Das Schweizer Jazz & Blues Magazin Nov./Dez. Nr. 6 /2019 ts Schweiz CHF 11.00 / Deutschland / Österreich € 6,90 ' roo n s' ue Bl

JAZZ‘N 'MORE

Stefan Aeby Michael Formanek Stanley Nelson 50 Jahre ECM Gabriel Prokofiev Leyla Mccalla Hubby Jenkins Dieter Ulrich Copland/Schläppi Benny Turner Paul McCandless Wege Wüthrich Veit Stauffer Newvelle Muri Röllin/Morgenthaler/Ruben Konservi Seon Lukas Mantel Ethan Iverson Devi's World of Sound Geniales Unikum Christof Mahnig Sarah Chaksad

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JNM_06_19_01_Cover_Iverson.indd 1 28.10.19 09:13 Coverstrory Ethan Iverson .ch f -gra oto f Foto: © Geniales Unikum Nach 17 Jahren und 14 Alben verliess Ethan Iverson Ende 2017 gibt. Dort ist 2018 auch die höchst berühren- das Kulttrio The Bad Plus. Der kreative Pianist – und blitzgescheite de Duo-CD "Temporary Kings" mit Mark Tur- Autor – verbindet wie kaum einer Jazztradition und Avantgarde. ner erschienen – und jetzt "Common Practi- JNM traf ihn an den Langnau Jazz Nights. Von Steff Rohrbach ce", sein Quartett mit Tom Harrell. Ethan Iverson liebt Krimis, kennt sich in Film- Der Mann hat Humor: "Dewey über Musik Ich wusste nicht viel über seine Musik, und (-musik), Klassik, Zeitgenössischer Musik, Pop sprechen zu hören, war aufschlussreich, weil ich musste 'klettern', um mit ihm spielen zu und allem dazwischen aus und ist 1973 in ich eine Reihe von Meinungen über Jazz hat- können. Er war einer der Grössten, und wie Menomonie, Wisconsin, geboren. "An Tradi­ te, die sich, konfrontiert mit einem echten bei all diesen Jazzmeistern floss die Informa­ tion gab's nicht viel – ich war frei, Musik zu Jazz-Meister, als völlig ungültig herausstell- tion ganz im und aus dem Moment heraus." entdecken! Jazz war meine erste Liebe, noch ten", erinnert sich Ethan Iverson im US-Ma­ Dutzende Interviews von Keith Jarrett und vor klassischer Musik. Ich komme aus keiner gazin JazzTime an den Impuls zu seinem Joanne Brackeen bis Wayne Shorter, Essays musikalischen Familie, hörte die Musik in Fil- ­eigenen, inzwischen berühmten Blog "Do the für Studierende oder, kürzlich, seine Anleitung men wie James Bond (John Barry) oder Pink Math", der seit 2004 weit über eine Million zur Einverleibung von Standards, auch Texte Panther (Henry Mancini). Später habe ich an Wörter umfasse, wie Iverson auf seiner für "The New Yorker" hat Ethan veröffentlicht. der New York University bei Jim McNeely Homepage schreibt. "Es war alles näher am Als Autor erweist er sich intellektuell so hoch- studiert. Er war sehr hilfreich, denn er spielte Knochen und unkonventioneller, als ich es mir stehend und originell wie als Musiker, von richtigen Jazz und erzählte viele Stories, etwa vorgestellt hatte." dem nebst den Bad-Plus-Aufnahmen Alben über Sonny Stitt oder Stan Getz. Ich realisier- mit Musikern wie Albert "Tootie" Heath, Lee te, dass ein grosser Teil dieser Musik aus Ge- Der Autor Konitz, Chris Cheek, Bill McHenry oder Larry schichten besteht und weniger aus Theorie- Grenadier erschienen sind. Häufig dabei: Jor- büchern. Anschliessend studierte ich bei Fred Dewey Redman ist auf einigen Tracks des ge Rossy und Ben Street. Der Bassist gehört Hersch. Doch als ich Billy Hart live hörte, ersten Iverson-Albums-"School Works" von wie Ethan und Mark Turner zum Billy Hart wusste ich, 'that's my man', er wurde mein 1993 dabei. "Das war sehr wichtig für mich. Quartett, von dem es zwei Alben auf ECM Lehrer und Mentor." ­­18 JAZZ

