Plenarprotokoll 5/100

Sächsischer Landtag

100. Sitzung 5. Wahlperiode

Beginn: 10:01 Uhr Mittwoch, 9. Juli 2014, Plenarsaal Schluss: 22:40 Uhr

Inhaltsverzeichnis

0 Eröffnung 10489 2. Aktuelle Debatte Die Irrtümer der schwarz-gelben Geburtstagsglückwünsche für den Wirtschaftspolitik Abg. Martin Modschiedler, CDU 10489 Antrag der Fraktion DIE LINKE 10524

Bestätigung der Tagesordnung 10489 Enrico Stange, DIE LINKE 10524 Frank Heidan, CDU 10525 Petra Köpping, SPD 10526 Torsten Herbst, FDP 10527 1 Regierungserklärung zum Thema: Michael Weichert, GRÜNE 10528 „Auf solidem Fundament erfolgreich Enrico Stange, DIE LINKE 10529 für Sachsens Zukunft“ 10489 Alexander Krauß, CDU 10530 Stanislaw Tillich, Ministerpräsident 10489 Sven Morlok, Staatsminister für Rico Gebhardt, DIE LINKE 10497 Wirtschaft, Arbeit und Verkehr 10530 Steffen Flath, CDU 10501 Martin Dulig, SPD 10503 3 2. Lesung des Entwurfs Holger Zastrow, FDP 10506 Gesetz zur Errichtung des Unab- Antje Hermenau, GRÜNE 10508 hängigen Landesbüros für Bürger- Holger Szymanski, NPD 10511 anliegen des Freistaates Sachsen Jens Michel, CDU 10513 Drucksache 5/13585, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE 2 Aktuelle Stunde Drucksache 5/14720, Beschluss- 1. Aktuelle Debatte empfehlung des Verfassungs-, Für leistungsfähige Feuerwehren in Rechts- und Europaausschusses 10532 Sachsen – Professionalität stärken, Klaus Bartl, DIE LINKE 10532 Ehrenamt unterstützen Svend-Gunnar Kirmes, CDU 10534 Antrag der Fraktionen Klaus Bartl, DIE LINKE 10535 der CDU und der FDP 10515 Svend-Gunnar Kirmes, CDU 10535 Jan Löffler, CDU 10515 Holger Mann, SPD 10535 Benjamin Karabinski, FDP 10516 Carsten Biesok, FDP 10536 Rico Gebhardt, DIE LINKE 10517 Klaus Bartl, DIE LINKE 10536 Jan Löffler, CDU 10518 Carsten Biesok, FDP 10536 Rico Gebhardt, DIE LINKE 10518 Eva Jähnigen, GRÜNE 10537 Sabine Friedel, SPD 10518 Carsten Biesok, FDP 10538 Eva Jähnigen, GRÜNE 10519 Eva Jähnigen, GRÜNE 10538 Andreas Storr, NPD 10520 Anja Jonas, FDP 10538 Christian Hartmann, CDU 10521 Eva Jähnigen, GRÜNE 10538 Markus Ulbig, Staatsminister des Klaus Bartl, DIE LINKE 10539 Innern 10522 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Dr. Jürgen Martens, Staatsminister Erklärung zu Protokoll 10556 der Justiz und für Europa 10539 Hanka Kliese, SPD 10556 Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/14800 10540 Abstimmung und Ablehnung 10540 6 Abschlussbericht sowie abweichende Berichte (Band I und II) zu Abstimmungen und Ablehnungen 10541 Drucksache 5/8497, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 54 Abs. 1 der Verfassung des 4 2. Lesung des Entwurfs Freistaates Sachsen zum Thema: Gesetz zur Verbesserung der „Untersuchung möglicher Versäum- Aufarbeitung der SED-Diktatur nisse und etwaigen Fehlverhaltens im Freistaat Sachsen der Staatsregierung und der ihrer Drucksache 5/13914, Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht Gesetzentwurf der Fraktion unterliegenden Sicherheits-, Justiz-, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kommunal- und sonstigen Behörden Drucksache 5/14721, Beschluss- im Freistaat Sachsen beim Umgang empfehlung des Verfassungs-, mit der als ‚Terrorzelle Nationalsozi- Rechts- und Europaausschusses 10541 alistischer Untergrund (NSU)‘ bezeichneten neonazistischen Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 10541 Terrorgruppe, deren personell- Marko Schiemann, CDU 10543 organisatorischem Umfeld und Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, etwaigen Unterstützernetzwerken, DIE LINKE 10544 insbesondere im Hinblick auf ihre Hanka Kliese, SPD 10545 Entstehung, Entwicklung und ihr Carsten Biesok, FDP 10546 Agieren in bzw. von Sachsen aus Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 10547 sowie bei der Aufklärung, Verfol- Carsten Biesok, FDP 10548 gung und Verhinderung der Terror- Mario Löffler, NPD 10548 gruppe ‚NSU‘ und ggf. den mit ihr Dr. Jürgen Martens, Staatsminister verbundenen Netzwerken zurechen- der Justiz und für Europa 10549 baren Straftaten und der Schlussfol- Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 10550 gerungen hieraus (Neonazistische Änderungsantrag der Fraktion Terrornetzwerke in Sachsen)“ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/14688, Unterrichtung Drucksache 5/14802 10551 durch den 3. Untersuchungs- Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 10551 ausschuss der 5. Wahlperiode 10557 Abstimmung und Ablehnung 10551 Patrick Schreiber, CDU 10557 Abstimmungen und Ablehnungen Christian Hartmann, CDU 10559 Drucksache 5/13914 10551 Kerstin Köditz, DIE LINKE 10561 Sabine Friedel, SPD 10565 Carsten Biesok, FDP 10567 Miro Jennerjahn, GRÜNE 10570 5 2. Lesung des Entwurfs Arne Schimmer, NPD 10572 Sächsisches Ausführungsgesetz Kerstin Köditz, DIE LINKE 10575 zum Tiergesundheitsgesetz Arne Schimmer, NPD 10576 (SächsAGTierGesG) Markus Ulbig, Staatsminister Drucksache 5/14051, Gesetzentwurf des Innern 10576 der Staatsregierung Drucksache 5/14742, Beschluss- Entschließungsantrag der Fraktionen empfehlung des Ausschusses für DIE LINKE, der SPD und Soziales und Verbraucherschutz 10551 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sebastian Fischer, CDU 10551 Drucksache 5/14798 10577 Kathrin Kagelmann, DIE LINKE 10552 Miro Jennerjahn, GRÜNE 10577 Tino Günther, FDP 10553 Christian Hartmann, CDU 10578 Elke Herrmann, GRÜNE 10553 Abstimmungen und Ablehnungen 10578 Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz 10555 Abstimmungen und Annahme des Gesetzes 10555 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

7 Effektive und vernetzte Hilfe für Dagmar Neukirch, SPD 10604 traumatisierte Opfer ermöglichen! Christine Clauß, Staatsministerin für Drucksache 5/12677, Antrag der Soziales und Verbraucherschutz 10604 Fraktionen der CDU und der FDP 10579 Abstimmung und Ablehnung 10604 Geert Mackenroth, CDU 10579 Anja Jonas, FDP 10581 Heiderose Gläß, DIE LINKE 10581 10 Ermittlung des gesetzgeberischen Dagmar Neukirch, SPD 10582 Handlungsbedarfs zur Umsetzung Eva Jähnigen, GRÜNE 10583 der UN-Behindertenrechts- Christine Clauß, Staatsministerin für konvention im Freistaat Sachsen Soziales und Verbraucherschutz 10584 Drucksache 5/14034, Geert Mackenroth, CDU 10585 Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10605 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Elke Herrmann, GRÜNE 10605 Drucksache 5/14806 10585 Gernot Krasselt, CDU 10607 Abstimmung und Zustimmung 10585 Horst Wehner, DIE LINKE 10608 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 10609 Abstimmung und Zustimmung Gernot Krasselt, CDU 10609 Drucksache 5/12677 10585 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 10609 Kristin Schütz, FDP 10610 Gitta Schüßler, NPD 10611 8 Entwicklung des Hortes als Christine Clauß, Staatsministerin für Einrichtung der Kinder- und Soziales und Verbraucherschutz 10611 Jugendhilfe und Betreuung Elke Herrmann, GRÜNE 10612 nach § 16 SächsSchulG Drucksache 5/13728, Große Anfrage Abstimmung und Ablehnung 10612 der Fraktion DIE LINKE, und die Antwort der Staatsregierung 10586 11 Heimat statt Zuwanderung – Annekatrin Klepsch, DIE LINKE 10586 Grundlegende Reform des Asyl- Patrick Schreiber, CDU 10588 und Ausländerrechts statt Annekatrin Klepsch, DIE LINKE 10590 unkontrollierter Einwanderung Elke Herrmann, GRÜNE 10590 Drucksache 5/14724, Antrag der Patrick Schreiber, CDU 10591 Fraktion der NPD 10613 Dr. Eva-Maria Stange, SPD 10591 Kristin Schütz, FDP 10592 Arne Schimmer, NPD 10613 Annekathrin Giegengack, GRÜNE 10594 Carsten Biesok, FDP 10614 Mario Löffler, NPD 10594 Kerstin Köditz, DIE LINKE 10615 Annekatrin Klepsch, DIE LINKE 10595 Andreas Storr, NPD 10616 Brunhild Kurth, Staatsministerin Carsten Biesok, FDP 10617 für Kultus 10596 Arne Schimmer, NPD 10617 Entschließungsantrag der Fraktion Abstimmung und Ablehnung 10618 DIE LINKE, Drucksache 5/14811 10596 Annekatrin Klepsch, DIE LINKE 10596 12 Nachträgliche Genehmigungen Abstimmung und Ablehnung 10597 gemäß Artikel 96 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen zu über- und außerplanmäßigen 9 Landesinitiative Demenz Ausgaben und Verpflichtungen Drucksache 5/14539, Antrag der Drucksache 5/13894, Fraktion der SPD, mit Stellung- Unterrichtung durch das Sächsische nahme der Staatsregierung 10597 Staatsministerium der Finanzen Drucksache 5/14522, Beschluss- Dagmar Neukirch, SPD 10597 empfehlung des Haushalts- und Hannelore Dietzschold, CDU 10599 Finanzausschusses 10618 Horst Wehner, DIE LINKE 10600 Kristin Schütz, FDP 10601 Abstimmung und Zustimmung 10618 Elke Herrmann, GRÜNE 10602 Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz 10603 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

13 – Jahresbericht 2013, Band I 14 – Entlastung der Staatsregierung Haushaltsplan, Haushaltsvollzug gemäß § 114 Abs. 2 SäHO und Haushaltsrechnung, zu Haushalts- und Staatsverwaltung Vermögensrechnung 2011 Drucksache 5/13000, Drucksache 5/10957, Unterrichtung durch den Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof Staatsminister der Finanzen Drucksache 5/14717, – Jahresbericht 2013, Band 1 Beschlussempfehlung des Drucksache 5/13000, Haushalts- und Finanzausschusses Unterrichtung durch den – Jahresbericht 2013, Band II Sächsischen Rechnungshof Kommunalfinanzen, Ergebnisse der Drucksache 5/14719, überörtlichen Kommunalprüfung Beschlussempfehlung des Drucksache 5/13131, Haushalts- und Finanzausschusses 10626 Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof Abstimmung und Zustimmung 10626 Drucksache 5/14718, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses 10619 15 – Tätigkeitsbericht des Rates für Jan Löffler, CDU 10619 sorbische Angelegenheiten im Sebastian Scheel, DIE LINKE 10619 Freistaat Sachsen für das Jahr 2013 Mario Pecher, SPD 10619 Drucksache 5/14291, Unterrichtung Prof. Dr. Andreas Schmalfuß, FDP 10619 durch den Rat für sorbische Antje Hermenau, GRÜNE 10620 Angelegenheiten Arne Schimmer, NPD 10620 Drucksache 5/14690, Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Abstimmung und Zustimmung Wissenschaft und Hochschule, Drucksache 5/14717 10620 Kultur und Medien – Bericht der Sächsischen Abstimmung und Zustimmung Staatsregierung zur Lage des Drucksache 5/14718 10620 sorbischen Volkes Drucksache 5/14418, Unterrichtung durch die Sächsische Staatsregierung Erklärungen zu Protokoll 10620 Drucksache 5/14691, Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Jan Löffler, CDU 10620 Wissenschaft und Hochschule, Sebastian Scheel, DIE LINKE 10620 Kultur und Medien 10626 Mario Pecher, SPD 10621 Prof. Dr. Andreas Schmalfuß, FDP 10622 Marko Schiemann, CDU 10626 Antje Hermenau, GRÜNE 10623 Heiko Kosel, DIE LINKE 10627 Arne Schimmer, NPD 10623 Nico Tippelt, FDP 10627 Prof. Dr. Georg Unland, Staatsminister Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, der Finanzen 10625 Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst 10627 Abstimmung und Zustimmung Drucksache 5/14690 10627 Abstimmung und Zustimmung Drucksache 5/14691 10627

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Erklärungen zu Protokoll 10627 18 Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse zu Anträgen Marko Schiemann, CDU 10627 – Sammeldrucksache – Heiko Kosel, DIE LINKE 10628 Drucksache 5/14755 10633 Nico Tippelt, FDP 10630 Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, Zustimmung 10633 Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst 10631 19 Beschlussempfehlungen und 16 Entwurf des „Kooperations- Berichte zu Petitionen programms INTERREG Polen – – Sammeldrucksache – Sachsen“ sowie Entwurf des Drucksache 5/14756 10633 „Kooperationsprogramms Freistaat Sachsen – Tschechische Republik“ Vertagung des Tagesordnungspunktes 10633 für die Förderperiode 2014 – 2020 Drucksache 5/14653, Unterrichtung durch den Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft Drucksache 5/14722, Beschluss- Nächste Landtagssitzung 10633 empfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses 10632

Abstimmung und Zustimmung 10632

17 Wesentliche Ergebnisse der Prüfung der Haushalts- und Wirtschafts- führung der ARTE Deutschland TV GmbH, Baden-Baden, durch die Rechnungshöfe der Länder Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz Drucksache 5/14637, Unterrichtung durch die Sächsische Staatsregierung Drucksache 5/14692, Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien 10632

Abstimmung und Zustimmung 10633

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Eröffnung

(Beginn der Sitzung: 10:01 Uhr) Die Tagesordnung liegt Ihnen vor.

Präsident Dr. Matthias Rößler: Meine sehr verehrten Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 11 Damen und Herren! Ich eröffne die 100. Sitzung des folgende Redezeiten festgelegt: CDU 145 Minuten, DIE 5. Sächsischen Landtags. LINKE 101 Minuten, SPD 63 Minuten, FDP 63 Minuten, GRÜNE 55 Minuten, NPD 55 Minuten, Staatsregierung Zuerst darf ich ganz herzlich unserem Kollegen 99 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Modschiedler zum Geburtstag gratulieren. Staatsregierung können auf diese Tagesordnungspunkte je (Beifall) nach Bedarf verteilt werden. Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung Ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge zur oder entschuldigt: Herr Bandmann, Herr Hähnel, Frau Widerspruch gegen die Tagesordnung. – Die Tagesord- Nicolaus, Herr Heinz, Herr Dr. Müller, Herr Delle, Herr nung der 100. Sitzung ist damit bestätigt. Dr. Schuster. Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1 Regierungserklärung zum Thema: „Auf solidem Fundament erfolgreich für Sachsens Zukunft“

Ich gebe das Wort an unseren Ministerpräsidenten, Herrn auch für Sachsen eine große Herausforderung war. Am Stanislaw Tillich. Ende war es das Hochwasser 2013, das für uns alle erneut vor allem eine menschliche Prüfung war. Stanislaw Tillich, Ministerpräsident: Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr verehrte Damen und Herren Dennoch ist die Entwicklung, die der Freistaat Sachsen in Abgeordnete! „Gegenwärtig steht Sachsen vor neuen den vergangenen fünf Jahren genommen hat, eine sehr Herausforderungen. Der demografische Wandel, die gute. Dass Sachsen so gut dasteht, ist ein Riesenerfolg. wirtschaftliche Entwicklung und der finanzielle Rahmen Den lasse ich von niemandem kleinreden; denn dieser verlangen nach neuen Antworten. … Wir wollen Sachsen Erfolg lässt sich glasklar und mit nachprüfbaren Zahlen als leistungsfähiges, lebenswertes Land und als attraktive belegen. Heimat stärken. … Dafür brauchen wir eine starke Wirt- (Beifall bei der CDU, der FDP schaft, die wächst und neue Arbeitsplätze schafft. Wir und der Staatsregierung) brauchen mutige Unternehmer, engagierte Arbeitnehmer und eine Landesverwaltung, die sich als Partner und Aber vor allem auch deswegen nicht, weil es ein Erfolg Dienstleister versteht. Erst wirtschaftliches Wachstum der Menschen in diesem Freistaat Sachsen ist. ermöglicht ein starkes und solidarisches Sachsen.“ Meine Damen und Herren! Wer Sachsen schlechtredet, So steht es in der Präambel des Koalitionsvertrages. Das der redet schlecht von den Menschen in unserem Land, war die Zielsetzung der Koalition und der Sächsischen von ihren Talenten, ihren Anstrengungen, ihren Leistun- Staatsregierung für die 5. Legislatur des Sächsischen gen. Das wäre nicht nur falsch, sondern auch zutiefst Landtags. unfair. Das, meine Damen und Herren, hat unsere Arbeit in den (Beifall bei der CDU, der FDP vergangenen fünf Jahren bestimmt. Danach hat diese und der Staatsregierung) Koalition, danach hat die Staatsregierung gehandelt. Wir Für mich persönlich war noch ein drittes Ereignis von haben Wort gehalten. herausragender Bedeutung, das viel mit politischem (Beifall bei der CDU, der FDP Fairplay zu tun hat: die Verankerung der Schuldenbremse und der Staatsregierung) in der Landesverfassung. Auch das war eine große Kraft- anstrengung, und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Es waren fünf gute und erfolgreiche Jahre – für die Menschen in Sachsen, für Wirtschaft und Arbeitsplätze, Deshalb möchte ich mich bedanken: bei den Ministern für Bildung und Wissenschaft, für Haushalt und Finanzen, und Staatssekretären für die gute und erfolgreiche Zu- ja, für unseren Freistaat –, und das, obwohl zu Beginn und sammenarbeit; Herr Landtagspräsident, bei Ihnen und am Ende der Legislatur große Schwierigkeiten bestanden. Ihren Vizepräsidenten für die stets souveräne Leitung der Zu Beginn war es die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Plenarsitzungen; bei den Abgeordneten der Koalitions- fraktionen für die Begleitung und Unterstützung unserer 10489 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Regierungsarbeit; bei den Abgeordneten der demokrati- men bleibt, weil es eine gute Kinderbetreuung sowie gute schen Opposition für Ihre kritische und konstruktive Schulen und gute Hochschulen gibt. Begleitung; bei allen, die dazu beigetragen haben, dass Aber die Menschen wissen: Da geht noch was. Wir sich der Freistaat Sachsen auch in dieser Legislaturperio- können noch mehr erreichen. – In einem Satz: Die Men- de weiterentwickelt hat. schen sehen für sich und für Sachsen eine gute Perspekti- (Beifall bei der CDU, der FDP ve. und der Staatsregierung) Es ist doch kein Zufall, dass Sachsen unter den Ländern Von meinem Dank ausdrücklich ausnehmen möchte ich die höchste Kinderzahl je Frau hat und Dresden erneut die die Vertreter der NPD. Geburtenhauptstadt unter den Großstädten in Deutschland ist. (Jürgen Gansel, NPD: Das gereicht uns zur Ehre!) Es ist doch kein Zufall, dass in Sachsen die Erwerbsquote Sie, meine Damen und Herren, haben nichts, aber auch von Müttern die höchste ist. Das geht, weil wir wirklich gar nichts dazu beigetragen, was dem Wohlergehen gute Betreuungsmöglichkeiten für die Eltern in diesem Sachsens zugute käme. Lande anbieten. 47 % der Kinder unter drei Jahren und (Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, 96 % der Kinder über drei Jahren werden bei uns in Kitas der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung – betreut. 96 % der öffentlichen Schulen bieten Ganz- Arne Schimmer, NPD: Die Opposition ist tagsangebote an, die von über 70 % der Schüler in An- nicht dazu da, die Regierung zu unterstützen!) spruch genommen werden. Ich hoffe sehr, dass uns Ihre Anwesenheit in der nächsten Meine Damen und Herren, es ist auch kein Zufall, dass in Legislaturperiode erspart bleibt. Sachsen deutlich mehr als ein Drittel der Väter zwei Monate Elternzeit nimmt. Zum Vergleich: Deutschland- (Jürgen Gansel, NPD: Sorgen weit ist es nur jeder vierte. Es ist mir wichtig, dies noch- Sie sich lieber um die FDP!) mals ausdrücklich zu betonen, denn das macht die Wahl- Da können Sie auch als Plüschhase in den Schulen her- freiheit für die Eltern aus; und dazu trägt auch unser umhopsen – Sie werden nächstes Jahr nicht mehr dabei Landeserziehungsgeld bei, das fast schon ein Unikat in sein. Deutschland geworden ist. (Beifall bei der CDU, der FDP, den LINKEN, der (Beifall bei der CDU und der FDP) SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung) Deswegen ist es auch kein Zufall, dass Sachsen wieder Meine Damen und Herren! Ich sage das so deutlich, weil einen steten Zuzug erlebt, und zwar nicht nur durch alle extremistischen Umtriebe – vor allem die rechtsext- Studierende. Viele kommen zurück. Die Menschen remistischen – die weitere Entwicklung Sachsens beschä- kommen, und sie bleiben bei uns im Land. Wenn das so digen. Sie schaden dem Ruf dieses Landes. Sie schaden bleiben soll, dann muss man in Sachsen eben dafür dem Ruf der Menschen und ihrer Leistung in diesem sorgen, dass man hier gut leben kann. Dann müssen wir Land. dafür sorgen, dass die Menschen hier arbeiten können, dass die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeht und die (Beifall bei der CDU, der FDP Beschäftigung steigt. und der Staatsregierung) Wir waren dabei in den letzten Jahren sehr erfolgreich. Dieser Ruf steht eigentlich für etwas ganz anderes. Der Die Arbeitslosigkeit ist in dieser Legislaturperiode weiter schwäbische Chef eines großen deutschen Autobauers deutlich gesunken und befindet sich im Jahresschnitt auf sagte im Hinblick auf Sachsens gute Entwicklung einmal dem niedrigsten Stand seit 1990. Im Mai 2009 lag die zu mir: „Wir Schwaben fürchten uns so schnell vor Arbeitslosigkeit in Sachsen noch bei 13,3 %; im Ju- niemandem – außer vor den Sachsen.“ Er meinte damit ni 2014 waren es noch 8,5 %. Das ist ein Rückgang um die Tüchtigkeit und die Vigilanz der Menschen in diesem mehr als ein Drittel oder, in absoluten Zahlen ausge- Land, dem Land der Sachsen. Dieser Spruch ist für mich drückt, 100 000 Arbeitslose weniger in Sachsen oder eines der ganz großen Komplimente für Sachsen, vor 100 000 Menschen mehr in Lohn und Arbeit. So haben allem für die Menschen im Land. Arbeitnehmer und ihre Familien wieder eine neue Per- spektive in unserem Land. (Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung) (Beifall bei der CDU und der FDP) Es sind die Menschen in diesem Land, die angepackt Wichtig ist mir dabei auch zu betonen: Davon profitieren haben, die hart gearbeitet haben. Jetzt, nach 25 Jahren nicht nur junge Menschen in unserem Land, sondern auch Wiederaufbau, sagen sie, sagen wir selbstbewusst: Uns ältere. Darüber hinaus kann man auch an der Entwicklung geht es gut. des Einkommens sehen, wie sich in Sachsen die Situation Den Menschen in Sachsen geht es gut, weil immer mehr auf dem Arbeitsmarkt positiv für die Arbeitnehmer Menschen Arbeit haben, weil immer mehr vom Einkom- auswirkt. Im Schnitt ist das Jahresgehalt von 2009 zu

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2013 um gut 3 000 Euro gestiegen. Das zeigt: Den Men- schen Unternehmen oder KMU, betreiben permanent schen geht es zunehmend besser. eigene Forschung und Entwicklung. Sie haben von 2009 Deshalb, meine Damen und Herren, kommt es für mich bis 2012 – neuere Zahlen liegen mir leider nicht vor – die vor allem auf eines an: die Arbeitslosigkeit auch zukünftig Ausgaben für Forschung und Entwicklung um 25 % weiter zu senken, denn das ist die Grundlage für alles gesteigert. Das Ergebnis, das sich daraus ergibt, kann sich andere. Damit das gelingt, werden wir die Wirtschaft im sehen lassen. Bei den Unternehmen, die ihre Forschungs- Freistaat weiter unterstützen. Die Wirtschaft zu stärken ist und Entwicklungsausgaben gesteigert haben, ist der eine der vornehmsten Aufgaben der Staatsregierung – Umsatz um mehr als 50 % und der Export um mehr als nicht nur dieser, sondern auch der Staatsregierungen 75 % gestiegen. Das heißt, wir sind nicht allein nur zuvor. Werkbank, sondern wir haben eine Vielzahl von Unter- nehmen, die Champions sind und erfolgreich auf den Wir wissen aber auch, dass diese Erfolgsgeschichte seit Weltmärkten agieren. 1990 nur deswegen möglich war, weil wir in Sachsen einerseits an Traditionen angeknüpft haben, andererseits (Beifall bei der CDU und der FDP) aber auch neue Wege gegangen sind. Wir haben keinen Aber auch der Freistaat Sachsen investiert kontinuierlich. Nachbau West betrieben, wir gehen seit jeher den eige- Die Investitionsquote des sächsischen Haushalts lag in nen, den sächsischen Weg, und daran werden wir auch den letzten fünf Jahren zwischen 18 und 22 %. Ich will festhalten. das verdeutlichen: Unsere Investitionsquote von 2013 ist (Beifall bei der CDU und der FDP) doppelt so hoch wie der Durchschnitt der westdeutschen Länder. Jeder, der investiert, baut darauf, dass es sich Ich weiß, dass gute Traditionen allein nicht ausreichen. Es rechnet, öffentliche Hand wie Betriebe. Das ist für mich braucht immer wieder neue Impulse, es braucht eine gute der Ausdruck von gesundem Vertrauen in den Standort Idee oder ein Projekt, das den Anstoß zum Loslaufen gibt. Sachsen. Daraus wird oftmals auch ein Aufbruch. Deshalb hat die Dass es sich in Sachsen bestens wirtschaften lässt, zeigen Staatsregierung auch in dieser Legislaturperiode wieder auch einige andere wichtige Indikatoren. Das sächsische wichtige Impulse für eine weiter gute Entwicklung der BIP ist seit 2009 um 14 % auf mittlerweile 24 226 Euro je Wirtschaft gesetzt, und die Wirtschaft dankt es uns und Einwohner gestiegen. Es ist damit nominal das höchste vertraut uns mit Investitionen, nicht nur in Immobilien, sondern vor allem auch in Arbeitsplätze. der ostdeutschen Bundesländer. Die Ausfuhr im sächsi- schen Außenhandel ist seit 2009 um 61 % gestiegen, und Porsche baut den neuen „Macan“ in Leipzig und hat dafür die Konjunkturprognose für Sachsen liegt bei 1,9 % für 500 Millionen Euro investiert und 1 500 neue Arbeitsplät- dieses und bei 2,1 % für das nächste Jahr. ze geschaffen. BMW hat mit seinem I 3 das neueste Auto Diese Zahlen hätte sich angesichts der Finanz- und der deutschen Automobilgeschichte in Leipzig erfunden Wirtschaftskrise niemand zu Beginn der Legislaturperiode und in die Produktion überführt, dabei 400 Millio- vorstellen können. Auf den Freistaat Sachsen ist Verlass, nen Euro investiert und neue Arbeitsplätze geschaffen. meine Damen und Herren. Wir handeln und wir schaffen Der „Golf 7“ ist ein Sachse. Er wird in Zwickau gebaut, die besten Voraussetzungen, damit sich Unternehmen in und VW stellt gegenwärtig wieder neue Arbeitnehmer ein. diesem Land und damit letztlich Unternehmer und Ar- Die Advanced Technology Investment Company ATIC beitnehmer erfolgreich entwickeln können. aus Abu Dhabi hat seit 2009 allein am Standort Dresden von Globalfoundries mehr als 5 Milliarden Dollar inves- Meine Damen und Herren, damit es der sächsischen tiert. Wo andere sagen würden, diese Ergebnisse sind Wirtschaft weiterhin so gut geht, müssen wir weiterhin für super, sagen wir Sachsen: nicht schlecht. gute Rahmenbedingungen sorgen. Dazu gehören schnelle Aber nicht nur die ganz großen Investments sind es, die Genehmigungen, Investitionen in die Infrastruktur und die Unterstützung neuer Branchen wie der Elektromobilität. zählen. Es gibt auch andere, die wachsen. Ich frage: Wer hat sie auf dem Radar, die GK Software AG, ein im Xetra- Ein Beispiel ist die Erweiterung von „Partec“ in Görlitz. DAX notiertes Unternehmen in Schöneck im Vogtland Der neue Eigentümer aus Kobe in Japan investiert ge- oder Momox in Leipzig im alten Quelle-Versandcenter genwärtig 7,5 Millionen Euro am Standort Görlitz. Die mit mittlerweile 600 Mitarbeitern oder die Bavaria- erforderliche Baugenehmigung hatte dieses Unternehmen Kliniken in Kreischa? Als ich vor zwei Jahren das letzte innerhalb von drei Wochen. Mal dort war, waren es 1 300 Mitarbeiter; als ich vor Ein anderes Beispiel ist die Erfolgsgeschichte von DHL wenigen Wochen dort war, waren es 2 500 Mitarbeiter. am Flughafen Leipzig-Halle. Sie begann 2008 mit der Oder ich denke an „Sachsenmilch“ in Leppersdorf oder an Inbetriebnahme des Luftfrachtdrehkreuzes. Dahinter „Euroimmun“ Rennersdorf. Wer kennt diese Unterneh- steckt eine Investition von mehr als 300 Millionen Euro. men, die mittlerweile mehrere Hundert Beschäftigte und Heute ist der Flughafen Leipzig-Halle bei der Luftfracht insgesamt mehrere Tausend Beschäftigte haben und sehr die Nummer 2 in Deutschland hinter Frankfurt am Main, erfolgreich sind? vor Köln, vor Düsseldorf, vor Stuttgart, vor und Meine Damen und Herren, über 800 kleine und mittlere vor anderen Städten, die ich noch aufzählen könnte. Unternehmen, die sogenannten kleinen und mittelständi-

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Für mich bedeutet das: Wir in Sachsen suchen immer Ich habe aber auch klar und deutlich gesagt, wem wir die wieder neue Perspektiven und Herausforderungen, so wie Spitzenposition Sachsens in der Bildung verdanken, und auch beim „Schaufenster Elektromobilität“, das wir ich sage es hier ebenfalls ganz deutlich: Ich will, dass das gemeinsam mit Bayern umsetzen. Über 100 Partner auch so bleibt. arbeiten an rund 40 Projekten. Dafür stehen 130 Millio- Die Staatsregierung hat in den vergangenen Monaten und nen Euro von Bund, Land und Wirtschaft zur Verfügung. Jahren gehandelt, in den letzten zwei Jahren zahlreiche Es kommt also darauf an, dass es sich lohnt, in Sachsen Maßnahmen ergriffen, die alle dem einen Ziel dienen, zu wirtschaften. Das sagen auch andere. Sachsen liegt nämlich, dass die Schulen in Sachsen die Lehrkräfte nach einer Studie des Instituts für Wirtschaft in Köln auf bekommen, die sie brauchen. Platz 10 der interessantesten und attraktivsten Industrie- Die Staatsregierung hat die Zahl der Lehramtsplätze für standorte weltweit. Das, liebe Freunde und meine Damen Erstsemester und die Zahl der Referendarstellen verdop- und Herren, wollen wir nicht nur halten, sondern wir pelt. Wir haben ein Stipendienprogramm für Lehramts- wollen uns weiter verbessern. studierende aufgelegt, für die Studierenden, die sich (Beifall bei der CDU und der FDP) verpflichten, später auf dem Land zu arbeiten, und wir haben die Bezahlung der Grund- und Oberschullehrer Das wird uns nur gelingen, wenn wir unsere Wettbe- verbessert. Das, meine Damen und Herren, sind wichtige werbsfähigkeit nicht schwächen, sondern erhöhen. Des- Anreize, dass wir junge Lehrer einstellen können, die wir halb sage ich: Wir müssen uns bei der Lohnfindung brauchen. wieder stärker auf die Tarifautonomie besinnen. (Zuruf der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE) (Beifall des Abg. Carsten Biesok, FDP, und des Staatsministers Sven Morlok) Denn wir wollen die Lehrer ersetzen, die aus dem Dienst ausscheiden, und – jetzt hören Sie bitte zu, Frau Falken – Der Rentenbeginn muss noch flexibler werden, und zwar den zusätzlichen Bedarf abdecken, der durch steigende mit dem Ziel, dass alle, die es gesundheitlich können, die Schülerzahlen auch entsteht. es wollen, und deren Fachwissen gebraucht wird, künftig länger arbeiten dürfen, und zwar so, dass es sich für sie (Beifall bei der CDU, der FDP auch lohnt. und der Staatsregierung) Wir brauchen bezahlbare und stabile Strompreise für Wir werden das schaffen, weil es um den Unterricht geht Wirtschaft und Private. und damit um unsere Kinder. Das Geld ist dabei das eine. Es gibt aber noch anderes: Es geht darum, dass die Lehre- (Beifall bei der CDU, der FDP rinnen und Lehrer spüren, dass sie gebraucht werden, und und der Staatsregierung) das können wir am besten zeigen, indem wir ihnen schnell Standort ist für mich nicht nur Strompreis, Infrastruktur, Klarheit über ihre berufliche Zukunft geben. Verwaltung und Arbeitsmarkt. Es braucht noch mehr. (Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Schnell!) Standort ist für mich auch eine Frage der Haltung: Haben wir die besten Ideen und die besten Tüftler, schauen wir Ja, ich weiß, da können wir einiges noch besser machen. zu oder packen wir an? Das stimmt. Aber Aktionismus bringt uns da auch nicht weiter. Deshalb ist für mich Standort auch eine Frage von Bil- dung, von Ausbildung, von Wissenschaft, von Forschung (Lachen bei den LINKEN und der SPD) und von Kultur. Die Bildung in Sachsen ist gut, weil die Was zählt, ist das Ergebnis, und das lautet: Wir werden Bildungsqualität stimmt, weil der Leistungsanspruch hoch jedes Jahr mindestens 1 000 Lehrer einstellen. ist und weil sich jahrzehntelange Kontinuität auszahlt. Dafür ist Sachsen vielen in Deutschland ein Vorbild. (Beifall bei der CDU, der FDP Aber wir wollen noch besser werden. Der Erfolg in der und der Staatsregierung) Bildung hat viele Väter und Mütter. Es sind aber vor Meine Damen und Herren! Jeder in diesem Rund weiß ja, allem die Lehrer und Lehrerinnen, die Schulleiterinnen dass alleine wegen der ausscheidenden Lehrer in den und Schulleiter. Ihnen sage ich im Namen der Staatsregie- kommenden Jahren eben die Zahl 1 000 deutlich über- rung herzlichen Dank: schritten werden wird. (Beifall bei der CDU, der FDP Meine Damen und Herren! Es geht um Lösungen auch für und der Staatsregierung) die Schulen in freier Trägerschaft. Als Sofortmaßnahme den Dank für den Einsatz, der oft genug über den norma- erhalten sie 35 Millionen Euro zusätzlich für die kom- len Dienst hinausgeht, den Dank für das Engagement, von menden zwei Jahre; es braucht aber auch zügig eine dem die Schülerinnen und Schüler profitieren, und den langfristige Lösung. Aber ich will, wir alle wollen, dass sie gut und tragfähig ist. Dank für die große Fachlichkeit, die die Grundlage für den Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen ist. (Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

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Deshalb hat die Kultusministerin recht, wenn sie sagt: Wir Meine Damen und Herren! Ich komme nun zum zweiten regeln das gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperio- Nutznießer der 5 Milliarden Euro, zu Wissenschaft und de mit einer Gesetzesnovelle. Forschung. Das größte Ereignis in diesem Bereich war 2012 der Aufstieg der TU Dresden in die Liga der Exzel- (Unruhe bei den LINKEN, lenzuniversitäten. der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der CDU) Meine Damen und Herren! Sachsen gibt jedes Jahr rund 5 Milliarden Euro für Bildung und Wissenschaft aus. Das Ja, zusammen mit dem Exzellenzcluster in Chemnitz ist ist fast ein Drittel des Haushalts. Und das wird auch damit bis 2017 eine Förderung vom Bund von gut weiter so bleiben. 119 Millionen Euro verbunden. Das ist ein großer Erfolg und ein großer Kraftakt für die Wissenschaftler, aber (Beifall bei der CDU, der FDP natürlich auch für die für uns notwendige Kofinanzierung und der Staatsregierung) durch das Land. Sie beläuft sich allein für die Exzellenz- Damit diese Haushaltsmittel für die Schulen ihre Wirkung initiative auf insgesamt 47 Millionen Euro. aber auch entfalten können, wo es eben Sinn macht, Die Sächsische Staatsregierung hat diese Exzellenzinitia- nämlich in den Klassen, ist mir eines ganz wichtig: Ich tive flankiert mit einem Bauprogramm von rund möchte, dass die Lehrerinnen und Lehrer im Vertrauen 240 Millionen Euro, und darüber hinaus wurde diese auf Kontinuität ihre Kräfte für die Schule einsetzen und Entwicklung seit 2007 mit der sächsischen Landesexzel- sie nicht für die Umsetzung von neuen Veränderungen lenzinitiative begleitet. Sie endete 2013 und war mit verschwenden. Viele diese Veränderungen werden zwar 160 Millionen Euro aus EFRE-Mitteln ausgestattet. Reformen genannt, Insgesamt ist seit 2009 fast 1 Milliarde Euro allein in die (Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE) Verbesserung der baulichen Situation an unseren Hoch- schulen geflossen, in den Hochschulbau. sind aber in Wahrheit gar keine. Das ist das eine, aber der Hochschulbetrieb ist das andere. (Zurufe von den LINKEN, Hier sind wir mit der Zuschussvereinbarung einen neuen der SPD und den GRÜNEN) Weg gegangen. Dieser Kontrakt gibt allen Partnern, den Wozu das führt, Herr Scheel, das kann man in anderen 14 staatlichen Hochschulen und dem Freistaat, Planungs- Bundesländern sehr wohl betrachten. sicherheit bis 2016. Das, meine Damen und Herren, ist eine Zusage von über 2 Milliarden Euro und die Verläss- (Beifall bei der CDU, der FDP lichkeit, die zählt. und der Staatsregierung) (Beifall bei der CDU) Deshalb, meine Damen und Herren, hat diese Staatsregie- rung, hat diese Koalition am Abitur mit 12 Schuljahren Das ist ganz im Sinne des Sächsischen Hochschulfrei- festgehalten, und ich will es ganz deutlich auch sagen: heitsgesetzes, mit dem wir die Autonomie der Hochschu- Das wird mit mir als Ministerpräsident auch in Zukunft so len stärken. Sie haben nunmehr eigene Budgets und die sein. Freiheit, über interne Strukturen zu entscheiden. Das bedeutet für mich aber auch: Wer Freiheit in Anspruch (Beifall bei der CDU, der FDP nimmt, der muss auch zur Verantwortung stehen. und der Staatsregierung – Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD – (Beifall bei der CDU, der FDP Stefan Brangs, SPD: Wer will das denn nicht?) und der Staatsregierung) – Herr Brangs, ich kann mich an die Koalitionsverhand- Ich zähle darauf, dass die Hochschulen nicht nur inhaltli- lungen mit der SPD noch ganz gut erinnern. che, sondern auch strukturelle Fragen im Rahmen ihrer Hochschulautonomie selbst lösen. Das mag nicht immer (Proteste von der SPD und den LINKEN) bequem sein. Ich sehe die sächsischen Hochschulen auf – Na, wir werden ja sehen, wie Sie sich verhalten. Danke einem guten Weg, das Hochschulfreiheitsgesetz auch mit schon einmal für dieses Zugeständnis als Erstes. Leben zu erfüllen. (Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD) Meine Damen und Herren! Es war schon viel auch vom Geld die Rede. Deshalb gehe ich jetzt auch ausdrücklich Da brauchen wir das ja gar nicht mehr zu verhandeln. auf den Haushalt, den Doppelhaushalt 2015/2016, ein. (Starke Unruhe bei den LINKEN, Die Staatsregierung ist ihrer Verantwortung nachgekom- der SPD und den GRÜNEN) men. Das Kabinett hat am vergangenen Sonntag und Montag in einer Haushaltsklausur die Eckwerte vom Ein Punkt ist schon abgeräumt. Herr Zastrow, Sie sehen, Februar beraten und sich auf einen Entwurf für den wie die Angebote sind. Doppelhaushalt 2015/2016 verständigt. (Lachen, vor allem bei der SPD – Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

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Das ist nicht immer in Deutschland so, vor allem dann So viel im Telegramstil zu den wichtigsten Kennzahlen nicht, wenn es um ein Wahljahr geht. Wir haben das aus im Haushaltsentwurf. Ich will das nun an einigen Beispie- drei guten Gründen getan. len noch vertiefen und beleuchten. Erstens. Wir wollen eine lange haushaltslose Zeit vermei- Erstens. Die Zusammensetzung unserer Einnahmen den; die hätte es gegeben, wenn die Haushaltsaufstellung verändert sich. Die Mittel aus dem Solidarpakt werden erst nach der Wahl begonnen hätte. So kann es dann auch 2020 gänzlich ausgelaufen sein. Auch wenn Sachsen in zügig weitergehen. der gegenwärtigen Förderperiode der EU insgesamt noch 3,7 Milliarden Euro erhält, so sind das rund 30 % weniger Zweitens. Diese Koalition hat von Anfang an und bei als in der Förderperiode zuvor. Diese Fördermittel werden allem stets über die Legislaturperiode hinausgeschaut. noch weiter zurückgehen. Dennoch ist es uns gelungen Das gilt auch für den Haushalt; denn so gibt es Kontinui- tät und Verlässlichkeit. und gelingt es uns auch jetzt, das Haushaltsvolumen im Vergleich zum letzten Doppelhaushalt konstant zu halten. Drittens. Die sächsischen Wählerinnen und Wähler haben Das ist nur aufgrund der soliden Haushaltspolitik und einen Anspruch darauf, dass wir als Staatsregierung einer Wirtschaft, die im Freistaat Sachsen brummt, unsere Arbeit machen, das heißt: bis zum Wahltag. Daran möglich. So können wir die Rückgänge durch steigende ändert auch nichts, dass der neue Sächsische Landtag den Steuereinnahmen zum Teil kompensieren. Haushalt nach seiner Konstituierung beschließen wird. Zweitens. Wir werden in der Förderung der außeruniversi- Was den Haushaltsentwurf 2015/2016 angeht, so kann ich tären Forschung nicht nachlassen. Sachsen hat sich einen sagen: Dem sächsischen Haushalt geht es gut. Unsere hervorragenden Ruf als Forschungsland erarbeitet. Das Finanzen sind geordnet und solide. Das soll auch so zieht die Menschen an und macht die Innovationsfähig- bleiben. keit der Unternehmen aus. Deswegen wird für die For- (Beifall bei der CDU und der FDP) schungsförderung in beiden Jahren jeweils ein Betrag in Höhe von 315 Millionen Euro vorgesehen. Das Wichtigste in Kürze: Der Haushaltsentwurf sieht für 2015 und 2016 ein Volumen von jeweils rund 17 Milliar- (Beifall bei der CDU und der FDP) den Euro vor. Beide Haushalte werden ohne neue Schul- Drittens. Wir erhöhen die Zahl der neuen Anwärter bei der den auskommen. Das sind seit 2006 das zehnte und elfte Polizei auf 400 im Jahr. Damit wir die Kriminalitäts- Jahr ohne neue Schulden. schwerpunkte Drogenhandel, Cyberdelikte und Kfz- Bildung und Forschung erhalten so viel Geld wie noch Diebstähle noch besser und angemessener bekämpfen nie. Im Doppelhaushalt 2015 und 2016 sind es zusammen können, brauchen wir jedes Jahr einen gesicherten Ein- 10,5 Milliarden Euro. Die Kommunen erhalten jedes Jahr stellungskorridor von 400 Polizisten. Das wird gewähr- Zuweisungen in Höhe von 5,6 Milliarden Euro: jährlich leistet. 3 Milliarden Euro aus dem Finanzausgleichsgesetz und (Beifall bei der CDU und der FDP) 2,6 Milliarden Euro aus Förderprogrammen und Zuwei- sungen aus dem Haushalt. Viertens. Nach den Erfahrungen des Hochwassers im vergangenen Jahr werden wir nicht nachlassen und die Meine Damen und Herren! Ich erinnere an eine Zusage, Hochwasserinvestitionen noch einmal um weitere die auch bei den Verhandlungen zum Neuverschuldungs- 30 Millionen Euro jährlich erhöhen. Damit werden wir verbot gegeben worden ist. Wir halten unsere Zusage: Die 193,5 Millionen Euro im Doppelhaushalt zur Verfügung Schuldenbremse wird ohne Abstriche bei den kommuna- stellen. len Zuweisungen durch den Freistaat auch garantiert. Als Ergebnis der FAG-Verhandlungen und der guten Steuer- Fünftens. Die Infrastruktur im Freistaat Sachsen werden einnahmen steht den Kommunen so viel Geld zur Verfü- wir erhalten und ausbauen. 2015 und 2016 investieren wir gung wie noch nie seit Gründung des Freistaates Sachsen. in den Staatsstraßenbau 302 Millionen Euro. In den kommunalen Straßenbau fließen 110 Millionen Euro. (Beifall bei der CDU und der FDP) Davon profitieren nicht nur die Unternehmer, sondern 2015 beträgt die Investitionsquote im Haushalt 17,4 %. auch die Arbeitnehmer vor Ort. 2016 liegt sie bei 16,5 %. Zusammen mit den Hochwasse- Sechstens. Wir werden die Wirtschaftsförderung auf rinvestitionen aus dem Wiederaufbau nach 2013 sind das einem sehr hohen Niveau fortsetzen. Insgesamt stehen rund 20 % in jedem Jahr. dafür pro Jahr rund 400 Millionen Euro zur Verfügung. Meine Damen und Herren! Wir wollen auch für die Siebtens. Im Sozialbereich sind wir zu den meisten kommenden Pensionslasten mit jährlich 500 Millio- Ausgaben gesetzlich verpflichtet und nehmen sie oft als nen Euro Vorsorge treffen. Wir werden unsere Pro-Kopf- zu selbstverständlich war. Nicht selbstverständlich ist das Verschuldung konstant halten und Altschulden zurückzah- ehrenamtliche Engagement vieler Menschen in diesem len. Das bedeutet: Wir werden 75 Millionen Euro an Land. Ich habe eine Angabe gelesen, die vielleicht sogar Schulden tilgen. noch zu niedrig ist: 900 000 Menschen sollen sich in diesem Land täglich ehrenamtlich betätigen. Mit der Ehrenamtskarte ist eine gewisse Anerkennung verbunden.

