderung; die Ge- Bürger stadtweit. Das wurde bei einer Veranstal- fahr, schneller entdeckt zu werden, dagegen wohl. tung im Außengelände der Meierei im Bürgerpark Damit sind wir bei Themen und Forderungen, die deutlich. Neben Politikern war hier auch der stell- wir in der letzten Bürgerschaft bereits im erweiter- vertretende Leiter des Landeskriminalamts auf ten Kontext von Cybercrime auch diskutiert hatten. dem Podium, um über sexuellen Missbrauch zu sprechen. Leider fanden die Ergebnisse keinen Wi- Das Dilemma der Quellen-TKÜ ist nicht gelöst. derhall in der Presse, und dennoch wurde eines Technisch bekommen wir noch keine Lösung hin, deutlich: Dieses so schreckliche Thema braucht Öf- die die Ergebnisse einer Quellen-TKÜ liefert und fentlichkeit und Sicherheit. gleichzeitig die Bürgerrechte wahrt. Wenn wir hier nicht uns weiter im Kreis drehen wollen, dann muss Wir müssen viel öfter öffentlich darüber reden, was Geld in Spitzenforschung in diesem Bereich inves- für ein schlimmes Verbrechen sexueller Miss- tiert werden. Auch ein Vorschlag für eine Form der brauch bedeutet, und wir müssen den Betroffenen Vorratsdatenspeicherung, die den Vorgaben des und denen, die sexuellen Missbrauch vermuten o- EU-Rechts entspricht, liegt meines Wissens noch der eben selbst erlebt haben, die Sicherheit vermit- nicht auf der Bundesebene auf dem Tisch. An die- teln, dass sie gehört werden. sen Themen ist einfach mit Hochdruck zu arbeiten.

(Beifall FDP) Nebenbei bemerkt hoffe ich persönlich ja immer noch, dass auch eine juristische Regelung erarbei- tet wird, die vielleicht Ausnahmen für Jugendliche 1954 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

schafft, sodass das Versenden von Freund*innen- meinem zweiten Teil noch etwas sagen. – Vielen fotos auf dem Schulhof nicht ebenso wie die Bege- Dank für Ihre Aufmerksamkeit! hung eines schweren Sexualdeliktes direkt zu einer dauerhaften Eintragung im Bundeszentralregister (Beifall FDP) führt und die junge Person dann eben dauerhaft vorbestraft ist. Das soll nämlich neben den beiden Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort großen Herausforderungen, die ich gerade genannt der Abgeordnete Janßen. habe, auch ein Grund sein, warum es hier nicht weitergeht. Es gibt nicht immer nur null und 100 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Sehr geehrter und Schwarz und Weiß, sondern man kann Gesetze Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her- auch passgenau gestalten. ren! Ja, das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder lässt niemanden von uns kalt. Es rückt immer wie- Die Polizei muss beim Cybercrime auf den topak- der dann in die Öffentlichkeit, wenn es so spekta- tuellen Stand der Technik und der Forschung kom- kuläre Prozesse gibt, die dann auch Öffentlichkeit men, egal, was das kostet und wo wir diese Leute erzeugen, wie beispielsweise gestern, als in Ber- abwerben. Es kann ja nicht sein, dass Straftäter gisch Gladbach der Hauptbeschuldigte oder als der aufgrund träger Verwaltungsmechanismen und Täter von Bergisch Gladbach als Hauptbeschuldig- immer hinterherhinkender Entwicklungsmethoden ter zu zwölf Jahren Haft mit anschließender Sicher- uns immer einen Schritt voraus sind. heitsverwahrung verurteilt wurde.

Die größten Knoten in diesen Themen betreffen tat- Diese besonders, ich nenne sie einmal drastischen sächlich die Bundesgesetzgebung und müssen in und einschneidenden Prozesse, die mit Sicherheit gelöst werden. Was wir aus innenpolitischer auch eine schnelle Justizhandlung erfordern und Sicht vor Ort tun können, ist erstens schauen, dass hier ja auch erzeugt haben, dürfen aber nicht dar- unsere Polizei ausreichend gut qualifizierte Ermitt- über hinwegtäuschen, über welche Zahlen und Ab- lungsbeamte hat, zweitens, dass die Justiz so aus- gründe der gesellschaftlichen Realität wir spre- gestattet ist, dass Strafverfahren zeitnah abgear- chen, wenn wir uns die Dunkelziffern genauer an- beitet werden. Sonst lachen sich die Täter natürlich sehen oder die geschätzten Dunkelziffern. Die Zah- ins Fäustchen. Dann drittens untersuchen, wie len der WHO gehen davon aus – das ist bereits in Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte ausgestat- dieser Debatte erwähnt worden –, dass etwa eine tet sind, und zwar unter dem Aspekt, dass für die Million Kinder in Deutschland Opfer sexualisierter Opfer die Verfahren so schonend wie möglich ge- Gewalt sind oder geworden sind. führt werden können. Wir müssten dann den Pro- zess vielleicht auch entsprechend modifizieren. Das sind statistisch gesehen für jeden von uns Men- Dazu gehört auch ein wirksames Opferschutzpro- schen in unserem Bekanntenkreis, ein bis zwei Kin- gramm. der im Schnitt pro Schulklasse. Ich glaube, das holt noch einmal diese abstrakte Dimension besonders Viertens, diese Form der Verbrechen beschränkt großer Verfahren in unseren Nahbereich hinein, sich ja nicht auf die Stadtebene. Für Bremen ist in der uns verdeutlicht: Diese Themen finden nicht dieser Thematik die Zusammenarbeit mit den nur in außergewöhnlichen Prozessen, sondern norddeutschen Ländern unverzichtbar. Die Tatsa- ganz alltäglich statt und verdienen daher unsere che, dass sexualisierte Gewalt nicht in der Innen- Aufmerksamkeit. deputation behandelt worden ist, fand ich auch sehr erstaunlich. Ich war sehr überrascht, dass man (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) so etwas einfach schiebt. Weil es eine so große Differenz gibt zwischen den Ob man auf diesen Brief jetzt nicht reagiert hat, ob Anzeigen, die wir in Höhe von 13 000 pro Jahr ha- das jetzt Chaos ist – für mich ist es Wortklauberei. ben und einer deutlich höheren Dunkelziffer, müs- Dass man aber auf den Brief nicht reagiert hat, sen wir uns der Thematik stärker widmen, insbe- finde ich unverständlich, denn es gibt durchaus sondere im Zeitalter von Internet, in dem die Ver- Knoten, denen wir uns hier in Bremen zuwenden breitung von Video- und Bildmaterial sexualisierter können und die auch das Problem, den Gesamt- Gewalt mit Sicherheit leichter und schneller ist. In problemkomplex lockern können. Das liegt aber geschlossenen Foren, Chatgruppen und Tausch- nicht primär im Repressionsbereich, sondern im börsen wird entsprechendes Video- und Bildmate- präventiven Bereich, und dazu würde ich gern in rial hochgeladen, getauscht und weiterverbreitet. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1955

Die Herausforderungen für die Ermittlungsbehör- gene Straftaten entsprechend verfolgen und ahn- den liegen auf der Hand. Sowohl die Fülle der Fälle den. Unsere Bundestagsfraktion ist ja in Teilen als auch das grenzüberschreitende Agieren der Tä- auch bei der Ausweitung der Ermittlungsbefug- ter erschweren die Ermittlungen. Wenn wir aber nisse bei dem Gesetzesentwurf der großen Koali- einmal bei dem aktuellen Fall in Bergisch Glad- tion mitgegangen. Als Stichwort sei da die soge- bach bleiben, lässt sich auch feststellen, dass es ja nannte Keuschheitsprobe genannt, bei der es da- eine ganze Reihe von Spuren gibt, die auf Täter rum geht, dass verdeckte Ermittlerinnen und Er- und wahrscheinlich wenige Täterinnen hindeuten mittler die Möglichkeit bekommen, Zugang zu die- in Höhe von etwas über 30 000. Das bedeutet für sen Tauschbörsen zu erhalten, indem sie künstlich uns, dass es nicht unbedingt einen Mangel an Spu- angefertigtes Material als Überwindung der Ein- ren gibt, denen man nachgehen kann, sondern gangshürde zur Verfügung stellen. auch eine erhebliche Herausforderung sein wird, diese Spuren seitens der Ermittlungsbehörden und Das ist mit Sicherheit ein schwieriger Themenbe- dann auch der Gerichte entsprechend zeitnah und reich, bei dem wir es aber für richtig halten, dass im Sinne der Betroffenen aufzuarbeiten. man dafür auch die Grundlagen schafft, die Ermitt- lungsbefugnisse auszuweiten. Klar ist aber auch, Den Forderungen des unabhängigen Beauftragten, dass wir dem Themenkomplex auf der Seite des spezialisierte Staatsanwält*innen und Richter*in- Strafrechts nicht ausschließlich oder vornehmlich nen einzuführen und auch eine entsprechende per- mit einer Erhöhung des Strafmaßes entgegentreten sonelle Mehrausstattung dann zu unterlegen, kön- können. nen wir durchaus folgen, und wir halten das für ei- nen richtigen Schritt. Bevor ich aber noch einmal Genannt wurde es gerade bereits, auch der Beauf- auf den umfangreichen Forderungskatalog des tragte weist darauf hin, dass die abschreckende, Bundesbeauftragten zu sprechen komme, möchte also die generalpräventive Wirkung eines erhöhten ich zwei Begriffe einmal kurz aufrufen, die man, Strafmaßes diskutiert werden muss, vermutlich glaube ich, in der Debatte unterschiedlich diskutie- nicht in dem gleichen Umfang abschreckend wir- ren muss. ken würde wie eine konsequente Verfolgung der Straftaten auch mit jetzigem hohen Strafmaß, das Zahlreiche Opferschutzverbände weisen ja darauf ja auch, wie wir gestern gesehen haben, deutlich hin, dass Betroffene den Begriff der Pädophilie von Gerichten ausgeschöpft wird. selbst schon als eine gewisse Form der Relativie- rung betrachten, da sie eben Opfer eines Missbrau- Ich bin davon überzeugt, dass eben dieses, also ches und von Gewalt geworden sind und nicht von eine strenge Verfolgung und eine Ahndung, die Zuneigung oder gar Liebe. Der Begriff der Pädose- beste Abschreckung darstellt und auch eine hohe xualität oder Pädokriminalität wird in vielen Zu- Rechtssicherheit dann zur Folge hätte und damit sammenhängen genutzt und trifft aus meiner Sicht auch eine generalpräventive Wirkung stärker ent- auch den Komplex an vielen Stellen besser. falten würde. Ich möchte aber noch einmal den Blick von der Aufarbeitung hin zur Prävention ver- Ähnliches gilt für den Begriff der Kinderpornogra- schieben, denn es muss uns ja das zentrale Anlie- fie, der häufig von einigen als verharmlosend be- gen sein, in erster Linie künftige Straftaten zu ver- trachtet wird, und ich werde deshalb versuchen, hindern und dabei die Aufklärung und die Sensibi- die Formulierung Missbrauchsabbildung zu ver- lisierung auch deutlich zu verstärken. wenden. Auch, wenn das unserem alltäglichen Sprachgebrauch nicht entspricht, glaube ich, dass Wir müssen dafür Sorge tragen, auch therapeuti- die Übernahme des Sprachgebrauches, der hier sche Versorgung, niedrigschwellige Angebote, wie von Opfervertreterinnen und -vertretern eingefor- wir sie in Bremen haben – genannt war schon dert wird, der richtige ist. Schattenriss aber auch das JungenBüro e. V. oder Weißer Ring e. V. –, zu stärken und zu unterstützen. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Entsprechend sind auch Mittel im Haushalt – auch das wurde schon genannt – für die Fachberatungs- Kommen wir aber wieder zu den Forderungen des stelle Kinderschutz etwa um ein Viertel angehoben Beauftragten zurück und der Herausforderung für worden. Es gibt zahlreiche Fort- und Weiterbil- die Politik, die Rahmenbedingungen so aufzustel- dungsstrukturen sowohl bei den Ermittlungsbehör- len, dass wir zum einen Kinder vor sexuellem Miss- den als auch im Bereich Bildung und Soziales. brauch schützen und auf der anderen Seite began- 1956 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Dennoch glaube ich, dass insbesondere diese Be- Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrter Herr reiche auch unterstützt werden müssen und unter- Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her- stützt werden sollen, da insbesondere die professi- ren! Ich habe ja schon gesagt: Mit dem Thema Re- onelle Arbeit mit Kindern, die häufig diese Gewalt- pression ist es nicht erledigt, sondern eigentlich erfahrung im direkten Nahbereich erleben, so auf- liegt der Schwerpunkt auf dem Thema Prävention. gestellt sein muss, dass Kinder die Möglichkeit ha- Weitere Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln ist ben, sich anzuvertrauen und dass das professio- natürlich die Aufgabe derer, die an vorderster nelle Personal sensibel im Umgang ist, entspre- Front mit Kindern zu tun haben, der Jugendhilfe, chende Hinweise aufzugreifen und auch kindge- der Jugendämter, der Kinder- und Jugendpsychi- recht dann zu diskutieren und an die entsprechen- atrie, des Gesundheitssystems, der Wohlfahrtsver- den Stellen weiterzuleiten. bände, des Kinderschutzbundes und der Jugend- gerichtshilfe und all deren Institutionen und Verei- Herr Röwekamp, Sie haben einen Bereich genannt, nen. Ohne die geht es nicht. in dem ich glaube, dass der Beauftragte eigentlich einen anderen Schwerpunkt gelegt hat. Sie haben Da passiert ja auch eine ganze Menge – ein Beispiel gesagt, die Pädophilie ist schon strafbar und müsste haben wir gehört mit dem „Trau Dich!“-Theater. eigentlich geahndet werden. Ich glaube, das wider- Ich habe das einmal gesehen. Ich finde das großar- spricht dem, was der Beauftragte auch fordert, zu tig, ich feiere das. Das ist ein ganz tolles Projekt. sagen, wir müssen eine Intensivierung auch – nicht Das Ziel muss sein, eine gesamtgesellschaftliche allein, aber auch – der Täterarbeit und der Tä- Sensibilität für Grenzüberschreitungen bis zum tertherapie vornehmen, um genau zu verhindern, massiven Missbrauch zu erreichen, und zwar ganz dass es zu entsprechenden Straftaten kommt, um so, wie wir das Schlagen als Erziehungsmittel über anzuerkennen, es ist auch eine Krankheit, und es Jahrzehnte thematisiert haben und jetzt Erfolge muss Ziel sein, durch eine Täterarbeit auch zukünf- ernten. tige Straftaten zu verhindern. Strafverfolgung muss sein, aber es braucht dieses Daher, glaube ich, brauchen wir den Fokus auf den Zweite, diese gesamtgesellschaftliche Sensibilisie- Taten, und bei der Orientierung brauchen wir eine rung für dieses Thema. Dazu gehört für mich auch, Arbeit, die verhindert, dass es zu künftigen Strafta- dass Einrichtungen keine Angst davor haben dür- ten kommt. fen, dass diese Dinge passieren. Sonst besteht die Gefahr, dass man sie im Verborgenen halten (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) möchte. Hier ist auch die Politik aufgefordert, sich nicht zu verhalten wie der Elefant im Porzellanla- Dass die CDU das Thema hier in einer Aktuellen den. Die Qualität einer Organisation, einer Jugend- Stunde aufgreift, halte ich für eine gute Gelegen- einrichtung, einer Kinderschutzeinrichtung, einer heit, inhaltlich das Thema zu diskutieren. Dem Se- Schule, eines Sportvereins, dürfen wir nicht daran nat und der Landesregierung jetzt so im Großen messen, ob solche Dinge auftreten, sondern daran, und Ganzen ein Chaos oder unterschwellig Untä- wie damit umgegangen wird. tigkeit vorzuwerfen, halte ich allerdings dann für unzureichend, da weder die derzeitigen Aktivitä- Bei manchen Einrichtungen, die zum Beispiel im ten ausreichend gewürdigt würden, noch reale um- Jugendhilfebereich mit Kindern arbeiten, die aus setzbare Verbesserungsvorschläge geliefert sind. einem entsprechenden Elternhaus kommen, kann das natürlich mit einer gewissen Wahrscheinlich- Mich interessiert auch, was aus dem angesproche- keit auftreten. Die Qualität der Einrichtungen kön- nen Brief innerhalb des Senates geworden ist. Dar- nen wir nicht daran messen, ob es auftritt, sondern aus aber jetzt zu machen, es gebe keinerlei Aktivi- ob sie Prozesse haben, damit umzugehen. Wissen täten oder es gebe ein großes Chaos, halte ich für die, die mit den Kindern umgehen, wohin sie sich in der Sache nicht angemessen. – Vielen Dank für wenden können? Gibt es jeweils professionelle Pro- Ihre Aufmerksamkeit! zesse? Wie kann man diese Einrichtungen darin unterstützen, befähigen, sie begleiten? (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Es braucht Prävention, strukturelle Wachsamkeit, Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Handlungsfähigkeit und da, wo sexueller Miss- Wort die Abgeordnete Bergmann. brauch stattfindet oder Kinderpornografie sichtbar wird, natürlich auch zeitnahe und vom Strafmaß angemessene und konsequente Strafverfolgung. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1957

(Beifall FDP) könnte, ohne den Datenschutz über Bord zu wer- fen, vielleicht eine teilanonymisierte Meldung oder Bei verwahrlosten oder misshandelten Kindern so etwas. brauchen wir eine permanente und engmaschig kontrollierte Kindergartenpflicht. Ich weiß, das Meine Damen und Herren, vielleicht wäre es eine Thema ist heikel, aber vielleicht muss man auch gute Idee, wenn wir in Bremen einen Kindertag zu einmal darüber sprechen, ob pädophile Straftäter diesem Thema als Fachtag veranstalten, bei dem aufgrund der sehr hohen statistischen Rückfall- unterschiedliche Fachgruppen ihre Perspektive quote überhaupt noch Kinder wieder in Obhut be- und alltagstauglichen Lösungsideen zum Gesamt- kommen sollten, eigene oder fremde, beruflich o- paket beitragen. der privat. Das kann in dem einen oder anderen Fall ein harter Eingriff in die Biografie eines ehe- Uns Freien Demokraten ist es wichtig, dass der maligen pädophilen Straftäters sein, ja. In der an- Aufschlag der heutigen Debatte – es ist kein erster deren Seite der Waagschale liegt aber die Gefahr, Aufschlag, das ist mir klar, aber jetzt ist sozusagen dass es weitere kindliche oder jugendliche Opfer eine neue Auffrischung –jetzt nicht wieder versan- geben könnte. det. Wie wir das Schlagen als Erziehungsmittel über Jahrzehnte thematisiert haben, lassen Sie es Sodann muss unser Blick auf die Schulen gehen. nun tun mit dem sexuellen Missbrauch von Kin- Besteht ein Verdacht auf sexuellen Kindesmiss- dern, um dann auch in einigen Jahren die Erfolge brauch an Schulen, kann dieser – ob nachgewiesen ernten zu können. Lassen Sie uns dranbleiben, da- oder nicht – nicht mehr einfach durch Versetzung mit Bremer Kinder sicher, mutig und vergnügt ih- geheilt werden. Hier müssen wir neue Prozesse ren Weg gehen können. – Vielen Dank für Ihre Auf- entwickeln, die Verschleierungen und weitere Tä- merksamkeit! terschaft ausschließen. All das sind sehr heiße Ei- sen, das ist mir durchaus bewusst, mit denen man (Beifall FDP) sich nicht beliebt macht, auch nicht in der Politik. Doch wollen wir ernst machen, dann müssen wir Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das sie anpacken. Wort Senatorin Stahmann.

Eine Schlüsselstellung haben für mich in diesem Senatorin Stahmann: Herr Präsident, sehr verehrte Thema auch die Kinderärztinnen und Kinderärzte. Damen und Herren! Der Titel der Aktuellen Sie sollten eigentlich selbst in ihrer Praxis – weil die Stunde, zu dem ich spreche, lautet: „Zuständig- kriegen sie alle zu Gesicht und kriegen sie auch al- keitschaos beenden – Sexueller Gewalt gegen Kin- leine zu Gesicht – durchaus ohne das Beisein der der entschieden entgegentreten“. So hat es die Eltern aufklären, Elterngespräche zum Thema füh- CDU-Fraktion beantragt. Darauf möchte ich im ren, gutes Informationsmaterial in vielen Sprachen weiteren Verlauf der Debatte auch noch einmal weiterreichen. Ich weiß jetzt nicht, wie die Situa- eingehen, ob man wirklich Zusammenarbeit und tion ist, aber meiner Meinung nach sind dann auch Vernetzung als Zuständigkeitschaos bezeichnen die Kassen herausgefordert, diese spezifische Bera- kann. Das ist vielleicht den parlamentarischen Ge- tung angemessen zu honorieren. pflogenheiten geschuldet; ein bisschen ist es auch typisch CDU. Ich weiß von einigen Bremer Praxen, die – als sie gehört haben von diesem Ausmaß des NRW-Falles Ich sage das noch einmal am Anfang: Jede Zusam- – aufgeschreckt wurden und ganz neu aufgewacht menarbeit zwischen Ressorts, die ja notwendiger- sind und dem Thema nun sehr viel größere Auf- weise stattfinden muss, weil es sich um sehr kom- merksamkeit schenken. Ich finde das klasse. Sie plexe Sachverhalte handelt, immer gleich als haben mir im Austausch signalisiert, dass für sie Chaos zu bezeichnen, ist mir ein bisschen zu platt. der Datenschutz ein Riesenproblem ist. Ein Reflexi- Ich halte das auch für übertrieben. Es wird der The- onsgespräch oder Klärungsgespräch mit dem Ju- matik am Ende nicht gerecht. Thomas Röwekamp gendamt bei einem leichten Verdachtsfall ist nur in hat aber natürlich in seiner fachlichen Einlassung Verbindung mit offizieller Meldung nach § 8a mög- über die Bedeutung des Themas, über die Notwen- lich. Das ist aber dann für diese Ärzte oder Ärztin- digkeit, dass Kindesmissbrauch als Verbrechen ge- nen aufgrund von der Erkenntnislage so nicht mög- ahndet wird, dass das Strafmaß hochgesetzt wer- lich und hilfreich. Hier muss auch einmal geprüft den muss, dass Kindesmissbrauch kein Kavaliers- werden, ob es nicht sinnvolle Regelungen geben delikt ist, recht an dieser Stelle. 1958 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Doch recht hat er nicht, indem er sagt, der Senat (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE wird der wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe LINKE, FDP) nicht gerecht. Auf den Brief gehe ich auch noch einmal ein, das ist wirklich auch eine Sache, die Der Senat ist sich darin einig, dass der Schutz von mich persönlich geärgert hat. Das habe ich nicht für Kindern vor Sexualstraftaten ein äußerst wichtiges richtig gehalten, dass wir darauf nicht antworten, und zentrales, nicht nur kinder- und jugendpoliti- weil wir auch eine Antwort abgestimmt hatten. Da- sches Thema ist, sondern auch im Bereich Innenpo- rauf werde ich gleich noch einmal eingehen. litik, Rechts- und Kriminalpolitik eine wichtige Rolle spielt und eine gesamtgesellschaftliche Auf- Zu sagen, wir müssen jetzt eine Aktuelle Stunde gabe ist. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich die machen, weil der Senat sich nicht um dieses Thema sehr nachdenkliche Debatte auf Bundesebene, und kümmert, halte ich nach wie vor für nicht gerecht- wir bringen uns auch aktiv im Rahmen unserer fertigt. Möglichkeiten ein im Bundesrat.

Das Thema Gewalt gegen Kinder und insbeson- Ich habe Herrn Rörig eingeladen, er ist ja der Bun- dere sexuelle Gewalt gegen Kinder hat in den letz- desbeauftragte, ein kluger Mann. Ich habe ihn ein- ten Monaten mit kaum vorstellbaren Fällen die ge- geladen als SMK-Vorsitzende. Er wird im Novem- samte Bundesrepublik beschäftigt. Erst zu Beginn ber in Bremen auf der Konferenz der Sportministe- dieser Woche – es ist eben auch noch einmal ange- rinnen- und Sportminister referieren und auch mit sprochen worden – ist der Fall eines Bremerhave- uns diskutieren über das Thema sexualisierte Ge- ners bekannt geworden, der seine Stieftochter walt im Sport, aber auch insgesamt über das Thema mehrfach sexuell missbraucht und Videos seiner sexualisierte Gewalt – wie muss ich politisch aufge- Taten ins Internet gestellt hat. stellt werden, um dieses Thema stärker zu thema- tisieren? Das ist abscheulich, das ist widerlich. Es fehlen mir auch persönlich die Worte, um das hier auszuspre- Es ist eben aufgezählt worden in der Debatte, was chen. Kindesmissbrauch zerstört nicht nur Kinder- alles passiert im Ressort von Dr. Claudia Schilling seelen, es zerstört das Leben auch von dann Er- mit Fortbildung, mit Vernetzung, im Bereich von wachsenen, weil wir durch wissenschaftliche Un- Ulrich Mäurer mit Aufstockung, personeller Auf- tersuchungen wissen, dass Kinder und Jugendli- stockung, in unserem Haus bei Soziales mit einer che, denen so etwas widerfahren ist – –. Herr Len- personellen Stärkung des Jugendamtes; und da keit hat das auch noch einmal deutlich gemacht, möchte ich sagen: Bitte, liebes Parlament, hören Sie wie perfide diese Taten ablaufen im Nahbereich, nicht auf, auch das Jugendamt als zentralen Wäch- für Kinder und Jugendlich ist es nicht immer so ein- ter des Kindeswohls weiter auch personell zu ver- fach zu deuten, was passiert jetzt eigentlich mit stärken. Wir brauchen konkret Menschen für Men- mir? Kindesmissbrauch zerstört das Leben eben schen, die sich auch um Menschen kümmern, aber auch dann von Erwachsenen. das gilt eben auch für die Bereiche, von denen wir sagen, wir brauchen kindgerechte Anhörungen in Es ist wissenschaftlich belegt, das möchte ich noch der Justiz. einmal deutlich sagen, dass missbrauchte Men- schen sich erst nach sechs bis sieben Jahren jeman- Das gilt auch für die Polizei, die geschultes Perso- dem anvertrauen. Wir brauchen gut erreichbare nal braucht im Umgang mit Kindern und Jugendli- Hilfs- und Unterstützungsstrukturen. Wir brauchen chen. Wir brauchen auch eine gendersensible Aus- Vertrauenslehrer und -lehrerinnen. Wir brauchen bildung bei Polizistinnen und Polizisten. Da findet Anlaufstellen, wir brauchen Online-Beratung, wir schon ganz viel statt. Damit darf man nicht aufhö- brauchen ganz viel in diesem Bereich. Wir brau- ren. Ich möchte mich aber als Sozialsenatorin des chen Präventionsangebote wie „Trau Dich!“. Wir Bundeslandes Bremen auch dafür aussprechen, müssen über dieses Thema gesellschaftlich spre- dass wir das Amt einer unabhängigen Landesbe- chen. Wir müssen dieses Thema öffentlich geißeln. auftragten oder eines unabhängigen Landesbeauf- Wir müssen diese Taten richtig bekämpfen. tragten hier einrichten. Das halte ich für wichtig, dass wir diese Idee von Herrn Rörig aufgreifen, ei- Entscheidend ist aber vor allem, dass wir die Taten nen Landesmissbrauchsbeauftragten einzurichten, ermitteln, dass wir sie schnell ahnden und dass sie eine Stelle, bei der die Information und die Koordi- auch bestraft werden. Auch das ist wichtig für die nierung zusammenlaufen. Psyche der Opfer, dass diese Taten nicht unge- sühnt bleiben und bestraft werden. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1959

Das, Thomas Röwekamp, denke ich nicht erst seit und sagt „Entschuldigung“, sondern es ist ein Ver- dieser Debatte, sondern das stand auch schon in brechen, und darauf muss eine strafrechtliche Be- unserem Entwurf in dem Brief an Herrn Rörig und strafung folgen. ist auch weiter vorangetrieben worden in den Dis- kussionen mit den anderen Häusern. Wir werden (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE dieses Thema einer zentralen Stelle im Senat dis- LINKE, FDP) kutieren. Wir werden dazu eine Senatsbefassung herbeiführen, und da bewegen wir uns eben auch Dass der Brief an Herrn Rörig digital irgendwo ver- im Konzert der anderen Länder, weil das ist auch sandet, dem werden wir auch noch einmal nachge- eine Folge. hen, weil das darf einfach nicht passieren. Herr Rö- rig wird aber eine Antwort bekommen des Bremer Es ist angesprochen worden: Kindesmissbrauch – Senats, und spätestens im November werde ich ihn ist das nun alltäglich? Muss man sich darüber auf- ja auch persönlich sehen und ihm auch meine Hal- regen? Kindesmissbrauch darf nie alltäglich sein, tung und dann auch die Haltung des Senats noch sondern das ist ein Punkt, der uns immer wieder einmal klar vortragen können. Ich finde, es ist eine aufrütteln muss und der uns zum Handeln antrei- wichtige Debatte, aber dem Senat heute hier vor- ben muss. Deswegen müssen wir auch auf solche zuwerfen, er würde chaotisch agieren: Nein, das Strukturen setzen. Wir brauchen mehr Power im tun wir nicht. Bereich Prävention, im Bereich Ermutigung und im gezielten Bündeln der vielen guten Maßnahmen. Wir haben dieses Thema auf dem Schirm. Ich sehe Das ist ein Punkt, den ich hier dem Parlament gern mich da wirklich in einem sehr guten und fachlich noch einmal vortragen möchte. sehr qualifizierten Austausch mit den anderen Res- sorts. Das Amt als GFK-Vorsitzende habe ich be- So ein unabhängiges und ressortübergreifendes reits vor drei Jahren abgegeben, aber in diesem Zu- Amt wird natürlich auch Geld kosten, das ist klar. sammenhang durfte ich auch in Mainz, in Rhein- Thomas Röwekamp hat gesagt, vielleicht kann land-Pfalz vortragen bei einem großen Treffen, bei man das auch anders regeln – so habe ich das eben dem viele Landeskriminalämter vertreten waren, verstanden –, sodass es nicht unbedingt mehr Geld bei dem viele hochrangige Profiler gesessen haben, braucht. Ich glaube, dass wir doch so, wie wir auch die sich alle einen Kopf darum machen, wie wir die Beratungsstellen vermehrt ausgestattet haben schnell diese Taten, diese unvorstellbaren Taten mit finanziellen Mitteln, mit Personal, diesen Be- aufklären können. reich auch anständig und qualifiziert ausstatten müssen. Man sieht jetzt an Lügde und auch an den anderen Fällen, wie schwierig es ist, was für eine psychische Ich halte das für ein ganz großes Problem in der Ge- Belastung das für die Ermittler und Ermittlerinnen sellschaft, dass zwei große Geißeln, über die wir ist, was für eine psychische Belastung das für die noch diskutieren heute – Rassismus und Sexismus, Kinder und Jugendlichen ist, die diese Taten erlei- Gewalt gegen Frauen, all diese Themen, die wir den und was das auslöst im gesamten Familiensys- auch in der Istanbul-Konvention finden –,Themen tem, im gesamten Freundeskreis. Das sind wirklich sind, denen wir uns politisch noch stärker zuwen- richtig dicke Brocken. Das sind ganz umfassende den müssen, weil wirklich die Folgen davon zerstö- Themen, und ich möchte mich bedanken für diese rerisch wirken auf die Lebensläufe. Wir haben die qualifizierte Debatte an dieser Stelle, und wir wer- Zahlen gehört, eine Million Kinder sind in Deutsch- den dieses Thema – glauben Sie mir – weiter voran- land davon betroffen. In der Perspektive werden treiben. Dafür brauchen wir aber auch immer die aus Kindern Erwachsene. Das ist ein großes gesell- Unterstützung des Parlaments. – Vielen Dank! schaftliches Thema, das wir aufgreifen müssen und das der Senat auch begleiten wird. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Wir werden uns auch verhalten als Senat im Bun- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort desrat zum Thema Strafverschärfung. Da kann ich der Abgeordnete Röwekamp. dem Gesagten hier auch viel abgewinnen. Ich finde auch, dass Gewalt gegen Kinder, so wie ich es ein- Abgeordneter Röwekamp (CDU): Sehr geehrter gangs gesagt habe, ein Verbrechen ist, nicht nur Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und einfach eine Tat, und man redet einmal darüber Herren! Auch ich möchte mich ganz herzlich für die sehr sachliche und konstruktive Debatte bedan- ken, die noch einmal deutlich gemacht hat, dass es 1960 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

sinnvoll ist, dass wir in dieser Aktuellen Stunde Sehr geehrte Damen und Herren von DIE LINKE, über den weiteren gemeinsamen Kampf gegen se- wenn Sie der Auffassung sind, dass die Strafrechts- xualisierte Gewalt gegen Kinder sprechen. Beson- reform ausreichend ist und wir nur eine effektivere ders bedanken möchte ich mich bei Ihnen, Frau Se- Strafverfolgung brauchen, dann gehe ich einmal natorin, für das klare Bekenntnis zum Entwurf der davon aus, dass Sie diese Maßnahmen ebenso un- Bundesministerin der Justiz und für Verbraucher- terstützen. Ich würde es zumindest sehr begrüßen, schutz. wenn man hier nicht immer nur das hohe Lied auf das Strafrecht sänge, sondern dann am Ende auch Wir werden das natürlich weiter beobachten. Ich dafür sorgte, dass die Ermittlungsbehörden über- kann mich an ein nicht minder kraftvolles Bekennt- haupt in die Lage versetzt werden, die Straftaten zu nis des Senators für Inneres bei der Änderung des entdecken und zu verfolgen. Dafür sind diese Maß- Aufenthaltsgesetzes erinnern, das heute auch noch nahmen zwingend erforderlich. einmal Gegenstand öffentlicher Debatte ist, bei dem sogar aus Bremen ein Gesetzesimpuls an den Ich hoffe, dass der Bundesrat mit den Stimmen Bre- Bundestag herangetragen worden ist und Bremen mens diesen Veränderungen im Strafverfolgungs- sich jetzt bei der Verabschiedung enthalten wird, recht am Ende seine Zustimmung geben wird. Nur weil die Koalition doch unterschiedliche Auffas- dann ist die Sache nämlich wirklich rund. sungen hat. Ich habe den Kollegen von der Frak- tion DIE LINKE auch so verstanden, dass er von der (Beifall CDU, FDP) Strafrechtsverschärfung nicht richtig viel hält, ich hoffe, ich habe das richtig verstanden. Das macht Wenn das wirklich Ihr Wille ist, dann, finde ich, ja die Aufgabe des Senats noch einmal spannend, kann man ja auch bei den anstehenden Beratungen sich im Bundesrat zu verhalten. des Bremischen Polizeigesetzes noch einmal über die Ermächtigungsgrundlage der Strafverfolgungs- Ich kann Ihnen nur für die CDU-Fraktion sagen, behörden nachdenken. Denn wenn wir das für die Frau Senatorin, bei der Strafrechtsverschärfung ha- Verfolgung der Straftaten, wie von Ihnen gefordert, ben Sie uns an Ihrer Seite. Wir werden aber auch dringend brauchen, dann macht es ja auch Sinn, Obacht walten lassen, dass das, was Sie dem Parla- dass wir diese technischen Möglichkeiten für diese ment hier heute aus Ihrer fachlichen Zuständigkeit Straftatbestände auch im Bremischen Polizeigesetz heraus versprochen haben, am Ende das Handeln verankern. Wir freuen uns zumindest auf diese De- des Senats im Bundesrat ist, Frau Senatorin. batte.

Das betrifft auch die zweite Frage. Es ist in der De- Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum batte ja mehrfach gesagt worden, neben der Straf- der Brief nicht verschickt worden ist, wissen wir bis rechtsverschärfung kommt es natürlich auch ganz heute nicht. Er ist offensichtlich im digitalen Netz – entscheidend auf den Vollzug an, ja. Dazu habe ich hoffentlich nicht im Darknet, aber irgendwo – auf- übrigens von den anderen Fraktionen nichts ge- seiten des Senats verschwunden. Ich will zur Frage hört. Gegenstand des Gesetzgebungspakets ist ja des Beauftragten für Kindesmissbrauch an dieser auch ein Paket zur Effektivierung der Strafverfol- Stelle noch einmal sagen: Am Ende ist für uns nicht gung. Da geht es darum, bei schwerer sexualisier- entscheidend, ob es eine neue Stelle gibt, sondern ter Gewalt gegen Kinder die Anordnung von Un- für uns ist entscheidend, welche Kompetenzen wir tersuchungshaft unter erleichterten Voraussetzun- bündeln wollen. gen zu ermöglichen. Da geht es darum, die Tele- kommunikationsüberwachung auch bei Ermittlun- Da bleibe ich bei der Kritik, die auch in der Über- gen zur Beschaffung oder zum Besitz von Kinder- schrift zur Aktuellen Stunde heute ihren Ausdruck pornografie zu ermöglichen, und nicht zuletzt geht gefunden hat: Es geht am Ende darum, ressortüber- es um die Online-Durchsuchung, meine sehr ver- greifende Strategien zu finden. Ich habe hohen ehrten Damen und Herren. Da soll nämlich nach Respekt vor dem, was im Bereich der Prävention dem Gesetzesvorschlag bei sämtlichen Formen der getan wird, auch von den beauftragten Einrichtun- schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder so- gen. Ich bin selbst aktiv bei Schattenriss, also ich wie der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte weiß, was da für Arbeit geleistet wird. Ich weiß in Zukunft eine Online-Durchsuchung angeordnet aber auch, wie schwer die Finanzierung von sol- werden können. chen Einrichtungen immer gewesen ist und auch in Zukunft sein wird, weil es keine öffentliche Finan- zierung beispielsweise aus Sozialversicherungssys- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1961

temen gibt. Ich weiß, dass da sehr viel wertvolle Ar- Präsident Imhoff: Meine Damen und Herren, wei- beit gemacht wird und dass auch viel Vernetzung tere Wortmeldung zu diesem Themenbereich lie- stattfindet. gen mir nicht vor.

Wir müssen aber über die Verbindlichkeit reden, Ich rufe jetzt das dritte Thema der Aktuellen insbesondere beim Ressort für Kinder und Bildung. Stunde auf: Ich glaube, es geht nicht nur darum, Konzepte zu haben, sondern sie sowohl bei den eigenen Einrich- Zukunft der Pilotinnen- und Pilotenausbildung tungen also auch bei den von Trägern finanzierten der Lufthansa am Luftfahrtstandort Bremen Einrichtungen verbindlich vorzuschreiben und auch zum Gegenstand von Zuschussgewährung zu Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Wiebe. machen. Ich erwarte, dass jede Einrichtung, die Kinder betreut, einen verbindlichen Plan und ein Bevor ich jetzt den ersten Redner aufrufe, nenne Maßnahmenkonzept für den Umgang mit sexuali- ich Ihnen noch einmal die verbliebene Redezeit. sierter Gewalt hat. Die Fraktion der CDU hat noch 3,5 Minuten, die Fraktion der SPD noch 11 Minuten, Bündnis 90/Die Es geht am Ende nun einmal auch darum, dass wir Grünen haben noch 17,5 Minuten, die Fraktion DIE beispielsweise im Bereich der Justiz nicht nur kind- LINKE noch 11 Minuten, die Fraktion der FDP noch gerechte Vernehmungsräume haben, die haben 10 Minuten und der Senat noch 13,5 Minuten. wir schon lange, darum geht es am Ende nicht, son- dern es geht darum, dass wir in den Familienge- Bevor ich jetzt wirklich den ersten Redner aufrufe, richten und bei den Strafgerichten speziell fortge- begrüße ich auf der Besuchertribüne ganz herzlich bildete Richterinnen und Richter und bei den die Personalvertretung des fliegenden Personals Staatsanwaltschaften entsprechende Schwer- der deutschen Lufthansa AG. Herzlich willkommen punktstaatsanwaltschaften haben und dass das bei uns im Haus! auch nicht nur auf Freiwilligkeit beruht, sondern dass das verbindlich geregelt wird. Auch das ist (Beifall) eine der Forderungen von Herrn Rörig. Als erster Redner hat der Abgeordnete Herr Gün- (Abgeordnete Aulepp [SPD]: Aber Sie wissen doch, gör das Wort. dass es das schon gibt!) Abgeordneter Güngör (SPD): Herr Präsident, Deswegen: Ja, ich glaube, es gibt in dem Bereich meine sehr geehrten Damen und Herren! Bremen noch viel zu tun, und am Ende werden wir, wie an- ist ein wichtiger Luftfahrtstandort mit Geschichte. dere Länder es übrigens auch machen, nur erfolg- 140 Unternehmen und 20 Institute zählen heute reich sein, wenn wir die Maßnahmen über die Res- 12 000 Beschäftigte. Die Flugschule in Bremen sortgrenzen hinaus miteinander verabreden, kon- wurde im Jahr 1956 gegründet und viele Tausend trollieren und auch steuern. Der niedersächsische Flugschülerinnen und Flugschüler haben hier ge- Landtag beispielsweise hat in seiner September- lernt und einige ihrer ersten Flugstunden absol- Sitzung beschlossen, eine Enquetekommission ein- viert. zusetzen, die sich mit der Frage beschäftigen soll, wie sexualisierte Gewalt an Kindern in Zukunft ef- Das ist auch ein echter Standortvorteil für Bremen, fektiver und besser bekämpft werden kann. denn angehende Pilotinnen und Piloten aus dem gesamten Bundesgebiet verbrachten diese heraus- Nordrhein-Westfalen hat einen entsprechenden fordernde und prägende Zeit hier bei uns. Alle Ausschuss eingesetzt, der sich ausschließlich mit Lufthansapiloten kennen Bremen, weil sie hier aus- den Fragen des Kindesmissbrauchs beschäftigen gebildet worden sind. Das muss auch weiterhin so und Strategien dagegen entwickeln soll. Ich sein. Mit dieser Aktuellen Stunde möchten wir glaube, ja, auch Bremen täte gut daran, die vielen deutlich machen: Dieser Standort mit Tradition vielleicht zarten Pflänzchen und guten Arbeiten, muss bleiben. Die European Flight Academy, EFA, die es in einzelnen Ressorts gibt, zu verdichten und Bremen gehört auch hier nach Bremen. am Ende zu einer gemeinsamen Strategie zu ver- binden. – Vielen Dank! (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

(Beifall CDU) 1962 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Ja, bedingt durch die Coronapandemie kam es im Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir als internationalen Flugverkehr zu dramatischen Ein- SPD-Fraktion stellen uns in dieser Frage ganz klar brüchen. Auch die Deutsche Lufthansa ist davon an die Seite der Flugschülerinnen und Flugschüler. schwer betroffen. Nach eigenen Angaben hat sie Sie müssen ihre Ausbildung ohne finanzielles Ri- für 1 000 Pilotinnen und Piloten derzeit keine Ver- siko beenden können und es geht uns auch um die wendung. Im August dieses Jahres wurde medial Bremer Arbeitsplätze. bekannt, dass der Standort der Bremer Flugschule in Gefahr ist. Sicher ist, dass in den kommenden (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Jahren weniger Pilotinnen und Piloten benötigt werden. Für die derzeitigen Schülerinnen und An der Flugschule in Bremen sind derzeit 150 Mit- Schüler gab es bereits schlechte Nachrichten, den arbeitende beschäftigt. In dieser Krise zählt für uns 700 Flugschülerinnen und Flugschülern wurde mit- der Erhalt jedes einzelnen Arbeitsplatzes. Die SPD geteilt, dass sie die Schule verlassen und sich an- kämpft gemeinsam an der Seite der Beschäftigten derweitig umsehen sollen, denn die Berufsaussich- und das wird hin und wieder auch sehr positiv ten nach Abschluss der Ausbildung seien unklar. wahrgenommen. Ich nenne einmal das Beispiel: Die Mitarbeitenden von Karstadt Sports danken Der Bedarf an Personal ist derzeit mittel- und lang- unserem Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte fristig aufgrund der Einschränkungen im Flugver- mit einem Ausdruck im Ladenfenster ausdrücklich kehr durch die Coronapandemie kaum abzuschät- für seinen Einsatz zur Rettung des Geschäfts. zen. Die Flugschülerinnen und Flugschüler signali- sierten jedoch frühzeitig, dass sie bereitstehen, (Beifall SPD, DIE LINKE) wenn der Bedarf wieder steigt. In einem eindring- lichen Appell machten sie deutlich, wie viel ihnen So, liebe CDU-Fraktion, geht der Kampf um jeden ihre Ausbildung an der Flugschule bedeutet, wel- einzelnen Arbeitsplatz in unserem Bundesland und che Hoffnungen und Träume sie mit ihrem großen nicht so, wie es Ihre Bundestagsabgeordnete Elisa- Berufsziel verbinden. beth Motschmann getan hat, indem sie die Koope- ration zwischen Bundeswehr und Flugschule früh- Viele werfen der Fluggesellschaft jetzt aber vor, zeitig für beendet erklärte und damit die Bremer sich unmoralisch zu verhalten und möglicherweise Flugschule viel zu früh aufgegeben hat. Tarifflucht zu begehen, denn am Standort Bremen gibt es eine feste Tarifstruktur. Ein empörender (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Verdacht, da die Lufthansa in dieser Krise wohl der prominenteste Empfänger von Staatshilfen ist. Sie Auch Sie, liebe FDP-Fraktion, haben die Debatte erhielt rund neun Milliarden Euro in Form von nicht bereichert. Wem nützt Ihre Pressemitteilung Hilfskrediten und Beteiligungen des Bundes, um vom 20. September, in der Ihre Fraktionsvorsit- gut durch diese Krise zu kommen und Tausende zende mit den Worten „Die Entscheidung der Luft- von Arbeitsplätzen zu retten. Tarifflucht ist hier hansa ist bedauerlich, aber angesichts der schwie- aber keine Lösung. rigen wirtschaftlichen Lage nachvollziehbar“ zi- tiert wird? Den langjährigen Beschäftigten, die um Die anfängliche Solidarität der Schülerinnen und ihren Job bangen, nützt das mit Sicherheit nichts, Schüler ist mittlerweile blanker Angst gewichen. meine Damen und Herren! Ich zitiere: „Viele von uns stehen vor dem absolu- ten und existenzbedrohenden Nichts.“ Als wäre (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) das nicht schlimm genug, setzt die Airline die Schülerinnen und Schüler laut deren Aussage un- Wir beobachten in der Debatte aber auch Entwick- ter finanziellen Druck, sollten sie ihre Ausbildung lungen, die uns ein wenig Zuversicht geben. Kurz nicht beenden. Statt wie zuvor die Kosten für die zur Einordnung: Die Bundeswehr lässt alle Trans- Ausbildung in Raten mit dem späteren Fluggehalt portflugzeugführerinnen und -führer ebenfalls an zu verrechnen, seien die Kosten nun nach fünf Jah- der Lufthansa-Schule in Bremen ausbilden. Derzeit ren in voller Höhe fällig, sollte die Ausbildung nicht deutet sich an, dass die Bundeswehr den zum Jah- freiwillig abgebrochen werden. Das Verhältnis resende auslaufenden Ausbildungsvertrag gern am zwischen der Schülerschaft und der Lufthansa Bremer Standort der EFA verlängern möchte. Die scheint nachhaltig beschädigt. Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer und die Bundeswehr beken- (Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) nen sich damit zur Flugausbildung in Bremen. Für Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1963

dieses Bekenntnis zu guten tariflichen Arbeitsbe- Was definitiv unsere Aufgabe ist, ja, das ist näm- dingungen möchte ich mich deswegen an dieser lich, das Handeln der Vorstände zu verurteilen. Es Stelle bedanken. Dieses Bekenntnis unterstützen ist schäbig und schmutzig, Millionen Euro von wir als SPD-Fraktion ausdrücklich. Steuergeldern zum Erhalt des Unternehmens anzu- nehmen und auf der anderen Seite zu versuchen, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) sich mit Boni durch die Hintertür die eigenen Ta- schen vollzustopfen. Die Flugschule Bremen, meine Damen und Herren, kann auf eine über 60 Jahre lange Tradition zu- (Beifall FDP) rückblicken und ist für das Bundesland Bremen, die Luft- und Raumfahrtindustrie, aber auch den Im Mittelstand hätte es so etwas jedenfalls nicht ge- Flughafen Bremen immens wichtig. Hier werden geben. zu fairen Löhnen angehende Pilotinnen und Piloten ausgebildet. Auch die Coronakrise wird irgend- Auch die fixen Gehälter der Vorstände betragen wann vorbei sein und die internationale Flugbran- mehr als eine Million Euro. Um das Unternehmen che wird sich erholen. Dann brauchen wir sie wie- zu retten, muss jeder seinen Beitrag leisten, und der, die Flugschülerinnen und Flugschüler der EFA das heißt auch, dass die Führung mit gutem Bei- aus Bremen, die seit Jahrzehnten Passagiere welt- spiel vorangehen sollte. Aber – und das gehört zur weit sicher an ihren Zielflughafen bringen. Lassen Wahrheit dazu – wir können das verurteilen, ja, Sie uns fraktionsübergreifend im Bund und im aber Politik darf sich eben nicht in die operative Land für den Bremer Standort kämpfen. – Vielen Geschäftsführung der Unternehmen einmischen. Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Zu gern fließen die Grenzen ineinander und wir (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) maßen uns als Politik an, viel von den Unterneh- men einzufordern. Was aber sind wir bereit zu ge- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin ben? Sind wir bereit, der Lufthansa zu garantieren, hat die Abgeordnete Frau Wischhusen das Wort. dass die ausgebildeten Piloten und Pilotinnen für die nächsten Jahre einen Job haben? Garantieren Abgeordnete Wischhusen (FDP): Frau Präsidentin, wir den Betroffenen ein Gehalt, wenn die Flug- liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Deutsche zeuge am Boden stehen und sie nicht mehr fliegen Lufthansa AG ist ein Unternehmen mit Millionen dürfen oder fliegen können? Die Lufthansa ist ein von Anteilseignern, nämlich in Form von Aktionä- von der Pandemie besonders betroffenes Unter- ren, und vielleicht sitzen sogar einige dieser Share- nehmen und sie ist gleichzeitig systemrelevant. holder hier unter uns. Das kann ja sein. Die ent- Deshalb ist es genau richtig, dass die Lufthansa die scheidende Frage in der aktuellen Situation ist für Staatshilfen in Höhe von neun Milliarden Euro – uns jedenfalls: Welche Aufgabe haben wir als Poli- Sie haben es bereits gesagt – bekommen hat und tik, als Bremische Bürgerschaft? bekommen wird.

Unsere Aufgabe ist es, den Standort Bremen als Dennoch erwarten wir aber auch, dass dieses Un- Wirtschafts- und Luftfahrtstandort attraktiv zu hal- ternehmen bald wieder auf den eigenen Füßen ten und diese Attraktivität auch weiter auszu- steht. Wir wollen nicht, dass alles weitergeht wie bauen. Wir sollten Forschung und Entwicklung for- bisher und wir in fünf Jahren erneut Milliarden cieren, sodass klimafreundlicheres Fliegen das Euro aus Steuergeldern nachzahlen und nach- neue Normal wird. Wir sollten ermöglichen, dass an schießen müssen. Durch die Diskussion bei Airbus neuen Antriebstechnologien geforscht wird. Wir wissen wir, dass der Markt stark angeschlagen ist, sollten uns dafür einsetzen, dass entsprechende wir wissen, dass die Flugzeuge nicht abgenommen Fördergelder für die Unternehmen in Bremen an- werden, und wir wissen, dass sich die Anzahl der kommen, um nämlich so die Arbeitsplätze zu erhal- Flüge drastisch reduziert hat. ten und damit auch endlich wieder neue zu schaf- fen. Es ist absehbar, dass wir in den nächsten Jahren keine neuen Piloten und Pilotinnen in der Anzahl (Beifall FDP) brauchen. Wir bilden also aktuell für eine rückläu- fige Branche aus und es ist auch gegenüber den Klar ist aber auch, dass es gerade nicht Aufgabe jungen Menschen verantwortungslos, diese direkt der Politik ist, sich in die operative Geschäftsfüh- in die Arbeitslosigkeit laufen zu lassen. rung von privaten Unternehmen einzumischen. 1964 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

(Beifall FDP) (Beifall FDP)

Es gibt auch noch ein schlimmeres Szenario: Wir Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat haben in fünf Jahren so viele Piloten, dass der der Abgeordnete Herr Tebje das Wort. Markt in dieser Nische mit Fachkräften über- schwemmt wird und dann die Löhne abstürzen. Es Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrte bricht ein Preiskampf, eine Abwärtsspirale aus, und Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist der Beruf, der einst attraktiv war, geht kaputt. schon bemerkenswert: Vor drei Monaten ist die Schon jetzt gibt es einen ganz harten Lohnkampf Deutsche Lufthansa AG vom deutschen Staat mit bei den Billig-Airlines und das können wir doch einem neun Milliarden Euro schweren Paket geret- nicht verantworten, dass dieses Phänomen noch tet worden, mit einer 20-Prozent-Beteiligung in weiter verschärft wird. Deshalb ist es auch legitim, Form einer stillen Einlage, einem KfW-Kredit und in dem Falle über die Einstellung des Ausbildungs- zwei Sitzen im Aufsichtsrat. Jetzt ist das Erste, ihre betriebes zumindest nachzudenken, sie zum Teil eigene Pilotenausbildung abzuwickeln. auch anzugehen. Der Rückzug der Lufthansa trifft die Flugschule in Auch das Angebot für die derzeitigen Auszubilden- Bremen hart. Glücklicherweise, und das hat gerade den, jetzt die Schule zu verlassen, ohne Kosten da- mein Kollege der Fraktion der SPD auch schon ge- vonzutragen, beziehungsweise die circa 160 Perso- sagt, bildet die Bundeswehr ihre Piloten an der EFA nen, die kurz vor ihrem Abschluss stehen, noch in Bremen aus. Nach bisherigen Aussagen hat sich durchzubringen, klingt zumindest einigermaßen die Bundeswehr weiterhin explizit zum tarifgebun- fair. Dass es nicht schön ist, ist auch klar. denen qualitativ hochwertigen Ausbildungsstand- ort in Bremen bekannt. Dies erwarten wir auch zu- Doch was bedeutet das für Bremen? Die angekün- künftig bei weiteren Vergaben öffentlicher Auf- digte Schließung der Lufthansa Aviation Training träge. Die Lufthansa dagegen hat neue Gespräche GmbH, LAT, ist für Bremen ein Risiko. mit der Gewerkschaft ver.di zur weiteren Nutzung Bisher wurde durch die Aufrechterhaltung der des Bremer Standorts abgelehnt. Sie will ihre ver- Flugschule in Bremen auch Lufthansa selbst am bleibenden Ausbildungsaktivitäten an nicht tarif- Standort gehalten und hinzu kommen 150 Arbeit- gebundene Ausbildungsstandorte verlagern und nehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei der LAT das kritisieren wir ausdrücklich. arbeiten. Es wäre wünschenswert, dass sich die Lufthansa bereit erklärt, den Flughafen Bremen (Beifall DIE LINKE) auch mittelfristig als wichtig zu erklären und damit die Zusammenarbeit verbindlich aufrechtzuerhal- Die Lufthansa wird auch in Zukunft ausbilden müs- ten. Wir jedenfalls sehen die Gefahr, dass der Flug- sen, das steht außer Frage. Die Lufthansa Group hafen als Ganzes mit all seinen Zuliefererbetrieben hat etwa 10 000 Pilot*innen, etwa 5 000 davon bei – auch der LAT und den Tausenden von Mitarbei- ihrer Kernmarke. 350 Ausbildungsverträge pro terinnen und Mitarbeitern – in seiner Existenz und Jahr sind keine Fantasiezahl. Auch wenn es auf ab- seiner Größe irgendwann infrage gestellt wird. sehbare Zeit weniger Flüge und Passagiere geben dürfte, ändert das nichts daran, das Pilot*innen in Ich kann mich an viele Aktuelle Stunden erinnern, Rente gehen und ersetzt werden müssen. Offenbar die wir hier zum Thema Flughafen geführt haben, geht es der Lufthansa darum, dauerhaft die Bedin- in denen es auch um die Rettung des Flughafens gungen zu ändern. ging, in denen es darum ging, Gelder freizugeben, in denen mir eigentlich immer das klare Bekennt- Es gibt schon jetzt eine teurere Ausbildung für die nis für ein Ja zum Flughafen zumindest aus Teilen eigentliche Kernmarke und eine billigere für Euro- der Koalition gefehlt hat. Trotzdem, wings und andere Töchter. Wenn jetzt bei der Pilo- tenausbildung ein Schnitt gemacht wird, dann sieht (Zuruf Abgeordneter Güngör [SPD]) das sehr danach aus, als ob in Zukunft auch für die Kernmarke die Ausbildungsstandards und damit wir können nur unterstützen und den Standort at- verbunden die Einstellungsstandards geändert traktiveren. Das ist unsere Aufgabe als Politik, werden sollen. Der Rückgriff auf Fremdausbilder, nicht aber der Eingriff in das operative Manage- der jetzt noch als Notlösung präsentiert wird, wird ment verbunden mit den weitreichenden Forde- dann wohl zum Normalzustand. rungen, die eine Genesung des Unternehmens so- gar blockieren würden. – Danke! Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1965

All das wird auf dem Rücken der jetzigen Flug- des entsprechenden Unternehmens. Ansonsten schüler*innen ausgetragen. Die hat man noch bis brauche ich nicht so viel Geld aufwenden, um ein vor kurzem mit aggressiven Kampagnen angewor- Unternehmen wie die Deutsche Lufthansa zu ret- ben und ihnen ohne Hemmungen alles verspro- ten. chen. Jetzt werden sie praktisch erpresst. Man will sie auf jeden Fall drängen, ihre Ausbildungsver- (Beifall DIE LINKE, SPD) träge aufzugeben. Da heißt es lapidar: Wenn du jetzt aussteigst, hast du wenigstens keine Schul- Ich persönlich möchte nicht gern mit einer Luftge- den. Wenn du weitermachst, hast du bei uns am sellschaft fliegen, die sich dazu bekennt, für die Ende der Ausbildung 80 000 Euro Schulden und nächsten zehn Jahre systematisch ihre Piloten zu wirst wahrscheinlich keinen Job bekommen, von überaltern. Diese Entscheidung der Lufthansa ist dem du das zurückzahlen kannst. Das ist die An- inakzeptabel. Solche Optionen hätte man mit den sage. Rettungspaketen ausschließen müssen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit! In drei oder vier Jahren wird man dann zu den Ge- werkschaften sagen: Wir müssen jetzt die Ausbil- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) dungsstandards senken, sonst bekommen wir keine Piloten mehr, und das wird auch die Gehälter Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin senken. So fügt sich der Abbruch der Ausbildung hat das Wort die Abgeordnete Grobien. in die große Sanierungsstrategie: Standard senken, Kosten sparen. Ob eine Premiummarke wie die Abgeordnete Grobien (CDU): Frau Präsidentin, Lufthansa damit eine Zukunft hat, darf man be- meine Damen und Herren! Ich muss es kurz ma- zweifeln. Das Luftfahrtgeschäft ist kein normaler chen. Lange habe ich über die Motivation der Sozi- Markt. Eine nationale Fluggesellschaft ist eine stra- aldemokraten nachgedacht, warum sie für dieses tegische Ressource. Deswegen investieren alle Thema eine Aktuelle Stunde beantragen. In den Staaten in Rettungspakete. Beiträgen hat sich das nur mäßig erschlossen, au- ßer dass es wieder um Klientelpolitik geht. Es gab einen enormen Dumping-Wettbewerb, weil man auf rasant steigende Passagierzahlen gewettet (Zuruf Abgeordneter Güngör [SPD]) hat. Jetzt wird die Zukunft der Luftfahrt raben- schwarz gezeichnet, was genauso übertrieben ist. Wir sind uns alle einig, dass die Empfehlung der Der Markt allein kann es nicht richten, weil man Lufthansa an ihre 700 Pilotenanwärter, sich beruf- einen reinen Preiswettbewerb schon aus Sicher- lich neu zu orientieren, eine traurige Angelegen- heitsgründen nicht akzeptieren kann. Deshalb heit ist. „Traumberuf im Sinkflug“ hieß es gestern kann sich der Staat nicht aus der Verantwortung im „Weser-Kurier“, „ein Traum wird zum Alb- ziehen. traum“ erst letzte Woche in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Lufthansa hatte in der letzten Woche Die Art und Weise, wie die Lufthansa derzeit mit angekündigt, dass sie die Ausbildung an der tradi- ihren Pilotenschüler*innen am Standort Bremen tionsreichen Flugschule in Bremen auslaufen las- umgeht ist – da kann man die Vereinigung Cockpit sen will. Die Betroffenen werden aufgefordert, ihre e.V. zustimmend zitieren – beschämend. Die Kos- Ausbildung abzubrechen und sich neu zu orientie- ten der Krise werden individuell auf die Leute in ren, da es kurz- und mittelfristig für Piloten keine der Ausbildung abgewälzt. Es gäbe viele Alterna- berufliche Perspektive gibt. tiven. Man könnte die Ausbildung strecken, man könnte den geplanten Abbau von Pilotenarbeits- Das von der Coronakrise gebeutelte Unternehmen plätzen durch Arbeitszeitverkürzung vermeiden. Lufthansa hatte bereits vorher bekanntgegeben, Für all das gäbe es sicherlich eine Verhandlungs- dass 1 100 Pilotenstellen von insgesamt 5 000 vor bereitschaft. dem Aus stehen und gestrichen werden. Im Gegen- zug für den Abbruch der Ausbildung verzichtet die Dass die Lufthansa stattdessen den harten und bru- Lufthansa auf die sonst übliche Rückzahlung der talen Schnitt für die Ausbildung will, darf der Staat Ausbildungskosten von bis zu 80 000 Euro. Wie soll sich nicht gefallen lassen. Das kann auch nicht im man das bewerten? Sinne von Rettungspaketen sein. Da widerspreche ich Ihnen, Frau Wischhusen, ganz entschieden. Die derzeitige Situation ist für viele Branchen be- Wenn ich als Staat so viel Geld investiere, erwarte sonders hart und schwierig, und dazu gehört auch ich einen gewissen sozialverträglichen Standard der Luftverkehr. 1966 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Vielleicht muss man anerkennen, dass die Luft- letzter Satz –, die Klimadiskussion, die die berech- hansa den angehenden Piloten in einem so frühen tigte Frage nach zu hohem Flugaufkommen stellt. Stadium, in dem es für eine Umorientierung noch Fliegen ist zu selbstverständlich geworden, hieß es nicht zu spät ist, diese unangenehme Wahrheit gestern. Vielleicht liegt – und darauf ist meine Kol- sagt. Ich will für die Fraktion der CDU sagen, wir legin von der Fraktion der FDP schon eingegangen begrüßen es außerordentlich, dass die Hochschule – in dieser Krise genau die Chance, die technologi- Bremen kurzfristig entschieden hat, dass man sich sche Entwicklung so zu unterstützen und voranzu- jetzt noch für das Wintersemester 2020/2021 be- treiben, dass es alternative Antriebstechniken gibt, werben kann. und dann auch später im Luftverkehr, der wieder vorangeht – –. Debatten, die zu einer weiteren Ver- Natürlich ist das nicht nur für die Schüler der Luft- unsicherung aller Beteiligten führen, helfen dabei hansa eine schwierige Situation, sondern auch für in unseren Augen nicht weiter. – Vielen Dank für die traditionsreiche Flugschule, in der seit mehr als Ihre Aufmerksamkeit! 60 Jahren Piloten ausgebildet werden. Immerhin hat der Chef der Deutschen Lufthansa, Herr Spohr, (Beifall CDU) hier selbst seine Flugausbildung absolviert. Natür- lich, auch das haben Vorredner gesagt, ist diese Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Flugschule ein wichtiger Standortfaktor. In jedem das Wort der Abgeordnete Fecker. Lufthansa-Cockpit fährt quasi ein bisschen Bremen mit und wirbt damit auch für Bremen. Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Grünen): Liebe Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und (Zuruf Abgeordneter Güngör [SPD]: Das ist aber Herren! Ja, so ist das, Frau Grobien, wenn ein Un- nur Klientelpolitik!) ternehmen aus Bremen abwandert, dann ist es aus Ihrer Diktion, wenn Sie das als Thema setzen, im- Nicht nur die Deutsche Lufthansa, sondern auch mer ein Versagen des Senats und wenn es von un- die Luftwaffe bildet hier in Bremen Piloten aus. serer Seite aus thematisiert wird, beziehungsweise Zwar gibt es in solchen Zeiten immer eine Menge in diesem Fall von der Fraktion der SPD, dann ist Gerüchte, aber das Gerücht, nach dem die Luft- es Klientelpolitik. Das muss aus meiner Sicht au- waffe ihre Pilotenausbildung aus Bremen abziehen ßerhalb dieses Hauses niemand verstehen. will und nach Rostock verlagern könnte, ist nur ein Gerücht und konnte bisher von dem Sprecher der (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Luftwaffe nicht bestätigt werden. Die Ausschrei- bung läuft noch, und als Ausbildungsort stehen in Die mögliche Schließung der Flugschule bewegt den Ausschreibungsunterlagen weiterhin Bremen viele Menschen, und zwar nicht nur die direkt be- und Goodyear im Bundesstaat Arizona, also kön- troffenen. Diese traditionsreiche Ausbildungsstätte nen wir hier im Parlament nichts weiter tun, als den mit einer hohen Reputation – national wie interna- Senat aufzufordern, sich auch unter diesen er- tional – ist vielen Bremerinnen und Bremern ein Be- schwerten Bedingungen auf möglichst allen Ebe- griff. Die Planungen der Lufthansa hinsichtlich ei- nen für den Erhalt der Flugschule einzusetzen. ner Neuaufstellung führen zu großen Sorgen. Liebe Frau Grobien, dabei handelt es sich nicht um trau- (Zuruf Abgeordneter Güngör [SPD]: Das können rige Nachrichten, aus Sicht der Betroffenen sind es Sie doch als Fraktion, das können Sie auch im sehr dramatische Nachrichten. Bund! – Zuruf Abgeordneter Günther [SPD]) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Öffentlich geführte Debatten und Beteiligungen finden wir dabei nicht hilfreich. Erst gestern konn- Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Bundes- ten wir lesen, wie sehr sich der Beruf des Piloten regierung die Deutsche Lufthansa AG gerettet hat. verändert hat. Die romantischen Vorstellungen und Natürlich, das sage ich sehr deutlich, heißt das verklärten Eindrücke vom Traumberuf Pilot sind nicht, dass fortan alle Entscheidungen jenseits der leider endgültig vorbei. Kostendruck und damit Betriebswirtschaftlichkeit getroffen werden müs- verbundene Annäherung an nahezu alle Mindest- sen, beziehungsweise Betriebswirtschaftlichkeit standards bedeuten, dass früher noch geltende Pri- außer Acht gelassen werden soll, aber eine gewisse vilegien für Piloten keinen Bestand mehr haben. Beachtung öffentlicher Interessen wäre aus unserer Sicht nach dieser Rettungsmaßnahme durchaus an- Dazu kommt die Klimadiskussion – das sollte Sie gemessen. doch besonders interessieren, ich bin sofort fertig, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1967

Eine mögliche Tarifflucht, um es sehr deutlich zu (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) sagen, ist ganz bestimmt nicht im öffentlichen Inte- resse und auch ganz bestimmt nicht im Sinne der Gar nichts zu tun, sich in das Schicksal zu ergeben, aufgebrachten Steuergelder, meine Damen und das ist für uns und aus unserer Sicht keine Alterna- Herren. tive. Deswegen ist es richtig, um jeden einzelnen Arbeitsplatz in Bremen zu kämpfen. Wir wissen (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) den Senat an unserer Seite und erwarten deswegen auch, dass er sich entsprechend einsetzt. Wir wür- Die Lufthansa Group hat gesellschaftliche Verant- den uns wünschen, dass dies auf Bundesebene Er- wortung und wir erwarten, dass sie sie als großes folg trägt, denn das Beispiel Karstadt Sport ist ge- Unternehmen in Deutschland wahrnimmt. Das gilt nannt worden. Auch da – der Hinweis sei mir ge- auch für den Vorstand und seine eigenen Ansprü- stattet – ist der Einsatz des Senats in Form unseres che. Ausbildung ist ein Qualitätsmerkmal und die Bürgermeisters milde belächelt worden. Offen- Sorge, dass mit dem möglichen Ende der Ausbil- sichtlich hat er aber zum Erfolg beigetragen. Meine dung der Lufthansa-Pilotinnen und -Piloten even- Damen und Herren, ich wünsche mir und wir wün- tuell auch eine Absenkung der Qualitätsstandards schen uns, dass wir gemeinsam daran arbeiten, im Raum steht, die sollten wir ernst nehmen und diese Arbeitsplätze und diesen Standort in Bremen wir sollten ihr Beachtung schenken. weiter zu sichern. – Herzlichen Dank für die Auf- merksamkeit! Wenn man sich die Entwicklung der Deutschen Lufthansa AG ansieht, dann sehen wir, dass es bis (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) in die Tochtergesellschaften hinein schon ganz be- wusste Entscheidungen gibt, sowohl was Linien Vizepräsidentin Grotheer: Weiter Rednerinnen o- angeht aber auch was das Drängen von Mitarbei- der Redner aus den Reihen des Parlaments sehe ich terinnen und Mitarbeitern in die doch etwas güns- nicht. Das nächste Wort hat Bürgermeister Dr. tigeren Tochtergesellschaften angeht. Das ist mo- Bovenschulte. mentan Konzernpolitik. Bürgermeister Dr. Bovenschulte: Frau Präsidentin, Was können die Forderungen sein? Aus unserer meine Damen und Herren! Alle Rednerinnen und Sicht ganz klar: In Bezug auf die Flugschülerinnen Redner waren sich einig, die Flugschule ist ein und Flugschüler muss die Lufthansa sicherstellen, Aushängeschild, und zwar nicht nur für den Luft- dass die Ausbildung aller Flugschülerinnen und - und Raumfahrtstandort Bremen, sondern auch und schüler an der Flugschule am Flughafen Bremen gerade für die Lufthansa und für die vielen anderen durch die Flugschule selbst zu Ende geführt wer- Unternehmen und Dienstleister, die die Dienste der den kann. Flugschule in Anspruch nehmen.

Es wäre widersinnig, Geld für eine externe Ausbil- Seit über 60 Jahren steht die Schule für gleichblei- dung in die Hand zu nehmen, wenn man die Struk- bend hervorragende Qualität bei der Ausbildung turen selbst vor Ort hat. Das ergibt aus unserer von Pilotinnen und Piloten. Dank dieser guten Ar- Sicht betriebswirtschaftlich keinen Sinn. beit konnten und können Millionen Menschen mehrerer Generationen sicher und ohne Sorgen (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) ihre Flüge antreten, egal, ob beruflich auf der Dienstreise oder in den wohlverdienten Urlaub. Darüber hinaus ist die Schlüsselrolle der Bundes- Leider hat Corona vieles, wenn nicht alles verän- wehr angesprochen worden, die mitentscheidet, dert. Die Möglichkeiten zum Fliegen mussten mas- wie es am Standort Bremen weitergeht. Es gibt siv eingeschränkt werden, damit sich die Pandemie erste positive, hoffnungsvolle Signale, aber es gilt nicht noch ungehinderter ausbreiten kann. Dass es weiterhin, Druck auf die Bundeswehr auszuüben. infolgedessen weniger Bedarf an Pilotinnen und Pi- Natürlich hat die Politik in der Frage von Standort- loten gibt, liegt auf der Hand und lässt sich auch im auswahl immer nur eine begrenzte Möglichkeit. Kern nicht wegdiskutieren. Die tiefe Krise der Sich hinzustellen und wie Elisabeth Motschmann Branche ist ja nicht eine Fantasie oder eine Erfin- im „Weser-Kurier“ im August zu sagen: Schade, dung, sondern bittere Realität. Pech gehabt, nun kümmert euch in Bremen selbst um eure Probleme, das, finde ich, ist keine Glanz- Meine Damen und Herren, trotzdem können wir, leistung. kann der Senat nicht akzeptieren, dass die wirt- schaftlichen Turbulenzen zum Anlass, um nicht zu 1968 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

sagen als Vorwand, genommen werden, die Flug- mit allen Flächen und Räumen, die eine Verkehrs- schule in Bremen zu schließen. Abgesehen davon, fliegerschule braucht –, ist auch schon von allen dass hier fast 150 Arbeitsplätze auf dem Spiel ste- Rednerinnen und Rednern erwähnt worden. hen, wird hier auch die Zukunftsperspektive von Hunderten junger Menschen quasi mit einem Fe- Trotzdem stand und steht im Raum, dass auch die derstrich infrage gestellt oder sogar zerstört. So Bundeswehr plane, ihre Ausbildung von Transport- geht das einfach nicht. fliegern von Bremen abzuziehen und an andere Standorte, namentlich nach Rostock, zu verlagern. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Nun ist es immer schwierig, sich in ein laufendes Vergabeverfahren einzuschalten. Eines ist aber Wenn dann noch ein anderer Standort anstelle Bre- sehr klar: In der jetzigen Ausschreibung, auch das mens ausgebaut werden soll, an dem möglicher- ist schon erwähnt worden, ist Bremen als Leis- weise keine oder keine umfassende Tarifbindung tungsort eindeutig genannt worden, das ist auch öf- vorliegt, muss die Frage erlaubt sein, ob es hier sei- fentlich so. tens der Lufthansa nicht noch andere Gründe gibt, den Standort Bremen infrage zu stellen als nur die Wenn in einer Ausschreibung Bremen als Leis- aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Um es tungsort genannt ist, dann muss das nach vergabe- ganz deutlich zu sagen: Der Bund hat Milliarden rechtlichen Grundsätzen natürlich bei der Aus- von Euro in die Hand genommen, um die Lufthansa schreibung, bei der Vergabe und beim Zuschlag zu unterstützen und zu retten. Dieses Geld kann auf ein Angebot auch nach Recht und Gesetz so be- nicht einfach versickern, hier muss die Lufthansa rücksichtigt werden. Da kann es eigentlich – und auch liefern, und zwar gerade auch bei den jungen nicht nur eigentlich –, da kann es keine Abwei- Menschen, die sich mitten in ihrer Ausbildung zum chungen geben. Piloten befinden. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Ich habe in diesem Sinne auch mehrfach mit der Hier geht es ganz klar auch um die gesellschaftli- Bundesverteidigungsministerin telefoniert und die che Verantwortung eines Unternehmens und dies konnte mir dazu natürlich auch nur das sagen und habe ich mehrfach im Gespräch mit dem Vor- das bestätigen: Die Bundeswehr hält sich an die standsvorsitzenden der Lufthansa, Carsten Spohr, Vergabe und an die ausgeschriebene Bedingung, auch deutlich gemacht. Übrigens – Bemerkung am so wie es Recht und Gesetz erfordern. Die Tatsa- Rande – hat das durchaus geholfen, dass Herr che, dass Bremen in der Ausschreibung als Leis- Spohr seine Ausbildung zum Piloten selbst in Bre- tungsort vorgesehen ist, ist doch ein ganz klares men absolviert und in den höchsten Tönen von der Bekenntnis des Verteidigungsministeriums und Qualität der Ausbildung am Bremer Standort und der Bundeswehr zur Qualität der Bremer Flug- von dem ganzen Umfeld in den Telefongesprächen schule. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch geschwärmt hat. noch einmal bedanken. Das ist eine sehr klare Hal- tung, die unsere Verteidigungsministerin da einge- Ich habe das noch einmal zum Anlass genommen, nommen hat. um ihm deutlich zu machen, dass gerade doch vor der eigenen persönlichen Erfahrung und der Über- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) zeugung von der Qualität dieses Standortes die Entscheidung der Lufthansa eigentlich nur lauten Vor diesem Hintergrund verwundert es mich aller- kann: Ja, wir müssen, wenn auch vielleicht in redu- dings dann doch, wenn sich die Lufthansa tatsäch- zierter Form, in Bremen weiter tätig bleiben. lich noch nicht entschieden haben sollte, auch ein Angebot für den Standort Bremen auf diese Aus- Der gute Ruf der Flugschule, ich habe es bereits ge- schreibung abzugeben, auf eine Ausschreibung, sagt, geht weit über die Lufthansa hinaus. Viele an- die eindeutig sagt, der Leistungsort soll Bremen dere Airlines bildeten und bilden hier aus, und sein. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich und un- auch ein großer Teil des Pilotennachwuchses der missverständlich sagen: Ich habe die klare Erwar- Bundeswehr, der deutschen Luftwaffe, durchläuft tung, dass die Lufthansa hier ein Angebot für den ebenfalls Teile der Ausbildung in Bremen. Dass die Standort Bremen abgibt und sich damit zu ihrer Infrastruktur unseres Flughafens fast perfekt ist – Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitar- ein internationaler Verkehrsflughafen, stadtnah, beiter bekennt und damit auch das Vertrauen Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1969

rechtfertigt, das die Bundesregierung in die Luft- Wir kommen zur Abstimmung. hansa gesetzt hat, und auch die vielen Milliarden Euro rechtfertigt, die der Bund in die Lufthansa ge- Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben setzt hat. Das ist die klare Erwartung. Wir brauchen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. ein Angebot für die Fortführung der Transportflie- gerausbildung hier am Standort Bremen. (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abgeord- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) neter Timke [BIW])

Selbstverständlich sind wir als Land auch bereit, Ich bitte um die Gegenprobe. unseren Teil dazu beizutragen, die Flugschule bei uns in Bremen zu halten. Hier brauchen wir aber (Dagegen M.R.F.) klare Signale, dass die Schule in Bremen nach Auf- fassung der Lufthansa auch eine klare Zukunft ha- Stimmenthaltungen? ben soll. Ich bin mir sicher, diese Zukunft besteht am Standort Bremen. Wir werden auch künftig (Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) hochqualifizierte Ausbildung von Pilotinnen und Piloten brauchen, vielleicht im Rahmen neuer Aus- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt bildungskonzepte, vielleicht auch eine Ausbildung dem Antrag zu. in neuen Fertigkeiten und Kenntnissen, aber dass es diesen Bedarf – wenn möglicherweise auch in Bremisches Ausführungsgesetz zu § 30 Absatz 2 geringerer Form – auch künftig geben wird, das des Infektionsschutzgesetzes steht für mich außer Frage. Mitteilung des Senats vom 22. September 2020 (Drucksache 20/616) Wir helfen gern, in erster Linie ist aber die Luft- hansa gefordert, hier Zukunftskonzepte zu entwi- Wir kommen zur ersten Lesung. ckeln und damit die lange, gute und erfolgreiche Tradition der Bremer Flugschule fortzusetzen. – Die Beratung ist eröffnet. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Wortmeldungen liegen nicht vor. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Die Beratung ist geschlossen. Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- gen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Die Aktuelle Stunde ist geschlossen. Wer das Gesetz in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Meine Damen und Herren, wenn Sie einverstanden sind, würde ich noch die drei Tagesordnungs- (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE punkte ohne Debatte aufrufen, die auf der Tages- LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abgeord- ordnung vorliegen. neter Timke [BIW])

Auschwitz-Birkenau und andere KZ-Gedenkstät- Ich bitte um die Gegenprobe. ten im Ausland in der Covid-19-Pandemie unter- stützen (Dagegen M.R.F.) Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Stimmenthaltungen? vom 14. Juli 2020 (Drucksache 20/550) (Abgeordneter Jürgewitz [AfD])

Die Beratung ist eröffnet. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt das Gesetz in erster Lesung. Wortmeldungen liegen nicht vor. Meine Damen und Herren, interfraktionell wurde Die Beratung ist geschlossen. vereinbart, Behandlung und Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung vorzunehmen. Ich lasse 1970 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

deshalb darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben Lesung durchführen wollen. möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abgeord- Ich bitte um die Gegenprobe. neter Timke [BIW], Abgeordneter Jürgewitz [AfD])

Stimmenthaltungen? Ich bitte um die Gegenprobe.

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- Stimmenthaltungen? schließt entsprechend. (M.R.F.) (Einstimmig) Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt Wir kommen zur zweiten Lesung. dem Antrag zu.

Die Beratung ist eröffnet. Vielen herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Wir treten in eine Mittagspause bis 14:30 Uhr ein. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich unterbreche die Sitzung.

Die Beratung ist geschlossen. (Unterbrechung der Sitzung 12:53 Uhr.)

Wir kommen zur Abstimmung. 

Wer das Gesetz in zweiter Lesung beschließen Vizepräsidentin Dogan eröffnet die unterbrochene möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Sitzung um 14:30 Uhr.

(Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Vizepräsidentin Dogan: Die unterbrochene Sit- LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abgeord- zung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröff- neter Timke [BIW], Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) net.