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Wurzeln, Freunde, "The Bad Plus" mit Reid Anderson und Dave wohl auch seines eigenen Schaffens. Musik Klassik King entstand im Jahr 2000, teilweise spielte und auch Stories dieses genialen Unikums das Trio jährlich 150 Konzerte und mehr: Be- gehören zum Spannendsten im aktuellen Jazz Für jeden Pianisten und auch für Iverson zent- arbeitungen von Strawinskys "Sacre du Prin­ und werden, daran ist nicht zu zweifeln, Teil ral sind Ahmad Jamal und der Stride-Pianist temps" bis Nirvana-Songs, von Ornette Cole- seiner Geschichte. ■ James P. Johnson. "Es gab Zeiten bei The Bad man bis David Bowie und Indie-Rock. "Das Plus, da spürte ich, dass ich Jamal zu imitieren stilistische Spektrum hat sich ganz natürlich begann. Er spielte die Songs sehr klar, das ergeben durch unsere Interessen. Wir hatten mag ich auch. Auch an Johnson kommt keiner nicht genügend eigene Musik – und es gehört vorbei, der wirklich Jazz machen will, sein zur Jazztradition, aktuelle Popmusik zu spie- Spiel war so offensichtlich, und er gab dem len." Jazz so viel! Dass ich ihm manchmal ähnlich Daneben fallen Iversons bemerkenswerte Kon- klingen mag, liegt an Jaki Byard, der von ihm versationen mit "den grossen Alten" auf, auch beeinflusst war und etwas von 1928 spielen mit Ron Carter: "Ich glaube, ich hatte erst über Ethan Iverson Quartet konnte, das so frisch wie heutig klang – eine ihn geschrieben, und als ich ihn dann für ei- with Tom Harrell Inspiration!" Über eine Dekade enorm wichtig nen Duo-Gig anrief, sagte er gleich zu, ein Common Practice Ethan Iverson (p), Tom Harrell (tp), Ben Street (b), für Iverson war ebenfalls Sophia Rosoff, klas- Traum wurde Wirklichkeit – ein anderer mit Eric McPherson (dr) sische Pianistin und bedeutende Lehrerin – Charlie Haden. Wenn du mit ihnen oder einem (ECM/MV) auch von Jazzpianisten wie Fred Hersch, Bar- Al Foster spielen kannst, ist das einzigartig, ry Harris, Benoît Delbecq, Angelica Sanchez denn sie haben etwas, das es so bei nieman- oder Aaron Parks, sie starb 2017. dem sonst gibt." Nach dem berührenden Duo-Album "Tem- Die Klassik spielte für Ethan Iverson immer porary Kings" mit Mark Turner gelingt es eine grosse Rolle: "Sie ist die Quelle der Har- Zur stilistischen Breite, die Ethan Iverson aus- Ethan Iverson erneut, sich Standards so zu ei- monien, die mit afrikanischen Rhythmen der zeichnet, gehört seine fünfjährige Zusammen- gen zu machen, dass sie uns bewegen. Tom Sklaven im sozialen Pot der USA den Jazz arbeit als musikalischer Leiter mit dem gros­ Harrells Trompete mit ihrem geradezu ma­ hervorbrachten, der immer eine 'unreine' Mu- sen Tänzer und Choreografen Mark Morris krobiotisch genährten, unverfälschten Sound, sik war und bleiben wird. Ich denke, alle Pia- und seiner Dance Group. Nachdem er The ob er nun, wie in George und Ira Gershwins nisten spielten auch klassische Stücke – ob Bad Plus verlassen hatte, kam die Anfrage zu ewigem "The Man I Love" eine Ballade auf die Teddy Wilson, Herbie Hancock oder wer auch "Pepperland", einem Grosserfolg der Compa- Gefühlsspitze treibt oder im mittleren Tem- immer. Und wenn Ron Carter Bass solo spielt, ny im Auftrag der City of Liverpool, 50 Jahre po des Iverson-Stücks "Philadelphia Creamer" gibt's auch da einiges an klassischen Elemen- Stg. Pepper. "Ein Glücksfall, ein schönes Pro- sein Instrument mirakulös flirren lässt: Dieser ten, sie sind Teil der Jazzsprache." jekt mit tollen Musikern und für Tausende, die magischen Trompete muss das hörende Ohr Anfang der 1990er-Jahre kam