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Damit sagen wir Danke. Wir werden aber das Programm Erstens. Ich will alles dafür tun, dass der ländliche Raum „Wir für Sachsen“ und die Freiwilligendienste weiterhin Fundament unseres Freistaates bleibt. Ich weiß, dass die gut ausstatten und erhöhen die Mittel hierfür auf über Menschen dort bleiben, wo Schule und Geschäfte, wo 10 Millionen Euro jährlich. Rathaus und Kirche, wo Arzt und Haltestelle sind. Des- halb gilt es, die Schulen und die regionale Kultur vor Ort (Beifall bei der CDU und der FDP) zu erhalten sowie eine erreichbare Gesundheitsversorgung Achtens. Das Kulturraumgesetz ist in Deutschland immer und Krankenhäuser sicherzustellen. noch einzigartig. Für uns ist es der Grundstein für Kultur (Beifall bei der CDU und der FDP) überall im Land. Wir werden die Kulturräume weiterhin gut ausstatten und ihnen 92 Millionen Euro zur Verfügung Der jahrgangsübergreifende Unterricht in der Grundschu- stellen, also 5 Millionen Euro mehr pro Jahr. Das ist, so le und das Landesärzteprogramm sind Beispiele dafür, meine ich, ein sehr gutes Signal. wie dazu beigetragen werden kann. Für den Kranken- hausbau werden wir im nächsten Doppelhaushalt Lan- (Beifall bei der CDU und der FDP) desmittel in Höhe von mehr als 252 Millionen Euro Neuntens. Wenn es darum geht, dass unser Haushalt bereitstellen und damit unseren Anteil verdoppeln. weiterhin so solide bleiben soll, dann kommt es ganz (Beifall bei der CDU und der FDP) entscheidend darauf an, dass wir bei der Neuordnung der Finanzen zwischen Bund und Ländern die Interessen Meine Damen und Herren! Die mittelgroßen Städte Sachsens vertreten bzw. verteidigen können. Das ist für spielen für den ländlichen Raum eine ganz wichtige mich eine der wichtigsten Fragen in der kommenden Rolle. Sie entfalten mit ihrer Infrastruktur und ihren Legislaturperiode. Für mich bedeutet die Neuordnung im Arbeitsplätzen Haltekraft. Deswegen ist der Ausbau des Interesse Sachsens zweierlei: Zum einen darf Sachsen schnellen Internets für die nächsten Jahre mit nachher nicht schlechter dastehen als vorher. Alle sind 200 Millionen Euro dotiert. Das wird bei der Aufgabener- sich einig, dass es einen neuen Ausgleich geben soll. Wir füllung helfen. Das Internet macht keinen Unterschied können über vieles reden, aber am Ende darf es keine mehr zwischen Stadt und Land. Wir setzen dabei aber Verlierer geben. Zum anderen darf es nicht zu einer natürlich auch auf die Unterstützung durch den Bund. Vergemeinschaftung der Altschulden kommen, bei der Zweitens. Ich will alles dafür tun, dass die Sachsen sicher Sachsen für sein solides Haushalten bestraft wird. sind. Ich weiß, wie schnell Crystal kaputt macht und wie (Beifall bei der CDU und der FDP – ohnmächtig die Angehörigen angesichts von mit Crystal Sebastian Scheel, DIE LINKE: abhängig gewordenen Menschen sind. Deshalb gilt es, Gestern haben wir das gesehen!) Drogen-, Cyber- und Diebstahlsdelikte unnachgiebig zu verfolgen. Ein guter Ausgangspunkt ist dabei der Zehn- – Ich habe noch gestern Nachmittag mit dem Kollegen Punkte-Plan gegen Crystal und die Vereinbarung zur Sellering telefoniert. Interessant ist, dass das auch den grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit der Polizei Kollegen Wowereit interessiert, weil auch er sich jetzt auf unserer Nachbarn in Polen und Tschechien. den Weg der Tugend einer Haushaltskonsolidierung begeben hat. Dieses Land insgesamt geht also auch neue Auch Asylsuchende und Flüchtlinge müssen sich in Wege. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns dabei einiges unserem Land sicher fühlen. Fremdenfeindlichkeit, gelingen wird. Aber die Auseinandersetzung steht uns Antisemitismus und Extremismus dürfen deshalb in noch bevor. Sachsen keinen Platz haben. Meine Damen und Herren! Ich denke, wir alle in diesem (Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der Hohen Hause sind uns darin einig, dass gelten muss: FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung) Jedes Land steht selbst für seine eigenen politischen Das bleibt auch unsere Aufgabe, und deshalb werden wir Entscheidungen gerade. Kurz gesagt: Jeder zahlt seine das Programm „Weltoffenes Sachsen“ fortsetzen und auf Wahlversprechen selbst. 3,3 Millionen Euro aufstocken. (Beifall bei der CDU und der FDP) Drittens. Ich werde alles dafür tun, dass die Infrastruktur Schlussfolgernd möchte ich meine Anmerkungen zum unseres Freistaates, wo es nötig ist, ausgebaut wird. Das Doppelhaushalt so zusammenfassen: Ich könnte sagen, gilt auch für die Beseitigung von Hochwasserschäden und dem Freistaat geht es gut. Aber das darf uns nicht genü- den Ausbau des Hochwasserschutzes. Besonderes Au- gen. Es genügt der Staatsregierung und auch mir persön- genmerk legen wir von der Staatsregierung auf die Ver- lich nicht. Ich will, dass unser Freistaat für alle Menschen, besserung des Schienenverkehrs. Schon am Freitag wird die in Sachsen leben, auch künftig eine gute Heimat ist. der Verkehrsminister gemeinsam mit dem Bund, der Bahn und den Nachbarländern wieder über genau diese Fragen (Beifall bei der CDU und der FDP) verhandeln. Deshalb liegen mir fünf Bereiche besonders am Herzen, Viertens. Ich will alles dafür tun, dass die Familien mit die für die Entwicklung Sachsens in den kommenden Kindern in Sachsen Vorfahrt haben. Das ist nicht nur eine Jahren wichtig sind. Frage der Gerechtigkeit unter den Generationen. Es ist

10495 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 vor allem eine Aufforderung, dafür zu sorgen, dass weiter abgebaut werden kann und dass Patente und Start- Familien mit Kindern selbstverständlich sind. ups noch gezielter gefördert werden können. (Beifall bei der CDU, der FDP Einem Bereich kommt dabei eine besondere Bedeutung und der Staatsregierung) zu: der Mikroelektronik – nicht nur in Sachsen, sondern für Deutschland und für Europa. Mit dem Bund haben wir Ich meine, es ist oftmals eine Frage des Kopfes, wie eine gemeinsame Strategie vereinbart, um sächsische Kinderfreundlichkeit verstanden wird. Projekte im Rahmen des europäischen Programms Meine Damen und Herren! Wir werden die Kommunen „ECSEL“ zu fördern. Morgen werde ich gemeinsam mit bei der Erfüllung ihrer Pflichtaufgabe weiter unterstützen. der Bundesministerin für Forschung diese Strategie Zur Verbesserung der Kinderbetreuung wird der Freistaat unterschreiben. Es geht um insgesamt 1,6 Milliar- die Kitapauschale von 1 857 auf 2 060 Euro je Kind den Euro, die für Sachsen möglich sind. Wir geben dafür erhöhen. In der Summe stehen den Kitas im Land im 200 Millionen Euro, der Bund 200 Millionen Euro und Doppelhaushalt damit insgesamt 88 Millionen Euro 400 Millionen Euro kommen von der Europäischen zusätzlich zur Verfügung. Der Landeszuschuss steigt Union. Der Rest dieses Beitrages wird durch die Wirt- damit auf fast 500 Millionen Euro im Jahr. Das, meine schaft beigesteuert werden können. Damen und Herren, ist ein wichtiger erster Schritt. Das Meine Damen und Herren! Zufällig wollte es der Zeiten- gemeinsame Ziel ist, dass die Kommunen und Träger lauf, dass wir zu Beginn der Legislaturperiode das 20-jäh- sicherstellen, dass diese zusätzlichen Finanzmittel auch rige und zu ihrem Ende das 25-jährige Jubiläum von wirklich bei den Kitas ankommen. friedlicher Revolution und deutscher Einheit vorbereiten (Beifall bei der CDU, der FDP können. Aber die Entwicklung, die Sachsen seit der und der Staatsregierung) Neugründung unseres Freistaates genommen hat, ist kein Zufall. Heute können wir sagen: Die Mühen haben sich Kommunale und freie Träger haben in den letzten Jahren gelohnt. Es waren die Menschen in Sachsen, die aus eine Vielfalt von Betreuungskonzepten entwickelt und diesem Neustart eine Erfolgsgeschichte gemacht haben. damit auf unterschiedliche Situationen jeweils spezifische Sie findet in Deutschland und bei unseren Nachbarn Antworten gefunden. Diese Flexibilität wollen wir unter- Anerkennung. Mit ihnen arbeiten wir partnerschaftlich stützen. Wir werden deshalb mit der kommunalen Familie zusammen. Dazu tragen seit 2012 auch unsere Verbin- das Gespräch suchen. Unser Ziel ist, dass bei den unter- dungsbüros in Breslau und in Prag bei. schiedlichsten Ausgangsbedingungen dieses Mehr an Finanzmitteln – ob für die Umsetzung des Bildungsplanes Dieses Anpacken der Menschen haben wir in der Staats- oder zur Verstärkung der personellen Ausstattung regierung und in der Koalition in den letzten fünf Jahren unterstützt. Das war unser Ziel im Landtag, im Kabinett, (Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Das jeden Tag. Für mich ist klar: Sachsen ist ein Land voller ist kein Entweder-oder! Das ist dasselbe!) Möglichkeiten, voller Zusammenhalt, voller Talente und bzw. für Vor- bzw. Nachbereitungszeiten oder andere Ideen, voller Begeisterung und Tatkraft. Aufgaben – verwendet wird. (Beifall bei der CDU, der FDP (Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung) und der Staatsregierung) Einer, der das sehr gut zusammengefasst hat, ist unser Auf die von Kita zu Kita sehr unterschiedliche Situation Bundespräsident Joachim Gauck. Er besuchte kurz nach vor Ort kann man so am besten flexibel reagieren. seinem Amtsantritt 2012 Sachsen und meinte in der Rede vor 200 Diplomaten im Albertinum: „Die Sachsen legen In einem zweiten Schritt wollen wir bis zum Ende der die Hände nicht in den Schoß und lamentieren. Sie packen Haushaltsberatungen für diesen Doppelhaushalt im an.“ Dialog mit den Kommunen die finanzielle Ausstattung der Kitas noch verbessern. Meine Damen und Herren! Ich möchte, dass die Sachsen all diese Fähigkeiten weiter gut entfalten können; denn Meine Damen und Herren! Ich will fünftens alles dafür dann wird Sachsen uns allen eine gute Heimat sein. tun, das Wissen noch schneller und einfacher zu Produk- ten werden zu lassen. Das heißt, wir müssen die Exzellenz Danke für die Aufmerksamkeit. und die Pfiffigkeit der Wissenschaftler in Sachsen noch Glück auf! besser unterstützen, ihnen optimale Rahmenbedingungen bieten. Deshalb sollen Wissenschaft und Bildung ihre (Anhaltender lebhafter Beifall bei jeweiligen Anteile an den 85 Millionen Euro aus den der CDU, der FDP und der Staatsregierung) BAföG-Neuregelungen erhalten. Das bedeutet für die Präsident Dr. Matthias Rößler: Ich danke unserem Bildung 27 Millionen Euro und für die Wissenschaft Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich. 56 Millionen Euro. Dieser Spielraum soll dazu beitragen, dass die Ergebnisse und Ideen sächsischer Forscher noch (Karl Nolle, SPD: Hurra! Hurra! Hurra!) besser gefördert werden können, dass die Bürokratie

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Wir kommen jetzt zur Aussprache der Regierungserklä- wollen Sachsens Erspartes verprassen! – Wir sind Ihnen, rung. Folgende Redezeiten wurden für die Fraktionen Herr Zastrow, nicht auf den Leim gegangen. festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, Sachsens Linksfraktion und die LINKE in Sachsen SPD 14 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 12 Minuten, können aber nicht nur kontroverser diskutieren als die NPD 12 Minuten. Die erste Runde wird eröffnet von politische Konkurrenz, sondern wir haben auch die Herrn Kollegen Gebhardt für die Fraktion DIE LINKE. stärkeren Nerven. Deshalb haben wir in Sachsen eine Rico Gebhardt, DIE LINKE: Herr Präsident! Meine Schuldenbremse mit einem sozialen Ausgleich bei der sehr geehrten Damen und Herren! Das war‘s, Herr Minis- Haushaltsaufstellung erreicht. terpräsident! Die 5. Wahlperiode des Sächsischen Landta- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwarz-Gelb hat die ges ist fast Geschichte. Damit steht auch die letzte Jugendpauschale im Jahr 2010 um ein Drittel zusammen- schwarz-gelbe Koalition Deutschlands vor dem Ende. So gestrichen und damit in der Jugendarbeit gerade im etwas nennt sich im Land des Automobilbaus „Auslauf- ländlichen Raum großen Schaden angerichtet. Das ist modell“. Ob sich die FDP nach dem Schokoladenriegel- schlicht unsozial und schwächt den ländlichen Raum. modell „Raider/Twix“ demnächst umbenennt oder nicht, ändert an ihrem Aus wohl nichts mehr. (Beifall bei den LINKEN – Widerspruch bei der CDU – Alexander Krauß, CDU: Die Zahl der (Holger Zastrow, FDP: Die Wahl abwarten!) Stellen ist gestiegen in den letzten Jahren!) Aus eigenen Erfahrungen mit Umbenennungen, Herr Schwarz-Gelb hinterlässt uns ein Land, dessen Sozial- Zastrow, weiß ich nämlich: Das funktioniert nur, wenn standards hinter denen von und Thüringen der Markenwechsel inhaltlich untersetzt ist. Die SED hieß liegen und die im Gesamtländervergleich bestenfalls schließlich PDS, weil sie nicht mehr die SED war. Mittelmaß und streckenweise Schlusslicht sind. (Heiterkeit im Saal – Beifall bei der CDU, (Widerspruch bei der CDU – der FDP und der Staatsregierung) Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Wo leben Sie denn?) Hier steht im Übrigen: „Heiterkeit vorprogrammiert“. Aus Sächsische Behinderte erhalten die niedrigsten Eingliede- der PDS wurde DIE LINKE, nachdem aus der ostdeut- rungsleistungen, Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe- schen eine gesamtdeutsche Partei geworden war. gruppen eine vergleichsweise niedrige Förderung. Das ist (Zurufe von der CDU, der FDP schlicht unsozial und dient nicht dem sozialen Zusam- menhalt in diesem Land. und der Staatsregierung) (Beifall bei den LINKEN) Es geht weiter. Dass wir nicht mehr die SED sind, ist inzwischen selbst von der sächsischen CDU gewisserma- Schwarz-Gelb hat ein Standortegesetz produziert, das ßen amtlich bestätigt worden, zwar mit einer im Vergleich Behördenmitarbeiter zu sinnlosen Umzügen zwingt bzw. zu den anderen ostdeutschen Ländern jahrzehntelangen längere Arbeitswegen nötig macht und Menschen ohne Erkenntnisverzögerung, aber, liebe Kolleginnen und Auto den Weg zum Amt erheblich erschwert. Das ist Kollegen von der CDU, im Jahr 2013 hat es auch bei sozial ungerecht. Ihnen klick gemacht und wir haben gemeinsam die sächsische Verfassung geändert. (Staatsminister Dr. Jürgen Martens: Das stimmt doch gar nicht!) (Christian Piwarz, CDU: Was?) Sachsen braucht dringend die verfassungsmäßige Ver- Eine seit einem Vierteljahrhundert nach der friedlichen pflichtung zum sozialen Ausgleich bei der Haushaltsauf- Revolution noch nie dagewesene Kooperation zwischen stellung, damit nicht länger bei den Falschen gespart wird. den politischen Polen des demokratischen Spektrums DIE LINKE hat dafür gesorgt und eine bundesweit dieses Landes wurde Realität. einzigartige Regelung durchgesetzt; denn wir sind 100 % sozial, und das erst recht in Sachsen! (Widerspruch bei der CDU) – Das ist nun einmal der Fakt. (Beifall bei den LINKEN) (Jürgen Gansel, NPD: Wir wollten von Natürlich kam der Konsens in der Verfassungsdebatte auch deshalb zustande, weil wir Erzgebirgler – nicht Ihnen nicht demokratisch geadelt werden!) wahr, Herr Flath? – nach dem Motto verfahren: In der Ja, Teile meiner Fraktion und Partei waren in dieser Sache Ruhe liegt die Kraft. Wir lassen uns bei ernsthaften anderer Meinung, übrigens auch Abgeordnete von SPD Verhandlungen nicht von polemischen Phrasendreschern und GRÜNEN. Der Abgeordnete Herr Kollege Schie- irritieren und gehen unseren Weg, begleitet von klugen mann von der CDU wiederum hatte stets durchblicken Fachleuten und Unterhändlern. lassen, dass er eigentlich überhaupt keine Änderung der Leider hat die schwarz-gelbe Verstocktheit bei der eigent- Verfassung wollte, und die FDP wollte eigentlich über- lich selbstverständlichen Anpassung der Haushaltsord- haupt keine Schuldenbremse, sondern ein Krawallthema nung an die neue Verfassungsklage erneut gezeigt, dass für den Landtagswahlkampf: Seht her! Die LINKEN Ihre politische Beziehungsfähigkeit noch auf sehr gerin-

10497 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 gem Niveau ausgeprägt ist. Lernen, liebe Kolleginnen und oder eine dauerhaft funktionsfähige Schule aber sieht Kollegen von der CDU, können Sie das nur in der Oppo- anders aus. sition. Uns als LINKE ist das klar. Fast das gleiche Spiel beim Umgang der Regierung mit Noch einmal zurück zu Ihnen, Herr Flath, dem konserva- der Polizei: Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wird tiven Gewissen des Landtags. Sie müssen nach mir reden jahrelang mit Füßen getreten, und nun entdecken Sie und ich deswegen vor Ihnen. Ich sage es aber trotzdem: rechtzeitig vor der Wahl, dass Sachsen mehr Polizeinach- Ich glaube, ich werde Sie demnächst im Sächsischen wuchs braucht. Sie reden von 400 im Jahr. Aus dem Landtag vermissen. Altersdurchschnitt der sächsischen Polizei ergeben sich im Schnitt aber 500 Abgänge pro Jahr, Tendenz steigend. (Christian Piwarz, CDU: Soll ich Einen Plan für die Polizei haben Sie also: die planvolle ein Taschentuch reichen, oder was?) Schrumpfung. Nun kann man nicht behaupten, wir hätten uns wie ein Ich will bei keinem Thema Ihren Versuchen auf den Leim älteres Ehepaar aneinander gewöhnt; denn dafür bin ich gehen, mich in kleinteilige öffentliche Zahlenstreitereien viel zu kurz in meinem Amt. Ich habe an Ihnen aber etwas zu verstricken, welche die Leute nur verwirren, was genau schätzen gelernt: Auf Ihr Wort konnte man sich verlassen. Ihre Absicht ist. Das haben wir bei den Lehrern gerade Das bedeutet in der Politik viel, eigentlich sehr viel. erlebt. Es geht nicht um ein paar 100 Lehrer oder Polizis- Vielen Dank für die gemeinsame Zusammenarbeit im ten mehr oder weniger, sondern darum, dass Ihnen die Landtag. Innovation für eine nachhaltige Politik fehlt. Ihnen fällt (Beifall bei der CDU, den LINKEN, schlichtweg nichts mehr ein. der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei den LINKEN) Zurück zur Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident. Sie sind der Dinosaurier unter den Landesregierungen. Sie Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie nicht der landespoliti- bestrafen Wasserkraftbetreiber mit einer existenzgefähr- sche Lautsprecher in der Bundesrepublik sind. Ich will denden Abgabe und drängen die Windkraft zurück. auch nicht darüber richten, ob Sie nicht ein bisschen sehr Zugleich setzen Sie verstärkt auf den Klimakiller Braun- viel Zeit mit Softterminen verbringen, bei denen oft kohle, nehmen 1 700 Menschen ihre Heimat und verwüs- ergebnislose Kommunikationsfolklore im Vordergrund ten ganze Landstriche, steht. Worum es mir geht, sind die harten Fakten Ihres Regierungshandelns, zum Beispiel der rüde Umgang mit (Alexander Krauß, CDU: Das ist ja fast den Staatsbediensteten. wie in Brandenburg, wo es einen linken Wirtschaftsminister gibt!) Es ist doch kein Zufall, dass es 11 000 Widersprüche und 4 000 Klagen sächsischer Beamter gibt. Sie haben zu und das mit dem Vorsatz, dass noch mindestens 50 Jahre Beginn dieser Legislaturperiode eine – ich wiederhole: weiterzumachen. eine – konkrete Ankündigung gewagt. Sachsens Bestand Während Brandenburg, Kollege Krauß, bei der Förderung an Landesbediensteten müsse bis zum Jahr 2020 auf erneuerbarer Energien nachweislich führend ist 70 000 schrumpfen. Dabei haben Sie nicht an die Lehrer und Polizisten gedacht, die Sachsen braucht, von den (Alexander Krauß, CDU: Und zum Erzieherinnen ganz zu schweigen. Ein Kultusminister Glück auch neue Tagebaue ausweist!) stürzte – mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Ein bil- und damit den mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkoh- dungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion trat zurück – leverstromung, den wir wollen, ermöglicht, feiert in das habe ich bedauert; denn unbeschadet aller Meinungs- Sachsen die Braunkohlepolitik der DDR Wiederauferste- verschiedenheiten im Detail war Thomas Colditz zumin- hung. Wirklich peinlich, Herr Ministerpräsident! dest ein guter Lobbyist in Sachen Bildungspolitik. Er hat einen guten Job gemacht. Die CDU ist ausgelaugt. Als Kronzeugen darf ich einen renommierten Politikwissenschaftler aus Sachsen zitieren, (Beifall bei den LINKEN, der Ihr Parteibuch trägt: Der CDU fehlt das – Zitat – der SPD und den GRÜNEN) „Verständnis für das Lebensgefühl in den Großstädten“ Am Ende dieser Wahlperiode erscheint diese offensicht- sagte Prof. Patzelt. Recht hat der Mann. Ich sage aller- lich letzte CDU-geführte Regierung wie eine chaotische dings: nicht nur in Bezug auf die Großstädte, sondern auf Reparaturbrigade ihrer selbst; denn alles, was sie gerade die Menschen in ganz Sachsen. verspricht zu heilen, hat sie selbst verursacht. Dafür steht Wir erleben in dieser Woche eine weitere Protestwelle, die zum Beispiel die komplette Fehlplanung des Doppelhaus- sich gegen die unzumutbaren Zustände in sächsischen haltes für die Jahre 2009 und 2010 und auch des Doppel- Kindertagesstätten richtet. haushaltes für die Jahre 2011 und 2012, den Sie nun mit Ihrem Entwurf für die Jahre 2015 und 2016 vergessen (Widerspruch bei der CDU – machen wollen. Nachträglich ein paar Lehrer mehr, weil Robert Clemen, CDU: Sie hätten mal zu Unterrichtsausfall und Protest zu sehr drücken, ein Plan DDR-Zeiten in die Kindergärten gehen sollen!)

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Nun haben Sie, Herr Ministerpräsident, den Erzieherinnen Kind wurde den Frauen in Sachsen und den anderen und Eltern wieder einmal etwas versprochen nach dem neuen Bundesländern versprochen, was sowieso schon Modell, das wir schon von den Schulen und von der weniger als im Westen wäre. Da aber in der DDR die Polizei kennen. Die CDU verspricht Reparaturen an den Mütter nach dem Wochenurlaub zum großen Teil wieder Schäden, die vorher von der CDU-geführten Staatsregie- gearbeitet haben, kursieren nun in den Leserbriefspalten rung durch Nichtstun selbst angerichtet wurden. der Zeitungen als Beispiele: 53 Cent für ein Kind oder Nun also sind es die Kitas, die ein paar Euro mehr krie- 3,25 Euro für fünf Kinder statt 25 Euro für ein Kind. Mit gen, nachdem ihr Budget viele Jahre lang eingefroren war. Verlaub, da müssten eigentlich sogar Sie, die ganz Schwarzen, rot vor Scham werden bei diesem Betrug. Sie wollen ihnen unter anderem 50 Euro für eine Quali- tätsoffensive zugestehen. Was für eine Arroganz gegen- (Alexander Krauß, CDU: Weil das Quatsch ist!) über den Beschäftigten! Wir wollen ein soziales Sachsen, eine Bildungspolitik von (Beifall bei den LINKEN) der Kita bis zur Hochschule, die alle mitnimmt, eine Was wir brauchen, ist eine effektive Verbesserung des moderne und bürgernahe Verwaltung, demokratische Personalschlüssels an den Kitas durch mehr qualifizierte Erneuerung, aktive Arbeitsmarktpolitik und eine Wirt- Erzieherinnen und Erzieher. Ich sage es noch einmal: Es schaftsförderung, die sich nicht auf Leuchttürme be- geht um mehr qualifiziertes Personal und nicht um Hilfs- schränkt, sondern den noch immer ausblutenden ländli- kräfte oder Ehrenamtler(innen) als Ersatz. chen Raum berücksichtigt. (Beifall bei den LINKEN) (Cornelia Falken, DIE LINKE: Oder Omas!) Was Geräuschkulissen durch kindliche Kommunikation Die damalige CDU-Alleinregierung setzte in der Ära angeht, bin ich so einiges von zu Hause gewöhnt. Zu dem, Biedenkopf vor allem auf Leuchttürme; ob sie nun VW was ich aber bei der verdienstvollen Aktion „Perspektiv- oder AMD hießen, die Großen in der Auto- und Chipin- wechsel“ der Wohlfahrtsverbände vor Kurzem erst wieder dustrie standen im Mittelpunkt. Das war aus heutiger erleben konnte, sagen nicht nur meine Ohren: So können Sicht weniger falsch, als wir damals oft kritisierten. Denn wir die frühkindliche Bildung in Sachsen nicht weiterbe- starke internationale Player tragen zum Renommee des treiben. Auf dem Papier haben wir Gruppengrößen von Freistaates bei und bilden einen globalen, wettbewerbsfä- 13 Kindern, was eigentlich schon zu viel ist. Da Urlaub, higen und wichtigen Teil des Rückgrates der Wertschöp- Fortbildung und Weiteres oft nicht mit eingerechnet fung. Aber gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz werden, sind es tatsächlich oft genug 19 Kinder, die mit Sachsen lassen sich allein so nicht schaffen. Es können einer Erzieherin den Tag verbringen. Das hält kein nicht alle Sachsen in ein paar industrielle Zentren pen- Mensch auf Dauer ohne gesundheitliche Beeinträchtigung deln. Das innovative Potenzial großer Teile des Landes aus, bleibt so unberücksichtigt. Die Vielfalt Sachsens, auf die wir doch so stolz sind, wird nicht genügend ins Spiel (Robert Clemen, CDU: Das hat gebracht. Da bin ich ganz beim Papier „Sachsen 2020“ aber Honecker anders gesehen!) der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft und des Sächsischen Landkreistages. vor allem dann nicht, wenn die engagierten sächsischen Erzieherinnen und Erzieher jedes Kind individuell fördern Ja, wir haben in Sachsen spürbar mehr Zuwanderung möchten bzw. dazu sogar nach dem Gesetz verpflichtet durch junge Leute, in Dresden und Leipzig, vor allen sind. Selbst das gemeinsame Zähneputzen klappt kaum Dingen an die Universitäten. Wir haben aber auch viele noch, wie das Ministerium selbst festgestellt hat. Regionen mit starken Schrumpfungen der Bevölkerung. Auf diese wachsende Kluft zwischen Stadt und Land Um es in der Sprache des Sports zu sagen: Sachsen steht haben Sie keine Antwort. Es kann kein Zufall sein, dass bei der frühkindlichen Bildung auf einem Abstiegsplatz. wir trotz Abrisses von mehr als 100 000 Wohnungen Wir wollen Sachsens Kitas aber bundesweit in eine immer noch 220 000 leer stehende Wohnungen in ganz Spitzenposition bringen. Das schaffen wir, wenn die Sachsen haben. Richtlinienkompetenz der Staatskanzlei und des Finanz- ministeriums nicht mehr in der Hand der CDU liegt. Unsere Orientierung auf die kleine und mittelständische Wirtschaft, die Anfang der Neunzigerjahre altbacken (Beifall bei den LINKEN – Zuruf des wirkte, ist nun hochaktuell. Es ist die Zukunft einer hoch Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU) flexiblen und dynamischen regional und international Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Mit ein bisschen vernetzten Wirtschaft. weniger CDU in der Regierung ist es nicht getan. Wer Auch wir LINKEN haben dazugelernt und haben in glaubt, er könne das Bundeskoalitionsmodell auf Sachsen unserem Wahlprogramm ausdrücklich eine Fusionsförde- übertragen, wird sein schwarzes Wunder erleben. rung im KMU-Bereich stehen, weil unsere sächsische (Holger Zastrow, FDP: Rotes!) Wirtschaft insgesamt zu kleinteilig ist, um langfristig zu Regionen wie Baden-Württemberg und Bayern aufschlie- Was uns dann erwartet, sehen wir jetzt an den Segnungen ßen zu können. der Großen Koalition wie der Mütterrente. 25 Euro pro

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Damit sind wir beim Mindestlohn, der nach der Meinung men. Außerdem sollten wir alle die Kirche im Dorf des amtierenden Ministerpräsidenten zum Schaden der lassen. Die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Wirtschaft in Sachsen ist. Arbeit, das IAB, hat errechnet, dass die Lohnsumme in Herr Ministerpräsident, Sie haben Ihre Position kontra Deutschland durch den Mindestlohn insgesamt gerade flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn erst dann einmal um 1,5 % wächst. Wer angesichts dessen vor der aufgegeben, nachdem Ihnen die Meinungsumfragen Wiedereinführung des Sozialismus warnt, ist nicht ganz bei Trost. gezeigt haben, dass nur 3 % der Menschen in Sachsen Ihrer Meinung sind – das sind die aktuellen Umfragewerte Ein weiteres Thema, das die Politik in wie in der FDP, auf die Sie nicht zurückstürzen wollten – und Dresden beschäftigte, war die Mordserie des Nationalso- nachdem klar war, dass die Große Koalition in Berlin zialistischen Untergrunds. Der NSU-Untersuchungs- trotz schwarz-gelben Untergangsgeschreis aus Dresden ausschuss im Sächsischen Landtages hat nach Auffassung unerbittlich Kurs auf den Mindestlohn nimmt. Uns soll des rot-rot-grünen Minderheitenvotums klar zutage das recht sein. gebracht: Dieser von Sachsen ausgehende mörderische Naziterror hätte verhindert, das Terrortrio in Sachsen Wir waren bereits glühende Anhänger des Mindestlohnes rechtzeitig gefasst werden können. Diese Verantwortung und des Grundsatzes, dass man von seiner Arbeit leben dürfen wir nicht nach Thüringen abschieben, wie es können muss, als noch andere relevante demokratische Schwarz-Gelb lange Zeit versucht hat. Daraus müssen Parteien in diesem Land uns deswegen verteufeln wollten. politische Konsequenzen gezogen werden. Ein Naziasyl SPD und Gewerkschaften waren damals noch strikt gegen im Landtag, wie wir es im Vormonat erleben mussten, ist den gesetzlichen Mindestlohn. Das ist nicht schlimm. Wir jedenfalls die falscheste aller Antworten. müssen alle gelegentlich dazulernen. Auf Initiative des DGB Sachsen haben LINKE und SPD (Zuruf von der NPD: Da in dieser Legislaturperiode ein Vergabegesetz entworfen war auch Gewalt im Spiel!) und in den Landtag eingebracht, in dem bereits 8,50 Euro Herr Landtagspräsident, ich freue mich, dass Sie das in Stundenlohn als Bedingung für Vergaben öffentlicher der Zwischenzeit auch erkannt haben. Aufträge festgeschrieben war. Die CDU hat diesen Ge- setzentwurf abgelehnt. Nun hat die CDU den gesetzlichen (Andreas Storr, NPD: Sie rechtfertigen Mindestlohn in der Bundesrepublik mit eingeführt, und verharmlosen linke Gewalt!) allerdings mit einigen peinlichen Gegenstimmen sächsi- Eine falsche Antwort auf die Bedrohung der rechtsstaatli- scher Bundestagsabgeordneter. Sie sehen also: DIE chen Ordnung ist auch der planvolle demografische LINKE wirkt. Niedergang der sächsischen Justiz. Die Hälfte der Richter An diesem parlamentarischen Vorstoß, der gewisserma- ist über 50 Jahre alt, nur 1 % unter 40 Jahren. Die CDU- ßen der bundesweiten Entscheidung pro Mindestlohn geführte Regierung steuert auf einen Kollaps der hiesigen vorausgegangen ist, waren auch die GRÜNEN beteiligt. Gerichtsbarkeit im nächsten Jahrzehnt zu. Denn wie Sie Rot-Rot-Grün funktioniert, wie Dutzende gemeinsamer bis dahin den nötigen Justiznachwuchs organisieren Vorlagen im Land gezeigt haben. wollen – auch dafür haben Sie keinen Plan, ich habe jedenfalls heute keinen gehört. Rot-Rot-Grün ist wegweisend für Deutschland. Rot-Rot- Grün sollte ab Herbst die dominierende Farbkombination Ich weiß, Herr Ministerpräsident, das Gerücht, Sie könn- in Sachsen sein. ten EU-Kommissar werden, hat sich nicht erhärtet. Schade eigentlich; denn ich glaube, in Brüssel wären wir Liebe Kolleginnen und Kollegen von den demokratischen Sachsen mit Ihnen gut vertreten. Fraktionen, lassen Sie uns gemeinsam bundesrepublikani- sche Geschichte schreiben. Wo es Auslaufmodelle gibt, (Ministerpräsident Stanislaw Tillich: gibt es auch immer Zukunftsmodelle, an denen gearbeitet Das haben Sie auch verbreitet!) wird. Die haben in Sachsen den Arbeitstitel Rot-Rot- Dort kommt es auf geschmeidiges Verhandeln hinter den Grün. Kulissen an. Davon verstehen Sie etwas. In der Staats- (Beifall bei den LINKEN – Zurufe von kanzlei in Dresden sind dagegen regelmäßig klare Ent- der CDU: Da klatscht nur eine Partei!) scheidungen und beherztes Auftreten in der Öffentlichkeit auch in komplizierten Konfliktsituationen gefragt. Es Die erstmalige bundesweite flächendeckende gesetzliche wäre ein Verstoß gegen das achte der zehn Gebote, kein Festschreibung eines Mindestlohns ist ein historischer falsches Zeugnis wider seinen Nächsten abzulegen, würde Fortschritt. Wir bleiben dabei, dass das für jedes reguläre ich behaupten: Das hat der Ministerpräsident aber gut Arbeitsverhältnis gelten muss. In diesem Sinne werden gemacht. wir auch weiter Druck machen. Aber abgestimmt wird am 31. August sowieso nicht über Ja, es gibt Unternehmen in Sachsen, die Schwierigkeiten das Arbeitszeugnis für einen Ministerpräsidenten, sondern haben, den Mindestlohn zu zahlen. Ihnen muss geholfen über den Einfluss der Parteien auf die zukünftige Gestal- werden, aber nicht so, dass die Beschäftigten nach der tung des Landes. Die CDU hat fertig. Arbeit zum Amt gehen müssen, sondern das Unterneh-

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Es war nicht alles schlecht, was Sie in 24 Jahren zusam- Sie war allumfassend, und hinter dem, was Stanis- menregiert haben. Aber so darf es im Freistaat auf keinen law Tillich so freundlich und locker vorgetragen hat, Fall weitergehen. steckt harte Arbeit – über Jahre hinweg. Deshalb auch ein Dankeschön an die Regierungen von Biedenkopf und (Beifall bei den LINKEN – Lachen bei der CDU) Milbradt. Du hast das sehr erfolgreich mit deiner Mann- Vielleicht werden wir manchmal Kurt Biedenkopf um Rat schaft und dem Kabinett fortgesetzt – jeder Einzelne auf fragen, nicht gerade, wenn es um die Porzellanmanufaktur seine Weise. Die Finanzminister hatten es nicht immer in Meißen geht. Ganz sicher werde ich mir die Vorschläge leicht, was deren Ansehen betrifft. Dies dauerte immer ein des Weltbürgers Prof. Gillo zur Willkommenskultur in paar Jahre. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Sachsen zu eigen machen. Mit Erich Iltgen, unserem Deshalb ein Dankeschön an dich, Stanislaw Tillich, als langjährigen früheren Landtagspräsidenten, werde ich Ministerpräsident, und an die gesamte Mannschaft der gern über mehr Wege zur direkten Demokratie in Sachsen sächsischen Regierung. sprechen. (Beifall bei der CDU und der FDP) Die Wählerinnen und Wähler haben am 31. August die Wahl: Schönreden wie bisher oder besser machen mit Das Erfolgsgeheimnis ist die besondere Art der Zusam- neuer, unverbrauchter Kraft. menarbeit. Damit komme ich auf unsere Fraktion, die Glück auf! CDU-Fraktion, zu sprechen: 58 direkt Gewählte sorgen schon für die Bodenständigkeit einer Regierung. Wenn (Beifall bei den LINKEN) jemand glaubt, wir stellen die Regierung, lassen die machen, tragen es vor und am Schluss heben 58 Personen Präsident Dr. Matthias Rößler: Die Aussprache zur nur die Hand, dann muss ich sagen: So ist es nicht. Regierungserklärung eröffnete für die Fraktion Dahinter steckt harte Arbeit, und zwar so ziemlich täglich. DIE LINKE Herr Kollege Gebhardt. Jetzt spricht für die Zu allen Politikfeldern, die heute benannt wurden, haben CDU-Fraktion Kollege Flath. wir uns verständigt. Die Zahlen wurden genannt. Im Herbst wird über die Zahlen in diesem Hohen Haus Steffen Flath, CDU: Herr Präsident! Meine sehr verehr- diskutiert. Ich kann heute sagen: Auch die Verpflichtung ten Damen und Herren Abgeordneten! Das war ein habe ich – es ist kein Verdienst – als Nachfahre von Adam Fußballabend. Ich denke, nach diesem grandiosen Spiel Ries: Dieser Entwurf des Haushalts hält einer rechneri- haben die deutschen Fußballer, wenn sie schön auf dem schen Überprüfung mit den Grundrechenarten stand. Boden bleiben, wenn sie vernünftig bleiben, allerbeste Chancen, Weltmeister zu werden. (Zuruf des Abg. Andres Storr, NPD) Heute Morgen in der Fraktion – ich weiß nicht, ob ich es Das ist nicht überall in Deutschland oder in Europa so. erzählen darf, Frank Kupfer? – hat uns Staatsminister Frank Kupfer aufgemuntert. Er sagte uns, dass er heute (Beifall bei der CDU und der FDP) Morgen mit einem Holländer gefrühstückt und dieser ihm Darauf bin ich stolz. erzählt habe, dass die holländische Mannschaft heute Abend gegen Argentinien spiele. (Zurufe von der SPD) (Zurufe von den LINKEN und der SPD) Ich möchte auch den Mitgliedern meiner Fraktion danken. Wir werden uns im Herbst in den Ausschüssen, in Ar- Dazu hat Frank Kupfer gesagt: So ein Zufall, wir spielen beitskreisen und auch im Parlament damit beschäftigen. am Sonntag auch gegen Argentinien. Bei uns beginnt die Zusammenarbeit immer schon dann, (Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP) wenn der Entwurf entsteht. Das ist auch eine unserer Besonderheiten. Für diese fleißige Arbeit und für die Mich wundert es, dass dieser Fußballabend bei Ihnen so Geduld ein herzliches Dankeschön. wenig hinterlassen hat, meine Damen und Herren von der Opposition. Es war nicht immer einfach, aber das Ergebnis unterm Strich stimmt. Damit können wir uns sehen lassen. – (Heiterkeit bei der CDU) Hierzu können wir selbst schlecht klatschen und von der Opposition kann sich niemand durchringen. Wenn ich mir die mit der Regierungserklärung gezogene Bilanz anschaue, dann hat Sachsen durchaus gute Chan- (Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE) cen, Deutscher Meister zu werden. Ich komme zur FDP-Fraktion. (Beifall bei der CDU) (Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP) Herr Ministerpräsident, lieber Stanislaw Tillich: Kompli- Lieber Holger Zastrow, was ist das höchste sächsische ment, ich habe seitens der CDU-Fraktion der Regierungs- erklärung nichts hinzuzufügen. Lob? Das, was wir in der Legislaturperiode zusammen gemacht haben, ist gar nicht so schlecht. (Lachen des Abg. Andreas Storr, NPD) (Zuruf von der SPD: Es reicht aber nicht!)

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Der Wettbewerb zwischen uns beiden. Wer ist der Libera- Zur NPD: Auch hierzu hat die Aussage Stanislaw Tillichs lere? Wer ist der Konservativere? Wer ist der bessere zugetroffen. Ich will sie einmal mit meinen Worten Ordnungspolitiker? – Es war eine Freude und so muss zusammenfassen: Seit dem Jahr 2004 sitzt die NPD – weil man an die Arbeit herangehen. Es begann mit den Koali- die Wählerinnen und Wähler es so wollten – im Sächsi- tionsverhandlungen und setzte sich bis zum heutigen Tag schen Landtag. Wenn ich das rein parlamentarisch und fort. Vielen Dank für diese gute Zusammenarbeit. mathematisch aufrechne, ist das Ergebnis der parlamenta- rischen Arbeit der NPD Nullkommanichts, und das seit (Beifall bei der CDU und der FDP) dem Jahr 2004. Ich komme zu Antje Hermenau. Das, was ich jetzt sage, (Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD) wissen nicht viele. Ich kann mich an keine einzige parlamentarische Ent- (Oh! von der CDU – scheidung erinnern, bei der Ihre Stimmen ausschlagge- Zuruf von den LINKEN: Was?) bend gewesen wären. Das Ergebnis ist Nullkommanichts. Deine Überzeugung, deine persönliche, aber auch deine (Zurufe der Abg. Arne Schimmer politische Biografie haben mir bezüglich der Verfassungs- und Andreas Storr, NPD) änderung Mut gegeben. Auch Geduld und Ausdauer brauchen immer Motivation. Du warst für mich die Deshalb mein Signal an die Wählerinnen und Wähler in Motivation, dass eine Überzeugung tatsächlich zum Ziel Sachsen: Es lohnt nicht, Ihrer Partei eine Stimme zu führen kann. Ein herzliches Dankeschön dir ganz persön- geben, und unterm Strich schadet dies lich, aber auch deiner Fraktion, die das mehr oder weniger (Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD) zu dulden, zu ertragen bzw. zu befördern hatte. – auch Ihr Wirken und Ihre Zwischenrufe – dem Ansehen (Beifall bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN) unseres Freistaates Sachsen. Ich komme zu Martin Dulig. Von ihm habe ich richtig (Beifall bei der CDU, der FDP, den LINKEN, der etwas gelernt. Ich weiß, dass Sie es ziemlich schwer in SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der NPD) Ihrer Fraktion hatten. Es war eine schwierige Ausgangssi- tuation. Sie hatten einen Parteitagsbeschluss, der keine Anschließend wird Jens Michel – dafür machen wir diese Verfassungsänderung vorsah. Sie haben den Mut gehabt, Aussprache im Parlament – im Einzelnen auf die Vor- eine Mitgliederbefragung durchzuführen. Diese Mitglie- schläge der Opposition eingehen. Er wird darauf verwei- derbefragung brachte zum Ausdruck, dass eine Mitglied- sen, was im Herbst dieses Jahres in diesem Hohen Haus schaft in der Partei vernünftiger sein kann als ein Partei- diesbezüglich stattfindet. tagsbeschluss. Wer hätte es gedacht, dass mir das zunutze Ich will noch einmal auf die Eckzahlen zu sprechen kommen könnte! kommen. Mit dieser Grundlage, die die Regierung mit Als unser Bundesgeneralsekretär Tauber diesbezüglich den Haushaltsplan 2015/2016 geschaffen hat, besitzt verschiedene Vorschläge machte, unter anderem eine Sachsen alle Chancen – ich sage es noch einmal: Es ist stärke Einbeziehung der Mitglieder, habe ich gesagt: Bei hart erarbeitet, auf diesem Gebiet – auf anderen Gebieten der SPD konnte man lernen, dass so etwas nützlich und sind wir es schon – Deutscher Meister zu werden. sinnvoll sein kann. Ich verbinde damit auch immer die Es gehört heute auch dazu, wenn wir es politisch diskutie- Hoffnung, dass ein Mitgliederentscheid in der CDU ren, denjenigen zu danken, die die Grundlagen dafür durchaus zu einem sehr konservativen Ergebnis führen geschaffen haben. Das ist die sächsische Wirtschaft mit kann. Das habe ich von dir gelernt; vielen Dank für die ihrem Erfolg – von den größeren Betrieben; die Automo- Motivation, die Sie mir damit gegeben haben. bilindustrie wurde schon genannt – bis hin zum Freiberuf- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU) ler, zum Handwerker, und es ist genauso das Verdienst der sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Herr Kollege Gebhardt! Steuern zahlen und uns in die Lage versetzt haben, wovon (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Jetzt ist er dran!) wir – das möchte ich noch einmal wiederholen – am Anfang der Legislaturperiode in dieser Krisensituation nie Sie haben mich bezüglich Ihrer Mitarbeit bei der Verfas- zu träumen gewagt hätten. sungsänderung und mit Ihrem Abstimmungsverhalten beeindruckt. Das nötigt mir Respekt und Achtung ab und Deshalb einen Dank an jene, die fleißig in unserem Land zeigt – ich war nie davon überzeugt, mich haben andere etwas riskieren, die arbeiten und die uns damit diese überzeugt, aber es hat funktioniert –, Ihre Fraktion hat Möglichkeit gegeben haben, über einen Haushaltsplan sich mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen an dieser politisch reden zu können. Ein herzliches Dankeschön Verfassungsänderung beteiligt, und dafür Anerkennung und Anerkennung! und auch ein Dankeschön. (Beifall bei der CDU, der FDP (Beifall bei der CDU, den LINKEN, und der Staatsregierung) der SPD und den GRÜNEN) Es gehört heute nach wie vor dazu: Der Steueranteil an unserem Haushalt ist gestiegen, aber wir sollten ganz

10502 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 realistisch bleiben – auch in unserem Bestreben, deutscher lien hier zu gründen, um ein Unternehmen zu gründen Meister zu werden. Es ist noch einiges zu tun. Deshalb sei oder um einen guten Arbeitsplatz auszufüllen. Deshalb heute auch daran erinnert, dass wir nach wie vor davon sollten wir gemeinsam am Erfolg Sachsens arbeiten. Gott profitieren, dass es in Deutschland eine – eigentlich schütze dieses Land und dieses Parlament! weltweit bestaunte – Solidarität gibt zwischen uns und Danke schön. den Ländern, die nicht 40 Jahre sozialistische Planwirt- schaft ertragen mussten und die schon länger in einer (Lang anhaltender Beifall bei der CDU, sozialen Marktwirtschaft erfolgreich sein konnten. Des- der FDP, der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE, halb ergehen mein Dank und meine Anerkennung an die und der Staatsregierung) sogenannten alten Bundesländer, die uns nach wie vor solidarisch unterstützen. Präsident Dr. Matthias Rößler: Das war – und das ist – Steffen Flath. (Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung) (Heiterkeit bei der CDU) Wir haben die Möglichkeit, über die Zukunft zu streiten. Er sprach für die CDU-Fraktion. Jetzt spricht für die SPD- Ich will noch einmal sagen: Wir hatten uns vorgenommen Fraktion Kollege Dulig. – und ich persönlich hatte mir vorgenommen –, an der Martin Dulig, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kultur des Umgangs hier im Parlament zu arbeiten. Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine Idee, wie dieses Gerade im Jahr, in dem wir 25 Jahre friedliche Revolution Land, wie unser Sachsen morgen aussehen soll. Ich habe feiern, will ich festhalten: Ich glaube, wir sind auch beim eine Vorstellung, welche Herausforderungen vor uns Umgang hier im Parlament vorangekommen. Vielleicht liegen, um allen Menschen in Sachsen eine gute Zukunft ist gerade diese gemeinsame Verfassungsänderung ein zu ermöglichen. Beleg dafür, dass Demokratie nicht nur Streit oder gar Verachtung oder Vernichtung im politischen Wettbewerb Ich habe die Motivation, die Energie und den Elan, mit bedeutet, sondern dass wir in einer Demokratie auch diese vollem Einsatz für ein Sachsen von morgen zu arbeiten; Demokratie leben können. Damit können wir ein Beispiel (Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD) dafür geben, dass Demokratie funktionieren kann. denn ich weiß, wie es den Menschen in Sachsen geht, Ich möchte, dass wir daran arbeiten: Wenn wir eines weil ich die Gewinner und die Verlierer kenne. Ich bin zu Tages 50 Jahre friedliche Revolution begehen, möchte ihnen gegangen, ich habe mit ihnen gesprochen und ihnen ich, dass wir in Sachsen – ich glaube, das ist realistisch – zugehört. deutscher Meister sind, dass wir vorn liegen und dass wir uns nicht mehr darüber streiten – das wird heute hier auch (Unruhe bei der CDU und der FDP) zum Ausdruck kommen –, wer im Schuldenmachen am Mit dem Polizisten, der seinen Beruf liebt, aber gerade an kreativsten ist, sondern dass wir darüber streiten, was die seinem Dienstherrn zweifelt. Mit der Erzieherin, die sich besten Lösungen für unser Land sind. für die Kinder aufopfert, aber oft an der Überlastungs- (Zuruf des Abg. Michael Weichert, GRÜNE) grenze steht. Mit der Suchtberaterin, die mir von einem 11-jährigen Crystal-Abhängigen erzählt hat. Mit der Wie sollen wir das Geld, das zur Verfügung steht, am Zöllnerin, die ihren eigenen Sohn durch Drogen verloren besten und wirkungsvollsten einsetzen? Dass uns dieses hat und nun die Dealer an der Grenze stellt, aber verbittert Ziel hier im Haus eint, das wünsche ich mir. Ich wünsche erkennen muss, dass für diese wichtige Arbeit zu wenig mir, dass wir alle dieses Ziel verfolgen, dass wir die Personal zur Verfügung steht. Besten sein wollen, weil es dann auch den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern in Sachsen am besten geht. (Zuruf des Staatsministers Sven Morlok) Wenn uns das einen würde, dann wäre das etwas Großar- Aber ich habe auch den erfolgreichen IT-Unternehmer tiges. getroffen, der seine Softwarefirma in Dresden so entwi- Ich habe die NPD als Beispiel genannt. Es gibt auch ckeln konnte, dass sie inzwischen über 200 Mitarbeiter manche anderen im Land, die destruktiv arbeiten und die beschäftigt. Mich hat der Betriebsratsvorsitzende von Leistungen, die in Sachsen erbracht werden, schlechtma- Plauen beeindruckt, der für seinen Standort gekämpft hat chen, manchmal auch aus taktischem Kalkül. Das ist kein und alle Kolleginnen und Kollegen entweder beim Mut- erfolgreicher Weg. terkonzern mit sicheren Arbeitsplätzen versorgt oder für eine veränderte Produktion weiterhin am Standort gesorgt Das Besondere ist – ich komme noch einmal darauf hat. zurück –: Wenn Deutschland Weltmeister wird, dann wissen wir doch alle, was Erfolg bewirkt. Dann spielen Mich hat berührt, wie stolz die Vereinsvorsitzende über plötzlich wieder viele mehr Fußball, dann wird Deutsch- den Preis des Sozialministeriums war, land plötzlich wieder anziehend für erfolgreiche Fußballer (Andreas Storr, NPD: Jetzt zeigen dieser Welt. Um das Bild auf Sachsen zu übertragen: Sie mal nicht so viel Gefühl!) Nichts zieht mehr an als der Erfolg. Dann kommen Leute, um ihre Kinder hier zur Welt zu bringen, um ihre Fami-