Ich bitte um die Gegenprobe. Aufgrund interfraktioneller Vereinbarung wird die Behandlung des Tagesordnungspunktes 13 für die (Dagegen M.R.F.) Oktobersitzung der Bürgerschaft (Landtag) ausge- setzt. Stimmenthaltungen? Wir setzen die Tagesordnung fort. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt das Gesetz in zweiter Lesung. Rassismus entschieden entgegentreten – Landes- aktionsplan gegen Rassismus erstellen Beflaggung der Bremischen Bürgerschaft zum In- Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, ternationalen Tag gegen Gewalt an Frauen der SPD und DIE LINKE Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die vom 1. Juli 2020 Grünen, DIE LINKE, der CDU und der FDP (Drucksache 20/527) vom 6. Oktober 2020 (Drucksache 20/645) Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann. Die Beratung ist eröffnet. Die Beratung ist eröffnet. Wortmeldungen liegen nicht vor. Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Die Beratung ist geschlossen. Görgü-Philipp.

Wir kommen zur Abstimmung. Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- nen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kol- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1971

leg*innen! Wir stehen heute hier, um klarzuma- aller Altersgruppen und die entschiedene Umset- chen, in Bremen und Bremerhaven ist kein Raum zung in der Strafverfolgung erhält durch die Leitli- für menschenverachtendes Verhalten! nien des Landesaktionsplans gegen Rassismus eine neue Wirkung, je aktiver und offener die Kommu- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) nikation und Bestandsaufnahme ist. Um dies um- zusetzen, können wir auf demokratische Systeme Hetze, Hass und rassistische Diskriminierung neh- zurückgreifen. Dafür müssen unsere Institutionen men wir nicht hin. Mit dem Landesaktionsplan ge- geschult und offen sein: Justiz, Schule, Polizei, Ge- gen Rassismus den wir heute – hoffentlich mit brei- sundheitswesen, Sport, Kitas, Jugendarbeit, alle ter Unterstützung aller demokratischen Kräfte – be- sind gefragt. Dafür werden wir heute den Landes- schließen werden, setzen wir ein klares Nein Rich- aktionsplan gegen Rassismus beschließen. tung Ausgrenzung, Beleidigungen, Stereotype und Verurteilung. Jedes Ressort – ich schaue nach rechts und auch nach links – ist in der Verantwortung zu handeln, (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) meine Damen und Herren. Auf die Ergebnisse dür- fen wir gespannt sein. Eines kann ich heute schon In den letzten Monaten und Jahren gab es in sagen: Die Bremer Polizei hat eine Vorreiterrolle Deutschland an unterschiedlichen Orten grausame eingenommen und eine Referentin für Vielfalt und Angriffe auf Menschen unserer Gesellschaft. Diese Antidiskriminierung engagiert. Auf Bundesebene Angriffe waren rassistisch motiviert. Das muss ein tut sich Herr Seehofer leider schwer, eine Studie Ende haben. Immer wieder wird uns gezeigt, Ras- zum Thema Rassismus bei der Polizei in Auftrag zu sismus tötet. Wenn er nicht tötet, spaltet, schmerzt geben. Grundsätzlich bin ich froh, dass es seit ges- und verletzt er. Er richtet bei Menschen seelische tern eine neue Dynamik in der Debatte gibt. Es Schäden an, grenzt aus und benachteiligt, auf dem bleibt abzuwarten mit welchem Ergebnis und Ziel. Wohnungsmarkt, in der Schule, bei Behörden, ein- Täglich erreichen uns die Meldungen aus Berlin, fach im Alltag. Rassismus findet täglich statt, über- NRW, Hessen über rassistische Chatgruppen bei all unter uns. der Polizei. Viele Polizistinnen und Polizisten, die ich in der letzten Zeit kennengelernt und gespro- Auch ich habe aufgrund meiner Herkunft schon chen habe, auch unser Polizeipräsident Lutz Müller rassistische Erfahrungen gemacht. Rassistische wünschen sich diese Studie, damit sie nicht alle un- Strukturen sind für Menschen wie mich und viele ter einen generellen Verdacht fallen, meine Damen andere bedauerlicherweise Teil unseres Alltags. und Herren! Während sich weite Teile der Gesellschaft nach wie vor die Frage stellt, ob es in Deutschland Ras- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) sismus gibt, können viele mit Gewissheit sagen: Ja. Denn sie erleben ihn täglich. Dies zeigt auch, wie wichtig es ist, einen großen Be- teiligungsprozess bei der Erstellung des Landesak- Unsere Aufgabe ist es, diesen Rassismus aufzude- tionsplans gegen Rassismus vorzusehen. Die Betei- cken, dieses gesellschaftliche Gift zu bekämpfen ligung der zivilgesellschaftlichen Akteure in Bre- und für unsere demokratischen Grundwerte einzu- men, migrantische Selbstorganisationen zum Bei- treten. spiel, ist für mich besonders wichtig.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Das Land Bremen bietet aufgrund seiner Größe die Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen. Was ist zu tun? Wir müssen Rassismus sichtbar ma- Dies zu ergreifen, liegt nun vor uns, auch wenn ich chen, ihn benennen anstatt zu relativieren und von ahne, dass es ein unbequemer und langer Weg Einzelfällen zu reden. Für uns Grüne ist die Erstel- werden könnte. – Danke schön für die erste Runde! lung eines Landesaktionsplans gegen Rassismus hierfür elementar. Die Leitlinien des Landes Bre- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) men für die effektive Bekämpfung von rassisti- schen Strukturen sollen gebündelt, dargelegt und Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat weiterentwickelt werden. Der Landesaktionsplan das Wort die Abgeordnete Bergmann. gegen Rassismus soll das Präventionsinstrument sein, das wie ein Schutzschirm wirkt. Die Bekämp- Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau fung von rassistischen Vorurteilen, die Aufklärung Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Eine Gemeinschaft, ein Wir zu schaffen und 1972 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

gleichzeitig jedem Einzelnen die Möglichkeit zur ist einseitig, das Opfer bekommt die Deutungsho- persönlichen Entfaltung zu bieten, ist die Heraus- heit, sich als Opfer und damit auch den Rassismus forderung unseres gesellschaftlichen Miteinanders. und den Rassisten zu definieren. Dies ist ein starker Wir leben in einer freiheitlichen, pluralistischen Ansatz für ein Rassismustraining, dessen Ziel es Gesellschaft, und Vielfalt stellt eine unglaubliche sein muss, die Wirkung von Diskriminierung aus Bereicherung für unser Miteinander dar und ist der Perspektive Betroffener spürbar und auch gleichzeitig unsere größte gesellschaftliche Her- nachvollziehbar zu machen. ausforderung. Andere Definitionsmodelle und Denkansätze, die Dass diese nicht unlösbar ist, da bin ich, wenn ich aber ebenfalls Dynamiken zwischen Menschen meinen Blick über die so verschiedenen Köpfe hier und Gruppen beschreiben, nehmen andere Per- in unserem Parlament schweifen lasse, sehr zuver- spektiven ein. Ich denke zum Beispiel an das Dra- sichtlich. So, wie wir hier als höchst unterschiedli- madreieck von Stephen Karpman, – wenn das je- che und allesamt demokratisch gewählte Vertreter, mand kennt, Opfer, Retter, Verfolger, Stichwort – als parlamentarische Gemeinschaft, zusammensit- oder an systemische Ansätze, die nicht den einzel- zen, ist es in vielen Ländern dieser Erde nicht mög- nen Akteur, sondern die Dynamik zwischen den lich und auch in unserem Land war der Vorlauf Akteuren in den Blick nehmen. Die Deutungsho- lang. Natürlich, ausruhen sollten wir uns darauf heit allein in die Hände des Opfers zu legen ist ge- nicht, denn auch in unserem politischen Ringen sellschaftspolitisch schwierig. Ich halte es aber für miteinander wird bisweilen deutlich, dass der Blick einen wichtigen Baustein im gesamtgesellschaftli- auf den anderen vorurteilsbelastet sein kann, dass chen Sensibilisierungsauftrag. Gleichzeitig habe eine inhaltliche Abgrenzung manchmal auch in ich die Hoffnung, dass in dem unter Punkt zwei, eine aktive persönliche Anfeindung und Ausgren- letzter Passus, geforderten Veranstaltungen, tat- zung des anderen ausschlägt. sächlich diskursiv und konstruktiv um einen trag- fähigen Rassismusbegriff gerungen wird. Verschiedenste Themen gehen wie Wellen durch unsere Gesellschaft und gut, wenn wir sie aufgrei- Eine einzelne Definition lässt nämlich immer Fra- fen und sich wortgewaltige Debatten dann auch gen offen, wenn zum Beispiel in einem Team mit tatsächlich in Handlungen und Entscheidungen Pflegekräften alle außer der deutschstämmigen niederschlagen und der Landesaktionsplan gegen Kollegin eine andere Sprache sprechen. Mehrfache Rassismus ist eine solche Entscheidung. Bitten, Deutsch zu sprechen, bleiben unerhört, auch von der Leitung, die ebenfalls im Alltag die Jeder einzelne Mensch soll unser Land als Raum Fremdsprache spricht. Ist das Rassismus? Ist das erleben, in dem alle gemeinsam sein können. Wir eine Frage von Leitung und Organisationsentwick- wissen, dass manchem dieser Raum verengt wird lung? Ist es struktureller Rassismus? Zählt in dieser und manch einer verdrängt und ausgegrenzt wird. Szene dann der gesamtgesellschaftliche Kontext Menschen werden beleidigt, gehasst, benachteiligt Deutschland oder eher die kleine Gemeinschaft der und wir wissen auch, dass diese expressiven For- Anderssprechenden als struktureller Rahmen? Wo- men der Ausgrenzung nur die laute Spitze einer At- von hängt es ab, ob wir hier überhaupt von Rassis- mosphäre sind, die sich in vielen kleinen Denunzi- mus oder dessen Entstehung sprechen können? ationen, Verleumdungen, Unterstellungen und as- soziativen Beleidigungen äußern und die oft nur (Abgeordneter Janßen [DIE LINKE]: Vom histori- von jenen wahrgenommen werden, die sie unmit- schen Kontext!) telbar treffen sollen. Wird der Begriff, wenn wir ihn auf alle zwischen- Die neue Antirassismustrainerin der Bremer Poli- menschlichen Wechselwirkungen beziehen, nicht zei, davon war schon die Rede, Ikram Errahmouni- für die, die echte Opfer von Rassismus und Men- Rimi, sie macht deutlich, dass unbewusste Vorur- schenfeindlichkeit sind, stumm? Die gesellschaftli- teile erkannt, und sie nennt es, dekonstruiert wer- che Diskussion ist noch in vollem Gang und es ist den müssen. Es könne sein, dass sich jemand ras- gut, dass sie durch die Erstellung des Landesakti- sistisch verhält, sich aber dessen gar nicht bewusst onsplanes gegen Rassismus noch einmal Fahrt auf- ist und das kann auch jedem von uns passieren. nimmt. Für uns Liberale ist die Freiheit und Tole- Ganz bewusst spricht Frau Errahmouni-Rimi da- ranz und das Recht auf persönliche Entfaltung für von, dass dieser Diskurs kein Diskurs auf Augen- alle Menschen in einer vielfältigen Gesellschaft höhe sei. Das Opfer empfindet subjektiv die Diskri- minierung, die Deutungshoheit über die Situation Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1973

wichtig, immer verbunden mit der Eigenverant- Innerhalb der Behörden und Ressorts gibt es bereits wortung gegenüber der Gemeinschaft, in der wir mehrere Akteure, die sich mit dem Thema beschäf- leben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! tigen, angefangen beim Personalamt über interne Ermittlungen bis hin zur Staatsanwaltschaft, die (Beifall FDP) sich hier mit dem repressiven Teil der Problematik beschäftigen. Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Fißikowski. Ent- Auf der eher präventiven Seite gibt es künftig die schuldigen Sie, ich habe mich versprochen: Herr Antidiskriminierungsstelle, die eine deutliche Flißikowski. Schnittmenge mit dem Problemfeld Rassismus hat, dieses sogar vollständig abdeckt. Durch die aktu- Abgeordneter Flißikowski (CDU): Frau Präsiden- elle Reform des Polizeigesetzes soll die Stelle eines tin, meine Damen und Herren! Ja, mein Name ist Polizeibeauftragten installiert werden, der intern schwer, ich habe auch ein bisschen gebraucht, bis und extern ansprechbar wäre. Innerhalb dieser Ge- ich ihn konnte. Flißikowski wird es ausgesprochen! mengelage bedarf es einer klaren Zuständigkeits- regelung und – was noch viel wichtiger ist – trans- (Heiterkeit – Beifall CDU) parenter und nachvollziehbarer Kommunikations- wege. Informationen dürfen nicht verloren gehen Ich denke, in einem Punkt sind wir uns ja heute alle oder irgendwo steckenbleiben. einig, Rassismus hat in unserer modernen, offenen und vielfältigen Gesellschaft keinen Platz. Darüber hinaus sind es die Frauen- und Gleichstel- lungsbeauftragten, die in den Personal- und Be- (Beifall CDU, FDP) triebsräten nach dem Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetz tätig sind und sich ebenfalls mit Hin- Das wäre das Ideal. Doch immer wieder werden wir weisen auf Rassismusfälle beschäftigen müssen. eines Besseren belehrt. Rassismus findet in unserer Diese Thematik, meine Damen und Herren, hat Gesellschaft statt, und gerade deshalb ist es so eine hohe Brisanz, und der Umgang damit soll wichtig, in dieser Sache neue Wege zu gehen. In wohlüberlegt sein. dem Bewusstsein und in dem Willen, eine offene Gesellschaft zu sein, bedarf es mehr Augenmerks Ich bin ebenfalls gespannt, wie der Senat dem auf Prävention und Aufklärung. Dabei darf man Problem der Hetze im Netz präventiv gegenüber- nicht außer Acht lassen, dass Rassismus und Frem- treten will. Die repressiven Mittel und Instrumente denfeindlichkeit in vielen Bereichen unserer Ge- sind klar und ausreichend vorhanden, ob im Netz sellschaft zu finden sind. oder im realen Leben. Tatbestände der Beleidi- gung, der Verleumdung, der üblen Nachrede, der Genau mit diesem Aspekt muss sich der Senat bei öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, des Land- der Beurteilung und Aufarbeitung dieses Antrags friedensbruchs, der Volksverhetzung bis hin zu den konkret auseinandersetzen, und es wird von Ihnen Bereichen der Drohung mit oder Ankündigung von erwartet, meine sehr geehrten Senatorinnen und Körperverletzung und Tötungsdelikten greifen Senatoren, dass Sie hier richtige und zielsichere auch hier. Maßnahmen formulieren. So sind, wie gefordert, Aufklärung und Bildung von der Kita bis zur Uni- Präventiv sieht das schon anders aus. Wie wollen versität wichtige Bestandteile dieses Vorhabens. Sie den meist anonym oder mit Nickname agieren- Das bundesweite Projekt „Schule ohne Rassismus den Rassisten begegnen? Was ist da so los in den – Schule mit Courage“ ist dafür ein gutes Beispiel. sozialen Medien, bei WhatsApp, YouTube, Insta- 39 Schulen in unserem Land nehmen bereits daran gram, Snapchat, TikTok und so weiter? Da werden teil. Auch dafür braucht es mutige Akteure, die da- Hater-Kommentare gepostet, oftmals in rasender hinterstehen und dieses Projekt mit Leben füllen. Geschwindigkeit von anderen kommentiert und geteilt und verbreitet. In nicht wenigen Fällen kön- Der Senat soll laut vorliegendem Antrag auch prü- nen solche Hater und ihre Kommentare je nach fen, ob es vorteilhaft ist, die Stelle eines Antirassis- App-Betreiber gemeldet werden. In der Regel wer- musbeauftragten innerhalb der Behördenstruktur den die auffällig gewordenen User dann blockiert, zu installieren. Dabei muss auch darüber nachge- gesperrt und können unter ihrem Synonym nicht dacht werden, wie dieser seine Aufgaben neben mehr im Chat agieren. Ob sich diese Leute ihre den bereits bestehenden Kontrollinstrumenten Hetze auch im realen Leben, auf der Straße, von wahrnehmen soll. Fassen wir einmal zusammen: 1974 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Angesicht zu Angesicht trauen würden, sei dahin- (Abgeordnete Grotheer [SPD]: Doch dazwischen! gestellt. Schauen Sie einmal in die Geschäftsordnung, das ist parlamentarisches Recht!) Für weitaus gefährlicher halte ich die öffentlichen und auch für unsere Kinder zugänglichen Foren Wollen Sie jetzt hier filibustern? und Sites mit rechts- oder linksradikalem Inhalt. Hier werden Sachverhalte und Straftaten ganz of- (Abgeordnete Grotheer [SPD]: Nein, aber Sie wol- fen und teilweise belustigend verharmlost und an- len meine Zwischenrufe nicht zulassen und das dere zu ähnlichen Aktionen animiert. Hier besteht steht Ihnen nicht zu!) dringender Handlungsbedarf. Dann sagen Sie mir doch, wenn Sie fertig sind. Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion be- grüßt den Antrag, und wir sind gespannt, wie der (Abgeordnete Ahrens [CDU]: Erklären Sie das mal Senat Ihren Wunsch nach einem Landesaktions- Ihren Kollegen!) plan gegen Rassismus umsetzt. Wir werden Ihren Antrag unterstützen. – Herzlichen Dank! Vizepräsidentin Dogan: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas Ruhe, und Sie, Herr (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Jürgewitz, fahren einmal mit Ihrer Rede fort. Zwi- schenrufe sind erlaubt. Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat der Abgeordnete Herr Jürgewitz das Wort. Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Aber kein Filibus- tern! Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Ras- Vizepräsidentin Dogan: Nein, aber Sie brauchen ja sismus hat in unserer Gesellschaft keinen Platz, nicht darauf einzugehen und können konzentriert aber Ihr Antrag hier, der ist ideologisch begründet, Ihrer Rede nachgehen. der ist nicht sachlich. Ich versuche es jetzt einmal ein bisschen sachlich: Der kleine Sarotti-Mohr, Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Aber ich kann da- rauf eingehen, oder? (Zuruf Abgeordnete Wargalla [Bündnis 90/Die Grünen]) Ich habe noch 2 Minuten und 55 Sekunden, die nutze ich einfach aus, notfalls bleibe ich einfach der Negerkuss, für mich waren das süße Verfüh- stehen und höre mir noch Ihre Geräusche an. Das rungen meiner Kindheit, nun soll es Rassismus sein. ist doch schön. Was ist dann aber mit dem Berliner oder dem Ame- rikaner? Sind die Bäcker jetzt Rassisten? Was ist mit Also, wir waren bei den Hempels unter dem Sofa. dem Frankfurter oder Wiener Würstchen, der Kra- kauer oder dem Bremer, dem Fischbrötchen bei (Abgeordnete Grotheer [SPD]: Ja, jetzt habe ich es Nordsee, oder den Fruchtzwergen? Ist das rassisti- verstanden!) sche oder gar Behindertendiskriminierung? Wenn früher als Kind das Zimmer nicht aufgeräumt war, Das war damals Umgangssprache und nun soll es hieß es, das sieht hier ja aus wie bei den Hottentot- Rassismus sein. Was ist mit den Leuten, also nicht ten oder wie bei den Zigeunern nur den Hempels, sondern mit denen, die heute Mohr heißen, sollen die sich jetzt umbenennen wie (Abgeordnete Grotheer [SPD]: Das hieß es bei mir die Apotheken? Für den Berliner U-Bahnhof zu Hause nie!) Mohrenstraße hat man schon Ersatz gefunden, man will dort jetzt offensichtlich einen Antisemiten neh- oder auch wie bei Hempels unter – –. Ja, danke für men, welch ein Erfolg für diese Kampagne! Immer- das Geräusch! hin ist das konsequent, denn nach dem Antisemi- ten Karl Marx wurden ja auch hier schon Straßen (Zuruf Abgeordnete Grotheer [SPD]) und Schulen benannt.

Sie können ja gleich reden, Frau Kollegin. Nicht Alles Märchen, wie das des Negerkönigs aus Pippi dazwischen, Sie sind nicht an der Reihe! Nein! Langstrumpf oder Jim Knopf, Kultur- und Bilder- sturm wie im Marxismus, das ist hier Ihr Antrag, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1975

und genau deshalb ist dieses abzulehnen. – Danke kriminierung ist unter anderem durch das Allge- schön! meine Gleichbehandlungsgesetz verboten worden, die Durchsetzung dieses Diskriminierungsverbotes Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat ist jedoch nach wie vor leider ein Einzelfall. Deswe- die Abgeordnete Frau Leonidakis das Wort. gen ist es so wichtig, dass wir in Bremen zusätzlich zu den bestehenden sehr guten Beratungsangebo- Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Sehr ge- ten eine zentrale und horizontale Landesantidiskri- ehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kol- minierungsstelle schaffen, die eine Erstanlaufstelle legen! Manche Dinge sind es nicht wert, kommen- für alle von Diskriminierung betroffenen Menschen tiert zu werden. Ich rede einmal zur Sache: darstellt, in allen Lebensbereichen, und die die Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit verstär- Vor etwas über sieben Monaten haben wir hier in ken soll. der Aktuellen Stunde den Opfern des rassistischen Terroranschlages von Hanau gedacht, bei dem Gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, steh- neun Hanauerinnen und Hanauer of Color ermor- len wir uns aber als Landesregierung und als die det wurden. Wir haben hier an dieser Stelle dem Landesregierung tragende Fraktionen nicht aus antisemitischen Anschlag auf die Synagoge in der eigenen Verantwortung. Auch in Behörden und Halle gedacht, bei dem zwei Menschen getötet und staatlichen Institutionen gibt es Rassismus und nur durch Glück weitere Tote verhindert wurden. auch hier gibt es ein Machtgefälle. In der Bildung Wir haben über den NSU gesprochen und über die gibt es wissenschaftlich, gewerkschaftlich und bil- Ermordung von Walter Lübcke. Wir haben über dungspolitisch eine lange und gute Auseinander- Tausende rechtsterroristische Anschläge auf Un- setzung mit Vielfalt im Bildungswesen. Es gibt terkünfte von Geflüchteten in den letzten Jahren „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, gesprochen. Projektwochen und es gibt viele extrem engagierte und antirassistisch tätige Lehrkräfte. Wir haben festgestellt, dass die Rechtsterroristen keine Einzeltäter sind und dass sie nicht isoliert Trotzdem kann man daraus keineswegs schließen, agieren, denn Rassismus reicht weit in die Mitte der dass die Schulen wirklich ohne Rassismus wären. Gesellschaft hinein. Rassistische, antimuslimische, Darauf hat auch die Bremerin Maimuna Sallah mit roma- und sintifeindliche, antischwarze Vorurteile ihrer Petition, die große Aufmerksamkeit bekom- sind weit verbreitet. Das schließt an eine lange Ge- men hat, hingewiesen. Auch unser Antrag zielt auf schichte von Unterdrückung, Besetzung, Verskla- die Stärkung der antirassistischen Bildungsarbeit vung und Ermordung in den Ländern Afrikas durch und auch im Haushalt haben wir das durch die europäische Kolonialmächte an. Es schließt an eine Schaffung von Antidiskriminierungsstellen für jahrhundertelange Verfolgungsgeschichte von Schülerinnen und Schüler, für Lehrkräfte und El- Sinti und Roma in Deutschland und Europa an. tern an den ReBUZen ermöglicht.

Rassistische Vorurteile sind nicht nur tradierte (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Denkmuster oder Ausdrucksweisen, wie uns ge- rade anschaulich vorgeführt wurde, sondern sie er- Institutioneller Rassismus wird ja aktuell in der De- geben in der Summe eine systematische Ausgren- batte häufig an der Polizei festgemacht. Der Blick zung, die für Betroffene allgegenwärtig ist. Rassis- in die USA, aber auch das Aufdecken von rechts- tische Diskriminierung ist nicht bloß ein individuel- terroristischen Netzwerken in deutschen Polizeibe- les Fehlverhalten, sondern sie geht mit einem ge- hörden und der Bundeswehr liefern durchaus sellschaftlichen Machtverhältnis der Mehrheitsge- Gründe dafür. Das rechtsterroristische Hannibal- sellschaft gegenüber gesellschaftlichen Minderhei- Netzwerk, der NSU 2.0 mit Polizistinnen und Poli- ten oder ihnen zugeschriebenen Menschen einher. zisten aus NRW, Berlin und , rassistische Kollegin Bergmann, dieses Machtverhältnis kann Chatgruppen bei der Berliner Polizei sind nur ein man nun einmal nicht umdrehen. paar Beispiele, die auf ein strukturelles Problem hinweisen. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Man kann aber auch hier nicht sagen, dass alle Po- Dieses Machtverhältnis wird konkret bei der Woh- lizistinnen und Polizisten rassistisch seien. Es gibt nungssuche, bei der Ausbildungs- oder Arbeitssu- sie aber, und rassistische Vorurteile und rechtsradi- che oder auch am Clubeingang. Rassistische Dis- kale Einstellungen drücken sich dann in einem weitgehenden Machtverhältnis aus, das bei Racial 1976 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Profiling beginnt und zu rassistischer Gewalt bis Rassismus seinen Schrecken und seine Abscheu- hin zu Todesfällen führen kann, die oft nicht um- lichkeit nehmen sollen. fassend aufgeklärt oder geahndet werden. Natürlich kam ein solcher Wortbeitrag von einem Deshalb finde ich es richtig, dass die Bremer Polizei Parteifreund des Faschisten Björn Höcke, einer mit Ikram Errahmouni-Rimi eine Referentin für Partei, die den Rassismus in sich trägt wie keine Vielfalt und Antidiskriminierung eingestellt hat, zweite, das hat Herr Jürgewitz heute wieder einmal um die Antidiskriminierungsarbeit im In- und Au- gezeigt. Wer anstatt über Rassismus lieber über ßenverhältnis der Polizei zu stärken. Aus unserer Schokoküsse sprechen will, der will es nicht verste- Sicht brauchen alle Behörden und Ämter solche hen, der will konterkarieren und ablenken, ablen- Beauftragten, die sowohl im Kontakt mit den Kun- ken von seinem eigenen kruden Menschenbild. dinnen und Kunden als auch für die eigenen Be- schäftigten ansprechbar sind und dort auch eine (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Lobbyarbeit gegen Diskriminierung und parteiisch für die Betroffenen führen können. Rassismus, Kolleginnen und Kollegen, ist keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern ein gesell- Der Landesaktionsplan gegen Rassismus, der schaftliches Konstrukt. Dem war im Übrigen nicht Ihnen heute vorliegt, soll eine Reihe von solchen immer so, denn noch bis in das 20. Jahrhundert hin- und weiteren konkreten Maßnahmen identifizie- ein fanden sich Wissenschaftlerinnen und Wissen- ren, die ressortübergreifend wirken und gleichzei- schaftler, welche der Rassenlehre einen wissen- tig die gesamte Gesellschaft gegen Rassismus sen- schaftlichen Anstrich, eine wissenschaftliche Legi- sibilisieren sollen. Der Landesaktionsplan soll – es timation geben wollten. Gerade aber, weil der Ras- wurde bereits gesagt – in Zusammenarbeit mit mig- sismus ein gesellschaftliches Konstrukt ist, lässt er rantischen Selbstorganisationen, mit Vereinen, sich nicht durch wissenschaftliche Beweise über- Verbänden und Religionsgemeinschaften erarbei- winden. Die Erde ist heute selbstverständlich keine tet werden und er soll wissenschaftlich begleitet Scheibe mehr, aber wir sind selbstverständlich werden. noch heute pünktlicher als ein Schwarzer, fleißiger als ein Südeuropäer und ehrlicher als ein Osteuro- Ich glaube, dieser Prozess wird uns alle sehr viel päer. weiterbringen, und ich glaube, das ist ein wichtiges Signal. Wir sagen damit, dass wir die Antirassis- Ich hatte das Privileg, ein Semester meines Studi- musarbeit auf die gesamtsenatorische Ebene he- ums im Ausland verbringen zu können. Meine ben und anerkennen, dass sie eine Querschnitts- Wahl fiel auf Südafrika. Getreu dem gängigen aufgabe ist. Ich glaube, das ist genau das richtige Motto „Auslandssemester gleich 50 Prozent Stu- Signal, das zeigen nicht nur Reden wie die eben. – dium und 50 Prozent Urlaub“ fiel die Entscheidung Danke schön! zwischen England und Südafrika dann doch recht leicht. Sie alle wissen, mit den Apartheitsgesetzen (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) hatte das südafrikanische Regime mit die extrems- ten Rassengesetze des vergangenen 20. Jahrhun- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat derts. Die Apartheit, auch das wissen Sie, endete der Abgeordnete Herr Lenkeit das Wort. offiziell spätestens 1994, aber seien Sie versichert, die ekelhaften Auswüchse des Apartheidsregimes, Abgeordneter Lenkeit (SPD): Frau Präsidentin, des Rassismus waren auch bei meinem Besuch vor Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich bei rund einer Dekade noch in den Köpfen der Men- meinen Vorrednerinnen und Vorrednern – Herrn schen verankert, und medial der Situation in Süd- Flißikowski – ganz herzlich bedanken. Es stimmt afrika bis heute folgend ist dem auch leider bis mich zuversichtlich, dass wir bei einem solch wich- heute so. tigen Thema so viel Eintracht unter den demokra- tischen Parteien erleben. Wenn ich sage „in den Köpfen der Menschen“, dann meine ich nicht nur die Köpfe der weißen Be- Ich möchte hier möglichst wenig von dem wieder- völkerung, sondern – und das ist die eigentliche holen, was bereits gesagt wurde, und habe mich Perversion des Rassismus – auch in den Köpfen der ganz bewusst mit meiner Wortmeldung ein biss- anderen Bevölkerungsgruppen. Schwarze definie- chen zurückgehalten. Ich habe gewartet, denn ich ren sich als Schwarze, Farbige definieren sich als hatte schon den Verdacht, dass es hier und heute Farbige und indisch stämmige Menschen definie- Wortbeiträge zum Thema geben würde, die dem ren sich als indisch stämmig. Rassismus wirkt, er Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1977

überhöht die eigene Gruppe und diffamiert andere. Mein Wunsch für die Zukunft ist es, dass Kinder, Dabei ist es dieser Ideologie sogar egal, wo sich die die hier in dritter und vierter Generation aufwach- eigene Gruppe in der rassistischen Hierarchie be- sen, in der Kita nicht mehr die Frage beantworten findet. Es gibt immer noch eine gesellschaftliche müssen: Woher kommst du? Denn für alle soll klar Gruppe, gegen die man sich abgrenzen muss, egal sein: Wir sind Bremer*innen, wir sind Bremerhave- ob dasselbe Schicksal geteilt wird. ner*innen. Es ist mein Wunsch, dass das rassisti- sche Verhalten – egal wo und egal von wem – hier Warum erzähle ich das? Mir ist es wichtig, aufzu- nicht geduldet wird. zeigen, dass wir das Problem nicht aus dem politi- schen Fokus verlieren dürfen. Gegenüber dem Ras- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) sismus als Geißel der Menschheit, so hat es Sena- torin Stahmann vorhin richtigerweise genannt, Mein Wunsch ist es, ein friedliches Zusammenle- müssen wir stetig wach sein. Auch wenn das fins- ben durch den Abbau rassistischer Strukturen in terste Kapitel unserer Geschichte mit der bedin- Bremen und in Bremerhaven zu fördern. In diesem gungslosen Kapitulation, der Niederlage Nazi- Land sollen sich alle erwünscht und zu Hause füh- deutschlands, vor mehr als einem Dreivierteljahr- len. Der vorliegende Antrag soll eine intensive hundert endete, so endete nicht der gesellschaftli- Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus in che Rassismus. Bremen und Bremerhaven anstoßen, uns für das Thema sensibilisieren und unsere bereits beste- Lassen Sie uns gemeinsam dem Rassismus entge- henden Bestrebungen bei der Bekämpfung von gentreten! Ein Landesaktionsplan, der Tatsache Rassismus weiter ausbauen, weiter entwickeln und sind wir uns bewusst, ist kein Allheilmittel, aber ein weiter professionalisieren. wichtiger Baustein zur Überwindung rassistischer Stereotype und rassistischen Verhaltens. Ich danke Das ist ein erster und wichtiger Schritt in die rich- Ihnen für die zugesicherte Unterstützung und ich tige Richtung. Es ist der Auftakt zu einem langen danke Ihnen für die Aufmerksamkeit! Prozess. Wir alle aber benötigen diesen Prozess, ich spreche mich selbst nicht davon frei. Nur so können (Beifall SPD, DIE LINKE) wir Rassismus verlernen, meine Damen und Her- ren! Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Görgü-Philipp das Wort. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- Ich freue mich richtig über die breite Unterstüt- nen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kol- zung. Ich habe sie von der FDP gehört, ich habe sie leg*innen! Unsere Gesellschaft, also jeder Ein- auch von der CDU gehört. – Vielen Dank! zelne, braucht ein Grundwissen über die Entste- hung, Wirkung und Funktion von Rassismus. Je (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) mehr wir uns mit dem Thema auseinandersetzen, desto besser können wir Rassismus im Keim erken- Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat nen und ihn bekämpfen. die Abgeordnete Frau Bergmann das Wort.

Die aktuelle Petition, die sich bundesweit, aber Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau auch in Bremen dafür einsetzt, dass Kolonial- und Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her- Migrationsgeschichte in den Lehrplänen der Schu- ren! Wie notwendig es ist, diese Rassismusdebatte len zentral und mit kritischer Perspektive verankert zu führen, habe ich in meinem ersten Beitrag ange- werden soll, unterstütze ich daher sehr. Heran- schnitten, und ich möchte es auch noch ein wenig wachsende müssen dazu eine umfangreiche Bil- vertiefen. dung erhalten. Die Zunahme von rassistisch moti- vierten Taten und entsprechender Gesinnung Dabei gehe ich jetzt davon aus, dass wir nicht von zeigt, wie wichtig der frühzeitige Einsatz gegen Rassismus im klassischen Sinne reden, sondern und die Aufklärung über Rassismus ist, denn wie dass hier der Begriff des Kulturrassismus gemeint wir so treffend in dem Antrag formuliert haben: war. In unserer pluralistischen Gesellschaft werden Rassismus benachteiligt nicht nur diejenigen, die wir ja nach unterschiedlicher Lebensrealität unter- ihn erleben, sondern er spaltet unsere Gesellschaft. schiedlich benannten Gruppen zugeordnet: Jeside, Transmann, reich, obdachlos, Autofahrer, Vegeta- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) 1978 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

rier, homosexuell, evangelikal, Person of Color, Po- den, sich auch unbequemen Fragen kritisch zu stel- litiker, Pole, Amerikaner, Frau – egal. Jede Zu- len. Wir sollten alles daransetzen, dass unsere viel- schreibung, die vom Gegenüber mit dem Ziel der fältige Gesellschaft aus ihrer Vielfalt profitiert und Ausgrenzung vorgenommen und mit speziellen At- nicht nach Einfalt strebt. tributen unterfüttert wird, kann tief verletzen. (Beifall FDP) Wenn nun nach dem aktuell gängigen Rassismus- modell, über das wir vorhin gesprochen haben, das, Für uns Freie Demokraten bleibt ganz wichtig, dass wie gesagt, als eines unter vielen die Dynamik zwi- wir ein starkes Ja zu einer pluralistischen Gesell- schen Menschen beschreibt, allein das Gegenüber schaft setzen, das Ja zu einer bunten Gesellschaft, definiert, was eine rassistische Äußerung ist und in der die Menschenrechte der Kompass des Mitei- sich selbst als Opfer definiert, ganz unabhängig nanders sind und Rassismus keinen Raum hat. Die- von der eigentlichen Intention des Sprechenden, ses Ziel operativ mit einem Landesaktionsplan zu dann möchte ich Sie fragen, was das für unsere Ge- unterstützen ist wichtig und folgerichtig. meinschaft, für unser gesellschaftliches Wir bedeu- tet. Daher stimmen wir den Punkten 1 und 3 und den Unterpunkten 2 a), b), c), f) und g) zu. Als Fraktion Spitzt man diesen Gedanken einmal zu, kann in ei- haben wir uns allerdings entschieden, die Punkte ner pluralistischen Gesellschaft jeder den anderen d) und e) abzulehnen. Wir wollen nicht in diesem ganz ohne eigenes Zutun zum Täter machen. Das, Ausmaß in die Selbstbestimmung von Unterneh- meine Damen und Herren, macht mir Bauchweh, men, Ressorts und Ämtern eingreifen. Wenn wir an denn es führt entweder zu einer großen Separie- einem positiven Miteinander arbeiten, trägt dieses rung oder letztlich zum Verfall der Gemeinschaft o- Wir seine Ideen auch in die Gemeinschaft der Ar- der auch zu einer großen Sprachlosigkeit, in der wir beitswelt und besondere Regelungen brauchen wir gar keine Worte mehr finden, die wir aber brau- da nicht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! chen, um unsere Gemeinschaft zu gestalten. (Beifall FDP) Dabei geht es mir nicht darum – Frau Leonidakis, ich habe da jetzt nicht in Schwarz-Weiß-Mustern Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat gedacht –, das umzudrehen, sondern unterschiedli- Frau Senatorin Stahmann das Wort. che Aspekte in unterschiedlichen Feldern ernst zu nehmen. Frau Ikram Errahmouni-Rimi wird ja bei Senatorin Stahmann: Frau Präsidentin, liebe Kolle- der Polizei Trainerin für Antirassismus werden und ginnen und Kollegen und liebe Marielle! Ein großer dafür ist dieser Ansatz sehr hilfreich, zur Sensibili- Weltbürger hat einmal gesagt – und das passt auf sierung, ja. Es gibt aber nun einmal unterschiedli- das, was Kevin Lenkeit hier eben vorgetragen hat che Sichtweisen. –: Niemand wird mit dem Hass auf andere Men- schen wegen ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft In unserem Rechtssystem liegt zum Beispiel offen- oder Religion geboren, Hass wird gelernt. Derje- sichtlich eine andere Sichtweise zugrunde. Da stel- nige sagte auch: Wenn man Hass lernen kann, len wir fest, dass in einem Rechtsstaat nicht die Ge- kann man auch lernen, zu lieben, denn Liebe ist ein sinnung einer Person geahndet werden kann und viel natürlicheres Empfinden im Herzen eines schon gar nicht die unbewusste. Nur die Handlung Menschen als ihr Gegenteil. Derjenige war der kann einer Be- und Verurteilung unterzogen wer- große Nelson Mandela. den, denn allein sie ist objektivierbar. Dennoch weiß jeder, dass auch diese Sichtweise Schwächen (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) hat, denn Dinge, die zwischen Menschen in der Luft liegen, stellen auch eine Form von Realität dar Ich finde – ich bekomme richtig Gänsehaut –, das und manifestieren sich manchmal erst zu einem ist wirklich ein bedeutendes Zitat, das er uns hin- späteren Zeitpunkt in Handlungen, manchmal terlassen hat. Demokratie muss immer wieder ge- auch nicht. lernt werden. Das ist nichts, was uns angeboren ist, sondern wir brauchen Angebote für alle Alters- Deswegen denke ich, die gesellschaftliche Diskus- gruppen, faktisch von null bis 99. sion über Rassismus, die ist einfach nicht abge- schlossen, und im Kontext der Erstellung des hier (Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) geforderten Landesaktionsplans wird es nötig wer- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1979

Es ist von großer Bedeutung, Rassismus auf politi- Eine sinnvolle Umsetzung der Maßnahmen bedarf scher und gesellschaftlicher Ebene entschieden einer vorangestellten Evaluation und systemati- entgegenzuwirken. Die Erstellung eines Landesak- scher Strukturierung bestehender Maßnahmen. tionsplans gegen Rassismus, so wie heute gefor- Der schulische Politikunterricht kann die benötigte dert, ist dazu ein geeignetes Mittel aus Sicht des Demokratieförderung nicht allein leisten, er ist Senats und auch aus Sicht des Parlamentes, wie ich wichtig, aber er kann das nun einmal nicht allein vernommen habe. In diesem Landesaktionsplan leisten. Zum einen werden Angebote der politi- können die zukünftigen Leitlinien zur Bekämpfung schen Bildung in einem breit gefassten inhaltlichen von Vorurteilsstrukturen, Ausgrenzung und Ge- Rahmen in Fächerkombinationen unterrichtet, wie walttaten gebündelt werden. Deswegen hat die Se- in Bremen zum Beispiel im Fach Gesellschaft und natorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration Politik, in dem neben Politik im engeren Sinne und Sport im Vorgriff auf den kommenden Be- auch Geografie und Geschichte mit abgedeckt schluss der Bürgerschaft, der ja gleich erfolgen werden, wobei der tatsächliche Anteil der politi- wird, Ende Juli schon alle verantwortlichen Res- schen Bildung am Unterricht nicht immer genau sorts angeschrieben und zu einem ersten Treffen feststellbar ist. eingeladen, um keine Zeit zu verlieren. Darüber hinaus ist auch rein quantitativ der relativ Der Landesaktionsplan soll die teilweise schon geringe Umfang in den Bildungsplänen zu beach- weitgehend bestehenden Strukturen aufgreifen ten, der vielfach nicht verpflichtend ist. Auch dar- und ressortübergreifend bündeln und weiterentwi- über hat die Bremische Bürgerschaft in der Vergan- ckeln. Diese Intention begrüße ich außerordentlich, genheit schon diskutiert. Weiterhin müssen die An- und die breite Beteiligung der zivilgesellschaftli- gebote der Demokratiebildung insbesondere auch chen Akteure des Bremer Rats für Integration, der in den gesellschaftlichen Teilbereichen und Schul- migrantischen Selbstorganisation, der Religionsge- formen mindestens in gleichem Umfang angeboten meinschaften, der Wissenschaft und der Wirtschaft werden, wie es bereits in den weiterführenden ist ebenso zu begrüßen. Schulformen wie den Gymnasien und den Ober- schulen umgesetzt wird, also auch in Berufsschulen Ich möchte aber noch einmal die Gelegenheit nut- und in Förderschulen. Wir brauchen auch alters- zen, dieses Thema einzuordnen, weil in den west- entsprechende Angebote in den Kitas. lichen Demokratien immer mehr Anzeichen einer Demokratiekrise auftreten. Das hatte jüngst auch Damit können gezielt Bevölkerungsgruppen er- Wolfgang Schäuble anlässlich des 30-jährigen reicht werden, bei denen eine zunehmende Politik- Mauerfall-Jubiläums gesagt und daran erinnert, und Demokratiedistanz sowie auch unterdurch- dass wir für unsere Demokratie etwas tun müssen, schnittliche gesellschaftliche und politische Partizi- dass wir einen zunehmenden Einfluss von rassisti- pation erkennbar sind. In diesem Zusammenhang schen, rechtspopulistischen, extremistischen und ist auch die Frage zentral, wie Angebote schuli- menschenrechtswidrigen Deutungsmustern haben, scher und außerschulischer Demokratiebildung dass es auch Indizien für eine schwindende Demo- nachhaltiger koordiniert und vernetzt werden kön- kratieunterstützung gibt. nen. In den öffentlichen Debatten über die Rele- vanz der Demokratiebildung ist ein weitreichender Demokratiebildung beziehungsweise Demokra- Konsens über das Warum der Demokratiebildung tieförderung werden inzwischen nicht mehr nur in erkennbar. Es gibt aber bisher nur wenige Ansätze bildungspolitischen Fachkreisen als ein zentraler dazu, wie eine sinnvolle Umsetzung im Rahmen Eckpfeiler zur Bekämpfung von Problemlagen de- der bestehenden Bildungsinstitutionen koordinier- mokratischer Systeme betrachtet. Vielfach werden ter und nachhaltiger gelingen kann. auch der Ausbau und die Erweiterung bestehender Maßnahmen in diesem Handlungsfeld gefordert. Herr Flißikowski hat zu Recht darauf hingewiesen, Demokratiebildung beziehungsweise -förderung, dass wir in Bremen stolz darauf sein müssen, dass insbesondere in den formalen Bildungsinstitutio- wir das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule nen, innerhalb derer alle erreicht werden können, mit Courage“ mit großem Erfolg umsetzen und bieten aus unserer Sicht gute Gelegenheiten der dass zum Beispiel die Oberschule am Waller Ring Prävention rassistischer und extremistischer Ein- den Förderpreis der Kinder- und Jugendförderung stellungen, Orientierungen und Verhaltensmuster. für ein herausragendes Projekt bekommen hat, das Rassismus und Diskriminierung entgegentritt. Wir brauchen mehr dieser Initiativen. Dies sind nur ei- nige Punkte und Ansätze, die zur Einordnung und 1980 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

zum Verständnis für einen Landesaktionsplan von Stimmenthaltungen? Bedeutung sind. (FDP) Ich möchte an dieser Stelle den Landesaktionsplan gegen Rassismus aber auch nicht vorwegnehmen. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt Ich bin insofern gespannt, was wir gerade unter den Ziffern 2d und 2e des Antrags zu. breiter Beteiligung aller relevanten Akteure am Ende erarbeiten werden. Alle sind sehr interessiert Jetzt lasse ich über die übrigen Ziffern des Antrags an dieser Arbeit, das kann ich hier auch noch ein- abstimmen. mal vortragen. Ich wünsche mir einfach für die kleine Marielle, die ja hier im Parlament sitzt, dass Wer den übrigen Ziffern seine Zustimmung geben sie erlebt, dass wir es in Bremen schaffen, dem Ras- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. sismus, den wir auch im Alltag wahrnehmen, den wir auch hören, Einhalt zu gebieten, um das umzu- (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE setzen, was uns Nelson Mandela als ein großes LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD]) Wort hinterlassen hat. Ich bitte um die Gegenprobe. Vielen Dank für die Debatte, vielen Dank für den Antrag! Wir freuen uns auf die inhaltliche Arbeit (Dagegen M.R.F.) zusammen mit den Parlamentariern und den Inte- ressensorganisationen. – Vielen Dank! Stimmenthaltungen?

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Die Bürgerschaft (Landtag) stimmt den übrigen Zif- fern des Antrags zu. Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Bergmann das Wort. „Digitales Gesamtkonzept Schule“ für Bremen und Bremerhaven Abgeordnete Bergmann (FDP): Frau Präsidentin! Antrag der Fraktion der FDP Da gibt es jetzt eigentlich nichts mehr hinzuzufü- vom 17. Juli 2020 gen. Ich wollte nur noch einmal sagen, dass ich (Drucksache 20/554) mich vorhin vertan habe. Wir enthalten uns als Fraktion bei den Punkten 2 d) und e), wir stimmen Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. nicht dagegen. Ansonsten stimmen wir ganz zu. – Bogedan. Vielen Dank! Die Beratung ist eröffnet. Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- gen liegen nicht vor. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Prof. Dr. Hilz. Die Beratung ist geschlossen. Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Frau Präsiden- Wir kommen zur Abstimmung. tin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Di- gitalisierung ändert alles und im Bildungssystem ist Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden. es, glaube ich, eine der größten Reformen, die wir in der Geschichte der Bundesrepublik begleiten Ich lasse zunächst über die Ziffern 2d und 2e des dürfen, können und auch unbedingt müssen. Wir Antrags abstimmen. haben durch die Coronapandemie tatsächlich eine Beschleunigung der Reformen erfahren müssen. Wer den Ziffern 2d und 2e seine Zustimmung ge- Der Grund ist kein schöner, aber man kann auch ben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. das Positive sehen, es geht hier plötzlich in riesigen Schritten voran. Wir als Freie Demokraten haben (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE bereits lange vor der Coronapandemie gesagt, dass LINKE, Abgeordneter Beck [AfD]) mehr Geschwindigkeit nötig ist, um die Bildung endlich in das 21. Jahrhundert zu führen. Ich bitte um die Gegenprobe. Die Digitalisierung schafft zum einen eine Vorbe- (Dagegen M.R.F.) reitung auf die tatsächliche Lebensrealität, die in Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1981

vielen Schritten weiter ist, als das, was bisher in Möglichkeiten bietet, müssen wir noch weiterkom- Schule passiert ist. Zum anderen dient sie als men, moderner werden und das Ganze neu struk- Chance, Unterschiede auszugleichen. Gerade den turieren. Unterschied, der so ungerecht ist, die Herkunft. In keinem Bundesland ist der Bildungserfolg so ab- (Beifall FDP) hängig vom Elternhaus wie in unserem Bundesland Bremen. Das ist beschämend und daran müssen wir Kurz gesagt: Wir stehen, was die Digitalisierung alle gemeinsam arbeiten. Die Digitalisierung der angeht, erst am Anfang der großen Reform im Bil- Bildung bietet hierfür eine große Chance. dungssystem. Es lohnt sich, diesen Weg beherzt und gemeinsam weiter zu gehen und in diesem Zu- (Beifall FDP) sammenhang zu definieren, dass die Digitalisie- rung ein Schritt ist, Chancengleichheit zu errei- Deswegen sind wir der Meinung, man muss die Di- chen, Ungerechtigkeiten abzuschaffen und im Bil- gitalisierung umfassender betrachten, als Gesamt- dungssystem individualisierter und gleichzeitig ef- konzept. Wir haben bereits viele wichtige Schritte fizienter zu werden, damit diejenigen, die in die auf den Weg gebracht, Frau Senatorin Bogedan hat Schulen gehen und in die Schulen kommen, eine ohne Zweifel in den letzten Monaten hart daran ge- echte Lebenschance haben wie alle anderen, die arbeitet, dass die Digitalisierung in die Schulen im Klassenraum sitzen. – Vielen Dank! Einzug erhält. Digitalisierung ist aber mehr als nur Endgeräte, sondern es gehören Lehrkonzepte (Beifall FDP) dazu. Es gehört die Verankerung, das fordern wir in unserem dritten Punkt, die Verankerung in den Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin Rahmen der Lehrpläne dazu. Es gehört dazu, dass hat das Wort die Abgeordnete Bredehorst. Leistungen, die im Rahmen digitaler Bildung, auch im Distanzunterricht, erbracht werden auch in die Abgeordnete Bredehorst (SPD): Sehr geehrte Frau Leistungsbewertung Einzug halten. Es gehört Präsidentin, liebe Kolleginnen! Ich bin ganz froh, dazu, dass wir uns um den IT-Support, wie es neu- dass die FDP heute wieder einmal über Digitales an deutsch heißt, mir fällt gar kein deutsches Wort da- sich und Digitales an Schule diskutieren will. Das für ein, den IT-Support, Gedanken machen. gibt mir die Gelegenheit, darüber zu reden, was die Koalition und die Bildungsbehörde seit dem Jahr Wir haben zukünftig an jeder Schule gleichzeitig 2014 so auf den Weg gebracht haben. hunderte, an einigen Schulen tausende Geräte im Einsatz. Das braucht Unterstützung bei den Gerä- Ja, genau, die Bildungswelt hat sich verändert, ten, das braucht Unterstützung bei der Infrastruk- aber nicht erst seit gestern, sondern Bremen hat tur, der WLAN-Infrastruktur, der LAN-Anbindung sich bereits 2014 auf den Weg gemacht, die Lern- und bei den Softwareprodukten, die genutzt wer- plattform itslearning als erstes Bundesland zu in- den. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Support stallieren. Ausgelegt auf dieser Lernplattform wird berücksichtigen und aus unserer Sicht sind infor- seitdem Lernmaterial entwickelt und digital didak- mationstechnische Assistenten ein wichtiger Bau- tische Kenntnisse vermittelt. Zugegeben, durch die stein. Neben dem klassischen, physikalischen Pandemie, das hat Herr Professor Hilz auch gerade Hausmeister, der die Tür repariert, wenn sie aus gesagt, haben die Ereignisse eine rasante Entwick- den Angeln hängt, brauchen wir den digitalen lung genommen und sie könnten, wenn wir etwas Hausmeister, der in diesen Fragen vor Ort Lösun- Gutes an der Pandemie finden wollten, sagen, dass gen präsentieren kann. der Aufbau digitaler Strukturen mit Siebenmeilen- stiefeln voranschreitet und auf einem ziemlich gu- (Beifall FDP) ten Weg ist.

Als zweiten Punkt, jetzt in meiner Rede ist es der (Beifall SPD, DIE LINKE) dritte Punkt, haben wir die Weiterentwicklung der itslearning-Plattform zu einem echten Cloudsys- Das kann man einmal kurz feiern, aber die Bemü- tem, was einen Gesamtdatenaustausch und die hungen müssen unverdrossen weitergehen und Weitergabe von Software erlaubt, damit alle auf das tun sie auch. Daher komme ich jetzt zu Ihrem dem gleichen Stand sind. Ich glaube, neben der Antrag, liebe FDP: Zu Ihrer ersten Forderung in Ih- durchaus guten Plattform itslearning, die viele rem Antrag lässt sich sagen, Sie fordern, dass wir ein technisches Support-System an jeder Schule aufzubauen haben, aber das ist in der Sache nicht 1982 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

nötig. Sie wissen, heutzutage wartet man diese Ge- Auch beim dritten Punkt sehe ich wirklich keine räte komplett zentral, es braucht nicht jede Schule Forderung, über die man reden müsste. Sie reden einen eigenen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin hier von einheitlichen Softwarepaketen. Gerade dafür. Insbesondere sind die gekauften iPads sehr das ist es doch, das wir in der Deputation vorge- wartungsarm. stellt bekommen haben. Wir haben den Medien- entwicklungsplan, den Orientierungsrahmen Bil- (Lachen, Unruhe FDP) dung in der digitalen Welt und natürlich werden die Bildungspläne für die einzelnen Fächer ent- Zudem ist im Angebot des Herstellers ein Support sprechend überarbeitet. Gerade gibt es einen Pilo- für fünf Jahre enthalten und sie sind aus der Ferne ten digitales Curriculum an der Oberschule Ober- zu administrieren. Die besagte Herstellerfirma hausen, Entschuldigung Habenhausen. empfiehlt Technikerinnen und Techniker für den Support für 300 000 iPads. Die Bildungsbehörde (Heiterkeit CDU – Zuruf Abgeordneter Prof. Dr. plant meines Wissens einen Administrator oder Hilz [FDP]) eine Administratorin für 4 500 Endgeräte. Worauf Sie bei Ihrer Forderung leider nicht eingehen, ist Das haben wir letzte Woche in der Deputation ge- die Tatsache, dass Sie die Unterstützung vor Ort hört. Dass wir unterschiedliche Apps für die ver- vielleicht für die eine oder andere Lehrerin brau- schiedenen Schulstufen brauchen, die dann auch chen, aber auch besonders für die Schülerinnen. verbindlich sind, ja, natürlich ist das so. In der Das haben wir aber in der letzten Deputationssit- Grundstruktur muss es aber eine einheitliche Soft- zung bereits als SPD deutlich gesagt, den Bedarf warestruktur sein. Das ist auch so. Schön, dass wir sehen wir auch. uns da einig sind. Sie haben sicherlich schon her- ausgehört, dass wir Ihren Antrag ablehnen, nicht Es wurden dafür Stellen im jetzigen Haushalt ein- weil er gedanklich schlecht ist, sondern einfach nur gestellt und im DigitalPakt Bremen sind mittler- überflüssig, weil das, was Sie beschreiben, bereits weile eine Reihe von Zusatzvereinbarungen mit Er- gemacht wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksam- weiterungen unterzeichnet worden, zum Beispiel keit! für den Lerncontent, also Einkauf von Software o- der digitalen Schulbüchern, über digitale Endge- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) räte, aber auch zur Administration. Das heißt, Per- sonalressourcen werden künftig auch über den Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin Bund finanziert, hier wird es an die fünf Millionen hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge. Euro für Bremen geben, so circa zwölf Stellen jedes Jahr über vier Jahre. Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Zu Punkt zwei: Da fordern Sie aus meiner Sicht et- Coronapandemie hat die Schulen vor große Her- was, obwohl wir doch schon längst viele Schritte ausforderungen gestellt. Von heute auf morgen weiter vorangeschritten sind und das müssten Sie musste im März der Unterricht auf Distanzlernen eigentlich anhand der Diskussionen der letzten umgestellt werden und dazu gehörte vor allem, Monate mitbekommen haben. Auch während der dass auf einmal weite Teile des Unterrichts digital Coronadebatte haben wir doch darüber diskutiert, stattfinden mussten. Das Bundesland Bremen war dass unsere Plattform itslearning schon sehr weit auf diesen Moment deutlich besser vorbereitet als entwickelt ist und wir sie auch noch weiter entwi- viele andere Bundesländer. Die Internetanbindung ckeln, dass wir darüber unterschiedliche Lernmög- der Schulen ist hier trotz aller Probleme, die auch lichkeiten, aber auch die Möglichkeiten von Chats, wir beim WLAN-Ausbau haben, besser vorange- Videokonferenzen innerhalb von Gruppen, Klas- schritten. Insbesondere aber die einheitliche Lern- sen und Einzelgespräche gegeben sind. Man kann plattform itslearning für alle Schulen hat sich als sogar auch eigene Daten ablegen. Außerdem ha- sehr positiv erwiesen. Dennoch, im März und April ben wir letzte Woche in der Deputation gehört, dass mussten von den Schulen auf dieser Grundlage geplant ist, neben itslearning weitere Cloud-Struk- sehr schnell improvisiert werden. Seitdem hat es turen aufzubauen und dass derzeit Dropbox-Pilo- aber erhebliche Bemühungen vonseiten des Senats ten an drei Schulen laufen. Sorry, aber Sie versu- gegeben, das digitale Lernen zu systematisieren, chen hier eine künstliche Diskussion aufzubauen, die Ausstattung zu verbessern und die Lehrkräfte die keiner braucht. zu schulen.

(Beifall SPD, DIE LINKE) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1983

Herr Professor Hilz, Sie haben es gerade selbst ge- und sich kein Endgerät oder den Internetzugang sagt, es geht in großen Schritten voran. Im Juli hat leisten kann, bleibt außen vor. Deshalb ist es so der Senat beschlossen, alle Lehrerinnen und Leh- wichtig und richtig, dass der Senat zuerst an den rer, alle Schülerinnen und Schüler sowie das sons- Schulen der Sozialstufe vier und fünf mit der Ver- tige pädagogische Personal mit Tablets auszustat- teilung der Tablets beginnt. Deswegen ist es aber ten. Das war ein Meilenstein. Dieses ambitionierte auch unbedingt notwendig, dass wir auf Bundes- Programm hat sonst kein anderes Bundesland ge- ebene zu einer Lösung kommen, dass der Breit- startet. bandzugang zu einer Regelleistung im Sozialleis- tungsbezug wird. Hier wird ja im Bund zurzeit eine (Beifall SPD) Lösung vorbereitet, das Bildungs- und Teilhabepa- ket entsprechend zu erweitern. Dieser Vorgang Vor diesem Hintergrund muss man feststellen, dass muss dringend beschleunigt werden, um einen un- der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion einfach bürokratischen Zugang zum Internet für alle Kin- nicht mehr aktuell ist. Seit Juli, als der Antrag ein- der und Jugendlichen zu sichern. gereicht wurde, ist so viel geschehen, dass er ein- fach von der Zeit und den genannten Beschlüssen (Beifall DIE LINKE, SPD) überrollt wurde. Dazu kommt noch, dass es inzwi- schen auch verschiedene Vereinbarungen zwi- Unabhängig von dieser Frage, die auf Bundes- schen dem Bund und den Ländern zur Digitalisie- ebene zu klären ist, sehe ich die Bremer Schulen rung an Schulen gibt, die im Antrag auch noch insgesamt digital erheblich besser aufgestellt als im nicht berücksichtigt wurden, die aber auch die Be- März. Wenn es jetzt zu temporärem Distanzunter- dingungen noch einmal deutlich verändert haben. richt für einzelne Kohorten kommt, kann die Um- Insbesondere der zweite und dritte Beschlusspunkt stellung hierauf erheblich besser erfolgen und so Ihres Antrags dürfte sich damit erledigt haben. Den etwas schafft die rot-grün-rote Koalition ganz von geforderten Rahmenplan für digitale Lehre haben allein, dafür braucht es keinen Antrag der FDP. – wir gerade letzte Woche in der Deputation für Kin- Herzlichen Dank! der und Bildung besprochen und die zur Verfü- gung stehende Lernsoftware ist über itslearning (Beifall DIE LINKE, SPD – Abgeordneter Dr. vom und die anstehende Versorgung mit iPads noch Bruch [CDU]: Allerdings offensichtlich nur auf Kos- einmal deutlich erhöht und vereinheitlicht worden. ten des Bundes!)

Dann bleibt noch der erste Punkt Ihres Antrages Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin und über die Frage der Administration der Geräte hat das Wort die Abgeordnete Averwerser. an Schulen lohnt es sich natürlich weiter nachzu- denken. Auch ich bin mir nicht abschließend si- Abgeordnete Averwerser (CDU): Sehr geehrte cher, ob die bisher veranschlagten Stellen mittel- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dass fristig reichen werden, um hier die erforderliche wir das naturgemäß ein bisschen anders sehen, ist Infrastruktur und Wartung zu gewährleisten. Dann nicht verwunderlich. Ganz ehrlich, ich habe auch aber als Gegenreaktion, wie Sie es machen, wiede- gehofft, als ich diesen Antrag im Sommer bekom- rum für jede Schule eine ganze Stelle zu fordern, men habe, dass wir heute nicht noch einmal über das halte ich dann doch für deutlich überdimensio- diese Rahmenbedingungen diskutieren müssen, niert. Wir sollten hier erst einmal abwarten, welche denn, wie schon erwähnt, hat der Senat am 7. Juli zusätzlichen Mittel der Bund für administrative ein Millionenprogramm zur Bereitstellung von IT- Aufgaben den Schulen zur Verfügung stellen wird. Infrastruktur an Schulen im Land Bremen auf den Das ist derzeit in der Aushandlung. Wenn wir das Weg gebracht. wissen, müssen wir diese Frage noch einmal neu bewerten. Im Beschlusspunkt wurde dabei deutlich, ich zi- tiere: „Der Senat beschließt, alle Schülerinnen und (Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Wieso ist das Schüler mit digitalen Endgeräten auszustatten und denn Aufgabe des Bundes?) bittet die Senatorin für Kinder und Bildung in Ab- stimmung mit dem Senator für Finanzen einen Unabhängig von dem Antrag der FDP möchte ich Fachqualifizierungssupport und ein Finanzierungs- beim Thema Digitalisierung einen Punkt noch ein- konzept unter Rückgriff auf den Bremen-Fonds bis mal besonders betonen, denn der ist besonders zum 29. September 2020 vorzulegen.“ wichtig. Digitalisierung, wie wir sie im März und April erlebt haben, ist ausgrenzend. Wer arm ist 1984 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Ich dachte damals, es wäre sehr schön, wenn es Lehrkräfte und Schüler, der jederzeit eine schnelle endlich einmal gelingen würde, diesen wichtigen und reibungslose Anmeldung gewährleistet, ge- Baustein personell, inhaltlich und finanziell abzu- hört für uns dazu. Das bedeutet aber nicht, dass runden und die Umsetzung von Präsenz- und Fern- jede kleine Schule einen Assistenten benötigt. unterricht auf einen schnellen und guten Weg zu bringen. Aber, weit gefehlt, am 30. September Dennoch gilt, dass die breit angelegte Ausgabe von habe ich in der Deputation für Kinder und Bildung mobilen Endgeräten, das Vorhandensein von nachgefragt, was denn nun mit diesem Konzept sei schnellem Internet, datenschutzkonforme Video- und auf Seiten der Senatorin war man einigerma- konferenzen und so weiter, keinesfalls automatisch ßen erstaunt, dass man eigentlich schon hätte lie- mit einer inhaltlich verbesserten Qualität des bre- fern sollen. mischen Bildungssystems gleichzusetzen sind. Ge- lungener Distanzunterricht richtet sich nicht aus- Dabei liegen die notwendigen Voraussetzungen schließlich an der Technik aus und nicht derjenige auf der Hand und lassen sich der Senatsvorlage ist zukünftig der beste Lehrer, der die Technik am vom 7. Juli auch gut entnehmen. Dort wird von der besten beherrscht, sondern derjenige, der mit die- Ausstattung der Lehrkräfte bis hin zu den Schüle- ser Technik die Fachthemen in eine ansprechende rinnen und Schülern mit mobilen Endgeräten ab Didaktik umsetzen kann und jede Schülerin und je- September bis Dezember 2020 gesprochen. Dann den Schüler erreicht. wäre dies erledigt. Dort wird auch über den not- wendigen technischen Support und die Qualifizie- (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Genau! Das findet rung der Lehrkräfte und der Schüler gesprochen doch auch statt!) und es ist alles mit geschätzten Vollzeitstellen hin- terlegt und ausnahmsweise ist auch der Topf der Nein! Bremen hatte als eines der wenigen Bundes- Finanzierung genannt. länder zu Beginn der Pandemie tatsächlich den kleinen Vorteil, landesweit eine installierte Lern- Wäre besagtes Konzept schon vorgelegt worden, plattform zu haben. bräuchten wir in der Tat über diesen Antrag der FDP überhaupt nicht reden, denn die Sache wäre (Abgeordnete Krümpfer [SPD]: Klein? Das ist ein erledigt. Das ist aber nicht der Fall. Das Konzept großer Vorteil!) liegt uns nicht vor. Ich frage Sie daher, Frau Sena- torin Dr. Bogedan, woran liegt es, dass dieses Kon- Nun haben wir als erstes, wenn auch kleinstes Bun- zept noch nicht einmal teilweise vorliegt? Mit einer desland, demnächst hoffentlich wirklich alle Lehr- öffentlichkeitswirksamen Verteilung von iPads ist kräfte und Schüler mit mobilen Endgeräten ausge- es leider nicht getan. stattet. Dennoch schaffen wir es wieder einmal nicht, die eigentlich guten Rahmenbedingungen, (Beifall CDU) die wir infrastrukturell haben, zu nutzen. Die über- all gelobte Lernplattform itslearning steht zwar be- Nun kommt der für die Umsetzung eines verzahn- reits seit 2014 bereit, das stimmt, aber sie wurde ten Fern- und Präsenzunterrichts entscheidende mitnichten flächendeckend und schon gar nicht Teil, nämlich eine schnelle Qualifizierung des pä- verbindlich genutzt. dagogischen Personals, denn nur durch die opti- male Nutzung digitaler Lerninhalte kann das Ziel (Beifall CDU) der Entlastung der Lehrkräfte auch gelingen. Das fördert dann auch die Akzeptanz. An eine Vereinbarung zwischen der Behörde, dem Personalrat und den Schulen, dass man mindestens (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Die Lehrer*innen einmal in der Woche hineinschauen muss, das werden aber doch fortgebildet. Was erzählen Sie reicht aber dann im Zweifel auch, haben sich in der denn da?) Zeit sehr viele Lehrkräfte gehalten. Berechtigter- weise mit der Begründung, dass man von der Bil- Die Bereitstellung eines Content-Management- dungsbehörde kein Endgerät zur dienstlichen Nut- Systems – ich glaube, hier gibt es auch teilweise zung zur Verfügung gestellt bekommen hatte. unterschiedliche Vorstellungen von der Definition von bestimmten Dingen –, auf das jede Lehrkraft Nun gibt es diese mobilen Endgeräte für alle Leh- zugreifen kann, gehört bei uns selbstverständlich rer und man könnte eigentlich davon ausgehen, dazu. Das haben wir nämlich noch nicht. Ein aus- dass zwischenzeitlich auch diese Vereinbarung mit reichend ausgestatteter technischer Support für Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1985

dem Personalrat und den Schulen zur verbindli- diese neu geschaffene digitale Infrastruktur auch chen Nutzung von itslearning geschlossen wurde. wirklich unmittelbar dringend gebraucht wird. Bei der medienwirksamen Inszenierung der Aus- gabe der ersten iPads an Lehrkräfte hat die Sena- Natürlich gehört auch dazu, dass ein Großteil der torin durchaus den Eindruck erweckt, als sei dies Lehrkräfte weiter- und fortgebildet werden muss, reine Formsache und Teil der Vereinbarung. um die Endgeräte sinnvoll im Unterricht einbezie- hen zu können und die Unterrichtspraxis den (Glocke) neuen Voraussetzungen anzupassen. Dem sind das Bildungsressort und das LIS auch nachgekommen Ich komme später noch einmal an das Rednerpult. – anders als einige hier behauptet haben –, indem – Vielen Dank! die Qualifizierungsangebote tatsächlich ausgebaut wurden. (Beifall CDU) (Beifall SPD) Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan. Es freut mich auch zu sehen, wie stark die Online- kurse von den Lehrkräften im Land nachgefragt (Abgeordnete Krümpfer [SPD]: In der Deputation und genutzt werden. Das zeigt, welch digitale Auf- haben wir das aber diskutiert!) bruchstimmung aktuell in der Bremer Bildungs- landschaft vorhanden ist. Natürlich gilt es jetzt, da- Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): rauf weiter aufzubauen und die Qualifizierungsan- Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen gebote zu erweitern. Zu diesen Qualifizierungsan- und Herren! Die Coronapandemie stellt uns alle vor geboten gehören neben medienpädagogischen große Herausforderungen und wir alle wissen, dass Kompetenzen auch grundlegende didaktische Fä- dies insbesondere auch für unser Bildungssystem higkeiten im Präsenz- und Distanzlernen mit mobi- gilt. Das betrifft unsere Schulen, die Bildungsbe- len Endgeräten und die Verzahnung dieser mit den hörde, das Landesinstitut für Schule und in ganz fachdidaktischen Anforderungen und Vorgaben besonderem Maße natürlich auch unsere Schüler der einzelnen Fächer. Klar ist dabei, dass die digi- und Schülerinnen, ihre Eltern und die Lehrkräfte. tale Lehre ein neues didaktisches Werkzeug unter Distanzunterricht, Hybridunterricht und Regelbe- vielen ist, das die Unterrichtung der Lehrpläne un- trieb unter Pandemiebedingungen verlangen allen terstützt und eine besondere Bedeutung in dieser an Schulen Beteiligten eine ganze Menge ab, ins- Pandemie hat, aber nicht der Hauptzweck selbst besondere auch mit Blick auf die Chancengerech- ist. Die bisherige Methodik und Didaktik muss um tigkeit. Darauf sind Sie ja auch, Herr Professor Hilz, dieses Element ergänzt werden, zentral bleibt der eingegangen. direkte Unterricht der Lehrkräfte mit den Kindern.

Die Pandemie hat allerdings auch einen Digitalisie- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) rungsschub zur Folge gehabt, der neben den zahl- reichen Herausforderungen auch eine große In der letzten Woche – und das möchte ich noch Chance für die Bildung in diesem Bundesland über einmal deutlich sagen und Bezug nehmen auf die Zeit von Corona hinaus bietet. Alle Lehrkräfte meine Kolleginnen aus der Koalition – haben wir in haben Tablets bekommen und bis Ende des Jahres der Deputation für Kinder und Bildung den bremi- sollen auch alle Schüler und Schülerinnen, begin- schen Orientierungsrahmen für digitale Bildung nend mit den benachteiligten Kindern und Jugend- debattiert. Dieser Orientierungsrahmen zeigt sehr lichen, mit Tablets ausgestattet werden. Dies ist gut auf, welche Mindestanforderungen an die zum einen von großer Bedeutung, um die Unge- Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen zu rechtigkeit zwischen privilegierten und unprivile- welchem Zeitpunkt in der Schullaufbahn erreicht gierten Schülern und Schülerinnen beim Distanz- sein müssen. Der Rahmen bietet den Lehrkräften lernen ein Stück weit abzumildern, zum anderen auch eine gute Orientierung und verdeutlicht auch, ermöglicht es einen flüssigeren Übergang zwi- welche Aspekte im Unterricht abgedeckt werden schen Distanz-, Hybrid- und Präsenzunterricht. müssen. Wie enorm wichtig das ist, haben die letzten Mo- nate mehr als deutlich allen vor Augen geführt. Der Lieber Herr Professor Hilz, wir haben den techni- leider wieder aktuell starke Anstieg der COVID- schen Support für Schulen auch nicht vergessen, 19-Fälle in Bremen und die Anzahl der Jahrgangs- ich möchte daran erinnern, dass wir im Doppel- kohorten, welche in Quarantäne sind, zeigen, dass 1986 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

haushalt 2020/2021 28 Stellen für eben diesen Sup- und wichtig. Ich komme jetzt auch noch einmal da- port an Schulen finanziert haben. Für uns ist klar, rauf zurück: Bei der medienwirksam inszenierten dass dies unter den aktuellen Entwicklungen nur Ausgabe der ersten iPads an Lehrkräfte hatte die ein Anfang sein kann. Diese Stellen müssen aber Senatorin den Eindruck erweckt, als sei das mit auch erst einmal besetzt werden; Sie wissen, wie dem Personalrat und der dauerhaften itslearning- schwer das alles ist. Perspektivisch ist ein weiterer Nutzung alles schon in Sack und Tüten. Das war es Ausbau des Support-Systems auch notwendig, al- aber nicht. Sie wissen das genau, das haben wir in lerdings sind wir da längst auf dem richtigen Weg. der Deputation nämlich nachgefragt und es war Eines Antrages seitens der FDP, lieber Herr Profes- eine der letzten Fragen. Die Senatorin war einiger- sor Hilz, brauchen wir als Koalition nicht. maßen überrascht, als ihr die Personalratsvorsit- zende in die Parade gefahren ist und gesagt hat: (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) Liebe Senatorin, liebe Deputierte, es ist nichts un- terschrieben. Da waren wir doch einigermaßen Die Qualitätsentwicklung der digitalen Lehre an überrascht, denn die Erwartungen sind nicht nur Schulen sollte aus unserer Sicht ein Zusammen- bei den Eltern hoch, sondern auch bei uns Abge- spiel zwischen technischem Support von außen ordneten und auch beim Senat, weil genau das und didaktischer Entwicklung von innen sein. Da- steht nämlich auch in dem Senatsbeschluss. Das für müssen mittelfristig auch die Ressourcen für die sollte bis zum 29. September erledigt sein. Lehrkräfte, die diese Entwicklung an ihren Schulen vorantreiben, geschaffen beziehungsweise erwei- Der Personalrat Schulen soll unbedingt prüfen, was tert werden, damit sichergestellt wird, dass tech- er da zu unterschreiben hat. Ich kann aber für nisch umgesetzt wird, was dann in der jeweiligen meine Fraktion sagen, dass wir schon erwarten, Schule für den Unterricht auch wirklich gebraucht dass das jetzt relativ zügig und verbindlich erfolgt, wird. Das kann an den einzelnen Schulen durchaus sonst geht das tatsächlich mit der Senatorin nach unterschiedlich sein und sich im Laufe der Jahre Hause, und ich fände es schade, denn man be- ändern. kommt ja schon mit, welches Engagement an der Stelle im Raum steht. Es wäre für alle eine herbe Meine Damen und Herren, zum Schluss ist zu sa- Enttäuschung und im Außenverhältnis fast nicht gen, dass insgesamt ordentlich Zug in der Entwick- mehr darstellbar, wenn der Personalrat und die Se- lung der digitalen Lehre an den Schulen in Bremen natorin beziehungsweise die Behörde sich nicht und Bremerhaven steckt. Dass nicht alles sofort schnellstmöglich darauf einigen könnten, diese perfekt läuft, ist glaube ich allen klar. Die Richtung Nutzung wirklich verbindlich zu machen. Denn wir aber stimmt, und das gilt auch für die Geschwin- sind immer noch in der Nutzung von vor März digkeit. Manchmal brauchen die Dinge eben auch 2020. etwas Zeit, damit sie wirklich gut laufen. Ihren An- trag werden wir ablehnen. – Ich bedanke mich für (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Frau Dr. Bogedan die Aufmerksamkeit! wird das sicher gleich aufklären!)

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) Und in der Zeit von 2014. Also wir sind stehenge- blieben. Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Averwerser. (Beifall CDU – Abgeordnete Krümpfer [SPD]: Ich habe das anders verstanden!) Abgeordnete Averwerser (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen! Ich möchte jetzt Ja, das ist auch genau Ihr Problem, Frau Krümpfer. wirklich noch einmal auf diese Lobhudelei einge- hen, wie gut hier alles gelaufen ist. Es hätte schon Sehr geehrte Damen und Herren, wie ich eingangs viel früher viel besser laufen können. schon sagte: Ich könnte mir nicht vorstellen, dass es der Bildungsbehörde aufgrund der hohen finanzi- (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Hätte, hätte, Fahr- ellen Möglichkeiten, die wir haben, nicht gelingt, radkette!) erstens gegenüber dem Personalrat deutlich zu ma- chen, dass die Nutzung von itslearning jetzt wirk- Ich habe gesagt, die Senatsvorlage ist nicht erfüllt lich verbindlich zu machen ist, und zweitens, dass worden. Darin ist alles, was man eigentlich sie es mit ihrem Koalitionspartner nicht hinbe- braucht. Und Geld ist im Moment scheinbar dafür kommt, die finanzielle Sicherstellung der notwen- da. Das finde ich an der Stelle auch wirklich richtig Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1987

digen Maßnahmen für eine nachhaltig, erfolgrei- deutlich gemacht: Wir haben noch einige Missver- che Nutzung der digitalen Medien in den Schulen ständnisse auszuräumen. Tatsächlich ist meine in Bremen und Bremerhaven zu erarbeiten und si- Haltung zu dem Thema eine deutlich andere, als cherzustellen. Das ist nämlich auch ein Ergebnis das in den letzten Redebeiträgen deutlich gewor- davon, dass die Senatsvorlage nicht umgesetzt den ist. wurde. Für mich steht das, was wir im Rahmen der Be- (Beifall CDU) kämpfung der Folgen der Coronapandemie im Hinblick auf die Digitalisierung von Schulen ge- Auch wenn der Antrag der FDP-Fraktion uns viel- macht haben, in einem einheitlichen und logischen leicht nicht in allen Punkten entgegenkommt – wir Zusammenhang aller Entscheidungen, die wir seit finden, er geht absolut in die richtige Richtung, was Einführung der Plattform itslearning konsequent ich zugegebenermaßen nicht erwartet hätte, weil Jahr für Jahr, auch gemeinsam mit diesem Parla- ich mir schon gewünscht hätte, dass wir den ment, getroffen haben. Schwung, den wir hatten, weiter genutzt hätten, und ich habe einfach die Angst, dass wir wieder da Ein wichtiger Meilenstein war sicherlich, dass die stehen werden, wo wir 2014 mit itslearning waren Kultusministerkonferenz im Jahr 2016 ihre digitale und damit dann auch wieder nicht den Anschluss Strategie verabschiedet hat. Damit ist das, was Bre- finden in der digitalen Welt wie die anderen Bun- men sich bereits seit dem Jahr 2010 auf die Fahnen desländer, weil die sind durchaus weiter. Die ha- geschrieben hatte, nämlich der Primat des Pädago- ben alle einen gesamten Content dahinter, zumin- gischen, als eindeutiger Maßstab gesetzt worden. dest Baden-Württemberg. Ich glaube, das ist ein Keine Digitalisierung um der Digitalisierung wil- bisschen größer als Bremen. Die schaffen es, einen len. Herr Professor Hilz, das haben Sie ja vorhin un- Content aufzubauen, beim dem alle Lehrkräfte auf terstellt, dass das unsere Haltung wäre. Nein, das den gleichen Content zugreifen. Wir schaffen es ja Gegenteil ist der Fall, bereits damals haben wir de- noch nicht einmal, den gleichen Content für eine finiert: Erst die Inhalte, erst die Struktur, dann die Schule hinzubekommen. Da fragen Sie einmal, wie digitale Ausstattung. sich da Qualität entwickeln soll. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Zuruf Abgeordnete Bredehorst [SPD]) Umso wichtiger sind die Erfahrungen, die die Schu- Ja, Sie haben ja gleich die Möglichkeit. len im Bundesland Bremen in diesen letzten Jahren und in der letzten Dekade, möchte ich sagen, ge- Im Bildungsplan, den wir in der Deputation hatten, sammelt haben, weil sie Einfluss gehalten haben sind Beschlüsse der KMK von 2016, die auf Bundes- auf das, was dann 2018 über den DigitalPakt des ebene geschlossen wurden. Wir hätten das schon Bundes im Hinblick auf einen Infrastrukturausbau längst für Bremen herunterbrechen können und möglich geworden ist. Dazu haben beide Stadtge- eine schöne bunte Dokumentation, wie wir es vor- meinden, ich habe es neulich schon einmal gesagt, gelegt bekommen haben, erarbeitet haben können. sehr elaborierte Medienentwicklungspläne vorge- Das hätte schon längst passieren können, wenn legt. In diesen Medienentwicklungsplänen ist tat- man das alles ernsthaft und schnell hätte umsetzen sächlich die Grundlage für die Ausstattungsstrate- wollen. – Vielen Dank! gie dargelegt und von beiden Stadtparlamenten, der Bürgerschaft und der Stadtverordnetenver- (Beifall CDU) sammlung in Bremerhaven, beschlossen worden.

Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin Wir haben der Deputation am 30. April 2019, ich hat das Wort Frau Senatorin Dr. Bogedan. hoffe, ich habe jetzt das richtige Datum, einen um- fassenden Bericht vorgelegt – Entschuldigung, es Senatorin Dr. Bogedan: Sehr geehrte Frau Präsi- war am 3. April 2019 –, der auf der Basis der be- dentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! schlossenen Inhalte eines Antrags entstand, der Ich möchte der Fraktion der FDP erst einmal für hier bereits im März 2019 auf den Weg gebracht den Antrag danken. Ich glaube, es zeigt sich er- und am 21. März 2019 von den Fraktionen Bündnis neut, dass es wichtig ist, hier über das Thema zu 90/Die Grünen, SPD und CDU beschlossen worden sprechen, wie eine gelingende Digitalisierung von ist. Darin sind wir beauftragt worden, also die Se- Schulen im Bundesland Bremen aussieht. Gerade der letzte Beitrag von Frau Kollegin Averwerser hat 1988 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

natorin für Kinder und Bildung, digitale Mündig- Hand als Schulträger daran wirken, dass wir mit keit und digitale Kompetenzen bei der Umsetzung unseren Schulen in der Digitalisierung endlich im des DigitalPaktes zu verwirklichen. 21. Jahrhundert ankommen.

In dieser Antwort auf den Antrag findet sich ein (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE – elaboriertes Zeitmaßnahmenkonzept, in dem Stück Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Das ist ja einmal für Stück nachzulesen ist, dass eine digitale Infra- eine Zusage, dass wir im 21. Jahrhundert ankom- struktur, genauso wie es gerade gefordert worden men!) ist, immer in ein pädagogisches Konzept einzubin- den ist, in eine Strategie, wie die Unterstützung in Aus meiner Sicht ist der Antrag deshalb abzu- den Schulen vor Ort gewährleistet werden kann, lehnen, weil tatsächlich alle Forderungen durch wie die technische Funktionsfähigkeit aufrecht- Regierungshandeln entweder erledigt oder anders erhalten werden kann, wie Fortbildungen zu orga- entschieden worden sind. Was die Frage von Assis- nisieren sind und welche Angebote an digitalem tenten und Assistentinnen an Schulen betrifft, ha- Content zur Verfügung zu stellen sind. ben wir uns definitiv für ein anderes Modell ent- schieden, und zwar in beiden Stadtgemeinden in In diesem Konzept kann man sehen, dass natürlich ihrer Verantwortlichkeit als Schulträger für die di- die Situation, in die wir im März durch die abrupten gitale Infrastruktur an Schulen. Schulschließungen gekommen sind, ein Katalysa- tor für die Weiterentwicklung dieses Zeitmaßnah- Er ist dahingehend abzulehnen, dass itslearning menplans war, weil wir uns jetzt an vielen Stellen, längst eine Struktur bietet, die nicht nur aus- insbesondere im Hinblick auf die Infrastrukturaus- schließlich dafür gedacht ist, digitalen Unterricht stattung, selbst überholen müssen. Wir heben aber zu ermöglichen, sondern auch die gesamte Schul- deshalb nicht das auf, auf das wir uns seit Jahren organisation darüber abgebildet wird und wir gezielt, geplant hin orientieren. Wir erledigen längst im Rahmen des eben zitierten Zeitmaßnah- Stück für Stück regelhaft unsere Aufgabe. menplans verabredet haben, wie der restliche Teil der Schulverwaltung auch in die Digitalisierung (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) eingebunden wird.

Zur regelhaften Erledigung gehört es, dass, wenn Er ist auch dahingehend abzulehnen, dass ein Rah- im Senat darüber Verabredungen getroffen wer- menlehrplan, und nichts anderes ist der Orientie- den, zur Verausgabung von Mitteln entsprechende rungsrahmen, den wir beschlossen haben, mit der Konzepte vorzulegen sind, das nicht zwangsläufig letzten Sitzung der Deputation ins Leben gerufen mit Herumtrödeln, Säumigkeit oder was habe ich worden ist und dass der nächste Schritt, genauso hier gerade herausgehört, einem Streit in der Koa- wie es in dem eben zitierten Zeitmaßnahmenplan lition zu tun hat – ich schaue zum Kollegen Herrn zu finden ist, genau darin besteht, das nun auf fach- Hagen, der maßgeblich mit uns an dieser Vorlage spezifische Curricula herunterzubrechen. arbeitet –, sondern es hat vielleicht schlichtweg auch etwas damit zu tun, dass das Ganze unter ei- Insofern ist der Antrag abzulehnen, weil alles durch nem Dach läuft, nämlich dem Bremen-Fonds auf- Regierungshandeln bereits erledigt ist. – Vielen grund der Coronapandemie – und unter dieses Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dach müssen diese Maßnahmen gepackt werden. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Wir haben bereits gehört, dass es dann wiederum mit der gesamten Digitalstrategie stimmig gemacht Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat und abgepasst werden muss und man schauen das Wort der Abgeordnete Herr Prof. Dr. Hilz. muss, welche Mittel denn im Moment aus welchen Kassen nach Bremen kommen. Das bedeutet nicht, Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Sehr geehrte dass wir die Schuld auf den Bund oder irgendwo Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und anders hinschieben, sondern dass wir im Moment Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil einen absolut begrüßenswert dynamischen Zu- ja die Auffassung, ob dieser Antrag nun gut war o- stand haben. der schlecht, durchaus unterschiedlich ist. Wäh- rend die drei Redner aus den parlamentarischen Wer hätte denn gedacht, dass digitale Bildung in Regierungsfraktionen sagen, sie hätten diesen einen Zustand von Agilität gerät, in dem Bund, nicht gebraucht, habe ich gerade genau verstan- Länder und die Kommunen tatsächlich Hand in den, dass Frau Bogedan zu Anfang gesagt hat, sie Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1989

begrüßt ausdrücklich, dass wir diesen Antrag hier Schüler einen Austausch zu organisieren mit Lehr- eingebracht haben. Das bedeutet auch, dass wir material, das der Lehrer oder die Lehrerin zur Ver- uns ermutigt sehen, auch weiterhin mit dem Finger fügung hat und dort einstellt und die Schülerinnen darauf zu zeigen und zu sagen, wir sind in Sachen und Schüler das auf der anderen Seite abrufen kön- Bildungsfragen dabei. Wir werden den Finger auf nen. Dann kommen die Videokonferenzen et die Wunde legen und wir werden Sie auch zu be- cetera für das Distanzlernen hinzu. Das ist deutlich schleunigtem Regierungshandeln weiter auffor- verbessert worden, das ist auch richtig und das ist dern, meine Damen und Herren. auch gut so.

(Beifall FDP – Zuruf Abgeordnete Krümpfer [SPD]) Digitale Bildung ist aber viel mehr als der Aus- tausch von Dokumenten, die es vorher auf Papier Ich glaube, was die Frage der IT-Hausmeister, wie gab, jetzt über einen digitalen Kanal, sondern es ich sie nenne, angeht, sind wir tatsächlich völlig gibt Apps, es gibt Anwendungen, es gibt Unterstüt- unterschiedlicher Auffassung. Ich glaube nicht, zungsprogramme zu den sowieso schon verwende- dass in einer Schule mit mehreren hundert Gerä- ten Arbeitsbüchern. Die Bücher, die ich für meine ten, die gleichzeitig im Einsatz sind, eine Ferndiag- Kinder als Arbeitshefte bekomme, haben alle mitt- nose oder ein Fernsupport ausreicht. Vor allen Din- lerweile digitale Unterstützungssoftware. Dies alles gen nicht, wenn ein Widerstand beim WLAN-Rou- muss doch über ein Cloud-System den Lehrerinnen ter ausgefallen ist, denn bis das behoben wird, da und Lehrern auch zur Verfügung gestellt werden, können dann einmal ein oder zwei Tage vergehen, damit hier ein effizienter Austausch und eine Ver- wenn das dezentral organisiert ist. besserung stattfindet – das ist ja unser gemeinsa- mes Ziel, das bestreite ich auch gar nicht, und Frau (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Nein!) Bogedan, an der Stelle haben Sie mich vielleicht falsch verstanden: Gemeinsam die Digitalisierung Sondern, wir brauchen natürlich auch für die einfa- zu nutzen, um die Pädagogik zu verbessern. Ich chen Fragen, die entsprechend in der Schule auf- habe Ihnen auch nichts anderes unterstellt, son- treten, und ich kann Ihnen sagen, aus Erfahrung an dern ich habe nur noch einmal festgestellt – da sind einer Lehreinheit mit etwa 3 000 Teilnehmern, dass wir uns auch alle einig –, nur Endgeräte allein rei- jeden Tag und in jedem zweiten Raum Fragen auf- chen nicht, sondern wir müssen den Support si- kommen, die mit Projektionsapparaten zu tun ha- cherstellen, wir müssen es in die Didaktik einbin- ben, aber auch mit Anschlüssen von Computern an den, die in den Schulen läuft. Das, glaube ich, müs- diese Geräte bis hin zu den WLAN-Verbindungen. sen wir jetzt auch dringend tun, wir müssen es in Es wird also jeden Tag in jeder Schule mehrfach et- den Fachcurricula verankern. was auffallen und das muss nicht auf die Lehrerin- nen und Lehrer abgewälzt werden, das ist ja unser (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Ich habe das doch Punkt hier, sondern die Lehrerinnen und Lehrer erklärt!) müssen entlastet werden, die brauchen einen ech- ten IT-Support von anderer Stelle. Wir müssen auch dazu kommen, dass digitales Leh- ren oder Lernen in diesem Fall auch relevant für die (Beifall FDP – Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Ja, Leistungsbewertung ist. Das ist ein ganz wichtiger das macht doch aber dann Dataport!) Punkt, der uns wichtig ist und das nicht auf freiwil- liger Basis passieren soll, sondern hier ist tatsäch- Bis Dataport mit einem Techniker an einer Schule lich noch etwas zu tun. Wir führen das weiter. Wir irgendwo in Strom oder in Bremerhaven- haben auch nie behauptet, dass der Senat und Re- Geestemünde angekommen ist, vergehen be- gierungshandeln hier träge sind, sondern im Ge- stimmt Tage, Frau Bredehorst, das ist so. genteil, ich habe auch gesagt, dass Sie in den letz- ten Monaten sehr viel geleistet haben. Wir haben (Beifall FDP – Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: aber auch noch andere Ideen und die werden wir Wenn das der Präsident hört! – Abgeordneter Fe- auch immer hier einbringen, wenn wir finden, dass cker [Bündnis 90/Die Grünen]: Ist das jetzt Wissen sie angebracht sind. – Vielen Dank! oder Spekulation?) (Beifall FDP) Wenn wir über die Thematik Datenaustausch, Cloud-System sprechen, dann sprechen wir, Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- glaube ich, teilweise über verschiedene Sachen. gen liegen nicht vor. Die Plattform itslearning dient dazu, von Lehrer zu 1990 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Die Beratung ist geschlossen. Weil dies so ist, hat die Kultusministerkonferenz, KMK, im Rahmen ihrer Gesamtstrategie zum Bil- Wir kommen zur Abstimmung. dungsmonitoring beschlossen, dass regelmäßig überprüft werden soll, inwieweit die in den Bil- Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben dungsstandards beschriebenen Kompetenzziele in möchte, den bitte ich um das Handzeichen. den einzelnen Ländern erreicht werden. Mit dieser Überprüfung ist das Institut für Qualitätsentwick- (Dafür CDU, FDP, M.R.F., Abgeordneter Beck lung im Bildungswesen, IQB, in Berlin betraut. Die [AfD], Abgeordneter Timke [BIW]) Ergebnisse im IQB-Bildungstrend werden auf Ebene der Länder ausgewertet und liefern den Ich bitte um die Gegenprobe. Ländern wichtige Anhaltspunkte dafür, inwieweit die von ihnen umgesetzten Maßnahmen positive (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Entwicklungen ausgelöst haben und in welchen LINKE) Bereichen Handlungsbedarfe bestehen.

Stimmenthaltungen? Ich nehme Sie jetzt auf eine Zeitreise mit – so viel zu Schnelligkeit: Die im Jahr 2015 durchgeführte Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Untersuchung und deren abermals niederschmet- Antrag ab. ternden Ergebnisse führten in Bremen dazu, dass man das Thema Qualität in der Bildung kurzfristig Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung im Bremer in den Mittelpunkt der Debatte rückte. Nach nun Bildungssystem – Sachstand und Ausblick fast 20 Jahren, beginnend mit dem Pisa-Schock Große Anfrage der Fraktion der CDU 2001, ist Bremen nach wie vor Schlusslicht unter vom 25. Februar 2020 den Bundesländern, ja selbst Schlusslicht unter den (Drucksache 20/289) Stadtstaaten.

Dazu Eine Konsequenz aus den Ergebnissen des IQB-Bil- dungstrends 2015 war im November 2017 der ver- Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2020 einbarte Pakt zur Verbesserung der Bildungsquali- (Drucksache 20/432) tät. Eine zentrale Maßnahme, auf die man sich par- teiübergreifend geeinigt hatte, war eine verbes- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. serte Information für die Schulen über den Leis- Bogedan. tungsstandard der Schülerinnen und Schüler und damit die einhergehende Gründung eines Instituts Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf für Qualitätsentwicklung, das den Wissensstand die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen datengestützt ermittelt, die Ergebnisse aufbereitet möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintre- und die Empfehlungen an die Schulen weitergibt. ten können. Das zu gründende Bremer Institut sollte sich an dem Hamburger Institut orientieren, das dort be- Die Aussprache ist eröffnet. reits im Jahr 2012 eingeführt wurde. In Hamburg hat sich das Abschneiden der Schülerinnen und Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Schüler in den vergangenen Jahren im Vergleich Frau Averwerser. zu den anderen Bundesländern von dem unteren Bereich bis hin zum Mittelfeld entwickelt. Abgeordnete Averwerser (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Der Gründungsauftrag für das Institut für Quali- Herren! Heute debattieren wir endlich wieder zu tätsentwicklung im Land Bremen, IQHB, so der einem Thema, das uns mindestens ebenso umtrei- Name in Bremen, sollte im Frühjahr 2018 erfolgen, ben müsste wie die aktuelle Lage der Wirtschaft. aber wen wundert es in diesem Land, der Grün- Denn ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die dungsauftrag erfolgte im Frühjahr 2018 nicht. Statt- Bildung in den Köpfen unserer Kinder die wich- dessen gab es im Februar 2018 einen Bericht über tigste Ressource ist, die wir in unserer Gesellschaft die Weiterentwicklung der Qualitätsentwicklung haben. im Bremer Bildungssystem, 31 Seiten lang, mit der Information, dass das Institut Ende 2018 gegründet werden soll. Im November 2018, neun Monate spä- ter, war das Baby nicht geboren, es gab aber erneut Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1991

einen Bericht, der nun davon sprach, dass noch er- Maßnahmen der Qualitätsentwicklung profitieren hebliche organisatorische Vorarbeiten geleistet können, frühestens das Jahr 2027 genannt – 2027! werden müssten, bis man das Institut ausgründen Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind gut ge- könne. meinte zehn Jahre nach der Vereinbarung und es sind fast 30 Jahre nach dem Eingeständnis Hen- (Zuruf Abgeordnete Krümpfer [SPD]) ning Scherfs, dass die Bremer SPD in der Bildungs- politik versagt habe. Die zu klärenden Punkte sollten spätestens im Frühjahr 2019 abgeschlossen sein, daraus sollte (Beifall CDU) sich dann der geeinigte Zeitpunkt für die Ausgrün- dung ergeben. Wie Sie mittlerweile wissen, fand Er versprach damals ideologiefreie Verbesserung, auch da keine Ausgründung statt. aber, meine Damen und Herren, Fakt ist heute, mehr als eine Generation später werden unsere Gut zweieinhalb Jahre nach dem Gründungsbe- Kinder weiter in einem nachweislich an vielen Stel- kenntnis im Jahr 2017 haben wir als CDU genug len nicht konkurrenzfähigen Schulsystem beschult. von seitenweisen Vorlagen mit immer unkonkreter – Vielen Dank! werdenden Sachverhalten und haben mit der vor- liegenden Großen Anfrage unter anderem nachge- (Beifall CDU) fragt, wie es denn mit der Gründung des Instituts aussieht und ob die hiermit unmittelbar zusammen- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat hängenden angedachten Maßnahmen zwischen- das Wort der Abgeordnete Herr Fecker. zeitlich Einzug in die Schulen in Bremen und Bre- merhaven gehalten haben. Die Antwort hierzu ist Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Grünen): wenig überraschend: Die Gründung des IQHB ist Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und immer noch nicht terminiert und es sind nur einige Herren! Wir debattieren heute die Große Anfrage Maßnahmen in die Schulen und zur Umsetzung ge- der Fraktion der CDU zum aktuellen Stand der kommen. Eines ist jetzt schon sicher, die Gründung Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung im Bremer und Ausstattung dieses Instituts dauert viel zu Bildungssystem. Dabei steht die Gründung des lange. IQHB im Zentrum. Zu allererst möchten wir die Ge- legenheit nutzen, um der Fraktion der CDU für den (Beifall CDU, FDP) umfangreichen Fragenkatalog und dem Senat für die Beantwortung zu danken, denn eine lebhafte Im Jahr 2027 können wir eventuell mit Ergebnissen Diskussion, wie sie gerade anfing, ist immer hilf- rechnen, die den Schülerinnen und Schülern wei- reich wenn es um die Verbesserung unserer Schu- terhelfen. Hamburg hat es geschafft, also dachte len geht und das begrüßen wir sehr. ich, wir könnten das auch erreichen. Mit dem Beschluss der Bürgerschaft von vor drei (Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Können wir auch!) Jahren, ein Institut für Qualitätsentwicklung im Land Bremen zu gründen, um die Unterrichtsqua- Hamburg konnte aber, als es das Institut für Bil- lität zu steigern und die Leistungen der Bremer dungsqualität gründete, bereits auf zahlreiche er- Schülerinnen und Schüler zu verbessern, wurde hobene Daten aus den 1990er Jahren zurückgrei- ein umfangreicher Prozess in Gang gesetzt. Das fen. In Bremen ist das leider ganz anders. Es gibt wird aus der Antwort des Senats mehr als deutlich. zwar diverse datengestützte Verfahren zur Schul- Ein Institut nach Hamburger Vorbild zu gründen, entwicklung, doch wen wundert es, es besteht ein bedeutet die Herauslösung von Arbeitsbereichen erheblicher Systematisierungs- beziehungsweise aus dem Landesinstitut für Schule, LIS, und der se- Ergänzungsbedarf, insbesondere bei den Grund- natorischen Behörde, was einerseits Arbeitsschritte schulen. Wir haben also ganz andere Vorausset- bündeln und vereinfachen wird und andererseits zungen als Hamburg. neue Schnittstellen schafft. Das ist ganz sicher nicht komplikationsfrei umsetzbar und deshalb können Wir haben uns im Jahr 2017 auf das gemeinsame wir die Entscheidung nachvollziehen, zuerst kon- Ziel verabredet, das Bildungssystem im Land Bre- krete Maßnahmen an den Schulen zu priorisieren, men durch eine faktenbasierte Steuerung endlich um schneller in die qualitative Entwicklung starten zum Laufen zu bringen und zukunftsfähig zu ma- zu können, ohne zu viel kostbare Zeit zu verlieren. chen. In der Antwort zur Großen Anfrage wird als Dass eine umfassende Beteiligung zugunsten einer Datum, bis Schülerinnen und Schüler von den hohen Akzeptanz in den Mittelpunkt gestellt 1992 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

wurde, ist grundsätzlich zu begrüßen und aus un- Nun gilt es aber auch, das IQHB so mit Ressourcen serer Sicht wichtig. auszustatten, dass LALE schnellstmöglich auf wei- tere Schulen und Jahrgänge ausgeweitet werden Allerdings kann an der zeitlichen Verzögerung der kann. Ein erster Schritt dafür ist in diesem Doppel- Ausgründung auch aufgezeigt werden, warum das haushalt mit der Einstellung von zehn Vollzeitein- IQHB aus unserer Sicht nach seiner Etablierung heiten oder -äquivalenten getan. weitgehend unabhängig von der senatorischen Be- hörde und dem LIS sein muss. So führen Ereignisse Für unsere Fraktion ist es wichtig, dass mit dem wie die Coronapandemie und deren Auswirkungen IQHB zukünftig nicht nur Daten generiert werden, sowie die damit verbundenen Sachzwänge, die sondern den Schulen zielgerichtet und passgenau sich daraus unweigerlich für die Arbeit der Be- geholfen werden kann und Unterstützung angebo- hörde ergeben, dazu, dass Prozesse verlangsamt ten wird, indem diese Datenanalysen schulspezifi- werden und Fortschritte auf sich warten lassen. Das sche Handlungsbedarfe aufdecken. Hierfür muss können wir uns bei der Entwicklung der Verbesse- aus unserer Sicht das LIS den Schulen die Unter- rung der Qualität in unserem Schulsystem nicht er- stützung anbieten, die sie für eine qualitative Un- lauben, auch nicht in Zeiten, in denen wir seit Mo- terrichtsentwicklung brauchen. Die Neustrukturie- naten mit den Folgen der Pandemie umzugehen rung des LIS und die Ausstattung mit den nötigen haben. Ressourcen dafür müssen daher unbedingt voran- getrieben werden, damit das Institut auch in die- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) sem Zusammenspiel seine Wirkung entfalten kann.

Deshalb ist es für uns Grüne bei der Ausgründung Klar ist, das ist unbestritten, dass die Zeit gekom- des IQHB von zentraler Bedeutung, dass alles da- men ist, dass das IQHB, trotz Pandemie und dem ran gesetzt wird, die notwendigen Strukturen zu damit verbundenen Mehraufwand, unter Wahrung schaffen, damit dieses Institut seine Arbeit zeitnah seiner größtmöglichen Unabhängigkeit im Sinne aufnehmen kann. Außerdem legen wir Wert da- der qualitativen Entwicklung des Unterrichts an rauf, dass das Institut soweit wie möglich unabhän- unseren Schulen und im Sinne der Bildungsgerech- gig von der senatorischen Behörde ist. Ein solches tigkeit für die Schülerinnen und Schülern endlich Institut mit Personalhoheit und eigener Haushalts- ausgegründet wird. – Herzlichen Dank! stelle ist auch attraktiv für hochqualifizierte Fach- kräfte, die notwendig sind, um in diesem komple- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) xen Aufgabengebiet erfolgreich zu sein. Es ist selbsterklärend, dass Schulentwicklung an Schu- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin len nur mit den Schulen, genauer gesagt mit den hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge. Lehrkräften geschehen kann. Ohne sie wird es keine qualitativen Verbesserungen geben und des- Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Sehr geehrte halb ist ihr Mitwirken beispielsweise bei der Leis- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das tungserhebung ganz entscheidend. Die Akzeptanz Land Bremen hat sich auf den Weg gemacht, die hierfür durch mehr Entlastung und Unterstützung Qualität des Schulunterrichts kontinuierlich und zu vergrößern, ist der richtige Weg, meine Damen langfristig weiterzuentwickeln. Angesichts der er- und Herren! heblichen Probleme, die wir haben, ist das ein kom- plizierter und langer Prozess und deshalb müssen (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) wir uns noch einige Jahre gedulden, bis wir in na- tionalen Studien sichtbare Erfolge sehen können. So zeigen die positiven Rückmeldungen der Schu- len bezüglich der Durchführung von LALE 5 wie es Ja, Frau Averwerser, es ist schade, dass wir nicht funktionieren kann. Diese positiven Erfahrungen einfach einen Schalter umlegen können, aber so gilt es auch bei VERA 3 aufzunehmen. Die Weiter- einfach ist es leider nicht. Deswegen ist es richtig, entwicklung zum Onlinetest muss daher mit Bre- dass der Senat keine lange Zeit mit dem Aufbau mer Unterstützung in der KMK schnellstmöglich von Strukturen auf Landesebene verschwendet vorangetrieben werden. Wenn Schulen, wie in der hat, sondern Sofortmaßnahmen an den Schulen ge- Antwort des Senats beschrieben, die Implementa- startet hat und nun parallel die übergeordneten tion von LALE 5 als Impuls sehen, einen Prozess Strukturen entwickelt. der datengeschützten Schulen- und Unterrichts- entwicklung aufzunehmen, zeigt es, dass dieser (Zuruf Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]) Weg der richtige ist. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1993

Das in Gründung befindliche IQHB ist dabei nur LALE Hilfe und Unterstützung bei der Umsetzung Mittel zum Zweck, um das Ziel des verbesserten und Auswertung bekommen, dann lassen sich in Unterrichts zu erreichen. Die Ergebnisse bei natio- den Kollegien auch Vorbehalte gegenüber daten- nalen Vergleichsstudien haben in Bremen immer gestützter Unterrichtsentwicklung abbauen. wieder ein Problem herausgestellt: Bei uns haben es Kinder aus armen Elternhäusern besonders Ebenfalls richtig finden wir, dass die Schulportraits schwer, die notwendigen Kompetenzen in der zuerst an den Schulen entwickelt werden, die vor Schule zu erwerben. Für uns bedeutet eine Weiter- besonderen sozialen Herausforderungen in der entwicklung der Schule daher insbesondere, die Schülerschaft stehen. Damit lösen wir unseren ge- Bildungsschere zwischen Arm und Reich in Bre- meinsamen Koalitionsanspruch ein, dass die Schu- men zu schließen. Unser Ziel muss sein, dass jedes len mit den höchsten Sozialstufen zuerst mit neuen Kind sein Potenzial voll entfalten kann und nach Instrumenten und Mitteln versorgt werden müssen. seinen Bedürfnissen gefördert wird. Das IQHB soll dieses Ziel unterstützen. Deshalb muss es jetzt (Abgeordneter Rohmeyer [CDU]: 20 Jahre später!) auch damit vorangehen, insbesondere die künftige Rechtsstellung des Instituts sollte nicht länger un- Etwas Sorge bereitet mir allerdings die Frage, wie bestimmt sein. Mit der Ausschreibung der Position die Schulen in Bremerhaven in den Prozess einge- der Direktorin beziehungsweise des Direktors bunden werden. Wir wissen, dass Bremerhaven an den Schulen aufgrund der dortigen Sozialstruktur (Abgeordnete Dr. Buhlert [FDP]: Seit wie vielen vor besonderen Fragestellungen steht. Deshalb Jahren?) müssen beide Städte am Prozess der Unterrichts- entwicklung teilhaben. Ich erwarte vom Senat und für das Qualitätsinstitut in Gründung sehen wir in vom Magistrat, dass sie in diesem Bereich intensiv diesem Bereich die notwendigen Fortschritte und zusammenarbeiten. erbaten, dass die Institutsstrukturen nun schnell Gestalt annehmen werden. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Damit die Qualitätsentwicklung ihr Ziel erreicht, Selbstverständlich ist uns bewusst, dass auch ein muss man sie vom Ende her betrachten. Welche gut arbeitendes Qualitätsinstitut kein Allheilmittel Daten wann und wie oft erhoben werden, muss sich darstellt, um alle Probleme an den Schulen zu lö- der Frage unterordnen, wie es gelingt, mit den ge- sen. Zur Weiterentwicklung der Schulen gehören wonnenen Daten Lehrerinnen und Lehrern zu hel- auch die anderen Bausteine unserer Bildungspoli- fen, ihren Unterricht zu verbessern. Deswegen tik. finde ich den Lernausgangslagen-, kurz LALE-Pro- zess so gut, denn bei LALE wird von Anfang an mit- Wir haben den Bildungshaushalt deutlich erhöht. gedacht, wie die Schulen anschließend die Daten Wir setzen Schwerpunkte bei Schulen mit beson- aufbereitet übermittelt bekommen und vor allem, deren Herausforderungen und wir treiben den und das ist das Entscheidende, welche Weiter- und Schulbau voran. Mit diesem Mix an Maßnahmen Fortbildungen dann stattfinden, um aus den ge- kann es uns gelingen, dass in der Senatsantwort wonnenen Daten Schlüsse für den Unterricht zie- ausgegebene Ziel zu erreichen, bis Ende der hen zu können. Sehr gut lässt sich das zum Beispiel 2020er Jahre dafür Sorge zu tragen, dass sich der am Mathematikunterricht zeigen. In diesem Kom- Kompetenzerwerb Bremer Schülerinnen und Schü- petenzfeld wurde besonderer Handlungsbedarf er- ler wirklich nachhaltig verbessert hat. – Herzlichen kannt, und hier wurde mit der Einführung zusätzli- Dank! cher Mathematikförderung direkt reagiert. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) LALE funktioniert auch deshalb gut, weil die Schu- len freiwillig daran teilnehmen können, im Gegen- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin satz zu der Vergleichsuntersuchung VERA, die den hat das Wort die Abgeordnete Frau Bredehorst. Schulen noch von der Großen Koalition auferlegt wurde. Abgeordnete Bredehorst (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen! Ich fange auch (Zuruf CDU) einmal an mit: Bremen hat sich vor drei Jahren auf den Weg gemacht, um nach Hamburger Vorbild Dieses Vorgehen belastet bis heute die VERA-Un- ein Institut für Qualitätsentwicklung im Land Bre- tersuchungen. Wenn die Schulen aber wie bei men zu gründen. Warum? Bei einer ähnlichen 1994 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Problemlage, Klassen mit einem hohen Anteil an Bei dem bisherigen Prozess haben zwei Dinge eine Kindern mit Migrationshintergrund, mit einem ho- entscheidende Rolle gespielt: Da sich in der Ver- hen Anteil von Kindern aus schwierigem sozialem gangenheit mangelnde Akzeptanz von Vorhaben Umfeld und immer mehr Schüler*innen mit beson- immer wieder als große Hürde bei der Umsetzung derem Förderbedarf ist es Hamburg anders als Bre- gezeigt hat, gilt es nun, alle Akteure durch eine men und Berlin gelungen, sich aus dem Ranking- umfassende Beteiligung einzubeziehen und das keller der nationalen Bildungsvergleiche nach braucht selbstverständlich viel Zeit. Um gleichzei- oben zu schieben. tig voranzukommen galt es, schwerpunktmäßig auf die Vorhaben abzustellen, die den Schulen, und Hamburg hat bereits in den 90er Jahren mit einer dabei möglichst vielen Schulen, unmittelbar nut- flächendeckenden Untersuchung der Lernaus- zen. Dies sind insbesondere die Weiterentwicklung gangslagen der Fünftklässler*innen begonnen und und verbesserte Implementation von VERA 3, die testet seit 2012 regelmäßig und fortlaufend den Erprobung von LALE 5, der neuen Lernausgangs- Lernstand aller Schüler*innen. Die Testergebnisse erhebung in den fünften Klassen und die Erpro- gehen an Schulleitung, Fachlehrer*innen, Tu- bung der Lernverlaufsdiagnostik quop. Auch lie- tor*innen, Klassenlehrer*innen und an die Schul- gen erste Schulportraits vor, die teilweise bereits in aufsicht. Vom Fachkollegium werden gezielt einem Schulentwicklungsprozess eingeflossen Schritte beschlossen, die das Lernniveau verbes- sind. sern sollen. Nach zwölf Monaten werden die Er- folge bilanziert und weitere Schwächen ausge- (Abgeordnete Averwerser [CDU]: Bei welchen macht. Schulen denn?)

In Hamburg hätten die Leistungsvergleiche die Die Weiterentwicklung von LALE 5 zu einem Onli- Haltung der Lehrkräfte verändert, die nun viel netest ermöglicht in Zukunft sehr viel mehr Schu- mehr Verantwortung für die Lernentwicklung ihrer len mit wenig Aufwand an der Lernausgangslagen- Schule übernehmen. So hat es uns Herr Maritzen, erhebung teilzunehmen und so einen Leistungs- der frühere Institutsleiter und Hamburger Schullei- überblick zu bekommen, um den Unterstützungs- ter auf einer Veranstaltung der Bremer SPD-Frak- prozess weiter besser ausbauen zu können. tion zum Thema Hamburger Institut für Bildungs- monitoring und Qualitätsentwicklung, kurz IfBQ, Die Schulen werden dabei bei der Anpassung der erklärt. Anders als die Fraktion der CDU mit ihrer inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts, bei der Großen Anfrage suggeriert, ist uns in der Bürger- Weiterentwicklung und Durchführung von Förder- schaft, insbesondere aber in der Deputation regel- kursen und bei der Erarbeitung individualisierter mäßig über das IQHB und einzelne Vorhaben be- Fördermaterialien unterstützt. Das ermöglicht den richtet worden. Schulen passgenaue Angebote für ihre Schüler- schaft anzubieten. (Zuruf Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]) Meine Damen und Herren, Sie sehen, es sind viele Die Senatsantwort macht uns noch einmal sehr Bausteine, die sich am Ende zu einem Gesamtbild deutlich, wie komplex und aufwändig die Ausgrün- zusammenfügen werden. Hamburg hat bereits seit dung des IQHB und das Vorhaben einer datenge- den 90er Jahren erste Erfahrungen mit der statisti- schützten schulischen Qualitätsentwicklung und schen Erhebung von Lernausgangslagen gesam- eines Qualitätsmanagements in Schulen ist. Glück- melt, bevor es im Jahr 2012 das IfBQ gegründet hat. licherweise konnten und können wir dabei von An- Auch hier hat es lange gedauert, bis sich die schu- beginn auf die Expertise des IfBQ zurückgreifen lischen Leistungen sichtbar verbessert haben. Für und mit diesem eng kooperieren. Bremen ist damit nicht zu rechnen, bevor nicht ein ausreichend großer Anteil von Schüler*innen von Was hat sich getan? Die Stabsstelle, die punktuell den Maßnahmen profitiert haben werden. verstärkt wird, umfasst bereits 7,5 Vollzeitäquiva- lente. Das IQHB erhält zusätzlich zehn Vollzeit- (Glocke) äquivalente, dieses Jahr fünf und in 2021 weiter fünf, 8,7 Vollzeitstellen kommen im Zuge der Auf- Bremen hat sich auf den Weg gemacht, Ungleiches gabenverlagerung aus dem LIS dazu. ungleich zu behandeln, so wie es Hamburg auch getan hat. Das ist für mich ein wesentlicher Gelin- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1995

gensfaktor. In diesem Sinne, lassen Sie uns zusam- Satz im letzten Absatz und ich zitiere: „Eine in die- men den Weg gehen. – Danke für Ihre Aufmerk- sem Kontext bislang noch nicht abschließend ge- samkeit! klärte Frage betrifft die rechtliche Grundlage für die zukünftige Datenverarbeitung im IQHB.“ Da (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) frage ich mich: Was haben Sie denn drei Jahre ge- macht? Das muss man doch innerhalb von einem Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat halben Jahr geklärt haben! das Wort der Abgeordnete Herr Prof. Dr. Hilz. (Beifall FDP, CDU) Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es Zu Frage 1d). Da steht im ersten Satz vom zweiten dauert alles viel zu lange. Ich glaube, das ist die Absatz, wo es um die frühkindliche Bildung geht Quintessenz aus dieser Großen Anfrage. und welche Aufgaben wir im IQHB haben, ich zi- tiere: „Grundsätzlich liegt die Qualitätsentwick- (Beifall FDP, CDU) lung in den Einrichtungen im Verantwortungsbe- reich der Träger.“ Nun kann man vielleicht manch- Wenn Sie sagen, Bremen hat sich 2017 auf den Weg mal sagen: Das ist ja ganz gut so, wenn man nicht gemacht, dann frage ich Sie, wann gehen Sie end- alles von dieser Bildungsbehörde verantworten lich den ersten Schritt und gründen dieses Institut? lässt, aber ich glaube, Qualität in der frühkindli- Wann ist es endlich so weit? Wir haben selbstver- chen Bildung ist Kernaufgabe des Staates und ständlich Bedarf an Qualität. Es gibt Vergleichs- sollte auch hier in der Aufgabe des Bildungsres- tests mittlerweile, die auch gut sind, aber sie sind sorts sein, meine Damen und Herren. bisher freiwillig. Dass man den Anfang freiwillig macht, können wir als Freie Demokraten auch noch (Beifall FDP, CDU) nachvollziehen, aber es darf nicht bei einzelnen Schulen bleiben, sondern wir brauchen am Ende Wir brauchen Schritte und wir müssen weiterkom- flächendeckend die Tests für alle Schulen, um men, und natürlich kann man auch Erfolge eines dann auch eine Vergleichbarkeit und eine kon- Instituts erst erreichen, wenn man das Institut ers- krete Handlungsfähigkeit über die Schulen hinaus, tens gegründet hat und wenn es zweitens gearbei- auch für das gesamte Bildungssystem, zu definie- tet hat. Das ist uns allen klar. Genau deswegen kri- ren. tisieren wir ja auch diese Frage der langen Periode seit 2017, bis man vielleicht irgendwann dann doch Bezeichnend ist auch, dass es dieser Großen An- einmal – Anfang 2021, wenn wir Glück haben, viel- frage der CDU-Fraktion, für die ich ausdrücklich leicht noch dieses Jahr, man weiß es nicht genau – danke, bedurft hat, bis wir das erste Mal eine um- tatsächlich zu der Gründung kommt. Man muss fangreiche Vorlage in dieser Legislaturperiode zu aber auch begreifen, dass die Schülerinnen und dem Institut bekommen – und wir sind immerhin Schüler nur einmal in die Schule gehen; dieser Satz schon weit über ein Jahr in dieser Legislatur dabei. ist so alt wie er richtig ist. Die Schülerinnen und Das zeigt auch, dass es bisher keine Erfolgsge- Schüler, die 2017 in die Grundschule gekommen schichte ist, wie Sie das hier betonen. Frau Strunge sind, haben 2027, wenn Sie erste Erfolge vermel- habe ich so vernommen, dass das ja nur Mittel zum den wollen, die Abschlussklasse in der zehnten Zweck sei, da könne das auch noch ein bisschen Klasse erreicht. Diese Schülerinnen und Schüler länger dauern. Nein, kann es nicht. Wenn man den haben Sie schon verloren und ich bitte darum, dass Zweck erfüllen will, Sie nicht noch weitere Schülerinnen und Schüler verlieren, wenn Sie hier weiter herumtrödeln. Es (Zuruf Abgeordnete Bredehorst [SPD]) muss endlich beschleunigt werden. – Vielen Dank! dann braucht man adäquate Mittel, und man muss (Beifall FDP) sie zeitnah zur Verfügung stellen, deswegen habe ich kein Verständnis dafür, dass das Ganze hier so Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin lange dauert. hat das Wort die Abgeordnete Frau Averwerser.

(Beifall FDP, CDU) Abgeordnete Averwerser (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Wenn wir noch einmal konkret werden und in die Bredehorst, Sie sprechen immer davon, dass Sie auf Antworten schauen, dann steht unter 1a), erster 1996 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

die Erfahrung ganz besonders von Hamburg zu- Aufbau des Instituts beteiligen. Es ist der Personal- rückgreifen wollen. Ganz ehrlich aber, so ganz rat, es ist die Behörde, es sind die Schulleitungen. kann man das nicht glauben, wenn man die Ant- Es ist auch richtig, dass man sie mitnehmen muss, worten verfolgt und mit den alten Vorlagen ver- aber irgendwann muss man auch einmal sagen: Da gleicht. Aus den Antworten zu unserer Großen An- vorn geht es weiter, weil sonst dreht man sich im frage geht hervor, dass unter anderem der organi- Kreis, es wird nichts passieren und an der Stelle satorische Aufbau, der sich ursprünglich an Ham- sind wir gerade. Das ist, finde ich, unter den Um- burg orientieren sollte, so verändert werden soll, ständen nicht mehr hinnehmbar. dass die Steuerung, Durchführung, Datenaufberei- tung und Analyse von Statistiken für alle Bildungs- (Beifall CDU) stätten in der senatorischen Behörde bleiben sollen. Das war in den alten Vorlagen durchaus anders ge- Klar, LALE funktioniert. Das stimmt. Warum aber plant. funktioniert LALE? LALE wird mittlerweile an 22 weiterführenden Schulen – 18 in Bremen und vier Das heißt nun, dass die Behörde die Schulleistungs- in Bremerhaven – durchgeführt, freiwillig. LALE untersuchungen vornehmen soll, die sie die ganze funktioniert, weil es in den fünften Klassen der wei- Zeit nicht machen wollte oder nicht konnte, und die terführenden Schulen vorgenommen wird und man in allen anderen Bundesländern im Übrigen die un- nicht die Leistungen der weiterführenden Schulen abhängigen Qualitätsinstitute übernehmen. Das damit bewertet, sondern eigentlich die Leistungen hat Gründe, meine Damen und Herren. Da bin ich der Grundschulen. Da kommen wir wieder zu dem ganz bei Ihnen, Herr Fecker: Eine unabhängige Be- Problem, dass es an den Grundschulen ganz we- wertung ist das Herzstück einer unabhängigen da- nige Datenerhebungen gibt. Weil VERA 3 auch auf tengeschützten Qualitätsentwicklung. In Bremen das Akzeptanzproblem stößt, das, wie man der Ant- ist es so, dass man droht, hier den Bock zum Gärt- wort entnehmen kann, sich allein auf die Durchfüh- ner zu machen. Gerechtfertigt wird dieses Vorge- rung bezieht. Trotzdem ist VERA 3 wichtig für eine hen damit, dass dies mit Verflechtungen, mit Refe- durchgehende Datenerhebung, die dann in den fol- raten und dem IT-Bereich zu begründen ist. Ich genden Klassen durchgeführt werden soll, um tat- muss ganz ehrlich sagen: Ich muss mir doch vorher sächlich Prozesse zu erkennen und Entwicklungs- überlegen, ob ich ein Institut für Qualitätsentwick- defizite zu erheben. lung haben möchte, das seine Aufgaben bestmög- lich umsetzen kann oder eben nicht. Ich sage eines: Zusammengefasst heißt das zum Sachstand der Die CDU-Fraktion hat dazu eine klare Meinung. Qualitätsentwicklung im Bildungsbereich im Land Bremen mit Blick auf das IQHB: Wir wissen nicht, Wenn wir schon dabei sind, weil Sie immer so wann es kommt – hierzu sagt die Senatorin sicher- schön sagen, sie haben die Grundschulen gestützt: lich gleich etwas –, wir wissen nicht, was es darf, Sie wollten auch, wie in Hamburg vorgesehen, die datenschutzrechtlichen Problematiken wurden Schulporträts vornehmen, und auf der Basis der schon angesprochen. Wir wissen nichts über die Porträts sollten Schulentwicklungskonferenzen, Rechtsform. Es scheint nur primär sicher zu sein, als die Entwicklungsdefizite identifiziert haben, statt- würden zahlreiche Interessenvertreter sich dahin- finden, es sollten Kontrakte geschlossen werden, es gehend einbringen, dass möglichst alles so bleibt sollten Zielvereinbarungen gemacht werden. Was wie es ist. glauben Sie denn, wie viel von den Dutzend Grundschulen, die 2019 an diesen Schulporträts Viele Ansätze, die andere Bundesländer erfolg- teilgenommen haben, tatsächlich ein vollständiges reich verfolgen, werden hier nahezu systematisch Schulporträt erhalten haben? Wissen Sie es? Vier! verwässert. Es ist zu befürchten, dass es so läuft wie mit vielen guten Projekten und Vorhaben in Bre- Glauben Sie bloß nicht, dass sich daraus eine men: Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Das Schulentwicklungskonferenz abgeleitet hätte. Also können und werden wir nicht hinnehmen, meine das wäre mir jetzt neu. Ich weiß von keiner und Damen und Herren, denn das wirklich Schlimme wenn, sind es vier von ganz vielen Grundschulen. daran ist: Unsere Kinder sind die Leidtragenden Das ist der vorhin schon genannten Prioritätenset- und die haben im ganzen Prozess wirklich keine zung zum Opfer gefallen. Ich sage Ihnen eines: einzige Interessenvertretung, außer wir nehmen sie Hier fällt vor allen Dingen die Qualität der Bildung wahr, und wir nehmen sie gern wahr und werden zum Opfer, und zwar mit diesem Einmischen von Sie an der Stelle auch treiben. – Vielen Dank! ganz vielen Interessengruppen, die sich an diesem (Beifall CDU) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1997

Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- drei Jahren nicht an erster Stelle ein Schild gesetzt gen aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir zu haben, auf dem steht: Institut für Qualitätsent- nicht vor. Deswegen erteile ich jetzt Frau Senatorin wicklung im Land Bremen. Dann hätten wir die Dr. Bogedan das Wort. Ausgründung gehabt, hätten das abgeschlossen und wir hätten uns viele Redebeitrage in dieser De- Senatorin Dr. Bogedan: Sehr geehrte Frau Präsi- batte erspart. dentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie soll man die Antwort zu einer 26-seitigen, eng Aber nein. Ich habe den Fehler begangen, und es gedruckten Großen Anfrage zu einem sehr kom- mögen die Historiker sein, die nachher beurteilen, plexen Thema in zehn Minuten Rede zusammen- ob das wirklich ein Fehler war, dass wir die echte, fassen? Wie verdeutlicht man, dass die Themen, die die reale Verbesserung in den Schulen an den Aus- adressiert werden, wie die Ausgründung des gangspunkt gesetzt haben. IQHBs, Mittel zum Zweck einer Qualitätsentwick- lung sind und nicht der Zweck an sich? (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wie erklärt man, dass eine Zielstellung, die darauf Dass wir reale Veränderungen bewirken wollten ausgerichtet ist, von Anfang an gute Bildung für und deshalb als erstes die Umsetzung von Projek- alle zu schaffen, sich damit auseinandersetzen ten in den Schulen angestoßen haben. Wir haben muss, was die Maßstäbe einer guten Bildung sind? uns nicht, wie Herr Prof. Dr. Hilz sagte, mal eben in Ich bin da ganz klar: Für mich ist gute Bildung eine einem halben Jahr damit auseinandergesetzt, die Bildung, die dazu befähigt, ein selbstbestimmtes rechtliche Klärung an den Ausgangspunkt zu stel- Leben zu führen und ein soziales Miteinander zu len, sondern wir haben an den Ausgangspunkt ge- gewährleisten. Eine gute Bildung hat, gerade in ei- stellt, dass wir als erstes mit den Schulen gemein- ner sich spaltenden Gesellschaft, den Auftrag, dazu sam daran arbeiten, in der Wirklichkeit zu überprü- beizutragen, das soziale Miteinander zu gewähr- fen, wie die Lernausgangslagen in der Klasse fünf leisten. sind.

(Beifall SPD) Ich halte es für einen großen Erfolg, dass sich jedes Jahr auf der Basis von Freiwilligkeit mehr Schulen Sie hat den Auftrag, die Lust und die Bereitschaft melden, die verstehen, dass wir einen Prozess ge- zu Leistung zu wecken. Nicht als Selbstzweck, son- startet haben, der ihnen in ihrer Arbeit hilft. Dieser dern als Mittel dazu, in einer Gesellschaft frei und Arbeit, die ich vorhin skizziert habe: Schülerinnen selbstbestimmt leben zu können, seinen eigenen und Schüler dazu befähigen, ein gutes Leben zu Lebensweg bestimmen und seinen eigenen Le- führen, zu einem guten Schulabschluss zu kommen bensunterhalt verdienen zu können. Wenn das die und dann ein selbstbestimmtes Leben führen zu Maßstäbe für gute Bildung sind, dann ist ein Insti- können. tut sinnvoll, das darauf ausgerichtet ist, die Quali- tätsentwicklung im Bremer Bildungssystem zu stär- In Klasse fünf wird nun in diesem Jahr zum dritten ken. Ein Bildungssystem, das Bildungsleistungen Mal LALE 5 durchgeführt. Zum dritten Mal! Ich verbessert, an denen nicht nur gemessen wird, an möchte gern wissen, wie man dazu kommen kann, denen nicht nur nach Zahlen operiert wird, sondern als Ergebnis dessen, was wir dargelegt haben, zu an dem die Schülerinnen und Schüler in ihren Be- sagen, wir hätten seit drei Jahren nichts getan und dürfnissen wahrgenommen werden und für jedes nur zögerlich gearbeitet. Zum dritten Mal wird einzelne Individuum der bestmögliche Bildungs- LALE 5 in den Schulen Bremens durchgeführt, und weg geschaffen wird. zwar in Bremen und Bremerhaven.

(Beifall SPD) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn wir eine solche Bildungspolitik an den Aus- In diesem Jahr können wir erstmalig, was in dem gangspunkt der Überlegungen für ein Qualitätsin- Bestreben, Schülerinnen und Schüler zu unterstüt- stitut stellen, dann ist dies das Instrument, das dazu zen, unsere Phantasie, unser Wunsch war, die beitragen soll, diese Selbstbefähigung herzustel- Folgeunteruntersuchung LALE 7 durchführen. Wir len, denn offenbar, so zeigen es die Studien, haben werden sie durchführen und uns nicht hinter der wir einiges zu tun, wenn es darum geht, die Schü- Coronapandemie verstecken und sagen, nein, wir lerinnen und Schüler zum Erfolg zu führen. Ja, ich hatten keine Zeit dafür. Diese Sorge ist unbegrün- räume ein, dass es womöglich ein Fehler war, vor det, lieber Herr Fecker. 1998 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

In der Tat, wir haben noch nicht das Haus und den Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort Ort gefunden, wo auf der Klingel Institut für Quali- des Senats, Drucksache 20/432, auf die Große An- tätsentwicklung im Land Bremen steht. Wenn man frage der Fraktion der CDU Kenntnis. das an erster Stelle stellt, dass der Zweck eben doch das Mittel heiligt – oder wie sagt man – der Bündelung der Verantwortung für alle bremi- Zweck heiligt die Mittel – auf jeden Fall, wenn im schen Seehäfen beim Land Mittelpunkt das Instrument steht und nicht mehr Große Anfrage der Fraktion der CDU der Zweck, dem das Instrument dienen soll, dann vom 21. April 2020 glaube ich, wären wir Lichtjahre davon entfernt, (Drucksache 20/356) dass wir ein mit Leben gefülltes Instrument haben, was zu echter Qualitätsverbesserung beiträgt. Dazu

Ich nenne Ihnen ein ganz konkretes Beispiel, eben Mitteilung des Senats vom 22. September 2020 ist es schon genannt worden: Die Kultusminister- (Drucksache 20/618) konferenz hat bereits vor Jahren erklärt, dass die Untersuchungen zu VERA bundesweit in den Klas- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. sen drei und acht durchgeführt werden sollen, um Schilling. Lernstandards zu erheben. In allen 16 Bundeslän- dern wird dieses Instrument landauf, landab von al- Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf len Lehrkräften als ein von außen auferlegtes, für die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen den Schulalltag wenig hilfreiches und schon gar möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintre- nicht für die Weiterentwicklung für Schülerinnen ten können. und Schülern sowie die Unterstützung insbeson- dere schwächerer Schülerinnen und Schüler hilf- Die Aussprache ist eröffnet. reiches Instrument angesehen. Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Unser Nachbarbundesland, auf das gern verwiesen Frau Grobien. wird, hat sich vor diesem Hintergrund aus VERA verabschiedet. Wir in Bremen haben gesagt, nein, Abgeordnete Grobien (CDU): Sehr geehrte Frau wir wollen dieses Instrument nutzen, indem wir es Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Letz- in eine umfassende Qualitätsstrategie einbinden, tes Jahr, mit Beginn der rot-grün-roten Koalition Kollege Fecker hat es gesagt. Wir wollen VERA-3 und mit den neuen Zuständigkeiten und Ressortzu- und das ist auch in diesem Haus beschlossen wor- schnitten, da stellte man sich neue Aufgaben und den, in allen beiden Fächern verpflichtend machen Ziele. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der und dafür Sorge tragen, dass die unterschiedlichen Häfen im Lande Bremen, der jetzt nicht mehr in der Lernstandserhebungen, die wir durchführen, in der Zuständigkeit des Wirtschaftsressorts liegt, hat Schule dazu beitragen, echte Lernfortschritte von mehr Bedeutung erlangt und mit einer Bremer- Schülerinnen und Schülern zu untersuchen. havenerin an der Ressortspitze bekommen natür- lich auch Bremerhavener Themen eine besondere Wir haben über die Digitalisierung der Schulen ge- Bedeutung. sprochen, entsprechende Instrumente werden ein- geführt, von der Erprobung von quop ist bereits die Mit unserem Antrag aus August 2019 „Bündelung Rede gewesen. Auch das wird einen Beitrag dazu der Verantwortung für alle bremischen Seehäfen leisten, im Alltag der Schulen Veränderungen ein- beim Land“ wollten wir eine Initiative in Gang set- zuführen. Es tut mir leid: Als Person werde ich im- zen, um nach 20 Jahren über weitere Entwick- mer dafür stehen, dass mir echte Veränderungen lungspotenziale in der Hafenorganisation nachzu- im realen Leben mehr wert sind als ein Schild an denken. Unser Antrag wurde seinerzeit an den der Haustür. – Vielen Dank! Ausschuss für die Angelegenheiten der Häfen im Lande Bremen überwiesen. Dort gab es aber keine Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- wirkliche Bearbeitung, geschweige denn Bera- gen liegen nicht vor. tung, und unser Antrag wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Die Aussprache ist geschlossen. Weil uns das Thema aber so wichtig ist, haben wir die äußerst komplexen Fragen, um die es dabei geht, im Frühjahr noch einmal im Rahmen einer Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 1999

Großen Anfrage gestellt. Die Antwort des Senats das ist doch viel zu teuer. Das sehen aber vor allem liegt jetzt seit September vor und ich bedanke mich aus finanzieller Sicht nicht alle so, weil natürlich für die teilweise sehr ausführliche, teils aber auch auch die Gewerbesteuereinnahmen der Hafenbe- sehr spärliche Beantwortung. Wir haben daraus triebe an die Stadt Bremen fließen. Die Kammer hat zum Beispiel gelernt, dass es schon unmöglich ist, das richtig zu dem jeweiligen Kammerbezirk zuge- den Begriff Hafen exakt zu definieren, geschweige ordnet. denn den Begriff Landeshafen. Wir haben gelernt, dass die Flächen im Anlagevermögen Sonderver- Auch bei der täglichen Praxis in der Abwicklung mögen Hafen nicht exakt dem Gebiet des stadtbre- und Veränderung von Bebauungsplänen gibt es mischen Überseehafens und, und, und – –. bei den Gebietsabgrenzungen Probleme. Ich kann da noch einmal – wir hatten es letztes Mal schon – Dennoch hat der Senat unsere Intention schon rich- an die geplante Neuaufstellung des Bebauungs- tig verstanden. Es geht nämlich um die Frage, wie plans 1981 im Rahmen des Hafenentwicklungs- die bisher dem städtischen Sondervermögen Häfen konzepts erinnern. Der Bebauungsplan wird von zugeordneten Vermögensgegenstände und Aufga- der Gebietsgrenze durchschnitten und nach wie ben dem Land Bremen übertragen werden können, vor ist es nicht klar, wer eigentlich zuständig ist und natürlich verbunden mit einer entsprechenden un- wer in dem Verfahren die Feder führt. Seit Januar ter Umständen notwendigen Gemeindegrenzände- liegt das Projekt auf Eis. rung. Bei der Beleuchtung der rechtlichen, wirt- schaftlichen, steuerlichen, organisatorischen und Ähnlich verhält es sich mit der immer wieder ins personellen Aspekte vernimmt man aber immer Gespräch gebrachten Hafenrandstraße. Das Prob- wieder ein und dieselbe Botschaft: Der Senat ver- lem ist, dass die kommunalen Interessen Bremens folgt das Thema nicht, er hält es nicht für erforder- und Bremerhavens eben nicht immer deckungs- lich und will sich schlichtweg nicht damit beschäf- gleich sind. Häufig fallen Nutzen und Lasten einer tigen. Maßnahme auseinander und mit einem Landesha- fen und der Übertragung der Hoheitsrechte an Bre- Mit dieser Begründung wurden dann auch die Fra- merhaven ließen sich solche Probleme entschärfen gen drei, vier und zehn nicht, beziehungsweise und Prozesse vor allen Dingen beschleunigen. wirklich ausgesprochen sparsam beantwortet. Da- bei ist doch die Hafenentwicklung seit jeher das (Abgeordneter Günthner [SPD]: Beschleunigen Sie Herzstück der wirtschaftlichen Entwicklung unse- die Hafenrandstraße?) res Bundeslandes. Die letzte große Restrukturie- rung der bremischen Hafenorganisation mit der Prozessbeschleunigung ist aber in Bremen sowieso Gründung der Managementgesellschaft bremen- ein schwieriges Thema. Deswegen sind wir im ports im Jahr 2002 hat in Zeiten der Großen Koali- Grundsatz, trotz der abschlägigen Antwort des Se- tion stattgefunden und vielleicht ist es von daher nats, nach wie vor der Meinung, dass diese Fragen auch ein merkwürdiger Gedanke, dass wir einen noch einmal ernsthaft mit Blick auf die Vorteile und solchen neuerlichen Prozess aus der Opposition ihrer Machbarkeit überprüft werden sollen. Ich heraus anstoßen können. habe noch ein paar Punkte, aber bevor ich wieder das Galoppieren anfange, wie heute Morgen, Wer weiß denn aber auch schon, wie lange diese komme ich gleich noch einmal wieder. – Vielen Regierung noch hält, bei den so offensichtlichen Dank! Zerwürfnissen zwischen einzelnen Ressorts und zwischen den Regierungsfraktionen. Wie wir erst (Beifall CDU – Vizepräsidentin Dogan übernimmt kürzlich von Herrn Bücking hören konnten, muss den Vorsitz.) man über die Struktur, Aufgabe und Funktion der Häfen einmal ganz grundsätzlich nachdenken. Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat Aber bitte, Sie fangen ja noch nicht einmal an das Wort der Abgeordnete Zager. nachzudenken. Abgeordneter Zager (SPD): Frau Präsidentin, liebe (Beifall CDU) Kolleginnen und Kollegen! Frau Grobien hat es ge- rade schon gesagt, wir haben letztes Jahr im Au- In Bremerhaven haben sich einige mit der stadtbre- gust über den Antrag der Fraktionen der CDU und mischen Exklave auf ihrem Gebiet sogar ange- der FDP „Bündelung der Verantwortung aller bre- freundet. Der Oberbürgermeister selbst sagt öffent- mischen Seehäfen beim Land“ diskutiert und ha- lich, warum sollen wir uns um die Häfen kümmern, ben ihn in den Ausschuss für die Angelegenheiten 2000 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

der Häfen im Lande Bremen überwiesen. Dort ha- ich, mit dem EU-Beihilferecht nicht wirklich einfa- ben wir ihn auch diskutiert, zur Kenntnis genom- cher. Mit Ausnahme der nicht wirtschaftlichen Tä- men und haben die Senatorin für Wissenschaft und tigkeiten wird das noch aufwendiger werden, aber Häfen gebeten weitere Fragen zu beantworten. das kann man ja der Antwort des Senats entneh- men. Wie ich finde, sind die Fragen dann auch entspre- chend im Januar in der Sitzung des Ausschusses Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass sich umfassend beantwortet worden, und danach ka- die Bündelung der Verantwortung aller bremi- men keine Fragen mehr. Wir haben dann bekann- schen Häfen weder im Augenblick noch auf abseh- ter Weise im Februar eine Empfehlung ausgespro- bare Zeit rentabel gestalten lässt. Zudem sehen wir chen, als Ausschuss für die Angelegenheiten der auch keine Anhaltspunkte für eine kostenintensive Häfen im Lande Bremen, dass die Bremische Bür- Überprüfung der bestehenden Strukturen. Trotz- gerschaft diesen Antrag ablehnen möge. In der dem möchte ich der Senatorin und auch ihren Mit- Februarsitzung ist dann die Bürgerschaft dieser arbeiter*innen für die umfangreiche Beantwortung Empfehlung gefolgt. der Fragen danken. Es wäre sicherlich auch noch einmal interessant zu erfahren, wie viele Arbeits- Da hätte man eigentlich denken können, gut, das stunden dafür aufgewandt werden mussten, um Thema ist jetzt erst einmal ad acta gelegt, denn die diese vielen Fragen so umfangreich und detailliert Fragen hätten ja alle gestellt werden können. Dann zu beantworten. kommen Sie aber, liebe CDU-Fraktion, mit dieser Großen Anfrage um die Ecke zur gleichen Thema- (Zuruf Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]) tik. Da habe ich mir gesagt, ich kenne Herbert Grö- nemeyer, der singt auch immer gern „Was soll Alles in allem bleiben wir bei unserer Auffassung, das?“, und die Frage hat sich mir gestellt, was sollte das kann ich als Bremerhavener ruhigen Gewis- das an dieser Stelle? Sie haben eben versucht das sens vertreten, dass eine Bündelung der Verant- zu begründen, Frau Grobien, kann ich auch zum wortung keine Vorteile bringen würde, die im Ver- Teil nachvollziehen, aber nicht wirklich. Dann hältnis zum zu betreibenden Aufwand stehen wür- habe ich mir gesagt, vielleicht denken Sie, dass die den. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kollegen im Ressort nicht ausgelastet sind, und stellen ganz viele Frage, damit sie beschäftigt sind. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

(Heiterkeit CDU) Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tebje. Ich glaube aber, das kann nicht der Sinn und Zweck der ganzen Geschichte sein. Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber zurück zu Ihrer Anfrage: Sie haben den Senat Ich will nicht leugnen, dass wir in der Frage Lan- gefragt, wie er denn die Bündelung der Vermö- deshäfen inzwischen einen gewissen Erkenntnis- gensgegenstände und Aufgaben für alle bremi- gewinn durchlaufen. Der Senat hat die Große An- schen Seehäfen beim Land bewertet. Der Senat hat frage der CDU sehr ausführlich beantwortet und die Auffassung vertreten, eine Bündelung bietet ich verstehe die Ergebnisse so: keinen Vorteil. Das sehen wir auch so. Ich finde auch, die Auffassung, die der Senat hat, hat er auf Steuerlich würde die Übertragung der stadtbremi- die Anfrage hin differenziert und detailreich darge- schen Häfen auf das Land keine Belastung auslö- legt. Eigentlich auch nicht anders, als in den Sit- sen, wenn sie als Schenkung erfolgt. Das wäre ein zungen des Ausschusses vorher. Vielleicht habe ich Bruch der Landeshaushaltsordnung, aber steuerli- ja aber eine andere Wahrnehmung an der Stelle. che Nachteile würden nicht entstehen. Beihilfe- rechtlich wäre die Situation nicht viel anders als Auf die steuerrechtliche Betrachtung, auch das war jetzt, da eine beihilferechtliche Prüfung auch so Thema im Ausschuss, finden Sie die Antworten auf kontinuierlich stattfindet. Für den Haushalt von die Große Anfrage ähnlich lautend wieder. In der Bremerhaven hätte die Übertragung ebenfalls Tat neu ist die Frage nach dem EU-Beihilferecht. keine Auswirkungen, ein Mehr an Gewerbesteuer- Ja, auch da, finde ich, hat die Senatorin für Wissen- einnahmen würde durch den kommunalen Finanz- schaft und Häfen das sehr ausführlich dargestellt ausgleich neutralisiert. Unter dem Strich würde und wenn man jetzt dazu kommt, ich möchte die sich daher nichts ändern. Verantwortung bündeln, dann wird das, glaube Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2001

Die Übertragung würde unter die sogenannte Pri- Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): vatisierungsbremse in der Landesverfassung fal- Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und len, auch wenn es eine Übertragung von öffentli- Herren! Ich möchte auch zunächst dem Ressort für cher Hand zu öffentlicher Hand ist. Es wären also Wissenschaft und Häfen für die umfangreiche Ant- eine Zweidrittelmehrheit oder ein Volksentscheid wort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU erforderlich. Unverändert gilt aber, eine solche danken. Ich denke, dass die Fragen der CDU auch Übertragung wäre ein rechtlich sehr komplexer gut sind, um diese Debatte noch einmal richtig zu und damit auch ein sehr langwieriger und teurer rahmen. Einige Punkte sind ja schon genannt wor- Prozess. Hier müsste in erheblichem Umfang Geld den. Das Thema Landeshafen oder Landesseehä- für Rechtsanwälte, Beratungsfirmen et cetera aus- fen ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der schwie- gegeben werden, damit dieser Prozess rechtssicher rig in der Argumentation ist. über die Bühne gehen könnte. All das wirft die Frage auf, warum sollte man das tun? Ich möchte aber auf eine andere Sache hinaus: Die CDU hatte in ihrem Antrag, den wir als Koalition (Abgeordnete Grobien [CDU]: Weil man besser abgelehnt haben, die Definition gewählt, dass das werden will!) wirtschaftliche Eigentum und die Finanzierungs- verantwortung beim Land zu bündeln seien. Das, Diese Antwort bleiben Sie von der CDU uns aber was jetzt hier in der Vorlage zu finden ist, ist die weiterhin schuldig. Der Gewinn müsste schon er- Einlassung des Senats selbst. Das ist so definiert, heblich sein, wenn man sich einer solchen Proze- dass die Annahme wäre, dass Landeshäfen dann dur, die Kosten und Risiken beinhaltet, unterziehen entstehen, wenn die bisher der Stadtgemeinde Bre- soll. Soweit ich sehe, würde man viel Geld ausge- men zugeordneten hafenbezogenen Vermögens- ben und viel Aufwand treiben dafür, dass am gegenstände des Sondervermögens Häfen und die Schluss eigentlich alles so ist wie vorher. Die See- damit verbundenen Aufgaben dem Land Bremen häfen würden weiter von bremenports gemanagt zuzuordnen wären und damit eine vergleichbare und das Eigentum läge weiter in der öffentlichen Zuordnung entsteht wie sie beim Sondervermögen Hand. Es wäre nur ein anderes Schild daran. Fischereihafen besteht.

Die einzige Veränderung, die ich erkennen kann, Ich würde eigentlich von der CDU erwarten, dass wäre die wahlrechtliche Veränderung. Es würden sie selbst definieren, wie sie sich das Ziel der See- tatsächlich zwei Personen, die im Hafengebiet häfen vorstellen und nicht das Ressort die Defini- wohnen, in Zukunft aus dem Wahlbereich Bremen tion übernehmen lassen. Wenn sie das schon tun, in den Wahlbereich Bremerhaven wechseln. Ich dann müssten sie sich zumindest dazu positionie- weiß nicht, ob diese zwei Personen das gut oder ren, ob das aus ihrer Sicht der richtige Rechtsbe- schlecht finden würden, auf das Wahlergebnis griff ist oder ob sie sich etwas anderes vorstellen. hätte dies mit Sicherheit keinen durchschlagenden Einfluss. Meine Damen und Herren, wenn wir dieser Argu- mentation des Senats folgen, dann kommen wir zu Daher bleibt der Befund, es gibt keinen vernünfti- Konsequenzen, die schon angedeutet worden sind. gen Grund, eine Übertragung der stadtbremischen Bremenports selbst hat ein Anlagevermögen im Be- Seehäfen auf das Land vorzunehmen, außer dass sitz der Freien Hansestadt Bremen. Hier müssten man einigen Rechtsanwälten und Beratungsfirmen massive Veränderungen erfolgen, um das Ganze eine große Freude bereiten würde. Daran hat sich auf die Landesebene zu bringen. Das wurde in der nichts geändert, daran wird sich auch durch wei- Vorlage auch recht umfangreich ausgeführt. Es ist tere Anfragen und weitere Anträge nichts ändern. an verschiedenen Stellen zu merken, dass diese Für rechtliche Abenteuer, die kostspielig sind und Transformation Richtung Landeshäfen sehr viele für die es keinen sinnvollen Anlass gibt, wird diese Unbestimmtheiten hat. Aus meiner Sicht stellen ei- Koalition auch weiterhin nicht zur Verfügung ste- gentlich alle Fragen, die die CDU gestellt hat, im- hen. Insofern hoffe ich, dass wir diese Frage für mer noch eine Komplexität dar, die dann bei der diese Legislaturperiode erst einmal zu den Akten Beantwortung zu berücksichtigen ist. legen können. – Ich danke für die Aufmerksamkeit! Also, ich und wir Grünen, wir fühlen uns deswegen (Beifall DIE LINKE, SPD) auch darin bestärkt, dass es richtig war, den recht unbestimmten Antrag der CDU damals abzu- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat lehnen. Ich will auch dazu sagen, dass wir Grünen das Wort der Abgeordnete Herr Müller. auch meinen, dass es auch die Möglichkeit wäre, 2002 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

über die Frage Häfen noch etwas differenzierter weiter belegt wird – einen etwa siebenstelligen Be- nachzudenken, nämlich über die hoheitlichen Ver- trag. Frage 13 ist das, glaube ich. Ein etwa sieben- änderungen, die Grenzziehung zwischen Bremen stelliger Betrag, wie der genau zustande kommt, und Bremerhaven. Sie als CDU tun so, als ob unbe- konnte man uns im Ausschuss nicht erklären, hier dingt die finanziellen Rahmenrichtlinien geändert steht auch keine weitere Erklärung. werden müssen, um hoheitliche Veränderungen durchzuführen. Das ist ja in der Vergangenheit Die Frage ist doch, was können wir damit bewe- auch nicht der Fall gewesen. Also, dazu hätten wir gen? Wie ist die Steuerung der Häfen? Wie sind die auch noch Fragen, wie die CDU sich da positio- Sondervermögen in der Kontrolle? Ein gutes Bei- niert. spiel ist eigentlich die Frage der Sanierung der Containerkaje CT 1 bis CT 3a, die nicht hier im Wie gesagt, insgesamt sind wir Grünen erst einmal Landtag stattgefunden hat. Mein Kollege Dr. Mag- dankbar für die Antworten, für die Konkretisierung nus Buhlert hat das meines Erachtens sehr gut ge- und wir sehen es so, dass, wenn wir über Vermö- macht in der Stadtbürgerschaft, obwohl er mit sei- gensbündelung beim Land reden, wir dann schon nem Wohnsitz in der Neustadt weit weg ist von sehr differenziert in die Details gehen müssen und denjenigen, die es eigentlich betrifft. Herr Tebje dass die generelle Definition als Landeshafen ei- aus Hemelingen durfte auch mitdiskutieren. Herr gentlich zu ungenau ist, um die politische Debatte Müller aus Bremerhaven, der sich am lautesten zu zu führen. – Danke schön! dieser Thematik in der Öffentlichkeit geäußert hatte, saß genauso außen vor wie ich. Das ist schon (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) eine Frage, über die man wirklich nachdenken muss, ob das eigentlich auch politisch die richtige Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat Antwort und die richtige Struktur ist und ob wir so das Wort der Abgeordnete Prof. Dr. Hilz. tatsächlich politisch die richtigen Weichen in der Zukunft für unsere Häfen stellen können. Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich Dass das wichtig ist, hat nicht zuletzt die Große An- danke der CDU ausdrücklich dafür, dass sie diese frage zur maritimen Wirtschaft als Indikator er- Anfrage gestellt hat, denn in der Antwort sind we- bracht, denn wir haben international Nachholbe- sentlich mehr Informationen als die, die wir im Aus- darf. Wir haben Nachholbedarf und wenn Sie dann schuss für die Angelegenheiten der Häfen im als Stadt Bremen losgehen und sagen, wir sind die Lande Bremen erhalten haben. Ich finde es eine Stadt Bremen und möchten konkurrieren mit den Frechheit, hier auf den personellen Aufwand hin- großen nationalen Häfen, die in Benelux sind, oder zuweisen, der im Ressort dafür entstanden ist. Ja, mit dem Landeshafen, wie er in Hamburg ist – –. das ist uns allen bewusst, aber Demokratie lebt da- Allein das sind Fragen, die darf man bei solchen von, dass die Opposition Anfragen stellt, dass die Fragestellungen nicht außer Acht lassen. Deswe- Opposition Anträge stellt. Sie selbst stellen auch gen ist es richtig aus unserer Sicht, auch wenn es Anfragen, die kosten natürlich auch Geld. Demo- primär ein wenig Geld kostet, dass man langfristig kratie kostet Geld und das muss man hier auch ein- die Häfen in Landeshoheit überführt. mal sagen. (Beifall FDP, CDU) (Beifall FDP, CDU) Dass das Ganze komplex ist, das ist uns bewusst. Zum Thema Landeshäfen, ein durchaus schwieri- Es gibt tatsächlich durchaus interessante Aspekte. ges Thema: Es gibt Berechnungen aus 1995, die sa- Es gibt natürlich auch nachteilige Aspekte, bei de- gen, in dem Moment, wenn man die Häfen von der nen man sich überlegen muss, wenn man da ge- WFB auf die Stadtgemeinde Bremerhaven über- nauer einsteigt, ob das dann tatsächlich sinnvoll trägt, so war damals die Frage, spart man im Ge- und umsetzbar ist oder in welchem Zeitraum man samtkonstrukt tatsächlich Geld ein. Aus den Ant- das machen sollte. Ich bitte aber wirklich darum, worten des Senats geht nicht ganz klar hervor, wie langfristig zu schauen, die politischen Rahmenset- das Ganze dauerhaft aussieht, wie eine Langzeit- zungen zu formulieren, mit allem, Bebauungspläne berechnung eigentlich ist, man sagt nur, der Pro- wurden bereits angesprochen – –. zess, der jetzt eingeleitet werden müsste, um diese Umstrukturierung vorzunehmen, kostet – und hier Eine Frage, die immer wieder diskutiert wird, ist steht wieder die etwas nebulöse Zahl, die nicht die Frage der Sicherheitskräfte, Feuerwehr, Polizei, die dann ja über die Stadtgrenzen hinausgehen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2003

Der Neubau der Feuerwache Nord in Bremer- Organisation, Abbau von Schnittstellen auch in der haven, die für den Norden gebaut werden soll – in Verwaltung et cetera. der Diskussion ist jetzt ein Standort in den stadtbre- mischen Überseehäfen – wäre dann eine stadtbre- Es hat in der Vergangenheit bereits öfter Gebiets- mische Feuerwehr, die für Leherheide und Wedde- reformen gegeben. Das führen Sie in der Vorlage warden zuständig wäre, aber auf stadtbremischem ja auch sehr anschaulich aus. Bereits 1977 haben Gebiet aus stadtbremischen Geldern bezahlt wer- Bremen und Bremerhaven Grundeigentum und den müsste. Hoheit über verschiedene Gebiete getauscht: Bre- men erhielt unter anderem Flächen im Bereich (Abgeordneter Günthner [SPD]: Das ist doch Un- Weddewarden und Bremerhaven Flächen nördlich sinn!) der Schleuse. 1995 hat Bremen Flächen im Bereich des Neuen Hafens im Tausch gegen Wasserflächen Doch, genauso ist das, Herr Günthner. Das sind der Weser an Bremerhaven übergeben, die für den doch genau die Fragen, die hier die Komplexität Ausbau der Häfen benötigt wurden. 2002 erfolgte des Ganzen aufzeigen. Deswegen glaube ich, ge- eine Gebietsübertragung der Flächen der ehemali- rade weil diese Fragen hier ausführlich beantwor- gen Carl-Schurz-Kaserne von der Stadt Bremen an tet worden sind, ist es sinnvoll, dieses Ziel weiter in Bremerhaven und für die Kompensationsmaßnah- der Diskussion zu behalten, aus unserer Sicht wei- men zum CT 4 war im Jahr 2009 sogar ein Staats- ter zu verfolgen, um die langfristige Strategie als vertrag mit Flächentausch mit dem Land Nieder- Landesstrategie des Landes Bremen für unsere Hä- sachsen erforderlich. All diese Gebiets- und Eigen- fen hier entsprechend zu formulieren und am Ende tumsübertragungen erfolgten unentgeltlich und so- dazu zu kommen, aus den stadtbremischen Häfen weit ich weiß, auch ohne steuerliche Auswirkun- dann doch Landeshäfen zu machen, um gemein- gen und konform mit der Landeshaushaltsordnung. sam voranzukommen. – Vielen Dank! Enttäuscht haben mich auch die Ausführungen des (Beifall FDP) Senats zur Privatisierungsbremse in der Landesver- fassung. Die juristischen Ausführungen zu dieser Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat Frage ziehen sich sogar über drei Seiten, die ent- das Wort die Abgeordnete Frau Grobien. scheidende Frage, ob die Privatisierungsbremse ei- ner Übertragung von Eigentum und Hoheit entge- Abgeordnete Grobien (CDU): Frau Präsidentin, gensteht, kann der Senat aber nicht abschließend Kolleginnen und Kollegen! Nun ein zweites Mal. beantworten. Das ist ein sehr plastisches Beispiel Wir haben in den meisten Debattenbeiträgen be- dafür, wie Sie mir Ihrer Privatisierungsbremse un- reits viel über die Probleme einer möglichen Ver- nötig politischen Entscheidungsspielraum be- änderung der Hafenstrukturen gehört. Tenor ist schnitten und ein rechtliches Graufeld geschaffen immer, dass wir ein super funktionierendes System haben. Dabei verstehen die Bürgerinnen und Bür- haben und dass eine Neuordnung mehr Nacheile ger unter Privatisierung doch etwas ganz anderes, als Vorteile bringt und sich natürlich der Aufwand als wenn zwei bremische Gebietskörperschaften auch nicht lohnt. Gebiete miteinander tauschen. Es ist also auch ein Stück selbst gemachtes Elend, dass Fragen, die sich Uns geht es als CDU-Fraktion, um das hier noch 1977, 1995, 2002 und 2009 relativ einfach lösen lie- einmal zu sagen, aber nicht nur um die Eigentums- ßen, heute doch so kompliziert erscheinen. fragen und schon gar nicht um Symbolpolitik. Es geht uns darum, ein in großen Teilen wirklich gut Als CDU-Fraktion ziehen wir hieraus folgende Er- funktionierendes System und dessen Strukturen zu kenntnis: Sie haben ein unglaubliches Beharrungs- verbessern und weiterzuentwickeln. vermögen, wollen bloß keine Veränderungen

Die Gründung der Sondervermögen Häfen und Fi- (Beifall CDU, FDP) schereihafen vor 20 Jahren waren zur damaligen Zeit eine sehr gute Idee, aber auch die kann man und wundern sich dann, wenn unsere Häfen immer weiterentwickeln. Gerade vor dem Hintergrund weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und wir des zunehmenden Wettbewerbs und anstehender den Zug nur noch von hinten sehen. – Vielen Dank! möglicher Kooperationen mit anderen Seehäfen müssen bestehende Strukturen ständig überprüft (Beifall CDU) und gegebenenfalls auch neu justiert werden. Dazu gehört auch eine gegebenenfalls schlankere 2004 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat aktuell mit den Akteuren der Hafenwirtschaft ver- das Wort Frau Senatorin Dr. Schilling. netzt.

Senatorin Dr. Schilling: Sehr geehrte Frau Präsi- Zum Schluss meiner Vorbemerkungen sollten wir dentin, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr ge- uns alle darüber im Klaren sein, dass unser Hafen- ehrte Abgeordnete der CDU-Fraktion, mit Ihrem standort, auch das ist hier angeklungen, nicht erst Anliegen zur Bündelung der Verantwortung für durch die Coronapandemie mit erheblichen Her- alle bremischen Seehäfen beim Land haben wir ausforderungen konfrontiert ist. Die Umschlags- uns in den letzten Monaten bereits mehrfach im zu- zahlen in unseren Häfen sind deutlich zurückge- ständigen Ausschuss, das ist schon angeklungen, gangen. Wenn wir also wollen, auch das habe ich für die Angelegenheiten der Häfen im Lande Bre- schon einmal betont, dass die bremischen Häfen men als auch in der Bremischen Bürgerschaft aus- das Herz und der Motor der Bremer Seeverkehrs- einandergesetzt. Ich hoffe nun, dass wir diese De- und Logistikwirtschaft bleiben, müssen wir jetzt batte heute und hier abschließen und dass wir uns dafür sorgen, dass unsere Häfen dem Wettbewerb dann gemeinsam den tatsächlich drängenden Fra- standhalten können, und wir sollten uns nicht län- gen der Zukunftsgestaltung unserer Häfen widmen ger damit aufhalten, Probleme lösen zu wollen, die können. es aus unserer Sicht nicht gibt.

