Sonntag, 22. Juni 2014 (20:05-21:00 Uhr), KW 25 Deutschlandfunk / Abt. Musik und Information

FREISTIL Bad Salzuflen weltweit – Vom Ursprung des musikalischen Pop-Phänomens „Hamburger Schule“ Eine Sendung von Heiko Behr und Christian Möller Regie. Susanne Krings Redaktion im DLF: Klaus Pilger

[Produktion WDR 2012]

M a n u s k r i p t

Szene 1 Landstraße. Ein Bus hält, die Tür geht auf.

Fan: Einmal Bad Salzuflen, bitte

Busfahrer: 2,80.

Fan steigt ein.

Busfahrer: Sind Sie nicht ein bisschen jung für ne Kur?

Fan: Was? Achso. Witzig. Nee, ich bin wegen was anderem hier. Busfahrt. Musik im Kopfhörer.

001 Frank Spilker Ich habe davon gehört, dass es einen Fan gab, der sozusagen im Nachhinein versucht hat, die Stätten unseres Wirkens zu erkunden und dem Mythos nachzugehen...

002 Bernadette La Hengst Und wer ist das, welchen, wen meinst du?

003 Frank Spilker Ich weiß nicht, wer das war und wann das war.

Szene 2 Busfahrt. Der Fan lässt sich in den Sitz fallen.

Mädchen: He, junger Mann! Füße vom Sitz!

Fan: Mann. Hast du mich erschreckt!

Mädchen: Tja, so ist der Tonfall hier. Du kommst wohl nicht von hier, he. - Was hörst du denn da für Musik?

Fan: Ach...kennst du wahrscheinlich eh nicht.

Mädchen: Sag doch mal.

Fan: Bernd Begemann heißt der.

Mädchen: Nee, kenn ich nicht. Kann ich mal hören?

Fan: Klar, hier.

Musikakzent.

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Sprecherin (singt) Bad Salzuflen weltweit. (spricht) Die Geburt des Diskurspop aus dem Geiste der Kurtaxe. Ein Feature von Heiko Behr und Christian Möller.

Szene 3 Busfahrt.

Mädchen: Okay, noch mal ganz kurz, damit ich das schnalle: Du fährst also stundenlang mit dem Zug in ein Kaff in Ostwestfalen, um dir anzugucken, wo irgendwelche Bands herkommen? Fan: Moment, Moment. Das sind nicht irgendwelche Bands. Sagen dir Blumfeld und Die Sterne was? Die haben hier angefangen, auf ihrem eigenem Label, das hieß „Fastweltweit“. In den 80ern.

Mädchen: Und wenn das hier passiert ist, wieso weiß ich nichts davon?

Fan: Weil...naja, die Bands, die da waren, sind halt erst später bekannt geworden, als sie schon weggezogen waren, nach zum Beispiel. Hamburger Schule – schon mal gehört?

Mädchen: Na, die Sterne oder Blumfeld und so Bands... Fan: Ja, genau. Und die haben dann ja auch andere total beeinflusst. Tomte, und so.

004 Marcus Wiebusch Und ich habe das sehr genau verfolgt, auch damals, bevor es Kettcar gab, mit meiner damaligen Band ...but alive und war ganz besonders der Band Blumfeld sehr zugetan.

Sprecherin Marcus Wiebusch, Sänger und Songschreiber der Band Kettcar, zusammen mit Tomte-Sänger Inhaber des Independent-Labels .

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005 Marcus Wiebusch Und als das dann zum Bruch kam 1999 von …but alive, war für mich irgendwie klar, dass ich was mache, was irgendwie einen Weg findet zwischen dem Übel namens Deutschrock und den doch sehr sehr tollen Hamburger Bands und den Bands, die dazugehören, Hamburger Schule und hab dann Kettcar angefangen.

Weiter Busfahrt. Fan: Naja, und bei mir wars so, dass ich durch Kettcar und so auf die Hamburger Schule Bands gekommen bin. Und für mein Blog hab ich dann halt immer mehr recherchiert...

Mädchen: Wasn fürn Blog?

Fan: So n Musikblog, das ich schreibe. Wie gesagt, dabei bin ich dann drauf gestoßen, dass die hier in Bad Salzuflen mit dem Musikmachen angefangen haben. Frank Spilker von den Sternen, Jochen Distelmeyer von Blumfeld, Bernd Begemann... ja, und ich wollte mir das mal ansehen. Den Ort, an dem das alles losging.

006 Bernadette La Hengst Ja, das kann schon sein. Wenn da so viele Leute herkommen, die dann doch im Laufe ihres Lebens so viele Lieder geschrieben haben, die einen berühren, dann kann man sich das schon mal angucken.

007 Frank Spilker Und dass man dann aus der Rückschau: Ah, ich kenne aber die Wurzel von dem! Und so, ne? Und gucke mir jetzt mal an, wo alles angefangen hat.

Musikakzent.

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Szene 4 Der Bus hält. Die beiden steigen auf der Fußgängerzone aus.

Mädchen: So, da wären wir. Zur Linken sehen wir Fachwerkhäuser, Eisdielen – und zur Rechten Bäckerei mit Stehcafé, Brunnen mit Heilwasser! Bad Salzuflen, Rock City!

Fan: Ach komm. Ich meine, klar hier is nicht New York, aber...

Mädchen: Nicht New York? Hier ist noch nicht mal .

Sprecherin Bad Salzuflen, Kreis Lippe, Nordrhein-Westfalen. Etwa 53 Tausend Einwohner. Bekannt geworden als Thermal-Kurort.

008 Bernd Begemann Als junger Mensch in Bad Salzuflen war man umgeben von Siechen und Sterbenden. Und von degenerierten Arbeitern aus dem Ruhrgebiet, die viermal pro Jahr ne Kur verschrieben bekamen.

009 Frank Werner Ich bin selbst in einer Pension groß geworden. Und man hat mir als Kind schon beigebracht, möglichst nicht aufzufallen, nett zu den Gästen zu sein, nicht unangenehme Misstöne zu bringen. Weil die Leute von dem Kurbetrieb abhängig waren.

010 Bernd Begemann Zum Beispiel als ich mal mit einem winzig kleinen Transistorradio, was winzigleise spielte, in eine christliche Bäckerei kam, war das erste, was die christliche Bäckereiverkäuferin sagte: „Wir wollen hier unseren Frieden!“ Das ist für mich Bad Salzuflen.

Szene 5

5 Ein Schulhof. Pausengong, Kinder. Mädchen: Meine Damen und Herren! Sie denken, das, was sie hier sehen ist ein ganz normaler Schulhof. Aber weit gefehlt! Es handelt sich hier um einen musikhistorisch bedeutsamen Ort, wie ihnen sicher dieser junge Mann hier gern erläutern wird, denn hier haben sich... wie, wie hießen diese Typen noch mal?

Fan: Frank Werner und Bernd Begemann.

Mädchen: Hier haben Frank Werner und Bernd Begemann sich also kennen gelernt. Und zwar… wo genau?

Fan: In der Raucherecke.

011 Bernd Begemann Das muss auf dem Schulhof gewesen sein.

Sprecherin Bernd Begemann, geboren 1963 in Bad Salzuflen als Sohn eines Tierarztes. Gehörte in den 70er und 80er Jahren zu dem Kern der Gruppe von Musikern um das Label „Fast Weltweit“. Wegbereiter der Hamburger Schule. Auch bekannt unter dem Künstlernamen „Der elektrische Liedermacher“. Heute zusammen mit der Band „Die Befreiung“ unterwegs.

