Plenarprotokoll 12/62

Deutscher Bundesta g

Stenographischer Bericht

62. Sitzung

Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt: CDU/CSU 5302 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudi Walther (Zierenberg) SPD 5304 B Wieland Sorge, weiterer Abgeordneter Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 5310B und der Fraktion der SPD: Gleichstellung von Meistern in der Industrie und Mei- Namentliche Abstimmung 5315 B stern im Handwerk in den neuen Bun- Ergebnis 5317 A desländern (Drucksache 12/738) . . . 5279A Tagesordnungspunkt VIII: Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Fraktionen Beratung des Antrags der Fraktion der der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrach- SPD: Gründung von drei unselbständi- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- gen Stiftungen unter dem Dach des Bun- rung des Gesetzes über die parlamenta- desarchivs (Drucksache 12/1379) . . . 5279B rische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes und zur Änderung Tagesordnungspunkt VII: des Gesetzes zur Beschränkung des Dritte Beratung des von der Bundesregie- Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- ses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) setzes über die Feststellung des Bundes- (Drucksache 12/1643) haushaltsplans für das Haushaltsjahr Dr. Paul Laufs CDU/CSU 5315D 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksa- chen 12/1000, 12/1329, 12/1401 bis Andrea Lederer PDS/Linke Liste 5318D 12/1415, 12/1416 [neu], 12/1417 bis Dr. Peter Struck SPD 5319 C 12/1422, 12/1424 bis 12/1430, 12/1600, Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 5320 A 12/1601) Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 5320 D Anke Fuchs (Köln) SPD 5279 D Dr. FDP 5322 A Dr. Klaus Rose CDU/CSU 5282 D Ingrid Köppe Bündnis 90/GRÜNE . . 5322 D FDP . . 5284 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Beratungen ohne Aussprache Liste . . 5288 A Dr. PDS/Linke Tagesordnungspunkt IX CDU/CSU 5291A Hans Peter Schmitz (Baesweiler) a) Zweite und dritte Beratung des von den Ingrid Matthäus-Maier SPD 5292 C Fraktionen der CDU/CSU und FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bündnis 90/GRÜNE 5293 A (Berlin) Änderung des D-Markbilanzgesetzes Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP . 5293 D (Drucksache 12/1467, 12/1605) . . . . 5323 B Johannes Nitsch CDU/CSU 5297 C b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr FDP 5299 B zu der Unterrichtung durch die Bundes- Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 5301 A regierung: Mitteilung der Kommission II Deutscher — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

der Europäischen Gemeinschaften an Bundesministers der Finanzen: Einwilli- den Rat über ein europäisches Hoch- gung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaus- geschwindigkeitsbahnnetz haltsordnung zur Veräußerung der bun- Vorschlag für eine Entscheidung des Ra- deseigenen Liegenschaft in Planegg, tes zur Entwicklung eines europäischen Flur Nr. 411 (Drucksachen 12/1146, Hochgeschwindigkeitsnetzes (Drucksa- 12/1498) 5323 D chen 12/311 Nr. 2.18, 12/1173) . . . . 5323 B Nächste Sitzung 5324 C c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu Berichtigung 5324 der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Zweite Änderung zum Vor- schlag für eine Fünfte Richtlinie des Ra- Anlage 1 tes nach Artikel 54 EWG-Vertrag über die Struktur der Aktiengesellschaft so- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 5325* A wie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe (Drucksachen 12/269 Nr. 2.4, 12/1464) 5323 C Anlage 2 d) Beratung der Beschlußempfehlung des Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Haushaltsausschusses zu der Unterrich- des Einzelplans 17 — Geschäftsbereich des tung durch die Bundesregierung: Über- Bundesministers für Frauen und Jugend — planmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 02 — Sozialzuschlag zu Ar- Uta Würfel FDP 5325* C beitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe (Drucksachen 12/1264, 12/1497) . . . 5223 C Anlage 3 e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Amtliche Mitteilungen 5326 8* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5279

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62. Sitzung

Bonn, den 29. November 1991

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Ich weise darauf hin, daß über den Gesetzentwurf ren, die Sitzung ist eröffnet. gegen 12.30 Uhr namentlich abgestimmt werden soll. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Das ist die Absicht des Hauses. Es wird am Hause lie- Tagesordnung um folgende zwei Zusatzpunkte gen, ob wir diesen Termin halten können. — ohne Debatte — erweitert werden: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Beratung des Antrags der Abgeordneten Wie- die Aussprache drei Stunden vorgesehen. land Sorge, Albert Pfuhl, Dr. Uwe Jens, weite- (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Das rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD reicht!) Gleichstellung von Meistern in der Industrie — Auch dagegen erhebt sich ganz offensichtlich und Meistern im Handwerk in den neuen Bun- — neben einer bestätigenden Bemerkung des Vorsit- desländern zenden des Haushaltsausschusses — kein Wider- — Drucksache 12/738 — spruch. Dann ist auch dies so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeord- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) neten Anke Fuchs das Wort. Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Gu- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD ten Morgen!) Gründung von drei unselbständigen Stiftun gen unter dem Dach des Bundesarchivs — Drucksache 12/1379 — Anke Fuchs (Köln) (SPD): Guten Morgen, Herr Ger- ster. Ich freue mich, daß Sie schon so wach sind. Das ist Überweisungsvorschlag: heute nicht bei allen Abgeordneten des Deutschen Innenausschuß (federführend) Bundestages so. Rechtsausschuß Finanzausschuß Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach vier Tagen Debatte über den Haushalt 1992 möchte Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? — Da ich ein doppeltes Fazit ziehen. Das erste Fazit bezieht sich kein Widerspruch erhebt, sondern Zustimmung sich auf die Befindlichkeit dieser Bundesregierung, signalisiert wird, ist das so beschlossen. die heute besonders „stark" auf der Regierungsbank vertreten ist. Deute ich nämlich die Beiträge der Fi- nanzfachleute der Regierungskoalition — allen voran Ich rufe Punkt VII der Tagesordnung auf: die des Finanzministers — richtig, so komme ich zu Dritte Beratung des von der Bundesregierung dem Schluß: Nie war Schuldenmachen so schön wie eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über heute. die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für (Beifall bei der SPD) das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz Herr Waigel will sich von uns seine Schulden nicht 1992) vorhalten lassen, hat er am Dienstag gesagt. Er zog — Drucksachen 12/1000, 12/1329, 12/1401 bis Vergleiche mit den 70er Jahren. Damit hat er unfrei- 12/1415, 12/1416 (neu), 12/1417 bis 12/1422, willig den Finger selbst in die offene Wunde gelegt. 12/1424 bis 12/1430, 12/1600, 12/1601 — Der springende Punkt ist nämlich, daß wir damals zur Abwehr von zwei internationalen Wirtschaftsk risen Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion eine arbeitsmarktorientierte offensive Industriepolitik der SPD vor. betrieben haben, die weltweit bewundert wurde und (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ein von der Sie nur träumen können, meine Damen und guter Antrag!) Herren. — Sie sind doch hoffentlich daran beteiligt, Herr Kol- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ lege Wieczorek. CSU) 5280 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Anke Fuchs (Köln) Sie dagegen sind im Dilemma Ihrer antiquierten Sie erwarten, daß die Politik jetzt handelt. Die Men- Marktideologien gefangen. Deshalb packen Sie alles, schen wollen nämlich, daß die von den Brummis trans-- was Sie tun, halbherzig und planlos an und reagieren portierten Güter von der Straße auf die Schiene verla- immer zu spät. gert werden. (Beifall bei der SPD — (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [CDU/CSU]: Glauben Sie das?) Die Menschen wollen, daß es ökonomisch Sinn macht, Ein Jahr geht zu Ende, in dem Sie viel darüber nach- die Bahn zu benutzen. Die Menschen erwarten ein gedacht haben, wie Sie den Bürgern das Geld aus der funktionierendes System des öffentlichen Personen- Tasche ziehen können und in dem Sie keinen Gedan- nahverkehrs. Aber diese Bundesregierung stellt die ken darauf verschwendet haben, wie Sie die Pro- Weichen in die falsche Richtung. Ihre Verkehrspolitik bleme, die die Menschen berühren, eigentlich lösen steckt im Stau. wollen. Sie haben in diesem Jahr das Gegenteil des- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sen getan, was Sie im Jahr zuvor versprochen hatten. Hinter uns liegt die größte Steuererhöhung, die wir je Die angebliche Bevorzugung der Bahn als umwelt- gehabt haben. Vor uns liegen ein riesiger Schulden- freundliches und zukunftsträchtiges Verkehrsmittel berg und unsichere Konjunkturaussichten. Leere Kas- ist nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Ich will die sen, aber voller Stolz — so präsentiert sich Finanzmi- Zahlen noch einmal nennen. Für den Ausbau und den nister Waigel. Herr Waigel versucht, uns Sand in die Neubau der Bundesfernstraßen stehen im Haushalt Augen zu streuen, indem er behauptet, die Schulden- rund 8,1 Milliarden DM zur Verfügung. Die Investi- lawine sei die zwangsläufige Folge der Einheit. tionszuschüsse für den Streckenausbau der Deut- schen Bundesbahn machen gerade 1,1 Milliarden DM (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Wie war die For aus, und bei der Reichsbahn sind es 2,75 Milliarden mulierung?) DM. Nun müssen wir bedenken, daß mit den 3,85 Mil-

— Die Formulierung lautete, Herr Kollege Klose: liarden DM für die Bahn auch alle Nahverkehrs - und Leere Kassen, aber voller Stolz. Regionalstrecken abgedeckt werden müssen. Zu den Straßenbaukosten müßten wir also die Straßenbau- (Beifall bei der SPD) mittel der Kreise, Kommunen und Länder hinzurech- Dabei sind die Fehler Ihrer Politik schon zu Beginn nen. Damit wird ganz deutlich, wie kraß die Benach- der achtziger Jahre angelegt worden. Denn seit Sie teiligung der Bahn bei der Infrastrukturpolitik wirk- regieren, lautet Ihr wirtschaftspolitisches Credo: lich ist. Nichteinmischung in die Märkte. Kein Konzept zu haben ist das Konzept. Ich will es an drei Beispielen Im Zuge des Aufschwung Ost werden in den Jahren erläutern. Sie haben kein Konzept zum Arbeitsmarkt, 1991 und 1992 für die Förderung des öffentlichen Per- kein Konzept zum Wohnungsmarkt, kein Konzept für sonennahverkehrs in den neuen Bundesländern 800 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Für den kom- die Verkehrspolitik. munalen Straßenausbau sind es im gleichen Zeitraum (Zuruf von der CDU/CSU: Und Sie haben dagegen 2,2 Milliarden DM. Herr Krause täuscht vor- kein Konzept für die Regierungsüber sätzlich die Öffentlichkeit, und der Vorrang der nahme!) Schiene, wie es der Bundeskanzler in der Regierungs- Den Dornröschenschlaf der Politik haben sie „Markt- erklärung angekündigt hat, ist lange vom Tisch, wirtschaft" genannt, und auf der Regierungsbank ha- meine Damen und Herren. ben Sie ihn vorgelebt. (Beifall bei der SPD) Hören Sie sich einmal folgendes Zitat an: Zweites Beispiel: Wohnungsmarkt. Diesen gibt es Ich kann überall schlafen. Ich schlafe im Auto; ich eigentlich gar nicht mehr. Ich habe noch im Ohr, als schlafe im Flugzeug; ich schlafe im lauten Hub- Sie 1983 sagten, sozialer Wohnungsbau müsse nicht schrauber; ich schlafe vor und, wenn Sie so wol- mehr sein. Der Wohnungsbedarf sei gedeckt. len, nach, wenn ich einen entsprechenden Bedarf Wir haben damals vor dem Trugschluß gewarnt. habe, und den habe ich immer. Gott sei Dank, daß Aber Sie wußten es ja, ohne nachzudenken, wieder ich so gut schlafe! besser. Nicht nur die sozial Schwachen in unserer Soweit in der Tageszeitung „Die Gesellschaft, die bei Ihnen sowieso ausgegrenzt sind, Welt" . spüren jetzt die Folgen Ihrer Politik. Wut und Zorn über Ihre Tatenlosigkeit hat sich quer durch alle Be- Ich sage dazu: Guten Morgen, Herr Bundeskanzler; völkerungsschichten breitgemacht. Die Folgen sind so es hat sich ausgeschlafen; die Realität hat Sie einge- dramatisch, meine Damen und Herren, daß sogar Frau holt, und diese Realität sieht so aus, meine Damen und Ministerin Schwaetzer das Wort „sozialer Wohnungs- Herren: In den alten Ländern der Bundesrepublik bau" in den Mund nimmt. Es kommt ihr allerdings Deutschland gibt es rund zwei Millionen Menschen, schwer über die Lippen. Ich finde, sie sieht immer so die auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind. Es aus, als ob sie einen ganz sauren Drops lutscht, wenn gibt rund 500 000 Menschen, die dauerhaft kein Dach sie sagt, daß sie etwas für den sozialen Wohnungsbau über dem Kopf haben, und es gibt 3,8 Millionen Men- tun muß. schen ohne Arbeit und für diejenigen, die Arbeit ha- ben, jeden Morgen und jeden Abend Chaos auf den (Zurufe von der CDU/CSU: Ha! Ha! Ha!) Straßen. Das Ziel verfehlt aber das, was wir in der Baupolitik Dabei wissen die Bürgerinnen und Bürger, meine brauchen. Drei Bauminister haben in den letzten Jah Damen und Herren, daß es so nicht mehr weitergeht. ren halbherzig Programme aufgelegt und in einem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5281

Anke Fuchs (Köln) beispielhaften Zickzackkurs die Mittel für den sozia- unserer Vorschläge zusammengeklaubt, den Sie be- len Wohnungsbau jedes Jahr verändert, dabei aber griffen haben; immer nur gekleckert. In einer Zeit größer werdender Wohnungsnot führt dieses Herumwerkeln zu gewalti- (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ gem sozialen Sprengstoff. CSU) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider z. B. die von Ihnen zunächst verteufelten Beschäfti- wahr!) gungsgesellschaften. Aber die anderen Vorschläge, die Sie nicht kapiert haben, nämlich was man unter

Um der Wohnungsnot Herr zu werden, müssen neue einer durchgreifenden Industrie - und Strukturpolitik Stadtviertel geplant und gebaut werden. Das ist nur versteht, die haben Sie im wahrsten Sinne des Wortes möglich, wenn verläßlich klar ist, daß über Jahre hin- links liegenlassen, meine Damen und Herren. Sie hät- aus Mittel zum Bau von Sozialwohnungen bereitste- ten mit uns darüber nachdenken sollen, wie uns die hen. Es ist keiner Stadt zuzumuten, ein neues großes Umstrukturierung ganzer Branchen und Regionen im Wohnviertel zu planen, ohne Sicherheit über die dafür Westen der Bundesrepublik gelungen ist. Niemals benötigten öffentlichen Mittel zu haben. wären wir auf die Idee gekommen, so leichtfertig (Beifall bei der SPD) ganze Industriestandorte kaputtgehen zu lassen, wie Sie das jetzt im Osten unseres Vaterlandes tun. Das Meine Damen und Herren, dank Ihrer Politik gibt es werfen wir Ihnen vor, meine Damen und Herren. richtige Wohnungsnot. (Beifall bei der SPD) (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Richtig!) Konkret für diese Woche heißt das: Ändern Sie ge- Was wir brauchen, sind bezahlbare Wohnungen. Ihr setzlich den Auftrag der Treuhand so, daß ein klarer auf drei Jahre befristetes Sonderprogramm ist das f al- Sanierungsauftrag erteilt wird, daß Industrie- und sche Signal. Strukturpolitik möglich wird und daß Industriestand- (Zurufe von der SPD: Sehr richtig!) orte erhalten bleiben können. Herr Waigel hat das wiederum hartnäckig abgelehnt. Wir werden auf die Sie weigern sich vor allem, echte Sozialwohnungen Folgen dieser Entwicklung aufmerksam machen. Die mit langfristigen Bindungen zu schaffen. Das Problem Arbeitslosen sind dann nämlich, meine Damen und wird verschärft, wenn die langfristigen Bindungen Herren, von der CDU und der CSU produziert. Das nicht Teil Ihres Konzeptes werden. werden wir den Bürgern draußen auch sagen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich sage: Die Wohnung ist kein beliebiger Konsumar- Sie weigern sich aus ideologischen Gründen, jenes tikel. Haupthindernis für eine positive Entwicklung zu be- (Zurufe von der FDP: Richtig! — Beifall bei seitigen — ich meine die Eigentumsfrage. Ich habe Abgeordneten der SPD) versucht, was mir immer schwerfällt, mich in Wirt- schaftsliberale hineinzuversetzen. Aber warum Sie Die Wohnung ist ein Teil von Lebensqualität. Mit der nicht in der Lage sind, mit uns zusammen diesen Wohnung wird ein Anspruch auf Lebensqualität ver- Kernfehler zu beheben, ist mir nicht einsichtig. Der wirklicht, und zwar für die Menschen im Osten und im Kollege Ullmann ist heute leider nicht da. Er hat in der Westen der größer gewordenen Bundesrepublik. Debatte in dieser Woche noch einmal ganz klarge- (Beifall bei der SPD) macht, welche Mängel die Anlage IX zum Einigungs- vertrag hat. Wir wissen alle miteinander, daß der Nun will Frau Schwaetzer sogar noch die Länder zur Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung verhängnis- Kasse bitten. Sie muß doch wissen, daß viele Länder, voll ist. z. B. Nordrhein-Westfalen, sozialen Wohnungsbau aus Landesmitteln fortgesetzt haben. Es ist schlicht Sie haben dann halbherzig mit einem Monstrum eine Unverfrorenheit, wenn Sie jetzt wiederum Forde- von Gesetz versucht, etwas zu verbessern. Das nennt rungen an die Länder richten. Sie wollen damit nur sich dann auch noch „Gesetz zur Beseitigung von von Ihrer eigenen Tatenlosigkeit ablenken. Hemmnissen bei der Privatisierung und der Förde- rung von Investitionen" . Ein solches Bandwurmgesetz (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kann gar nichts Vernünftiges sein. Nein, aus ideologi- Mein drittes Beispiel — in der Frage: keine struktur- schen Gründen halten Sie an einer falschen Eigen- verändernde Politik — ist die Arbeitsmarkt - und Be- tumsideologie fest. Ich rufe Sie auf: Werfen Sie diese schäftigungspolitik. Wenn es um Wirtschaft und Be- Ideologie doch über Bord! Versuchen Sie doch, mit schäftigung geht, reden Sie auch nur vom Markt, an uns zusammen diese Kernfrage zu lösen; dann wären dem angeblich alles von selbst geht. Von Wirtschafts- wir ein Stück weiter. politik, von Gestaltung durch Politik kann keine Rede sein. Sie haben offensichtlich jenseits jeden Sachver- (Beifall bei der SPD) stands geglaubt, die Umstellung der Planwirtschaft in Der neue Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU der ehemaligen DDR auf die Soziale Marktwirtschaft käme von ganz allein. (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Der ist gut, nicht?) (Zurufe von der FDP: Ach! — Zuruf von der redet wie der alte. Ich hätte nach den Ankündigungen CDU/CSU: Das haben wir nicht geglaubt!) und nachdem er gesagt hat, die CDU/CSU-Fraktion Dann haben Sie gemerkt, daß Sie sich geirrt haben. solle mehr Spielraum haben und sich mehr an der Aber was haben Sie gemacht? Sie haben den Teil Arbeit der Regierung beteiligen können, gedacht, daß 5282 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Anke Fuchs (Köln) er uns als ersten wichtigen Einstieg gesagt hätte, wie Nein, sie fließen in ein Faß ohne Boden. Dienen sie sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eigentlich die dem Abwickeln von Betrieben und dem Kaltstellen- Regelung der Pflegeversicherung vorstellt. Das wäre von Menschen, die nicht in das Raster Ihrer Markt- für ihn ein glänzender Einstieg gewesen. ideologie passen, wie im Westen geschehen — Stich- wort: Zweidrittelgesellschaft —, oder brauchen wir (Beifall bei der SPD) dieses Geld nicht vielmehr zur Firmensanierung und Aber nichts davon! Er hat Herrn Blüm nicht unter- zum Miteinander in einer solidarischen Gesell- stützt, er hat von Lohnnebenkosten gesprochen; alles schaft? Sprüche, die wir kennen. Er redete wie sein Vorgän- Wir halten Ihnen nicht allein die aktuellen Ver- ger. Es fiel ihm nichts anderes ein, als die „Erblast der säumnisse vor. Wir stehen nämlich einmal wieder da, SPD" zu bemühen. wo wir in den Jahren 1988 und 1989 schon einmal (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Es stimmt im waren, als die Regierung Kohl reif für die Ablösung mer wieder!) war. Sie werden von Ihren damaligen Fehlern wieder eingeholt. Sie haben schon damals nichts getan Er hat offensichtlich verdrängt, daß Sie schon neun Jahre an der Regierung sind. (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sprechen Sie von der SPD?) (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Mit großem Erfolg!) und haben heute nicht einmal die Kraft, die Probleme zu benennen. Sie hätten lange Zeit gehabt, das wichtige Thema Pflegeversicherung endlich auf den Weg zu bringen. Ich möchte ein zweites Fazit ziehen: Im Land macht Ich bin enttäuscht von dem Herrn Fraktionsvorsitzen- sich eine traurige Stimmung breit: den. (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Wann waren Sie das letzte Mal im Lande?) (Beifall bei der SPD — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Überlegen Sie mal, wie es nach Diese Regierung interessiert sich nicht für das Land, neun Jahren SPD aussah!) (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU) Was Herr Schäuble zum Thema Asyl veranstaltet, und das Land interessiert sich nicht mehr für seine ist so kaltschnäuzig, wie ich ihn immer eingeschätzt Regierung. habe. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt zu Recht: In einer Situation, in der die Regierung schon durch Hier ist ein übler Flüchtlingstrick im Gange. Die „Süd- schiere Ehrlichkeit Punkte machen könnte, indem sie deutsche Zeitung" sagt: Hier wird alles übertroffen, nämlich zugibt, daß uns grimmige Zeiten bevorste- was wir an Unerbittlichkeit in der Asylfrage bisher hen, erschöpft sie sich im planlosen „Weiter so, erlebt haben. Ich fordere die Bundesregierung auf, Deutschland! " Die Menschen sind davon abgrundtief sich von Herrn Schäubles Vorschlägen zu distanzie- enttäuscht. Die Konsequenz ist, daß sie sich immer ren. mehr von der Politik abwenden. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Von der SPD!) Die Menschen in den alten und neuen Ländern sind Verlierer Ihrer Politik. Sie haben kein Vertrauen Sie flüchten sich in gleichgültige Wahlenthaltung, mehr, daß es bezahlbare Wohnungen gibt, daß Kin- oder sie laufen rechten Aufwieglern nach. Ausbaden dergartenplätze zur Verfügung stehen. Vor allem ver- müssen wir das alle, meine Damen und Herren. lieren die Menschen im Osten das Vertrauen daran, Sie werden mir jetzt natürlich Schwarzmalerei vor- daß sie durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen werfen. Aber ich sage Ihnen: Bei dieser Regierung können. bleibt einem gar nicht anderes übrig. Wenn es nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, (Beifall bei der SPD) sind es in der Tat einmal wieder die Frauen, die Ver- lierer dieser Entwicklung sein werden. Wir haben im Westen weiß Gott mühsam genug das Ziel der Verein- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem barkeit von Beruf und Familie in den Köpfen und Her- Abgeordneten Dr. Klaus Rose. zen verankert. Es wäre verhängnisvoll, wenn jetzt der konservative Spruch „Mütter zurück an den Herd" in den neuen Ländern Wirklichkeit werden würde. Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ sehr verehrten Damen und Herren! Zu den unglaub- CSU: Wer sagt denn das?) lichen Äußerungen der Frau Kollegin Fuchs fällt mir Konfuzius ein: Als zynischen Ausgleich für mangelnde Arbeits- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ist der marktpolitik wollen Sie dann auch noch die Strafbar- auch in der CSU?) keit des Schwangerschaftsabbruchs verschärfen: eine wahrhaft frauenfeindliche Politik. „Wenn die Worte nicht stimmen, stimmen die Beg riffe nicht. Wenn die Beg riffe nicht stimmen, wird die Ver- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ nunft verwirrt. Wenn die Vernunft verwirrt wird, gerät GRÜNE) das Volk in Unruhe. Wenn das Volk unruhig wird, Wir wollen nicht länger hören, warum Sie Schulden gerät die Gesellschaft in Unordnung. Wenn die Ge- machen, sondern wir wollen wissen, wofür Sie das sellschaft in Unordnung gerät, ist der Staat in Ge- Geld ausgeben. Dienen die Schulden und Steuern fahr. " einer Strukturpolitik, die diesen Namen verdient? — (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5283

Dr. Klaus Rose Diese Ursachenkette des bekannten altchinesi- schlüsse von vor der Bundestagswahl halten, ja, die - schen Philosophen, bereits vor zweieinhalbtausend Vorgaben sogar noch unterschreiten. Jahren geäußert, sollten Sie sich, meine Damen und Hier von Täuschung der Bürger zu sprechen ist in- Herren von der SPD, einmal vor Augen führen, wenn fam. Von illusionärer Fehleinschätzung kann keine Sie den Bundesfinanzminister als den größten Schul- Rede sein. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Schon denmacher bezeichnen, die positive Entwicklung des Haushalts 1991 zeigt, (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist daß wir — entgegen Ihren düsteren Prognosen — die das!) Lage richtig eingeschätzt haben. wenn Sie weitere Schmähungen über die Bundesre- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nanu!) gierung verbreiten und sich mit der Aussage, diese Regierung hätte nichts für unser Land übrig, hier hin- Das gilt auch für den Haushalt 1992, mit dem wir, wie angekündigt, die stellen, Konsolidierungspolitik seit 1982 mit der schlimmen Herausforderung der Jahre 1990 (Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!) und 1991 fortsetzen. obwohl Sie selber wissen, daß der größte Teil Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Fraktion selten in Deutschland ist, sich aber um so lie- ber in der Toskana aufhält. Meine Damen und Herren, wir kennen die Schlag- worte der SPD. Einmal war es das angebliche „Ka- (Beifall bei der CDU/CSU — Anke Fuchs puttsparen". Dann war es wieder die „größte unso- [Köln] [SPD]: Wo liegt die denn?) ziale Steuerreform aller Zeiten" , Mangels eigener Konzepte, mangels überzeugen- (Zuruf von der CDU/CSU: Dann war es die der Kritikpunkte, aber auch mangels Geschlossenheit neue Armut!) in Ihrer Fraktion, meine Damen und Herren von der SPD, wählen Sie Polemik, Unsachlichkeit und Unter- wobei die Leute immer reicher geworden sind. stellungen, um die Haushalts- und Finanzpolitik die- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Dann ser Bundesregierung und der sie tragenden Koali- die Steuerlüge!) tionsparteien zu diffamieren. Dann war es das „größte Steuer- und Ausgabenpaket Es ist das alte und das falsche Rezept der SPD: Sie aller Zeiten" . Und jetzt kommen Sie daher mit dem will die unbestrittene Wiederaufbauleistung seit der „größten Verschuldungspaket aller Zeiten". Wende 1982 und die positiven Ergebnisse vor allem in der Finanz- und Haushaltspolitik verächtlich machen Meine Damen und Herren, Sie haben doch in Ihrer und garniert das Ganze mit der altsozialistischen Aus- Regierungszeit die Bundesschuld um 700 % erhöht — sage und der Grundmelodie, daß der Ertrag dieser nicht wir, Sie waren es — , und das zu einer Zeit, die Politik zuwenig dem kleinen Mann zugute komme. mit den finanzpolitischen Herausforderungen von heute nicht im entferntesten zu vergleichen ist. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, diese Erkenntnis, die Sie ziehen zur Begründung dann immer die alten Kri- Ihnen Franz Josef Strauß bereits 1982 in der Haus- sen, weil das Öl teurer geworden ist, heran. Das waren haltsdebatte vorgehalten hat, beileibe nicht die Herausforderungen, wie wir sie jetzt haben. Sie brauchen bloß die (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was hat er denn Nettokreditaufnahme anzusehen: Sie hatten in Ihrer Regierungszeit, 1982 — da gesagt?) damals waren die Zahlen insgesamt viel niedriger —, gilt unverändert. Sie streuen mit Ihrer falschen Wort- schon eine Nettokreditaufnahme von fast 40 Milliar- wahl Neid und Zwietracht unter die Bürger. den DM. Wir liegen jetzt nach der Wiedervereinigung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — ein Land mit 17 Millionen Einwohnern kam da- zu — , obwohl der Haushalt weit höher ist, bei 45 Mil- Sie wollen verunsichern, und Sie hoffen, daraus poli- liarden DM. tisches Kapital zu schlagen. Sie merken allerdings nicht, daß das ein Bumerang für Sie werden kann. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sie haben Einmal meinten Sie ja, Sie könnten in Bremen ähnli- das doch alles in Schattenhaushalten ver- ches von sich geben. Da ist der Bumerang schon dage- steckt!) wesen. Daran können Sie einmal sehen, was Sie damals (Zuruf von der CDU/CSU: Nordrhein-West schon angestellt haben. falen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bundesfinanzminister ist nicht der große Schul- Meine Damen und Herren, man kann sich gut vor- denmacher, sondern derjenige Finanzminister, der stellen, wie sich die Staatsverschuldung entwickelt die größte finanz- und haushaltspolitische Herausfor- hätte, wenn es nicht zur Wende gekommen wäre; derung in der Geschichte der Bundesrepublik denn ein gutes Beispiel ist die Entwicklung der Ver- Deutschland zu meistern hat. schuldung in Nordrhein - Westfalen, wo die SPD be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kanntermaßen seit 25 Jahren in der Regierungsver- antwortung steht. Wir haben auch bei der Haushaltspolitik — entgegen Ihren falschen Unterstellungen — Wort gehalten, in (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Und zwar dem wir uns ganz in dem Rahmen der Eckwertbe sehr hervorragend!) 5284 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Klaus Rose In dieser Zeit ist laut Pressemitteilungen von vorge- tät auf das gesamtwirtschaftliche Ziel der Stabilität stern die Verschuldung dieses einstmals zentralen In- auszurichten. Hier stehen auch die SPD-regierten- dustrielandes der Bundesrepublik von 2,7 Milliarden Länder und Gemeinden in der Verantwortung. Aus- auf 111 Milliarden DM angewachsen, gabenzuwächse, wie sie beispielsweise das Land Nie- dersachsen — auch da gibt es jetzt ja leider eine SPD (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Regierung — 1991 in Höhe von 9 % und im Jahre 1992 hat sich also um das 41fache erhöht. noch einmal in Höhe von 5,3 % vorgesehen hat, wer- (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!) den dieser Verantwortung nicht gerecht. Wir bleiben bei den 2,9 %. Wir versuchen zu sparen, wo es geht, Bei uns im CSU-regierten Bayern — Sie gestatten, daß und Sie reden bloß davon. ich dieses schöne Land immer wieder anführe — ist im selben Zeitraum die Verschuldung nur um das 5,8fa- Cicero sagte einmal: Sparsamkeit ist eine kleine che gestiegen. Ich sage es noch einmal, damit man es Einnahme. Wir halten uns an diesen weisen Spruch auch weiß: Um das 41fache haben Sie sich in Nord- des Römers. Die Forderung der Bundestags-SPD nach rhein-Westfalen verschuldet. — Ich lasse Bremen und eisernem Einsparen ist absolut unglaubwürdig, nicht das Saarland weg. Wir wissen ja alle, wie Sie mit der nur weil in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung Staatskasse umgehen. die Staatsquote von 39 % auf über 50 % angestiegen ist und damit noch höher lag als in den beiden Aus- (Zuruf von der CDU/CSU: Die sind ja nahmejahren 1991 und 1992, sondern auch weil auf pleite!) Bundesebene und im Bundesrat an allen Fronten Wer die SPD-Politik von früher im Bund und heute Mehrausgaben gefordert werden, ohne seriöse Ein- bei der Mehrheit der Bundesländer kennt, der kann sparungsvorschläge zu machen. Dort aber, wo von nur immer wieder die Wende wünschen — die Wende, den SPD-regierten Ländern Solidarität mit den neuen die wir im Bund hatten, die Wende, die Sie auch in den Bundesländern gefordert ist, z. B. bei der Umlenkung Bundesländern möglichst bald einleiten müssen. Sie der Strukturhilfemittel in die neuen Bundesländer, haben in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung Ihre gibt es von Ihrer Seite aus Widerstand. Glaubwürdigkeit gründlich verspielt und haben Meine Damen und Herren, wenn ich noch einmal nichts dazugelernt. So manche Kritik der Bundesbank kurz die Kerndaten des Haushalts 1992 nenne, ob- und auch der Fünf Weisen — ich fasse sie als kon- wohl sie schon oft genug vorgetragen wurden — Volu- struktiv auf — dürfen Sie doch nicht als Pilotenschein men 422,1 Milliarden DM, Begrenzung des Ausga- für eine Regierungsfähigkeit Ihrerseits auffassen. benanstiegs auf 2,9 % , Rückführung der Nettokredit- aufnahme gegenüber dem Soll 1991 um gut 21 Milli- Das Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts 1991 — des Gesamthaushalts, nicht des Bundeshaushalts — arden DM auf 45,3 Milliarden DM — , so möchte ich wird mit etwa 135 Milliarden DM noch deutlich unter betonen, daß es durch konsequente Einsparungen im dem Ziel der Eckwertebeschlüsse vom November ver- Haushaltsausschuß gelungen ist, die neuen unab- gangenen Jahres liegen. weisbaren Mehrausgaben gegenüber dem Regie- rungsentwurf aufzufangen, sogar noch zusätzlich (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die 460 Millionen DM einzusparen. waren doch falsch! Sie setzten ein falsches Generell wird es künftig die Linie der Haushaltspo- Ziel!) litik sein, daß Mehrausgaben immer durch Umschich- Das sind etwa 4,5 % des Bruttosozialprodukts und ist tungen bzw. Einsparungen an anderer Stelle finan- damit kapitalmarktverträglich. 1992 dürfte die öffent- ziert werden müssen. Daran wollen wir uns halten. liche Gesamtverschuldung bereits unter diesem Be- Mit diesem Moratorium gehen wir auch in die Bera- trag liegen. tungen der kommenden Jahre. Ich möchte sagen: Wir Im übrigen dienen diese hohen Kreditaufnahmen unterstützen die Haushalts- und Finanzpolitik unseres der Beseitigung der Folgen 40jähriger kommunisti- Herrn Bundesfinanzministers; scher Mißwirtschaft und Diktatur und sind damit Inve- (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Was bleibt stitionen für das Wohl und für die Demokratie, die auch anderes übrig!) unseren Kindern und Kindeskindern zugute kom- denn Dr. steht für Kontinuität einer soli- men. den Politik. Kollege Wieczorek hat am Dienstag, wenn ich mich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) recht erinnere, von intelligenten Schulden gespro- Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich zum chen. Schluß auch den Mitarbeitern des Haushaltsausschus- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Rich- ses und allen Kolleginnen und Kollegen für die insge- tig!) samt doch sehr erfreuliche Zusammenarbeit herzlich danken. Ja, die machen wir. Oder gibt es einen schöneren Auf- trag als den Aufbau eines geeinten Vaterlandes und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) des freien Europas? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- ordnete Dr. Wolfgang Weng. Meine Damen und Herren, der Abbau der Neuver- schuldung wird konsequent fortgeführt. Der Bund setzt hier ein deutliches Zeichen. Aber auch die Län- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Präsi- der und die Gemeinden sind als wichtige Teile des dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesamthaushalts aufgefordert, ihre Haushaltsstabili- heutige dritte Lesung des Bundeshaushalts 1992 ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5285