10503 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 weil sie endlich Anerkennung für ihre jahrelange, aufrei- In unserem Sachsen werden wir in den nächsten fünf bende Arbeit bekommen hat. Ich bewundere die Pflegerin, Jahren jede ausscheidende Lehrerin und jeden ausschei- die seit 23 Jahren aufopfernd in einem Pflegeheim arbeitet denden Lehrer ersetzen und zusätzlich – ich betone: und körperlich und psychisch an ihre Grenzen kommt. zusätzlich – jedes Jahr weitere 500 Lehrerinnen und Es gab so viele Begegnungen mit Menschen, die mir im Lehrer einstellen, um zum einen die große Altersbugwelle Gedächtnis geblieben sind: Die Schülerin, die bei Wind abzufangen und zum anderen wieder in Qualität von Schule zu investieren und Wetter 70 Minuten mit dem Schulbus von zu Hause bis zur Schule fahren muss, nur für eine Fahrt. Die Mutter (Beifall bei der SPD) aus dem Elternrat, die für mehr Geld für die Schulen kämpft, aber das Gefühl hat, und um eben nicht weiter Lehrerstellen abzubauen, wie geplant. (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) Wie viel sind uns unsere Kinder wert? Das ist für mich „von denen im Kultus“ nicht ernst genommen zu werden. die Schlüsselfrage der nächsten Wahlperiode. Meine Die Straßenbauarbeiter, die ihren Buckel für unmögliche Antwort lautet: Wir müssen Geld für Kinder und Schulen Leistungsvereinbarungen mit der Stadt hinhalten müssen, und nicht für Banken ausgeben. Wer 2,75 Milliarden Euro aber froh sind, dass jetzt die Rente mit 63 kommt. Oder für die Rettung einer Landesbank die Kinder, die ihr selbst geschriebenes Theaterstück (Ach! von der CDU) aufgeführt haben und in jenem Moment die stolzesten Menschen der Welt waren. im Haushalt hat, der hat auch Geld für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Personal an Kitas. Das alles ist Sachsen. Das ist Sachsen im Jahr 2014. Es gibt Licht und Schatten. Die Menschen sind trotz zahlrei- (Beifall bei der SPD – cher, begründeter Sorgen mehrheitlich recht zufrieden. Zuruf des Abg. Thomas Schmidt, CDU) Nur, wir dürfen nicht selbstzufrieden sein, denn wir tragen die Verantwortung für Sachsens Zukunft. Das, was wir brauchen, sind Kitas, in denen die Erziehe- rinnen und Erzieher ihren Kindern wieder zuhören kön- (Beifall bei der SPD) nen, vor allem den Kindern, denen zu Hause zu wenig zugehört wird. In meinem Sachsen wird jedes Kind so gefördert, dass es unabhängig davon, wie es zu Hause aussieht, die beste Was wir brauchen, ist ein neuer und lebensnaher Betreu- Bildung bekommt, um das eigene Leben zu meistern. In ungsschlüssel und keine Mogelpackung. meinem Sachsen werde ich um jedes Talent kämpfen. In unserem Sachsen wird den Hochschulen wieder Luft (Jürgen Gansel, NPD: Es zum Atmen gegeben, werden die Kürzungen zurückge- wird nie dein Sachsen geben!) nommen. In unserem Sachsen wird die duale Ausbildung gestärkt, werden junge Menschen optimal in Ausbildung In meinem Sachsen will ich mich nicht damit abfinden, und Beruf begleitet. (Zurufe von der CDU) Ich will kein Kind, keinen Jugendlichen in Sachsen dass jeder Zehnte die Schule ohne einen Schulabschluss zurücklassen. Das muss Richtschnur jeder Politik sein, verlässt. In meinem Sachsen wird nicht eingeteilt, wer wenn sie die Zukunft im Blick hat. Wenn wir heute nicht mehr oder wer weniger Bildungschancen in unserem in unsere Kinder investieren, müssen wir morgen die Bildungssystem hat. negativen Auswirkungen reparieren, und uns werden die Fachkräfte für die Zukunft fehlen. In unserem Sachsen ist (Andreas Storr, NPD: Es ist jetzt gut!) die Bekämpfung des Fachkräftemangels Chefsache. Wir Unsere Kinder, unsere Bildung – das ist das größte können die Zukunft unseres Landes nicht aufs Spiel Kapital, was wir haben, setzen und zulassen, dass unsere Unternehmen nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Zuruf von der CDU: bekommen und die Wirtschaft geschwächt wird. Wir Mein Gott! Meine Herrn!) brauchen eine starke Wirtschaft, die das erwirtschaftet, doch wir sind auch gerade dabei, es zu verschleudern. was wir verteilen. (Mario Löffler, NPD: Peinlich, peinlich!) (Beifall bei der SPD) Verunsicherte Schulleiter, die wegen des fehlenden In unserem Sachsen haben Politik und Wirtschaft erkannt, Personals die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. dass unsere Zukunft in der Digitalisierung liegt. Das Frustrierte Eltern, die vor Kurzem noch nicht wussten, auf Gerede, der Staat müsse sich aus der Wirtschaft heraus- welche Schule ihr Kind gehen wird, und die sich immer halten, ist nicht nur ein Irrtum, sondern auch gefährlich. öfter gezwungen sehen, gegen Unterrichtsausfall und (Zuruf von der FDP: Siehe Leipzig!) Lehrermangel zu protestieren. Zukunftsplanung und vorausschauende Personalpolitik sehen anders aus. Jede industrielle Revolution – ob der Bau von Eisenbahn- linien oder der Ausbau der Telekommunikation – wurde

10504 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 erst durch staatliche Investitionen vorangetrieben. Ich möchte kein Sachsen, in dem Kritik an Nazivorfällen spreche hier von wirklich notwendigen Investitionen, schlimmer ist als der Nazivorfall selbst. einer tatsächlichen digitalen Offensive in unserem Sach- (Mario Löffler, NPD: Ihre linke sen. Gewalt ist zum Kotzen, Herr Dulig!) (Torsten Herbst, FDP: Sie In unserem Sachsen ist konstruktive Kritik erwünscht. Da wollen halb so viel ausgeben …!) sind die Menschen keine Bittsteller und Untertanen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu gehört auch die sondern gleichberechtigte Teilhaber. In unserem Sachsen Energiesicherheit. Wir werden für eine vertretbare Über- möchte ich den Streit um die besten Lösungen und keine gangszeit auch weiterhin auf unsere einheimische Braun- Grabesstille; denn in einer Kultur des Schweigens und des kohle setzen, bis wir regenerative Energien auch so Sich-Wegduckens gibt es keine Innovation, keinen kreati- speichern können, dass sie grundlastfähig sind. Alles ven Aufbruchgeist. andere gefährdet unsere Industrie und damit unseren (Beifall bei der SPD) Wohlstand. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Legislaturperiode (Zuruf von der NPD: Lächerlich!) geht nun zu Ende, die neue steht vor der Tür. Die einen Das Rückgrat unserer Wirtschaft sind die Menschen. Sie blicken zurück, die anderen nach vorn. sind es, die mit ihrer Leistung, ihrer Kraft und ihren Ideen Ich danke dir, Karl: Du hast immer für eine andere politi- die Werte schaffen. Was so banal klingt, ist eben nicht sche Kultur gekämpft selbstverständlich. In einer Gesellschaft, in der der Mensch immer mehr auf seinen ökonomischen Nutzen (Ministerpräsident Stanislaw Tillich: reduziert wird, ist es notwendig zu sagen, für wen wir das Das stimmt, ja!) tun. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt. und selbst einen hohen Preis dafür gezahlt. (Beifall bei der SPD – (Beifall bei der SPD) Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD) Liebe Liane, ich danke dir – der stillen, aber fachlich Deshalb ist es in unserem Sachsen notwendig, alles zu versierten und dadurch über Fraktionsgrenzen hinweg tun, um die wachsende Spaltung zu überwinden. anerkannten Kollegin im Parlament. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem Sachsen (Beifall bei der SPD – sollen die Menschen fair entlohnt werden. In unserem Heiterkeit der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE) Land soll man nicht mit Niedriglöhnen überleben, son- dern mit ordentlich ausgehandelten Tariflöhnen gut leben Mein Dank geht auch an Marie-Luise. Du hast es ge- können. schafft, dich in nur wenigen Wochen in die Themen einzuarbeiten, und dich mit vollem Elan eingebracht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir müssen an die Zukunft denken und jetzt den Über- gang zum Mindestlohn gestalten. Eine funktionierende Zu einer guten politischen Kultur gehört, auch denen zu Sozialpartnerschaft, in der kluge Arbeitgeberverbände und danken, die anderer Meinung waren. starke Gewerkschaften auf Augenhöhe Tarifverträge (Arne Schimmer, NPD: Ach, nun aushandeln – das soll Normalität in unserem Sachsen danken Sie den NPD-Abgeordneten!) sein. Lieber Steffen Flath, gerade in der letzten Zeit haben Sie (Beifall bei der SPD) es mir nicht ganz leicht gemacht. Auch Ihnen gilt mein Soziale Spaltung zu verhindern – dazu gehört auch, die Dank und Respekt, verbunden mit den besten Wünschen Gräben zuzuschütten, die sich zunehmend zwischen für Ihr persönliches Wohlergehen auf Ihrem weiteren unseren Städten und den ländlichen Regionen auftun. In Weg. unserem Sachsen darf man sich nicht in ländlichen Regi- Dieser Dank und die besten Wünsche für die Zukunft onen abgehängt fühlen oder gar durch fehlende Infra- gelten natürlich für alle Kolleginnen und Kollegen der struktur, fehlenden ÖPNV, fehlende soziale, medizinische demokratischen Fraktionen, die freiwillig oder unfreiwil- und kulturelle Angebote abgehängt werden. lig den Landtag verlassen. Vielen Dank für die grundsätz- In unserem Sachsen muss man sich in Zukunft aber auch lich kollegiale Zusammenarbeit! in den großen Städten noch Mieten leisten können. Wie (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU, schnell die Dinge aus dem Ruder laufen können, sehen den LINKEN, der FDP und der Staatsregierung) wir in vielen anderen deutschen Metropolen, in denen immer mehr Mieterinnen und Mieter an den Stadtrand Es liegt an uns, wie sich Demokratie und die politische oder in sozial schwache Stadtviertel verdrängt werden. Kultur in Sachsen entwickeln. Es liegt an uns, wie sich unser Land entwickelt – ob es nur verwaltet wird oder ob Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, ich wünsche mir wir den Mut und den Willen für notwendige Veränderun- auch eine andere politische Kultur in diesem Land. Ich

10505 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 gen aufbringen, damit alle Bürgerinnen und Bürger eine Wir sind stolz auf unseren Namen – egal, wie der Zustand gute Zukunft haben. dieser „Marke“ ist, er ist nicht berühmt, aber wir tricksen Ich habe Ihnen das Bild unseres Sachsens für morgen uns nicht heraus, weil jeder in diesem Land weiß, dass vorgestellt – nun vergleichen Sie! diese sächsische FDP hundert Prozent sächsisch ist und etwas ganz, ganz anderes als die FDP „irgendwo“ in (Anhaltender Beifall bei der SPD – diesem Land. Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE) (Leichte Heiterkeit) Präsident Dr. Matthias Rößler: Die SPD-Fraktion war Genau deswegen warten wir auch die Wahl ab. Das wird hier durch Kollegen Dulig vertreten. – Wir fahren in der viel besser, als ihr alle hier prophezeit! Am Ende sitzen Aussprache zur Regierungserklärung fort, und das Wort wir wieder hier und sehen uns alle wieder. ergreift für die FDP-Fraktion Herr Kollege Zastrow. (Beifall bei der FDP und des Holger Zastrow, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Staatsministers Sven Morlok) Meine Damen und Herren! Jetzt zurück vom SPD- Landesparteitag in den Sächsischen Landtag! Wenn ich die letzten fünf Jahre zusammenfassen müsste, so hat mir leider Steffen Flath den Spruch vorwegge- (Beifall bei der FDP, der CDU und der nommen; ich drücke es sächsisch aus: Das war nicht Staatsregierung – Stefan Brangs, SPD: Gott schlecht. Was für ein Lob! Die letzten fünf Jahre ist sei Dank habe ich Sie dort nicht gesehen!) richtig etwas gegangen. Wir haben gerade unsere Bilanz Lieber Martin Dulig, ich kann Ihre Rede mit nur wenigen vorgestellt und noch einmal zusammengetragen, was Worten zusammenfassen: „Ich, ich, ich – mein, mein, stattgefunden hat. Man vergisst ja sehr schnell, was man mein“. geschafft hat, gerade auch im ersten Teil der Legislatur. In diesem Land ist richtig etwas geworden. Wir sind stolz (Beifall bei der FDP, der CDU auf unsere Bilanz, auf unseren Anteil an dieser Regierung. und der Staatsregierung) (Beifall bei der FDP, vereinzelt Beifall bei Ich hoffe, das ist jedem aufgefallen. Ich dachte, dass bei der CDU und Beifall bei der Staatsregierung) der SPD das „Wir“ entscheidet. Wir haben hier entlang vieler großer Linien Politik (Lachen bei der SPD) gestaltet, aber auch viele kleine, vermeintlich unwichtige Aber diese Rede, diese vielleicht neue Kommunikations- Entscheidungen getroffen, deren Bedeutung von der strategie hat die Wahrheit, die ich schon immer bei der Opposition zu Unrecht verniedlicht wird, obwohl sie viele SPD vermutet habe, herausgestellt: Das Ich entscheidet – Menschen betreffen und sich viele Menschen darüber zumindest das Ich bezahlt, das wissen wir inzwischen gefreut haben. Wir sind eben nicht nur im Theoretischen alle. geblieben und haben nicht Sprüche geklopft, sondern stattdessen die Lebenssituation sehr vieler Menschen ganz (Beifall bei der FDP, der CDU konkret verbessert. und der Staatsregierung) Wir haben uns um das Neuverschuldungsverbot geküm- Was habt ihr Sozialdemokraten hier in Sachsen eigentlich mert. Lieber Rico Gebhardt, bereits in der vorangegange- für ein Egoproblem? Unfassbar! Das mag auf dem SPD- nen Legislatur hatte es einen entsprechenden Vorstoß Landesparteitag eure Herzen rühren – dann sitzen alle mit gegeben. Den Vorwurf, dass das eine taktische Entschei- Tränen da –, dung von uns gewesen sei, habe ich nicht verstanden. Uns als FDP ist das Neuverschuldungsverbot nachweislich (Zurufe von der SPD) schon immer ein Herzensanliegen. Ich fand die Debatten aber in Sachsen bitte so nicht! Gott schütze dieses Land dazu durchaus gut. Eines möchte ich jedoch ergänzen – vor diesem Egoismus! Tut mir leid, unfassbar! Steffen Flath hat das so lieb und nett gesagt –: Ich war enttäuscht, dass DIE LINKE am Ende nicht komplett (Heiterkeit und starker Beifall bei zugestimmt hat. Einzelne von Ihnen haben zugestimmt; der FDP, der CDU und der Staatsregierung) aber ansonsten wurde der Verfassungskompromiss leider Lieber Rico Gebhardt, dass der Hinweis zu Beginn kam, nicht von den LINKEN mitgetragen. Auch daran muss hätte ich mir fast denken können – uns geht es schon man erinnern. Lieber Herr Gebhardt, daraus kommen Sie lange so, die Erfahrungen haben die LINKEN in Sachsen nicht heraus. aber auch gemacht. Ja, meine Berliner Freunde machen (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU) mir schon seit vielen Jahren sehr viel Freude. Das war schon zu Regierungszeiten so, in der APO ist es nicht Neben dem Neuverschuldungsverbot – Sachsen hat die besser geworden. Ich kann nur eines versprechen: Egal, niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung aller deutschen Länder was ist, wir in Sachsen behalten unseren Namen. – haben wir uns auch um eine hohe Investitionsquote gekümmert. Ich erinnere auch an unseren Beschluss zur (Leichte Heiterkeit) Wiedereinführung der heimatlichen Autokennzeichen.

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Wir haben uns um die Staatsmodernisierung ebenso haben – Gott sei Dank! – das Staatsexamen zurückgeholt. gekümmert wie um die Liberalisierung der Ladenöff- Das sind Korrekturen an Ihrer Politik. An Ihre Zeit nungszeiten. erinnert hier schon bald gar nichts mehr. Wir haben eine digitale Offensive aufgelegt. Sachsen ist (Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD) nach Bayern das Bundesland – meiner Ansicht nach wollt Auch der City-Tunnel gehört zu unseren Erfolgen. ihr, liebe Sozialdemokraten, viel weniger dafür investie- ren, nur die Hälfte –, das am meisten in diesem Bereich Was die SachsenLB angeht: Sie von der SPD waren doch tätig wird. Auf Bundesebene gibt es einen Minister, Herrn dabei! Sie haben nichts dagegen unternommen, Sie haben Gabriel, der für digitale – – nichts gestoppt. Sie sitzen im selben Boot. Stehen Sie doch dazu! Sie regierten damals mit und hätten das (Zurufe: Dobrindt!) stoppen können; das haben Sie nicht gemacht. Klar hat – Ach, Herr Dobrindt? Auch nicht besser. die CDU eine größere Verantwortung. Aber Sie waren dabei. Auch daran erinnere ich Sie. (Heiterkeit – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Er ist aber in einer anderen Partei!) (Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung) – Das kann ich in dem Haus so sagen. Wir lassen einfach die Fakten sprechen. Ich will nicht Er ist unter anderem für Digitalisierung zuständig. In den alles wiederholen, weil der Ministerpräsident das meiste entsprechenden Haushalt sind aber keine Mittel einge- schon ausgeführt hat. Dass wir erfolgreich sind, liegt stellt. Wir in Sachsen dagegen engagieren uns für die daran, dass unsere Handwerker, unsere Unternehmer, digitale Offensive und stecken, wie gesagt, das zweit- unsere Berufstätigen, unsere in der Gesellschaft Engagier- meiste Geld in die Förderung dieses sehr wichtigen Anliegens. ten einen richtig guten Job gemacht haben. Aber es hat auch sehr viel mit den Rahmenbedingungen, die die Wir kümmern uns um den Mopedführerschein ab Regierung setzt, zu tun. Insoweit lohnt sich der Vergleich 15 Jahren, weil das ebenfalls viele Leute betrifft. mit dem Bund und anderen Bundesländern. Vom Schulschließungsstopp, den wir erreicht haben, bis Die Rahmenbedingungen in Sachsen würde ich zusam- hin zu den Schmalspurbahnen, von der Oberschule bis hin menfassend so beschreiben: Sie sind wirtschaftsfreundlich zum Schutz unserer Heimat vor immer mehr Windkraft- – wirtschaftsfreundlicher als anderswo. Sie sind wachs- anlagen – die gesamte Palette an Aufgaben hat Schwarz- tumsfreundlich – wachstumsfreundlicher als anderswo. Gelb gut gelöst. Sie sind lebensfreundlich. Dabei orientieren wir uns sehr (Beifall bei der FDP, der CDU am Prinzip der Nachhaltigkeit. Erfolgsfaktoren sind und der Staatsregierung) zudem unsere sächsische Technikbegeisterung und unser sächsischer Fortschrittsgeist. Steffen Flath hat es schon Wir haben viel mehr Wucht in die Sanierung und den gesagt: Wir in Sachsen lamentieren nicht so viel. Hier Ausbau unserer Infrastruktur hineingebracht. Auf unser erlebt man vielmehr die typisch sächsische Unaufgeregt- Engagement für Kitas und für Schulen bin ich ganz heit. Dabei kommt etwas richtig Vernünftiges heraus. besonders stolz. Wichtigtuerei, lieber Martin Dulig, passt hier nicht so Das Erbe, das uns unsere Vorgänger hinterlassen hatten, richtig hin. Damit gewinnt man hier auch keine Wahlen; haben wir angenommen. Was blieb uns auch anderes das kann ich heute schon voraussagen. übrig? Wenn wir neu in der Regierung sind, müssen wir Wir experimentieren hier nicht herum, sondern halten natürlich auch mit dem umgehen, was vorher unter Sachsen auf Kurs. Das gelingt uns, weil wir einen Kom- Umständen falsch lief. pass haben. Unser Kurs beinhaltet ein klares Bekenntnis Wenn ich an die Versäumnisse der SPD zu ihrer Regie- zu den Werten der Wende, zu den Werten der Friedlichen rungszeit denke, komme ich zu dem Ergebnis: Vieles ist Revolution. Was waren das für Werte? 25 Jahre später viel besser geworden, vieles ist geheilt worden. kann man durchaus einmal daran erinnern. Es ging um ein Bekenntnis zum fairen Wettbewerb, zur Marktwirtschaft, Frau Dr. Stange, wie konnte es Ihnen nur passieren, dass um das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und Kreativi- Sie den zukünftigen Lehrerbedarf so falsch eingeschätzt tät des Einzelnen, übrigens auch um ein Bekenntnis zum haben? Heute muss eine CDU/FDP-Regierung die Wei- Leistungsprinzip, dazu, dass sich Leistung lohnen darf, chen richtig stellen, um das zu heilen, was Sie versäumt dass derjenige, der sich anstrengt, mehr haben darf als haben. derjenige, der das nicht tut. Das alles waren Anliegen, für (Beifall bei der FDP, der CDU und der die wir vor 25 Jahren auf die Straße gingen. Staatsregierung – Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Wir gingen nicht für mehr Gleichmacherei, die Sie auf der Wer hat die Lehrerausbildung beschlossen?) linksgrünen Seite wollen, auf die Straße, nicht für mehr Die von Ihnen vorgenommene falsche Weichenstellung in Kollektivismus oder mehr Uniformität. Es ging uns nicht der Lehrerausbildung führte dazu, dass es am Ende so um mehr, sondern um weniger Staat. Wir wollten mehr wenige Bewerber gab. Das haben wir korrigiert. Wir Freiheit. Das alles wurde in der praktischen Politik dieser

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Regierung weitergelebt. Leider sind wir diesbezüglich die Sachsen ist unter Schwarz-Gelb selbstbewusster gewor- einzige Regierung deutschlandweit. Wir sind die einzige den. Das sieht man daran, dass wir sehr oft in Berlin Regierung, die noch nach marktwirtschaftlichen Grunds- unsere eigenen Positionen vertreten. Das geht der CDU ätzen regiert. Ich bin stolz, dass es ausgerechnet Sachsen genauso wie der FDP. Uns eint oft eine sächsische Sicht ist. Das ist vielleicht auch kein Wunder, weil die friedli- auf die Dinge, die nicht immer von den jeweiligen Mut- che Revolution nun einmal von Sachsen ausging. Wir terparteien so gern gesehen worden ist. Wir haben als bekennen uns weiterhin zu den Zielen von damals. FDP dafür in Berlin einen hohen Preis gezahlt. Hätte man das eine oder andere Mal auf uns gehört, wäre es besser (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU) gewesen. Nun gut, jetzt müssen wir halt den Wiederauf- Das unterscheidet uns von anderen, auch von Schwarz- stieg der FDP am 31. August hier in Dresden beginnen. Rot in Berlin. Dort greift man unerklärlicherweise auf die Das mache ich doch gern. Konzepte aus der planwirtschaftlichen Mottenkiste eines Aber wir wissen natürlich, dass ein staatlich festgelegter zugrunde gegangenen Systems zurück, siehe die Rege- Mindestlohn Gift für unser Land ist. Wir wissen, dass er lungen zur Energiewende. Politiker anderswo, auch auf Jobs, Existenzen und Chancen kostet, und deswegen Bundesebene, bekunden ihr enormes Misstrauen gegen- wehren wir uns auch dagegen. Jetzt sollen 1 600 neue über dem Einzelnen und gegenüber Unternehmen Kontrolleure und Fahnder eingestellt werden, die in den dadurch, dass sie meinen, Löhne staatlich verordnen zu Backstuben, in den Drechselwerkstätten, in den Küchen müssen. Man erfindet neue Einnahmequellen wie die der Unternehmen stehen. Aber vor chinesischen Plagiaten Maut. Der Bund scheint zudem in einen wahren Quoten- wird das Erzgebirge nicht geschützt. Ich finde das schä- rausch verfallen zu sein. big. Und dann gibt es Ausnahmen für die Zeitungsverlage Das ist hier anders, und das ist gut so. Das soll hier auch der SPD. Ich frage ernsthaft: Was für eine Bananenrepub- nach der Wahl am 31. August anders bleiben. lik schaffen Sie da gerade in Berlin, meine Damen und Herren? (Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung) (Beifall bei der FDP) Dass es so anders ist, hat sehr viel mit der Regierungsbe- Gott sei Dank ist das hier in Sachsen anders. teiligung der FDP zu tun. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Es klingt für viele Menschen in Sachsen gut, Präsident Dr. Matthias Rößler: Ihre Redezeit geht zu wenn Sie von einem Politiker hören: „Ich verspreche, den Ende. Sitz eines DAX-Unternehmens nach Sachsen zu holen.“ Holger Zastrow, FDP: Ich komme zum Schluss. Toi, toi, toi! Viel Glück! Das meine ich ganz ernst. Sollte es gelingen, freuen wir uns alle. Liebe Sozialdemokraten, Meine Damen und Herren, wir gehen einen sächsischen wenn ich helfen kann – sofort! Das gilt auch für den Weg. Er unterscheidet sich maßgeblich von anderen und Ministerpräsidenten und sicherlich für uns alle. ist geprägt durch Schwarz-Gelb. Uns war es eine große Ehre, in dieser Koalition mit Ihnen, sehr geehrter Herr Aber schenken wir den Menschen doch bitte reinen Wein Ministerpräsident, mit dir, lieber Steffen Flath, liebe ein. Es ist nun einmal so: Der weitere Aufstieg Sachsens, Kollegen von der CDU, für dieses Land zu arbeiten. Es der Weg zum deutschen Meister, wie Steffen Flath es war eine große Erfahrung, eine große Erfüllung und formuliert hat, wird kaum über immer neue Großansied- persönlich sehr angenehm. Das kann ich so sagen. lungen führen. Das ist vorbei, das werden wir nicht Schwarz-Gelb passt zu Land und Leuten, passt zu Sach- schaffen. Wir werden den Subventionswettlauf mit Asien sen. Gott sei Dank ist Sachsen nicht Berlin. Das ist auch und Amerika wohl nicht gewinnen können. gut so, und so wird es auch bleiben. Sachsen ist nicht Eines muss uns klar sein: Wenn wir wachsen wollen, dann Berlin, wir machen das hier anders, wir machen es besser. muss das Wachstum aus unserer eigenen Kraft entsprin- Danke schön. gen. Unsere Unternehmen, unser Mittelstand müssen diese Kraft entwickeln. (Lebhafter Beifall bei der FDP – Lieber Martin Dulig, ich träume ein Stück weit mit, dass Beifall bei der CDU) vielleicht doch ein DAX-Unternehmen hierherkommt. Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die FDP-Fraktion Wir sollten aber realistisch bleiben und alles dafür tun – war das Herr Kollege Zastrow. Es geht weiter in der dafür kämpfen wir auch wirtschaftspolitisch –, dass es der Aussprache. Das Wort ergreift jetzt für die Fraktion eine oder andere sächsische Mittelständler schafft, in GRÜNE Frau Kollegin Hermenau. absehbarer Zeit selbst zu den führenden DAX-Unter- nehmen zu gehören. Das ist weitaus realistischer, und Antje Hermenau, GRÜNE: Herr Präsident! Meine dafür kämpfen wir. Damen und Herren Kollegen! Sie, Herr Ministerpräsident, (Beifall bei der FDP, der CDU haben gestern mit Stolz in der Stimme gesagt: Wir leben und der Staatsregierung) nicht über unsere Verhältnisse. – Ja, das ist richtig, und das unterstützen wir auch. Das haben wir auch getan. Aber wir leben erkennbar unter unseren Möglichkeiten,

10508 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 und das ruft Bündnisgrüne natürlich kritisch auf den Plan. (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und Wir sind eine Konzeptpartei, wir denken neue Wege vor, des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE) bringen sie zur Diskussion, versuchen dann auch aus der Sie sind bei vielen Bürgern verschuldet, denen der Zu- Opposition heraus, die Koalition zu treiben. Und wir gang zu einem guten öffentlichen Nahverkehr verwehrt müssen hier über verpasste Chancen sprechen. Das ist oder zumindest erschwert wird. Sie sind bei den Demo- schon meine Meinung. kraten im Lande verschuldet, die seit vielen Jahren gegen Da hilft es nicht, Schwarz-Gelb zu beschwören, als wäre Rechtsradikale vor Ort kämpfen, oft auch durch die das eine Lösung. Das führt in die Isolation. Es gibt in Staatsregierung behindert oder hinterfragt. Sie beginnen Deutschland weder im Bundesrat noch im diese Schulden abzutragen, weil nach dem NSU-Skandal noch irgendeinen Ansprechpartner mit irgendwelcher die Einsicht eingekehrt ist, dass die Regierung mehr tun Macht, der für ein schwarz-gelbes Bündnis hilfreich wäre. muss. Aber das ist mühsam erfochten. Das ist drohender Machtverlust für Sachsen und Isolation. Soziale Verschuldung frisst genauso die Zukunft auf, wie (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) es ökologische Verschuldung oder der Raubbau an der Natur tun oder wie es eben auch die Kapitalmarktver- Ich würde Sachsen nie schlechtreden. Sie haben doch schuldung tut. versucht, das so abzubiegen, wenn man Kritik äußern wollte. Aber ich leiste mir schon den Luxus eines eigenen (Beifall bei den GRÜNEN) Kopfes. Und wenn ich mir die Realitäten betrachte, dann Die größte ökologische Verschuldung dieser Staatsregie- gibt es hier eine Staatsregierung, die so manches schlecht rung ist die schlechte Energiepolitik. Darüber haben Sie gemacht hat. Das ist so. Das hat mit Reden nichts zu tun, heute kein einziges Wort verloren. auch mit Sachsen nichts zu tun, sondern es geht um die Staatsregierung. (Beifall bei den GRÜNEN) Die nächsten fünf Jahre werden nicht so sein, wie die Das Wort „Energie“ ist heute in Ihrer Erklärung nicht letzten fünf es gewesen sind. Stillstand können wir uns da gefallen. Umweltzerstörung, Heimatfraß, Investitionsver- nicht mehr erlauben. Wir stehen vor einer Legislaturperi- nichtung, Innovationsverzicht – das summiert sich zu ode von Veränderungen, in der man vieles anders anpa- einer sehr großen Last für zukünftige Generationen, und cken muss als bisher, damit Gutes Bestand hat und Sie haben kein Wort dazu verloren. Schlechtes sich nicht verschlimmert. Da ist eine Still- (Beifall bei den GRÜNEN) standskoalition nicht gefragt, aber vielleicht ein Stanislaw Tillich. Und dann ist die Frage: Wer sind Sie? Ich verstehe, dass Sie hier nicht unbedingt die EEG- Sie haben, wie ich finde, das Erbe Georg Milbradts in der Novelle des Bundestages von vergangener Woche vortra- Finanzpolitik in der Grundlinie solide weitergeführt, fast gen wollten, weil man da peinlich berührt sein kann. Das überängstlich, könnte man sagen. Das kostet auch Kraft. kann ich nachvollziehen, zumal dieses Teil schon wieder Das ist mir klar. Aber Sie hatten auch Unterstützung. im Trockendock ist. Aber Sachsen wird die Ausbauziele Dieses Parlament hat Sie unterstützt und gemeinsam bei erneuerbaren Energien ohne Hilfe der Staatsregierung parteiübergreifend eine Schuldenbremse in der Verfassung 2016 erreichen, die die Staatsregierung für 2025 vorgibt. verankert. Das ist also nicht Ihre eigene Leistung. Also, wenn Sie eine treibende Kraft sind, dann frage ich, wohin Sie rudern. Die Sächsische Staatsregierung kann seit vielen Jahren für sich in Anspruch nehmen, nicht auf den Kapitalmärkten (Beifall bei den GRÜNEN) überschuldet zu sein. Aber sie ist es inzwischen im Land, Ihr Parforceritt durch die Staatsfinanzen 2010 bis 2012 bei den Bürgern. Sie steht bei den Schulen in freier war kaufmännisch nicht durchdacht und sozial sehr kalt. Trägerschaft mit über einer halben Milliarde Euro in der Die letzten fünf Jahre habe ich oft so wahrgenommen: Kreide. Das haben Sie über Jahre durch eine falsche Schnöselig, zynisch, Ellenbogenmentalität, Gleichgültig- Politik angehäuft. Sie ist bei den Eltern in der Kreide, was keit – all das kam bei Akteuren dieser Koalition immer die Personalausstattung der Kitas und der Schulen betrifft wieder vor. Herr Milbradt war ein Raubein. Wir erinnern – auch eine falsche Politik. uns alle. Sie sind das ausdrücklich nicht. Aber Sie haben Die Lehrermisere haben Sie nicht allein zu verantworten. eine sehr raubeinige Koalition geführt, das muss man Das würde ich gern konzedieren. Da haben damals die schon sagen, und das ist auch nicht gerade sehr sächsisch. SPD und heute die FDP ihre Verantwortung mitzutragen. Ich habe mit Interesse verfolgt, wie Sie, Herr Tillich, Aber Fehler sollte man zugeben. Das haben Sie immer Ansiedlungs- und Industriepolitik betreiben. Ich schätze nur so ein bisschen hintenherum gemacht. Ich fand es Ihr starkes Engagement in dieser Frage. Sie haben da für befremdlich, der Opposition vorzuwerfen, es sei Aktio- Sachsen viel erreicht, auch im Bereich der Mikroelektro- nismus, wenn sie auf einem fundierten Personalentwick- nik, der Forschungsinstitute. Das muss man anerkennen. lungskonzept für die Schulen besteht. Das ist nicht in Das finde ich wichtig. Ordnung. Aber ich möchte eines betonen, ohne Sie anzugreifen: Wir sind vier Millionen Sachsen, und diese vier Millionen

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Sachsen sind keine wandelnden Standortfaktoren, sondern Ich komme noch auf den Punkt ländliche Räume. Wir wir bilden eine vielfältige Gesellschaft, über Kultur, unterstützen das Ziel, den ländlichen Raum lebenswert Bildung, Naturverbundenheit, Landwirtschaft, Vereinsle- und alternativ zu gestalten. Aber im Kulturbereich wurden ben und Solidarität. Damals, als Sie das Amt von Herrn 2010 die Ellbogen ausgefahren. Jetzt bekommen sie Milbradt übernahmen, waren Sie in Ihrer ersten Regie- wieder ein bisschen Geld zurück. Sie heilen das Vor- rungserklärung sehr erpicht darauf, das Wort „Solidarität“ kommnis mit den Landesbühnen einigermaßen. Aber für mehrfach hervorzuheben und zu erläutern, was Sie darun- die Entwicklung der ländlichen Kulturräume wird etwas ter verstehen. Das kam dann später nicht mehr vor, und mehr getan werden müssen. seit 2009 eigentlich gar nicht mehr. Da war dann bei der Der ÖPNV ist ein Stiefkind dieser Regierung geworden, Sozialpolitik die Rede von Feuerwehrstützpunkten im und beim Breitbandausbau bin ich froh, dass jetzt endlich ländlichen Raum und davon, dass die Ärzte schnell genug einmal Summen fließen, die relevant sind. Aber das bei den älteren Leuten sein müssen, wenn diese krank wurde auch durch die EU erstens einmal motiviert und sind. Das ist nicht Solidarität, sondern darunter verstehen dann auch kofinanziert – muss man ehrlicherweise hinzu- wir schon etwas mehr. fügen. Energie, Umwelt, ich habe schon darauf hingewiesen: Wir (Beifall bei den GRÜNEN) könnten in Sachsen Chancen nutzen, wenn wir den Wärmemarkt erschlössen, wenn wir endlich anfangen Wir haben ein zweites Thema, über das Sie kein Wort würden, das Handwerk nicht nur ständig die Dämmung verloren haben, was ich schade finde: Das ist die Frage auf Lattung nageln zu lassen, sondern zum Beispiel der Zuwanderung. Wurde ausgelassen. Ich glaube, dass einmal über die Anlagentechnik in den Gebäuden nach- wir, wenn wir wirklich ein Deutschlandmeister werden dächten und damit der Industrie neue Aufträge verschaff- wollen unter den Bundesländern, eine völlig neue Zuwan- ten. derungsstrategie in diesem Land brauchen. Das ist meine feste Überzeugung. Natürlich geht es auch um Verbundinitiativen und Regio- nalbudgets. Man kann – das ist ein Grundsatz, den auch (Zurufe von der NPD: Genau! – ich teile – auf Dauer nur das ausgeben, was man hat. Das Zuwanderungsweltmeister! – stimmt. Man muss aber auch dafür sorgen, dass man Deutschland abschaffen!) etwas hat, was man ausgeben kann. Da, finde ich, geht – Ihre Reaktion gibt mir völlig recht. Das wird viel Mut deutlich mehr, als bisher erreicht worden ist. Ich habe erfordern. gesehen, dass sich Forschung und Entwicklung bei den KMUs verbessert hat, aber die Fragen des Größenwachs- (Weitere Zurufe von der NPD) tums der Unternehmen oder der Zahl der Fachkräfte sind Die letzten 25 Jahre waren in Sachsen in der Politik davon weiterhin offen. Technologietransfer, Verbundinitiativen, geprägt, den Mut aufzubringen, finanzpolitisch solide zu überhaupt die wirtschaftliche Dynamik sind noch viel zu gering. arbeiten. Das war mutig. Der nächste Mut, vor dem wir sächsischen Politiker stehen, ist der, Sie haben völlig zu Recht dargestellt, dass die wichtigste Weichenstellung in den nächsten Jahren sein wird, wie die (Gitta Schüßler, NPD: Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich und zum … Sachsen endlich aufzulösen!) Solidarpakt verlaufen. Ich bin nicht die Einzige, sondern dass wir den demografischen Rahmenbedingungen die GRÜNEN im Osten insgesamt sind der Auffassung, Rechnung tragen, dass wir Zuwanderung auch gestalten, dass der Solidarpakt 2020 auch wirklich als Ostkrücke zu und auf der anderen Seite aber auch zivilisatorisch, enden hat. Wir teilen diese Auffassung. verfassungsrechtlich und gerne auch christlich unseren Der Westen Deutschlands sortiert sich schon durch, und eigenen Ansprüchen gerecht werden und das Wachsen als Nord und Süd im Westen versuchen schon einmal heraus- Gesellschaft, dass eben dann vielleicht doch ein moder- zufinden, ob sie ohne Ostdeutschland über Altschulden- nes, demokratisches Völkchen am Fuße des Erzgebirges hilfefonds und Zahlungsentlastungen diskutieren können. sein wird, betreiben. Der Bund ist mit der Schuldenbremse konfrontiert. Schön, (Heiterkeit bei der CDU) dass Herr Schäuble 2015 einen ausgeglichenen Haushalt ansteuert. Er hat historisch niedrige Zinsen. Noch werden Es fehlt an Willen, nicht an Geld, hat der Herr Saft kom- die Rentenentscheidungen nicht über die Steuern bezahlt, mentiert. Das ist ein schlimmer Vorwurf. Aber er trifft zu. aber das kommt noch. Und er hat außerordentlich gute So wie ich diesen Haushaltsentwurf gelesen habe, ist er Steuereinnahmen. In Sachsen würde so ein Haushalt nicht eine Aufforderung an die Bevölkerung, Herr Tillich, für als solide durchgehen – das muss ich einmal so deutlich die CDU einen tüchtigeren Koalitionspartner als jetzt sagen –, es sei denn, es würden mehr Rücklagen gebildet dazuzuwählen – wenn sie nicht ganz von Ihnen lassen werden. will. Aber: Sie sind beliebt, und deswegen glaube ich, dass das schon so ungefähr stimmt, was ich hier sage. Es ist eine schwierige Verhandlungssituation, vor der Sachsen da steht. Das ist so. Vor diesem Hintergrund: Wir hätten uns mehr gewünscht zum Thema Solidarität, zur Barrierefreiheit zum Beispiel.