012 Frank Werner Bernd war ne Klasse unter mir oder zwei Klassen.

Sprecherin Frank Werner. Ebenfalls Mitbegründer des „Fast Weltweit“-Labels, für das er als Tontechniker und Studiobetreiber arbeitete. Heute nicht mehr im Musikgeschäft tätig. Arbeitet als IT-Spezialist in seiner Heimatstadt Bad Salzuflen.

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013 Frank Werner Und Bernd hat sich quasi regelmäßig in die Raucherecke gedrängelt und da er damals schon ne schillernde Person war, war es einfach ihn kennenzulernen

014 Bernd Begemann Und ich glaub, ich hab ihn angesprochen, weil ich gehört hatte, dass er ne Bandmaschine hatte. Und außerdem hat er vorher in der Schulaula irgendwie Mundharmonika gespielt und da dachte ich mir, jemand der Mundharmonika spielt, pfff, der wird ja nicht so arrogant sein. (lacht)

Musikakzent.

015 Frank Werner Und durch ein Gespräch hat sich herauskristallisiert, dass ich einen Kassettenrecorder hatte, der eine bessere Aufnahmequalität hatte. Und Bernd hatte damals eine kleine Band, die hieß Vatikan – das war ne Punkband – und sie haben jemanden gesucht, der Aufnahmen machen konnte.

016 Frank Werner Wir haben unser Equipment in einem Herforder Laden zusammengeliehen, Mikros und haben dann zusammen in einem Jugendzentrum Aufnahmen gemacht für ein paar Tage. Also das war der Anfang.

Musikakzent.

017 Frank Werner Bernd hat mich in seiner Geradlinigkeit immer beeindruckt. Bernd ist schlagfertig! Bernd ist sehr prägnant, sehr aussagefähig, also das fiel auf. Allein durch seine Schlagfertigkeit. Er hat mit wenigen Worten verstanden, jeden Lehrer aus der Raison zu holen.

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018 Bernd Begemann Frank Werner ist ein wundervoller, sanfter Mensch einfach. Man fühlt einfach… Ich bin überhaupt nicht esoterisch, aber er hat wirklich so eine gute Aura. Du weißt, dass er gute Dinge machen wird. Davon fühlt man sich auch angezogen. Jemand, der neugierig ist, der aufgeschlossen ist, aber ruhig ist.

019 Frank Werner Bernd war musikbegeistert. Bernd war ein junger Punk.

020 Bernd Begemann Und Frank Werner war so ein bisschen hippiesk, aber auch wieder nicht, weil er ein bisschen wie John Lennon aussah. Faszinierend. Man hatte so Antennen für Leute in der Zeit, weil es nicht so viele Leute gab, die irgendwas machten.

Musikakzent.

Szene 6 Schulhof. Laute Kinder drum herum.

Fan: Naja, heute kannst du ja zur Not mit deinem fucking Smartphone Songs aufnehmen! Damals hat das ganze Equipment tausende von Euros gekostet!

Mädchen: D-Mark.

Fan: Jaja, D-Mark. Auf jeden Fall Frank Werner,...

Mädchen: Der Toningenieur?

Fan: Genau. Der hat scheinbar echt einiges auf sich genommen. Hat seine Kohle für Equipment rausgehauen, obwohl er selbst in keiner Band gespielt hat. Nur um die Musik von anderen aufzunehmen.

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021 Bernd Begemann Diese Idee hat ihn jahrelang praktisch Haferflocken lassen und Wasser trinken lassen, nur um sich immer bessere Bandmaschinen kaufen zulassen, bessere Mikrofone kaufen zu lassen.

Mädchen: Wasser und Haferflocken. Das ist ja nur kurz über Wasser und Brot.

Fan: Krass, oder?

Mädchen: Naja, der wollte vielleicht auch einfach nur dazugehören. Und wer war sonst noch so dabei? Ich meine, der wird die Kohle wohl nicht nur für Bernd Begemann ausgegeben haben, oder?

Fan: Nee, das war ne Clique von Leuten, die sich alle für Musik interessiert haben. Die kamen auch nicht nur aus Bad Salzuflen. Sondern hier aus der Gegend. Herford zum Beispiel.

022 Frank Werner Bernd hat die Schule gewechselt und ist nach Herford gegangen. Er war auf dem Herforder Gymnasium etwas später und dort hat er nen Teil der anderen Szene kennengelernt. Zum Beispiel Michael Girke und Achim Knorr, die waren quasi auf der selben Schule, soweit ich weiß.

Musikakzent.

Sprecherin Achim Knorr, damals Musiker unter dem Künstlernamen „Der Fremde“, heute als Comedian aktiv. Michael Girke, heute Filmkritiker und Journalist, damals Sänger und Songschreiber der Band Jetzt!

9 Musikakzent. 023 Bernd Begemann Als ich noch in Herford zur Schule ging mit Michael Girke, war es für mich ein Fest, wenn ich ein Lied geschrieben hatte, nachts zu Michael zu gehen. Und dann hatte er vielleicht auch ein Lied geschrieben und sang mir das vor. Und dann konnte ich auch meine unglaublich klugen Sachen dazu sagen. Und das ist wirklich eine Form von vornehmer Kommunikation.

Szene 7 An einer lauten Landstraße.

Fan: Ah, da hinten is es ja. „Gartenbaumschule Spilker“...

Mädchen: ...eine weitere pophistorisch bedeutsame Stätte, nur mit recht hohem Rentner- und Topfpflanzenaufkommen.

Fan: Jaja, sehr witzig. Warte mal. Ich mach mal schnell n paar Bilder.

Mädchen: Okay, aber nicht jedes Usambara-Veilchen einzeln, ja?

Fan: Nein nein. Hier ist Frank Spilker von den Sternen groß geworden. Du weißt schon, „Was hat dich bloß so ruiniert“ und so. Kennste? Warte mal, hier... Musik vom Handy.

Sprecherin Frank Spilker, geboren 1966 in Herford als Sohn eines Gärtners. Sänger und Texter der Band Die Sterne. Vorher mit mehreren Bands auf dem „Fast Weltweit“-Label aktiv.

Mädchen: Ah, ja ja ja, schon gut. Das kennt ja nun jeder. Ganz blöd bin ich nun auch nicht. (Musik stoppt.) Und den Eltern gehörte die Gärtnerei hier?

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Fan: Genau, und der Bauernhof, der dazugehört. In dem Haus hat Frank in den 70ern mit dem Musikmachen angefangen. In nem Zimmer unterm Dach.

Musikakzent.

024 Frank Spilker Ich hab mit meinem besten Freund zusammen Gitarre spielen gelernt. Und zwar weil sein Vater irgendwie in ner Tanzband gespielt hat. Und hat uns so ganz geschickt unter Überlassung von der roten Mundorgel und irgendwelchen anderen Noten und vor allen Dingen eben auch Gitarren durch n paar Tipps das beigebracht. Wir haben uns halt gegenseitig so gecoacht. Und dann auch war natürlich sofort der Wunsch da, ne Band zu machen. Ich war am Anfang ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ich kannte so n paar Sachen von meinen älteren Brüdern, also rum liegengelassene Beatles-Singles und den ganzen Popkram von damals, 70er Jahre, Abba, oder was weiß ich. Und hab dann irgendwann mit der Neuen Deutschen Welle vor allem meinen Horizont stark erweitert. Das war aber auch einfach ne Altersfrage oder ne gewisse Koinzidenz. Weil wir waren wahnsinnig gut informiert über den englischen Radiosender also über BFBS.

Sprecherin BFBS – British Forces Broadcasting Service. Soldatensender der Britischen Armee. In den 80er Jahren bekannt für seine progressive Musikauswahl und deshalb auch in Deutschland beliebt.

025 Frank Werner Ich hab sehr viel BFBS gehört, ich hab sehr viel John Peel gehört.

John Peel moderiert Musik an.