(Beifall SPD) Sehr geehrte Abgeordnete der CDU-Fraktion, mit Blick auf Ihren vorgelegten Fragenkatalog muss Bevor ich auf Ihre Große Anfrage im Einzelnen ein- ich gestehen, dass uns Ihre Begründung für Ihr Pro- gehe, möchte ich, auch wenn ich mich wiederhole, jekt Landeshäfen doch nach wie vor etwas verwun- noch einmal ausdrücklich konstatieren, dass sich dert. Sie argumentieren damit, dass nicht ausge- die bestehende Aufgabenverteilung in den bremi- schlossen werden könne, dass es ein optimales Sys- schen Häfen zwischen dem Land und den beiden tem für die bremischen Seehäfen gibt, das dem be- Stadtgemeinden Bremerhaven und Bremen sowohl stehenden überlegen ist. Auf der Grundlage einer funktionell als auch finanziell bewährt hat. Dies gilt solch vagen Vermutung fordern Sie den Senat auf, für die letzten knapp 20 Jahre und erst recht aktu- einen kostenintensiven Prüfungs- und etwaigen ell in der Bewältigung der mit der Coronapandemie Umstrukturierungsprozess mit ungewissem Aus- einhergehenden Herausforderungen. Ein tatsächli- gang auf den Weg zu bringen. ches Organisationsproblem, wie es die Fragestel- lung suggeriert, haben wir nicht. Schon in unserer letzten Debatte zu diesem Thema in der Bremischen Bürgerschaft habe ich darauf Zudem möchte ich in Bezug auf die in Ihrer An- hingewiesen, dass der enorme Aufwand der von frage konstruierte Sorge hinsichtlich etwaiger Inte- Ihnen ins Spiel gebrachten Neuorganisation in kei- ressenkonflikte zwischen den beiden Stadtgemein- nem sinnvollen Verhältnis zum möglichen Nutzen den in Fragen der Hafen- und Gewerbeentwick- steht. lung auf Folgendes hinweisen: Liebe Frau Grobien, Fragestellungen dieser Art wurden und werden be- (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) reits im Zuge der Erstellung und der anstehenden Weiterentwicklung des bremischen Hafenkonzepts Diese Haltung des Senats wurde nun im Rahmen bearbeitet. In diesem Prozess werden selbstver- der Beantwortung der Großen Anfrage ausdrück- ständlich die Ansprüche und Interessen aller Betei- lich bestätigt – und auch eindrücklich bestätigt. ligten, also auch der beiden Stadtgemeinden, auf- Auch nach einer detaillierten Befassung mit dieser gegriffen und entsprechend abgewogen und be- Thematik durch den Senat, gibt es nämlich unver- rücksichtigt. ändert keine Anhaltspunkte dafür, dass die von Ihnen geforderte Neuorganisation mit signifikan- Ein schönes Beispiel wie sich die Interessen des ten Vorteilen verbunden sein könnte. Vielmehr Hafens mit der kommunalen Gewerbeentwicklung drängen sich mit einem noch viel weitergehenden ergänzen, sehen Sie in der jüngst erfolgten Ansie- Prüf- und Umstrukturierungsauftrag verbundene delung der Firma Mafi & Trepel auf dem ehemali- Nachteile auf, die es in unserer heutigen Debatte gen Gelände der Carl-Schurz-Kaserne. Ausgehend zu berücksichtigen gilt. von einer Kundenveranstaltung der Häfen in Bay- ern wurde über die BRG der Kontakt zur Bremer- In der Beantwortung der Fragen wird bereits, zum havener Wirtschaftsförderung gesucht und die Ver- Beispiel bei der Frage acht, deutlich, dass eine von antwortlichen für die spätere Produktion werden Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2005

Ihnen angeregte Übertragung von hafenbezoge- Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort nen Vermögensgegenständen, wie dem Sonder- des Senats, Drucksache 20/618, auf die Große An- vermögen Hafen, von der Stadtgemeinde auf das frage der Fraktion der CDU Kenntnis. Land vielfältige steuerliche Auswirkungen mit sich bringen würde. Insbesondere bei der Ertragsteuer Das Wahlrecht für Obdachlose stärken ist mit zusätzlichen Aufwendungen zu rechnen. Da Prüfungsauftrag der Bremischen Bürgerschaft wir über die öffentliche Finanzierung von Infra- vom 12. Dezember 2019 strukturprojekten sprechen, tangieren die von Mitteilung des Senats vom 3. Juni 2020 Ihnen vorgeschlagenen Varianten der Neuorgani- (Drucksache 20/418) sation natürlich allesamt EU-Beihilferecht, auch das ist hier schon angeklungen. Dazu als Vertreter des Senats Staatsrat Bull.

Wir haben bereits in den Jahren 2017, 2018 ein Die Beratung ist eröffnet. förmliches Vorprüfverfahren der bestehenden Ha- fenorganisation und Finanzierung durchlaufen und Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete dabei auf Drängen der EU-Kommission auch An- Pörschke. passungen vorgenommen. Im Ergebnis ist unsere Hafenfinanzierung nun ohne Beanstandung und Abgeordneter Pörschke (Bündnis 90/Die Grünen): dies wird durch eine jährliche Überprüfung bestä- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und tigt. Sehr verehrte Abgeordnete, ich sage Ihnen Herren! Den Aussetzer konnte ich gut verstehen, hier ganz deutlich, dass wir froh über dieses Ergeb- weil viele hier im Saal sicherlich müde sind, und nis sind und diese Thematik ohne einen echten werden mit Blick auf die Uhr sagen: Jetzt wird es Sachgrund nicht ein weiteres Mal in den Fokus rü- auch Zeit und ich gebe Ihnen Recht. Ich blicke da- cken möchten. bei zugleich auf den Kalender.

Die steuerlichen und beihilferechtlichen Aspekte Der Prüfungsauftrag, den wir seitens der Regie- Ihres Anliegens deuten im Übrigen auch darauf rungskoalition formuliert haben, war zwischen uns hin, dass durch eine mögliche Neuorganisation der intern abgestimmt im November letzten Jahres. bremischen Häfen zusätzliche Haushaltsbelastun- Das wurde am 12. Dezember hier vom Parlament gen für die beteiligten Gebietskörperschaften ent- angenommen, ist auch überaus pünktlich oder fast stünden. Durch eine notwendige Einbindung er- fristgenau vom Senat mit Datum vom 3. Juni beant- heblicher externer Expertise entstünden Kosten, wortet worden, und wir waren es als Bürgerschaft, wir haben es gesagt, im voraussichtlich siebenstel- die so lange gebraucht haben, diesen Punkt aufzu- ligen Bereich, von den hierfür ebenfalls bereitzu- rufen. Das ist von meiner Seite aus keine Kritik, stellenden internen Ressourcen im Umfang mehre- sondern ein Hinweis darauf, dass dieses Haus zum rer zusätzlicher Vollzeitkräfte ganz zu schweigen. wiederholten Male so viele Aufgaben zu bewälti- Für den Prüfprozess müssten Sie mindestens mit ei- gen hat, dass Anliegen, die allgemein als wichtig nem Zeitbedarf von zwei bis zweieinhalb Jahren erachtet, immer wieder nach hinten gerückt wer- rechnen. den.

Dieser Aufwand ist aus unserer Sicht in keiner Als wir im Dezember letzten Jahres diskutiert ha- Weise zu rechtfertigen. Ich plädiere dafür, dass wir ben, hatte ich mich persönlich gefragt, ist dieser diese Debatte nun hinter uns lassen und wir uns ge- Antrag zu dem Zeitpunkt eigentlich richtig, die meinsam, das biete ich hier an, den wirklichen Fra- Vorbereitung auf die nächste Wahl? Damals wirkte gen der Zukunftsorientierung unserer Häfen wid- die nächste Bundestagswahl noch weit weg. Heute men. – Ich danke Ihnen! ist es anders. Darum meine ich, kommt die Antrags- befassung heute auch zum richtigen Zeitpunkt. Das (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) war für mich als Neuling im Parlament Lektion Nummer eins. Manche Abläufe brauchen deutlich Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen länger, als man sich das gewöhnlich erhofft. Lek- nicht vor. tion Nummer zwei war: Es kommt ganz entschei- dend darauf an, wie man formuliert. Die Aussprache ist geschlossen. Sie wissen, der Antrag, der Prüfungsauftrag ist überschrieben mit: „Das Wahlrecht für Obdachlose stärken.“ Die Verwaltung hat darauf mit großer 2006 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Präzision geantwortet: „Eine Kampagne, die allein bin. Ich möchte aus der Vorlage einen Satz zitieren, auf das Wahlrecht von Obdachlosen abgestellt ist, von dem ich glaube, das gilt für das Wahlrecht ist gar nicht zulässig, weil sie eine bestimmte Per- gleichermaßen. Er hat nämlich geschrieben: „Die sonengruppe hervorhebt.“ Ich würde nicht nur auf- Bewohner – gemeint ist das Projekt des Housing grund dieses Hinweises sagen, eigentlich hätten First – müssen sich gleichberechtigt in der Gestal- wir das Ganze überschreiben müssen mit: „Die Ob- tung wiederfinden“. – Und weiter: „Die weitere dachlosen mit Hilfe des Wahlrechts stärken.“ Entwicklung der Hilfsangebote darf aus Sicht der Bewohner nicht auf ein reines Zustimmen oder Ab- Die Verwaltung hat aber einen Ausweg angeboten, lehnen hinauslaufen.“ Besser kann man das gar sie hat erklärt, dass es durchaus zulässig ist, allge- nicht formulieren. Auch Menschen ohne Obdach meine Kampagnen durchzuführen, um die Wahl- sind Bürger dieser Stadt, sind Teil des Souveräns, beteiligung zu steigern und bei der Gelegenheit dem wir hier alle zu dienen haben. – Herzlichen auch auf die besondere Situation von wohnungslo- Dank! sen Personen hinzuweisen. Ich gehe davon aus, dass die Verwaltung diesen Weg nicht nur vor- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) schlägt respektive der Senat, sondern schon heute alle notwendigen Schritte unternimmt, um dies Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort auch für die nächste Bundestagswahl in angemes- der Abgeordnete Janßen. sener Weise vorzubereiten. Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Sehr geehrter (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir führen heute eine Debatte über das Da ich mir nicht sicher bin, ob alle von Ihnen Zeit Recht von Obdachlosen, zu wählen, und über die gefunden hatten, die Vorlage für den heutigen Ta- Frage, wie wir diese Personengruppe dabei unter- gesordnungspunkt zu lesen, möchte ich Sie auf ei- stützen können. Im Dezember 2019 hat die Bürger- nen Punkt hinweisen, über den zumindest ich ge- schaft einen Antrag der Koalition beschlossen, der stolpert bin, nämlich die Begründung, warum eine mehrere Punkte beinhaltet hat. Einer der Punkte allein auf Obdachlose zugeschnittene Kampagne war, in enger Zusammenarbeit mit den Trägern der auch problematisch sein könne, nämlich, weil sie Obdachlosenhilfe Diskussionen zu führen, wie zu einer Benachteiligung von Parteien führen frühzeitig alle betreffenden Personen informiert kann, die, ich zitiere wörtlich: „Die von wahlbe- werden können. Ein weiterer Punkt war eine Infor- rechtigten Obdachlosen nur unterdurchschnittlich mationskampagne, die Einrichtung eines Wahllo- gewählt werden.“ Ich überlasse es Ihrer Spekula- kals in einem Obdachlosentreff zu prüfen und der tion, wer damit gemeint sein kann. Bürgerschaft Bericht zu erstatten. Diesen Bericht mit dem Datum von Juni 2020 legt der Senat vor Ich bin mit der Antwort aber auch nicht unzufrie- und wir diskutieren ihn heute. den, weil ich der Auffassung bin, dass es eigentlich die Aufgabe eines jeden Parlamentariers und einer Falls jemand – ich hoffe, das sagt niemand – auf die jeden demokratischen Partei ist, engagiert um die Idee kommen würde, die Frage zu stellen, warum Stimmen von Obdachlosen, darf ich sagen zu strei- man sich eigentlich diese Mühe macht, es handele ten, zu kämpfen oder besser noch zu werben, und sich doch um eine begrenzte Personenanzahl, ich habe dabei eine ganz dringende Bitte an alle dann, glaube ich, müssen wir hier alle klar feststel- hier im Haus: Mein Appell geht dahin, Menschen, len, dass das Wahlrecht nun einmal ein Grundrecht die obdachlos sind, eben nicht nur auf die größte ist, ein hohes Gut. Es muss daher für alle Personen- Sorge, auf die größte Not der Wohnungslosigkeit gruppen unabhängig von ihrer Größe gewährleis- zu beschränken, sondern sie in all ihrer Vielfalt tet werden und auch ihre spezifische Lebenssitua- wahrzunehmen, als einzelne Bürgerinnen und Bür- tion darf dafür kein Hinderungsgrund sein. Daher, ger dieser Stadt mit ganz eigenen Fragen, Ideen glaube ich, sind wir gut beraten, dieses Thema und Vorstellungen. heute auch einmal mit einer Debatte zu würdigen.

Als wir am 1. Oktober wenige Meter von hier ent- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) fernt im Bremer Kongresszentrum die Anhörung zu unserem gemeinsam getragenen Projekt des „Hou- Konkret heißt es zu der Frage der Hürden für Ob- sing First“ durchgeführt haben, hat ein Betroffener dachlose, dass man keinen Wohnsitz benötigt, um uns eine Handreichung auf den Tischen gelassen. wählen zu gehen. Man benötigt auch keinen Per- Das war Herr Urban, dem ich dafür sehr dankbar sonalausweis, was für viele Obdachlose eine Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2007

Schwierigkeit darstellt. Erforderlich für die Aus- machen und Menschen diese Möglichkeit zur Ver- übung des Wahrechtes sind die deutsche Staats- fügung zu stellen und sie darauf aufmerksam zu bürgerschaft bei den Landtagswahlen oder bei den machen, ohne dabei ausschließlich Obdachlose zu kommunalen Wahlen eine EU-Staatsbürgerschaft, adressieren, wäre also vollständig zulässig. das entsprechende Wahlalter und als Ort des ge- wöhnlichen Aufenthaltes muss man sich in der zu- Zweitens: In den Obdachlosentreffs könnten Sam- gehörigen Gebietskörperschaft aufhalten. melanträge gestellt werden und die Briefunterla- gen könnten dort entgegengenommen werden. In der Praxis bestehen dennoch Hürden für Ob- Obdachlose haben häufig keinen Ort, an dem sie dachlose, da sie sich frühzeitig in Wählerverzeich- von der geheimen Ausübung des Wahlrechts im nisse eintragen lassen müssen, und zwar läuft die geschützten Rahmen Gebrauch machen können, Frist dafür drei Wochen vor der Wahl ab. Das ist die sodass nichts dagegen sprechen würde, in einem eine Hürde. Die andere Hürde ist, das sie häufig abgetrennten Bereich beispielsweise des Bremer nicht anstreben, in allgemeine Wahllokale zu ge- Treffs eine Ecke anzubieten, in der die Briefwahl- hen. Das heißt, gerade eine Gruppe, die unter be- unterlagen geheim ausgefüllt werden könnten. sonders prekären Lebensverhältnissen lebt, muss sich besonders diszipliniert auf die Wahl vorberei- Das Schreiben des Bundesministeriums für Inneres ten, und das geht mit erheblichen Schwierigkeiten sagt beispielsweise zu den Schulwahllokalen, dass einher. Der Antrag der Bürgerschaft zielte also da- es zu einer Verzerrung kommen würde, wenn man rauf ab, diese Hürden auch spezifisch aufzugreifen an Schulen wählen würde, wenn es an zu vielen und zu adressieren. Orten sogenannte Briefwahllokale geben sollte. Wir schlagen daher ja nicht vor, an allzu vielen Or- Der Bericht ist wirklich sehr ausführlich, ich möchte ten ein solches Briefwahllokal einzurichten, son- mich auch dafür bedanken. Ich habe den Eindruck, dern in Erwägung zu ziehen, dies an einem Punkt dass es sich die Verwaltung da nicht leicht gemacht zu machen und damit die Hürden abzusenken. hat, sondern sich dieses Themas umfangreich an- genommen hat. Es gibt ein paar Punkte, die ich mir Ein letzter Punkt: Die Dreiwochenfrist gilt bei allen anders gewünscht hätte, aber gut, man kann sich Parteien. Die heiße Wahlkampfphase, in der man auch nicht alles wünschen. Daher verstehen wir, auf den letzten Spurt noch einmal Menschen zu dass das Wahlrecht auch besagt, dass man nicht für motivieren versucht, doch an der Wahl teilzuneh- bestimmte Gruppen ganz spezifische Wahlwer- men, genau in dieser Zeit ist eine Anmeldung für bung machen kann. Also, man kann keine Plakate die Wahl gar nicht mehr möglich, weil man sich be- aufhängen, auf denen steht: Obdachlose, es ist in reits vorher eingetragen haben muss. Ich kenne zu- eurem Sinne, zu wählen! mindest viele Leute, die erst innerhalb dieser Zeit eine Wahlentscheidung treffen oder die für sich Das ist nicht zulässig, eine solche Form von Wahl- dann noch einmal die Relevanz dieser Wahl aner- werbung. Man darf auch keine Sonderwahllokale kennen. Daher glaube ich, einrichten, in denen nur einzelne Personengruppen aufgerufen werden. Daher wäre so etwas wie ein (Glocke) Wahllokal im Bremer Treff nur dann möglich, wenn es mit Zustimmung des Beirates die Verlagerung dass man noch einmal eine Initiative in Erwägung eines allgemeinen Wahllokales in den Bremer Treff ziehen sollte, hier das Bundesrecht zu verändern geben würde. Das müsste dann aber selbstver- und diese Dreiwochenfrist zur Eintragung zu ver- ständlich auf Beiratsebene diskutiert und auch all- kürzen. Wir wissen nicht nur aus Deutschland, dass gemein getragen werden. Damit gehen natürlich die Eintragung in Wähler*innenverzeichnisse eine andere Herausforderungen einher. Hürde ist, die deutlich schwierig zu nehmen ist, un- terschiedlich für verschiedene Personengruppen. Trotzdem enthält der Bericht auch zwei Punkte, die Wir sollten das gemeinsame demokratische Inte- man noch einmal weiterverfolgen könnte, und ich resse haben, hier die Ausübung des Wahlrechts für hoffe, dass wir uns darin inhaltlich einig sind. Ers- Obdachlose zu ermöglichen. – Vielen Dank! tens: Die Dreiwochenfrist zur Eintragung in das Wählerverzeichnis gilt für alle. Das betrifft faktisch (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) hauptsächlich Obdachlose, die nun einmal nicht über die nötigen Unterlagen und einen Wohnsitz Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat die Ab- und einen Personalausweis verfügen. Eine Kam- geordnete Grönert das Wort. pagne, die darauf abzielt, diese Frist bekannt zu 2008 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Abgeordnete Grönert (CDU): Herr Präsident, wahrt. Durch eine, wie von Ihnen geforderte spezi- meine Damen und Herren! Bereits in der Debatte elle Extrawahlkampagne nur für diese Gruppe, im letzten Herbst zum Antrag von Rot-Grün-Rot würde das passieren. Mich haben im letzten De- zweifelte niemand daran, dass obdach- oder woh- zember tatsächlich schon vor der Debatte oder im nungslose Menschen, wie alle anderen auch, wahl- Zusammenhang mit der Debatte einige Leute ge- berechtigt sind. fragt, ob es denn nun auch öffentliche Wahlkam- pagnen für andere Gruppen geben soll, für junge Sie müssen dafür bis drei Wochen vor der Wahl ei- Leute, für Arbeiter oder Akademiker oder für Ar- nen Antrag auf einen Eintrag in das Wählerver- beitslose oder pflegebedürftige Menschen. Ich be- zeichnis stellen und, wie alle anderen auch, einige lasse es bei diesem Aspekt, obwohl in Ihrem Antrag grundlegende Voraussetzungen erfüllen. Dabei noch einige andere Punkte strittig waren. wird ihnen in Bremen in den von ihnen genutzten Einrichtungen bereits vielfältige Unterstützung an- Was mir in der ganzen Diskussion aber nicht in den geboten. Zur letzten Bundestagswahl wurden auf Kopf will ist, warum drei Parteien hier immer wie- diese Weise sechs Eintragungen ins Wählerver- der gemeinsam Initiativen einbringen, die inhalt- zeichnis erfasst, das klingt vielleicht erst einmal lich nicht wirklich rechtskonform sind. Warum in- nicht viel, doch in Frankfurt, wo es noch einige Ob- formieren sich die Initiatoren nicht erst ordentlich, dachlose mehr gibt, waren es nur fünf. bevor sie aktiv werden.

Der juristische Prüfdienst der Bremischen Bürger- (Beifall CDU) schaft bestätigt in seinem Bericht über den Antrag der Bremer Regierungskoalition diesen engagier- Warum werden sie nicht spätestens dann von ihren ten Einsatz für eine möglichst hohe Wahlbeteili- Mitantragstellern der jeweiligen anderen Parteien gung zusätzlich durch den Hinweis, dass bereits gebremst. Ich stehe nicht gern namentlich unter ei- während der letzten beiden Bundestagswahlen nem Antrag, der sich rechtlich gar nicht umsetzen vom Wahlamt an 15 Einrichtungen und Treffpunk- lässt. Sollte mir das passieren, wäre mir das, ehrlich ten der Bremer Obdachlosenhilfe Plakate und In- gesagt, ziemlich peinlich. Von der Bremer Koalition formationen über das Ausüben des Wahlrechts ver- wird das aber einfach so hingenommen. Ich würde teilt wurden. Es ist gut, weiter in diese Richtung zu das hier auch gar nicht thematisieren, wenn es gehen und das Engagement soweit wie möglich zu denn zum ersten Mal passiert wäre. Ihnen stehen intensivieren. doch auch sämtliche Möglichkeiten offen, das ei- gene Anliegen, bevor man es in einen Antrag gießt, Für die kommende Bundestagswahl ist zusätzlich auf Übereinstimmung mit Recht und Gesetz prüfen der Einsatz von Ehrenamtlichen geplant, wie es zu lassen. Wir machen hier doch schließlich keine woanders bereits gemacht wird, um so, durch noch Symbolpolitik, sondern es soll sich doch auch wirk- mehr direkten Kontakt mit dieser Gruppe, deren lich etwas ändern, oder? Wahlmöglichkeiten in die Praxis zu bringen. Erst vor kurzem mussten Sie den Antrag mit dem Doch die Bremer Koalition wollte mehr und hatte langen Titel „Mit einem neuen Bremer Erlass auf- deshalb ihren Antrag gestellt. Sie forderte den Se- enthaltsrechtliche Sicherheit für junge Geflüchtete nat unter anderem auf, eine spezielle Informations- während Ausbildungsvorbereitung und Ausbil- kampagne für Obdachlose zu planen. Doch dabei dung schaffen“ zurückziehen. Die Prüfung des ju- haben sie anscheinend allesamt vergessen, vor ristischen Dienstes der Bürgerschaft hatte auch hier Schreiben des Antrages ein wenig zu recherchie- ergeben, dass sich so ein Erlass mit den Beschluss- ren. Ich habe mich bereits im Dezember letzten punkten des Antrags der Koalition nicht mit den Jahres in der Debatte gegen eine solche spezielle Regelungen des Aufenthaltsgesetzes vereinbaren Wahlkampagne gestellt, aber so konkret wie es der lässt. juristische Prüfdienst der Bürgerschaft gemacht hat, habe ich das damals nicht auf den Punkt ge- (Zuruf Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grü- bracht. nen])

Er stellt nämlich unmissverständlich fest, dass der Warum haben Sie das denn nicht vorher geprüft? Grundsatz der Gleichheit der Wahl verletzt werde, Zumindest ich erwarte, dass Anträge, die wir hier wenn eine staatliche Maßnahme zur Erhöhung der debattieren, ernst zu nehmen Wahlbeteiligung das Gebot der Gleichheit nicht (Beifall CDU) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2009

und vor allen Dingen auch tatsächlich umzusetzen Als solche haben sie auch das Recht, ernst genom- sind. Wenn sich aber bereits vor Antragstellung men zu werden, und das drückt sich darin aus, dass zeigt, dass sich ein Anliegen nicht mit Landes- oder sie auch an freien allgemeinen Wahlen teilnehmen Bundesrecht vereinbaren lässt, dann können Sie dürfen. Dafür gibt es Regularien, über deren Hür- doch auch einen Antrag einbringen, der auf die Än- den kann man sicherlich reden und streiten, das derung der jeweiligen Gesetze hinwirkt. Da kön- muss man dann bei den entsprechenden Gesetzen, nen Sie dann meinetwegen auch gern hinein- die dafür zuständig sind, tun. schreiben, warum Sie das Gesetz geändert haben möchten. Das wäre für mich der politisch korrekte Hier ging es aber darum zu überlegen, was man Weg, meine Damen und Herren. Doch einige von noch tun kann. Es gab eine Analogie, aus der man Ihnen legen einfach hektisch los, wenn Ihnen et- schließen konnte, dass manches nicht gehen wird. was wichtig ist. Besondere Briefwahllokale hatten wir schon disku- tiert, als wir eine höhere Wahlbeteiligung von (Abgeordnete Krümpfer [SPD]: Das ist bei Ihnen Schülerinnen und Schülern haben wollten und auch so!) auch da wurde es verworfen, Briefwahllokale in Schulen einzurichten, weil das eine besondere Politik ist aber kein „Wünsch-Dir-Etwas“. Herr Gruppe hervorhebt und freie und allgemeine Wah- Janßen hat vorhin auch von „Wünsch-Dir-Etwas“ len konterkariert. Genauso wurde verworfen, spe- gesprochen. Ich will mich jedenfalls nicht damit ab- zielle Kampagnen zu machen, die nur Schülerin- finden, dass Sie es mir und meinen Mitstreitern in nen und Schüler ansprechen. Etwas anderes ist der Opposition immer wieder zumuten, Ihre An- das, was an Schulen an Demokratiebildung durch- träge vor einer Debatte auch noch selbst einer ju- geführt wird, dass man über Wahlen spricht und ristischen Prüfung unterziehen zu müssen. Wir sind dergleichen. Das ist da außen vor, aber spezielle hier schließlich das Parlament und kein Kindergar- Kampagnen eben nicht. ten. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Was rechtlich zulässig ist und was die Bremische (Beifall CDU) Bürgerschaft auch bei der letzten Wahl in, glaube ich, sehr gelungener Weise getan hat, war, für Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Wahlbeteiligung zu werben, für das Wählengehen der Abgeordnete Dr. Buhlert. zu werben. Da kann man natürlich schauen, dass das die ganze Bevölkerung erreicht. Das kann auch Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrter jeder tun und ich will dem Kollegen Janßen wider- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Alle sprechen, es ist natürlich zulässig, bei Obdachlosen Staatsgewalt geht vom Volke aus. Dazu gehören dafür zu werben, wählen zu gehen, aber nicht für alle Menschen, die hier leben. Dazu gehört nicht, den Staat, für den einzelnen Kandidaten, einzelne dass man ein bestimmtes Einkommen hat oder dass Parteien natürlich. Auch das ist eine Frage dessen, man eine Wohnung hat, sondern wir haben ein all- wie man damit umgeht, wie man dazu steht und gemeines gleiches Wahlrecht. Deswegen steht wie man diese Wählergruppe ansprechen und ob auch außer Frage, dass Menschen, nur weil sie kei- man das tun möchte. Sonderregelungen, wie ge- nen festen Wohnsitz haben, hier nicht wählen dür- sagt, sind kritisch zu sehen. Es ist aber ein gutes fen, sondern sie haben dieses Recht. Sie gehören zu Recht, dass sie wählen gehen. Sie darauf hinzuwei- unserer Gesellschaft und wenn wir hier über das sen, wie man alle anderen darauf hinweist, ist ge- Wahlrecht für Menschen, die obdachlos geworden nau richtig. sind, reden, reden wir über die Frage: Erkennen wir sie als Teil unserer Gesellschaft an und nehmen Insofern nehmen wir das hier zur Kenntnis und se- wir sie als solche wahr? hen, dass die Koalition durch die Bearbeitung sei- tens des Senats dann dazugelernt hat, was wir ver- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) mutet haben und Frau Grönert schon wusste. – Herzlichen Dank! Wir als Freie Demokraten stehen dazu, Menschen, die obdachlos sind, gehören zu unserer Gesell- (Beifall FDP) schaft, sie können wir nicht leugnen, sie haben si- cherlich Probleme in ihrem Leben, aber wir neh- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort men sie als Teil unserer Gesellschaft wahr. der Abgeordnete Lenkeit.

(Beifall FDP) 2010 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Abgeordneter Lenkeit (SPD): Herr Präsident, Kol- damit zur demokratischen Willensbildung beitra- leginnen und Kollegen! Die Schamesröte noch im gen, egal, ob dies nun die Koalition oder die Oppo- Gesicht von den Ausführungen der Kollegin Grö- sition legitimiert. nert, gelobe ich Besserung. Es ist natürlich immer stupide, das gebe ich zu, wenn Anträge auf ihre (Beifall SPD, DIE LINKE) Gesetzeskonformität geprüft werden und es dann zu so einem Ergebnis kommt. Wir als SPD-Fraktion Anschließend beziehungsweise zum Ende möchte werden das zum Anlass nehmen und Andreas ich noch etwas wagen, ich möchte Winston Scheuer einladen, damit er uns in Zukunft einmal Churchill widersprechen. Kolleginnen und Kolle- erklärt, wie man Gesetze auf den Weg bringt und gen, das beste Argument für die Demokratie und schreibt, die dann nicht von Gerichten kassiert Wahlen ist natürlich ein fünfminütiges Gespräch werden, denn das passiert natürlich nur uns, und mit einem durchschnittlichen Wähler. Wenn wir nicht Ihnen. durch diese Gespräche und einige kleine Maßnah- men dann noch dafür sorgen, dass mehr durch- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) schnittliche potenzielle Wählerinnen und Wähler auch wählen gehen, dann ist das ein Erfolg für uns Ich möchte mit einem Zitat starten: Ein gewisser alle. In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn Winston Churchill hat einmal zum Thema Demo- wir den Bericht zur Kenntnis nehmend, das Ziel, al- kratie und Wählen gesagt: „Das beste Argument len Bevölkerungsgruppen einen besseren Zugang gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Ge- zu Wahlen zu ermöglichen, beibehalten. – Ich spräch mit einem durchschnittlichen Wähler.“ Sehr danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und verspre- geehrte Damen und Herren, uns liegt vor und wir che, dass ich heute nicht noch einmal wieder- debattieren heute den Bericht zum Prüfauftrag zum komme! Antrag „Wahlrecht für Obdachlose stärken“ vom 12. Dezember 2019. Ich muss zugeben, ich, wir hät- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) ten uns ein etwas anderes Prüfergebnis gewünscht, aber natürlich respektieren wir das Ergebnis. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Staatsrat Bull. Unsere Idee, Obdachlosen zum Beispiel im Café Papagei die Stimmabgabe zu ermöglichen, ist nicht Staatsrat Bull: Herr Präsident, sehr geehrte Damen möglich, ebenso wie die Idee einer Stimmabgabe und Herren! Vielen Dank für die insgesamt sehr re- im Tagestreff Frauenzimmer. Es würde, und das flektierte Debatte zu diesem Thema. wurde hier bereits angesprochen, gegen die Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichheit und Der Bericht des Innensenators und nicht der Bür- der Öffentlichkeit der Wahl verstoßen und wäre so- gerschaftskanzlei, Frau Grönert, wurde zutreffend mit verfassungswidrig. wiedergegeben, die Bemühungen wurden korrekt dargestellt und auch der politische Rahmen wurde Wir werden aber nicht aufhören, Initiativen zur Er- hergestellt, das heißt, in Bremen gilt „Housing höhung der Wahlbeteiligung, insbesondere mit First“. Das heißt, die 150 obdachlosen und 350 Blick auf Erst- beziehungsweise Jungwähler und wohnungslosen Personen in Bremen werden nicht andere Gruppen, zu fordern und zu fördern, wenn allein gelassen, sondern das Ermöglichen des Le- diese die Gleichheit der Wahl, die Chancengleich- bens in einer eigenen Wohnung ist das Ziel. heit der Parteien und das formelle Parteiwahlrecht nicht verletzen. Für diejenigen, die diesen Weg noch nicht ein- schlagen konnten oder wollten, für deren Sicher- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) heit und Gesundheit muss der Staat Sorge tragen. Sie haben es vielleicht mitbekommen: Wir hatten Kolleginnen und Kollegen, eine signifikante Erhö- zwei Gewalttaten gegen Obdachlose, einmal in hung der Wahlbeteiligung wäre ein großer Erfolg. den Wallanlagen und gestern auch Am Dobben. Nun hätte unser Antrag sicherlich nicht dazu ge- Ich hoffe sehr, dass die Täter gestellt werden kön- führt, tausende neue Wählerinnen und Wählern zu nen. animieren, der Tatsache sind wir uns alle bewusst. Ich und die SPD-Fraktion glauben aber, dass es (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) schon ein Erfolg ist, wenn bei einer Wahl zwei, drei, ein Dutzend mehr Menschen zur Wahl gehen und Ich denke auch, dass für die unsichere Situation für Obdachlose hier auf der Bürgerweide nebenan, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2011

Stichwort Zaun, gute Lösungen gefunden werden nächsten Bundestagswahl, die hoffentlich als Prä- können. Dies muss passieren. senzwahl am Tag der Deutschen Einheit 2021 statt- finden wird. – Vielen Dank! (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Obdachlose brauchen aber nicht nur körperliche Sicherheit und Unversehrtheit, sondern sie brau- Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen chen besondere Ansprache und Hilfe, um ihr Wahl- nicht vor. recht, ihre Bürgerrechte in Anspruch nehmen zu können. Bekanntlich darf der Staat aus guten Die Beratung ist geschlossen. Gründen niemandem einen Wahlschein aufzwän- gen. Eine Wahlpflicht haben die Väter des Grund- Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mittei- gesetzes nicht vorgesehen, aber die gefühlte Barri- lung des Senats Kenntnis. ere muss abgebaut werden. Es ist jetzt kurz vor 18 Uhr und es lohnt sich nicht (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) mehr, einen neuen Tagesordnungspunkt aufzuru- fen. Insofern unterbreche ich die Sitzung und wün- Obdachlose bekommen nicht das bequeme Päck- sche Ihnen einen schönen Abend. chen mit Unterlagen und einem Musterheft mit Er- klärungen in einfacher Sprache in den Briefkasten, (Unterbrechung der Sitzung 17:56 Uhr) sie müssen sich selbst darum kümmern.  Was haben wir schon getan und was wird der Senat bis zur Bundestagswahl noch tun? Die Informa- Präsident Imhoff eröffnet die Sitzung wieder um tionsoffensive mit den Plakaten – so nenne ich sie, 10:00 Uhr. wir können sie auch Kampagne nennen – aus dem Wahljahr 2019 werden wir in den 15 Einrichtungen Präsident Imhoff: Meine Damen und Herren, die der Obdachlosenhilfe wiederholen und mit ehren- unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) amtlichen Helferinnen und Helfern der Wohnungs- ist wieder eröffnet. hilfe, der Inneren Mission ausbauen. Das Wahlamt tut für Bremerhaven das Gleiche. Die Beantragung Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronazahlen der Wahlunterlagen wird dadurch deutlich erleich- sind in unserer Stadt rapide gestiegen. Es gibt so tert. viele Neuinfektionen in Bremen, wie es bisher noch nie gab. Aus diesem Grund haben wir, der Vor- Da Wahllokale ausschließlich für Obdachlose, wie stand und ich, uns entschieden, die Maskenpflicht im Bericht beschrieben, bundesrechtlich unzuläs- einzuführen. Diese gilt seit gestern Abend und ist sig wären und gesonderte Briefwahllokale vom mit sofortiger Wirkung in allen Parlamentsräumen Bundeswahlleiter leider für unzulässig erklärt wur- umzusetzen. Sie alle haben dazu die Ausführung den, bliebe nur ein neuer Zuschnitt der Urnenwahl- per E-Mail erhalten. lokale. Der Deputationsbericht stellt jedoch aus- führlich dar, dass die angefragten Träger derzeit Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben hier leider keinen der vorhandenen Treffs als geeignet erneut eine Ausnahmesituation und es liegt an uns, betrachten. Gegen eine Verschiebung des Wahllo- an jedem Einzelnen von uns, dass wir respektvoll kals an der St.-Johannis-Schule auf den wenig ent- und vorsichtig miteinander umgehen und so keine fernten Bremer Treff spricht neben der schlechten weiteren Menschenleben gefährden. Ich gehe da- Zugänglichkeit für gehbehinderte Menschen über von aus, dass hier im Parlament alle so vernünftig eine steile Rampe – dies könnte man gewiss über sind und sich auch an die geltenden Regeln halten. eine Investition irgendwann lösen –, auch, und das Das hat nicht nur etwas mit dem eigenen Schutz zu muss man berücksichtigen, die hohe Akzeptanz tun, sondern vor allem mit der Wertschätzung ge- der Stammwähler im Stimmbezirk der St.-Johan- genüber den Kolleginnen und Kollegen und auch nis-Schule. mit dem Respekt gegenüber anderen Menschen.

Fazit: Wir intensivieren unsere Kooperation mit den Wir als gewählte Volksvertreter haben auch eine Trägern und haben berechtigte Hoffnung auf eine Vorbildfunktion gegenüber den Bürgerinnen und bessere Wahlbeteiligung von Obdachlosen bei der Bürgern unseres Landes, von denen sich übrigens die ganz überwiegende Mehrheit nach wie vor sehr 2012 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

vernünftig und mit der gebotenen Vorsicht verhält. tion auf dem Ausbildungsmarkt arbeiten soll. Wei- Angesichts der Zumutung und der Einschränkung ter hatten die Partner der Bremer Vereinbarungen der letzten Wochen und Monate gilt unser Respekt die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa im und unsere Anerkennung allen Bremerinnen und Oktober 2019 gebeten, 2020 ein Expertengutach- Bremern und gleichzeitig appelliere ich an alle Bre- ten einzuholen, um die rechtlichen Möglichkeiten merinnen und Bremer, weiterhin die notwendigen eines Landesausbildungsfonds zu prüfen und eine Vorsichtmaßnahmen und Regeln zu befolgen. landesrechtliche Rahmensetzung für einen umla- gefinanzierten Ausbildungsfonds zu entwickeln. Meine Damen und Herren, wir treten in die Tages- ordnung ein. An der Lenkungsgruppe sind die Leitungsebenen der Handelskammer/IHK für Bremen und Bremer- Fragestunde haven, der Arbeitnehmerkammer, der Handwerks- kammer Bremen, der Unternehmensverbände e.V., Für die Fragestunde der Bürgerschaft (Landtag) lie- des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Senato- gen neun frist- und formgerecht eingebrachte An- rin für Kinder und Bildung, der Senatorin für Wirt- fragen vor. schaft, Arbeit und Europa, der Senatorin für Sozia- les, Jugend, Frauen, Integration und Sport und des Anfrage 1: Prozess zur Einführung einer Ausbil- Magistrats Bremerhaven beteiligt. dungsplatzabgabe Anfrage der Abgeordneten Frau Heritani, Stah- Seit April 2020 werden auch Maßnahmen zur Be- mann, Güngör und Fraktion der SPD wältigung der Auswirkungen der Pandemie auf vom 10. September 2020 den Ausbildungsmarkt bearbeitet. Die Gruppe hat seit Dezember 2019 siebenmal getagt und vielfäl- Frau Kollegin, Sie haben das Wort! tige Maßnahmen beschlossen und umgesetzt.

Abgeordnete Heritani (SPD): Wir fragen den Se- Zu Frage 2: Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und nat: Europa erwartet zu Mitte November ein entspre- chendes Gutachten. Herr Professor Fischer-Le- 1. Wann wird die Kommission, die eine landes- scano wurde mit dem Gutachten beauftragt. Er hat rechtliche Rahmensetzung zur umlagefinanzierten eine Professur für öffentliches Recht, Europarecht Steigerung der Ausbildungsplätze entwickeln soll, und Völkerrecht an der Universität Bremen am eingerichtet und wann wird diese voraussichtlich Zentrum für Europäische Rechtspolitik. ihre Arbeit aufnehmen? Zu Frage 3: Die Einrichtung einer Landesausbil- 2. Wurde oder wird ein Bremer Gutachten vor dem dungsumlage wird von einer nicht erreichten Stei- Hintergrund des nordrhein-westfälischen Gutach- gerung der besetzten Ausbildungszahlen abhängig tens von 2014 noch in Auftrag gegeben? gemacht. Eine diesbezügliche Bewertung des Aus- bildungsmarktes auch vor dem Hintergrund der 3. Inwiefern kann der Zeitplan, nach dem bis zu Be- Pandemie erfolgt in der Plenumssitzung der Part- ginn des Ausbildungsjahres 2021/2022 eine lan- ner der Bremer Vereinbarungen für Ausbildung desrechtliche Rahmensetzung entwickelt sein soll, und Fachkräftesicherung im vierten Quartal 2020. eingehalten werden? Es werden hier die Situation auf dem Ausbildungs- markt, die Ergebnisse der Lenkungsgruppe „Aus- Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird von Staatsrat bildung: innovativ“ und die Ergebnisse des Gut- Wiebe beantwortet. achtens unter der Berücksichtigung möglicher Branchenlösungen bewertet. Von daher kann aus Staatsrat Wiebe: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr heutiger Sicht der Zeitplan eingehalten werden. – geehrte Damen und Herren! Für den Senat beant- So weit die Antwort des Senats. worte ich die Anfrage wie folgt: Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, Zusatzfragen lie- Zu Frage 1: Die Partner der Bremer Vereinbarun- gen nicht vor und ich bedanke mich für die Beant- gen für Ausbildung und Fachkräftesicherung ha- wortung! ben im Oktober 2019 beschlossen, dass eine Len- kungsgruppe „Ausbildung: innovativ“ ins Leben gerufen wird, die an einer Verbesserung der Situa- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2013

Anfrage 2: Export von Plastikmüll nicht zulässige Exporte werden geprüft und gege- Anfrage der Abgeordneten Gottschalk, Güngör benenfalls untersagt. und Fraktion der SPD vom 10. September 2020 Zu Frage 2: Das Thema Kunststoffexporte ist auf verschiedenen Ebenen in der politischen Diskus- Herr Kollege Gottschalk, Sie haben das Wort! sion. Die EU-Kommission beabsichtigt, Anfang 2021 einen Vorschlag für einen verschärften Abgeordneter Gottschalk (SPD): Wir fragen den Rechtsrahmen mit Änderungen zum Export von Senat: Kunststoffabfällen vorzulegen. Bremen hat die Bundesratsinitiative Niedersachsens unterstützt, in 1. Gibt es Instrumente auf europäischer Ebene, auf der die Bundesregierung aufgefordert wird, sich für Bundes- oder Landesebene, die Ausfuhr von Plas- ein Vorziehen strengerer Exportregelungen einzu- tikmüll zu begrenzen oder zu verbieten? setzen. In der Entschließung des Bundesrates wird gefordert, internationale Neuregelungen unver- 2. Welche Ansätze sind nach Ansicht des Senats züglich in die europäische Verordnung über die geeignet, die Ausfuhr von Plastikmüll zu reduzie- Verbringung von Abfällen zu überführen. Darüber ren, und wie werden diese vom Senat verfolgt? hinaus nutzt Bremen die Möglichkeiten der Betei- ligung auf der Bund-Länder-Ebene an der Erarbei- 3. Befindet sich der Senat mit anderen Bundeslän- tung effizienter Vorschriften. Bremen kann als dern und dem Bund im Austausch, um lokale Re- Bundesland keine eigenständigen Vorschriften er- cyclinglösungen in Deutschland zu erarbeiten? lassen.

Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird von Frau Zu Frage 3: Die Entkopplung der Ressourcennut- Bürgermeisterin Dr. Schaefer beantwortet. zung vom materiellen Wohlstand ist ein zentrales umweltpolitisches Ziel. Recycling ist hierbei ein Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Sehr geehrter Herr wichtiger Baustein, um Kunststoffabfälle in eine Präsident, meine Damen und Herren! Für den Se- Kreislaufwirtschaft zurückzuführen. Recyclinglö- nat beantworte ich die Anfrage wie folgt: sungen sind allerdings lokal nicht steuerbar, da sich die Verpackungsabfälle nicht im Eigentum des Zu Frage 1: Beim Export von Plastikmüll handelt es öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers befin- sich um grenzüberschreitende Abfallverbringun- den. In der Entschließung des Bundesrates zur Ver- gen. Die rechtlichen Vorgaben zum Export von Ab- ringerung des Exports von Plastikmüll wird jedoch fällen basieren auf internationalen Abkommen wie die Bundesregierung gebeten, gemeinsam mit der dem Basler Übereinkommen über die Kontrolle der Abfallwirtschaft nach Lösungen zu suchen, wie der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Export von Plastikmüll in andere Länder weiterhin Abfälle und ihrer Entsorgung und auf dem OECD- reduziert werden kann, indem Recyclinglösungen Ratsbeschluss zur Kontrolle von grenzüberschrei- in Deutschland erarbeitet werden. tenden Verbringungen von Abfällen zur Verwer- tung. Diese Regelungen sind mit der europäischen Zur notwendigen Abfallvermeidung, um Kunst- Abfallverbringungsverordnung und im deutschen stoffabfallmengen grundsätzlich zu reduzieren, Abfallverbringungsgesetz umgesetzt. Da Exporte zählen insbesondere eine abfallarme Produktge- von Plastikmüll in der Regel mit dem Ziel der Ver- staltung, die Wieder-verwendung von Erzeugnis- wertung in den Empfängerländern durchgeführt sen oder die Verlängerung ihrer Lebensdauer so- werden, gilt das Prinzip der Warenfreiheit. Das wie ein nachhaltiges Konsumverhalten. – So weit heißt, dass für den Export dieser Abfälle keine Ge- die Antwort des Senats! nehmigung erteilt werden muss. Ein Verbot des Exportes von Plastikmüll ist nur möglich, wenn es Präsident Imhoff: Herr Abgeordneter, haben Sie sich um Exporte in Nicht-OECD-Staaten handelt eine Zusatzfrage? – Bitte sehr! und diese gegenüber der Europäischen Kommis- sion ein Importverbot mitgeteilt haben. Darüber Abgeordneter Gottschalk (SPD): Frau Senatorin, hinausgehende rechtliche Instrumente gibt es Sie haben gesagt, dass die Exportkontrolle durch nicht. verschiedene Behörden überwacht wird. Sie haben gesagt, Verdachtsfälle würden geprüft und dann Exporte von Kunststoffen werden durch verschie- gegebenenfalls untersagt. Ihr eigener Eindruck o- dene Behörden kontrolliert. Verdachtsfälle auf der der Eindruck Ihrer Behörde: Ist diese Kontrolle 2014 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

eng genug oder befürchten Sie, dass wir eine grö- Anfrage 3: Stand der Planungen für den Neubau ßere Grauzone haben? des Ausstellungsbereiches „Extremwetter“ im Klimahaus Bremerhaven Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Also, es sind ja ver- Anfrage der Abgeordneten Raschen, Röwekamp schiedene Behörden – die Abfallbehörde, der Zoll – und Fraktion der CDU daran beteiligt. Es können natürlich immer nur vom 11. September 2020 Stichproben gezogen werden. Wir beiden kennen das Thema vom Elektroschrott. Das ist ja ein ähnli- Herr Kollege Raschen, Sie haben das Wort! ches Problem. Insofern wäre es immer wünschens- wert, wenn es noch engmaschiger kontrolliert wer- Abgeordneter Raschen (CDU): Wir fragen den Se- den könnte. nat:

Präsident Imhoff: Herr Kollege, haben Sie eine 1. Wie ist der Stand der Planungen für den Neubau weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! des Ausstellungsbereiches „Extremwetter“ im Kli- mahaus Bremerhaven und wann ist mit der Vorlage Abgeordneter Gottschalk (SPD): Frau Senatorin, der baufachtechnisch geprüften Bauunterlagen sie verweisen ja darauf, dass die maßgeblichen EW-Bau zu rechnen? neuen Schritte von der EU-Ebene kommen müs- sen, dass die EU für 2021 Maßnahmen plant, dass 2. Inwieweit sind die in der Vorlage Nummer eine Bund-Länder-Gruppe da mit hineinwirke, 19/645-L für die staatliche Deputation für Wirt- Bremen wiederum in der Bund-Länder-Gruppe schaft, Arbeit und Häfen am 20. März 2019 ge- den Sachverstand einbringt. Lässt sich denn schon schätzten Umsetzungskosten in Höhe von 9,7 Mil- absehen, welche substanziellen Verbesserungen o- lionen Euro für die Maßnahme noch aktuell und der Änderungen es geben wird, oder ist das noch wie verteilen sich diese auf die verschiedenen Mit- unklar? telgeber?

Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Ich kann Ihnen das 3. Inwieweit wurde für die anteiligen Landesmittel im Detail nicht sagen, liefere das aber gerne nach, zur Umsetzung der Maßnahme in den Haushalts- sobald wir da bessere Erkenntnisse haben. Für uns entwürfen für die Jahre 2020 und 2021 beziehungs- ist ja in Bremen das Ziel, weil wir ein Hafenstandort weise in der maßnahmenbezogenen Investitions- sind, möglichst wenig zu exportieren. Wenn wir ex- planung bis 2023 Vorsorge getroffen? portieren – die Warenfreiheit und die europäischen gesetzlichen Regelungen wurden angesprochen –, Präsident Imhoff: Die Anfrage wird von Herrn wollen wir aber auch sichergehen können, dass das Staatsrat Cordßen beantwortet. nur in Länder exportiert wird, die das nicht ins Meer hineinwerfen, sondern dann wirklich eine Staatsrat Cordßen: Sehr geehrter Herr Präsident, Wiederverwertung, ein Recycling vorziehen. meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord- nete! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie Ich glaube, ein wichtiger Bestandteil wird aber folgt: auch sein, auf den Bereich Wiederverwertung zu gehen. Wir haben ja das Problem, dass wir Ver- (Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) bundstoffe haben, die gar nicht sortenrein sind. Wir brauchen eigentlich eine viel höhere Recyclings- Zu Frage 1: Die Ergebnisse der Planungen der Leis- quote, da muss man gar nicht so viel Abfall expor- tungsphasen eins bis drei, die Planungsunterlage tieren, wenn man das selbst verwenden kann. Da- EW-Bau, wurden von der Bremerhavener Entwick- für brauchen wir eine Sortenreinheit, und das ist lungsgesellschaft Alter/Neuer Hafen GmbH erar- dort sicherlich auch ein wichtiger Punkt. beitet. Die Planungsergebnisse wurden in der 40. Kalenderwoche der zuständigen Stelle für die bau- Präsident Imhoff: Frau Bürgermeisterin, weitere fachtechnische Zuwendungsprüfung beim Senator Zusatzfragen liegen nicht vor. Vielen Dank! für Finanzen zugesendet. Es ist davon auszugehen, dass die Prüfung der Unterlage EW-Bau eine Bear- beitungszeit von zwei bis drei Monaten in An- spruch nimmt, sodass mit der Vorlage der geprüf- ten Planungsunterlage EW-Bau noch im Jahr 2020 zu rechnen ist. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2015

Zu Frage 2: Die Ergebnisse der Planungen der Leis- werden alles daran setzen, dass wir die Gesamtfi- tungsphasen eins bis drei liegen mit insgesamt 11,5 nanzierung aus diesen GRW-Mitteln hinbekom- Millionen Euro circa 15 Prozent über der ursprüng- men. lichen Kostenannahme von rund 9,7 Millionen Euro. Über eine Finanzierung der Umsetzungskos- Vizepräsidentin Grotheer: Herr Raschen, haben ten und eine Aufteilung auf verschiedene Mittelge- Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! ber wurde noch nicht entschieden. Abgeordneter Raschen (CDU): Meine zweite Frage Zu Frage 3: Für die Realisierung der Leistungspha- mit der Eröffnung ist nicht beantwortet worden. sen vier und fünf sind im Haushalt 2020/2021 wei- tere Mittel in Höhe von rund 400 000 Euro im Rah- Staatsrat Cordßen: Das kann ich Ihnen nicht beant- men einer Förderung durch die Gemeinschaftsauf- worten. Das liegt jetzt tatsächlich am Fortgang der gabe zur Förderung der regionalen Wirtschafts- weiteren Planungen. Wir treten jetzt ja in die Leis- struktur vorgesehen. Die Beantragung und Bewilli- tungsphasen vier und fünf ein und dann wird sich gung dieser Mittel wird aktuell vorbereitet. Die Pla- das, wenn man direkt in die Umsetzung geht, si- nungen sollen bis Mitte 2021 erarbeitet werden. cherlich sagen lassen, aber das ist zum jetzigen Die Finanzierung der Gesamtkosten erfolgt zu 75 Zeitpunkt noch zu früh. Prozent über GRW-Mittel. Die GRW-Mittel werden jeweils hälftig vom Bund und vom Land Bremen Vizepräsidentin Grotheer: Herr Abgeordneter, ha- bereitgestellt. 25 Prozent der Gesamtkosten wer- ben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! den von der Stadt Bremerhaven als kommunaler Anteil bereitgestellt. Es ist für die Umsetzung der Abgeordneter Raschen (CDU): Aber in dieser Le- Maßnahme vorgesehen, die erforderlichen Mittel gislaturperiode bekommen wir das hin? in den Haushalten 2022 fortfolgende anzumelden. Parallel wird die Möglichkeit einer GRW-Finanzie- Staatsrat Cordßen: Wenn Sie das als Hoffnung und rung geprüft. – So weit die Antwort des Senats! als Wunsch äußern würden, würde ich mich dem anschließen. Vizepräsidentin Grotheer: Herr Abgeordneter, ha- ben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr! Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Danke, Herr Staatsrat! Abgeordneter Raschen (CDU): Sie haben einmal gesagt, dass es Kostensteigerungen gebe, aber Anfrage 4: Wann kommt ein ezidisches Gemein- dass noch nicht besprochen sei, wie die aufgeteilt dehaus in Bremen? werden sollen. Können Sie beantworten, wann mit Anfrage der Abgeordneten Tuncel, Frau Leonida- einer Eröffnung der Ausstellung zu rechnen ist? kis und Fraktion DIE LINKE vom 14. September 2020 Staatsrat Cordßen: Die 9,7 Millionen Euro, die beim Beginn der Planungen geschätzt wurden, Herr Tuncel, Sie haben das Wort! sind – das ist wichtig – tatsächlich ein Schätzwert. Insofern ist erst einmal die Bewertung, dass das, Abgeordneter Tuncel (DIE LINKE): Wir fragen den wenn wir jetzt nach den ersten fundierten Berech- Senat: nungen bei den ersten Planungen mit 11,5 Millio- nen Euro circa 15 Prozent darüber liegen, schon 1. Wie viele Anträge oder Voranfragen für bau- einmal eine ziemlich genaue Schätzung war. rechtliche Genehmigungen wurden seitens der e- zidischen Gemeinde Bremen an bremische Baube- Da bisher tatsächlich nur die Planungskosten auch hörden gestellt? in die Haushalte eingestellt werden, sind die Ge- samtumsetzung und die Gesamtfinanzierung der 2. Wie viele davon wurden abgelehnt? Umsetzung dieser Maßnahme dann in den folgen- den Haushaltsberatungen zu besprechen. Ich habe 3. Wie kann der Senat die ezidische Gemeinde im gerade dargelegt, wie die Mittelaufteilung funktio- Sinne eines erfolgreichen Abschlusses der jahre- niert. Wird das über GRW-Mittel gemacht, dann langen Suche nach einem Gemeindehaus unter- haben wir sozusagen einen Anteil von 75 Prozent, stützen? den sich Land und Bund entsprechend teilen, und einen 25-prozentigen kommunalen Anteil. Wir Vizepräsidentin Grotheer: Die Anfrage wird von Frau Bürgermeisterin Dr. Schaefer beantwortet. 2016 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Sehr geehrte Frau Bremen auch noch einmal mitgeben, ob wir in die- Präsidentin, meine Damen und Herren! Für den Se- sem Größenmaßstab Flächen oder Immobilien fin- nat beantworte ich die Anfrage wie folgt: den, die nicht immer unmittelbar an ein allgemei- nes Wohngebiet grenzen. Das war bisher das Prob- Zu Frage 1: Es wurden bisher nach unseren Recher- lem. chen insgesamt drei Anträge gestellt, davon zwei Bauvoranfragen und ein Bauantrag. Vizepräsidentin Grotheer: Frau Senatorin, eine weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Roh- Zu Frage 2: Im Jahr 2015 wurde ein Bauantrag nach meyer. – Bitte sehr! § 64 Bremische Landesbauordnung im Stadtteil Blumenthal, Striekenkamp 1, abgelehnt. Der Wi- Abgeordneter Rohmeyer (CDU): Frau Bürgermeis- derspruch wurde zurückgewiesen und die Klage terin, ist Ihnen bekannt – Sie haben das Stichwort des Antragstellers abgewiesen. Im Jahr 2013 wurde gerade in Ihrer Antwort auf die letzte Nachfrage eine Bauvoranfrage im Stadtteil Oslebshausen, genannt –, dass sich Immobilien Bremen auch zum Reiherstraße, zurückgenommen. Im Jahr 2018 Beispiel im Fall einer versuchten dauerhaften An- wurde eine Bauvoranfrage im Stadtteil Farge, Be- mietung oder eines Kaufes eines bisherigen Ge- tonstraße, gestellt, der Antrag gilt als zurückge- meindehauses in Bremen-Hemelingen nicht ko- nommen. operativ gezeigt hat, als es darum ging, dieser ezi- dischen Community einen schmalen Flurstreifen Zu Frage 3: Die im Rahmen der Fragen 1 und 2 je- entlang des Bahndamms zu verkaufen oder zu ver- weils zuständigen unteren Bauaufsichtsbehörden pachten, also dass gerade Immobilien Bremen hier sind prüfende Behörden. Vorgelegte Anträge wer- bisher tatsächlich eher kontraproduktiv tätig war? den hier auf ihre öffentlich-rechtliche Zulässigkeit hin überprüft. Hinsichtlich der Ermittlung eines ge- Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Die Erkenntnis eigneten und planungsrechtlich zugänglichen habe ich nicht. Was ich in Hemelingen mitbekom- Grundstücks haben sich auch Religionsgemein- men habe – weil die Frage auch schon einmal an schaften im Grundsatz, gegebenenfalls mit Unter- mich herangetragen worden ist, auch ob man die- stützung entsprechender Anbieter, auf dem freien sen Grünstreifen zum Parkplatz umwidmen kann – Immobilienmarkt zu orientieren und im Rahmen öf- , war, dass das auch nicht das Okay des Beirates fentlich-rechtlicher Antragstellungen bauvorlage- bekommen hat, der das sehr kritisch gesehen hat. berechtigter Dritter zu bedienen. – So weit die Ant- Gerade in Hemelingen sind Grünflächen jetzt nicht wort des Senats! so üppig gesät, wenn man eine Grünfläche, eine Wiese mit Altbaumbestand in einen Parkplatz um- Vizepräsidentin Grotheer: Herr Kollege, haben Sie widmet. Insofern würde ich das nicht auf Immobi- eine Zusatzfrage? – Bitte sehr! lien Bremen schieben, sondern darauf, dass die Flä- che auch einfach nicht geeignet war und dort nun Abgeordneter Tuncel (DIE LINKE): Frau Bürger- einmal auch nicht die Unterstützung des Beirates meisterin, welche Möglichkeiten sehen Sie, um die hatte. Eziden doch bei ihrer jahrelangen Suche nach ei- nem Gemeindehaus in Bremen zu unterstützen? Vizepräsidentin Grotheer: Herr Abgeordneter, ha- ben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr! Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Also, wenn ich mir noch einmal die Historie von den Bauvoranfragen Abgeordneter Rohmeyer (CDU): Wissen Sie denn, oder Bauanträgen ansehe, dann geht es ja nicht nur ob Immobilien Bremen auch auf die Bitte aus der um ein Gemeindehaus, sondern es ging ja vor allen CDU-Fraktion hin, dort unterstützend tätig zu wer- Dingen auch um Veranstaltungsstätten größerer den, überhaupt irgendetwas Produktives, Kon- Art, in denen man mit vielen, Hunderten von Men- struktives geleistet hat? schen feiern kann. Das ist ja der Grund, warum die Bauvoranfragen negativ beschieden wurden, weil Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Jetzt bin ich als Se- es dann auch um Lärm- und Emissionsschutz geht. natorin nicht für Immobilien Bremen verantwort- Ich hatte ja in meiner letzten Antwort gesagt, dass lich, ich kann Ihnen aber zusagen, dass ich das sich Religionsgemeinschaften natürlich auch selbst gern mitnehme, um bei Immobilien Bremen noch immer auf dem Markt umsehen müssen. Ich kann einmal dafür zu werben, die ezidische Gemeinde nur die Empfehlung ausgeben, sich wirklich noch bei der Suche nach einer Fläche zu unterstützen. einmal umzuschauen, wenn es so große Immobilien sein müssen. Vielleicht können wir das Immobilien Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2017

Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Zusatzfragen sich hierbei zum Ziel, den rechtlichen Rahmen so liegen nicht vor. Danke, Frau Bürgermeisterin! weit wie möglich zu nutzen und hierdurch erneut die Rolle des Vorreiters beim Schutz von Arbeit- Anfrage 5: Mindestlohn bei den Botendiensten nehmerrechten im öffentlichen Auftragswesen ein- Anfrage der Abgeordneten Tebje, Frau Leonida- zunehmen. Der Senat strebt eine Ausweitung der kis, Janßen und Fraktion DIE LINKE vom 14. Tariftreuepflicht auf verschiedene Branchen des September 2020 Dienstleistungssektors an.

Bitte sehr, Herr Kollege! Zu Frage 3: Die Entscheidung, ob Botendienste der öffentlichen Hand durch eigene Beschäftigte, einen Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Wir fragen Eigenbetrieb oder im Wege der Vergabe öffentli- den Senat: cher Aufträge erledigt werden sollen, wurde einge- hend durch das Finanzressort geprüft. Bei einer Ei- 1. Haben Beschäftigte bei Botendiensten, die öf- generledigung des Botendienstes fallen neben Per- fentliche Aufträge im Land Bremen ausführen, An- sonalkosten zusätzlich Sachkosten an, entweder spruch auf den Landesmindestlohn? für die Anschaffung geeigneter Fahrzeuge oder de- ren Leasing, sowie Kosten für Kraftstoffe, Pflege- 2. Wird bei der Ausschreibung von Botendiensten und Reparaturaufwendungen der Fahrzeuge. im Land Bremen die Zahlung des Landesmindest- Hinzu kommen Steuern und Versicherungen, die lohns vorgegeben? Vorhaltung eines Fuhrparkmanagements sowie ein allgemeiner Verwaltungsaufwand. 3. Wie bewertet der Senat die Option, Botendienste der öffentlichen Hand wieder durch eigene Be- Unter Berücksichtigung dieser Aspekte und der schäftigte oder einen öffentlichen Eigenbetrieb Abwägung, dass auch diese Entscheidung dem Ge- ausführen zu lassen? bot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Verwendung von Haushaltsmitteln unterliegt, ist Vizepräsidentin Grotheer: Diese Anfrage wird be- eine externe Aufgabenerledigung zu befürworten. antwortet durch Senator Strehl. – So weit die Antwort des Senats!

Senator Strehl: Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr Vizepräsidentin Grotheer: Eine weitere Zusatz- geehrte Kolleginnen und Kollegen! Für den Senat frage durch den Abgeordneten Tebje. – Bitte sehr! beantworte ich die Anfrage wie folgt: Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Herr Senator, Zu Frage 1: Nein, das ist leider nicht der Fall. Im Sie haben gesagt, der Senat strebt an, die Möglich- durchgeführten Ausschreibungsverfahren war keiten zukünftig besser auszuschöpfen, weil sich nicht der Landesmindestlohn, sondern der Min- andere europarechtliche Möglichkeiten ergeben destlohn des Bundes rechtlich maßgeblich. Daher und dort gesetzliche Anpassungen angestrebt wer- gilt in den aktuellen Vertragsbedingungen für die den, um zukünftig auch solche Ausschreibungen Dienstleistungserbringung der Botendienste der unter den Landesmindestlohn fallen lassen zu kön- Bundesmindestlohn. nen. Zum einen wäre meine Frage, wann Sie damit rechnen und wie der Ausschreibungszeitraum ist, Zu Frage 2: Bei der Ausschreibung des öffentlichen der momentan für die Botendienste angedacht ist, Auftrags für die Erbringung der Botendienste wird also die Laufzeit. nicht der Landesmindestlohn, sondern der Min- destlohn des Bundes zugrunde gelegt. Ausschlag- Senator Strehl: Die Laufzeit beträgt, glaube ich, ein gebend hierfür ist, dass der Auftragswert den EU- Jahr mit Verlängerungsmöglichkeiten. Zu dem Schwellenwert von 214 000 Euro übersteigt und zweiten Punkt: Ich weiß, dass wir mit der Arbeit- dementsprechend eine europaweite Ausschrei- nehmerkammer im Gespräch sind. Das macht das bung zu erfolgen hat. Eine Anwendung des Lan- Ressort Wirtschaft, Arbeit, Europa, um da Regeln desmindestlohns ist somit gemäß rechtlicher Vor- zu finden. Die sind – ich will das einmal so sagen, gaben zurzeit nicht möglich. jeder von uns hat zum einen hohen Respekt vor Ta- riffragen und zum anderen vor Vergaberecht und Der Senat verfolgt das Ziel, möglichst optimale Be- vor allem vor EU-Vergaberecht – sehr kompliziert dingungen für die Entwicklung der Tariflandschaft und darum wird es wohl auch ein Rechtsgutachten zu setzen und die rechtlichen Gestaltungsmöglich- dazu geben, um eine saubere Lösung zu finden. Ich keiten entsprechend auszunutzen. Der Senat setzt will an der Stelle darauf hinweisen, dass der EU- 2018 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Gerichtshof durchaus Vorbehalte hat, wenn Lan- Vizepräsidentin Grotheer: Die Anfrage wird von desmindestlohn eingesetzt wird. Darum müssen Frau Bürgermeisterin Dr. Schaefer beantwortet. wir in dieser Frage gut vorbereitet sein. Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine Zusatz- Präsidentin, meine Damen und Herren! Für den Se- frage? – Bitte sehr! nat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Würden Sie mir Zu Frage 1: Die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, aber zustimmen, dass es, wenn eine Lösung für Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau ist Bremen gefunden wird, über den Landesmindest- sich der fachlichen Verantwortung rund um den lohn auszuschreiben, möglich ist, dann die Aus- Themenkomplex der Barrierefreiheit in den Berei- schreibung der Botendienste relativ zeitnah so an- chen Bau und Verkehr bewusst. zupassen, dass sie unter die neue Regelung fallen und dann der Landesmindestlohn die Botendienste Im Rahmen der am 1. September 2020 vom Senat miterfassen würde? beschlossenen Änderungsnovelle zur Bremischen Landesbauordnung ist auch zugesagt worden, im Senator Strehl: Botendienste werden regelmäßig Ressort die Stelle einer oder eines Beauftragten für ausgeschrieben, insofern wird das dann auch funk- barrierefreies Bauen zu schaffen. Diese Stelle soll tionieren. Doch das Gutachten und die Aussage des unter anderem die nach § 8 Absatz 7 des Bremi- Senats müssen erst einmal vorliegen. schen Behindertengleichstellungsgesetzes in der Fassung vom 18. Dezember 2018 erforderlichen Be- Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Zusatzfragen ratungsleistungen erbringen. Die Stellenausschrei- liegen nicht vor. – Ich bedanke mich für die Beant- bung befindet sich in Vorbereitung. wortung. Zu Frage 2: Die Beratungsstelle kom.fort e. V. hat Anfrage 6: Welchen Stellenwert hat barriere- sich in Abstimmung mit der Architektenkammer freies Planen und Bauen für den Senat? Bremen und dem Landesbehindertenbeauftragten Anfrage der Abgeordneten Frau Grönert, Frau mit einem Konzeptentwurf für die Schaffung einer Neumeyer, Röwekamp und Fraktion der CDU neuen, öffentlichen Kompetenzstelle beziehungs- vom 15. September 2020 weise Netzwerkstelle für bauliche Barrierefreiheit im Land Bremen ausgesprochen. Ziel soll es da- Sie haben das Wort, Frau Kollegin! nach sein, den Wissenstransfer zwischen den betei- ligten Akteuren zu organisieren und umfängliche Abgeordnete Grönert (CDU): Wir fragen den Se- Beratungsleistungen für die Bereiche Bau und Ver- nat: kehr anzubieten.

1. Inwiefern wurde die gemäß § 8 Absatz 7 des Bre- Verbindliche Vorgaben und verbindliche Bera- mischen Behindertengleichstellungsgesetzes vor- tungsleistungen zum Thema Barrierefreiheit in den geschriebene Stelle eines oder einer Beauftragten Bereichen Bau und Verkehr können jedoch nur di- für bauliche Barrierefreiheit bereits von der zustän- rekt aus dem zuständigen Ressort getroffen wer- digen Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobili- den. Nur dort können über Bund-Länder-Fachaus- tät, Stadtentwicklung und Wohnungsbau geschaf- schüsse, den Städtetag, die Gremien der ARGE- fen, und gibt oder gab es bereits eine Ausschrei- BAU und weitere Vernetzungen die aktuellen bung? rechtlichen und fachlichen Entwicklungen mit be- einflusst werden und somit frühzeitig für behördli- 2. Aus welchen Gründen hat das Bauressort das ches Handeln Berücksichtigung finden. Diese Konzept für eine Fachstelle für barrierefreies Pla- Handlungsmöglichkeiten können nicht in ver- nen und Bauen, welches kom.fort e. V. in Zusam- gleichbarer Weise bei einem Dritten aufgebaut menarbeit mit der Architektenkammer Bremen werden. und dem Landesbehindertenbeauftragten erarbei- tet hat, verworfen? Die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau hat sich des- 3. Wann wird der Senat diesbezüglich ein eigenes halb gegen die angebotene Übertragung der Bera- Konzept vorstellen? tungsleistung auf eine externe Stelle ausgespro- chen, da es aus den genannten Gründen für ziel- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2019

führender angesehen wird, auch die eingeforder- das auch hinterher einmal angesehen. Wir haben – ten Beratungsleistungen nach dem Bremischen Be- und das ist auch in den Gesprächen, die ich mit hindertengleichstellungsgesetz ressortintern zu or- dem Landesbehindertenbeauftragten hatte, noch ganisieren und dort die fachliche Kompetenz wei- einmal klar geworden – ein größeres Problem, weil terzuentwickeln. wir ja vor allen Dingen R-Wohnungen schaffen wollen. Die barrierefreie Wohnung ist nicht das Die von kom.fort e. V. erworbene Kompetenz im Problem, das ist heutzutage State of the Art, aber Bereich des barrierefreien Wohnungsbaus soll je- das, was wir brauchen, sind diese sogenannten R- doch auch zukünftig weiter ergänzend in Anspruch Wohnungen. Da wollen wir keine starre Quote ha- genommen werden. ben, sondern wir wollen bedarfsgerecht bauen. Da sind wir in enger Abstimmung. Zu Frage 3: Die Berücksichtigung der themenspe- zifischen Anforderungen der Barrierefreiheit in den Vizepräsidentin Grotheer: Frau Abgeordnete, ha- Bereichen Bau und Verkehr ist schon seit vielen ben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Jahren etablierte Praxis des Verwaltungshandelns und findet in den Abstimmungsprozessen mit den Abgeordnete Grönert (CDU): Sie haben gesagt, beteiligten Akteuren die notwendige Berücksichti- das würde hinterher noch einmal angesehen. Wie gung. Ein gesondertes Konzept wird deshalb durch regelhaft wird das gemacht und von wem? den Senat nicht für erforderlich gehalten. – So weit die Antwort des Senats! Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Da überfragen Sie mich jetzt. Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine Zusatz- liefere ich Ihnen aber sehr gern nach, wer konkret frage, Frau Kollegin? – Bitte sehr! das bei der Bauabnahme macht.

Abgeordnete Grönert (CDU): Sie haben gesagt, Vizepräsidentin Grotheer: Frau Grönert, haben Sie das Bewerbungsverfahren, die Ausschreibung, be- eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! finde sich in Vorbereitung. Wann soll das abge- schlossen sein, also die Person ihren Dienst antre- Abgeordnete Grönert (CDU): Sind Sie sich sicher, ten? dass das hinterher kontrolliert wird? Denn eigent- lich ist mein Kenntnisstand, dass es nicht kontrol- Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Genau, es gab am liert wird und dass damit dann auch Barrieren, die 11. September noch einmal ein Abstimmungstref- beim Bau entstehen, im Grunde zementiert wer- fen mit dem Landesbehindertenbeauftragten, und den. seitdem ist unsere Abteilung mit dem Entwurf einer Stellenausschreibung beauftragt. Also, wir gehen Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Ich überprüfe das davon aus, dass die Ausschreibung dann auch in gern noch einmal, ich nehme das auch als Anre- Kürze erfolgen kann. gung mit, um nachzufragen, wer es konkret kon- trolliert. Noch einmal: Es geht immer darum, ob es Vizepräsidentin Grotheer: Frau Kollegin, haben barrierearm oder barrierefrei ist. Das ist ja ein Un- Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! terschied, da geht es um Zentimeter von Türrah- men. Alle, die sich mit dem Baurecht in diesem Be- Abgeordnete Grönert (CDU): Noch einmal an die reich auskennen, können das, glaube ich, jetzt bes- Aussage anknüpfend, dass Sie kein Konzept brau- ser beurteilen als ich hier vorne am Mikrofon. Ich chen und ja eigentlich alles gut klappt. Wo immer nehme das aber als Anregung mit und gebe Ihnen in Bremen barrierefrei oder rollstuhlgerecht gebaut gern noch einmal Bescheid, wie und von wem kon- werden soll, müssen ja dementsprechend von den trolliert wird. Bauträgern Pläne vorgelegt werden, die das auch hergeben. Wird später kontrolliert, ob auch ge- Vizepräsidentin Grotheer: Frau Grönert, haben Sie nauso gebaut wurde? eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Das ist das Ziel, ich Abgeordnete Grönert (CDU): Es ist ja egal, wie es könnte mir selbst jetzt zum Beispiel bei der BRE- in den Bauplänen steht, es muss hinterher so ge- BAU in Obervieland noch einmal einen Überblick baut sein, das muss man kontrollieren. Gibt es ei- verschaffen. Insofern ist es ja das Ziel, das barriere- gentlich eine Auflistung für die R-Wohnungen, die frei oder zumindest barrierearm gebaut wird. Das in den letzten zwei, drei Jahren gebaut wurden? muss vorher abgeklärt werden. Natürlich wird sich 2020 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Meines Erachtens Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Zusatzfragen gibt es die, aber auch das reiche ich gern nach. Das liegen nicht vor. Vielen Dank, Frau Bürgermeiste- war zum Beispiel beim Behindertenparlament auch rin! ein großes Thema, wo diese R-Wohnungen ge- schaffen worden sind. Insofern haben wir uns mei- Anfrage 7: Seute Deern auf Grund – Kosten durch nes Erachtens einen Überblick verschafft und ha- die Decke? ben festgestellt, dass wir zu wenig haben, und ha- Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Eschen, Frau ben ja diese Diskussionen gehabt, ob wir die über- Dogan, Müller, Frau Fensak, Fecker und Fraktion all brauchen oder ob wir die bedarfsgerecht ma- Bündnis 90/Die Grünen chen wollen, aber auch das liefere ich Ihnen gern vom 16. September 2020 nach. Frau Kollegin, Sie haben das Wort. Vizepräsidentin Grotheer: Frau Bürgermeisterin, eine weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- Herrn Dr. Buhlert. – Bitte sehr! nen): Wir fragen den Senat:

Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Frau Bürgermeis- 1. Treffen die Medienberichte zur enormen Kosten- terin, wie ist das geregelt mit der Prüfung von Bau- steigerung von bis zu 80 Millionen Euro für einen abnahmen, ob gebaut wurde, was geplant wurde? Nachbau der Seute Deern zu und zu welchem Wird das flächendeckend geprüft oder wird das Schluss kommt die im Mai 2020 in Auftrag gege- stichprobenartig geprüft? bene Variantenprüfung in diesem Kontext?

Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Also, flächende- 2. Welche alternativen Pläne verfolgt der Senat, so- ckend, glaube ich, können wir das mit der Bauord- fern die Kosten das zur Verfügung stehende nung gar nicht leisten, es wird stichprobenartig ge- Budget überschreiten? prüft. Wir haben ja auch das Gesetz geändert, denn es geht nicht nur um Barrierefreiheit, sondern auch 3. In welcher Weise wäre es aus Sicht des Senats um Energiestandards, um Brandschutz, um Statik, möglich, sollte von einem Neubau der Seute Deern und am Ende zeichnen sich der Architekt und der abgesehen werden, die vom Bund in Aussicht ge- Bauträger dafür verantwortlich, dass das, was an stellten Mittel von insgesamt 46 Millionen Euro Plänen eingereicht wurde, letztlich auch umgesetzt stattdessen für die Instandhaltung der Museums- wird. Insofern ist das üblicherweise Aufgabe der flotte des Deutschen Schifffahrtsmuseums, DSM, Bauordnung, dann auch einmal zu kontrollieren, beziehungsweise zu deren Erweiterung um das ak- aber das kann nicht flächendeckend passieren. tuell in Vegesack befindliche Schulschiff zu ver- wenden? Vizepräsidentin Grotheer: Herr Abgeordneter, ha- ben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Vizepräsidentin Grotheer: Diese Anfrage wird durch Staatsrat Cordßen beantwortet. Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Da ich davon aus- gehe, dass die verschiedenen Interessen gleich be- Staatsrat Cordßen: Sehr geehrte Frau Präsidentin, handelt werden, ob nun Barrierefreiheit, Umwelt meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord- und so weiter, wie ist es denn, wenn ein Bürger nete! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie feststellt, dass irgendwo nicht gebaut wurde, was folgt: gebaut werden sollte, und es bei der Stichprobe der Bauordnung nicht dabei ist? Wie kann man denn Zu Frage 1: Medienberichte, die von einer enormen dann vorgehen? Kostensteigerung von bis zu 80 Millionen Euro für einen Nachfolgebau der Seute Deern sprechen, Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Wir sind dankbar entsprechen nicht den Tatsachen. In der von der für solche Hinweise, weil wir dann ja auch gezielt Bremerhavener Entwicklungsgesellschaft Al- die Bauordnung noch einmal in diese Immobilien, ter/Neuer Hafen mbH & Co. KG, BEAN, beauftrag- in diese Gebäude schicken können, um nachprüfen ten Variantenstudie sind sechs Ausführungsvarian- zu lassen, ob der Vorwurf, ob der Hinweis stimmt. ten untersucht worden. Dann kann man natürlich auch Nachbesserungen einfordern und dem rechtlich nachgehen. Insofern Die einzige nach aktueller Bewertung und entspre- ist ein Hinweis an die Bauordnung da hilfreich. chend dem Stand der Gespräche mit der Bundes- bevollmächtigten für Kultur und Medien in Frage Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2021

kommende Variante ist der Nachfolgebau als fest- seinen Gremien jetzt die entsprechenden Befas- liegendes, nicht segelbares Museumsschiff mit sungen schnell vorbereiten, um das zügig einzulei- Schwimmfähigkeitszeugnis in Stahlbauweise. Der ten. Nachfolgebau aus Stahl sollte sich an einem histo- rischen, in Bremerhaven erbauten Schiffsvorbild Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere orientieren und nicht an der Seute Deern, da es die Zusatzfrage? – Bitte sehr! Holzbauweise ist, die die Seute Deern auszeichnet. Die Gutachter schlagen deshalb vor, ein in Bremer- Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- havener Werfttradition traditionell erbautes Vor- nen): Können Sie bitte noch einmal konkretisieren, bild als Drei-Mast-Vollschiff zu wählen. wer wann darüber entscheidet, ob und in welcher Weise ein Nachfolgebau erfolgen soll? Zu Frage 2: Zu der Variante in Stahlbauweise mit einem Kostenrahmen von 34,3 Millionen Euro gibt Staatsrat Cordßen: Es entscheidet die Beauftragte es, vorbehaltlich der notwendigen Gremienbefas- für Kultur und Medien des Bundes, weil die dafür sungen, keine Alternative. Die Bundesbevollmäch- zuständig ist, den Beschluss des Haushaltsaus- tigte für Kultur und Medien stellt eine hundertpro- schusses des Bundestages umzusetzen und diese zentige Finanzierung der Kosten für den Nachfol- im Übrigen ziemlich einmalige Hundertprozentfi- gebau in Aussicht. nanzierung einer Maßnahme auszureichen. Die Beantragung dieser Maßnahme wird dann durch Zu Frage 3: In Ergänzung zu der Variante ist vor- den Träger dieses Projektes erfolgen, der Empfän- gesehen, innerhalb des 46-Millionen-Euro-Bud- ger des Zuwendungsbescheids sein möchte. Nach gets, auch die Mittel für die Restaurierung der Mu- jetzigem Verabredungsstand mit Bremerhaven, seumsflotte bei der Bundesbevollmächtigten für was aber noch die entsprechenden Gremienbe- Kultur und Medien zu beantragen. Alternative schlüsse voraussetzt, wird das der Magistrat sein. Maßnahmen sind nicht geplant. – So weit die Ant- wort des Senats! Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine Zusatz- frage? – Bitte sehr! Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- nen): In dem von Ihnen gerade beschriebenen Vor- Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- gang stellt sich für mich die Frage: Hat der Senat nen): Nachdem dem Ressort nun die Variantenprü- Bremen auch irgendeine Rolle hierbei und welche fung vorliegt, was sind die als nächstes anstehen- Entscheidungskompetenz liegt beim Bremer Se- den konkreten Schritte? nat?