Ethan in die es erlebt haben." in jeder noch so feinen Regung folgen. Mc- New Yorker Szene mit Rosenwinkels Band, Gab es mit dem Free Jazz der 1960er-Jahre – Phersons Schlagzeug, da und dort mit kaum Mehldaus Trio und den heutigen Dozenten wie in anderen Bereichen – eine radikale Be- wahrnehmbaren ungeraden Metren swingend, am Jazzcampus (MAB/FHNW) in Basel Mark wegung als Reaktion auf politische und ge- Ben Streets in Timing und melodiösen Linien ­Turner, Larry Grenadier, Jeff Ballard, Jorge sellschaftliche Entwicklungen und das Es­ unwiderstehlicher Bass und Iversons teils la- Rossy und Guillermon Klein. "Jorge war sehr tablishment, bemängeln heute gewisse Krei- konisches Klavierspiel, das mit unscheinbars- wichtig, Bill McHenry, Chris Cheek, Seamus se, der Jazz sei soft, harmlos und unpolitisch ten Schrägen und in bluesiger Rührseligkeit Blake, bald auch Jason Morans Trio mit Tarus geworden. "Der heutige Jazz ist sehr unter- auch mal mit einer minimen Dissonanz ge- Mateen und Nasheet Waits." schiedlich, hat viele kleine Szenen und stilis- würzt ist, machen dieses Album zum grossen tisch keine ganz grossen Trendsetter mehr Vergnügen. The Bad Plus wie damals mit einem Albert Ayler, von dem etwa John Coltrane beeinflusst war. Wer ihn und Konversation mit Diskographie grossen "Alten" hörte, änderte seine Spielweise – so jeman- den gibt es nicht. Ich denke jedoch, viele ha- ➤ Temporary Kings, Mark Turner/Ethan Iverson (ECM, 2018) Zwischen 2010 und 2015 entstanden drei Al- ben auch heute in ihrer Musik durchaus eine ➤ The Purity Of The Turf, Ethan Iverson ben mit Albert Tootie Heath, und es entstand politische Protesthaltung." (Ron Carter/Nasheed Waits, "Costumes Are Mandatory" mit Lee Konitz, Criss Cross, 2016) ➤ Grenadier und Rossy. "Jeder, der das Jazzkla- Joss Whedon, Comic-Autor und Ethans Lieb- Philadelphia Beat, Albert Tootie Heath/ iverson/Street (Sunnyside, 2015) vier liebt und erstmals Lennie Tristano hört, ist lingsregisseur (Buffy the Vampire Slayer), ➤ One Is The Other, Billy Hart Quartet geschockt, Tristano ist total aufregend. Und meinte, es gebe keine wirklich neuen Ideen (ECM, 2014) Lee steht ja gewissermassen in seiner Linie. mehr, Neues entstehe nur noch, indem alles ➤ Costumes Are Mandatory, Ethan Iverson/ Lee Konitz/Larry Grenadier/Jorge Rossy Er und auch Billy Hart sind ausgesprochen Alte zusammenkomme. Iverson zweifelte, ge- (HighNote Records, 2013) zugänglich und Förderer von Jungen, und so langte dann aber zur Einsicht, die Aussage standen wir im Kontakt." Auch Mark Turner treffe tatsächlich zu: "Thelonious Monk setzte Europa-Tour im Duo mit Mark Turner 20.11.19 Berlin, A-Trane folgt der Tristano/Marsh-Spur. "Es gibt viele in Elemente Duke Ellingtons, James P. Johnsons 21.11.19 paris, Duc des Lombards dieser Tradition, die aber nicht wirklich 'ferti- und Claude Debussys neu zusammen, Ornet- 22.11.19 Vitrolles/F, Moulin à Jazz ge' Jazzsaxophonisten sind. Mark hat was von te Coleman, einst die Verkörperung der Avant- 23.11.19 Basel, Jazzcampus Club dort, es ist Teil von ihm, und er macht auf ab- garde schlechthin, war ein Texas-Bluesman, 24.11.19 girona/E, Sunset Club 26.11.19 köln, Altes Pfandhaus (unbestätigt) solut hohem Level etwas sehr Persönliches der auf seinem Altsaxophon Texas-Blues spiel- 27.11.19 krakau/PL, Jazz Festival damit. Sein Interesse an Marsh ist speziell in te – inspiriert von Charlie Parker." Ethans Hin- www.ethaniverson.com der Szene." weis illustriert das Rezept von Bad Plus und ­­19 JAZZ

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