Sprecherin

11 John Peel, einflussreicher britischer Radio-Moderator und DJ. Verhalf in seinen Sendungen vielen Bands aus dem Punk- und Independent – Bereich zu Bekanntheit. Seine Sendung „John Peel's Music“ bei BFBS wurde auch von Deutschen viel gehört. Dort spielte er auch unbekannte deutsche Bands.

026 Frank Spilker Man hat aber eben über John Peel auch Sachen mitgekriegt, also richtigen Punk mitgekriegt, was weiß ich so, die Mimmi's in oder irgendwelche abgefahrenes Zeug, oder FSK lief da und so. Das hat natürlich das allgemeine Verständnis von Neuer Deutscher Welle auch überschritten. Im regulären Radioprogramm lief sowas dann natürlich nicht.

Musikakzent.

Szene 8 Eine Landstraße.

Mädchen: Okok, cool, hab ich schon verstanden, aber mit den Sternen hat das ja wohl weniger zu tun.

Fan: Nö, Frank Spilker hatte ja vorher noch so ein anderes Projekt, das hieß The Discount. Hier, hör mal...

Musik aus dem Handy.

Mädchen: Hä? Ich dachte, das wären alles so Gitarren-Bands...

Fan: Nee nee nee! Das denken ja immer alle! Aber in diesem Studio haben die ja ganz viel rumexperimentiert. Das waren ja richtig viele Leute! Eben Bernd Begemann, Frank Spilker, dann Achim Knorr, Frank Werner...

Mädchen: Ah, der mit den Haferflocken.

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Fan: Genau. Der hat sich nämlich hier n Studio gebaut. „Klangforschung“ haben sie das genannt. Weil sie halt neue Sachen ausprobieren wollten

Mädchen: Und das war hier?

Fan: Ja.

Mädchen: Ist aber schon ein ganz schönes Stück außerhalb. Also, ich war hier noch nie.

Fan: Muss, muss hier gleich sein. In ner Wohngegend, steht im Internet. Irgendwo am Wald.

027 Frank Werner Ihr müsst Euch da eine große Villa vorstellen, die mit mehreren Parteien bewohnt wird, ein Mietshaus und der Nachbartrakt des Mietshaus ist eine kleine Bruchsteingarage, 40 m² mit drei Räumen unterteilt, ein Aufnahmeraum, eine Schlagzeugkabine und ein Abmischraum.

028 Bernadette La Hengst Das war ein extrem super Ort, also mitten im Wald und so unentdeckt. Und da konnte man abhängen, Bier trinken und dazu noch Musik machen.

Szene 9 Waldgeräusche, knackende Äste.

Fan: Ja, da. Da ist es, ich mach mal eben ein paar Fotos.

Mädchen: Fotos von außen? Lass uns doch mal reingehen, meintest du nicht, dass das leer steht?

Fan: Naja, das wird im Netz halt zum Verkauf angeboten. Aber ich weiß

13 doch nicht... Mädchen: Wir können ja mal sehen, ob wer da ist.

Fan: Ach, komm, lass mal lieber.

Mädchen: Du wolltest das doch unbedingt sehen.

Fan: Ja, aber...

Mädchen: Das ist nicht dein Ernst, oder? Du fährst hunderte Kilometer durch die Gegend, um zu sehen, wo deine Musik-Heroes herkommen und jetzt, wo wir da sind an dem Ort, wo alles passiert ist, bei dem Studio, kommst du mit „Privatgrundstück“?

Fan: Und wenn uns wer beobachtet?

Mädchen: Boah, echt! Komm. Komm, wir klettern einfach mal rüber und... Mach mal Räuberleiter...

029 Bernd Begemann Und dann war da noch Bernadette Hengst

Sprecherin Bernadette La Hengst, bürgerlich Bernadette Hengst, geboren 1967 in Bad Salzuflen. Bekannt geworden in den 90er Jahren mit der Band Die Braut haut ins Auge. Später Solokünstlerin und Theatermacherin. Musikakzent.

030 Bernadette La Hengst Ich kannte Frank halt von der Schule, wir hatten zusammen auch Theater gespielt und ich wusste, dass er in einer Band spielt und ich fand das auch immer cool. Wir waren in den Freistunden oder wenn wir blau gemacht haben bei ihm in seinem Zimmer, bei seinen Eltern in der Gärtnerei, das war gegenüber von unserer

14 Schule. Und er wusste auch, dass ich singe, aber ich hatte noch keine eigenen Stücke geschrieben. Also ich hab ja auch noch nie irgendwas aufgenommen gehabt. Ich glaub, die erste Band, die ich dann dort gesehen hab beim Aufnehmen war Der Fremde, also Achim Knorr. Und das hat mich extrem beeindruckt, wie der gesungen hat und seine eigenen Texte gesungen hat. Das hat mir Schauer über den Rücken laufen lassen und ich hab gedacht: Wow, und das sind seine eigenen Texte, der erzählt mir was. Und das hat was mit mir zu tun.

031 Bernd Begemann Rückblickend bin ich so froh, dass sie dabei war. Ich meine, wie furchtbar ist eine Szene, wo nur Jungen sind. Das ist echt grauenhaft.

032 OT Bernadette La Hengst Ich hab das nicht so richtig wahrgenommen, dass ich das einzige Mädchen bin. Also damals, ich hatte jetzt keine Idee von Feminismus oder so.

033 Bernd Begemann Sie ist sowieso eine Abenteuerin. Bevor sie bei Fastweltweit aufgetaucht ist, ist sie allein mit ihrer Akustikgitarre rumgetrampt und hat Straßenmusik gemacht. Das ist eine Sache, die sich die Jungs nicht getraut hätten. Michael Girke und ich haben mal Straßenmusik in Paris gemacht, für zehn Minuten. Dann fanden wir das zu beängstigend. Bernadette hat das monatelang gemacht, meine Güte. Also die war bestimmt tougher als wir Jungs, auf jeden Fall.

Szene 10 Auf dem Grundstück.

Mädchen: So eine müsste es mal bei mir in der Schule geben. Bei mir sind wirklich nur Weicheier und Loser. Und damit mein ich vor allem die

15 Jungs. (Türquietschen.) Ist auf! Fan: Ich glaub, das Besondere bei denen war, dass dieses Jungs- Mädchen-Ding irgendwie nicht wichtig war. Das waren halt alles Außenseiter und komische Freaks. Also aus der Sicht ihrer Klassenkameraden. Ich glaub, das war so ein „Wir gegen den Rest der Welt“-Gefühl, das die da hatten…

Mädchen: Boah ey. Ganz schön muffig hier. Wo ist n der Lichtschalter? Ah, hier. Naja, ne? Fahrräder, n paar Gartenstühle...sieht irgendwie nicht so nach Studio aus. Ich schau mal da hinten.

Fan: Ja, aber... Hier stand wahrscheinlich, das hier… Hier stand das Mischpult, wo Frank Werner saß. Und da hinter der Glasscheibe, der Raum für die Musiker.

Mädchen (aus dem Nebenraum): Krass! Was ist das denn? Ich glaube, das ist…

Fan: Was denn?

Mädchen: Das ist ja... das erste Blumfeld-Demo?

Fan: Waaaaas?

Mädchen: Hahaha, verarscht!

Fan: Oh Mann. Musikakzent.

