MINISTERIUM FÜR WISSENSCHAFT, FORSCHUNG UND KUNST

Laudatio von Staatssekretär Jürgen Walter anlässlich der Verleihung der German Trophy an Ralph Towner am 03.07.2015 in Stuttgart

Es gilt das gesprochene Wort!

Dear Ralph, cara Mariella, sehr geehrter Herr Hettich, sehr geehrter Herr Küchle, lieber Jürgen Schlensog, liebe Jurymitglieder,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass ich die Jazz Open 2015 mit einer wunderbaren Eh- rung einleiten darf. Ralph Towner bekommt heute die German-Jazz-Trophy verliehen - den seit 2001, unter dem Motto „A life for Jazz“ existierenden Preis für das Lebenswerk eines Ausnahmemusikers.

Zu Ralph Towner und seiner Musik habe ich eine ganz besondere Bezie- hung. Seit ich ihn und seine Gruppe Oregon 1974 in Stuttgart hörte, beglei-

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tet der Sound dieser außergewöhnlichen Band mein Leben. Ja, es wurde so- gar maßgeblich durch die Begeisterung für Ralph Towners Musik beein- flusst. Vielleicht ist es nicht für jeden nachvollziehbar, aber auch die Aus- wahl meines Auslandsstudienortes war von der Liebe zu dieser Musik ge- prägt. Um es kurz zu machen: Ich verbrachte ein großartiges Jahr an der University of Oregon, der Universität, an der Ralph Towner und der ehema- lige Oregon-Bassist studiert hatten. Dann holte ich Oregon zu diversen Konzerten nach Stuttgart und Ludwigsburg. Darunter auch das letzte Konzert in der Urbesetzung von Oregon, das am 4. November 1984 an der Uni Stuttgart stattfand. Wenige Tage danach verunglückten und der Fahrer Jo Härt- ing tödlich.

Später habe ich während der Tätigkeit für meine Musikagentur das Ma- nagement von Oregon und Ralph übernommen. Eine Zeit, in der wir uns viel gesehen und gesprochen haben. All dies nur zu Erklärung, warum ich gefragt wurde, diese Laudatio zu übernehmen.

Mit der Verleihung der German Jazz Trophy bekommt Stuttgart für Ralph Towner wieder einen schönen Klang, denn sein letzter Besuch war leider von gesundheitlichen Problemen überschattet, weshalb er am Galakonzert für nicht teilnehmen konnte. Ich freue mich umso mehr, dass er nach eigener Aussage wieder ganz genesen ist.

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Ralph Towner war die Musik mindestens in die Wiege gelegt, wenn seine musikalische Früherziehung nicht schon im Mutterleib begonnen hatte. Was bei zwei leidenschaftlichen Musikern als Eltern nicht verwunderlich wäre. Verwunderlicher ist eher, dass er erst viele Jahre später, dann aber wie ein Komet, auf der Bühne der Jazzgitarristen erschien. Doch der Reihe nach: Schon sehr früh lernte Ralph Klavier spielen (wie die Mutter), bald kam auch noch die Trompete (wie der Vater) dazu.

Ralph war aber bereits im vierten Jahr seines Studiums als er seine erste Gi- tarre kaufte. Dieser Kauf war keinesfalls die Erfüllung eines lang gehegten Traums, sondern eher das Ergebnis eines gewieften Verkaufsgesprächs. Ralph wollte eigentlich nur schnell etwas Öl für die Ventile seiner Trompe- te kaufen, aber als er die Musikalienhandlung verließ, hatte er neben dem Öl auch seine erste Gitarre im Gepäck. Zu Hause fing er an zu üben, das Instrument faszinierte ihn, eine Lehrerin oder einen Lehrer hatte er zunächst nicht.

Aber bereits nach kurzer Zeit kaufte er eine zweite Gitarre; denn schon zu diesem Zeitpunkt genügte die erste Gitarre seinen Ansprüchen nicht mehr. Auch wenn der Verkäufer Ralph offensichtlich nur eine minderwertige Gi- tarre verkauft hatte, so sind wir ihm trotzdem dankbar, denn ohne ihn würde

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es wahrscheinlich diesen großartigen Gitarristen gar nicht geben. Und wir alle wissen: Umwege gehören nun mal zum Leben.