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Da müsste man einen eigenen Budgetplatz schaffen; das die Anlass zur Sorge geben. Ich möchte Ihnen einige der ist wichtig. Die Jugendpauschale wäre wieder anzuheben, wesentlichen Problemfelder aufzeigen. einen integrierten Taktfahrplan bei der Bahn zu haben. Es Ist Ihnen, Herr Ministerpräsident – wo immer er auch gibt richtige Verkehrslücken zwischen Riesa und Dresden, gerade steckt –, bewusst, dass es in bis zu einem Viertel Dresden und Görlitz, Zittau und Cottbus, Leipzig – der sächsischen Gemeinden im ländlichen Raum kaum Plauen – Zwickau. mehr möglich ist, vor Ort Waren des täglichen Bedarfs zu Natürlich auch ein Bekenntnis und auch eine menschliche erwerben? Und ist diese Daseinsvorsorgewüste das Anerkennung für die Arbeit der Demokratieinitiativen Fundament, auf dem Sie weiter aufbauen wollen? Die gegen Rechtsextremismus. Die 3,3 Millionen Euro sind NPD nennt ein derartiges Fundament nicht solide, son- eine erfreuliche Bewegung, fünf würden besser tun. dern baufällig, meine Damen und Herren. (Zuruf von der NPD) (Beifall bei der NPD) Von den Mitarbeiterinnen meiner Fraktion soll ich Ihnen Die Politik dieser Staatsregierung geht zulasten des ausrichten, Herr Tillich, dass Sie bitte nicht die Kinder, Hauptfundamentes dieses Landes, nämlich der Sachsen. die sie haben, die die Mitarbeiter unserer Fraktion haben, Das solideste Fundament – und das haben ja einige als Ihren persönlichen Erfolg verbuchen. Vorredner auch schon gesagt –, das dieses Land besitzt, sind seine Einwohner. Nur drohen diese bis 2025 um bis (Leichte Heiterkeit) zu 350 000 zu schrumpfen. Und was ist Ihre Antwort Wir leben vielfältige Lebensentwürfe, und das hat nicht darauf? Sie sprechen von Entleerungsräumen, Rückbau nur etwas mit Erziehungsgeld zu tun, und sind trotzdem und Zuwanderung. Hätten Sie, wie wir von der NPD, die kinderreich. Es gibt also auch andere Chancen und Mög- Heimat im Herzen und die Zukunft wirklich im Blick, lichkeiten in diesem Land. würden Sie dieses resignative Vokabular einer politischen Bankrotterklärung längst über Bord geworfen haben und (Beifall bei den GRÜNEN) stattdessen diese Heimatregionen nicht verloren geben, Also, ich soll das ausrichten, ich habe es gerne getan. sondern zu Revitalisierungszonen erklären. Ich wünsche mir mehr von dem Stanislaw Tillich, den ich (Beifall bei der NPD) hörte, als er nach Herrn Milbradt das Amt angetreten hat. Welches sind aber nun die Ergebnisse Ihrer jahrelangen Ich wünsche mir weniger von dem Stanislaw Tillich, den Leuchtturmpolitik im Freistaat? Bruttowertschöpfung wie ich in den letzten fünf Jahren hier gesehen habe. Ich weiß Bruttoentgelte liegen etwa ein Drittel unter dem Bundes- nicht, ob man das so persönlich formulieren darf, aber ein durchschnitt, die unternehmerischen Eigenmittel sogar Ministerpräsident gibt nun einmal die Richtlinien der fast 60 % darunter. Die Forschungs- und Entwicklungs- Regierung vor, und das muss ja aus Ihrem Inneren kom- men. ausgaben liegen 65 % unter dem vergleichbaren Bundes- wert. Danke. Deutschlandweit unterdurchschnittlich ist Sachsen aber (Beifall bei den GRÜNEN) auch beim Bruttoinlandsprodukt, der Kaufkraft und dem Steueraufkommen. Beim Arbeitnehmerentgelt und dem Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die Fraktion GRÜ- verfügbaren Einkommen nimmt Sachsen die beschämen- NE sprach Frau Kollegin Hermenau. Jetzt spricht für die den Plätze 13 und 12 im bundesweiten Vergleich ein. NPD-Fraktion Herr Szymanski. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Altersarmut sind Holger Szymanski, NPD: Herr Präsident, meine Damen heute leider eine sächsische Realität. Aber das alles, Herr Tillich, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, sondern und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie sprechen von Sie ruhen sich lieber aus auf Ihren vermeintlichen Erfol- einem soliden Fundament für eine erfolgreiche Zukunft in gen. Ihrer Regierungserklärung. Ja, ein solches Fundament, ein solides Fundament, wäre hierfür nötig. Doch wer die Doch es ist nicht allein die Altersarmut. Wenn man Grundlagen und Perspektiven besieht, der stellt fest, dass danach sucht, wo Sachsen über dem Bundesdurchschnitt Sie von Luftschlössern reden, die auf Sand gebaut sind. liegt, möge man auf die Armutsquote mit 19,6 % blicken; Herr Tillich hat offensichtlich gerade seinen Platz verlas- diese ist in der Tat überdurchschnittlich. Der gemessen an sen – auch interessant im Umgang mit dem Parlament. der Kaufkraft im Ländervergleich ärmste Landkreis ist mit Görlitz in Sachsen zu finden. Welches solide Funda- (Jürgen Gansel, NPD: Er muss ja auch nicht ment für eine erfolgreiche Zukunft, Herr Ministerpräsi- wiederkommen! Braucht eigentlich hier keiner!) dent! Die Regierungserklärung von Herrn Tillich war ein Herr Tillich, Ihr Fundament hält keinem Durchschnitts- Versuch, die Bürger in eine Sorglosigkeit hineinzureden, vergleich stand. Doch Sie suggerieren, als stünde der für die es keine Veranlassung gibt; denn egal, auf welches Freistaat an der Spitze. Deshalb ist Ihre Politik auch alles Feld man blickt, wo auch immer man einen nicht nur andere als glaubwürdig. oberflächlichen Blick hinwirft, zeigen sich Defizite auf,

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Solch prekäre Strukturdaten und eine derartig unterdurch- rungssatzung in Sachsen? – Fehlanzeige. Elternbeitragslo- schnittliche Regierung haben die Sachsen nicht verdient; se Schülerbeförderung? – Ebenso Fehlanzeige. denn die Sachsen an sich sind überdurchschnittlich, und In einer weiteren Diagnose möchte ich Ihnen aufzeigen, zwar in ihrem Arbeitspensum, das 68 Stunden über dem dass es auch im Gesundheitswesen an einigem krankt. Ich Bundesdurchschnitt liegt. spreche hier nicht vom allseits bekannten Hausärzteman- Das ideologische Fundament Ihrer Landespolitik, meine gel, vom vorletzten Platz im Ländervergleich bei den Damen und Herren, ist eine brüsselzentrierte Metropolen- Wartezeiten oder dem besonderen Ausdünnen der ge- Regionen-Strategie, die regionale Disparitäten zulasten sundheitlichen Versorgungseinrichtungen in Mittelsach- der ländlichem Räume willig hinnimmt. Doch was bedeu- sen, Bautzen oder der Sächsischen Schweiz. tet das perspektivisch für unser Land, für unseren Frei- Herr Tillich, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sachsen staat Sachsen? heute über 32 Krankenhäuser und über 16 000 Betten Die Struktur der sächsischen Wirtschaft weist eine lang- weniger verfügt als noch 1991. Das Durchschnittsalter der fristige Verschiebung zum Dienstleistungssektor aus, ohne Bevölkerung stieg in dieser Zeit jedoch an, ebenso wie die dass allerdings Ihre Politik dahin geht, die schleichende Zahl der Diagnosefälle. Doch im laufenden Haushalt ist Deindustrialisierung weiterer Regionen im Freistaat zu nicht einmal die Hälfte dessen für Krankenhausinvestitio- bekämpfen. Der Zuwachs der Beschäftigung, der sich also nen eingestellt, was nach deren Angaben vonnöten wäre, gerade auf diesen Bereich der unternehmensnahen Dienst- und dies angesichts eines bereits vorhandenen Investiti- leistungen fokussiert, ist daher kein solides Fundament onsstaus in dreistelliger Millionenhöhe. Diese Unterfinan- und keineswegs nachhaltig zukunftsfähig. Die Staatsre- zierung hat Auswirkungen auf die Betriebs- und Perso- gierung sollte sich vielmehr endlich um die Wirtschafts- nalkostenfinanzierung, weshalb es nicht zuletzt zu einem struktur in den ländlichen Räumen kümmern. ausnehmend hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigung ausgerechnet im Gesundheitswesen kommt. Meine Damen und Herren, es wird gegenwärtig so oft von dem Fachkräfteproblem gesprochen. Herr Ministerpräsi- Meine Damen und Herren! Unterfinanziert sind allerdings dent, das allergrößte Fachkräfteproblem in Sachsen ist nicht allein Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, doch in Ihrem Regierungskabinett zu finden. sondern vor allem die Kommunen als dasjenige Funda- ment des Freistaates, welches für eine erfolgreiche Zu- (Beifall bei der NPD) kunft zuallererst solide gegründet sein sollte. Hier kann Diese Erkenntnis ist auch ohne die in Sachsen fehlende von einem soliden Fundament überhaupt keine Rede sein: Fachkräftestudie klar ersichtlich. Abgesehen davon Die Gesamtverschuldung der sächsischen Kommunen handelt Ihre Regierung auch auf diesem Feld im Blind- beläuft sich heute auf etwa 3,5 Milliarden Euro, wobei flug. Ihre Antwort auf drastische Reduzierung der Ausbil- viele Schulden wenig transparent aus den Kommunal- dungsleistungen der noch ausbildenden Unternehmen, wie haushalten in Beteiligungsunternehmen ausgelagert es beispielsweise eine Umfrage der IHK Leipzig ergab, wurden. Die schwachen Kommunalfinanzen, an denen oder der mangelnden Ausbildungsanstrengungen im nicht zuletzt die Staatsregierung aufgrund eines fehlerhaf- Tourismusbereich ist lediglich ein fantasieloser, ideolo- ten Finanzausgleichgesetzes mit die Schuld trägt, hat die gisch völlig verfehlter Ruf nach einem Fachkräfteimport. NPD immer wieder thematisiert. Und dies ohne vorhergehende, mit den Berufs- und Diese Tatsache führt zu einem ganz gravierenden Stand- Hochschulplanungen korrespondierende Bedarfsstudie ortnachteil für Sachsen, nämlich den hohen Gewerbesteu- und bei gleichzeitiger Vernachlässigung jeglicher fami- erhebesätzen. Insbesondere kleinere Gemeinden sehen lienpolitischer Fördermaßnahmen. Fachkräfteimport sich im Freistaat genötigt, ihre Hebesätze nicht nur für die angesichts einer Schulabbrecherquote von 10 %, das ist Gewerbesteuer, sondern noch viel mehr für die Grund- ein Offenbarungseid, meine Damen und Herren. steuer B im Vergleich zu anderen Bundesländern exorbi- Damit wären wir bereits auf dem Feld der bildungspoliti- tant hoch anzusetzen. Sachsen hat bundesweit den höchs- schen Versetzungsgefährdung angelangt. Rücktritte im ten durchschnittlichen Grundsteuer-B-Hebesatz. Ministerium und des langjährigen bildungspolitischen Angesichts dieser Heimatvergessenheit ist es kaum Sprechers Thomas Colditz in Ihrer Amtszeit sind wahrlich erträglich zu vernehmen, dass bei den jüngsten FAG- kein Ausweis von Solidität, Herr Tillich. Verhandlungen die Zuweisungen für Asylbewerber erhöht Immerhin gab es im Schuljahr 2012/2013 257 allgemein- werden, anstatt einen rigorosen Aufnahmestopp an den bildende Schulen weniger, in denen unterrichtet wurde, Tag zu legen. als im Schuljahr 2003/2004. Auch der permanente Leh- (Beifall bei der NPD) rermangel ist kein Novum, insbesondere bei den Ober- und Grundschulen. Die künftige Zuweisung für Aufnahme und Unterbrin- gung wird um 1 600 Euro auf nunmehr 7 600 Euro je Ein auf Korrekturbemühungen hinsichtlich der demogra- Asylbewerber erhöht. Dabei ist dies nur der Landesanteil fiebedingten sozialräumlichen Verwerfungen in der an den Kosten. Dadurch soll es zu Mehrkosten in Höhe Bildungslandschaft ausgerichtetes Personalentwicklungs- von 42 Millionen Euro kommen. Auch angesichts der konzept? – Fehlanzeige. Einheitliche Schülerbeförde- trotz verschwindend geringer Anerkennungsquote offiziell

10512 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 erwarteten 100 Asylbewerberunterkünfte, die in Sachsen (Peter Schowtka, CDU: So ein Unsinn!) bis Jahresende errichtet sein sollen, ist das ein nicht zu Herr Ministerpräsident, das Fundament Sachsens erodiert. verantwortender Skandal. Im Landkreis Görlitz kam es Die Zukunft ist kein Glücksspiel. Europa, Deutschland bereits im letzten Jahr zu einer Haushaltssperre, nur um und nicht zuletzt Sachsen benötigen eine politische die ausufernden Asylkosten tragen zu können – wohlge- Wende, und zwar so schnell wie möglich. merkt: durch einen CDU-Landrat. Vielen Dank. Sachsen benötigt anstelle einer Eurorettungspolitik einen Antizuwanderungsschutzschirm und endlich demokrati- (Beifall bei der NPD – sche Bürgerentscheide, die über die Errichtung von Peter Schowtka: Aber ohne euch!) Asylbewerberheimen befinden. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und (Beifall bei der NPD) Herren, das war die erste Runde. Wir treten in eine zweite Sachsen benötigt vor allem eine Regierung, die sich Runde ein. Ich frage die Fraktion DIE LINKE: Besteht weniger um die Unterbringung von Scheinasylanten als Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Für die CDU- vielmehr um den Standort Sachsen und die Kultur des Fraktion wurde vorhin schon Herr Abg. Michel angekün- Landes kümmert. digt. Herr Michel, Sie haben das Wort. Bei ausreichender Redezeit wäre es ein Leichtes, noch Jens Michel, CDU: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Ausführungen zur explodierenden Grenzkriminalität, Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen einer verfehlten Polizeireform, gravierendem Verfas- ist, dass es während der Rede des Ministerpräsidenten aus sungsschutzversagen im NATO-Drehkreuz Leipzig und den Reihen der Opposition außer bei der Passage zur vielen anderen Dingen auszuführen. NPD keinen Beifall gegeben hat. Das hat mich etwas gewundert. Denn selbst bei der Darstellung der reinen (Zuruf des Abg. Peter Schowtka, CDU) Fakten, der sicherlich positiven Entwicklung, sogar bei Es stellt sich die berechtigte Frage, was denn überhaupt der Nennung des Wachstums des Bruttoinlandsproduktes Ihre Errungenschaften waren: im Koalitionsvertrag konnten Sie sich nie dazu durchringen, Beifall zu zollen. angekündigte Regionalbudgets, die, ähnlich der Feuer- Als dann Kollege Gebhardt in den Raum schmetterte, das wehrrente, niemals Wirklichkeit wurden, oder Kürzungen Zukunftsmodell für Sachsen sei Rot-Rot-Grün, gab es des Erziehungsgeldes in mehrfacher Millionenhöhe, die allerdings auch keinen Beifall. leider sehr wohl Wirklichkeit geworden sind, sowie die (Lachen und Beifall bei der CDU und der FDP) Privatisierung der Landesbühnen und des Staatsbetriebes Schlösser, Burgen und Gärten. Da war ich wieder beruhigt: Wahrscheinlich fällt es Ihnen Weiter wäre das Versickern der Regionalisierungsmittel grundsätzlich schwer, Beifall zu zollen, und sie halten es im Prestigeprojekt „City-Tunnel Leipzig“ zulasten eines mit Fred Ammon, der sagte: Opposition findet aus Prinzip Ausbaus des ÖPNV in der Fläche zu nennen, eine an Gutes schlecht. Stuttgart 21 erinnernde infrastrukturelle Fehlplanung, So viel zu meinen Eindruck. Ansonsten habe ich hier die unter der die Regionalverkehrszweckverbände litten und Aufgabe, einiges klarzustellen. Wir hatten uns schon nach wie vor leiden. gedacht, dass hier ein paar Missverständnisse und gege- Dafür können Sie sich die Sonntagsöffnung von Auto- benenfalls andere Interpretationen der Faktenlage vorge- waschanlagen und Videotheken ans Revers heften – bracht werden. immerhin eine tolle Politik, Herr Tillich und Herr Morlok. Ich möchte damit beginnen, dass Sie uns immer wieder (Beifall bei der NPD) unsere vermeintliche Lust am Kürzen und Sparen vorwer- fen. Dann haben Sie uns vorgeworfen, wie schlecht wir in Herr Ministerpräsident, wenn Sie glaubwürdig ein solides den Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2009 alles Fundament für eine erfolgreiche Zukunft anstreben, dann gemacht haben. erkennen Sie endlich, dass Sachsen nicht zur regionalen Ich möchte an dieser Stelle einfach nur in Erinnerung Fremdverwaltungseinheit, nicht zur bloßen Umsetzungs- rufen, wie sich die reinen Einnahmen entwickelt haben. instanz von Direktiven der Brüsseler EU-Administration 2008 hatten wir noch Einnahmen in Höhe von 10,86 Mil- herabgewürdigt werden darf, sondern die souveräne, die liarden Euro. 2009 waren es 10,2 Milliarden Euro. 2010 selbstbestimmte Heimat seiner angestammten Bürger betrugen die Einnahmen bereits nur noch 9,975 Milliar- bleiben muss. den Euro. Das sind die reinen Ist-Zahlen. Das bezieht sich (Beifall bei der NPD) nicht auf Steuerschätzungen oder Ähnliches. Das bedeu- tet, die jährlichen Einnahmen sind innerhalb von zwei Wessen politisches Alphabet allerdings nur aus den zwei Jahren um rund eine Milliarde Euro zurückgegangen. Das Buchstaben A wie Asyl und B wie Brüssel besteht, ist ein haben diese Koalition und diese Regierung gestemmt. funktionaler politischer Analphabet, Herr Tillich. Wer nur Brüssel im Kopf hat, der kann die Heimat nicht im Her- Ich muss Ihnen sagen: Wir würden auch gern als Weih- zen haben. nachtsmann durch das Land ziehen. Aber für uns ist

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Verantwortung wichtig. Für uns ist es wichtig, dass sich ben überhaupt. Das können Sie im Bildungsfinanzbe- die Menschen im Land auf uns verlassen können und dass richt 2013 nachlesen. Das ist erst einmal gar nicht so wir letztendlich keine Bewirtschaftungsmaßnahmen schlecht. Wenn Sie aber dann darauf abstellen, wie wir ergreifen müssen, sondern eine Entscheidung des Parla- das Land weiterentwickeln müssen, möchte Martin Dulig ments fällen können. Mir ist es lieber, dass der Landtag die Löhne erhöhen. Das wollen wir auch. Das ist ein mit einem Haushaltsplan eine demokratisch legitimierte großes Ziel. Aber wir unterscheiden uns diametral vom Entscheidung trifft. ideologischen Ansatz. Ich möchte mich als Finanzer bei den Kollegen bedanken, Während hier gesagt wird, Sie wollen Tariflöhne, Sie die die Verantwortung getragen haben. Sie haben politi- wollen das Tarifsystem weiter erhöhen, dann, glaube ich, sche Verantwortung übernommen. Sie haben es nicht der haben wir wirklich völlig unterschiedliche Ansätze. Wir Regierung mit Bewirtschaftungsmaßnahmen überlassen, stimmen überein, dass das verfügbare Einkommen in sondern wir haben klar Prioritäten gesetzt. Deshalb nenne Sachsen mit 15 800 Euro noch ausbaufähig ist. Wir sind ich das verantwortungsvolles Regieren und verantwor- zwar im Osten schon ganz gut aufgestellt, aber zu tungsvolles Handeln. 18 700 Euro pro Einwohner in Rheinland-Pfalz ist das noch ein Unterschied. Wie kommen wir dahin? – Kom- (Beifall bei der CDU) men wir dadurch dahin, dass sich das Land für Tarifsys- Auch unser Umgang mit den Staatsbediensteten und teme einsetzt? Oder kommen wir dahin, indem wir etwas Kronzeugen wurde hier angesprochen. Das sind die tun, um die wirtschaftlichen Bedingungen auszubauen? 5 000 Beamten, die eine Klage gegen den Freistaat Kommen wir dorthin, indem wir als Freistaat zum Bei- eingereicht haben. Wofür ist das Beleg? spiel in Forschung und Entwicklung investieren? (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Dass sie Sachsen hat im Anteil am Bruttoinlandsprodukt und den unzufrieden sind mit ihrem Arbeitgeber!) staatlichen Ausgaben die dritte Stelle. Ich glaube, das ist eher der Weg. Wir entwickeln Forschung und Entwick- Vielleicht ist es auch ein Beleg dafür, dass sie einen hohen lung. Wir haben sehr viel Geld ausgegeben, um For- Organisationsgrad in ihrer Standesorganisation haben. schungszentren – Fraunhofer, Helmholtz, Max-Planck – Wäre es wirklich so, dass der Freistaat ein so verheerend in Sachsen zu installieren. Wir möchten, dass sich das schlechter Arbeitgeber ist, dann wäre, glaube ich, die wieder in die Wirtschaft transferiert. So werden wir auch Anzahl der Urteile gegen den Freistaat schon viel höher. das Einkommen erhöhen. Ich glaube, das ist zukunftsfä- Alle haben auf das EuGH-Urteil geschielt. All die Be- higer. fürchtungen haben sich in Luft aufgelöst. Im Gegenteil, der Freistaat Sachsen ist das einzige Bundesland, das (Beifall bei der CDU und der FDP) überhaupt eine Rückwirkung eingebaut hatte. Wir sind Ganz toll fand ich auch in der Rede der SPD die Formu- letztendlich sogar noch besser. Das ist es! Der Freistaat lierung: „Wir wollen den ländlichen Raum weiter stär- Sachsen ist eines der vier Länder, die das Tarifergebnis ken.“ Das können wir alles unterschreiben. Wir wollen die umgesetzt haben. Das haben Sie vergessen zu erwähnen. Infrastruktur weiter ausbauen. Das ist alles richtig. Ich (Beifall bei der CDU, der FDP frage mich nur, wie Sie das mit Rot-Rot-Grün machen und der Staatsregierung) wollen. Ich möchte an die Haushaltsberatungen erinnern, die wir beim letzten Doppelhausalt hatten. Da gab es – Ein Hinweis sei mir noch gestattet: Laut DGB-Besol- Kollege Heidan hat es schon gesagt – Anträge auf Kür- dungsreport 2014 ist der Freistaat Sachsen mit Blick auf zungen beim Straßenbau – die Besoldung nach Bundesländern nach Bayern das Land mit der besten Besoldung, real betrachtet abgestellt auf (Frank Heidan, CDU: Massive Kürzungen!) A 9-Jahresbruttobesoldung bei einer Annahme von – ja, massiv –, 150 Millionen Euro wollten die GRÜNEN 40 Stunden pro Woche. dort decken. Wie passt das zusammen? – Diese Aussage Meine Damen und Herren! All das haben Sie vergessen ist Rot-Rot-Grün hier schuldig geblieben. zu erwähnen. Aus dem Grund war es schon richtig, dass Es sei mir noch ein kurzes Eingehen auf die NPD gestat- wir uns aufgeteilt haben, um noch einmal einige Dinge tet. Was Sie zu den FAG-Gesprächen gesagt haben, dass klarzustellen, die so nicht im Raum stehenbleiben dürfen. man die Kommunalfinanzen letztendlich noch um die Ich möchte weiter fortfahren: Kollege Dulig ist nicht im Asylbewerbergelder kürzt – dazu kann ich Ihnen nur Raum, aber die 2,75 Milliarden Euro, die wir bedauerli- sagen: Das ist falsch. Der Asylanteil läuft außerhalb des cherweise für die Landesbank bezahlen müssen, haben FAG. Das ist ein ad on, ein Obendrauf. Sie jetzt schon fünf- oder sechsmal ausgegeben. (Jürgen Gansel, NPD: Das ist für (Beifall bei der CDU, der FDP den Steuerzahler auch nicht besser!) und der Staatsregierung) Sie sind noch nicht so lange im Landtag, aber das ist kein Wenn Sie immer wieder sagen, wir geben es für die Bestandteil. Das FAG und der Aufwuchs im FAG sind Bildung aus, dann möchte ich noch einmal daran erin- ohne diese Asylaufstockung. nern: Sachsen hat schon die dritthöchsten Bildungsausga-

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(Holger Szymanski, NPD: (Holger Mann, SPD: Kopiert!) Aber Sie geben das Geld aus!) Das macht es aus. Die Konzepte machen es aus und auch Leider hat mir Kollege Zastrow etwas vorweggenommen, das Personal. das mir auch aufgefallen war. Martin Dulig hat das schon In dem Fall danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. sehr einprägsam gemacht. Ich habe bei zwölfmal „Ich“ aufgehört zu zählen. „Mein Sachsen“ – das war auch ganz (Beifall bei der CDU, der FDP toll. Jetzt hoffe ich nicht, dass „mein Sachsen“ dann unter und der Staatsregierung) Bundesverwaltung steht, weil der Zoll eine Bundesaufga- be ist und bleibt – aber davon einmal abgesehen. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und Herren! Das war Herr Michel von der CDU-Fraktion in (Beifall bei der CDU) der zweiten Runde der Aussprache. Gibt es weiteren Es hat einmal einen gegeben, der hat gesagt: Ich habe Redebedarf? – Den kann ich nicht erkennen. Die Aus- einen Traum. Okay, jetzt hieß es: Ich habe eine Idee und sprache zur Regierungserklärung ist beendet, und dieser ich und ich. Wenn wir das vergleichen, sind wir bei einem Tagesordnungspunkt ist abgeschlossen. entscheidenden Unterschied der Spitzenpolitiker. Der eine Ich rufe auf sagt: ich, und der andere hat seinen Slogan im Land: „Mit Mut. Mit Weitsicht. Miteinander“.

Tagesordnungspunkt 2 Aktuelle Stunde 1. Aktuelle Debatte: Für leistungsfähige Feuerwehren in Sachsen – Professionalität stärken, Ehrenamt unterstützen Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP 2. Aktuelle Debatte: Die Irrtümer der schwarz-gelben Wirtschaftspolitik Antrag der Fraktion DIE LINKE

Meine Damen und Herren! Die Verteilung der Gesamt- NIS 90/DIE GRÜNEN, NPD-Fraktion jeweils 10 Minu- redezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt ten und die Staatsregierung zweimal je 10 Minuten, wenn vorgenommen: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 25 Minu- sie Redebedarf hat. ten, SPD 12 Minuten, FDP 14 Minuten, Fraktion BÜND- Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

1. Aktuelle Debatte Für leistungsfähige Feuerwehren in Sachsen – Professionalität stärken, Ehrenamt unterstützen Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen CDU und Feuerwehrdienst fordert Zeit, Nerven, Verständnis von FDP das Wort. Für die CDU-Fraktion beginnt Herr Abg. Familien, Freunden und Verwandten, aber auch Einsatz Löffler. Herr Löffler, Sie haben das Wort. und Opferbereitschaft, ohne einen direkten Anspruch auf Gegenleistung, Respekt oder Anerkennung zu haben und Jan Löffler, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ohne eine juristische Würdigung zu erfahren. So ist es sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Ich möchte zumindest im Ehrenamt. Die fast 47 000 aktiven Feuer- wieder einmal mehr von diesem Punkt aus den Dank und wehrleute in Sachsen dürfen sich aber gewiss sein, dass die Anerkennung an die Kameradinnen und Kameraden die Staatsregierung, dass die Koalitionsfraktionen im der Feuerwehren in Sachsen richten. Dass die Feuerweh- Sächsischen Landtag nichts aufs Geratewohl entscheiden, ren, dass die Frauen und Männer, die sich in ihnen enga- dass die Feuerwehren kein Stiefkind der Politik sind, gieren, einen ehrenwerten, entbehrungsreichen und sondern einen herausragenden Stellenwert für sie genie- oftmals gefährlichen Dienst tun, das hören sie immer ßen. wieder. Das hören sie auch immer wieder von der Politik. Fakt ist aber, dass es stimmt. (Beifall bei der CDU)

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Wir wissen sehr wohl, dass die Herausforderungen im Es gilt jetzt, sich mit dem Innenministerium und den Bereich der Feuerwehr groß sind. Dort und genau dort Kommunen zusammenzusetzen und die Punkte umzuset- setzt der am 26. Juni durch das SMI vorgestellte Ab- zen. schlussbericht der Arbeitsgruppe „Freiwillige Feuerweh- ren Sachsen 2020“ an. Teilnehmer in der Arbeitsgruppe 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Löffler, bitte. waren neben dem Innenministerium die kommunalen Jan Löffler, CDU: Der letzte Satz. – Als Gesetzgeber Spitzenverbände, der Landesfeuerwehrverband, die werden wir als CDU-Fraktion diesen Prozess aktiv Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule sowie begleiten und uns in den kommenden Haushaltsberatun- das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursys- gen für diese Unterstützung starkmachen. Dafür möchte teme. Dank auch an die Mitglieder der Projektgruppe für ich um Ihre Unterstützung werben. das Konzept, welches als Handlungsempfehlung nicht nur Einzelprobleme im Freistaat erfasst, wie so manches Vielen lieben Dank. andere im Umlauf befindliche Papier oder so mancher (Beifall bei der CDU) Antrag. In diesem Abschlussbericht wird der Brandschutz in Sachsen flächendeckend als Ganzes betrachtet. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun die FDP-Fraktion. Ob es nun den Oppositionsparteien gefällt oder nicht, die Herr Abg. Karabinski; Sie haben das Wort. Kernaussage des Berichts ist, dass Sachsens Feuerwehren Benjamin Karabinski, FDP: Sehr geehrter Herr Präsi- durchaus zukunftsfähig sind. Die Probleme sollen benannt dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Wir werden – sicherlich –, und ein zu benennendes ist die unterstützen die Kommunen bei der Aufgabenerfüllung Tageseinsatzbereitschaft. „Sachsen 2020“ bietet gute der flächendeckenden Präsenz und Einsatzbereitschaft der Ansätze, um sich dieser Herausforderung zu stellen. Es freiwilligen Feuerwehren zum Beispiel bei Investitionen. zeigt allerdings auch ganz klar, dass es keine sachsenweit Wir werden die technische Ausstattung der Feuerwehren einheitliche Lösung für diese Frage gibt. Wir können von verbessern und die freiwilligen Feuerwehren und Ret- Dresden aus maximal das Handwerkszeug liefern. tungsdienste in ihrem Bemühen unterstützen, auch in Strukturentscheidungen können hauptsächlich vor Ort, Zukunft eine ausreichende Zahl ehrenamtlicher Mitglie- durch die dort handelnden Akteure, durch ein Zusammen- der zu gewinnen. Aus- und Weiterbildung an der Landes- spiel mit den Kommunen getroffen werden, der Einzelfall feuerwehrschule werden gesichert, verbessert und weiter- muss dort sichergestellt werden. Ich spreche mich dabei entwickelt. Insbesondere werden wir die Jugendfeuerweh- ganz klar für Lösungsansätze aus, die auf dem System der ren bei der Nachwuchsgewinnung unterstützen“ freiwilligen Feuerwehr basieren und diese stützen. (Stefan Brangs, SPD: Ist das ein Zitat, oder was?) Kritisch möchte ich mich diesbezüglich in Richtung derer äußern, die immer wieder flächendeckend hauptamtliche „und das Eintrittsalter für die Jugendfeuerwehr herabset- Kräfte als Unterstützung für die ehrenamtlichen fordern. zen.“ – So steht es im Koalitionsvertrag aus dem Jahr Das ist für mich ganz klar eine Abkehr von der freiwilli- 2009. gen Feuerwehr in Sachsen hin zu einer Kommerzialisie- (Stefan Brangs, SPD: Aha!) rung. Wenn Sie die freiwilligen Feuerwehren in Sachsen auf diesem Weg durch die Hintertür abschaffen wollen, Meine Damen und Herren! Wir haben Wort gehalten. dann sagen Sie es auch offen! Einige Beispiele will ich Ihnen nennen. Als Feuerwehrmann sehe ich darin die Gefahr, in einer Bei der Änderung des Sächsischen Brandschutz-, Wache Feuerwehrleute erster und zweiter Klasse zu Rettungsdienst- und Katastrophenschutzgesetzes haben produzieren. Wo sehen Sie die Motivation für den einzel- wir die Doppelmitgliedschaften bei den freiwilligen nen ehrenamtlichen Kameraden, nachts aufzustehen, Feuerwehren eingeführt, was insbesondere in den Univer- wenn der Kamerad neben ihm auf dem Fahrzeug das sitäts- und Hochschulstädten Sachsens ein Erfolg ist. Wir Ganze kommerziell betreibt? haben Jubiläumsprämien eingeführt, die der Freistaat Sachsen bezahlt. Wir haben die Kapazität an der Landes- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wir halten feuerwehrschule erhöht. Im Jahr 2013 gibt es erstmals die Ansätze in dem vorgelegten Bericht „Sachsen 2020“, 4 000 Lehrgangsplätze. Dadurch wird es uns mittelfristig bessere Würdigung der ehrenamtlichen Feuerwehrarbeit, gelingen, den Ausbildungsstau abzubauen, der sich in den notwendige Freistellungsregelungen gegenüber Arbeitge- vergangenen 15 Jahren aufgebaut hat. bern – Am 1. Januar 2011 wurde das Mindestalter für die 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte zum Schluss Mitgliedschaft in Jugendfeuerwehren von zehn auf acht kommen! Jahre abgesenkt. Im Doppelhaushalt für die Jahre 2013 und 2014, also im aktuellen Haushalt, stehen jeweils Jan Löffler, CDU: – und Unterstützung der Jugendfeu- 400 000 Euro für die Arbeit der Jugendfeuerwehren erwehren für die Nachwuchsgewinnung, für ganz wichti- bereit. ge Punkte. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Arbeit in den vergangenen fünf Jahren trägt erste Früchte. Bei den

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Jugendfeuerwehren gibt es eine positive Entwicklung. – Sie sind ja auch da. Ansonsten war ich jetzt nicht so Dort steigen die Mitgliederzahlen. Im Jahr 2013 gab es ganz überrascht wie der Präsident über das abrupte Ende fast 12 000 Mitglieder in den sächsischen Jugendfeuer- von Herrn Karabinski. Aber gut. wehren. Dennoch bleibt die Absicherung der Einsatzbe- (Beifall bei den LINKEN) reitschaft an allen Wochentagen und rund um die Uhr in allen Regionen Sachsens eine Herausforderung. Wir haben am Beginn unserer Wahlperiode tatsächlich Der Landesfeuerwehrverband geht davon aus, dass von sehr ausführlich über das Thema Freiwillige Feuerwehr derzeit rund 42 000 freiwilligen Kameradinnen und geredet. Das hatte etwas damit zu tun, dass uns der Kameraden in den Feuerwehren im Jahr 2020 nur noch Ministerpräsident ein Wahlversprechen gemacht hatte, das 34 000 übrig sind. Zum Vergleich: Vor 15 Jahren, im Jahr er leider nicht eingehalten hat. Darüber haben die Koaliti- 1999, gab es im Freistaat Sachsen noch 52 000 Kamera- onsvertreter geschwiegen, wie wir das auch bei den dinnen und Kameraden in den freiwilligen Feuerwehren. Versprechen erleben werden, die er heute angekündigt hat. Aber darauf bin ich in meiner vorigen Rede einge- Ich bin deshalb froh, dass die Arbeitsgruppe „Feuerwehr gangen. 2020“ ein Konzeptpapier vorgelegt hat und darin auch Lassen Sie mich feststellen: Ja, es gab zögerliche Verän- einige Handlungsansätze in die richtige Richtung auf- derungen. Herr Karabinski hat sie alle in ihrer Breite und zeigt. Ich will einige nennen, die aus meiner Sicht erfolg- Tiefe aufgelistet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, versprechend erscheinen: Intensivierung der Förderung wir wissen, dass das nicht reicht, dass das zu wenig ist – der Jugendfeuerwehren, Ausbau der Zusammenarbeit der und damit meine ich nicht das Geld –, dass es zu unkoor- freiwilligen Feuerwehren mit den Berufs- und Werksfeu- diniert ist und dass es in vielen Bereichen eigentlich erwehren und Stärkung der Brandschutzerziehung an den schon zu spät ist. Schulen. Diese Handlungsansätze werden helfen, aber natürlich nicht alle Probleme lösen können. Es sind Nun gibt es diesen Bericht „Feuerwehr 2020“. Beim weiterhin Anstrengungen nötig, gemeinsam mit den Innenminister bin ich das inzwischen gewöhnt, er hat Kommunen und flächendeckend die Einsatzbereitschaft immer „2020“ dastehen. Das hat er bei der Polizei ge- an jedem Tag und zu jeder Zeit in Sachsen sicherzustel- macht. Da hat er festgestellt, dass das trotzdem nicht geht len. und er etwas schieben muss. Wir dürfen deshalb nicht aufhören, für das Ehrenamt (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Feuerwehr zu werben, weder in den Schulen noch in den Bis zum Renteneintritt!) Jugendfeuerwehren. Wir dürfen aber auch keine Tabus Ich hätte mir trotzdem gewünscht, wir hätten lieber gleich aussprechen. Es darf keinerlei Denkverbote geben, wenn eine andere Zahl genommen, Herr Minister. Aber Sie es darum geht, den Brandschutz in Sachsen sicherzustel- len. gehen davon aus, dass Sie da sowieso nicht mehr im Amt sind, damit ist das gerechtfertigt. Meine Damen und Herren! Wir dürfen auch nicht verges- sen, dass es mehr als 40 000 Männer und Frauen sind, die Ja, wir kennen die Probleme. Herr Löffler, ich weiß, dass ihre Freizeit opfern und bereit sind, ihr Leben zu riskie- es der Ministerpräsident heute hier so vorgemacht hat, ren, damit wir alle in Sicherheit leben können. Dafür und wahrscheinlich ist das bei Ihnen Sprachgebrauch, verdienen sie unseren Dank. aber wenn wir über Probleme reden, dann kritisieren wir nicht die Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU) Feuerwehr und ihre Einsatzbereitschaft. Wir kritisieren, dass zu spät auf Dinge reagiert wird. Das ist unsere Kritik. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Das war Herr Karabin- ski für die FDP-Fraktion (Jan Löffler, CDU: Wir agieren!) (Beifall bei der FDP) Wir richten sie nicht an die Einsatzbereitschaft der Kame- radinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr. Wir – ein überraschendes Ende, meine Damen und Herren. stellen auch nicht in Abrede, dass sie tagtäglich aufopfe- (Heiterkeit bei den LINKEN, der SPD und rungsvoll da sind, Menschenleben zu retten und die Dinge den GRÜNEN – Holger Zastrow, FDP: Nein!) zu erledigen, für die sie eingesetzt werden. Die Fraktion DIE LINKE ist an der Reihe. Herr Abg. Jetzt gibt es diesen Bericht des Innenministeriums ge- Gebhardt, Sie haben das Wort. meinsam mit dem Sächsischen Landkreistag und dem Feuerwehrverband. Klugerweise hat der Innenminister Rico Gebhardt, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr Präsi- daraus keine Drucksache gemacht, sodass wir auch in der dent! Der Ministerpräsident ist ja auch noch der Einzige, nächsten Legislaturperiode etwas mit dem Bericht anfan- der aus seiner Riege übrig geblieben ist. Da habe ich mir gen können. Deswegen will ich dazu einige Fragen gedacht, wenn er da ist, kann ich auch reden. aufwerfen. (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Jetzt Erstens. Haben denn tatsächlich alle Aufgaben, die muss er vom Mittagessen weg! So ein Mist!) Freiwillige Feuerwehren heute vor Ort leisten, etwas mit dem vorbeugenden Brandschutz oder der Brandbekämp-

10517 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 fung zu tun? Manches hat sich eingebürgert. Ganz schnell Pflichtaufgabe ansehen? Das wäre die logische Folge wird die Feuerwehr gerufen, wenn es sich um die Beseiti- meiner bisherigen Ausführungen. gung einer Ölspur oder die Rettung von Haustieren geht. (Beifall bei den LINKEN Zweitens. Ist die Änderung der Arbeitsstrukturen, also und vereinzelt bei der SPD) unserer eigenen Lebenssituation, die auch etwas mit Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Ja, ich weiß auch, dass die Freiwillige Feuerwehr in tun hat, tatsächlich nur noch auf den Schultern von manchen Gebieten der einzige soziale Zusammenhalt ist, Ehrenamtlichen abzuladen? Es ist nicht die Aufgabe des den es vor Ort noch gibt, weil alles andere abgeschafft Ehrenamtes, Herr Löffler, sondern einfach die Frage, ob wurde. Vielleicht gibt es noch die Kirche, aber selbst die es noch zeitgemäß und realistisch ist, ausschließlich auf zieht sich mittlerweile aus den ländlichen Gebieten zurück. Freiwilligkeit zu setzen, wenn es überhaupt nicht mehr die Möglichkeit gibt, dass Freiwillige vor Ort sind, um die Das wäre jetzt die Beantwortung der Frage, weil ich nicht Dinge zu erledigen, die im Katastrophen- und Brand- unehrlich sein will. schutzgesetz stehen. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Dann fahren Sie mit 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Gebhardt, gestat- Ihrem Redebeitrag fort. ten Sie eine Zwischenfrage? Rico Gebhardt, DIE LINKE: Deswegen ist die andere Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ja, sofort. Frage, die wir zu stellen haben, ob es nicht tatsächlich besser wäre, wenn wir zum Beispiel die Beschaffung von Deswegen schlagen wir vor, dass es gemeinsame Zweck- Ausrüstungsgegenständen viel zentraler steuern, als wir verbände zwischen den Kommunen gibt, dass es Stütz- das derzeit machen. Es war auch falsch, dass die Förder- punktfeuerwehren gibt, die auch – darin gebe ich Ihnen recht – durch hauptamtliche Kräfte ergänzt werden sollen. richtlinie des Freistaates Sachsen dahin gehend geändert worden ist, dass es eine Deckelung für die Anschaffung Jetzt die Frage. von neuen Geräten gab. Wir wissen alle, was die heute kosten. Daher ist es falsch, diese Kosten auf die Kommu- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank. Herr nen abzuwälzen. Löffler. Am meisten kritisiere ich an diesem Bericht, dass er Jan Löffler, CDU: Vielen Dank, Herr Kollege. Sie geben eigentlich auf tönernen Füßen aufgestellt ist. Es gibt mir sicherlich recht, dass jetzt schon die Möglichkeit relativ wenig Zahlenmaterial. Ich habe erst letztens Kleine besteht, sich im Zuge der Wahrnehmung der kommunalen Anfragen dazu gestellt. Auf welcher Grundlage dann zu Pflichtaufgabe des Brandschutzes seitens der Kommunen Erkenntnissen gekommen wird, ist für uns die Frage. hauptamtlicher Kräfte zu bedienen, so sie sich sonst durch Wenn man keine ordentliche Datenbasis hat, kommt man Ehrenamt nicht in der Lage sehen, ihre Brandschutzauf- nicht zu den notwendigen richtigen Schlussfolgerungen. gaben zu erfüllen? Sie geben mir sicherlich weiter recht – Für uns ist klar: Die Freiwillige Feuerwehr gehört zum auch wenn es jetzt eine Kettenfrage ist –, dass die Leis- soliden Fundament des Freistaates Sachsen. Verspielen tungsfähigkeit der Ehrenamtlichen weit über die eigentli- wir nicht diese Chance. Wir wollen sie weder diskreditie- che Erfüllung der Brandschutzaufgaben hinausgeht und ren noch das Thema für Parteipolitik ausschlachten. Es ist auch kulturell für die Gemeinden im ländlichen Raum ein notwendig, dass wir gemeinsam auch in der nächsten Anreiz besteht, bei dem wir als Haus nach außen ein Legislaturperiode über dieses Thema weiter diskutieren. Zeichen setzen sollten, dass es gilt, das Ehrenamt im Bereich des Brand- und Rettungswesens zu bestärken, Vielen Dank. und zwar überall, wo wir das können? (Beifall bei den LINKEN (Karl Nolle, SPD: Die Frage! und vereinzelt bei der SPD) Was ist denn die Frage?) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und – Geben Sie mir recht? Einfach mal zuhören! Herren! Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Abg. Friedel, Sie haben das Wort. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Gebhardt, geben Sie ihm recht? Sabine Friedel, SPD: Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Debatte Rico Gebhardt, DIE LINKE: Herr Präsident, ja, ich über freiwillige Feuerwehren ist auch eine Art Bilanz. gebe dem Kollegen Löffler recht. Das fällt mir überhaupt Was hat die Staatsregierung, was hat der Sächsische nicht schwer. Ich freue mich, dass er die Frage gestellt Landtag in den letzten fünf Jahren geschafft? hat. Diese Bilanz beginnt – das hat Kollege Gebhardt schon Der dritte Punkt, den ich mir als Frage aufgeschrieben gesagt – mit einem enttäuschenden Wahlversprechen. Es habe, war: Ist es überhaupt noch rechtlich zulässig und waren der Ministerpräsident, der vor der letzten Land- zeitgemäß, dass wir das ausschließlich als kommunale tagswahl 2009 die Einführung einer Feuerwehrrente groß

10518 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 versprochen hat, und die Staatsregierung, die dann ein der Brandschutz eben keine rein kommunale Aufgabe Jahr später mit der „Verwirklichung“ dieses Versprechens mehr sein kann, sondern die interkommunale Zusammen- in Form eines Sicherungsvertrages kam, den die Kommu- arbeit passieren muss. nen – auf eigene Kosten natürlich – abschließen könnten, 2014 – vor wenigen Wochen – hat der Innenminister um eine kleine Absicherung für die Kameradinnen und endlich von einer Arbeitgruppe ein Papier erarbeiten Kameraden zu erhalten. Nicht nur die freiwilligen Feuer- lassen, in dem das ein ganz wesentlicher Punkt ist: Wir wehren in Sachsen waren sehr enttäuscht, wir waren das brauchen eine überregionale, eine überörtliche Brand- auch und haben uns gefragt: Das soll wirklich alles schutzbedarfsplanung. gewesen sein, was aus dem großen Versprechen heraus- gekommen ist? Mein Lob also: Die Staatsregierung und die CDU- Fraktion haben gezeigt, dass sie durchaus lernfähig sind. Aufgrund dieser Enttäuschung haben wir uns gesagt: Wir Aber sie handeln immer erst fünf nach zwölf. Das ist zäumen das einmal andersherum auf. Nicht von ganz schlecht. Warum ist es schlecht? oben wird etwas versprochen, sondern wir fragen einmal ganz unten: Was braucht ihr eigentlich? Wir haben in ganz (Eva Jähnigen, GRÜNE: Weil es brennt!) Sachsen, in allen sächsischen Landkreisen Feuerwehrfo- Nicht nur, weil es um den Brandschutz in Sachsen geht, ren veranstaltet. Dabei sind wir mit vielen Kameradinnen sondern weil es auch um Ehrenamt und Motivation geht, und Kameraden ins Gespräch gekommen und haben aus und weil man alles dafür tun muss, dieses Ehrenamt und dem, was gesprochen worden ist, aus dem, was vorge- diese Motivation zu unterstützen. schlagen worden ist, Ideenpapiere erstellt, die wir ständig fortgeschrieben haben. Damit bin ich beim Dauerbrenner Rauchmelderpflicht. Auch diese ist nicht nur dazu da, um frühzeitig Brände zu Drei Ideenpapiere sind es insgesamt geworden. Schwer- signalisieren, sondern um die Arbeit der Kameradinnen punkt in unserem Ideenpapier im Jahr 2010 war das und Kameraden zu unterstützen. Wir haben jedes Jahr Thema „Einheitliche Ausbildungsunterlagen für die einen Antrag zur Einführung der Rauchmelderpflicht Standortausbildung“. Es hat sehr viel Energie gefressen, eingebracht. Wir werden es weiterhin tun. dass jede Feuerwehr ihre eigenen Ausbildungsunterlagen anfertigen musste, wo doch im Grunde in ganz Sachsen Eine Bitte nach dem Lob – und der Kritik, dass Sie viel zu der gleiche Stoff zu behandeln ist. 2010 haben wir das spät handeln: Falls Sie weiterhin ab Herbst in diesem zum Schwerpunkt gemacht. 2012 hat es die Staatsregie- Land Verantwortung tragen, dann verbessern Sie Ihre rung geschafft, solche einheitlichen Ausbildungsunterla- Lernfähigkeit. Erhöhen Sie die Lerngeschwindigkeit, und gen einzuführen. bitte beginnen Sie die neue Legislatur nicht erneut mit einem enttäuschenden Wahlversprechen. Sie schreiben in Schwerpunkt unseres Ideenpapiers 2011 war die katastro- Ihrem Regierungsprogramm – phale Ausbildungssituation. Es gab nicht genügend – nicht genügend ist eigentlich ein Euphemismus –, es gab 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte kommen Sie zum viel zu wenige Lehrgangsplätze an der Landesfeuerwehr- Schluss. schule, die von Beginn an zu klein geplant war. Das führte zu einem riesigen Ausbildungsstau in allen Landkreisen. Sabine Friedel, SPD: – ich komme zum Schluss –: „Wir Wir haben mit einer Anhörung 2012 hier im Saal nachge- wollen den Dialog mit den freiwilligen Feuerwehren legt, in der die Probleme, die daraus entstehen, noch intensivieren und ihre Ideen umsetzen.“ Das ist ein guter einmal sehr drastisch geschildert worden sind. 2013 hat Anspruch. Wir haben diesen Dialog fünf Jahre lang sich dann die Staatsregierung dazu durchgerungen, die geführt. Einen herzlichen Dank an alle Kameradinnen und Kapazität der Landesfeuerwehrschule zu erweitern. Kameraden, die sich daran beteiligt haben! Hoffen wir, dass die nächsten fünf Jahre schneller und besser werden. Schwerpunkt unseres Ideenpapiers nach 2010 „Ausbil- dungsunterlagen“ und 2011 „Ausbildungssituation“ war Vielen Dank. dann 2012 das Thema „Tageseinsatzbereitschaft“. Herr (Beifall bei der SPD, den LINKEN Löffler hat es bereits angesprochen. und der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE) Wir haben nicht mehr nur an einigen, sondern an vielen Stellen Sachsens das Problem, die Tageseinsatzbereit- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Leider sind die 5 Minu- schaft zu sichern. Unser Vorschlag – wir haben ihn mit ten eben auch nur 5 Minuten. – Für die Fraktion BÜND- einem Antrag untermauert – war, dieses Problem mit der NIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abg. Jähnigen. Bitte, Hilfe von Kooperationen der Wehren anzugehen. Das hat Sie haben das Wort. überhaupt nichts mit Kommerzialisierung zu tun, sondern Eva Jähnigen, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsident! es hat etwas damit zu tun, dass Feuerwehren zusammen- Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass es die AG arbeiten und dabei unterstützt werden müssen, um die Feuerwehr des Innenministeriums gab. Allein wenn man Tageseinsatzbereitschaft zu sichern. auf ihre Zusammensetzung schaut – sechs Leute aus der Unser Antrag in der Debatte zum Haushalt 2012 war, den Verwaltung, zwei Leute aus einer Hochschule, fünf Leute Kommunen ein Budget zu geben, um die Entwicklung aus der Feuerwehr und davon, wenn ich es richtig sehe, regionaler Brandschutzbedarfspläne zu unterstützen, weil 10519 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 niemand, der rein ehrenamtlich tätig ist –, dann tun sich von Stützpunktfeuerwehren geprüft werden muss. Han- die ersten Fragen auf. Das spricht für sich. Wenn man deln Sie nicht so spät wie bei der Polizei; handeln Sie tiefer hineinschaut, dann sieht man, dass die konkreten rechtzeitig! Problemstellungen und Fragen vor Ort wenig konkret Aufhorchen lassen die Ergebnisse der AG in Bezug auf reflektiert werden, um es vorsichtig auszudrücken. Ich die den Gemeinden nun empfohlene Standortanalyse für werde dann noch einige Beispiele nennen. Umbau und Neubau von Standorten und eine Regionali- Wir GRÜNE meinen, dass die Situation der freiwilligen sierung der Bedarfsplanung – nachzulesen auf den Seiten Feuerwehren und des Brandschutzes im ganzen Land – 32 und 35. und gerade im dünn besiedelten, aber flächengroßen Ist das bisher nicht genügend geschehen? Was hat der Raum – ständig evaluiert werden muss, und zwar unter Innenminister unterlassen? Was müssten zukünftige direkter Beteiligung der Ehrenamtlichen, von denen hier Regierungen tun? Diese Fragen werden nicht beantwortet. so viel die Rede ist. Interessant ist auch die vorgeschlagene Einführung der Der Bericht zeigt die Lücken in der Vorgehensweise des Erfassungs- und Analysesoftware zur Planung der Ein- jetzt CDU-geführten Innenministeriums deutlich: So fehlt satzbereitschaft und für neue Einsatzkonzepte. Gut. Aber ein Blick in andere Bundesländer, Mecklenburg-Vorpom- was soll sie kosten? Wer trägt diese Kosten? Warum wird mern, Sachsen-Anhalt, die sich durchaus mit den Fragen denn überhaupt nicht analysiert, welche Lücken es beim der zentralen Beschaffung befassen, mit deren Realisie- Einsatz dieser Software in der Referenzregion Sächsische rung wir Geld sparen können, das wiederum unmittelbar Schweiz–Osterzgebirge gab? Auch dabei bleiben alle den Feuerwehren zugute kommen kann – und dort besteht wesentlichen Fragen offen. Bedarf. Insgesamt müssen wir konstatieren: Die AG Feuerwehr Unbeantwortet bleibt aber vor allem im Bericht – so wie beantwortet – ebenso wie die amtierende Regierung, die heute von Ihnen – die Gretchenfrage des Ganzen: Können Vertreter der Koalition – die zentrale Frage des Brand- die freiwilligen Feuerwehren in Zukunft auch dort, wo schutzes nicht: Wie ist der Brandschutz im ländlichen wir Bevölkerung verlieren, aber die Fläche des Landes Raum abzudecken, wo wir Bevölkerung verlieren, aber vorhanden ist, den Brandschutz vollständig ehrenamtlich große Fläche haben? Sie drücken sich davor. Ihr Bericht, abdecken? Diese Frage beantworten Sie nicht. Stattdessen die Debatte weist viele offene Probleme auf. Sie bleiben schieben Sie mit vorgeschobenen Argumenten die Dis- ungelöst nach fünf Jahren Ihrer Regierungsarbeit, und kussion um das interessante Modell der Stützpunktfeuer- eine neue Regierung im neu gewählten Landtag wird sie wehren vom Tisch. auf dem Tisch haben. Schade! Das wird den Problemen Selbst von Ihnen, Herr Kollege Löffler, hätte ich an dieser des Brandschutzes und dem Engagement der ehrenamtli- Stelle mehr Sachlichkeit erwartet. Es geht doch nicht chen Feuerwehrleute nicht gerecht. darum, berufliche Feuerwehr und ehrenamtliche Feuer- Danke schön. wehr gegeneinander auszuspielen. Die ehrenamtlichen wie die Berufsfeuerwehrleute machen keine kommerziel- (Beifall des Abg. Michael Weichert, le, sondern gute Arbeit im Dienst der Öffentlichkeit und GRÜNE, und vereinzelt bei der SPD) der Menschen. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Das war Frau Jähnigen (Jan Löffler, CDU: Und das soll so bleiben!) für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die NPD- Es geht hier um den Schutz der Menschen. Deshalb finde Fraktion ist an der Reihe. Herr Abg. Storr. Sie haben das ich es wichtig, dass Sie sich mit den Erfahrungen anderer Wort, Herr Storr. Bundesländer auseinandersetzen – zum Beispiel Meck- Andreas Storr, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und lenburg –, die feststellen mussten, dass der Brandschutz Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte „Für leistungs- im ländlichen Raum nicht mehr allein durch Ehrenamtli- fähige Feuerwehren in Sachsen – Professionalität stärken, che abgesichert werden kann. Das Modell der Stützpunkt- Ehrenamt unterstützen“ kommt für mich ein wenig feuerwehren ist ja gerade durch Ehrenamtliche ins Spiel überraschend, weil in der Tat die Staatsregierung und gebracht worden. Setzen Sie sich doch einmal damit auch die Koalitionsfraktionen hier relativ wenig vorzu- auseinander. weisen haben, was sie in den letzten fünf Jahren zuwege Sicher, dabei geht es um die Frage der Strukturen und wie gebracht haben. Herr Karabinski hat zwar das Wenige, diese zusammenwirken können. Sicher, es geht auch um das man an Verbesserungen nennen konnte, aufgelistet. Fragen von Investitionen, die dann vom Land getragen Aber an dieser Stelle müsste man eigentlich eingestehen, werden müssen. Seien Sie doch ehrlich. Machen Sie hier dass die Probleme in keiner Weise wirklich angepackt und keine Vorbehalte auf. Das Argument der Kommerzialisie- gelöst worden sind. Man hat nur versucht, an einigen rung fand ich sehr ärgerlich. wenigen Stellschrauben zu drehen, ohne die Probleme wirklich anzupacken. Wir als GRÜNE möchten, dass die reale Entwicklung in Sachsen und in anderen Ländern genau beobachtet und Ich kann mich noch gut an eine Anhörung im Innenaus- geschaut wird, ob der Brandschutz so noch abdeckbar ist. schuss 2012 erinnern, in der es um die Ausbildungssitua- Wir denken, dass zumindest mittelfristig die Einführung tion bei den freiwilligen Feuerwehren ging. Dabei wurde 10520 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 die Gesamtlage geschildert. Insbesondere gibt es Schwie- (Beifall der Abg. Gitta Schüßler rigkeiten bei der Tageseinsatzbereitschaft oder dabei, die und Holger Szymanski, NPD) notwendigen Mannschaftsstärken überhaupt zusammen- Insofern, denke ich, müssen wir dieses Thema viel, viel zubekommen. Ich bin mir sicher, dass die Probleme bis größer fassen, als nur an einzelnen fachlichen Stell- heute nicht nur nicht gelöst wurden, sondern sich wahr- schrauben zu drehen und zu meinen, dadurch könne man scheinlich sogar verstärkt haben. Das ist nach meiner das Grundproblem im ländlichen Raum lösen. Wir müs- Auffassung das Problem. sen darüber hinausdenken, und das ist meiner Meinung Der gerade gelieferte Abschlussbericht der Arbeitsgruppe nach eine Aufgabe der kommenden Staatsregierung: „Freiwillige Feuerwehren in Sachsen 2020“ ist an sich Lösungen zu erarbeiten, die auch jenseits dessen liegen, sehr löblich, weil darin durchaus einmal ein sehr umfas- was im Abschlussbericht an fachlichen Empfehlungen sender Überblick gegeben wird und fachliche Einschät- ausgeführt worden ist und von der Politik aufgegriffen zungen und Handlungsempfehlungen formuliert sind, die werden muss, aber auch den größeren Handlungsrahmen sicherlich die Politik in der kommenden Legislaturperiode zu erkennen. aufgreifen muss, vielleicht auch gleich zu Beginn. Vielen Dank. Wir sollten uns hier nicht der Illusion hingeben, dass wir (Beifall der Abg. Gitta Schüßler mit diesen Stellschrauben – wie sie in dem Bericht vorge- und Holger Szymanski, NPD) schlagen werden – des Problems wirklich Herr werden können. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und Denn man muss natürlich sehen: Hinter diesen Proble- Herren, das war die erste Runde in der Aussprache. – Gibt men, die wir bei der freiwilligen Feuerwehr, insbesondere es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen? – Für die im ländlichen Raum, haben, stehen viel größere, umfas- CDU-Fraktion Herr Abg. Hartmann. Sie haben das Wort. sendere Probleme, die zwar immer mal am Rande er- wähnt werden, die aber aus meiner Sicht von der Politik – Christian Hartmann, CDU: Sehr geehrter Herr Präsi- auch wenn es um die freiwilligen Feuerwehren in Sachsen dent, herzlichen Dank! Meine sehr geehrten Damen und und ihre Handlungsfähigkeit geht – mit angepackt wer- Herren! Nun, die Debatte ist schon sehr spannend, und den, und die größeren Fragen sind eben die demografi- dann wird uns vorgeworfen, dass Herr Löffler wenig von sche Schrumpfung und diese nicht etwa als Faktum dem Thema verstehen würde, obwohl er hier der einzige hinzunehmen und zu sagen, jetzt müssen wir Anpassungs- Feuerwehrmann ist, und uns wird vorgeworfen, wir strategien entwickeln, sondern wir müssen schauen, dass würden sehr wenig mit den Feuerwehren sprechen. wir die demografische Schrumpfung, insbesondere im Was mich sehr beeindruckt – ich habe jetzt eine ganze ländlichen Raum, umkehren. Das ist eine Frage, die man Reihe von Rednern gehört –: Ich war in diesem Jahr auf nicht auf organisatorischer oder planerischer Ebene im sieben Jahreshauptversammlungen freiwilliger Feuerweh- Zusammenhang mit den freiwilligen Feuerwehren lösen ren und darf Ihnen versichern, dass ich von Ihren Parteien kann, sondern hier ist die Politik gefragt. nicht einen einzigen Vertreter getroffen habe; und wenn Es ist aus unserer Sicht zwingend notwendig, dass die ich meine Kollegen so frage, dann lohnt sich auch dort Demografie nicht etwa als unabwendbares Schicksal einmal die Erhebung über die Frage: Wie oft waren Sie hingenommen wird, sondern Gegenstrategien entwickelt denn bei den Jahreshauptversammlungen vor Ort präsent? werden, gerade am Beispiel der Problemstellungen, wie Frau Köpping kann man dabei sicherlich als Ausnahme sie die freiwilligen Feuerwehren im ländlichen Raum benennen, aber im Regelfall ist doch der CDU-Vertreter immer wieder schildern. sehr allein. Das Problem der Tagesbereitschaft zum Beispiel ist, dass (Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP – viele Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren überhaupt Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE) nicht mehr vor Ort arbeiten, sondern weit fahren müssen, Ich beginne mit den GRÜNEN. Frau Jähnigen beklagte, um ihren Arbeitsplatz aufzusuchen, oder – dies hängt dass in der Arbeitsgruppe so wenig Ehrenamt beteiligt ebenfalls wieder mit dem Thema Arbeit zusammen – war. Nun darf ich Ihnen versichern: Der Landesfeuer- junge Leute, die vielleicht schon bei der Jugendfeuerwehr wehrverband Sachsen ist Interessenvertretung der ehren- sind, dann aber auf der Suche nach einem Ausbildungs- amtlichen Feuerwehren, und er wird aus den Mitgliedern platz feststellen müssen, dass sie vor Ort nicht den Aus- der Feuerwehren gewählt. Er ist ehrenamtlich tätig, und bildungsplatz bekommen, den sie sich wünschen, sondern die Berufsfeuerwehren sind in der Arbeitsgemeinschaft weiter wegziehen müssen, nach Dresden oder gar in ein Berufsfeuerwehren zusammengefasst. Insoweit war der anderes Bundesland – was nach der Ausbildung vielleicht ehrenamtliche Sachverstand vertreten. auch dazu führt, dass man den Arbeitsplatz nicht in Sachsen, sondern woanders bekommt. Das heißt also, die Nun scheint mir auch der Vergleich mit Mecklenburg- Versorgung mit heimatnahen Arbeitsplätzen ist ein Hand- Vorpommern etwas schwierig. Man kann sicherlich in lungsfeld der Politik, was beim Thema dieser Aktuellen bestimmten Regionen bestimmte Ansätze finden; aber für Debatte, eine leistungsfähige Feuerwehr in Sachsen Sachsen allein gibt es die Antworten nicht. aufrechtzuerhalten, ebenfalls eine Rolle spielt.