034 Bernd Begemann Jeder hat für sich geschrieben und kam dann damit an und hat es entweder allein realisiert oder mit Hilfe der anderen. Und die anderen haben vielleicht so ein bisschen drin rumgenölt. „Das würd ich aber nicht sagen.“ Oder „Hey, das ist aber interessant, wo hast du das denn her?“ – „das hab ich nirgendwo her, das hab ich mir

16 selbst ausgedacht!“ Alles ein bisschen kindlich. 035 Frank Spilker Im Grunde ist es ja so ne Hippie-Kollektiv-Idee, dass man diese Einheiten von Bands in Frage stellt, also jetzt nichts Neues, aber es war halt irgendwie auch hip. Und hatte vor allen Dingen, glaub ich, in der Situation, wo einige der Songschreiber gar keine Band hatten – also nämlich Bernd Begemann zu der Zeit hatte keine Band, Michael Girke nicht. Und Distelmeyer auch nicht. Sozusagen die Ressourcen der anderen mit zu nutzen. Das heißt, wir haben unsere Musiker durcheinandergewürfelt.

036 Bernd Begemann Es hat sich immer so ergeben... Soundso nimmt gerade was auf, komm doch mit und mach ein paar Handclaps'. So ging das über Jahre. Und die Handclaps waren dann immer ein bisschen exakter. Es ging darum was einzufangen, was wir sind. Wir wussten für uns selbst nicht, was wir genau sind. Aber in diesem Studio, in der Klangforschung, sollte das rauskommen.

037 Bernadette La Hengst Es war auch so, dass wir uns alle gegenseitig sehr in Beschlag genommen haben, sag ich mal. Wir waren alles sehr mitteilungsbedürftige Menschen, die Leute sehr in Beschlag nehmen können. Es war teilweise so in Beschlag, dass man nur noch in dieser Welt sich bewegt hat. Also alle Gedanken, die ausgetauscht wurden, waren für mich für zwei Jahre ungefähr wichtiger als die Gedanken von anderen Leuten.

038 Bernd Begemann Unsere Aufnahmen... ich sag jetzt unsere, obwohl einige verwehren sich gegen diese Vereinnahmung und so... aber ich sage jetzt unsere, weil das war die Sache, die uns wirklich geeint hat. Wir wollten unsere Stimme finden. Und wir wollten nicht so klingen wie die Typen im Radio.

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Szene 11 Landstraße, Autos fahren vorbei.

Mädchen (schreit hinterher): Arschloch! In deine fette Karre wär ich eh nicht eingestiegen, du blöder Wichser! Dieses Warten auf Leute, die sich erbarmen, ey, das nervt hier echt am allermeisten. Ja, man kommt hier einfach echt nicht weg. Zumindestens am Abend und am Wochenende. Dann trampst Du halt. Und wenn du darauf keinen Bock hast, musst du nett zu deiner älteren Schwester sein, mit Führerschein. Oder du brauchst n Freund, der halt 18 ist. Ok, scheißegal. Also, wo fahren wir jetzt genau hin?

Fan: Nach Enger, ins Forum. Aber weißte, wie das weiterging? Bernd wollte nämlich raus aus Bad Salzuflen.

Mädchen: Joah, das wundert mich gar nich.

Fan: Der wollte auch die große Karriere. Und damals gab´s einen Typen namens Alfred Hilsberg, der hatte so n Label...

Sprecherin Alfred Hilsberg, Musikjournalist und Labelbetreiber. Trug mit seinen Artikeln wesentlich zur Verbreitung von Punk und New Wave in Deutschland bei. Erfand den Begriff Neue Deutsche Welle. Auf seinem Label ZickZack erschienen unter anderem die ersten Alben von Blumfeld.

Mädchen: Ah, guck mal, geil, der hält. (Auto fährt vorbei.) Oh, du blöder Wichser, du!

Fan: Naja, und zu dem Hilsberg hat Bernd halt n Demo geschickt.

Mädchen: Ich weiß, was jetzt kommt. Ja, und er ist von hier aus nach Hamburg getrampt, oder?

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Fan: Nee, nicht ganz. Frank Werner hatte zum Glück n eigenes Auto.

Musikakzent.

039 Bernd Begemann Ja, klassisch. Frank Werner und ich fahren mit diesem wirklich schlechten Auto nach Hamburg und warten stundenlang auf Alfred Hilsbergs Türschwelle auf den großen Mann selbst. Der immer so was wie als „Der Szenepapst“ bezeichnet wurde. Und der dann.. Wenn Alfred Hilsberg eine Platte von dir rausbrachte, hattest du auf jeden Fall ne große Besprechung in den paar Musikzeitschriften, die zählten. Und damals haben Leute wirklich religiös Musikzeitschriften gelesen. Und wenn irgendwas „Album des Monats“ war, wurde das auch gekauft!

040 Frank Werner Und in der Wohnung selbst war das ein besonderes Gefühl, weil er hatte vor seinem Kassettenrecorder einen riesigen Haufen Kassetten. Und ich glaube eine der oberen Kassetten war die von uns. Und die Hoffnung war für uns am Anfang, also von den Sachen von 83, dass ein Stück auf einem lokalen Sampler erscheint

041 Bernd Begemann Und er hört sich unsere Aufnahmen an und geruht, sie nicht rauszubringen.

042 Frank Werner Und danach haben wir von Herrn Hilsberg nichts mehr gehört. Also, letztlich viel Rauch um nichts. Musikakzent.

Szene 12 Landstraße.

19 Mädchen: Ja, das ist ja beschissen. Fahren die da extra zum großen Plattenboss hin. Und dann wird das alles nichts.

Fan: Ja, aber irgendwie haben sie sich davon nicht kleinkriegen lassen. Vor allem Bernd.

043 Bernd Begemann Ich hatte eine heroische Haltung dem Leben gegenüber. Das kann mich alles nicht brechen. Was soll´s. Ein Typ will deine Platte nicht rausbringen. Na und? Ich bin jung, ich bin stark, ich hab noch tausend Lieder in mir. Irgendwie werden die rauskommen, irgendjemand wird das hören

Fan: Bei den anderen war es ähnlich. Die waren so frustriert, dass sie ihr eigenes Label gegründet haben.

Mädchen: Ja, apropos frustriert, ey. Ich dreh hier langsam echt durch. Ey, nix passiert, immer nur warten. Warte, der da hält! Garantiert! (Sie läuft vors Auto.)

Fan: Ey, geh von der Straße runter! (Wagen bremst.)

Mädchen (zum Fahrer:) Super, vielen Dank! Wir wollen nach Enger, ist das ok? (zum Fan:) Alles klar! Wir können mit!

Fan: Ach super. Na dann. (Beide steigen ein.) Musikakzent.

Autofahrt.

Mädchen: Ok, sorry, was hast du eben noch mal erzählt?

Fan: Naja, diese Absage an Bernd war glaub ich hart. Und da haben die anderen sich überlegt, dann gründen sie halt einfach ein Label, „Fast weltweit“ eben.

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Mädchen: Komischer Name.

044 Bernd Begemann Es ist irgendwie so lustig gemeint. Aber es ist irgendwie so ein Loserwitz. So ein Loser, der sagt, ja, wir sind ja fast weltweit vertreten. Und zwar in Herford. (lacht) Das ist so, wir können es ja eh nicht schaffen. Gerade wenn man Provinzloser ist, darf man nicht raushängen lassen, Provinzloser zu sein.

Mädchen: Stimmt, man darf sich nicht immer selber so runtermachen! Und woher hatten die damals Geld, eine eigene Plattenfirma zu gründen?

Fan: Naja, keine richtige Plattenfirma in dem Sinn. N kleines Indie-Label. Die haben alles selber gemacht. Bei Frank Werner hatten sie das Studio, da heben sie aufgenommen. Dann haben sie die Aufnahmen auf Kassetten überspielt.

045 Frank Werner Es waren ein paar Kassettenrecorder da und zur Not haben wir uns sogar selbst in schülerhaftem Sinne 10 – 20 Recorder geliehen und dann Serie mit gemacht. Fan: Das Coverdesign hat die Freundin von Frank Werner gemacht. Naja, und dann haben die Bands ihre Tapes selber in die Plattenläden gebracht.

