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Deutschlandfunk

Dossier

Red: Karin Beindorff

Sdg. 1. Februar 2008

Der Bluff des Rächers

Das Rätsel um den Mord am ‚Henker von Riga’ in Uruguay

Von Gaby Weber

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 Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -

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O-Ton Take: "Un dia me llega una comunicación ... otero1 - 59´´ + otero3

Sprecher 1:

Man teilte mir mit, daß die Leiche eines Kriegsverbrechers in einem Anwesen im Badeort Shangrilá, etwa zwanzig Kilometer von Montevideo entfernt, liege. Es folgte eine Adresse. Wir hatten schon zwei Wochen vorher einen ähnlichen Hinweis, aber mit einer anderen Adresse erhalten. Nun fuhren wir nach Shangrilá und fanden das verdächtige Haus sofort.

Erzählerin:

Alejandro Otero ist Kriminalkommissar in Uruguay. Am 6. März 1965 erfuhr er, daß im Bonner Büro der Nachrichtenagentur Reuters ein Bekennerschreiben eingegangen sei. „Die, die niemals vergessen können“ nannten sich die Unterzeichner . Man habe, hieß es darin, in Uruguay den Letten Herbert Cukurs für seine Morde an 30.000 Juden hingerichtet.

Ansage:

Der Bluff des Rächers

Das Rätsel um den Mord am ‚Henker von Riga’ in Uruguay

Ein Feature von Gaby Weber

Erzählerin:

Am Tatort waren Türen und Fenster verschlossen, erinnert sich der Ermittler.

O-Ton Take: "Miro por sus ventanas ... otero4 - 30´´

Sprecher 1:

Man konnte weder durch die hinteren noch die vorderen Fenster ins Innere des Hauses blicken. Wir mußten mit einer Brechstange eine Jalousie anheben, um durch einen Spalt ins Wohnzimmer zu schauen. Was ich sah, war erschreckend: Das ganze Zimmer voller Blut.

Erzählerin: 3

Neben der Leiche lag ein Auszug aus dem Plädoyer des britischen Anklägers in den Nürnberger Prozessen, in denen nach 1945 die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit geahndet werden sollten. Dieser Auszug sei ein Beweis gegen den in Shangrilá hingerichteten Judenmörder – behaupteten am nächsten Tag viele Schlagzeilen. Fünf Jahre nach der Festnahme Adolf Eichmanns, spekulierte die Presse, sei auch hier der israelische Geheimdienst Mossad am Werk gewesen. Die Regierung in Tel Aviv hüllte sich in Schweigen.

Akzent

Erzählerin:

Erst zwanzig Jahre später verkündete beim Auschwitz-Tribunal in Jerusalem der Chef des Mossad, Isser Harel, der selbst aus Lettland stammte, daß die Exekution von Cukurs die letzte Sühne-Aktion des Geheimdienstes gegen Nazi-Verbrecher in Südamerika gewesen sei. Das war 1985. Und weitere zwölf Jahre vergingen, bis der israelische Keter-Verlag ein Buch mit dem Titel „Der Tod des Henkers von Riga“ herausgab, in dem die Hinrichtung Cukurs´ detailliert beschrieben wird. Die Autoren behaupten, mit dieser Aktion die Debatte des deutschen Bundestages über die Verjährungsfristen von Naziverbrechen beeinflusst zu haben. Weder die deutsche Regierung noch das Parlament haben protestiert. Journalisten und Historiker übernahmen ungeprüft die Darstellung aus der Geheimdienstküche. Der „Tod des Henkers von Riga“ wurde ins Deutsche und Lettische übersetzt und weltweit als ein „wichtiges historisches Dokument“ gepriesen. Vor vier Jahren erschien das Buch auch auf englisch, mit einem Vorwort des Generals Meir Amit, zu dieser Zeit Chef des Mossad.

Zitator :

„Der Staat Israel hatte entschieden, die führenden Kriegsverbrecher zu eliminieren. Dies war eine gezielte, selektive und effiziente Eliminierung. Einer der prominentesten war Herbert Cukurs, der verheerende Verbrechen an lettischen Juden begangen und sich dem Zugriff der Alliierten entzogen hatte. Wir haben ein faszinierendes Buch vor uns, basierend auf realen Tatsachen, ein klassischer Fall, in dem die Wahrheit fremder erscheint als die Fiktion.“

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Akzent

Erzählerin:

Der Autor dieses angeblich auf ‚realen Tatsachen’ beruhenden Buches nennt sich „Anton Künzle“ und hatte die Hinrichtung geleitet. Beim Schreiben habe ihm der Journalist Gad Shimron geholfen, der selbst zehn Jahre lang beim Mossad tätig war.

„Künzle“ ist ein Pseudonym, er soll, so steht es im Klappentext, 1919 in Deutschland geboren worden und später nach Palästina ausgewandert sein. Dort habe er in den Reihen der Hagana, der jüdischen Untergrundtruppe zu Zeiten des britischen Palästina- Mandats, und später des Auslandsgeheimdienstes Mossad gekämpft.

Zitator:

„Ich hatte schon viele heikle Situationen überstanden, Sondereinsätze der Hagana. Kugelhagel, explodierende Mörser, Panzerabwehrgranaten. Die Operation Cukurs war in mancher Hinsicht außergewöhnlich. Ich arbeitete allein in der Fremde, verstand die Sprache kaum. Dieser sadistische Massenmörder wußte, welches Schicksal er verdiente. Ich erinnere mich an keinen einzigen Fehler, keinen Moment des Zögerns oder der Unsicherheit. Und ich spürte kein einziges Mal Angst. Wenn meine Enkel mich eines Tages fragen, „Opa worauf bist du am meisten stolz“, dann erzähle ich von meinem Anteil an der schwierigen Operation zur Begleichung einer Rechnung mit dem Henker von Riga“.

Erzählerin:

Die Geheimniskrämerei um den Tod Herbert Cukurs weckt den Verdacht, hinter dieser Mord-Operation stecke etwas anderes als ein moralisch begründetes Rachemotiv.

Meine Recherchen führten mich auch nach Riga. Dort leitet Margers Vestermanis das jüdische Museum.