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Zur Zentralbeschaffung möchte ich Ihnen sagen: Mit Es ist vor allem die Zusammenarbeit mit dem Landesfeu- Ausnahme von Fahrzeugen kennen auch wir das Instru- erwehrverband, der uns darauf gebracht hat, darüber zu ment der Zentralbeschaffung, und für Kfz ist es zumindest sprechen, dass einheitliche Ausbildungsstandards erfor- in den Landkreisen möglich, durch die Pauschalförderung derlich sind. Es hat seine Zeit gebraucht, diese zu erarbei- und die Festlegung bestimmter Standards diese Koordi- ten, und sie sind sehr gut. Sie sind nämlich unter Mitwir- nierungsfunktion wahrzunehmen. kung aller Beteiligten erstellt worden, und ich darf Ihnen Damit sind wir bei den LINKEN. Herr Gebhardt, es ist versichern, dass diese Ausbildungsunterlagen so gut sind, schon ein durchaus diskussionswürdiger Ansatz, aber es dass wir bereits Kopieranfragen aus anderen Bundeslän- dern vorliegen haben. stellt sich die Frage: Verstaatlichung der Feuerwehr oder Festhalten an kommunaler Selbstverwaltung? Es ist schon Zur Kapazitätserweiterung der Landesfeuerwehrschule in spannend, wenn Sie auf der einen Seite permanent for- Nardt: Ja, die Kapazitäten waren zu gering, aber es gibt dern, dass wir den Kommunen mehr Geld geben und zwei Faktoren: zum einen die Ausbildungskapazitäten- ihnen mehr Verantwortung überlassen sollen, aber im bindung der Ausbildung der Berufsfeuerwehren – diese Gegenzug sagen, jetzt solle doch der Staat bitte die haben wir jetzt entspannt, indem die Berufsfeuerwehren Aufgaben einer kommunalen Selbstverwaltung wahrneh- diesen Bereich zum Teil selbst verstärkt wahrnehmen – men. und zum anderen die Kapazitätserweiterung für die Lehrgangsangebote der ehrenamtlichen Feuerwehren. (Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, Gerade im Bereich der ehrenamtlichen Feuerwehren geht DIE LINKE: Gleichwertigkeit!) es darum, den Ausbildungsbedarf sicherzustellen. Dabei Und es ist eine Aufgabe der Kommune. Es ist eine origi- sind wir auf einem guten Weg. näre Aufgabe der Städte und Gemeinden, weil die lokalen Letzter Punkt – ich habe noch 9 Sekunden –: Tagesein- Voraussetzungen in Sachsen höchst unterschiedlich sind, satzbereitschaft. Der Unterschied, meine sehr geehrten und Sie werden schwerlich von Dresden aus die Heraus- Damen und Herren, zwischen Ihnen und Herrn Löffler ist forderungen des Brandschutzes in einer Landeshauptstadt folgender: Herr Löffler hat davor gewarnt, dass eine oder in Bautzen oder im Landkreis Nordsachsen mit Kooperation – einheitlichen Standards koordinieren können. Es ist kommunale Selbstverwaltung und kommunale Aufgabe. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte zum Schluss Damit sind wir bei der Frage: Was tun die Kommunen vor kommen. Ort? Das tun sie höchst unterschiedlich, und ich muss Christian Hartmann, CDU: – von Haupt- und Ehrenamt immer noch daran appellieren, dass auch jeder Bürger- der falsche Weg ist. Er hat ausdrücklich befördert, dass meister, jeder Gemeinderat gefragt ist, diese Unterstüt- die Kooperation zwischen Kommunen und Landkreisen zung zu geben. Ich darf Ihnen versichern: Auch wir sinnvoll und richtig ist und auch Stützpunktführer nicht kennen Gemeinden in Sachsen, die mit Sicherheit über ausgeschlossen sind – gleichwohl eine Zuständigkeit der 400 bis 500 Menschen verfügen, die in der Lage wären, in Kommunen selbst. der Feuerwehr Dienst zu tun. Wenn Sie sich anschauen, wer in der Feuerwehr ist, dann erleben Sie 30 Engagierte, 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Hartmann! und der Rest schaut zu. Christian Hartmann, CDU: Herzlichen Dank für Ihre Dabei stellt sich auch die Frage: Was kann kommunale Aufmerksamkeit. Selbstverwaltung dafür tun, und was kann ein Bürger- meister vor Ort an Unterstützung leisten? (Beifall bei der CDU, der FDP (Beifall bei der CDU) und der Staatsregierung) Damit sind wir bei der Frage: Wie kann der Freistaat 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und Sachsen – das ist die eigentliche Frage, die dieses Hohe Herren, gibt es weiteren Redebedarf? – Ich frage Sie Haus zu beschäftigen hat, und nicht der Wind, den Sie einmal vorsichtig, Herr Löffler. Sie stehen noch auf der über uns, über die eigentlichen originären Aufgaben der Liste. Herr Löffler, nehmen Sie noch teil? Sie stehen auf Kommunen blasen lassen – unterstützend tätig werden? der Liste. Wollen Sie noch sprechen? Es hat in der Tat nicht der SPD bedurft, dass wir über (Jan Löffler, CDU: Hat einheitliche Ausbildungsunterlagen, über die Kapazitäts- sich erledigt, danke schön!) erweiterung der Landesfeuerwehrschule in Nardt gespro- chen haben. Das sind Diskussionen, die wir mit ehrenamt- – Das hat sich erledigt. Herr Hartmann hat alles für Sie lichen Feuerwehren auf Jahreshauptversammlungen vor erledigt. Nun frage ich die Staatsregierung: Wird das Wort Ort geführt haben, Diskussionen, die wir mit dem Landes- gewünscht? – Das ist der Fall. Herr Staatsminister Ulbig, feuerwehrverband geführt haben, dem ich noch einmal bitte. Sie haben das Wort. ausdrücklich für die kooperative Zusammenarbeit danken möchte. Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren (Beifall bei der CDU) Abgeordneten! Selbstverständlich möchte ich als zustän-

10522 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 diger Fachminister in dieser Aktuellen Debatte noch dieses Papier ausdrücklich gelobt und die Arbeit, die einmal das Wort ergreifen, und ich möchte zu Beginn die geleistet worden ist. Deshalb können Sie von mir aus Gelegenheit nutzen, allen Kameradinnen und Kameraden Kritik an mir üben, wenn Ihnen das wichtig ist. Aber ich für die Arbeit, die sie im Lande tun, herzlich zu danken. denke, denen, die sich hingesetzt, dieses Papier erarbeitet und die unterschiedlichen Perspektiven hineingebracht (Beifall bei der CDU und der FDP) haben, gebührt der Dank. Dort sollte man die Kritik nicht Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, die anbringen. Feuerwehren insgesamt – das sind für mich die hauptamt- (Beifall bei der CDU und der FDP) lichen und die ehrenamtlichen – leisten eine hervorragen- de Arbeit. Sie sind eine tragende Säule der Sicherheitsar- Die Ergebnisse habe ich vor circa zwei Wochen öffentlich chitektur in unserem Lande. Das soll und wird auch so vorgestellt, deshalb kann ich mich dazu einigermaßen bleiben. kurz fassen. Ich möchte aber noch einmal sagen: Ich halte Wenn wir uns einmal einige wenige Zahlen anschauen, diese Vorschläge für eine Art Baukasten, nicht für ein was dort geleistet wird, so ist das schon bemerkenswert: Allheilmittel, dass man sagt, alles, was darin steht, sei an In 1 799 Ortswehren in unseren 431 Gemeinden leisten jedem Punkt im Freistaat Sachsen für jede Orts- oder 44 000 Ehrenamtliche, unterstützt von den fast 1 700 Gemeindewehr richtig, sondern die Ortswehren sind von hauptamtlichen Mitarbeitern der Berufsfeuerwehren, ihre Plauen bis Görlitz, von Torgau bis Pirna sehr unterschied- Arbeit. Allein im letzten Jahr waren dies 140 000 Einsätze lich, und so unterschiedlich muss man auch im konkreten bei über 7 000 Bränden. Fall reagieren. Dafür gibt dieser Bericht Hinweise. Er hat sozusagen Schubladen vorgesehen, die man aufziehen Mittlerweile – das wissen wir – ist der Anteil der techni- kann und muss, um dann etwas für die konkrete Situation schen Hilfeleistungen deutlich überwiegend gegenüber zu tun. den eher klassischen Anteilen der Brandbekämpfung. Erster Punkt. Das Wichtigste ist die Optimierung des Dazu kamen die Probleme Hochwasser 2013 und Starkre- Brandschutzbedarfsplanes. Momentan kommen nach gen 2014. Auch das ist eine bemerkenswerte zusätzliche Belastung. Dafür ein herzliches Dankeschön! meiner Kenntnis die Kameradinnen und Kameraden bei jedem Brand immer noch rechtzeitig vor Ort. Das soll Darüber hinaus – das möchte ich an dieser Stelle ebenfalls auch in Zukunft so bleiben, deshalb ist eine vernünftige, noch einmal ansprechen – wissen wir, dass gerade im strukturierte Analyse vor Ort unbedingt notwendig. Daher ländlichen Raum die ehrenamtlichen Feuerwehren teil- geht der Dank an das Fraunhofer-Institut, das mitgewirkt weise gesellschaftliche Zentren sind, dass sie also über und mit seiner Software ein Angebot unterbreitet hat, um die Arbeit in der Feuerwehr hinaus stabilisierend für das das Thema Brandschutzbedarfsplan softwarebasiert vor Gemeinwesen vor Ort sind. Deshalb darf man ihre Exis- Ort ein Stück weit besser zu unterstützen. tenz nicht aufs Spiel setzen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Zweiter Punkt – Jugendfeuerwehren. Ich habe darüber gesprochen, dass wir gut vorangekommen sind, möchte Wenn wir uns weitere Zahlen anschauen, möchte ich jedoch deutlich machen, dass der Nachwuchs noch weiter sagen: Ich bin stolz, dass wir seit 2009 die Zahl der unterstützt werden muss. Deshalb empfiehlt die Arbeits- Mitglieder der Jugendfeuerwehren erhöht haben. Wenn gruppe eine finanzielle Unterstützung und einen direkten wir uns 2009 anschauen, so waren es 2 500 und im Beitrag, der an die Gemeinden geht, um ihnen vor Ort Jahr 2013 knapp 3 900. Das ist ein Anstieg von 1 400. eine Finanzierungsbasis für Ausbildungsunterlagen und Auch das ist ein Dankeschön an die Kameraden und Schutzkleidung zu geben. Kameraden, die vor Ort Jugendarbeit leisten, wert. Aber ich möchte auch sagen: Offenkundig hat die Kampagne Dritter Punkt – technische Aspekte. Dazu möchte ich „Helden gesucht“ dabei auch nicht ganz wirkungslos nochmals die Feuerwehr-App hervorheben, die aus mitgeholfen. meiner Sicht eine gute Basis ist und im Land eingesetzt werden kann. Trotz alledem haben wir die Herausforderungen, die vor Abschließend aus der Debatte noch einmal die Frage, ob uns stehen, gesehen, und wir haben sie einmal ins es noch zeitgemäß ist, die Aufgaben des Brandschutzes Jahr 2020 hineinprojiziert. Das gilt natürlich nicht als auf ehrenamtliche Schultern zu stützen. Dazu kann ich Fixpunkt, sondern nur als Zeitraum, in dem die Aufgaben sagen: Die Arbeitsgruppe hält am Modell der freiwilligen zu bewältigen sind. Deshalb ist die Arbeitsgruppe einge- Feuerwehren fest. Die Schwerpunktfeuerwehren bzw. richtet worden. Darin haben SSG, Landkreistag, Landes- regionalen Berufsfeuerwehren werden von der AG abge- feuerwehrverband und Wissenschaftler mitgearbeitet. lehnt, denn dadurch würden die freiwilligen Feuerwehren Frau Jähnigen, ich bin stolz darauf, dass eine solche zu Feuerwehren zweiter Klasse. Das steht im Bericht, das Arbeitsgruppe zusammenkommen ist, und ich bin auch dankbar. Herr Gebhardt, Sie haben es gehört: habe nicht ich gesagt, sondern jene, die den Bericht erarbeitet haben, haben es als klare Position herausgear- (Beifall bei der CDU und der FDP) beitet. Deshalb gibt es unter anderem einen Vorschlag, dass man durch Gesetzesänderung den Gemeindewehrlei- Beim diesjährigen Landesfeuerwehrtag hat der Vorsitzen- ter hauptamtlich durch den Bürgermeister stellen lassen de des Deutschen Feuerwehrverbandes, Herr Kröger,

10523 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 kann. Das sind vernünftige Vorschläge, die enthalten sind Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten und mit Leben erfüllt werden können. wir aus dieser Aktuellen Debatte herausgehen und das Letzter Punkt, um nicht unkommentiert im Raum stehen Signal im Land aussenden: Die Feuerwehren im Lande zu lassen, mit unserer Richtlinie hätten wir irgendetwas leisten eine gute Arbeit. Sie haben aber weiterhin Unter- gedeckelt, Herr Gebhardt. stützung nötig, und diese werden sie von uns bekommen. Herzlichen Dank. (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Haben Sie!) (Beifall bei der CDU und der FDP) Ich kann Ihnen sagen: Die neue Förderrichtlinie hat überwiegend positive Resonanz im Lande hervorgerufen. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr Es gibt eine landeseinheitliche Förderung. Es ist ein Staatsminister. – Meine Damen und Herren, die 1. Aktuel- geringerer Verwaltungsaufwand erforderlich und es gibt le Debatte ist abgeschlossen. eine größere Freiheit der Kommunen bei der Beschaffung. Wir haben gesagt, die Festbeträge werden regelmäßig in Wir kommen zur einem entsprechenden Rhythmus angepasst. Das ist eine vernünftige, flexible und moderne Art, mit Förderung umzugehen.

2. Aktuelle Debatte Die Irrtümer der schwarz-gelben Wirtschaftspolitik Antrag der Fraktion DIE LINKE

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion DIE LINKE Damen und Herren, so geht es nicht! Also fangen wir das Wort und für die Fraktion Herr Abg. Stange. Sie einmal an, ein wenig aufzuräumen. haben das Wort. Sachsen, das Zuwanderungsland: Vorsicht an der Bahn- Enrico Stange, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr Präsi- steigkante! Liebe Leute, was wir haben, ist Folgendes: dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema Erstens. Der Wanderungssaldo ist nicht in der Lage, die heute auf die Tagesordnung zu setzen kann nicht wirklich Sterberate auszugleichen. – Das sind wirklich nur Fakten. aktueller sein. Wir haben mit der Regierungserklärung Zweitens. Ja, wir haben einen positiven Wanderungssaldo durch Herrn Ministerpräsidenten Tillich ein regelrechtes mit Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Feuerwerk der Selbstbeweihräucherung dieser Staatsre- Stimmt. Warum? Weil die Perspektiven dort einfach noch gierung erlebt. schlechter sind als hier. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eingangs eines (Staatsminister Sven Morlok: Aha!) sagen: Ich kenne das noch von früher. Wenn man Kritik geübt hat, ist gesagt worden, man rede die Leistung der – Ja, noch schlechter als hier. Werktätigen schlecht. (Torsten Herbst, FDP: Weil (Alexander Krauß, CDU: Da wurde im die noch schlechter sind als wir! – Parlament keine Kritik geübt bei euch, das ist der Staatsminister Sven Morlok: Unterschied! – Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU) Wo die LINKEN mitregieren!) – Herr Krauß, es geht um den Fakt, Kritik üben zu können – Ja, noch schlechter. Ehrlichkeit, Kollege Herbst, ist oder nicht, und heute, wenn man Kritik an Regierungspo- etwas, was Ihnen abgeht, ich weiß. Aber ich habe damit litik oder an ihren Irrtümern üben will, dann redet man kein Problem. den Freistaat und die Leistungen der Bürgerinnen und (Rico Gebhardt, DIE LINKE: Die hatten die Bürger schlecht. Das halte ich für nicht angemessen, deshalb werde ich Sie dennoch mit diesen Irrtümern Große Koalition, wo die CDU mitregiert hat!) konfrontieren. Drittens. Wir haben nach wie vor einen negativen Wande- (Beifall bei den LINKEN) rungssaldo zu den West-Bundesländern. Das ist das eigentliche Problem, weil dort – normalerweise – die Bei diesem Feuerwerk der Selbstbeweihräucherung hatte Perspektiven besser sind als hier. Deshalb wandern die man schon den Eindruck, als säße dieses Kabinett – Menschen ab. wahrscheinlich gemeinsam mit der gesamten Fraktion der Viertens. Zuwanderungsland – das Lieblingsthema von CDU – zusammen, bevor das Plenum beginnt, dann geht Staatsminister Morlok. Da kann er vor Kraft kaum laufen die Shisha herum und alle vernebeln sich den Blick und in diesem Hause. 1,9 % der sozialversicherungspflichtig trüben die Sinne für den Blick auf die Realität. Meine Beschäftigten in Sachsen sind Ausländer. Da bekommen

10524 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 die Nazis immer schon Angst wegen der Überfremdung. Irrtümer der schwarz-gelben Wirtschaftspolitik“; aber 1,9 %, davon 1,1 % EU-Ausländer, also, von Zuwande- darüber käme sicherlich keine Freude auf, Herr Stange. rungsland – Entschuldigung! – kann ich da nicht wirklich (Zurufe von den LINKEN: Ach ja!) sprechen. Fünftens. Leipzig und Dresden sind die Wanderungsge- Herr Stange, ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zuge- winner – sowohl aus den anderen ostdeutschen Bundes- hört. Außer den Themen Zuwanderung und Erwerbstäti- ländern als auch aus dem Umland, denn Leipzig und genzahlen – also das, was mit der demografischen Situa- Dresden räumen regelrecht das Umland leer, das muss tion in Sachsen und in der Bundesrepublik Deutschland man sagen. Daraus folgt zusammenhängt – haben Sie weiter nichts vorgetragen. sechstens – die Landkreise verlieren. Und noch etwas: (Beifall bei der CDU – Pendlersaldo, das hat ja, wenn ich mich nicht irre, Staats- Rico Gebhardt, DIE LINKE: Doch! – minister Morlok in seiner Fachregierungserklärung so Enrico Stange, DIE LINKE: Sie sind ehrlich, schön ausgewalzt. Fakt ist: 132 000 Auspendler haben wir richtig! Nichts mit Arbeitsmarktpolitik usw.!) jeden Tag und nur 93 000 Einpendler. Das heißt, wir Aber ich hatte gemeint, dass Sie uns schon aus Ihrer Sicht haben einen negativen Saldo bei den Berufspendlern. Nun heraus etwas um die Ohren werfen, was in dieser Wirt- sage ich Ihnen eins: Wenn diese 40 000, nein, 132 000 schaftspolitik falsch gemacht wurde. Aber Fehlanzeige! (Staatsministerin Christine Clauß: Fehlanzeige in der Form, dass Sie das hier nicht vorgetra- Wie viele sind es denn nun wirklich?) gen, sondern nur etwas Polemik an den Tag gelegt haben. Meine Damen und Herren, ich will nicht die Regierungs- auf die Idee kommen sollten, ihren Arbeitsplatz gleich erklärung des Ministerpräsidenten wiederholen, aber ich noch mit dem Wohnsitz zu verbinden – sprich: nicht in denke, es ist schon wichtig zu sagen, wie erfolgreich die Sachsen zu bleiben –, dann haben wir ein gigantisches Wirtschaftspolitik unter Schwarz-Gelb operiert hat: Problem: Dann verpufft Ihre Rechnung vom Zuwande- rungsland binnen Tagen. Rückgang der Arbeitslosenzahl auf 8,5 %, Erhöhung des Jahresgehaltes – Herr Ministerpräsident sagte es – im Mythos Arbeitsmarkt. Das ist etwas, bei dem man wirk- lich Schwämmchen bekommen kann. Fakt ist: Vergleich von 2009 zu 2013 auf rund 3 000 Euro, Wachs- tum im Handwerk und im Mittelstand, Wachstum auch im Erstens. Die Einwohnerzahl in Sachsen sinkt beständig. Steueraufkommen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, Zweitens. Die Erwerbspersonenzahl sinkt beständig. als der Finanzminister Zahlen von 13 bzw. 14 Milliar- den Euro im Haushalt genannt hat. Gestern bekamen wir (Staatsminister Sven Morlok: Das stimmt nicht! – 17 Milliarden genannt. Das ist es, was die Sachsen erar- Zuruf des Abg. Torsten Herbst, FDP) beitet haben und was im Mittelstand, in der Wirtschaft, in – Schauen Sie einmal ganz in Ruhe. der Industrie dem Staat gegeben wird, um operieren zu können. Das können Sie doch nicht als Irrtum hinstellen, 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte zum Schluss Herr Stange. kommen. (Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP) Enrico Stange, DIE LINKE: Ist die Zeit schon vorbei? Ich möchte nur an den Infrastrukturausbau im Straßen- und Schienenbau erinnern. Wir haben eine hohe Investiti- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Ja. onsquote. Allein in der einzelbetrieblichen Förderung, in Enrico Stange, DIE LINKE: Unser Problem ist ganz der GRW-Förderung hat die SAB vom 1. Januar bis zum einfach: Schauen Sie in Ihren eigenen Standortbericht. 30. Juni 2014 über 300 Millionen Euro Förderung an Von 2000 bis 2012 ist die Erwerbstätigenzahl um 0,2 % mittelständische Betriebe und Unternehmen in Sachsen gesunken. Wir haben keinen so blühenden Arbeitsmarkt, ausgegeben. Hier ist von allen Teilen der Bundesrepublik wie Sie es uns ständig weismachen wollen. investiert worden, insbesondere auch von Sachsen selbst. 300 Millionen – Herr Stange, ich weiß nicht, was Sie uns (Beifall bei den LINKEN und der vorwerfen, indem Sie dieses Thema heute zur Aktuellen Abg. Petra Köpping, SPD – Staatsminister Sven Debatte aufrufen. Ich kann es nicht nachvollziehen. Morlok:Wir haben aber 2014!) (Dr. Monika Runge, 2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun für die CDU- DIE LINKE: Das ist mir klar!) Fraktion Herr Abg. Heidan. Sie haben das Wort. Wir haben in der Tourismusförderung viel erreicht. Frank Heidan, CDU: Herr Präsident! Meine sehr geehr- Sicherlich gibt es noch einiges zu tun, das will ich über- ten Damen und Herren! Gestern Abend war zu hören: haupt nicht verhehlen. Die Vernetzung zwischen Wissen- „Kaum zu glauben!“, „Nicht zu fassen!“, „Unglaublich!“, schaft und Wirtschaft ist noch ein Thema, auch für die und sicherlich brach bei uns allen die Freude aus beim nächste Legislaturperiode. Die gesicherte Energieversor- 7 : 1. Das Gleiche könnte ich auch zu Ihrem Antrag zum gung wird sicherlich ein weiteres Thema bleiben. Wir heutigen Thema sagen – ich wiederhole es gern –: "Die haben von Anfang an gesagt: Die Energieversorgung

10525 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 muss sicher, sauber und bezahlbar bleiben. Auch das ist Wir können heute konstatieren: Keines dieser drei Ziele etwas, was dieses Hohe Haus ständig beschäftigt, und Sie wurde erreicht. Ich weiß, Herr Morlok, wenn man auf sind es ja, die Ihre Wirtschaftskompetenz gegen die Veranstaltungen mit dem Mittelstand ist, wo Sie Gast Braunkohle als grundlastfähiger Energieträger an diesem sind, mal zum Geburtstag, mal zu anderen Feierlichkeiten, Pult offenbart haben. da wird einem schon gehuldigt. Ich kenne das als Landrä- tin ebenfalls gut. Aber ich sage Ihnen auch einmal, was (Zuruf der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE) gesagt wird, wenn Sie nicht dabei sind. Beispielsweise hat Ich möchte, da meine Redezeit fast zu Ende ist, noch mir jemand gesagt: Das Wirtschaftsministerium wird von einige Stichpunkte nennen: rohstoffreiches Land – hier einem Autopiloten gelenkt, und trotzdem entwickelt sich werden wir unsere Wirtschaftskompetenz weiter an den die Wirtschaft in Sachsen vorzüglich. Tag legen, (Michael Weichert, GRÜNE: Aber nicht bremsen!) (Dr. Jana Pinka, DIE LINKE: Dass wir mit dieser Meinung nicht ganz allein sind, Herr Es ist ja noch keine vorhanden!) Flath, darf ich auch noch einmal zitieren: Die CDU werde und wir brauchen an dieser Stelle den Aufruf: Wir brau- wieder auf dem Feld Wirtschaft auftreten, nachdem es chen mehr Unternehmer. Das habe ich an diesem Pult über Jahre vernachlässigt wurde. Die CDU-Fraktion habe bereits des Öfteren gesagt. Es muss bereits an der Schule sich lange zu wenig mit dem Thema Wirtschaft beschäf- beginnen klarzuwerden, dass wir Unternehmer brauchen, tigt. – Ich denke, diesen Sätzen muss ich nicht viel hinzu- die dieses Land zusammen mit den Arbeitnehmern – fügen. Sie sind von Ihrem Koalitionspartner gesagt worden, sodass ich den Eindruck habe, dass das durchaus 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte zum Schluss berechtigt war. kommen. Der Zustand des Wirtschaftsstandortes Sachsen – auch Frank Heidan, CDU: – aufbauen; und das, was sie in das kam von Herrn Flath –: Die Wirtschaftskraft und den letzten 20, 25 Jahren getan haben, sollen sie auch Eigenkapitalausstattung der Unternehmen sei nicht weiter tun. ausreichend, die Produktivität sei im Vergleich zum Westen zu niedrig, die Arbeitslosigkeit immer noch zu Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. hoch, die Unternehmen seien zu klein. – Was soll ich dazu (Beifall bei der CDU, der FDP noch sagen, wenn wir uns hier Sonntagsreden anhören, in und der Staatsregierung) denen alles schöngeredet wird? Herr Staatsminister Morlok, ich habe mir mehrere Reden anhören dürfen, in 2. Vizepräsident Horst Wehner: Das war Herr Heidan denen Sie Ihre Bilanz in kurzen Worten vorgestellt haben für die CDU-Fraktion. – Für die Fraktion der SPD Frau – es gibt ja auch nicht allzu viel zu sagen –, und dazu Abg. Köpping. Bitte, Sie haben das Wort. kann man einfach nur sagen: Das ist zu wenig. Das reicht für Sachsen in Zukunft nicht mehr aus. Petra Köpping, SPD: Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Heidan (Beifall bei der SPD, hat nicht zu Unrecht angemahnt, dass wir doch einmal den LINKEN und den GRÜNEN) fragen sollten: Was war denn eigentlich vorgesehen, und Wir haben unsere Schwerpunkte als SPD-Fraktion klar was ist herausgekommen? vorgestellt. Ja, man kann über den einen oder anderen Ich habe das einmal getan und herausgesucht, was Herr Punkt streiten und durchaus anderer Meinung sein. Aber Staatsminister Morlok am 1. Januar 2011 als Ziele vorge- wir haben klar gesagt, was wir wollen. Ich komme trotz- geben hat. Diese muss ich natürlich zitieren, damit ich dem noch einmal auf einige Ziele zu sprechen, die Sie nichts Falsches sage: sich gesteckt haben: „Ziel 1: Wir wollen, dass der Freistaat Sachsen durch Entbürokratisierung durch Einführung von Genehmi- eigene Kraft und eigene Leistung auf eigenen Beinen gungsfiktionen: nicht erfolgt, Fehlanzeige. steht.“ Der Satz ging dann noch weiter: „Wir wollen Geberland werden.“ (Staatsminister Sven Morlok: Natürlich ist es passiert!) „Ziel 2: Wir wollen neben der Gründung von Unterneh- men stärker als bisher das Wachstum von sächsischen Konsequente Stärkung alternativer Förderinstrumente – Mittelständlern begleiten.“ Umsetzung: Fehlanzeige. „Ziel 3: Sachsen muss das Bundesland werden, in dem (Zuruf des Abg. Torsten Herbst, FDP) Akademiker und Facharbeiter die besten Chancen für Steuerliche FuE-Förderung – Umsetzung: Fehlanzeige. Karriere,“ – jetzt bitte ich zuzuhören – „Einkommen und Ich nenne nur ein paar einzelne Punkte. Ich habe eine Familie sehen.“ ganze Liste mit Problemen vorliegen, die alle nicht (Cornelia Falken, DIE LINKE: umgesetzt worden sind. Für mich gehört für eine Regie- Auch nicht erreicht!) rungserklärung oder eine Bilanz in der Wirtschaftspolitik dazu, dass man Problemfelder benennt und sich nicht nur

10526 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 selbst beweihräuchert mit dem, von dem man glaubt, dass tige Jobs geschaffen wurden? Es ist ein Fakt, ein Erfolg es gut ist. Das habe ich mir ebenfalls aufgeschrieben, was und kein Irrtum. denn so erreicht worden ist: (Beifall bei der FDP und der CDU) Verlängerung der Ladenöffnungszeiten – diese Regelung wird übrigens nur noch von großen Shoppingcentern in Ich frage Sie: Ist es ein Irrtum, dass die Arbeitslosigkeit Anspruch genommen; kleine Läden übernehmen sie hier auf ein Rekordtief gefallen ist und dass wir in überhaupt nicht –, Autowaschanlagen an Sonntagen Schlagdistanz zu traditionellen Industrieländern wie geöffnet oder die Vorstöße zu Kfz-Kennzeichen – letzte Nordrhein-Westfalen sind? Kein Irrtum, ein Erfolg. Und Wahlwerbung zur Kommunalwahl auf allen Plakaten. ist es wirklich ein Irrtum, dass seit 2009 die Arbeitneh- mereinkommen um 11,5 % gestiegen sind, Frau Köpping? Lieber Herr Morlok, ich glaube, dass Sachsen in den Ich glaube nicht. Es ist ein Erfolg. letzten fünf Jahren einen Stillstand erlebt hat, was das Staatsministerium betrifft, nicht was die Wirtschaft (Beifall bei der FDP, der CDU und betrifft; dabei unterteile ich ausdrücklich, da die Wirt- des Staatsministers Sven Morlok) schaft, wie Sie selbst immer sagen, wenig Einflussnahme Und ja, wir geben uns nicht zufrieden. Aber ich sage haben und allein agieren möchte. Das hat sie in Sachsen Ihnen auch: In Sachsen läuft die Wirtschaft besser als getan. anderswo. Darauf sind wir stolz, und dazu haben wir mit (Zuruf des Abg. Karl-Friedrich Zais, DIE LINKE) unserer Politik beigetragen. Wir brauchen Rahmenvorgaben, die die Wirtschaft in (Beifall bei der FDP) Sachsen attraktiv machen. Wir brauchen Standortfaktoren, Der sächsische Weg ist ein anderer als in anderen Bundes- damit Menschen wirklich ehrlichen Herzens nach Sachsen ländern, in denen beispielsweise die SPD mitregiert, und kommen können, um hier zu leben. Wir haben beim bei uns bestimmen eben nicht linke Klassenkampfrhetorik Dynamik-Ranking die Länder Brandenburg, Thüringen und das Schwenken roter Fahnen die Wirtschaftspolitik, und Sachsen-Anhalt bereits vor uns – nicht hinter uns. (Heiterkeit der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD) Ich denke, dass wir in Zukunft einen Wirtschaftsminister brauchen, der sich tatsächlich mit Wirtschaft auseinander- sondern ein klarer, freiheitlicher, marktwirtschaftlicher setzt, der Wirtschaft begleitet, auf die Themen der Wirt- Kompass. schaft reagiert und diese im Landtag mit uns gemeinsam (Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Genau!) umsetzt. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist ein ganz Vielen Dank. gewaltiger; denn Sie misstrauen Unternehmern. Sie halten (Beifall bei der SPD und den LINKEN) Unternehmer per se für Menschen, die ihre Mitarbeiter ausbeuten und Gesetze brechen wollen. Deshalb schaffen 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und Sie immer mehr Regulierung und wollen immer mehr Herren, nun die FDP-Fraktion. Herr Abg. Herbst, Sie kontrollieren. Wir misstrauen Unternehmen nicht, sondern haben das Wort. wir vertrauen ihnen. Deshalb vertrauen die Unternehmer auch Sachsen und investieren hier. Torsten Herbst, FDP: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Köpping, ich bin (Beifall bei der FDP) froh, dass wir mal einen Wirtschaftsminister haben, der Wir glauben auch nicht, dass man die Zusammenarbeit Erfahrungen in der Wirtschaft hat und nicht auf einem zwischen Belegschaft und Arbeitgeber immer per Gesetz sozialdemokratischen Parteiseminar gelernt hat, wie in Berlin regeln muss. Ich denke, die Sachsen haben Wirtschaft funktioniert. gezeigt, wie man vor Ort zu vernünftigen Lösungen (Beifall bei der FDP und der CDU) kommt. Wenn es dem Unternehmen gut geht, kann es auch vernünftige und attraktive Löhne zahlen, und davon Das macht nämlich einen Unterschied, und dass für Sie profitieren die Mitarbeiter. die Erfolge schwarz-gelber Wirtschaftspolitik ein Irrtum sind, verwundert mich nicht; denn als wir letztens nach (Beifall bei der FDP und der CDU) der Fachregierungserklärung des Wirtschaftsministers Schauen Sie sich doch einmal die Unterschiede zwischen über die Wirtschaftspolitik debattieren wollten, haben Sie den Bundesländern an. Dass wir solide mit dem Geld gekniffen, sind aus dem Saal gerannt und haben sich der umgehen, hat einen Vorteil: Wir können in Wirtschafts- Debatte verweigert, meine Damen und Herren. und Technologieförderung investieren. Wir können die (Beifall bei der FDP, der CDU und des Fördermittel abnehmen, die SPD-Länder mangels Kofi- Staatsministers Sven Morlok – Zuruf nanzierung nicht abnehmen können. Das kommt unseren der Abg. Petra Köpping, SPD) Unternehmen zugute. Mit 300 Millionen Euro Wirt- schaftsförderung haben wir immerhin Investitionen von Ich frage Sie, Herr Stange: Ist es ein Irrtum, dass in 1,9 Milliarden Euro in Sachsen unterstützt. Auch das ist Sachsen seit 2009 84 000 neue sozialversicherungspflich- ein schöner Erfolg, meine Damen und Herren.

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(Beifall bei der FDP und der CDU) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Abg. Weichert, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie haben nun Stichwort Bürokratieabbau: Schauen wir doch mal nach das Wort. Thüringen oder Brandenburg. Was ist dort in Sachen Bürokratieabbau passiert? So gut wie nichts. Bei uns gibt Michael Weichert, GRÜNE: Herr Präsident! Meine es 28 % weniger Rechtsvorschriften. Unser Vergabegesetz Damen und Herren! Es begann mit Eierschecke und ist halb so dick wie das der meisten anderen Bundeslän- endete mit Müsliriegeln. Es geht also um Irrtümer, viel- der, in denen Sie mitregieren, meine Damen und Herren. leicht auch Irritationen. Dafür einige Beispiele: (Beifall bei der FDP und der CDU) Ein Irrtum schwarz-gelber Wirtschaftspolitik ist für mich Kein Bundesland investiert so viel in den Erhalt und den einerseits, von Sicherung des Fachkräftebedarfs zu Ausbau der Verkehrswege. Das können wir tun, weil wir sprechen, und andererseits, nichts Entscheidendes dafür solide mit dem Geld umgehen. Wir investieren in die auf den Weg zu bringen. Die guten PISA-Ergebnisse Digitale Offensive Sachsen; mein Fraktionsvorsitzender gehen ja bekanntermaßen auf die sehr gute fachliche sagte es heute Morgen bereits. Nur das Bundesland Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer zurück, die sich Bayern gibt insgesamt mehr Geld für schnelles Internet jetzt auf den verdienten Ruhestand freuen. aus als wir in Sachsen. Die SPD fordert in ihrem Wahl- Die Staatsregierung hat in diesem Bereich keine Rahmen- programm 80 Millionen Euro mehr für schnelles Internet. bedingungen für eine positive wirtschaftliche Entwick- Wir haben im Haushalt bereits 200 Millionen eingeplant. lung geschaffen, Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU – Frank Heidan, Sondern, sie hat die Lehrerfrage schleifen lassen und der CDU: Bayern ist auch ein bisschen größer!) Zuwanderung nicht zu breiter gesellschaftlicher Akzep- – Und Bayern ist etwas größer, das ist ein richtiger Hin- tanz verholfen, sodass Sachsen für ausländische Fachkräf- weis. te unattraktiv ist. Sachsen macht nach wie vor Werbung Wir schauen aber nicht nur auf Infrastruktur und Investi- als Niedriglohnland – siehe Website der Wirtschaftsförde- tionen, sondern wir schauen auch auf Köpfe. Der Weiter- rung. bildungsscheck, den wir erfolgreich eingeführt haben, ist Meine Damen und Herren! Der Rückgang der Arbeitslo- ein richtiges Erfolgsmodell. Er hat zu einem Qualifizie- sigkeit in Sachsen hat erstens mit der demografischen rungsschub und zu höheren Einkommen geführt. Auch Entwicklung zu tun und zweitens mit der Schaffung von das ist ein Erfolgsmodell – von Schwarz-Gelb und nicht neuen Arbeitsplätzen durch die sächsische Wirtschaft – von Rot gemacht, meine Damen und Herren. nicht durch die Politik, geschweige denn durch schwarz- (Beifall bei der FDP) gelbe Wirtschaftspolitik. Das anzunehmen wäre ein weiterer Irrtum. Für Sie mögen das alles Irrtümer sein, für uns sind es (Beifall bei den GRÜNEN) Eckpfeiler einer zukunftsweisenden Wirtschaftspolitik; und ja, 8,5 % Arbeitslosigkeit, verglichen mit 2009, sind Es ist auch ein Irrtum anzunehmen, dass schwarz-gelbe ein großer Erfolg. Wirtschaftspolitik eine moderne Wirtschaftspolitik sei. Aber ich sage auch ganz klar: Wir ruhen uns darauf nicht Wer verpasst, Vergabepolitik an der Nachhaltigkeit aus. Wir wollen noch weiter herunter und haben uns das auszurichten, wer weiterhin auf den Raubbau der sächsi- Ziel gesetzt, die Arbeitslosigkeit auf unter 6 % zu senken. schen Natur und Heimat durch die Förderung des Braun- Mit dem sächsischen Weg würden wir es schaffen; zu kohleabbaus setzt, wer keine Steuererleichterungen für dem, was derzeit Berlin macht, habe ich meine Fragezei- Forschung und Entwicklung durchgesetzt hat, wer den chen. Sie, meine Damen und Herren von der linken Seite, globalen Trend, den Klimawandel, ignoriert, wer unter wollen doch immer eines: Sie wollen mehr Regeln, mehr Infrastrukturinvestitionen nur Investitionen in Beton und Vorschriften, höhere Steuern, – Asphalt versteht – wer all dies tut, befindet sich in der Gedankenwelt und auf der Innovationsstufe der Siebziger- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte zum Schluss und Achtzigerjahre. kommen. (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Torsten Herbst, FDP: – teurere Energie und weniger Aus heutiger Sicht ist diese Politik eine Innovationsbrem- wirtschaftliche Freiheit. Das ist der französische Weg, der se. zu Armut, Arbeitslosigkeit und Schulden führt. Deshalb Meine Damen und Herren! Im Bericht der Enquete- bleiben wir beim sächsischen Weg, und dieser sieht schwarz-gelb aus, meine Damen und Herren. Kommission für Technologie und Innovationspolitik in Sachsen haben wir gemeinsam jede Menge Empfehlungen (Beifall bei der FDP und der CDU) und Handlungsoptionen beschlossen. Ich kann nicht verstehen, warum daran nicht gearbeitet wird. Es irritiert mich, wenn ich einerseits den Bericht der Kommission lese und anderseits zur Kenntnis nehmen muss, dass es 10528 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 einen Existenzgründerrückgang oder den Ausstieg aus der (Zurufe der Abg. Holger Zastrow und Torsten Finanzierung von Verbundinitiativen gibt oder ich mir die Herbst, FDP, sowie Arne Schimmer, NPD) Frage stellen lassen muss, was der Unterschied zwischen Sachsen hält sich schuldenfrei. Die westdeutschen Länder einer Trabibestellung vor 1989 und der Bestellung einer verschulden sich und bezahlen das über Solidarpaktmittel DSL-Breitbandanbindung im ländlichen Raum in Sachsen an uns. sei. (Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP) (Beifall bei den GRÜNEN) Rühmen Sie sich nicht, sondern seien Sie dankbar, dass Nach zwölf Jahren kam der Trabi – sicher. Meine Damen man Ihnen aus dem Westen dieses Geld gibt, um solche und Herren! Es gibt noch viele Beispiele. Über das Investitionsraten zu erreichen. Handwerk, den Mittelstand und die regionalen Wirt- schaftskreisläufe sprechen wir morgen. Sie sehen: Das (Beifall bei den LINKEN) alles als Wirtschaftspolitik verkaufen zu wollen ist ein Der nächste Punkt: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass wir Irrtum. mit der Einkommensverteilung in Sachsen bereits an der (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD Spitze sind. Das ist völliger Unsinn. Der Abstand zum und vereinzelt bei den LINKEN) Westen wird größer.