Staatsrat Cordßen: Die nächsten anstehenden Staatsrat Cordßen: Wir müssen das Ganze weiter- Schritte leiten sich von den Schritten ab, die wir in hin auf allen Ebenen im Blick haben. Wir haben dieser Woche erreichen konnten. Ich möchte an eine gemeinsame Zuständigkeit für das Deutsche dieser Stelle einmal sagen, das ist sehr erfreulich, Schifffahrtsmuseum. Hier sind sowohl das Land, zu welchen Verständigungen wir hier mit dem Bre- vertreten durch den Senat, als auch die Stadt Bre- merhavener Magistrat gekommen sind. Wir haben merhaven, vertreten durch den Magistrat, als Stif- uns darüber verständigt, dass der Magistrat die ter gemeinsam eingebunden. Es ist gleichzeitig die Projektträgerschaft für diesen Nachfolgebau an- Verabredung getroffen worden, dass, wenn der streben möchte. Dafür werden jetzt die entspre- Neubau fertig ist, der wiederum in das Stiftungs- chenden Gremienbefassungen eingeleitet. Das vermögen Eingang finden soll, weil es Teil der ent- heißt, der Magistrat ist dann Träger dieser Neubau- sprechenden Ausstellung im Museumshafen sein maßnahme und der Empfänger des entsprechen- soll, er insofern dann ein Thema für das Deutsche den Zuwendungsbescheids von der Bundesbevoll- Schifffahrtsmuseum ist. Insofern haben wir ein er- mächtigten. Damit wird sichergestellt, dass in Bre- hebliches Interesse daran, dass – das ist aber auch merhaven die Wege innerhalb dieses Projekts kurz eine Notwendigkeit für die Erteilung des Zuwen- sind. Denn wie sich auch schon aus der Beauftra- dungsbescheides – ein langfristiges Betriebskon- gung der Variantenstudie durch die BEAN ergibt, zept vorliegt, das auch die wirtschaftlichen Eck- haben wir dort die entsprechenden Kompetenzen punkte so darstellt, dass hier langfristig keine gro- für die Projektträgerschaft. Insofern werden wir so- ßen Zuschüsse erforderlich sind, sondern dass aus wohl auf Landesebene wie auch der Magistrat in dem Betrieb heraus mit den entsprechenden Ein- nahmen die notwendigen Ausgaben für diesen 2022 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Nachfolgebau im laufenden Betrieb gedeckt wer- Vizepräsidentin Grotheer: Herr Staatsrat, eine den können. weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Timke. – Bitte sehr, Herr Timke! Insofern werden wir uns auf allen Ebenen damit weiter beschäftigen. Dadurch, dass wir ein 46-Mil- Abgeordneter Timke (BIW): Sie haben eben aus- lionen-Budget haben, von dem ein wesentlicher geführt, dass die Trägerschaft dieses Nachbaus Teil für den Nachfolgebau vorgesehen ist, ist ein dann beim Magistrat liegt. Meine Frage wäre, wie Bestandteil, dass die weiteren Mittel, die notwen- das mit möglichen Mehrkosten aussieht, wenn der dig für die Sanierung der Museumsflotte sind, die Nachbau deutlich teurer wird als ursprünglich ge- im Bestand des Deutschen Schifffahrtsmuseums ist, plant. Was ist da vereinbart worden, wer trägt diese auch aus diesem Gesamtbudget heraus zu leisten Mehrkosten? ist. Das wird weiter unter der Hoheit des Deutschen Schifffahrtsmuseum und unter der Begleitung der Staatsrat Cordßen: Das ist eine, wie ich eben schon Senatorin für Wissenschaft und Häfen und des Wis- dargestellt habe, geplant zu hundert Prozent vom senschaftsausschusses passieren. Insofern muss Bund finanzierte Maßnahme, insofern wird auch man die Gesamtzusammenhänge betrachten und das Thema mögliche Mehrkosten in diesem Rah- es ist weiterhin eine gemeinsame Verantwortung. men zu diskutieren sein. Das ist aber aus unserer Für den Teil Nachfolgebau ist aber die Verabre- Sicht vollkommen klar, es gibt ein Budget von dung, dass der Magistrat die Trägerschaft über- 46 Millionen Euro, davon sind nach jetzigem Pla- nimmt. nungsstand 34,3 Millionen Euro für den tatsächli- chen Nachfolgebau erforderlich. Im Rahmen des Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere Gesamtbudgets wird sicherlich auch ein Puffer für Zusatzfrage? – Bitte sehr! Mehrkosten eingeplant, aber insgesamt muss man mit diesem Gesamtbudget von 46 Millionen Euro Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- auskommen. Ein ganz wichtiger Punkt ist für uns nen): Noch einmal ganz konkret: Wird der Senat an der Stelle, dass auch Mittel in die Sanierung der Bremens mitentscheiden, ja oder nein? Museumsflotte einfließen können.

Staatsrat Cordßen: Worüber? Über den Neubau? Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- nen): Ja. Abgeordneter Timke (BIW): Es wird ja nicht ver- wundern, dass solche Nachfragen kommen, denn Staatsrat Cordßen: In dem Falle nicht, wenn der wir wissen von anderen Bauten, beispielsweise Magistrat der Zuwendungsempfänger wird. vom Hafentunnel in Bremerhaven, dass Mehrkos- ten im Bereich von mehreren Millionen Euro durch- Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere aus möglich sind. Deswegen noch einmal meine Zusatzfrage? – Bitte sehr! ganz konkrete Frage: Wenn Mehrkosten auftau- chen, werden die dann zulasten der Seestadt Bre- Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- merhaven gehen oder werden die vom Bund über- nen): Im Wissenschaftsausschuss haben wir einen nommen, wenn diese 46 Millionen Euro insgesamt Bericht vorgelegt bekommen, dass die Unterhalts- überschritten sind? kosten für einen Nachfolgebau bei bis zu 600 000 Euro pro Jahr liegen. Wie sind die aktuellen Pläne, (Abgeordneter Günthner [SPD]: Was ist, wenn der wie diese Unterhaltskosten erwirtschaftet werden Himmel herunterfällt?) könnten? Staatsrat Cordßen: Ich kann mich nur wiederholen, Staatsrat Cordßen: Hierfür ist ein Betriebskonzept dass es ein Gesamtbudget von 46 Millionen Euro zu erstellen. Ich habe ja eben schon gesagt, dass gibt und etwaige Mehrkosten, die zu den 34,3 Mil- wir, alle Beteiligten, sicherlich gemeinsam die Er- lionen Euro hinzukommen, aus diesem Budget ge- wartung haben, dass das eben nicht nachher durch tragen werden müssen. Zuschüsse abzudecken ist, sondern durch eigene Einnahmen als Ausstellungsbestandteil im Muse- Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere umshafen wesentlich abgedeckt werden kann. Zusatzfrage? – Bitte sehr! Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2023

Abgeordneter Timke (BIW): Noch einmal ganz Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere konkret: Wenn Mehrkosten da sind und der Rest Zusatzfrage? – Bitte sehr! des Geldes für die Museumsflotte ausgegeben ist, wird Bremerhaven dann diese Mehrkosten tragen? Abgeordneter Lenkeit (SPD): Herr Staatsrat, Sie Darauf bitte eine ganz konkrete Antwort. sprachen von einer, ich zitiere, „ziemlich einmali- gen Hundertprozentfinanzierung des Bundes“. Staatsrat Cordßen: Ich stehe hier als Vertreter des Darf ich nachfragen, wie viele andere Projekte Senats und kann insofern die Position des Senats Ihnen bekannt sind? vertreten und der Senat hat, so wie der Bund, im- mer betont, dass dieses 46-Millionen-Budget für Staatsrat Cordßen: Die eine Hundertprozentfinan- die gesamte Maßnahme mit all ihren Teilmaßnah- zierung haben? Mir persönlich ist kein anderes be- men ausreichen muss. kannt.

Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Abgeordneter Timke (BIW): Noch die Nachfrage Abgeordneter Lenkeit (SPD): Herr Staatsrat, wenn zu den Unterhaltskosten, 600 000 Euro. Wenn die- Ihnen wie mir ebenso kein weiteres Projekt be- ses von Ihnen eben aufgeführte Wirtschaftskonzept kannt ist, welches zu hundert Prozent vom Bund fi- für die Unterhaltungskosten diese 600 000 Euro pro nanziert wurde und vom Haushaltsausschuss des Jahr nicht einspielt, wer trägt dann diese Restkos- Bundes bewilligt wurde, würden Sie mir dann zu- ten? stimmen, dass Sozialdemokraten in Berlin da gut für Bremerhaven und damit für Bremen verhandelt Staatsrat Cordßen: Wenn das Schiff, der Nachfol- haben? gebau, dann Bestandteil des Stiftungsvermögens des DSM ist, ist das in diesem Rahmen zu entschei- (Unruhe CDU) den. Auch hier ist aber eine entscheidende Voraus- setzung, über die sich alle Beteiligten einig sind, Staatsrat Cordßen: Auf Grundlage unserer ge- dass dieses Betriebskonzept sicherstellen soll, dass meinsamen Kenntnislage lässt sich diese Ableitung die laufenden Ausgaben durch entsprechende Ein- offensichtlich treffen. nahmen abgedeckt sind. Vizepräsidentin Grotheer: Herr Staatsrat, eine Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Mül- Zusatzfrage? – Bitte sehr! ler. – Bitte sehr, Herr Müller!

Abgeordneter Timke (BIW): Die letzte Frage: Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): Wenn nicht, was machen wir dann? Sehr geehrter Herr Staatsrat, das Stahlschiff Na- jade, das Sie genannt haben, wurde in Bremer- Staatsrat Cordßen: Wenn nicht, müssen wir uns mit haven gebaut, ist im weiteren Verlauf dann aber der Situation im Rahmen der Zuständigkeiten, wie nach Norwegen verkauft worden und dann im Ers- sie in der Struktur des DSM gegeben sind, ausei- ten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot abge- nandersetzen. schossen worden. Könnten Sie sich vorstellen, dass es bessere Schiffe gäbe, die in Betracht kommen Vizepräsidentin Grotheer: Herr Staatsrat, eine könnten, wo keine Menschen gestorben sind, die weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Len- man in Bremerhaven ausstellen könnte? keit. – Bitte sehr, Herr Lenkeit! (Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Unsinkbar! – Abgeordneter Lenkeit (SPD): Herr Staatsrat, zwei Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Flugzeugträger!) Nachfragen. Die erste Nachfrage: Gab es Unter- haltskosten bei der Seute Deern oder ist das Ding Staatsrat Cordßen: Die Kenntnisse, die mir vorlie- von alleine geschwommen all die Jahrzehnte, die gen, sind die, dass diejenigen, die sich als Schiff- es im Museumshafen lag? baufachleute mit dieser Variantenstudie befasst haben, sich vor allem auf schiffbautechnische Staatsrat Cordßen: Auch die Seute Deern hat nach Merkmale festgelegt haben und weitere Aspekte meinem Wissen für den laufenden Unterhalt ent- bei der Auswahl dieser Variante außerhalb der sprechende Mittel benötigt. technischen keine Rolle gespielt haben. 2024 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Vizepräsidentin Grotheer: Herr Staatsrat, eine 1. Wie sind die Themen koloniale Geschichte sowie weitere Zusatzfrage durch die Abgeordnete Gro- Umgang mit dem kolonialen Erbe in den Bildungs- bien. – Bitte sehr, Frau Grobien! plänen der allgemein- und berufsbildenden Schu- len des Landes Bremen bisher verankert? Abgeordnete Grobien (CDU): Ich habe eine Frage zu der Zusage der 46 Millionen Euro. Sie haben ge- 2. Plant der Senat, diese Themenbereiche verstärkt sagt, die Zusage über 46 Millionen Euro sei gesi- in die Bildungspläne aufzunehmen, auch im Hin- chert. Aus anderen Projekten, die auch vom Bun- blick auf die Entwicklung eines Erinnerungskon- deskultusministerium, BKM, unterstützt werden, zeptes Kolonialismus? auch meistens mit einer Kofinanzierung, wissen wir, dass die Antragstellung allein schon sehr kom- 3. Ist dem Senat die Petition „Rassismuskritische pliziert ist und mehrere Jahre dauert. Wie genau Lehre: Anti-Rassismus und Kolonialgeschichte in sieht die Zusage aus? Haben Sie eine schriftlich fi- Bremen unterrichten“ auf dem Internetportal xierte Zusage über die 46 Millionen Euro als Hun- change.org bekannt und wie beabsichtigt er, auf dertprozentfinanzierung? diese zu reagieren?

Staatsrat Cordßen: Es gibt einen in Schriftform vor- Vizepräsidentin Grotheer: Diese Anfrage wird liegenden Beschluss des Haushaltsausschusses des durch Senatorin Dr. Bogedan beantwortet. Deutschen Bundestages und es gibt einen laufen- den Gesprächsstand. Wir haben einen Beauftrag- Senatorin Dr. Bogedan: Sehr geehrte Frau Präsi- ten für dieses Nachfolgebauprojekt benannt, der dentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! sich in laufenden Gesprächen befindet, wie ich hier Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt: berichten kann, auch in sehr guten und konstrukti- ven Gesprächen, sodass wir davon ausgehen, wenn Zu Frage 1: In den kompetenzorientierten Bil- die Entscheidung für die Variante getroffen ist, dungsplänen aller Schulen im Lande Bremen sind dass die weiteren Gespräche fortgeführt werden inhaltliche Bezugspunkte zum Thema koloniales können, relativ kurzfristig die Beantragung erfol- Erbe verankert. Bereits in der Grundschule setzen gen kann und dann auch zügig, so ist der Ge- sich Kinder mit den Lebensbedingungen von Kin- sprächsstand mit dem BKM, dann auch die Ertei- dern aus einem Land Afrikas, Asiens oder Latein- lung des Zuwendungsbescheides erfolgen kann. amerikas auseinander und reflektieren diese in Be- zug zu ihren eigenen Lebensbedingungen. Sie ler- Vizepräsidentin Grotheer: Haben Sie eine weitere nen bei Stadtteilerkundungen Spuren vergangener Zusatzfrage? – Bitte sehr! Zeiten in der nahen Umgebung kennen. Hierzu nutzen sie zum Beispiel das Antikolonialdenkmal Abgeordnete Grobien (CDU): Das heißt, ich gehe ebenso wie die Recherche zu Straßennamen. recht in der Annahme, dass von dem Projektträger, der der Magistrat dann ist, der Antrag überhaupt (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) erst noch bestellt werden muss? Für Oberschulen formuliert der Bildungsplan des Staatsrat Cordßen: Das ist formal richtig. Fachs Gesellschaft und Politik, GuP, die Kompe- tenz, die Verbindung zwischen dem Kolonialismus Vizepräsidentin Grotheer: Herr Staatsrat, weitere und der Entwicklung Bremens und Bremerhavens Zusatzfragen liegen nicht vor. – Ich bedanke mich aufzeigen zu können. Der Bildungsplan Welt- und für die Beantwortung. Umweltkunde, Geschichte, Geografie und Politik für das Gymnasium verortet die Befassung mit Ko- Anfrage 8: Thema „Koloniales Erbe“ in den Bil- lonialherrschaft und Imperialismus sowie mit der dungsplänen der Bremer Schulen Dekolonisation und dem kolonialen Erbe in der Anfrage der Abgeordneten Frau Strunge, Frau neunten Jahrgangsstufe im Themenbereich Impe- Leonidakis, Janßen und Fraktion DIE LINKE rialismus und Erster Weltkrieg. vom 17. September 2020 An den berufsbildenden Schulen bereitet der Poli- Bitte, Frau Strunge, Sie haben das Wort! tikunterricht auf typische Konfliktformen in der Ge- sellschaft sowie in den Lebens- und Arbeitsberei- Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Wir fragen den chen der Lernenden vor. Daher werden anlassbe- Senat: zogen anhand tagespolitischer, zeit- und weltge- schichtlicher Ereignisse Themen beispielsweise im Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2025

Rahmen von aktuellen Stunden behandelt und ein- gestartet und ohne regionale oder formale Be- geordnet. schränkung mitgezeichnet werden können. Bei diesen besteht keine verpflichtende Befassung Moderner Unterricht basiert nicht nur auf den The- durch eine öffentliche Stelle oder eine Volksvertre- men, die die Bildungspläne explizit benennen. Als tung. Um eine solche Initiative handelt es sich bei Querschnittsthema wird die Auseinandersetzung dem genannten Begehren auf dem Internetportal mit dem kolonialen Erbe zum Beispiel im Rahmen „change.org“, das der Senat im Zusammenhang der Kooperation von Schulen mit Museen geleistet. mit dieser Anfrage zur Kenntnis genommen hat. Zu Insbesondere das Übersee-Museum reflektiert mit der darin aufgestellten pauschalen Behauptung, hoher Sensibilität das koloniale Erbe im Kontext Kinder würden über Rassismus, Kolonialismus und seiner Sammlungen. Schulen nutzen für den Unter- Migrationsgeschichte bildungspolitisch unzuläng- richt des Weiteren das umfangreiche Angebot der lich aufgeklärt, wird auf die Beantwortung der Fra- Landeszentrale für politische Bildung. So wird die gen 1 und 2 verwiesen. – So weit die Antwort des koloniale Geschichte regelmäßig auch bei Antiras- Senats! sismustagen vor allem der 42 Schulen ohne Rassis- mus – Schulen mit Courage im Land Bremen the- Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine matisiert, im Zusammenhang mit dem Thema Eu- Zusatzfrage? – Bitte sehr! ropa aufgegriffen sowie individuell in Fach- oder Wettbewerbsarbeiten vertieft. Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Wir haben gestern den Landesaktionsplan gegen Rassismus Diese Vorgaben befähigen Schülerinnen und beschlossen und auch darin steht die Stärkung der Schüler, eine eigene historische und aktuelle Ver- antirassistischen Bildungsarbeit in Kita und Schule. antwortung zu erkennen und Verständnis für an- Ich empfinde, dass das ein Punkt ist, der auch in der dere Vorstellungen und kulturelle Werte zu entwi- gerade genannten Petition angesprochen wird. Ich ckeln. würde gern nachfragen, ob Sie schon konkretere Vorstellungen haben, wie die antirassistische Bil- Zu Frage 2: Wie in der Beantwortung zu Frage 1 dungsarbeit in Schulen gestärkt werden kann? ausgeführt, ist die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ein Querschnittsthema, das in Be- Senatorin Dr. Bogedan: Ich glaube, wir hatten hier zug zur Stadt- und Landesgeschichte altersgerecht am Dienstag schon die Gelegenheit, uns zu Fragen zu vermitteln ist. In Verbindung mit den im Bremi- der Diskriminierung auszutauschen und deutlich schen Schulgesetz in § 5 benannten Bildungs- und zu machen, dass es unterschiedliche Anknüpfungs- Erziehungszielen ist bereits jetzt eine für alle Schu- punkte gibt. Ich glaube, ich habe verständlich ge- len geltende, normierende Grundlage für diesen macht, dass das Thema über die formalen Rahmen Themenkomplex gegeben. Eine weitere Ausdiffe- der kompetenzorientierten Bildungspläne klar ge- renzierung des Themas stellt keine unabdingbare setzt ist. Eine Frage dabei ist, wie man in den Quer- Voraussetzung für eine Auseinandersetzung dar schnittsbezügen immer wieder das Bewusstsein und wäre angesichts einer Vielzahl vergleichbarer dafür wecken kann, dass das Thema auch tatsäch- Themenbereiche nicht darstellbar. lich im Unterricht aufgegriffen und genutzt wird, um sich, wie ich gerade geschildert habe, anhand Zu Frage 3: Petitionen im Sinne des Gesetzes sind von Projektarbeiten, von Museumsbesuchen oder Eingaben, die Personen einzeln oder zusammen an Kooperationen mit außerschulischen Partnern eine Volksvertretung richten und mit denen staat- Dinge zu erarbeiten, die nicht zwangsläufig in ei- liche Stellen zu einer Veranlassung in Bezug auf ei- nem bestimmten Fach verankert sind. nen bestimmten Sachverhalt aufgefordert werden sollen. In einem solchen Fall fordert die Bremische Diese Thematik hat verschiedene Gesichtspunkte. Bürgerschaft in der Regel das betreffende Senats- Das erste, was wir immer machen, ist, Fortbildun- ressort zu einer Stellungnahme sowie zu einer gen für Lehrkräfte anzubieten, damit sie in der Empfehlung für den Umgang mit dem Sachverhalt Lage sind, das Thema in vielfältigen Kontexten auf- auf. Auf Petitionen, die den Senat auf diese Weise zugreifen. Es ist gerade zwei Wochen her, da haben erreichen, wird entsprechend dieser Verpflichtung die Fachlehrkräfte für den GuP-Unterricht eine Ta- reagiert. gung gehabt, die sich mit der Frage von Grund- rechten auseinandergesetzt hat. Auch im Rahmen Hiervon zu unterscheiden sind Initiativen oder Be- dieser Tagung, bei der ich zu Gast sein und mir die gehren, die über verschiedene Portale im Internet Ergebnisse anschauen durfte, wurden solche The- men wie Rassismus berührt und thematisiert, weil 2026 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

es eine Frage ist, die sich sofort vor dem Hinter- bücher beugen müssen, um festzustellen, dass häu- grund der Würde des Menschen stellt, vor dem fig noch immer eine nicht diskriminierungsfreie Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes stellt. Darstellungsweise in Schulbüchern gewählt wird und das tatsächlich ein dauerhaftes Thema ist, das In diesem Kontext, wenn wir sagen, in Schulen wir auch im Rahmen der Zulassung von Schulbü- müssen diese Themen im Politikunterricht, aber chern hier in Bremen im Blick haben. auch in anderen Fächern thematisiert werden, muss sichergestellt sein, dass Lehrkräfte Materia- Im Bundesland Bremen haben wir die besondere lien, Informationen zur Verfügung haben, mit de- Situation, dass wir nicht selber unmittelbar mit Bil- nen sie das angemessen aufbereiten. Für diese Ma- dungsverlagen über Schulbücher verhandeln, als terialien wiederum ist die Landeszentrale für poli- kleinstes Abnehmerbundesland. Deshalb können tische Bildung sehr aktiv und hat – das haben wir, wir nicht unmittelbar Einfluss darauf nehmen, son- glaube ich, in der vorletzten Deputation für Kinder dern nur mittelbar im Rahmen der Kultusminister- und Bildung diskutiert – mit ihrem Erinnerungs- konferenz beziehungsweise mittelbar im Rahmen konzept zum Kolonialismus noch einmal einen Ge- der Frage, welche Bücher wir unseren Schulen sprächskreis auch in Verknüpfung mit außerschu- empfehlen. lischen Akteuren initiiert, aus dem heraus genau solche Materialien für Schulen zur Verfügung ge- Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine stellt und Kooperationen geschlossen werden kön- weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! nen. Insofern, glaube ich, gibt es innerhalb des be- stehenden Rahmens vielfältige Möglichkeiten, An- Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Sie hatten gebote zu machen, mit denen das Thema in Schu- auch davon gesprochen, dass die Landeszentrale len getragen und weiterentwickelt werden kann. für politische Bildung Materialien erstellt. Ist das nicht ein Punkt, wo man von bremischer Seite Gestern haben wir im Rahmen der Diskussion zum schauen kann, ob man an diesem Punkt zum Bei- Rassismuskonzept auch gehört, dass wir immer spiel Menschen der Schwarzen Community stärker wieder darüber reden müssen. Wenn wir nicht im- einbezieht als es bisher der Fall war? mer wieder darüber reden und es immer wieder zum Thema machen, dann – –. Daran kann man aus Senatorin Dr. Bogedan: Das kann man auf jeden meiner Sicht kein Häkchen machen und sagen: Fall. Soweit ich weiß, gibt es über das Landesinsti- Okay, das habe ich in der fünften Klasse gemacht, tut für Schule da bereits Wechselbeziehungen, weil das ist wie das Einmaleins, das sitzt und darauf wir dort versuchen, das Thema, wie ich gerade ge- kann ich aufbauen, sondern das ist ein Thema, das sagt habe, für die Fortbildungen noch einmal an- man durchgängig, immer wieder in unterschiedli- ders aufzubereiten. chen Formen thematisieren muss. In der Antwort zu Frage 2 war der Versuch, das deutlich zu ma- Präsident Imhoff: Frau Senatorin, eine weitere Zu- chen. Wir glauben, dass wir vielfältige Anlässe in satzfrage durch den Abgeordneten Saxe. – Bitte Schulen dafür bieten, das thematisieren zu können. sehr!

Präsident Imhoff: Haben Sie eine weitere Zusatz- Abgeordneter Saxe (Bündnis 90/Die Grünen): An- frage, Frau Kollegin? – Bitte sehr! gesichts der historischen Bedeutung und der vielen Millionen Opfer, die es in Zeiten des europäischen Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Ist Ihnen be- Kolonialismus gegeben hat, 10 Millionen Opfer in kannt, ob bei der Herstellung der Materialien für Belgisch-Kongo, 80 000 Opfer beim Genozid in Schulen im Bereich Kolonialismus, also Kolonialge- Deutsch-Südwestafrika, und den Auswirkungen, schichte aber auch Antirassismus, auch Menschen die das bis heute hat – glauben Sie, dass die, so wie der Schwarzen Community beziehungsweise Pe- ich das jedenfalls in einigen Schulen kenne, eher ople of Color einbezogen werden beziehungsweise sporadische Behandlungen des Kolonialismus aus- fänden Sie das begrüßenswert? reicht?

Senatorin Dr. Bogedan: Das finde ich ehrlich ge- Senatorin Dr. Bogedan: Das macht es mir jetzt sehr sagt absolut begrüßenswert. Tatsächlich ist das schwer, weil Sie eine Behauptung in den Raum nicht immer sichergestellt. Wir haben uns im Rah- stellen, die ich schwerlich nachprüfen kann. Wir als men der Kultusministerkonferenz in unterschiedli- diejenigen, die ministeriell dafür zuständig sind, chen Kontexten leider schon häufiger über Schul- über Rahmenlehrpläne immer wieder darauf auf- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2027

merksam zu machen, dass Themen wie der Koloni- Bezug zur kolonialen Geschichte, auch zur koloni- alismus, aber auch andere wichtige gesellschafts- alen Geschichte Bremens und Bremerhavens. Denn politische Fragestellungen in den Kanon dessen, heute erleben wir beispielsweise im Hinblick auf was in Schule behandelt wird, notwendigerweise die Herstellung von Smartphones, dass dies auch hinein gehören, um den Bildungszielen gerecht zu auf diesen Ausbeutungsstrukturen basiert. In der werden, können nur darauf hinwirken, wenn wir Kompetenzstruktur und in unserem Orientierungs- Fortbildungen nutzen, um Ideen zu geben. Wir rahmen zur digitalen Bildung ist das als Themen- können Handreichungen geben, wie man diese feld angelegt, ohne dass aber jeweils konkret da- Unterrichtsmaterialien einsetzen kann. hintersteht, im einzelnen Lehrplan muss diese Frage zwangsläufig thematisiert werden. Für das Thema Kolonialismus ist insbesondere die Fachkommission GuP zuständig, die solche The- Das kann man als unzureichend, als unbefriedi- men beratschlagt, schaut, wie und mit welchen In- gend empfinden. Das liegt aber daran, dass wir sa- strumenten und Mitteln man das im Unterricht bes- gen, wir müssen im Klassenraum auch die Möglich- ser verankern kann. keit eröffnen, tagesaktuelle Themen aufzugreifen und eben nicht, wie ich vorhin gesagt habe, nur mit Ich gebe Ihnen Recht, das ist für uns immer eine einer Checkliste Themen abzuhaken. schwierige Situation, weil man sich natürlich wün- schen würde, dass das, was geteilter politischer Präsident Imhoff: Herr Kollege, haben Sie eine Wille ist, was für uns abgeleiteter Auftrag der Schu- weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! len ist und was wir uns wünschen, was in Schule thematisiert wird, nicht immer das ist, was tatsäch- Abgeordneter Saxe (Bündnis 90/Die Grünen): Das lich in jeder Klasse im Einzelnen umgesetzt wird. eine schließt das andere meiner Ansicht nach nicht Das trifft ehrlich gesagt leider auf sehr viele Sach- aus. Wie bewerten Sie meine Einschätzung, dass verhalte zu. Das ist ein Thema, das uns nicht nur in man ohne Verständnis, und zwar vertieftes Ver- Bremen betrifft, sondern das uns auch im Hinblick ständnis, für den Kolonialismus den strukturellen auf alle anderen 15 Bundesländer immer wieder im Rassismus nicht begreifen kann ebenso wie die po- Rahmen der Kultusministerkonferenz bewegt. litische, soziale und ökonomische Situation in den ehemals kolonialisierten Ländern? Ich nehme jede Anregung auf, das Thema zu plat- zieren, weil ich, glaube ich, zu denjenigen gehöre, Senatorin Dr. Bogedan: Ich dachte, das hätten die, darf ich das jetzt sagen, ich sage das jetzt ein- meine Ausführungen zu Digitalisierung deutlich fach einmal – –. Wir haben gestern darüber disku- gemacht, also etwas, das sehr lebensweltlich bei tiert, was gute Bildung ist. Die Vorstellung darüber, den Kindern und den Jugendlichen heute ansetzt, was gute Bildung ist, gehört für mich originär damit das gar nicht damit zu tun hat, mit welcher Haltung zusammen, dass, wenn ich Deutsch, Mathe, Eng- ich durch das Leben gehe – –. Dass ich verstehen lisch lerne, was absolute Grundkompetenzen sind, muss, dass ich als Individuum eine Verantwortung die nur Sinn ergeben, wenn ich diese Kompetenzen habe, die in einem geschichtlichen Kontext steht, auch in die Anwendung bringen kann. wenn ich diese Grundhaltung in Schulen habe, dann erklärt sich das, was Sie gesagt haben, von Ich weiß, dass wir dazu hier nicht ungeteilte Mei- selbst, dann ist struktureller Rassismus nur vor dem nungen haben, aber deshalb gibt es ja auch unter- Hintergrund zu verstehen, dass es geschichtliche schiedliche Regierungskonstellationen. Ich glaube, Kontexte gab, in denen sich Menschen über andere dass wir das im gesamten Senat so vertreten, dass Menschen erhoben haben. Das ist der Grundkon- der Bildungsauftrag ein größerer ist, dem sich alle flikt und deshalb kann ich das an ganz vielen un- Instrumente unterzuordnen haben. terschiedlichen Kontextsituationen thematisieren. In der Tat gehört ein geschichtliches Grundver- Deshalb ist es mit einem solchen Bildungsverständ- ständnis von kolonialen Zusammenhängen ele- nis auch möglich, im Rahmen von Mathematikun- mentar dazu. Genauso wie elementare Zusammen- terricht auch solche Fragen zu thematisieren, im hänge des Nationalsozialismus in der Schule be- Bereich von Physikunterricht, wenn ich nämlich sprochen werden müssen, um zu verstehen, was zum Beispiel lerne, wenn ich jetzt bei dem Thema das mit meiner Realität heute im Hier und Jetzt zu digitale Kompetenzen bin, wie heute Handys oder tun hat. Deshalb gibt es meines Erachtens über- Smartphones hergestellt werden, auf welche Res- haupt Geschichtsunterricht in der Schule. sourcen zurückgegriffen wird, dann hat das einen 2028 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Präsident Imhoff: Weitere Zusatzfragen liegen ker, Eventcaterer, Eventausstatter und es sind un- nicht vor. – Ich bedanke mich für die Beantwor- zählige Soloselbstständige in den Bereichen Ton, tung. Licht, Video, DJs und diverse Künstler.

Wir sind damit am Ende der Fragestunde ange- Wir alle haben in unserem politischen Leben ihre kommen. Die vom Senat schriftlich beantworteten Unterstützung benötigt, in den Zeiten, in denen wir Anfragen der Fragestunde finden Sie im Anhang noch Veranstaltungen durchgeführt haben. Seit zum Plenarprotokoll ab Seite 2089. mittlerweile gut zwei Monaten weist uns die Bran- che jeden Mittwoch auf ihre Alarmstufe Rot hin, „First in – Last out“ – Überbrückungsmaßnahmen auch gestern waren wieder Vertreter hier vor der und Förderprogramme für die Veranstaltungs- Halle 7. Vor wenigen Wochen hatten sie eine be- wirtschaft zielgenau ausrichten! achtete Demonstration in Berlin, weil sie uns näm- Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP lich gezeigt haben, dass man auf ihre Sachen auf- vom 30. September 2020 merksam machen kann, auch ohne Coronabestim- (Drucksache 20/637) mungen zu verletzen, Abstand halten und trotzdem eine Demonstration organisieren kann. Wir verbinden hiermit: Wenn wir über die Veranstaltungsbranche reden – Die Veranstaltungswirtschaft im Land Bremen auf und ich will das ganz bewusst bei meiner Einfüh- dem Weg in die Zukunft begleiten rung zu unserem Antrag machen –, dann sprechen Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die wir auch über viele Menschen, die ihre Motivation Grünen und DIE LINKE aus der Veranstaltung als solcher nehmen. Gerade vom 6. Oktober 2020 die vielen Soloselbstständigen leben häufig mit den (Drucksache 20/643) Details, mit den Planungen, mit viel Herzblut, mit einem großen Maß an Flexibilität, um Events, um Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Wiebe. Veranstaltungen auch tatsächlich zu ermöglichen.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Wir wissen auch, viele, die in diesen Bereichen ar- beiten, führen im Endeffekt teilweise Selbstaus- Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete beutung durch, wenn sie vor Events 60 oder Eckhoff. 80 Stunden arbeiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns heute damit beschäftigen und deshalb ist Abgeordneter Eckhoff (CDU): Herr Präsident, es auch wichtig, dass wir hier und heute konkrete meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir re- Hilfsmaßnahmen auf den Weg bringen. Die CDU den mit diesem Antrag wieder über eine Branche, hat Ihnen zusammen mit der FDP einen Vorschlag die wie kaum eine andere von der Pandemie und gemacht. von den beschlossenen politischen Maßnahmen betroffen ist. Im Endeffekt gilt für viele aus diesem Ein ganz wichtiger Bereich war auch der Bereich Bereich seit sieben Monaten ein Lockdown, einige des Unternehmerlohns. Dazu will ich etwas sagen, in der Branche sprechen sogar von einem Berufs- weil sich das für den einen oder anderen fast wie verbot. So richtig und wichtig die politischen Ent- ein Kampfbegriff anhört. Dieser Unternehmerlohn scheidungen sind, die wir im Zusammenhang mit ist eine kalkulatorische Größe. In einigen Bundes- der Coronapandemie getroffen haben, ist es, ländern ist er in Förderprogramme aufgenommen glaube ich, genauso wichtig, über diejenigen zu worden. Das heißt, bei einem Antrag, der aus der diskutieren, die die Auswirkungen zu tragen ha- Branche gestellt wird, wird eine Größenordnung ben. von 1 000 bis 1 200 Euro für die Arbeit des jeweili- gen Unternehmers berücksichtigt. Für uns ist dies Veranstaltungsbranche. Was heißt das eigentlich? ein wichtiger Eckpfeiler, dass natürlich auch die Was ist das eigentlich? Nur damit ich an dieser Tätigkeit, die der Unternehmer in seinem Unter- Stelle einmal ein paar Aufzählungen machen darf. nehmen für die Vorbereitung beispielsweise eines Das sind die privatwirtschaftlichen Versammlungs- Events erbringt, in den Fördereranträgen berück- stätten genauso wie die privatwirtschaftlichen sichtigt werden muss. Ich bedaure es außeror- Schauspielhäuser. Das sind Konzertveranstalter, dentlich, dass wir uns unter anderem auch wegen das sind Eventagenturen, Veranstaltungstechni- dieses Eckpfeilers auf keinen gemeinsamen Antrag mit der Koalition verabreden konnten. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2029

(Beifall CDU, FDP) Der Kollege Herr Eckhoff hat schon sehr gut ge- schildert, was auf dem Spiel steht. Ich finde, man Ein zweiter wichtiger Punkt war, dass wir auch Lü- kann es auch so beschreiben, es geht nicht nur da- cken schließen wollten, die es in den Bundespro- rum, dass einer Branche schwerer Schaden droht, grammen gibt. Ja, die Bundesregierung hat viel auf dass Leute in Arbeitslosigkeit abzurutschen dro- den Weg gebracht, um den betroffenen Unterneh- hen, dass Leute ihre Unternehmen verlieren und all men zu helfen. Ja, die Regierung hat Maßnahmen das, sondern die Stadt würde verarmen, wenn sie in einem ungekannten Ausmaß beschlossen. Trotz- nicht mehr die Möglichkeit hätte, Veranstaltungen dem gibt es immer wieder Details, an denen man zu organisieren. ansetzen muss. Bei der Abfinanzierung der zur Verfügung gestellten Kredite zum Beispiel haben Das ist so ein bürokratischer Begriff. In Wirklichkeit viele Unternehmer Angst, dass sie das in dem Lauf- geht es um große Versammlungen rund um ein kul- zeitbereich von zehn Jahren nicht schaffen und ha- turelles Ereignis, ein Konzert, eine Theaterveran- ben gesagt, können wir das nicht mit bremischen staltung, Dinge dieser Art. Es geht um das Treffen Mitteln zum Beispiel auf 15 Jahre ausdehnen. Die- von Unternehmen auf Messen, wo man sich aus- ses ist bisher noch nicht gelungen, das bedauern tauscht, wo man sich verknüpft, wo man Netz- wir außerordentlich. Wir hätten uns das in einem werke organisiert und Dinge dieser Art. Wenn eine solchen Antrag gewünscht, aber wir finden es lei- Stadt das nicht mehr kann, dann verliert sie un- der nicht in dem Antrag der Koalition wieder. glaublich viel. Erst jetzt, in dieser Situation, merken wir, was da auf dem Spiel steht. Das ist sehr schön Zum Abschluss des ersten Teils möchte ich noch in dieser Formulierung gefasst: Dann wird es still. einmal dafür werben: Wir haben bei den Haus- Das dürfen wir unter keinen Umständen zulassen. haltsberatungen viel über den Bremen-Fonds dis- kutiert und wir haben gesagt, dieser Bremen-Fonds Jetzt ist die Überlegung, die unseren Antrag gelei- muss auch dazu da sein, um gerade die Lücken zu tet hat, die, dass wir gesagt haben, wir wollen nicht schließen, die die Bundespolitik bisher nicht be- mehr nur dazu beitragen, dass den Unternehmern rücksichtigt hat. Dieses – in der Veranstaltungs- eine Reihe von Kosten von den Schultern genom- branche – ist eine große Chance, dass wir hier auch men werden, damit sie nicht insolvent gehen, aber einen Beitrag aus dem Bremen-Fonds leisten, da- wir akzeptieren, dass sie nicht arbeiten können, mit es nicht, wie uns das Hashtag der Branche „Oh- sondern wir wollen ermöglichen, dass sie auch un- neunsistsstill“ in den letzten Monaten gezeigt hat, ter den jetzigen Rahmenbedingungen arbeiten still wird, sondern dass wir einen Weg durch die können, also produzieren, also veranstalten. Das ist Krise aufzeigen, denn das ist der Weg, für den wir der Kerngedanke von dem, was wir aufgeschrieben kämpfen müssen, haben.

(Glocke) Wir suchen nach den Hebeln, wie wir das ermögli- chen können. Das ist ziemlich bedeutsam, weil wir bevor der Weg nach der Krise beschritten werden ja nicht wissen, wie lange uns diese Pandemie noch kann. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! quälen wird und diese Einschränkungen noch dau- ern werden, mal mehr, mal weniger. Es ist dieses (Beifall CDU, FDP) Atmen und darauf muss diese Branche vorbereitet werden, dass sie das bewältigen kann. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bücking. Jetzt im Detail: Wir sehen folgende Situation bei den Veranstaltern von Theater und Musikveran- Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): staltungen, Kabarett und all dem. Sie können nur Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor mit sehr viel weniger Publikum arbeiten, in sehr wir uns gegenseitig mit den Texten auseinander- viel größeren Sälen. Das ist ökonomisch ein Drama, setzen, möchte ich kurz den Grundgedanken der das ist ja klar, denn man hat weniger Ticketver- Überlegungen der Koalition vortragen. Da es zum käufe. Diese Situation muss man versuchen zu ent- Glück nicht um Logistik geht, dürfte das weitge- spannen, denn diese Veranstaltungen sollten trotz- hend im Konsens geschehen. dem möglich sein.

(Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Ausnahms- Selbstverständlich sagen alle Veranstalter, ja, das weise!) wollen wir dann auch ins Netz stellen, das ist tech- nisch überhaupt kein Problem und leicht gemacht, 2030 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

man schaltet die Kamera an und das Mikrofon. Je- etwas lernen, die müssen mit ihren Kundenbezie- doch ist das dann im Netz kein Ereignis, es ist keine hungen einen Schritt weiterkommen. Das ist eben- Veranstaltung. Die Leute im Netz sind wie falls eine Überlegung in unserem Text. Zaungäste am äußersten Rand. Der letzte Punkt: Wir glauben, dass es sehr schlau An genau dieser Stelle, glauben wir, muss man wäre, wenn wir für das Frühjahr organisieren enorm dazulernen. Man muss, wenn man sich vor- könnten, dass an möglichst vielen Stellen, die ge- stellt, man hat ein Musikereignis, das normaler- eignet sind, in den Grünräumen unserer Stadt, Re- weise von 5 000 Fans in Bremen besucht werden genschutzanlagen geschaffen werden, also offene würde, versuchen, Kontakt zu diesen 5 000 Perso- Zelte, Toiletten aufgestellt werden, elektrische nen in dieser Stadt und ihrer Umgebung zu halten, Versorgung sichergestellt wird, all das, um die in der Vorbereitung der Veranstaltung, während Stadt zu bereichern, im Sinne von, wir nehmen un- der Veranstaltung, beim Zuschauen am Laptop o- sere Kultur wahr, wir können uns noch versam- der am Fernseher. Wie das genau geht, dass daraus meln, wir können das unter den Bedingungen so ein Produkt wird, das sich monetarisieren lässt, das tun, dass es nicht gefährlich ist. – Danke! muss erfunden werden. Das ist noch nicht erfun- den. Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wischhusen. Dafür finden wir die Idee mit dem „Club 100“ sehr klug. Es gibt da die Vorstellung, wir ermöglichen Herr Bücking, Ihre Maske! Auch beim Weggehen im Pier 2 die Durchführung von Veranstaltungen vom Rednerpult tragen Sie bitte die Maske. – Her- mit 200 bis 300 Leuten und die werden mit dem vorragend! Netz verschaltet, gestreamt und dergleichen mehr und ungefähr 100 Veranstalter aus der Stadt, Klubs (Heiterkeit) mit ihren Kompetenzen, ihrer Nähe zu bestimmten Musikern und Künstlern tun sich zusammen und Abgeordnete Wischhusen (FDP): Herr Präsident, organisieren, das finde ich entscheidend, gemein- liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon be- schaftlich ein großes Programm über viele Schritte. merkenswert, FDP und CDU bringen einen Antrag Das organisiert Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit zur Unterstützung der Veranstaltungswirtschaft ein ist die zentrale Währung in dieser Welt, da sehen und vorgestern kommt dann die Koalition mit ei- die Leute hin. Das ermöglichen wir jetzt, das finden nem eigenen. Ich hätte es ein schönes Signal ge- wir schlau, das kommt all den Soloselbstständigen funden, wenn wir uns tatsächlich auf einen geei- zugute, die damit kooperieren. Das ist ein Kern- nigt hätten. punkt unserer Überlegung. (Beifall FDP, CDU) Zweiter Kernpunkt ist, wir sagen, diejenigen, die eher B2B machen, sich also nicht zum Kunden wen- Es kommt dazu, dass – –. Was ist in den letzten sie- den, sondern zu anderen Unternehmen, also Mes- ben Monaten passiert? Herr Eckhoff hat das eben sen veranstalten, Produktpräsentationen, müssen gesagt, seit sieben Monaten ist die Branche de facto Vergleichbares erlaubt und ermöglicht bekommen. auf null gefahren. Seither ist einiges passiert, dan- kenswerterweise wurden viele Branchen unter- Die Zeit ist zu Ende, es waren die ersten fünf Minu- stützt, es wurden viele Personen unterstützt, es sind ten. Dann nehme ich eine kleine Anleihe bei mei- schon viele Gelder geflossen. Doch scheinbar hat nen zweiten fünf Minuten. Ist das in Ordnung, Herr man die Veranstaltungswirtschaft vergessen. Umso Präsident? erstaunlicher ist die Überschrift „Die Veranstal- tungswirtschaft im Land Bremen auf dem Weg in Präsident Imhoff: Machen Sie das. die Zukunft begleiten“, denn so lautet der Titel des vorliegenden Koalitionsantrags. (Heiterkeit CDU) Allein die Überschrift zeigt schon das Dilemma. Die Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): Veranstaltungswirtschaft und die gesamte Wert- Danke! Für diese B2B-Veranstaltungen versuchen schöpfungskette dahinter stecken nämlich in einer wir – –-. Die müssen technisch etwas lernen, die existenzbedrohenden Krise. Sie kann gar nicht auf müssen vom Format her etwas lernen, vom Konzept dem Weg in die Zukunft begleitet werden, denn wir müssen erst einmal dafür sorgen, dass wir sie in der Zukunft überhaupt noch haben werden. Damit Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2031

meine ich nicht die nächsten Wochen und Monate, das alles heißt. Sie verbindet auf Konzerten Gene- sondern wir brauchen die Veranstaltungswirtschaft rationen – den Scherz müssen Sie mir erlauben –, über die ganze Zeit hinweg und auch noch die bei Helene Fischer erfreuen sich von Oma bis zum nächsten Jahre. Wir müssen sie nicht begleiten, wir Enkelkind alle und singen laut bis zur Atemlosig- müssen ihnen jetzt konkret helfen – nämlich zu keit. überleben. Ich bin mir nach der Durchsicht Ihres Antrags tatsächlich nicht ganz sicher, ob Sie mit Ih- (Abgeordneter Güngör [SPD]: Ich war wenigstens rem eigenen Endergebnis zufrieden sind und ob auf einem Konzert! Sie wahrscheinlich nicht!) Sie verstanden haben, dass alle Maßnahmen, die Sie vorliegend benannt haben, nur nachgelagert In den Klubs und Diskotheken erfreuen sich die helfen werden. Bremer Jugendlichen und Studierende, es kommen welche von außerhalb und der Klubbesuch gehört Die Finanzierung der Maßnahmen ist scheinbar standardmäßig zum Wochenendprogramm dazu. völlig unklar. Es steht nichts darin, wie Sie diese Wo, und auch das gehört zur Wahrheit dazu, außer Projekte, die Sie vorhaben, tatsächlich finanzieren auf Onlinedatingportalen sollen sich die jungen wollen. Es wird kein Rahmen über die Höhe fest- Leute denn heute überhaupt noch kennenlernen? gelegt. Das wundert mich am meisten. Mit keinem Wort wird der Bremen-Fonds in dem Antrag der Sie hätten die Bereitschaft zeigen sollen, den Turbo Koalition erwähnt. Jens Eckhoff hat es eben gesagt, für die Veranstaltungswirtschaft und damit auch dass wir Ihnen konkrete Vorschläge gemacht ha- ihre nachgelagerten Wertschöpfungsketten einzu- ben, wie wir all das finanziert haben wollen, dass schalten. Das geht ja auch stets bei den übrigen der Bremen-Fonds nämlich extra dafür da ist. Diese Wünschen und Vorstellungen der Koalition. Wir Frage stellt sich bei dem von uns vorgelegten An- werden Ihrem Antrag natürlich trotzdem zustim- trag nicht. men, denn wir wollen, dass sich endlich etwas be- wegt und wenig ist besser als gar nichts. Die Menschen brauchen jetzt verlässliche Rahmen- bedingungen und keine leeren Floskeln. Wir brau- Erst am Montag habe ich mit dem Bremer Klubbe- chen auch keinen Runden Tisch. Ich weiß nicht ge- sitzer gesprochen. Um ein Beispiel zu nennen: Vor nau, wie dieser Runde Tisch hilft. einem Jahr hatte er noch jedes Wochenende, an beiden Wochenendtagen, den Klub geöffnet und (Zuruf Abgeordneter Bücking [Bündnis 90/Die hat pro Abend circa 700 bis 800 jungen Leuten eine Grünen]) sichere Möglichkeit zum Feiern gegeben. Er hat in seinen Klub investiert, er hat renoviert, die Darle- Ich habe nichts dagegen, dass wir den etablieren, hen sind selbstverständlich jeden Monat abzuzah- aber ich weiß noch nicht, inwiefern der tatsächlich len. Seit März nun ist der Laden komplett geschlos- dazu führt, dass die Gelder monetarisiert werden sen und komplett bedeutet komplett. Einnahmen und dass die Veranstaltungswirtschaft davon lang- sind auf null heruntergefahren und es besteht gar fristig profitieren kann. Wir brauchen keine Prüf- keine Aussicht auf Wiedereröffnung. aufträge, denn das dauert wieder Monate, und Ver- sprechungen, die in Monaten helfen werden, aber Dazu kommt auch noch, dass so ein Klub bezie- nicht jetzt. hungsweise sein Betreiber, sofern er den Laden über ein Jahr nicht betreibt, die Konzession ver- Wir haben erwartet, dass der von Ihnen angekün- liert. Das heißt, die Uhr tickt. Nur noch sechs Mo- digte Antrag bereits die Finanzierung, einen Zeit- nate und dann ist es vorbei. Was bedeutet das für plan und verlässliche Zusagen für die Veranstal- die Klubbetreiber? Die Miete muss in den meisten tungswirtschaft darlegt und festschreibt und dass Fällen trotzdem gezahlt werden. Wenn der Vermie- wir all das am besten heute beschließen, denn ei- ter an dieser Stelle kulant war, bleiben immer noch gentlich ist es jetzt schon zu spät. Es ist nicht fünf die sowieso bestehenden Neben- und Fixkosten: vor zwölf, sondern es ist fünf nach zwölf. Eine Zu- Kühlschränke laufen weiter, Heizkosten, Strom, ei- stimmung zu unserem Antrag wäre ein viel deutli- nige Festangestellte des Mitarbeiterstabs und so cheres Zeichen gewesen und hätte der Veranstal- weiter. All das konnte bislang mehr schlecht als tungswirtschaft tatsächlich geholfen. recht durch die Hilfen gestemmt werden. 9 000 Euro, die zum Teil geflossen sind, sind eben Die Veranstaltungswirtschaft leistet so viel für Bre- nur ein Tropfen auf den heißen Stein. men. Wenn wir uns einmal vergegenwärtigen, was 2032 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Im zweiten Teil gehe ich auf die Perspektiven ein Wir können die Aktivitäten nicht bei jedem einzel- und dann auch auf den „Club 100“. – Vielen Dank! nen machen. Deswegen hat die Koalition den Weg gewählt – ich finde das ausgesprochen gut –, dass (Beifall FDP) sie sagt: Wir unterstützen Veranstaltungen, am liebsten große Veranstaltungen wie Club 100, Präsident Imhoff: Wo ist Ihre Maske? durch die wir dann eine Menge Menschen in Ar- beit, Beschäftigung und Einkommen bringen, Abgeordnete Wischhusen (FDP): Entschuldigung, durch die wir Unternehmen dadurch stützen, dass in der Tasche! wir Aktivitäten ermöglichen, dass wir Eventma- nagement haben, dass wir Catering haben, dass (Abgeordneter Bücking [Bündnis 90/Die Grünen]: wir Hallenbesitzer unterstützen, dass wir Sicher- Auch nicht besser als ich, wenigstens menschlich heitsdienste unterstützen bis hinunter zu Solo- sind wir uns ähnlich!) selbstständigen. Der Versuch also, von oben Ver- anstaltungen zu initiieren, aber es gibt auch einige Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Unterschiede zum CDU-Antrag. der Abgeordnete Stahmann. Aus unserer Sicht können wir als Regierungskoali- Abgeordneter Stahmann (SPD): Herr Präsident, tion, als Parlament, als Senat nicht die Veranstal- liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon et- tungen machen. Wir sind nicht die bessere Veran- was verwundert, Frau Wischhusen, dass Sie unse- staltungsbranche, sondern das müssen die schon rem Antrag zustimmen, aber dann eine Rede hal- selbst machen. Die müssen sagen, was möglich und ten, die nur das Trennende betont. Das ist der Situ- was unmöglich ist und dann müssen sie sagen, un- ation dieser Branche nicht angemessen. ter welchen Bedingungen das möglich ist und wo sie Hilfe brauchen. Der „Freipark“ hier draußen ist (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) das beste Beispiel. Eine lange, schwierige Diskus- sion mit Kompromissen, aber wir brauchen die Ich hätte mir, auch im Sinne von Herrn Eckhoff, ge- Fachkompetenz der Veranstaltungsbranche und wünscht, dass wir einen gemeinsamen Tenor hin- müssen das mit denen entwickeln. bekommen. Ich bedauere es auch, dass wir keinen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben, aber Das bedeutet für uns, dass wir Aktivitäten fördern, es gibt eben ein paar Punkte, die trennend sind. aber dass das Betriebsrisiko nicht zu 100 Prozent Trotzdem sollte von diesem Parlament ausgehen, auf den Bremen-Fonds abgewälzt werden kann. dass wir uns um diese Veranstaltungsbranche Wir machen keine Politik, die da heißt, jetzt macht kümmern und dass es für uns wichtig ist. alles und wenn ihr nicht zurechtkommt, überneh- men wir die Ausfallgebühr zu hundert Prozent, Ich will auf ein paar Punkte eingehen. Ich fange sondern es muss eine klar geregelte Unterstützung einmal mit dem Arbeitskreis an. Was soll der Runde sein. Das gibt unser Antrag in den elf Punkten wie- Tisch? Alle Fraktionen haben betont, dass sie mit der. Wir wollen Aktivitäten fördern, wir wollen eine der Branche gesprochen haben. Weil ich zum Bei- klare Unterstützung, wir wollen Rahmenbedingun- spiel vor einem Vierteljahr überhaupt nicht wusste, gen schaffen, unter denen Veranstalter sagen: Ja, welche Probleme konkret da sind, hilft es, mit unter den Bedingungen machen wir das. ihnen zu sprechen. Es hilft, mit ihnen im Dialog zu bleiben und es hilft, mit ihnen in diesem Dialog Warum stehen darin keine Summen? Weil das nicht nach Lösungen zu suchen. Das, was in unserem unsere Zuständigkeit ist. Natürlich reden wir über Antrag steht, sind Lösungen, die wir mit der Bran- den Bremen-Fonds, es ist Corona und es ist die Un- che erarbeitet haben. terstützung und natürlich wird Geld aus dem Bre- men-Fonds dafür sein, aber das ist Aufgabe des Se- Unser Antrag wechselt gerade die Unterstützung nats. Ich gehe davon aus, dass das Wirtschaftsress- dieser Branche. Das haben auch meine Vorredner ort, dass der Senat relativ kurzfristig sagt, was für betont. Wir haben in der Vergangenheit bei Untä- welche Maßnahme zu gebrauchen ist. Den Rest tigkeit Unterstützung gewährt. Frau Wischhusen dann im zweiten Teil. – Danke! hat das eben gesagt. Das ist aber der falsche Weg, wir brauchen einen Wechsel. Herr Bücking hat das (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) angesprochen, wir brauchen einen Wechsel zur Unterstützung von Aktivitäten. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tebje. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2033

Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrter den, wenn dadurch eine schnellere Wiederauf- Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! nahme, eine sichere Durchführung und eine hö- Meines Erachtens sind wir uns fraktionsübergrei- here Kundenakzeptanz des Veranstaltungsbetriebs fend einig, dass dringend Hilfen für die Veranstal- erreicht werden können. tungsbranche in Bremerhaven und Bremen benö- tigt werden. Dabei liegt unser Schwerpunkt für das Der Aufbau eines Kompetenznetzwerks aus Agen- Land und die Stadtgemeinde Bremen darauf, dass turen und ihren Partner*innen für B2B-Veranstal- wir in Veranstaltungen, Aktivitäten und Innovatio- tungen wie Firmenpräsentationen, Messen, Kon- nen investieren wollen. Wir wollen damit das Ge- gresse soll gefördert werden, um unter Pande- flecht und die Netzwerke stärken, die für eine zu- miebedingungen die Entwicklung innovativer Pro- kunftsfähige Veranstaltungsbranche bei Konzerten dukte voranzubringen. Mit all diesen umfangrei- und Messen notwendig sind. Dabei sollen Veran- chen Ansätzen des Antrags der Koalition und des- stalter, die notwendigen Dienstleistungsunterneh- sen Umsetzung hoffen wir, wieder mehr Leben in men bis hin zu den vielen Soloselbstständigen pro- unsere Konzert-, Messe- und Gastronomiebranche fitieren. zu bekommen. Das ist nicht nur gut für die dort tä- tigen Kolleginnen und Kollegen, sondern bringt Mittlerweile haben alle gemerkt – Herr Bücking uns wieder mehr Normalität und Lebensqualität hat das ganz gut ausgeführt –, dass diese Branche zurück und sorgt für positive konjunkturelle Im- nicht nur an sich sehr wichtig ist, sondern von ihr pulse in unseren Städten. Hotels, Gastronomen, auch der Einzelhandel in dieser Stadt abhängen. Eine lebendige Veranstal- Noch ein Wort zu dem Antrag der CDU, wie er vor- tungsbranche ist für die Attraktivität und ein posi- liegt. Die Vorschläge der CDU laufen überwiegend tives Image unserer Städte von größerer Bedeu- darauf hinaus, Risiken und Einbrüche in die Zu- tung. Deswegen wollen wir genau das, was Herr kunft zu verschieben oder auf andere zu verlagern. Stahmann auch gerade gesagt hat, wir wollen Ak- tivitäten fördern. (Abgeordneter Strohmann [CDU]: Wie bitte?)

Wie machen wir das nun konkret? Wir wollen mit Beides wollen wir nicht. Wir gehen nicht von einer der finanziellen Unterstützung des Projekts „Club kurzfristigen Situation aus, daher ist es von ent- 100“ im Pier 2 eine leistungsfähige Infrastruktur scheidender Wichtigkeit, dass wir Strukturen auf- aufbauen, um Konzerte durchzuführen, damit dort fangen, aber vor allem die Entwicklung innovativer neue Geschäftsmodelle und innovative Veranstal- Formate unterstützen. tungskonzepte entwickelt und ausprobiert werden können. Es soll ein Veranstaltungsprogramm für Eine verlängerte Kreditlaufzeit verlagert nur die die örtlichen Klubs, Konzertveranstalter*innen und Belastung auf einen längeren Zeitraum und neben- privaten Theater geben, durch das Veranstaltun- bei das Risiko vom Bund auf das Land, weil die gen unter Coronabedingungen ermöglicht und KfW-Kredite das nicht zulassen. Nach Auskunft der dadurch Verdienstmöglichkeiten für die Ak- Bremer Aufbau-Bank wird das von den Unterneh- teur*innen der Veranstaltungsbranche und deren men bisher auch gar nicht nachgefragt. Der vorge- nachgelagerte Gewerke realisiert werden können. schlagene Risikofonds würde bedeuten, dass die Aufgrund der Coronabedingungen sollen insbe- Veranstalter Konzerte wie gehabt planen und das sondere Außenveranstaltungen, das wurde gerade Land das volle Risiko übernimmt. Das ist nach un- auch schon angesprochen, für das nächste Frühjahr serer Ansicht nicht zielführend, weil es unvermeid- unterstützt werden. liche Anpassungen der Branche an die geänderten Rahmenbedingungen eher verhindert. Neben den Coronabeschränkungen leidet die Branche insgesamt unter der Ansteckungsangst bei Wir planen sehr wohl, Veranstaltungen zu subven- den möglichen Veranstaltungen und Gastronomie- tionieren, weil die Umsätze nicht auskömmlich angeboten. Ich glaube, dass wir die aktuelle Situa- sind. Wir wollen aber nicht einfach Räumlichkeiten tion noch einmal neu bewerten müssen. Dabei sind bezuschussen, lieber bezuschussen wir ihren hygi- Events und Feiern bei den Profis deutlich sicherer enischen Umbau. Auch der Vorschlag der CDU, öf- als in den eigenen vier Wänden. Deshalb soll es fentliche Aufträge bevorzugt an die Veranstal- Unterstützung für eine Imagekampagne für sichere tungswirtschaft zu vergeben, verkennt, dass diese Gastronomie- und Veranstaltungsbetriebe geben. Aufträge dann bei Unternehmen anderer Branchen Auch bauliche Maßnahmen sollen unterstützt wer- 2034 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

fehlen. Da wird die knappe Decke auf Kosten Drit- die ablösen und als Landesprogramm auflegen. ter hin und her gezogen. Auch das ist keine Lö- Das finden wir keine gute Idee. sung. Sondern was wir richtig finden ist, dass der Streit Die Initiativen im Antrag der Koalition gehen auf auf Bundesebene zu einem vernünftigen Ergebnis den Dialog mit der Veranstaltungswirtschaft zu- geführt wird. Wenn ich richtig informiert bin, ist da rück. Wir sind uns einig, dass sie immer das Ein- die Phalanx ungefähr so, dass eine große Zahl von stellen auf die veränderten Bedingungen zum Ziel Wortmeldungen aus dem Bereich der CDU kommt, haben müssen. die sagen, wir müssen auch diesen Unternehmer- lohn öffentlich finanzieren und aus der SPD eher (Zuruf Abgeordneter Strohmann [CDU]) der Hinweis kommt, nein, es ist schon in Ordnung, wenn die zum Jobcenter gehen, die werden dort Wir investieren hier in die Zukunft einer wichtigen auch geschützt, ihr privates Vermögen wird nicht Branche, aber wir wissen auch, dass die Branche angetastet. die größten Probleme noch vor sich hat. Ich glaube, wir werden uns noch weitere Gedanken machen Dieser Streit ist nicht entschieden. Damit sind auch müssen, welche weiteren Maßnahmen wir noch ge- komplexe andere Themen verbunden. Wo ist die meinsam angehen müssen. Abgrenzung? Bis wohin kann der Unternehmer- lohn gehen? Bremen hat, soweit ich informiert bin, Ich will aber auch noch einmal kurz auf den Unter- darauf gedrungen, dass der Unternehmerlohn in nehmerlohn eingehen. Die Forderung nach dem die staatliche Unterstützung hineingenommen Unternehmerlohn haben wir als Koalition auf Bun- wird. Bisher ist es der Bundesregierung nicht ge- desebene schon längst gestellt. Da ist der Bund in lungen, sich in dieser Angelegenheit zu entschei- Verantwortung, seinen Beitrag zu leisten. Wir kön- den. Wir als Stadt können das nicht kompensieren. nen nur gewisse Teile vom Land aus übernehmen, andere Aufgaben, gerade für die Veranstaltungs- (Zuruf Abgeordneter Eckhoff [CDU]) branche, liegen auch auf der Bundesebene. Da nehmen wir gerne Unterstützung von Ihnen an zu Unterhalb dieser Schwelle von 50 000 Euro Kredit sagen, dass da mehr fließen muss, denn die aktu- kommt es aus bremischen Mitteln, die werden aber elle Situation, die wir in Bremen haben, wird uns aus dem EFRE-Programm finanziert. Uns hat die weitere Diskussionen abverlangen, wie wir den Bremer Aufbau-Bank übermittelt, dass da der Kolleginnen und Kollegen helfen können. Spielraum keineswegs so ist, dass Bremen völlig autonom wäre. Deswegen glauben wir, dass wir Wir wissen, das löst nicht alle Probleme, aber die das im Moment richtig machen, wenn wir sagen: werden wir auch nicht alle auf Bremer Ebene lösen Lasst uns die Veranstaltungswirtschaft so fördern, können. – Danke für die Aufmerksamkeit! dass möglichst viele Solounternehmer daraus ein Einkommen erzielen können und dementspre- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) chend dieses große Kompetenznetzwerk für die Stadt erhalten bleibt. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bücking. Ich möchte darüber hinaus noch einmal sagen, die von der CDU vorgetragenen Punkte gelten keines- Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): wegs nur für die Veranstaltungswirtschaft, sondern Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will die gelten dann generell. Das führt dann tatsäch- auch gern ein paar Bemerkungen zum Antrag der lich zu einer Diskussion, die ich im Übrigen über- CDU machen und, wenn ich richtig verstanden fällig finde, nämlich nachzuschauen, wie eigentlich habe, auch zum Antrag der FDP. Ich greife das auf, unsere großen Hilfsprogramme funktionieren, wo was Herr Tebje eben gesagt hat, und führe das Geld abläuft, wo es nicht abläuft. Ist die Ursache noch ein bisschen anders aus. dafür die spezifische Konfiguration dieser Pro- gramme oder ist die Ursache dafür, dass es den je- Bei den Krediten, die die Aufbau-Bank ausreicht, weiligen Bedarf nicht gibt? Das ist überfällig, das über 50 000 Euro, kommen die Mittel aus dem Nachschauen muss dringend sein. Die Antwort, die KfW-Programm. Das KfW-Programm ist ein Bunde- wir in unserem Beschluss vorgelegt haben, ist spe- sprogramm. Wenn wir wollen, dass sich das Regel- zifisch für die Veranstaltungswirtschaft, weil das werk für diese Kredite verändert, dann müssen wir große Thema, nach unserem Gefühl, noch nicht or- dentlich aufgearbeitet ist. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2035

Ein letzter Satz dazu: Im Handelsblatt konnte man Abgeordneter Stahmann (SPD): Herr Präsident, über diesen Konflikt, ob man Unternehmerlohn aus liebe Kolleginnen und Kollegen! Inhaltlich ist das diesen staatlichen Programmen oder beim Jobcen- klar. Ich würde noch einmal darum werben – –. Ich ter finanzieren soll, lesen, dass sich bisher beim bin ein großer Freund von Grundsatzdebatten, da, Jobcenter nur 73 000 Solounternehmer gemeldet wo sie hingehören. Dieses ist ausdrücklich keine und gesagt haben, wir bräuchten Unterstützung. davon, sondern es geht um Gemeinsamkeit. Es Das ist eine kleine Zahl. Mittlerweile ist die Zahl geht darum, dieser Branche, die Situation ist um- nahezu wieder bei null, es kommt keine neue fangreich beschrieben, zu helfen und ein Signal Nachfrage. Das kann zwei Ursachen haben. Eine aus diesem Parlament auszusenden. Ursache ist, die Solounternehmer sagen, wir wollen nicht zum Jobcenter. Das könnte man verstehen. Ich bedaure es ausdrücklich, dass wir keinen ge- Die andere Ursache ist, sie helfen sich anders. Das meinsamen Antrag fertigbekommen haben. Das müssen wir doch überprüfen. Dieser Frage muss scheitert manchmal an kleinen Punkten, manchmal doch nachgegangen werden, bevor man ein so gro- an großen Punkten, manchmal an Grundsätzen. Ich ßes System neu erstellt. bin auch zutiefst davon überzeugt, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, hätten wir es fertigbekommen, Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben aber irgendwann schließt sich das Transferfenster das mit unserem Beschluss ganz ordentlich ge- und dann bleibt Rashica hier. So ist das im Leben. macht. (Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Schon wieder (Lachen CDU) so ein Knallerwitz!)

Der ist später entstanden als der der CDU, weil wir Haben Sie den nicht verstanden? Gut. Ich glaube, seit Monaten im Dialog mit der Veranstaltungswirt- dass wir als Parlament gut beraten sind, hier Ge- schaft an diesen Programmen arbeiten, und zwar meinsamkeit zu demonstrieren und nicht das Tren- detailliert. nende. Unser Antrag fördert die Aktivitäten, mit alldem, was wir davon erwarten. Das haben wir Ein letzter Satz dazu: Die Gastronomen, die sich jetzt umfangreich dargestellt. Ich würde gern da- sehr engagiert in einer neuen Gemeinschaft zu- rum bitten, dass auch die Opposition, dass dieses sammengetan haben, sind bei uns gewesen und Haus gemeinsam diesen Antrag trägt. Ich bedaure haben gefragt: Sind wir nicht eigentlich ein Partner ausdrücklich, dass wir den CDU-FDP-Antrag ab- für das kompetente Durchführen von Kleinstver- lehnen, aber in der Sache, will ich noch einmal be- sammlungen, also Familienfeiern und Dingen die- tonen, sind wir uns in den größten Teilen einig. – ser Art? Wir sind doch eigentlich besser in der Lage Danke! zu garantieren, dass das sicher abläuft, als zu Hause. Dann haben sie angeboten: Wir mobilisie- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) ren richtige, hochqualifizierte, ausgebildete Perso- nen, die die einzelnen Räume und die einzelnen Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Gastronomiebetriebe zertifizieren. Das fanden wir der Abgeordnete Eckhoff. eine gute Idee und haben gesagt, das würden wir unterstützen, wenn sie es zustande bringen. Abgeordneter Eckhoff (CDU): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir feh- Das ist so ein Detail, das geht weit über die schnell len doch an der einen oder anderen Stelle die zusammengestellten Punkte der CDU hinaus und Worte, obwohl ich mich bemühe ruhig zu bleiben, hat meiner Meinung nach auch eine viel größere weil es tatsächlich um die Branche geht. Wirkung. Der Betrag, um den es geht, lässt sich in Millionen nicht an einer Hand (Beifall CDU, FDP)

(Glocke) Es geht nicht um ein politisches Hickhack, aber, lieber Herr Bücking, auch in Ihren Worten – ich abzählen. – Vielen Dank! glaube, so ganz haben Sie die Dringlichkeit der Thematik nicht verstanden –, Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Stahmann. (Beifall CDU, FDP) 2036 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

in Ihren Beiträgen, „vorbereiten auf die Zeit da- mehr. Wir müssen handeln, und zwar jetzt, der nach“, ein Zitat, „wir werden im Frühjahr organi- Branche zuliebe. sieren“ – für einen Großteil der Branche wird es kein Frühjahr geben, wenn wir nicht kurzfristig (Beifall CDU, FDP) Hilfen organisieren. Wenn ich das so sagen darf – der Risikofonds, den (Beifall CDU, FDP) wir angesprochen haben –, gestern hat uns das mit dem Freipark doch bestätigt. Da hat man einen Zu- Lieber Herr Bücking, es lag nicht an uns, dass die schuss gegeben, wir haben das im Haushalts-und Koalition – –. Finanzausschuss auch besprochen. Der lief vier o- der fünf Tage und wurde gestern aufgrund der (Zurufe CDU, FDP: Maske, Herr Bücking!) neuesten Zahlenentwicklung geschlossen, obwohl es bestimmt nicht an dem Hygienekonzept des Ich brauche meine fünf Minuten noch, Herr Bü- Freiparks lag, dass sich unsere Zahlen in den letz- cking, Sie können sitzen bleiben. Außerdem, Herr ten Tagen in Bremen so bedenklich entwickelt ha- Bücking, sprechen wir hier nicht über die Stadt, wir ben. sind im Land. Es geht um die Veranstaltungsbran- che Bremen und Bremerhaven. Das zeigt uns doch, dass wir in der jetzigen Lage wahrscheinlich für Veranstaltungen auch eine – ich (Beifall CDU, FDP) sage dieses Wort ganz bewusst, obwohl ich es nicht gern sage – Vollkaskomentalität brauchen. Denn Wir können nichts dafür, dass die Koalition zwei- sonst wird es, bis wir nicht völlig virenfrei sind, ver- einhalb Wochen gebraucht hat, um sich über die mutlich gar keine Veranstaltungen in größerem Branche zu informieren. Es stimmt, das Ressort – Umfang mehr geben können. Wenn wir dann er- das wurde uns von allen bestätigt, als wir dort meh- warten, die Privaten sollen das zum großen Teil fi- rere Gespräche mit der Branche geführt haben – ist nanzieren, dann werden die irgendwann sagen, seit Monaten im Gespräch, das wurde immer wie- nein, das werden wir nicht tun. Deshalb gab es in der bestätigt. Doch irgendwann helfen Gespräche unserem Antrag den Risikofonds. nicht mehr, denn von Gesprächen lassen sich keine Kosten bezahlen. Deshalb gab es auch die Überlegung, wir sollen noch einmal überall schauen, welche Möglichkei- Wir haben dort zahlreiche große Probleme, über ten wir haben und welche Veranstaltungen über das Thema Auszubildende in der Branche ist noch die Wirtschaftsförderung, über die Messe und so gar nicht gesprochen worden. Die können seit sie- weiter geplant werden können. Daran kann man ben Monaten nicht mehr ausgebildet werden, weil sich jetzt setzen, man kann auch schon einmal den es keine Veranstaltungen mehr gibt. Auch da ha- einen oder anderen Auftrag vergeben, um eine ben wir doch eine Verantwortung, wie wir zum Bei- bessere Liquiditätssituation in diesen Firmen her- spiel mit dieser Thematik umgehen. zustellen.