Mädchen: Wow, also das nenn ich echt mal Indie!

046 Frank Spilker Das ist ganz stark das Ding von Frank Werner gewesen. Für den ist es immer ein Ideal gewesen, unabhängig von großen Plattenfirmen auf so nem Indie-Level Kultur, Musik zu vertreiben, ohne dass das große kommerzielle Ding ins Spiel kommt. Für Frank war das immer ganz wichtig.

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Das ist das auch, was er im Grunde anschieben wollte mit seinem Studio, mit der Zusammenarbeit mit uns.

047 Frank Werner Es war vor allen Dingen das Bedürfnis, zusammen ein eigenes Sprachrohr und ein gemeinsames Sprachrohr zu bilden. Das heißt, der wichtige Punkt war für uns, dass allein eine Band sehr wenig Möglichkeiten hat, wahrgenommen zu werden. Und wir haben uns erhofft, im Zusammenschluss bessere Möglichkeiten für uns herauszuarbeiten. Also einfach aus dem Gedanken: gemeinsam wird man besser wahrgenommen.

048 Frank Spilker Dieses ganze Fast-Weltweit-Ding ist ja n Cliquen-Phänomen. Du hast natürlich die Protagonisten, die ne Band gemacht haben, die jetzt vielleicht auch bekannt sind; du hast irgendwie so einen Katalysator wie das Studio von Frank Werner; aber auf der anderen Seite gab's auch sozusagen die Multiplikatoren sozusagen, im Publikum. Also, unsere Freunde und Freunde von Freunden, die dann so dafür gesorgt haben, dass das auch n paar Leute mitbekommen haben. War ja nicht viel, also, es war ja – deshalb red ich auch von ner Clique – so vielleicht 50 Leute oder so oder 100 Leute, die dann bei den Konzerten waren, aber auch nur, wenn alle Bands gespielt haben. Was irgendwie zwei-, dreimal nur vorgekommen ist, überhaupt.

Szene 13 Landstraße.

Fan: Okay, danke fürs Mitnehmen. (Das Auto fährt weg.)

Mädchen: Und? Hier soll es jetzt sein – das Forum?

Fan: Ja, da drüben. Sieht eher zu aus.

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Mädchen: Sieht sehr zu aus, wenn du mich fragst. Kann ich mir jetzt auch gar nicht vorstellen, dass in so nem Minikaff n wichtiger Club sein soll. Guck noch mal in dein Handy. Fan: Warte mal. Ah, hier steht´s doch...

Sprecherin Forum Enger. Musikklub in der ostwestfälischen Stadt Enger, Kreis Herford. 1974 als Jazzclub gegründet, wurde er in den 80er Jahren zu einem wichtigen Veranstaltungsort für Punk-, Hardcore- und Indie-Konzerte. Von den Lesern der Musikzeitschrift Spex zum besten Club Deutschlands gewählt. Im Forum machten viele internationale Acts Station, die sonst nur in größeren Städten auftraten.

Fan: Sogar Nirvana haben hier damals gespielt…

Mädchen: Ja, is klar. Und Vorband Pearl Jam und danach noch R.E.M., wenn die gerade mal Zeit hatten…

Fan: Ganz im Ernst, Nirvana war hier die Vorband, die haben vor 40 Leuten gespielt. Die Leute sind in den 80ern ausm Ruhrpott angereist, um hier Bands zu sehen.

Mädchen: Hab ich nie was von gehört.

Fan: Ah… kein Wunder, hier steht´s. Guck mal: Die haben 1998 dicht gemacht. Ich mach trotzdem n paar Fotos. Mädchen: War ja klar… Bands, die im Forum Enger spielten. Nirvana live.

049 Frank Werner Das Forum ist ein kleiner selbstorganisierter Club in Enger gewesen, der hat dort mehrere Jahre existiert, wird heute in Bielefeld weitergeführt. Und die Leute haben dort sehr sehr

23 eigenständig über ihr Musikprogramm entscheiden können und das war für uns eine Möglichkeit aufzutreten und eine sehr gute Möglichkeit, also andere Bands zu sehen.

050 Bernadette Hengst Also es gab dann fast so eine Zwanghaftigkeit, in dieses Forum Enger zu gehen. Das hatte immer mittwochs und sonntags Disco. Sonst natürlich auch Konzerte, aber vor allen Dingen diese Disco- Termine mussten von mir unbedingt eingehalten werden. Weil wenn ich da nicht hin konnte, dachte ich, die Welt bricht zusammen. Ich verpasse… Ich verpasse alles! Für den Rest meines Lebens!

051 Christoph Jacke Und ich glaube, dass das Forum Enger als kleiner Klub, der aber weltweites Renommee hatte, im Grunde ein Punkt war, an dem Musiker, Fans, spätere Booker sich getroffen haben.

Sprecherin Christoph Jacke, Pop- und Medienwissenschaftler an der Uni Paderborn.

052 Christoph Jacke …und man natürlich die Welt in Enger vorgesetzt bekam und wo eben Menschen aus dem Ruhrgebiet, aus Hannover, aus Münster, aber auch aus dem Ostwestfälischen selbst, hin pilgerten geradezu. Denn jede angesagte Band hat sicherlich auch in oder Köln gespielt, aber erst Recht oder manchmal auch nur in Enger.

Musikakzent.

053 Frank Werner Ich hab Jochen im Forum kennengelernt und das war der Junge mit dem Regenschirm. Also wirklich mit altem Trenchcoat und

24 Regenschirm, so kann man ihn sich damals vorstellen. Sprecherin Jochen Distelmeyer, Jahrgang 1967. Ehemals Sänger und Texter der bis heute einflussreichen Band Blumfeld, heute Solokünstler.

054 Frank Werner Und der hat zur damaligen Zeit noch englisch gesungen, seine Band hieß White Palms. Und dann waren die ersten Überzeugungssachen „Warum singst du denn englisch und warum nicht deutsch?“ und sicher, etwas später hat er dann Personen wie Bernd kennen gelernt und dann war die Überzeugung sehr leicht. Aber auf der anderen Seite, es war üblich halt bei den meisten Bands, sich in Englisch erst auszudrücken.

055 Bernd Begemann Deutsch singen war Schlagersänger oder Liedermacher, die gegen Atomkraft sind und so.

056 Frank Spilker Es ging zu der Zeit echt nur Fun-Punk, so, alles andere konnte man nicht auf Deutsch machen. Was man hört als Musiker, ist immer das Übliche: Ja, das klingt ja nicht so gut, man kann ja auf Deutsch nicht so gut singen wie auf Englisch und so weiter.

057 Bernd Begemann Oder deutsch wäre hässlich. Das ist weil es hässlich benutzt wurde

Musikakzent.

Szene 14 Mädchen: Das find ich echt gut. Also, ich stell mir das gerade vor, wie Bernd Jochen hier im „Forum“ ins Ohr schreit, er soll´s doch mal mit deutschen Texten probieren...

Fan: Nee nee nee, Bernd war hier gar nicht mehr dabei, der war ja

25 schon in Hamburg. Und wahrscheinlich hat ihn Bernadette dann auch mehr interessiert als Jochen...

Mädchen: Aha, da ging was!

Fan: Ja. Die beiden waren ein Paar! Das wusste auch voll lange keiner außerhalb von den Fastweltweit-Leuten. Eigentlich bis heute...