2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun die NPD-Fraktion. (Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP) – Ich sehe keinen Redebedarf. Lagen die Bruttoeinkommen im Jahr 2012 in Sachsen bei Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Wir 29 720 Euro, so sind sie im Jahr 2013 auf 30 992 Euro treten in eine zweite Runde ein. Herr Abg. Stange, bitte angestiegen. Das ist ein Plus von 4,3 %. Der Abstand zum sehr. Bundesdurchschnitt ist auf 12 317 Euro angewachsen, das heißt, mehr als 1 000 Euro brutto Abstand zum Westen. Enrico Stange, DIE LINKE: Vielen Dank. Herr Präsi- Das ist mehr als vor drei Jahren. Es ist ein Irrtum, wenn dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fünf Minuten man dann glaubt, an der Spitze zu stehen. sind schnell vorbei, ich versuche mich zu beeilen. Ferner ist die Frage zu stellen: Warum wird die Schere Erstens. Es geht um Irrtümer dieser Staatsregierung. Fakt immer größer? Warum schaffen wir es nicht, diese Schere ist: Diese Staatsregierung mit ihrer schwarz-gelben zu schließen? Das sind doch die zentralen Fragen. Wirtschaftspolitik will sich mit der Spitze messen. Das ist der erste und zentrale Irrtum dieser Staatsregierung. (Beifall bei den LINKEN und der SPD) Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Es ist ein Irrtum, was (Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP) diese Staatsregierung – mit ihr diese Koalition – betreibt, Wir haben einen Wertschöpfungsabstand zwischen Sach- um den Mindestlohn zu verteufeln. Fakt ist: Wer sein sen und dem Bundesdurchschnitt von knapp 30 %. Geschäftsmodell darauf abstellt, dass die Gesellschaft den Rest des Lohns zu einem Mindesten bezahlt, der sollte (Holger Zastrow, FDP: Wir bemühen uns aber!) sich fragen, ob er als Unternehmer tatsächlich das Risiko – Das mag ja sein, dass Sie sich bemühen. – Sie sollten trägt. Das ist ein Irrtum schwarz-gelber Wirtschaftspolitik. einmal Joachim Rackwitz lesen, der sagte: Wir gleichen (Beifall bei den LINKEN und der SPD) uns innerhalb von drei Jahren um 1 % an. Wissen Sie, wann wir die wirtschaftliche Einheit Deutschlands erleben Es ist ein Irrtum zu glauben, dass kleine Unternehmen – können? – Wir werden sie nicht erleben. Wenn das so sowohl in strukturschwachen als auch in Ballungsräu- weitergeht, dann können das unsere Urenkel vielleicht im men – aufgrund des drohenden Mindestlohns krachen Jahr 2100 erleben. Das ist der Punkt. Deshalb ist es ein gehen. Sie gehen deshalb krachen, weil die Kaufkraft Irrtum zu glauben, man sei an der Spitze. fehlt, die ihnen die stabile Grundlage schaffen würde. (Holger Zastrow, FDP: (Zuruf von der CDU: Oh nein! – Zurufe der Mehr Optimismus, Herr Stange!) Abg. Holger Zastrow und Torsten Herbst, FDP) Zweitens, Investitionsraten von circa 18 %. Das ist ein Irrtum schwarz-gelber Regierungspolitik, meine Damen und Herren. (Holger Zastrow, FDP: Kämpfen Sie mal!) (Zurufe von der FDP – Beifall bei Wissen Sie, dass diese Investitionsraten auf dem Buckel westdeutscher Länder erwirtschaftet werden? den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN) Dass Ihr Glaube an den sächsischen Arbeitsmarkt völliger (Torsten Herbst, FDP: Es geht nicht um Unfug ist, zeigt die Tatsache, dass das Arbeitsvolumen die Länder, sondern um Investitionen!) stetig sinkt – auch bei einer wachsender Zahl von Be- Von denen lassen Sie sich diese Investitionen bezahlen, schäftigung. Ergo: Wir haben neben einem gewissen Teil die sie auf dem Rücken Ihrer Verschuldung erarbeiten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsaufwuchses müssen. – diesbezüglich muss man nach der Qualität dieser sozial-

10529 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 versicherungspflichtigen Beschäftigung fragen – einen vielen Jahren. Wer hätte damals gedacht, dass die Zahl der Großteil des Aufwuchses an Minijobs, an geringfügigen Arbeitslosen in diesem Ausmaß sinken würde?! Beschäftigungen. Damit sind wir wieder bei der Frage: (Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE) Können sich dann die Menschen in Sachsen ein Leben entsprechend leisten? Ein einfacher Beweis, ob Wirtschaftspolitik gut oder Deshalb wollen wir dem Wirtschaftsminister – weil er ein schlecht ist, kann man an der Arbeitslosenstatistik able- Fan von Weiterbildungsschecks ist – zum Abschluss sen. Man kann es noch einmal mit den anderen Bundes- seiner Tätigkeit drei Schecks übergeben: erstens einen ländern vergleichen. Am 1. Juli sind die aktuellen Arbeits- Weiterbildungsscheck in Steuerfragen, dann wird es losenzahlen vorgestellt worden. Daran sieht man, wie sich einfacher mit der Zweitwohnungsteuer, zweitens einen die Arbeitslosenquote in den anderen Bundesländern entwickelt hat. Weiterbildungsscheck für den Volkshochschulgrundkurs „Soziale Marktwirtschaft und soziale Partner“, dann wäre (Zuruf der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE) er vielleicht in der Lage, den Gewerkschaftsbund als Sozialpartner zu erkennen und endlich einmal ein Spit- Man sieht, dass innerhalb eines Jahres die Zahl der Ar- zengespräch zu führen, und beitslosen im Freistaat Sachsen um 5,7 % gesunken ist. In keinem anderen Bundesland in der Bundesrepublik (Holger Zastrow, FDP: Nutzen Deutschland ist die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Sie es doch erst einmal selbst!) Jahr so stark gesunken wie in Sachsen. drittens wollen wir ihm einen Volkshochschulkurs für die (Enrico Stange, DIE LINKE: Die Zahl der Statistik angedeihen lassen, damit wir in Sachsen Statisti- Beschäftigungsverhältnisse ist adäquat gestiegen!) ken endlich richtig lesen lernen. – Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ist gestiegen. Ich bedanke mich. (Torsten Herbst, FDP: Das ist (Beifall bei den LINKEN, der SPD und auch in absoluten Zahlen möglich!) den GRÜNEN – Zurufe von der FDP) Es sind neue Jobs entstanden. Fragen Sie einerseits in der 2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun die CDU-Fraktion. Arbeitsverwaltung nach, fragen Sie andererseits bei Herr Abg. Krauß, bitte. Unternehmern nach, die Arbeitskräfte suchen. Wir sehen, dass auch Langzeitarbeitslose wirklich in Arbeit kommen. Alexander Krauß, CDU: Herr Präsident! Meine sehr Allein diese Zahlen zeigen, dass unsere Wirtschaftspolitik geehrten Damen und Herren! Man könnte jetzt wahr- erfolgreich ist, weil sie bei den Menschen ankommt. scheinlich eine ganze Menge Weiterbildungsschecks Schauen Sie sich die Arbeitslosenzahlen an! verteilen. (Beifall bei der CDU und der FDP) (Staatsminister Sven Morlok: Ja, das wäre nötig! – Zurufe von der CDU und der FDP) Dazu muss man gar nicht viel mehr sagen. Man kann Mir würden dazu sehr viele Themen einfallen. noch viel hin und her diskutieren, philosophieren und sonst irgendetwas. Menschen sind in Arbeit gekommen – (Beifall bei der CDU) das ist das Ziel unserer Wirtschaftspolitik. Daran sieht man, dass Wirtschaftspolitik vor allem in Sachsen ganz Ich glaube, dass bei dem Nachholbedarf, den der eine besonders erfolgreich ist, und wir sollten diese erfolgrei- oder andere hat, die Landeshaushaltsmittel und die EU- che Wirtschaftspolitik fortsetzen. Fördermittel nicht ausreichen würden. Dafür wäre dann wirklich eine richtige Grundausbildung nötig. Vielen Dank. (Frank Heidan, CDU: Es wird auf (Beifall bei der CDU, der FDP Nachhaltigkeit gesetzt, Herr Krauß!) und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen über Wirtschaftspolitik. Wie erfolgreich ist Wirtschaftspo- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und litik? Wirtschaftspolitik heißt für mich, dass sie dem Herren, gibt es aus den Reihen der Fraktionen weitere Menschen dient, weil die Wirtschaft eine dienende Funk- Wortmeldungen? – Das kann ich nicht feststellen. Ich tion hat. Wenn wir sagen, sie solle dem Menschen dienen, frage jetzt die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? dann denke ich vor allem an die Menschen, die nicht auf – Herr Staatsminister Morlok, ein deutliches Zeichen; Sie der Sonnenseite des Lebens stehen und denen es vielleicht haben jetzt das Wort. schlechter geht – vor allem den Arbeitslosen. Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit Wenn wir in die Statistik schauen, sehen wir Folgendes: und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Wir hatten im Freistaat Sachsen einmal über 400 000 Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar für diese Aktu- Arbeitslose. Die aktuelle Statistik besagt, dass wir elle Debatte, weil in der Aktuellen Debatte die wesentli- 185 000 Menschen haben, die arbeitslos sind. Das sind chen Unterschiede der Wirtschaftspolitik der Regierungs- immer noch zu viel, aber deutlich weniger als noch vor

10530 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 koalition von CDU und FDP auf der einen Seite und der (Beifall bei der FDP) rot-rot-grünen Opposition auf der anderen Seite deutlich Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich ist es so, dass geworden sind. Wir, CDU und FDP, vertrauen dem Markt. die Wanderungssalden in den verschiedenen Bundeslän- (Lachen der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE) dern unterschiedlich sind. Wir als schwarz-gelbe Koalition vertrauen den Unter- (Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE) nehmen, und wir vertrauen genauso den Mitarbeiterinnen Ich kann mich noch sehr gut an die Debatten erinnern, die und Mitarbeitern. Das ist der ganz entscheidende Unter- wir hier zu Beginn der Legislaturperiode geführt haben. schied unseres Politikansatzes „Abwanderung in den Westen stoppen“ – das war der (Petra Köpping, SPD: Nein, nein, nein!) damalige Debattentitel gewesen. Wir hatten im letzten Jahr – das gebe ich zu – noch einen Wanderungsverlust in gegenüber dem Politikansatz von Rot-Rot-Grün, alles die alten Bundesländer von 465 Personen. Sehr geehrte regeln, gängeln, bestimmen und verbieten zu wollen. Das Damen und Herren, ja, er ist im Jahr 2013 noch negativ ist der entscheidende Unterschied, sehr geehrte Damen gewesen. Ich bin mir aber sicher, dass wir, wenn diese und Herren. Entwicklung so anhält, im Jahr 2014 zum ersten Mal auch (Beifall bei der FDP und der CDU) im Vergleich mit den alten Bundesländern einen positiven Wanderungssaldo haben werden. Der Freistaat Sachsen ist Eine gewisse Sachkunde und eine gewisse Vorbereitung attraktiv für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus auf die Debatte wären auch ganz hilfreich gewesen. Wenn Deutschland, aus Europa und von weit her. man schon über das Thema alternative Förderinstrumente spricht, dann sollte man sich auch Gedanken machen, (Beifall bei der FDP und des welche eingeführt worden sind. Ich möchte nicht die Zeit Staatsministers Dr. Jürgen Martens) dafür verwenden, alle aufzuführen, nur zwei Beispiele Wir schaffen auch die Voraussetzungen dafür, dass sich seien genannt. die Wirtschaft gut entwickeln kann. Wir investieren in Eines ist in der Debatte schon angesprochen worden: der Straßen. Im Gegensatz zu Rot-Rot-Grün wollen wir auch Weiterbildungsscheck. Das ist ein alternatives, neues weiterhin Staatsstraßen bauen. Ich weiß, das passt Ihnen Förderinstrument, das wir eingeführt haben. Es ist sehr nicht, aber ich weiß auch, dass die Wirtschaft das drin- erfolgreich und hilft den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- gend haben möchte. Das Versprechen ist ja mit dem tern bei der richtigen Auswahl der Weiterbildung, die sie Entwurf des Landeshaushaltes gegeben worden. Wir für ihren beruflichen Lebensweg benötigen. Das ist ein werden weiterhin Staatsstraßen bauen. neues, alternatives Förderinstrument, sehr geehrte Damen Wir kümmern uns auch um die Schienenwege. Die und Herren. Elektrifizierung zwischen Chemnitz und Leipzig wird (Beifall bei der FDP und des vorangebracht. Das Ergebnis der Vorplanungen liegt vor. Staatsministers Dr. Jürgen Martens) Wir werden genauso die Elektrifizierung zwischen Dres- den und Görlitz anpacken. Das alles sind Dinge, die in der Ebenso haben wir als alternatives Förderinstrument zum Amtszeit dieser Regierung auf den Weg gebracht worden Beispiel das Nachrangdarlehen für Unternehmen einge- sind. Das stärkt den Wirtschaftsstandort Sachsen und wird führt haben. Man muss sich einfach mit den Fakten zu weiteren positiven Beschäftigungseffekten in diesem beschäftigen. Es reicht eben nicht aus, dass man sich wie Land führen, sehr geehrte Damen und Herren. Herr Dulig oder Frau Köpping ans Rednerpult stellt und nur von „ich“ und „mein“ redet. Man muss sich auf die Schauen wir uns das Thema Leistungsempfänger an, die Debatte vorbereiten und die Sache zur Kenntnis nehmen. neben ihrem Erwerbseinkommen ein Transfereinkommen Etwas mehr Einsatz können die Wählerinnen und Wähler beziehen. Ich weiß, die Zahl ist im Freistaat Sachsen noch von Ihnen hier in den Debatten erwarten, meine Damen immer zu hoch. Darüber brauchen wir gar nicht zu disku- und Herren. tieren und darin sind wir uns auch einig. Aber entschei- dend ist doch, wie man sich im Wettbewerb mit anderen (Beifall bei der FDP, der CDU Bundesländern entwickelt. Ist man besser oder schlech- und der Staatsregierung) ter? Zu den Fakten, Entwicklung der Bruttolöhne und -gehäl- Die letzte Zahl, wie viele Transfereinkommen neben dem ter. In den letzten drei Jahren lag der Freistaat Sachsen bei Erwerbseinkommen beziehen, ist vom Februar 2014. der Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter im bun- Diese Zahl ist in Ostdeutschland von Februar 2009 bis desdeutschen Vergleich immer auf einem der ersten drei Februar 2014, also in fünf Jahren, um 12 % gesunken. Plätze unter den 16 Bundesländern. 12 % in Ostdeutschland – das ist ein schöner Erfolg. (Zurufe von den LINKEN) Sehr geehrte Damen und Herren! Im Freistaat Sachsen ist – Beim Zuwachs. Wenn die Bruttolöhne und -gehälter diese Zahl aber um 24 % gesunken, also doppelt so stark stärker wachsen als in anderen Bundesländern, dann wird wie im ostdeutschen Durchschnitt. Es geht nicht darum, die Schere kleiner. Dann wird die Lücke kleiner und nicht wie man Statistiken interpretiert, sondern das ist die größer, auch wenn Sie hier das Gegenteil behaupten. Statistik. Die Menschen im Freistaat Sachsen haben etwas 10531 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 von der positiven Entwicklung unter Schwarz-Gelb in Einkommen. Sie haben sichere Arbeitsplätze. Ich bin mir Sachsen, meine sehr geehrten Damen und Herren. sicher, dass sie sich am 31. August für eine Fortsetzung dieser Regierungskoalition aussprechen werden, sehr (Beifall bei der FDP, der CDU und geehrte Damen und Herren. des Staatsminister Dr. Jürgen Martens) Vielen Dank. Zum Thema Arbeitsmarkt. Kollege Krauß hat die Zahl bereits genannt: minus 5,7 % bei der Arbeitslosigkeit. Das (Beifall bei der FDP, der CDU und ist der höchste Rückgang unter allen Bundesländern. Ich der Staatsministerin Christine Clauß) möchte noch hinzufügen: plus 18,3 % bei den offenen Stellen. Das ist der höchste Zugang unter allen Bundes- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr ländern. Auch die sozialversicherungspflichtige Beschäf- Staatsminister. – Meine Damen und Herren! Die 2. Aktu- tigung ist im letzten Jahr im Freistaat Sachsen unter allen elle Debatte ist abgeschlossen, und der Tagesordnungs- Bundesländern am stärksten gestiegen. punkt ist damit beendet. Die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik kommt bei den Wir kommen zu Menschen im Freistaat Sachsen an. Sie haben mehr

Tagesordnungspunkt 3 2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Errichtung des Unabhängigen Landesbüros für Bürgeranliegen des Freistaates Sachsen Drucksache 5/13585, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/14720, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Ausspra- linstanz zu etablieren, absolut im europäischen Trend che erteilt. In der Reihenfolge DIE LINKE, CDU, SPD, liegt. Schon 1994 hat das Europäische Parlament mit FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, NPD und die Staats- einem Beschluss über die Regelungen und allgemeinen regierung, wenn sie das Wort wünscht. Meine Damen und Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürger- Herren, wir beginnen mit der Aussprache. Für die Frakti- beauftragten – das war der Beschluss 94/262 EG – eine on DIE LINKE spricht Herr Abg. Bartl. Sie haben das solche Institution geschaffen. Wort. Zweitens. Wir haben keine für Deutschland erstmalige Klaus Bartl, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr Präsident! oder neue Institution schaffen wollen. Schon die Begrün- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Etwas Neues dung zum Gesetzentwurf beruft sich – wie wir es auch in gerade im Bürger-Staat-Verhältnis zugunsten des Ersteren der Einbringungsrede getan haben – darauf, dass es durchzusetzen ist in Deutschland im Allgemeinen und in inzwischen immerhin schon in vier Bundesländern, in Sachsen im Speziellen höchst schwierig. Von daher hat einem Viertel der Länder, einen solchen Bürgerbeauftrag- unser Gesetzentwurf, mit dem wir einen beim Landtag ten gibt, und zwar zu Teilen bereits seit Jahrzehnten. angesiedelten Bürgerbeauftragten für Bürgeranliegen des Wir hatten am 4. Juni 2014 eine nach unserer Überzeu- Freistaates Sachsen inklusive logistischer Ausstattung gung hervorragende Expertenanhörung im Verfassungs- etablieren wollen – quasi einen parlamentarischen Om- und Rechtsausschuss, die ganz wesentlich davon gelebt budsmann –, von vornherein mit vielen Widerständen, hat, dass alle vier Sachverständigen, die hier zu Wort jedenfalls von konservativ-liberaler Seite, zu rechnen. kamen bzw. den Fragen der Ausschussmitglieder Rede Dass mit der Ihnen jetzt vorliegenden Beschlussempfeh- und Antwort standen, selbst über profunde Erfahrungen in lung des federführenden Verfassungs-, Rechts- und der Funktion eines Bürgerbeauftragten in Rheinland- Europaausschusses dem Landtag mit den Stimmen der Pfalz, in Mecklenburg-Vorpommern oder in Thüringen – Koalitionsabgeordneten empfohlen wird, unseren Gesetz- aus unserem Nachbarland waren sowohl der Bürgerbeauf- entwurf rundweg abzulehnen, enttäuscht uns dennoch, tragte als auch die stellvertretende Bürgerbeauftragte und zwar aus vier wesentlichen Gründen: erschienen; nur der Schleswig-Holsteinische Bürgerbeauf- tragte konnte den Termin nicht wahrnehmen – verfügen. Erstens. Wir haben schon bei der Einbringung des Ge- Von allen vier Sachverständigen kam die eindeutige setzentwurfes in der 91. Sitzung am 30. Januar darauf Botschaft, dass diese Gesetzesinitiative zu begrüßen ist, verwiesen, dass unser Vorhaben, mit diesem Bürgerbeauf- weil sie auf die Schaffung eines Amtes abzielt, das ein tragten in das Gewaltensystem eine unterhalb der Schwel- wichtiges Scharnier zwischen Bürger und Staat sein kann. le der justiziablen Gesetzesaufsicht integrierte Kontrol- In allen vier Bundesländern hat sich diese Institution des

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Bürgerbeauftragten eindeutig bewährt, hat sie den Praxis- gelobt und gegen alle Angriffe auch seitens Partei, Frakti- test bestanden, und alle vier schwören auf die Richtigkeit on und Regierung der CDU in Schutz genommen wurde: dieses Weges. das Büro Ingrid Biedenkopf. Natürlich war das eine Ich zitiere hier nur den Sachverständigen Dieter Burgard, softere Variante, eine mangels verfassungsrechtlicher, Bürgerbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz, der das, gesetzlicher oder sonstiger Regelungen auch immer was für einen parlamentarisch gewählten Bürgerbeauf- umstrittene und in ihren Möglichkeiten sehr begrenzte tragten spricht, was den demokratischen Mehrwert, der und immer auch in Kollision mit dem Petitionsausschuss geratene Instanz. dadurch erreicht werden kann, deutlich macht, mit ein- gängigen Worten wie folgt beschrieben: (Christian Piwarz, CDU: Da müssen Erstens. Kein anonymes Bearbeiten von Eingaben, son- Sie doch selbst lachen, Herr Bartl!) dern es agiert eine Person des Vertrauens, ein Gesprächs- Deswegen wollten wir es jetzt eben anders anfassen. partner. (Christian Piwarz, CDU: Darüber Zweitens. Bürgernähe durch Dutzende Sprechtage im waren Sie damals ganz anderer Meinung!) Jahr, zum Beispiel auch im Strafvollzug in Rheinland- Pfalz oder in der geschlossenen Psychiatrie, im Maßre- – Aber die Idee war ja nicht falsch, und die Idee kann man gelvollzug und flexible Möglichkeiten von Besuchern vor aufgreifen; wir sind ja lernfähig. Ort. Viertens schließlich: Wir haben im Verfassungs- und Drittens. Bürgerbeauftragte sind Lotsen, Erklärer für Rechtsausschuss mit einem eindeutigen substanziellen Bürger und Mittler – was durch eine gute Vernetzung mit Änderungsantrag, der Ihnen heute hier vorliegt, ganz klar Landesregierung, Fachbehörden, Gerichten und Verwal- sämtliche kritischen Hinweise der Sachverständigen tungen gelingt. Beide Seiten – Bürger und Verwaltung – aufgegriffen. Überall dort, wo die vier Praxisanwender, haben einen Gewinn aus dem Verfahren beim Bürgerbe- die vier jetzt schon tätigen Bürgerbeauftragten, gesagt auftragten; so mehr Vertrauen, mehr Erkenntnis, was haben, hier überzieht ihr, hier geht ihr etwas zu weit, hier Menschen bewegt, wo Mangelhaftes oder auch Gutes wird es zu bürokratisch, hier sind die Eingriffsmöglich- noch besser werden kann. keiten zu stark, haben wir mit dem Änderungsantrag Abhilfe geschaffen – bis hin zur Streichung zum Beispiel Viertens. Der Bürgerbeauftragte arbeitet unabhängig – ist dieses ursprünglich vorgesehenen Rechts des Bürgerbe- also nicht weisungsgebunden – und agiert parteiübergrei- auftragten, Beanstandungsklage zu erheben, wenn er auf fend, losgelöst von Legislaturperioden des Landtages und andere Weise nicht durchkommt. kann aktuell Themenschwerpunkte setzen und die Politik und Verwaltung zu besonderen Aktivitäten veranlassen, Wir sind irdisch genug, um zu wissen, dass es eher nach zum Beispiel auch zu Gesetzes- oder Verordnungsände- oben schneit, bevor Sie, meine Damen und Herren von rungen. der Koalition, unseren Gesetzentwurf, dem die demokrati- schen Oppositionsfraktionen durchweg die Zustimmung Fünftens. Sein Angebot ist niederschwellig und nicht im Ausschuss gegeben haben, hier durchzulassen. Das allein auf die Schriftform angewiesen – was für Menschen wird dann wieder ein Nachteil für die Bürgerinnen und mit Behinderungen, ältere Menschen, Menschen mit Bürger; sie haben den Nachteil. Es ist aber auch ein Migrationshintergrund oder auch Analphabeten wichtig Nachteil für die Verwaltung, es ist ein Nachteil für die sein kann. Entlastung von Teilen der Justiz, speziell der Verwal- Sechstens. Sehr zeitnah kann er mit seinen umfangreichen tungsgerichte, und es ist ein Nachteil für die Politik im Handlungsmöglichkeiten zu Selbstaufgriff, Zutritt und Freistaat Sachsen, weil angesichts der sich immer mehr Akteneinsicht handeln, was in Krisensituationen wie erweiternden Distanz des Bürgers zu Staat, zu Verwaltung drohender Obdachlosigkeit, Abschiebung, Gefährdung und zum Glauben an wirkliche demokratische Partizipati- von Kindeswohl, gravierendem Missstand in Heimen oder on solche symbolischen Zeichen sehr wichtig wären. im Strafvollzug, auch beim Sperren von Energielieferun- Vielleicht können Sie sich angesichts dieser Aspekte noch gen sehr wichtig sein kann. einmal überlegen, ob es kurz vor Ende der Wahlperiode Er führt weitere Punkte auf, ich will aber hier enden und dieses Sächsischen Landtages – im 25. Jahr der Wende, nur hervorheben: Allein aus den Worten dieses Bürgerbe- der demokratischen Revolution – vor diesem Hintergrund auftragten in Rheinland-Pfalz wird ein ganz klares Plädo- geboten wäre, ein wenig Ihren machtverliebten Behar- yer für unseren Gesetzentwurf, für unseren Gesetzesan- rungswillen aufzugeben, ihn doch einmal zu sprengen und satz deutlich. Es schimmert auch durch, dass es zugleich diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben. eine soziale Instanz ist – neben dieser Bürgernähe –, und Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. genau darauf richtet sich unser Gesetzentwurf. (Beifall bei den LINKEN) Zum Dritten: Wir hatten im Speziellen bei der CDU auf mehr Resonanz für unseren Gesetzentwurf gehofft, weil 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Herr unser Anliegen ein Modellprojekt aufgreift, das in eben- Bartl. Nun die CDU-Fraktion; Herr Abg. Kirmes, Sie diesem Landtag in den Neunzigerjahren wiederholt hoch haben das Wort, bitte.

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Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Herr Präsident! Meine (Klaus Bartl, DIE LINKE: sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin nicht geneigt, Das ist eine böse Unterstellung!) mich darüber zu unterhalten, ob der Schnee fällt oder – Das ist nur meine Anfügung gewesen. Eine solche steigt. Aussage wäre jedenfalls kaum zu erwarten. (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: In der Anhörung wurde ausgeführt, dass man mithilfe Dieses Jahr war ja gar keiner!) eines solchen Beauftragten Probleme oft einer prakti- – Sehen Sie, deshalb bleibt mir das erspart. schen, unbürokratischen Lösung zuführen könne. Mit Ihrem eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung So weit, so gut. Man könnte das noch so hinnehmen, eines unabhängigen Landesbüros für Bürgeranliegen des wenn es nur darum ginge, eine weitere Möglichkeit in Freistaates Sachsen wollen Sie in Sachsen einen Om- diesem Sinne zu schaffen. Letztlich äußerten jedoch alle budsmann für die Bearbeitung von Bürgeranliegen ge- Sachverständigen übereinstimmend kritisch, dass dieser genüber der Verwaltung auf allen Ebenen gesetzlich Gesetzentwurf in wesentlichen Teilen deutlich über das regeln. Diese Stelle soll unabhängig, bürgernah, unbüro- Ziel hinausschieße. kratisch arbeitende Anlaufstelle für Anliegen der Bürge- (Klaus Bartl, DIE LINKE: Darum haben rinnen und Bürger sein; die Stelle soll die Verwaltung wir einen Änderungsantrag erarbeitet!) kontrollieren, einen Beitrag zur Verbesserung des Verwal- tungshandelns leisten, sie soll dazu umfassende Informa- – Ich komme noch auf den Änderungsantrag zu sprechen, tions-, Anhörungs-, Vorlage-, Zutrittsrechte sowie ein Herr Kollege. wirksames Beanstandungsrecht gegenüber der Verwaltung Hervorgehoben wurde insbesondere die Überfrachtung bekommen. Das Amt soll nicht der Exekutive angeglie- mit Aufgaben, die der Bürgerbeauftragte erfüllen soll. Der dert und mit Verfassungsrang ausgestattet werden. Entwurf sieht nämlich neben der Bearbeitung von Bür- Wenn ich mir das auf der Zunge zergehen lasse, dann geranliegen zahlreiche Anhörungsrechte vor. Besonders habe ich fast das Gefühl, man will den Rechtsstaat neu kritisch wurde das umfangreiche Beanstandungsrecht erfinden. Man gewinnt den Eindruck, hier eine vierte eingeschätzt; dieses gehe deutlich zu weit. Schließlich Gewalt installieren zu wollen. bestanden bei den Sachverständigen erhebliche Zweifel, ob der/die Bürgerbeauftragte mit Verfassungsrang ausge- (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Wir stattet werden müsse. Zusammengefasst hieß es von haben auch einen Demokratiebeauftragten!) Sachverständigen: Weniger ist oftmals mehr. – Ja, wir haben feste Säulen in unserer Demokratie – das Dieser Kritik der Sachverständigen schließt sich die sind drei Säulen, die meines Erachtens keiner vierten CDU-Fraktion uneingeschränkt an, und zwar unabhängig Säule bedürfen, insbesondere wenn man so weit geht, von der Frage, ob wir aufgrund des in Sachsen doch recht dass man mit der Verfassung Artikel 53 a, der vorgesehen weitgehenden Petitionsrechts überhaupt einen Bürgerbe- zur Wahrung der Rechte der Bürger gegenüber der Staats- auftragten brauchen. Wir sehen eine solche Notwendig- regierung ist, Trägern der öffentlichen Verwaltung usw., keit – insbesondere die Notwendigkeit, dem Bürgerbeauf- zu unterstellen, dass die Rechte so nicht gewahrt werden. tragten Verfassungsrang zu verleihen – nicht. Wir sind in der Legislative tätig. Wir als direkt gewählte Auch die Pflicht zur rechtzeitigen Anhörung zu – ich Abgeordnete stellen uns den Fragen und Problemen zitiere – „Entwürfen der Staatsregierung von Rechts- und unserer Bürger. Ich glaube, dass wir diese Erfahrungen Verwaltungsvorschriften ... deren Regelung seinen Aufga- auch in den Landtag einbringen. benbereich oder Gegenstände seiner Kontroll- und Prüftä- (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: tigkeit nach diesem Gesetz, insbesondere Rechte und Deshalb gibt es auch so wenige Petitionen?!) Stellung der Bürger gegenüber der Verwaltung, die bürgernahe und bürgerfreundliche Gestaltung der Verwal- Ich meine auch, verehrter Kollege Bartl, dass Sie die am tung, und soziale Angelegenheiten der Bürger berühren“, 04.06.2014 im Verfassungs-, Rechts- und Europaaus- ist unseres Erachtens viel zu weitgehend. Kurz gefasst schuss durchgeführte Sachverständigenanhörung nicht so könnte man sagen: Er wäre zu nahezu allem anzuhören. dargestellt haben, wie sie tatsächlich abgelaufen ist. Zwar bestätigten die geladenen Sachverständigen – alles Bür- Zwar versucht nun die einreichende Fraktion, mit einem gerbeauftragte in anderen Bundesländern –, dass solch Änderungsantrag den Gesetzentwurf in diesem Punkt und eine Stelle durchaus Vorteile mit sich bringen kann, da sie auch hinsichtlich des zu weit gehenden Beanstandungs- als niedrigschwelliges Angebot für Bürgerinnen und rechts zu korrigieren; das ist aber meines Erachtens nicht Bürger nützliche Dienste leisten und Verbesserungen im ausreichend gelungen. Umgang zwischen Bürgern und Verwaltung herbeiführen Mir ist unklar, worin der Unterschied im neu gefassten § 7 könne. Wer diese Stelle innehat, wird wohl nicht von Abs. 2 des Gesetzentwurfs liegen soll. Die neue Formulie- vornherein sagen: „Ich bin überflüssig“ oder: „Meine rung heißt – ich zitiere –: „Dem Sächsischen Bürgerbe- Stelle kann ersetzt werden.“ auftragten ist Gelegenheit zu geben, sich rechtzeitig zu Entwürfen der Staatsregierung von Rechts- und Verwal-

10534 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 tungsvorschriften zu äußern oder Stellungnahmen abzu- oder Schleswig-Holstein, die solche Regelungen schon geben.“ Der restliche Teil ist gleich geblieben. getroffen haben, dem Grundgesetz zuwider Bürgerbeauf- Außer der formalen Umstellung des Absatzes und dem tragte etabliert hätten. Ich meine, dass dieser Vorwurf unberechtigt ist. Ersetzen der Wörter „ist zu hören“ durch die Wörter „Gelegenheit zu geben … Stellungnahmen abzugeben“ Auf Ihren Hinweis betreffs des Änderungsantrags würde hat sich meines Erachtens inhaltlich und hinsichtlich ich gern eingehen, wenn ich diesen eingebracht habe. dessen, was der Beauftragte dann darf oder zu tun hat, nichts geändert. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Das war die Kurzinter- vention von Herrn Abg. Bartl. – Herr Kirmes, Sie möch- Die Bedenken, die ich hier vorgetragen habe, sind von ten erwidern? den Sachverständigen in ähnlicher Weise dargetan wor- den. Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Es sei nur ganz kurz darauf erwidert: Ich habe ausgeführt, dass die Ausstattung (Klaus Bartl, DIE LINKE: Die Sachverständigen und die Rechte der Bürgerbeauftragten in anderen Län- haben doch gar keinen Änderungsantrag gesehen!) dern nicht mit dem identisch sind, was in Ihrem Gesetz- – Insgesamt zu dem Entwurf. Aber vielleicht wollen Sie entwurf vorgesehen ist. Deswegen, wegen des vorgesehe- eine Zwischenfrage stellen; dann geht das nicht von nen Verfassungsrangs des Bürgerbeauftragten und ange- meiner Redezeit ab. sichts der Möglichkeiten, die unsere Bürger bereits haben, Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. – Danke. zusammenfassend festhalten, dass wir als CDU-Fraktion (Beifall bei der CDU) durchaus erkennen, dass die Errichtung eines Bürgerbüros eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden Möglichkeiten 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und der Bürgerbeteiligung sein könnte. Wir meinen jedoch, Herren! Es geht in der Aussprache weiter. Für die SPD- dass es dieser formalen Hilfen als solcher nicht bedarf. Fraktion Herr Mann. Bitte sehr, Herr Mann, Sie haben das Die Instrumente und Möglichkeiten, die unsere – ich Wort. möchte hinzufügen: mündigen – Bürger haben, reichen aus. Daher wird die CDU-Fraktion – Kollege Bartl, Sie Holger Mann, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr haben es schon vorausgesehen – Ihrem Gesetzentwurf geehrte Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hat nicht zustimmen. uns soeben ihren Gesetzentwurf für einen – ich verkürze es – unabhängigen Bürgerbeauftragten vorgestellt. Die (Beifall bei der CDU und SPD-Fraktion begrüßt dies ausdrücklich. Wir gehen des Abg. Carsten Biesok, FDP) davon aus, dass die sächsischen Bürgerinnen und Bürger für einen solchen Beistand oder Mediator durchaus 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Bartl? Bedarf haben, und zwar nicht nur für Konfliktfälle, die, Klaus Bartl, DIE LINKE: Herr Präsident, ich würde wie uns scheint, häufiger auftreten, sondern schon ange- gern vom Recht der Kurzintervention Gebrauch machen. sichts der Größe der Verwaltung und der Komplexität der politischen Kompetenzverschränkung. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte sehr. Vorfälle wie zuletzt beim Polizeieinsatz in Plauen oder, Klaus Bartl, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr Präsident! wie jüngst bekannt geworden, mit einer Petition, die in der Staatskanzlei abgegeben wurde, auf die der Petent – Verehrter Herr Kollege Kirmes, Sie haben sinngemäß aber nie eine Antwort erhielt und die auch nicht an den gesagt, dass wir uns fast an den Rand der Verfassungswid- Landtag weitergereicht wurde, illustrieren beispielhaft, rigkeit begeben würden, da wir angeblich „auf die Kalte“ dass es sinnvoll sein kann, eine solche Stelle einzurichten. eine Vierte Gewalt etablieren wollen. Ich zitiere aus der Startseite der „Eifel-Zeitung“ von gestern: „Malu Dreyer: Zudem wurde in der Anhörung durch in anderen Bundes- Wichtige Institution in der Demokratie. ländern schon existierende Bürgerbeauftragte deutlich Der Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz, zum Ausdruck gebracht, dass von dieser Person neben Dieter Burgard, hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer am Orientierung und Beistand eine weitere Funktion über- 11. April 2013 seinen Jahresbericht 2012 überreicht. ‚Das nommen werden könnte: eine Vermittlungs- oder Vor- Amt des Bürgerbeauftragten ist für die Gesellschaft sehr warnfunktion. Probleme würden gar nicht entstehen, weil wichtig. Er ist ein Vermittler zwischen Bürgerinnen und es nicht erst des üblicherweise langen Dienstweges durch Bürgern und der Verwaltung und festigt damit unsere die Verwaltung hindurch bedürfte oder weil vermieden Demokratie‘, sagte die Ministerpräsidentin bei dem werden könnte, dass durch Verwaltungshandeln das Problem erst entsteht. Gespräch in der Staatskanzlei. … In diesem Sinne wird die Landesregierung auch diesen Jahresbericht sorgfältig Die Beispiele illustrieren aus unserer Sicht, dass in einer auswerten‘, sagte Ministerpräsidentin Dreyer.“ solchen Einrichtung durchaus Chancen für alle – damit meine ich ausdrücklich auch die Regierung – liegen und Deren Parteizugehörigkeit ist Ihnen bekannt. Ich kann sie nicht, wie im Ausschuss geschehen, per se abgelehnt wirklich nicht erkennen, dass Rheinland-Pfalz, Thüringen werden sollte.

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Was dem Anliegen dagegen nicht dient, sind – das ist hier heutigen rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion, teilweise schon zur Sprache gekommen – das in § 8 des Herrn Klaus Bartl, aus einer Pressemitteilung vom ursprünglichen Gesetzentwurfs formulierte Beanstan- 27. August 2001 zitieren: „Schon zu DDR-Zeiten – ich dungsrecht und die Beanstandungsklage. Diese Rege- spreche aus eigener Erfahrung – waren Eingaben für die lungsvorschläge folgen aus unserer Sicht eher der Idee Betroffenen oft wirkungsvoller als das Beschreiten des eines Oberkontrolleurs oder gar Inquisitors. Genau das üblichen Dienstweges. Nach der Wende wurde die Will- würde die beschriebenen Funktionen zum Teil ad absur- kürlichkeit des Eingabewesens zu Recht durch das In- dum führen. strument des Petitionsrechts ersetzt. Damit sollte die Wie – so müssen wir fragen – soll denn jemand vermit- Möglichkeit gegeben werden, über die normalen Mittel teln, der zugleich Anklagender ist? Wer wird einem von Recht und Politik hinaus Menschen in besonders Bürgerbeauftragten Türen öffnen, Spielräume ausloten schwierigen Lagen zu helfen, allerdings auf durchschau- oder Informationen geben, wenn er im Stillen befürchtet, bare Weise, durch demokratisch legitimierte Volksvertre- dass dies gegen ihn verwendet werden könnte? Ich denke, ter im Petitionsausschuss bzw. zuständige Stellen.“ Dem hierin stimmen Sie mir zu. ist nichts hinzuzufügen, Herr Bartl. Außerdem bin ich der festen Überzeugung – das mag eine (Beifall des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU – persönliche Meinung sein –, diesen Job, die Kontrolle der Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE) Regierung, müssen wir schon als Parlament leisten oder Und genau weil das so ist, Herr Bartl, lehnen wir Ihren im Konfliktfall die Gerichte ausüben. Gesetzentwurf ab. Sie aber gehen einen anderen Weg. Sie (Beifall bei der CDU) nehmen diese uralte Idee, bereiten sie neu auf und denken sich: Mensch, ich habe doch einmal etwas von der „zu- Die Sachverständigen und wir als SPD-Fraktion halten ständigen Stelle“ gesagt; damit könnte man das doch auch das in § 7 sehr umfassend ausgestattete Anhörungs- retten. – Jetzt versuchen Sie, eine zuständige Stelle zu recht für so nicht praktikabel. Daher, meine Damen und schaffen, um nachträglich rechtsstaatlich das Büro Ingrid Herren, haben wir den umfangreichen Änderungsantrag Biedenkopf zu legitimieren. Damit scheitern Sie an Ihrem der Fraktion DIE LINKE zu ihrem eigenen Gesetzentwurf eigenen Anspruch, ein durchschaubares und transparentes nicht nur als konsequent aufgrund der geführten Diskus- Verfahren für diese Eingaben zu schaffen. sionen begrüßt, sondern ihm auch gern zugestimmt. Ich bitte herzlich, dass das auch heute hier geschieht; denn 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Biesok, Sie wir werden heute auch Ihrem Gesetzentwurf zustimmen, gestatten eine Zwischenfrage? weil er ein lohnenswertes Projekt formuliert, das bereits in vielen anderen Bundesländern gute Praxis ist. Carsten Biesok, FDP: Selbstverständlich. Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Bartl. Fraktionen, erlauben Sie mir noch, mich kurz für die Zusammenarbeit der letzten fünf Jahre zu bedanken, Klaus Bartl, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr Präsident. insbesondere bei denen, die ich voraussichtlich in der Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich fragen darf. nächsten Legislaturperiode hier missen werde. Die Arbeit Meinen Sie, dass Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, mit Ihnen war häufig lehrreich, fast immer konstruktiv, Thüringen auch die Idee von Frau Biedenkopf als Stelle aber in jedem Falle von gegenseitigem Respekt gezeich- aufgegriffen haben, oder war das eventuell die Umsetzung net. des europäischen Gedankens? Vielen Dank. Carsten Biesok, FDP: Ich kann keine Motivforschung (Beifall bei der SPD und den LINKEN) für andere Bundesländer machen, aber Sie haben aus- drücklich auf Ihre Erfahrungen verwiesen, die Sie hier im 2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun die FDP-Fraktion. sächsischen Parlament gesammelt haben. Daher gehe ich Herr Abg. Biesok. Bitte, Herr Biesok, Sie haben das Wort. davon aus, dass das Ihr Beweggrund gewesen ist, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Carsten Biesok, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zeigt sehr Wenn man sich ganz konkret mit dem beschäftigt, was Sie deutlich die Innovationskraft der Linksfraktion. Mangels hier vorhaben, kommen schnell Zweifel auf, ob Ihr eigener neuer Ideen kopiert man einfach das Konzept der Gesetzentwurf auch Ihren eigenen Ansprüchen genügt, Landesmutter aus den Regierungstagen von Kurt Bie- ein transparentes und durchschaubares Verfahren zu denkopf, ist auch noch stolz darauf und nimmt in seiner machen. Sicher, beim ersten Lesen Ihres Gesetzentwurfs Rede darauf Bezug, um so auch noch Sympathien bei der kann man durchaus positive Assoziationen haben. Sie CDU-Fraktion zu wecken. kommen mit Bürgerfreundlichkeit und Unabhängigkeit und bringen so zwei positive Begriffe. Eine Bürgerfreund- (Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE) lichkeit im Umgang mit der Lösung von Bürgeranliegen Damals sah man das, was Frau Biedenkopf gemacht hat, und eine Unabhängigkeit, in einer Verwaltungsbehörde ein bisschen kritischer. Ich möchte den damaligen und auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen, um

10536 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 einem Bürger zu helfen, erwarte ich jedoch von jeder Petitionsausschuss jetzt? Ist er nicht mehr wirksam? Hat Verwaltungsinstanz, wobei sie einen Ermessensspielraum er seine Zeit überdauert? Wollen Sie eine Parallelität hat, den sie für den Bürger und nicht gegen ihn ausüben zwischen Petitionsausschuss und Bürgerbeauftragtem? soll. Deshalb ist das meines Erachtens eine Grundvoraus- Wollen Sie eine Doppelzuständigkeit? Wollen Sie dadurch setzung für Verwaltungshandeln, und dafür brauchen wir die Verwaltungswege noch komplizierter machen? Wollen keinen Bürgerbeauftragten. Sie dadurch eine weitere Intransparenz erreichen? Ich Die von Ihrer Seite mit der Schaffung des Bürgerbüros kann nicht erkennen, wie Sie das lösen wollen, was Sie hier an Problemen aufbauen. beabsichtigte Verbesserung der Bürgerfreundlichkeit werden Sie meines Erachtens mit dem von Ihnen gewähl- (Vereinzelt Beifall bei der CDU) ten Verfahren auch nicht erreichen. Sie haben hier einen Zwiespalt zwischen dem Bürger und der Verwaltung Herr Bartl, in der Anhörung wurde ganz deutlich: Die aufgebaut, den man nur schwer wieder auflösen kann. meisten Probleme, die ein Bürgerbeauftragter in anderen Symptomatisch wird das an dem von Ihnen erwähnten Bundesländern gelöst hat, waren Probleme aus der kom- Zitat von Dr. Hagen Matthes, in dessen Zusammenhang munalen Selbstverwaltung. Ich frage Sie: Wollen Sie Sie in Ihrem Vorwort ausgeführt haben, der Bürgerbeauf- wirklich die Probleme, die auf der Ebene der Kommunen tragte sei das personalisierte Korrektiv des Bürgerschut- entstanden, auf die Landesebene hochziehen, damit sich zes gegen eine expandierende Verwaltung. eine staatliche Behörde dieses Problems annimmt und dort entsprechend einschreitet? Meines Erachtens sind die Meine Damen und Herren, wenn man so ein Bild von Kommunen der bessere Ort, um subsidiär die Probleme Verwaltung hat, braucht man sich nicht zu wundern, dass der Bürger zu lösen. Oft genug kennen sich die Akteure die Verwaltung in ein negatives Licht gerückt wird und dort, können entsprechend handeln und dann auch eine man ihr ein Korrektiv zur Seite stellen muss. Meines vernünftige Lösung finden. Dazu brauchen wir keinen Erachtens ist die Verwaltung für den Bürger da. Die Bürgerbeauftragten. Verwaltung muss so ausgerichtet sein, dass sie das Bür- Meine Damen und Herren, Ihrer Neuauflage des Büros geranliegen von sich aus aufnimmt. Wenn man dieses Ingrid Biedenkopf werden wir nicht zustimmen. Wir Verständnis nicht hat, dann kann man es sich auch nicht brauchen ein solches Büro nicht, sondern wir möchten so einfach machen, wie Sie es sich hier gemacht haben, daran arbeiten, dass die Verwaltung bürgerfreundlich wird indem Sie versucht haben, durch ein „Best of“ von ande- und bleibt, und deswegen werden wir hier kein zusätzli- ren Bürgerbeauftragten ein Potpourri zu machen, wobei ches Gesetz verabschieden. man sagt: Na ja, da könnte man die Zusammenarbeit zwischen Bürger und Staat entsprechend verbessern. Vielen Dank. (Beifall der Abg. Svend-Gunnar Kirmes (Beifall bei der FDP und der CDU) und Prof. Dr. Günther Schneider, CDU) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Nun die Fraktion Das funktioniert nicht. Sie haben einfach geschaut, wo BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abg. Jähnigen, bitte. man etwas abschreiben kann, und dabei haben Sie gar Sie haben das Wort. nicht verstanden, dass es eigentlich zwei ganz unter- schiedliche Modelle gibt. Einerseits gibt es ein Modell Eva Jähnigen, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsident! aus Schweden, bei dem man versucht, durch eine Kon- Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie stoßen mit dem trollfunktion des Bürgerbeauftragten der Verwaltung ihre Gesetzentwurf eine wichtige Diskussion an. Der konkrete Grenzen zu weisen. Andererseits gibt es ein dänisches Gesetzentwurf lockt aber noch nicht des Pudels Kern Modell, das eher auf Mediation ausgelegt ist. Das sind heraus, und für des Pudels Schweif ist er zu kompliziert. aber zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe. Sie versu- Ich möchte Grundsatzfragen in den Fokus nehmen. chen das in einem Entwurf zusammenzuführen, und dabei Einig sind wir uns mit den Antragstellern, dass Bürgeran- torpedieren Sie selber den Versuch, eine Mediation liegen gerade im Freistaat – stärker als bei den Kommu- entsprechend herbeizuführen. nen – zu wenig beachtet werden, und unser Petitionsaus- Sicher, Sie haben mit Ihrem Änderungsantrag das schärfs- schuss ist, bei allem Respekt vor der Arbeit der Mitglieder te Schwert aus Ihrem Antrag herausgenommen, nämlich und der Mitarbeiter, nicht genügend ausgestattet, um die die Beanstandungsklage. Damit hätten Sie jede Form der Verwaltung zu kontrollieren. Mediation von vornherein ausgeschlossen. Die Grund- (Zuruf des Abg. Carsten Biesok, FDP) konzeption in Ihrem Gesetzentwurf bleibt aber auf Kon- frontation ausgerichtet, und das ist einer Mediation nicht Hier kann so eine Institution in der Art eines Bürgerbeauf- zuträglich. tragten eine echte Hilfe leisten. Das Ombudsleute-System ist ein gutes. Weitere Unstimmigkeiten finden sich in Ihrem Entwurf, wenn Sie sich mit dem Verhältnis zwischen Petitionsaus- (Beifall des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE) schuss und Bürgerbeauftragten beschäftigen. Sie haben in der zitierten Presseerklärung die hohe Funktion des 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Gestat- Petitionsausschusses hervorgehoben. Wie sehen Sie den ten Sie eine Zwischenfrage?