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Anlaß, die abgelaufene Parlamentswoche mit der aus- verfahren kennt, dann ist dies populistisch und einer- führlichen Debatte in zweiter Lesung Revue passieren großen Oppositionsfraktion unwürdig. zu lassen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn mit der heutigen Verabschiedung des Etats in Solche Verhaltensweisen sollten Sie Splittergruppen Gesamtdeutschland finanzpolitische Normalität ein- am extremen Rand des politischen Spektrums über- kehrt, muß die Frage erlaubt sein, ob es neue Akzente lassen, die sich bei ihrer Suche nach Wählerstimmen gegeben hat, ob das Parlament seine Chance genutzt an die Dümmsten der Dummen wenden. hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ganz sicher nicht genutzt hat die Opposition ihre Chance zum Generalangriff. Insbesondere die SPD Ich muß nochmals auf den erfolgreichen Subven- hat an keiner Stelle verdeutlichen können, daß sie tionsabbau der Koalition zurückkommen, akzeptable Alternativen aufzuweisen hat. Solche (Lachen bei der SPD) müssen von der größten Oppositionspartei verlangt auch im Blick auf die gestrige Debatte und auf das, werden, wenn diese ihrem eigenen Anspruch gerecht was man heute in den Zeitungen lesen kann. Meine werden will, eine Alternative zur Regierung zu bil- Damen und Herren, was mein Fraktionsvorsitzender den. hierzu vorgetragen hat, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: CDU/CSU) Schamlose Lügen!) Drei Dinge möchte ich aufzeigen, die meines Erach- ist richtig. Ich habe die Erfolge der Koalition, auch die tens so in einer öffentlichen Debatte nicht hätten dar- Initiative von Bundeswirtschaftsminister Möllemann gestellt werden dürfen. am Dienstag ausführlich dargestellt und gewürdigt. Bundesfinanzminister Waigel hat mich wegen meiner Herr Kollege Klose hat in seinen nach meinem Ge- Äußerung zum Subventionsabbau in der gleichen De- fühl im Verlauf nachlassenden Ausführungen u. a. batte kritisiert und sich dabei vermeintlich schützend beklagt, vor den Bundeswirtschaftsminister gestellt. (Zurufe von der SPD) (Lachen bei der SPD) daß für die jungen Menschen in den neuen Bundes- ländern kein Zeichen gesetzt werde, einen populären Herr Minister Waigel, als Vorsitzender der bedeu- Jugendsender zu erhalten. Er hat den Eindruck er- tendsten Regionalpartei in Deutschland weckt, als hätte das irgend etwas mit der Haushalts- (Heiterkeit bei der SPD) beratung, mit der Mehrheit im Hause oder mit der Bundesregierung zu tun. Ich halte das für unseriös, für dürfen Sie nicht einfach glauben, was in der Zeitung populistisch. steht. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Herr Waigel, (Ina Albowitz [FDP]: Typisch SPD!) nehmen Sie es sich zu Herzen!) Der SPD-Abgeordnete Schäfer hat es als zynisch Meine Kritik galt nicht Möllemann, sie galt der Bun- bezeichnet, den Rückgang von Schadstoffemissionen desregierung insgesamt und damit Ihnen als zustän- in den neuen Bundesländern festzustellen. Dies sei digem Finanzminister. wegen des Zusammenbruchs der dortigen Wirtschaft und deshalb zu Lasten der Menschen erfolgt. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nein! — Heiterkeit des Bundesministers Dr. Theo- Wenn der gleiche Redner lauthals die Schäden am dor Waigel — [CDU/CSU]: Gilt deutschen Wald beklagt und dabei die wirklich her- das auch für die „Bild"-Zeitung?) ausragenden Fortschritte im Umweltschutz in den letzten Jahren, die die Koalition geleistet hat, außen — Herr Kollege Glos, die „Bild"-Zeitung von heute vorläßt, dann fällt der Vorwurf des Zynismus auf ihn haben Sie offensichtlich schon konsumiert, ich leider selbst zurück, nur einen ganz kleinen Absatz, und der betraf nicht die FDP. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Herr dies um so mehr, als er unterschlagen hat, daß noch zu Weng, Sie sollten etwas vorsichtiger sein; Zeiten der bestehenden DDR mit all den Umweltpro- sonst fällt Herr Waigel gleich vor Lachen von blemen, die dieser Staat damals hatte, in Zusammen- der Bank!) arbeit von Bundesumweltminister Töpfer mit der Ko- — Es ist kein Fehler, wenn der Finanzminister auf- alitionsmehrheit im Haushaltsausschuß auf Kosten merksam zuhört. des westdeutschen Steuerzahlers erhebliche umwelt- verbessernde Maßnahmen in der DDR in Angriff ge- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Im nommen worden sind. mer!) Wenn von der Bundesregierung in der letzten Phase (Zurufe von der FDP und der CDU/CSU: der Etatberatung entgegen dem eigenen Grundsatz- Sehr richtig!) beschluß hohe Subventionsbeträge zusätzlich einge- Meine Damen und Herren, wenn die SPD Anträge führt werden, die nicht durch Kürzungen an anderer nach dem Motto „Helft den Ärmsten der Armen, und Stelle abgedeckt sind, dann verschlechtert dies das nehmt das Geld aus dem Verteidigungshaushalt" Ergebnis der Etatberatungen zu Lasten der parlamen- stellt, wo sie doch genau das einheitliche Haushalts- tarischen Bemühungen. Das gilt um so mehr, wenn 5286 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) wie im Fall der neuen Agrarsubventionen von Anfangs- und Aufbauphase eine Besoldung nach B 6 1,43 Milliarden DM dieser Betrag ohne weiteres schon für richtig gehalten, - in den Regierungsentwurf hätte eingeführt werden (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Zu- können. Aber Sie sind nach dem Motto verfahren: mindest in einem Fall!) Den Regierungsentwurf schreibe ich schön und lasse dann das Parlament die unabweisbaren zusätzlichen nicht zuletzt weil besonders qualifizierte Persönlich- Ausgaben beschließen. Das ist kein guter Umgang keiten für die Botschafterfunktionen gewonnen wor- miteinander. den waren und diese in diesem Zusammenhang auf eine Beförderung hoffen konnten. Da die Stellen neu (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ eingerichtet werden mußten und die Union auch die CSU und der SPD) übergangsweise Einstufung nach B 6 nicht akzep- Wenn dann noch ein Regierungsmitglied erklärt: Ihr tierte, haben wir dann alle gemeinsam B 3 zuge- hättet dem nicht zuzustimmen brauchen, dann ist das stimmt. Gar keine Stellen als Alternative hätte nun in Kenntnis der Dimension und der Unabweisbarkeit wirklich keinen Sinn gemacht. dieser Ausgaben wenig hilfreich. Die Äußerung des Kollegen Rose in der Debatte vom Mittwoch, die Einstufung nach B 3 sei einstimmig (Beifall bei der FDP, der SPD und dem Bünd erfolgt, erweckte natürlich den total falschen Ein- nis 90/GRÜNE) druck, wir wären in der Sache einig gewesen. Sicher hätten Sie, Herr Minister Waigel, dem Herrn Auch bei unterschiedlicher Auffassung hatten wir Möllemann besser geholfen, als er sich für den Abbau seither keine Not, gut zusammenzuarbeiten. Es wird, der Kohlesubventionen eingesetzt hat und ihm dabei meine Damen und Herren, immer unterschiedliche von Kollegen aus dem Kabinett eklatant in den Rük- Auffassungen in der Sache geben, die wir dann aus- ken gefallen wurde. Sowohl der CDU-Landesvorsit- tragen und wo wir den Kompromiß gemeinsam tra- zende von Nordrhein-Westfalen wie der aus dem gen. Das war so, das bleibt so. Die Zusammenarbeit ist Saarland, beides Kabinettsmitglieder, haben gegen- ordnungsgemäß. über den Kumpeln an Saar und Ruhr in Kenntnis der Notwendigkeiten populistisch agiert und damit der (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Bundesregierung ebenso wie dem Ziel des Subven- CSU]: Haushaltsausschuß! Nicht im Bundes- tionsabbaus einen schlechten Dienst erwiesen. tag! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Muß man sich im Parlament schon dafür ent- (Beifall bei der FDP) schuldigen, daß man etwas Richtiges ge- Damals habe ich nichts von Ihnen gehört, Herr Wai- macht hat?) gel, obwohl es in der Sache begründet gewesen Tricks dieser Art sind nicht nötig und der Zusammen- wäre. arbeit nicht dienlich. Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Auch Meine Damen und Herren, der Ausschuß und die das eigene Werk, das nicht das Werk der Abgeordne- Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben im ten des Haushaltsausschusses ist — wir sind mehr die- Zuge dieser Beratungen dem Ausschußvorsitzenden jenigen, die Bilanz ziehen, als diejenigen, die alles Rudi Walther, den Mitarbeitern von Haushaltsaus- strukturieren — , die Gesamtbilanz der Politik, muß schuß und Finanzministerium sowie der vielen ande- von den Haushaltsabgeordneten kritisch hinterfragt ren Ministerien und Behörden besonders herzlich zu und gegebenenfalls auch kritisch beurteilt werden danken. dürfen. Gerade nach den geschilderten Abläufen (Beifall bei der FDP und der SPD) frage ich mich und bitte auch den Kollegen Borchert, den Haushaltssprecher der Union, ernsthaft darüber Unser seit 1983 arbeitsreichstes Jahr — zwei volle nachzudenken, ob es zukünftig einen Sinn macht, Etatberatungen in einem Jahr — wäre ohne deren wenn die Haushaltssprecher der Koalition an den Mitwirkung — ich sage das wirklich besonders mit Etatberatungen des Kabinetts teilnehmen. Wenn Hochachtung in Richtung auf Rudi Walther — nicht zu diese Teilnahme so verstanden wird, daß wir in alle dem guten Abschluß gekommen, über den wir heute Beschlüsse eingebunden sind, an denen wir bis zu hier debattieren. diesem Zeitpunkt tatsächlich in keiner Weise mitwir- (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Der Rudi ken konnten, dann schwächt das in der Konsequenz Walther hat den ganzen Laden gerettet!) das Parlament in seiner eigenständigen Verantwor- tung für den Haushalt. — Das, Herr Kollege Professor Diederich, hätten Sie deswegen nicht dazwischenrufen dürfen, weil Sie ihn (Beifall bei der FDP und der SPD) damit vielleicht in den eigenen Reihen diskriminieren. Aber recht haben Sie schon. Wir sind nicht die Jubelperser der Regierung. (Heiterkeit — Dr. Nils Diederich [Berlin] Ich will zum Stichwort Umgang miteinander eine [SPD]: Wir haben dafür gesorgt, daß er zum Kontroverse aus der Koalitionsgruppe aufwerfen, und rechten Zeitpunkt die Mehrheit hatte!) zwar weniger wegen der Sache als wegen des Verfah- rens. Bei der strittigen Frage, ob die Botschafter in den Wir müssen nach der Haushaltswoche auch den drei baltischen Staaten mit der Besoldungsgruppe B 3 Mitarbeitern hier im Umfeld des Bundestags danken. oder B 6 ausgestattet werden sollten, sprachen alle Ich will auch einen Gedanken an diejenigen ver- Vergleiche mit anderen Ländern für die Besoldungs- schwenden, die eine Etage unter diesem Plenarsaal gruppe B 3. Wir von der FDP allerdings hätten in der unter manchmal schwierigsten Bedingungen ein Min- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5287

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) destmaß an Versorgung aufrechterhalten. Man stelle Unsere Risikovorsorge muß deshalb in einer guten sich mal vor, meine Damen und Herren: mal zwei, allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik liegen. Da - dann aber plötzlich zweihundert oder mehr Gäste. lassen sich unsere Erfolge ja nun wirklich sehen, Ossi und seine Mannschaft sind wirklich hoch zu lo- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Eben nicht!) ben. als Risikovorsorge für all das, (Beifall bei der FDP, der SPD sowie bei Abge (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo denn?) ordneten der CDU/CSU) was jetzt und in den nächsten Jahren zu bewältigen Mein persönlicher Dank für gute und kollegiale Zu- ist. sammenarbeit gilt Jochen Borchert, dem Haushalts- Ebenso gehört zur Risikovorsorge das Bewußtsein, sprecher der Union. Er ist neben Rudi Walther am daß wir bei den Ausgaben in Zukunft weiterhin zu- wenigsten um seinen Job zu beneiden. Und er erfüllt rückhaltend sein, vielleicht sogar noch restriktiver ihn mit gleicher Bravour. verfahren müssen. Hier lade ich die Opposition mit (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und des ihren vehementen Zwischenrufen Abg. Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]) (Ina Albowitz [FDP]: Und mit ihren unsoliden Meine Damen und Herren, mit dem Bundeshaus- Anträgen!) halt 1992 muß auch ein Ausblick verbunden sein. herzlich ein, wirklich konkret mitzuarbeiten. Viele Risiken liegen in der Zukunft. Viele zusätzliche (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Kosten, die in der Konsequenz öffentliche Schulden sind, entstehen außerhalb des Haushalts. Die Stich- Sie wird sich, wie immer, verweigern. worte Treuhandanstalt und Sondervermögen Post und Diese Notwendigkeit ist um so mehr gegeben, als Bahn zeigen die wichtigsten zusätzlichen Risiken auf. wir die Deutsche Mark — in enger Kooperation mit Aber auch viele andere, kleinere Bereiche könnten in der Deutschen Bundesbank und deren Empfehlun- diesem Zusammenhang genannt werden. gen — stabil halten müssen und die Verschuldung, wie geplant, Zug um Zug absenken wollen. Die Frage, Sie kennen die kontroverse Diskussion über Schat- ob es gelingt, bestätigt sich im Rückblick. Das, was wir tenhaushalte oder Nichtschattenhaushalte. Es ist tat- uns 1983 vorgenommen haben, eine ständig fort- sächlich alles öffentlich, es ist alles bekannt, insofern schreitende Konsolidierung, haben wir erreicht. kann man nicht von Verschleierung sprechen, aber Warum sollten wir sie jetzt nicht erneut erreichen? eine Zusammenstellung würde manchmal auch bes- Und: Wer außer uns sollte es erreichen, meine Damen sere Transparenz bedeuten. und Herren? (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) SPD) Ich erneuere von dieser Stelle aus meinen dringen- Die Risiken, sind wie gesagt, bekannt. Dazu gehört den Appell an die Tarifpartner, im kommenden Jahr natürlich in ganz erheblichem Maße das größer ge- zu mäßigen Abschlüssen zu kommen. Nur die gebo- wordene Risiko durch Bürgschaften und Gewährlei- tene Zurückhaltung der Leistungsträger — so ungern stungen für unsere Ausfuhren. die Betroffenen das hören mögen — ermöglicht die soziale Komponente in unserer Marktwirtschaft in der (Zuruf von der SPD: Das ist wahr!) kommenden Zeit. Meine Damen und Herren, daß wir mit Blick auf Unsi- (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wasser cherheiten vor allem im Osten diese Gewährleistun- predigen und Wein trinken!) gen erheblich erhöhen mußten, ist bekannt. Immerhin Zurückhaltung ist hier zumindest so lange vonnöten, bis beträgt die Gesamtsumme dieser Gewährleistungen der Aufschwung in den neuen Bundesländern gesi- jetzt 180 Milliarden DM, eine fast unvorstellbare Zahl chert ist und wir absehen können, daß sich die wirt- — allerdings weltweit, und wir wissen natürlich, daß schaftlichen Umstände der dortigen Bürger denen im uns selbstverständlich nicht alle diese Risiken treffen Westen annähern. Herr Kollege Jungmann, Ihren Zuruf werden. weise ich persönlich entschieden zurück; er ist eine Diese Zahl ist unvorstellbar, aber die Maßnahme ist Frechheit. An welcher Stelle ist dieser Zuruf begründet, notwendig. Um den Zusammenbruch im Osten, auch was mich oder meine Fraktion angeht? Wenn Sie hier um einen noch stärkeren Einbruch in der ostdeut- die gemeinsam beschlossene Erhöhung der Diäten mei- schen Wirtschaft zu verhindern, war eine erhebliche nen, dann gehen Sie raus und diskutieren Sie das. Ausweitung zugunsten unserer östlichen Nachbarlän- (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat er denn der erforderlich. Die täglichen Meldungen über die gesagt?) schwierige Situation in der UdSSR brauche ich hier Der Zuruf, den Sie hier gemacht haben „Wasser pre- nur zu erwähnen. Die FDP-Fraktion akzeptiert diese digen und Wein trinken!" , ist eine unerhörte Äuße- Notwendigkeit; sie trägt ihr Rechnung, indem sie die Ausweitung eben mitträgt. Ein öffentlicher Haushalt rung. kann ja keine Risikovorsorge im Sinne von Rückstel- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — lungen treffen, wie der p rivate es üblicherweise Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist ein macht. Dies gilt um so mehr, wenn der Ausgleich des Zitat nach Heinrich Heine! Er hat nur Hein- öffentlichen Haushaltes auf der Einnahmenseite so- rich Heine zitiert! — Michael Glos [CDU/ wieso nur durch Schuldenaufnahme erreicht werden CSU]: Das ist die Toskana-Fraktion! — Wei- kann. tere Zurufe von der CDU/CSU) 5288 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Ich sage noch einmal: Dieses Maßhalten ist zumindest logisch und sozial ausgerichtete Strukturpolitik ver- so lange notwendig, bis wir absehen können, daß sich folgt, zwar steht auch dieser Haushalt im Zeichen ei- die wirtschaftlichen Umstände in den neuen Bundes- ner Steuerentlastungspolitik zugunsten der Unter- ländern und die Lebensverhältnisse der dortigen Bür- nehmer, aber das zweite finanzpolitische Grundprin- ger tatsächlich denen im Westen annähern und der zip konservativ-liberaler Haushaltsführung, nämlich Aufschwung dort gesichert ist. die Umverteilung der konsumtiven Ausgaben in inve- Trotz schwieriger internationaler Lage müssen wir stive Mittel, wird nicht mehr so konsequent befolgt dem Verfassungsgebot, in ganz Deutschland ver- wie in frühren Haushaltsjahren. gleichbare Lebensverhältnisse zu erreichen, gerecht Die Bundesregierung ist der systemimmanenten werden. Diesem Ziel dient die Arbeit der FDP-Frak- Sachzwanglogik des Schuldenberges unterworfen. tion im Deutschen Bundestag, und zwar in allen Poli- Aber angesichts der katastrophalen Entwicklung auf tikbereichen. Wir haben dieses Ziel, seit die Mauer zu dem ostdeutschen Arbeitsmarkt muß sie den ostdeut- bröckeln anfing, in jedem Politikbereich vor Augen. schen Gebietskörperschaften Finanzhilfen in Milliar- Auch in der Haushaltspolitik verfolgen wir es konse- denhöhe bereitstellen, damit diese überhaupt den lau- quent. fenden Betrieb finanzieren können. Deswegen werden wir dem Bundeshaushalt 1992, einschließlich der Finanzplanung für die kommenden (Zuruf von der CDU/CSU: Kritisieren Sie das, Jahre, auch in dritter, abschließender Lesung in der oder was?) vollen Überzeugung zustimmen, einen wichtigen Dem Anketten an eine verselbständigte Wachs- Schritt in die richtige Richtung getan zu haben. tumslogik, dem blinden Vertrauen in die Selbsthei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) lungskräfte des Marktes folgte das böse Erwachen. Die Bundesregierung kann ihre grundlegende finanz- politische Unterscheidung zwischen konsumtiven — gleich kranken — und investiven — gleich gesun- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- ordnete Keller. den — Ausgaben nicht mehr länger durchhalten. Sie muß konsumtive Ausgaben finanzieren. Die Verteilung der investiven Mittel ist eine politi- Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- sche Entscheidung. Die meisten der im Haushalt 1992 dent! Meine Damen und Herren! veranschlagten Investitionen sind doppelt kritikwür- dig, zum einen wegen der perspektivlosen Drosselung Es ist ein Arbeitsgrundsatz der Behörde, daß mit der Investitionen im ökologischen und sozialen Be- Fehlermöglichkeiten überhaupt nicht gerechnet reich und zum anderen wegen der sich daraus erge- wird; denn Fehler kommen ja nicht vor. Und benden konservativen Investitionsprofile. wenn einmal ein Fehler vorkommt, wer darf dann endgültig sagen, daß es ein Fehler ist? Die alte Lobby, z. B. in der Rüstungs-, Luft- und Der Beamte, der diese Sätze in Kafkas Roman „Das Raumfahrttechnik, in der Atomtechnologie, wird wei- Schloß" spricht, hätte heute gute Chancen, entweder ter bedient. Allein im Verteidigungshaushalt finden Sprecher des Bundesfinanzministers oder gar Regie- sich Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von fast rungssprecher zu werden. Da können oberste Bundes- 17 Milliarden DM, von denen über 70 % für militäri- gerichte der Regierung eine Ohrfeige nach der ande- sche Beschaffungen ausgegeben werden sollen. ren verpassen, da kann die Bundesbank die Finanz- Wehrtechnische Entwicklungen und Erprobung wird und Steuerpolitik kritisieren, da kann der Bundes- der Bund 1992 mit 1,1 Milliarden DM finanzieren, um rechnungshof in Gutachten und Prüfaufträgen war- laufende Entwicklungsverfahren mit hoher Priorität nen und mahnen — der Bundeskanzler sieht für sich weiter zu führen, wie es im Einzelplan 14 heißt. Die und seine Regierung keinen Grund zur Kurskorrek- Atomenergieforschung wird mit 586 Millionen DM tur. gefördert. Für die Erforschung erneuerbarer Energien werden nur rund 323 Millionen DM bereitgestellt, Der Finanzminister macht auch weiterhin in Opti- also 30 Millionen DM weniger als 1991. mismus. Diejenigen, die hier — wie wir — Fragen stel- len, Defizite aufzeigen und auf Widersprüche auf- Geld für politische Neuerungen ist nicht vorhanden, merksam machen, stören das im Prinzip heile Bild der der alte Laden wird restauriert. Jede Mark, die nicht in Regierung. die Verwirklichung ihrer Investitionspläne gesteckt Wir gehören offenbar zu denjenigen, denen vom werden würde, könnte man z. B. als Ausgabe für den neuen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden das Verbrei- Umweltschutz glatt zweifach verbuchen. ten von Weltuntergangsstimmungen vorgeworfen Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Regierung konso- wird. Es geht also um Stimmungen und nicht — ich lidieren nicht. Was Sie Bestandssicherung nennen, ist sagte es bereits am Dienstag — um Haushaltsklarheit Demontage. Ihre Konsolidierungsstrategen sind so- und Haushaltswahrheit. ziale und ökologische Bankrotteure. Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregie- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch rung ist von großer Widersprüchlichkeit geprägt. Quatsch!) Zwar scheint die Beschränkung des Ausgabenzu- wachses unter die Rate des nomminellen Zuwachses Der Bund trägt seine Schulden nicht ab, häuft aber des Bruttosozialprodukts offenbar immer noch eine gleichzeitig mittelfristig gigantische Schuldenberge zentrale haushaltspolitische Leitlinie der Regierungs- auf. Ob sich der Bund — je nach Rechenmodell und koalition zu sein, zwar wird auch weiterhin keine öko- politischer Rechenkunst verschieden — 1992 um 135, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5289

Dr. Dietmar Keller um 171 oder um 200 Milliarden DM verschulden wird, strie und Wirtschaft, mit Geld aus dem Staatshaushalt ist mittlerweile fast egal. Bezahlen müssen die gestie- die Kassen zu füllen. Ist es denn Zufall oder Logik, daß genen und noch steigenden Zins- und Tilgungslasten Daimler-Benz nicht nur 70 % der von 1988 bis 1990 für sowieso die Steuerzahler. Luftfahrt, Werften und Stahl gewährten staatlichen Subventionen kassiert haben soll, sondern 1990 mit (Zuruf von der CDU/CSU: Wir zahlen für Sie 400 000 DM auch zu den Top-Ten der CSU-Geldge- und Ihre Genossen!) ber gehörte? Ich glaube, es ist kein Zufall. Wenn die Bundesregierung den warnenden Stim- men der in Kritik an der wachsenden Staatsverschul- (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ dung zumindest vereinten Opposition schon kein Ge- CSU]: Also das ist ja wohl unmöglich!) hör leiht, sie vielmehr mit selbstzufriedenem Lächeln Die 97 in der Vermögensteuerstatistik ausgewiese- quittiert, vielleicht geht sie dann wenigstens auf die nen größten Kapitalgesellschaften werden durch- Warnung des Präsidenten der Landeszentralbank von schnittlich um 2,9 Millionen DM entlastet. Von den in Bayern ein, der für 1992 in den Schattenhaushalten dieser Statistik ausgewiesenen rund 139 000 natürli- Gesamtschulden — ohne Bahn und Post — in Höhe chen Personen und rund 67 000 juristischen Personen, von 335 Milliarden DM erwartet. Betrug 1980 der An- die auf Betriebsvermögen Vermögensteuer zahlen, teil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des fällt zwar durch das Steueränderungsgesetz 1992 bei Bundes nur rund 6,5 %, so rechnet die Bundesregie- fast 50 % der Steuerpflichtigen das Betriebsvermögen rung bis zum Jahre 1995 mit einer Verdoppelung die- aus der Steuerpflicht — die Entlastung beträgt 100 % ser Zinsquote. Die Zinsausgaben werden von gegenüber nur 33,3 % bei Kapitalgesellschaften mit 34,2 Milliarden DM in 1990 auf fast 60 Milliarden DM einem Gesamtvermögen bis zu 500 Millionen DM und in 1995 steigen. mehr —; aber die rund 33 000 Steuerpflichtigen, die Der nicht nur von uns mit Nachdruck geforderte auf Grund der Anhebung des Freibetrags aus der ökonomische und ökologische Kurswechsel in der Steuerpflicht herausfallen, werden im Durchschnitt Wirtschafts- und Finanzpolitik wird immer wieder mit nur um 485 DM entlastet. dem Hinweis auf die dringende finanzpolitische Kon- solidierung abgelehnt. Aber niemand kann gleichzei- Kosmetische Operationen verdecken, mit welcher tig Haushaltssanierungen im konservativ-liberalen sozialen Kälte diese Bundesregierung agiert. Wenn Sinne und eine wirkliche Lösung der Probleme betrei- ich an dieser Stelle das abgegriffene Wort vom Haus- ben. haltsplan als dem „Schicksalsbuch der Nation" noch einmal benutze, dann nur, weil ich an einem Beispiel Niemand bildet sich ein, daß über den Bundeshaus- zeigen möchte, in welcher Weise dieser Bundeshaus- halt der Berg sozialer, wirtschaftlicher und ökologi- halt das Schicksal vieler Menschen negativ be- scher Probleme vollständig beseitigt werden könnte. stimmt. Es liegt mir fern, die Ursachen für die krisenhaften Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ausschließlich Die Bundesregierung kürzt im Einzelplan 11 — Ge- im Versagen der Bundesregierung oder gar einzelner schäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und So- Landesregierungen zu sehen. zialordnung — die Förderung von Arbeitsbeschaf- fungsmaßnahmen in den alten Ländern um 560 Mil- (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: lionen DM und begründet diesen Schritt damit, daß Da tun Sie auch gut daran!) sich ohne diese Kürzung die Notwendigkeit ergäbe, Ich bin aber auch nicht gewillt, diese Gesellschafts- im Haushalt einen Bundeszuschuß an die Bundesan- ordnung nach dem Motto heiligzusprechen: Die Ver- stalt für Arbeit in Höhe von 560 Millionen DM auszu- hältnisse sind goldrichtig, also sind auch ihre Politiker bringen, und hierfür bei Begrenzung der Nettokredit- goldrichtig. aufnahme auf 50 Milliarden DM kein finanzieller Spielraum vorhanden sei. Offenbar war und ist der Dieses System funktioniert unabhängig von der je- finanzielle Spielraum aber groß genug, um nicht nur weiligen Regierungsvariante so, daß Arbeitslosigkeit Etatkosmetik betreiben zu können, sondern auch um entweder zunimmt oder auf einem hohen Sockel er- Spitzenverdienern das sogenannte Dienstmädchen- halten bleibt. Für 1992 sind über 4 Millionen Arbeits- privileg zu erhalten. Ist es denn mehr als nur ein Zu- lose und Kurzarbeitende zu erwarten. Ohne die von fall, daß der Bund die Beibehaltung dieses Dienstmäd- der Bundesregierung als Sündenfall begriffenen chenprivilegs mit dem Verzicht auf jene 560 Millionen staatlichen Eingriffe in den Arbeitsmarkt, z. B. ohne DM finanziert, die er an anderer Stelle einspart? Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Beschäfti- gungsgesellschaften, würde diese Zahl bei weit über Die Bundesregierung wird nicht müde, den Kredit- 5 Millionen liegen. bedarf und den Anstieg des Schuldenbergs des öffent- lichen Sektors, der Ende 1990 bei 1,3 Billionen DM Ich kritisiere den angekündigten, jedoch unterblie- lag, auf die mit dem Anschluß der DDR an die Bun- benen Subventionsabbau, weil ich zum einen die bis- desrepublik verbundenen finanziellen Folgelasten herige Praxis der Subventionsgewährung bemängele zurückzuführen. Von 1982 bis 1989 wiederholte sie und zum anderen daran erinnern möchte, daß gerade gebetsmühlenartig, der Bund müsse sich verschulden, Verfechter einer möglichst staatsfreien Wirtschaft den weil ihm von der sozialliberalen Koalition eine „Erb- Anteil staatlicher Subventionen und Finanzhilfen er- last" hinterlassen worden sei. Immer wieder bis in die höhen. heutigen Tage wurde und wird diese Platte gespielt. In Ihren Sonntagsreden singen Sie das Hohelied der Ich frage mich nur: Warum waren Sie so scharf darauf, schöpferischen Privatinitiative, aber in der grauen all- ein Erbe anzutreten, das angeblich mit so vielen La- täglichen Praxis helfen Sie Ihren Freunden aus Indu- sten verbunden war? 5290 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Dietmar Keller Seit Sommer 1990 wird die Neuverschuldung mit Ich halte dieses Vorhaben, sollte es stimmen, für den Folgekosten der deutschen Einheit begründet. einen politischen Skandal, und zwar zum einen, weil Aus der sozial-liberalen ist jetzt eine sozialistische hauptsächlich die Bürgerinnen und Bürger der ehe- „Erblast" geworden. Die Bundesregierung — an ihrer maligen DDR die Entschädigung Enteigneter finan- Spitze der Finanzminister — sieht sich offenbar als zieren sollen, und zum anderen, weil gerade die Men- Opfer der Fehler und des Versagens der anderen. Daß schen in der DDR in viel geringerem Maße als in den sich die ostdeutsche Wirtschaft vom Anschluß an die alten Bundesländern Privatvermögen akkumulieren Bundesrepublik noch immer nicht erholt hat, schreibt konnten. Gerade letzteres wird seitens der Bundesre- die Bundesregierung auch nicht ihrer Politik zu, die gierung immer wieder beklagt, und Tatsache ist, daß sie selber gegen den Widerstand und gegen die K ritik dieser Nachteil viel länger existent sein wird als die von Vertretern ihrer ordnungspolitischen Konzeption gegenwärtig bestehenden Einkommensunterschiede durchgesetzt hat. Den Vorwurf, sie betreibe in bezug zwischen Ost und West. auf die ostdeutschen Länder eine „Mezzogiorno-Poli- Die Vertretung der Interessen der ostdeutschen tik", haben der Bundesregierung nicht nur Vertreter Menschen verbietet es, einer solchen Vermögensab- meiner Partei gemacht. Er findet sich auch in einem gabe zuzustimmen, falls ein solcher Gesetzentwurf Kommentar in der „Wirtschaftswoche". Dort heißt tatsächlich vorgelegt werden sollte. Zugleich gebietet es: sie, einem Entschädigungsfonds in Höhe von 100 Mil- lionen DM wegen fehlender gesetzlicher Basis die Politiker der Koalition pflegen den Zusammen- Zustimmung zu verweigern. bruch der Wirtschaft im Osten damit zu begrün- den, daß hier die Hinterlassenschaft des Sozialis- Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hält stur mus zutage trete. Richtig daran ist, daß die ge- an der alten Entwicklungs richtung fest. Sie beschnei- ringe Produktion in der alten DDR die Schuld der det gerade dort notwendige Handlungsspielräume, Planwirtschaft war. Daß dieses Niveau aber nach wo ein Kurswechsel dringend erforderlich wäre: in der Wiedervereinigung nicht gestiegen, sondern der Arbeitsmarktpolitik, beim sozialen Wohnungs- wie ein Stein gefallen ist — das kann man Honek- bau, bei der Förderung einer alternativen umwelt- ker und Co. nicht mehr anlasten. freundlichen Energieversorgung und bei der Bewälti- gung der Umweltzerstörung. Der Bundesfinanzminister hat am Dienstag in seiner Gleichzeitig fließen Millionen, ja Milliarden in un- Rede ausgeführt — ich zitiere — : sinnige Großforschungsprojekte, in die Rüstung, in Der Entschädigungsfonds wird den Bundeshaus- die Zerschlagung der ostdeutschen Industrieland- halt in der Endabrechnung nicht belasten. Was an schaft, in die Vernichtung von Hunderttausenden von Liquiditätshilfen in den ersten Jahren notwendig Arbeitsplätzen, in immer mehr Asphalt und Beton. Die ist, fließt später aus der Vermögensabgabe wie- ostdeutschen Länder sind durch die Anschlußpolitik der zurück. der Bundesregierung zu einer Krisenregion gewor- den. Ich halte das nicht für seriös. Es wird so getan, als wäre (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [CDU/ die Vermögensabgabe bereits beschlossene Sache. CSU]: Sie haben frei gewählt! Nicht An Dem ist aber nicht so. Tatsache ist doch, daß bisher -schlußpolitik! ) kein Entschädigungs- bzw. Ausgleichsgesetz gemäß dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts entspre- Bundesregierung und Koalition geben mit ihrer Politik chend Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes — der Gleich- den Krisenursachen neue Nahrung. heit vor dem Gesetz — dem Bundestag seitens der (Zurufe von der CDU/CSU) Bundesregierung vorgelegt wurde. — Machen Sie sich nichts draus! Ich kann mir vorstel- Es geistern lediglich verschiedene Versionen an- len, daß es Ihnen nicht sympathisch ist, wenn Sie sich geblicher Papiere des Bundesfinanzministeriums in das anhören müssen. der Presse herum. Danach soll der Entschädigungs- (Zurufe von der CDU/CSU: Sie Poststalinist! fonds, der übrigens im Einzelplan 60 für 1992 mit 100 — Das können Sie im Keller sagen, Herr Kel- Millionen DM veranschlagt ist, vor allem aus Privati- ler! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) sierungserlösen der Treuhandanstalt, ferner aus Kre- Der Haushalt 1992 schreibt negative Entwicklun- diten, die der Bund aufnimmt und die am Ende von gen fest: Die Plünderung und Vernichtung ökologi- den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern insgesamt scher Ressourcen geht ungebremst weiter; soziale zurückgezahlt werden müssen, sowie aus einer Ver- Verelendung und kulturelle Verödung dieses Landes mögensabgabe, die u. a. auch Bürger und Bürgerin- werden fortgesetzt. Dieser Politik kann man nicht zu- nen der früheren DDR aufbringen sollen, die nach stimmen. dem 6. Oktober 1949 und vor dem 3. Oktober 1990 Grundstücke und Immobilien erworben haben, ge- (Beifall des Abg. Dr. Fritz Schumann [Krop- speist werden. penstedt] [PDS/Linke Liste] — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Ein Mann klatscht Bei- Im Gespräch ist, daß diese Grundstücke mit Stich- fall! Das muß ins Protokoll, damit das klar ist! tag 1. Januar 1991 zum Verkehrswert bewertet wer- — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: den und daß davon 15 % als Vermögensabgabe ent- Schreibt Herr Bötsch jetzt das Protokoll?) richtet werden sollen. Da der Verkehrswert beträcht- lich über den in der DDR üblichen Grundstückswerten liegt, ist nicht ausgeschlossen, daß die Abgabe höher Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hans Peter sein kann als die ursprüngliche Kaufsumme. Schmitz, Sie haben das Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5291

Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Herr seiner Absicht zu bestärken, die Nettokreditauf- Präsident! Meine Damen und Herren! Man muß schon nahme, wie in der mittelfristigen Finanzplanung vor- einen Augenblick innehalten, wenn man einen Ver- gesehen, weiter herunterzufahren. Wir bestärken Sie treter der Nachfolgepartei der SED hier so reden in dieser Absicht, Herr Bundesfinanzminister. hört, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist das gute Recht der Opposition, zu kritisieren. wenn man jemanden so reden hört, der führend in der Aber es muß erlaubt sein, die Höhe der Neuverschul- SED tätig gewesen ist dung in das richtige Licht zu rücken. 1981, als die (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!) Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung in- nehatten, betrug das Bruttosozialprodukt 1,5 Billionen und sich an der Ausplünderung eines ganzen Landes DM. beteiligt hat; denn 40 Jahre lang ist dieses Land aus- geplündert worden. (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das al- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) les haben wir doch schon fünfmal gehört!) Wenn jemand den traurigen Mut hat, Herr Kollege, so — Herr Kollege, um so wichtiger ist es, daß Sie sich das zu reden, wie Sie es getan haben, ohne das zu erwäh- merken. nen, woran Sie sich beteiligt haben — und das, ohne (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist ja rot zu werden; davon will ich gar nicht reden —, dann langweilig! — Horst Jungmann [Wittmoldt] muß man schon innehalten, um das auf sich wirken zu [SPD]: Ihnen fällt nichts Neues ein!) lassen. Ich hoffe, daß die Menschen draußen verste- hen, welch traurigen Mut Sie besitzen, mit den Voka- Die Nettokreditaufnahme lag bei 38 Milliarden DM. beln, die Sie gebraucht haben, hier zu reden. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie sind jetzt (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein Mut, neun Jahre dran!) das ist Frechheit!) Wenn wir heute bei einem knapp doppelt so großen Weiter will ich darauf nicht eingehen. Mit dem, was Bruttosozialprodukt mit einer Neuverschuldung von Sie gesagt haben, richten Sie sich selbst. Wir sollten 46 Milliarden DM arbeiten das, meine ich, politisch erledigen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie lügen sich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP doch in die Tasche!) Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Liste]: Ihre — sehr verehrte Frau Kollegin Fuchs, hören Sie zu —, Wähler müssen das nicht verstehen! Meine geht die gesamte Kritik der SPD, scheint mir, ins Wähler müssen das verstehen!) Leere. Das muß man jedenfalls sagen, wenn man Sie Mit dem heute zu verabschiedenden Haushaltsent- an Ihrem eigenen Verhalten mißt. wurf setzt die Koalition den Weg, den wir seit der (Beifall bei der CDU/CSU) Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahre 1982 eingeschlagen haben, konsequent fort. Der Die Art und Weise und die Zusammensetzung der Haushaltsentwurf 1992 ist ein klarer Beleg dafür, daß Finanzierung, das ist die eine Seite der Haushalts- die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio- politik. Die andere Seite — das ist in der Debatte schon nen auch in Zeiten, da uns durch die deutsche Einheit angesprochen worden — sind die Ausgaben. Es ist große nationale und internationale Aufgaben erwach- richtig, wenn gesagt wird — das ist allerdings eine sen, den Kurs der soliden Finanzpolitik nicht verlas- Platitüde — , das Geld müsse intelligent ausgegeben sen werden. werden. Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen. Da (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Schulden müssen wird z. B. immer das Stichwort Nettokreditaufnahme intelligent gemacht werden!) des Bundes genannt. Als der Bundesfinanzminister in den ersten Haushaltsentwurf des laufenden Jahres Intelligentes Geldausgeben heißt nicht zuletzt — ich 1991, des ersten Jahres also der deutschen Einheit, denke, da sind wir uns einig — , Investitionen zu täti- 70 Milliarden DM Neuverschuldung einstellen mußte gen und dafür zu sorgen, daß die Wirtschaft in Fahrt — zwischenzeitlich ist das Ergebnis wesentlich nied- bleibt. Damit werden gleichermaßen die Leistungsfä- riger, wie wir wissen —, da waren wir es, die Koali- higkeit und der Verteilungsspielraum des Staates ge- sichert und die p ri tionsfraktionen, die darauf hingewiesen haben, daß vate Investitionstätigkeit belebt. diese Höhe ein einmaliger Vorgang bleiben müsse. Herzstück einer Haushaltspolitik muß es sein, in die Diese hohe Neuverschuldung war nur durch die von Zukunft gerichtete Investitionen zu gewährleisten. Das ist entscheidend! uns allen doch begrüßte Wiedervereinigung Deutsch- lands, die eine Ausnahmesituation darstellte, zu (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: 2 Milli- rechtfertigen. arden DM für Munition!) Wir haben uns in der damaligen Debatte dafür ver- Auch hier hat die Koalition Wort gehalten. Einmal bürgt, daß die Höhe der Nettokreditaufnahme Schritt mehr liegen die investiven Ausgaben des Bundes bei für Schritt zurückgefahren wird. Heute liegt uns ein mehr als 65 Milliarden DM. Haushaltsentwurf vor, der für das zweite Jahr der deutschen Einheit eine erheblich geringere Neuver- (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das ist ein schuldung ausweist, nämlich knapp 46 Milliarden Rekord!) DM. Das ist immer noch zu hoch, und wir sagen das Sie übertreffen damit — das ist ein Vergleich, den Sie auch. Der Bundesminister der Finanzen ist deshalb in sich merken müssen — um rund 20 Milliarden DM die 5292 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Hans Peter Schmitz (Baesweiler) Nettokreditaufnahme. Was das volkswirtschaftlich Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr, Frau Abgeord- heißt, können Sie beurteilen; ich hoffe es jedenfalls. nete. - Auch hier, meine Damen und Herren von den Sozi- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Sie aldemokraten, möchte ich Ihnen einen Zahlenver- hat die Partei gewechselt, um die falsche gleich nicht vorenthalten: Im Jahre 1981 lagen die Politik weiter machen zu können! — Heiter- Investitionen bei 30 Milliarden DM, die Nettoneuver- keit und Beifall bei der FDP und der CDU/ schuldung lag dagegen bei 38 Milliarden DM. Das CSU) heißt, wenn Sie die Gesamtrechnung einmal richtig und vernünftig prüfen, ergibt sich, daß Sie mehr in Ingrid Matthäus - Maier (SPD): Wenn Ihnen, wenn den Konsum gesteckt haben. Wir machen das genau Sie mich anschauen, der Jäger 90 einfällt, dann freue umgekehrt. Unsere Ausgaben sind solide. ich mich. Ich hoffe nur, daß Sie spätestens im nächsten (Beifall bei der CDU/CSU — Ingrid Mat- Jahr endgültig bereit sind, den Jäger 90 einzustellen. thäus-Maier [SPD]: Das stimmt doch einfach Aber wenn der Ihnen nicht gefällt — — nicht! — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Es ist doch nicht wahr!) Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, bitte eine Nur beispielhaft greife ich einige Punkte heraus: 2,4 Frage. Milliarden DM für den öffentlichen Personennahver- kehr, 8,1 Milliarden DM für Bundesfernstraßen, 8,3 Ingrid Matthäus - Maier (SPD): Können Sie denn Milliarden DM für Bundes- und Reichsbahn, 9 Milliar- dem Hohen Hause erklären, warum Sie allein im den DM allein für das erfolgreiche Gemeinschafts- nächsten Jahr 1,9 Milliarden DM zur Beschaffung werk Aufschwung Ost. Ich könnte die Reihe fortset- von Munition für die Bundeswehr ausgeben, und zen. können Sie nicht sagen, daß Sie das zumindest halbie- ren oder noch weiter herunterfahren könnten? Meine Damen und Herren, was mir aufgefallen ist: Sie kritisieren diese ganze Art der Entwicklung und (Zuruf von der CDU/CSU: Die Munition wird der Finanzierung, sagen aber zu keinem Zeitpunkt, gebraucht!) wo Sie etwas ändern wollen. (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Frau der SPD) Kollegin Matthäus-Maier, ich möchte es natürlich weit von mir weisen, daß mir dann, wenn ich Sie sehe, Wenn Sie etwas ändern wollen, der Jäger 90 einfällt. Das wäre ein unzulässiger Ver- (Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: zeigt auf den gleich. Das würde ich nicht so sehen wollen. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist nett von auf Drucksache 12/1671) Ihnen!) — liebe Frau Fuchs, ich komme noch gleich zu — Nein, das ist völlig klar; das möchte ich nicht so Ihnen — , dann müssen Sie sagen, wo. Wenn ich all sehen. Nur darf ich Ihnen eines sagen: Sie haben den diese Maßnahmen, die ich hier eben aufgezeigt habe, Jäger 90 schon so oft verplant, sei es im Wohnungs- einmal Revue passieren lasse, haben Sie dazu keine bau, sei es in irgendwelchen anderen Maßnahmen, Alternative. die Sie nun halt finanzieren wollen — ich habe ja (Zuruf des Abg. Dr. Nils Diederich [Berlin] volles Verständnis dafür — , daß wir zwar noch keinen [SPD]) einzigen beschafft haben, Sie aber alles bereits ver- — Ach, wissen Sie, Herr Kollege, wenn ich die Frau plant haben. Das halte ich in dieser Frage jedoch für Kollegin Matthäus-Maier sehe, absolut unzulässig. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Freuen Sie sich der CDU/CSU: Es ist unseriös!) doch!) Ich wollte Sie nur daran erinnern; irgendwann müssen hätte ich ja eigentlich erwartet, daß sie in ihrer Rede Sie damit aufhören, die Platte reicht nicht mehr. den Jäger 90 zitiert. Was würde Frau Matthäus-Maier ohne den Jäger 90 in einer Haushaltsdebatte machen? (Konrad Gilges [SPD]: Was ist denn nun mit Gar nichts! der Munition? — Abg. Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD] meldet sich zu einer Zwi- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der schenfrage) SPD: Das war nicht Frau Matthäus-Maier, das war Herr Jungmann!) — Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfrage mehr zulassen. — Ach so, das hat der Kollege Jungmann gemacht. Das Wechselspiel ist okay, in Ordnung! Vizepräsident Hans Klein: Der Abgeordnete möchte (Weitere Zurufe) keine Frage mehr zulassen.

(Baesweiler) (CDU/CSU): Gestatten Sie eine Zwi- Hans Peter Schmitz Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Herren, wir setzen unsere Politik schenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus auch im Hinblick darauf fort, daß wir in der Sozial- Maier? politik eindeutig die richtigen Akzente setzen, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: 1,9 Milliar- Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Aber den zur Beschaffung von Munition für die selbstverständlich. Bundeswehr!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5293

Hans Peter Schmitz Baesweiler wenn es darum geht, Maßnahmen zu ergreifen, damit Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- wir für eine vorübergehende Zeit auch die Menschen ordnete Werner Schulz. - in den neuen Bundesländern beschäftigen können. Insofern ist das zwar konsumtiv, aber gut angelegtes Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Geld, meine Damen und Herren, weil wir sie nicht ins Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Bodenlose fallen lassen wollen. Das ist praktizierte spannende Haushaltswoche hinter uns, spannende Sozialpolitik! Der Bundesminister für Arbeit und So- Debatten. Es sind fast alle Problemfelder behandelt zialordnung hat immerhin einen Haushalt in der Grö- worden. Leider hat sich das auf die Aufmerksamkeit ßenordnung von 91,3 Milliarden DM. und die Atmosphäre im Plenum nicht nachhaltig aus- gewirkt. Ich habe manchmal den Eindruck, einige von Lassen sich mich ein weiteres Wort zu Ihnen sagen. Ihnen sind nur zum Zeitungslesen oder zum Small talk Der Kollege Klose kann wahrscheinlich nicht hier hergekommen. sein. Ich habe im Protokoll nachgelesen, daß er gesagt hat, die Bundesregierung habe bei der Wiedervereini- Ich sehe das — Herr Weng, auch wenn Sie das är- gung daran gedacht, wie sich 17 Millionen Menschen gert — durchaus im Zusammenhang mit der Diätener- in ein gut funktionierendes System von sich drehen- höhung. Auch wenn Sie sich darüber ärgern: Ich halte den Rädchen einordnen lassen. Sehr geehrter Herr das nach wie vor für eine Wasserpredigt bundesdeut- Oppositionsführer, sehr geehrter Herr Klose! Bitte scher Weintrinker. übermitteln Sie ihm, er möge dieses Wort zurückneh- Die Diätenerhöhung ist zwar beschlossen worden, men. Dies ist ein böses Wort, das auf eine Geisteshal- aber auf die Qualität der Arbeit hier im Plenum hat tung schließen läßt, die ich ihm nicht unterstelle. Er sich das nicht ausgewirkt. möge seinen Text bitte noch einmal nachlesen. Ich (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP halte das nicht für gerechtfertigt. — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Arro- gantes dummes Geschwätz! — Verschiedene (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! — Anke Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion zeigen Fuchs [Köln] [SPD]: Wenn Sie keine weiteren auf leere Plätze von Abgeordneten des Bünd- Sorgen haben!) nisses 90/GRÜNE) Meine Damen und Herren, der Westen der Bundes- republik Deutschland profitiert auch vom Auf- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schulz, Sie schwung im Osten. Hier ist in der Tat die Bitte an die können selbstverständlich jeden Mißstand in diesem alten Bundesländer zu richten, die einigungsbeding- Hause kritisieren. Aber nehmen Sie bitte auch Rück- ten Steuermehreinnahmen miteinzusetzen für das, sicht darauf, daß Ihre eigene Gruppe heute mit zwei was wir drüben in den neuen Bundesländern drin- Mitgliedern und manchmal auch mit niemandem ver- gend brauchen, und sich hier nicht zu sperren, auch treten ist. wenn es um die Strukturhilfemittel geht. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, Herr Schulz, wo sind Ihre Leute? — Zuruf von der (Beifall bei der CDU/CSU — Horst Jung CDU/CSU: Unerhört! Auf die anderen klop- mann [Wittmoldt] [SPD]: Baut mal eine pen, aber nicht auf sich selber gucken!) Steuerverwaltung auf, die überhaupt Steu ern kassieren kann!) Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen Präsident, das ist immerhin ein Viertel meiner auch sagen, daß wir alle unter diesen Voraussetzun- Gruppe. Betrachten Sie bitte einmal die anderen Frak- gen wissen: Je stärker wir uns um den raschen Aufbau tionen, um das einzuschätzen. Aber ich nehme das in den neuen Bundesländern bemühen, desto schnel- durchaus auch selbstkritisch entgegen. ler tragen wir auch zur Wirtschaftskraft und zur Lei- stungsfähigkeit des Gesamtstaates bei. Wir alle wis- Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- sen, mit welcher Energie, mit welchem Fleiß die Bür- schenfrage des Kollegen Dr. Weng? ger hier wie auch drüben und wie auch die Landesre- gierungen in den neuen Bundesländern sich bemü- Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): hen, diese Aufbauarbeit zu leisten. Das geht eigent- Gern. lich nur durch gemeinsames Handeln. Wir wissen, daß unsere Spielräume eng sind. Für überzogene Forde- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Kollege rungen gibt es auch in den nächsten Jahren keinen Schulz, folgen Sie mir nicht in der Auffassung, daß der Raum. Beruf eines Abgeordneten — man kann es beklagen, aber es ist nicht zu ändern, daß er zu einem Beruf Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt des- geworden ist — eine angemessene Bezahlung im Ver- wegen den Bundesfinanzminister in seinen Bemü- gleich zu anderen Berufsgruppen mit ähnlicher Bela- hungen um eine sparsame Haushaltsführung. Wir stung und Verantwortung erfordert, weil sonst auf halten das für wichtig. Eine solide Haushaltspolitik ist Grund der wirtschaftlichen Situation Leistungsträger die Voraussetzung dafür, daß dies eine erfolgreiche und Spitzenleute aus anderen Bereichen abgehalten Politik wird — zum Wohle unserer Mitbürger. Wer werden? spart und wer solide Finanzen hat, der hat auch das Vertrauen in die Zukunft. Wir stimmen dem Haushalt Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE) : Herr zu. Weng, überhaupt keine Diskussion in diesem Punkt! Herzlichen Dank. Ich bin durchaus der Auffassung, daß ein Abgeordne- ter angemessen entlohnt werden muß, vor allen Din- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen, um in gar keiner Weise der Korruption anheimzu- 5294 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Werner Schulz (Berlin) fallen. Ich denke schon, daß es sich um eine Berufs- Ich bin ein Jahr hier, und ich habe vorher die Volks- gruppe handelt, die entsprechend gut honoriert wer- kammer erlebt. Das ist ein lebendiges Parlament ge- den muß. wesen. Aber ich muß Sie auch darauf aufmerksam machen: Wir befinden uns in einer besonderen sozialpoliti- ( [CDU/CSU]: Mit lau- schen Situation in Deutschland. Sie werden mit Si- ter anständigen Kerlen!) cherheit einer der ersten sein, die aus dem Gutachten — Nein, nein, das Czerni-Syndrom haben Sie ja wahr- der Fünf Weisen zitieren und diejenigen Passagen scheinlich selbst und müssen es austragen. vorlesen, in denen man sich an den Tarifabschlüssen stößt und dazu auffordert, die Tarifpartner mögen ihre Herr Waigel — er ist jetzt leider nicht da — hat die „überhöhten" Lohnforderungen zurücknehmen. Das Abgeordneten der Volkskammer mit einer dilettanti- mag ja berechtigt sein; auch darüber kann man an schen Schauspielerschar verglichen; er versteht ein anderer Stelle diskutieren. bißchen von Schauspielkunst. Aber das ist nicht der Ich will Ihnen ehrlich sagen: Wenn Politik ein Zei- Fall gewesen. chen von Glaubwürdigkeit ausstrahlen will, dann sollte es an dieser Stelle geschehen. Hier hätte der (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Bundestag einen ganz deutlichen Impuls geben kön- Was hindert Sie daran, Ihr Mandat niederzu- nen. Das ist leider verpaßt worden. legen?) (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE) Ich vermisse hier die Suche nach Konsens. Herr Schäuble hat davon gesprochen, daß das eigentlich Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter, ge- Ihr Anliegen sei. Aber wenn man das dann praktisch statten Sie eine weitere Zwischenfrage? prüft und wenn man sieht, daß wir hier in einigen Sachfragen sehr komfortable Mehrheitsverhältnisse Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): haben könnten und daß wir Sachfragen progressiv Bitte. lösen könnten, gäbe es den Fraktionszwang nicht, der daran hindert und dem im Wege steht,

Dr. Wolfgang Weng (Gerungen) (FDP): Folgen Sie (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: mir nicht in der Auffassung, Herr Kollege Schulz, Wo ist denn der?) (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Herr Weng, hören Sie doch mit dem Quatsch dann stellt man fest, daß dieses Parlament in einer auf!) Situation ist, in der es selbstkritisch über sich nach- denken sollte. Meine Damen und Herren, wechselnde daß unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es im Mehrheitsverhältnisse sind nicht der Tod der Koali- öffentlichen Dienst eine Erhöhung von 6 % gegeben tion, sondern eher ein Sieg der Vernunft hat, deren tatsächliche Auswirkung 7,5 % ausmacht, die Erhöhung der Abgeordnetendiäten um 4,8 To eine (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE) eher vorsichtige Erhöhung ist? und Zeichen für eine wirklich belebte Politik. Werner Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE) : Wir können hier jetzt natürlich eine Diätendebatte füh- Ich will noch auf eine andere Komponente zu spre- ren. chen kommen, die mir aufgefallen ist. Am Anfang der Haushaltswoche sind Herr Vogel, Herr Dregger und (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die haben Sie die anderen Abgeordneten, die ihre Funktionen ge- doch angefangen!) wechselt haben, mit warmen Worten und herzlichem Ich weiß, daß es für die Abgeordneten des Deutschen Dank verabschiedet worden. Ich kann das nur zum Bundestags mißlich ist, für sich selbst diese Regelung Teil beurteilen; das mag in dem einen oder anderen zu beschließen. Es ist sicherlich hinderlich, daß es in Fall vollkommen berechtigt sein und stimmen. Ich dieser Beziehung im Grunde genommen keinen Auto- meine allerdings, daß Sie einen Dank vergessen ha- matismus gibt. Da stimme ich Ihnen zu. ben. Das ist mir vor allen Dingen beim Disput zwi- Aber ich muß ehrlich sagen: Wir stehen hier unter schen der SPD und der CDU darüber, wer denn die einem moralischen Druck. Ich glaube, wir hätten ein besseren Ökologen seien, aufgefallen. Sie haben den deutliches moralisches Zeichen setzen sollen. Das Dank an die GRÜNEN vergessen, die aus diesem Par- meine ich, und das vertrete ich in meiner Position als lament ausgeschieden sind. Sie haben in den letzten ostdeutscher Abgeordneter. Ich glaube, wir sind sehr beiden Legislaturperioden mit ihren parlamentari- gut bezahlt und hätten hier die Formel, daß Teilung schen Initiativen vielleicht nicht allzuviel erreicht. durch Teilen überwunden wird, glaubhaft bestätigen Aber wenn ich mir jetzt die Programmatik der Par- können. teien anschaue, dann muß ich feststellen, daß die wie ein Schimmelrasen in (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sie Denkanstöße der GRÜNEN den Parteien aufgegangen sind, wobei ich allerdings können doch jede Menge wegspenden!) glaube, das Original ist allemal besser als die Kopie. Ich will bloß sagen, daß ich von diesem Parlament Bevor Sie sich um den Nachlaß streiten, muß ich Ihnen enttäuscht bin; lassen Sie mich dieses Resümee zie- sagen, daß wir, die GRÜNEN und das Bündnis 90, in hen. der nächsten Legislaturperiode wieder hier sein wer- (Zuruf von der CDU/CSU: Dann geh' nach den, auch wenn Ihnen das mißfällt und Sie vielleicht Hause!) meinen, daß wir hier nur so etwas wie politisches Asyl Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5295

Werner Schulz (Berlin) genießen und daß unsere Abschiebefrist bis 1994 Da werden wir sehen, ob sich Herr Krause mit seiner - läuft. Sie werden sich darin täuschen! Versiegelung von Naturflächen durchsetzen wird. (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Zuruf (Zuruf von der CDU/CSU: Mit dem Schie- von der CDU/CSU: Sie können ja einen nenbau durchsetzt!) Asylantrag stellen!) — Ach ja? Sie sind wahrscheinlich auch so ein Fort- Denn ich glaube, wenn die GRÜNEN und wir nicht da schrittsgläubiger wie Herr Waigel, dessen Fort- schrittsbild immer noch dem rasanten Tempo eines sind, dann ist der Platz der Ökologie, der Platz der überschleunigten BMW entspricht. Bürger- und Menschenrechte und der Platz der direk- ten Demokratie nicht besetzt. (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Ich habe Sie auch schon schnell fahren sehen!) (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — Hans Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Wel — Ach ja? che Selbstgerechtigkeit! — Anke Fuchs Ich will noch auf einen anderen Aspekt eingehen, [Köln] [SPD]: Ganz schön überheblich!) der sich fast wie ein Grauschleier durch diese Haus- haltswoche gezogen hat. Auf der einen Seite war da —Auch Sie haben doch Selbstbewußtsein. Ich glaube, die Opposition. Das sind die Miesmacher, die es ist hier an dieser Stelle einmal angezeigt, auch Schwarzseher, Selbstbewußtsein zu demonstrieren. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sehr (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie müssen mir gut!) gestatten, daß wir das ein bißchen in Frage stellen! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nur die Katastrophenszenaristen, die Worst-case-Philoso- nicht überheblich sein!) phen und dergleichen. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) — Ich kann das ja präzisieren, Frau Matthäus-Maier. Ich will auf die Kluft zwischen Wort und Tat hinwei- — Sie sind also der Meinung, daß das so stimmt. Wis- sen. sen Sie, Kassandra hat es sicher immer etwas schwer, sich in der Gesellschaft zu behaupten. Das ist uns (Zuruf von der CDU/CSU: Auch Sie werden schon klar. Ihre Hybris noch ablegen!) (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Sie hat auch Herr Schäuble hat in seiner Antrittsrede die ökolo- nicht immer Recht gehabt!) gischen Vorstellungen der Union deutlich gemacht. —Herr Kriedner, Sie verstehen und kennen uns wahr- Aber schauen Sie, welche Diskrepanz zwischen den scheinlich viel zu wenig. Der grüne Impuls und der Worten und der praktischen Politik besteht! Sehen Impuls der Bürgerbewegung ist ein Hoffnungsim- Sie sich die Not an, in die diese Bundesregierung puls. schon im nächsten Jahr auf der Klimakonferenz in Rio de Janeiro geraten wird, wenn sie nachweisen muß, (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige was sie zur Reduzierung des CO2 denn wirklich getan [Bündnis 90/GRÜNE] — Jochen Borchert hat, außer Sprechblasen von sich zu geben. [CDU/CSU]: Das merkt man Ihnen nicht an!) (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Ohne diesen Abgeordneten der SPD — Dietrich Auster- Hoffnungsimpuls hätten Menschen mann [CDU/CSU]: Vor allen Dingen wegen überhaupt nicht den Mut geschöpft, dieses totalitäre der Braunkohle!) Regime zu kippen. Wenn wir gewartet hätten, (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Bis die Das wird sich deutlich zeigen. CDU kommt!) Auch Sie von der SPD applaudieren mir jetzt. Es ist bis die kleinen Genossen, die Sie in Ihre Partei aufge- zwar wirklich angenehm für jeden Redner, wenn er nommen haben, die eher durch Subordination und Beifall bekommt; Unterwerfung geglänzt haben, (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und völ (Zuruf von der SPD: Die Blockflöten!) lig ungewohnt!) etwas getan hätten, dann würden wir noch heute auf ich will jedoch auch zur SPD in diesem Zusammen- die deutsche Einheit warten, und Sie hätten die Erfül- hang etwas sagen. Ich bezweifle nicht das ökologische lung der Aufgabe, Engagement von Herrn Klose. (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf von der SPD: Das Engagement der SPD!) die offensichtlich bereits im Grundsatzprogramm der CDU festgeschrieben war, nämlich die Realisierung Soweit ich es beurteilen kann — ich habe diese Zeit ja der deutschen Einheit im Jahre 1990, wahrscheinlich nur hinter der Mauer bewußt miterlebt —, hat er per- verpaßt. sönlich dies unter Beweis gestellt; das ist für mich keine Frage. Aber bei Ihrer Partei habe ich da so (Zuruf von der SPD: Sehr gut, Herr meine Zweifel. Das wird sich, glaube ich, heute auch Schulz!) zeigen, wenn der Bundesrat über das Verkehrswe- Auf der anderen Seite betrachtet man sich selber geplanungsbeschleunigungsgesetz beschließen muß. immer als den Hoffnungsträger. Ich denke dabei an 5296 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Werner Schulz (Berlin) die Regierungskoalition, die glaubt, daß sie den Men- Schauen Sie einmal zurück: Die Hauptgründe und schen Mut macht und Zuversicht gibt. Herr Waigel hat die Rahmenbedingungen, die Sie als Begründung da- Popper zitiert. Man könnte noch viele andere zitieren. für angesetzt haben, warum diese Vereinigung so Das Prinzip Hoffnung stimmt ja. Dagegen haben wir schnell vollzogen werden muß, die sind doch über- nichts. Wir haben aber etwas gegen das verantwor- haupt nicht aufgegangen. Der Zustrom von Ost nach tungslose Spiel auf der Hoffnungstastatur. Wir haben West wird jetzt Binnenwanderung genannt und exi- etwas gegen den Zweckoptimismus aus Machterhalt, stiert somit nach wie vor. Die „einmalige" weltpoliti- der immer wieder verbreitet wird. sche Gunst der Stunde, diese außenpolitische Situa- tion, für die sich der Kanzler heute noch auf die Schul- (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Der ist allemal tern klopft, ist so auch nicht gegeben gewesen. besser als Zweckpessimismus!) — Nein, der macht auf Dauer die Demokratie kaputt, (Zuruf von der CDU/CSU: Das habt ihr bis Herr Kriedner. heute noch nicht kapiert!) (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei —Nein. Schauen Sie sich das klägliche Scheitern der Abgeordneten der SPD) Janajew-Clique doch an. Das hat doch deutlich ge- macht, daß die Zeit dafür reif war und daß die künst- Das wiegt die Menschen zwar in Sicherheit, lähmt liche Teilung historisch überholt war. aber ihre Kräfte. (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll denn (Zuruf von der CDU/CSU: Ach!) diese Jammerrede hier?) — Aber natürlich, das lähmt Energien. Sie rufen den Ostdeutschen immer zu: Ärmel hochkrempeln. Guk- Der momentane Zerfall der Sowjetunion zeigt auch, ken Sie doch bitte nach Hennigsdorf. Dort haben die daß man dort nicht allzuviel Gegenkraft hätte entwik- Leute die Ärmel bis zum Hemdkragen hochgekrem- keln können. pelt Wir waren sehr wohl für einen konstitutionellen (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige Weg zur deutschen Vereinigung, und ich bin nach wie [Bündnis 90/GRÜNE] und bei Abgeordneten vor davon überzeugt, daß er der bessere gewesen der SPD) wäre, weil er allemal mehr über die demokratische Reife der Deutschen gesagt hätte als jede politische und ersticken fast daran. Sie können diese Energie gar Beteuerung von Ihnen hier. nicht umsetzen. So einfach ist das doch gar nicht. (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige Ich muß Sie an Ihre eigene Religion erinnern, weil [Bündnis 90/GRÜNE] sowie bei Abgeordne- ich aus der christlichen Friedensbewegung komme. ten der SPD — Hans-Joachim Fuchtel [CDU/ Schauen Sie doch bitte auf die Apokalypse. Schauen CSU] : Den wollten nur die Wähler nicht, Herr Sie sich auch einmal eine moderne Übersetzung der Schulz!) Johannesoffenbarung an. Im Grunde genommen macht die Warnung die Menschen aktiv und zeigt — Die haben Sie natürlich kräftig in die Irre geführt, ihnen den Weg zur Umkehr; sie setzt Energien frei, so das stimmt. daß man Gefahren und Risiken besser erkennt und entsprechend handelt. (Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Wolf- gang Weng [Gerlingen] [FDP]: Wie haben Es gibt noch ein Klischee, das sich durch die Haus- Sie denn in der Volkskammer gestimmt? — haltsdebatte gezogen hat und das wir jetzt wirklich Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der endgültig ad acta legen könnten und sollten — ich FDP) kann es nicht mehr hören — : Da sind die einen, die die deutsche Einheit gewollt, und die anderen, die sich — Nein, ein verantwortlicher Politiker hätte sich da- dagegengestellt haben. mals hinstellen müssen, meine Damen und Herren von der CDU, und hätte deutlich machen müssen, auf (Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl! — So ist welche großen Problemberge wir zulaufen. es!) Ich verkenne überhaupt nicht, daß das in den Reden — Nein, das ist so falsch wie nur was! Niemand hat mit eine Rolle gespielt hat. Aber das ist schon ge- sich im Herbst 1989 und im Jahr 1990 gegen die deut- schickt genutzt worden. Ich habe mir diese Reden auf sche Einheit ausgesprochen. den Marktplätzen sehr bewußt angehört. Das ist wie (Zustimmung beim Bündnis 90/GRÜNE und beim Märchenerzählen abgelaufen. bei der SPD) (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sie ha- Schauen Sie sich die Programme aller hier im Bundes- ben die Menschen nicht verstanden! — Wei- tag vertretenen Parteien, einschließlich der PDS, an. tere Zurufe von der CDU/CSU) Selbst der PDS tun Sie da Unrecht, wobei es dahinge- stellt sei, wie ehrlich es bei ihr gemeint war. Niemand — Hauptsache Sie haben verstanden, was sie da ge- hat sich in seinem Programm gegen die deutsche Ein- macht haben! heit ausgesprochen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben die (Zuruf von der CDU/CSU: Wir ziehen Sie als Menschen nicht verstanden!) Kronzeugen heran!) — Womöglich haben Sie eine enorme Menschen- Wir waren uns bloß über den Weg und den Zeitverlauf kenntnis und kommen offenbar jetzt den Menschen uneinig. entgegen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5297