O-Ton Vesterm.: 5

"Es ist wirklich eine Schande, und ich sprech das in den Mikrophon hinein, es ist traurig zu sagen, ja, dass der Mossad so schlecht arbeitet. So primitiv, wenigstens was das Buch betrifft: der Tod des Henkers von Riga". Vesterm11+13 - ´´

Akzent

Erzählerin:

In Uruguay leitete Alejandro Otero von Anfang an die Mord-Ermittlungen. Heute ist er pensioniert, erinnert sich aber noch an jedes Detail. Am Tatort stank es unerträglich, erzählt er mir, die Leiche hatte dort schon zwei Wochen bei sommerlichen Temperaturen gelegen. Der Tote lag in einer Truhe und daneben der Auszug aus dem Gerichtsplädoyer des britischen Anklägers in Nürnberg. Das Blatt befindet sich in den Ermittlungsakten. Darin wird das Vorgehen von Heinrich Himmlers „Aktionskommandos“ beschrieben. Von Cukurs oder Lettland ist gar nicht die Rede.

Das Bundeskriminalamt schickte Otero das Bekennerschreiben, das sog. „Todesurteil“. Cukurs soll , so wird da behauptet, Anführer einer lettischen Faschistentruppe namens Perkonkrust – auf deutsch Donnerkreuz – gewesen sein.

Zitator:

„Wegen seiner nachweislichen persönlichen Verantwortung für den Tod von 30.000 Männern, Frauen und Kindern, haben wir beschlossen, über Herbert Cukurs das Todesurteil zu sprechen“.

Erzählerin:

Kommissar Otero setzte sich mit der Familie des Toten in Verbindung.

O-Ton "Cuando viene el familiar ... otero7 - 12´´

Sprecher 1:

Aus São Paulo reiste sein Sohn Gunnars an, der seinen Vater bereits vermißt hatte. Er identifizierte den Toten.

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Erzählerin:

Sein Vater habe seit 1946 legal in Brasilien gelebt und seit Anfang der fünfziger Jahre habe die jüdische Gemeinde Vorwürfe gegen ihn erhoben, gab Gunnars zu Protokoll. Später, im Laufe meiner Recherchen habe auch ich mich mit ihm getroffen:

O-Ton: „Un nazista, criminoso ... gcukurs7 – 16´´

Sprecher 2

Sie führten eine Kampagne gegen ihn, beschuldigten ihn als „Nazi“ und „Kriegsverbrecher“, der in 16 Fällen in den Nürnberger Prozessen für schuldig befunden und verantwortlich für 30.000 Morde gewesen sein soll.

Erzählerin:

Nichts davon sei wahr gewesen, sagt Gunnars Cukurs und irgendwann sei die Kampagne eingeschlafen – bis ein „Anton Künzle“ in São Paulo auftauchte und seinem Vater einen Geschäftsvorschlag unterbreitet hätte. Er lud ihn nach Uruguay ein und hinterließ 160 Dollar für den Flug von São Paulo nach Montevideo. Offensichtlich war dies eine Falle. Kommissar Otero fand heraus, daß Künzle und seine Mittäter fließend deutsch und spanisch mit argentinischem Akzent gesprochen hatten.

Mindestens fünf junge Männer, so hatten Nachbarn beobachtet, hätten sich im dem Haus in Shangrilá aufgehalten.

O-Ton : "No era un hecho ... otero12 - 47´´

Sprecher 1:

Sie hatten es nicht darauf abgesehen, ihn hinzurichten. Dann hätten sie ihn einfach erschießen können, entweder in Brasilien bei den Vorgesprächen oder beim Betreten des Hauses in Shangrilá. Sie haben ihn unter einem Vorwand nach Uruguay gelockt, um ihn von hier lebendig weg zu bringen. Cukurs war trotz seines Alters ein sehr kräftiger Mann. Er wollte wohl lieber sterben, als gefangen zu werden. Die Angreifer scheiterten an seiner Kraft und der Kampf endete mit seinem Tod.

Erzählerin: 7

Daß fünf junge Männer einen 64-Jährigen nicht bezwingen konnten, spricht nicht für geheimdienstliche Professionalität. Hat der Mossad vielleicht deshalb den Tod von Cukurs als geplante Hinrichtung dargestellt, frage ich Kommissar Otero:

O-Ton "El baúl ... otero5 - 36´´

Sprecher 1:

Der Leichnam lag in einer riesigen Truhe aus massivem Holz. Sie hatte vorne und an der Seite Luftlöcher. Wir fanden das Geschäft, in dem die Täter sie gekauft hatten. Sie hatte robuste Metallschlösser und dicke Gurte, die neben der Truhe lagen.

Erzählerin :

Die Gurte sollten vermutlich verhindern, daß die Truhe von innen zu öffnen war.

O-Ton: "Varios vecinos aportaron .... otero10 - 32´´

Sprecher 1:

Mehrere Nachbarn hatten beobachtet, daß am Tattag ein grosses Schiff in der Bucht von Shangrilá geankert hatte. Es wartete dort 48 Stunden. Das war noch nie vorgekommen, weil es in dieser Gegend verboten ist. Ich habe in den Registern nach dem Schiff gesucht, aber es war nirgends vermerkt.

Erzählerin:

Otero vermutet, daß das Schiff den Entführten aufnehmen und wegbringen sollte.

O-Ton "Que sufrí presiones ... otero9 - 59´´

Sprecher 1:

Ich muß das ganz klar sagen: es wurde Druck auf mich ausgeübt. Ob dieser Druck von Geheimdiensten oder von mit ihnen verbundenen Personen ausging, kann ich nicht sagen. Aber DRUCK wurde auf mich ausgeübt. Man wollte, daß ich nur die Leiche am Tatort als Herbert Cukurs identifiziere. Die Täter wollten sich in der ganzen Welt als 8

Rächer darstellen, die einen Kriegsverbrecher seiner gerechten Strafe zugeführt hatten. Aber ich begann, sorgfältig zu ermitteln.

Erzählerin:

Kommissar Otero überprüfte nun Grenzübergänge und Flughäfen. Und er fuhr nach São Paulo, zur Familie des Toten. Von ihr erfuhr er, daß der Mann, der sich Anton Künzle nannte und der Cukurs nach Uruguay gelockt hatte, dort ein Auto gemietet hatte.

