Kultur

Auf seinem neuen Album „World Peace Is None of Your Business“ lässt sich nun diese Seele erkunden. Sein Hass hat keine historischen Gründe; nicht die verdrängte Erinnerung an niedergeschlagene Streiks und verarmte Industriearbeiter, die Trauer über den Untergang der Working Class, den Maggie Thatcher betrieben hat. Stattdessen findet sich überraschen - derweise eine ungeahnte Nähe zur Eisernen Lady. „There is Englands böser Onkel no such thing as society“, so etwas wie Gesellschaft gibt es nicht, hätte auch eine -Zeile im Titelsong des Albums Popkritik „World Peace Is None of sein können. Your Business“, das neue Album des britischen Was ist los mit Morrissey? 55 Jahre alt ist Englands größter Popexzentriker mittlerweile, Sängers Morrissey und er ist wahrscheinlich der einzige wirkliche Wiedergänger von Oscar Wilde. Ein alternder Dandy, der sich seine Meinun - gen hält wie exotische Hunde, keinem Streit aus dem Weg geht und unfähig ist, einen Irrtum einzugestehen. Und obwohl er England längst verlassen hat und zwischen Kalifornien und Europa pendelt, wird er auch heute noch zu Hause geliebt wie kein anderer Star seiner Generation. Thatchers Nachfolger David Cameron ist ebenfalls ein Fan, und selbstverständlich hasst ihn Morrissey gerade deswegen. Vor einigen Jahren ver - hinderten Demonstranten sogar, dass Cameron sich in Morris - sey-Pose vor einem Gebäude in Manchester fotografieren ließ, vor dem einst selbst für ein ikonisches Foto gestan - den hatten. Sein letztes Album heißt „“, 2009 kam es heraus, das Cover zeigt ihn mit einem Baby auf dem Arm. „World Peace Is None of Your Business“ zeigt ihn vor einer Mauer, wie er einem Hund seinen Füllfederhalter vor die Schnauze hält. Morrisseys Bariton, leicht vibrierend, klingt immer noch bezaubernd, eingespielt hat er die Songs mit seiner Tourband, in kleiner Besetzung also, das streichersatte Pathos und der rockige Grundton früherer Werke sind in den Hinter - grund getreten. Die Songs handeln von Männern, die keine sein wollen, wenn Mannsein heißt, ein echter Kerl sein zu müssen („I’m Not a Man“). Von einem Stierkämpfer, der hoffentlich seinen Kampf nicht überlebt („The Bullfighter Dies“). Vom Blödsinn des Heiratens, weil Ehe lebenslange Sklaverei ist („Kick the Bride Down the Aisle“). Von dem fast erotischen Gemein - schaftsgefühl in irischen Gefängnissen („Mountjoy“). Und vom Schicksal der kleinen Leute, die in der großen Politik nichts zu sagen haben („World Peace Is None of Your Business“). Ob er das bedauert oder vielleicht sogar richtig findet, wird aus den Zeilen des Textes nicht so ganz klar. Musiker Morrissey Das klassische Morrissey-Programm also: Menschenhass, Menschenhass und Tierliebe Tierliebe, Selbstmitleid und die Stilisierung des allseits geliebten Stars zum verhassten Außenseiter. Der Panzer, mit dem der s war ein eigenartiger Moment, als der britische Sänger Sänger sich gegen die Zumutungen der Welt schützt, scheint Morrissey im vergangenen Jahr, nach dem Tod der ehe - mittlerweile ziemlich dick zu sein. Emaligen Premierministerin Margaret Thatcher, sein über Englands böser Onkel ist ein Mann, der als Jugendlicher 25 Jahre altes Lied „Margaret on the Guillotine“ verteidigte. dem Elend der nordenglischen Arbeiterviertelherkunft ent - Das Stück ist einer der großen Hass-Songs der Popgeschichte, kommen wollte; der den Zumutungen der Erwachsenenwelt eine freudige Fantasie über jenen Tag, an dem Thatcher hin - immer einigermaßen ausweichen konnte; ein Dandy, der die gerichtet werden wird. englische Klassengesellschaft hinter sich gelassen hat und seinen Als Kopf der Band The Smiths führte er in den Achtziger - Lebensunterhalt verdient, indem er das macht, was dieses Land, jahren eine neue, männliche Empfindsamkeit in die Popmusik neben Fußball und Königtum, als Einziges zusammenhält: ein, und er wurde so zum britischen Nationalheiligtum. Na - Popsongs. türlich war nicht zu erwarten gewesen, dass Steven Patrick Im Song „Neal Cassady Drops Dead“ gibt es die Zeile: C I

Morrissey sich für den Song entschuldigen würde. Aber die „Victim? Or life’s adventurer? Which of the two are you?“ S U M

Vehemenz, mit der er die tote Thatcher angriff, die Londoner Opfer oder Abenteurer, was bist du? L A S R

Trauerfeierlichkeiten kritisierte und behauptete, um die Mei - Morrissey hat sich entschieden, ein Abenteurer zu sein. E V I N

nungsfreiheit in Großbritannien sei es mittlerweile ähnlich Ein Abenteurer, der in allergrößter Rücksichtslosigkeit den U

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traurig bestellt wie in Syrien oder China, überraschte dennoch. Dissens sucht. Ein Abenteurer, der vor dem Leben in die N I H S Irgendetwas grummelt da offensichtlich in den Tiefen seiner Kunst und in die Freiheit flüchtete. Ein Opfer? Niemals. S I V

Tobias Rapp A Seele. R T

: O T O F 132 DER SPIEGEL%' / %#$&