Werner Schulz (Berlin) Sie haben die staatliche Einheit von oben vollzogen. politik zum Wohle der Menschen unternommen wer- Nichts anderes haben Sie gemacht, den. - (Widerspruch bei der CDU/CSU) Denn jetzt geht es darum, die Einheit zu vollbrin- gen. Jetzt ist der Lackmus-Test für den Kanzler, ob er und zwar durch die Arbeitsgruppe Krause/Schäuble. Instinkt-Politiker ist, der nicht nur in der Lage war, Noch nicht einmal das Parlament war beteiligt, wenn den wehenden Mantel der Geschichte zu fassen oder Sie mal von dem Ausschuß Deutsche Einheit absehen, den wurmstichigen Apfel aufzufangen, sondern in der der da mehr eine kosmetische Funktion hatte. Lage ist, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologi- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie diffamieren sche Einheit herzustellen. die Menschen von drüben! — Weiterer Zuruf Ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Aufmerksam- von der CDU/CSU: Wir haben die Einheit mit keit. überwiegender Mehrheit gewählt! — Ge (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE — genruf von der SPD: Sie haben die D-Mark Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Rasender gewählt!) Beifall!) — Ja, die D-Mark haben Sie in Ost und West ge- wählt. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Abgeord- (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Nehmen Sie neten Johannes Nitsch das Wort. das wieder zurück! — Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Das ist schon schlimm, diese Rede! — Weiterer Zuruf von Johannes Nitsch (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr der CDU/CSU: Die D-Mark ist besser!) Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich Ich will Ihnen auch sagen, warum wir diesen Haus- jetzt sicher eine Aufgabe, einige Dinge richtigzustel- halt ablehnen; denn das ist ja eigentlich das Thema. len, die soeben gesagt worden sind. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das wird (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Das ist Ihnen aber sehr schwerfallen! — Gegenruf ziemlich unbedeutend, wenn Sie den ableh- des Abg. Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: nen! — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Herr Der Herr Professor persönlich!) Schulz, den Sie intensiv mitberaten haben!) — Das wird mir nicht sehr schwerfallen. — Ihre Zwischenrufe sind ja darauf angelegt, sich mit mir anzulegen. Beim nächsten Mal werden wir in ei- Ich möchte zu Anfang etwas dazu sagen, wir hätten ner Fraktionsstärke hier sein, Herr Borchert. die Wähler in die Irre geführt. Ich möchte daran erin- nern, daß das gar nicht so war. Die Wähler, das Volk in (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der der ehemaligen DDR, wußten sehr genau, wem sie die CDU/CSU: Utopist!) Stimme am 18. März 1990 gegeben haben. Dann kriegen Sie Ihr billiges Argument, daß acht Ab- (Zuruf von der SPD: Den Blockflöten!) geordnete nicht gleichzeitig in 24 Ausschüssen sein Ich erinnere daran, daß vor dem SPD-Parteitag in können, nicht mehr unter. Das ist so billig. Hören Sie Leipzig im Februar 1990 die SPD mit weit über 50 % in auf damit. Offenbar lernt man die Taschenspieler- den Befragungen vorn lag. Nachdem auf diesem Par- tricks, wie man den Redner aus seinem Konzept teitag in Leipzig die schnelle Herstellung der Einheit bringt, auf diesen Bonner Rednerschulen. Deutschlands an die zweite Stelle gerückt war, waren (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Haben Sie ein innerhalb von zehn Tagen die Ergebnisse der Befra- Konzept?) gungen ganz anders. Aber das nur nebenbei. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb muß ich das ganz entschieden zurückwei- Wir lehnen diesen Haushalt ab, weil er unsolide sen und richtigstellen: Es war keine Irreführung der finanziert ist. Das sagt übrigens selbst die FDP, die da Wähler, gleichzeitig Regierungs- und Oppositionsfunktionen wahrnimmt. Vielleicht bereitet Graf Lambsdorff damit (Widerspruch bei der SPD) auch nur die neue Wende vor. Ich weiß das nicht so sondern es war der Wunsch der Wähler, die Einheit genau. Deutschlands wirklich so schnell zustande zu bringen, (Zuruf von der SPD: Um Gottes Willen!) wie wir es getan haben. Ich bin im Prinzip mit vielen Kollegen vom Bündnis/ Wir lehnen diesen Haushalt ab, weil dort die wirk- 90 innerlich sehr verbunden. Aber eines muß ich noch liche Kraft zum Subventionsabbau zu vermissen ist sagen; es tut mir leid: Zweckoptimismus halte ich und im Grunde genommen nicht stattgefunden hat. noch immer für wesentlich besser als Zweckpessimis- Statt dessen ist man den leichteren Weg der Steuerer- mus. höhung, der Abgabenerhöhung und der Verschul- dung gegangen. Das Prinzip, Subventionen im We- (Beifall bei der CDU/CSU) sten zu jäten, um sie im Osten zu säen, ist nicht ein- Ich glaube, gerade in dieser Phase des schwierigen gehalten worden. Denn hier hätten wir eine große wirtschaftlichen Umbaus ist sehr viel Optimismus un- Aufgabe, nämlich die Sanierung der jetzt noch wett- ter den Menschen in den neuen Bundesländern. Wie bewerbsfähigen Betriebe über die Treuhand zu be- könnten wir sonst die Zahlen, die uns täglich vorge- treiben. Dafür bräuchten wir diese Subventionsmittel. setzt werden, für den kommenden Arbeitsplatzabbau Dafür müßte eine gezielte Industrie- und Regional- ertragen? Mit welcher Ruhe vollzieht sich das in den 5298 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Johannes Nitsch neuen Bundesländern! Schauen Sie doch bitte, liebe Es gibt hier schon Defizite; aber zunächst möchte Kollegen aus den alten Ländern, einmal in Ihre jüng- ich folgendes feststellen: Die Treuhandanstalt hat ei-- ste Vergangenheit! Was war denn in hier in NRW los, nen klaren gesetzlichen Auftrag. An dem Gesetzes- als in Rheinhausen 8 000 oder 12 000 Arbeitsplätze text an sich ist nichts zu ändern. gefährdet waren? Da brannte das ganze Land. Die (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist schon Regierung mußte sich mit auf die Rheinbrücken stel- falsch!) len und helfen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß die schwie- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was war daran rige Arbeit der Treuhandanstalt auf eine neue oder falsch?) zusätzliche gesetzliche Basis gestellt werden müßte. — Das war nicht falsch. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha, aha!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also! Sie tun ge Die Folgen davon wären: Zeitverzögerungen, Atten- nau das Gegenteil!) tismus sowohl bei den Investoren als auch innerhalb der Treuhand selbst. Aber was passiert bei uns? Mit welcher Ruhe, mit welcher Gelassenheit und mit welcher Zuversicht Es kann aber nicht unser Ziel sein, daß sich dieser nehmen die Menschen diese Zahlen entgegen! Prozeß weiter in die Länge zieht. Wir können nicht verantworten, daß die Menschen in den Bet rieben (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Mit Frust auch nur einen Tag über Gebühr warten müssen, ob ration! — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Mit Ent ihr Arbeitsplatz bleibt oder nicht bleibt. täuschung, Verbitterung!) (Hans Georg Wagner [SPD]: Jede Entlassung Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! Das ist wird sofort entschieden!) doch die Wahrheit! — Nein! (Beifall bei der CDU/CSU) (Hans Georg Wagner [SPD]: Nicht? Das ist ja Deswegen wäre es doch viel günstiger für Sie, wenn gut!) auch Sie sich auf diese Seite stellen würden, den Men- —Warten Sie doch erst einmal ab, was ich Ihnen noch schen helfen würden, Hoffnungen machten und uns sagen werde! das alles nicht immer alleine überbringen lassen wür- den. In einem guten Jahr Treuhandarbeit ist eine gewal- tige Arbeit geleistet worden. Insbesondere möchte ich (Zuruf von der SPD: Das glaubt doch kein der Präsidentin Frau Breuel hier meinen Dank sagen, Mensch mehr!) daß sie sich auf ihrem konsequenten Weg einer Daß Sie den Haushalt ablehnen, ist doch nicht zu schnellen Privatisierung — dazu sage ich aber, er ist ertragen. nicht schnell genug —, der entschlossenen Sanierung und der behutsamen Stillegung nicht hat beirren las- Was soll denn geschehen, wenn nicht das, was hier sen. geschieht? Was haben Sie denn für neue Vorschläge? (Zurufe von der SPD: Behutsam?) Wo soll es denn langgehen? Zur schnellen Privatisierung: Es gilt hier allgemein (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Lesen Sie doch sicher der Grundsatz, daß dort, wo Käufer vorhanden einmal!) sind, eine schnelle Privatisierung wichtiger ist als die Erzielung höherer Verkaufs- oder Privatisierungser- — Aber das ist doch alles nicht machbar! löse. Danach handelt man aber nicht in ausreichen- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schreihals! dem Maße. Zu viele willige Käufer warten über Ge- Herr Präsident, was ist in ihn gefahren?) bühr lange auf Antwort oder auf den Vollzug. Ich kann es nicht ertragen, wenn hier Wählerbe- (Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Eigen- schimpfung stattfindet und Pessimismus verbreitet tumsdogma aufgeben!) werden soll. Das geht nicht! Ich habe eine ganze Reihe von Vorgängen auf mei- (Beifall bei der CDU/CSU) nem Tisch, wo ich mir nicht erklären kann, warum das so lange dauern muß. Mit jedem Tag, der vergeht, Ich bin schon der Meinung, daß das, was unser wird die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen neuer Fraktionsvorsitzender gestern gesagt hat, viel schlechter. Das ist ein Steuerungsproblem ersten Ran- zuwenig geschieht und daß wir etwas tun sollten. Herr ges. Die Treuhandanstalt hat hier die von ihr selbst Schäuble sagte am Dienstag im Zusammenhang mit gesetzte Priorität auch durchzusetzen. der Ausländerproblematik, daß man so handeln und Zur Privatisierung gehören aber mindestens zwei: sich so entscheiden muß, daß sich die Menschen, un- außer dem Unternehmen, um das es geht, auch ein sere Mitbürgerinnen und Mitbürger in ihren Sorgen oder mehrere Käufer. Nun findet sich nicht für jedes ernstgenommen fühlen und daß sie das Gefühl haben, Unternehmen ein Interessent, auch wenn diese Unter- daß die Politik sie noch versteht. Das ist schon anzu- nehmen gute Wirtschaftskonzepte vorlegen und im mahnen. Dazu möchte ich einiges sagen, und zwar Bereich der schwarzen Zahlen agieren. hinsichtlich des Bereiches, der im Moment sicherlich die größte Aufmerksamkeit verdient. Deshalb möchte Für diese Unternehmen wurden bisher nicht schnell ich diesen Ausspruch für mich in Anspruch nehmen genug Entscheidungen getroffen, die z. B. die Über- und einiges zu den Problemen im Zusammenhang mit führung in Beteiligungsgesellschaften und damit die der Treuhandanstalt sagen. Loslösung von der Treuhand ermöglichen. Hier müs- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5299

Johannes Nitsch sen insbesondere im Zusammenwirken mit den Län- und zu auch wenn ich Sie höre, nur leider sehe ich Sie- dern Übersichten geschaffen und politische Entschei- viel zu selten. dungen zu den die regionale Struktur bestimmenden Vorhaben getroffen werden. (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) Die Festlegung dieser Unternehmen sollte noch in Deshalb wundert mich auch nicht, daß Sie den Bun- diesem Jahr stattfinden, und die Beteiligung könnte deshaushalt ablehnen. Ich glaube, Sie wissen gar nach dem Modell des Sachsen-Fonds erfolgen. Wich- nicht, was drinsteht. tig ist, daß diese Unternehmen so schnell wie möglich in eigener Verantwortung agieren, ihre Geschäfts- (Gerd Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Wie oft tätigkeit entfalten und sich im Markt behaupten kön- hat Herr Schulz schon geredet? Wie oft ha- nen. ben Sie geredet?) Zu dem zweiten Grundsatz, den sich die Treuhand — Sehr verehrter Herr Kollege Poppe, ich verteile gegeben hat, entschlossene Sanierung: Ein guter Teil keine Zensuren. Genau das hat der Kollege Schulz der Entscheidungen der Treuhandanstalt hat sowohl eben getan. Ich denke, das sollten wir uns abgewöh- in der betroffenen industriellen Branche als auch in nen. der Region strukturelle Folgen. In den Grundsätzen vom 14. März dieses Jahres zur Zusammenarbeit zwi- Ich weiß nicht, wo Sie ihre Prioritäten setzen. Es schen der Treuhand, den Ländern und dem Bund ist geht mich auch nichts an. Wir reden aber heute über festgehalten, daß die sozialverträgliche regionale den Bundeshaushalt, wir reden auch inhaltlich über Strukturpolitik durch die Treuhandanstalt als Dienst ihn. Ich glaube nicht, daß Sie besonders viel Ahnung leister für die Länder durchzuführen ist. Ich habe je- haben, weil Sie an den Einzelberatungen nicht teilge- doch große Mühe, zu erkennen, daß strukturpolitische nommen haben. Bemühungen der Länder im Zusammenwirken mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der Treuhand stattfinden. Regionale Wirtschaftsförde- rung und Gemeinschaftsaufgabe müssen hier viel Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den stärker, als bisher geschehen, mit den Belangen der vergangenen vier Tagen unserer Haushaltsdebatte Treuhandentscheidungen abgestimmt und verklam- haben wir eine Menge von Zahlen gehört. Es waren mert werden. Die politischen Entscheidungsträger der hoffnungsvolle und erschreckende, bisher unbe- Regionen müssen Informationen und reale Einfluß- kannte und schon oft gehörte darunter. Am eindrucks- möglichkeiten erhalten. vollsten aber war für mich jedoch gleich in der ersten Zielstellung dabei ist nicht, die Treuhandentschei- Rede der zweiten Lesung am Dienstag das Zahlen- dungen zu verändern, sondern sie vorher zu kennen spiel, daß der Kollege Wieczorek hier abgegeben und die Auswirkungen auf die Region abschätzen zu hat. können. Eine Änderung sollte nur dann erwogen wer- (Zuruf von der SPD: Völlig zu Recht!) den, wenn aus strukturpolitischen Gründen und we- — Das werden wir ja sehen. gen der finanziellen Möglichkeiten andere Entschei- dungen beabsichtigt sind. Es liegt in der Verantwor- Er addierte nämlich die geplante Verschuldung der tung der Politik, diese so früh wie möglich in die Hand öffentlichen Hand einschließlich Bund, Ländern und zu nehmen. Gemeinden auf rund 200 Milliarden DM und machte dafür im gleichen Atemzug allein den Bundesfinanz- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Nitsch, Ihre minister Theo Waigel als den größten Schuldenmini- Redezeit ist überschritten. ster dieser Republik verantwortlich. (Zuruf von der SPD: Ist er doch auch!) Johannes Nitsch (CDU/CSU): Am Ende meiner Re- dezeit — ich bin allerdings nicht sehr weit gekommen — Regen Sie sich doch nicht so auf. Wer schreit, hat — will ich mich der Disziplin hier unterwerfen. meistens nicht viel zu sagen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Hätten Sie CDU/CSU) nicht so geschimpft, wären Sie weitergekom Man kann Herrn Waigel für vieles verantwortlich men!) machen. Wenn man jetzt aber noch alle Schulden der —Ja, aber ich glaube, es ging nicht anders: man muß Länder und Gemeinden auf seinen Buckel lädt, tut ja so etwas einmal sagen. Wir können doch nicht die man ihm zuviel der Ehre an, überschätzt seinen Ein- Wähler beschimpfen lassen. fluß maßlos. Der öffentliche konstruierte Zusammen- hang ist so einfach nicht in Ordnung. Herr Kollege, Sie können Vizepräsident Hans Klein: (Zuruf von der CDU/CSU: Unseriös ist nicht wieder anfangen. das!) (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mir scheint diese unsolide Argumentation eher als Das Wort hat die Abgeordnete Ina Albowitz. der letzte verzweifelte Versuch der Opposition, ihr finanzpolitisches Ansehen in der Öffentlichkeit aufzu- polieren, Ina Albowitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da sind wir Schulz, ich freue mich immer, wenn ich Sie sehe, ab ganz gut!) 5300 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Ina Albowitz denn zu einer Konsolidierung der überschuldeten tät aller Bürger gefordert. Diese darf nicht überstra- Haushalte in den von ihr regierten Ländern ist sie paziert werden. - schon lange nicht mehr fähig. Spielraum für eine zusätzliche Belastung der Bevöl- Dazu liegen mir einige interessante Zahlen vor: kerung war auch nur deshalb gegeben, weil die Haus- Nordrhein-Westfalen 109,8 Milliarden DM, Saarland halts- und Finanzpolitik seit Amtsantritt dieser Koali- 13 Milliarden DM, 19,2 Milliarden DM, Bre- tion eine Senkung der Abgabenquote bis 1990 von men 15,5 Milliarden DM. Soll ich Ihnen jetzt auch 40,3 % auf 38,4 % ermöglicht hat. noch die Vergleichszahlen von 1982 vorlegen? — Die (Zuruf von der SPD: Und die Steuerlüge!) kennen Sie, Frau Matthäus-Maier, da muß ich Ihnen nicht helfen. Der Haushalt 1992 ist ein wichtiger Schritt auf diesem Nordrhein-Westfalen, Saarland, Bremen und Ham- Weg. burg sind als Folge der jahrelangen ungestörten SPD Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß Finanzpolitik nur noch durch die erheblichen Finanz- hat bei den Etatberatungen 150 Millionen DM an Aus- transfers des Bundes überlebensfähig. gleichsleistungen für die Region Bonn eingestellt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das ist ein erster Schritt in die Glaubwürdigkeit für die Bürger dieser Region. Der saarländische Rechnungshof bezeichnete die Finanzpolitik der Regierung unter (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie als unverantwortlich und verfassungswidrig. Offen- des Abg. Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]) sichtlich wird in den SPD-regierten Ländern nach der Lassen Sie mich dazu eine Bemerkung machen. Nach- Devise gelebt: Wir leben ständig über unsere Verhält- dem der Arbeitsstab des Innenministeriums die Verla- nisse, aber noch lange nicht standesgemäß — das im gerung einiger Bundeseinrichtungen nach Bonn als Zweifel auf Kosten nachfolgender Generationen. erwägenswert bezeichnet, ist erneut eine heftige Dis- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben keine kussion entbrannt. Die Verlagerung dieser Behörden Ahnung, Frau Kollegin!) muß jetzt natürlich geprüft werden. Als merkwürdig empfinde ich allerdings einen Diskussionsbeitrag aus Das Horrorszenario der Verschuldung des Bundes, dem Bundesrechnungshof. Dieser wolle lieber von das die SPD während der vergangenen Tage zu zeich- Frankfurt nach Berlin zurückziehen. Es ist noch nicht nen versuchte, würde angesichts solcher Zahlen viel lange her, da beklagte der Bundesrechnungshof die besser auf die Finanzlage dieser Länder passen. hohen Lebenskosten in Frankfurt, welche die Perso- (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Hans nalgewinnung erschwerten. Bisher war mir unbe- Georg Wagner [SPD] meldet sich zu einer kannt, daß das Leben in Berlin so billig sein soll. Zu- Zwischenfrage) dem verstehe ich nicht, daß es für den Bundesrech- nungshof nicht ausreicht, wenn er sich in Bonn ansie- delt, wo ein Teil der Regierungsstellen verbleibt. In Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin — — der Vergangenheit stellte die Entfernung von Bonn nach Frankfurt keinen Grund für Umzugsbemühun- gen dar. Ina Albowitz (FDP): Nein, Herr Präsident. (Beifall des Abg. Rudi Walther [Zierenberg] (Helmut Wieczorek [Duisburg] [FDP]: Knei [SPD]) fer!) Im Zweifel könnten wir überlegen, ob wir nicht den Das Abweichen vom Kurs der Haushaltskonsolidie- Bundesrechnungshof nach Finsterwalde verlagern. rung des Bundes durch die CDU/CSU-FDP-Koalition war auf Grund der Belastungen durch die deutsche (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Einheit unausweichlich. Aber — die mittelfristige Fi- CDU/CSU — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/ nanzplanung zeigt das deutlich — : Bis 1995 wird die CSU]: Da können Sie gleich singen: Wir sind Neuverschuldung auf 25 Milliarden DM verringert. die Sänger von Finsterwalde! — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Oder nach Finsterau!) Herr Kollege, ich denke der Zwischenruf ist nicht in Ordnung. Sie kennen mich, glaube ich, lange genug, Im Ernst, meine Damen und Herren: Bei der Verlage- um zu wissen, daß ich nicht kneife. rung und Einrichtung von Behörden werden die Übrigens könnte die Inanspruchnahme von Kredi- neuen Bundesländer derzeit noch vernachlässigt. ten geringer ausfallen, wenn die Länder der alten (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Bundesrepublik den Bund bei der finanziellen Bewäl- CDU/CSU) tigung der Einheit nicht nahezu allein gelassen hät- Das müssen und das sollten wir ändern. ten. Im kommenden Jahr sind es gerade einmal 2 % der einigungsbedingten Lasten, die die Altländer tra- Nicht ändern aber dürfen wir den soliden Kurs der gen und sich auf diese Weise ungeniert aus ihrer Mit- Finanz- und Haushaltspolitk. Die Koalitionsfraktionen verantwortung stehlen. halten Kurs. Dennoch — davon bin ich überzeugt — wird dem Vielen Dank. Bund die Konsolidierung innerhalb der nächsten drei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jahre gelingen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Trotzdem, meine Damen und Herren, ist zur Finan- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem zierung der deutschen Einheit zweifellos die Solidari- Abgeordneten Dr. Heiner Geißler. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5301

Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Herr Präsident! schaften und ABM-Maßnahmen einem Handwerks- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe betrieb im Osten ein Auftrag verloren gegangen sei.- heute morgen auf der Fahrt hierher die Rede von Frau (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fuchs im Radio gehört. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da sind Sie aber Ich finde, wir sollten dies nicht in der Theorie disku- tieren, sondern in der Praxis miteinander überprü- spät aufgestanden! — Zuruf von der SPD: Da fen. haben Sie aber lange geschlafen!) — Ich bin dann gleich hierhergekommen. Richtig ist — das will ich bestätigen — : Soziale Marktwirtschaft bedeutet nicht, daß wir in einer sol- Ich habe mich wirklich gewundert, was Sie z. B. chen Situation alles dem Markt überlassen. über die Verschuldung und über das Beschäftigungs- programm Ende der 70er Jahre gesagt haben. Dieses (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tun Sie doch! — Beschäftigungsprogramm, das Sie mit einer Zunahme Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Besser, der Schulden finanziert haben, hatte nicht weniger als den Markt der SPD zu überlassen!) Arbeitslose, sondern mehr Arbeitslose bis 1982 als Walter Eucken, einer der Väter der Sozialen Markt- Ergebnis. wirtschaft, hat gesagt: Eine Wirtschaftsordnung muß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — nicht nur effizient, sie muß auch menschenwürdig Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist gar nicht sein. wahr!) (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Richtig!) Es war ungefähr der größte Flop, den man sich in der Was wir in dieser Zeit tun müssen — ich glaube, das ist ganzen Beschäftigungspolitik damals hat ausdenken das Grundprinzip unserer Sozial- und Wirtschaftspoli- können. tik — , ist, die Einheit von Finanz-, Wirtschafts- und (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Herr Sozialpolitik zu sehen. Was wir als eine der wichtig- Geißler, bleiben Sie redlich!) sten sozialpolitischen Aufgaben der Zukunft mitein- — Ich bin ganz friedlich. — Das Ergebnis war die ander bewältigen müssen — miteinander! — , ist, die größte Wirtschaftskrise seit der Währungsreform. 1,63 Millionen Pflegebedürftigen, die wir in der Bun- desrepublik Deutschland haben, nicht außen vor zu (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord lassen. neten der FDP — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da bin ich mal gespannt! Was kommt denn nun?) Es ist ein Unterschied, ob Schulden zur Finanzierung von konsumtiven Ausgaben gemacht werden — was Die Vorstellung, die Lösung dieses Problems auf die verfassungswidrig ist — oder ob die Schulden vor- nächste Legislaturperiode zu verschieben, ist eine übergehend anläßlich der deutschen Einheit gemacht Vorstellung, die wir mit Sicherheit im ganzen Hause werden, um Investitionen zu finanzieren. nicht akzeptieren und nicht realisieren dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist FDP und der SPD — Anke Fuchs [Köln] doch nicht wahr!) [SPD]: Da fragen Sie mal Ihren Fraktionsvor- sitzenden!) Ich finde, die Kurpfuscher von vorgestern eignen sich überhaupt nicht als Vertrauensärzte von heute und Ich will auf folgendes hinweisen: Im Moment haben morgen. wir eine bemerkenswerte Offensive gegen die Lösung Pflegeversicherung. Ein Argument ist das Ansteigen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Kosten in der Krankenversicherung. Zum anderen Infolgedessen sollten wir, wenn wir diese Problematik gibt es die Diskussion über den Industriestandort Bun- ansprechen, desrepublik Deutschland. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Mein Was die Krankheitskosten anlangt — Frau Michalk Gott, was waren Sie früher gut!) wird sicher noch etwas dazu sagen — , habe ich ge- die Zukunft nach den Kriterien und Richtlinien ange- stern mit dem Bundespräsidenten der Schweiz gere- hen, wie sie einer erfolgreichen Sozial- und Wirt- det. Die Schweizer haben — und das ist ja nun kein schaftspolitik entsprechen. sozialistisches Land — eine sehr klare Entscheidung getroffen. Auch sie haben eine Kostenexplosion im Da Sie den Arbeitsmarkt angeführt haben: Die Ar- Gesundheitswesen. Gestern hat der Nationalrat be- beitsmarktpolitik der Regierung hat ihre Hausaufga- schlossen, daß der Anstieg der Tarife und Preise für ben wirklich erfüllt. In Ostdeutschland werden über Leistungen im Leistungsumfang der Krankenversi- die Arbeitsmarktpolitik 1,94 Millionen Arbeitnehmer cherung ab nächstem Jahr höchstens ein Drittel über und im Westen 300 000 bis 400 000 betreut und in die dem Anstieg des Preisindexes liegen darf. Lage versetzt, ein menschenwürdiges Leben zu füh- ren. Allein im östlichen Teil 900 000 Eintritte in Fort- Ich finde, wir müssen etwas tun, damit wir ange- bildung und Umschulung. sichts der Ausuferung bei der Krankenversicherung und der schon damit verbundenen Steigerung der Im übrigen habe ich, was die Beschäftigungsgesell- Lohnnebenkosten nicht in die Lage kommen, 1,6 Mil- anbelangt, vorgestern mit dem Präsidenten schaften lionen Pflegebedürftige nicht in eine vernünftige Ver- der Bundesanstalt für Arbeit gesprochen, der mir sicherung einbeziehen zu können. sagte, ihm sei bis heute kein einziger Fall auf den Tisch gekommen, daß durch Beschäftigungsgesell- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 5302 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Heiner Geißler Zweitens. Industriestandort Bundesrepublik abschlüsse tätigen, die in keiner Weise dem gerecht Deutschland ist ein wichtiges Thema. Wir haben hier werden, was wir in den nächsten Jahren an Zunahme- eine große Aufgabe zu erfüllen. Aber wenn man die des Produktivitätsfortschritts in den neuen Ländern Umfrageergebnisse der Industrie- und Handelskam- erreichen können. mern der Vereinigten Staaten zur Problematik Indu- Der Deutsche Gewerkschaftsbund, verehrte Frau striestandort Deutschland ernst nimmt, sind die Fuchs, hat die aktive, expansive Lohnpolitik von Vik- Gründe für die zurückhaltende Investitionsneigung tor Agartz in den 50er Jahren richtigerweise abge- ganz andere: nämlich erstens mangelnde Mobilität, lehnt. Die gesamt positive wirtschaftliche Entwick- zweitens zu kurze Arbeitszeiten in Deutschland, drit- lung im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft ist in tens zu hohe Unternehmensteuern — völlig in Ord- den 50er Jahren dadurch erreicht worden, daß der nung, deswegen sind unsere Vorhaben ein Bestand- Deutsche Gewerkschaftsbund ganz bewußt und ver- teil der Sicherung des Industriestandortes Bundesre- nünftigerweise immer Lohnabschlüsse angestrebt publik Deutschland. hat, die etwas unter dem Produktivitätsfortschritt la- (V o r sitz : Vizepräsident Helmuth Becker) gen, damit die Unternehmen insgesamt ein ausrei- Aber wir können in der Situation doch nicht sagen, chendes Volumen für zukünftige Investitionen hatten. daß Leistungen für 1,6 Millionen Pflegebedürftige Im Osten Deutschlands machen wir im Moment genau dazu führen würden, daß der Industriestandort ge- das Gegenteil. fährdet würde, wenn gleichzeitig in diesem Jahr Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und werkschaften und Arbeitgeber in der Lage sind, Lohn- der FDP) erhöhungen in der Größenordnung von 7 % — fast Das kann, meine sehr verehrten Damen und Herren 100 Milliarden DM — zu beschließen. — das müssen Sie doch selber sehen — , nicht in Ord- Ich stelle mir unter einer solidarischen Gesellschaft nung sein. etwas anderes vor, daß wir nämlich 1,6 Millionen Pfle- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Damit haben wir gebedürftige nicht aus der Gesamtverantwortung Urlaub und Arbeitszeitverkürzung finan- ausschließen dürfen. Das sind 1,6 Millionen Pflegebe- ziert!) dürftige, die zum Teil 24 Stunden am Tag versorgt Infolgedessen empfehle ich wirklich, daß wir uns werden müssen, die gefüttert werden müssen. Sie ver- wieder auf das besinnen, was unsere Wirtschaft vor- fügen über keine Lobby. Sie verfügen nicht über die angebracht hat. Und das kann man ja auch nicht be- Droh- und Störpotentiale z. B. der Gewerkschaften bei streiten: Der Fortschritt in der Bundesrepublik der Durchsetzung von Lohnerhöhungen. Deutschland, die Voraussetzung dafür, daß wir wirk- Wenn statt 7 To Lohnerhöhungen nur 6,3 % Lohner- lich sagen können, wir seien ein sozial fortschrittliches höhungen vereinbart worden wären, wäre die Pflege- Land, ist eben dadurch zustande gekommen, daß wir versicherung nach dem Umlagemodell auf Dauer fi- nicht nur das wirtschaftliche Wachstum, sondern auch nanziert gewesen. den sozialen Frieden als Produktionsfaktor aner- (Beifall bei der CDU/CSU) kannt haben. Aber das bedeutet gleichzeitig, daß sich alle, auch die Gewerkschaften und Arbeitgeberver- Wir sollten einmal den Gesamtzusammenhang von bände, die — im Gegensatz zu sozial Schwächeren — Arbeitszeitverkürzung und 1 Billion 200 Milliarden über Droh- und Störpotentiale verfügen, der Gesamt- Lohn- und Gehaltssumme in der Bundesrepublik verantwortung auch in der Zukunft bewußt bleiben. Deutschland sehen. Wenn man in der Zukunft auf eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine halbe (Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Lar- Stunde verzichten würde — wir haben ja ohnehin eine cher [SPD]: Das braucht man den Gewerk- Arbeitszeitproblematik — , dann wäre der Arbeitge- schaften nicht zu sagen!) beranteil in der Pflegeversicherung durch diesen Verzicht finanziert. Ich sage dies, damit wir den ent- sprechenden Zusammenhang herstellen und daran Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Ma- denken, daß der Industriestandort Bundesrepublik ria Michalk, Sie sind die nächste Rednerin. Ich erteile Deutschland durch zu kurze Arbeitszeit gefährdet Ihnen das Wort. wird. Wir arbeiten im Jahr 1 600 Stunden, die Japaner 2 200 Stunden. Wenn wir uns in unserem Handeln mit den Pflegebedürftigen solidarisch erklären wollen, Maria Michalk (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Prä- dann müssen wir die Gesamtverantwortung der Tarif- sident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Allein partner, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber, in für 1992 sind für unsere Familien Entlastungen in diese Politik mit einbeziehen. Höhe von 7 Milliarden DM geplant — 7 Milliarden DM! Dies betrifft sowohl die Erhöhung des Erstkinder- (Beifall bei der CDU/CSU) geldes von 50 DM auf 70 DM wie auch die Aufstok- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir kung des Kindergeldzuschlags. Ein Teil des genann- es uns nicht angewöhnen, die Gesamtverantwortung ten Betrages von 7 Milliarden DM umfaßt auch die für unsere Wirtschaft im Auge zu behalten, dann wer- beschlossene Anhebung des Baukindergeldes von den wir selbstverständlich auch nicht mit den Proble- 750 DM auf 1 000 DM. men in den neuen Ländern fertig werden. Bei unserer Es handelt sich bei diesen Maßnahmen um die erste Kritik an den Tarifabschlüssen verkennen wir doch Stufe einer mehrstufigen Reform, um der Vorgabe des nicht, daß die Unternehmensgewinne — das kann Bundesverfassungsgerichts nachzukommen, das in man überhaupt nicht bestreiten — gestiegen sind. seinen Beschlüssen vom Mai und Juni 1990 festge- Aber es ist doch völlig ausgeschlossen, daß wir Tarif stellt hat, daß das Existenzminimum für Kinder nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5303