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Eva Jähnigen, GRÜNE: Gerne. Gerade die Erfahrung mit dem Büro Biedenkopf, auf das Sie Bezug genommen haben, zeigt, dass das eher eine 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Bittstellerkultur war, als dass es in irgendeiner Art und Biesok, bitte. Weise der Transparenz der sächsischen Verwaltung gedient hätte. Wir GRÜNE wollen die Stellung der Bürger Carsten Biesok, FDP: Frau Kollegin, geben Sie mir im Staat verbessern und dazu die staatliche Verwaltung recht, dass es nicht die vornehmste Aufgabe des Petitions- reformieren, ihnen aber auch individuelle Rechte einräu- ausschusses ist, die Regierung zu kontrollieren, sondern men, einschließlich individueller Rechte auf persönliche dass es die Aufgabe des Parlaments ist, die Regierung zu Verfahrensbeistände. Das geht weit über ein Ombudsleu- kontrollieren? tesystem hinaus; natürlich kann dieses aber hilfreich sein. Eva Jähnigen, GRÜNE: Lieber Herr Kollege Biesok, Die Probleme der drei Gewalten im System – Legislative, wenn ich vom Petitionsausschuss des Parlaments und Exekutive und Judikative – macht Ihr Gesetzentwurf auch vom Petitionsrecht der Bevölkerung rede, ist das Petiti- deutlich. Es ist verfassungskonform, so etwas zu machen onsrecht der Bevölkerung natürlich umfassend. Es geht – sicherlich –, aber die Probleme scheinen noch nicht über die Kontrollpflicht des Parlaments hinaus. gelöst. Deshalb sind wir für den Diskussionsansatz Aber: Viele Bürger, viele Menschen, die sich an uns, an dankbar. Heute jedoch werden wir uns zum Gesetzent- den Landtag wenden – ich habe viele Petitionen gelesen wurf enthalten. und auch Petenten begleitet, als Anwältin, bevor ich Vielen Dank. Abgeordnete wurde –, wünschen eine umfassende Kon- trolle des Verwaltungshandelns, und zwar schwerpunkt- (Beifall bei den GRÜNEN) mäßig bezogen auf die Verwaltung und die Regierung, 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die weil die Verwaltungsstruktur dort für viele Betroffene NPD-Fraktion hat keinen Redebedarf. – Frau Jonas noch schwerer überschaubar ist als die kommunale spricht im Rahmen einer Kurzintervention. Struktur vor Ort. Deshalb glaube ich, dass die Arbeit des Petitionsausschusses hier im Landtag sehr viel damit zu Anja Jonas, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine tun hat und wir als Volksvertreter das Verwaltungshandeln sehr geehrten Kollegen Abgeordneten! Ich möchte als kontrollieren müssen und sollen. Wenn wir das nicht Vorsitzende des Petitionsausschusses einige angesproche- genügend tun, wenn wir dazu nicht genügend recherchie- ne Dinge richtigstellen. Die Mehrheit der Petitionen ren können – auch nicht bei den Bürgern nachfragen richtet sich nicht darauf, Verwaltungshandeln zu kritisie- können –, dann geht das Petitionsrecht an seinem Ziel ren oder die Rechtmäßigkeit infrage zu stellen, sondern vorbei, und dann kontrollieren wir auch nicht genügend. sie orientiert sich an individuellen Problemlagen, die wir Die Bürgerbeauftragten der anderen Bundesländer, die in mit verschiedenen Möglichkeiten bearbeiten. Deswegen der Anhörung zum Gesetzentwurf gesprochen haben, sind die vorgebrachten Sachverhalte nicht richtig. haben dargestellt, wie sie das tun: anhand von Recher- Vielen Dank. chen, durch Rückfragen bei verschiedenen Betroffenen, von denen wir immer hören „Der Petitionsausschuss hätte (Beifall bei der FDP und der CDU) uns einmal fragen können, und der Stand war anders.“ 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau Manchmal geschieht das auch, wie gesagt, das ist eine Jähnigen, Sie möchten auf die Kurzintervention antwor- Frage der Kapazität, dass das die Ausübung des Petitions- ten? – Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit. Bitte. rechts stärkt, aber auch die Möglichkeiten der Volksver- tretungen, und das fand ich sehr überzeugend. Eva Jähnigen, GRÜNE: Es ist kein Widerspruch, wenn Das Ombudsleutesystem ist ein gutes System. Trotzdem, sich Leute mit individuellen Problemlagen an die Verwal- um Bürgeranliegen in diesem bisher CDU-geführten tung wenden; denn meistens geht es um eine Entschei- Freistaat Sachsen zum Durchbruch zu verhelfen, hilft das dung der Landesverwaltung, die begehrt wird Beauftragtensystem allein nicht. Die Bürgerinnen und (Zuruf der Abg. Anja Jonas, FDP) Bürger brauchen Beteiligungs- und Informationsrechte. Es braucht eine neue Kultur staatlicher Transparenz – – Ich rede vom Petitionsausschuss. Sehen Sie sich doch gerade bei der Landesverwaltung – und es braucht stärke- den Sammelbericht heute an! –, mit der die Leute unzu- re Volksvertretungen und stärkere Abgeordnete im Land- frieden sind, die sie nicht verstehen, und es geht darum, tag, die zum Beispiel auch selbst Akteneinsicht nehmen dass sich der Petitionsausschuss im Parlament mit der können. Entscheidung der Verwaltung auseinandersetzen soll. Das ist der Kern der Petitionsarbeit im Parlament. Wenn man Wir befürchten, dass ein Landesbeauftragter allein wieder sich die heutige Sammeldrucksache ansieht, sieht man das nur eine „Beruhigungstablette“ werden könnte, Bürgerbe- wieder ganz deutlich. teiligung nur zum Schein nach dem Motto: Die Bürger brauchen einen Vermittler, aber in der Verwaltung muss (Beifall bei den GRÜNEN) sich nichts ändern. – Das wäre im Kern die falsche Weichenstellung. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Das war die erste Runde. Mir liegen keine Wortmeldungen für eine 10538 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 zweite Runde vor. – Doch; Herr Bartl spricht für die dem Antrag enthalten. Damit, meinen wir, haben wir alles Fraktion DIE LINKE. Herr Bartl, Sie haben das Wort. beachtet, was die vier Sachverständigen, die diese Funkti- on leben – und zwar nicht nur als Beauftragte auf kom- Klaus Bartl, DIE LINKE: Herr Präsident! Frau Kollegin munaler Ebene, Kollege Biesok; das sind alles durch den Jähnigen, wir wissen, dass der Gesetzentwurf nicht das Landtag gewählte Bürgerbeauftragte nach dem Modell, Nonplusultra bezüglich des Ausbaus der demokratischen wie wir es wollen, die für den Landtag arbeiten und zum Partizipation der Bürgerinnen und Bürger ist. Das ist Beispiel von der Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz vielschichtig: Informationsfreiheitsgesetz, Transparenzge- eine hohe Wertschätzung in der Arbeit erfahren. setz, mehr Möglichkeiten auf kommunaler und auf Lan- desebene sowie Mitwirkung auf direkte Art und Weise. Wir haben folgende Frage im Ausschuss ausdrücklich an Das soll ein Segment sein. die Sachverständigen gestellt: Kommt es nach Ihren Erfahrungen zur Kollision zwischen Petitionsausschuss Frau Kollegin Jähnigen, dass ich das Büro Biedenkopf in und dem Wirken dieses Bürgerbeauftragten? – Daraufhin der Rede erwähnt habe, war eigentlich dafür gedacht, die hat Herr Dr. Kurt Herzberg, der Bürgerbeauftragte von CDU-Fraktion dazu zu bewegen, wenn es so nieder- Thüringen, Folgendes gesagt – ich zitiere aus dem steno- schwellig ansetzt, vielleicht bereit zu sein, darüber etwas grafischen Protokoll der Expertenanhörung –: „Es gibt die nachzudenken. Diese Botschaft sollte im Vordergrund Möglichkeit, dass der Petitionsausschuss dort, wo er stehen, nicht die ernsthafte Belobigung des Projekts. meint, dass es zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch Kollege Biesok, ich gebe Ihnen recht, das war unser zur Problemlösung – Mediation – sinnvoll bzw. notwen- Problem: dass wir dieses dänische und dieses schwedi- dig ist, dem Bürgerbeauftragten sogenannte Prüfaufträge sche Modell miteinander harmonisieren wollten. Das ist erteilt. Das erfolgt in jeder Petitionsausschusssitzung uns im ursprünglichen Entwurf nicht recht gelungen. mehrfach, wo der Bürgerbeauftragte dann direkten Kon- Umso mehr halte ich es für ein No-go, dass dann, wenn takt sucht und vermittelt. Der Bürgerbeauftragte leistet wir unter Beachtung der Hinweise der Sachverständigen – etwas, was der Petitionsausschuss eben nicht kann: Er die darauf aufmerksam gemacht haben, dass das in kann schnell, direkt, operativ und kreativ Konflikte lösen, Deutschland zur Anwendung gebrachte Modell des Störungen im Bürger-Staats-Verhältnis überwinden – Bürgerbeauftragten die Mediation in den Mittelpunkt ohne Entscheidungsverfahren, ohne Gerichtsverfahren, stellt, und nicht die Intervention wie das schwedische ohne Frust, ohne Verlust an Vertrauen des Bürgers in die Modell – den Änderungsantrag bringen, wir Anhörungs- Verwaltung.“ rechte geringer fassen, Beanstandungsrechte geringer Nach der Erfahrung aller vier Amtsträger, die wir als fassen und das Recht der Beanstandungsklage heraus- Experten gehört haben, gibt es keinerlei Kollision mit nehmen, Ihre Fraktion und die CDU den Änderungsantrag dem Petitionsausschuss, sondern eine fruchtbare gegen- ablehnen. Denn es ist eine parlamentarische Unkultur, seitige Ergänzung, ohne dass einer an Rechten verliert wenn man einen Änderungsantrag einbringt, der genau oder in Rechte der anderen eingreift. Im Ergebnis spürt das aufgreift, was Sachverständige bzw. Experten dem der Bürger, dass er in seinen Problemlagen, seinen tägli- Ausschuss mitteilen, und den Antragstellern wird es chen, aber auch prinzipiellen Fragen Gehör findet und verwehrt, den eigenen Gesetzentwurf, der fehlerhaft oder ernst genommen wird, in diesem Fall auf der Landesebe- verbesserungsbedürftig ist, zu verbessern. ne. (Beifall bei den LINKEN) Vielen Dank. Das ist nicht zu verstehen. Deshalb greift unser Ände- (Beifall bei der LINKEN) rungsantrag – ich will ihn damit auch gleich einbringen, Herr Präsident, wenn ich es darf – genau das auf, was 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ich Kollege Biesok hier zutreffend als ein Spannungsfeld frage die Fraktionen, ob noch ein Abgeordneter in der beschrieben hat. Mit der Änderung des § 7 a Abs. 2 – das zweiten Runde das Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall. möchte ich auch an Kollegen Kirmes adressiert noch Der Änderungsantrag, Herr Bartl, war schon eingebracht. einmal sagen – stellen wir klar, dass es keine ständige Dafür danke ich Ihnen. Dadurch haben wir das Verfahren Anhörungspflicht zu jeder Rechts- und Verwaltungsvor- beschleunigt. schrift geben soll und kann, sondern wir nehmen das Möchte noch eine Fraktion zu dem Änderungsantrag das Anhörungsrecht zurück. Ihnen ist Gelegenheit zu geben. Wort ergreifen? – Das kann ich ebenfalls nicht erkennen. Ob der Bürgerbeauftragte, die Institution, das Büro – Herr Staatsminister, wenn Sie möchten, haben Sie jetzt Stellung nehmen, liegt in deren Entscheidung. die Gelegenheit, dazu zu sprechen. Herr Dr. Martens, Sie Wir haben mit dem § 8 Abs. 1, mit der Änderung aus haben das Wort. dieser Harmonisierung im Regelungsmodell – diesem schwedischen Ombudsmann und diesem deutschen Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz und für Bundesländermodell, mit dem Mediationsmodell –, Europa: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und diesen Vermittlungsansatz aufgelöst. Wir haben diese Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf der Beanstandungsrechte wesentlich zurückgenommen und Annahme, wir bräuchten im Freistaat Sachsen ein – ich die Beanstandungsklage in Gänze gestrichen. Das ist in zitiere aus dem Vorblatt des Gesetzentwurfes – „Korrektiv

10539 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 des Bürgerschutzes gegenüber der expandierenden Ver- können sie unbürokratisch und einfach Rechtsrat einho- waltung“. Die Bürger müssten also – ich zitiere erneut – len. „bei der Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber der Das heißt, wir in Sachsen tun schon mehr als in anderen Verwaltung wirksam unterstützt“ werden. Das neu zu Bundesländern, um dafür zu sorgen, dass sich die Bürger schaffende Landesbüro für Bürgeranliegen solle diese schnell, einfach, unkompliziert und kostengünstig oder Funktion wahrnehmen und eine – ich zitiere weiter – gar kostenlos zurechtfinden und die Verwaltung genau das „sich in das Gewaltenteilungssystem integrierende Kon- tut, was wir von ihr wollen, nämlich, dass sie sich durch trolle und Kontrollinstanz unterhalb der Schwelle der Bürgernähe auszeichnet. justiziablen Gesetzesaufsicht“ gewährleisten. (Beifall bei der FDP und der CDU) Dieses Bild einer bürgerfernen, nicht nachvollziehbar handelnden und ohne wirksame Kontrolle agierenden Wir brauchen deswegen aus der Sicht der Staatsregierung Verwaltung dürfte tatsächlich nicht der Verwaltung und keine neue Stelle in Form einer weiteren unabhängigen deren Realität in Sachsen entsprechen, meine Damen und Landesbehörde. Es scheint eines der Lieblingsprojekte der Herren. LINKEN in diesem Parlament zu sein, immer neue Beauftragte, Ausschüsse oder ähnliche Gremien zu (Beifall bei der FDP und der CDU) installieren. Zahlreiche Behörden in Sachsen haben schon Bürgerbe- (Beifall der Abg. Gitta Schüßler, NPD – auftragte. Im September 2010 hat die Staatsregierung eine Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE) Verwaltungsvorschrift erlassen, in der klare Vorgaben für eine bürgernahe Verwaltung gemacht worden sind. Da- Wenn man sich anschaut, was die LINKEN in den letzten nach haben die Bediensteten der Verwaltung im Umgang 24 Jahren dort alles auf den Weg bringen wollte, wird mit den Bürgern zuvorkommend, verständlich und nach- einem schwindlig. Aus dem Stand fallen mir dazu neben vollziehbar zu handeln. den bereits etablierten Beauftragten für Datenschutz, für Schwerbehinderte, für Umweltschutz und neben der Das vom Gesetzentwurf gezeichnete Bild einer Verwal- Frauenbeauftragten weitere Beauftragte für Abwasser tung, die sich angeblich immer weiter verselbstständigt oder Beiräte für Kleingärten, die Sie auch in der Verfas- und vom Bürger entfernt, wird nicht näher belegt. Es sung verankert wissen wollten, Ausländerbeiräte und auch handelt sich um eine mit pauschalen Formulierungen behauptete Unterstellung, so will ich es einmal nennen. Nahverkehrsbeiräte ein. Die Liste ließe sich wahrschein- lich so weit verlängern, dass wir sie heute gar nicht mehr Anders als es der Gesetzentwurf suggeriert, gibt es auch abhandeln könnten. kein Kontrolldefizit. Zum einen ist die Kontrolle der Verwaltung schon über die von der Verfassung vorgese- (Rico Gebhardt; DIE LINKE: Wenn die FDP nun henen parlamentarischen Informations- und Kontrollrech- einmal keine Beteiligungsmöglichkeiten schafft!) te des Landtags gewährleistet. Das betrifft die Gesetzge- Die LINKEN leben davon, dass sie immer nur Beauftrag- bungstätigkeit und anderes. Zum anderen bestehen die te schaffen wollen, anstatt das, was vorhanden ist, zur verfassungsrechtlich garantierten Kontrollmöglichkeiten Kenntnis zu nehmen und zu nutzen. durch die Gerichte, die dritte Gewalt. Nicht zuletzt kann Wir brauchen in Sachsen weder neue öffentliche Stellen sich jeder Bürger, der mit einer Maßnahme oder Ent- noch förmliche Beanstandungsverfahren. Wir wollen den scheidung der Verwaltung nicht einverstanden ist, mit Weg fortsetzen, den wir in den letzten fünf Jahren gegan- seinen Anliegen an den Petitionsausschuss des Landtages wenden. gen sind: Wir wollen die Verwaltungsstruktur einfach und überschaubar gestalten und Überregulierungen abbauen. Soweit im Gesetzentwurf ausgeführt werde, der Bürger benötige Unterstützung, weil er immer öfter nicht in der (Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Lage sei, Gesetze zu erfassen und Vollzugsbestimmungen Das haben wir gemerkt!) zu durchschauen, lassen Sie mich kurz anfügen: Das ist In der Tat: Die Verwaltung muss ständig an ihrer Bürger- nicht neu. Das wird immer wieder geäußert. In der Tat, freundlichkeit arbeiten, aber – das sage ich Ihnen für die das Recht ist komplex und für Laien oft kaum durch- Staatsregierung – das tut die Verwaltung in Sachsen. Ich schaubar. Aber auch das ist kein neuer Befund. habe es schon gesagt: Sie tut es vielleicht erfolgreicher als Allerdings gibt es heute im Gegensatz zu früher Lösungs- in manch anderem Bundesland. ansätze, etwa mit den Beratungs- und Hinweispflichten, Vielen Dank. die den Behörden obliegen. Darüber hinaus können auch die Dienste von Rechtsberatern in Anspruch genommen (Beifall bei der FDP und der CDU) werden, und zwar – jetzt kommt das Wesentliche – 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine gegebenenfalls auch im Wege der kostenlosen Beratungs- Damen und Herren! Ich lasse jetzt zunächst über den hilfe. Erst vor Kurzem haben wir hier über den anwaltli- Änderungsantrag in der Drucksache 5/14800 zur Druck- chen Beratungsdienst debattiert, der Rechtsuchenden in sache 5/13585 abstimmen. Es handelt sich um einen vielen Städten unentgeltlich zur Verfügung steht. Dort Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzei- 10540 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 chen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei zahlreichen Stimmen dafür ist Artikel 1 mehrheitlich einer Stimmenthaltung und zahlreichen Stimmen dafür ist abgelehnt. der Änderungsantrag nicht angenommen. Ich rufe Artikel 2 auf – Gesetz über den Sächsischen Wir kommen nun zur artikelweisen Abstimmung. Aufge- Bürgerbeauftragten. Wer Artikel 2 seine Zustimmung rufen ist der Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung des geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegen- Unabhängigen Landesbüros für Bürgeranliegen des stimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimment- Freistaates Sachsen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf haltungen und zahlreichen Stimmen dafür ist auch Arti- der Fraktion DIE LINKE ab. kel 2 mehrheitlich abgelehnt. Wer der Gesetzesüberschrift seine Zustimmung geben Ich rufe Artikel 3 auf – Inkrafttreten. Wer Artikel 3 seine möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstim- Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzei- men? – Stimmenthaltungen? – Bei vier Stimmenthaltun- chen. – Stimmenthaltungen? – Gegenstimmen? – Das gen und zahlreichen Stimmen dafür ist die Überschrift gleiche Stimmverhalten: Artikel 3 ist mehrheitlich abge- mehrheitlich nicht angenommen. lehnt. Wir stimmen über Artikel 1 ab – Änderung der Verfas- Meine Damen und Herren! Sämtliche Teile des Gesetz- sung des Freistaates Sachsen. Wer Artikel 1 seine Zu- entwurfs haben keine Zustimmung gefunden. Somit findet stimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. gemäß § 46 Abs. 7 der Geschäftsordnung keine Schluss- – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Gleiches abstimmung statt. Damit ist die 2. Beratung abgeschlos- Stimmverhalten: Bei einigen Stimmenthaltungen und sen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet. Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

Tagesordnungspunkt 4 2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Verbesserung der Aufarbeitung der SED-Diktatur im Freistaat Sachsen Drucksache 5/13914, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/14721, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Ausspra- tragtengesetzes, den mein Kollege Martin Böttger damals che erteilt. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: als sehr dürftig bezeichnete. GRÜNE, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Gewiss war es unmittelbar nach der friedlichen Revoluti- Staatsregierung, sofern gewünscht. Herr Dr. Gerstenberg, on wichtig, die verdeckte Arbeit des Staatssicherheits- Sie haben das Wort für die einreichende Fraktion. dienstes und dadurch auch den repressiven Kern der SED- Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Sehr geehrter Diktatur offenzulegen. Das Interesse daran war riesen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen groß. Auf der Grundlage des im Juni 1992 schließlich Sie mich mit einem Zitat beginnen: „Die Unterdrückung verabschiedeten Gesetzes über Aufgaben und Rechtsstel- der politischen Rechte und Freiheitsrechte in der DDR lung des sächsischen Landesbeauftragten haben die erfolgte nicht nur durch das MfS. Das MfS war nur Teil Landesbeauftragten bis heute eine wichtige und wertvolle eines größeren Repressionsapparates, zu dem SED, Arbeit geleistet, für die ich ihnen und ihrem sehr kleinen, Blockparteien, Nationale Volksarmee, Volkspolizei, aber leistungsstarken Team in der Behörde ausdrücklich Betriebskampfgruppen, die Innenverwaltungen und viele danke. andere gehörten. Die augenblickliche Diskussion stellt (Beifall bei den GRÜNEN) eine Blickverengung auf das MfS dar, wobei die Haupt- verantwortlichen in der SED unberücksichtigt bleiben.“ Bereits damals, umso mehr aber jetzt, fast ein Vierteljahr- hundert nach der friedlichen Revolution, durfte und darf Nein, diese nach wie vor aktuellen Sätze sind nicht der der gesetzliche Auftrag des Landesbeauftragten nicht auf vorliegenden Drucksache entnommen, sie entstammen die Staatssicherheit begrenzt bleiben. Diese Reduzierung aus der Begründung zum Gesetzentwurf Sächsisches trug von Anfang an die Gefahr an sich, dass die Auftrag- Landesgesetz zur persönlichen politischen und histori- geber für das „Schild und Schwert der Partei“, die Funkti- schen Aufarbeitung der Repressionen in der ehemaligen onäre der SED, aus dem Blickfeld gerieten. Die Konzent- DDR, den unsere Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ration auf Täter und Opfer führte zudem zur Ausblendung am 25. Februar 1992 eingereicht hat. Er war unsere der Alltagserfahrung und der Lebenswirklichkeiten einer Alternative zum Regierungsentwurf eines Landesbeauf- übergroßen Mehrheit der Bevölkerung.

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Gerade im Interesse einer wirksamen Bildungsarbeit für Richtung novelliert. Auch der sächsische Landesbeauf- die junge Generation, die die DDR nicht erlebt hat, ist es tragte, Lutz Rathenow, hat 2011 eine Neufassung erarbei- wichtig, die Aufarbeitung auf die Wirkungsweisen dikta- tet, die unserem Gesetzentwurf sehr ähnlich ist. torischer Herrschaftsformen insgesamt zu erweitern. Es war deshalb zwar ungewöhnlich, aber für Eingeweihte Michael Beleites, langjähriger Landesbeauftragter für die wiederum keine Überraschung, dass die Sachverständigen Stasiunterlagen, formulierte das in seinem Rundbrief im in der Anhörung in einer seltenen Einhelligkeit die Inhalte Dezember 2010 so: „Doch heute, wo die Zielgruppe der der Neufassung des Stasi-Landesbeauftragtengesetzes politischen Bildung überwiegend aus jungen Menschen unterstützt haben. Ilona Rau, ehemals Bürgerkomitee besteht, die an die DDR keine eigene Erinnerung haben, Dresden, begrüßte die gesamte Erweiterung des Aufga- hat dieses Bildungskonzept fatale Nebenwirkungen. Wenn benspektrums und bezeichnete die vorgesehene Anbin- man nämlich nur über Täter und Opfer spricht, behandelt dung des Landesbeauftragten an den Landtag als hervor- man die Lebenswirklichkeit von weniger als 2 % der ragend. Prof. Konrad Jarausch, namhafter Zeithistoriker, damaligen Bevölkerung.“ betonte, dass richtigerweise wie bisher Repression und Das Machtsystem in der DDR stützte sich außer auf Angst Opfergeschichte im Gesetz angelegt seien, aber die und Androhung von Repressionen, Ausgrenzung und vorgesehene Öffnung sei notwendig, um den „Tunnel- staatlicher Gewalt auch auf die Vergabe von Privilegien, blick Staatssicherheit“ aufzugeben. Denn: „Die Stasi war auf das Suggerieren von Chancengleichheit, auf das Schutz und Schild der Partei. Aber die SED war das Ausnutzen von Idealen. Die Staatssicherheit funktionierte Entscheidende.“ nur, wie es Prof. Jarausch in der Anhörung ausdrückte, Auch Michael Beleites befürwortete den Gesetzentwurf weil es eine quasi normale Normalität der Bürger außer- aus den genannten Gründen. Zusätzlich betonte er die halb gegeben hat. Bedeutung der Dokumentation von Repressionserfahrun- Der Arbeitsbereich des Landesbeauftragten wird deshalb gen von Betroffenen für die Bildungsarbeit. Die vorgese- im vorliegenden Gesetzentwurf über den Staatssicher- hene Zuordnung zum Landtag entspräche der ressort- und heitsdienst hinaus auf das Gesamtsystem der Diktatur in parteiübergreifenden Aufgabenstellung des Landesbeauf- der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR ausge- tragten besser als die Zuordnung zu einem Ministerium. weitet, also auch auf die Alltagsgeschichte und die sozia- (Beifall bei den GRÜNEN) len Prozesse unter Bedingungen ausgeklügelter Repressi- onsandrohungen. Einziger Diskussionspunkt in der Anhörung war die vorgesehene Amtsbezeichnung „Landesbeauftragter zur In Anknüpfung an die bisherige Arbeit der Landesbeauf- Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Wir haben uns in der tragten wird zudem im Gesetzentwurf ein ausdrücklicher erneuten Abwägung sehr bewusst nicht für den insbeson- Bildungsauftrag zu allen Wirkungsmechanismen der dere von Michael Beleites vorgeschlagenen Begriff SED-Diktatur formuliert und die Dokumentationsarbeit in „kommunistische Diktatur“ entschieden. Mit der Be- den Aufgabenkatalog aufgenommen. Dadurch soll er die zeichnung „SED-Diktatur“ wird das Gesamtsystem in der Dokumentations-, Bildungs- und Forschungstätigkeit der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zutreffend Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Landeszentrale für beschrieben. Die Bezeichnung ist historisch und politisch politische Bildung sowie von weiteren Forschungseinrich- eingeführt, wie nicht zuletzt die Bundesstiftung zur tungen unterstützen und ergänzen. Ebenso wird die Aufarbeitung der SED-Diktatur zeigt. Insbesondere aber Zusammenarbeit mit den in Sachsen tätigen Verfolgten- benennt diese Bezeichnung unmissverständlich die verbänden und Aufarbeitungsinitiativen als Verpflichtung in das Gesetz aufgenommen. Hauptverantwortlichen der Diktatur und knüpft direkt an die Lebenswirklichkeit der Menschen aus der ehemaligen Um die Unabhängigkeit des Landesbeauftragten zu DDR an. stärken und ihm eine möglichst breite politische Basis unter den demokratischen Fraktionen zu sichern, sollen Trotz dieser großen Zustimmung und Unterstützung ist die Landtagsfraktionen das Vorschlagsrecht für die Wahl heute die mehrheitliche Ablehnung des Gesetzentwurfes erhalten und der Landesbeauftragte beim Sächsischen zu erwarten. Ich hatte bereits 2011 im Namen meiner Landtag angesiedelt werden. Fraktion den demokratischen Fraktionen des Sächsischen Landtages einen Entwurf, der dem heutigen weitgehend Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solche Änderungen hat entspricht, mit dem Ziel übersandt, daraus einen gemein- der frühere Landesbeauftragte, Michael Beleites, über samen interfraktionellen Gesetzentwurf zu entwickeln. viele Jahre hinweg angemahnt. Die sächsischen Opfer- Unsere Fraktion war gesprächsbereit, konsensorientiert verbände und Aufarbeitungsinitiativen haben sich in ihrer und offen für Verständigung. Erklärung vom März 2011 dafür eingesetzt, und jüngst hat Ich danke allen, die dieses Gesprächsangebot konstruktiv der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland aufgenommen und die deutlich gemacht haben, dass eine Jahn, bei einer Veranstaltung in der Dresdner Stasige- inhaltliche Einigung möglich ist. Das gilt insbesondere für denkstätte Bautzener Straße die beschriebene Erweiterung den Arbeitskreis der CDU-Fraktion und Herrn Schie- des Aufgabenbereiches ein weiteres Mal gefordert. Nach mann. Ich habe mich aber auch gefreut, dass die SPD und Brandenburg 2009 hat im vergangenen Jahr auch der die Linksfraktion zum Gespräch bereit waren. Einer Thüringer Landtag sein Landesbeauftragtengesetz in diese

10542 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 konstruktiven Einigung hier im Sächsischen Landtag ein Streitpunkt gewesen, den wir immer angesprochen stand ein einziges Problem entgegen, und das hat drei haben. Buchstaben: FDP. Es war die FDP, die 2011 und 2014 (Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, eine interfraktionelle Initiative gescheut hat wie der GRÜNE, schüttelt den Kopf.) Teufel das Weihwasser. Inwiefern eine solche Haltung ihrer politischen Profilierung nützt, mag die FDP selbst – Herr Dr. Gerstenberg schüttelt mit dem Kopf. Dann einschätzen. Es schadet auf jeden Fall den Interessen der trügt mich mein Erinnerungsvermögen. Okay, ich werde Menschen, die beim Landesbeauftragten Beratung und das noch einmal nachprüfen. Ich bin jedenfalls immer Hilfe suchen. Es schadet einer umfassenden Aufarbeitung sehr skeptisch, wenn es um die Änderung der Verfassung der SED-Diktatur und der daran anknüpfenden Bildungs- geht. Das wissen Sie. und Dokumentationsarbeit. (Miro Jennerjahn, GRÜNE: Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich halte nichts von Ist mir nie aufgefallen!) Symbolpolitik, aber sehr viel davon, aus gegebenem historischen Anlass politisch zu handeln. Der 25. Jahres- Wie Sie auch wissen, beruht der Gesetzentwurf in vielen tag der friedlichen Revolution wäre ein hervorragender Teilen – darauf möchte ich noch einmal verweisen – auf Zeitpunkt gewesen, das Sächsische Landesbeauftragten- den zwischen der FDP, der SPD, den GRÜNEN und der gesetz weiterzuentwickeln. Diese Aufgabe wird nun vor CDU gelaufenen Abstimmungsgesprächen. Ich bedauere den Abgeordneten der 6. Legislaturperiode stehen. Ich es sehr, dass wir das Verfahren nicht abgeschlossen haben, wünsche allen, die dabei mitwirken können und wollen, da wir uns in den Kernanliegen, aber auch in vielen viel Erfolg. Einzelpunkten bereits einig waren. Nun zum Sachstand. Es überrascht nicht, dass die Sach- (Beifall bei den GRÜNEN) verständigen in der Anhörung – das ist vielleicht auch 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr eine Aufforderung für die Zukunft – diesem Gesetzent- Schiemann spricht als nächster Redner für die CDU- wurf überwiegend zustimmend gegenüberstanden. Viele Fraktion. Teile dieses Gesetzentwurfes wurden begrüßt. Die Sach- verständigen haben uns – ja, vielleicht uns alle – darin Marko Schiemann, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! bestärkt, einen möglichen Gesetzentwurf in der Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte 6. Legislaturperiode vorzulegen, und sozusagen die dann zunächst Folgendes klarstellen: Wir werden leider diesem Verantwortung Tragenden mit einer neuen Aufgabe Gesetzentwurf nicht zustimmen. betraut. (Dr. Monika Runge, DIE LINKE: Die künftigen Inhalte der Arbeit des Landesbeauftragten Da sind wir aber überrascht!) waren im Grunde unter den beteiligten Fraktionen in der Diskussion über einen gemeinsamen Gesetzentwurf Ich muss dies mit großem Bedauern einräumen, da wir wenig streitig. Dabei ist es mir nochmals wichtig, darauf auch sehr viel Kraft und sehr viel Zeit dafür aufgewendet hinzuweisen, dass auch wir als CDU-Fraktion ein ernst- haben. Dennoch – und das gehört dazu – möchte ich klar zunehmendes Interesse an der weiteren und vor allen und deutlich sagen, dass die CDU-Fraktion das Grundan- Dingen auch breiteren Aufarbeitung der Zeit vor der liegen des Gesetzentwurfs in vielen Punkten teilt. friedlichen Revolution haben und ein entsprechendes Das Grundanliegen hängt natürlich damit zusammen, dass Verbesserungspotenzial sehen. es im Freistaat Sachsen nach der friedlichen Revolution Wir teilen die Einschätzung, dass die Einengung der viele Initiativen gegeben hat, die wir bei der Aufarbeitung Arbeit des Landesbeauftragten nur auf die Stasiunterlagen in der Zeit vor der friedlichen Revolution geschehenen nicht mehr zeitgemäß ist und die Arbeit stattdessen auf Unrechts immer unterstützt haben. Wir haben auch alle die gesamtgesellschaftliche Wirkungsweise der Diktatur Bemühungen unterstützt, über die Aufgaben, über das in der ehemaligen DDR ausgeweitet werden soll. Gerade Aufgabenfeld des Landesbeauftragten, aber auch über zum Thema der alltäglichen Lebenswirklichkeit in der weitere inhaltliche Punkte neu zu diskutieren. Diese DDR besteht weiterhin großer Bedarf an Aufarbeitung Anliegen haben uns die Opferverbände vorgetragen. Wir und Aufklärung. haben auch in der gemeinsamen Arbeitsgruppe von FDP, SPD, GRÜNEN und CDU darüber diskutiert. Auch die Aufnahme eines Dokumentations- und Bil- dungsauftrags in das Gesetz sehen wir als wichtig und Umso mehr bedaure ich, dass es trotz intensiver Bemü- richtig an. Gerade die Aufarbeitung geschehenen Un- hungen in den zurückliegenden Jahren bislang nicht rechts und ihre Überlieferung an die nachfolgenden gelungen ist, einen gemeinsamen Gesetzentwurf, wie Generationen sollte eine zentrale Aufgabe des Landesbe- vormals gewünscht, auf die Beine zu stellen, der zur auftragten werden. Umsetzung dieses wichtigen Anliegens beigetragen hätte, leider auch deswegen, weil die einreichende Fraktion nun Was mit dem 17. Juni 1953 begann, mit der Initiative diesen Alleingang unternimmt, der immerhin auch zur „Schwerter zu Pflugscharen“ durch Pfarrer Harald Änderung der Sächsischen Verfassung führen soll. Das ist Bretschneider, hier, in der Landeshauptstadt zu Dresden, und von vielen Initiativen wachgehalten wurde, hat seine

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Erfüllung in der friedlichen Revolution des Herbstes 1989 Sie wollen auch den Bildungsauftrag des Landesbeauf- gefunden. Damit haben sich die Aufgaben und Anliegen tragten stärken und nennen die Institutionen, mit denen er dieser Revolution jedoch nicht erledigt. zusammenarbeiten soll. Darunter ist auch die Landeszent- Den Aufgaben und Anliegen, sich für die Demokratie und rale für politische Bildung. Aber ist die politische Bildung für die Entwicklung eines demokratischen Rechtsstaats nicht die genuine Aufgabe der Landeszentrale? Wäre es einzusetzen und Extremismus für die Zukunft zu verhin- nicht eher angebracht, die Landeszentrale entsprechend zu dern, müssen wir uns auch in der Zukunft stellen. Deshalb stärken? Auch eine Professionalisierung dieses Feldes – das ist ein Punkt der friedlichen Revolution, der zu durch Historiker ließe sich hier sehr viel leichter bewerk- stelligen. erfüllen bleibt – wird es im Freistaat Sachsen auch künftig einen Landesbeauftragten geben, dessen Aufgaben erwei- Sie verquicken den neuen erweiterten Bildungsauftrag des tert werden müssen. Dazu stehen wir. Landesbeauftragten mit der bereits bestehenden Aufgabe, Ansprechpartner für ehemals Verfolgte und Benachteiligte Wir sind der Meinung, ein Anliegen für die Zukunft zu sein und zwischen Opferverbänden zu moderieren. aufzugreifen, das uns Herr Beleites ins Stammbuch Damit schärfen Sie das Aufgabenprofil des Landesbeauf- geschrieben hat. Er hat darauf hingewiesen, es habe viele tragten nicht, sondern Sie gestalten es eher unübersicht- Initiativen in der ehemaligen DDR gegeben, welche die lich und disparat. nachbarschaftlichen Beziehungen genutzt hätten. Viele aktive Frauen und Männer in der ehemaligen DDR haben Mit Recht hat der Sprecher der FDP-Fraktion laut Bericht den Weg in die Republik Polen gesucht, haben den des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses auf das Kontakt zu Solidarnosc gesucht und auf mühselige Art Problem hingewiesen – ich zitiere –, „wie der Beauftragte und Weise Wege nach Prag gefunden, wo es noch schwie- in das bestehende Gefüge der politischen Arbeit, der riger war, weil die Geheimdienste dort viel härter vorge- Bildungsarbeit und der Wissensvermittlung über die gangen sind, als es vielleicht in Polen der Fall gewesen Diktatur eingegliedert werden könne.“ – Das ist das ist. Ein möglicher Gesetzentwurf sollte die Zusammenar- Problem. beit mit den vielen Menschen in unseren Nachbarländern Die Unabhängigkeit des Landesbeauftragten ist Ihnen mit beinhalten. wichtig. Darum wollen Sie schließlich seine Rechtsstel- An dieser Stelle danke ich allen Landesbeauftragten für lung verändern. Sie wollen Parteiunabhängigkeit und das ihre Arbeit, die sie im Freistaat Sachsen und für den Amt soll beim Sächsischen Landtag ressortieren. Das demokratischen Aufbau, aber auch für die Aufarbeitung leuchtet ein. Was Sie in der Begründung des Entwurfs der Vergangenheit geleistet haben. unter Abschnitt A aufführen, gehört in den Bereich histo- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU- risch-sozialwissenschaftlicher Arbeit und sollte Fachleu- Fraktion wird sich diesem Thema in der kommenden ten überlassen bleiben. Eine späte Professionalisierung Legislaturperiode erneut widmen. Ich bin überzeugt, dass des Amtsinhabers durch Aufgabenübertragung scheint mir es uns gelingt, in der 6. Legislaturperiode die Kraft für die nicht der richtige Weg zu sein. Wir müssen umgekehrt Erarbeitung eines gemeinsamen Gesetzentwurfs zu haben. verfahren. Wir brauchen Fachleute, die sich dann in Ich würde mich freuen, wenn dies ein Projekt sein könnte, bestimmte Aufgaben einarbeiten, und nicht Laien, die das dann tun. das sehr zeitig nach der Landtagswahl, am Anfang der Legislaturperiode stattfinden könnte. So, wie Sie jetzt die Aufgabe des Landesbeauftragten beschreiben, müsste die Person eine Eier legende Woll- Es bleibt für mich nochmals festzustellen, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen werden. milchsau sein, Psychologe, Historiker und Diplomat in einer Person – nach der Beschreibung. So jemand wird Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. sich, einmal abgesehen von der begrenzten Arbeitszeit (Beifall bei der CDU) eines Menschen, kaum finden lassen. Wenn wir dem Gesetzentwurf zustimmten, hätten wir uns überdies in 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die eine Kostenfalle begeben. Sie haben mit dem Gesetzent- Fraktion DIE LINKE Herr Prof. Besier. wurf zwar nicht die Forderungen nach Budgeterhöhungen verbunden, aber Ihr inhaltliches Konzept erfordert zwin- Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, DIE LINKE: Herr Präsi- gend eine solche Erhöhung. Sie können das eine ohne das dent! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der andere gar nicht, und es ist wahrscheinlich eher ein Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verbesserung parlamentarischer Trick, erst einmal das Gesetz ohne das der Aufarbeitung der SED-Diktatur ist von dem ernsten Geld und das Geld dann im Nachhinein zu fordern. Anliegen getragen, die untergegangene DDR und ihre Ich nehme an, das Motiv für den Gesetzentwurf ist darin Vorgeschichte in ihrer historischen Komplexität und ihren zu suchen, dass Ihnen die bisherige Aufarbeitung allzu Wirkungsweisen zu erfassen und von der Engführung auf lückenhaft erscheint. Darum reden Sie ja auch von Ver- die Staatssicherheit wegzukommen. Entsprechend diesem besserungen. Die Alarmmeldungen, etwa von Klaus Ziel sollen das Aufgabenfeld des Landesbeauftragten Schröder oder dem Kollegen Staadt, wie dürftig das ausgeweitet und vor allem seine rechtliche Stellung verbessert werden. Wissen von Schulkindern über den SED-Staat sei, stim- men auf den ersten Blick in der Tat nachdenklich.