Wie schnell Ralph lernte, belegt die Tatsache, dass er schon wenige Jahre später von Österreichs Gitarrenlegende Karl Scheit als Schüler akzeptiert wurde. Seine Wiener Jahre bei dieser Koryphäe waren eine großartige Er- fahrung. Wie ein Schwamm sog er das Wissen auf, das ihm Scheit vermit- telte.

Zurück in den USA schloss er sich dem Consort an. Paul Win- ter war es, der ihn geradezu zwang, die zwölfsaitige Gitarre zu spielen. Ein Instrument, das Ralph der Folkmusik zurechnete und als Bedrohung seiner wie bei allen klassischen Gitarristen mit großer Sorgfalt gepflegten Finger- nägel betrachtete. Denn eine Gitarre mit einem Plektrum zu spielen, kam für ihn nicht in Frage. Und bis zum heutigen Tag spielt Ralph in der so genann- ten „klassischen Haltung“.

Noch bevor er einem größeren Publikum bekannt wurde, machte seine Mu- sik eine lange Reise. Unter den Apollo-Astronauten waren große Fans von Ralph Towners Musik. Daher nahmen sie auf einen Flug zum Mond eine Kassette mit, die Ralph zusammen mit dem eingespielt hatte, und weil sie diese Musik so begeisterte, benannten sie sogar zwei

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Mondkrater nach Towners Kompositionen. Einer dieser Krater heißt seit- dem Icarus.

Wenige Wochen später musste er selbst fliegen, um auf die Bühne zu ge- langen. Ralph dachte, der aus Oregon stammende Folksänger Tim Hardin hätte ihn und den späteren Oregon-Bassisten Glen Moore als Begleiter zu einem kleinen Folkfestival eingeladen. Das kleine Festival war aber das le- gendäre Woodstock Festival. Und wer auf die Bühne musste, brauchte dazu einen Hubschrauber.

Als er dann Anfang der siebziger Jahre auf der Jazzszene erschien, war er eine Art Gegenpol zu übertriebener Lautstärke und den Versuch immer neue Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen. Das „Ich-kann-es-noch- schneller-als-der-Mahavishnu“ war nicht seine musikalische Leitidee. Er übte sich lieber in subtilen, lyrischen, harmonisch einfühlsamen und kam- mermusikalischen Klängen. Und so war es völlig logisch, dass sich bald die Wege von , dem innovativen Chef des Labels ECM und Ralph Towner kreuzten. Beide hatten die selbe Vorstellung von tonaler Äs- thetik und von der Art wie zeitgenössische Musik klingen sollte. Seit über vierzig Jahren hat er auf zahlreichen ECM-Produktionen gespielt. Darunter einige Meilensteine, wie sein Solo-Album „In Concert“ – Ralph Towner gehört zu den wenigen Jazzgitarristen, die regelmäßig Solokonzerte geben – sowie „Solstice“ mit Eberhard Weber, und .

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Für „Solstice“ und für die Oregon-CD „Ecotopia“ bekam er den Deutschen Schallplattenpreis.

Zuvor hörte man ihn aber in einem Kontext, in dem man ihn nicht unbe- dingt erwartete, nämlich bei . Auf dem Album „I sing the body electric“ spielte er auf der Wayne Shorter-Komposition „The Moors“ ein wunderbares Intro, das ihn bei einem breiteren Jazzpublikum bekannt machte. Vielleicht ist es heute nicht mehr vorstellbar, aber in diesen Jahren, in denen man nach neuen Sounds geradezu lechzte, wurde man immer wie- der angesprochen: „Hast du diesen Gitarristen auf der neuen Weather Re- port gehört?“

Dann ging es Schlag auf Schlag: Die erste Einspielung für ECM –Solos- Duos-Trios - ein umjubelter Soloauftritt auf den Berliner Jazztagen 1973 - und dann eine erste Europatournee mit seiner Band „Oregon“ im März 1974. Man muss sich mal vorstellen: Da kommt eine Band nach Europa, die außerhalb der USA noch keine einzige LP veröffentlicht, von der man noch keinen Ton gehört hatte und die Rundfunkanstalten stehen Schlange, um die Konzerte aufzunehmen und die Menschen sind so neugierig, dass sie den Veranstaltern ausverkaufte Säle bringen. In Stuttgart war der Mozartsaal der Liederhalle brechend voll!