Maria Michalk zu besteuern ist. Wir werden den Leistungsrahmen für Erziehungsjahre in der Rente ist eine wesentliche Ver- Familien — so wie die Union das seit 1982 kontinuier- besserung, die die Union zustandegebracht hat und lich macht — auch weiterhin so ausgestalten, daß der nicht Sie. Das hat etwas mit gesellschaftlicher Aner- besonderen Belastungssituation der Familien Rech- kennung zu tun. nung getragen wird. Immerhin — und das kann nicht (Beifall bei der CDU/CSU) oft genug gesagt werden — hat der Einzelplan 18 — Familie und Senioren — den größten prozentualen Dennoch bleiben Frauen im Rentenalter bei der Ren- Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr, und zwar um tenhöhe oftmals unter dem Niveau der Frauen, die 12,9 %. nicht viele Jahre die Familie als ihren „Arbeitsplatz" hatten. Ich denke aber auch an den Versicherungs- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) schutz der Frauen und an die Wiedereingliederung in Daß die Bundesregierung seit 1982 familienpoli- das Berufsleben. Hier gibt es viel Nachholbedarf. In tisch wesentliche Verbesserungen erreicht hat, spie- den Plänen steht auch genügend drin. gelt auch die Tatsache wieder — ich möchte sie hier Mütter, die Familie und Erwerbstätigkeit miteinan- wirklich einmal nennen — , daß bei der Befragung von der verbinden, haben weniger Probleme mit gesell- 6 000 Bundesbürgern im Alter von 18 bis 64 Jahren, schaftlicher Anerkennung. Sie müssen sich diese je- die in den alten Bundesländern interviewt wurden, doch oftmals mit größerem Einsatz erkämpfen. Diesen 94 % dem Familienglück große Bedeutung zumessen. Einsatz gilt es zu unterstützen und zu honorieren, in- Unsere Menschen wissen nämlich, die Familie ist der dem für Frauen weitere Erleichterungen geschaffen Ort, wo tagtäglich Kraft aufgebracht werden muß, um werden. Deshalb ist z. B. die Durchsetzung des die Aufgaben zu lösen, wo aber auch tagtäglich große Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz eine Kraft für die innere Ausgeglichenheit der Menschen wichtige Aufgabe. Die Bundesländer — vor allem die geschöpft und geschenkt wird. SPD-regierten — sollten ihre Zurückhaltung bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Festsetzung eines Rechtsanspruches auf einen Kin- dergartenplatz endlich aufgeben. Weil das so ist und weil unsere Gesellschaft ausgegli- chene Menschen braucht, werden wir auch die Fami- (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das ist lien weiterhin mehr und mehr unterstützen. Da Herr ja eine Unverschämtheit hoch drei!) Geißler an dieser Stelle gesagt hat, ich würde etwas zu Die Gesellschaft muß dem Einsatz der Frauen auch den Gesundheitskosten sagen, möchte ich an dieser entgegenkommen durch die Schaffung von mehr Teil- Stelle sagen, daß unsere Menschen in den neuen Bun- zeitarbeitsplätzen, familienfreundlichere Arbeitszei- desländern sich wirklich mehr als einmal bedanken ten oder Job-Teilung. Für diese Aufgabenerfüllung für die quantitativ bessere Betreuung, für die qualita- brauchen wir die Bereitschaft der Arbeitgeber und der tiv bessere Betreuung, für all die Betreuung, auf die Gewerkschaften, zumal die gesamtdeutsche Frauen- sie früher lange Zeit warten mußten, als sie ein höhe- erwerbsquote die bislang höchste ist, und zwar sind res Gesundheitsrisiko eingehen mußten. 11,7 Millionen Frauen im Arbeitsprozeß. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Frauen in den neuen Bundesländern haben jetzt Albowitz [FDP]) zusätzliche Belastungen zu meistern, unter den neuen Bedingungen in den Arbeitsprozeß integriert zu wer- Ich möchte das aber nicht in den Mittelpunkt mei- den. Frauen sind — das wurde an dieser Stelle schon ner Rede stellen, sondern möchte etwas anderes zu gesagt — mehr von Arbeitslosigkeit betroffen, bei den dem gesundheitspolitischen Teil sagen. Ich meine, ABM-Regelungen jedoch weniger berücksichtigt. Das wenn ein Mensch gesund bleiben will, dann kann er muß geändert werden. auf längere Zeit auf drei Dinge nicht verzichten. Ich denke und behaupte an dieser Stelle, jeder Mensch, Die Quote der arbeitslosen Frauen beträgt etwa der für längere Zeit auf die drei Dinge, die ich jetzt 60 %. Ich habe mir jetzt einmal eine Zusammenstel- nennen werde, verzichtet, wird krank, zumindest an lung geben lassen. Wie ist der Anteil der Frauen bei der Seele. Jeder Mensch braucht Liebe, Geborgen- AB-Maßnahmen im Oktober? Demnach sind es na- heit und Anerkennung. Liebe und Geborgenheit sind hezu 50 %. Das bedeutet: Im Schnitt ist jede zweite zwei Kraftquellen, aus denen jeder in einer intakten Frau in ABM beschäftigt. Aber das ist nicht überall so. Familie schöpfen kann. Die dritte Voraussetzung — In Neubrandenburg ist das Verhältnis 1 : 5. Das ist lassen Sie mich das sagen — , die ich nannte, ist die nicht in Ordnung. Anerkennung. Die möchte ich in die persönliche und (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Und die die gesellschaftliche Anerkennung aufteilen. Die per- Regierung in Schwerin?) sönliche Anerkennung kann man am Verhalten des Partners, an dem Umfeld ablesen. Wie steht es um die Vor allem auf dem sozialen Gebiet sind diese Frauen gesellschaftliche Anerkennung ganz konkret unserer beschäftigt. Mütter in den Familien? Mütter, die sich ganz der Nun muß ich aber etwas sagen. Neulich hat ein Bür- Familie widmen, erleben als Hausfrauen nicht das germeister meiner Region öffentlich gesagt: Meine Spiegelbild ihrer Arbeit in Form von tagtäglicher ge- Frauenbrigade ABM — sellschaftlicher Anerkennung des Umfeldes. Hier gibt es Nachholbedarf. (Lachen bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE) (Zuruf von der SPD: Väter raus!) — Moment, das hat er gesagt; ich zitiere ja nur — ist Ich denke an mehr Würdigung ihrer Hausarbeit in mir die liebste. Frauen und Mädchen sehen nämlich Form der Höhe z. B. der Rente. Die Anerkennung der die Arbeit mehr und haben auch mehr Instinkt für 5304 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Maria Michalk Ordnung und Sauberkeit als die Männer. Warum wol- ist zwar normalerweise nicht üblich, daß man so len wir diese Tatsache und diese Eigenschaft nicht freundlich vom amtierenden Präsidenten begrüßt- auch hier zum Tragen bringen, wo es in unseren Dör- wird. Aber es gibt deshalb einen Zusammenhang, fern und Städten so viel aufzuräumen und Ordnung zu weil ich in der Tat beabsichtige, zunächst in der vom machen gibt? amtierenden Präsidenten genannten Funktion einige (Beifall bei der CDU/CSU — Rudi Walther Bemerkungen zu machen. [Zierenberg] [SPD]: Kollektiv!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Es Einem anderen Thema möchte ich mich noch zu- wäre schade, wenn du es kaputtmachtest!) wenden: den Zukunftsperspektiven junger Men- Denn — ich darf das den anderen Kolleginnen und schen. Es ist wichtig, verläßliche persönliche Lebens- Kollegen aus dem Parlament sagen — hinter uns im und Berufschancen zu schaffen. Berufliche Bildung Ausschuß liegen Wochen, die von uns ein Höchstmaß und Zugang zum Arbeitsleben sind elementare an Arbeit erfordert haben. Wir hatten in einem knap- Punkte. pen Zeitrahmen nicht nur den Haushalt 1992 zu bera- (Günter Rixe [SPD]: Das ist richtig!) ten, sondern zeitgleich auch den Nachtragshaushalt Hervorheben möchte ich den verstärkten Mittelein- 1991 und weitere Gesetzentwürfe mit erheblichen fi- satz für Modellförderung der Jugendsozialarbeit, der nanziellen Auswirkungen, so u. a. das Gesetz über die internationalen Jugendarbeit, aber auch der Fe rien- Aufhebung der Strukturhilfe und die Aufstockung des maßnahmen für Kinder. Fonds Deutsche Einheit. Daß der Ausschuß dieses An dieser Stelle möchte ich dankend auch den Ein- enorme Arbeitspensum bewältigen konnte, ist in er- satz erwähnen, den viele Familien z. B. mit Kindern ster Linie dem großen Engagement aller Ausschuß- aus Tschernobyl erbracht haben, indem sie ihnen mitglieder zugute zu halten. Auch die Obleute waren durch die Aufnahme in die Familie das Gefühl der in diesem Jahr in ganz besonderem Maße gefordert. Freundschaft vermittelt haben. Dies ist wichtig. Für ihre kooperative Zusammenarbeit bedanke ich mich herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der FDP und der SPD) Alle Mitglieder des Ausschusses haben als Bericht- erstatterinnen und Berichterstatter die Beratung zu Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist den jeweiligen Einzelplänen sachkundig, sorgfältig in besonderer Weise auch auf das ehrenamtliche En- und gründlich vorbereitet, was Sie auch aus den dik- gagement angewiesen. Es ist eben nicht alles mit Geld ken Papieren ersehen können, die wir uns erlaubt zu bezahlen. Deshalb sind viele Bürger und Bürgerin- haben, diese Woche auf Ihre Tische zu legen. Für nen in Vereinen und Verbänden, die freien Träger diese gute Vorbereitung sage ich den Ausschußmit- und andere Einrichtungen nach wie vor gefordert, die gliedern herzlichen in den ich auch und vor gemeinsam gestellte Aufgabe zu meistern. Dank, allem die neuen Ausschußmitglieder — insbesondere In den letzten Tagen wurden in diesem Haus diejenigen aus den neuen Ländern — einschließe, die schrecklich viele Zahlen von fast unvorstellbarer sich erstaunlich schnell in den Haushalt eingearbeitet Höhe genannt. Dennoch ist die finanzwirtschaftliche haben und die mit ihren oftmals erfrischenden Beiträ- Wirklichkeit mehr durch die ausgetauschten Argu- gen die alten Hasen davor bewahrt haben, allzusehr mente deutlich geworden. in eingefahrenen Bahnen zu denken. Der Haushalt 1992 stellt sich den Lasten der Verei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nigung, und zwar sozial gerecht. Wir haben Wünsche FDP) — wie alle hier im Haus — . Aber wir lassen uns nicht wie Sie von Wunschvorstellungen leiten und treiben Ich darf mich ganz persönlich bei meinem Stellver- — ich meine jetzt Sie von der Opposition —, treter Klaus Rose dafür bedanken, daß er bei der (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Und die schwierigen und zeitraubenden Arbeit geholfen hat, Regierung?) das dem Vorsitzenden zustehende Arbeitspensum mit zu bewältigen. Lieber Klaus Rose, ich sage einmal: sondern setzen Stück für Stück das Machbare um. Das ist eine gute Vorbereitung. Wenn ihr ab 1994 in Das macht die Union glaubwürdig. die Opposition geht, dann kannst du reibungslos mei- Ich danke Ihnen. nen Posten übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) ordneten der FDP — Lachen bei der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitar- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- beiter der Ressorts, insbesondere an die Mitarbeiter ten Damen und Herren, ich erteile das Wort jetzt dem des Finanzministeriums, des Bundesrechnungshofes Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deut- und vor allem — das liegt mir sehr am Herzen — an die schen Bundestages, unserem Kollegen Rudi Wal- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschußsekre- ther. tariats. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolf (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP gang Weng [Gerlingen] [FDP]) und dem Bündnis 90/GRÜNE) Sie haben in aufopferungsvollem Engagement unter Rudi Walther (Zierenberg) (SPD): Herr Präsident! Außerachtlassung aller Arbeitszeitvorschriften mit Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es dazu beigetragen, daß wir heute den Haushalt und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5305

Rudi Walther (Zierenberg) den Nachtragshaushalt abschließend beraten kön- — Ihre bis zu den Bereinigungssitzungen erfolgrei-- nen. chen Bemühungen, Kollege Borchert, Herr Präsident, damit möchte ich zu dem überleiten, (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Die waren bis was nicht in Ihrer Anrede enthalten war, nämlich zu heute erfolgreich!) meinen abschließenden Bemerkungen für meine haben Sie indes zunichte gemacht, weil Sie letztend- Fraktion. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich, ob- lich dem Druck der Bundesregierung nachgegeben wohl es mich sehr reizen würde, nicht mit dem aus- und in der Schlußphase der Beratungen zugelassen einandersetzen kann, was meine Vorrednerinnen und haben, daß alle von Ihnen bis dahin beschlossenen Vorredner gesagt haben, sondern ich möchte mit Ihrer Kürzungen durch zusätzliche Ausgaben in Milliar- Erlaubnis den Bundesminister der Finanzen anspre- denhöhe aufgezehrt wurden. chen. (Beifall bei der SPD) Daß mein Dank an die Mitglieder des Haushaltsaus- schusses besonders herzlich ausfällt, hat seinen guten Herausgekommen ist auf diese Weise das magere Grund, denn die Mitglieder des Ausschusses mußten und beinahe keiner weiteren Erwähnung werte Er- — wie schon beim Haushalt 1991 — versuchen, dieje- gebnis, daß die Ansätze des Regierungsentwurfs nun nigen Hausaufgaben nachzuholen, die zu erledigen lediglich um 1 ‰ und nicht um 1 % zurückgeführt wer- die Bundesregierung versäumt hatte. den konnten. So konnten sich die Koalitionsfraktionen letztlich nicht gegen die zusätzlichen Ausgabenwün- (Zustimmung bei der SPD) sche der Bundesregierung durchsetzen und sich auch Was die Bundesregierung dem Ausschuß im Rahmen nicht an diejenigen Vorgaben halten, die sie sich dieser Reparaturarbeiten gerade in der Schlußphase selbst gesetzt hatten. der Beratungen zugemutet hat, spottet jeder näheren So haben sich dann in den beiden Sitzungen des Beschreibung. Kurz vor Toresschluß — in der letzten Haushaltsausschusses die flotten Ankündigungen Woche — zauberte sie Projekte, Vorhaben und Förde- von Jürgen Möllemann, Subventionen in Höhe von rungsmaßnahmen in Milliardenhöhe aus dem Hut, 10 Milliarden DM abzubauen, als das entpuppt, was über die nicht einmal sie selbst, geschweige denn die wir immer vermutet hatten, nämlich als kurzlebige Mitglieder der Koalitionsfraktionen einen kompletten Seifenblasen einer medienwirksamen Schaumschlä- Überblick besaßen. gerei. (Detlev von Larcher [SPD]: Das war bei der (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: So Steuergesetzgebung auch so!) ist Möllemann nun einmal!) So ist der Ausschuß in seinen beiden Bereinigungssit- Der um den Subventionsabbau immer bemühte zungen auf Veranlassung des Bundesministers der Wirtschaftsminister Möllemann war nämlich einer Finanzen von der Koalition mit einer Flut von Anträ- derjenigen — hören Sie gut zu — , der in der Schluß- gen konfrontiert worden, von denen viele mit heißer phase der Haushaltsberatungen in besonderem Maße Nadel gestrickt waren und deshalb häufig hektisch gedrängelt hat, daß sein Etat weiter aufgebläht nachgeholter weiterer Korrekturen bedurften, die ih- wurde. rerseits wiederum das Chaos beinahe komplettierten (Heiterkeit bei der SPD) und ein geordnetes Verfahren sehr erschwerten. Meine Damen und Herren, damit das nicht falsch ver- Er zauberte kurz vor Toresschluß noch ein Paket zu- standen wird: Ich möchte den guten Willen und den sätzlicher Ausgaben in Milliardenhöhe aus dem Hut, enormen Fleiß der Kolleginnen und Kollegen aus den deren Berechtigung durchaus einsichtig zu sein schie- Koalitions-Arbeitsgruppen ausdrücklich loben. nen. Letztlich aber führte das dazu, daß Herr Mölle- mann sein Subventionsabbauziel, von dessen Reali- (Zustimmung bei der SPD und dem Bünd sierung er sein Verbleiben im Amt des Wirtschaftsmi- nis 90/GRÜNE) nisters abhängig gemacht hat, nicht einmal annä- hernd erreicht hat. Daß in diesem Wirrwarr die Generallinie, den Re- gierungsentwurf nachzubessern, dennoch verloren- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also muß er zu- ging, stelle ich mehr resignativ als hämisch fest. Nicht rücktreten!) einmal die Minimalziele, die sich die Koalition gesetzt Die Zahlen, die Staatssekretär Grünewald — ich sehe hatte, sind am Ende der Ausschußberatungen erreicht ihn im Moment nicht — gestern hinsichtlich dessen worden. Ich verkenne dabei nicht, daß die Mitglieder genannt hat, was tatsächlich an Subventionsabbau der Koalitionsfraktionen — allen voran die beiden erreicht worden sei, sprechen nun wirklich Bände. Obleute Jochen Borchert und Wolfgang Weng — Wenn Jürgen Möllemann jetzt auf der Regierungs- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das sind bank säße, würde ich das folgende etwas dringlicher gute Leute!) formulieren. Ich halte Jürgen Möllemann für einen im Laufe der Beratungen zunächst alles darangesetzt Ehrenmann. Ein Ehrenmann müßte eigentlich wissen, haben, die Ausgabenansätze des Regierungsent- was er in einer solchen Situation zu tun hat. wurfs, wie von ihnen geplant, um ein Prozent, also um (Beifall bei der SPD) rund 4 Milliarden DM, zu kürzen. Aber mit ursächlich für dieses Ergebnis scheint mir (Jochen Borchert [CDU/CSU]: Die Vorgabe zunehmend zu sein, daß Theo Waigel von seiner Dop- kam vom Vorsitzenden des Ausschusses!) pelrolle, Parteivorsitzender der CSU und oberster Kas- 5306 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Rudi Walther (Zierenberg) senführer des Bundes zu sein, offenbar überfordert den Haushalt konsolidieren zu müssen, einig noch hat ist. sie die Finanzen tatsächlich im Griff. - (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das neh Ich räume ja ein — darauf haben die Sprecher der men Sie zurück!) Koalition in diesen Tagen aufmerksam gemacht —, die dabei letztendlich heraus- Er — nicht Herr Möllemann — hätte den Abbau von daß sich die Eckwerte, gekommen sind, durchaus passabel anhören. Subventionen propagieren und durchsetzen müssen. Er hätte den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Haushaltsausschuß den Rücken stärken müssen und nicht zulassen dürfen, daß der Sparwille durch mas- Das will ich überhaupt nicht bestreiten. sive Interventionen von Mitgliedern des Bundeskabi- netts unterminiert wurde. Statt dessen hat Theo Wai- (Zurufe von der CDU/CSU) gel mit dem lachenden Auge des Parteivorsitzenden Wer aber — wie auch meine verehrte Kollegin Ina gerne das Seinige dazu beigetragen, daß sich die Albowitz — diese Zahlen isoliert betrachtet, ohne den Klientel seines Parteifreundes letztend- Gesamtzusammenhang zu sehen, der diskutiert nicht lich über neuerliche Milliarden-Subventionen freuen in aller Breite über die tatsächliche Lage des Bundes- durfte ; die Anträge dazu wurden kurz vor Beendigung haushalts und der Bundesfinanzen; denn der Haus- der Bereinigungssitzung noch nachgereicht. halt 1992 verschleiert wie schon sein diesjähriger Vor- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie gänger, daß die Schuldenberge des Bundes höher wollen die deutsche Landwirtschaft ausblu- sind und sein Kreditbedarf größer ist, als uns Theo ten! — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das Waigel immer glauben machen will. Denn im Haus- ist doch nicht wahr! — Horst Jungmann halt tauchen nicht die sogenannten Sondervermögen [Wittmoldt] [SPD]: 1,5 Milliarden DM!) auf. — Das ist doch nicht mein Problem. Mein Problem ist (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ — das haben wir doch gestern schon dargestellt, Kol- CSU]: Jetzt kommen die Schattenhaus- lege Ausschußvorsitzender— : Die Bundesregierung halte ! ) wußte das doch alles schon bei Aufstellung des Haus- als halts, hat das aber nicht gesagt, hat die Anträge für Es ist merkwürdig, daß man Schulden Sonderver- bezeichnet, Kollege Schmitz, daß man sie in diese Mehrausgaben vielmehr auf dem Umweg über mögen Milliardenhöhe dort versteckt, und zwar auch im kom- die Koalitionsfraktionen in letzter Minute einge- menden Jahr, wobei Sie die Fehlbeträge mit weiteren bracht, damit nicht der Bundesfinanzminister, son- Milliardenkrediten decken werden? Wissen Sie, was dern die Arbeitsgruppe Haushalt der Koalitionsfrak- Sie mit den Sondertöpfen machen? Hans Peter tionen verantwortlich ist. Schmitz, wir beide kennen ja noch ; (Beifall bei der SPD) er hat hier einen erheblichen Kampf gegen die Schat- tenhaushalte geführt und hat ihn auch gewonnen. Sie Für diese Haushaltsberatungen gilt daher exakt führen diese ganzen Schattenhaushalte jetzt wieder in das, was Wolfgang Weng in seiner unnachahmlichen einem Umfang ein, den wir früher nie gekannt ha- Art zur Haushaltspolitik und zum Zustand dieser Ko- ben. alition gesagt hat. Er hat nämlich konstatiert — nach- zulesen im „FDP-Tagesdienst" vom 23. Oktober 1991; (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ ich sammle alles, was Wolfgang Weng darin CSU: Es sind andere Bedingungen!) schreibt — : Sie machen mit diesen Schuldentöpfen wie die Länder (Beifall bei der FDP) der Dritten Welt folgendes: Sie finanzieren die Zinsen, Zwar sind wir uns einig, daß alles getan werden die entstehen, durch weitere Schuldenaufnahme. Wä- muß, um die Finanzen wieder in den Griff zu ren wir ein Land der Dritten Welt, müßten wir zum bekommen, doch die Wirklichkeit sieht ... leider Pariser Club. ganz anders aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ich So Wolfgang Weng. hier zu den Milliardenkrediten, zu den Sondervermö- gen gesagt habe, gilt zum einen für die traditionellen Dieser Satz des — vielleicht — künftigen FDP-Vor- Sondervermögen, also Bundespost, Bahn, ERP usw. sitzenden— Wolfgang, alle guten Wünsche begleiten mit mindestens 30 Milliarden DM, den Kreditbedarf Dich — ist auf eine herrliche, aber enttarnende Weise der Reichsbahn nicht eingerechnet. Es gilt zum ande- doppeldeutig. Er kann entweder bedeuten: In Wirk- ren — das ist unter Risikogesichtspunkten noch wich- lichkeit hat die Koalition die Finanzen nicht im Griff, tiger — für diejenigen Sondervermögen, welche im oder er kann semantisch auch in dem Sinne verstan- Zuge der deutschen Einigung eingerichtet worden den werden: In Wirklichkeit ist sich die Koalition nicht sind. einig, die Staatsfinanzen wieder in den Griff bekom- men zu müssen. — Wie ich Wolfgang Weng kenne Übrigens noch folgendes, damit wir uns nicht falsch — ich hoffe, ich kenne ihn jetzt gut genug — , hat er verstehen und nicht der falsche Eindruck aufkommt, beides gemeint. als machte ich das Theo Waigel zum Vorwurf. Um Himmels willen, wie käme ich dazu, der Bundesregie- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) rung vorzuwerfen, daß sie das traurige Erbe der ehe- Hier kann ich ihm nur recht geben; denn diese Bun maligen DDR übernommen hat? Das ist kein Vorwurf, desregierung ist sich weder über die Notwendigkeit, damit wir uns richtig verstehen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5307

Rudi Walther (Zierenberg) Mein Vorwurf ist, daß der Bundesfinanzminister dung auf die Treuhandanstalt, den Bund und die diese Risiken beharrlich verschweigt. neuen Länder aufgeteilt werden soll.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Geplant ist dabei, daß diese Schulden, soweit mög- CSU: Das hat er doch deutlich gesagt! Sie lich, aus Mitteln der Treuhandanstalt getilgt und die sollten seine Rede nachlesen!) verbleibenden Restschulden dann vom Bund und den — Ich habe die Rede gehört. In seiner unnachahmli- neuen Ländern je zur Hälfte übernommen werden. Es chen Art und Weise hat Theo Waigel so getan, als ist jedoch nicht zu erwarten, daß bis zur Auflösung des gebe es diese Risiken gar nicht. Kreditabwicklungsfonds Privatisierungserlöse der Treuhandanstalt zur Tilgung dieser Schulden zur Ver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt fügung stehen. Im Gegenteil, es wird sich bei der für den Kreditabwicklungsfonds, das gilt für die Treu- Treuhandanstalt ein riesiger Schuldenberg ansam- handanstalt, das gilt für alle möglichen anderen Son- meln. Da es sich abzeichnet, daß die neuen Länder auf dervermögen. Grund ihrer schlechten Haushaltslage kaum in der (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Fonds Lage sind, die Schulden zu übernehmen, bedarf es Deutsche Einheit!) nicht der Gabe des Propheten, um bereits heute vor- herzusagen, daß der Bund Anfang 1994 jedenfalls für — Für den Fonds Deutsche Einheit natürlich auch. Ich einen großen Teil dieser Schuldenberge wird gerade- bin durchaus bereit, hier alle aufzuzählen. Nur, das stehen müssen mit der Folge einer dramatischen Er- Ganze — und das hat der Kollege Klaus Rose heute höhung der Zinsausgaben im Bundeshaushalt in morgen auch schon hier dargestellt — summiert sich zweistelliger Milliardenhöhe. Spätestens dann wird zu einer Schuldenaufnahme der öffentlichen Haus- offenbar, wie verfehlt die heutige Finanzpolitik der halte von 135 Milliarden DM. Nun bin ich aber weit Bundesregierung ist, die die Haushaltskonsolidierung davon entfernt zu sagen, das alles habe Theo Waigel in diesem Zusammenhang nicht einmal ernsthaft in zu verantworten. Das ist auch nicht mein Vorwurf, Angriff nimmt und nicht einmal Vorsorge für erkenn- sondern mein Vorwurf ist, daß er sich nicht auf die bare Risiken trifft. Risiken vorbereitet, die demnächst mit den Zinsbeträ- gen in seinem Haushalt landen werden. Dies ist mein Sie trifft auch keine Vorsorge für weitere Risiken, Vorwurf. z. B. aus den übernommenen Gewährleistungen ins- (Beifall bei der SPD) besondere gegenüber den früheren RGW-Staaten, den Entschädigungen für Enteignungen der früheren Das ungeheure Ausmaß der Staatsverschuldung hat DDR und den Wiedergutmachungsleistungen für in nicht nur einer nörgelnden Opposition, sondern auch der früheren DDR erlittenes Unrecht. Es ist übrigens der Deutschen Bundesbank und dem Bundesrech- auch keine Vorsorge getroffen — Frau Matthäus- nungshof Anlaß zu nachhaltiger K ritik gegeben. Die Maier, das ist immer Ihr Thema — für eine verfas- negativen Konsequenzen der Verschuldungspolitik sungskonforme Anhebung des Grundfreibetrags für dieser Bundesregierung machen sich bereits heute die Familien. Nach Berechnungen der Bundesregie- allenthalben bemerkbar. Sie manifestieren sich in rung wird die gebotene nachträgliche Anhebung des dem spürbaren Verlust an Vertrauen in die Stabilität Grundfreibetrags in allen noch offenstehenden Steu- der D-Mark, in dem relativ hohen Zinsniveau und in erverfahren Mindereinnahmen in Höhe von vielen der stetig ansteigenden Zinsquote, die die finanzpoli- Milliarden DM zur Folge haben. Gehen die insoweit tischen Gestaltungsräume zunehmend einengen. beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfah- Diese Alarmsignale sind indessen, verglichen mit ren, wie zu erwarten ist, zu Lasten des Bundes aus, so dem, was auf den Bundeshaushalt auf Grund der jet- wird dieser Betrag fällig, ohne daß sich die Bundesre- zigen Verschuldungspolitik mittelfristig zukommt, gierung bislang darüber Gedanken gemacht hat, ge- vergleichsweise harmlos. Denn in den im Zuge der schweige denn Lösungen erarbeitet hat, wie er zu deutschen Einheit geschaffenen Sondervermögen erwirtschaften ist. sammeln sich gigantische Schuldenberge an, die ab- zutragen die Bundesregierung der nachfolgenden Übrigens sehe ich auch keine Vorsorge — auch Generation aufbürdet, die für die Schulden, die heute nicht in der mittelfristigen Finanzplanung — für die gemacht werden, geradezustehen hat. Durch den Ausgaben, die für den Umzug von Parlament und Kniff, diese Schuldenberge nicht im Haushalt auszu- Regierung nach Berlin fällig werden. weisen, sondern in Sondertöpfen zu verstecken oder, wie der Bundesfinanzminister vornehm formuliert, Aus diesem Grunde, lieber Herr Bundesfinanzmini- dort zu parken, werden diese Berge nicht kleiner; im ster, befürchtet z. B. der Präsident der Landeszentral- Gegenteil, sie wachsen durch die alljährliche Auf- bank in Bayern, Lothar Müller — ich vermute, er ist Ihr nahme neuer Kredite stetig weiter an. Parteifreund —, eine regelrechte Explosion der öf- fentlichen Schulden und vermutet, die Bundesbank Ich habe das hier im einzelnen dargestellt. Ich will müsse eine erneute Zinsanhebung prüfen. Das hat er Ihnen die Aufzählung heute morgen ersparen. Ich in einem Interview geäußert, das gestern in der „Süd- sage Ihnen nur: Sie können die Abtragung dieser deutschen Zeitung" nachzulesen war. Schuldenberge nicht mehr lange vor sich herschie- ben. So ist der Kreditabwicklungsfonds — Herr Mini- Übrigens: Die geplante Finanzierung öffentlicher ster, Sie haben ja, wenn ich mich recht erinnere den Investitionen durch Private — verfassungsrechtlich Vertrag selber unterschrieben — gemäß Art. 23 eh nicht unbedenklich — wird den Schuldenberg Abs. 5 des Einigungsvertrags Ende 1993 aufzulösen, noch zusätzlich erhöhen, denn die eigentlich für den wobei die bis dahin aufgelaufene Gesamtverschul- Haushalt relevanten Belastungen, und zwar Zins- und 5308 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Rudi Walther (Zierenberg) Tilgungsleistungen, werden über die Leasingraten Umsetzung ist von der Bundesregierung offensicht- voll auf den Bundeshaushalt durchschlagen. lich jetzt nicht gewollt, wie wir aus den Vorlagen für die Bereinigungssitzungen gesehen haben. Herr Ar- (Beifall bei der SPD) beitskreisvorsitzender Schmitz, Sie hatten ja keine Die zusätzliche Belastung des Kapitalmarkts wird um Gelegenheit, dabeizusein, aber sehen Sie sich einmal keinen Deut ungefährlicher, wenn für den Bund P ri die Berge an, die wir da in den letzten beiden Tagen -vate Kredite aufnehmen. auf den Tisch bekommen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bun- Die Bundesregierung sucht die finanzpolitische desregierung verfügt über kein schlüssiges Konzept, Wende zunächst einmal nicht bei sich selber, sondern mit dem die immer noch großen Probleme in den allenfalls bei anderen, nämlich z. B. bei den Ländern, neuen Ländern gelöst werden können, denn das Ge- die künftig auf Strukturhilfemittel verzichten müssen, meinschaftswerk Aufschwung Ost läuft Ende kom- oder bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, menden Jahres aus. Was an seine Stelle treten wird, ist denen höhere Sozialversicherungsbeiträge auferlegt nicht einmal in Umrissen erkennbar. Die Menschen in worden sind und denen angeraten wird, sich bei den neuen Ländern erwarten eine Antwort hierauf. Lohnforderungen zurückzuhalten. Sie verdienen es im übrigen nicht, mit falschen Zahlen abgespeist zu werden. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So war das immer!) Ich habe keine Veranlassung, dem Kollegen Kolbe aus der CDU-Fraktion besonders nahe zu sein; er hat Nur im eigenen Hause wird nicht in dem Maße ge- dieses Thema zum großen Leidwesen mancher in der spart, wie man es könnte, wenn man gewollt hätte. Es Regierung und auf der Regierungsseite angespro- fehlt — das sage ich noch einmal — wirklich der chen. Theo Waigel hat nämlich bei dem Beschluß des eiserne Sparwille in dieser Regierung, Herr Bundes- Kabinetts über den Bundeshaushalt 1992 öffentlich finanzminister. erklärt, es stünden 109 Milliarden DM für die neuen Man kann, wenn man wirklich ernsthaften Sparwil- Länder zur Verfügung. Ich habe ihn daraufhin schrift- len hat, im Verteidigungshaushalt mehr sparen, als lich gefragt, wie sich diese Summe errechnet. Die Ant- das bisher geschehen ist. Ich will die alten Themen, wort hat ein paar Wochen gedauert. Dann bekam ich die bei der Debatte über den Einzelplan 14 eine Rolle nicht die Zahl über die Ausgaben für die neuen Län- gespielt haben, nicht noch einmal im einzelnen auf- der, sondern über die einigungsbedingten Ausgaben. führen. Sie können das Wort Jäger 90 schon nicht Wenn man richtig nachgerechnet hat, hat man festge- mehr hören. Ich weiß das und sage es trotzdem so stellt, daß die Hälfte davon überhaupt nichts mit den lange, bis der Vogel gestorben ist neuen Ländern zu tun hat. Er rechnet beispielsweise die Zinsen für Kredite, die er aufgenommen hat, den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neuen Ländern zu. Für die neuen Länder bleibt nur der PDS/Linke Liste) etwa die Hälfte des Geldes übrig. und zumindest in dieser Frage Jürgen Möllemann Eine Randbemerkung — ich blicke in Richtung des recht behält. Er hat ja gesagt: Der Jäger 90 wird der Hauptberichterstatters zum Einzelplan 05 — : Wenn sicherste Flieger, weil er nie fliegen wird. Hoffentlich angesichts der gestiegenen Nachfrage nach deut- behält er recht. scher Sprache und deutscher Kultur bei den eini- (Klaus Beckmann [FDP]: Wo er recht hat, hat gungsbedingten Kosten auch die Goethe-Institute be- er recht!) rücksichtigt worden wären, hätte ich nichts dagegen gehabt. — Ja, sicher. Aber es kommt nicht so oft vor, daß er recht hat, Herr Kollege Beckmann. (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Die haben aber einen großen Zuwachs!) Ich will das nicht noch einmal im einzelnen vortra- gen, was der Kollege Jungmann zum Einzelplan 14 in Ich bin ganz sicher, daß sich der Außenminister ein- diesem Zusammenhang gesagt hat. Aber auch hier mal darum kümmern sollte. sehen wir, daß die Vorgaben der Koalitionsvereinba- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe rung nicht eingehalten sind. Denn der Verteidigungs- Ihnen die nicht gelösten Probleme und die aktuelle haushalt verharrt, wenn man die unzulässige Ver- und die sich mittelfristig abzeichnende Finanzsitu- schiebeaktion in den Einzelplan 60 mit berücksich- ation so ausführlich skizziert, um zu verdeutlichen, tigt, auf derselben Höhe wie 1991; das heißt, es gibt daß die Abkehr von der Verschuldungspolitik unum- keine nominalen Einsparungen in diesem Bereich. gänglich ist. Gelingt dies nicht, wird es über kurz oder (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: lang zu einem bösen Erwachen kommen, das nie- 10 Milliarden DM weniger bei den Ist-Aus- mand will, aber Kundige befürchten. Denn die Steuer- gaben!) und Abgabenschrauben sind nach der größten Steuererhöhungsaktion in der Geschichte der Bun- — Hans-Werner Müller, ich habe ja Ihre Rechnungen desrepublik, die als Steuerlüge in den deutschen vorgestern nachmittag gehört. Es ist dann zutreffend, Sprachgebrauch Eingang gefunden hat, zu Ende ge- wenn man, ob zu Recht oder zu Unrecht, lasse ich dreht. einmal dahingestellt, die Ausgaben für die NVA in (Beifall bei der SPD) Ostmark der ehemaligen DDR hinzuzählt. Ich weiß, Abkehr von der Verschuldungspolitik (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: heißt in erster Linie sparen. Welcher Haushälter Das muß man doch fairerweise dazurech- wüßte das nicht? Diese Erkenntnis ist t rivial; aber ihre nen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5309