058 Bernadette Hengst Bernd und ich waren eine große romantische Liebe. Die erste Liebe richtig meines Lebens. Wir haben ja dann auch geheiratet, als ich 19 war und nicht nach Hamburg ziehen wollte. Ich wohnte ja noch in Bad Salzuflen. Und wir waren schon zwei Jahre ein Paar. Und ich wollte nach Berlin ziehen, weil ich meine eigene Stadt erobern musste. Und er hat das dann akzeptiert mit den Worten: „Du kannst gehen, wohin du willst. Aber dann musst du mich heiraten.“

059 Bernd Begemann Ich bin sicher, dass alle Bernadette toll fanden, aber mich hat sie geheiratet.

060 OT Bernadette Hengst Ja, ich glaube, das ist halt auch die erste Liebe, die verlässt einen nie so wirklich. Ich glaube, wir lieben uns bis zum Ende unserer Tage.

Szene 15

Mädchen: Och, das ist schon romantisch…

Fan: Ich weiß gar nicht so genau, warum die da so ein Geheimnis draus gemacht haben...

Mädchen: Naja, Bernadette wollte halt als Künstlerin gesehen werden.

26 Und nicht als nur so´n Anhängsel... Ich kann das gut verstehen. Ähm… War das dann schon ne Fernbeziehung? Bernd war doch in Hamburg, oder?

061 Frank Werner Bernd wollte von Anfang an ausbrechen. Bernd war Protagonist bei Fastweltweit, aber er war auch erklärt für eine Industriekarriere. D.h. das hat Bernd damals auch mit der Antwort geschafft.

Musikakzent.

Sprecherin Die Antwort, Gitarrenpopband, 1987 in Hamburg von Bernd Begemann gegründet.

062 Frank Werner Für uns war das eher so eine Art Testballon. Um zu sehen: wie fühlt sich das an, welche Erfahrungen hat er damit und welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch.

063 Bernd Begemann Ich hab da so n Gefühl, ich war der erste auf einem Minenfeld gewesen. Und die anderen konnten da so ein bisschen: „oh, das ist nicht so eine gute Stelle, dann geh ich mal hier lang“.

Musikakzent.

Szene 16 Wieder auf der Landstraße.

Fan: Wieder in dieser Tramper-Hölle. Wahnsinn, hier kommt man ja echt nie weg, wenn man kein eigenes Auto hat. Das hab ich echt unterschätzt.

Mädchen: Tja, jetzt verstehst du auch, warum hier alle immer weg

27 wollen. Is doch egal, lass uns doch einfach laufen, ist doch scheißegal. - Sag mal, du sprichst immer nur von Begemann, Begemann, Begemann. Was ist denn mit den anderen – mit den Sternen zum Beispiel? Fan: Ja, die gab's damals schon. Also, in Bad Salzuflen, nur mit anderen Leuten. Die klangen auch noch ganz anders. Der Frank Spilker ist dann ja später auch nach Hamburg gezogen, aber erstmal hat er in Hannover Zivildienst gemacht.

Musikakzent.

Mädchen: Dann war das alles ja schon ganz schön zerstreut. Also, einer in Hamburg, einer in Hannover, einer in Köln.

Fan: Stimmt, aber die hatten trotzdem immer noch dieses Cliquen- Gefühl. Auch, als sie nach Berlin gefahren sind. Da gab´s so ne Musikmesse. So ähnlich wie später die Popkomm.

Mädchen: Popkomm?

Fan: Wo Bands und Labels sich treffen und hoffen... Berlin Independence Days hieß das...

064 Frank Spilker Das war eine wahnsinnsspannende Zeit in meinem Leben natürlich, ne, also ich war 22 und wir waren immer nur in der Provinz und so und haben nicht viel von der Welt gesehen und das waren die ersten Schritte nach draußen und es kamen ja auch Reaktionen.

065 Bernd Begemann Einige von meinen Liedern handeln davon, dass man eine Gegend verlässt aber die Gegend mitnimmt. Und ich glaube, als wir dann alle in der Großstadt waren, also Bernadette, Jochen, Michael und ich, wir waren da dann alle stolz drauf, Provinzler zu sein. Und nicht so dekadent zu sein. Und wir haben, glaube ich, unsere

28 Naturburschen-Karte ziemlich plump ausgespielt auch oft. Aufnahmen aus dem Café Swing.

066 Frank Werner Also, wir hatten einmal die riesige Chance, sehr gut wahrgenommen zu werden, wir haben drei Tage im Café Swing gespielt. Jeweils mit einem kompletten Set und mit allen Bands hintereinander.

Sprecherin Café Swing. Musik-Club in West-Berlin. Vor der Wende 1989 wichtiger Szenetreffpunkt.

067 Bernd Begemann Ich war ja eigentlich nicht so richtig Fastweltweit, weil ich hab ja schon in Hamburg mit meiner Band rumgemacht. Aber ich gehörte trotzdem dazu. Und da hatten wir das erste Mal die Möglichkeit, der Außenwelt gegenüber wie so eine kleine Gang zu sein.

068 Bernadette La Hengst Das war schon ziemlich aufregend. Ich wusste überhaupt nicht, wie man sich da verhält bei so einem Konzert. Wir haben drei Tage gespielt, jeden Abend auf diesen Berlin Independence Days und wurden wahrgenommen auf einmal. Vorher waren wir die Spinner vom Dorf, die da schlagermäßig versuchen, auf Deutsch ihre Geschichten zu erzählen. Und, also, weil… Es gab zur selben Zeit in Berlin auch Einstürzende Neubauten und so Zeug, also es gab eine extrem andere Kultur in Deutschland, zu der wir überhaupt gar nicht passten. Und wo die Leute wirklich nicht wussten, wie sollen sie das einordnen. Wir wurden belächelt.

069 Frank Spilker Das war so die allerhärteste Ablehnung von so gerade diesem deutschsprachigem Kram, das war halt Berlin, Kreuzberg, kann man sich vorstellen, das war alles damals Berliner Krankheit

29 irgendwie, es durfte auf keinen Fall Pop sein. Da haben wir gespielt und dann gab es so Kommentare wie „Dire Straits für Arme“ oder so, aber auch Fans, auch Leute, die geklatscht haben. Ich weiß aber, dass ich damals total verunsichert war, weil das echt ein hartes Pflaster war, das Café Swing von Metropol.

070 Bernd Begemann Ich erinnere mich nur an die Shows und dass wir so, ich glaub nicht, dass wir viel Begeisterung geerntet haben. So’n paar Leute meinten, ah, lustige Provinztypen, die über ihre Scheißprovinz singen, dabei ist Andy Warhols Factory doch viel aufregender. Blöde Arschlöcher. Keine Scheißahnung von gar nichts. Naja. Applaus im Café Swing.

Szene 17 In der Wohnungstür.

Mädchen: Hallo Mama? Bist du zu Hause? – Schmeiß dein Zeug da einfach in die Ecke. - Käffchen?

Fan: Ja, gerne. Ich schau mir mal deine CDs an, ja?

Mädchen: Ja.

Fan: Oh, Tokio Hotel?

Mädchen: Jaha. Ist n paar Jahre her. Steh ich aber zu. Kann ja nicht jeder so nen exquisiten Geschmack haben wie du. Aber sag mal, warum… warum fanden denn die Berliner die Musik von denen so scheiße? Was du mir vorgespielt hast, ist doch echt gut? Konnten die Großstadtheinis uns Provinzler wohl nicht leiden!

Fan: Naja, es gab schon n paar Leute, denen gefiel die Musik echt gut. Zum Beispiel denen von der Spex.

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Sprecherin Spex, Musikzeitschrift. 1980 in Köln gegründet. In den 80er und 90er Jahren die führende deutsche Musikzeitschrift mit subkultureller Ausrichtung.

Fan: Naja, und die haben dann sogar n Interview mit denen gemacht nach diesem Festival. Und sind dafür extra nach Bad Salzuflen gefahren.

Mädchen: Und das war dann der Durchbruch?