O-Ton: "Voy al centro automobilista ... otero8 - 43´´

Sprecher 1:

Künzle brauchte einen internationalen Führerschein und beantragte ihn beim brasilianischen Automobilklub. Dafür brauchte er zwei Paßfotos. Das im Automobilklub verbliebene Foto wurde mir ausgehändigt und damit hatte ich das Bild des Täters. Ich wollte es über Interpol zur internationalen Fahndung ausschreiben lassen, aber man teilte mir offiziell mit, daß es sich bei der Ermordung von Cukurs um eine politische Straftat handle, und in solchen Fällen werde Interpol nicht aktiv.

Erzählerin:

Die Ermittlungen des Kommissars mussten im Sande verlaufen. Warum das offenbar politisch gewollt war, konnte nie geklärt werden.

Akzent

Erzählerin:

Wieder in Riga. Margers Vestermanis, der Direktor des jüdischen Museums, hat die Judenverfolgung in Lettland in den 40er Jahren und auch den Fall Cukurs dokumentiert. Das Buch „Der Henker von Riga“ habe nichts mit der historischen Wahrheit zu tun, sagt er heute. Cukurs sei zwar Mitglied im Erschiessungs-Kommando von Viktor Arajs gewesen, aber er sei nicht für die Ermordung von 30.000 Juden verantwortlich.

O-Ton Vestermanis: 9

"Der größte Teil, der hier geschrieben wurde, ist einfach totaler Unsinn. Der Viktor Arajs war ein armer Schlucker, aber niemals im Perkonkrust. Die Geschichte des Perkonkrust ist sehr gut bekannt, was der Celmins, der wäre empört gewesen, wenn ein unbekannter Polizei.. Hilfspolizeibeamter ihm jetzt plötzlich diesen Rang abstreiten will". Vesterm12 - 8´´

Erzählerin:

Frei erfunden seien die Ausführungen über den Perkonkrust, zu deutsch Donnerkreuz. Die Geschichte dieser nationalistischen, paramilitärischen Truppe um Gustav Celmins ist eingehend beschrieben worden:

O-Ton Vestermanis:

"Er hat sich niemals dort konkret betätigt. In der Geschichte des Perkonkrust figuriert der Cukurs niemals. Es ist seine Geschichte geschrieben worden, von Gustav Celmins. Der hat niemals behauptet daß Arajs oder Cukurs Mitglieder, aktive oder passive Mitglieder des Perkonkrust gewesen sind". Vesterm19 - 19´´

Erzählerin:

Die Unterlagen der deutschen Besatzung Lettlands befinden sich im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Auch darin ist Cukurs nicht erwähnt, weder in den Beständen zu Perkonkrust, noch in der Akten des sog. Reichskommissars Ostland und des Reichssicherheitshauptamtes.

Der Perkonkrust war während der ersten lettischen Republik unter Karlis Ulmanis entstanden, einem autoritären Herrscher.

O-Ton Vestermanis:

"Das ist ein ethnokratisches Regime, Lettland den Letten hiess die Parole, aber kein offener Antisemitismus. Auch die antisemitische Arbeiterpartei wird verboten, alle. Auch die Bauernpartei des Diktators". Vesterm7 - 14´´

Erzählerin: 10

Etwa 80.000 Juden lebten damals in Lettland, fünf Prozent der Bevölkerung. Unter Ulmanis ging es ihnen verhältnismäßig gut, im Vergleich zur Ära davor, als Lettland noch unter russischer Verwaltung gestanden hatte. Sie durften Grund und Boden erwerben und ihre Berufe frei wählen. Stimmung gegen sie machte der Perkonkrust mit seinen 6.000 Mitgliedern. Sie riefen „Kampf Heil“ mit dem Faschistengruß und waren gegen alle Ausländer. Ihre Parole hieß „Schlagt die Juden und die Deutschen“!

O-Ton Vestermanis:

"Der Perkonkrust war illegal. War verboten worden. Alle Leute aus dem Perkonkrust wurden verhaftet und saßen bei Ulmanis im Gefängnis, bis zum Einmarsch der Roten Armee, die sie aus Versehen aus dem Zentralgefängnis befreit hat, die Perkonkrust- Leute, als Opfer des Regimes von Ulmanis. Und später wars zu spät, sie wieder einzusammeln."

Vesterm9 - 25´´

Erzählerin:

1940 annektierte die Rote Armee das Baltikum. Und in dieser Zeit kam es erstmals zu Kontakten zwischen Perkonkrust und der Deutschen Abwehr – gegen den gemeinsamen Feind, ‚den Bolschewismus’ . Aber Cukurs war nie ein Widerstandskämpfer, sagt Vestermanis, sondern ein Draufgänger und Abenteurer, der das Risiko liebte, gerne reiste und gut leben wollte. In seiner Jugend war er Sozialist, bis er als „Linksabweichler“ ausgeschlossen wurde. Und er wollte hoch hinaus. Und das war für ihn nur beim Militär möglich:

O-Ton Vestermanis:

"Bekannt als lettischer Flieger, er hat sich am lettischen Freiheitskampf beteiligt, wurde zum Flieger ausgebildet. Er hat es bis zum Oberleutnant gebracht, und wurde wegen disziplinären Verstößen - es hieß sogar, die mit der Ehre eines lettischen Offiziers nicht in Einklang gebracht werden können - aus der Armee entlassen. Und hat sich dann in dieser Zeit mit allem möglichen durchgeschlagen und war so etwas wie ein Taxichauffeur. Und das Taxifahren, das war natürlich eine schreckliche Demütigung". Vesterm5 - 34´´

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Erzählerin:

Auf dem Flohmarkt kaufte er sich einen alten Citroen-Motor und baute ihn in ein verschrottetes Flugzeug ein.

O-Ton Vestermanis

"Er hat ja bestimmt einen hellen Kopf gehabt und gute Hände, und hat aus ausrangierten Flugzeugen aus dem ersten Weltkrieg, die auf dem Lausemarkt zu erstehen waren, ein Flugzeug gebastelt". Vesterm6 - 12´´

Erzählerin:

Cukurs wollte mit diesem selbstgebastelten Gefährt bis nach Afrika, nach Gambia, fliegen. Die Zeitungen Lettlands finanzierten sein Abenteuer und von allen Stationen kabelte er Berichte nach Riga. Dann wurde er Sonderkorrespondent im Abessinienkrieg und in Japan. Böse Zungen behaupteten, dass seine Reiseberichte in den Redaktionen anhand von telegraphischen Stichworten verfaßt worden waren. Trotzdem wurde Cukurs ein Medienereignis, ein Nationalheld, und die lettische Luftwaffe nahm den populären Flieger wieder in ihre Reihen auf und beförderte ihn zum Hauptmann.