Rudi Walther (Zierenberg) Aber das darf man natürlich nicht, weil man weiß: nen als Konversionsprogramm für die nächsten fünf Eine Ostmark war bestenfalls 25 Pfennig wert. Jahre anbieten und deklarieren, nämlich — hören Sie,- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß auch gerade die Kolleginnen und Kollegen aus den in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß zwar betroffenen Regionen, gut zu — eine Aufstockung der im Etat überflüssige Mittel für überflüssige Zwecke Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirt- veranschlagt sind; andererseits und umgekehrt ist die schaftsstruktur" um 250 Millionen DM und die Erhö- Bundeswehr von Aufgaben befreit worden, die kei- hung der Städtebauförderungsmittel um 250 Millio- neswegs überflüssig, sondern höchst notwenig sind nen DM sowie die verbilligte Abgabe von Grundstük- und für deren Wahrnehmung sie geradezu prädesti- ken mit geschätzten Einnahmeausfällen von 500 Mil- niert ist, nämlich vom Abbau der Grenzanlagen und lionen DM, hört sich gar nicht so schlecht an, wenn vom Räumen von Minen an der vormals innerdeut- man nur die Zahlen so sieht, obwohl das alles viel zu schen Grenze. Wir haben im Haushaltsausschuß er- wenig ist. Dieses angebliche Konversionsprogramm fahren müssen, daß sich die Bundeswehr hierfür zu verdient aber seinen Namen nicht; denn erstens um- schade ist und daß die Bundesregierung diese Auf- faßt es nicht sämtliche Aspekte der Konversion, son- gabe einer privaten Einmanngesellschaft mit be- dern allenfalls die Standortekonversion, und zweitens schränkter Haftung übertragen hat, die hierfür aus ist es nicht spezifisch auf die Kommunen und Regio- dem Bundeshaushalt 20 Millionen DM bekommt, mit nen zugeschnitten, die von Standortreduzierung be- der ausdrücklichen Möglichkeit der Vertragsverlän- troffen sind. gerung. Meine Damen und Herren, abgesehen davon, (Anke Fuchs [SPD]: Unglaublich!) daß die Bundeswehr dies sehr viel kostengünstiger Drittens hilft die Aufstockung der Mittel für die Ge- hätte leisten können, fehlt jedenfalls mir jedes Ver- meinschaftsaufgabe den Kommunen nicht, die nicht ständnis dafür, daß die Bundeswehr zwar in der Golf- in der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung" gewesen region Minen räumt, sich aber für nicht zuständig er- sind. Kommunen, die jetzt ihre ganzen Standorte ver- klärt, wenn die gleiche Aufgabe mitten in Deutsch- lieren, die aber z. B. wegen der Anwesenheit von land anfällt. Truppenteilen früher prosperierten und deshalb nicht (Beifall bei der SPD) in die Gemeinschaftsaufgabe aufgenommen worden sind, bekommen jetzt vom Bund keinen Pfennig. Das, Übrigens — auch dies ist hier im Zusammenhang Herr Bundesfinanzminister, halte ich wirklich für ei- mit dem Einzelplan 14 vorgetragen worden — fehlt nen Aberwitz, und ich halte es für naiv, zu glauben, dem Bundesminister der Verteidigung jedwedes Kon- einer vom Truppenabzug betroffenen Gemeinde zept für die neue Situation auf Grund der geänderten könne durch die verbilligte Abgabe von Kasernen Sicherheitslage in Europa und in der Welt. Er tut bei wirklich geholfen werden. den Beschaffungsvorhaben so, als hätte sich nichts geändert; alles soll so weiter beschafft werden wie (Zurufe von der CDU/CSU: Aber sicher!) bisher. Dies, meine sehr verehrten Damen und Her- Viele Kommunen werden sie nicht einmal als Ge- ren, kann auch kein sinnvolles Signal nach außen schenk akzeptieren, weil sie mit ihnen nichts anfan- sein, Herr Bundesfinanzminister. gen können oder weil sie die hohen Kosten für Unter- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ halt und Bewachung mit Recht scheuen. GRÜNE) Gefragt und erforderlich ist demgegenüber etwas Ich würde Sie bitten, Ihren zuständigen Fachbeamten ganz anderes, nämlich ein Gesamtkonzept für eine — einer von denen sitzt hinter Ihnen — , die das ge- sozialverträgliche und strukturgerechte Abrüstung nauso sehen, ein bißchen mehr den Rücken zu stär- auf der Grundlage eines umfassenden Friedens- und ken, damit sie hier Druck auf die Pumpe geben. Mein Entwicklungsplans, so wie wir das seitens unserer Vorschlag heißt: Zurück — Marsch! Marsch! — mit Fraktion mehrfach gefordert haben. diesen Vorlagen ins Bundesverteidigungsministe- Meine Damen und Herren, unser Fazit aus alledem rium! ist: Theo Waigel ist der fröhlichste Schuldenmacher Meine sehr verehrten Damen und Herren, allen die- und der größte Schuldenmacher, den man sich den- sen Aspekten, die ich hier versucht habe nur kurz zu ken kann. skizzieren, wird der beschlossene Verteidigungsetat (Beifall bei der SPD) nur unzulänglich gerecht. Es hat noch nie jemand so fröhlich Schulden gemacht Ich muß noch einen weiteren Punkt ansprechen, der wie Theo Waigel. mir besonders wesentlich erscheint. Das, was ich aus- geführt habe, gilt auch für die Bewältigung der Abrü- Zuerst behauptet er, die Kosten der deutschen Ein- stungsfolgen durch Standort- und Rüstungskonver- heit seien aus der Portokasse zu bezahlen und Steuer- sion. Die Bundesregierung hat es bislang sachwidrig erhöhungen seien gänzlich unnötig. Dann verantwor- unterlassen, ein umfassendes, ressortübergreifendes tet er die größte Steuererhöhungsaktion der Nach- Programm zur Bewältigung der Abrüstungsfolgen kriegszeit. Er verkündet die Notwendigkeit des Spa- vorzulegen, rens, hält sich aber selber nicht daran. Er behauptet, die Schuldenaufnahme ginge zurück; tatsächlich ver- (Dr. Nils Diederich [Berlin]: Traurig! Trau steckt er aber Hunderte von Milliarden in ausgelager- rig!) ten Schuldentöpfen, die er schamhaft Sondervermö- das die Teilaspekte soziale Konversion, Forschungs gen nennt. konversion und Standortekonversion umspannt. Das, Herr Bundesfinanzminister, ich respektiere die was die Bundesregierung und die Koalitionsfraktio große physische Leistung, die Sie erbringen. Aber die 5310 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Rudi Walther (Zierenberg) Doppelfunktion, die jede für sich einen ganzen Mann Aber es ist mir auch noch nie passiert, daß sich bei erfordert, überfordert Sie ganz offensichtlich. Not- meinem Erscheinen gestern abend, als zufällig die wendiges Vertrauen, meine Damen und Herren, kann Regierungsbank leer war — — so nicht hergestellt werden. Wo Vertrauen in die Re- gierung fehlen muß, kann die Opposition dieses (Siegfried Vergin [SPD]: Zufällig?) Manko nicht ausgleichen. Die Ablehnung des Haus- — Zufällig. Wirklich zufällig, und zwar deshalb, weil halts durch uns ist deshalb gleichzeitig der Aufruf zu es anders vereinbart war. einem neuen Anfang haushalts- und finanzpolitischer Solidität. Ich war da, weil ich mit meinen Prätorianern von der Haushaltsgarde noch etwas zusammensaß. Dann bin Vielen Dank. ich mit dem Beifall des ganzen Hauses, vor allem der (Lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei Frauen, weil es eine Frauen-Debatte war, begrüßt der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/ worden. Seitdem lasse ich mich von niemandem mehr GRÜNE) einen Chauvi heißen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- FDP und der SPD) ten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei Be- Um so mehr bedaure ich, Frau Fuchs, daß ich bei der merkungen zur Geschäftslage. Wir werden mit der Wertschätzung, die ich für Sie empfinde, sagen muß: namentlichen Abstimmung wahrscheinlich in einer Gestern, das war leider eine schwache Ouvertüre. Sie halben Stunde, also um 12.15 Uhr beginnen können. haben leider wieder eine alte Platte abgespielt. Das wird auch draußen bekannt gemacht, weil die ursprüngliche Zeit 12.30 Uhr war. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ich fand meine Jetzt habe ich noch eine höfliche Bitte an meine Rede sehr gut, Herr Kollege!) Kollegen Geschäftsführer. Das Haus füllt sich gleich. Sie könnten es besser, und Sie wissen es auch besser. Wir haben bei der letzten namentlichen Abstimmung Aber trotzdem: Ich freue mich, daß Sie hier wieder als schon erlebt, daß sich der letzte Redner in der Schluß- erste gesprochen haben. Vielleicht können wir künf- phase nicht mehr bemerkbar machen konnte. Sie, die tig noch öfter die Klingen kreuzen. Aber Sie müssen ich jetzt bitte, das Ende der Debatte in Ruhe mitzuvoll- sich etwas Neues einfallen lassen. Mit der alten Platte ziehen, brauche ich darauf nicht besonders aufmerk- von vorgestern ist weder für Sie noch für die Fraktion, sam zu machen. Aber wir sollten die nachrückenden noch für die SPD ein Blumentopf zu gewinnen. Kollegen ein bißchen darauf aufmerksam machen, daß wir in Ruhe zu Ende debattieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben nicht (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der zugehört!) SPD) Nun gebe ich das Wort dem Herrn Bundesfinanzmi- Was ich nicht für möglich gehalten hätte, ist einge- nister, unserem Kollegen Theo Waigel. treten: Unser Kollege Professor Ehmke hat sein Herz für den Finanzminister entdeckt. Als ich gestern an ihm vorbeiging, gab er mir diese Mark. Er hat sie gespendet. Ich weiß nur noch nicht, ob ich sie behal- Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- ten darf oder ob ich sie abliefern muß. gen! Ich bedanke mich vor allen Dingen bei Ihnen, (Heiterkeit) Herr Präsident, für die Fürsorge. Sie sind schon ein sehr guter Präsident. Lieber Kollege Rudi Walther, Sie haben mir die Doppelrolle vorgeworfen. Über die Frage, wer Vorsit- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der zender der CSU ist, entscheidet allein der Parteitag FDP und der SPD) der CSU. Der hat am letzten Sonntag darüber ent- schieden. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, nach (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Geschäftsordnung dürften Sie noch nicht einmal ordneten der FDP — Zuruf von der CDU/ das sagen. CSU: Eindeutig!) (Heiterkeit) Wer Finanzminister wird, darüber entscheiden der Wähler, der Bundeskanzler und meine Partei- freunde. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Ich weiß es und nehme es nicht zurück. (Zuruf von der CDU/CSU: Auch eindeutig!) (Heiterkeit — Zuruf von der SPD: Sie haben Bisher ist beides sowohl den Finanzen als auch meiner gestern auf der Regierungsbank geklatscht! Partei gut bekommen. Das durften Sie auch nicht!) — Es ist wahr, Herr Präsident: Ich habe mich gestern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eines Fehlverhaltens schuldig gemacht. Ich habe auf ordneten der FDP) der Regierungsbank geklatscht, als eine Kollegin der Ich fühle mich in der Tradition meiner großen Vor- SPD sprach. Beides durfte ich nicht. gänger Schäffer, Strauß, aber auch der CDU-Finanz- (Heiterkeit) minister und auch der SPD-Finanzminister, die mit mir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5311

Bundesminister Dr. Theodor Waigel einen besseren Umgang pflegen als mit den meisten Blick auf ihn zu werfen. Übrigens: Man muß einmal von Ihnen. hier und einmal dort hinschauen. (Zuruf von der CDU/CSU: Die verstehen (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das auch was von der Sache!) sagt auch die Bonner Rednerschule!) Ich will sie jetzt nicht einzeln zitieren; sonst bekom- Ich kann ja nicht laufend zu Ihnen schauen. men Sie innerhalb der eigenen Reihen Probleme, und Was den Verteidigungshaushalt anbelangt, Kol- das Buch von wird nicht mehr gekauft. Ich lege Walther: Das ist nun wirklich die größte Frie- will auch Ihr Buch, Frau Kollegin Fuchs, nicht zitieren; densrendite, die hier erwirtschaftet wurde. sonst kauft es niemand mehr innerhalb der eigenen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fraktion. 8 Milliarden DM werden hier jährlich eingespart. Das (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Machen Sie ruhig ist eine riesige Leistung. Ich ziehe vor den Kollegen Reklame!) und vor dem Bundesverteidigungsminister den Hut, — Jetzt wieder, weil der Kollege Klose wieder Re- mit welcher Verantwortungsbereitschaft er das ange- klame macht. Sein Vorgänger hat dafür keine Re- gangen ist. klame gemacht, oder nur indirekt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lieber Kollege Walter, in diesem Haushalt und in Sie beklagen, daß die Strukturhilfe wegfallen soll. unserer Finanzpolitik wird nichts verschwiegen. Meine Damen und Herren, wir sind doch fast alle Warum auch? — Man kann es doch gar nicht ver- — übrigens auch SPD-regierte Länder — der Mei- schweigen. Sie sind doch so gut, daß Sie alles merken, nung, daß das Gesetz nach der Einigung verfassungs- was drinsteht. Insofern ist die offene Diskussion rich- widrig ist. Dann muß man daraus auch die Konse- tig. quenzen ziehen. Wir haben im Rahmen dessen, was möglich ist, Vor- Was das Konversionsprogramm anbelangt: Das sorge durch globale Mehrausgaben, die in der Fi- steht natürlich in einem Zusammenhang mit den Ge- nanzplanung enthalten sind, getroffen. Zum Beispiel samtausgaben, die jetzt in einem Vermittlungsverfah- das, was im Kreditabwicklungsfonds mutmaßlich auf ren angegangen werden. uns zukommt, ist in der mittelfristigen Finanzplanung Ich wundere mich nur etwas über die Krokodilsträ- enthalten. Mehr können wir nicht tun. nen, die im Moment die SPD und SPD-Abgeordnete Es ist auch nicht fair, mir quasi zu sagen, ich hätte über Bundeswehrstandorte vergießen. die einigungsbedingten Kosten den neuen Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ländern vorgerechnet. Das tue ich nicht. Nein, das Faktum ist wichtig: Wieviel ist es? Wieviel haben wir Sie waren doch überall auf der Matte. Sie standen zu bewältigen? Ich weiß sehr wohl, daß dazu die Bür- doch an der Spitze der Demonstrationen und der Ak- ger in den jungen Bundesländern und auch die Bürger tionseinheiten, bei denen es um Abrüstung und Ab- in den alten Bundesländern ihren Beitrag erbringen zug ging. und daß eine gemeinsame Solidarität notwendig ist (Detlev von Larcher [SPD]: Ja, Gott sei und stattfindet. Dank!) Nur, ich lasse mir ungern von Ihnen den Vorwurf Jetzt verbünden sich die gleichen Personen mit ande- machen — denn von Ihnen ist in den letzten Wochen ren Bündnissen und beklagen, daß die Amerikaner der Vorwurf erhoben worden — , wenn die Steuerein- und die Bundeswehr abziehen. nahmen drüben im Osten nicht voll realisiert werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — könnten, dann müsse man sich doch auch über die Detlev von Larcher [SPD]: Es ist doch albern, Ausgaben im Osten Gedanken machen. was Sie sagen!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer hat das Die SPD in Bayern hat eine Reduzierung der Bun- denn gesagt?) deswehr auf 200 000 Mann gefordert. Ja, meine Da- Diesen Zusammenhang halte ich nun nicht für richtig, men und Herren, da müssen Sie uns einmal sagen, wie Herr Kollege Walther, und er tut auch der gemeinsa- es dann mit den Standorten, der Reduktion und den men Solidarität nicht gut. Man kann nicht beides mit- Kosten eines Konversionsprogramms aussieht. einander vermischen, mir auf der einen Seite Vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) würfe machen und mir auf der anderen Seite unter- Eine letzte humorvolle Bemerkung zu Rudi Walther. stellen, etwas im Raum stehenzulassen, wo wir uns Lieber Rudi Walther, Sie können mir meine Finanz- dann vor die Leute hinstellen müssen. politik vorwerfen. Sie dürfen da schlimm mit mir um- (Zurufe von der SPD: Wer hat das gesagt?) gehen. Aber die Fröhlichkeit, die ich mir Gott sei dank noch bewahrt habe und zu bewahren hoffe, lasse ich — Rudi Walther war es; ich sage das doch! mir von niemandem absprechen und auch von nie- (Zuruf von der SPD: Sagen Sie es doch zu mandem vorwerfen. dieser Seite!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Entschuldigung, ich will ja nicht, daß sich alle auf Wissen Sie, warum ich fröhlich bin? Ich bin deswe- ihn stürzen. Ich mag ihn ja nicht ungern. Ich habe eher gen fröhlich, weil ich in einer Zeit Finanzpolitik ma- in die andere Richtung gesehen, um nicht immer den chen darf, in der wir die Einheit Deutschlands, die 5312 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Freiheit Deutschlands und den Neuaufbau Europas an, als daß ein SPD-Finanzminister das Geld zusam- finanzieren. Das sind die schönsten Investitionen, die menhalten könnte. - überhaupt getätigt werden können! (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ der FDP) CSU und der FDP) Genau so ist es gekommen. Ich habe mich für alle Beiträge zu bedanken, ob sie Meine Damen und Herren, wer hier nur die Zahlen nun unterstützend oder kritisch gemeint waren. Wir ohne die Zusammenhänge und ohne die Ursachen haben uns auch bei den Pressekommentatoren zu be- darstellt, der vergißt doch: Deutschland hat sich ver- danken, die sich insgesamt doch um eine ausgewo- ändert, Deutschland ist größer geworden, es hat 40 % gene Darstellung bemüht haben. Sie sind für uns im- mehr Fläche und 25 % mehr Bevölkerung, und das mer wieder wichtig, damit wir über das, was wir tun Bruttosozialprodukt hat seit 1989 um 25 % zugenom- und sagen, nachdenken. men. Dann kann ich doch nicht die Zahlen, auch nicht die Finanzdaten der Jahre 1991 und 1992 mit denen Mein herzlicher Dank gilt dem Haushaltsausschuß, von 1982, 1985 oder von 1989 vergleichen. den mitberatenden Ausschüssen und den Beamten in den Ressorts für die Arbeit an zwei Haushaltsgesetzen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — innerhalb eines Jahres. Dabei gilt mein ganz besonde- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das tun Sie rer Dank natürlich den Kolleginnen und Kollegen im doch dauernd!) Haushaltsausschuß, den Prätorianern des Parla- Ich kann Ihnen eine Rechnung nicht ersparen: Bei ments. Verzinsung der Endverschuldung von 1982 mit 7 % (Heiterkeit — Dr. Konstanze Wegner [SPD]: (Detlev von Larcher [SPD]: Siehste! Ich Die Prätorianer haben schon Kaiser ge denke, wir sollen nicht vergleichen!) stürzt!) entsprach das aufgezinste Schuldenerbe der SPD — Wir haben keinen Kaiser, nur Franz. Ende 1990 fast genau dem aktuellen Schuldenstand. Die verzinsten SPD-Schulden würden sich auf 1 041 Nur, bei einigen Beiträgen ist noch die alte Denk- Milliarden DM belaufen. Die tatsächlichen Schulden schablone erkennbar, als ob nicht ein riesiges Ereignis sind um 6 Milliarden DM höher; der Rest ist für die stattgefunden hätte, nämlich die Einheit Deutsch- Einheit. Die Schulden, die Sie beklagen, die Sie an- lands, eine Revolution und viele Evolutionen in ganz greifen, sind — verzinst — Ihre Schulden, die wir 1982 Europa. übernommen haben. Meine Damen und Herren, wenn Sie mit der griffi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gen Formulierung „der größte Schuldenminister" ar- ordneten der FDP) beiten wollen, muß ich Ihnen sagen: Jeder andere wäre in dieser Zeit vor der gleichen Aufgabe gestan- 1982 betrug die Nettokreditaufnahme 37,2 Milliar- den, und kein anderer hätte anders gehandelt. Wenn den DM, die investiven Ausgaben nur 32 Milliarden Sie das weiterverfolgen, als was wollen Sie dann La- DM. 1992 wird die Nettokreditaufnahme 45 Milliar- fontaine im Saarland, als was wollen Sie dann Wede- den DM betragen, die investiven Ausgaben 66 Milli- meier in Bremen, Engholm in Schleswig-Holstein und arden DM. andere bezeichnen? Auch in den 70er Jahren wurden die Schulden von Bahn, Post und ERP-Sondervermögen nicht den Bun- (Beifall bei der FDP) desschulden zugeschlagen. Überlegen Sie sich einmal gut, wie lächerlich, wie bil- Was haben eigentlich die Schulden der Wohnungs- lig, wie falsch und wie unzulässig diese Bezeichnung wirtschaft oder der Industrien der früheren DDR im ist! Bundeshaushalt zu suchen? Frühere Salzgitter- oder Ich erinnere mich daran, daß im Jahre 1969 der Saarbergwerk-Schulden wurden dem Bundeshaus- halt ebenfalls nicht zugerechnet. Sollen wir sie viel- damalige Finanzminister Franz Josef Strauß Schulden zurückgezahlt hat. Er war wahrscheinlich der letzte leicht dem saarländischen Haushalt zurechnen? Finanzminister in diesem Jahrhundert, der das tun (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- konnte. Damals habe ich ihm gesagt: Lieber Herr ordneten der FDP) Strauß, was Sie da getan haben war großartig: staats- So absurd ist Ihre Rechnung! politisch, in einem Wahljahr Schulden zurückzuzah- len, volkswirtschaftlich wie im Lehrbuch, vier Ziele Die gesamte Neuverschuldung ist praktisch eini- gleichzeitig erreicht, finanzwissenschaftlich glän- gungsbedingt. Ohne die Einigung hätten wir 1991 im zend, antizyklische Finanzpolitik. Ich habe ihm ge- öffentlichen Gesamthaushalt nur ein Defizit von sagt: Was Sie getan haben, hatte nur einen Nachteil: 13 Milliarden DM gehabt, 1992 eines von 28 Milliar- Sie haben eine volle Kasse einem sozialdemokrati- den DM. schen Finanzminister übergeben. Meine Damen und Herren, auch in einer Zeit, in der (Beifall bei der CDU/CSU — Helmut Wieczo es vielleicht verlockend wäre, den Bundesbankge- rek [Duisburg] [SPD]: Aber Sie haben daraus winn für die Reduzierung der Nettokreditaufnahme gelernt, Herr Waigel!) oder für manchen anderen wichtigen Zweck einzuset- zen, bleiben wir unserem Grundsatz treu. Wir setzen Strauß hat mir in seiner Art geantwortet: Theodor, du nur 7 Milliarden DM ein. Was darüber hinaus herein- hast recht; denn eher legt ein Hund einen Wurstvorrat kommen könnte — und es wird wahrscheinlich mehr Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5313

Bundesminister Dr. Theodor Waigel sein —, wird für die Altschuldentilgung verwendet, Subventionsabbau kann immer nur in allmählichen - dient der Reduzierung der Bruttokreditaufnahme, Schritten kassenwirksam werden. Das sind die volks- entlastet den Kapitalmarkt und wirkt sich positiv auf wirtschaftlichen Anpassungskosten. Die Subventions- die Zinsen aus. definition des Subventionsberichts hilft nicht immer weiter. Steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ihre Einschränkung können sich nicht im Subven- ordneten der FDP) tionsbericht niederschlagen. Das machen wir jetzt und auch im nächsten Jahr. Auch hier lohnt es sich, meine Damen und Herren, Sie beklagen die zu hohe Zinsausgabenquote. Sie einmal auf den Abbau von Subventionen in den letz- wird 1992 10,6 % betragen; sie betrug 1983 10,8 %. ten Jahren hinzuweisen. Im Jahre 1990, als Gegenfi- Der Ausgabenanstieg betrug in den Jahren von 1982 nanzierung zur Steuerreform, waren es 14 Milliarden bis 1989 im Durchschnitt 2,5 %. 1982 betrug der kre- DM, Berlin- und Zonenrandförderung durch das ditfinanzierte Ausgabenanteil 15,2 %, 1989 waren es Steueränderungsgesetz 1991: 10 Milliarden DM. 6,6 %; allein das zeigt unseren Konsolidierungserfolg Auch das Abbauvolumen der Koalitionsarbeitsgruppe in dieser Zeit. von knapp 10 Milliarden DM wird erreicht. Es ist eine Gesamtsumme von 32,2 Milliarden DM. Wenn die Die Ausgabenlinie der SPD in den 70er Jahren be- Subventionen insgesamt steigen, dann darf man sich trug 9 %. Das unterscheidet die heutige Politik von der doch nicht wundern, angesichts dessen, was in den damaligen. Sie haben damals permanent mehr ausge- jungen Bundesländern bei den entsprechenden Um- geben, als Sie einnehmen konnten, und haben damit schichtungen und bei den Übergangshilfen aufge- den Staat und die Volkswirtschaft überfordert, bracht werden muß, auch im Zusammenhang damit, (Beifall bei der CDU/CSU) daß dort durch den Abbau der Preisstützungsmaßnah- men ein großes Maß an Subventionsabbau jetzt und in während wir konsolidiert haben, Steuer- und Abga- den nächsten Jahren stattfindet. benlast zurückgenommen haben, damit die Rahmen- bedingungen für die längste Wachstumsphase, die die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deutsche Volkswirtschaft seit dem Krieg überhaupt Lieber Kollege Weng, ich darf in diesem Zusam- gehabt hat, hergestellt wurden. Das gab uns den menhang auch auf Ihren Beitrag eingehen. Sie haben Spielraum, diese Jahrhundertaufgabe in den Jahren mich als Vorsitzenden einer bedeutenden Volkspartei von 1989 bis 1991 und auch 1992 anzugehen. Wir bezeichnet. gehen jetzt bereits wieder auf dem Konsolidierungs- pfad von damals; der Ausgabenanstieg beträgt nur (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Der knapp über 2 %. bedeutendsten Regionalpartei!) — Dafür danke ich Ihnen. Ich nehme an, auch Sie Meine Damen und Herren, Sie wollen überhaupt wären gerne Vorsitzender einer großen Volkspartei. nicht wahrhaben, was an Einsparungsmaßnahmen seit 1990 bereits vorgenommen worden ist. Im ersten (Heiterkeit) bis dritten Nachtragshaushalt 1990 waren es 5,56 Mil- Aber Sie müssen sich noch mit einigen Konkurrenten liarden DM, die wir eingespart haben. Im Regierungs- in Ihrer eigenen Partei auseinandersetzen. Aber wie entwurf 1991 waren es 7,6 Milliarden DM, im Haus- Sie mit Ihrem Mitkonkurrenten Möllemann umgehen, halt 1991 37,3 Milliarden DM, und im Bundeshaushalt ist beispielhaft: fair und sehr, sehr uneigennützig; be- 1992 sind es 11,8 Milliarden DM, die ganz konkret wundernswert. Es ist ein Beispiel, wie man einen sol- eingespart wurden. Das Ganze ergibt eine Haushalts- chen Wettkampf in einer Partei durchführt. entlastung durch Einsparungen, durch Umschichtun- gen, durch Umlenkungen und auch durch Erhöhun- (Heiterkeit) gen der Beiträge von 62,3 Milliarden DM. Das, meine Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bun- Damen und Herren, ist eine entscheidende Konsoli- desregierung hat übrigens in einem Konvergenz- dierungsaufgabe, die wir vorgenommen haben und papier auch gegenüber der Europäischen Gemein- die ihresgleichen seit 1949 sucht. schaft festgestellt, wie sie ihre mittelfristige Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) planung weiter durchführt. Wir haben die Konver- genzkriterien schon heute weitgehend erfüllt. Der Peter Velte schreibt im ,,General-Anzeiger" dazu: Schuldenstand beträgt 43 % des Bruttosozialprodukts. Die Beratungen im Haushaltsausschuß, die tradi- Nach den Vorstellungen der Wirtschafts- und Wäh- tionsgemäß nicht nur von Sachverstand, sondern rungsunion in der dritten Phase sind 60 % zulässig. auch vielen Gemeinsamkeiten bestimmt sind, ha- Die Preisstabilität bewegt sich gegenwärtig um die ben gezeigt, daß mehr als knapp fünf Milliarden 4 %. Damit liegen wir gut in Europa, aber nicht aus- Mark am Etatvorschlag des Bundesfinanzmini- reichend für unsere Zielsetzung. Das muß in den sters nicht zu kürzen waren. nächsten Jahren wieder besser werden. Bei den lang- fristigen Zinsen liegen wir in Europa am günstigsten. Das zeigt unseren Ausgangspunkt sehr deutlich. Wir können auch jeden Vergleich mit den anderen Noch ein Wort zum Subventionsabbau. Entschei- Weltwirtschaftsländern aushalten. Wir stehen beim dend ist das Volumen der Subventionsabbaube- Wachstum an zweiter Stelle hinter Japan, bei der Sta- schlüsse und nicht die Kassenwirksamkeit. Das wuß- bilität mit Japan an zweiter Stelle, bei der Arbeitslo- ten wir von vornherein. senquote hinter Japan an zweiter Stelle, bei den Zin- sen haben wir die drittniedrigste Rate, und bei der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sparquote liegen wir hinter Japan an zweiter Stelle; 5314 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Bundesminister Dr. Theodor Waigel (Bundesminister der Finanzen) : und das, meine Damen und Herren, obwohl wir im Dr. Theodor Waigel - Moment als einziges Land unter den G 7 eine riesige Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der Aufgabe haben, nämlich die Einheit unseres Vater- notwendigen kritischen Auseinandersetzung gilt es, landes zu gestalten und zu finanzieren. die Finanzpolitik seit Beginn der deutschen Einheit richtig zu würdigen und einzuordnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hier möchte ich mich bei allen bedanken, die daran Die Nettoleistungen für die Einheit nach Abzug der einigungsbedingten Mehreinnahmen, ohne interna- mitgewirkt haben, vor allen Dingen bei denen, die nie im Rampenlicht stehen, in den Ministerien, in jedem tionale Leistungen, betragen in diesem Jahr 100 Mil- liarden DM, 1992 sind es 140 Milliarden DM. Das Amt, in jeder Behörde, in jeder Institution, bei den erhöht die Kaufkraft der jungen Bundesländer um Kammern, bei den Gewerkschaften und vielen, vielen mindestens 50 % im Verhältnis zur selbst produzierten anderen. Wir allein hätten das nie geschafft. Und es ist nicht unser Werk allein, sondern es ist vor allen Din- Leistung. gen das Werk der Millionen in Deutschland, die daran Ich will hier sagen, was die Bürger in Ost und die mitarbeiten. Bürger in West als Beitrag der Solidarität dazu leisten: Per saldo leisten die Bürger im Osten durch weiter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bestehenden Einkommensabstand und die Bürger im bei Abgeordneten der SPD und des Bündnis- Westen durch Beitrag zur Einheit ihren solidarischen ses 90/GRÜNE) Einsatz für Deutschland. Lieber Kollege Walther, wenn Sie als Vorsitzender Meine Damen und Herren, der Kommentator Bar- des Haushaltsausschusses die Eile und manchmal bier hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Hektik beklagen, kann ich das verstehen. Auf der vom 27. November 1991 gesagt: anderen Seite muß man sehen, was wir auf einmal und fast gleichzeitig zu tun hatten und haben: damals die Die Zahlen des Bundeshaushalts 1992 ... sagen Vorbereitung und den Abschluß der deutschen Wirt- nicht, wie schwierig es in einem föderalen Staats- schafts- und Währungsunion, fast gleichzeitig die Mit- wesen ist, die Lasten der Vereinigung auf faire wirkung beim Einigungsvertrag, die Finanzierung der Weise zwischen dem Bund und den (überwie- Einheit, Fach- und Rechtsaufsicht über die Treuhand- gend nicht gerade ärmlichen) alten Bundeslän- anstalt, zur gleichen Zeit die Arbeit an der Europäi- dern zu verteilen. schen Wirtschafts- und Währungsunion, zur gleichen Die deutsche Einheit muß auch weiterhin eine ge- Zeit die Mitwirkung am Aufbau der Demokratien und meinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommu- Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa und auch nen bleiben. die Mitwirkung an dem positiven Prozeß in der Sowjetunion. Ich glaube, noch nie stand eine Politik (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — auch nicht die Finanzpolitik — gleichzeitig vor so Unsere Steuerpolitik bleibt auf Wachstumskurs. Die vielen Herausforderungen. Ich bitte, das zu berück- Steuererhöhungen 1991 betragen 17 Milliarden DM. sichtigen. In 1992 und danach werden es etwa 27 Milliarden DM sein. Demgegenüber steht die Steuerentlastung von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 1986 bis 1990 in Höhe von 50 Milliarden DM. Die Es ist eine unglaubliche Befriedigung — auch für Steuerquote 1991 beträgt 23,5 %, sie betrug 1980 das gedankliche Erbe, das wir mit zu verwalten ha- 24,7 %. Die Abgabenquote beträgt 1991 40,5 %, sie ben — , wenn man sich heute einmal vorstellt, daß die betrug auch 1980 40,5 %. Wenn wir nicht die deutsche Soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard zum Einheit finanzieren müßten — Gott sei Dank können größten Exportartikel geistiger, politischer Art ge- wir sie finanzieren — , könnten wir die Quote auch worden ist, den wir in der Welt im ökonomischen Be- senken. Und später werden wir das wieder tun. reich im Moment vorzuweisen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Übrigens ist es auch falsch, vom weiteren Marsch in Es ist schon bemerkenswert, wenn sich der polnische den Lohnsteuerstaat zu sprechen, wie es der Kollege Finanzminister Balcerowicz und sein tschechoslowa- Wieczorek am Dienstag getan hat. kischer Kollege Klaus eindeutig zu den Lehren Lud- (Widerspruch bei der SPD) wig Erhards bekennen. Der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkom- Meine Damen und Herren, es geht um Zahlen, es geht um Daten. Aber viel mehr geht es um die Inter- men betrug 1982 32,6 %, er beträgt 1991 32,2 %. Sie werden immer wieder von Ihren eigenen Zahlen ein- essen der Menschen und um Einzelschicksale. Wir geholt, und wir sind nicht so vergeßlich, Ihnen den dürfen und können diese Dinge nicht mit den Maßstä- Hinweis darauf zu ersparen. ben von gestern messen. Die großen Aufgaben der deutschen Einheit erfordern besondere Instrumente, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge besondere Bewertungsmaßstäbe und auch eine be- ordneten der FDP) sondere Kooperation zwischen Regierung und Oppo- sition. Man hat mir in den letzten Wochen ein Herz aus Vizepräsident Helmuth Becker: Liebe Kolleginnen Stein empfohlen. Aber ich behalte mir vor, wir behal- und Kollegen, ich bitte um mehr Ruhe hinten im ten uns vor, als Menschen zu entscheiden: an der Saal. Wirklichkeit und nicht nur an kalten Fakten und Zah- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Es reicht jetzt! len orientiert. Allerdings: Jeder wird auf Granit bei- Schluß!) ßen, der mit untragbaren Forderungen an uns heran- Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5315