Fan: Schön wärs. Die meisten von denen erinnern sich heute nicht mehr so gerne daran.

071 Bernadette La Hengst Weil ich mir gemerkt hab, wie wahnsinnig wichtig wir uns alle genommen haben. Und ich fand´s total prätentiös und ganz schlimm. Also auch ich, weil ich gemerkt habe, wie… wie ich gestrampelt habe, um vorzukommen, mit Worten, mit Wichtigkeit, mit Humor, mit Witzen.

072 Frank Spilker Damals habe ich das nicht so wahrgenommen, oder wenn ich es wahrgenommen habe, dann habe ich es sportlich gesehen oder so. Jetzt aber, im Nachhinein, 20 Jahre später, denkt man: Oh Gott, was sind das für Typen, die da wirklich um so eine Pole-Position kämpfen und mit was für einem Ehrgeiz sind die da am Start. Das war einem dann ziemlich unangenehm.

Musikakzent.

Mädchen: Klingt jetzt aber schon nicht mehr so ganz nach „Wir gegen den Rest der Welt“, was die da erzählen... Fan: Nee nee, stimmt, das waren im Grunde schon die ersten Risse.

31

073 Bernadette La Hengst Also, es ist ja dann in verschiedene Richtungen abgedriftet. Es war ja so, dass Frank und Jochen nach Hamburg gezogen sind und zusammen in eine Wohnung gezogen sind am Deich.

074 OT Bernd Begemann Ich hab sie ein paar Mal besucht und dann haben wir das weitergemacht. Uns Lieder vorgespielt und so weiter.

Musikakzent.

Szene 18 Die beiden schlürfen Kaffee.

Mädchen: Also, das war vor Blumfeld?

Fan: Genau, Die Bienenjäger hieß die Band von Jochen damals.

Mädchen: Klingt gut. Hast du das auf CD oder so?

Fan: Nee, das findest du nur auf Youtube. Die Sachen vor Blumfeld, die gibt’s nicht auf CD.

Mädchen: Klingt schon so´n bisschen wie Jochen Distelmeyer heute solo.

075 Bernd Begemann Ich glaub so, der Schlüsselaugenblick der Hamburger Schule ist, wie Jochen von Diedrich Diederichsen abgelehnt wird.

Sprecherin Diedrich Diederichsen. Kulturwissenschaftler, Kritiker, Essayist. In den 80er und 90er Jahren Chefredakteur und Mitherausgeber der Spex. Gilt als einer der führenden deutschen Poptheoretiker.

32

076 Bernd Begemann Man kann sich gar nicht vorstellen, wie zentralistisch die Musikszene war. Es gab ein paar bedeutende Gestalten. Zum Beispiel den Schriftsteller Diedrich Diederichsen, der so was wie die Losungen ausgab. Man musste die neueste Diedrich Diederichsen- Losung kennen, sonst war man ein Idiot. Man musste auch die Parolen lernen, man musste Worte benutzen wie z.B. Differenz. Wenn man das Wort Differenz nicht kannte oder benutzen konnte in einem Hauptsatz, war man offensichtlich ein gehirnamputierter Spießer. Er spielt Diedrich Diederichsen seine Bienenjäger-Songs vor und Diedrich Diederichsen findet das kitschig – ich weiß nicht genau, was seine Worte sind. Jochen wird also abgelehnt von dem großen Mann, von dem Diskursmeister.

077 Frank Spilker Ich weiß, dass er psychisch gelitten hat unter dieser Situation und quasi, also dass das so ein Wendepunkt war für ihn und dass er dann angefangen hat, komplett neu zu texten, also und Musik neu zu denken oder so. Ne, und das aber habe ich nicht mitbekommen über eine Diskussion mit ihm, sondern dadurch dass es aus dem Nachbarzimmer in die Küche drang.

078 Bernadette La Hengst Ich weiß aber schon, dass Jochen sich da – der hat damals Zivildienst gemacht - und sich da sehr aus dem Ausgehleben zurückgehalten hat oder zurückgezogen hat. Und ein Jahr lang wirklich genau überlegt hat, ich möchte jetzt meine eigene Sprache finden.

Musikakzent.

079 Bernd Begemann Und Jochen ist entschlossen, was zu machen, was nicht einfach so

33 abgetan werden kann. Und er schreibt dieses Lied „Von der Unmöglichkeit nein zu sagen ohne sich umzubringen“.

Musikakzent.

080 Marcus Wiebusch Auf Blumfeld als erstes aufmerksam geworden bin ich auf eine Textzeile, in einem Hamburger Plattenladen. Da lag nur das Cover und riesengroß eine Textzeile. Und die Textzeile war glaub ich: „Dich interessiert doch nicht das, was du erlebst, sondern nur das, wovon du erzählen kannst.“ Bumms. So eine geile Textzeile. Und dann darunter: „Von der Unmöglichkeit nein zu sagen ohne sich umzubringen“. Ich so, ey, was für eine geile Textzeile, kaufe ich mir sofort das Album.

081 OT Bernadette La Hengst Jochen und Frank, die dann Die Sterne und Blumfeld gegründet haben, die dann so die politische Brisanz der Stunde aufgegriffen haben, um dann eine sehr diskursive, neue Sprache zu erfinden. Beide. Also, die haben ja auch zusammen gewohnt und sich da sehr aneinander entwickelt oder aneinander gerieben und weiterentwickelt. Und daraus ist dann diese irgendwie von irgendjemandem so bezeichnete Hamburger Schule entstanden.

Sprecherin Hamburger Schule. Sammelbegriff für mehrere Bands, die in den späten 80er bis 90er Jahren die Entwicklung der deutschsprachigen Popmusik beeinflussten. Neben Blumfeld und den Sternen sind Tocotronic die bekannteste Hamburger-Schule-Band. Vor allem ihr Umgang mit der Deutschen Sprache war prägend, auch für spätere Bands wie Kettcar und Tomte, die gelegentlich als Hamburger-Schule- Nachfolger gesehen werden. Musikakzent.

34

Szene 19

Fan: Tja. Eben noch hier um die Ecke in diesem Studio am Waldrand zusammen rumgejammt – und schon eine neue Musikrichtung namens „Hamburger Schule“ erfunden.

Mädchen: Ja, krass.

Fan: Ich find das schon ziemlich beeindruckend. Und wahrscheinlich konnte das alles nur genau so entstehen, weil die halt alle miteinander befreundet waren und für ne gewisse Zeit alle so eng aufeinander gehockt haben.

Mädchen: Ja ja, das klingt so. Auch echt Wahnsinn, dass hier in Bad Salzuflen wirklich keiner davon weiß. Aber ey: wenn die da alle von früher erzählen, dann fehlt doch eigentlich immer der Jochen Distelmeyer. Warum eigentlich? Fan: Ja ja. Das geht schon seit Jahren so. Der will von der ganzen Zeit leider nix mehr wissen. Der schweigt.

082 Bernd Begemann Oooch, typisch. Geheimnisvoll. Ja, er hat immer noch den Regenmantel an.

083 Frank Spilker Ich glaube, dass er damit nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Dass er sich zu einem gewissen Zeitpunkt für sich entschieden hat, dass das Teil der Vergangenheit ist und mit seiner jetzigen künstlerischen Existenz vor allen Dingen nichts mehr zu tun hat.

084 Bernd Begemann Deshalb wollte er auch, dass die alten Fastweltweit-Aufnahmen von ihm nicht so zur Verfügung stehen unbedingt.

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Seine ganze Haltung sagt: die Zeit wo ich rumgesucht hab, ist nicht wichtig. Wichtig ist, was ich gefunden hab.