Akzent

Erzählerin:

Sogar nach Palästina reiste er - 1938, erinnert sich sein Sohn Gunnars. Die jüdische Gemeinde sei damals in zwei Lager gespalten gewesen, in Zionisten, die die Werbetrommel für die Auswanderung nach Palästina rührten und in Nicht-Zionisten, die ihre Rechte als lettische Staatsbürger verteidigten. Es trafen zunehmend alarmierende Berichte ein, daß das Leben der Ausgewanderten in Palästina alles andere als rosig sei.

O-Ton Gunnars: „Meu pai foi ... gcukurs4 – 57´´

Sprecher 2:

Mein Vater war jahrelang Reisekorrespondent und als solcher in Lettland berühmt. Und eines Tages suchte ihn die jüdische Gemeinde Rigas auf und bat ihn, nach Palästina zu fahren. „Sie sind der Einzige, dem wir diese Reise zutrauen und dem wir vertrauen“, 12 sagten sie. Er sollte ihnen berichten, wie dort die Situation war. Er sollte die Kibbuzim besuchen und sehen, wie die jüdischen Auswanderer lebten. Schon vor der Reise übte man Druck auf ihn aus, die Zionisten waren für die Auswanderung und wollten nur Gutes hören. Und die anderen waren besorgt.

Erzählerin:

Und tatsächlich fuhr sein Vater mit seinem Auto in den Nahen Osten.

O-Ton Gunnars „Voltaron pra Letonia ... gcukurs5 – 22´´

Sprecher 2:

Nach seiner Rückkehr hielt er in Riga eine Pressekonferenz ab und zeigte vor der versammelten jüdischen Gemeinde seine Photos und Berichte. Er nahm kein Blatt vor den Mund, sondern schilderte die Realität, wie sie war.

Erzählerin:

Die Palästinareise ist auch im jüdischen Museum dokumentiert. Als Antisemit war Cukurs nicht bekannt, meint Vestermanis. Er habe eher versucht, aus allen Situationen das beste für sich herauszuschlagen. Auch wenn er sich später als überzeugter Anti-Kommunist darstellte: unter der sowjetischen Besatzung Lettlands arrangierte er sich mit den Russen. Am 9. April 41 fuhr er nach Moskau und bot sich der sowjetischen Luftwaffe an. Mit welchen Behörden er in der Sowjetunion noch Kontakt hatte, wurde nie bekannt.

Erzählerin

Am 16. April fuhr er auf sein Landgut nach Lettland zurück und erlebte dort den Einmarsch der Deutschen . Viele verdächtigten ihn wegen seiner Moskau- Reise als russischen Spion, und die Situation sei für ihn gefährlich geworden, meint Vestermanis. Vermutlich um den neuen Machthabern seine Loyalität zu beweisen, schloß sich Herbert Cukurs dem Sonderkommando Arajs an.

Es waren diese lettischen Freiwilligenverbände, die die Judenpogrome der ersten Julitage des Jahres 1941 angestiftet und inszeniert hatten. Die Deutschen lösten diese Verbände sofort auf und unterstellten sie als Hilfspolizisten ihrer Verwaltung. Einen Rang im Nazi 13

Apparat besaß Cukurs nie, er war Arajs´Chauffeur. Und der stand bei der Hetze gegen die Juden an vorderster Front.

Akzent

Erzählerin:

Der Massenmord an den lettischen Juden geschah in mehreren Großaktionen. Die erste Mordwelle begann wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen durch lettische Faschistenverbände. Bei der zweiten, Ende 41, erschossen die Deutschen 25.000 Ghettobewohner im Wald. Aus dem Deutschen Reich waren Transporte mit jüdischen Menschen nach Riga unterwegs, man brauchte Platz im Ghetto:

O-Ton Vestermanis:

"Und damit ist zu erklären, daß man anstelle der erschossenen lettischen Juden die deutschen Juden hier angesiedelt hat. 11.000. Dieses Ghetto bestand formell bis zum 3. November 1943. Da gab es große Mordaktionen, die sog. Dünemündeaktion, mit nicht weniger als 2500 Opfern." Abblenden Vesterm3 - 23´´

Erzählerin:

Vestermanis mußte die Leichen aufsammeln, die nicht in den Gruben, sondern auf dem Weg in den Wald erschossen worden waren.

O-Ton Vestermanis:

"Bei dieser ersten Aktion tauchte zum ersten Mal im Ghetto ein gewisser bekannter lettischer Sportflieger und Nationalheld, Herbert Cukurs auf. Der zu dieser Zeit beim Exekutionskommando Arajs eine schwer zu definierende Funktion hatte. Also der Arajs war ja bloß Polizeileutnant, der Cukurs war Hauptmann, er hatte keine Kommandofunktionen, er war kein Kommandeur einer Einheit. Er hat immer den Arajs begleitet, als Fahrer, er soll auch zuständig gewesen sein, angeblich, für die Garage." Vesterm1 - 40´´

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Erzählerin:

Herbert Cukurs Mitgliedschaft beim Arajs-Kommando ist bewiesen. Daß diese Truppe schwere Verbrechen beging - Erschießungen, Folterungen, Synagogen anzündete - ist ebenfalls belegt. Ob und wie Cukurs an diesen Taten direkt beteiligt war, kann dagegen heute nicht mehr nachgewiesen werden. Mit Sicherheit trifft ihn eine Mitverantwortung, ob eine strafrechtlich relevante Schuld, ist offen. Margers Vestermanis kennt die Unterlagen, die für und gegen Cukurs sprechen. Für ihn haben zwei jüdischen Frauen ausgesagt. Eine Ella Medalje, geborene Guttmann, sei ihrer Erschießung entgangen, weil sie sich als „Arierin“ ausgegeben hatte. Cukurs habe sie ins Stabsquartier Waldemarstraße gefahren und sie nicht verraten, obwohl er wußte, daß sie Jüdin war. Und später erklärte eine Miriam Keitzner in Brasilien, daß Cukurs sie auf seinem Bauernhof versteckt hatte.