(Abgeordneter Bücking [Bündnis 90/Die Grünen]: (Beifall CDU, FDP) Da haben Sie sich ja ausführlich geäußert!) Ich weiß nicht, was daran nicht geht. Genau so war auch die Basis des CDU-Antrags, dass wir sofort Maßnahmen machen müssen, um Ich sage auch, wir wollen, dass etwas für die Bran- der Branche überhaupt über den Winter zu helfen. che passiert. Deshalb werden wir dem Antrag der Der Unternehmerlohn ist ein Bestandteil davon. Koalition zustimmen, obwohl er nach unserer Inter- Dafür sind Fördermöglichkeiten über Bundespro- pretation eher eine Lösung für die Zeit nach der gramme hinaus ein zweites Beispiel. Komischer- Pandemie ist, teilweise auch für in der Pandemie, weise geht das in anderen Ländern. Nordrhein- aber nicht in einem ausreichenden Maße. Wir be- Westfalen oder Baden-Württemberg, da regieren fürchten, dass es nicht ausreicht, aber weil es ein Sie doch mit, die haben so etwas eingeführt. erster Schritt in die richtige Richtung ist, stimmen wir dem Antrag zu. Wir bedauern es jedoch sehr, Warum sagen Sie in Bremen wieder, das sei bei uns dass es in der Koalition offensichtlich nicht möglich alles ganz schwierig, nicht möglich, da bräuchten war, sich wenigstens auf Teile unseres Antrags zu wir noch ein paar Monate, bis wir das geprüft ha- ben. Nein, die Zeit zum Prüfen haben wir nicht Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2037

verständigen, obwohl manche Sachen sogar de- Es ist wichtig, dass das Budget des Bremen-Fonds ckungsgleich sind. – Vielen Dank für die Aufmerk- wirklich für die Betroffenen genutzt wird. Das be- samkeit! trifft nicht nur die im Bereich der Kultur, die junge Szene und die Subkultur, sondern auch die kom- (Beifall CDU) merziell wirtschaftende Veranstaltungswirtschaft. Für uns sind die kommerziellen Nachtklubs ge- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das nauso schützenswert wie die nicht kommerziellen. Wort die Abgeordnete Wischhusen. Das Projekt „Club 100“ ist wirklich ein guter An- fang. Allerdings hat der eine oder andere Klubbe- Abgeordnete Wischhusen (FDP): Herr Präsident, sitzer, mit dem wir gesprochen haben, noch nie et- meine Damen und Herren! Ich wollte noch einmal was von diesem Projekt gehört. Sie wurden gar an die Perspektiven anknüpfen. Die Perspektive nicht danach gefragt, nicht beteiligt. Da haben wir für die Menschen, die in dieser Branche tätig sind, uns schon gefragt, wie transparent dieser Prozess fehlt gänzlich, vor allem für die nächsten Wochen eigentlich ist. Wer darf sich daran beteiligen? und Monate. Wenn Sie sich dazu entschließen, nur noch solche Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser wirt- Projekte zu fördern, die bereits vorher nicht ge- schaftenden Betriebe haben ihre Jobs zum Teil winnbringend waren und es auch nicht sein wer- schon jetzt verloren. Viele Schüler und Studenten, den, dann ist das anteilig in Ordnung. Es darf aber auch das wurde noch gar nicht angesprochen, die die Frage gestellt werden, ob nicht die kommerzi- sich nämlich in dieser Branche etwas dazuverdie- elle Veranstaltungswirtschaft und Veranstaltungs- nen, können das in dieser Zeit auch nicht mehr tun. branche auch Wertschätzung und Unterstützung Von den Auszubildenden, Herr Eckhoff hat es ge- verdient haben. rade gesagt, ganz zu schweigen. Den Soloselbst- ständigen, zum Beispiel im Bereich der Technik, (Beifall FDP) hätten Sie im Übrigen durch die Unterstützung un- seres Antrags vom letzten Mal unkompliziert hel- Hinzu kommt, dass der „Club 100“ natürlich eine fen können, aber auch da wurde leider nein gesagt. schöne Idee ist, aber wenn wir uns das einmal ver- gegenwärtigen und visualisieren: Wie sieht das Wenn man logisch weiterdenkt, sollte uns auch be- denn emotional aus? Für so eine Bremer-Philhar- wusst sein, welche Wertschöpfungskette allein an moniker-Veranstaltung kann ich mir das gut vor- einem so kleinen Betrieb hängt. Bei den Gesprä- stellen, wenn man weit auseinander sitzt und zu- chen und im weiteren Austausch mit Gastronomen hört und den sanften Klängen lauscht, das finde ich und deren organisierten Verbänden ist deutlich ge- super. Wenn ich mir vorstelle, da ein Tote-Hosen- worden, dass bislang niemand die tatsächlichen Konzert zu erleben, weiß ich nicht, wie das emotio- Ausfälle konkret berechnet hat, dass niemand ge- nal wirkt. nau weiß, welche Summen eigentlich benötigt wer- den, um die Folgen der Pandemie abzuwenden. Auch müssen wir noch einmal überlegen, was hin- Das hätte man noch nicht herausgefunden, so hieß ter so einer Veranstaltungscrew steht. Ich gebe es jedenfalls im Gespräch bei uns. jetzt einmal das Beispiel: Wissen Sie zufällig, die Helene-Fischer-Crew, was das alles heißt? 150 Deshalb ist es umso merkwürdiger, dass wir hier feste Mitarbeiter, 32 Trucks, 200 örtliche Mitarbei- nur Unkonkretes vorgelegt bekommen. Herr Stah- ter für Bühnenaufbau, 250 Kilometer Kabel, die mann, wir saßen auch mehrfach mit den Akteuren verlegt werden, und 350 Tonnen Material, allein zusammen, eines ist in den Gesprächen deutlich für die Bühne. Das ist, wenn Helene Fischer hier geworden, ein weiterer Runder Tisch hilft denen früher eine Veranstaltung gemacht hat, ein Konzert nicht mehr und noch einmal monatelanges Disku- gegeben hat. Ja, man kann das verringern, logisch, tieren hilft denen auch nicht. Denn die Lunte wird aber das ist ja kein Vergleich. immer kürzer und viele werden nicht mehr lange durchhalten können. Wir brauchen einen Gesamt- Die andere Frage ist, wie soll sich das denn lohnen? plan, der auch die Sekundäreffekte mit in den Blick Wie soll das denn kommerziell und auch wirtschaft- nimmt. Cateringbetriebe leiden, Getränkelieferan- lich funktionieren? Die, von denen wir hier spre- ten hängen mit daran, Veranstaltungstechniker, chen, sind eben diejenigen, die damit ihren Le- Lichttechnik, Verleihbetriebe für Veranstaltungen bensunterhalt verdienen. Das Einzelticket müsste und Partys und viele mehr. nachher 1 000 Euro oder mehr kosten. Das kann 2038 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

nicht die Lösung sein. Da fragen wir uns schon, wie der Wertschöpfungskette, denn es sind wirklich das gehen soll. sehr viele, die daran hängen, sind die ersten, die von der Krise betroffen waren, und sie werden ver- Wir würden uns jedenfalls wünschen, dass es in mutlich die Letzten sein, die wieder ins normale diesem Bereich ressortübergreifende Beschlüsse Geschäft zurückkehren können. Der von der Bran- gibt, wo Kultur und Wirtschaft zusammenarbeiten. che gewählte Slogan „First in, last out“ trifft die Si- tuation deshalb sehr gut. (Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) Die Veranstaltungswirtschaft steht also vor großen Denn Corona achtet keine Grenzen und wir dürfen Problemen, es gibt Umsatzverluste von bis zu uns bei dem Thema auch keine Grenzen bei der 95 Prozent. Hinzu kommt das Problem, auch nicht Hilfe setzen, wie schon damals, und das finde ich unerheblich, dass viele Mitarbeiter*innen bereits bis heute sehr bewundernswert, in der Flüchtlings- in andere Branchen abwandern. Wenn wir hier krise 2015, als unkompliziert geholfen wurde, als nicht handeln, werden wir mit schwerwiegenden wir es nicht so genau genommen haben, als wir ge- Konsequenzen leben müssen, die wir kaum wieder meinsam Schulter an Schulter gekämpft haben, kompensieren können. Neben dem Verlust vieler dass wir das gemeinsam bewältigen und einige bü- Arbeitsplätze und Existenzen von Soloselbstständi- rokratische Hürden einfach überwunden wurden, gen ist der Erhalt der Veranstaltungsorte aber auch um schnell und unkompliziert zu helfen. Der Claim für die Attraktivität der Städte Bremen und Bremer- des Jahres damals war: „Wir schaffen das!“. haven essenziell. Ohne ein gutes Angebot an Klubs, Konzerten und Veranstaltungen ist es Das sollte auch in der Pandemie gelten, denn mit schwer, Studierende oder junge Fachkräfte, aber vereinten Kräften schaffen wir das und deshalb auch Familien für das Land Bremen zu begeistern. würden wir uns freuen, wenn Sie sich doch noch überwinden und unserem Antrag wenigstens in In Bremen ist die Szene insgesamt sehr groß, aber Teilen zustimmen können und uns unterstützen, einzelne Segmente bestehen aus wenigen Einhei- denn nur gemeinsam können wir die Veranstal- ten. So gibt es nur 3 bis 5 kommerzielle Theater, tungsszene hier retten. – Vielen Dank! nur drei relevante Konzertagenturen mit überregi- onaler Strahlkraft, zwei größere Eventagenturen, Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- die international tätig sind, und mehrere kleine mit gen aus dem Parlament gibt es nicht. Als nächster nationalen und regionalen Kunden sowie vielleicht Redner hat das Wort Herr Staatsrat Wiebe. zehn Liveklubs. Sollten diese Hauptakteure in Bre- men wegbrechen, ist davon auszugehen, dass diese Staatsrat Wiebe: Sehr geehrte Frau Präsidentin, Lücken nicht wieder durch bremische Akteure ge- meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situ- schlossen werden, sondern der Markt wegbricht o- ation in der Veranstaltungsbranche ist dramatisch der bestenfalls von überregionalen Unternehmen und wir sind uns einig, dass die Veranstaltungs- übernommen wird. Die Folgen wären dramatisch, branche unsere Unterstützung braucht. Deshalb denn diese Unternehmen sorgen maßgeblich für geht es nicht nur um die richtige Analyse, sondern die Umsätze der nachgelagerten Gewerke und vie- auch um die richtigen daraus abzuleitenden Maß- ler Soloselbstständiger. Wir müssen also etwas tun. nahmen. In den Gesprächen, die seitens des Senats geführt Die Coronamaßnahmen treffen die Gastronomie wurden, hat die Branche immer wieder betont, das und Veranstaltungsbranche besonders schwer, das ist auch hier zur Sprache gekommen und das ist gilt auch für Bremen und Bremerhaven. Während auch richtig, dass sie nicht alimentiert werden die Gastronomie mittlerweile unter Einschränkun- möchte, sondern dass sie wieder arbeiten möchte. gen, das darf nicht unerwähnt bleiben, schon wie- Daher setzen wir darauf, Aktivitäten zu fördern und der öffnen kann, können Firmenevents, Kongresse, nicht den Stillstand zu finanzieren. Dazu gehört na- Messen, Konzerte, Theatervorstellungen noch türlich auch, dass die Ausgestaltung der Coronare- nicht annähernd wieder im gewohnten Rahmen geln mit sehr viel Verantwortung erfolgen muss durchgeführt werden. In manchen Bereichen kann und dass wir, natürlich in Verbindung mit guten gar keine wirtschaftliche Tätigkeit stattfinden. Schutz-und Hygienekonzepten, auch Lockerungen zulassen. Es ist natürlich vor dem Hintergrund des Eventagenturen, Veranstalter*innen, Messen, Lo- tagesaktuellen Geschehens schwierig, aber das cation-, Technik- und Equipmentdienstleister*in- muss sein. Das ist die ganz wichtige Perspektive, nen, Soloselbstständige und viele andere Beteiligte Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2039

auf der dann alle anderen Schritte aufbauen kön- müssen wir das im Rahmen unserer Möglichkeiten nen. in Bremen machen. Wir haben uns bereits im Mai mit der Branche ausgetauscht, um zu beraten, wie Klar ist aber gleichwohl, dass die Krise von dieser wir am besten helfen können. Aus diesen Work- Branche eine tiefe Transformation verlangt. Es ist shops ist einiges entstanden, seien es zukunftswei- davon auszugehen, dass die Auswirkungen der sende Pilotprojekte wie der erwähnte „Club 100“ Pandemie auf das Kund*innenverhalten nachhal- oder das zurzeit in Erarbeitung befindliche Fehlbe- tig sein werden. Daher wird die Branche, unabhän- darfsprogramm für Veranstaltungen. Wir werden gig davon, ob Sie in einigen Monaten wieder grö- diesen Dialog fortführen und einen Runden Tisch ßere Konzerte veranstalten und Kongresse oder Fir- mit Vertretungen der Gastronomie- und Veranstal- menevents durchführen kann, weiterhin grundle- tungsbranche ins Leben rufen, um regelmäßig die gende Herausforderungen zu bewältigen haben. Situation der Branchen zu bewerten und gegebe- Die Unternehmen und ihre Beschäftigten müssen nenfalls neue, weitere Maßnahmen zu entwickeln jetzt damit beginnen, Antworten auf diese Heraus- oder anzupassen. forderungen zu finden, und wir als Land müssen diesen Prozess unterstützen. Im Rahmen des „Club 100“ wird im Pier 2 eine Inf- rastruktur entstehen, in der alle Klubs und Konzert- Nun kam auch zur Sprache, dass der Bund und veranstalter ihre Veranstaltungen in neuer Form auch das Land Programme aufgelegt haben. Das ist durchführen können. Darunter fällt die Möglich- richtig. Die Soforthilfen und die Überbrückungshil- keit, Veranstaltungen zu streamen und neue Ge- fen, die aktuell laufen, waren und sind notwendige schäftsmodelle auszuprobieren. Solche Ideen aus Hilfen, auch wenn sie nicht für alle Unternehmen der Branche wollen wir unterstützen. Neben den der Veranstaltungsbranche gepasst haben. Infrastrukturen brauchen wir aber auch Konzerte und andere Events. Unsere Programme müssen da- Wo ich diese Stichworte nenne, Soforthilfen und rauf abzielen, die Veranstaltungswirtschaft und Überbrückungshilfen, lassen Sie mich die Gele- ihre Partner*innen zur Aktivität zu befähigen. Da genheit hier nutzen, mich auch einmal bei unseren Veranstaltungen unter den jetzigen Bedingungen Förderinstituten, der Bremer Aufbau-Bank, der nicht wirtschaftlich sind, muss hier die öffentliche Wirtschaftsförderung Bremen, der Wirtschaftsför- Förderung ansetzen. derung Bremerhaven zu bedanken, vor allen Din- gen bei deren Mitarbeiter*innen, die vor allem im Ziel unseres Förderprogramms zur Fehlbedarfsfi- Frühjahr nicht nur ein, sondern viele Wochenenden nanzierung ist es, Veranstaltungen wie Konzerte, hinweg durchgearbeitet und mit großem Engage- Comedy, Theater und Varieté auch an anderen ment und Verantwortungsbewusstsein den Unter- Spielstätten zu ermöglichen. Darüber hinaus über- nehmen geholfen haben. legen wir, auch den Aufbau eines Kompetenznetz- werks aus Agenturen und ihren Partner*innen für Neben den Überbrückungshilfen wurde seitens Firmenevents, etwa Firmenpräsentationen, Messen des Bundesministeriums für Kultur das Programm und Kongresse unter Pandemiebedingungen finan- „Neustart Kultur“ mit seinen Fördermodulen für ziell zu unterstützen und die Anbieter*innen bei Musikklubs und Livemusikveranstaltungen und der Entwicklung innovativer Produkte zu fördern. Musikfestivals aufgelegt. Dieses Programm hat Wir wollen das kreative Potenzial, das momentan noch mit erheblichen bürokratischen Hürden zu brachliegt, nutzen, um die vor uns liegenden Her- kämpfen und trifft in vielen Fällen nicht die Be- ausforderungen gemeinsam zu stemmen. darfslage der Veranstaltungsbranche, geschweige denn alle Bereiche. Die Unterstützung auf Bundes- Noch etwas dürfen wir nicht vergessen: Es geht ebene allein wird also nicht reichen. Wir haben üb- auch um das Thema Vertrauen. Wir müssen ge- rigens schon sehr früh zu Beginn der Pandemie im meinsam mit der Branche dafür sorgen, dass deut- Austausch mit der Bundesregierung darauf hinge- lich wird, dass professionell durchgeführte Veran- wiesen, dass die Veranstaltungsbranche die letzte staltungen sicher sind. Die Branche kennt sich mit sein wird, die wieder unter normalen Umständen Sicherheit und Hygiene aus. Die Bremer und Bre- arbeiten wird. Leider sind unsere Mahnungen und merhavener Kund*innen sind durch die vergange- Forderungen bei der Bundesregierung nicht auf nen Monate oft noch verunsichert und nehmen die ausreichende Bereitschaft zum Handeln gestoßen. Angebote der Veranstalter nicht in dem gewohnten Maße wahr. Wenn die Bundesregierung nicht mit ausreichen- der Entschlossenheit handeln kann oder möchte, 2040 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Um dieser Situation zu begegnen, braucht es ge- (Dafür CDU, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abge- eignete Kommunikationsmaßnahmen, die die Pro- ordneter Timke [BIW]) fessionalität und Kompetenz der Branche hinsicht- lich nötiger Hygienemaßnahmen und sicherer Ver- Ich bitte um die Gegenprobe. anstaltungen herausstellen. Denn, dass betone ich gern noch einmal, diese Kompetenz gibt es. Die in (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Bremen konzipierten Veranstaltungskonzepte sind LINKE) durchweg vertrauenserweckend. Sie sind gut, sie sind geprüft, man kann sich darauf verlassen, dass Stimmenthaltungen? hier keine besondere Gefahr für eine Infektion be- steht. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab. Sollte die Pandemie bis zum Frühjahr anhalten, müssen wir auch darüber nachdenken, überdach- Ich lasse nun über den Antrag der Fraktionen der bare, gut belüftete Orte im Freien zu schaffen, die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE mit es der Branche erlauben, ihre Konzepte auch drau- der Drucksachen-Nummer 20/643 abstimmen. ßen umzusetzen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben (Abgeordneter Strohmann [CDU]: Viel Spaß beim möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Machen!) Ich bitte um die Gegenprobe. Die von uns geschaffenen Außengastronomieflä- chen haben sich bewährt. Daran wollen wir an- und Stimmenthaltungen? aufsetzen. Die Nutzung öffentlicher Parks in den Stadtteilen bietet die Chance, mit den lokal ansäs- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt sigen Gastronomie-, Veranstaltungs- und Kultur- dem Antrag zu. betrieben Veranstaltungen zu konzipieren. (Einstimmig) Sie sehen, die Veranstaltungswirtschaft und ihre Beschäftigten liegen dem Senat am Herzen. Der Übergangspflegestellen im Notaufnahmesystem Senat ist sich seiner Verantwortung bewusst, wir der Kinder- und Jugendhilfe attraktiver gestal- entwickeln gemeinsam mit ihnen Ideen, um in die- ten! sen schwierigen Zeiten Veranstaltungen und kul- Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die turelle Events möglich zu machen und Sie sehen, Grünen und DIE LINKE der Senat greift die Vorschläge des Antrags der Ko- vom 7. September 2020 alition auf. Wir wollen, dass es jetzt und auch nach (Drucksache 20/591) der Pandemie ein vielfältiges Veranstaltungspro- gramm in Bremen und Bremerhaven gibt, und das Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin werden wir gemeinsam mit der Branche und den Stahmann. Beschäftigten auch schaffen. – Vielen Dank! Die Beratung ist eröffnet. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- Frau Pfeiffer. gen liegen nicht vor. Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Sehr geehrte Frau Die Beratung ist geschlossen. Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Las- sen Sie mich ein besonders herzliches Willkommen Wir kommen zur Abstimmung. an die Vertreterinnen des Sprecherrats der Über- gangspflegefamilien richten: Schön, dass Sie heute Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktionen dabei sind! der CDU und der FDP mit der Drucksachen-Num- mer 20/637 abstimmen. (Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2041

Unser Antrag führt uns zu einem eher schwierige- Einen sehr wichtigen Schritt der Aufwertung ha- ren Kapitel in der Jugendhilfe, nämlich dorthin wo ben wir in diesem Sommer bereits umgesetzt, näm- Kinder und Jugendliche in Notsituationen aus ih- lich die Erhöhung der steuerfreien monetären An- ren Herkunftsfamilien herausgenommen werden, erkennung der Leistungen, die in Übergangspfle- weil dort nicht mehr ausreichend für sie gesorgt ist. gefamilien und vor allen Dingen von Frauen er- In solchen Fällen werden sie entweder in stationä- bracht werden. Doch das reicht nicht aus, denn of- ren Einrichtungen oder in Übergangspflegefami- fensichtlich ist das Modell selbst in die Jahre ge- lien untergebracht, und zwar oft von einem Mo- kommen. ment auf den anderen. Nur damit das einmal deutlich wird: Die Über- Bildlich gesprochen sind Übergangspflegefamilien gangspflege oder Bereitschaftspflege, wie es kor- so etwas wie ein familiärer Schutzschirm, ein Ret- rekterweise heißt, ist gesetzlich als ehrenamtliche tungsanker in einer Situation nach Wellengang, Struktur verankert und baut auf einem sehr traditi- Sturm und Schiffbruch der Herkunftsfamilie. Über- onellem Familienbild mit einer geschlechtsspezi- gangspflegefamilien geben Heimat auf Zeit, fisch innerfamiliären Arbeitsteilung auf, bei der manchmal für wenige Tage, oft für wenige Wochen meistens die Frau zu Hause bleibt und sich dann im und auch sogar für viele Monate, bis eine neue Per- Ehrenamt um Kinder in Krisensituationen küm- spektive zum Beispiel im betreuten Wohnen oder mert. in einer Dauerpflegefamilie gefunden wurde. Hört sie nach vielen Jahren mit der Übergangs- Bremen hat übrigens bei der Ausgestaltung dieser pflege auf – und es gibt Familien, die tun das 20 Übergangspflege eine herausragende Rolle einge- oder 30 Jahre, einige davon sehen Sie auf den Be- nommen. Hier ist ein Modell entwickelt worden, sucherrängen –, dann ist sie von der Versorgung das bundesweit in der professionellen Begleitung durch ihren Partner abhängig. Es besteht kein An- der Übergangspflegefamilien vorbildlich ist. In spruch auf Arbeitslosengeld, für die Rente ist nur wohl kaum einer anderen deutschen Stadt, wenn minimal gesorgt und auch Erwerbsarbeit ist mit wir jetzt einmal Bremen herausgreifen, haben sich Übergangspflege faktisch nicht vereinbar. Man so viele Menschen für diese Form der Hilfe für Kin- könnte fast meinen, 30 Jahre Gleichstellungspolitik der und Jugendliche entschieden. Daher an dieser sind spurlos an der Übergangspflege vorbeigegan- Stelle ein sehr herzliches, großes Dankeschön für gen. das Engagement der Übergangspflegeeltern! (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) (Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Wir müssen also das einst so erfolgreiche Modell der Übergangspflege an bestehende Familien- und Um ein Beispiel herauszugreifen: In der Stadt Bre- Erwerbsarbeitsstrukturen anpassen. In einem ers- men haben wir aktuell 45 Übergangspflegestellen ten Schritt soll uns ein bundesweiter Vergleich das mit 66 Plätzen. Die versorgten im letzten Jahr rund eine oder andere für eine attraktivere Ausgestal- 16 Prozent aller Kinder und Jugendlichen, die in tung der Übergangspflege in Bremen mit auf den Obhut genommen werden mussten – in Zahlen sind Weg geben, aufzeigen, wie wir sie hier verbessern das 188 Kinder und Jugendliche. können.

Bis vor wenigen Jahren waren es noch bis zu 25 Unser wichtigstes Ansinnen haben wir im letzten Prozent. Genau dieser Rückgang bei den Über- Forderungspunkt versteckt, nämlich eine bessere gangspflegefamilien ist der Anlass unseres Antra- sozialrechtliche, insbesondere rentenrechtliche, ges. Wir müssen und wir wollen die Übergangs- Absicherung der Übergangspflege. Sie würde die pflege wieder stärken, denn sie ist ein wichtiger Situation von vor allen Dingen Übergangspflege- Teil unserer Hilfen. müttern verbessern und damit deutlich aufwerten. Das meint übrigens auch der Verband der Pflege- (Beifall SPD, CDU) und Adoptiveltern, PFAD, die sagen, ich zitiere: „Gesellschaftliches Engagement darf keine Alters- Sie ergänzt das stationäre um ein familiennahes armut zur Folge haben.“ Angebot und ist damit für einen Teil von Kindern und Jugendlichen das absolut richtige Angebot (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) zwischen Krise und einer besseren Zukunft. 2042 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Daher fordern sie, und dem schließen wir uns als Die traditionelle Rollenverteilung, dass in der Regel Fraktion der SPD radikal an, eine Altersabsiche- die Frau zu Hause ist und neben den eigenen Kin- rung. Zum Beispiel eine, die an die rentenrechtli- dern auch Kinder in Not aufnehmen und betreuen che Absicherung von pflegenden Angehörigen an- kann, ist heutzutage nicht mehr aktuell und ziem- gelehnt ist – das wäre eine auch gute Grundlage für lich überholt. Der Rückgang an Übergangspflege- Übergangspflegeltern und -personen. stellen spricht hier eine deutliche Sprache, und ge- nau hier setzt unser Antrag an, der zum Ziel hat, Daher fordern wir unseren Senat auf, sich im Bund die Rahmenbedingungen deutlich attraktiver zu für diese Lösung stark zu machen. Wir meinen, gestalten und damit auch den Leistungsbereich in dass der Zeitpunkt günstig ist, weil das entspre- der Übergangspflege für Einzelpersonen und Paare chende Gesetz, das SGB XIII, gerade einem Re- künftig attraktiver zu machen. formvorhaben unterliegt. Aus unserer Sicht ist das nur folgerichtig, wenn aus dem Modellland Bremen Insbesondere die sozialversicherungspflichtige Be- bundesweit für die Übergangspflege ein so starkes schäftigung scheint mir sehr wichtig, um wirksam Signal zum Neudenken gesetzt wird, denn wir wis- die Anzahl dieser Übergangspflegestellen zu erhö- sen seit Jahren, die Übergangspflege leistet einen hen. Außerdem ist es für uns Grüne wichtig, den unersetzlichen Beitrag für Kinder und Jugendliche Frauen, die diese Tätigkeit mehrheitlich überneh- in Notsituationen. – Vielen Dank! men, ein finanziell eigenständiges Leben zu er- möglichen. Wer diese wichtige Aufgabe über- (Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen) nimmt, zum Teil sogar traumatisierte Kinder und Jugendliche bei sich zu Hause aufnimmt, braucht Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin schließlich auch selbst Sicherheit. erhält das Wort die Abgeordnete Frau Görgü-Phi- lipp. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- Außerdem bekennen wir uns zu dem Grundsatz, nen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kol- dass diejenigen, die am nächsten an den Minder- leg*innen! Wenn Krisen in der Familie plötzlich jährigen dran sind, in die Hilfeplanung einbezogen akut werden, benötigen Kinder und Jugendliche werden sollen. Die Übergangspflegeeltern werden schnell einen geschützten Ort außerhalb der eige- zu Expert*innen der Kinder, kennen die Bedürf- nen Familie. In solchen Notlagen nehmen Über- nisse, Bedarfe und die Traumatisierung. Wir brau- gangspflegestellen die Kinder auf und geben ihnen chen die engagierten Pflegemütter, wir brauchen Stabilität und Sicherheit. Übergangspflegestellen weiterhin die engagierten Pflegeväter, und müssen sind deshalb eine sehr wichtige Säule in unserem deshalb auf Landes- und Bundesebene die nötigen vielfältigen Hilfesystem. Voraussetzungen schaffen, diese Arbeit wieder für Menschen attraktiver zu gestalten. Bis eine dauerhafte Lösung für Kinder gefunden ist, verbleiben sie in der Übergangspflegestelle. Dort Ich finde, es ist allerhand, was Pflegeeltern leisten. erhalten sie wichtige Unterstützung, um das Er- Sie öffnen ihr Zuhause, ihr Herz für diese Kinder, lebte auch unter Hinzuziehung von Fachleuten zu und dafür möchte ich Ihnen meinen Dank ausspre- verarbeiten. In den letzten Jahren musste jedoch chen, meine Damen und Herren, und bitte um Ap- ein deutlicher Rückgang der Übergangspflegestel- plaus für diese Familien! len verzeichnet werden. Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit der anspruchsvollen und (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD, DIE oftmals auch sehr belastenden Arbeit und der bis- LINKE) herigen Vergütung der Arbeit. Um diese wichtige Aufgabe wieder für mehr Menschen attraktiver zu Ich habe größten Respekt vor der Arbeit der Über- machen, hat der Senat bereits im Juli dieses Jahres gangspflegeeltern und ich weiß auch, wovon ich die finanzielle Leistung deutlich erhöht und höhere spreche. Ich habe mehrere Jahre mit Frau Homeyer Erziehungspauschalen für die Bereithaltung oder und mit Frau Ackermann zusammengearbeitet. für besonders betreuungsintensive Kinder einge- Vielen Dank! führt. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU) Problematisch ist jedoch, dass das System der Übergangspflegestellen immer noch von einem Lassen Sie uns gemeinsam zeigen, dass wir die mittlerweile veralteten Familiensystem ausgeht. wichtige Arbeit der Pflegeeltern wertschätzen und Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2043

stimmen Sie bitte unserem Antrag zu. – Vielen Die Übergangspflege muss aber auch so konzepti- Dank! onell eingebettet sein, dass sie Menschen ermög- licht, einer solchen Aufgabe nachzukommen. Wäh- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) rend es früher genug Menschen – oder seien wir doch ehrlich: Frauen – gab, die nicht erwerbstätig Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat waren und sich als Übergangspflegestellen ange- der Abgeordnete Herr Tuncel das Wort. boten haben, ist diese Anzahl kontinuierlich zu- rückgegangen. So, wie die Übergangspflege aktu- Abgeordneter Tuncel (DIE LINKE): Sehr geehrte ell ausgestaltet ist, passt sie nicht mehr in unsere Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! moderne Zeit, meine Damen und Herren. Die Hausfrauen-Ehe als Modell, in dem die Frau zu Hause Kinder und Küche versorgt, während das (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Kind sich glücklich schätzen durfte, wenn samstags „Vati“ ihm gehörte, ist längst überholt. Erste Schritte hat Rot-Grün-Rot bereits unternom- men – meine beiden Vorrednerinnen haben das (Heiterkeit SPD) auch schon erwähnt –, etwa, indem die finanzielle Leistung in der Übergangs- und Vollzeitpflege Das könnte man zumindest meinen. Jedoch wabert deutlich verbessert wurde, zum Beispiel durch ein dieses Modell noch immer unterschwellig durch Bereithaltegeld. das Sozialsystem, etwa auch bei dem Konzept, das den Übergangspflegestellen im Notaufnahmesys- Mit diesem Antrag wollen wir das Modell der Über- tem der Kinder- und Jugendhilfe zugrunde liegt. gangspflege aber grundsätzlich an den gesell- Diese bauen noch immer auf der Idee auf, dass eine schaftlichen Wandel und die moderne Lebensfüh- Person – in der Regel die Frau, meine Vorrednerin- rung anpassen. Wir brauchen also ein neues Mo- nen haben das schon gesagt – nicht regulär er- dell der Übergangspflege, welches etwa wie eine werbstätig ist, sondern zu Hause bleibt und einen sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus- kleinen Zuverdienst hat. gestaltet ist. Es muss auch möglich sein, während der Übergangspflege Rentenpunkte anzusammeln, Doch diese Situation ist längst überholt. Deshalb denn Kinder und Jugendliche in einer akuten Not- müssen wir die Übergangspflege auf neue Füße situation eine hochanspruchsvolle Hilfe zu bieten, stellen. Übergangspflegestellen sind ein unver- ist kein Hobby. Es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit zichtbarer Bestandteil der Kinder- und Jugend- und sollte auch als eine solche gesellschaftlich an- hilfe. Sie kommen zum Einsatz, wenn in akuten Fa- erkannt und gewürdigt werden, liebe Kolleginnen milienkrisen Kinder und Jugendliche vom Jugend- und Kollegen. – Vielen Dank für die Aufmerksam- amt in Obhut genommen werden, weil das Kindes- keit! wohl gefährdet ist. Übergangspflegestellen bilden Familienpaare oder Einzelpersonen, die sich bereit (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) erklären, Kinder und Jugendliche von jetzt auf gleich in Notsituationen übergangsweise aufzu- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin nehmen. Das unterscheidet die Übergangspflege hat die Abgeordnete Frau Ahrens das Wort. von Pflegefamilien. Sie bieten Betreuung, Versor- gung und emotionalen Beistand in Notsituationen, Abgeordnete Ahrens (CDU): Frau Präsidentin, in denen Kinder und ihre Familien akut belastet meine sehr geehrten Damen und Herren! Über- sind, meine Damen und Herren. gangspflege – da sind wir uns hier, glaube ich, frak- tionsübergreifend einig – ist wirklich ein unver- Hier geht es dann in der Tat darum, dass von einem zichtbarer Bestandteil in einer aktuellen Krise von Moment auf den anderen eine Person zur Stelle Kindern und Jugendlichen, auch übrigens häufig sein muss, bei der das Kind eben nicht unversorgt die beste pädagogische Unterbringungsform. Bre- einige Stunden allein sein kann, während man zur men war hier seinerzeit, als es eingeführt wurde, Arbeit geht, sondern die Übergangspflegeperson Vorreiter, und hat engagiert Übergangspflegestel- muss zur Stelle sein, für Tage oder Wochen, oft len eingerichtet. In den letzten Jahren, das hat rund um die Uhr. Das bedarf vieler Voraussetzun- meine Kollegin von der SPD hier schon ausgeführt, gen und Fähigkeiten. ist diese Angebotsform jedoch kontinuierlich zu- rückgegangen. Immer mehr Übergangspflegestel- len mit großem Erfahrungsschatz haben aufgeben 2044 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

müssen. Als Grund gaben sie an, dass sie sich die- beste Unterbringung, aber auf jeden Fall die teu- ses Hobby – denn so wird es ja bezahlt – nicht län- erste. ger leisten könnten oder wollten. Neben den Punkten der weiteren finanziellen Ver- Neue Übergangspflegestellen kamen aufgrund der besserungen freuen wir uns daher über den Punkt schwierigen Rahmenbedingungen in den letzten zwei ausdrücklich, der weitere Werbemaßnahmen Jahren deswegen auch nicht mehr hinzu. Ein Prob- vorsieht und darauf zielt, zusätzliche Übergangs- lem, das wir nicht ganz allein haben, das haben an- pflegestellen und zusätzliche Personen, die sich dere Bundesländer auch. Wir unterstützen als das vorstellen können, gewinnen zu können. Was CDU-Fraktion den Sprecherrat sehr gern und wir ich allerdings nicht verstehe, das sage ich ihnen unterstützten ihn auch, als wir in der Sozialdeputa- auch ganz deutlich, ist, dass die Übergangspflege- tion nach dem Sachstand der berechtigten Forde- stellen bisher nicht verbindlich in den Hilfeplange- rungen gefragt haben. Für uns war es absolut nicht sprächen beteiligt wurden, auch das steht in dem nachvollziehbar, dass die Senatorin für Soziales entsprechenden Antrag, und das war eine der be- sich bei dieser Gemengelage, so wurde es ja im De- rechtigen Forderungen der Übergangspflegestel- putationsbericht mitgeteilt, nur jährlich mit dem len. Diejenigen, die alle Ängste und Sorgen der Sprecherrat traf. Da hätte ich ehrlicherweise ein Kinder und Jugendlichen mitbekommen, die diese bisschen mehr Dynamik erwartet. 24 Stunden lang betreuen, werden nicht beteiligt? Ich verstehe es nicht. Nach meinem Kenntnisstand Ebenso wurde mitgeteilt, dass ein Brief des sind alle am Kind arbeitenden Bereiche bei einem Sprecherrates – und das hat man uns schriftlich mit- Hilfeplanverfahren zu beteiligen. Hat sich daran geteilt – über mehr als drei Monate nicht beantwor- etwas geändert? Gibt es eine neue Rechtsgrund- tet wurde. Obwohl er viele berechtigte und auch lage? Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen? konstruktive Forderungen für eine Verbesserung enthielt. Ich verstehe das nicht! Umso mehr freue Ich war auch wirklich erstaunt, dass es eines Fach- ich mich, dass nicht nur wir als CDU-Fraktion das tages bedurfte – so wie es uns in der Vorlage so gesehen haben, sondern alle Fraktionen, die hier schriftlich mitgeteilt wurde –, um ein positiveres heute den Antrag eingebracht haben – also SPD, Verständnis vom Jugendamt in Bezug auf die Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE – diese be- Übergangspflegestellen herzuleiten. Das erläutern rechtigten Forderungen durch Berichtsbitten ge- Sie mir bitte, Frau Senatorin, das verstehe ich nicht. meinsam unterstrichen und nachgefragt haben, Übergangspflegestellen sind aus unserer Sicht ein und so erste Verbesserungen schon eintreten konn- sehr gut geeignetes Instrument, und eine familien- ten. Dafür möchte ich mich bei den drei Fraktionen ähnliche Unterbringung finden wir hervorragend ausdrücklich bedanken. und erachten wir als geeignet für viele Kinder und Jugendliche. (Beifall CDU) (Beifall CDU) Das finden wir richtig und das finden wir gut! Diese fraktionsübergreifende Wertschätzung der guten Das heißt nicht, dass wir stationäre Unterbrin- Arbeit der Übergangspflegestellen finden wir auch gungsformen abwerten wollen, sondern wir sind heute in dem vorliegenden Antrag, der noch ein- der Auffassung, dass diese ergänzen und für an- mal weitere Verbesserungen fordert und ich unter- dere Kinder die richtige Unterbringungsform sind. stütze diese Initiative. Wir als CDU-Fraktion unter- stützen diese Initiative und ich bin Frau Pfeiffer für Ich komme zum Schluss: Ich bin erstaunt, dass die Initiierung dieser Initiative dankbar. Ich per- Case Manager hier sensibilisiert werden müssen. sönlich kann es nicht verstehen, dass diese wich- Ich fand es schwierig, dass Case Manager hier für tige Arbeit – das Auffangen von Kindern in der eine familienähnliche Unterbringung sensibilisiert tiefsten Krise ihres Lebens, wenn sie in Obhut ge- werden müssen und ich erhoffe mir, dass uns die nommen werden müssen – als rein ehrenamtliche Senatorin das noch einmal genauer erläutert. Denn Tätigkeit gilt. Ich glaube, da muss es tatsächlich ein eins möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Umdenken geben. Ich glaube auch, dass der Anteil Vielen Dank an diejenigen, die unter schwierigen an Personen, die sich zur Verfügung stellen und Rahmenbedingungen und auf ehrenamtlicher Ba- dieses wichtige Amt bereit sind auszuüben, also sis zum jetzigen Zeitpunkt für die Kinder und Ju- eine Übergangspflegestelle anzubieten, gesteigert gendlichen in dieser Stadt einen unschätzbaren werden muss. Denn eine stationäre Unterbringung Beitrag leisten. – Vielen Dank sagen wir als CDU- ist eben nicht für alle Kinder und Jugendliche die Fraktion! Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2045

(Beifall CDU) Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Pfeiffer das Wort. Präsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert. Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Keine Sorge, ich möchte nicht noch Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte einmal fünf Minuten reden, sondern meiner Freude Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es be- darüber Ausdruck verleihen, dass wir hier ein sehr darf eines ganzen Dorfes, um ein Kind großzuzie- starkes Signal aus der Bremischen Bürgerschaft hen. Umso mehr braucht es dieses Dorf, braucht es senden, und ich tue das im Namen der Übergangs- diese ganze Gemeinschaft, wenn die Familie aus- pflegeeltern, die sich sicherlich sehr darüber fällt, wenn die Kinder und die Familien in einer freuen. Krise sind und dann Lösungen gefunden werden müssen, dort Hilfe zu geben. Ich würde gern noch einmal etwas zu dem Thema sagen, das Sie angesprochen hatten: Selbstver- Umso besser ist es, dass es dafür Institutionen und ständlich müssen Übergangspflegeeltern am Hilfe- Menschen gibt, die entsprechend tätig sind und tä- planverfahren formal beteiligt werden. Daran hat tig werden. Insofern ist es doch eine gute Ge- sich nichts geändert. Wir merken aber, dass etwas schichte, dass es Übergangspflegepersonen gibt, der Schwung herausgekommen ist, nach den vie- Frauen und Männer, die sich dieser Aufgabe an- len Jahren, in denen die Übergangspflege wirklich nehmen. Es ist schon deutlich geworden bei den sehr stark war, sehr prominent war. Es wäre gut, Rednerinnen und Rednern vor mir, dass es auch so wenn wir in das Jugendamt, das im Moment sehr ist, dass es nicht nur Sorgearbeit von Frauen ist, großen personellen Veränderungen unterliegt, sondern es notwendig ist, dass ganze Familien neuen Schwung hereinbringen und darauf auf- diese Tätigkeit übernehmen. Egal wie sie aussehen merksam machen: Ja, es gibt die Übergangspflege. und strukturiert sind, weil es wichtig ist, dass es Nutzt sie! Bezieht sie mit ein! Bezieht auch die Ex- Menschen sind, die diese Arbeit tun wollen und tun pertise dieser Eltern mit ein! Darum ging es uns in können, die sich dafür qualifiziert haben durch lan- dem Antrag, dass noch einmal ein kleiner Impuls in ges Handeln und durch langes Lernen. das Jugendamt gegeben wird. Das vielleicht noch kurz zur Erörterung. Ich glaube, durch die Änderung unseres Familien- bildes in der Gesellschaft und durch die ganzen Noch einmal zur bundesweiten Einsortierung: In Wandlungen ist es ganz logisch, dass dort heute Hamburg hat gerade eine Petition stattgefunden weniger Stellen zur Verfügung stehen als früher. mit demselben Ziel, das wir hier auch verfolgen. Ich Darauf muss der Staat dann eben auch reagieren, möchte gern alle Fraktionen bitten, auf ihre jewei- indem er aufhört, von der ehrenamtlichen Fiktion – ligen Bundestagsabgeordneten einzuwirken, so- ich spreche bewusst von einer Fiktion – auszuge- dass wir tatsächlich eine Veränderung erreichen, hen und entsprechend andere Strukturen schafft. und zwar nicht erst in zehn Jahren. – Vielen Dank! Insofern bin ich dankbar, dass es diesen Antrag gibt, dass wir hier gemeinsam dafür plädieren, dass (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) es entsprechende Änderungen gibt, dass diese Ar- beit entsprechend gewürdigt und wahrgenommen Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- wird. gen aus den Reihen der Abgeordneten liegen nicht vor, deshalb hat als nächste Rednerin die Senatorin Es gibt die Vorschläge, das Ganze auch zu entbü- Frau Stahmann das Wort. rokratisieren, auch dem kann man etwas abgewin- nen. Die Anrechnung von Rentenpunkten geht si- Senatorin Stahmann: Frau Präsidentin, sehr ge- cherlich nicht als Entbürokratisierung durch, ist ehrte Damen und Herren! Nicht alle Kinder haben aber angemessen. Insofern gibt es viel zu tun und das Glück, in einer stabilen, sicheren und festen es gilt zu schauen, dass für die Jugendlichen und Familie aufzuwachsen. Es gibt Situationen, in de- Kinder, die in Obhut genommen werden, jeweils nen auch feste Familien ins Wanken kommen kön- die individuell besten Lösungen gefunden werden, nen durch die Erkrankung von Eltern, durch Un- und Übergangspflegestellen gehören dazu. Mit glücksfälle, und es ist ein großes Glück, dass wir großer Freude werden wir Freien Demokraten dem Übergangspflegestellen im Land Bremen haben, Antrag zustimmen. – Herzlichen Dank! dass wir rund 20 Prozent aller Kinder, die wir in Obhut nehmen, einen solchen sicheren Hafen an- (Beifall FDP) 2046 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

bieten können. Deshalb gilt auch der Dank des Se- etwas an der Finanzierung zu ändern, an den Zu- nats den Familien – und das sind nicht immer Mann schüssen, die wir bislang geleistet haben. Wir ha- und Frau, sondern es sind auch Einzelpersonen, es ben aufgestockt: Der Sachaufwand bei Kindern von sind auch gleichgeschlechtliche Paare, das hat sich null bis fünf Jahren – ich will das doch einmal nach- gewandelt – und ihrer Arbeit. Wir wissen, was wir richtlich benennen – liegt bei 850 Euro. Für die an Ihnen haben und wir wissen auch, dass wir zu Pflege und Erziehung wurden nach altem Satz weiteren gesetzlichen Veränderungen kommen 588 Euro monatlich gezahlt, nun sind es 942 Euro, müssen. das macht insgesamt 1 792 Euro. Das ist der Betrag, den wir für die Kleinstkinder ausgeben. In der Deshalb halte ich diesen Antrag auch für einen nächsten Altersgruppe der Sechs- bis Elfjährigen sehr guten und sehr wichtigen Antrag. Vielen beträgt der finanzielle Gesamtaufwand 1 831 Euro, Dank dafür an das Parlament! ab zwölf Jahren zahlt der Staat 2 044 Euro.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Das Problem – Frau Pfeiffer und Frau Görgü-Phi- lipp haben das deutlich gemacht – liegt auch darin, Familien haben sich gewandelt, und Familie ist im- dass wir nicht mehr die klassische Rollenaufteilung mer dort, wo Kinder sind. Zum Beispiel von Herrn haben. Das Ganze fußt eigentlich auf einem Ehren- Tuncel, „samstags gehört mein Papi mir“, fiel mir amtsmodell, es wird aber von den Eltern mehr ge- eben ein Werbefilm aus den Fünfzigerjahren ein, in fordert, die diese Kinder begleiten, die diese auf- dem eine Frau in die Kamera lächelt und sagt: nehmen, oft in Krisensituationen. Die Eltern müs- „Was ziehe ich an und was koche ich meinem sen gut geerdet, psychologisch geschult sein, müs- Mann?“ – die zwei Fragen also, die die Frau von sen sich auskennen, wie man Kinder stützen kann, damals bewegten in der Werbung. Das hat sich ohne ihnen die Flügel zu stutzen. All das macht aus stark gewandelt. In den Fünfziger-, Sechziger-, und meiner Sicht als Senatorin eine Veränderung an Siebzigerjahren durften Frauen nur mit der Erlaub- dieser Stelle weiter nötig. nis ihres Ehemannes arbeiten. Das hat sich gewan- delt auch durch die Reform des Scheidungsrechts Meine Fachabteilung hat noch einmal die ganze Mitte der Siebzigerjahre, in dem man ja auch noch komplexe Welt aufgeschrieben, welche Gesetzbü- als „schuldig“ geschieden wurde und oft die cher uns auch Grenzen setzen, deshalb kann ich Frauen die Schuld an der Scheidung bekamen. noch nicht sagen, dass wir eins zu eins diesen An- trag bundesweit umsetzen können, aber ich ver- Es hat lange gedauert in der Bundesrepublik, bis stehe diesen Antrag und die Debatte hier als einen auch Vergewaltigung in der Ehe überhaupt geahn- klaren Auftrag des Parlaments an mich als Fachse- det wurde, also es hat sich ganz viel getan im part- natorin, in diesem Sinne auf der Fachministerin- nerschaftlichen Zusammenleben von Männern und nen- und Ministerkonferenz zu agieren. Dafür be- Frauen, aber auch von gleichgeschlechtlichen Paa- danke ich mich, weil wir auf diesem Weg schon an- ren. Das ist aus meiner Sicht auch gut so und das gefangen haben zu diskutieren. – Vielen Dank für ist auch wichtig für Kinder. Wir wollen das ganze diese Debatte! System weiter ausbauen. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Das Gesetz muss aus meiner Sicht an dieser Stelle weiterentwickelt werden. Wir wollen auch die De- Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- batte um die Reform des SGB VIII, die bundesweit gen liegen nicht vor. läuft, für diese Frage nutzen. Frau Pfeiffer hat sich ja gewünscht, dass wir uns alle aufmachen, wir Die Beratung ist geschlossen. müssen 15 andere Bundesländer bei dieser Diskus- sion mitnehmen, da sind noch nicht alle so weit, es Wir kommen zur Abstimmung. anzuerkennen, dass sich Familien- und Rollenbil- der gewandelt haben, obwohl das Deutsche Ju- Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben gendinstitut, die Bertelsmann-Stiftung dazu umfas- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. send geforscht haben in den letzten Jahren und auch die Veränderungen im Familienbild diskutie- Ich bitte um die Gegenprobe. ren mit den Fachministerinnen und Fachministern. Stimmenthaltungen? Wir haben das Schreiben der Übergangspflegeel- tern zum Anlass genommen, in einem ersten Schritt (Einstimmig) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2047

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt Gesellschaft kommenden Proteste gegen ein Re- dem Antrag zu. gime, das vor nichts zurückschreckt, haben unsere Wertschätzung und Unterstützung verdient. Meine Damen und Herren, da auch die nächsten Tagesordnungspunkte Debatten wären, die nicht (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE nur einmal fünf Minuten Redezeit hätten, treten wir LINKE, FDP) jetzt in eine vorzeitige aber gleichwohl eine verlän- gerte Mittagspause ein, weil wir zum Tagesord- Wenn wir auch strikt gegen eine Einmischung von nungspunkt um 14:30 Uhr externe Zuhörerinnen außen sind, wollen wir hier mit unserem gemeinsa- und Zuhörer erwarten. men Antrag schon dokumentieren: Wir sind deut- lich parteilich! Der Erfolg der Proteste wird auch Ich unterbreche deswegen jetzt die Sitzung der von der öffentlichen Aufmerksamkeit und Solidari- Bürgerschaft (Landtag) mit einer Mittagspause bis tät in der ganzen Welt abhängen und genau dieser 14:30 Uhr. – Vielen Dank! Erfolg ist unser Anliegen.

(Unterbrechung der Sitzung 12:47 Uhr.) (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)  Wir wollen aber noch mehr! Wir wissen, dass es Präsidentin Dogan eröffnet die unterbrochene Sit- auch hier in Bremen viele Menschen aus Belarus zung um 14:30 Uhr. oder mit belarussischen Wurzeln gibt. Frauen und Männer, die um ihre Verwandten und Freunde in Präsidentin Dogan: Die unterbrochene Sitzung der der Heimat bangen. Frauen und Männer, deren Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet. Verwandte und Freunde vielleicht verhaftet, ge- quält oder vertrieben werden. Auch gegenüber Wir setzen die Tagesordnung fort. diesen Mitbürgerinnen und Mitbürgern gilt es, un- sere Unterstützung in der ganzen Breite des politi- Solidarität mit den friedlichen Protesten in Bela- schen und gesellschaftlichen Spektrums zum Aus- rus druck zu bringen. Unser Signal ist erstens: Wir sind Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, an eurer Seite! Doch nicht nur das, zum Zweiten ist der SPD, der FDP, der CDU und DIE LINKE unsere Botschaft: Wir werden im Blick behalten, vom 6. Oktober 2020 was in Belarus passiert. Wir werden es dem Regime (Drucksache 20/646) nicht durchgehen lassen, Menschen und Freiheits- rechte zu verletzen. Wir werden uns mit demokra- Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister tischen Mitteln einmischen, damit die Menschen in Dr. Bovenschulte. den Kellern und Gefängnissen eben nicht verges- sen werden, meine Damen und Herren! Die Beratung ist eröffnet. (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete LINKE, FDP) Herr Dr. vom Bruch. Unseren Protest für Demokratie und Menschen- Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Frau Präsi- rechte, für die Interessen der Menschen in Belarus dentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! bringen wir am glaubwürdigsten und auch am wir- Seit fast zwei Monaten sind wir Zeugen von flä- kungsvollsten herüber, wenn wir ihn nicht verein- chendeckenden Protesten gegen das Luka- nahmen. Wenn wir ihn nicht in Schemen internati- schenko-Regime und gegen die – ich sage es ab- onaler Konflikte pressen, West gegen Ost, EU oder sichtlich in Anführungsstrichen – „Wahlen“ in Russland. Belarus. Manche oder mancher mag sich die Frage stellen: Sicher könnte man sagen, es ist ein wichti- Es geht den Menschen in Belarus um eine Verbes- ger Prozess, der sich da in diesem Land abspielt, serung ihrer Lebenssituation, die vielfach schon aber warum beschäftigt das ein Landesparlament lange unerträglich ist. Es geht um Menschen- und in Deutschland? Meine Damen und Herren, diese Bürgerrechte, die schon lange mit Füßen getreten gewaltfreien und mutigen und aus der Mitte der werden. Insofern sind die Wahlen und das Fälschen eben dieser Wahlen der Anlass, aber nicht die al- leinige Ursache der Proteste und die haben schon 2048 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Erfolge! Ein Regime, das Menschen vertreibt, ein und Rechtsstaatlichkeit. Wir wollen – um keines- Präsident, der in einer Nacht- und Nebel-Aktion falls missverstanden zu werden – keine Systembe- vereidigt wird, hat Angst; auch, wenn sich das Re- lehrungen von außen, sondern selbstbestimmte gime noch auf die Sicherheitskräfte, die sogenann- und eigenverantwortliche Reformen und Wahlen ten Silowiki, stützen kann. Ein Regieren gegen die unter internationaler Aufsicht. Wir wollen keine eigene Bevölkerung hat auf Dauer noch nie Erfolg Einmischung, wir wollen aber eine zeitnahe Ver- gehabt und den immer lauter werdenden Wind of wirklichung der Menschenrechte in einem Land, Change wird Lukaschenko deshalb auch nicht dessen Regime bezeichnenderweise das letzte ist, mehr zum Schweigen bringen und genau dazu das in Europa die Verhängung und Vollstreckung wollen wir hier einen bescheidenen Beitrag leisten. der Todesstrafe zulässt.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Wir wollen, dass Menschen, die verfolgt, gequält o- LINKE, FDP) der vertrieben werden, in unserem Land unbüro- kratisch Schutz und Hilfe gewährt wird. Wir wol- Neu an den Protesten ist noch etwas anderes, sie len, dass Lukaschenko und sein Regime weder po- sind weiblich, sie haben Namen und Gesichter. litisch noch kulturell oder gesellschaftlich An- Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa, sprechpartner sind, denn das sind für uns nur noch Swetlana Alexijewitsch oder Nina Baginskaja sind die Vertreterinnen und Vertreter der Freiheit und Beispiele dafür. Ihrem gewaltlosen und fantasievol- Demokratie in Belarus. Wir wollen keine Gewalt o- len Protest, ihrem zivilen Ungehorsam von unten der Konfrontation, denn die Gewaltlosigkeit des versucht das Regime mit Gewalt von oben beizu- Protestes ist nicht seine Schwäche, sondern im Ge- kommen. Neue Medien mit ihren Möglichkeiten genteil seine Stärke. der Kommunikation und Koordination machen es dem Regime aber zunehmend schwerer. Die blei- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE erne Zeit des Schweigens und des Verheimlichens LINKE, FDP) ist vorbei. Das Spielen auf Zeit und das Setzen auf Vergessen werden keinen Erfolg mehr haben. Wir wollen mit unserem Antrag die Botschaft des Protestes aufnehmen und unterstützen. Sie lautet, Und es muss vor diesem Hintergrund darum gehen, ein „Weiter so“ und ein „Mit dir“ wird es für Euro- dieses Regime international weiter zu isolieren. Ein pas letzten Diktator in der politischen Zukunft von national und international schon jetzt weitgehend Belarus uns gegenüber nicht geben. handlungsunfähiger Lukaschenko wird auch für Russland auf Dauer ein zunehmend unattraktiver (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Partner sein. Die Sanktionen der Europäer – zuge- LINKE, FDP) geben wieder einmal ein wenig holprig zustande gekommen –, die Nichtanerkennung der Wahlen Abschließend, wir stehen für ein Europa, das sich und die Nichtanerkennung Lukaschenkos als Prä- positiv und friedlich engagiert, auch für die Länder sident mit einer weiteren auf Betrug und Fälschung an der Peripherie Europas und in der Welt. Uns gegründeten Amtszeit werden nicht nur einen Bei- können deshalb die Entwicklungen nicht nur, aber trag dazu leisten, dass das Regime eben nicht zur insbesondere in den Ländern der ehemaligen Sow- Tagesordnung übergehen kann. Die Botschaft ist jetunion oder Nordafrikas nicht gleichgültig sein. auch, dass ein solches Regime nicht weiter Partner Ein Wegducken oder ein „Geht mich nichts an“ einer auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ge- gibt es im Zeitalter von „Wir leben alle in der glei- gründeten Europäischen Union sein kann, meine chen Welt“ nicht mehr. Demokratie und Rechts- Damen und Herren! staatlichkeit in den Staaten und ein friedliches Zu- sammenleben zwischen den Staaten stehen in ei- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE nem Zusammenhang. Demokratien führen keine LINKE, FDP) Kriege gegeneinander, heißt es deshalb ja auch treffend. Wir sollten allerdings nicht nur über Proteste und Sanktionen reden, sondern auch über Hilfe und Ihr Protest für Menschenrechte und Freiheit ist des- Unterstützung für die Bevölkerung und die Protes- halb gleichzeitig auch ein Eintreten und ein Beitrag tierenden. Sanktionen richten sich gegen das Re- für ein friedliches Europa und eine friedlichere gime, nicht gegen Belarus oder die Bevölkerung. Welt. Auch aus diesem Grunde gilt, ihr Protest ist Wir wollen wirtschaftliche Hilfe für die Zivilgesell- unser Protest. – Herzlichen Dank! schaft, gebunden an Fortschritte bei Demokratie Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2049

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE in Belarus aus, die etwas riskieren. Sie riskieren LINKE, FDP) ihre Freiheit, ihre körperliche Unversehrtheit und sie riskieren gegebenenfalls sogar ihr Leben bei Vizepräsidentin Dogan: Bevor ich den nächsten den Protesten. Redner aufrufe, möchte ich auf der Tribüne recht herzlich die ehemalige Abgeordnete und Europa- Das Mindeste, das wir tun können, ist, die Gewalt abgeordnete Helga Trüpel hier in der Bürgerschaft gegen friedliche Demonstranten, die willkürlichen begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen! Verhaftungen und Repressionen in aller Deutlich- keit und in aller Klarheit scharf zu verurteilen und (Beifall) zu sagen: Damit muss sofort Schluss sein! Lasst die Menschen in Belarus ihre demokratischen Rechte Als nächster Redner hat das Wort Bürgermeister frei und ohne Schaden und ohne Risiko für das ei- Dr. Bovenschulte. gene Leben ausüben! Das ist unsere klare und deutliche Forderung. Bürgermeister Dr. Bovenschulte: Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Senat begrüßt es sehr, dass die Bürgerschaft heute LINKE) in dieser klaren und eindeutigen Weise ihre Solida- rität mit den friedlichen Protesten in Belarus zum Meine Damen und Herren, wir unterstützen durch Ausdruck bringt. Der Senat stellt sich voll und ganz die Resolution. Wir unterstützen den demokrati- hinter die Intention und hinter den Wortlaut des schen Wandel in Belarus, indem die EU sich klar Antrags. positioniert, aber wir unterstützen ihn auf eine friedliche, gewaltlose Art und Weise. Deshalb ist Es kann kein Zweifel daran bestehen, die Wahlen die Forderung richtig, zu sagen, es bedarf eines na- in Belarus waren nicht frei und unabhängig, son- tionalen Dialogs zwischen Regierung, Opposition dern von staatlicher Einflussnahme und Manipula- und Gesellschaft, um von der Autokratie zur Demo- tion geprägt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, kratie zu kommen. dass das politische System in Belarus ein autokrati- sches ist, das zwar in einigen Teilbereichen formal Das ist der richtige Weg, denn eine Konfrontation, noch demokratische Prozesse vorsieht, aber in sei- die in aller Härte geführt wird, die würde immer nem Kern ein autokratisches Regime ist, das Frei- auch das Risiko in sich bergen, dass es tatsächlich heit, Menschenrechte und Demokratie mit Füßen zu Gewaltausbrüchen oder zum Einsatz von militä- tritt. rischer Gewalt kommt und das wäre kein Weg, um tatsächlich eine andere, eine bessere Gesellschaft Insofern hat auch die Amtseinführung von Luka- in Belarus zu erreichen – deshalb die klare Unter- schenko keinerlei demokratische Legitimität und stützung des gewaltlosen, friedlichen Protests. Das es ist sehr gut und richtig, dass sich die Staats- und beinhaltet allerdings auch, den notwendigen Regierungschefs der EU nicht auf salbungsvolle Druck zu erzeugen, damit solch ein nationaler Dia- Worte beschränkt haben, sondern klar und deutlich log von den Machthabern auch tatsächlich einge- gesagt haben: Dieses Ergebnis der Präsidenten- leitet und akzeptiert wird. Deshalb ist es gut und wahl in Belarus erkennen wir nicht an, weil es klar richtig, wenn die EU von gezielten Sanktionen und eindeutig manipuliert war, weil es nicht auf spricht, die natürlich nicht das gesamte Land tref- demokratischem Wege zustande gekommen ist. fen, sondern die für Wahlbetrug und Repression Verantwortlichen. (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) In diesem Sinne kann ich auch aus Sicht des Senats nur noch einmal meine volle Unterstützung für den Meine Damen und Herren, es ist gut und richtig, Bürgerschaftsantrag erklären und meiner Überzeu- aber es erfordert natürlich auch viel Mut, das nicht gung Ausdruck verleihen, dass es unsere Aufgabe nur auszusprechen, wenn man in dem Land ist, ist – wie überall, wo Menschenrechte und demo- sondern auch tatsächlich etwas dagegen zu tun. Es kratische Rechte mit Füßen getreten werden –, un- ist gut, wenn man Resolutionen in unserem Land sere Stimme zu erheben, weil wir als Bremen die- verabschiedet. Es ist gut, wenn die EU sich ein- sen Grundwerten verpflichtet sind und deshalb un- mischt, aber die wirkliche Trägerschaft des demo- sere Solidarität auch international zum Ausdruck kratischen Protestes, der wirkliche Mut und der bringen müssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerk- wirkliche Einsatz geht natürlich von den Menschen samkeit! 2050 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Einzelne Bevölkerungsgruppen trifft das noch här- LINKE) ter, sie müssen einen großen Anteil ihres Monats- einkommens für die Miete aufwenden. Die Arbeit- Vizepräsidentin Dogan: Weitere Wortmeldungen nehmerkammer hat das aufgelistet: Für Alleiner- liegen nicht vor. ziehende sind das 43 Prozent des monatlichen Ein- kommens. In Huchting beispielsweise sind es auch Die Beratung ist geschlossen. 43 Prozent, die die Huchtingerinnen und Huchtin- ger durchschnittlich für Miete ausgeben. Wir kommen zur Abstimmung. Wir stellen fest, dass Immobilieninvestoren teil- Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben weise ihren Immobilienbestand teuer sanieren und möchte, den bitte ich um das Handzeichen. dass dann die Regelsätze nicht mehr ausreichen, um die Miete aus den Kosten der Unterkunft zu be- (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE streiten, so dass ein Anteil des Regelsatzes dafür LINKE, FDP) aufgewendet werden muss. Die gestiegenen Mie- ten führen dazu, dass viele keinen bezahlbaren Ich bitte um die Gegenprobe. Wohnraum mehr finden, und die Höhe der Regels- ätze der Kosten der Unterkunft mit 481 Euro für Stimmenthaltungen? eine 60-Quadratmeter-Wohnung für zwei Personen führt dazu, dass die Personen im Leistungsbezug e- (Abgeordneter Beck [AfD]) her die schlecht gedämmten Wohnungen in schlechten Lagen bekommen und dass sie für die Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt Erstausstattungspauschale eher Elektrogeräte mit dem Antrag zu. einer geringen Energieeffizienz kaufen können.

Energie- und Wassersperren minimieren, Härte- All das führt dazu, dass viele Menschen die Wohn- fallfonds realisieren: Konzept für die Ausgestal- nebenkosten nicht mehr bezahlen können. Als ers- tung des Härtefallfonds „Energie- und Wasser- tes wird dann die Strom- oder Wasserrechnung sperren“ entwickeln nicht mehr bezahlt und diesen Menschen droht Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und dann eine Sperrung von Strom, Wasser oder Gas Bündnis 90/Die Grünen durch den Energieversorger. vom 6. Oktober 2020 (Drucksache 20/650) Mehr als 7 000 Energie-, Strom- und Wassersper- randrohungen gab es noch im Jahr 2014. Daraufhin Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin wurde dann, auch auf Initiative der Sozialsenatorin Stahmann. Frau Stahmann, der runde Tisch „Energie- und Wassersperren vermeiden“ eingerichtet. An die- Die Beratung ist eröffnet. sem runden Tisch arbeiten Vertreterinnen und Ver- treter von öffentlichen Stellen, von Beratungsein- Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete richtungen und von der swb AG zusammen und Frau Leonidakis. setzen sich dafür ein, dass übergreifend, unkompli- ziert und schnell unterstützt werden kann. Hierfür Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Sehr ge- gibt es dann das Härtefallmanagement: Wird eine ehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kol- Sperrandrohung ausgesprochen, dann können die legen! Ich könnte gleich mit der Feststellung ein- beteiligten Stellen den Sperrprozess unterbrechen steigen, dass wir im letzten Jahr, im Jahr 2019, und gemeinsam mit dem Betroffenen und der swb 4 227 Strom-, Wasser- und Gassperrungen hatten – einen Lösungsweg ausarbeiten. das mache ich aber nicht. Ich glaube, dass man die Strom-, Wasser- und Gassperren als ein Symptom, Das gelingt auch in erheblichem Umfang. Im Jahr als einen Ausdruck einer größeren Problematik be- 2019 sind die Sperrungen von über 7 000 auf 4 227 trachten und damit auch in dem Kontext beraten Sperren gesunken. Seit dem Jahr 2015 ist das eine muss. Reduktion um 43 Prozent. Das hört sich sehr gut an und das belegt auch, dass der runde Tisch eine Wir haben in Bremen steigende Mietpreise festge- gute Arbeit leistet. stellt, in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2051

Warum braucht man also zusätzlich noch einen noch bei über 7 000 Sperren lag; aber immer noch Härtefallfonds? Der Grund ist ganz einfach, denn 4 227 Sperren zu viel. Das hat vorhin Frau Leonida- 4 227 Sperren sind immer noch zu viele. Wenn Sie kis schon gesagt. Diese Zahl ist einfach zu hoch. mich fragen, dann sind es genau 4 227 zuviel. Das Ziel unserer Koalition ist es, weitere Maßnah- men zu ergreifen, denn hier geht es jeweils um Ein- (Beifall DIE LINKE) zelschicksale.

Die Versorgung mit Energie und Wasser ist eine Der vor fünf Jahren ins Leben gerufene runde Tisch Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges „Energie und Wassersperren im Land Bremen ver- Leben und für gesellschaftliche Teilhabe und, ich meiden“ und das Projekt „Zappenduster!“ haben glaube, ich muss es nicht betonen, dass gerade in erfolgreiche Arbeit für eine Verringerung von Zeiten von Corona Wasser und Strom Grundvo- Energiesperren geleistet. Jeder, der sich meldet, raussetzungen für Hygiene sind. Wenn Anschlüsse erhält Hilfe, von Energiespartipps bis zu Ausset- gesperrt werden, hat das fatale Konsequenzen für zungen der Sperren. Das Problem sind jedoch die- die Betroffenen, deren Lebensbedingungen erheb- jenigen, die sich bisher nicht melden. lich erschwert werden, sogar mit der potentiellen Folge von gesundheitlichen Gefährdungen. Ge- Gerade jetzt, wenn für immer mehr Menschen rade Haushalte mit kleinen Kindern, mit kranken durch die Pandemie ein möglicher Arbeitsplatzver- oder alten Menschen dürfen nicht davon betroffen lust droht und der Winter vor der Tür steht, müssen sein, ohne Strom, Wasser oder Heizung dazu- wir verhindern, dass in privaten Haushalten Strom stehen. und Wasser abgestellt werden, weil die Rechnung nicht bezahlt werden kann. Insbesondere für Fami- Ob sich in Haushalten kleine Kinder oder pflege- lien mit kleinen Kindern und für kranke und ältere bedürftige Menschen aufhalten, das weiß die swb Bewohner stellt das Abstellen von Wasser, Gas und aber nicht und das weiß auch der runde Tisch nur, Strom eine existenzielle Bedrohung dar. Allein aus wenn sich die Betroffenen melden. Es kann aber Kindeswohlgesichtspunkten müssen wir alles in Sprachbarrieren geben, es kann psychische Er- die Waagschale werfen, um künftig noch mehr krankungen geben oder auch eine Resignation, die Sperren als bisher zu verhindern. dazu führen, dass Menschen auch trotz eines run- den Tisches durch das Netz fallen. Andere sind gar (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) nicht erst leistungsberechtigt, so dass sie per se durch das Netz fallen. Trotzdem stellt dies für all Wir schlagen daher die Einrichtung eines Härtefall- diese Personen, auch für Erwachsene ohne Erkran- fonds vor, der in den Fällen greifen soll, die bisher kungen, einen besonderen Härtefall dar. nicht erreicht werden konnten. Für die Einrichtung des Fonds stehen schon Haushaltsmittel bereit. Deswegen beauftragen wir den Senat, ein Konzept Nun geht es darum, ein Konzept für die Ausgestal- aufzulegen. Darauf, was dieses Konzept beinhalten tung eines „Härtefallfonds Energie und Wasser“ soll, werde ich in einer zweiten Runde eingehen. und den Zugang zum Fond zu entwickeln. Neben Ich glaube, das ist ein weiterer wichtiger Schritt in dem Fond, der am Ende des Prozesses greifen soll, der Kette der Prävention von Verschuldung und brauchen wir aus Sicht der Grünen aber auch eine von humanitären Härten in unserer Stadt. Damit Stärkung der präventiven Arbeit, damit es erst gar sind wir gut beraten, um den Menschen in dieser nicht so weit kommt. Stadt ein gutes Leben zu gewährleisten. – Danke schön! Auch die aufsuchende Beratung in den Quartieren muss gestärkt werden. Der direkte Kontakt zu den (Beifall DIE LINKE) Menschen im Vorfeld von Zahlungsschwierigkei- ten muss ausgebaut werden. Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Görgü-Philipp das Wort. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- Informationen zu Stromtarifen und zu alten strom- nen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kol- fressenden Haushaltsgeräten sind für viele Men- leg*innen! 2019 gab es 4 227 Energie- und Wasser- schen wichtige Informationen, ebenso wie Energie- sperren. Hinter dieser Nachricht verbirgt sich eine spartipps im Alltag. Das Landesprogramm „Leben- gute und eine schlechte Nachricht: Es sind deutlich dige Quartiere“ bietet aus meiner Sicht die richtige weniger Sperren als im Jahr 2014, als die Anzahl Möglichkeit, die aufsuchende Arbeit auszuweiten 2052 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

und auf andere Quartiere zu übertragen. In der sich selbstständig beim Amt für Soziale Dienste in nächsten Sitzung der Deputation für Soziales wer- Bremen, dem Sozialamt in Bremerhaven oder den den wir dieses Thema, auf meine Initiative hin, auf- Jobcentern melden. Dieser erste Schritt der Be- greifen. troffenen ist aufgrund datenschutzrechtlicher Best- immungen immer unabdingbar erforderlich. Mit dem Instrumentenkasten, bestehend aus der erfolgreichen Arbeit des runden Tisches, dem Nun soll es auch in Bremen einen Härtefallfonds neuen Härtefallfonds und der aufsuchenden Ar- geben, jetzt auf Initiative der Linken. Allerdings beit, bin ich mir sicher, dass wir die positive Ent- soll dieser Härtefallfonds ohne Beteiligung der wicklung der rückläufigen Energiesperren im Land Stadtwerke an den Start gehen. Ich hoffe trotzdem Bremen weiterhin stärken werden. – Vielen Dank. auf eine Ausgestaltung unter ähnlichen Bedingun- gen wie in Hannover und nicht weit darüber hin- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) aus. In Hannover greift der Fonds in Fällen, wo die Kosten weder durch Jobcenter noch Sozialämter o- Präsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat die der das Asylbewerberleistungsgesetz zufrieden- Abgeordnete Frau Grönert das Wort. stellend geregelt werden konnten. In der Regel kommt der Härtefallfonds dort bis zu 50 Mal zum Abgeordnete Grönert (CDU): Sehr geehrte Frau Einsatz. 150 000 Euro stehen dort seit Beginn jähr- Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Be- lich dafür zur Verfügung, aber noch nie wurde reits seit etlichen Jahren verweisen die Bremer diese Summe ausgereizt. Grünen immer wieder auf den Härtefallfonds der Stadtwerke Hannover, der bald seinen zehnten Ge- Bremen geht nun mit 250 000 Euro an den Start. burtstag feiert. Die Grünen forderten lange auch Das scheint uns im Verhältnis sehr hoch angesetzt von den Bremer Stadtwerken ein ähnliches Enga- und wir fragen: Was haben Sie mit den gement. Doch von dort hat man stets vernommen, 250 000 Euro vor und für wen, für was und wie dass sich die Bremer Stadtwerke anders als die lange soll das Geld reichen? Wer soll den Fonds Stadtwerke Hannover nicht weitgehend im Ein- verwalten und die Gelder zuteilen? Das geht aus flussbereich von Land und Politik befänden. Ihrem Antrag bisher nicht hervor.

Seit 2015 gibt es aber trotzdem dankenswerter- In Hannover kann sich übrigens kein Bürger selbst weise auf Initiative der Bremer Stadtwerke den um eine Kostenübernahme aus dem Härtefallfonds runden Tisch „Energie und Wassersperren im Land bewerben. Nur die Jobcenter oder das Sozialamt Bremen vermeiden“. Erklären muss ich den nicht, können im Einverständnis mit den Betroffenen den das wurde eben schon gemacht. An diesem runden Bedarf an den Fonds melden und auch nur sie kön- Tisch arbeiten alle Vertreter mit verschiedenen nen durch ihre Meldung eine drohende Sperre erst Maßnahmen zusammen. Der Erfolg ist bereits einmal aussetzen. Die folgende Prüfung führt für durchaus beachtlich. Die Zahl durchgeführter die Betroffenen dann sehr oft doch noch zu einer Energiesperren sank seit 2015 um gut 43 Prozent. Regelung der Schulden durch Jobcenter, Sozialäm- Ich möchte noch einschieben: Die Energiesperren ter oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. sind nicht nur ein Problem von Menschen, die von Der Härtefallfonds ist dann trotz eingegangener Armut betroffen sind. Energiesperren betreffen Meldung nicht zuständig. durchaus auch Menschen, die eigentlich das Geld haben, um ihre Rechnungen zu bezahlen, bei de- Wenn nun in Bremen ein Härtefallfonds so ähnlich nen aber andere Probleme dazu führen, dass sie umgesetzt werden soll, warum fordert die Koalition das nicht tun. dann in ihrem Antrag mehrsprachige Informations- angebote und sogar Antragsformulare. Wie weit Wenn jedenfalls eine Sperrandrohung erfolgt, dann wird sich die Bremer Koalition in der Ausrichtung greift das auch vom runden Tisch etablierte Härte- ihres Härtefallfonds an Hannover anlehnen? Es fallmanagement. Alle am runden Tisch beteiligten gibt da noch sehr viele Ungereimtheiten und auf können den angedrohten Sperrprozess durch kurze die werde ich in meinem zweiten Redebeitrag noch Rücksprache bei den Stadtwerken unterbrechen eingehen. – Vielen Dank! lassen. Dann werden die Zuständigkeiten geprüft und es wird auch ein Lösungsweg gesucht. Bisher (Beifall CDU) – das wurde auch schon gesagt – konnte auch im- mer ein Lösungsweg gefunden werden. Vorausset- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner erhält zung dafür ist und war aber, dass die Betroffenen das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2053

Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte die Bedarfssätze nicht angepasst werden müssten. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir Doch mit mehr ökonomischem Wissen, wie wir es haben das Problem, dass Menschen teilweise ihre beispielsweise als Liberale fordern, wäre es hilf- Rechnungen nicht bezahlen zum größten Teil in reich, einmal zu überlegen, was denn da ist. Selbst diesem Bereich, weil sie es nicht können. Grund- Haushaltsbücher führen zu können, ist ja hilfreich. sätzlich ist es so, dass man seine Rechnungen be- Auch da muss man mehr tun und nicht nur diesen zahlen muss, dass man das lernt, weiß, und man Fond einrichten. das nur dann nicht tut, wenn man die Mittel nicht hat. Es ist aber gesagt worden, dass alle 4 227 Insgesamt erachten wir diesen Antrag für gut, wer- Stromsperren zu viel seien. Ehrlich gesagt kann ich den ihn unterstützen und bitten dann darum, ihn das nicht beurteilen. Vielleicht waren ja auch zwei umzusetzen, damit Hilfe für diejenigen, die ihrer oder drei dazwischen, die hätten zahlen können. bedürfen, da ist und nicht Hilfe einfach da ist und Insofern ist es richtig, dass sich das angeschaut daneben gestellt wird. Denn wie gesagt, der runde wird, und bisher hat der runde Tisch hier hervorra- Tisch leistet bereits gute Arbeit. Es haben nicht alle gende Arbeit geleistet. Denn man muss anerken- den Weg zum runden Tisch gefunden. Doch denje- nen, dass fast hundert Prozent von denen, die sich nigen, die ihn gefunden haben, wurde fast zu hun- an den runden Tisch gewandt haben, eine Lösung dert Prozent geholfen. Ich vermute einmal, dass de- bekommen haben für ihre Probleme, dass ihnen nen, den nicht geholfen werden konnte, nicht im- geholfen werden konnte, dass Sperren vermieden mer geholfen werden musste, weil sie in der Lage werden konnten. waren, Rechnungen zu bezahlen und andere Gründe vorlagen. Man muss das auch im Zusammenhang mit den ho- hen Anzahlen von Mahnungen sehen, die ver- Insofern ist das ein Ansinnen, das wir schon in der schickt werden. Insofern wird hier gute Arbeit ge- Deputation unterstützt haben und auch hier in der leistet und sich gut gekümmert und dann muss man Bremischen Bürgerschaft unterstützen werden. – die Frage stellen: Ist so ein weiterer Fond etwas, Herzlichen Dank! was das Ganze erschwert, gute Arbeit vielleicht konterkariert, das Ganze anders aufstellt? Insofern (Beifall FDP) muss hier noch einmal genau geschaut werden, wie das denn abgewickelt wird, ob das wirklich eine Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat Verbesserung herbeiführt. die Abgeordnete Pfeiffer das Wort.

Denn eins ist doch klar, Frau Leonidakis: Wir wis- Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Immer, wenn ich hier- sen alle um die prekäre wirtschaftliche Situation her komme, denke ich, wir sollten einmal klatschen der Menschen, die keine Arbeit haben. Da gibt es für die Damen, die hier immer alles sauber machen. dann immer wieder die Diskussion über die Frage, können wir mit höheren Transferleistungen in der (Beifall) Situation helfen, indem wir ihnen noch an dieser o- der jenen Stelle helfen? Die Diskussion spricht ei- Danke schön! – Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolle- nem ja aus dem Herzen. Auf der anderen Seite ginnen und Kollegen! Keine warme Dusche, kein muss man aber sehen, dass das eigentliche Ziel der Licht, kein Händewaschen, kein Fernsehen, kein Politik sein muss – auch hier in Bremen –, gerade Kühlschrank, kein funktionierender Flaschenwär- diese Situation für die Menschen zu vermeiden, mer für die Babynahrung, kein Haareföhnen oder elektrisches Rasieren, kein Kochen für Kinder, (Beifall FDP) keine Funkgeräteverbindung für den Herzschritt- macher, kein Wasser im schlimmsten Fall, kein Ra- nämlich dafür zu sorgen, dass sie ihre Miete und diohören, keine Klingel an der Haustür, keine Hei- Rechnungen zahlen können, dass sie Arbeit haben, zung. um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir wis- sen, dass das schwer ist und hier Hilfe notwendig Rund 320 000 Energiesperren hat es in Deutsch- ist für diejenigen, die das eben nicht können, und land im vergangenen Jahr gegeben. In Bremen ist dass dort Prävention ansetzt. Genauso wie Präven- die Zahl der Energiesperren, wie schon gehört, tion da ansetzt, indem man den Menschen zeigt, zwar um ein Viertel gesunken, aber mit 4 200 wie sie wirtschaften können, auch mit wenig Geld. Haushalten immer noch, aus unserer Sicht, zu Nicht, dass ich sage, dass das leicht ist oder einfach. hoch. Energiesperren darf man als Vermieter nicht Nicht, dass ich denke, dass es immer ausreicht und einfach so einführen, sondern erst wenn 100 Euro 2054 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Zahlungsrückstand und zwei Mahnungen einge- Tisches sind unbestritten, die Anzahl der Sperrun- gangen sind. Für die Betroffenen ist übrigens be- gen ist ja zurückgegangen. sonders bitter, dass sie die Mahn- und Sperrkosten und auch die Kosten für die Entsperrung selbst tra- (Beifall SPD) gen müssen. Da kommt dann oft noch einmal eine Summe zusammen, wie die Summe der Forderun- Just in diesem Jahr haben wir ja auch in der Grund- gen überhaupt. sicherung noch etwas verändert, in dem wir den Zuschuss für die Anschaffungskosten in der Erst- Viel Grund also, es gar nicht erst zu einer Energie- ausstattung für die sogenannte weiße Ware erhöht sperre kommen zu lassen. Doch das sagt sich sehr haben, und zwar so erhöht haben, dass sich jetzt leicht, denn die Ursachen für nicht gezahlte Rech- auch Menschen mit Grundsicherung energiespa- nungen sind vielschichtig. Das kann eine schon be- rende Geräte anschaffen können. Das schont nicht stehende Verschuldung sein, persönliche Krisen, nur die Umwelt, sondern reduziert auch Energie- lange Aufenthalte in Kliniken oder auch üppige kosten und ist damit ein ganz wichtiger Teil zur Nachzahlungen nach Fehleinschätzungen von Prävention von Energieschulden. Energiekosten. Da hilft dann auch das ökonomi- sche Wissen nicht immer weiter, selbst wenn man Nun machen wir einen dritten Schritt und setzen es aufbaut. Hinzu kommen sprachliche Hürden einen Härtefallfonds ein, der natürlich insbeson- beim Verständnis von Mahnungen oder Sperran- dere in den Fällen, die besondere Härten aufwei- kündigungen. Einige werden nun einwenden, wer sen, greifen soll, also wenn Kinder, Kranke oder Äl- bestellt, muss auch zahlen. Das stimmt natürlich tere betroffen sind. Zu den Härtefällen gehört übri- und dennoch sind die im internationalen Vergleich gens aus unserer Sicht auch die Gruppe von Mie- sehr hohen Energiekosten für einige Menschen in ter*innen, die völlig unverschuldet in Energiesper- manchen Situationen eben kaum zu stemmen. ren geraten, dann nämlich, wenn sie ihre Energie- kosten an ihren Vermieter abführen, der aber sei- Lange ist schon bekannt, dass Energiesperren häu- nerseits das Geld nicht an den Versorger weiterlei- fig Menschen betreffen, deren Leben durch Krank- tet. Die Sperre bekommen die Mieter – ein Skan- heiten, durch den Tod von Familienmitgliedern, dal, wenn Sie mich fragen. seelische Krisen, manchmal sogar durch Geburten ausgelöst, aus dem Tritt gerät. Rechnungen und (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Mahnungen bleiben liegen, laufen auf, enden in Energiesperren. Die zweite Gruppe der Betroffe- Als SPD-Fraktion begrüßen wir daher die Einfüh- nen sind Menschen, die von niedrigen Einkommen rung eines Härtefallfonds, um unsere Hilfen kom- oder der Grundsicherung leben müssen. Zwar er- plettieren zu können. Wir sind als SPD-Fraktion halten sie, das haben wir schon gehört, im Regel- aber auch überzeugt, dass wir das Problem noch satz eine Pauschale für die Energiekosten, aber auf anderer Ebene angehen müssen, da sind wir während die Energiekosten in den letzten Jahren auch nicht im Widerspruch mit den LINKEN, wir um 40 Prozent angewachsen sind, ist diese Pau- müssen das Existenzminimum endlich fair berech- schale im selben Zeitraum nur um 27 Prozent ge- nen. Eine entsprechende Bundesratsinitiative ha- stiegen. So sind diese Menschen also doppelt be- ben wir als Koalition ja im letzten Dezember schon troffen. Sie haben wenig Geld für steigende Ener- gefordert. Wir brauchen dringend ein Verfahren, giekosten im Portemonnaie und können sich das die Berechnungsverzerrungen ausschließt und gleichzeitig keine energieeffizienten Geräte leis- das tatsächliche Existenzminimum ermittelt. Das ten, sodass sie auch noch einen höheren Energie- gilt natürlich auch für die Höhe der Energiekosten. verbrauch haben. In diesem Sinne bitten wir um die Zustimmung für diesen Antrag. – Vielen Dank! Die Folge dieser Ausgangslagen ist ständiges Jong- lieren mit Kosten, ständiges Priorisieren, was ge- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) rade aktuell notwendig ist, immer wieder kleinere und auch größere Schulden. Wenn es dann die Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin er- Energiekosten trifft, ist es besonders tragisch und hält das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis. kann folgenreich sein. Bremen hat daher einiges in Gang gebracht, um dort einzuschreiten, um helfen Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Sehr ge- zu können. Über den runden Tisch brauche ich ehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kol- wohl nichts mehr erzählen. Die Erfolge des runden legen! Es ist sehr schön, wenn man eine Debatte führt, in der so eine weitgehende Einigkeit Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2055

herrscht. Es wurde auch schon vieles gesagt und wie gesagt, bis in die Zeitung und das ist ein tragi- ich möchte den letzten Aspekt aufgreifen, nämlich scher Fall. Die elfeinhalb Fälle von Strom-, Gas- die Höhe der Grundsicherung. Da sind wir ja und Wassersperrungen jeden Tag in Bremen und durchaus auch auf Bundesratsebene aktiv. Wir ha- Bremerhaven schaffen es nicht bis in die Zeitung, ben den genannten Antrag zur weitgehend sankti- sie enden zum Glück auch nicht tödlich. Trotzdem onsfreien Grundsicherung in den Bundesrat einge- sind es schwere Eingriffe in die Lebensqualität der bracht. Wir sind auch auf der kommunalen Ebene betroffenen Menschen. Frau Grönert, Sie haben in Sachen Erstausstattungspauschalen aktiv. gefragt: Wie weit gehen wir? Wir gehen so weit wie nötig, um solche Schicksale zu vermeiden, liebe Ich glaube, wir sind uns auch einig, dass die Her- Kolleginnen und Kollegen. unterrechnung der sogenannten Warenkörbe oder der Bezugsgruppe von den unteren 20 Prozent auf (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) nur noch die unteren 15 Prozent eine künstliche Klein- und Niedrigrechnung der Hartz-IV-Regels- Der jetzige Antrag gibt ja ein Konzept in Auftrag ätze bedeutet und dass wir damit nicht zufrieden und dieses Konzept muss die Lage in Bremen be- sind. All diese Aspekte greifen wir auch auf Bun- rücksichtigen, muss die Struktur in Bremen be- desebene auf, auch in dieser Koalition und daran rücksichtigen, denn Sie haben es ja zu Recht er- arbeiten wir. Trotzdem sind das natürlich dicke wähnt, in Hannover gibt es bereits einen Härtefall- Bretter, die dort gebohrt werden müssen. fonds, der die rechtliche Form eines Vereins hat und durch enercity, den kommunalen Versorger, Auch die Kindergrundsicherung möchte ich in die- gespeist wird. Hier in Bremen haben wir leider sem Zusammenhang noch einmal erwähnen, die keine kommunalen Stadtwerke, die swb wurde Regelsätze für Kinder und Jugendliche werden neu 2009 weiterverkauft. Da haben wir also leider kei- erhoben, auch da kann man, glaube ich, jetzt schon nen Handlungsspielraum. Wir können die swb feststellen, da sind wir noch lange nicht am Ende nicht zwingen, einen solchen Härtefallfond aufzu- des Notwendigen, am Ende der Fahnenstange an- legen. Trotzdem teilen wir den Wunsch, dass wir gelangt, sondern auch in diesem Bereich hat sich uns eine Beteiligung der swb wünschen, denn das der Bremer Senat auf Bundesebene für die Einfüh- kann natürlich nicht nur allein die kommunale Auf- rung einer bedarfsgerechten Kindergrundsiche- gabe sein. Insofern werden auch da Gespräche zu rung eingesetzt und tut es auch weiterhin, mit vol- führen sein, inwiefern die swb sich daran beteili- ler Rückendeckung aus dieser Koalition, liebe Kol- gen kann. leginnen und Kollegen. Unser Ziel ist auch, Kriterien zu definieren, was ei- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) gentlich einen Härtefall begründet. Denn was wir nicht gemacht haben, Frau Grönert, ist doch zu sa- Ganz am Ende der Prozesse liegt dann eben eine gen, wir haben einen flächendeckenden Alle-Sper- Strom-, Gas- oder Wassersperre und die Kollegin ren-vermeiden-Fonds, auch wenn das unser Ziel Pfeiffer hat schon geschildert, was das für die Be- ist, sondern es geht darum, Härtefälle zu definieren troffenen konkret bedeuten kann. Wir haben jeden und diese Härten zu vermeiden. Es geht darum, Tag elfeinhalb Sperren in der Stadtgemeinde Bre- dass der bisherige Instrumentenkasten, der im Mo- men und der Stadtgemeinde Bremerhaven und ment beinhaltet, dass die Leistungsträger eine Kos- hinter diesen elfeinhalb Sperren jeden Tag, stehen tenübernahme gestatten oder ein Darlehen gewäh- tagtägliche humanitäre Härten, liebe Kolleginnen ren, nicht ausreicht. Für eine überschuldete Person und Kollegen, davor können wir nicht die Augen ist es möglicherweise keine Hilfe, ein weiteres Dar- verschließen, unabhängig davon, dass wir aner- lehen angeboten zu bekommen. Es geht darum, kennen, was der runde Tisch und die Kampagne auch nicht Leistungsberechtigte, weil sie zum Bei- „Zappenduster!“ bisher erreichen konnten. spiel ein zu hohes Einkommen haben oder nicht leistungsberechtigt sind, auch darin zu erfassen. Es gab ein Beispiel im Jahr 2016, das es bis in die Das ist bisher nicht der Fall. Es geht also darum, Zeitung geschafft hat. Da hat ein junger Mann in bestehende Lücken zu schließen und die Sperren, seiner Wohnung Wasser auf einem Grill erhitzt, die 4 227 Sperren, so weit wie möglich zu minieren. weil ihm der Strom abgestellt wurde, im Januar, und er kein Warmwasser und keine Heizung mehr (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) hatte. Dieser Mensch, dieser junger Mann, ist an einer Kohlenmonoxidvergiftung erstickt. Das kam, Dafür braucht es, wie gesagt, ein Konzept. Die Rechtsform muss geklärt werden, die Kriterien 2056 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

müssen geklärt werden, es muss auch der Weg und sind hier jeweils die gleichen wie beim Härtefall- das Prozedere geklärt werden. Wir glauben, dass es fonds und sie wurden in dieser Debatte bereits hin- auch möglich ist, dass sich zum Beispiel Beratungs- reichend benannt. stellen an den Härtefallfonds wenden, all das muss geklärt und konzeptuell aufgeschrieben und bera- Somit halte ich fest, dass in Bremen auch heute ten werden. Wir glauben, damit erweitern wir den schon jedem Hilfesuchenden geholfen wird. Das Instrumentenkasten und geben uns selbst ein wei- hat eigentlich auch keiner geleugnet. teres Instrument an die Hand, um diese humanitä- ren Härten zu vermeiden. (Abgeordnete Leonidakis [DIE LINKE]: Doch!)