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Bis zum heutigen Tag – und die Band besteht nun fast 45 Jahre – prägen Ralph Towners Kompositionen die Musik von Oregon. Aber nicht nur Ralph Towners Gitarrenspiel klang neu und ungehört – er hat natürlich das Flageolett nicht erfunden, aber bei ihm habe ich es zum ersten Mal im Jazz gehört - , sondern die ganze Gruppe war eine völlig neue Klangwelt. Schon die Instrumentation war außergewöhnlich: Gitarre bzw. und Wald- horn, Bass, Sitar bzw. Tablas, dazu Oboe, Englisch Horn und Bassklarinet- te. So reichhaltig wie die Instrumentenpalette waren die Einflüsse: Jazz, Klassik, Bartok, indische Ragas, lateinamerikanische Rhythmen - hier fand sich vieles wieder. Weltmusik im besten Sinne, lange bevor es den Namen gab, aber alles andere als Ethnokitsch. Und: die Einzelteile standen nicht nebeneinander, sondern ergaben ein gemeinsames Neues: Oregon, mit Ralph Towner als Primus inter pares.

Sein großes Vorbild war kein Gitarrist, sondern der Pianist . So verwundert es auch nicht, dass er einmal betonte, dass er sich von anderen Gitarristen auch dadurch unterscheidet, dass er die Gitarre immer vom Kla- vier her gedacht hat. Trotz allem, oder vielleicht gerade deswegen, hat Ralph Towner einen unverwechselbaren Sound als Gitarrenspieler entwi- ckelt. Ein Ton, ein Akkord genügt, um zu hören, dass Ralph Towner spielt. Und er produziert faszinierende Variationen - nur wenige beherrschen das mehrstimmige Spiel wie er. Kein Zweifel, Ralph Towner ist in der Ge- schichte der Jazz Gitarre eine völlig außergewöhnliche, eigenständige und

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einmalige Stimme. Ein Amerikaner, der mehr nach dem „Great European Songbook“ von Bach bis Bartok klingt als nach dem „Great American Songbook“. Aber halt und nicht vergessen: Bill Evans war sein großes Vor- bild. Er hat eben beide Welten in sich aufgesogen und daraus seine grandio- se Musik gemacht.

Ein Grenzgänger, einer der das klassische Musizieren ebenso beherrscht wie den Jazz, der arbeitet logischerweise irgendwann mit Orchestern zu- sammen. Unter der Leitung von Dennis Russell Davies trat Oregon in Stutt- gart mit dem Orchester der Staatsoper auf, mit dem Tschaikowsky Orches- ter Moskau entstand das Oregon-Album „In Moscow“. Ralph Towner ar- rangierte dafür einen Teil seiner Kompositionen für das große Orchester.

Und noch eines kann Ralph für sich in Anspruch nehmen: Wie bei keinem anderen Jazz-Gitarristen werden seine Stücke von Interpreten der klassische Gitarre gespielt und für eigene Interpretationen benutzt. Erst im letzten Jahr veröffentlichte der italienische Gitarrist Claudio Farinone eine CD mit dem Titel „ Claudio Farinone plays Ralph Towner“. Aber auch die Liste der Jazzmusiker, die mit ihm gespielt haben, liest sich wie ein „Who is Who“ des Jazz: Jan Garbarek, , Eddie Gomez, Eberhard Weber, Jack de Johnette, , , Wayne Shorter und Joe Za- winul lauten diese, um nur wenige zu nennen. Alle schätzten und schätzen

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seine Kreativität, sein individuelles Spiel und sein großes handwerkliches Können.