Bei den Exekutionen im November 41 sei Cukurs aber dabeigewesen, sagt Vestermanis:

O-Ton Vestermanis:

"Es gibt schriftliche, sehr glaubwürdige Aussagen, die ich auch beschwören könnte, daß der Cukurs auch unter denen war, die blind in die Masse gefeuert hat". Vesterm2 - 10´´

Erzählerin:

Befohlen und organisiert wurden die Massaker von der deutschen SS. Drei Personen waren die Hauptverantwortlichen:

Zitator:

SS-Obergruppenführer , der aus der Ukraine gekommen war, wo er sich bei der Ermordung der Juden Kiews hervorgetan hatte.

SS-Hauptsturmführer und Kommandant des Rigaer Ghettos, Eduard Roschmann, der als „Schlächter von Riga“ berüchtigt wurde.

Und Viktor Arajs, der lettische Anführer des Sonderkommandos.

Erzählerin: 15

Herbert Cukurs ging im Stabsquartier in der Waldemarstraße 19 ein und aus. In dem ehemals jüdischen Bankhaus hatte auch Arajs sein Hauptquartier aufgeschlagen, seine Autos wurden dort repariert, wofür Cukurs zuständig war. Im Keller wurden Häftlinge gefoltert, Juden und Partisanen. Im dritten Stock war der Perkonkrust untergebracht. Doch schon nach einem Monat überwarfen sich diese lettischen Faschisten mit den Deutschen und wurden erneut verboten.

Akzent

Erzählerin:

Das Buch „Der Tod des Henkers von Riga“ zitiert acht Zeugenaussagen von überlebenden Gefangenen der Waldemarstraße. Sie sind vor jüdischen Organisationen abgelegt worden. Die Originale befinden sich im Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, Kopien im jüdischen Museum in Riga. Daß diese Zeugen Opfer schlimmster Demütigungen waren, steht außer Frage. Dennoch: manches in diesen Aussagen sei ungenau, manches sogar falsch, meint Vestermanis. Daß darin Cukurs als Mitglied des Perkonkrust bezeichnet wird, beweise gar nichts. Die Zeugen seien gefoltert worden und traumatisiert gewesen und hätten die Gegenseite kaum differenziert und nach Parteizugehörigkeit unterscheiden können.

O-Ton Vestermanis

"Was man ihm konkret nachweisen kann, und dafür haben wir eine ganze Reihe von glaubwürdigen Zeugen, die leider in den Mossad-Dokumenten nicht auftauchen, die behaupten, dass sie ihn erstens dort gesehen haben, dass sie ihn gesehen haben bei Misshandlungen. Da ist da ein Ingenieur Ritthoff, sehr glaubwürdig, da ist da ein junger Mann Schapiro usw.". vesterm16 - 24´´

Erzählerin:

Abraham Shapiro erklärte im Dezember 1948 vor dem „Zentralkomitee der befreiten Juden“ in München, daß Herbert Cukurs die Wohnung seines Vaters bezogen hätte. Dort habe er auch jüdische Mädchen sexuell mißbraucht. Shapiro gab zu Protokoll, daß er mit eigenen Augen gesehen habe, wie Cukurs einen Juden erschoß. 16

Auffallend sei aber, sagt Vestermanis, daß sowohl bei sowjetischen als auch bei lettischen Dienststellen nichts Belastendes gegen Cukurs vorliege. Die Sowjetunion habe nach dem Krieg wegen der nationalsozialistischen Massaker im Baltikum einen großen Kriegsverbrecherprozeß anstrengen wollen und verhörte deshalb Tausende:

O-Ton Vestermanis:

"Nach dem Kriege wurden nach und nach 365 Mitglieder des Erschießungskommandos, also Kollegen von Herbert Cukurs, vom KGB verurteilt. Diese Unterlagen befinden sich hier in Riga. Die Prozesse. Das erstaunliche ist, daß er von seinen Mitschuldigen, also von seinen Leuten des Schießkommandos, verhältnismäßig selten belastet wird". Vesterm15´´

Erzählerin:

Dabei wäre es für diese 365 Beschuldigten einfach gewesen, alle Schuld auf den untergetauchten Arajs und seinen Adjutanten Cukurs zu schieben, der sich ins ferne Südamerika abgesetzt hatte.

O-Ton Vestermanis:

"Weil Moskau seinerzeit in den sechziger Jahren Material gesammelt hatte für einen Prozeß gegen Cukurs. Das ist der Grund, warum man in den hiesigen lettländischen Archiven für seine verbrecherische Tätigkeit praktisch so gut wie nichts gefunden hat. Und das ist manchmal direkt zu sehen, dass aus den Akten da etwas rausgeholt worden ist. Manchmal ist da ein Zettelchen drin, vom Offizier des KGB zu operativen Zwecken konfisziert. Das kann man ja an der Blätterzahl sehen. Da fehlen plötzlich, Blatt soundso. Das wirklich belastende Material befindet sich in Moskau. Seinerzeit zielstrebig und zielbewußt gesammelt." Vesterm14 - 50´´

Erzählerin:

Aber warum dieses „belastende Material“ – sofern es existiert - niemals nach Riga gelangte, sondern bis heute unter Verschluß gehalten wird, dies findet auch Vestermanis 17

„merkwürdig “. Ist Cukurs - vielleicht bei seinem Besuch in Moskau im April 1941 – als Spion angeheuert worden?

Akzent

Erzählerin:

Im Buch über den angeblichen „ Henker von Riga“ wird ein sowjetischer Auslieferungsantrag an die brasilianische Regierung erwähnt. Doch ein solcher Antrag hat niemals existiert. Weder die Sowjetunion noch Israel haben jemals die Auslieferung Cukurs beantragt – teilte mir die brasilianische Botschaft in auf meine Anfrage mit. Auf einer 1960 in Israel veröffentlichten Liste mit den Namen der gesuchten Kriegsverbrecher tauchte Herbert Cukurs auch nicht auf.

Gunnars Cukurs, der Sohn, meint, daß der Zeuge Shapiro, der heute in den USA lebt, seine Aussagen widerrufen habe.