(Glocke) Auch heute schon können Energiesperren auch durch Schuldenübernahmen verhindert oder wie- – Ich danke für die Zustimmung. der aufgehoben werden. Die Betonung liegt dabei aber auf „jedem Hilfesuchenden kann geholfen (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) werden“ und dem wird auch geholfen. Doch de- nen, die sich mit ihrer Mahnung oder gar Sperran- Präsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat die drohung nirgendwo melden, kann man weder hel- Abgeordnete Frau Grönert das Wort. fen noch eine Sperre verhindern. Das ist für diese Debatte nicht unwichtig, man wird Menschen, die Abgeordnete Grönert (CDU): Frau Präsidentin, sich nicht eigenständig melden, auch zukünftig mit meine Damen und Herren! Die Bremer Koalition einem Härtefallfonds nicht vor einer Energiesperre lässt in ihrem Antrag noch vieles offen, so zum Bei- bewahren können. spiel auch, welcher Personenkreis für den Härte- fallfonds berechtigt sein wird. Andeutungen, die Warum aber hat Bremen in Bezug auf diese Prob- hier von Rednerinnen mündlich gemacht worden lematik nicht schon längst vom gelernt sind, sind mir nicht genug und Aussagen wie „so- und fokussiert so stark auf einen Härtefallfonds? Im weit wie nötig“ reichen mir nicht oder helfen mir sogenannten Saarbrücker Modell, das von uns vor überhaupt nicht, Frau Leonidakis. einigen Jahren in Bremen zusammen mit dem Här- tefallfonds Hannover vorgestellt wurde, wird basie- Sie schreiben in den Antrag, dass das erst noch ge- rend auf einer Einwilligungserklärung des Sozial- klärt werden muss und dass besonders geklärt wer- leistungsempfängers ein Datenaustausch zwischen den muss, wie ein Ausschluss des Personenkreises, dem dortigen Energiegrundversorger und dem zu- der überhaupt keine Möglichkeit hat, ein Darlehen ständigen Sozialleistungsträger oder Jobcenter er- oder eine Kostenübernahme im Rahmen von Sozi- möglicht. Der Energieversorger kann deshalb dem alleistungen zu erhalten, vermieden werden kann. Sozialleistungsträger oder dem Jobcenter Meldung Ich habe die Hannoveraner so verstanden, dass sie geben, wenn eine Stromsperre droht. So können ihren Härtefallfonds auch für diese Gruppe konzi- viele Sperren auch noch abgewendet werden. piert haben. Anscheinend wollen Sie aber den Kreis doch noch größer ziehen als Hannover es tut. Der Erfolg in Saarbrücken wurde schließlich weg- weisend für das ganze Saarland, meine Damen und Es gibt übrigens heute schon die Möglichkeit für Herren, leider aber nicht für Bremen. Ihren heuti- die vollständige Übernahme von Energie- und gen Antrag finden wir nicht besonders hilfreich, da Wasserschulden, unter anderem durch das Amt für Sie wieder einmal nur über einen Antrag auf ein für Soziale Dienste. Allein in 2019 sind hier gut 55 000 uns noch sehr diffuses Konzept abstimmen lassen. Euro geflossen. Doch ob und wenn ja zu welchem Wir werden zwar einer Konzeptentwicklung zu- Teil sich diese bisherigen Schuldenübernahmen stimmen, weil es richtig ist, in Fällen, in denen an- womöglich im Härtefallfonds wiederfinden sollen, dere Hilfe gerade nicht richtig greift oder nicht aus- lässt die Koalition noch gar nicht erkennen. reicht, für einen Mitmenschen ein Stück Verant- wortung zu übernehmen, aber nur anhand eines Ebenso gibt es auch noch die Übernahme für Miet- konkreten Konzepts könnten wir sagen, was wir und Energieschulden nach § 22 SGB II, oder einfa- tatsächlich von Ihrer Idee eines Härtefallfonds hal- cher gesagt Hartz IV, die in 2019 für Bremen mit ten. Wir bleiben sehr vorsichtig, weil Sie den Här- fast 310 000 Euro zu Buche schlugen. Die Kriterien tefallfonds auch stärker strapazieren könnten als für eine Entscheidung zur Schuldenübernahme wir das für nötig halten. Das wollen wir nicht. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2057

Wir möchten aber, dass auch weitere Modelle wie der Hand der Kommune zu haben, um auch eine das Saarbrücker nicht ignoriert werden. Vielleicht größtmögliche Steuerung haben zu können. ist nicht jede Idee so spektakulär wie ein Härtefall- fonds und lässt sich auch politisch nicht so gut ver- Wir haben heute aber eine andere Situation, die kaufen, doch ich meine, letztlich sollte doch den Stadtwerke sind ein privates Unternehmen. Ich von Energiesperren betroffenen Menschen gehol- finde die Idee des Härtefallfonds gut. Ich gehe auch fen werden und das, weit bevor man das politische mit Frau Grönert konform und sage, das kann nicht Ego einer Regierungskoalition stärkt. Oder was unser einziges Instrument sein, wir müssen viele meinen Sie? Instrumente anwenden, wenn wir uns einmal die Zahlen anschauen. Wir haben es geschafft, die Bitte ergreifen Sie deshalb neben der Einrichtung Zahl der Sperren von 7 215 im Jahr 2014 mit ge- eines Fonds auch noch weitere Maßnahmen, damit meinsamen Anstrengungen auf 4 227 im Jahr 2019 von Energiesperren bedrohte Menschen schnell zu senken. Das zeigt auch noch einmal deutlich, es auffallen und Unterstützung darin erhalten, ihre fi- geht voran, aber wir erreichen noch nicht alle Men- nanziellen und vielleicht noch weiteren Probleme schen. Gelungen ist das durch eine Intensivierung zu klären. Dabei unterstützen wir Sie immer sehr der Zusammenarbeit und durch Einbeziehung wei- gern. Ob wir indes Ihren Härtefallfonds unterstüt- terer Beratungsinstitutionen, wie beispielsweise zen, wissen wir ehrlich gesagt noch nicht. Heute der Verbraucherzentrale, die in dieser Frage eine stimmen wir definitiv nur dessen Konzeptentwick- gute Arbeit leistet, oder der Schuldnerberatungs- lung zu. – Vielen Dank! stellen. Auch bei denen möchte ich mich bedan- ken. (Beifall CDU) Die swb hat auch starkes Entgegenkommen ge- Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat zeigt, hat auch sehr gute Ideen entwickelt. So sind das Wort Frau Senatorin Stahmann. beispielsweise Kleinstraten zur Tilgung der Schul- den und Unterbrechung der Sperrprozesse möglich Senatorin Stahmann: Frau Präsidentin, sehr ver- und dass man seine Stromrechnung auch an der ehrte Abgeordnete! Über das Thema Energiesper- Supermarktkasse in Raten bezahlen kann. Das wa- ren haben wir in den vergangenen Jahren, das ist ren Vorschläge, die durch den runden Tisch mit auf in der Debatte deutlich geworden, schon häufiger den Weg gebracht wurden. Ich finde, das Saarbrü- gerungen und auch diskutiert, zuletzt in der ver- cker Modell mit dem Datenaustausch, das machen gangenen Sitzung. Wir werden das auch im No- wir mit dem Jobcenter, mit dem Amt für Soziale vember wieder tun. Dienste, aber auch mit dem Energieunternehmen. Wir nennen das nicht Saarbrücker Modell, aber Aus meiner Sicht möchte ich aber sagen, dass wir auch das werden wir uns noch einmal genau an- in den letzten Jahren – darauf sollten wir auch stolz schauen, ob es da nicht die eine oder andere Stell- sein – gemeinsam viel erreicht haben, um die Zahl schraube gibt, die wir noch für unser Konzept brau- der Sperren deutlich zu reduzieren. chen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Der Härtefallfonds kann als weiteres flankierendes Instrument zur Verringerung und Vermeidung von Zur Vermeidung von Energie- und Wassersperren Energie- und Wassersperren dienen. Die Leis- wurde im Jahr 2014 der runde Tisch „Energie- und tungsgewährung nach SGB II und SGB XII sind Wassersperren im Land Bremen vermeiden“ auch vorrangig. Eine Leistung aus dem Fonds soll ein- auf Initiative der swb ins Leben gerufen. Frau Le- malig bewilligt und die Inanspruchnahme an eine onidakis hat das ja noch einmal deutlich gemacht. Energiesparberatung geknüpft werden. Kriterien und Voraussetzungen für die Inanspruchnahme ei- Die Stadtwerke Bremen sind 1854 gegründet wor- ner Leistung werden gerade in meinem Haus erar- den. Das ist eines der ältesten Stadtwerke in der beitet. Republik und wir haben in den 90er-Jahren hier im Bundesland lange Debatten gehabt, ob man die Ich tue mich auch sehr schwer damit: Wir haben es Stadtwerke verkaufen soll und wie der Einfluss der mit einem privatem Konzern zu tun, wir legen ei- Kommune sich dann darstellt. Im Jahr 2020, glaube nen Härtefallfonds auf. Ich möchte nicht, dass wir ich, sind wir alle schlauer. Es ist besser, die Ener- sagen, wir nehmen dieses Geld und geben dieses gieversorgung, aus meiner Sicht als Sozialsenato- Geld dem privaten Unternehmen, um sein Risiko rin, die Wasserversorgung, die Gasversorgung in zu minimieren. Mein Interesse ist, das ist mir aus 2058 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

den Debatten auch deutlich geworden, es muss im- finde ich ganz zentral. Wir haben das Landespro- mer um die Menschen gehen, die in einer Notlage gramm „Lebendige Quartiere“. Wir müssen vor Ort sind, denen wir helfen müssen, dass es nicht zum in den Quartieren sein, das gilt für Bremen und das Abstellen kommt. Frau Pfeiffer hat da die Beispiele gilt für Bremerhaven, dort sein, wo die Menschen aufgezählt, wie sich dann zeigt, die Kaffeema- wohnen. Wir müssen dort sein, wo sie wissen, dass schine geht nicht mehr oder der Herzschrittmacher. sie dort Hilfe bekommen, wo sie sehr nied- Das waren ja echt harte Beispiele, die Sie genannt rigschwellig hingehen können, manchmal mit den haben. Abrechnungen, die ja auch mehrere Seiten haben, die man vielleicht auch nicht versteht – ich blättere Es muss für uns als Sozialpolitiker*innen und als da auch immer etwas orientierungslos durch diese Parlament im Zentrum immer der Mensch stehen. Briefe der Stadtwerke –, dass man dann richtig er- Natürlich hat so ein Unternehmen auch wirtschaft- mitteln kann, was muss jetzt gezahlt werden, was liche Interessen und das müssen wir in der Deputa- wird jetzt noch abgebucht. tion für Soziales, Jugend und Integration schaffen, offen und ehrlich miteinander zu besprechen. Es Unabhängig von der Installation des Fonds beab- reicht nicht aus zu sagen, wir sind die Helden, wir sichtigt die Verbraucherzentrale die Ausweitung haben diesen Fonds eingerichtet. Das löst vielleicht der Beratung zu Energiefragen und -sperren. Diese nicht die Kernprobleme, die wir in diesem Bereich Beratung soll, wie eben ausgeführt, verstärkt in lösen müssen. Ich habe es ja gesagt, ich sehe es den Quartieren erfolgen. Das finde ich absolut rich- auch kritisch, dass man nicht einen Fonds auflegen tig. Das möchte ich aus vollstem Herzen als Sozial- darf, aus dem manch einer – das sind dann nicht senatorin unterstützen, weil damit die Möglichkei- viele, aber auch Leute – ableitet, ich muss meine ten zur Beseitigung von Energieschulden oder Energiekosten nicht bezahlen, da gibt es ja diesen Problemen, die wir ja kennen, auch gestoppt wer- Fonds, auf den man zurückgreifen kann. In so eine den. Ich finde diese Initiative, die die swb mit un- Situation dürfen wir uns auch als Kommune oder terstützt hat – also „Zappenduster!“, das war ja de- als Landtag nicht bringen. ren Idee –, richtig. Wir müssen jetzt unsere Kräfte bündeln und weiter zusammen über dieses Thema Ein Fonds, ein Härtefallfonds muss Menschen in sehr ernsthaft miteinander beraten. Ich bedanke Notlagen helfen. Ein Fonds darf am Ende nicht in mich für die Debatte. – Danke schön! erster Linie dem Unternehmen dienen und es darf einfach auch nicht nur weiße Salbe sein. Das, Frau (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Grönert – –. Sie sagen ja, Sie wissen noch nicht, was dabei so richtig herauskommen soll. Sie müssen mir Vizepräsidentin Dogan: Weitere Wortmeldungen jetzt ein bisschen vertrauen, dass wir sagen, wir liegen nicht vor. wollen auch nicht die Vermieterinnen und Vermie- ter schonen, die einfach die Nebenkostenabrech- Die Beratung ist geschlossen. nung ihrer Mieter behalten. Diese Situation haben wir auch. Wir haben Mieterinnen und Mieter, die Wir kommen zur Abstimmung. ihre Nebenkosten bezahlen und die Vermieter füh- ren diese Kosten nicht an den Energieversorger ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben Dann kommt es zur Stromsperre, es kommt zur möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wassersperrung und das ist auch ein Punkt, den wir selbst mit dem besten Härtefallfonds nicht lö- Ich bitte um die Gegenprobe. sen. Dort müssen wir auch ein Instrument haben, das diese schwarzen Schafe unter den Vermietern, Stimmenthaltungen? das sind nicht viele, aber es gibt sie, auch erwischt und sie zur Rechenschaft zieht. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu. Das Ziel von unserem Haus ist jetzt, der zuständi- gen Deputation bereits am 5. November zu berich- (Einstimmig) ten. Das Konzept wird dann vorgelegt. Aus unserer Sicht soll der Fonds immer nur die letzte Möglich- Externe Evaluation zur kontinuierlichen Verbes- keit sein. Unser Ziel ist es, dass er gar nicht erst serung frühkindlicher Bildung greifen muss. Unser Haus prüft daher, Angebote in Antrag der Fraktion der FDP den verschiedenen Quartieren zu schaffen. Das ist vom 3. Juni 2020 der Punkt, den Frau Görgü-Philipp gesagt hat. Den (Drucksache 20/419) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2059

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. inhaltlichen Bildungsziele für alle definieren und Bogedan. vorgeben.

Die Beratung ist eröffnet. (Beifall FDP)

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Jetzt gehe ich davon aus, dass in wenigen Minuten Frau Bergmann. die Kollegen von der Koalition voraussichtlich sa- gen werden, haben wir, machen wir. – Was wollt Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau ihr denn? Ja, der Bremer Bildungsplan für Kinder Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her- im Alter von 0 bis 10 Jahren stellt eine gemeinsame ren! Kitas sind als Orte frühkindlicher Bildung die Grundlage für die Unterstützung von Lernprozes- erste Etappe und die entscheidende Basis für einen sen, die Entwicklungsbegleitung und die Erzie- langen Bildungsweg. Gute frühkindliche Bildung hung der Kinder dar und formuliert sogar klare kann die Bildungsgerechtigkeit und die Chancen- Ziele für die Begleitung. Es wird sogar regelmäßig gleichheit für Kinder erhöhen, und zwar unabhän- überarbeitet und verbessert und wir erkennen an, gig vom sozialen Hintergrund, vom Bildungsgrad dass damit ein erster und auch ein wichtiger Schritt der Eltern, unabhängig von ihrer Nationalität, aber der Qualitätsabsicherung vollzogen ist. auch unabhängig vom Stadtbezirk oder der einzel- nen Einrichtung, in der die Kinder aufgenommen Heute fordern wir darüber hinaus eine professio- werden. Wir Freien Demokraten sind überzeugt, nelle externe Evaluation. Es liegt in der Natur der das ist gerade für Bremens Kinder besonders wich- Sache, dass jemand, der von außen schaut, eine an- tig. dere Perspektive hat als der, der innen steht. Es gibt eben nicht nur eine Wahrheit, als Systemikerin (Beifall FDP) liegt diese Überzeugung sozusagen in meiner DNA. Wer mit nationalen und internationalen Ver- Die Voraussetzung für gute und auch professio- gleichskonzepten im Kopf den Alltag einer Kita er- nelle frühkindliche Bildung ist, dass die Betreu- lebt und keine eigenen Interessen am Zusammen- ungsqualität in Form einer einheitlichen Struktur, spiel des Bremer Bildungssystems hat, wird andere Organisation und Prozessqualität überall gleicher- Dinge wahrnehmen als ein lokales Evaluationsgre- maßen gewährleistet ist. Viele von uns erinnern mium aus Norddeutschland, dem Umland oder di- sich an die Veranstaltung der zentralen Elternver- rekt aus Bremen. tretung vor einigen Monaten, in der aus einigen Einrichtungen berichtet wurde, dass man sich von Dabei ist es mir wichtig, deutlich zu machen, wir Notdienst zu Notdienst hangelte und de facto über sprechen nicht von einer Art externem TÜV für Monate keinerlei pädagogische Arbeit möglich ge- Kitas, sondern von einem unterstützenden Prozess. wesen sei. Diese verzweifelten und zu Herzen ge- Profis sollen einzelne Einrichtungen in einem Pro- henden Berichte waren die Spitze eines großen, zess begleiten, sich qualitativ weiterzuentwickeln. breiten Eisbergs. Wir hatten hier auch darüber ge- Noch einmal erwähne ich gern den Prozess zur sprochen. Qualifizierung unserer Fraktion als familienfreund- liches Unternehmen. Im Prozess wurden Zielkrite- Die Berichte über solche Zustände, die bis heute rien definiert, aber in mehreren Dialogrunden auch vereinzelt den Weg in die Presse finden, zeigen identifiziert, wo Entwicklungsnotwendigkeiten, exemplarisch, aber dafür überdeutlich, dass wir ne- Entwicklungsmöglichkeiten und Ressourcenman- ben dem intensiven quantitativen Ausbau nun gel bestehen. auch den Fokus auf Qualität richten müssen. Um Qualität zu sichern und Qualität zu steigern, brau- Viele nationale Erfahrungen zeigen, dass die ex- chen wir erstens ein wissenschaftlichen Ansprü- terne Evaluation zum entscheidenden Schlüssel für chen genügendes Betreuungsverhältnis. Zweitens, die Qualitätsentwicklung werden kann. In gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher. Drit- Deutschland gibt es Städte, die sich der externen tens, für die Bedürfnisse der Kinder ausgestattete Evaluation bedient und damit sehr gute Erfahrun- Räume. Viertens, ein gut geführtes Betreu- gen gemacht haben. In Heidenheim zum Beispiel ungsteam. Fünftens, transparente Kommunikati- wurden völlig unterschiedliche Bedarfslagen in der onsstrukturen zwischen Eltern, Teams, Teamlei- unterschiedlichen Trägervielfalt identifiziert. Die tungen, Trägern und Behörden und sechstens, ein- einen hatten viele Kinder mit Sprachförderbedarf, heitliche fachliche Rahmenbedingungen, die die die anderen waren multinationaler, manche muss- 2060 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

ten bewegungsaffiner werden. Aufgrund der exter- Andere Bundesländer, zum Beispiel Hamburg, sind nen Evaluation konnte jede Einrichtung spezifisch da schon wesentlich weiter. Sie haben schon vor und passgenau ausgestattet oder weiterentwickelt Jahren einen unabhängigen Kita-TÜV für die früh- werden – nicht stadtteil-, sondern einrichtungsbe- kindliche Bildung eingeführt und ein externes zogen. Ein Gewinn für die Kinder, hohe Zufrieden- Qualitätsinstitut für die darauf aufbauende Bildung heit bei den Erzieherteams, denn die hatten nun an den allgemeinbildenden Schulen angeschlos- endlich die Bedingungen, die sie sich auch selber sen. Seitdem verbessert sich in Hamburg die Bil- gewünscht haben, um gut arbeiten zu können. dungskompetenz aller Schülerinnen und Schüler stetig, unabhängig von der Situation ihrer Eltern. Wir fordern deswegen heute, dass sich Bremen auf Bundesebene dafür einsetzt, dass eine entspre- Das komplette Gegenteil passiert im Lande Bre- chende externe Evaluation zur Qualitätssicherung men. In keinem anderen Bundesland ist der Bil- von frühkindlicher Bildung finanziell abgesichert dungserfolg der Kinder so stark vom Elternhaus ab- wird, und fordern zu prüfen, mit welchen professi- hängig wie in Bremen. Das wollen wir als CDU- onellen Anbietern sich Bremen eine externe Evalu- Fraktion endlich geändert haben. ation vorstellen könnte. – Vielen Dank für Ihre Auf- merksamkeit! (Beifall CDU, FDP)

(Beifall FDP) Es lohnt sich also, nach Hamburg zu sehen, wenn man die Überwindung der sozialen Spaltung tat- Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat sächlich will, wenn man Kindern aus Blumenthal, das Wort die Abgeordnete Ahrens. aus Vegesack, aus dem Bremer Westen, Osterholz oder Huchting wirklich bestmögliche Bildung be- Abgeordnete Ahrens (CDU): Frau Präsidentin, ginnend ab der Krippe zukommen lassen möchte. meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich Ein unabhängiger und externer Kita-TÜV, also glaube, alle Fraktionen sind sich hier über den eine objektive und unabhängige Bewertung der Wert von frühkindlicher Bildung einig. Qualität von Kindertageseinrichtungen, hilft genau diesen Kindern. Diese Einigkeit hört aber in der Regierungsfraktion schnell auf, zumindest wenn es um die objektive Dabei geht es überhaupt nicht, um das deutlich zu Messung der tatsächlich erbrachten Qualität in den sagen, um ein Bashing des hochengagierten päda- Kindertagesbetreuungseinrichtungen geht. Für gogischen Personals in den Einrichtungen, in kei- Raumgrößen, Platzzahlen, Mindestpersonalaus- ner Form! Ganz im Gegenteil, ihnen gebührt unser stattung gibt es zur Erlangung einer Betriebser- Dank dafür, dass sie unter schwierigen Rahmenbe- laubnis noch Vorgaben, das kann man in den Richt- dingungen mit dauerhaft massivem Personalman- linien für den Betrieb von Tageseinrichtungen für gel die tägliche Quadratur des Kreises versuchen. Kinder im Land Bremen, RiBTK, nachlesen. Die Sie setzen sich oft weit über ihre Kräfte für die LED, die sogenannte Lern- und Entwicklungsdo- ihnen anvertrauten Kinder ein. Pädagogisches Per- kumentation, die als eine Verbesserung in den letz- sonal erreicht deswegen im erlernten Beruf auch ten Jahren beschlossen worden ist, ist aber bereits oftmals nicht das Rentenalter. Umso wichtiger ist es heute nicht mehr verpflichtend. Theoretisch könnte daher, ihre schwierigen Arbeitsbedingungen in ei- man sie durchführen, praktisch hat man dafür zu ner externen Evaluation aufzuarbeiten, um auch wenig Personal und so wird sie in einigen wenigen klare Handlungsnotwendigkeiten für uns als Poli- Kitas durchgeführt. tik vorzubereiten.

Theoretisch werden derzeit auch inhaltlich weitere Dann wird die strukturelle Unterfinanzierung der Vorgaben erarbeitet. So sind bisher die Leitlinien – Inklusion in der Stadtgemeinde Bremen von derzeit mehr übrigens noch nicht, Frau Kollegin Bergmann 6,3 Millionen Euro, die durch die Kitas in den be- – für den Rahmenplan 0-10 erarbeitet worden. Ein sonders herausfordernden Armutslagen quersub- fertiger Rahmenplan, der zum Beispiel den Bereich ventioniert wird, endlich für jeden sichtbar. Viel- Mathematik, Ästhetik oder andere Bereiche regelt, leicht entsteht dann endlich genügend Handlungs- liegt aber immer noch nicht vor. Verpflichtend ist druck, um die Inklusion vernünftig abzusichern. dieser ebenfalls noch nicht, denn das müsste ja mit Personal hinterlegt werden, Personal, das wir auf- Es geht auch darum, Best Practice-Modelle gegen- grund des Fachkräftemangels derzeit gar nicht ha- seitig auszutauschen und so insgesamt die hoch- ben. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2061

wichtige Arbeit mit den ihnen anvertrauten Kin- Seit einigen Jahren läuft in der Tat das größte Aus- dern bei derzeit geringen Personalressourcen ver- bauprogramm des Landes Bremen und hiermit bessern zu können. Gerade die Vorbereitung der wird die Anzahl der Kitaplätze massiv ausgebaut. Vorschulkinder auf die Schule erfolgt in den Kitas Ich bin es auch nicht leid, dies hier immer wieder sehr unterschiedlich. Da lässt sich im positiven sagen zu wollen. Doch selbstverständlich ist nicht Sinne viel voneinander lernen. Das hat überhaupt nur das Vorhandensein, sondern die Qualität des nichts mit öffentlicher Beschimpfung zu tun, son- frühkindlichen Angebotes maßgeblich dafür, wel- dern es geht darum, gute Modelle in die Fläche zu che fördernde Wirkung diese auf die Entwicklung tragen. und das Lernen von Kindern hat. Neben den quan- titativen Ausbauzielen war deshalb in den vergan- Eltern können sich derzeit nur rudimentär objektiv genen Jahren auch die Verbesserung und Absiche- über Kindertageseinrichtungen informieren. Es rung der Bildungsqualität ein zentrales Handlungs- gibt eine Selbsteinschätzung, es gibt eine Konzep- feld. tion, es gibt die Information über die Anzahl der Plätze, Eltern versuchen sich dann über den Busch- (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) funk zu informieren, ob diese Kita nun gut oder schlecht sei. Das wollen wir ändern, denn Busch- Dafür haben wir nicht nur viel Geld in die Hand ge- funk halten wir nicht für objektiv. Wir wollen eine nommen, wir haben für eine bessere finanzielle vernünftige, objektiv korrekte Information. Bei al- Ausstattung in Kitas in Stadtteilen in schwierigen ler Pluralität der Träger, die wir hier mit den unter- Lagen – das haben Sie selbst ja auch festgestellt – schiedlichsten Konzeptionen vom anthroposophi- gesorgt. Wir investieren auch mehr in die Sprach- schen Ansatz bis hin zum Waldkindergarten und förderung. Seit das Gute-KiTa-Gesetz in Kraft ge- vielen anderen Dingen mehr haben, wollen wir treten ist, dessen Ziel es ist, neben einer verbesser- verbindliche Bausteine einer guten Sprachförde- ten Teilhabe in der Kindertagesbetreuung auch die rung und Vorbereitung auf die Schule implemen- Qualität frühkindlicher Bildung weiterzuentwi- tiert wissen. ckeln, ist in diesem Kontext auch ein Qualitätsmo- nitoringsystem entwickelt worden, das in den Den Antrag auf bessere Sprachförderung hatten Stadtgemeinden für eine bessere Steuerung der Sie als Koalition ja auch selbst eingebracht, aber Qualitätsentwicklungsziele der Einrichtungen ein- diese ist auch hier noch nicht wirklich verpflichtend gesetzt werden kann und auch die Berichterstat- und auch noch nicht mit genügend Personal und tung zum Gute-KiTa-Gesetz gegenüber dem Bund Geld unterlegt. Wenn wir aber ganz deutlich vo- verbessert. ranschreiten und die bundesweit am stärksten ge- stiegene Armutsgefährdungsquote, die wir hier in Der Antrag suggeriert, dass in Bremen der Begriff Bremen haben, senken wollen, dann müssen wir Qualität bislang als parallel und beliebig von Trä- tatsächlich einmal überlegen, inwiefern wir bei gern, von politisch Verantwortlichen in der senato- dem kleinsten Baustein, der frühkindlichen Bil- rischen Behörde für Kinder und Bildung oder gar dung, tatsächlich anfangen und was uns dort noch von privaten Betreibern definiert werde. Wir haben alles fehlt, um das gewünschte Ziel, nämlich die bereits hervorragendes qualifiziertes Fachpersonal Unabhängigkeit des Bildungserfolgs von Kindern in unseren Einrichtungen. von dem Bildungsstand ihrer Eltern, hier in Bremen zu erreichen. Das sollte eigentlich auch ein Kern- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) anliegen der SPD sein. Da sehen wir deutlichen Verbesserungsbedarf. Deswegen werden wir dem In Bremen wird die wissenschaftliche Expertise Antrag der FDP zustimmen. – Danke schön! und das Instrument der externen Evaluation regel- mäßig genutzt. Bremen hat sich etwa an den seit (Beifall CDU, FDP) 2012 durch die wissenschaftlich evaluierten Bun- desprogramme „Sprach-Kitas“ und „Kita-Einstieg“ Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat beteiligt. Auch dort findet regelmäßig eine Evalua- das Wort die Abgeordnete Krümpfer. tion statt. Von zentraler Bedeutung für die Quali- tätsentwicklung ist der Bildungsplan 0-10 – das ist Abgeordnete Krümpfer (SPD): Frau Präsidentin, hier schon gesagt worden –, der in enger Abstim- sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Früh- mung von Wissenschaft und Fachpraxis erarbeitet kindliche Förderung leistet einen Beitrag zum Ab- wird und gerade in die wissenschaftlich evaluierte bau von Bildungsarmut und von sozialer Ungleich- Erprobungsphase tritt. Auch der Bereich Mathema- heit. Das wissen wir hier mittlerweile alle. tik, Frau Ahrens, ist bereits dabei. 2062 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

(Abgeordnete Ahrens [CDU]: Aber noch nicht fer- prüfen, ob die Qualität stimmt. Nicht ohne Grund tig!) befinden wir uns deshalb gerade im Prozess der weiteren Ausarbeitung und Implementierung des Die sind dabei, das geht jetzt in die Erprobungs- Bildungsplanes 0-10, er wurde hier auch bereits phase! Wenn die Erprobungsphase abgeschlossen mehrfach erwähnt, unter breiter Beteiligung von ist – –. Das wissen Sie alles, all diese Informationen Trägern, Fachkräften, Wissenschaftler*innen und haben wir bereits im Unterausschuss erfahren, ha- Behörden. Ich finde es sehr wichtig, dass all diese ben wir bereits im Jugendhilfeausschuss erfahren. Gruppen hier einbezogen sind. Sie wissen doch, wie weit das ist! (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) (Abgeordnete Ahrens [CDU]: Ja, aber das ist noch nicht fertig, das habe ich deutlich gesagt!) Dieser Bildungsplan ist letztlich nichts anderes als ein Instrument zur Herstellung und Sicherung von Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man mit ei- Qualität. Viel wichtiger als eine externe Evaluation nem Fingerschnippen neue Programme entwickelt. ist aus Sicht der Grünen ein viel früherer Ansatz- So einfach geht das nicht. Sie wollen, dass wir wis- punkt, und zwar die Ermöglichung von Qualität. senschaftlich gut fundierte didaktische Programme Dazu gehören zum Beispiel auch eine sorgfältige entwickeln. Das wollen Sie! Das geht aber nur, Personalauswahl, eine fundierte und qualitativ wenn diese vorher gut wissenschaftlich aufgearbei- hochwertige Ausbildung und Weiterbildungen. tet sind. Ihnen ist wahrscheinlich schon aufgefallen, dass (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) mir im Bereich der Kindertagesbetreuung neben dem Ausbau von Plätzen das Thema Sprachbil- Das Sprachstandsverfahren „Cito-Test“ wird ab dung und Sprachförderung sehr wichtig und eines diesem Jahr bereits durch das evaluierte standardi- meiner zentralen Anliegen ist. sierte Verfahren „Basic“ ergänzt. Darüber gibt es weitere Informationen. Wenden Sie sich doch ein- Hier zum Beispiel voranzukommen und auch Fach- mal an die Träger. Die wissen schon längst Be- kräfte noch fundierter aus- und weiterzubilden, hat scheid. Ich werde in meinem zweiten Redebeitrag für uns absolute Priorität. Grundsätzlich kann ich noch auf einige andere Punkte eingehen, die in das Ansinnen einer externen Evaluation nachvoll- dem Antrag gefordert werden. – Vielen Dank! ziehen, aber ich sage hier ganz deutlich: Im Ver- gleich zu all den anderen Aufgaben, die wir im Be- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) reich der Kindertagesbetreuung bewältigen wollen und bewältigen müssen, die jetzt wichtig sind, ist Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin erhält das es einfach so, dass dieses Ansinnen im Moment Wort die Abgeordnete Frau Dr. Eschen. keine Priorität hat. Sie haben selbst zum Beispiel über Notdienste gesprochen und ich muss feststel- Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- len: Hier hilft keine externe Evaluation. Hier hilft nen): Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegin- es nur, dass wir Fachkräfte gewinnen und halten nen und Kollegen! Die FDP möchte hier eine ex- und dass wir unsere Qualität von Beginn an ermög- terne Evaluation der Kindertagesbetreuung. Inte- lichen. ressant und wichtig dabei ist für mich ehrlich ge- sagt nicht das Thema externe Evaluation, sondern (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) das, was eigentlich dahinter steckt, was hoffentlich dahinter steckt. Nämlich das Ansinnen, eine quali- Abgesehen davon fand ich auch einige Teile des tativ hochwertige Kindertagesbetreuung in Bre- Antrags sehr interessant. Vor allem steht dort ein men anzubieten. Dieses Ziel teilen wir natürlich. Satz, der lautet: „Bremen hat in den letzten Jahren den quantitativen Ausbau in der Betreuungsland- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD, DIE schaft mit großem Nachdruck betrieben.“ Da habe LINKE) ich ehrlich gesagt gedacht: Interessant, Sie haben es doch bemerkt. Denn in den letzten Monaten und Denn selbstverständlich ist es so – darauf können auch diese Woche hörte es sich immer wieder so an, wir uns hier, glaube ich, einigen –, dass bei der Kin- als hätten Sie es nicht gemerkt. Schön aber, dass dertagesbetreuung die Qualität von herausragen- Ihnen aufgefallen ist, dass der quantitative Ausbau der Wichtigkeit ist. Selbstverständlich ist es auch mit Nachdruck betrieben wird. Denn am Dienstag richtig, sich hierbei immer zu hinterfragen und zu in der Stadtbürgerschaftssitzung musste ich mich Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2063

noch für eine ähnliche Aussage als „eloquente Akquise und das Halten von Fachkräften. Wir sind Schmierseife“ betiteln lassen. doch dabei, die Kitas zu sanieren und die Räum- lichkeiten zu verbessern. Das ist eine Dynamik, bei (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) der wir bei Weitem noch nicht am Ende angelangt sind, bei der wir bei Weitem noch lange nicht die Interessant fand ich auch das Anliegen, sich auf Bedarfe gedeckt haben. Insofern, wenn das heute Bundesebene dafür einzusetzen, dass ein externer evaluiert würde, dann wäre das doch morgen schon Evaluationsbedarf zur Qualifizierungssicherung in überholt, liebe Frau Kollegin Bergmann. Einrichtungen zur frühkindlichen Bildung aner- kannt und abgesichert wird. Hierzu würde mich (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) auf jeden Fall interessieren, wieso Sie meinen, dass der Bund für solch eine externe Evaluation zustän- Jenseits von dieser konkreten Ebene, auch auf der dig sein könnte und sie finanzieren sollte. Hier konzeptuellen Ebene – Frau Kollegin Ahrens hat bleibt der Antrag komplett offen – ein weiterer schon darauf hingewiesen – wird der Bildungsplan Grund, dazu „nein“ zu sagen. 0-10 aufgestellt. Wer sich einmal die Mühe ge- macht hat, die Unterlagen dazu anzuschauen, der Noch zu dem, Frau Ahrens, was Sie angesprochen oder die hat dann vielleicht festgestellt, dass dieser haben: Sie haben die Hoffnung geäußert, dass Prozess von einem Beirat und einem wissenschaft- durch eine externe Evaluation von Kitas zum Bei- lichen Konsortium begleitet wird. Es ist also nicht spiel Armut zu bekämpfen ist. Das ist natürlich ein so, dass keine wissenschaftliche Expertise zu die- hehrer Wunsch. Ich glaube, dass traut dem Instru- sem Bereich, zu pädagogischen Konzepten, zu di- ment aber etwas zu viel zu. – Vielen Dank für die daktischen Inhalten und Methodiken hinzugezo- Aufmerksamkeit. gen wird. Wer das ausblendet, liebe Frau Kollegin Bergmann, der kommt dann zu so einem Antrag. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Ich würde Ihnen empfehlen, sich da noch einmal Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das mit dem Prozess der Aufstellung des Bildungsplans Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis. 0-10 vertraut zu machen. Da kann man vielleicht auch mit dem einen oder anderen Akteur, von de- Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Herr Präsi- nen es eine breite Beteiligung gibt, sprechen. dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Berg- Wenn Sie schon uns nicht glauben, dann fragen o- mann, Sie haben in Ihrer Rede antizipiert, wir von der erkundigen Sie sich dort gern. Dieser Antrag der Koalition würden sagen, das hätten wir nicht, kommt zur Unzeit. Er ist absolut überflüssig und das bräuchten wir nicht oder das hätten wir schon. wir lehnen ihn ab. – Danke schön! Ehrlich gesagt, ich fühle mich ein bisschen unter- schätzt, denn aus meiner Sicht haben Sie das (Beifall DIE LINKE) Thema schlicht verfehlt. In der Schule hätte man dafür, glaube ich, eine sechs bekommen, in mei- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin erhält das nem Studium war das jedenfalls so. Wort die Abgeordnete Frau Krümpfer.

Dieser Antrag kommt definitiv zur Unzeit, meine Abgeordnete Krümpfer (SPD): Herr Präsident, Kolleginnen Frau Krümpfer und Frau Dr. Eschen liebe Kollegen! Ich möchte noch einmal deutlich haben das schon deutlich gemacht. Ich glaube, Sie machen, dass wir bereits alle erforderlichen liegen einfach schlicht daneben, was die derzeit Schritte zur Verbesserung und zur Absicherung der bestehenden Anforderungen an die Kitalandschaft Qualität der Kitas in die Wege geleitet haben und in Bremen und Bremerhaven angeht. Ich glaube, halten ihre Forderungen nach zusätzlicher externer Sie machen den 50. Schritt vor dem ersten und ich Evaluation auch nicht für zielführend. Sie bedeutet glaube, würden wir das tun, was Sie vorschlagen, eine hohe zusätzliche Arbeitsbelastung für die Ein- wäre damit niemandem geholfen. richtungen, ihre Leitungen und Mitarbeiter*innen, die wir doch gerade in diesem Zusammenhang Was Sie ja anerkennen und was Sie sehen, ist doch, beim Ausbau entlasten wollen. Gerade im Sinne wir haben es derzeit mit einer weiterhin sehr dyna- von mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung mischen Entwicklung in der Kitalandschaft in Bre- und Betreuung, sollten wir doch darauf Rücksicht men zu tun. Wir sind doch noch nicht mit dem Aus- nehmen. Ich weiß auch, dass bereits viele Träger bau fertig. Wir bauen weiter Kitas, wir genehmigen eigene Qualitätsstandards entwickelt haben, diese weitere Kitas. Wir ringen um Fachkräfte, um die auch entwickeln und sich zertifizieren lassen. Es ist 2064 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

ja nicht so, dass Qualitätsüberprüfung überhaupt jetzt noch einmal ganz einfach: Sie ziehen den In- nicht stattfinden würde. dex-Kitas in der Fläche 6,3 Millionen Euro aus der Tasche, um das Finanzloch der Inklusion zu schlie- Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch ßen, und geben Ihnen auf der anderen Seite ein einmal darauf aufmerksam machen, dass die Trä- paar Brosamen zurück, für die Sie sich dann auch ger durch die Zuwendung auch an einen bestimm- noch großartig feiern. In Wirklichkeit ist das Fi- ten Qualitätsstandard gebunden sind. Das heißt, sie nanzloch aber immer noch vorhanden, und zwar in müssen den zurzeit noch vorhandenen Rahmen- den Index-Kitas – und das, meine Damen und Her- plan für Bildung und Erziehung umsetzen, sie müs- ren, ist absolut unsozial! sen bestimmte Raumstandards erfüllen, sie müssen bestimmte pädagogische Inhalte vermitteln. All (Abgeordnete Krümpfer [SPD]: Das stimmt doch diese Sachen sind auch mit den Zuwendungen in nicht!) Einklang zu bringen. So ist es jedenfalls. Doch, das stimmt. Das haben wir im Unteraus- Ich möchte noch einmal ganz zum Schluss deutlich schuss gehabt, das haben wir im Betriebsausschuss machen, dass ich fest davon überzeugt bin, dass von KiTa Bremen gehabt. Dafür gibt es schriftliche das Personal, das zurzeit in der Verwaltung für all Unterlagen, ich kann Ihnen diese gern noch einmal die verschiedenen Stränge der Ausbauplanung zur heraussuchen. Sie waren zu der Zeit Mitglied des Fachkräfteentwicklung und zur Qualitätsentwick- Betriebsausschusses, Sie mussten das zur Kenntnis lung – hiermit meine ich auch den Bildungsplan –, nehmen. Ansonsten empfehle ich Ihnen ein ent- und in vielen anderen Sequenzen arbeitet, sehr en- sprechendes Gespräch mit den Kollegen von den gagiert ist. Aus meiner Sicht sind sie auch ausge- Grünen aus dem Betriebsausschuss; die haben lastet, sodass ich im Augenblick dort auch keine nämlich dazu auch einige Nachfragen eingebracht. Kapazitäten sehe, dass das vorhandene Personal Die haben es immerhin erkannt, anerkannt, und noch zusätzliche Aufgaben übernehmen kann. wollen etwas verbessern. Dass es nicht verbessert wird, scheint ja an der SPD zu liegen, meine Damen Ich finde, um ständige Forderungen zu formulie- und Herren! ren, sollten Sie sich doch vielleicht darauf besinnen zu schauen und vielleicht auch einmal mit Trägern (Beifall CDU, FDP) intensiver in das Gespräch zu kommen, welche Qualitätsverbesserungen sie auch tatsächlich wün- Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es macht mich wü- schen. tend, wenn ich zur Kenntnis nehmen muss, dass die Armutsgefährdungsquote im Lande Bremen seit Wir lehnen den Antrag der FDP ab und wünschen dem Jahr 2005 von 19,1 auf 24,9 Prozent gestiegen uns eigentlich, dass diese Themen im Unteraus- ist. Es macht mich wütend, wenn ich feststelle, dass schuss sowie auch im Jugendhilfeausschuss auch wir insbesondere in den Stadtteilen, die die meis- konstruktiv behandelt werden können. – Vielen ten Herausforderungen in diesem Stadtgebiet und Dank für die Aufmerksamkeit! auch im Lande Bremen zu bewältigen haben, im- mer noch die größte aufholende Entwicklung ha- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) ben, die wir benötigen. Es macht mich wütend, wenn in Ihrem Bereich, in dem Sie sogar wohnen, Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das in Gröpelingen, die entsprechenden Kitas schon im Wort die Abgeordnete Frau Ahrens. Jahr 2013 Hilferufe absetzen, die an Deutlichkeit nicht zu überbieten sind. Und was kommt als Ant- Abgeordnete Ahrens (CDU): Herr Präsident, meine wort? Ein paar Brosamen. Und dann wollen Sie sich Damen und Herren! Zum Thema „konstruktiv“ dafür auch noch feiern. Das macht mich wütend! sollte man nicht mit dem Finger auf andere zeigen, Frau Krümpfer: Das, was Sie hier abgeliefert ha- (Beifall CDU) ben, zeigt mit drei Fingern auf Sie zurück. Ganz ehrlich: Mir fehlen dazu langsam die Worte. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – jetzt werde ich auch wieder etwas weniger emotional, um mich damit (Beifall CDU, FDP) auch weiter sachgerecht auseinandersetzen zu können –, liebe Frau Dr. Eschen: Sie haben gesagt, Ich glaube, liebe Frau Krümpfer, Sie haben es im- dass Sie dem Instrument der externen Evaluation mer noch nicht verstanden. Ich erkläre es Ihnen die Armutsbekämpfung nicht zutrauen, dass es die Lage nicht verbessern kann. Das stimmt nicht, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2065

schauen Sie nach Hamburg! Hamburg hat bewie- war. Die ganzen anderen Bereiche, in denen auch sen, dass es wirkt. Die haben sich auf den Weg ge- regelhaft Erzieherinnen und Erzieher gesucht wer- macht und eine externe Evaluation des ersten Bau- den, nämlich im ganzen Bereich Soziales, im Be- steins des Bereiches Bildung, der frühkindlichen reich der Behindertenhilfe, im Bereich der Jugend- Bildung, vorgenommen. Die haben eine externe hilfe, in dem ebenfalls bei der Inobhutnahme et Evaluation – was wir immer noch in Bremen mit cetera regelhaft Erzieherinnen und Erzieher ge- dem Qualitätsinstitut versuchen, umzusetzen – im braucht werden – diese ganzen Bedarfe sind immer Bereich der allgemeinbildenden Schulen auf den noch nicht vernünftig aufgefasst, zusammengefasst Weg gebracht und es trägt Früchte! Hamburg ver- und mit eingerechnet worden. Insofern wissen wir bessert sich in allen Bildungsstudien, Hamburg schon heute: Auf das Fundament dieser Vorlage verbessert sich bei den Kindern aus den besonde- baue ich kein Haus, denn das würde einstürzen, ren Armutslagen, bei denen mit Migrationshinter- meine Damen und Herren. Das hat die Senatorin in grund – alle diese Kinder, die wir hier in Bremen der Deputation für Bildung zugegeben. nicht erreichen, erreichen die Hamburger, meine Damen und Herren. Die erzielen bessere Bildungs- Und jetzt würde ich gern einmal ein paar Fragen ergebnisse als vorher, was bedeutet: Externe Eva- beantwortet haben, wenn Sie sich hier hinstellen luation wirkt. und sagen: Externe Evaluation ist doof. – Danke schön! Ich würde gern von Ihnen ein paar Fragen beant- wortet haben, wenn Sie das hier so pauschal ableh- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat die Ab- nen. Wie wollen Sie denn die voranschreitende so- geordnete Frau Leonidakis das Wort. ziale Spaltung in diesem Bundesland aufhalten? Wie wollen Sie die bundesweit am stärksten gestie- Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Herr Präsi- gene Armutsgefährdungsquote senken? Wie wol- dent, das hat mich doch dazu gebracht, mich noch len Sie, wenn der Bereich der frühkindlichen Bil- einmal zu melden. Frau Kollegin Ahrens, wir sind dung nicht evaluiert wird, die Qualität tatsächlich uns ja darin einig, dass wir eine inklusive frühkind- verbessern? Wird hinterher der Bildungsrahmen- liche Bildung brauchen. Mit Inklusion meine ich plan einerseits in der Umsetzung verbindlich sein nicht nur die Aufnahme von Kindern mit Behinde- und werden andererseits – da sind wir wieder bei rung und die entsprechende Betreuung und Beglei- Ihnen und da sind wir hier im Parlament Haushalts- tung, sondern ich meine mit inklusiver frühkindli- gesetzgeber – die notwendigen finanziellen Res- cher Bildung die bedarfsgerechte Versorgung von sourcen auch tatsächlich zur Verfügung gestellt? allen Kindern, von armen Kindern, von Kindern mit Das sind doch die Fragen, die uns hier umtreiben, Migrationshintergrund, von Kindern mit Sprachför- denn ohne Geld kann man nicht viel machen. Das derbedarf oder mit anderen Förderbedarfen. weiß jeder! Doch glauben Sie wirklich, Frau Kollegin Ahrens, Wenn ich diese Möglichkeiten nicht habe, das Per- und da komme ich zum Dissens, glauben Sie wirk- sonal nicht habe, dann kann ich hinterher zwar ein lich, dass das mit einer externen Evaluation ge- hehres Bildungsrahmenkonzept mit ganz viel wis- währleistet ist? Ich glaube, das ist im Moment nicht senschaftlicher Begleitung als Brimborium auf die die Antwort der Zeit. Im Gegenteil, ich glaube, dass eine Seite stellen, aber in der Praxis kommt es wei- uns, wenn man das jetzt machen würde, die Erzie- terhin nicht an, weil die Kolleginnen mit der Basis- herinnen und Erzieher, die mit einem extrem ho- arbeit, mit dem Wickeln, mit den Kindern, denen hen Engagement und einer extrem hohen Fachlich- sie grundsätzliche Sprachkenntnisse vermitteln et keit und einer extrem hohen Qualifikation, mit cetera, so dermaßen in ihrer Arbeit gebunden sind, fünfjähriger Ausbildung, den Finger zeigen wür- dass sie zu den anderen Bereichen gar nicht mehr den, wenn sie jetzt auch noch damit beschäftigt kommen können. Dafür müssen wir sie ertüchti- werden, sich die Zeit mit Evaluator*innen um die gen! Damit meine ich jetzt nicht die 545- Fortbil- Ohren zu schlagen. Sie haben wirklich Besseres zu dung, sondern Kolleginnen und Kollegen, die sie in tun und sie leisten jede Stunde in den Stadtteilen der Arbeit mit den Kindern unterstützen. eine extrem gute Arbeit.

Auch im Bereich des Fachkräftemangels musste Ich glaube, dass dieser Antrag ein wirkliches Miss- die Senatorin ja selbst zugeben, dass in dem ent- trauen gegenüber der fachlich extrem hochwerti- sprechenden Papier, das in der Deputation für Bil- gen Arbeit, die in allen Kitas in dieser Stadtge- dung vorgelegt wurde, nur der kleine Teilbereich meinde geleistet wird, signalisieren würde. Ich frühkindliche Bildung und etwas Schule enthalten 2066 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

glaube, das ist genau das letzte, was die Kitas ge- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das rade in den Stadtteilen brauchen. Deswegen, beim Wort die Abgeordnete Frau Bergmann. Ziel sind wir uns einig, ist der erste Schritt, alle Kin- der zu versorgen. Die Kinder werden ja bereits gut Bitte lassen Sie nächstes Mal die Maske auf, bis Sie versorgt, wir haben eine gute Betreuungsrelation, am Rednerpult sind. Danke! gerade im U3-Bereich. Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrter Herr (Abgeordnete Ahrens [CDU]: 29 Prozent im Bun- Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her- desdurchschnitt!) ren! Nach diesen rhetorischen Feuerwerken wie- derhole ich gern, dass dort, wo diese externen Eva- Im bundesweiten Vergleich steht Bremen im U3- luationen stattgefunden haben, die Reaktion eine Bereich sehr gut da. sehr hohe Zufriedenheit der Erzieherteams nach sich gezogen hat, weil sie jetzt endlich die Bedin- Wir haben aber auch weitere qualitative Anforde- gungen hatten, die sie sich selbst gewünscht ha- rungen an uns. Das stellt in diesem Raum auch nie- ben, um gute Arbeit machen zu können. mand in Abrede, dass es bei der Inklusion und bei der Index-Personalausstattung, bei der Sprachför- Im Übrigen, machen Sie sich keine Gedanken dar- derung noch weitere Anforderungen gibt. Das stellt über, dass ich nicht in Berührung mit der Fachwelt niemand in Abrede, niemand! Doch wie ich bereits wäre. Die Fachwelt ist informiert, dass heute debat- gesagt habe, sind wir in einem sehr dynamischen tiert wird und sitzt an den Bildschirmen und ist sehr Zeitraum mit einer großen Entwicklung und jedes gespannt, wie das hier heute ausgeht. Jahr sehr großen Entwicklungsschritten. Es ergibt einfach keinen Sinn, jetzt die Ressourcen der Fach- Bremen hat mit dem Institut für Qualitätsentwick- kräfte für Dinge zu binden – diese Ressourcen wer- lung, dem IQHB, grundsätzlich eine gute Entschei- den im Moment wirklich für andere Dinge benötigt dung getroffen. Evaluation von Qualität ist für –, bei denen der Erkenntnisgewinn zu diesem Zeit- Schulen nötig. Ich halte es für folgelogisch, für den punkt fast gleich null wäre, denn wir haben eine frühkindlichen Bereich entsprechend nachzuzie- dynamische Entwicklung, wir sind im quantitativen hen. Unser Bremer Betreuungssystem ist nämlich und qualitativen Ausbau. komplexer und unsere Trägerlandschaft ist vielfäl- tiger geworden. Der Prozentsatz an Kindern mit Es ergibt einfach keinen Sinn, jetzt damit die Res- Sprachförderbedarf steigt unentwegt, deswegen ist sourcen zu binden. Ich muss einfach sagen, im Mo- es wichtig, dass frühkindliche Bildung einen steti- ment wäre das ein Signal des Misstrauens. Wenn gen Verbesserungsprozess durchläuft. ich mir auch den Wortlaut des Antrags anschaue, in dem steht, es brauche eine kritische Revision, Insiderwissen ist in unserem Bildungsplan 0-10 nie- dann gehen Sie damit einmal in eine Kita und zei- dergelegt und es ist gut, sage ich noch einmal, dass gen Sie das einer Erzieherin. Ich glaube, die wäre wir die interne Evaluation haben. Wenn man aller- nicht begeistert. Ich glaube, die wäre auch nicht dings die interne mit der externen Evaluation kom- begeistert davon, sich jetzt im Moment evaluieren biniert, also eine partizipative Evaluation auf den zu lassen, weil alle genau wissen: Wir sind in einer Weg bringt, dann kann man die Stärken beider Ausbauphase, qualitativ wie quantitativ. Es ergibt Verfahren nutzen. Insiderwissen wird dann durch im Moment einfach keinen Sinn. Unabhängigkeit, Objektivität und breite Metho- denkompetenz ergänzt. (Beifall DIE LINKE, SPD) (Beifall FDP) Ihr Antrag signalisiert Misstrauen, Ihr Antrag sig- nalisiert auch so ein Verständnis einer „Verbertels- Wenn wir uns mit dem Begriff Bildungsqualität, mannisierung“, wenn man jetzt nur evaluiert, dann also damit, was gute Bildung eigentlich ist, be- wird alles gut. Ich glaube, das ist nicht die richtige schäftigen, dann ist doch klar, der Begriff kann Antwort auf die Fragen dieser Zeit in der Kita- nicht parallel und beliebig, wie es vorhin schon ge- Landschaft, weder qualitativ noch quantitativ. – sagt wurde, von Trägern, politisch Verantwortli- Danke schön! chen, der Behörde oder gar privaten Betreibern de- finiert werden. Cito zum Beispiel hat mit Qualität (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) nichts zu tun. Wir brauchen eine wissenschaftlich begründete, zuverlässige und stringente Qualitäts- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2067

bewertung. Interne Reflexionen und Qualitätsana- samtprozess der externen Evaluation und führt be- lysen auf der Basis einer externen Evaluation bil- gleitend wissenschaftliche Untersuchungen zu den den dafür die Grundlage. Praxiserfahrungen mit der externen Evaluation durch. Unser Kita-Personal kommt auf immer mehr Aus- bildungswegen in die Einrichtungen und zuneh- Als FDP-Fraktion sind wir der Meinung, dass ge- mend werden die Kita-Teams auch multiprofessio- nau das das fehlende Stück ist, das uns in der früh- nell zusammengestellt sein. Umso wichtiger ist es, kindlichen Bildung in Bremen fehlt. Denn, wer dass in den kommenden Jahren eine evaluierte lange in einem Raum sitzt, der riecht einfach nicht Qualitätsdefinition folgt. Wir wissen nicht, wie wir mehr, ob es duftet oder stinkt. Wer von außen zu Zeiten von Dauernotbetreuung oder auch im kommt, hat durch veränderte Perspektive eine wa- Angesicht der aktuellen Pandemielage in puncto chere Wahrnehmung. Diese Wahrheit der externen Bildungsqualität dastehen. Deswegen ist genau Evaluation täte Bremen gut. Wir würden diesen jetzt der richtige Zeitpunkt, mit externer Evaluation Antrag heute sehr gern mit Ihrer Unterstützung be- ein Qualitätsmessinstrument für Bremen und Bre- schließen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! merhaven zu etablieren, (Beifall FDP) (Beifall FDP) Präsident Imhoff: Ich habe gesehen, dass Frau Se- das uns träger- und konzeptunabhängig eine Rück- natorin Dr. Bogedan auch gern zu diesem Antrag meldung über die Umsetzung des Bremer Bil- sprechen möchte. Sie hat jetzt das Wort – bitte sehr! dungsplans für Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren bieten kann. Senatorin Dr. Bogedan: Sehr geehrter Herr Präsi- dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich Das Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung bin ehrlich gesagt ein bisschen froh über den letz- evaluiert Berliner Kitas in einem Rhythmus von ten Beitrag, denn zwischendrin wähnte ich mich fünf Jahren durch einen von der Senatsverwaltung kurz in der falschen Veranstaltung. Nur kurz zur für Bildung, Jugend und Wissenschaft anerkannten Vergewisserung: Wir sind im Landtag und nicht in Anbieter für externe Evaluation zum Berliner Bil- der Stadtbürgerschaft und ich werde jetzt in meiner dungsprogramm. So heißt dieses Ding. Die Evalua- Rolle auch als die für das Land Zuständige reden, tion ist für jeden öffentlich geförderten Träger ver- das ist deshalb so wichtig, weil viele Dinge hier ge- pflichtend und orientiert sich am Berliner Bildungs- rade sehr intensiv und sehr emotional diskutiert programm für Kitas und Kindertagespflege. worden sind, die allein kommunale Angelegenheit sind. Dabei erhalten die Kindertagesstätten eine fachlich begründete Fremdeinschätzung über ihre pädago- Trotz alledem glaube ich, teilt uns oder verbindet gische Arbeit, Aussagen zur Arbeit mit den Kin- uns hier die Einschätzung darüber, dass die früh- dern, zur Kooperation mit dem Team, zur Gestal- kindliche Bildung der Schlüssel für eine gute Teil- tung der Zusammenarbeit mit den Eltern. Für die habe ist. Die erste Voraussetzung, um diesen Einschätzung werden Träger, Kita-Leitung, ein- Schlüssel für gute Teilhabe zu organisieren, ist zelne Erzieherinnen und Erzieher und Eltern be- überhaupt erst einmal der Zugang zu frühkindli- fragt, Räume und Materialien bewertet und auch cher Bildung. Da ist klar, die Anstrengungen in bei- die Interaktion von Erzieherinnen und Kindern be- den Stadtgemeinden für den Ausbau der Kinderta- obachtet. Im Feedbackgespräch werden Stärken gesbetreuung sind immens. Wir befinden uns in und Schwächen reflektiert und konkrete Empfeh- diesem Haushaltsjahr auch das erste Mal in der lungen für die kontinuierliche Entwicklung von pä- Lage, das, dass wir mit einem Landesprogramm dagogischer Qualität der Einrichtung weitergege- auch die beiden Stadtgemeinden bei diesen Aus- ben. bauanstrengungen unterstützen werden.

Nur anerkannte Anbieter dürfen solche Evaluatio- Das Zweite ist, und darüber ist ja jetzt intensiv be- nen durchführen. Sie müssen nachweisen, dass sie ratschlagt worden, dass natürlich, wenn frühkindli- die Perspektiven der Trägervertretung, der Kita- che Bildung der Schlüssel zu guter Teilhabe sein Leitung, der Erzieherinnen, der Einrichtung und soll, dass auch voraussetzt, dass eine qualitativ der Eltern in ihrer Arbeit berücksichtigen. Das Ber- hochwertige frühkindliche Bildung angeboten liner Kita-Institut koordiniert und steuert den Ge- wird, die auch bestimmten Qualitätsstandards ge- recht wird. 2068 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

(Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) Frau Stahmann begonnen hatte, über die Entwick- lung von Qualitätsversprechen, die damals festge- Darüber besteht überhaupt kein Zweifel und es ist schrieben worden sind und die sich aktuell in einer deshalb auch zweifelsfrei so, dass ein Kita-TÜV, Überarbeitung befinden. Auch diese Überarbei- wie ihn Frau Ahrens gefordert hat, aus meiner Sicht tung wird wissenschaftlich extern – Sie haben es allein da schon besteht, weil ich den TÜV immer als gesagt, den Blick von außen, den braucht man, um etwas verstanden habe, zumindest wenn ich das sich weiterentwickeln zu können –, nämlich mit mit dem Auto vergleiche, das es mir erlaubt, über- Frau Dr. Preissing vom Berliner Kita-Institut für haupt mit dem Auto auf der Straße zu fahren. Die- Qualitätsentwicklung und Frau Prof. Viernickel sen Kita-TÜV, den gibt es lange, denn es darf nicht vom Lehrstuhl für Pädagogik der Frühen Kindheit irgendwer eine Kita betreiben, sondern selbstver- der Universität Leipzig begleitet. Das heißt, wir ha- ständlich ist das genehmigungsbedürftig. Es wird ben einen Prozess, wir befinden uns für beide auch nach kritischen Kriterien überprüft, wer eine Stadtgemeinden mitten in diesem Prozess, diese Kita im Bundesland Bremen betreiben darf. Das Qualitätsversprechen auch wieder zu erneuern. wissen wir auch, denn wir haben den einen oder anderen schmerzhaften Prozess in den letzten Jah- Es ist aber auch richtig, was die Kollegin Frau Le- ren hinter uns gebracht, wo wir dann auch Be- onidakis gesagt hat, dass wir natürlich auch triebserlaubnisse entziehen mussten. schauen müssen, wohin an welcher Stelle aktuell auch welche Kraft fließt. Wenn ich vorhin gesagt (Zuruf Abgeordnete Ahrens [CDU]) habe, dass frühkindliche Bildung der Schlüssel zu guter Teilhabe ist, dann geht es an erster Stelle da- Ich sage ja nur, was ich unter TÜV verstehe. Diese rum, dass die Kraft dahin fließen muss, dass wir Art TÜV haben wir und das finde ich wichtig, das überhaupt erst den Zugang ermöglichen, und an festzuhalten. Es darf nicht einfach jeder eine Kita zweiter Stelle darum, dass die Kraft dahin fließen betreiben, sondern wir legen da hohe Standards an, muss, zu sagen, wir brauchen gute Kitas. die sind bundesgesetzlich und die sind natürlich auch landesgesetzlich festgelegt. Deshalb ist das Gute Kitas sind auch deshalb ein wichtiges Anlie- ein ganz wichtiger Qualitätsgrundsatz, der am An- gen, weil wir auch durch mehrere Bundespro- fang steht. gramme Unterstützung in einem regelmäßigen Evaluationsprozess haben. Bremen setzt die Mitar- Klar ist aber auch, Qualität ist ein Prozess, der nie beit auch in den wissenschaftlich begleiteten Pro- fertig sein wird. Deshalb ist auch unser Bildungs- jekten, nämlich zum Bundesprogramm „Frühe rahmenplan einer, den wir gerade in einem partizi- Chancen“ fort. Auch in den Programmen „Sprach- pativen Prozess und vor allem in einem zyklischen Kitas“ und „Kita-Einstieg“ sind wir in bundeswei- Prozess organisieren, in dem das Erarbeitete immer ten Netzwerken, die wiederum wissenschaftlich wieder überprüft wird und auf den Tisch kommt, begleitet werden. Von dieser wissenschaftlichen wissenschaftlich beraten, evaluiert und in der Pra- Begleitung und Überprüfung erwarten wir für uns xis eingesetzt, dann wieder evaluiert und beraten natürlich auch Hinweise darauf, wie wir grundsätz- wird. Eigentlich genau das, was, aus meiner Sicht lich in unserer Arbeit weiter voranschreiten wollen. der Antrag der FDP fordert, nämlich immer wieder sich selbst zu überprüfen. Das heißt, Qualitätsüber- Deshalb ist die Maßnahme, die wir gemeinsam ver- prüfungen zu einem stetigen Prozess zu machen abredet haben und die, meines Wissens nach, auch und nicht einmal mit der Zulassung zu sagen, ja, schon im Landesjugendhilfeausschuss diskutiert wir haben die Qualität überprüft und deshalb darf worden ist, nämlich eine Standardisierung auch im diese Kita betrieben werden, sondern sich in einen Hinblick auf die Sprachförderung dadurch sicher- kontinuierlichen Prozess zu begeben. zustellen, dass wir eine verbindliche Einführung des Instruments BASIC für begleitende alltagsinte- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) grierte Sprachentwicklungsberatung durchführen. Auch dies wird wiederum von Frau Prof. Dr. Re- Unsere Kita starten wir ja auch nicht bei null. Viele nate Zimmer, der Professorin für Frühe Kindheit an Kitas haben für sich eigene Qualitätsmanagement- der Universität Osnabrück wissenschaftlich beglei- systeme entwickelt. Bremerhaven hat als Stadtge- tet. meinde verbindliche Standards festgelegt. Und wir haben auch einen regen, wissenschaftlich begleite- Den letzten Punkt haben wir gerade erst in der letz- ten Prozess gehabt, der bereits unter der Kollegin ten Deputationssitzung beraten, dass wir mit einer Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2069

Weiterentwicklung des Konzeptes der Familien- tatsächlich überall wirksam wird. Das ist ja die zentren eine bessere Verzahnung der Kindertages- nächste Stufe einer guten Qualitätsentwicklung. förderung mit Aktivitäten und Bedarfen anderer Darüber haben wir aber auch gestern schon breit Akteure im Sozialraum unternehmen. Das findet im im Rahmen der Diskussion zum IQHB diskutiert. – Moment zwar ausschließlich in Einrichtungen der Vielen Dank! Stadtgemeinde Bremen statt, der Ansatz ist aber bei uns im Haus so verankert, dass das, was dort (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) erarbeitet wird, nachher auch in die gemeinsame Qualitätsentwicklung für das gesamte Bundesland Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- einfließen soll. gen liegen nicht vor.

Ich habe es vorhin gesagt: Qualität ist ein stetiger Die Beratung ist geschlossen. Prozess. Deshalb haben wir bestimmte Qualitäts- versprechen, darunter auch eine Überprüfung von Wir kommen zur Abstimmung. außen, auch im Rahmen unserer Bemühungen im Kontext des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbe- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. treuung, das Gute-KiTa-Gesetz des Bundes, ge- macht. Wir haben uns hier mit allen anderen Bun- (Dafür CDU, FDP) desländern zu einer gesetzlichen Umsetzung der Qualitätsstandards verpflichtet. Das haben wir Ich bitte um die Gegenprobe. auch noch einmal im Koalitionsvertrag festge- schrieben. Das haben wir bei den Haushaltsbera- (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE tungen berücksichtigt und das steht dann auch zur LINKE) Umsetzung und zur Überprüfung an, Empfehlun- gen für eine qualitätsunterstützte Finanzierungs- Stimmenthaltungen? systematik zu geben und ein Qualitätsmonitoring- system aufzubauen, das auch über den Bund weiter (Abgeordneter Beck [AfD]) flankiert wird, weil wir dorthin regelmäßig berich- ten müssen. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab. Über die Fortschritte zum Gute-KiTa-Gesetz haben wir regelmäßig in der Deputation berichtet, sodass Keine Anrechnung von Elterngeld und Kinder- eigentlich allen hier im Haus, die sich für die früh- geld: Soziale Gerechtigkeit für Eltern im Bezug kindliche Bildung intensiv interessieren, bekannt von SGB II-, SGB XII- und AsylbLG-Leistungen sein dürfte, dass wir zwar den Ausbau als die schaffen! oberste Priorität haben, aber das nicht auf der Basis Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und tun, dass wir die Qualität vernachlässigen, sondern Bündnis 90/Die Grünen uns gleichzeitig bemühen, hohe qualitative Stan- vom 19. Juni 2020 dards im Ausbau sicherzustellen. So bei der Zulas- (Drucksache 20/451) sung von Einrichtungen, bei den Standards, die wir in der Einrichtung anlegen, aber gleichzeitig arbei- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin ten wir auch daran, dass das, was dann an pädago- Stahmann. gischen Inhalten, an didaktischer Arbeit in der Kita tatsächlich stattfindet, entsprechend überprüft, be- Die Beratung ist eröffnet. gleitet und wissenschaftlich evaluiert wird. Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Insofern ist der Antrag, aus meiner Sicht, deshalb Frau Leonidakis. abzulehnen, weil ich sagen würde: Das tun wir be- reits alles, das ist implementiert, das wird durchge- Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Frau Präsi- führt. Wir haben die renommierten wissenschaftli- dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kom- chen Kolleg*innen an unserer Seite und insofern, men zu einem Antrag, der auf die Bundesebene ab- glaube ich, brauchen wir nicht noch ein weiteres zielt. Vor gut 15 Jahren gab es einen sehr wichtigen Instrument, das wir daneben legen, sondern sollten familienpolitischen Zeitraum, in dem sich auf sozi- das zur Kenntnis nehmen, was wir haben. Dann alpolitischer Ebene das vollzogen, was sich gesell- geht es darum sicherzustellen, dass es dann auch schaftlich längst ergeben hatte, nämlich der 2070 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Wunsch von Eltern, sich Erwerbs- und Familienar- BEEG finanziert, indem Familien im Leistungsbe- beit gleichberechtigter zu teilen und Väter aktiver zug kein Elterngeld mehr erhielten. Zweitens sind an der Betreuung ihrer Kinder zu beteiligen. durch die Erhöhung des Elterngeldes die Gewinner Familien mit mittlerem und höherem Einkommen, Das wurde erstens gefördert durch das Bundesel- wohingegen von Erwerbslosigkeit betroffene Fa- terngeld- und Elternzeitgesetz, das den vorherigen milien, also genau jene Familien, die besonders von Erziehungsurlaub und das Elterngeld ersetzte. staatlicher Unterstützung abhängig sind, die Ver- Zweitens wurde es vollzogen durch den U3-Betreu- lierer sind. Diese soziale Ungerechtigkeit muss aus ungsrechtsanspruch und den damit einhergehen- unserer Sicht beendet werden. den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Insofern war die Entscheidung, das Elterngeld in Höhe von (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) 67 Prozent auszuzahlen, quasi in Form einer Lohn- ersatzleistung, berechnet auf Basis des vorherigen Das lässt sich auch inhaltlich gut argumentieren. Lohneinkommens, auch der richtige Anreiz. Wenn man sich die Argumente anschaut, die für Dadurch konnten sich die Eltern unabhängig vom die derzeitige Regelung angebracht werden, dann jeweiligen Einkommen für die partnerschaftliche sieht man, dass argumentiert wird, dass das Eltern- Aufteilung der Elternzeit entscheiden – in der The- geld auf Sozialleistungen angerechnet wird, weil es orie. als Lohnersatzleistung konzipiert sei und somit vor allem Menschen mit Erwerbseinkommen zustünde. In der Praxis hat das nur begrenzt funktioniert, weil Dieses Argument trägt aber nicht, wenn man sich der Anreiz bestehen bleibt, dass das niedrigere vor Augen führt, dass auch Kindergeld, das eben Einkommen – meistens das der Frau – dazu verlei- keine Lohnersatzleistung ist, auch auf das Eltern- tet, länger in Elternzeit zu gehen, weil dadurch die geld angerechnet wird. Wir sehen also, dass die Ar- finanzielle Einbuße geringer ist und somit die Ver- gumentation nicht stringent ist und wir sehen, dass teilungswirkung zwischen den Geschlechtern nicht Familien im Leistungsbezug im Vergleich zu ande- den Ansprüchen, die damals erhoben wurden, er- ren Familien schlechter gestellt werden. Das ist füllt wurde. Diese Debatte, die Debatte der Ge- kein Naturgesetz. Das wird allein dadurch deutlich, schlechtergerechtigkeit ist aber separat zu führen. dass das noch nicht immer so war, sondern von Schwarz-Gelb so eingeführt wurde. Der jetzt vorliegende Antrag greift die Verteilungs- wirkung zwischen arm und reich auf. Das Eltern- Dafür gibt es keine logische Notwendigkeit, im Ge- geld sollte ja gerade gut ausgebildeten und gut ver- genteil, die stärkere Unterstützung insbesondere dienenden Paaren bessere Vereinbarkeit von Fa- der ärmsten Familien wäre logisch und geboten. milie und Beruf ermöglichen. Diese Zielsetzung ist Die Unterstützung des Kinder- und Elterngeldes überhaupt nicht per se falsch. Sie wurde jedoch auf wurde leistungsbeziehenden Familien weggenom- Kosten einer sozialen Schieflage verfolgt, denn bis men durch die Novelle der schwarz-gelben Bun- heute wird das Elterngeld auf dem Rücken von ein- desregierung und diese soziale Ungerechtigkeit kommensarmen Eltern finanziert. Bei der Einfüh- wollen wir beenden, liebe Kolleginnen und Kolle- rung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgeset- gen. Deswegen bitte ich um Zustimmung für unse- zes, BEEG, erfolgte eine Umverteilung von unten ren Antrag. – Danke schön! nach oben. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Während es das vorangegangene Erziehungsgeld noch als Pauschale von 300 Euro für 24 Monate für Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin alle Eltern gab, wurden Eltern im Bezug von Sozi- erhält das Wort die Abgeordnete Frau Görgü-Phi- alleistungen nach und nach von dem darauffolgen- lipp. dem Elterngeld ausgeschlossen. Der Bezugszeit- raum reduzierte sich zunächst auf 12 Monate und Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- schließlich führte die schwarz-gelbe Regierungsko- nen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kol- alition in einer Novelle die Änderung ein, dass das leg*innen! Es ist untragbar, dass Familien mit Kin- Elterngeld vollständig auf Sozialleistungen, wie dern, die Sozialleistungen beziehen, gegenüber ALG II oder Leistungen nach dem Asylbewerber- anderen Familien immer noch schlechter gestellt leistungsgesetz angerechnet wird. werden. Die Anrechnung von Eltern- und Kinder- geld auf die Sozialleistungen als Einkommen war Unter dem Strich muss man also zwei Dinge fest- und ist eine Ungerechtigkeit, die beendet werden stellen: Erstens wurden die vermehrten Kosten des muss. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2071

Familien im Sozialleistungsbezug erhalten das Kin- sondern müssen einen Beitrag zur Chancengleich- dergeld nicht zusätzlich zu ihrem Einkommen, son- heit von Kindern und Jugendlichen leisten. Lassen dern es wird ihnen quasi direkt von der Sozialleis- Sie uns heute einen gemeinsamen ersten Schritt für tung wieder abgezogen. Dies verschärft die pre- mehr Chancengleichheit machen und stimmen Sie käre finanzielle Lage von vielen Familien unnötig bitte unserem Antrag zu. – Danke! und ist für uns Grüne nicht hinnehmbar. Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) erhält das Wort die Abgeordnete Pfeiffer.

Wir fordern den Senat daher auf, sich jetzt auf Bun- Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Frau Präsidentin, liebe desebene für eine Reform des Gesetzes einzuset- Kolleginnen und Kollegen! Sicher verrate ich Ihnen zen. kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass wir uns als SPD-Fraktion für eine Kindergrundsicherung Dass die Nichtanrechnung auf Sozialleistungen einsetzen. Sie soll Kinder aus dem SGB-II-Bezug sinnvoll und möglich ist, zeigt der Kinderbonus. Er holen und ihre ökonomische Situation damit von wird während der Pandemie zusätzlich an Familien der der Eltern abkoppeln. Die Kindergrundsiche- ausgezahlt und eben nicht auf die Sozialleistungen rung soll Kindern in Deutschland ein gutes und ge- angerechnet. Das kann und soll allerdings eine sundes Aufwachsen ermöglichen, jenseits der Ar- kurzfristige Maßnahme darstellen. Die Einführung mut ihrer Eltern, denn Kinderarmut ist Elternarmut. einer Kindergrundsicherung stellt für uns perspek- tivisch den einzigen gangbaren Weg dar, um der Thema verfehlt – Frau Ahrens schaut mich schon so Benachteiligung von Kindern, die im Sozialleis- an –, könnten Sie mir jetzt zurufen, na ja, nicht tungsbezug aufwachsen, entgegenzuwirken. Jedes wirklich. In der Koalition sind wir uns einig, unsere fünfte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht. Zielperspektive ist die Kindergrundsicherung. Der Antrag, über den wir heute diskutieren, den be- (Abgeordnete Ahrens [CDU]: In Bremen jedes greifen wir als Zwischenschritt auf den Weg dort- Vierte!) hin. Eines ist doch klar, wir müssen dafür sorgen, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien Zwei Millionen Kinder beziehen Hartz IV. Die Kin- mindestens annähernd ähnliche Chancen haben derarmut hat erhebliche Folgen für das Aufwach- wie Kinder aus einkommensstarken Familien. Die sen, für Ernährung, für Bildung, für Gesundheit einkommensstarken Familien verfügen über einen und für Zukunftschancen. Jedes Kind hat das Recht steuerlichen Kinderfreibetrag und haben damit auf soziale Teilhabe und eine angemessene Frei- proportional mehr Geld für ihre Kinder im Porte- zeitgestaltung. Wir Grüne wollen Chancengleich- monnaie als die, die Kindergeld beziehen, ganz zu heit für alle Kinder. Kinder zu haben, darf kein Lu- schweigen von denen, die vollständig oder teil- xus sein! weise auf die Grundsicherung angewiesen sind. Hier werden Kindergeld und Elterngelb eben an- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) gerechnet.

Eine existenzsichernde Familienförderung ist für Machen wir das einmal konkret: Der PEKiP-Kurs, uns das wichtigste Instrument, um Kinderarmut zu das Babyschwimmen oder die frühkindliche Musi- verhindern. Eltern mit hohem Einkommen dürfen kerziehung, die Kosten für die Klassenfahrt, der nicht stärker gefördert werden als Eltern mit mitt- Schulranzen, mit dem die Kinder halbwegs an- lerem, niedrigem oder gar keinem Einkommen. schlussfähig sind, kostenpflichtige Nachhilfe, ein Durch die Einführung einer Kindergrundsicherung angemessener Volumentarif für mobile Daten, ein würden Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinder- Instrument spielen lernen oder gar eines anschaf- zuschlag zusammengefasst werden. Dass die von fen, Sportkleidung samt Schuhen für die Lieblings- Familien erbrachte Versorgungsleistung unter- sportart, der Besuch im Kino oder im Theater, das schiedlich bewertet und wertgeschätzt wird, muss gehört für viele von uns hier zu einer ganz norma- aufhören. Staatliche Leistungen wie das Kinder- len Kinderbiografie. Für die Familien, die wir als geld dürfen nicht zu einer Verschärfung der Un- einkommensarm bezeichnen, gibt es diese Norma- gleichheit führen, lität nicht. Sie können sich vieles von dem nicht leisten, was ihre Kinder aus der sozialen Armut, der (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Bildungsarmut und ihrer kulturellen Armut führen könnte. Genau das trägt letztlich dazu bei, dass 2072 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Kinder armer Eltern eben noch weniger Chancen geändert. Die Position der Experten übrigens auch haben. nicht.