Bundesminister Dr. Theodor Waigel tritt und damit die Stabilität von Staat und Wirtschaft Wir haben damit diesen Tagesordnungspunkt ab- gefährden könnte. geschlossen. Ich danke Ihnen. Ich bitte Sie, einverstanden zu sein, daß wir mit der Beratung des nächsten Tagesordnungspunkts begin- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und nen und daß wir diese Beratung, sobald das Ergebnis der FDP — Beifall des Abg. Hans-Ulrich der namentlichen Abstimmung vorliegt, kurz unter- Klose [SPD]) brechen, damit dieses Ergebnis bekanntgegeben wird. Kann ich davon ausgehen, daß Einverständnis herrscht? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- Es ist so beschlossen. ten Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache zum Haushalt 1992. Ich rufe den Tagesordnungspunkt VIII auf: Es ist hier viel Dank ausgesprochen worden. Lassen Sie mich hier noch einen Dank — ich hoffe, in Ihrer Erste Beratung des von den Fraktionen der aller Namen — aussprechen, den Dank an alle Mitar- CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- beiterinnen und Mitarbeiter hier im Hause, in den wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- Fraktionen und bei den Abgeordneten, die mitgewirkt zes über die parlamentarische Kontrolle nach- haben, daß dies zustande kommen konnte. Ganz herz- richtendienstlicher Tätigkeit des Bundes und lichen Dank! zur Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Beifall im ganzen Hause) (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über das Haus- — Drucksache 12/1643 haltsgesetz 1992 in der Ausschußfassung. —Überweisungsvorschlag: Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstim- Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- mung. nung Ich eröffne die Abstimmung und mache Sie darauf Rechtsausschuß aufmerksam, daß wir anschließend noch über einen Haushaltsausschuß Entschließungsantrag abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 45 Minuten vorgesehen. — Ich höre (Zurufe von der CDU/CSU: Namentlich?) und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. — Nein, nicht namentlich. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Meine Damen und Herren, kann ich davon ausge- Redner unserem Kollegen Dr. Paul Laufs das Wort. hen, daß alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben haben? — Noch nicht. — Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Ich frage noch einmal: Haben alle Mitglieder des sehr geehrten Damen und Herren! Im März 1978 ha- Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? — Ich höre und ben wir das Gesetz über die parlamentarische Kon- sehe keinen Widerspruch. Die Abstimmung ist ge- trolle der Nachrichtendienste beschlossen. Es wurde schlossen. mit großer Mehrheit aller Fraktionen angenommen. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu Ich freue mich, daß wir jetzt, wo dieses Gesetz unse- beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später ren Erfahrungen und Ansprüchen gemäß weiterent- bekanntgegeben. *) wickelt wird, wiederum einen Gesetzentwurf vorle- Ich bitte Sie Platz zu nehmen, weil wir über den gen können, der in diesem Hause auf breiter Basis Entschließungsantrag der SPD zur dritten Beratung mitgetragen wird, nämlich von den Koalitionsparteien des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1992 auf Druck- und der Sozialdemokratie. sache 12/1671 abstimmen wollen. Unser Ziel ist wie im Jahr 1978, eine institutionali- (Unruhe) sierte parlamentarische Kontrolle über die Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Militäri- — Je eher Sie Platz genommen haben, um so früher schen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichten- können wir zur Abstimmung kommen und in den Be- dienstes ausüben zu können, ratungen fortfahren. Wir haben uns anschließend mit Änderungen des Gesetzes über die parlamentarische (Zuruf von der SPD: Das ist auch dringend Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bun- nötig!) des auseinanderzusetzen. ohne dabei gleichzeitig in die politische Verantwor- tung der Regierung für die Nachrichtendienste einzu- Wir kommen zur Abstimmung über den aufgerufe- greifen. nen Entschließungsantrag auf Drucksache 12/1671. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, Die Aufgabe der Kontrollkommission ist zweige- den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegen- teilt. Sie wacht einerseits darüber, daß die Grund- probe! — Stimmenthaltungen? — Dieser Entschlie- rechte der Bürger vor Übergriffen der Geheimdienste ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- geschützt werden, andererseits darüber, daß für die tionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Leistungsfähigkeit und den Schutz der Nachrichten- Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe dienste bei ihrer Tätigkeit gesorgt ist. PDS/Linke Liste abgelehnt worden. Die damalige Bundesregierung versprach sich von der Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission *) Seite 5317A einen Zuwachs an Unterstützung im Parlament und 5316 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Paul Laufs einen konstruktiven Dialog gerade über die sehr Wir sind uns bewußt, daß diese erweiterten Unter- schwierige Grenzziehung beim Einsatz nachrichten- richtungspflichten und Informationsrechte eine solide dienstlicher Mittel. Sie erwartete auch eine Stärkung Vertrauensbasis zwischen den Mitgliedern der PKK des Vertrauens der Öffentlichkeit in die rechtmäßige und der Regierung voraussetzen. Die strikte strafbe- und ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Dienste wehrte Geheimhaltungspflicht bleibt für die PKK-Mit- bei ihrem so schwierigen Geschäft zum Wohle unserer glieder bestehen. Bürger. Heute haben wir festzustellen, daß sich diese Gleichwohl wird auch die öffentlichkeitswirksame Erwartungen nur teilweise erfüllt haben. Darstellung der Arbeit der Kommission verbessert werden. So sollen die Kommission und einzelne Mit- Es ist nicht die Aufgabe der Kontrollkommission, glieder die Möglichkeit erhalten, aktuelle Vorgänge eine vorbeugende und begleitende Kontrolle der in der Öffentlichkeit zu bewerten, wenn zuvor zwei Dienste auszuüben. Die Öffentlichkeit erregende Drittel der anwesenden Mitglieder der Kommission Fehlleistungen können im einzelnen durch die Arbeit dem zugestimmt haben. Diese der Kommission nicht verhindert werden. Es hat keine Bewertung von aktuel- schließt eine Preisgabe konkreter Ein- direkte Überprüfung operativer Handlungen gege- len Vorgängen zelheiten aus, die zur Gefährdung der Tätigkeit der ben, und es durfte sie auch nicht geben. Dies ist die Dienste führen könnte. Aufgabe der Regierung, die für die Tätigkeit der Dien- ste die ungeteilte politische Verantwortung trägt. Schließlich soll die Kommission dem Bundestag in der Mitte und am Ende einer Wahlperiode über ihre Die nachrichtendienstliche Tätigkeit kann aber nur Kontrolltätigkeit berichten. erfolgreich sein, wenn der Schutz der handelnden Der Untergang des SED-Staates und der Umbruch Personen in diesen Behörden sowie des Nachrichten- in Osteuropa wirkten sich tiefgreifend auch auf die zugangs über Quellen und ausländische Partnerdien- Tätigkeit unserer Geheimdienste aus. Umfassende ste uneingeschränkt gewährleistet ist. Es liegt deshalb Anpassungen sind erforderlich und auch bereits auf in der Natur der Sache, daß jede Bundesregierung bei den Weg gebracht worden. Bestimmung der Zeit, der Art und des Umfangs der im PKK-Gesetz begründeten nachträglichen Unterrich- Es ist die Frage aufgeworfen worden, inwieweit der tung äußerst vorsichtig und zurückhaltend war. Dar- Auftrag unserer Nachrichtendienste, Gefahren, die unter litt die Qualität der Arbeit der Kontrollkommis- es für diesen Staat abzuwehren gilt, frühzeitig zu er- sion. Wir wollen nunmehr die parlamentarische Kon- kennen, überhaupt noch aufrechtzuerhalten ist. Es trollfunktion stärken. Diese Absicht haben die Regie- deutet manches darauf hin, daß eine unruhige, von rungsfraktionen schon in ihre Koalitionsvereinbarung Krisen geschüttelte und von regionalen Kriegen heim- zu Beginn dieser Wahlperiode aufgenommen. gesuchte Zukunft vor uns liegt. Zahlreiche bedrük- kende Ereignisse haben uns gezeigt, wieviel krimi- Wir wollen die Bundesregierung durch den vorlie- nelle Energie nah und fern darauf gerichtet wird, ato- genden Gesetzentwurf dazu verpflichten, daß sie mare, biologische und chemische Waffen herzustellen künftig über alle Vorgänge von besonderer Bedeu- und zu beschaffen. Die Welt wird nicht frei sein von tung umfassend berichtet. Die Bundesregierung kann kriegerischen Bedrohungen, Staatsterrorismus, politi- danach die Unterrichtung über einzelne Vorgänge schen Erpressungen und Geiselnahmen. Und auch die nur noch dann verweigern, wenn dies aus zwingen- innere Ordnung des Grundgesetzes wird weiterhin den Gründen des Nachrichtenzugangs notwendig ist vor links- und rechtsextremistischen Bestrebungen und wenn dies begründet wird. und Terroranschlägen geschützt werden müssen.

Die Informationsmöglichkeiten der Kontrollkom- Wir brauchen die Nachrichtendienste auch in der mission sollen auch dadurch verbessert werden, daß Zukunft. Wir sollten über manchen Fehlleistungen sie die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste mit nicht vergessen, daß sie einen wichtigen Auftrag zu berät. Die Bundesregierung hat sie über den Vollzug erfüllen hatten und auch erfüllt haben. Wir verdanken der Wirtschaftspläne durch die Nachrichtendienste zu auch ihnen, daß wir auf viele Jahrzehnte des Friedens unterrichten. in Freiheit und Sicherheit zurückblicken können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Außerhalb der gesetzlichen Vorschriften wird die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag eine Er- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der klärung abgeben, wonach sich Angehörige der Dien- SPD) ste zur Verbesserung der Aufgabenerfüllung ihrer Häuser mit Hinweisen direkt an die Kommission wenden können, weshalb der jeweilige Bedienstete dienstrechtlich weder gemaßregelt noch benachteiligt Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und werden darf. Es versteht sich von selbst, daß dienst- Herren, ich unterbreche verabredungsgemäß kurz die rechtliche Vorschläge im eigenen Interesse oder zu- Aussprache und gebe das von den Schriftführern er- gunsten Dritter ausgeschlossen sind. mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung — Schlußabstimmung — über das Haushaltsgesetz Zudem soll die Kommission zur Akteneinsicht bei 1992 — Drucksachen 12/1000, 12/1329, 12/1401 bis den Diensten und zur Anhörung bestimmter Personen 12/1415, 12/1416 (neu), 12/1417 bis 12/1422, 12/1424 jederzeit befugt sein. Zwar hat auch hier die Bundes- bis 12/1430, 12/1600, 12/1601 — bekannt: abgege- regierung ein Verweigerungsrecht, doch muß sie die bene Stimmen 542. Alle Stimmen waren gültig. Mit Ja Gründe auf Wunsch der Parlamentarischen Kontroll- haben 335 Kolleginnen und Kollegen des Hauses ge- kommission darlegen. stimmt, mit Nein 207. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5317

Vizepräsident Helmuth Becker Endgültiges Ergebnis Gres Meinl Seibel Frau Grochtmann Dr. Meyer zu Bentrup Seiters Abgegebene Stimmen: 541 Gröbl Frau Michalk Skowron Grotz Dr. Mildner Dr. Sopart ja: 334 Günther (Duisburg) Dr. Möller Frau Sothmann Harries Müller (Kirchheim) Spilker 207 nein: Haschke (Jena-Ost) Müller (Wadern) Spranger enthalten: 0 Frau Hasselfeldt Müller (Wesseling) Dr. Sprung Hauser (Esslingen) Nelle Dr. Stavenhagen ungültig: 0 Hauser (Rednitzhembach) Dr. Neuling Frau Steinbach-Hermann Hedrich Neumann (Bremen) Dr. Stercken Heise Nitsch Dr. Frhr. von Stetten Ja Frau Dr. Hellwig Ost Stockhausen Helmrich Oswald Dr. Stoltenberg CDU/CSU Dr. Hennig Otto (Erfurt) Strube Dr. h. c. Herkenrath Dr. Päselt Susset Frau Dr. Ackermann Hinsken Dr. Paziorek Tillmann Adam Hintze Pesch Dr. Töpfer Dr. Altherr Hörsken Petzold Dr. Uelhoff Frau Augustin Hörster Pfeffermann Uldall Augustinowitz Dr. Hoffacker Pfeifer Frau Verhülsdonk Austermann Hollerith Dr. Pfennig Vogel (Ennepetal) Bargfrede Dr. Hornhues Dr. Pflüger Vogt (Duren) Dr. Bauer Hornung Dr. Pinger Dr. Voigt (Northeim) Bayha Hüppe Pofalla Dr. Vondran Belle Frau Jaffke Frau Priebus Dr. Waffenschmidt Frau Dr. Bergmann-Pohl Jagoda Dr. Probst Dr. Waigel Bierling Dr. Jahn (Münster) Dr. Protzner Graf von Waldburg-Zeil Dr. Blank Janovsky Pützhofen Dr. Warrikoff Frau Blank Frau Jeltsch Frau Rahardt-Vahldieck Werner (Ulm) Dr. Blens Dr.-Ing. Jork Raidel Frau Wiechatzek Bleser Dr. Jüttner Dr. Ramsauer Frau Dr. Wilms Dr. Blüm Jung (Limburg) Rau Wilz Böhm (Melsungen) Junghanns Rauen Wimmer (Neuss) Frau Dr. Böhmer Dr. Kahl Reddemann Frau Dr. Wisniewski Börnsen (Bönstrup) Kalb Regenspurger Wissmann Dr. Bötsch Dr.-Ing. Kansy Reichenbach Dr. Wittmann Bohl Dr. Kappes Dr. Reinartz Wittmann (Tännesberg) Bohlsen Frau Karwatzki Frau Reinhardt Wonneberger Borchert Kauder Repnik Frau Wülfing Brähmig Keller Dr. Rieder Würzbach Breuer Kiechle Dr. Riedl (München) Zeitlmann Frau Brudlewsky Kittelmann Dr. Riesenhuber Zöller Brunnhuber Klein (Bremen) Rode (Wietzen) Bühler (Bruchsal) Klein (München) Frau Rönsch (Wiesbaden) Büttner (Schönebeck) Klinkert Frau Roitzsch (Quickborn) FDP Carstens (Emstek) Köhler (Hainspitz) Dr. Rose Clemens Dr. Köhler (Wolfsburg) Rossmanith Frau Albowitz Dehnel Dr. Kohl Roth (Gießen) Frau Dr. Babel Deres Kolbe Rother Baum Frau Diemers Frau Kors Dr. Ruck Beckmann Dörflinger Koschyk Rühe Eimer (Fürth) Doss Kossendey Dr. Rüttgers Engelhard Dr. Dregger Kraus Sauer (Salzgitter) van Essen Echternach Krause (Dessau) Sauer (Stuttgart) Dr. Feldmann Ehlers Kriedner Scharrenbroich Friedhoff Ehrbar Kronberg Frau Schätzle Friedrich Frau Eichhorn Dr.-Ing. Krüger Dr. Schäuble Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Engelmann Krziskewitz Schartz (T rier) Gallus Eppelmann Lamers Schemken Ganschow Eylmann Dr. Lammert Scheu Gattermann Frau Falk Dr. Laufs Schmalz Gries Dr. Faltlhauser Laumann Schmidbauer Grüner Feilcke Frau Dr. Lehr Schmidt (Fürth) Günther (Plauen) Dr. Fell Lenzer Dr. Schmidt (Halsbrücke) Dr. Guttmacher Fischer (Hamburg) Dr. Lieberoth Schmidt (Mühlheim) Hansen Fockenberg Frau Limbach Frau Schmidt (Spiesen) Heinrich Francke (Hamburg) Link (Diepholz) Schmitz (Baesweiler) Dr. Hirsch Dr. Friedrich Lintner von Schmude Dr. Hitschler Fritz Dr. sc. Lischewski Dr. Schneider (Nürnberg) Frau Dr. Hoth Fuchtel Frau Löwisch Graf von Schönburg-Glauchau Dr. Hoyer Ganz (St. Wendel) Lohmann (Lüdenscheid) Dr. Scholz Hübner Frau Geiger Louven Frhr. von Schorlemer Irmer Geis Lummer Dr. Schreiber Kleinert (Hannover) Dr. Geißler Dr. Luther Schulhoff Dr. Kolb Dr. von Geldern Frau Männle Schulz (Leipzig) Koppelin Gerster (Mainz) Magin Schwalbe Dr.-Ing. Laermann Gibtner Frau Marienfeld Schwarz Frau Leutheusser-Schnarren- Glos Marschewski Dr. Schwarz-Schilling berger Dr. Göhner Marten Dr. Schwörer Lüder Göttsching Dr. Mayer (Siegertsbrunn) Seehofer Lühr Götz Meckelburg Seesing Dr. Menzel 5318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Vizepräsident Helmuth Becker Mischnick Frau Gleicke Schloten Frau Wester Nolting Großmann Schluckebier Frau Westrich Otto (Frankfurt) Hacker Schmidbauer (Nürnberg) Frau Wettig-Danielmeier Paintner Frau Hämmerle Frau Schmidt (Aachen) Frau Dr. Wetzel Frau Peters Hampel Frau Schmidt-Zadel Frau Weyel Frau Dr. Pohl Frau Hanewinckel Dr. Schmude Wieczorek (Duisburg) Richter (Bremerhaven) Frau Dr. Hartenstein Dr. Schnell Wiefelspütz Rind Hasenfratz Schreiner Dr. de With Dr. Röhl Heistermann Schröter Frau Wohlleben Schäfer (Mainz) Hiller (Lübeck) Schütz Frau Wolf Frau Schmalz-Jacobsen Hilsberg Frau Schulte (Hameln) Dr. Zöpel Schmidt (Dresden) Horn Dr. Schuster Dr. Schmieder Ibrügger Schwanitz Schüßler Frau Iwersen Seidenthal PDS/LL Frau Dr. Schwaetzer Frau Jäger Frau Seuster Frau Sehn Dr. Janzen Sielaff Frau Bläss Frau Dr. Semper Jaunich Singer Frau Braband Thiele Dr. Jens Dr. Soell Dr. Briefs Dr. Thomae Jung (Düsseldorf) Frau Dr. Sonntag-Wolgast Frau Dr. Enkelmann Timm Jungmann (Wittmoldt) Sorge Dr. Gysi Türk Frau Kastner Dr. Sperling Frau Jelpke Frau Walz Kastning Frau Steen Dr. Keller Dr. Weng (Gerlingen) Kirschner Steiner Frau Lederer Wolfgramm (Göttingen) Frau Klappert Dr. Struck Dr. Modrow Frau Würfel Frau Klemmer Tappe Dr. Riege Zurheide Klose Dr. Thalheim Dr. Schumann (Kroppenstedt) Zywietz Dr. sc. Knaape Thierse Dr. Seifert Körper Tietjen Frau Stachowa Frau Kolbe Frau Titze Toetemeyer Nein Kolbow Koltzsch Urbaniak Vergin Bündnis 90/GRÜNE SPD Kubatschka Dr. Kübler Dr. Vogel Kuessner Wagner Dr. Feige Andres Wallow Frau Köppe Antretter Lambinus Frau Lange Walter (Cochem) Poppe Bachmaier Walther (Zierenberg) Frau Schenk Frau Barbe von Larcher Lennartz Wartenberg (Berlin) Schulz (Berlin) Bartsch Frau Dr. Wegner Dr. Ullmann Becker (Nienberge) Lohmann (Witten) Frau Dr. Lucyga Weiermann Weiß (Berlin) Frau Becker-Inglau Frau Weiler Berger Maaß (Herne) Frau Marx Weißgerber Bernrath Weisskirchen (Wiesloch) Fraktionslos Beucher Frau Mascher Matschie Welt Bindig Dr. Wernitz Lowack Frau Blunck Dr. Matterne Dr. Böhme (Unna) Frau Matthäus-Maier Brandt Meckel Damit ist das Haushaltsgesetz in der Schlußabstim- Meißner Frau Brandt-Elsweier mung angenommen worden. Dr. Brecht Dr. Mertens (Bottrop) Büchler (Hof) Dr. Meyer (Ulm) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Büchner (Speyer) Mosdorf Büttner (Ingolstadt) Müller (Pleisweiler) Wir fahren in der Aussprache zu Punkt VIII der Ta- Frau Bulmahn Frau Müller (Völklingen) gesordnung fort. Das Wort hat unsere Kollegin Andrea Frau Burchardt Müller (Zittau) Lederer. Bury Müntefering Frau Caspers-Merk Neumann (Bramsche) (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Catenhusen Neumann (Gotha) Andrea Lederer Conradi Frau Dr. Niehuis Meine Damen und Herren! Heute liegt uns eine der Frau Dr. Däubler-Gmelin Dr. Niese wenigen Antworten auf den BND-Waffendeal vor: Daubertshäuser Niggemeier eine Änderung des PKK-Gesetzes. Wenn in der Be- Dr. Diederich (Berlin) Frau Odendahl gründung mitgeteilt wird, die nunmehr dreizehnjäh- Diller Oesinghaus Frau Dr. Dobberthien Oostergetelo rige Praxis mit dem bisherigen Gesetz habe gezeigt, Dreßler Opel daß die PKK der Aufgabe einer parlamentarischen Duve Ostertag Kontrolle der Nachrichtendienste mit diesem Gesetz Ebert Frau Dr. Otto nicht gerecht werden könne, dann wundert mich ei- Dr. Eckardt Paterna Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Penner gentlich nur eines: Haben Sie das wirklich erst be- Eich Dr. Pfaff merkt nach den Hamburger „Mähdreschern'? Dr. Elmer Poß 13 Jahre sind immerhin eine lange Zeit. Meine Re- Esters Purps Ewen Reimann dezeit würde nicht ausreichen, die ganzen Geheim- Frau Ferner Frau von Renesse dienstskandale aufzuzählen, die sich in diesen Frau Fischer (Gräfenhaini- Frau Rennebach 13 Jahren in diesem Lande ereignet haben. Nur, eins chen) Reschke ist jedenfalls auch sicher: Noch nicht ein einziger sol- Fischer (Homburg) Reuschenbach Formanski Reuter cher Skandal ist durch die PKK aufgedeckt worden. Frau Fuchs (Köln) Rixe Sie hinkt wirkungslos hinterher. Ich vermute, dabei Fuhrmann Schäfer (Offenburg) wird es auch bleiben. Gansel Schanz Dr. Gautier Scheffler Jetzt ist zwar nach 13 Jahren offenbar Handlungs- Gilges Schily bedarf entstanden, doch die an den Tag gelegte Eile Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5319

Andrea Lederer soll nur darüber hinwegtäuschen, was nicht nur alle dieses Hauses sein, die die finsteren Machenschaften Mitglieder der PKK und dieses Hauses, sondern auch der Geheimdienste ans Licht zerren müssen. die Menschen in diesem Lande längst wissen: Die (Beifall bei der PDS/Linke Liste) bundesdeutschen Geheimdienste sind nicht zu kon- trollieren. Sie werden es auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes nicht sein. Sie sollen es offensichtlich Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- auch gar nicht sein. ten Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kol- lege Dr. Peter Struck. Wenn Sie beispielsweise Regelungen getroffen hät- ten über die Informationspflicht gegenüber der Öf- fentlichkeit, wenn Sie sich z. B. dazu entschlossen Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Da- hätten, daß Rücksichten auf sogenannte Partnerdien- men und Herren! Wir haben heute einen erfreulichen ste gegenüber der Kontrolle der eigenen Dienste hint- Vorgang zu verzeichnen, nämlich die erste Lesung anstehen müßten, oder wenn Sie sich endlich dazu eines Gesetzentwurfs zur Novellierung des Gesetzes entschlossen hätten, Geheimdienstkritikerinnen in über die Parlamentarische Kontrollkommission, eine die PKK aufzunehmen wie etwa die Gruppen Bünd- der wenigen positiven Auswirkungen der Affäre, die nis 90 und PDS/Linke Liste, dann könnte ich wenig- mit der Lieferung von Panzern für Israel zusammen- stens feststellen: Es gibt einen Ansatz von Bemühen. hängt. Diese Affäre hat nun mit Sicherheit auch den Aber das ist nicht der Fall. letzten Zweifel bei denjenigen beseitigt, die bisher Sie feiern hingegen solche Errungenschaften wie davon ausgingen, die Parlamentarische Kontrollkom- folgende: Schaffung einer Unterrichtungspflicht der mission nehme ihre Rechte ordentlich wahr und Bundesregierung, die das dann aber auch gleich wie- werde auch von der Bundesregierung ordentlich in- der verweigern kann aus „zwingenden Gründen des formiert, und deshalb sei eine Novelle nicht erforder- Nachrichtenzugangs", wie es so schön heißt. Und lich. Ich konzediere auch gerne, Kollege Laufs, daß wenn Sie es verweigert, dann darf die PKK noch eine dies sozusagen nur der letzte Tropfen war. Die Koali- Begründung dafür verlangen, und dann ist aber auch tionsfraktionen haben in ihrer Koalitionsvereinbarung schon Schluß. Wie wollen Sie da eigentlich eine Kon- ohnehin dieses Thema angesprochen. Wir Sozialde- trolle von Geheimdiensten ausüben? mokraten haben das sehr begrüßt und in der Diskus- sion ja auch immer mitgetragen. Oder trotz der neuen Regelung: Anhörung von Ich möchte nicht zu den Einzelheiten Stellung neh- Wir kennen doch alle das nette Auskunftspersonen. men, weil ich glaube, daß Kollege Laufs das Wesent- Spiel mit den Aussagegenehmigungen. Die von Ihnen liche dazu gesagt hat. Wir müssen uns ja auch nicht künftig anzuhörenden Agenten und Mitarbeiter be- unbedingt wiederholen, wenn wir einer Meinung stimmter Behörden werden sozusagen nur dann wirk- sind. Ich möchte nur einen Aspekt ansprechen, der liche Auskunftspersonen, wenn sie sich entgegen je- sicherlich noch der näheren, vertiefenden Beratung der Beschränkung durch Aussagenehmigungen zum im Innenausschuß bedarf, den wir — federführend — Auspacken entschlössen, und dann nützt es nichts, darum bitten wollen. daß sie sich an Sie wenden können, ohne disziplinar- rechtlich gerügt zu werden. Sie werden letztlich dar- Wir müssen aufpassen bei der Frage, ob sich Mitar- auf verwiesen, daß die Bundesregierung entscheidet, beiter der Dienste an die Parlamentarische Kontroll- was raus darf und was nicht. Genau vor diesem Pro- kommission sollen wenden können und welche Kon- blem wird die PKK so wie in den letzten 13 Jahren sequenzen das hat, damit diese Parlamentarische weiterhin stehen. Kontrollkommission nicht zu einer Art Petitionsaus- schuß oder Kummerkasten oder zwischen Personalrat Das sind nur einige Beispiele aus den Unzulänglich- und Petitionsausschuß der Angehörigen der Dienste keiten dieses Änderungsentwurfs. Ich kann Ihnen nur wird. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Jeder sagen: Im Schalck-Ausschuß vergeht kaum ein Sit- von uns weiß: Wenn sich ein Mitarbeiter von seinem zungstag, an dem nicht festgestellt wird, daß BND- Arbeitgeber beschwert fühlte, was ja überhaupt nicht Vermerke zu allem anderen als zur Ermittlung der auszuschließen ist, und dann plötzlich dieses Instru- Wahrheit zu gebrauchen sind. Machen Sie doch uns mentarium angeboten bekäme, würden wir mit einer und der Öffentlichkeit nichts vor! Sie gehen mit die- Reihe von Dingen befaßt, die für die Parlamentarische sem Skandal, dem Waffendeal aus Hamburg, um wie Kontrollkommission für die Nachrichtendienste über- mit den bundesdeutschen Giftgasausrüstungen für haupt nicht erörterungswürdig wären. Deshalb weise den Irak: Sie schaffen zur Beruhigung der Öffentlich- ich für meine Fraktion darauf hin, daß diesem Thema keit ein Stück Makulatur. Sie beabsichtigen gar nicht, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. eine wirkliche Kontrolle durchzusetzen, sowenig wie Ich begrüße ausdrücklich die Bereitschaft der Bundes- Sie wirklich den Waffenexport beschränken wollen. regierung, die einzuhaltende Grenze zwischen Exe- Solange der Bundesregierung ein „Verweigerungs- kutive und Legislative jedenfalls etwas weicher — um recht unter dem Stichwort „Quellenschutz" und das einmal zurückhaltend zu formulieren — zu gestal- „Schutz der Partnerdienste" zusteht, solange Ge- ten, als es der Fall wäre, wenn man das streng juri- heimdienstkritiker aus der PKK herausgehalten wer- stisch faßte im Hinblick auf die von Herrn Staatsmini- den, solange es also am politischen Willen zu einer ster Stavenhagen in der Öffentlichkeit und auch in der wirklichen Kontrolle fehlt, genau so lange werden die Parlamentarischen Kontrollkommission abgegebenen Geheimdienste ihre bisherige Praxis fortsetzen; sie Äußerungen. werden keiner wirklichen Kontrolle durch dieses Zum Schluß, meine Damen und Herren: Ich glaube, Haus unterliegen und erst recht nicht durch die Öf- daß wir gut beraten sind und der Innenausschuß gut fentlichkeit. Es werden immer andere als Mitglieder beraten sein wird, wenn wir das Gesetz über die No- 5320 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Dr. Peter Struck velle zur PKK möglichst noch in diesem Jahr, d. h. die Medien bekanntgewordene aktuelle Vorgänge le- konkret: in zwei Wochen, hier in zweiter und dritter diglich bewertet werden, und das auch nur, wenn es- Lesung beraten können; Kollege Laufs und Kollege auch den Vertretern der Regierungsfraktionen ge- Hirsch. nehm ist. Die Menschen, die sich von den Aktivitäten von Viertens. Dem gleichen Zweck dienen die vorgese- Geheimdiensten beschwert fühlen, ob zu Recht oder henen Tätigkeitsberichte der PKK an den Bundestag. zu Unrecht, haben ein Recht darauf, daß wir wirklich Wir fragen uns: Was soll darin überhaupt stehen? Je- zügig zu Ende kommen. Ich bin eigentlich ganz zuver- denfalls keine Angelegenheiten, die den PKK-Mit- sichtlich, daß wir hier ein Ergebnis diskutieren wer- gliedern bei ihrer Tätigkeit bekanntgeworden sind, den, das allen Ansprüchen, die dabei zu berücksichti- denn die so formulierte Geheimhaltungspflicht wird gen sind, gerecht werden. natürlich nicht angetastet. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Herrn Stavenhagens Ehrenworterklärung gewährt FDP) Akteneinsicht nur auf Unterrichtungswünsche hin, also wenn der PKK der zugrunde liegende Vorgang schon anderweitig gesteckt worden sein muß. Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt der Sechstens. Zwar sollen sich Mitarbeiter der Dienste Frau Kollegin Ingrid Köppe das Wort. an die PKK wenden dürfen, aber offenbar nur mit vor- heriger Erlaubnis, denn anders wäre gar nicht denk- bar, wie die Bundesregierung nach Nr. 3 der Erklä- (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident! Ingrid Köppe rung eine solche Maßnahme aus Sicherheitsgründen Meine Damen und Herren! Zur heutigen Beratung verweigern kann. über Korrekturen an der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste kommt es, weil diese Dienste in Siebtens. Natürlich stehen alle Unterrichtungen, die den letzten Wochen und Monaten wieder einmal für Akteneinsicht usw. unter dem alten, jetzt nur etwas negative Schlagzeilen gesorgt haben. Ich brauche enger klingenden Vorbehalt des Quellenschutzes diese Schlagzeilen hier nicht noch einmal zu nennen. bzw. Nachrichtenzugangs. Daraufhin setzt nun ein hektisches Treiben in Rich- Meine Damen und Herren, in der PKK treffen sich tung Öffentlichkeit ein, die ja ohnehin seit einiger Zeit Vertreter der CDU/CSU-, der FDP- und der SPD-Frak- zu Recht und zunehmend eine Entspannungsdivi- tion; Teile der Opposition sind von dieser Arbeit aus- dende bei den Diensten einfordert, also zumindest geschlossen. Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE wird personelle und materielle Kürzungen. weiter und demnächst gegebenenfalls auch in Karls- Zu den angekündigten personellen Kürzungen bei ruhe einen Sitz selbst in dieser zahnlosen PKK einfor- den Diensten vergißt man aber leider, Termine zu dern, solange die Dienste noch existieren, doch ohne nennen. Die Sachmittelkürzungen sehen so aus, daß die Illusion, damit die strukturelle Unkontrollierbar- z. B. das Bundesamt für Verfassungsschutz im näch- keit und Demokratieunverträglichkeit der Geheim- sten Jahr statt der geplanten 30 Millionen DM nur dienste plötzlich beheben zu können. Vielmehr hält 20 Millionen DM mehr bekommen soll. die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN daran fest, daß Dienste wie BND und MAD abzuwickeln sind und daß Als Krönung kommt noch eine angebliche Verbes- auch die Verfassung nicht durch das Bleichlautende serung der Kontrolle, denn die parlamentarischen Amt geschützt, sondern nur durch die Bürgerinnen Kontrolleure hatten ja die letzten Eskapaden der und Bürger selbst sowie durch den Ausbau demokra- Dienste wieder einmal erst aus der Presse erfahren. tischer Rechte fortentwickelt werden kann. Den Entwurf, den Sie, meine Herren aus der PKK, Ich danke Ihnen. jetzt vorlegen, können Sie nicht ernst meinen. Daß die Neuregelungen vielfach gar nicht gesetzlich festge- (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei schrieben werden sollen, sondern nur in Herrn Sta- Abgeordneten der PDS/Linke Liste) venhagens ehrenwörtlicher Erklärung — auf diese wirklich einmalige Form des Ansinnens an den Ge- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und setzgeber will ich hier gar nicht vertieft eingehen. Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Rolf Inhaltliche Substanz ist praktisch nicht vorhanden. Olderog das Wort. Ich nenne folgende Beispiele.