Gunnars ist heute 77 Jahre alt und lebt im Süden von São Paulo, wo er einst mit seinem Vater an Flugzeugen und Booten gebastelt hat. An die Judenverfolgung in Lettland kann er sich nicht erinnern. Beim Einmarsch der Deutschen war er zehn Jahre alt.

Der Sohn glaubt nicht, daß sein Vater eine aktive Rolle bei den Verbrechen gespielt hat. Daß er Chauffeur und rechte Hand von Viktor Arajs war, des Chefs des Exekutionskommandos, bestreitet er aber nicht. Auf meine Frage, ob sein Vater in dieser Position überhaupt die Möglichkeit hatte, an den Verbrechen nicht teilzunehmen, antwortet er: „Es war Krieg“. Daß die Juden, Frauen und Kinder, keine kriegführende Partei waren, weiß er natürlich.

Sein Vater habe Frau und Kinder Ende 1943 nach Deutschland geschickt, um sie in Sicherheit zu bringen. Er selbst blieb in Riga zurück.

O-Ton Gunnars „Tudo com choro, com lagrima ... gcukurs1 – 33´´

Sprecher 2:

Wir weinten beim Abschied, denn wir wußten nicht, ob wir unseren Vater jemals lebend wiedersehen würden. Er trug eine Uniform und wollte Lettland gegen die Russen verteidigen, die auf dem Vormarsch waren. Es stand noch eine wichtige Schlacht bevor. 18

Als die Niederlage besiegelt war, flüchteten viele der auf der deutschen Seite Kämpfenden nach Schweden.

Erzählerin:

Im August 1944 hatte die Rote Armee Riga eingeschlossen. Wer konnte, flüchtete auf dem Seeweg nach Schweden und nahm Hab und Gut mit sich. Auch Cukurs war in den letzten Kriegstagen bei solchen Transporten dabei. Das geht aus seinem Schreiben an den US-amerikanischen Konsul in Brasilien hervor, das sich in den uruguayischen Ermittlungsakten befindet. Wahrscheinlich überquerte der geübte Flieger die Ostsee mit dem Flugzeug. Wen und vor allem was er mit sich führte und in Schweden ablieferte – darüber gibt es nur Spekulationen.

Erzählerin:

Die meisten der 1944 nach Schweden Geflüchteten sind nach dem Krieg an die Sowjetunion ausgeliefert worden. Aber was mit den Wertgegenständen, die sie auf ihrer Flucht mitgenommen hatten, passiert ist, wurde nie bekannt.

Akzent

Erzählerin:

Sein Vater , erinnert sich Gunnars, erschien m August 44 bei der Familie, die in Stettin gelandet war. Er hatte eine Begleiterin dabei, Miriam Keitzner, eine junge Jüdin, die er in Riga auf seinem Hof versteckt hatte. Von Stettin aus zog die Familie dann in die Nähe des Flugplatzes Rangsdorf bei Berlin. Gunnars kramt in alten Papieren und findet noch eine Gehaltsbescheinigung über 384 Reichsmark.

O-Ton Gunnars : „meu pai trabalhaba durante ... gcukurs2 – 19´´

Sprecher 2:

Mein Vater arbeitete als Konstrukteur bei den Flugzeugwerken Bücker und entwickelte neue Projekte. Er hatte auch einen guten Kontakt zum Fabrikbesitzer Bücker.

19

Erzählerin:

Carl Clemens Bücker hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als der Versailler Vertrag den Aufbau einer Luftwaffe verbot, nach Schweden abgesetzt. Er beriet die schwedische Marine und seine Firma - Svenska Aero – baute in Lizenz Heinkelflugzeuge nach. 1933 kam er nach Berlin zurück und gründete seine Bücker GmbH, Miteigentümer war der NS- Staat.

Cukurs verließ die Bücker-Werke kurz bevor die Rote Armee Berlin einnahm und zog mit seiner Frau und den Kindern Richtung Westen. Auch Mirjam Keitzner blieb bei ihnen. Bei Kassel, erinnert sich Gunnars, nahmen sie die Amerikaner gefangen.

O-Ton Gunnars „Ahi a Miriam foi ... gcukurs3 – 32´´

Sprecher 2

Mirjam unterhielt sich lange mit dem amerikanischen Offizier, der zufällig auch Jude war. Da gegen uns nichts vorlag, erhielt mein Vater nach drei Tagen von der amerikanischen Militärregierung die Genehmigung, unsere Reise nach Frankreich fortzusetzen.

Erzählerin:

Auch die französischen Behörden machten keine Probleme, erlaubten sogar, daß er sein Auto nach Frankreich einführte. Und schließlich kam man in Marseilles an. Von dort aus ging die Reise nach Brasilien, ein Land, dem sein Vater eine große Zukunft prophezeite. 1946 landete die Familie in Rio de Janeiro Sein Vater wollte wieder Flugzeuge bauen und freundete sich mit brasilianischen Militärs an.

Erzählerin:

Doch kurz darauf beschuldigte die jüdische Gemeinde in Rio Herbert Cukurs als Kriegsverbrecher. Das begann, so Gunnars, um 1950. Die Fäden, so behauptet er, habe die brasilianische kommunistische Partei gezogen. Die Wogen hätten sich wieder geglättet, aber sein Vater wollte nun weg.

O-Ton Gunnars; „El estaba ... gcukurs6 – 12´´

Sprecher 2: 20

Mein Vater hatte genug von Brasilien und sagte: lasst uns in die USA gehen. Er erkundigte sich im US-Konsulat nach den Möglichkeiten der Auswanderung.

Erzählerin:

In den USA störte man sich bekanntlich an der Nazi-Vergangenheit mancher gut qualifizierter Techniker wenig. Man war über die Bewerbung erfreut, sagt Gunnars und zeigt einen Brief der US-Botschaft vom Dezember 54. Doch zum Umzug in die USA kam es dann doch nicht.

1956 siedelte Herbert Cukurs nach São Paulo über. Sein jüngster Sohn Richard war gerade geboren worden, und damit war sein Aufenthalt gesichert. Denn der Amazonasstaat liefert grundsätzlich keine Personen aus, deren Kinder in Brasilien geboren sind. Cukurs bastelte in einem Schuppen am Stausee im Süden der Metropole mit seinen Söhnen weiter an neuen Gerätschaften, darunter an einem Mini-Uboot für zivile und militärische Zwecke.