Wer über 40 Jahre bei einer Plattenfirma bleibt, wer über 40 Jahre dieselbe Band mit immer neuen Kompositionen versorgt, der ist sich und seinen mu- sikalischen Ideen treu, aber im Falle Ralph Towners, nie stehengeblieben. Für viele überraschend integrierte er schon Anfang der achtziger Jahre in sein einst akustisches Instrumentarium einen Synthesizer und später noch eine Synthesizer-Gitarre. Doch irgendwelchen Moden, oder sagen wir dem jeweiligen Zeitgeist, hat er sich nie untergeordnet. Ihm geht es um die Äs- thetik in der Musik.

Nichtsdestotrotz gehört ein so genanntes „Free Piece“ seit Anfang an zum Repertoire eines jeden Oregon-Konzerts, in dem es wild und atonal werden darf, schließlich ist auch das Leben voller Dissonanzen. Doch dies ist die Ausnahme und selbst wenn es durchaus passieren kann, dass er im persönli- chen Gespräch eine seiner Veröffentlichungen mit den Worten „Maybe it is a little bit too romantic“ kommentiert, so ist es doch immer genau die Mu- sik, die er kreieren wollte. Seine Musik weckt Gefühle und Sehnsüchte, schafft Assoziationen und wunderschöne Bilder. Manche seiner Kompositi- onen – beispielhaft seien „Beneath an Evening Sky“ oder „Claridade“ ge- nannt - gehören nach meinem Empfinden zum Schönsten, was in den letz- ten 50 Jahren komponiert und aufgenommen wurde.

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Ralph Towner, der Mensch und Musiker, ist nicht ohne seine positive Ein- stellung zum Leben, nicht ohne seinen Humor zu denken und zu verstehen. Unschöne Situationen, die bei anderen eher Verärgerung hervorrufen wür- den, begegnet Ralph mit Humor und Ironie. Und Ralph will auch auf der Bühne Spaß haben, aber er weiß, dies gelingt nur, wenn musikalisch alles stimmt. Und dies erreicht man bekanntlich nur mit harter Arbeit! Sie wer- den sicherlich auch heute Gelegenheit bekommen, seine Freude über be- sonders gelungene Stücke zu erleben. In einem Interview sagte er einmal, er wolle sich immer die Begeisterung für seine Musik bewahren, mit der er sich einst als kleiner Junge ans Klavier setzte. Ich finde, auch dies ist ihm gelungen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen Ralph Towner in der gebotenen Kürze etwas näher bringen. Freuen wir uns auf ein schönes Konzert, zunächst Ralph So- lo und im zweiten Teil zusammen mit seinen Mitstreitern Wolfgang Muth- spiel und Slava Grigoryan. „From A Dream“ hieß ihr erstes gemeinsames Album. Und alle Towner-Fans wissen: Musik, so schön wie im Traum, ist für ihn Programm.

Ich möchte mich bei Ralph Towner bedanken: für die großartige Musik, mit der er unser Leben verschönert hat und die für viele Menschen eine ständige Quelle der Inspiration war und ist. Und ganz persönlich für die vielen Ge-

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spräche, für die großartigen Konzerte und den gemeinsamen Weg, der uns so oft zusammengeführt hat.

Barack Obama hat an seinem 50. Geburtstag den Tisch der Jazzmusiker vorgestellt, u.a. mit Herbie Hancock und Wayne Shorter. Er sagte, diese Herren hätten den Soundtrack seines Lebens gespielt. Nun sind wir weit da- von entfernt, den Einfluss eines amerikanischen Präsidenten zu haben, aber ich bin mir sicher, dass wenn Sie und ich die Chance bekämen, einen sol- chen Tisch zusammenzustellen, würden wir zwar sicher auch Herbie Han- cock und Wayne Shorter einladen, aber Ralph Towner wäre sicher auch da- bei. Denn für viele von uns, hat er zusammen mit anderen den Soundtrack unseres Lebens gespielt.