Erstens. Eine umfassende Unterrichtungspflicht Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Herr Präsident! der Bundesregierung auch über alle „Vorgänge von Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Mit- besonderer Bedeutung" sah das Gesetz in genau die- glied der PKK begrüße ich den gemeinsamen Gesetz- ser Formulierung schon bisher vor. Wie die Bundesre- entwurf und insbesondere die angekündigte Erklä- gierung dies interpretiert hat und auch weiterhin in- rung der Bundesregierung nachdrücklich. Damit er- terpretieren wird, ist bekannt bzw. absehbar. hält die Kontrollkommission optimale Rechte und Zweitens. Soweit die PKK nun auch die Etats der Möglichkeiten. Das war auch dringend notwendig. Dienste mitberaten soll, wird sie problematische Aus- Bei den Diensten handelt es sich um große perso- gaben darin ebensowenig erkennen können und ver- nelle Apparate. Die Arbeitsfelder sind unter rechts- hindern wie das Haushaltsgremium. staatlichen Gesichtspunkten weitaus sensibler als bei Drittens. PKK-Mitglieder sollen nicht etwa die Öf- allen anderen Verwaltungsbeamten. Verwaltungsap fentlichkeit über erfahrene Machenschaften der Dien- parate dieser Größenordnung werden normalerweise ste informieren; nein, in ausnahmsweise öffentlicher durch vielköpfige Parlamentsausschüsse in einer Sitzung dürfen nur der Öffentlichkeit bereits durch Fülle von Sitzungen begleitet und durch die öffentli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5321

Dr. Rolf Olderog chen Medien kontrolliert. Der Kontrollbedarf bei den Was die in der Presse zunächst groß herausgestell- Diensten ist daher besonders groß. ten Skandale angeht, so habe ich persönlich wieder- Tatsächlich gibt es aber nur die vergleichsweise holt miterlebt, daß eine gründliche Untersuchung kleine PKK, die auch lediglich in größeren zeitlichen dann ergeben hat, daß von einem Skandal gar nicht Abständen zusammenkommt. Obendrein ist die Sit- die Rede sein konnte, manchmal nicht einmal von zungszeit in der Regel auf zwei Stunden be- Fehlern. Über eine befriedigende Aufklärung wurde schränkt. in der Presse dann aber kaum ein Wort verloren. Haf- ten blieb in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger: Wenn also schon von daher die PKK in ihren zeitli- Wieder einmal Skandale und finstere Machenschaf- chen Möglichkeiten eingeschränkt ist, dann ist es um ten bei den Nachrichtendiensten. Ich appelliere des- so dringlicher notwendig, daß sie optimale Rechte und halb an die deutsche Presse: Seien sie fairer gegen- Möglichkeiten erhält, vergleichbar denen eines Un- über den Diensten, die im Auftrag des Parlaments tersuchungsausschusses. wichtige und schwierige Aufgaben zu erfüllen haben! Meine Damen und Herren, rückblickend auf die Ich möchte die Gelegenheit ebenfalls benutzen, den bisherige Tätigkeit der PKK möchte ich feststellen: Ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Dienste auch habe mir manchmal gewünscht, daß die Bundesregie- einmal ausdrücklich unseren Dank für ihre Arbeit rung und die Chefs der Nachrichtendienste zu sensi- auszudrücken. blen Themen von sich aus mit Informationen stärker (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der auf uns zugekommen wären. Aber ich möchte auch FDP und der SPD) ganz deutlich klarstellen: Nach meiner Überzeugung sind unsere Fragen jeweils nach bestem Wissen und Meine Damen und Herren, wir sollten uns auch ein- Gewissen ehrlich beantwortet worden. Lediglich — mal fragen, wie diese Art des öffentlichen Umgangs ich nenne einen Punkt, an dem bei mir Zweifel, die ich mit den Diensten auf die Motivation ihrer Mitarbei- nicht habe klären können, geblieben sind — bei der terinnen und Mitarbeiter wirkt. Ein Dienst kann seine Informationspolitik zu Rabta gab es einige Fragen. Aufgabe nur dann wirklich überzeugend leisten, wenn er weiß, daß er auch ein gutes Stück Rückhalt Wird es jetzt mit den optimalen Rechten und Mög- und Vertrauen beim Parlament, bei der Regierung lichkeiten der PKK eine umfassende Kontrolle der und bei der breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Dienste geben? Mir erscheint das zweifelhaft. Es Bürger besitzt. Der israelische Mossad hat einen guten setzte voraus, daß die PKK von sich aus ihre Kontroll- Ruf; der BND einen weniger guten. Der Mossad wird tätigkeit nachdrücklich intensivierte. Wenn wir als vom Vertrauen seines Parlaments, seiner Regierung PKK-Mitglieder ehrlich sind, werden wir einräumen und der Bürgerinnen und Bürger seines Landes getra- müssen, daß die Kontrolle auch deshalb unbefriedi- gen. Seine Mitarbeiter sind voll motiviert. Am Bundes- gend ist, weil wir alle unter Termin- und Zeitdruck amt für Verfassungsschutz und am Bundesnachrich- stehen. Das hat dazu geführt, daß unsere Tätigkeit tendienst wird öffentlich in aller Regel nur herumge- meist durch Pressemitteilungen über angebliche oder nörgelt. Besonders populär — wir haben es vorhin vielleicht tatsächliche Skandale, weniger aber durch gehört — ist zur Zeit die Forderung nach ihrer Ab- ein systematisches Kontrollkonzept für die Dienste schaffung. ausgelöst wurde. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, Meine Damen und Herren, ich bin davon über- daß wir den langen Themenkatalog des Informations- zeugt: Auch in Zukunft brauchen wir die Dienste. angebotes von Regierung und Diensten meist nur zu Natürlich ist die die Aufgaben bisher bestimmende Bruchteilen genutzt haben und daß wir auch unsere Ost-West-Konfrontation entfallen. Aber es gibt eine eigenen Informationswünsche oftmals nicht konse- Fülle quent weiterverfolgt haben. neuer Gefahrenmomente, die uns herausfor- dern — ich nenne nur einige Stichwörter; auch Paul (Beifall des Abg. Dr. Laufs hat dies getan — : Rechtsextremismus, Terroris- [Bündnis 90/GRÜNE]) mus, Spionage, im äußeren Bereich die neuen Krisen- Wenn auch in Zukunft die Kontrolle der Dienste unzu- regionen in der Welt, Unsicherheiten über den Ver- reichend sein sollte, so werden sich kritische Fragen bleib atomarer sowjetischer Waffen, eine ungeheure auch an die PKK selbst zu richten haben. Aufrüstung vor allem in der Dritten Welt. Was des weiteren an organisierter Kriminalität auf uns zu- Meine Damen und Herren, meine Überzeugung ist: kommt, das sprengt alle bisher bekannten Dimensio- Die Dienste sind weit besser als ihr Ruf. Über sie wird nen: ein weltweiter Drogenhandel und ein internatio- in der Öffentlichkeit leider nur geredet, wenn es an- nal in erschreckender Weise perfekt und professionell geblich oder tatsächlich einmal zu Pannen gekommen organisiertes Bandenwesen. ist und in der Presse dann von Skandalen berichtet wird. Die Erfahrung zeigt, daß jeder Fehler mit Au- Ich bin ganz sicher: Nach einer ernsthaften Ausein- ßenwirkung, der von Geheimdiensten gemacht wird, andersetzung mit dieser Thematik mag man noch von von der Öffentlichkeit sofort als Skandal bewertet Umorganisation oder von neuen Schwerpunkten re- wird. den; aber von einer Abschaffung der Dienste kann keine Rede mehr sein. Natürlich gibt es Pannen. Wer wollte das bestreiten? Herzlichen Dank. Überall gibt es sie. Aber sie sind selbstverständlich auch bei den Diensten die Ausnahme. Die korrekt und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ordnungsgemäß ablaufende Arbeit der Geheimdien- ste findet verständlicherweise in der Presse keinen Niederschlag; das liegt leider in der Natur der Sa- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- che. ten Damen und Herren, vorläufig letzter Redner zu 5322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Vizepräsident Helmuth Becker diesem Tagesordnungspunkt ist unser Kollege Wir sind in der Tat über eine Reihe politisch wesent- Dr. Burkhard Hirsch. licher Vorgänge erst informiert worden, nachdem sie öffentlich bekannt waren. Wir haben das wiederholt beanstandet. Es hat auch andere ärgerliche Vorgänge gegeben, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen Dr. Burkhard Hirsch (FDP) : Herr Präsident! Meine möchte. Aber es kann und soll auch im Interesse der Damen und Herren! Wenn auch die Nachrichtendien- Dienste selber so nicht weitergehen. ste — wenn ich vom Waffenhandel absehe — mit der Wenn die PKK ihre Aufgabe erfüllen soll, muß die Kriminalitätsbekämpfung nichts zu tun haben, so Bundesregierung eine umfassende Berichtspflicht ha- möchte ich doch an die Schlußbemerkungen des Kol- ben. Die Kommission muß bessere Kontrollrechte be- legen Olderog anknüpfen. Die Dienste sind in der Tat kommen, auch den wichtigen Einblick in die Haus- besser, als sie in der Öffentlichkeit normalerweise dar- halte der Dienste. Frau Kollegin Köppe, Ihr Irrtum gestellt werden. Sie haben Erfolge — sie erleiden liegt darin, daß die Haushälter auf der einen Seite auch Niederlagen, sie machen auch Fehler; wo pas- zwar Einblicke haben, aber nicht den operativen Teil siert das nicht? —, über die sie aber weniger reden des Unternehmens sehen, während wir in der PKK können als andere. Das liegt in der Natur der Sa- den operativen Teil des Unternehmens, aber nicht die che. haushaltsmäßigen Zusammenhänge sehen. Beides Ich habe bei dem, was Frau Lederer und Frau Köppe muß zusammengeführt werden. vorgetragen haben, nicht verstanden, warum sie Mit- Man muß auch sagen, daß die Anhörung von Mit- glieder der Kontrollgremien werden wollen, wenn sie arbeitern und auch die Akteneinsicht, die in diesem dafür sind, die Dienste abzuschaffen, und sagen, eine Gesetzentwurf zwar nicht ausdrücklich geregelt wird, Kontrolle sei gar nicht möglich. Das paßt nicht zusam- die aber durch eine Erklärung der Bundesregierung men. Ich habe den Eindruck, daß Frau Köppe nicht zugesagt wird, bewährte parlamentarische Kontroll- verstanden hat, daß die Art der Kontrolle, auch die rechte sind, die wir vom Petitionsausschuß und vom Tatsache, daß die Mitglieder der Parlamentarischen Wehrbeauftragten her kennen. Kontrollkommission die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder hinter sich haben müssen und daß sie zur Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Verschwiegenheit verpflichtet sein müssen, natürlich Dr. Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau mit den besonderen Bedingungen zusammenhängt, Kollegin Köppe? unter denen ein Dienst im Ausland arbeitet. Man muß natürlich zwischen der Tätigkeit des Verfassungs- Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Was könnte ich ihr ab- schutzes und des MAD auf der einen Seite und des schlagen? — Natürlich. BND auf der anderen Seite, bei dem wir wirklich das Schicksal von Menschen aufs Spiel setzen, unter- Ingrid Köppe (Bündnis 90/GRÜNE): Warum wer- scheiden können. den denn dann die bewährten Kontrollrechte, die Sie Es ist sehr viel über die Parlamentarische Kontroll- eben nannten — Akteneinsicht und auch die Möglich- kommission gesprochen worden. Die einen haben kri- keit, daß sich Mitarbeiter der Dienste an die PKK wen- tisiert, daß sie zuwenig kontrolliert; die anderen ha- den können — , nicht im Gesetz festgeschrieben? ben kritisiert, daß sie die Dienste so kontrolliert, daß Warum ist das nicht in Ihrem Antrag enthalten? sie nicht mehr arbeitsfähig seien. Beide Auffassungen Warum wollen Sie sich auf eine Erklärung der Bun- beruhen auf einem Mißverständnis. Man muß sich im desregierung dazu verlassen? klaren darüber sein, was wir kontrollieren wollen und worauf sich die Kontrolle richtet. Wir wollen uns durch Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Zunächst einmal glau- die PKK davon überzeugen, daß sich die Dienste nicht ben wir mehr als Sie, daß wir uns auf eine Erklärung verselbständigen und etwa glauben, die Gesetze, die der Bundesregierung auch inhaltlich tatsächlich ver- das Parlament beschlossen hat, unterlaufen zu kön- lassen können. nen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU: Die- Wir wollen die Bundesregierung darin kontrollie- ter Wiefelspütz [SPD]: Herr Hirsch, das ist ren, daß sie die politische Verantwortung für die Tä- nicht ausreichend!) tigkeit der Dienste wahrnimmt. Wir wollen sicher sein, — Herr Kollege Wiefelspütz, vielleicht wird es nun daß die Dienste die Rechte der Bürger dieses Landes deutlicher: Das zweite ist, daß wir uns nicht auf eine nicht verletzen. Wir wollen durch unsere Pflicht zur verfassungsrechtliche Diskussion einlassen wollen, Verschwiegenheit der Bundesregierung die Gelegen- wenn es nicht wirklich nötig ist. Ich meine die Frage, heit geben, auch in heiklen Fragen im Parlament zu ob wir mit diesen Kontrollrechten, ohne daß die PKK sprechen. in der Verfassung ausdrücklich geregelt ist, in den Die Bundesregierung ihrerseits muß aber auch be- eigentlichen Bereich der Exekutive hineingehen. Dar- denken, daß die Mitglieder der PKK dem Parlament über kann man unterschiedlicher Meinung sein. und der Öffentlichkeit gegenüber ihren guten Namen Wir sind der Auffassung, daß es uns dann, wenn wir dafür hergeben, daß wir diese notwendigen Kontroll- es praktisch regeln und zu einer praktikablen Lösung aufgaben auch wirklich wahrnehmen können. Das ist kommen, lieber ist, daß wir das jetzt, und zwar sehr zur Zeit nicht so der Fall, wie wir uns das wünschen. schnell, parlamentarisch umsetzen können, als daß Das ist nicht etwa eine Folge der letzten Vorgänge, als wir uns auf eine längere Auseinandersetzung einlas- Waffen zu landwirtschaftlichen Maschinen gemacht sen. Das ist der eigentliche Grund. Lassen Sie uns worden sind, sondern das ist ein Prozeß, über den wir doch abwarten, welche Erfahrungen wir damit ma- uns interfraktionell lange unterhalten haben. chen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5323

Dr. Burkhard Hirsch Wir hoffen, daß der vorgelegte Gesetzentwurf zu- Mitteilung der Kommission der Europäischen- sammen mit den dazu abgegebenen Erklärungen die Gemeinschaften an den Rat über ein europäi- notwendigen Kontrollmöglichkeiten besser schafft als sches Hochgeschwindigkeitsbahnnetz. bisher. Wir begrüßen es, daß der Inhalt des Entwurfs Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur auch mit den Vertretern der SPD abgestimmt werden Entwicklung eines europäischen Hochge- konnte, weil das in der Tat zu der Hoffnung berech- schwindigkeitsnetzes tigt, daß wir zu einer schnellen parlamentarischen Behandlung kommen können. — Drucksachen 12/311 Nr. 2.18, 12/1173 — Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung zu Berichterstattung: einer Gesetzesänderung machen, die sich auf das Abgeordneter Rainer Haungs G-10-Gesetz bezieht und die ebenfalls in diesem Ge- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be- setzentwurf vorgesehen ist. Diese Bestimmung be- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu gründet kein neues Privileg der Mitglieder des Hau- der Unterrichtung durch die Bundesregierung ses, sondern zieht die Konsequenz aus dem verfas- Zweite Änderung zum Vorschlag für eine sungsmäßigen Zeugnisverweigerungsrecht der Ab- Fünfte Richtlinie des Rates nach Artikel 54 geordneten nach Art. 47 des Grundgesetzes. EWG-Vertrag über die Struktur der Aktienge- (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Eine Lex Hirsch sellschaft sowie die Befugnisse und Verpflich- ist das, Herr Hirsch!) tungen ihrer Organe — Vielen Dank, Herr Kollege. — Drucksachen 12/269 Nr. 2.4, 12/1464 — Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre tatkräftige Un- Berichterstattung: terstützung. Ich bedanke mich bei dem Innenminister, Abgeordnete Joachim Gres daß er im Vorgriff auf diese Regelung bereits jetzt danach verfährt. Ich bedanke mich ebenso bei den Mitgliedern Ihres Ausschusses und dem G-10-Gre- d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- mium. haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, mit dieser No- velle wieder Ruhe in die Arbeit der Dienste zu bekom- Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 men, deren Tätigkeit für die innere und äußere Si- Titel 681 02 — Sozialzuschlag zu Arbeitslo- cherheit der Bundesrepublik nach unserer Überzeu- sengeld bzw. Arbeitslosenhilfe — gung notwendig ist. — Drucksachen 12/1264, 12/1497 — (Beifall bei der FDP) Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Dieter Uelhoff Meine sehr verehr- Vizepräsident Helmuth Becker: Ina Albowitz ten Damen und Herren, ich schließe die Ausspra- che. e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag wurf auf Drucksache 12/1643 zur Federführung an des Bundesministers der Finanzen den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Aus- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- schuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- haushaltsordnung zur Veräußerung der bun- nung sowie an den Rechtsausschuß und den Haus- deseigenen Liegenschaft in Planegg, Flur haltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderwei- Nr. 411 tige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die — Drucksachen 12/1146, 12/1498 — Überweisung so beschlossen. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Nils Diederich (Berlin) Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Tages- Hans-Werner Müller (Wadern) ordnungspunkt IX auf: Werner Zywietz a) Zweite und Dritte Beratung des von den Frak- Es handelt sich um Beratungen von Vorlagen, zu tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten denen keine Aussprache vorgesehen ist. Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des D Markbilanzgesetzes Wir kommen zunächst zur zweiten und dritten Bera- tung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP — Drucksache 12/1467 — eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- des D-Markbilanzgesetzes in Tagesordnungspunkt ausschusses (6. Ausschuß) IX a. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache — Drucksache 12/1605 — 12/1605, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- Berichterstattung: men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Abgeordnete Herbert Helmrich Drucksache 12/1467 zustimmen wollen, um das Ludwig Stiegler Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimment- (Erste Beratung 54. Sitzung) haltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen. b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Be- Wir kommen damit zur richts des Ausschusses für Verkehr (16. Aus- dritten Beratung schuß) zu der Unterrichtung durch die Bundes- dieses Gesetzes und zur Schlußabstimmung. Ich bitte regierung diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. 5324 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Vizepräsident Helmuth Becker — Gegenprobe und Enthaltungen erübrigen sich. Der geld bzw. Arbeitslosenhilfe. Wer stimmt für diese Be- Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. schlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stim- menthaltungen? — Auch diese Beschlußempfehlung Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des ist einstimmig angenommen. Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 12/1173 zu einem Vorschlag der EG zur Entwicklung eines euro- Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des päischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes ab. Das Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/1498 zur ist Punkt IX b. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Veräußerung einer bundeseigenen Liegenschaft ab. lung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- Das ist Punkt IX e. Der Haushaltsausschuß empfiehlt, gen? — Dann ist die Beschlußempfehlung einstimmig der Veräußerung zuzustimmen. Wer stimmt für diese angenommen. Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- haltung? — Auch diese Beschlußempfehlung ist ein- Wir kommen jetzt zu Punkt IX c: Abstimmung über stimmig angenommen. die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 12/1464 zu einem Vorschlag der EG über Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befug- ordnung. Ich rufe die nächste Sitzung des Deutschen nisse und Verpflichtungen ihrer Organe. Wer stimmt Bundestages auf Mittwoch, den 4. Dezember 1991, für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegenprobe! 13 Uhr ein. — Stimmenhaltungen? — Auch diese Beschlußemp- fehlung ist einstimmig angenommen. Ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches Wochenende. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/1497 zu Die Sitzung ist geschlossen. überplanmäßigen Ausgaben ab. Das ist Punkt IX d. Es handelt sich um den Sozialzuschlag zu Arbeitslosen- (Schluß der Sitzung: 13.09 Uhr)

Berichtigung

60. Sitzung, Seite 5053 C, dritter Absatz, vierte Zeile muß es statt „Weltinnenpolitik" „Innenweltpolitik" heißen. Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991 5325*

Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Abgeordnete(r) entschuldigt bis Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Schuster, Hans Paul FDP 29. 11. 91 Hermann Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Seidenthal, Bodo SPD 29. 11. 91 Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 29. 11. 91 Dr. Solms, Hermann Otto FDP 29. 11. 91 Dr. von Bülow, Andreas SPD 29. 11. 91 Dr. von Teichman, FDP 29. 11. 91* Cronenberg (Arnsberg), FDP 29. 11. 91 Cornelie Dieter-Julius Voigt (Frankfurt), SPD 29. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 29. 11. 91 Karsten D. Herta Vosen, Josef SPD 29. 11. 91 Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 29. 11. 91 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 29. 11. 91 Deß, Albert CDU/CSU 29. 11. 91 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 29. 11. 91 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 29. 11. 91 Dr. Wieczorek CDU/CSU 29. 11. 91 Eymer, Anke CDU/CSU 29. 11. 91 (Auerbach), Bertram Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 29. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 29. 11. 91 Dr. Funke-Schmitt-Rink, FDP 29. 11. 91 90/GRÜNE Margret Yzer, Cornelia CDU/CSU 29. 11. 91 Genscher, Hans Dietrich FDP 29. 11. 91 Dr. Zöpel, Christoph SPD 29. 11. 91 Graf, Günter SPD 29. 11. 91 Grünbeck, Josef *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- FDP 29. 11. 91 lung des Europarates Hackel, Heinz-Dieter FDP 29. 11. 91 Haschke CDU/CSU 29. 11.91 (Großhennersdorf), Gottfried Anlage 2 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 29. 11. 91 Dr. Haussmann, Helmut FDP 29. 11. 91 Zu Protokoll gegebene Rede Heyenn, Günther SPD 29. 11. 91 zur Beratung des Einzelplans 17 - Geschäftsbereich * Dr. Holtz, Uwe SPD 29. 11. 91* des Bundesministers für Frauen und Jugend - Huonker, Gunter SPD 29. 11. 91 Uta Würfel (FDP): Der diesjährige Einzelplan 17 des Jäger, Claus CDU/CSU 29. 11. 91 Haushaltsentwurfs gibt Anlaß zu der Frage: wie lieb Dr. Jobst, Dionys CDU/CSU 29. 11. 91 und teuer ist uns denn die Verwirklichung der Politik Kampeter, Steffen CDU/CSU 29. 11. 91 für Frauen? Gut die Hälfte der Ausgaben des Haus- Koschnick, Hans SPD 29. 11. 91 haltsplanes für Frauen und Jugend sind für den Zivil- Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 29. 11. 91 dienst veranschlagt und kommt damit also ausschließ- Günther lich einem bestimmten Teil der männlichen Bevölke- Krey, Franz Heinrich CDU/CSU 29. 11. 91 rung zugute. Mit gerade 20 Millionen von 2,56 Milli- Kubicki, Wolfgang FDP 29. 11. 91 arden Gesamtvolumen sind die Arbeiten und Maß- Kuhlwein, Eckart SPD 29. 11. 91 nahmen zur Verbesserung der rechtlichen und sozia- Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 29. 11. 91 len Stellung der Frau bedacht. Lamers, Karl CDU/CSU 29. 11. 91 Zähneknirschend haben wir Frauenpolitikerinnen Leidinger, Robert SPD 29. 11. 91 uns wegen der notwendigen Haushaltskonsolidie- Dr. Leonhard-Schmid, SPD 29. 11. 91 rung bescheiden zurückgehalten und sogar einen im Elke Vergleich zum letzten Haushalt geringeren Etat in Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 29. 11. 91 Kauf nehmen müssen. Politik für Frauen ist eine Quer- Klaus W. schnittsaufgabe und bestimmt durch das gesellschaft- Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 29. 11. 91 liche Umfeld, in dem die Frau lebt. Politik für Frauen Dorothea muß zum Ziel haben, für mehr Gerechtigkeit zu sor- Dr. Meseke, Hedda CDU/CSU 29. 11. 91 gen und Chancengleichheit herzustellen. Individuelle Molnar, Thomas CDU/CSU 29. 11. 91 Lebensentwürfe - meist für Männer etwas Selbstver- Nolte, Claudia CDU/CSU 29. 11. 91 ständliches - müssen auch Frauen offenstehen. Nicht Dr. Ortleb, Rainer FDP 29. 11. 91 die Wahl: entweder Beruf oder Familie, sondern „so- Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 29. 11. 91 wohl ... als auch" heißt die Forderung. Und leider Dr. Pick, Eckhart SPD 29. 11. 91 müssen wir es uns immer noch eingestehen: berufstä- Dr. Pohler, Hermann CDU/CSU 29. 11. 91 tige Mütter finden nicht die Rahmenbedingungen vor, Rempe, Walter SPD 29. 11. 91 die sie für einen eigenen Lebensentwurf brauchen. Roth, Wolfgang SPD 29. 11. 91 Alleinerziehende Frauen haben es besonders Schaich-Walch, Gudrun SPD 29. 11. 91 schwer. Deren Bemühungen, ihren Aufgaben gerecht Dr. Scheer, Hermann SPD 29. 11. 91 zu werden, gleicht auch heute noch einer Quadratur Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 29. 11. 91 des Kreises. Andreas Schröter, Gisela SPD 29. 11. 91 *) siehe 61. Sitzung Seite 5263 D 5326* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. November 1991

Es ist gesellschaftliche Realität: noch nie waren so der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, die viele Frauen berufstätig und noch nie hatten so viele Frauen mit Kindern eine überbetriebliche Weiterbil- gleichzeitig den Wunsch, auch Kinder in ihre Lebens- dung sicherstellen. planung einzubeziehen. Noch immer scheitert ihre Die Situation von Frauen zu verbessern, heißt auch, Wahl allzu häufig daran, daß die Abstimmung der Freiräume für sie zu schaffen. Dies geht nur, wenn Bedürfnisse von Familie und Beruf sich in erster Linie auch Männer — Ehemänner, Kollegen, Arbeitgeber an den Erfordernissen der Arbeitswelt orientiert. und Gewerkschaftler — zu einem Umdenken bereit Frauen integrieren heute zu Recht in ihre Lebens- sind. Partnerschaftliches Denken ist notwendig, damit gestaltung eine berufliche Perspektive: Karriere und den Frauen ein Teil ihrer Doppel- und Dreifachbela- Einflußnahme im Beruf sind nicht länger alleine die stung abgenommen wird. Freuden des männlichen Geschlechts. Frauen lassen Die Verantwortung für die Kindererziehung muß sich nicht länger aussperren. Deshalb ist es unum- mehr aufgeteilt werden; innerhalb der Familie zwi- gänglich, für flexiblere Arbeitsorganisation und -zei- schen den Ehepartnern ebenso wie auch zwischen ten zu sorgen. Erfreulicherweise haben inzwischen Familien und Gesamtgesellschaft. Kinder sind das Be- auch die Gewerkschaften erkannt, daß Teilzeitarbeit ste, was wir haben, sie gehören zum Leben und zu und job sharing Formen einer frauenfreundlicheren einer Gesellschaft. Ausgestaltung des Arbeitsplatzes sind. Eine Anmerkung zu dem sozialen Maßnahmenka- Natürlich ist damit nicht allen Frauen geholfen. Die- talog, mit dem endlich eine kinder- und frauenfreund- jenigen, die alleine ihre Kinder ernähren, kleiden und lichere Gesellschaft geschaffen werden soll. Die sozial erziehen müssen, brauchen dringend mehr Betreu- flankierenden Maßnahmen zum § 218 werden erst im ungseinrichtungen für ihre Kinder. Es ist unvorstell- nächsten Haushalt enthalten sein. Sie sind die erste bar: fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen sind große Gesamtmaßnahme für eine kinderfreundlichere der Grund, daß Frauen, auch wenn sie es dringend Gesellschaft. Es handelt sich um ein ganzes Bündel wünschten, für ihren Lebensunterhalt nicht selbst sor- von Maßnahmen, das dem Lebensschutz gerecht wer- gen können. Es fehlen in den alten Bundesländern den soll. über 500 000 Kindergartenplätze so wie auch Krippen für Kinder unter 3 Jahren. Diese Tatsache wirft ein Schlaglicht auf den Um- gang mit Frauen in unserer Gesellschaft und ihren Anlage 3 Bedürfnissen. Im Vergleich mit dem europäischen Amtliche Mitteilungen Ausland schneiden wir hier sehr schlecht ab. Leider haben wir bisher eine entsprechende steuerliche An- Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der erkennung für individuelle Betreuung durch eine Ta- Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer gesmutter nicht umsetzen können. Neben den bereits Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: im Gesetz zur Regelung des Schwangerschaftsab- Haushaltsausschuß bruchs vorgesehenen Maßnahmen werden wir uns Drucksache 12/894 auch diesem Erfordernis anzunehmen haben. Ausschuß für Wirtschaft In den neuen Bundesländern werden sogar Krippen Drucksache 12/217 und Kindergärten geschlossen. Gerade alleinerzie- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hende Mütter sind deshalb gezwungen, ihren Beruf Drucksache 11/8165 aufzugeben, müssen mit der Sozialhilfe das Existenz- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit minimum bestreiten. Drucksache 11/2134 Auf der anderen Seite waren noch nie so viele Frauen Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- so gut ausgebildet wie heute, weisen doch so viele qua- schätzung lifizierte Schul- und Berufsabschlüsse auf. Die heutigen Drucksache 11/8115 Frauen haben ein Recht darauf, die Rahmenbedingun- Drucksache 12/1019 gen vorzufinden, die ihnen erlauben, ihre Fähigkeiten zu beweisen und Leistung zu erbringen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen, Wenn auch in der Vergangenheit der Schwerpunkt bzw. von einer Beratung abgesehen hat: der politischen Bemühungen auf der Wiedereinglie- Haushaltsausschuß derung von Frauen nach der Erziehungsphase lag, so Drucksache 12/1174 Nr. 2.2 wird sich in Zukunft wegen der Forderungen der jun- gen Frauen eine andere Situation ergeben, aber auch Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wegen der Anforderungen der Wirtschaft. Bereits jetzt Drucksache 12/187 Nr. 2.15 nimmt die Wirtschaft zur Kenntnis, daß qualifizierte Drucksache 12/269 Nr. 2.32 Frauen fehlen. Nicht von ungefähr fördern nun die Drucksache 12/1174 Nr. 2.22 Betriebe bereits ihre Mitarbeiterinnen, um sie dann Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- für das Topmanagement zur Verfügung zu haben. schätzung Darüber hinaus bieten manche Bet riebe eine berufs- Drucksache 12/187 Nr. 2.21 begleitende und berufsspezifische Weiterbildung an. Drucksache 12/1339 Nr. 2.20 Neben der betrieblichen Weiterbildung ist es Aufgabe Drucksache 12/1339 Nr. 2.21