Akzent

Erzählerin:

Auch nach eingehender Beschäftigung mit Cukurs Lebenslauf bleibt die Frage: was waren die Motive für seine Ermordung oder für seine Entführung? Wollte man Informationen von ihm erpressen? Vielleicht über das, was in den letzten Kriegstagen in Lettland passiert war, bevor die Rote Armee den Kessel um Riga schloß? War er am Fortschaffen von Finanzmitteln beteiligt? Finanzmitteln der Gemeinschaftsbank Ostland, die mit dem Flugzeug nach Schweden gebracht und dort auf der Wallenberg-Bank deponiert worden sind? War Herbert Cukurs damals als Pilot beteiligt?

O-Ton Vestermanis:

"Wissen Sie, ich befand mich im KZ, ich stand nicht dabei, wie man das Geld da weg ... Aber ich denke, wenn man auch die Archive ausgeräumt hat, es bestand ja der Plan ALZ, der Räumungsplan, von Rosenberg. Und da sind keine Aktiva geblieben. Die hatten ja Zeit genug." Vesterm17 - 19´´

21

Erzählerin:

Im August 44 war die deutsche Niederlage absehbar. Viele Nazis flüchteten über die Ostsee nach Göteborg, und Cukurs hatte an diesen Fluchtbewegungen teilgenommen, wie er seinen Kindern später erzählte. Dem US-Konsul in Rio bestätigte er, daß er noch in letzter Minute „die deutschen Kräfte mit Waffen versorgt“ und – so wörtlich – nach Danzig ganze „Einheiten in Sicherheit brachte“. Dieser Brief liegt in Akten der uruguayischen Polizei.

Auch die im Rigaer Ghetto zurückgebliebenen Juden wurden bis August 44 auf dem Seeweg nach Danzig, und von dort in das Vernichtungslager Stutthoff gebracht. Dienten sie als Schutzschild, um Beutegut aus dem Baltikum in Sicherheit zu bringen?

Mehrere Zeugen haben ausgesagt, dass Herbert Cukurs bei seinem Weggang aus Riga einen großen Wagen mit Anhänger mit sich führte - vollgepackt mit Wertgegenständen.. Am 8. September 1944 traf Cukurs in Berlin ein und wurde Angestellter der Bücker- Flugzeugwerke. Vom Rangsdorfer Flugplatz aus gab es noch bis Kriegsende Linienflüge nach Stockholm.

Akzent:

Erzählerin:

Die „Gemeinschaftsbank Ostland“ war nach der deutschen Besetzung des Baltikums durch die Zusammenlegung der Notenbanken Lettlands, Litauens, Estlands und Weissrutheniens entstanden. Es ging, so heißt es in den Akten des deutschen Reichskommissars für das Ostland, um „die Angleichung an das Kassensystem des Reiches“.

Bei der Ostbank landeten die Steuereinnahmen aus den besetzten Gebieten sowie die Erlöse aus dem Verkauf des sog. „jüdischen, herrenlosen und staatsfeindlichen“ Besitzes. Das „Judenvermögen“, wie es genannt wurde, bildete einen „erheblichen Teil des Wirtschaftsvermögens der früheren Freistaaten“, heißt es in einem Schreiben von Gauleiter an den ‚Führer Adolf Hitler’.

Mit diesem Geld finanzierten die Nazis ihre Kriegsmaschinerie. Der Reichskommissar Ostland:

Zitator: 22

"Die flüssigen Mittel der Hauptfinanzkasse der landeseigenen Verwaltung Lettland, welche bei meiner Hauptkasse verwahrt werden, betragen nach dem Stande vom 18. Februar 44: 84.120.000 Reichsmark. Ich beabsichtige, sechzig Millionen von den Verwahrungen abzubuchen und als weitere Abschlagszahlung auf den Kriegsbeitrag des Generalbezirks Lettland in meinem Haushalt zu vereinnahmen.“

Erzählerin:

Was mit diesen 84 Millionen Reichsmark – und dazu vermutlich noch Devisen- und Goldreserven – passiert ist, ist in den Akten des Bundesarchivs nicht vermerkt. Das letzte Blatt des Ordners trägt das Datum vom 19. März 1944. Danach erfährt man noch, daß Mitte Juli für die Abteilung „Personal und Finanzen“ eine „Ausweichstelle im Reich“ geschaffen werden soll. Und am 8. September funkt das Ostministerium in Berlin an den Reichskommissar in Riga:

Zitator:

"Bei der Bergung von Wirtschaftsgütern hat der Gauleiter mit den zuständigen obersten Reichsbehörden Fühlung zu halten (...) und die Generalkommissare sind angewiesen, mir unmittelbar laufend über die Durchführung der Maßnahmen des Gauleiters zu berichten. (Alfred) Rosenberg."

Erzählerin:

Die Sicherstellung des Nazischatzes aus dem Baltikum war also höchste Chefsache, bei der der NS-Minister Rosenberg persönlich die Fäden zog. Das Vermögen mußte in ein neutrales Land geschafft werden. Die Schweiz war zu weit weg. Schweden war offiziell neutral, pflegte aber auch enge Kontakte zu den Nazis.

Mehrere schwedische Untersuchungs-Kommissionen wollten das dunkle Kapitel der Kollaboration mit dem sog. Dritten Reich aufklären. Auch die Firmen der Wallenbergs wurde unter die Lupe genommen. Diese Familie ist vor allem durch Raoul Wallenberg bekannt: der Diplomat, der in Budapest tausende Juden vor der Deportation rettete. Aber andere Mitglieder der Familie arbeiteten mit den Nazis zusammen und belieferten sie mit Rüstungsgütern. Ihre Enskilda Bank beteiligte sich nachweislich an der Geldwäsche für Nazideutschland, und die schwedische Zentralbank kaufte Gold aus Deutschland, das 23 vermutlich von Holocaustopfern stammt. Nummernkonten existierten bei der Wallenberg- Bank nicht, aber geheime Buchstaben-Konten.

Den Untersuchungskommissionen wurde Einsicht in diese Konten vorenthalten. Unklar ist also, ob auf den Namen Rosenberg oder eines anderen hohen NS-Führers ein Buchstabenkonto angelegt wurde, auf das Beutevermögen aus dem Baltikum eingezahlt wurde. Von der Familie Wallenberg war kein Kommentar zu erhalten.