085 Bernadette La Hengst Jochen war auch sehr beeinflusst oder sehr inspiriert von Bernd. Auch von seiner Art zu reden. Und das floss auch so ein bisschen in seinen Gesang ein. Ich glaube auch so ein bisschen, dass Jochen deswegen die alten, seine alten Fastweltweit-Songs nicht mehr so gerne mag, weil er diesen Einfluss so extrem hört. Und weil er sich erst später davon losgelöst hat.

086 Bernd Begemann Ich finds schade! Ich fänds toll, wenn alles, was wir gemacht haben, draußen im Sonnenlicht klar zu besichtigen wäre. Das fände ich schön, auch weil es mir selbst Klarheit gibt. Ich red gern über die Zeit. Ich red auch mit Jochen über die Zeit. Wir… Manchmal… Einmal im Jahr muss ich Jochen sehen und ihn sprechen, das ist wichtig für mich aus irgendeinem Grund. Ich möchte mich... Es gibt mir was, das ich nicht beschreiben kann. Es gibt jedem Menschen was, mit seiner Geschichte in Kontakt zu sein. Und für ihn ist es vielleicht wichtiger, was Neues zu definieren für sich, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es für ihn ein Weg, vorwärts zu schreiten. Vielleicht sieht er das irgendwann mal anders.

Szene 20

Fan: Tja, Ende der Story. Wenn auch kein besonders glückliches, hm?

Mädchen: Ja, wieso? Die sind doch noch alle befreundet. Nur halt nicht mehr in diesem Kaff gefangen. Ich find das gut.

Fan: Ja, aber mittlerweile leben die alle so übers Land verstreut. Weißte: Bernd, Frank und Jochen in Hamburg, Bernadette in Berlin, die

36 anderen hier in der Gegend. Irgendwie traurig, wenn so Freundschaften zu Ende gehen...

087 Frank SpiIker Aber das ist logisch, weil sich die Biografien unterschiedlich entwickelt haben, also, wir haben ja auch nur - glaube - ein Jahr da zusammen gewohnt - also Jochen und ich.

088 Bernadette La Hengst Das war ein bisschen wie die Loslösung vom Elternhaus. Also, aus diesen ewigen Diskussionen und Hinterfragungen, warum macht man etwas, warum hast du diesen Song so geschrieben, warum hast du den so aufgenommen, hättest du es nicht anders...usw. Das war sehr inspirierend, aber halt auch kontrollierend auf eine Art. Und ich glaube, das hat auch dazu geführt, dass nachher so ein extremer Bruch da war.

089 Frank Spilker So eine Situation, wo ich gemerkt habe, da ist ganz viel Ehrgeiz im Spiel, so, und dass dieses zunächst behauptete "gemeinsam irgendwas machen" plötzlich zu Ende ist, wo es darum geht, in dieser Szene Fuß zu fassen, ja, diese Hamburger Szene oder beziehungsweise diesen Sprung zu machen zur überregionalen Wahrnehmung eben. Das habe ich sehr deutlich in Erinnerung, dass da Ellbogen eingesetzt wurden...

090 Bernadette La Hengst Hier komm jetzt ICH und das ist jetzt mein Platz. Und ich muss mich von dir abgrenzen, weil du bist nicht auf meiner Seite.

091 Frank Werner Also, das war für mich irgendwann… 1993, ab da war quasi Fast Weltweit, also der Gedanke, so gemeinsam was zu machen oder so beendet.

37 Musikakzent. Szene 21

Fan: Mann, ist ja schon voll spät! Ich verpass meinen Zug!

Mädchen: Ach, du fährst heute noch zurück?

Fan: Also ich hab eigentlich Uni morgen. Und deshalb...

Mädchen: Was, was… Was ist denn aus dem Mann mit den Haferflocken geworden?

Fan: Frank Werner? Der lebt immer noch hier. Der arbeitet jetzt als IT-Spezialist, hab ich gelesen. Und er betreibt so ein bisschen das Archiv, weißt du, also der sammelt alles über die Zeit auf seiner Homepage. Ich frag mich manchmal, ob der wohl irgendwie enttäuscht ist...

Mädchen: Wieso, der wohnt doch freiwillig hier. Also warum sollte der enttäuscht sein?

Fan: Naja, weil alle Freunde von früher rausgezogen sind und so zumindest halbwegs, ja, Popstars geworden sind. Nur er nicht.

092 Frank Werner Das sind halt meine Freunde. Also, wenn ich jetzt Michael am Telefon hab oder Frank, dann sind das ja Freunde von mir. Das heißt, ich hab jetzt nicht das Gefühl, die sind verloren gegangen in den Großstädten, das nicht. Der Kontakt ist über die Jahre immer da geblieben. Also sei es zu Andreas Henning, der in Bielefeld wohnt oder sei es zu Frank Spilker, der in Hamburg wohnt.

093 Bernadette La Hengst Also, mit Bernd telefoniere ich zweimal im Jahr, einmal im Jahr. Mit Michael Girke ungefähr so oft. Frank Spilker habe ich eine Zeitlang oft gesehen in Hamburg. Andreas Henning habe ich ewig nicht gesehen. Achim Knorr habe ich auch sehr lange nicht gesehen, ist

38 leider kein Kontakt mehr. Und Frank Werner sehe ich ab und zu auch, wenn ich in Bad Salzuflen bin, den besuch ich dann.

094 Frank Spilker Zu vielen Leuten hab ich leider keinen Kontakt mehr. Also, vor allem die, deren Wege sich schon vor 20 Jahren quasi getrennt haben. Es gibt einen Haufen sozialer Beziehungen, von denen man weiß, dass sie leiden, wenn man sich räumlich entfernt. Das schon, ich glaube auch, dass viele auch deshalb solche Ambitionen woanders hinzugehen auch durchaus mal begraben.

095 OT Frank Werner In der Zeit hab ich vielleicht gedacht, meine Güte, jetzt veränder ich die Welt. Aber im Nachhinein hat sich meine Welt verändert. Musikakzent.

Szene 22 Landstraße.

Mädchen: Du willst also wirklich schon fahren?

Fan: Naja, ich muss. Oder meinst Du, ich muss mir den Kurpark unbedingt noch angucken? Mädchen: Und Schwäne füttern? Nee, aber so schlimm war's ja nun auch nicht, oder?

Fan: Wenn man sich hier wohlfühlt, ist das ja ok. Aber ich kann auch schon verstehen, dass die meisten von denen aus dem Kaff raus wollten. Dahin wo´s erstmal fremd ist und riesig und überwältigend. (Ein Bus hält.) Ich muss jetzt wirklich los.

Mädchen: Weißt du was? – Ich komm mit. Musikakzent.

39

096 Frank Spilker Ich weiß nicht, ich glaube, das ist immer noch so wenn ich die Leute sehe von damals, da ist eine besondere Verbindung so, man teilt eine Geschichte. Also wenn ich Bernadette treffe oder so, auch wenn wir auch nicht mehr viel miteinander zu tun haben mehr, weiß man, dass man irgendwie aus demselben Nest kommt und so, und also richtig vorbei ist das eigentlich nie.

097 Bernd Begemann Nein, das ist nie vorbei. Das ist eigentlich mehr denn je.

Musikakzent.

Sprecherin Bad Salzuflen weltweit. Die Geburt des Diskurspop aus dem Geiste der Kurtaxe. Ein Feature von Heiko Behr und Christian Möller. Mit Frank Spilker, Bernadette La Hengst, Marcus Wiebusch, Bernd Begemann, Frank Werner und Christoph Jacke. Es sprachen: Fabian Busch, Natalie Rudziewicz und Inga Busch. Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch, Mechthild Austermann und Thomas Kupilas. Regieassistenz: Gerrit Booms Regie: Susanne Krings. Redaktion: Natalie Szallies. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks Köln, 2012.

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