Nun werden Sie sicherlich einwenden – manche je- Wir hatten zu dem Thema ja vor einiger Zeit eine denfalls hier –, dass einige Familien das dennoch Anhörung in der Sozialdeputation. Zum Thema schaffen, trotz geringen Einkommens. Das stimmt, Kindergrundsicherung wurde von der Sozialsena- manche schaffen das, indem sie übrigens viele Ext- torin mit externer Fachexpertise eine Anhörung raanträge hier und dort stellen und sich dabei stän- durchgeführt. Es wurde deutlich, dass es viele dig finanziell und auch sozial entblößen müssen, Ideen gibt, die Materie in ihren verschiedensten entwürdigend genug. Die meisten derer, die schon Auswirkungen aber auch sehr komplex ist. Jede lange oder noch lange auf staatliche Leistungen Idee kostet zwischen 10 und 30 Milliarden Euro pro angewiesen sind, schaffen das aber nicht, mindes- Jahr und keine der seinerzeit vorgestellten Ideen tens nicht dauerhaft. Das ist und das bleibt ein ge- war umsetzungsreif. Auch das war ganz glasklar sellschaftlicher Makel, denn Kinder sind für ihre Ergebnis dieser Anhörung. Alle hatten noch di- ökonomische Situation und damit verbunden auch verse ungeklärte Punkte, weil Wechselwirkungen für ihre Minderchancen nicht verantwortlich. Sie der unterschiedlichen Rechtskreise überhaupt haben – so könnte man das schlicht sagen – einfach nicht bedacht wurden. Übrigens auch nicht in Ih- Pech gehabt und sind eben nicht auf der Sonnen- rem Antrag. seite des Lebens gelandet. Mit diesem Antrag, den übrigens nicht Bremen, Deswegen müssen wir um der Zukunft aller unse- sondern, eingangs schon von Frau Leonidakis er- rer Kinder Willen ihre Einnahmesituation von der wähnt, nur die Bundesebene entscheiden kann, der Eltern trennen. Ein erster wichtiger Schritt ist greifen Sie nun wieder einmal willkürlich in einen daher, Elterngeld und Kindergeld nicht auf die kleinen Teilbereich hinein, ohne das gesamte Grundsicherung anzurechnen, damit mehr Geld im große Ganze mit seinen Wechselwirkungen zu be- Geldbeutel der Familien für ihre Kinder ist. trachten. Das ist, als wenn Sie eine Uhr nehmen, ein Zahnrad herausnehmen und sagen, läuft hin- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) terher hoffentlich auch noch.

Ich bin sehr davon überzeugt, die allermeisten El- Um es zu wiederholen, wir als Bremer CDU sind tern wollen, dass es ihren Kindern gut geht. Die al- bereit, eine Zusammenführung der verschiedenen lermeisten Eltern wollen sogar, dass es ihren Kin- Leistungen in einem eigenen widerspruchsfreien dern besser als ihnen selbst geht und die allermeis- System zu unterstützen. Allein das würde schon ten Eltern wollen, dass es ihre Kinder im Leben zu sechs Milliarden Euro kosten. Mit der Bündelung etwas bringen und ihre Chancen nutzen. Das wol- wäre auch verbunden, dass die Leistung automa- len wir auch und deswegen setzen wir perspekti- tisch alle Familien erreicht, auch die, die bisher um visch auf die Kindergrundsicherung und als Zwi- ihre Rechte nicht wussten oder wegen des Auf- schenschritt auf die Anrechnungsfreiheit von Kin- wands darauf verzichtet haben. Wir finden, es dergeld und Elterngeld. In unser aller Interesse er- braucht aber auch weiterhin, da haben wir einen möglichen wir einkommensarmen Familien we- deutlichen Dissens zu Ihrer Auffassung, eine Be- nigstens gut für ihre Kinder sorgen zu können. – dürftigkeitsprüfung, damit die Hilfe bei denen an- Vielen Dank! kommt, die sie wirklich brauchen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Beispielsweise müssen Alleinerziehende auch wei- terhin einen Anreiz haben, einer sozialversiche- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin rungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, da- erhält das Wort die Abgeordnete Frau Ahrens. mit sie später nicht mit Altersarmut konfrontiert werden. Ansonsten alimentieren und letztlich ze- Abgeordnete Ahrens (CDU): Sehr geehrte Frau mentieren wir Armut im Lebensverlauf der Men- Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Her- schen und das ist nicht der Ansatz der CDU. ren! Frau Pfeiffer, natürlich habe ich das gesehen. Dieses Mal heißt der Antrag „Anrechnung von El- (Beifall CDU) terngeld und Kindergeld bei Hartz IV et cetera streichen“, aber unsere Position zum Thema Kin- Hilfe da, wo nötig, so intensiv wie nötig und an- dergrundsicherung hat sich an dieser Stelle nicht sonsten, Familien befähigen sich aus der Armut zu Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2073

befreien, mit eigener Hände Arbeit. Das ist unser gehört, zurück. Lesen Sie bitte das nächste Mal Ansatz. § 31 Absatz 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz, darin steht es auch noch einmal. Ihr Antrag kommt bewusst ohne jegliche Zahl aus. Klar, könnten Sie ja auch gar nicht berechnen. Kön- (Glocke) nen nämlich nicht einmal die Experten. Die Frage ist aber, was kostet uns dieser willkürliche Eingriff Wir wollen, ich komme gleich zum Schluss, nun die ins Gesamtpaket der Sozialleistungen? Das bleiben Sozialleistungen noch einmal ausweiten. Das wol- Sie uns vollständig schuldig. Stattdessen wird hier len wir an dieser Stelle bei den Problemen, die ich wieder einmal mit Unterstellungen und fehlerhaf- eben schon genannt hatte, und den Folgewirkun- ten Schlussfolgerungen gearbeitet. gen, die Sie weder in monetärer Form noch in den anderen Auswirkungen betiteln können, nicht. Der Kinderfreibetrag ist kein Geschenk des Staates Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. – an reiche Menschen mit einem zu versteuernden Danke schön! Einkommen von über 64 000 Euro, liebe Kollegin, sondern eine reine Rückzahlung zu viel gezahlter Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner er- Einkommensteuer. Diese Rückzahlung wurde hält das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert. durch die sogenannten Kindergeldurteile vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten. Danach ist Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte pro Kind ein eigenes Existenzminimum vom Ein- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die kommen der Eltern frei von Steuern zu halten. Da Koalition hat sich vorgenommen, die Kinderförde- viele Eltern gar keinen Lohnsteuerausgleich mehr rung, die Unterstützung von Kindern, die Familien- abgeben, hat sich der Gesetzgeber dann entschie- politik vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ehrlich ge- den, für jeden, auch die, die keine Steuererklärung sagt: Mit dem vorliegenden Antrag gelingt ihr das abgeben, diesen Betrag als Basisbetrag, Kinder- nicht! Wir diskutieren einmal wieder die Frage der geld genannt, monatlich auszuzahlen und den Rest Gerechtigkeit, die Frage, wie bedürftigen Men- über die sogenannte Günstigerprüfung in die Ein- schen geholfen werden kann, wie viel Unterstüt- kommensteuerveranlagung zu verlegen. zung sie verdient haben.

Korrekt wäre also, ja, der Staat schätzt die Leistun- Ich hätte mir gewünscht, wir würden dieses Thema, gen von Familien unterschiedlich wert. Familien das auf Bundesebene diskutiert werden muss, auch mit geringem Einkommen bekommen in jedem Fall hier diskutieren, nämlich die Fragen: Wie gestalten einen Basisbetrag steuerfrei, Kindergeld genannt, wir eine Kindergrundsicherung? Wie regeln wir als reine Sozialleistung. Das entspricht auch dem das Transfersystem? Wie schaffen wir ein Bürger- Existenzminimum. Ist das Kindergeld höher als die geldsystem, das Anreize bietet, Arbeit aufzuneh- Steuerrückerstattung, ist die Differenz ein Ge- men, das Bedürftige unterstützt, das Menschen, die schenk des Staates, eben eine abschmelzende Kin- nicht arbeiten können oder keine Arbeit finden, derförderung, eine Sozialleistung. Reiche Eltern, so hilft? Alle diese Fragen, statt wieder an einem Spe- betitelten Sie ja diese in Ihrem Antrag, bekommen zialfall etwas auszuprobieren, bei dem weitere Un- nur die zu viel gezahlte Einkommensteuer zurück, gerechtigkeiten geschaffen werden. null Sozialleistung. Genau wie es das Bundesver- fassungsgericht gefordert hatte. (Beifall FDP, CDU)

(Beifall CDU) Denn, einmal ehrlich, natürlich kann ich verstehen, wenn sich DIE LINKE für Menschen, die bedürftig Ihre Schlussfolgerung im Antrag ist also grundle- sind, einsetzt. Frau Leonidakis, das tun Sie hier je- gend falsch, richtig falsch. Nicht Menschen ab des Mal mit vielfältigsten Anträgen. Wir müssen 64 000 Euro werden begünstigt, sondern kleine dann in einer Demokratie aber auch sehen, ehrlich und mittlere Einkommen durch den Staat. Das, gesagt, dass Gerechtigkeit nicht davon abhängt, meine Damen und Herren, halten wir als CDU- dass man empfindet, dass man genug Geld vom Fraktion auch weiterhin für richtig. Staat bekommt.

Je kleiner das Einkommen, desto mehr Sozialleis- (Beifall FDP, CDU) tungen. Bis hin zu großen Einkommen, die nur eine reine Steuerrückerstattung zu viel gezahlter Ein- kommensteuer erhalten, also das Geld, was ihnen 2074 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Sondern Gerechtigkeit bemisst sich auch an der Grundlagen dazu geschaffen. Die Publikation dazu Akzeptanz derer, die das bezahlen müssen und das lautet „Steuer- und Transferordnung aus einem müssen Sie dabei bitte auch im Blick haben. Guss“ und ist von 1985 und so lange wird das auch diskutiert. Was tut es? Es baut Bürokratie ab, (Beifall FDP, CDU) schafft einen Anreiz, Arbeit aufzunehmen, schaut nach Bedürftigkeit und sorgt dafür, dass weiter An- In der Tat, auch wir erkennen an, dass Menschen reize bestehen, tätig zu werden und kann auch so im Transferleistungsbezug schlechter gestellt sind dem Lohnabstandsgebot gerecht werden, denn das als die anderen, aber genau deswegen bekommen bleibt immer zu beachten. Das haben Sie hier über- sie Transferleistungen und deswegen sollten wir haupt nicht getan. uns alle vielleicht einmal die Mühe machen, nicht weiter an Systemen etwas auszuprobieren, sondern Es geht darum, zu schauen, was ist nötig für die wirklich das System zu reformieren. Die FDP hat Menschen, wie können wir ihnen helfen. Ich disku- auf Bundesebene zwei Konzepte vorgelegt. Das tiere an der Stelle auch gern über die Höhe der Be- eine ist das Kinderchancengeld als Kindergrundsi- darfssätze, aber wir müssen auch immer dabei be- cherungsmodell und das andere, das Bürgergeld- achten: Es muss auch von denen gerecht empfun- modell, das das Kinderchancengeld umfasst und den werden, die arbeiten, die diesen Staat tragen, noch weitergeht. die überhaupt dafür sorgen, dass Steuern reinkom- men, damit Sie dann auch etwas zum Verteilen ha- Beide Systeme bieten eins: Einen Anreiz, Arbeit ben. – Herzlichen Dank! aufzunehmen und eine Bedürftigkeitsprüfung. Ei- nes ist doch klar, wir wollen diejenigen unterstüt- (Beifall FDP, CDU) zen und müssen diejenigen unterstützen, die sich nicht selbst helfen können und die der Hilfe bedür- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin fen. Es ist hier auch schon deutlich geworden, erhält das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis. wenn Sie hier tätig werden, um den Bedürftigen zu helfen, dürfen Sie noch lange nicht vergessen – das Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Sehr ge- wird hier, meiner Meinung nach, in der Bremischen ehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bürgerschaft viel zu viel vergessen –, dass das beste Da sind ja nun noch einmal die ganz großen Fragen Mittel gegen Kinderarmut Arbeit für die Eltern ist. aufgeworfen worden und die spannende Debatte der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und des Aus- (Beifall FDP, CDU) gleiches. Herr Dr. Buhlert, wenn Sie sagen, dass es auch eine Frage von Akzeptanz ist, ob bestimmte Das müssen Sie angehen und wenn Sie das mit der Verteilungsentscheidungen – die Verteilung von Entschiedenheit angingen, mit den Ressorts, die Reichtum, von Vermögen, von Einkommen – ei- auch dafür zuständig sind, und nicht immer nur mit gentlich akzeptiert werden, dann möchte ich dazu dem Sozialressort die Armut bekämpfen wollen, anmerken, dass es vermutlich immer auf keine dann, glaube ich, wären wir einen erheblichen große Akzeptanz stößt, wenn Spitzensteuersätze Schritt weiter. Ich hoffte, die Koalition wird da wei- erhöht werden und dass das nicht freiwillig ge- tergehen. schieht. All das ist eine Frage von gesellschaftlicher Aushandlung, und ich habe in meinem ersten Re- (Abgeordnete Ahrens [CDU]: Frau Vogt wäre ja debeitrag darauf hingewiesen, dass wir bestimmte von den Linken und Sie vertritt das Arbeits- und Verteilungsentwicklungen festgestellt haben in der Wirtschaftsressort!) Novelle oder Reform des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes und in der SGB-II-Reform; näm- Habe ich auch gehört, Frau Ahrens. lich dass eine Verteilwirkung von unten nach oben stattgefunden hat. Der hier vorgelegte Vorschlag stellt wieder nur auf kleine Stellschrauben ab und die Gesamtreform Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass bleibt aus. Deswegen müsste, unserer Meinung Spitzensteuersätze abgesenkt wurden von 53 auf nach, die Priorität anders sein und wenn, sollten wir 42 Prozent. Die Erbschaftsteuer wurde ausgesetzt. eine gesamte Reform angehen. All diese Verteilentwicklungen sind das Ergebnis von gesellschaftlicher Aushandlung und eben kein Das Bürgergeld steht in der Tradition der negativen Naturgesetz. Einkommensteuer, wie wir es vorschlagen und Joachim Mitschke hat die wissenschaftlichen (Zuruf Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2075

Ich möchte die These in den Raum stellen, dass nicht lohnt, Arbeit aufzunehmen. Deswegen ist das dauerhafte Armut und Armutsspiralen nicht nach kein Gesamtsystem aus einem Guss, sondern ein oben gehen. Ich teile ja mit Ihnen die Aussage, dass ausprobieren. der beste Weg aus Armut ein existenzsicherndes Einkommen und gute Löhne und gute Arbeit sind (Beifall FDP) – nur in Zeiten von Strukturwandel können wir eben nicht von Vollbeschäftigung ausgehen. Von Diese Systeme, die dazu führen, dass jemand, der diesen Zeiten sind wir leider weit entfernt. Zahntechniker oder Zahntechnikerin ist oder je- mand der Krankenpfleger oder Krankenpflegerin (Glocke) ist, dann überlegt, ob es sich lohnt, arbeiten zu ge- hen in seinem Beruf oder in ein Transferleistungs- Vizepräsidentin Grotheer: Frau Kollegin, gestatten system und sich fragt, wo habe ich mehr oder we- Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Profes- niger im Geldbeutel und nicht die Antwort bei je- sor Hilz? der Arbeitsstunde findet, dass er mehr im Geldbeu- tel hat, ist für uns als Liberale ein ungerechtes Sys- Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Lieber tem und für andere auch. möchte ich jetzt meinen Gedanken weiterführen. (Beifall FDP, CDU) Insofern ist doch die Frage – Sie können sich gern noch einmal melden –, welche Verteilentscheidun- Deswegen machen Sie nicht kurzsichtig Systeme, gen treffen wir für die Menschen, die eben nichts die Brutto-Netto-Umkehrungen schaffen und pro- dafür können? Für die einen, die eine reiche Erb- bieren aus, sondern schaffen Sie ein Gesamtsys- schaft haben, die nichts dafür getan haben, son- tem. – Herzlichen Dank! dern geerbt haben, und für diejenigen, die nichts dafür können, weil sie dauerhaft in der Armutsfalle (Beifall FDP) stecken? Diese Verteilentscheidung ist derzeitig noch nicht befriedigend gelöst. Vizepräsidentin Grotheer: Für eine Kurzinterven- tion erhält das Wort die Abgeordnete Frau Le- Ich glaube auch, dass mit dem jetzigen Antrag noch onidakis. nicht das Ende der Fahnenstange erreicht wird, aber es wäre eine erhebliche Verbesserung, gerade Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Herr für die Familien, die es am dringendsten nötig ha- Dr. Buhlert, Sie wissen so gut wie ich, Sie sind auch ben, für die Alleinerziehenden, von denen in Bre- Sozialpolitiker, das ist genau für diese Lücken, die men mehr als die Hälfte im Leistungsbezug steckt, es bei dem Kinderzuschlag gibt. Das schließt dort und die auch noch aufstocken müssen, weil ihr Ein- an, wo niedrige Einkommen jenseits von der Sozi- kommen nicht reicht. Für sie wäre es eine erhebli- alleistungsberechtigungsgrenze sind. Das wissen che Unterstützung und ein Beitrag zu mehr Ge- Sie so gut wie ich. Insofern glaube ich, dass an die- rechtigkeit und zu mehr Chancen für deren Kinder, ser Stelle gerade kein Problem ist und noch einmal denn am Ende geht es doch an dieser Stelle und bei zur Akzeptanz. diesem Antrag um die soziale Gerechtigkeit und soziale Teilhabe vor allem von Kindern. – Danke Ich glaube, dass dauerhafte Armutsspiralen ein Ak- schön. zeptanzproblem für die Demokratie darstellen. Das sehen wir doch in der sinkenden Wahlbeteiligung. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Das ist eine Akzeptanz, über die wir gern noch ein- mal sprechen können und die eine große Debatte Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat wert wäre. Ich glaube, hier haben wir ein Akzep- der Abgeordnete Dr. Buhlert das Wort. tanzproblem und da muss sich der Sozialstaat be- weisen, dass er in der Lage ist, ein gutes und wür- Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte diges Leben für alle zu gewähren. Genau darauf Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau zielt unser Antrag ab. – Danke! Leonidakis, es ist in der Tat so, wenn ihr Antrag umgesetzt würde, dass die Menschen mehr Geld (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) bekommen. Was dann aber auch so ist, das ver- schweigen Sie hier, ist, dass Sie neue Brutto-Netto- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin Umkehrungen schaffen, dass Sie im Einkommens- erhält das Wort Frau Senatorin Stahmann. gefüge wieder Stellen schaffen, bei denen es sich 2076 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Senatorin Stahmann: Frau Präsidentin, liebe Abge- Das sind Gerechtigkeitsfragen, das sind Vertei- ordnete! Es ist in der Tat eine spannende und auch lungsfragen, und die muss man bundespolitisch im eine emotional hitzige Debatte. Für den Senat Bundestag führen, aber es ist auch gut, dass wir sie möchte ich sagen, dass dieser Antrag aus unserer hier einmal führen. Wer viel leisten kann, muss Sicht eine große Ungerechtigkeit adressiert und auch viel leisten und Steuern zahlen; und man dass der Senat zu diesem Antrag auch eine Haltung muss im Bundestag, wenn man über Steuern hat und sagt: Es ist richtig, an dieser Stelle sozial- spricht, sagen, wo die Grenze verläuft und wie man politisch für die Schwächsten zu streiten, denn un- die Spitzeneinkommen belastet. ter Christina Schröder ist diese Ungerechtigkeit 2011 gegen die Stimmen von Bremen und auch an- Doch hier bei dem Antrag reden wir über die derer Bundesländer, die davor gewarnt haben, dass Schwächsten, die damals getroffen worden sind arme Familien abgekoppelt werden, wieder einge- von den Änderungen, die eingeführt worden sind führt worden, und das muss aus meiner Sicht zwin- in Zeiten der Eurokrise; man hätte eigentlich dann gend korrigiert werden. auch den Müttern 300 Euro wegnehmen müssen und den Studentinnen, die ein Kind bekommen. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Das hat man nicht gemacht, sondern man hat mit dieser Änderung 2011 durch Christina Schröder die Ich gehe nicht damit konform zu sagen, da sind die Schwächsten in der Gesellschaft getroffen, und da Reichen, das sind die Bösen, und da sind die Ar- werden Einkommen angerechnet, und diese Ge- men, das sind die Guten. Es gibt Eltern, die haben rechtigkeit muss man herstellen. wenig Geld und kümmern sich hervorragend um ihre Kinder, wir haben viele Alleinerziehende, die Denn jedes Kind muss uns in der Gesellschaft nicht viel Geld haben, die aber alles dafür tun, dass gleich viel wert sein. Es kann nicht sein, dass wir es ihre Kinder eine gute Bildung genießen, eine gute uns beispielsweise beim Asylbewerberleistungsge- Ausbildung bekommen, dass die Kinder studieren, setz als reiches Land leisten, Kinder nicht so zu för- dass sie eine tolle Freizeit haben, die auch nach dern, wie wir es eigentlich könnten, und da schon Teilhabechancen schauen für ihre Kinder, und die die Bildungschancen und Teilhabechancen vertän- haben nicht viel Geld und sind trotzdem gute El- deln, in den ersten Jahren, in den ersten Monaten, tern. beim Aufwachsen, beim Studieren.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Es ist hervorragend, wenn wir heute immer bewun- dern: Oh, ein Kind, dessen Eltern aus Syrien kom- Wir haben auch Eltern, die haben sehr viel Geld, men, wird jetzt Arzt. Liebes Parlament, wir müssen die müssen sich gar keine Gedanken über Geld mehr investieren in die Chancengerechtigkeit, in machen, und auch da gibt es Eltern, die sich super die Bildungsgerechtigkeit, und das hier ist ein klei- um ihre Kinder kümmern, aber da gibt es auch El- ner Baustein, das tut nicht weh, das kostet auch tern, die denken, dass man mit Geld bestimmte Sa- nicht die Welt und es ist gut, dass das hier heute auf chen kaufen kann, die man eben aber nicht kaufen dem Tisch liegt und abgestimmt wird! kann; nämlich Zuwendung, Zeit, Liebe, Anerken- nung. Das gibt es in der vollen Breite in der Gesell- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) schaft. 2018 hatten wir die Anhörung zur Kindergrundsi- Ich finde, man darf Menschen auch nicht dafür be- cherung, dazu sagt der Senat auch: Ja, das muss schuldigen, dass sie viel Geld haben, dass dies et- kommen. Bremen hat sich gemeldet für die Arbeits- was Böses ist. Wir haben Menschen, die haben sich gruppe „Wie kann eine Kindergrundsicherung sehr angestrengt und haben auch viel gearbeitet, aussehen?" Wir arbeiten daran mit allen Ländern, aber klar, Frau Leonidakis: Es gibt auch Menschen, und dies wird nur gelingen, indem wir größtmögli- die Geld geerbt haben in Deutschland und es gibt chen Konsens herstellen, mit Bayern, Bremen, eine Zahl von Menschen, die immer mehr Geld er- Schleswig-Holstein, nach Ost und West, Nord- wirbt und mehr Geld besitzt als der ganz große Teil rhein-Westfalen, Berlin – wir müssen alle mitneh- der Gesellschaft. Das muss man über Steuern re- men. Dafür sind wir auf einem sehr guten Weg. Das geln, das muss man über Vermögensabgaben re- wird Geld kosten, aber ich glaube auch, aus geln, doch darüber reden wir jetzt nicht in dieser Gendergerechtigkeitsgründen muss man auch die- Debatte. ses Thema – das ist eine Gerechtigkeitsfrage – an- gehen. Man muss Milliarden in die Hand nehmen, (Abgeordnete Ahrens [CDU]: Genau!) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2077

auch um Frauen zu unterstützen und um die Kinder Krise als Chance nutzen, ein Zukunftskonzept für zu unterstützen. die Jacobs University Bremen gemeinsam entwi- ckeln! Die fordern ja nicht bei ihrer Geburt: Ich möchte in Antrag der Fraktion der CDU eine reiche Familie oder ich wähle mir die Familie vom 6. Oktober 2020 aus, in der schon drei Kinder sind. Das ist ja nicht (Neufassung der Drucksache 20/515 vom 30. Juni so. Wir müssen aber doch als Staat dafür sorgen, 2020) dass die Kinder Chancen haben, den Beruf zu er- (Drucksache 20/647) lernen, der ihnen liegt. Wir legen schon viel zu früh die Chancen von Kindern und Familien fest, indem Dazu wir aus meiner Sicht nicht genug investieren in den Bereich der frühkindlichen Bildung, Änderungsantrag der Fraktion der FDP vom 7. Juli 2020 (Beifall CDU) (Drucksache 20/542) indem wir nicht genug in die Familien investieren. Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. Da muss deutlich mehr passieren. Wir haben keine Schilling. Bodenschätze, wir haben nur eins: Junge Men- schen, die geboren werden, und da muss unsere Die Beratung ist eröffnet. Energie hingehen, und dieser Antrag ist ein ganz wichtiger Baustein, um zu unterstützen, dass wir Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete die Chancengerechtigkeit in Deutschland, in der Frau Grobien. Bundesrepublik, herstellen und das gehört auch in den Landtag des kleinsten Bundeslandes, dass Abgeordnete Grobien (CDU): Frau Präsidentin, diese zentrale Frage hier diskutiert wird. – Vielen liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Bekannt- Dank! werden der Trennung der Jacobs Foundation von der Jacobs University wurde allen hier in Bremen (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) relativ schnell klar, dass sich die Jacobs University in Bremen-Nord in ein ungewisses Fahrwasser be- Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- gibt. gen liegen nicht vor. Durch die Coronapandemie wurden die Ereignisse Die Beratung ist geschlossen. noch verstärkt, und so war es für uns als Fraktion auch sehr schnell klar, dass wir den Senat auffor- Wir kommen zur Abstimmung. dern müssen, möglichst auch zügig zu handeln und ein Zukunftskonzept für den langfristigen Erhalt Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben der Jacobs University am Wissenschafts- und Wirt- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. schaftsstandort Bremen zu entwickeln. So datiert unser Antrag auch bereits aus Juni und erst jetzt im (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Herbst können wir dazu debattieren.

Ich bitte um die Gegenprobe. Überflüssig zu erwähnen, dass wir als CDU-Frak- tion bereits seit der Gründung der Jacobs Univer- (Dagegen CDU, FDP, Abgeordneter Beck [AfD]) sity vor nahezu 20 Jahren eigentlich immer hinter der Idee und auch vor der Idee der Jacobs Univer- Stimmenthaltungen? sity gestanden haben, während andere politische Akteure hier im Raum, wie DIE LINKE, eine solche Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt Form der Universität schon immer kritisch gesehen dem Antrag zu. und sie auch regelrecht abgelehnt haben. Dabei war seinerzeit eine internationale Universität die Idee für ein durch den Vulkankonkurs stark struk- tur- und krisengeschütteltes Bremen-Nord.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Jacobs University einen weltweit anerkannten exzellenten Ruf erarbeitet, wie die aktuellen internationalen 2078 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

und europäischen Rankings zeigen. Wahr ist auch: Eine komplette Eingliederung der Jacobs Univer- Bereits seit vielen Jahren haben sich Bremerinnen sity als International Campus in die Universität se- und Bremer gewünscht, dass sich die Jacobs Uni- hen wir von daher auch kritisch. Die Jacobs Uni- versity mehr in das bremische Wissenschafts- und versity muss und sollte ihre Eigenständigkeit erhal- Stadtgeschehen einbringt. Das hat leider nie so ten. Viel zu gut ist auch die Marke Jacobs Univer- richtig einhundertprozentig funktioniert und es ist sity Bremen eingeführt, was die Erfolge in den Ran- müßig, auch danach zu fragen, woran das gelegen kings ja belegen. Es wird bei der Erarbeitung des hat. Vielleicht gibt es ja auch die Chance der Ab- Zukunftskonzepts viel Kreativität brauchen – wie kopplung der Jacobs Foundation in der fernen gesagt –, Konkretes gibt es ja noch nicht. Die Ja- Schweiz, vielleicht ist es auch ein Befreiungsschlag cobs University war bereits an einer Machbarkeits- für ein näheres Heranrücken und eine tiefere Ver- studie zu einem Medizinstudium in Bremen betei- ankerung der Jacobs University als Teil einer viel- ligt. Vielleicht lohnt es sich, doch noch einmal über fältigen Hochschullandschaft in unserem Bundes- ein Gesundheitscampus in Bremen-Nord und die land. Einrichtung eines Medizinstudiums nachzuden- ken, wie wir es auch in dem Punkt 2d fordern. Was ist inzwischen seit der Einbringung unseres Antrages passiert? Der Senat fasste den Beschluss, (Beifall CDU) im November 2020 ein Konzept vorzulegen, wie es weitergehen soll. Konkrete Ideen dazu haben wir Warum nicht ein über Studiengebühren finanzier- allerdings noch überhaupt nicht gehört. Die Sena- tes vorklinisches Medizinstudium, dann brauchen torin für Wissenschaft und Häfen ist bereits im Juli vielleicht auch nicht so viele gute Aspiranten für 2020 zur Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt Medizin nach Budapest, Prag oder sonst wohin fah- worden und bekam damit auch ein Vorschlagsrecht ren und dort 7 000 Euro pro Semester zahlen. Au- für drei weiter frei gewordene Sitze. Mit dem Ein- ßerdem verfügt die Jacobs University mit ihren Stu- beziehen von Vertreterinnen und Vertretern hier dien- und Forschungsschwerpunkten über hohe aller Fraktionen in der Bremischen Bürgerschaft als Kompetenz in den Klima- und Umweltwissenschaf- Gastmitglieder hoffen wir nun, dass es endlich ten. Zusammen mit dem riesigen Potenzial in die- überparteilich vielleicht auch eine Chance gibt. sem Bereich, auch in Bremen und Bremerhaven, Wie soll man Investoren in einer Atmosphäre fin- könnte die Jacobs University auch ein möglicher den, wenn die Jacobs University fast in der gesam- Standort für die Internationale Klimauniversität ten Zeit ihres Bestehens seitens des Senats und hier werden, deren Aufbau unser Bundesminister für vor allen Dingen DIE LINKE angefeindet wurde. Wirtschaft und Energie als Idee in seinem Klima- Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, konzept vorgetragen hat. braucht es ein offenes, ehrliches und nachdrückli- ches Bekenntnis des gesamten Senats – ich betone Wir werden den Senat bei allen Überlegungen, die das –, des gesamten Senats zur Jacobs University, zum Erhalt der Hochschule in Bremen-Nord beitra- wie wir es in Punkt 1 unseres Antrags fordern. gen, begleiten und erwarten allerdings auch – –.

(Beifall CDU) (Glocke)

Bei den konkreten Lösungsvorschlägen für die Zu- Ich bin sofort fertig. Wir erwarten allerdings auch, kunft der Jacobs University muss es nicht immer in dass Teile des Senats ihre Blockadehaltung – ich erster Linie um Geld gehen. Das können auch ganz schaue hier nach links – gegenüber der Jacobs Uni- andere Formen von Kooperationen sein, wie wir versity endlich aufgeben. das in dem Punkt 2b unseres Antrages fordern. Na- türlich geht es auch um Geld, immerhin hat Bre- (Beifall CDU) men in den letzten beiden Jahrzehnten bereits er- hebliche Summen in den Standort investiert und es Es muss in unser aller Interesse sein, den Campus geht auch darum, diese Investitionen abzusichern in Bremen-Nord weiter positiv zu entwickeln. – und zu erhalten. Sie können auch sicher sein, dass Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! ich als wissenschaftspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion auch die Finanzierung der öffentli- (Beifall CDU) chen Hochschulen dabei im Blick habe. Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Brünjes. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2079

Abgeordnete Brünjes (SPD): Sehr geehrte Frau Auch mit dem neuen Änderungsantrag wird Ihr Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Anliegen leider nicht besser. Das Absurde: Sie Krise als Chance nutzen, ist ein guter Ansatz. Es möchten ein Zukunftskonzept für die Einrichtung, gilt aber hierbei, den richtigen zu finden. Zweifels- welches, wie bereits erwähnt, schon in Arbeit ist, ohne hat sich die Jacobs University zu einer festen fordern zugleich aber, dass die Jacobs University Institution im Bremer Norden entwickelt. Seitdem neben dem Medizin-Vollstudium auch noch zur ist sie dort Impulsgeber für die Region, Lebensmit- Exzellenz- und Klimauniversität wird. Wir fragen telpunkt von 1 600 Studierenden jährlich aus über uns: Was möchten Sie denn nun? Ein Zukunftskon- 100 Ländern und vor allem Jobmotor und einer der zept? Oder die Umsetzung Ihres bunten größten Arbeitgeber mit über 400 überwiegend so- Ideenstraußes? zialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Dass die Nachricht der wirtschaftlichen Schieflage sowie des Rückzugs der Jacobs Foundation einen Wir wissen es nicht. Hier entgegnen wir, was wir harten Schlag für alle Beteiligten darstellt, steht au- stattdessen möchten: Die Ergebnisse des Senats ßer Frage. Nun gilt es, zügig, besonnen und mit abwarten und bewerten, eine gute Förderung und dem richtigen Augenmaß realistische Zukunftsper- den Ausbau für unsere Studiengänge und Hoch- spektiven für die Jacobs University zu entwickeln. schulen, die Verbesserung der Studien- und Ar- Hierbei orientieren wir uns an dem vom Senat vor- beitsbedingungen für Studierende und Beschäf- gelegten Zeitplan, bis zum Ende des Jahres Optio- tigte sowie Unterstützung unserer wissenschaftli- nen für die Weiterentwicklung am Standort auszu- chen Schwerpunkte, die unser Bundesland so ein- machen. Konkret muss es darum gehen, ein Ge- zigartig machen. – Vielen Dank! schäftsmodell zu entwickeln, das auf Dauer tragfest und zukunftsfest ist. Die nötige finanzielle Absiche- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) rung zum Weiterbetrieb und die Möglichkeit zu ei- nem Studienabschluss der Studierenden wurden Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin bereits im Rahmen der Auflösung des trilateralen erhält das Wort die Abgeordnete Frau Strunge. Vertrags abgesichert. Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Sehr geehrte Nach sozialdemokratischen Leitlinien ist es uns Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die wichtig, den Standort Bremen-Nord zu stärken und CDU-Fraktion fordert in ihrem Antrag den langfris- zu stützen. Für uns heißt das, die Menschen vor Ort tigen Erhalt der privaten Jacobs University in Bre- im Blick zu haben und ein besonderes Augenmerk men-Nord. Das ist eine einfache Forderung könnte auf die Beschäftigten und deren Arbeitsplätze zu man meinen, denn den komplizierten Teil hat die legen. Zusätzlich sind uns die Weiterentwicklung CDU-Fraktion in ihrem Antrag komplett ausge- des Wissenschaftsstandorts und dessen Attraktivi- spart, nämlich die Frage der Finanzierung. Dazu tät wichtige Anliegen, sodass wir uns auch zukünf- sagt die CDU-Fraktion überhaupt nichts, aber für tig eine wissenschaftliche Institution vor Ort vor- uns als Haushaltsgesetzgeber ist das doch die ent- stellen können. scheidende Frage, zu der die CDU-Fraktion schweigt. Diese Unterstützung sehen wir jedoch gegenwärtig nicht darin, uns im stetigen, wiederkehrenden Halten wir noch einmal kurz fest, wo wir gerade Strudel der Forderung zur Einrichtung eines Medi- stehen und worüber wir sprechen. Die Jacobs Uni- zin-Vollstudiums anzuschließen. versity ist eine private Hochschule, die jedes Jahr mit zehn Millionen Schweizer Franken oder mehr (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) von der Jacobs Foundation bezuschusst wurde. Seit Gründung der JUB im Jahr 2001 war eigentlich der Zum einen schafft bauliche Infrastruktur allein kei- Deal mit dem Land Bremen, dass sich die private nen Anlass für solche Pläne, zum anderen wäre mit Hochschule nach der Anschubfinanzierung von erheblichen Kosten zu rechnen. Hierzu zählen zum 230 Millionen D-Mark und mit den Mitteln für die einen hohe Kosten zum Aufbau eines Medizin- Hochschulbauförderung selbst tragen wird. Leider Vollstudiums und zum anderen hohe laufende Kos- war das ein leeres Versprechen. Die JUB schrieb ten für den Betrieb. Kurz gesagt hieße dies, das ist rote Zahlen trotz der Zuschüsse durch die Jacobs schlicht nicht möglich. Foundation und musste immer wieder durch Fi- nanzhilfen vom Land vor dem Absaufen gerettet werden. 2080 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Insgesamt hat das Land Bremen deutlich mehr als schlechterem Betreuungsschlüssel studieren, auf 200 Millionen Euro in die JUB gesteckt. DIE LINKE zusätzliche Professorenstellen verzichten müssen, hat das immer sehr scharf kritisiert, und das sehen weil das Geld in die JUB gesteckt wird. wir auch heute noch so. Eine private Hochschule, die hohe Studiengebühren erhebt, muss sich selbst Wir haben eine Verantwortung gegenüber der finanzieren können und darf nicht durch staatliche staatlichen Hochschulen, und diese wurden in den Zuwendungen unterstützt werden. Mit welcher letzten Jahren wahrlich nicht auf Rosen gebettet. Rechtfertigung setzt man notwendige Investitionen Für uns ist deshalb klar: Es fließt kein weiteres Geld an den staatlichen Hochschulen aus, wenn man des bremischen Haushalts in die private Hoch- gleichzeitig eine private Hochschule mitfinanziert, schule. Wir können das nicht finanzieren und wir die eben nicht allen Studieninteressierten ein An- wollen das nicht finanzieren! gebot macht, sondern nur denen, die es sich leisten können? Dafür gibt es keine plausible Erklärung. (Beifall DIE LINKE)

(Beifall DIE LINKE) Deshalb ist auch meine Vorstellungskraft, wie ein langfristiger Erhalt der JUB – mit einem ähnlichen Jetzt stehen wir vor einer völlig neuen Situation. Geschäftsmodell wie bislang – aussehen kann, be- Der Hauptgeldgeber – die Jacobs Foundation – hat grenzt. Ich finde es deshalb wichtig, dass wir dar- sich von der Hochschule verabschiedet und die über nachdenken, was an dem Standort in Bremen- vertraglich vereinbarten Zahlungen noch an die Nord Neues entstehen kann. Denn klar ist: Sollte es JUB gegeben, sodass die Liquidität für die kom- die JUB nicht mehr geben, muss das Areal trotzdem menden drei Jahre gesichert ist. Das heißt, Studie- für die Wissenschaftslandschaft erhalten bleiben. rende müssen keine Sorge haben, dass die Uni Eine Idee wäre beispielsweise, einen gemeinsamen morgen schließt und sie vor die Tür gesetzt werden. Gesundheitscampus mehrerer Bremer Hochschu- Der Weiterbetrieb ist zunächst gesichert. Was aber len dort Realität werden zu lassen, aber wir reden kommt danach? Die CDU-Fraktion möchte den hierbei nicht – wie die CDU-Fraktion – von einem Weiterbetrieb, schön und gut. Wie aber soll das ge- Medizinstudium. nau gehen? Unabhängig davon, welche Idee sich letztlich Dass die JUB jetzt ein Wirtschaftsmodell erfindet, durchsetzen wird, ist es das Ziel, Arbeitsplätze für dass die Ausgaben deckt – daran glaube ich nicht. den Standort Bremen-Nord zu erhalten und neue Das hat in der Vergangenheit noch nicht einmal mit zu schaffen. Dabei muss dieses Gelände endlich Unterstützung der Jacobs Foundation funktioniert, mehr genutzt werden, um die Stadtentwicklung in ohne Investor übersteigt diese Überlegung zumin- Grohn voranzubringen. Eine Öffnung des Gelän- dest meine Vorstellungskraft. Mit einem neuen In- des in den Stadtteil sollte auch ermöglicht werden. vestor könnte das reintheoretisch gehen, aber nur, Um die bestmögliche Entwicklung für Bremen- wenn dieser so massiv einsteigen würde, dass ga- Nord sicherzustellen, muss das Areal in die öffent- rantiert ist, dass das Land am Ende nicht wieder re- liche Hand gehen, gelmäßig Millionenspritzen geben muss. Ob es solch einen Investor am Ende des Tages wirklich (Glocke) gibt, ist aber noch völlig ungeklärt, und deswegen haben wir bei dieser Überlegung massive Fragezei- sollte die JUB nicht weitergeführt werden. Was auf chen. keinen Fall passieren darf ist, dass es zu einer Spe- kulation mit dem Grundstück kommt. – Herzlichen Die dritte Option wäre, dass das Land die Kosten Dank! für den Betrieb der JUB übernimmt. Ich weiß nicht, ob die CDU-Fraktion das wirklich will, denn es ist (Beifall DIE LINKE, SPD) absolut utopisch, dass Bremen das finanzieren könnte. Wir reden hier vom absoluten Minimum Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin von zehn Millionen Euro pro Jahr, die es zu decken hat die Abgeordnete Frau Dr. Eschen das Wort. gilt. Darüber hinaus wäre es auch ungerecht, wenn das Land Millionengelder in eine Hochschule Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- steckt, an der eine kleine ausgewählte Elite unter nen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Zahlung von hohen Gebühren unter den besten Kollegen! Wir haben vor der Sommerpause hier ei- Bedingungen studiert und die staatlichen Hoch- nen Haushalt debattiert und Sie, liebe CDU, haben schulen, an denen viele Menschen mit wesentlich Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2081

zu Recht darauf hingewiesen, dass der Wissen- und in die Insolvenz geschickt wird. Explizit wird schaftsplan 2025 eigentlich mehr beinhaltet als den in der schon erwähnten Vorlage darauf eingegan- jetzt vollzogenen Einstieg in der Haushaltsperiode gen, dass durch eine kooperative Lösung gemein- 2020/2021. Sie forderten mehr Mittel. Wenn ich mir sam mit der Jacobs Foundation genau das verhin- jetzt den Antrag zur Jacobs University ansehe, dert werden soll. Das heißt, wir können und müssen muss ich ehrlich sagen: Mir scheint, Sie haben eine in der jetzigen Situation das Beste daraus machen. geheime Geldquelle für die Wissenschaft neu auf- Wir müssen möglichst Dinge, die gut funktionieren, getan. erhalten und Dinge, die nicht gut funktionieren, beenden. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Ich würde gern auch noch einmal den Fokus auf ein Das Land Bremen soll sich laut Ihrem Antrag jetzt anderes Thema lenken, was hiermit zu tun hat. Wir und heute, und zwar, ohne dass aktuell ein tragfä- sollten, meiner Meinung nach, bei der Jacobs Uni- higes Geschäftsmodell vorliegen würde, zu einem versity nicht nur über Zahlen, Bilanzen, Konzepte, langfristigen Erhalt – das bedeutet das ja letztend- Geschäftsmodelle und Rankings sprechen. Wir lich –, zu einer Übernahme der dadurch entstehen- sprechen bei der Jacobs University auch über Men- den Kosten entschließen. Dabei sollen zusätzliche schen. Das sind Menschen, die dort studieren, finanzielle Mittel für eine Exzellenzuniversität oder Menschen, die dort arbeiten. Das sind Menschen, Exzellenzinitiative der Jacobs University bereitge- die sich das nicht ausgesucht haben, dass das Ge- stellt und nebenbei auch noch ein Medizinvollstu- schäftsmodell ihrer Hochschule nicht funktioniert. dium geprüft und auf die Beine gestellt werden. Ich finde, dass wir ihnen und dem Wissenschafts- standort Bremen schuldig sind, nun zu einer ver- Hier, mit diesen Forderungen in Ihrem Antrag ad- nünftigen und überlegten Lösung zu kommen. dieren sich Millionenbeträge zusammen und die nehmen wir jetzt woher? Zum Thema Medizin (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) möchte ich einmal sagen, Sie haben recht. Bremen ist das einzige Bundesland in Deutschland, das Den Vorstoß, die Jacobs University zu einer inter- keine medizinische Fakultät an der Universität hat. nationalen Klimauniversität zu machen, kann ich Bremen ist aber auch das kleinste Bundesland in übrigens, ehrlich gesagt, nicht wirklich ernst neh- Deutschland. Dennoch würden natürlich auch wir men. Nur, weil wir jetzt Klima auf die Jacobs Uni- gern unsere Mediziner im Land Bremen ausbilden, versity schreiben, wäre noch lange nicht mehr aber ganz ehrlich, die damit verbundenen Kosten Klima drin. Ganz ehrlich, die Jacobs University können wir aktuell nicht stemmen, wenn wir rea- jetzt hier mit Greenwashing – das ist es in meinen listisch sind. Augen – retten zu wollen, wird uns einer tragfähi- gen Lösung keinen Millimeter näher bringen. Wir (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) lehnen deshalb selbstverständlich diesen Antrag ab. Zurück zur Jacobs University im Allgemeinen: Sie fordern ein Zukunftskonzept in Ihrem Beschluss- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) punkt. In der Senatsvorlage vom 29. Juni bezüglich der Auflösung des trilateralen Vertrages mit der Ja- (Abgeordneter Eckhoff [CDU]: Dann sind wir auf cobs University wird ja genauso ein Zukunftskon- die Vorschläge von Ihnen gespannt!) zept angekündigt. Das heißt, es wird jetzt bereits aktuell daran gearbeitet. Warum? Weil die letzten Ich möchte auch noch einmal kurz etwas zum Vor- Jahre gezeigt haben: Die Jacobs University ist in schlag der FDP sagen. Ich verstehe, dass die Idee ihrer bisherigen Organisationsform so nicht halt- vorhanden ist, die Ansiedelung der Jacobs Univer- bar. Dabei möchte ich hier gern noch eine Sache sity im Ressort bei Wissenschaft unterzubringen, betonen und noch klarstellen. Nicht die Politik hat aber hier muss man dazu sagen, die Geschäftsver- die Jacobs University in eine Schieflage gebracht, teilung des Senats obliegt dem Senat. Dementspre- sondern die Jacobs University hat kein tragfähiges chend lehnen wir auch hier ab. – Vielen Dank! Geschäftsmodell. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner er- Dennoch, keiner spricht jetzt hier davon, dass die hält das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert. Jacobs University sich einfach selbst überlassen 2082 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte Das werden wir auch nicht müde zu sagen, auch Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! wenn Sie es ablehnen. Durch die Neuordnung des Uns Freien Demokraten ist jede Hochschule recht Senats, wobei die Zuständigkeit weiter im Bereich und lieb und wert, die die Qualität bringt, die Men- Häfen liegt – wo man mir einmal erzählen kann, schen zu einem Abschluss verhilft, die Wissen was das dann noch dort auf dem Trockenen an Zu- schafft. Für uns ist die Qualität entscheidend. ständigkeit hat – und mit derselben Person Frau Schilling, die auch Wissenschaftssenatorin ist, ha- (Beifall FDP – Präsident Imhoff übernimmt wieder ben wir ja schon einen ganzen Schritt in die richtige den Vorsitz.) Richtung – aus Sicht der FDP-Fraktion – erreicht.

Die Jacobs University hat gerade die Systemakkre- Doch nun zu anderen Kritikpunkten, die auch von ditierung geschafft, das ist ein Qualitätsausweis. anderer Seite schon vorgetragen worden sind, an Sie gehört zu den 300 besten Universitäten welt- dem Antrag der CDU-Fraktion. Ich glaube nicht, weit. dass es die richtige Strategie ist, dass wir hier För- dermittelberatungen vornehmen. Ihre Exzellenz- Ja, ihr Geschäftsmodell wird kritisiert und ist kri- strategie ist eine Entscheidung der Hochschulen tikwürdig, weil es nicht tragfähig ist, so wie man selbst. Die Jacobs Universität war in die Exzellenz- sich das vorgestellt hat. Nichtsdestoweniger bringt strategie der Universität Bremen eingebunden, in- sie eine Leistung, die im Wissenschaftsbereich an- sofern wird das vielleicht auch wieder passieren, erkannt ist. Es ist unehrlich, deswegen haben wir aber das ist ein Antrieb, der aus der Wissenschaft unseren Änderungsantrag gestellt, eine Universität heraus kommen muss und nicht von uns hier be- immer als Wirtschaftsförderungsmaßnahme zu be- schlossen werden kann. Wir können das mit ent- trachten. Jede Hochschule ist wichtig für die lokale sprechenden Mitteln flankieren, wenn entspre- Wirtschaft, das haben wir bei der Hochschule Bre- chende Tätigkeiten da sind, das kann aber nicht men, das haben wir bei der Hochschule für Künste, von uns hier eingefordert werden, das muss aus ei- das haben wir bei der Universität und das haben genständigen Hochschulen heraus kommen. wir bei der Hochschule Bremerhaven. Alle sind für ihren Standort wichtig, aber die Jacobs University (Beifall FDP) ist eben auch für den Standort Bremen-Nord von entscheidender Bedeutung. So sehr wir bei den Überlegungen für ein Medizin- studium dabei waren, auch das muss neu überlegt (Beifall FDP, CDU) werden. Wir haben jetzt die Situation, dass vor den Toren Bremens in Oldenburg – die waren clever So ist es für uns als Freie Demokraten gerechtfer- und haben mit Groningen kooperiert – ein Medi- tigt, ähnliche Mittel in ähnlicher Höhe pro Studie- zinstudiengang weiter ausgebaut wird. Da müssen rendem in solche Hochschulen zu geben wie in wir uns fragen: Sind die Effekte alle noch da? Ist staatliche Hochschulen. Denn wir wollen ja Hoch- das denn möglich? Was ist möglich? Geht das über- schulen, die eigenverantwortlich damit entschei- haupt mit einem neuen Medizinkonzept? So ein- den und wirtschaften. Das sollen Sie auch gern tun, fach als Medizin-Vollsortimenter wie hier aufge- denn wir wollen im Grunde eigenverantwortliche schrieben funktioniert das mit bremischen Haus- Hochschulen. Die Jacobs University ist im Moment haltsmitteln auf jeden Fall nicht. Da können wir eigenverantwortlich auf der Suche nach einem Zu- neidisch nach Nordrhein-Westfalen oder Bayern kunftskonzept und braucht die Flankierung ihres schauen, die sich so etwas leisten können. Wir ha- Standorts wie so viele andere Institutionen und Un- ben da unsere Probleme. ternehmungen auch. Insofern sollten wir uns doch alle Mühe geben und nicht aus ideologischen Letzter Punkt ist die Klimauniversität. Das sind eine Gründen schon über die Abwicklung und die Ver- nette Überschrift und ein nettes Förderprogramm. wendung des Areals nachdenken, wie ich es eben Ich hoffe, dass ist besser ausgestattet als das Real- anklingen hörte. labor-Programm für Wasserstoffwirtschaft von Herrn Altmaier, der aber jetzt zugegebenermaßen (Beifall FDP, CDU) andere Wasserstoffförderung machen wird. Doch das muss man hier jetzt nicht noch einmal neu auf- Zugleich unterstützen wir den CDU-Antrag nicht rufen. Vielleicht gibt es ja die einen oder anderen komplett, denn wir finden, man muss ihn differen- Fördermittel, aber eigentlich muss man dann ehr- ziert betrachten. Das eine ist, dass wir gern möch- licherweise sagen: In Bremen ist die Klimauniversi- ten, dass das Wissenschaftsressort zuständig ist. tät die Universität Bremen. Das Alfred-Wegener- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2083

Institut, das MARUM und vieles darum herum bil- doch die Jacobs University, denn wir haben da ein den die Klimauniversität hier am Standort mit ex- finanzielles Problem. zellentem Ruf weltweit. Das wollen wir doch bitte schön nicht kleinreden. Wenn dann von der Uni- (Abgeordnete Grobien [CDU]: Das könnten wir gar versität eine Kooperation mit den Bereichen der Ja- nicht sagen!) cobs University gemacht wird und weitere Univer- sitäten kooperieren, ist das gut. Doch ich glaube Die würden doch sagen: Ihr habt sie doch nicht alle, nicht, dass dann die Jacobs University als Klimau- in diese Dinge so hineinzugehen. Deshalb ist das, niversität gelten kann. Den Ruf haben andere viel Frau Grobien, die erste Schnapsidee. mehr verdient. (Beifall SPD, DIE LINKE – Zuruf Abgeordnete Gro- Deshalb beantrage ich getrennte Abstimmung zu bien [CDU]) dem Antrag und sage der Jacobs University die Un- terstützung der Freien Demokraten zu. Uns ist je- Die zweite Idee ist der Verweis auf Herrn Altmaier. der Studierende etwas wert, jede Hochschule ist es Ich weiß nicht, ob Sie sich das eingehend ange- wert, dass sie erhalten bleibt, dass sie ihre Chance schaut haben, das ist der Vorschlag 20 von insge- bekommt, denn es geht um Zukunftschancen für samt 20 Vorschlägen. Wenn man sich einmal ver- Menschen und den Standort. – Danke! sucht klar zu werden, was ist denn dahinter, dann wird man feststellen: Bislang gar nichts. Es ist gar (Beifall FDP) nichts ausgeführt, was man damit machen will. Da- für sollen wir uns bewerben. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Gottschalk. (Abgeordnete Grobien [CDU]: Wir?)

Abgeordneter Gottschalk (SPD): Herr Präsident, Auch da möchte ich einmal sagen: Wenn Sie sich liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Rück- das einmal anschauen, Frau Grobien, die Universi- zug der Jacobs Foundation steht die Aufgabe im tät Bremen ist Gründungsmitglied des Netzwerks Raum, zu schauen, ob es ein tragfähiges Zukunfts- „International Universities Climate Alliance“, ei- konzept für die Jacobs University gibt. Dieser Auf- nes Verbundes der 35 führenden klimaforschenden gabe hat sich der Senat gestellt. An dieser Aufgabe, Universitäten auf dieser Welt, und Sie kommen dieses zu prüfen, zu eruieren, zu schauen, ob es ernsthaft her und sagen, wir sollen die Jacobs Uni- neue Investoren gibt, wird gearbeitet. Meine Kolle- versity in das Rennen schicken, weil wir ein Fi- gin hat schon darauf hingewiesen: Wir sind in kei- nanzproblem haben. Das ist doch wohl ein Witz! ner Weise in Verzug und wir müssen uns schon gar Das ist die zweite Schnapsidee von Ihnen. nicht vorwerfen lassen, dass wir vor lauter Ideolo- gie keine Ideen haben würden, was man in so einer (Beifall SPD, DIE LINKE) Situation machen muss. Das dritte: Ihr Vorschlag eines Medizin-Vollstudi- Die CDU ist stattdessen sehr schnell auf die Bühne ums. Erinnern wir uns doch einmal: GeNo und Ja- gesprungen, um zu sagen, wir wissen ja schon, wie cobs University haben schon einmal geprüft, ob es es geht, wir haben drei super Ideen. Die erste: Wir da möglicherweise eine schlanke Lösung gibt. baggern den Etat für die Exzellenzbewerbung an. Herr Dr. Buhlert hat schon das Richtige dazu ge- (Zuruf Abgeordnete Grobien [CDU]) sagt. Bislang, Frau Grobien, habe ich Sie auch im- mer so verstanden, dass Sie es sehr hoch gehalten Das ist ja geprüft worden. Sie schreiben hinein, das haben, dass in einer klaren wissenschaftlichen Dis- sei von uns zurückgezogen worden. Frau Grobien, kussion geklärt wird, welche Fachbereiche, welche das stimmt überhaupt nicht. Der damalige Präsi- Wissenschaftsbereiche von der Universität ausge- dent Professor Dr. Hülsmann hat, nachdem das Pa- wählt werden, um in diese Bewerbung hineinzuge- pier vorgelegen hat, gesagt: Nein, das unter- hen. schreibe ich nicht, weil es Quatsch ist. Das hat sich bis heute auch nicht geändert. Das ist im Grunde (Zuruf Abgeordnete Grobien [CDU]) genommen die Schnapsidee Nummer drei, dass Sie an der Jacobs University aus finanziellen Gründen Und jetzt sagen Sie, wir sollen von Senatsseite dort einen Topf anzapfen wollen, für den sie bislang hineinspringen und sagen: Bitte berücksichtigt überhaupt keinen Vorschlag haben, wie er insge- samt gefüllt werden soll. 2084 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Strich drunter. Ich würde es einmal so sagen: Das, Wie soll so die Akquise von Investoren erfolgreich was meine Kollegin einen Strauß bunter Ideen ge- sein? Deswegen gibt es meine Forderung nach dem nannt hat, sind drei Schnapsideen, die Sie uns hier Bekenntnis. präsentiert haben. Sie helfen uns nicht weiter. Herr Gottschalk, es ist ja süß mit den drei Hirnen (Abgeordnete Grobien [CDU]: Aber Sie wissen, wie und Schnapsideen. Das ist wirklich nett. es geht?) (Zuruf Abgeordneter Gottschalk [SPD]) Ich denke, dass unsere Senatorin, die zuständig ist, dazu auch noch etwas sagen wird, woran sie arbei- Ich darf einmal darauf hinweisen, dass die JUB in ten, woran substanziiert gearbeitet wird und wo wir Klima- und Umweltwissenschaften bereits gut un- dann eine Basis haben, auf der wir entscheiden terwegs ist, und es ist eine Idee von Frau Professor können, wie es weitergeht. – Dankeschön! Boetius – Sie wissen alle, wer das ist, oder soll ich das noch einmal erklären? –, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Abgeordneter Güngör [SPD]: Ja, erklären Sie das Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das bitte!) Wort die Abgeordnete Frau Grobien. der Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, die Abgeordnete Grobien (CDU): Herr Präsident, gesagt hat, dass sie es gar nicht vermutet hätte, meine Damen und Herren! Zu ein paar Einlassun- dass Herr Altmaier eine Klima-Universität anstrebt, gen habe ich mich jetzt doch noch einmal zurück- und ob wir denn nicht einmal unterstützen und gemeldet. schauen könnten: Vielleicht ist es in Kooperation mit vielen anderen Instituten möglich, dass die JUB Frau Brünjes, in Ihren Ausführungen haben Sie einen kleinen Beitrag dazu leisten kann? Wenn sehr deutlich gemacht, dass Sie in der Jacobs Uni- auch nicht als die Klima-Universität. versity eine rein regionale Institution sehen, sozu- sagen als Wirtschaftsförderungsinstrument. Das ist (Abgeordneter Güngör [SPD]: Danke für die Erklä- schon beachtlich und dokumentiert, dass Sie dieses rung!) überregional anerkannte Institut überhaupt nicht akzeptieren. Ich habe es eben schon einmal beim Zwischenruf gesagt zur Kooperation bei der Exzellenzinitiative. Es gibt übrigens auch einen Antrag, eine große An- Sie vergessen völlig, dass in der erfolgreichen Ex- frage zur Internationalisierung der Hochschulen, zellenzstrategie die JUB ein Baustein von BIGSSS diese Debatte führen wir beim nächsten Mal. In der war, damit die Bremer Universität überhaupt erst circa 60-seitigen Antwort kommt die Jacobs Uni- exzellent wurde. versity als internationale Universität – das muss man sich mal vorstellen! – an dem Wissenschafts- Ich bin nun doch ziemlich frustriert, dass hier eine standort Bremen und des Bundeslandes überhaupt derart ablehnende Haltung gegenüber dieser nicht vor. Das zeigt doch genau Ihre Haltung zu wichtigen und guten Institution herrscht. Ich würde diesem Institut! mir deutlicher wünschen, dass man sich dahinter stellt und dass man die jetzt anstehenden Gesprä- (Beifall CDU) che auch positiv begleitet.

Frau Strunge, Sie haben es wortwörtlich gesagt, (Abgeordneter Gottschalk [SPD]: Aber nicht mit dass DIE LINKE die JUB nun absaufen lassen solchen Ideen!) möchte. Vielleicht wird es ja im Board of Governors dann (Abgeordneter Güngör [SPD]: Nein, hat sie nicht!) etwas besser. – Vielen Dank!

Dieses Vokabular haben Sie so benutzt. Wie sollen (Beifall CDU) denn Investorengespräche – und Herr Loprieno führt bereits welche, konnten wir heute lesen – er- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat die Ab- folgreich sein, wenn Investoren nach Bremen kom- geordnete Frau Strunge das Wort. men und merken: Die wollen uns gar nicht, die wol- len ja so eine internationale Universität gar nicht? Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2085

Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Sehr geehrter Kosten und der Finanzierung auseinanderzuset- Herr Präsident, liebe Kollegin Grobien! Mit Kritik zen, bedeutet, Luftschlösser zu bauen anstatt reale kann ich gut umgehen, sie muss dann aber auch Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen. richtig platziert sein. Manchmal hört man nicht richtig genau hin, deswegen sehe ich Ihnen das (Beifall DIE LINKE, SPD) auch nach und zitiere mich noch einmal selbst. Sie als Opposition dürfen das natürlich. Wir als Re- (Zuruf CDU: Dann hoffen wir mal, dass das kein gierungskoalition müssen uns aber den reinen Plagiat ist!) Wein einschenken und wir wissen, dass allein die Investitionskosten für ein medizinisches Vollstu- Ich habe eben gesagt, Zitat: „Trotz der Zuschüsse dium bei rund einer Milliarde Euro liegen, das zeigt durch die Jacobs Foundation musste sie immer wie- die Praxis in anderen Bundesländern. Die FDP- der durch Finanzhilfen vom Land vor dem Absau- Fraktion hat das anscheinend verstanden. fen gerettet werden.“ Das habe ich gesagt, das ist etwas komplett anderes als das, was sie da hinein- Zum letzten Punkt: In der Neufassung Ihres An- gehört haben. trags schreiben Sie noch einmal ganz schnell rein, dass die Jacobs University doch eine internationale (Beifall DIE LINKE, SPD – Zurufe CDU) Klima-Universität werden könnte.

Was auch klar ist: Wir hätten dieses Problem und (Abgeordnete Grobien [CDU]: Prüfen! Da steht et- diese Debatte, die Sie hier gerade aufgemacht ha- was von prüfen!) ben, um die Jacobs University doch gar nicht, wenn dort ein wirtschaftlich tragfähiges Modell hinter Vielleicht wollten Sie damit einfach nur den 20- stehen würde, was wir in der Politik seit Jahren for- Punkte-Plan von Herrn Altmaier featuren. Das dern. Frau Dr. Eschen hatte es eben deutlich ge- kann ich auch verstehen an Ihrer Stelle. Für mich sagt: Es ist ja nicht so, dass wir dieses Thema aufs wirkt es aber trotzdem relativ hilflos, diese unaus- Tableau gehoben haben, sondern dass die Situa- gegorene Idee von Herrn Altmaier hier aufzugrei- tion an der JUB ergibt, dass man sich darüber Ge- fen. Ich habe den Eindruck, Sie haben gar keinen danken machen muss. Plan für die Jacobs University, Sie wissen nicht, wie es damit weitergehen soll und deshalb greifen Sie Wenn ich hier jetzt aber schon stehe, kann ich noch hier nach jedem Strohhalm, den Sie finden können. einmal auf die weiteren Punkte Ihres Antrags ein- Doch ernst zu nehmen ist dieser Vorschlag leider gehen. Das hatten meine Kollegen von der SPD nicht. und den Grünen schon deutlich gemacht, aber auch wir LINKEN haben uns Gedanken gemacht (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) über die weiteren Teile Ihres Antrags. Kommen wir zum Fazit: Ihren Antrag können wir (Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Das war ja nur ablehnen, weil wir mit dem bremischen Haus- eine Drohung, oder?) halt etwas anderes tun wollen als eine private Hochschule zu finanzieren. Sie sprechen von der Einrichtung eines Medizin- vollstudiums. Natürlich gibt es Argumente dafür, (Abgeordnete Grobien [CDU]: Das wissen wir! – denn natürlich wäre es sehr schick, wenn wir hier Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Das ist jetzt in Bremen Ärztinnen und Ärzte ausbilden könnten der Kernsatz!) und diese zumindest zum Teil für die Arbeit in un- serem Bundesland gewinnen. Sie nennen das ideologisch. Wir nennen das ver- nünftig und gerecht. – Herzlichen Dank! (Abgeordnete Grobien [CDU]: Das wäre nicht schick!) (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es tut mir leid, dass Ihnen meine Wortwahl nicht Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat die Se- gefällt, aber damit müssen Sie jetzt leben. natorin Frau Dr. Schilling das Wort.

Hier aber nur die Forderung in den Raum zu wer- Senatorin Dr. Schilling: Sehr geehrter Herr Präsi- fen, ohne sich in irgendeiner Form mit den realen dent, sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, 2086 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

dass die Jacobs University vor einer existenziellen Weg eingeschlagen haben. Nach intensiven Ver- Herausforderung steht. Richtig ist aber auch – und handlungen – sie können mir glauben, sie waren hier kommt das Bekenntnis –, dass das hohe aka- intensiv – hat sich die Jacobs Foundation bereit er- demische Niveau und die starke internationale klärt, die verbliebenen 63 Millionen Schweizer Ausrichtung der Jacobs University zum Renommee Franken aus dem trilateralen Vertrag in zwei Tran- und zur Attraktivität unserer Wissenschaftsland- chen vorgezogen bis Ende des Jahres zu überwei- schaft beitragen. sen – und das war keine Selbstverständlichkeit.

(Abgeordneter Bensch [CDU]: Bremens insge- Dies ist ein großer Erfolg, denn dadurch wird die samt!) mittelfristige Liquiditätsausstattung der Jacobs University gesichert. Der Senat hat mein Haus be- Sagte ich gerade. Die Arbeit zu zukunftsweisenden kanntermaßen beauftragt – Sie haben das hier auch Themen, die an der Jacobs University betrieben schon erwähnt –, bis zum November dieses Jahres wird, strahlt weit über Bremen hinaus. Von den re- die Möglichkeiten eines dauerhaft tragfähigen Ge- gionalökonomischen und fiskalischen Effekten schäftsmodells für die Jacobs University zu prüfen. profitiert ebenfalls nicht nur die Region um Bre- Ich versichere Ihnen, die Zeit ist knapp. Wir haben men-Nord, sondern das Land Bremen als Ganzes. uns deswegen dieser Aufgabe mit aller Kraft und gemeinsam mit der Jacobs University angenom- (Abgeordnete Grobien [CDU]: Danke!) men. Wir sind dabei, uns alle denkbaren Szenarien anzuschauen und diese aufzubereiten. Das ist ein Gerade auch die direkten und indirekten Beschäf- komplexer Vorgang, wie Sie sich sicherlich vorstel- tigungseffekte sind nicht zu unterschätzen. len können.

(Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Noch einmal, Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Be- danke!) hörde sind im Rahmen einer unverzüglich einge- richteten Taskforce in einem konstruktivem, aber Rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind di- auch hier intensiven, Austausch mit den Vertrete- rekt bei der Jacobs University beschäftigt. Damit rinnen und Vertretern der Jacobs University und kommt der Jacobs University eine bedeutende der Jacobs Foundation. Sie können sich sicher sein, Rolle auf dem regionalen Arbeitsmarkt zu. All dies dass wir die Ergebnisse, wenn wir dann so weit ändert aber nichts an der eingangs benannten Tat- sind, transparent vorstellen werden. Sie haben das sache, dass sich die Jacobs University derzeit er- erwähnt, wir haben Sie ja auch eingeladen zur Mit- heblichen Herausforderungen stellen muss. arbeit im Board of Governors. Wir werden natürlich auch die bestehenden rechtlichen und sonstigen Seit geraumer Zeit ist die Jacobs University dabei, Verpflichtungen des Landes nicht aus dem Blick ihre Strategie für das kommende Jahrzehnt zu er- verlieren – das dürfen wir auch gar nicht –, sondern arbeiten. Mitten in diesem für sie so wichtigen Pro- ein Zukunftskonzept, und das dürfen wir nicht ver- zess treffen sie die Auswirkungen der Coronapan- gessen, unter bestmöglicher Wahrung der Interes- demie. Die weitgehende Einschränkung der Reise- sen der Freien Hansestadt Bremen erarbeiten. freiheit erschwert die Rekrutierung von internatio- nal Studierenden, was die Geschäftsaussichten der Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, ich Jacobs University in erheblichem Maße negativ be- begrüße, dass Sie die Krise als Chance nutzen wol- einflusst. Die Jacobs Foundation wird – das ist hier len, um ein Zukunftskonzept für die Jacobs Univer- ja schon mehrfach angeklungen – ihr Engagement sity gemeinsam mit allen relevanten Akteuren aus in der Jacobs University nicht mehr fortsetzen. Das Wissenschaft und Wirtschaft zu erarbeiten. Aus ist sicher, sie wird sich zum Jahresende zurückzie- meiner Sicht greifen Ihre Beschlussvorschläge al- hen. lerdings in verschiedener Hinsicht zu kurz. Sie for- dern den Senat auf, zusammen mit der Universität Hierauf haben wir allerdings schon reagiert. Ich Bremen und der Jacobs University zeitnah zu prü- versichere Ihnen, dass wir mit den Ende Juni ge- fen, inwieweit ein gemeinsamer Antrag auf die Ex- troffenen Beschlüssen des Senats zur Auflösung zellenzstrategie des Bundes im Sinne eines Exzel- des trilateralen Vertrages zwischen der Freien lenzverbundes oder einer Kooperationspartner- Hansestadt Bremen, der Jacobs Foundation und schaft gestellt werden könne. Doch dieser Ansatz der Jacobs University einen höchst verantwor- wird die wirtschaftlichen und strukturellen Prob- tungsbewussten und auch zukunftsorientierten leme der Jacobs University nicht lösen können. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2087

Selbstverständlich begrüßen und unterstützen wir Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir als Ressort Wissenschaft und Häfen enge Koopera- sind uns der Verantwortung für die Gestaltung der tionen zwischen der Jacobs University und den Zukunft der Jacobs University bewusst. Der Antrag staatlichen Hochschulen. Gerade im Bereich der der CDU leistet aus unserer Sicht keinen weiteren Sozialwissenschaften sind solche Kooperationen inhaltlichen Beitrag zur Bewältigung der Heraus- seit langem eine gelebte Praxis. Als Beispiel forderungen, vor denen die Jacobs University steht. möchte ich nur die gemeinsame Graduiertenschule Bremen International Graduate School of Social (Beifall SPD – Abgeordneter Gottschalk [SPD]: Ge- Sciences nennen. Derartige Kooperationen zwi- nau!) schen den Hochschulen dienen allerdings nicht der finanziellen Entlastung der verschiedenen Ak- Ich bitte Sie deswegen, diesen Antrag abzulehnen. teure, sondern insbesondere dazu, die vorhande- Trotz alledem lade ich Sie weiterhin ein, sich mit nen Kompetenzen zu bündeln und von der Exper- Ihren Ideen einzubringen. Noch ein Hinweis: Die tise der beteiligten Institutionen zu profitieren. Im Federführung, Herr Dr. Buhlert, für die Jacobs Uni- Ergebnis heißt das: Mit einem gemeinsamen An- versity liegt in meinem Ressort. Insofern: Wissen- trag der Jacobs University und der Universität Bre- schaft und Häfen sind zusammengekommen und men auf die Exzellenzstrategie des Bundes könnte wir werden für eine ordnungsgemäße fachliche Be- weder ein wirtschaftlich tragfähiges Zukunftsmo- wältigung dieser Aufgaben sorgen. – Ich danke dell für die Jacobs University entwickelt werden, Ihnen! noch wird es der Jacobs University so gelingen, ihr Geschäftsmodell als private Hochschule neu zu de- (Beifall SPD) finieren. Präsident Imhoff: Für eine Kurzintervention erhält Ihr Vorschlag, eine Machbarkeitsstudie für ein Me- das Wort der Abgeordnete Herr Bensch. dizinstudium an der Jacobs University in Auftrag zu geben, sehe ich auch als problematisch, denn es Abgeordneter Bensch (CDU): Vielen Dank Herr wird die Liquidität der Jacobs University noch wei- Präsident! Frau Senatorin, vielen Dank für Ihre ter schmälern. Es erscheint mir als sehr fraglich, ob Ausführungen. Nicht nur als Nordbremer, nicht nur in Anbetracht der erheblichen Ein- und Durchfüh- als Gesundheitspolitiker, der ich schon seit Jahren rungskosten – die Zahlen sind hier schon genannt ernsthaft im Dialog, im Gespräch mit der GeNo und worden – für Medizinstudiengänge, die Einrich- auch den Verantwortlichen der Jacobs University tung eines Medizinstudienganges tatsächlich die über eine vorklinische Ausbildung war, die nicht in Probleme der Jacobs University lösen kann. Die Milliardenhöhe geht, sondern wo wir uns jährlich heute von der Jacobs University erhobenen Stu- in einem Rahmen von 28, 30, 32 Millionen Euro be- diengebühren reichen offensichtlich nicht einmal wegen. zur Kostendeckung des bestehenden Studienange- botes aus. Wie soll das bei einem, aller Voraussicht Vor dem Hintergrund, dass von 36 Disziplinen im nach einmal teureren, Medizinstudiengang ohne vorklinischen Bereich die GeNo und die Jacobs externe Hilfe möglich sein? University 33 von 36 Disziplinen sofort besetzen können. Nicht nur vor dem Hintergrund, dass ich Auch Ihre Idee mit der Klimauniversität mag als Nordbremer bin, muss ich noch zwei Bemerkungen langfristige Perspektive für den bremischen Wis- schnell loswerden: senschaftsstandort als solchen durchaus attraktiv sein. Unsere Hochschulen und wissenschaftlichen Erstens, was die Ausführungen der Koalitionsabge- Einrichtungen – sie sind ja auch schon genannt ordneten betrifft, sehe ich leider schwarz. Für mich worden – wie das MARUM oder auch das AWI wür- kommt das wirklich einem Todesurteil der Jacobs den hierfür die besten Voraussetzungen mit sich University gleich. Bei Ihren Ausführungen, Frau bringen. Kurzfristig wird diese Idee, die strukturel- Senatorin, bin ich noch ein Stück weit hoffnungs- len Probleme, mit denen die Jacobs University kon- froh. Ich hoffe, dass wir zum Ende des Jahres Er- frontiert ist, jedoch nicht lösen können. Zudem fehlt gebnisse bekommen, die wirklich tragfähig sind. es dieser Idee noch an einem konkreten zeitlichen, Ich bitte Sie: Geben Sie das Ihren Senatskollegen, finanziellen und institutionellen Rahmen. Hier be- dem Bürgermeister, dem Präsidenten des Senats darf es einer deutlichen Konkretisierung seitens mit auf den Weg, es wäre gut, für ein Zeichen Bre- des Bundesministeriums für Wirtschaft und Ener- men-Nords, dass auch er bei solchen wichtigen De- gie. batten anwesend wäre, denn an anderer Stelle hat er uns jüngst im Regen stehen lassen. Wenn Sie 2088 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

ihm das mitteilen, dann weiß er ganz genau, was Wer den Ziffern 2b, 2d und 2f seine Zustimmung ich damit meine. – Vielen Dank! geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

(Beifall CDU) (Dafür CDU, Abgeordneter Beck [AfD])

Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen Ich bitte um die Gegenprobe. nicht vor. (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Die Beratung ist geschlossen. LINKE, FDP)

Wir kommen zur Abstimmung. Stimmenthaltungen?

Gemäß § 62 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die lasse ich zunächst über den Änderungsantrag der Ziffern 2b, 2d und 2f des Antrags ab. Fraktion der FDP abstimmen. Zum Schluss lasse ich über die Ziffer 2c des Antrags Wer dem Änderungsantrag seine Zustimmung ge- abstimmen. ben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wer der Ziffer 2c seine Zustimmung geben möchte, (Dafür FDP) den bitte ich um das Handzeichen.

Ich bitte um die Gegenprobe. (Dafür CDU, Abgeordneter Beck [AfD])

(Dagegen CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Ich bitte um die Gegenprobe. LINKE, Abgeordneter Beck [AfD]) (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Stimmenthaltungen? LINKE)

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Stimmenthaltungen? Änderungsantrag ab. (FDP) Nun lasse ich über den Antrag der Fraktion der CDU abstimmen. Die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Ziffer 2c des Antrags ab. Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Ich lasse zunächst über die Ziffern 1, 2a und 2e des Tagesordnung angekommen und ich möchte mich Antrags abstimmen. noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie sich an die Hygieneregeln hier an diesen Tagen so gut ge- Wer den Ziffern 1, 2a und 2e seine Zustimmung ge- halten haben, dass Sie Abstand gehalten haben ben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. und dass Sie Masken getragen haben. Ich wünsche Ihnen einen schönen Heimweg. Ich schließe die (Dafür CDU, FDP, Abgeordneter Beck [AfD]) Sitzung. Bleiben Sie gesund!

Ich bitte um die Gegenprobe. (Beifall)

(SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Schluss der Sitzung 18:02 Uhr) Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Ziffern 1, 2a und 2e des Antrags ab.

Ich lasse nun über die Ziffern 2b, 2d und 2f des An- trags abstimmen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020 2089

Anhang zum Plenarprotokoll

Schriftlich vom Senat beantwortete Anfrage aus gerichteten Erlass des Innensenators zum Um- der Fragestunde der Bürgerschaft (Landtag) vom gang mit Reichskriegsflaggen. Der Bremer Er- 8. Oktober 2020 lass geht über den brandenburgischen Erlass hinaus, indem er zu den aufgeführten Reichs- Anfrage 9: Verbot von Reichs- und Reichskriegs- kriegsflaggen zusätzlich auch die „Reichsflagge flaggen ab 1892/ Flagge des „Dritten Reichs“ von 1933 Anfrage der Abgeordneten Janßen, Frau Le- bis 1935 umfasst. onidakis und Fraktion DIE LINKE vom 17. September 2020 Die Verwendung der im Erlass genannten Flag- gen in der Öffentlichkeit stellt aus Sicht des Se- Wir fragen den Senat: nats regelmäßig eine nachhaltige Beeinträchti- gung eines geordneten und friedlichen Zusam- 1. Ist dem Senat das brandenburgische Verbot menlebens und damit eine Gefahr für die öffent- zur öffentlichen Verwendung von Reichs- und liche Ordnung dar. Wenn eine Reichskriegs- Reichskriegsflaggen bekannt und wie bewertet flagge gezeigt wird, ist nunmehr in jedem Fall der Senat diese Regelung? eine Ordnungswidrigkeit nach Paragraf 118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes zu prüfen und 2. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit, das der Einzelfall mittels Foto und/oder Video zu do- Zeigen von Reichs- und Reichskriegs-flaggen in kumentieren. Die Flaggen sind grundsätzlich si- der Öffentlichkeit im Rahmen eines Verbots im cherzustellen. Land Bremen ebenfalls zu unterbinden? Der Erlass ist am 21. September 2020 in Kraft ge- Antwort des Senats: treten und der Umgang mit bewusst zur Provo- kation oder zur Einschüchterung der Allgemein- Zu den Fragen 1 und 2: Vor dem Hintergrund heit eingesetzten Flaggen wurde für die Innen- der aktuellen Ereignisse in Berlin am 29. August ministerkonferenz im Dezember 2020 mit dem vor dem Reichstagsgebäude hat der Senator für Ziel einer bundeseinheitlichen Vorgehensweise Inneres mit Erlass vom 21. September 2020 klar- angemeldet. Verschiedene Innenministerien der gestellt, dass das öffentliche Zeigen von Reichs- Länder sowie das Bundesministerium des In- kriegsflaggen sanktioniert werden kann, wenn nern, für Bau und Heimat haben die Initiative in dies zum Zwecke der Provokation oder Ein- entsprechenden Äußerungen positiv aufgegrif- schüchterung geschieht. Der brandenburgische fen. Erlass war insofern Vorbild für den an die Poli- zei- und Ordnungsbehörden im Land Bremen 2090 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 15. Sitzung am 07.10.2020 und 08.10.2020

Konsensliste

Von der Bürgerschaft (Landtag) in der 15. Sitzung nach interfraktioneller Absprache beschlossene Tagesordnungspunkte ohne Debatte.

Nr. Tagesordnungspunkt Beschlussempfehlung Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnah- Die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Ge- 41. men bei psychischen Krankheiten setz in erster Lesung. Mitteilung des Senats vom 22.09.2020 (Drucksache 20/617) Sanierungsbericht der Freien Hansestadt Bre- men vom September 2020 Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt den Bericht 46. Mitteilung des Senats vom 29.09.2020 zur Kenntnis. (Drucksache 20/633) Personalbericht 2020 Bericht über die Umsetzung des Landesgleich- stellungsgesetzes mit den Daten des Jahres Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt den Bericht 47. 2018 zur Kenntnis. Mitteilung des Senats vom 30.09.2020 (Drucksache 20/634) Verwaltungsvereinbarung - Finanzhilfen des Bundes für das Investitionsprogramm zum be- schleunigten Infrastrukturausbau der Ganz- Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt den Bericht 48. tagsbetreuung für Grundschulkinder zur Kenntnis. Mitteilung des Senats vom 29.09.2020 (Drucksache 20/635)

Frank Imhoff Präsident der Bremischen Bürgerschaft