Die schwedische Regierung hat nach Ende des Kriegs die geflüchteten SS-Offiziere an die Sowjetunion ausgeliefert. Unklar ist bis heute, ob sie auch Beutegut zurückgegeben und ob Israel davon einen Anteil bekommen hat.

Akzent

Erzählerin:

Nur wenige der für die Massaker an den lettischen Juden Verantwortlichen wurden zur Rechenschaft gezogen: Die Sowjets verurteilten den SS-Obergruppenführer Jeckeln als Kriegsverbrecher und hängten ihn in Riga auf. Aber der frühere SS-Kommandant des Rigaer Ghettos, Eduard Roschmann, zog nach Argentinien und bewegte sich dort ungehindert. Seiner Auslieferung entzog er sich durch Flucht nach , wo er an Herzversagen starb.

Viktor Arajs, der Anführer des Erschießungskommandos, geriet in britische Kriegsgefangenschaft. Die Militärregierung setzte ihn schon bald auf freien Fuß, übergab ihre Akten der deutschen Justiz und stellte Arajs als Fahrer an. Sie ließ ihn sogar nach London fahren, wo er von der lettischen Exilregierung einen falschen Paß erhielt. Arajs wurde erst 1975 in Frankfurt verhaftet und vom Landgericht wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 13.000 Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt.

Akzent

Erzählerin:

Der Mord an Herbert Cukurs wird bis heute als eine Mossad-Aktion dargestellt, die das Ziel hatte, Gerechtigkeit herzustellen und einen Massenmörder zu bestrafen. Selbst die Encyclopaedia Britannica übernahm diese Version. Die Familie des Ermordeten 24 protestierte und forderte sie zur Unterlassung auf. Er wollte Dokumente vorlegen, erinnert sich der Sohn Gunnars.

O-Ton Gunnars „A Britanica respondeu ... gcukurs9 – 10´´

Sprecher 2:

Die Britannica antwortete uns, daß sie sich bei ihrer Darstellung auf seriöse Zeitungsberichte stütze. Und wir hatten für ein Gerichtsverfahren kein Geld.

Erzählerin:

Der israelische Geheimdienst Mossad hat sich zum Thema Cukurs nicht mehr geäußert. Auf meine Anfrage antwortete aber der Bleicher-Verlag, der die deutsche Ausgabe des Buches „Der Tod des Henkers von Riga“ herausgebracht hat. Er teilte mir per Email mit:

Zitator:

„Wir haben auch keine näheren Informationen über das Pseudonym Anton Künzle. Nach unseren Informationen wird der Autor vom Verfassungsschutz geschützt“.

Erzählerin:

Man habe mit ihm keinen Vertrag abgeschlossen und zahle auch nicht für Autorenrechte. Ob der Verlag für die Veröffentlichung Geld erhalten hat und ob der Vertrag mit der israelischen Regierung oder einem Geheimdienst abgeschlossen wurde, beantwortete er nicht. Auch nicht, ob und wie sich der Verlag dagegen geschützt hat, für Geschichtsfälschung mißbraucht zu werden. Im Übrigen seien die Rechte an der deutschen Ausgabe inzwischen an den Giessener Psychosozialverlag übergegangen. Und der schrieb mir:

Zitator:

„Die Fragen, ob, wie und zwischen wem Verträge abgeschlossen wurden, betreffen Interna, die wir nicht nach Außen geben. Wir bitten hierfür um Verständnis“.

25

Erzählerin:

Ein wenig auskunftsfreudiger war der Co-Autor Künzles, der langjährige Mossad-Agent Gad Shimron. Er hat inzwischen Karriere bei der israelischen Tageszeitung Ma’ariv gemacht und unterhält, schrieb er mir in einer Email, „keinen Kontakt mehr zum Mossad“.

Zitator:

„Ich kenne Mister Kuenzle seit vielen Jahren. Und ich vertraue jedem Wort in seinem Bericht (über die Operation“.

Erzählerin:

Einen Kontakt zu ‚Künzle’ mochte er nicht herstellen.

Zitator :

„Er ist Ende achtzig. Und ich bedauere sehr, aber ist von der „alten Schule“ und möchte seine wahre Identität nicht offenlegen.“

Erzählerin:

Warum er nicht in lettischen, deutschen, sowjetischen und us-amerikanischen Archiven geforscht habe, wollte er nicht beantworten. Daß Israel nie einen Auslieferungsantrag an Brasilien gestellt habe, erklärte er damit, daß der Staat „dringendere“ Probleme zu lösen hatte. Nur sporadisch sei versucht worden, gesuchte Naziverbrecher wie Cukurs „aufzuspüren“. Wie er dazu komme, Cukurs als Mitglied des faschistischen „Perkonkrust“ und verantwortlich für 30.000 Morde darzustellen – diese Frage überging der Journalist. Aber er wies darauf hin, daß „gewisse Kreise in Riga“ den Mann wieder als Nationalisten feiern und ihm ein „Persilschein“ ausgestellt haben. Und das trifft tatsächlich zu.

Akzent

Erzählerin:

Im Lichte des Anti-Bolschewismus werden die deutschen Verbrechen in Lettland kleingeredet. Vor kurzem konnte ein bekannter lettischer Rechtsanwalt ein Buch mit dem 26

Titel „Schaffott“ veröffentlichen. Er nennt das Verfahren gegen den SS- Obergruppenführer und zehntausendfachen Massenmörder Friedrich Jeckeln einen „Schauprozeß“ und stellt ihn als Opfer der sowjetischen Justiz dar.

Und in Riga gab es eine Ausstellung über den ’Nationalhelden’ Herbert Cukurs, in der seine Arbeit im Arajs-Kommando als ganz harmlos dargestellt wurde.

Absage:

Der Bluff des Rächers

Das Rätsel um den Mord am ‚Henker von Riga’ in Uruguay

Ein Feature von Gaby Weber

Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2008

Es sprachen: Gabriele Blum, Karlheinz Tafel, Ernst-August Schepmann und Hendrik Stickan.

Ton und Technik: Hans-Martin Renz und Jürgen Hille

Regie und Redaktion: Karin Beindorff