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Nach 25 Jahren Bilanz zu ziehen, scheint mir durchaus Thema verlieren. Das ist bedauerlich und spricht gegen angebracht. Dazu müssten einmal die gesamten Kraftan- das, was wir wollen, aber wir können es auf diesem Wege, strengungen in den Blick genommen werden – unter wie er hier vorgeschlagen wird, leider nicht verändern. Einschluss der verursachten Kosten. Ich unterstelle Haben Sie vielen Dank. einmal, dass die Staatsregierung nicht zu wenig getan hat, schon aus ideologischen Gründen. Aber das kollektive (Beifall bei den LINKEN) Gedächtnis funktioniert eben nicht so, wie wir uns das wünschen würden. So wissen wir beispielsweise längst, 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die dass das Familiengedächtnis, die Erzählungen zu Hause, SPD-Fraktion Frau Kliese. viel wirkungsvoller sind als der Schulunterricht oder die Hanka Kliese, SPD: Sehr verehrter Herr Präsident! Bücher der Landeszentrale. Mit der Aufarbeitung der NS- Meine geehrten Damen und Herren! Nachdem die Frakti- Vergangenheit haben wir ganz ähnliche Erfahrungen on DIE LINKE nun so lange den Kopf geschüttelt hat, bis gemacht. Es gibt das offizielle Erinnern. Hier wird nach sie endlich ein Haar in der Suppe finden konnte, möchte außen hin die Lesart des Memorialregimes vertreten, also ich mich ganz gern dem Gesetzentwurf nähern, indem ich politisch korrekt. Auch das ist ja die Versuchung eines ihn würdige. Es geht hier weniger um den Austausch Parlamentariers. Aber daneben gab und gibt es das Ver- sozialwissenschaftlicher Thesen zur Aufarbeitung, son- gessen und jene Legendenbildungen und Mythen, die dern vielmehr um die praktische Ausgestaltung eines außerordentlich zählebig sind und die uns beispielsweise Amtes. Ich denke, dafür sind hier durchaus kluge Vor- im Blick auf den Nationalsozialismus auch aktuell immer schläge gemacht worden. wieder politisch beschäftigen. Es wäre also ein Fehl- schluss zu meinen, wir hätten hier nicht genug Aufarbei- Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten tung betrieben. Wir sind die Aufarbeitungsmeister im Tagen ist aus alarmierenden Gründen viel über Geheim- Blick auf den Nationalsozialismus. Das wird uns interna- dienste, speziell über den amerikanischen Geheimdienst tional bescheinigt, aber eben immer mit dem bedauernden NSA, diskutiert worden. Der Vergleich zur Staatssicher- Lächeln: Offenbar habe es nicht allzu viel genutzt. heit ist dabei immer schnell gezogen. Was aber unter- scheidet den Geheimdienst in einer Demokratie von dem Es wäre also ein Fehlschluss zu meinen, wir hätten nicht Geheimdienst in einer Diktatur? Aufgabe eines Geheim- genug getan. Ein Gesetz, und es mag noch so gut sein, dienstes in einer Demokratie – daran sollte man vielleicht wird an diesen anthropologischen Gegebenheiten nichts die US-Administration einmal erinnern – ist es, diese zu ändern. Es gibt das Problem falscher Erinnerungen, dass verteidigen und zu schützen. Eine Kontrolle ihrer Arbeit sich im Rückblick auf das NS-Regime – das ist uns aus durch die Volksvertreter ist gegeben. In der SED-Diktatur biologischen Gründen nicht mehr so möglich –, aber auch diente die Staatssicherheit zum Machterhalt einer autoritä- im Rückblick auf das DDR-Regime verklärende Erinne- ren Staatspartei. Dennoch funktionierte die DDR nicht rungen halten, während anderes wegsinkt. Also werden allein aufgrund ihres Geheimdienstes, über dessen rege Eltern und Großeltern bei jeder sich bietenden Gelegen- Tätigkeit inzwischen 111 Kilometer Akten Zeugnis heit – Sie kennen das – äußern: Es war nicht alles schlecht ablegen. in der DDR. Oder zu einer Vergewaltigung in der alten Bundesrepublik sagt die Oma: Unter Hitler wäre das nicht Die DDR war mehr als Stasi, das wissen wir. Ihre Ein- möglich gewesen. Es gibt dann diesen leuchtenden Blick, wohner oder auch Insassen, wie manche Oppositionelle der Zustimmung einfordert. Das sind Phänomene, die wir heute sagen, können nicht allein in die Kategorie Opfer nicht über ein Gesetz verändern können. Wir können noch oder Täter unterteilt werden. Die einen wurden IM, weil so viel Geld in die Fort- und Weiterbildung stecken, es sie im Gefängnis erpresst wurden und unterzeichnen wird nicht helfen. Wir werden immer mit diesen falschen mussten, die anderen, weil sie sich davon berufliches Erinnerungen zu tun haben. Fortkommen versprachen, eine wieder andere Gruppe aus durchaus idealistischen Erwägungen. Auch das hat Karl- Herr Kollege Schiemann, ein anderes Problem sind die Heinz Gerstenberg angesprochen. Kontinuitäten, die Sie jetzt rekonstruiert haben. Es gibt – da sind sich die Historiker ausnahmsweise einmal einig – Eine schweigende Mehrheit ertrug das System, die einen zwischen dem 17. Juni und der Revolution 1989 keine besser, die anderen schlechter. Roland Jahn, der Bundes- Kontinuität. Das sehen wir im Nachhinein so. Auch wir beauftragte für Stasiunterlagen, hat einmal den schweren selbst müssen aufpassen, wie wir argumentieren und Vorwurf gegen seine Schwester erhoben, sie habe mit welche Wege wir gehen. jedem Mal, als sie in der DDR wählen gegangen sei, einen Stein für seine Gefängnismauern geliefert. Diese Es gibt in diesem Feld eine Koalition, eine Koalition von Äußerung zeigt deutlich, wie schwer es ist und dass es Pädagogen und Historikern gegen Neurobiologen und mehr als einer Betrachtung des Apparates der Staatssi- Sozialwissenschaftler. Wir müssen uns vor Augen halten, cherheit bedarf, um sich dem Thema SED-Diktatur dass wir uns in diesem Streit nicht eindeutig positionie- angemessen zu nähern. ren. Mit anderen Worten: Wir haben Geld genug hinein- gesteckt. Wir werden es auch nicht ändern können, dass in Die Fokussierung auf die Staatssicherheit ist erinnerungs- dem Maße, in dem die DDR-Diktatur zur Vergangenheit politisch überholt. Das haben die Sachverständigen gesagt wird, gerade junge Menschen das Interesse an diesem

10545 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 und das hat Karl-Heinz Gerstenberg noch einmal ausge- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) führt. Am Wochenende, sehr verehrte Damen und Herren, gab Einen tatsächlich angemessenen Vorschlag zur Zukunft es ein sehr interessantes Interview auf „Deutschlandradio des Sächsischen Beauftragten für die Stasiunterlagen Kultur“ mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nun vorgelegt. Wir Stasiunterlagen. Ich empfehle Ihnen, dieses Interview begrüßen diesen ausdrücklich und sehen darin viele nachzuhören, weil er viele Aspekte der heutigen Disskus- sinnvolle Weiterentwicklungen. Sowohl die Unabhängig- sion aufgreift. Ich möchte meine Rede mit einem Satz von keit des Beauftragten von parteipolitischen Mehrheiten als Roland Jahn aus diesem Gespräch beenden: „Der Blick in auch eine Loslösung desselben vom Justizministerium die Diktatur schärft unsere Sinne, um zu erkennen, wo betrachten wir als sehr sinnvoll. Nur so kann künftig Freiheit auch heute in Gefahr ist.“ vermieden werden, dass sich Opferverbände und große (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Fraktionen beispielsweise über eine Kandidatin einig sind und dann doch eine andere Wahl getroffen wird. Das ist 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr eine unglückliche Ausgangssituation für alle Beteiligten, Biesok, bitte, für die FDP-Fraktion. die sich nicht wiederholen sollte. Wichtig finden wir als Sozialdemokratinnen und Sozial- Carsten Biesok, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr demokraten die Weiterentwicklung des Blickfeldes auf geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Gerstenberg, ich die sowjetische Besatzungszeit. Meines Erachtens ist das bedauere es außerordentlich, dass Sie politische Schärfe auch unter dem Titel „SED-Diktatur“ möglich. Deswegen in diese Diskussion gebracht haben, zu der wir eine haben wir mit dem Titel nicht so große Probleme. Die politische Auseinandersetzung um die Sache hätten führen Zeitzeugen aus diesem düsteren Kapitel werden langsam müssen. rar. Es wird höchste Zeit, den Fokus auf diese oftmals Wir als FDP-Fraktion haben uns sehr intensiv mit der sehr gewalttätige Phase der frühen Nachkriegszeit zu Frage beschäftigt, wie es mit dem Stasiunterlagenbeauf- rücken. tragten weitergehen soll. Es ist keineswegs so, dass wir Es gibt aus der Zeit der SBZ viele vergessene Schicksale. uns gegen eine Veränderung verwehren. Wir sind in der Ein Schicksal ist das des Sozialdemokraten Willy Jesse. Analyse auch weitgehend mit Ihnen einig. Wir haben Er wurde nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD gesehen, wie häufig der Stasiunterlagenbeauftragte in der zur SED zum Funktionär in der SED erhoben, dann aber Vergangenheit kontaktiert wurde. Er hatte bislang mindes- wegen seiner fortdauernden sozialdemokratischen Gesin- tens 1 250 Gespräche geführt, meistens mit Betroffenen, nung 1946 verhaftet und vier Jahre in Untersuchungshaft die selbst Opfer von Stasimachenschaften geworden sind. festgehalten. Es folgten zehn Jahre Gulag. Danach zog Er hat sie beraten, er war für sie da. Willy Jesse in die Bundesrepublik. Er war noch einige Wir sehen die Veränderung, die sich daraus ergibt, dass Jahre für die SPD Lübeck tätig, bevor er sich das Leben die Generation, die selbst von der Stasidiktatur betroffen nahm. Solche Biografien sind kaum bekannt und könnten war, älter wird, sich irgendwann nicht mehr mit ihren durch eine Erweiterung des Fokus besser bearbeitet eigenen Anliegen an den Beauftragten wenden kann und werden. an die Stelle dessen ein höherer Bildungsauftrag gelten Eine weitere Neuerung besteht darin, dass der Beauftragte muss, um das, was gewesen ist, an die Generation zu den Opferverbänden hilfreich zur Seite stehen soll. Hierin vermitteln, die es nicht mehr aus eigenem Erleben beur- sehen wir eine sehr wichtige und eine sehr umsichtige teilen kann. Festlegung. In den Opferverbänden arbeiten oftmals Wir müssen überlegen, wie wir mit dieser Situation hochtraumatisierte Menschen, bei denen politische Re- umgehen und wo man den Stasiunterlagenbeauftragten pressionen des SED-Regimes tiefe Spuren hinterlassen ansiedelt. Das ist die institutionelle Frage. Ferner müssen haben. Diese Menschen brauchen in ihrer ehrenamtlichen wir uns fragen, was er inhaltlich machen soll. Auch in der Arbeit Unterstützung, wie etwa beim Schreiben von inhaltlichen Analyse sind wir uns weitestgehend einig. Förderanträgen, beim Ausrichten von Großveranstaltun- Auch wir sind der Auffassung, dass sich der Stasiunterla- gen und Ähnlichem. Es ist gut, dass sie nicht allein genbeauftragte breiter aufstellen soll und sich nicht allein bleiben sollen. auf die Stasimachenschaften beziehen sollte, sondern auf Kurzum: Wir begrüßen die Initiative ausdrücklich und all das, was zu dem Repressionssystem in der ehemaligen stimmen in allen Punkten zu. Wir bedauern sehr, dass die DDR dazugehört hat, unter dem die Menschen gelitten CDU-Fraktion das nicht tun kann. Die Argumente für die haben, unter dem sie ihrer Freiheit beraubt worden sind Ablehnung sind eher dünn bzw. gab es ein Hauptargu- und von dem sie heute noch traumatisiert sind. ment, was speziell mit der FDP bezeichnet wurde. An Das will ich nicht nur an der Stasi festmachen. Wir sind dieser Stelle kann ich nur an die FDP-Fraktion gerichtet uns auch einig, dass wir diese Inhalte an junge Generatio- sagen: Wer in Sachsen auch in Zukunft noch Verantwor- nen vermitteln müssen, damit dieses Wissen nicht verlo- tung übernehmen möchte, der sollte wissen, wie er mit ren geht und dies nicht nur ein Punkt im Geschichtsbuch der Vergangenheit Sachsens umgeht. ist, den man einfach mal auswendig lernt nach dem Motto „Da gab‘s mal was!“, sondern dass man damit authentisch

10546 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 etwas verbinden kann. Diesbezüglich haben wir in den Zeit. Vielleicht ist diese Konstellation, die wir jetzt haben, neuen Bundesländern eine ganz besondere Verantwor- immer noch das geeignete Medium, die geeignete Positi- tung. Dort, wo es auseinandergeht, ist die Frage: Sollte on und die geeignete Aufgabenstellung, um besonders für man den Stasiunterlagenbeauftragten verselbstständigen? die Betroffenen da zu sein, um ihnen ein entsprechender Sollte man ihn höher ansiedeln als er es jetzt ist, oder Ansprechpartner zu sein. Vielleicht dauert es aber auch sollte man eine besondere, eine neue Konstellation su- noch ein paar Jahre, bevor man den Wechsel weg von der chen? Beratung der Opfer hin zu einem deutlich verstärkten Bildungsauftrag vollziehen kann. Wir halten es für falsch, dem Stasiunterlagenbeauftragten die gleiche Position zuzuweisen wie sie der Datenschutz- Diese Zeit sollten wir uns nehmen und ohne parteipoliti- beauftragte hat. Das ist der einzige Dissens, den wir sche Häme und den Vorhalten von Profilierungssüchtigen haben. Herr Dr. Gerstenberg, wenn Sie glauben, dass man uns darüber unterhalten, was der richtige Weg ist, wohin sich bei einer solchen Frage politisch profilieren kann und wir gehen sollten und was dabei die beste Lösung für den dass es für uns eine Frage der Profilierung ist, wie wir in Freistaat Sachsen, um mit diesem sensiblen Thema der Öffentlichkeit auftreten, dann haben Sie nichts, aber umzugehen, ist. auch gar nichts kapiert. Uns geht es darum: Wie kommen Ich danke Ihnen. wir bei diesem sehr sensiblen Thema, über das wir im Landtag schon häufig diskutiert haben, zu einer bestmög- (Beifall bei der FDP und der CDU) lichen Lösung, und wie gehen wir damit für die Zukunft sachgerecht um? Das ist unser Anliegen. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Ab- schließend spricht in der ersten Runde der allgemeinen (Beifall bei der FDP) Aussprache Herr Löffler für die NPD-Fraktion. Herr Prof. Besier hat zitiert, was ich im Ausschuss gesagt (Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, habe. Ich sage das gern noch einmal: Wir müssen uns GRÜNE, steht am Mikrofon.) überlegen, wie man die Funktion des Stasiunterlagenbe- auftragten mit einem erweiterten Spektrum der Zustän- – Es gibt noch eine Kurzintervention. Herr Dr. digkeit, mit einem erhöhtem Bildungsauftrag am besten Gerstenberg, bitte. einordnet. Meines Erachtens: nicht dort. Man muss sich Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Danke, Herr überlegen, ob er nicht vielleicht bei der Landeszentrale Präsident. Werter Kollege Biesok, Sie haben mir vorge- für politische Bildung gut aufgehoben ist, und zwar mit worfen, dass ich Schärfe in die Diskussion gebracht habe. einer herausgehobenen Funktion – nicht als Referent –, Ich habe mit meiner Fraktion drei Jahre geschwiegen und mit der eine deutliche Aufwertung seiner Aufgaben auf Vermittlung und Konsens gesetzt. Nach diesen drei erfolgt, er aber auch die Möglichkeiten hat, seine Bil- Jahren ist es nun auch einmal angebracht, Klarheit in die dungsarbeit, besonders für junge Menschen, gut zu Diskussion zu bringen. machen. (Beifall bei den GRÜNEN und Junge Menschen kommen nicht in den Landtag, um mit vereinzelt bei den LINKEN und der SPD) dem Stasiunterlagenbeauftragten zu sprechen, aber die Landeszentrale für politische Bildung hat erhebliche Man kann nicht länger verschweigen, dass alle demokrati- Möglichkeiten, politische Bildung im Freistaat Sachsen schen Fraktionen auf unser wiederholtes Ersuchen, unsere zu machen. Das wäre meiner Ansicht nach eine gute Vorschläge und Briefe geantwortet haben – mit Ausnahme Ansiedlung. der FDP-Fraktion. Sie waren die einzigen, die geschwie- gen haben. Sie haben sich erstmals positioniert, als es Ich sage Ihnen ganz deutlich: Auch wenn im Moment der nicht mehr anders ging, nämlich im Verfassungs- und Stasiunterlagenbeauftragte von einem FDP-geführten Rechtsausschuss, als dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch Ministerium ressortiert – daran hängen wir nicht. Wir lag. möchten, dass die Informationsvermittlung und die Arbeit gut funktionieren. Dafür möchten wir die richtige Lösung Das, was Sie jetzt an Diskussionsbedarf anmelden, zum suchen. Beispiel den Grad der Unabhängigkeit, den Ort der Wenn es Konsens zwischen den anderen Fraktionen war Ansiedlung, genau das hätte in einer gemeinsamen inter- zu sagen, wir möchten den Stasiunterlagenbeauftragten fraktionellen Arbeitsgruppe diskutiert werden können. als Beauftragten des Landtages in die gleiche Funktion Dieser haben Sie sich aber verweigert, und das bedauere heben wie den Datenschutzbeauftragten, dann halte ich es ich sehr. Das ist für mich auch eine persönliche politische Enttäuschung. für legitim für eine demokratisch gewählte Fraktion zu sagen: Wir teilen die Analyse, aber wir ziehen andere (Beifall bei den GRÜNEN und Konsequenzen daraus, und deshalb wollen wir diesen vereinzelt bei den LINKEN und der SPD) Weg nicht mitgehen. Zu Ihrem Vorschlag, den Landesbeauftragten eventuell Marko Schiemann sagte, dass es eine der vordringlichsten bei der Landeszentrale für politische Bildung anzusiedeln Aufgaben ist, uns in der nächsten Legislaturperiode damit – wir können diese Diskussion in der Kurzintervention zu beschäftigen. Vielleicht braucht es auch noch etwas nicht führen –, will ich nur sagen: Das wäre eine deutliche

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Schwächung dieses Amtes. Ich halte dies für keinen an der Zeit, nicht nur über Denkmalsentwürfe zu debattie- klugen Vorschlag. Sie können diesen Vorschlag mit keiner ren, sondern auch unser Verhältnis zur sogenannten Aufarbeitungsinitiative, mit keinem Verfolgtenverband Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte in und erst recht nicht mit dem sächsischen Landesbeauf- Sachsen neu zu definieren. In der vergangenen Woche tragten Lutz Rathenow diskutiert haben. wurde ja bereits in Berlin die Verlagerung der immer noch Eine solche Schwächung dieses wichtigen Amtes wäre ein am besten unter dem Namen Gauck bekannten Behörde Zeichen, dass wir die Beratungsaufgaben, die Aufgaben ins Bundesarchiv debattiert, da die Zahl der Antragsteller zur Einsichtnahme deutlich zurückgegangen ist. der Zusammenarbeit mit dem Bundesbeauftragten hinten anstellen, und das alles jetzt noch einmal zeitlich zu Dieser Gesetzentwurf der GRÜNEN ist ein sehr vernünf- verschieben, nachdem wir drei Jahre im Sächsischen tiger Versuch, eine Erweiterung der Perspektive von den Landtag verloren haben, ist keine gute Entscheidung. Ausführungsorganen der kommunistischen Diktatur, der Darin bin ich mit Herrn Schiemann einig. Das gehört zum Stasi, auf die eigentlichen Machthaber, die Auftraggeber, Arbeitsprogramm des 6. Sächsischen Landtages, und zwar die Funktionäre der SED und damit auf die Politik vorzu- gleich zu Beginn. nehmen, das Machtsystem selbst, die geschickte oder brachiale Anwendung von Druck, Drohung und Beloh- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) nung, die Ausgrenzung, die Gestaltung des Alltags, die 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Privilegierung der Mitmacher und Mitläufer, die unter Biesok, Sie möchten darauf antworten. dem Begriff der Blockparteien bekannten Pseudoparteien, die eine Wahlalternative suggerieren sollten usw. All das Carsten Biesok, FDP: Wie gesagt, ich möchte dieses ist es durchaus wert, erforscht zu werden. Thema nicht zu einer politischen Diskussion machen. Ich Nachvollziehbar ist auch, den Sächsischen Landesbeauf- möchte nur so viel sagen: Wenn die Einladung zu einer tragten für die Stasiunterlagen durch Absteckung eines gemeinsamen Beratung ausgesprochen wird, sich im neuen Aufgabenfeldes und eine Veränderung der Amtsbe- Wesentlichen alle schon einig sind und dann noch einer zeichnung mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dass in mit ins Boot genommen wird, ist das schwierig. diesem Zusammenhang die Grundlagen für die Rechts- (Zuruf von den GRÜNEN: stellung des Landesbeauftragten ebenfalls verändert Das stimmt doch gar nicht!) werden sollen, ist zwar nicht zwingend, erscheint der NPD aber durchaus debattenfähig. Auch der im Gesetz- Wenn man dieses Thema jetzt nicht politisieren will, dann entwurf unterbreitete Lösungsansatz, den Landesbeauf- frage ich mich: Warum wird in der vorletzten Sitzung des tragten sowohl bei Vorschlag als auch bei seiner Wahl vor Landtages ein Antrag, der schon so alt ist, auf das Trapez parteipolitischen Interessen und Klientelismus zu schüt- gehoben? zen und diesen daher durch den Landtag wählen zu (Gisela Kallenbach, GRÜNE: lassen, ist vernünftig, und selbst der seit 24 Jahren regie- Weil er immer noch aktuell ist!) renden CDU täte es gut, wenn die eine oder andere Personalentscheidung mal nicht mit einem Geschmäckle Wenn es wirklich um die Diskussion in der Öffentlichkeit versehen wäre. gegangen wäre, wenn man gemerkt hätte, dass man unter den demokratischen Fraktionen dieses Landtages keinen Ob das erweiterte und auch als Bildungsauftrag verstan- Konsens erzielen kann, ist doch die Frage: Warum bringt dene Aufgabenfeld so weit gefasst werden kann, dass die man den Antrag nicht dann ins Plenum, wenn die Situati- gesamte Alltagsgeschichte der DDR vor dem Hintergrund on so ist, um hier eine offene Diskussion zu führen und ihrer politischen Gestaltung und Lenkung durch die SED die Argumente abzuwägen? einbezogen werden kann, erscheint mir angesichts des Stellenplans allerdings äußerst ambitioniert oder – ehrli- Herr Dr. Gerstenberg, ich habe nicht gesagt, dass ich den cher gesagt – eher illusionär. Sie wollen damit verhindern, Stasiunterlagenbeauftragten in der Landeszentrale für dass die DDR retrospektiv von so manchem als ein politische Bildung „versenken“ möchte, sondern ich habe Wohlfühlstaat oder als eine Wohlfühldiktatur wahrge- ausdrücklich gesagt, dass ich ihn dort mit einer herausge- nommen wird. hobenen Funktion versehen möchte, damit er seine Arbeit wirksam umsetzen kann. Ich denke, das ist ein Vorschlag, Die Mitläufer und die Profiteure werden das aber auch der nicht dazu führt, seine Position zu schwächen, son- weiterhin tun. Die Opfer werden das massiv kritisieren dern das ist ein Vorschlag, seine Position zu stärken. und die breite Masse der damals einfach nur lebenden Bürger wird die Fragestellung vielleicht gar nicht verste- (Beifall bei der FDP und des Abg. hen. Kein System kann nämlich auf Dauer existieren, Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, DIE LINKE) wenn nicht mindestens 10 % der Bevölkerung von ihm profitieren. Kein System kann existieren, wenn die breite 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Jetzt hat Masse permanent unter massivem Druck steht. Herr Abg. Löffler das Wort; bitte. So gab es auch in der DDR, im Dritten Reich und wie es Mario Löffler, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und auch heutzutage der Fall ist ein von der Politik weitge- Herren! 25 Jahre nach dem Ende der DDR ist es wirklich hend unbelecktes Alltagsleben, und diese vielen verschie-

10548 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 denen Ebenen und Nischen sind Nachgeborenen ohnehin entgegenzuwirken und um Ähnliches in Zukunft zu nicht verständlich. verhindern. Denn nur bei hinreichender Aufarbeitung Werner Bergengruen beschrieb das einmal so: „Wer nicht können wir insbesondere die nachwachsenden Generatio- selbst ein Terror- und Zensursystem kennengelernt hat, nen für die Ursachen und Folgen des SED-Unrechts- wer aufgewachsen ist im selbstverständlichen Genuss der regimes sensibilisieren und damit gleichzeitig das Be- Rede- und Schreibefreiheit, der kann sich unmöglich auf wusstsein für Demokratie, Freiheit und den Rechtsstaat schärfen. die Technik der stichworthaften Anspielungen, die Tech- nik der indirekten und doch unmissverständlichen Aussa- Der Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des ge verstehen, unmöglich auf die immer mehr sich verfei- Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übernimmt nernde Kunst des Schreibens, aber auch des Lesens im Rahmen dieser Aufarbeitung mit seinen zahlreichen zwischen den Zeilen.“ und vielfältigen Beratungs- und Bildungsangeboten zweifellos eine Schlüsselfunktion. An dieser Stelle möch- Eines fehlt aus Sicht der NPD leider in diesem Gesetz- te ich für die Staatsregierung dem Beauftragten Lutz entwurf. Es ist das, was im Oberstufenunterricht die Rathenow und seinen Mitarbeitern ausdrücklich für die höchste Benotung erbringt: die Transferleistung. Es wäre bisher geleistete Arbeit danken, meine Damen und Her- sinnvoll, nicht nur Vergleiche zwischen der DDR und dem ren. NS-System zu ziehen, sondern die gesetzlich normierten Schreib- und Denkverbote der DDR-Diktatur mit den (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei fatalen Auswirkungen der heutigen Political Correctness der CDU – Beifall bei der Staatsregierung) zu vergleichen. Hier läge ein Bildungsauftrag, der nicht Meine Damen und Herren! Der 25. Jahrestag der friedli- nur mehr Mut erfordern würde und damit auch gleichzei- chen Revolution in der DDR ist durchaus Anlass, zum tig die zwingende Begründung für die politische Unab- Stand der Aufarbeitung einmal Bilanz zu ziehen. Im Zuge hängigkeit des Landesbeauftragten gäbe, sondern der zu der Bestandsaufnahme ist auch die Frage berechtigt, ob ganz anderen und nutzbringenden Erkenntnissen beitra- im Hinblick auf die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit gen würde und den heutzutage unter den gegebenen des Landesbeauftragten Verbesserungsbedarf besteht. Verhältnissen lebenden Menschen die Augen öffnen würde vor der Manipulationsfähigkeit eines jeden politi- Der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte schen Systems, auch des unseren. Gesetzentwurf hält diesen Änderungsbedarf für gegeben und greift dabei insbesondere Forderungen von Verfolg- (Beifall bei der NPD) tenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen wie auch eine Aber dieses heiße Eisen ist anscheinend auch den GRÜ- Anregung des vormaligen Landesbeauftragten, Micha- NEN zu brisant, um es anzufassen. Dennoch wird die el Beleites, auf. Allerdings ist hier die Frage zu stellen, NPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen. inwieweit diese von einem inzwischen überholten Befund Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. hinsichtlich der tatsächlichen Tätigkeit und den Aufgaben des Beauftragten ausgehen. (Beifall bei der NPD) Zu den Schwerpunkten des Gesetzentwurfes möchte ich 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine kurz Stellung nehmen. Zur Aufgabenänderung: Gegen die Damen und Herren! Mir liegen keine Wortmeldungen für im Gesetzentwurf enthaltene präzisere Aufgabenbeschrei- eine zweite Runde vor. Ich frage trotzdem: Wünscht ein bung für die Tätigkeit des Landesbeauftragten ist grund- Abgeordneter das Wort? – Ich frage die Staatsregierung. – sätzlich nichts einzuwenden. Zwingend geboten sind Herr Staatsminister Dr. Martens, Sie haben das Wort. diese Änderungen gleichwohl nicht. Auch die jetzige Fassung des Landesbeauftragtengesetzes verankert in § 3 Dr. Jürgen Martens, Staatsminister der Justiz und für Abs. 1 Nr. 3 die umfassende Beratung von natürlichen Europa: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Personen und anderen Stellen. Daher genügt auch ein Herren! Die kommunistische Diktatur in der ehemaligen Blick in die Tätigkeitsberichte des Landesbeauftragten, DDR gehört zum historischen Erbe des wiedervereinten um festzustellen, dass die Beratungstätigkeit inzwischen Deutschlands, und wir sind es auch 25 Jahre nach der weit über Fragen der einfachen Akteneinsicht hinausgeht friedlichen Revolution den Opfern der Diktatur und den und vielmehr alle Aspekte, zu denen für die Opfer des Menschen, die die Überwindung der deutschen Teilung SED-Unrechtsregimes Beratungsbedarf besteht, ein- überhaupt erst ermöglichten, schuldig, dass das ihnen schließt. nach 1945 und in der DDR widerfahrene Unrecht und ihr Auch im Rahmen seiner Öffentlichkeits- und Bildungsar- Mut, sich dem aktiv entgegenzustellen, nicht aus dem beit ist der Fokus des Landesbeauftragten längst nicht Blick geraten. mehr allein auf den Staatssicherheitsdienst der ehemali- Wir brauchen daher weiter eine fundierte Aufarbeitung gen DDR gerichtet, und zwar aus dem einfachen Grund, der historischen Fakten und Zusammenhänge, um ein als man dessen Wirken, Arbeiten und seinen Wirkungs- Verständnis für die Entstehung und Wirkungsweise des mechanismus nie isoliert begreifen kann, sondern sich totalitären SED-Regimes zu entwickeln, einer stellenwei- auch das Ministerium für Staatssicherheit immer nur als se zu beobachtenden Verklärung der DDR-Vergangenheit

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Teil des Machtapparates in der DDR darstellt und begrei- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr fen lässt. Gerstenberg mit einer Kurzintervention, bitte.

Vor diesem Hintergrund befassen sich die Aufklärungs- Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Ja, danke, Herr und Bildungsangebote des Landesbeauftragten mit allen Präsident. – Herr Staatsminister, ich bin auch der Mei- Erscheinungsformen der diktatorischen Machtausübung nung, dass die Diskussion weitergehen wird, und ich nach dem 8. Mai 1945, um das von Repression und möchte gleich damit beginnen. Anpassung geprägte Leben in der Sowjetischen Besat- zungszone oder späteren DDR erfahrbar und insbesondere Sie sind als Jurist bekannt dafür, dass Sie sehr klar den- für die nachwachsende Generation verständlich zu ma- ken. Wenn Sie ausführen, dass eine gesetzliche Änderung chen. Auch insofern nehme ich Bezug auf die Tätigkeits- nicht zwingend notwendig ist, weil der Landesbeauftragte berichte. solche Aufgaben, wie sie in diesem Gesetz beschrieben werden, schon wahrzunehmen versucht, dann ist Ihnen Zur Änderung der Amtsbezeichnung ergibt sich aus sehr wohl bewusst, welcher eklatante Unterschied zwi- meiner Sicht zumindest aktuell keine Regelungsnotwen- schen dem Versuch, etwas wahrzunehmen, etwas durch- digkeit. Sicher ist die Bezugnahme auf die Unterlagen des zuführen, und einer festen Rechtsgrundlage für diese Staatssicherheitsdienstes allein etwas irreführend, da der Arbeit besteht. Landesbeauftragte selbst keine Unterlagen verwaltet. Wir haben es in der Vergangenheit gemeinsam erlebt, Andererseits gebe ich zu bedenken, dass die gegenwärtige wenn Sie noch gewillt sind, sich zu erinnern, wie gerade Amtsbezeichnung auf § 38 des Gesetzes über die Unterla- die Aufgabe Bildungsarbeit des Landesbeauftragten hier gen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR im Sächsischen Landtag immer wieder kritisiert wurde; beruht, sich an die inzwischen über erheblichen Bekannt- sie gehört ins Gesetz. Sie wissen vielleicht auch, dass ein heitsgrad verfügende Amtsbezeichnung des Bundesbeauf- Landesbeauftragter einst seine Dokumentationsarbeit, tragten anlehnt und sich die Amtsbezeichnung des Lan- seine Zeitzeugenarbeit einstellen musste. Deshalb schrei- desbeauftragten inzwischen in Sachsen in vielen Jahren ben wir das ins Gesetz. Eine gesetzliche Grundlage zu fest etabliert hat. schaffen ist also ein sauberes juristisches Verfahren, um Zur Ansiedlung des Landesbeauftragten im Geschäftsbe- die Arbeit des Landesbeauftragten in der beschriebenen reich des Landtages lassen Sie mich kurz darauf hinwei- Art und Weise abzusichern. sen: Der Landesbeauftragte untersteht der Dienst- und (Beifall des Abg. Michael Weichert, GRÜNE) Rechtsaufsicht, mehr auch nicht, des Sächsischen Staats- ministeriums der Justiz und für Europa. Die Unterstüt- Sie haben zugleich gesagt, Sie haben in Ihrer Amtszeit die zung der Arbeit des Landesbeauftragten war mir in der Arbeit des Landesbeauftragten immer sehr unterstützt. Ich ganzen Amtszeit bisher ein wichtiges Anliegen und das bin jetzt einmal als Ingenieur sehr brutal und gehe auf gilt auch für meine Amtsvorgängerin. So meine ich, dass Zahlen zu. Unterstützung heißt für mich Finanzierung – der Landesbeauftragte und seine Vorgänger auch in der der Haushalt als die berühmte in Zahlen gegossene bestehenden Struktur in den vergangenen Jahren hervor- Politik. In den letzten drei Jahren ist der Haushalt des ragend ihre Aufgaben erfüllen konnten und dies auch Landesbeauftragten gerade einmal um 40 000 Euro getan haben. Die Verantwortung dafür zu übernehmen bin gewachsen; das dürfte gerade so ausreichen, um die ich auch weiterhin bereit, meine Damen und Herren. Personalkostenzuwächse und die Inflationsrate auszuglei- chen. Im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss wurden von den verschiedenen Fraktionen auch andere Vorstel- Es ist in Ihrer Amtszeit aber passiert, dass die finanzielle lungen zur Perspektive des Landesbeauftragten vorgetra- Ausstattung der Behörde des Landesbeauftragten im gen. Auch heute war das wieder der Fall. Vergleich der ostdeutschen Länder auf den letzten Platz gerutscht ist. Wenn wir einmal nach Thüringen oder nach Sie sehen, die Diskussion zu diesem Thema ist noch nicht Brandenburg schauen, – abgeschlossen und daher wird es – dessen bin ich mir sicher – auch in der nächsten Legislaturperiode hierzu 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Diskussionen geben. Für diese Diskussionen empfehle ich Gerstenberg, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. uns allen, dass wir sie einbetten in die begonnene und weiterlaufende Diskussion über die Zukunft und die Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: – dort ist die Aufgabengestaltung des Bundesbeauftragten für die Personal- und Gesamtausstattung ungefähr doppelt so Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen hoch, und es liegt vielleicht auch daran, dass die Landes- DDR, damit wir zu einer abgestimmten Lösung zwischen beauftragten bei den dortigen Landtagen angesiedelt sind. Bundes- und Landesebene kommen können. (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Aus den genannten Gründen können wir gegenwärtig eine Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf nicht 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr empfehlen. Dr. Martens, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall. (Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt bei der CDU) 10550 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Meine Damen und Herren, mir liegt noch ein Änderungs- Gesetz zur Verbesserung der Abarbeitung der SED- antrag vor. Ich frage die einbringende Fraktion der GRÜ- Diktatur im Freistaat Sachsen. Wir stimmen ab über den NEN, ob er schon eingebracht ist. – Herr Gerstenberg, Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE. Wer der Überschrift bitte. zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Herr Präsident! Danke. Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und zahlrei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Änderungsantrag chen Dafür-Stimmen ist der Überschrift mehrheitlich ist formal. Er nimmt die Vorschläge aus der Vorprüfung nicht zugestimmt. unseres Gesetzentwurfes auf und korrigiert einen Schreib- fehler. Ich bitte um Zustimmung. Ich rufe Artikel 1 auf. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Dank. – Ich frage die Fraktionen: Möchte noch jemand Gleiches Stimmverhalten; Artikel 1 hat keine Mehrheit zum Änderungsantrag Stellung nehmen? – Das ist nicht bekommen. der Fall. Wer möchte gern dem Artikel 2 zustimmen? – Vielen Ich rufe auf die Drucksache 5/14802 zu Drucksa- Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – che 5/13914. Wer dieser Drucksache seine Zustimmung Bei zahlreichen Dafür-Stimmen und zahlreichen Stimm- geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – enthaltungen ist mehrheitlich Artikel 2 abgelehnt. Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltun- Meine Damen und Herren, nachdem somit sämtliche Teile gen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen des Gesetzentwurfes abgelehnt wurden, findet über diesen Dafür-Stimmen ist der Änderungsantrag mehrheitlich Entwurf gemäß § 46 Abs. 7 Geschäftsordnung keine abgelehnt. Schlussabstimmung statt. Die 2. Beratung ist abgeschlos- Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, über das sen und der Tagesordnungspunkt ist beendet. Gesetz artikelweise abzustimmen. Aufgerufen ist das Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 5 2. Lesung des Entwurfs Sächsisches Ausführungsgesetz zum Tiergesundheitsgesetz (SächsAGTierGesG) Drucksache 5/14051, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Drucksache 5/14742, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales und Verbraucherschutz

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Ausspra- seuchen zunehmend auch die Erhaltung der Tiergesund- che erteilt. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, heit durch Vorbeugung und durch Unterstützung der DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE, NPD; Staatsregierung, Tierhalter bei der Vorbeugung. wenn gewünscht. Für die CDU-Fraktion ergreift Herr In dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf wird geregelt, Fischer das Wort; bitte, Sie haben das Wort. wer für den Vollzug des Tiergesundheitsgesetzes zustän- Sebastian Fischer, CDU: Verehrter Herr Präsident! dig ist. Es werden die benötigten Grundlagen für die Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie angekün- Exekution geschaffen. digt, behandeln wir heute in 2. und damit abschließender Die Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärämter Lesung das Sächsische Ausführungsgesetz zum Tier- leisten gute Arbeit; sie werden das weiterhin tun. Ich gesundheitsgesetz. Damit setzen wir Vorgaben auf Lan- möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei allen, die diesen desebene um, die sich durch den Beschluss des Deutschen Dienst tun, herzlich zu bedanken. Bundestages ergeben haben, der im vergangenen Jahr ein neues Tiergesundheitsgesetz erlassen hat. (Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß) Der Bundesgesetzgeber sah es als geboten an, die Rege- lungen zum Umgang mit Tierseuchen neu zu konzeptio- Das Sozialministerium und die Landesdirektion können nieren, und zwar im Hinblick auf die fortschreitende zukünftig Aufgaben nachgeordneter Behörden wahrneh- innergemeinschaftliche Harmonisierung des Tierseuchen- men, wenn sie dies als notwendig erachten. Sie können bekämpfungsrechtes, und auch der Handel von Tieren, der entgegenstehende Anweisungen aufheben und nicht zunimmt, bedingt diesen Schritt. betroffene Landkreise anweisen, benötigtes Fachpersonal zur Verfügung zu stellen. Das Ziel dieses von uns eingebrachten Tiergesundheitsge- setzes ist neben einer effektiven Bekämpfung von Tier- 10551 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Weiterhin beinhaltet unser Gesetzentwurf die Verpflich- Dr. Blome vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesund- tung des Tierhalters zur Erstellung betrieblicher Maßnah- heit in einem Zeitungsartikel ausdrückte. menpläne zur Vorbeugung von Tierseuchen und – in Da scheint es rechtzeitig zu kommen, dass mit der meinen Augen auch ein wichtiger Punkt – den Abschluss pflichtgemäßen Anpassung des Landesrechts an ein von Rahmenvereinbarungen, was die Durchführung von novelliertes Tierseuchengesetz des Bundes gerade Instru- Tötungen angeht. Das sollte umfassend geregelt sein. mente der Überwachung der Tiergesundheit und der Noch eine kurze Tour d’Horizon auf die Inhalte: Wir Bekämpfung von Tierseuchen gestärkt werden sollen. Bei setzen eine bundesrechtliche Regelung um. Damit geht im näherer Betrachtung ist allerdings an dem Gesetz so viel Tierseuchenfall die Verantwortung von den Gemeinden nicht neu. Damit werden Chancen klar vertan. und kreisfreien Städten auf die Tierhalter über. Das ist Bereits heute obliegt den Lebensmittelüberwachungs- und eine sinnvolle Regelung. Insoweit haben wir einen Kom- Veterinärämtern der Landkreise und kreisfreien Städte der promiss mit der Landwirtschaft gefunden. Vollzug der Aufgaben auf dem Gebiet des Tierseuchen- Wichtig ist mir zu betonen, dass der Landwirt verpflichtet rechts. Gleiches gilt in Anwendung des Gesetzes über den wird, Vorbereitungen zur Umsetzung von behördlich öffentlichen Gesundheitsdienst im Freistaat Sachsen. angeordneten Tötungsmaßnahmen für den Tierseuchenfall Die wirklichen Probleme werden nicht angepackt. Die zu treffen. Das bedeutet, dass der Tierhalter – wir reden Landkreise und kreisfreien Städte nämlich kämpfen – hier in erster Linie von Tierhaltern, die nicht im privaten, auch das ist ein lange bekannter Zustand – mit Personal- sondern im gewerblichen Bereich tätig sind – einen engpässen. Bei jedem neuen Lebensmittelskandal machen Vorsorgevertrag mit dem Dienstleister zur Tötung seiner wir darauf aufmerksam. Tiere schließen muss, solange das Land keine andere Regelung trifft. Über diese Situation liegen – entgegen der Stellungnahme der Staatsregierung auf unsere Nachfragen zum Gesetz – Da wir relativ viel Zeit mit Diskussionen ins Land gehen trotz Personal- und Organisationshoheit der Kommunen lassen mussten, möchte ich an dieser Stelle Frau Staats- auch eigene Erkenntnisse beim Sozialministerium vor. ministerin Clauß bitten, diese Rahmenvereinbarungen Zumindest hat sie meinem Kollegen Dr. Pellmann auf zeitnah abzuschließen. Das läge im vornehmlichen eine Kleine Anfrage vom Februar dieses Jahres sehr Interesse von uns allen. konkret geantwortet. Danach waren sachsenweit Ende Das koordinierte und effektive Töten in Seuchenfällen ist 2013 bei den zuständigen Ämtern in den Landkreisen und notwendig. Für die umfangreichen Tötungsaktionen kreisfreien Städten 10 % der ausgewiesenen Vollzeitplan- brauchen wir einen koordinierten Ablauf. Dieser wird stellen nicht besetzt. Es fehlten somit mindestens jetzt ermöglicht. 46 Fachkräfte. Besonders dramatisch war die Lage im Landkreis Bautzen, wo ein Viertel der Planstellen ver- Weiterhin entlasten wir die Behörden von Überwa- waist war. chungstätigkeit und Verwaltungsvollzug; denn die Behör- den müssten, würden wir diese Regelung nicht treffen, Wie aber sollen die Veterinärämter einer künftig wach- Vorhalteverträge bei jedem einzelnen Landwirt prüfen. So senden Verantwortung für Tiergesundheit und Seuchen- werden auch Kosten für den Freistaat gespart. prävention gerecht werden, wenn permanente personelle Unterbesetzung und finanzielle Defizite den Vollzug des Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss Gesetzes schon heute behindern? kommen und Sie um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf bitten. Wir haben, wie gesagt, zum Wie wichtig eine möglichst flächendeckende Kontroll- 30. April das Tiergesundheitsgesetz auf Bundesebene dichte ist, belegen die Daten für das Jahr 2012. Danach bekommen. Auf sächsischer Ebene sollten wir entspre- gab es in ganz Sachsen insgesamt fast 80 000 Kontrollen, chende Regelungen rasch finden. Wir erhoffen uns von die immerhin zu fast 2 400 Beanstandungen führten. Es dem Gesetz klarere Regeln für die sächsische Viehwirt- wurden 146 Bußgeldverfahren eingeleitet. In 35 Fällen schaft zur Verhinderung von Seuchen auch in Zukunft. kam es gar zu angeordneten Betriebsschließungen. Vielen Dank. Die nach wie vor erheblichen Unterschiede bei der Kon- trolldichte und der personellen Ausstattung zwischen den (Beifall bei der CDU, der FDP und Landkreisen und den kreisfreien Städten erhärten die der Staatsministerin Christine Clauß) Notwendigkeit der seit Jahren von meiner Fraktion 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau geforderten höheren Verbindlichkeit für die den Kommu- Kagelmann für die LINKE. nen übertragene Pflichtaufgabe. Deshalb müssen neben einer Anhebung der Mittel im Landeshaushalt endlich Kathrin Kagelmann, DIE LINKE: Sehr geehrter Herr verbindliche Regelungen zum Aufbau und zur Ausstat- Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Die tung der Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärämter Afrikanische Schweinepest hat Europa erreicht. Das ist im Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst ein Frontalangriff auf Wald und Stall; denn das auslösen- verankert werden, anstatt es – wie bisher Praxis – ledig- de Virus ist „ein großes Schlachtschiff“, wie es Frau lich bei Empfehlungen zu belassen.

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(Beifall bei den LINKEN und Die Neufassung setzte das alte Gesetz außer Kraft und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE) erfordert jetzt eine entsprechende Anpassung des sächsi- schen Gesetzes. Mit dem Sächsischen Ausführungsgesetz Meine Damen und Herren! Tierseuchen sind keine Heim- zum Tiergesundheitsgesetz erhält sich der Freistaat alle suchung der agrarindustriellen Nutztierhaltung. Aber wir Kompetenzen, die für den Vollzug auf Landesebene befinden uns in einem fatalen agrarwirtschaftlichen notwendig sind. Für die zukünftige Weiterentwicklung der Kreislauf. Einseitige Tierzucht reduziert die Widerstands- Tierseuchenbekämpfung und -verhütung ist es darüber fähigkeit von Nutztieren. Liberalisierung und Globalisie- hinaus ein sehr guter Ansatz, dass in Zukunft vor allem rung der Agrarmärkte schleifen lokale Barrieren für die die Förderung der Tiergesundheit stärker in den Mittel- Seuchenausbreitung. Große, konzentrierte Tierbestände punkt rücken soll. führen im Seuchenfall zu schweren wirtschaftlichen Verlusten. Und: Die Probleme der Tiermedizin werden Mit den Tierseuchenbekämpfungszentren der Landesdi- immer häufiger zu Problemen der Humanmedizin. Tier- rektion stehen effektive Krisenkräfte zur Verfügung. Die seuchenprävention und -bekämpfung werden deshalb Länder sind angehalten, alle Maßnahmen zu ergreifen, um immer wichtiger. bei Ausbruch einer Seuche unverzüglich einsatzbereit zu sein. Zusätzlich zu den Tierseuchenbekämpfungszentren Für die Linksfraktion ergeben sich deshalb zwei politi- steht beim Sächsischen Staatsministerium für Soziales sche Herausforderungen: Erstens müssen eine flächende- und Verbraucherschutz eine Einsatzgruppe für die Seu- ckende Lebensmittelüberwachung sowie eine effektive chenabwehr bereit. Ein Gruppenfoto gibt es davon nicht? Tiergesundheitskontrolle als Grundanliegen des Verbrau- cherschutzes personell und finanziell sichergestellt Zur neuen Strategie der Vorbeugung gehören die Ver- werden. pflichtungen des Tierhalters. Ihnen kommt eine besondere Verantwortung zur Pflege der Tiere und zur Vorbeugung (Sebastian Fischer, CDU: Ist schon Realität!) von Seuchen zu; denn wer Vieh oder beispielsweise auch Zweitens muss in der Landwirtschaft die Weltmarktorien- eine Fischzucht unterhält, hat zur Vorbeugung von Tier- tierung aufgegeben werden zugunsten einer an regionalen seuchen und zu deren Bekämpfung dafür Sorge zu tragen, Wirtschaftskreisläufen ausgerichteten, flächengebundenen dass Tierseuchen weder in seinen Bestand eingeschleppt und artgerechten Nutztierhaltung. noch aus seinem Bestand verschleppt werden. Diese Pflicht erstreckt sich nicht nur auf die Tierhalter allein, Der Gesetzentwurf bleibt Antworten auf diese neuen sondern wird auch an deren Vertretung und den weiteren Verbraucher- und Tierschutzanforderungen schuldig. Kreis der Tierhalter, wie Hirten oder Fischereiausübungs- Unsere Fraktion kann aus diesem Grund nicht zustimmen. berechtigte, adressiert. (Beifall bei den LINKEN) Um den Behörden einen Überblick über die Maßnahmen 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die im Rahmen des betrieblichen Vorsorgeplanes zu ermögli- SPD-Fraktion Frau Kliese. chen, sind entsprechende Dokumentationspflichten unabdingbar. (Hanka Kliese, SPD: Ich Schon an diesen Ausführungen zeigt sich, dass das neue gebe meine Rede zu Protokoll!) Gesetz die Vorbeugung in den Mittelpunkt rückt. Mit – Frau Kliese gibt zu Protokoll. Ich danke Ihnen. diesem Gesetz haben wir alle Instrumente in der Hand, Für die FDP-Fraktion Herr Günther. Herr Günther, Sie um auf Gefahren zügig reagieren zu können. Deshalb haben das Wort. bitte ich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. Tino Günther, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Sächsischen Aus- (Beifall bei der FDP) führungsgesetz zum Tiergesundheitsgesetz werden wich- 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau tige Änderungen vorgenommen. Der Bundesgesetzgeber Herrmann für die GRÜNEN. hatte uns zur Umsetzung in Landesrecht eine Frist von lediglich elf Monaten, eigentlich bis zum 1. Mai 2014, Elke Herrmann, GRÜNE: Herr Präsident! Liebe Kolle- eingeräumt. Mit dem Tiergesundheitsgesetz vom 22. Mai ginnen und Kollegen! Um auf den Vorredner einzugehen: 2013 wurden auf Bundesebene die Grundsätze der Be- Mich würde schon interessieren, welche Instrumente das kämpfung von Tierseuchen neu gestaltet. genau sind. Das Bundesgesetz heißt ja – die Vorredner Die Regelungen im bisher geltenden Ausführungsgesetz, sind darauf eingegangen – nicht mehr „Tierseuchenge- die sich ausschließlich auf das Tierseuchengesetz bezie- setz“, sondern „Tiergesundheitsgesetz“. Mit dieser Ände- hen, sind mit Inkrafttreten des Tiergesundheitsgesetzes rung des Gesetzestitels ist auch ein neuer Anspruch veraltet und müssen daher im neuen Gesetz angepasst einhergegangen. werden. Ich möchte hier beispielhaft die Regelungen zur Jetzt zitiere ich Alois Gerig von der CDU, der auf Bun- Entschädigung im Tierseuchenfall nennen. desebene bei der Novellierung des Gesetzes gesagt hat: „Das neue Tiergesundheitsgesetz zielt neben der Bekämp-

10553 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 fung von Krankheiten und Seuchen auch darauf ab, diesen Aber dann hätten Sie sich ja die Frage stellen müssen, ob wirksam vorzubeugen.“ die personelle Ausstattung der Veterinärämter dafür Die Bedeutung einer wirksamen Vorbeugung, liebe überhaupt ausreichend ist. Meiner Meinung nach kann Kolleginnen und Kollegen, wächst in Anbetracht des sich das Sozialministerium nicht damit herausreden, dass gestiegenen Handels mit Tieren; Frau Kagelmann ist über die aufgrund der kommunalen Selbstverwaltung darauf eingegangen. Im Mai dieses Jahres wurde das stark differierende Personalausstattung der Veterinärämter Tiergesundheitsgesetz im Bund verabschiedet. Es hat in Sachsen keine genauen Zahlen vorliegen würden. Das einen eindeutig präventiven Charakter. Er drückt sich war nämlich die Antwort auf eine der vielen Fragen, die unter anderem darin aus, dass eine ständige Impfkommis- im Rahmen der Ausschussberatungen die verschiedenen Fraktionen eingereicht haben. sion für Veterinärmedizin eingesetzt wurde und unter anderem das Fritz-Löffler-Institut eine Beobachtung des Wenn Prävention, wie sie im Bundesgesetz an die erste weltweiten Seuchengeschehens vornehmen wird, um Stelle getreten ist, ernst genommen wird, ist es die Pflicht rechtzeitig Warnungen und eventuell auch Beratungen des Ministeriums, sich einen Überblick darüber zu ver- herauszugeben. schaffen, ob die übertragenen Aufgaben überhaupt fach- lich ausreichend auszuführen sind. Die stark differierende Genau das vermisse ich in dem uns heute vorliegenden Ausstattung der Lebensmittelüberwachungs- und Veteri- Gesetzentwurf der Staatsregierung. Wo sind die vorbeu- närämter führt dazu, dass man beim Ausbruch einer genden Maßnahmen im Gesetzentwurf zu finden? Meiner Tierseuche, die bekanntlich nicht vor Kreis- oder Länder- Meinung nach haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, grenzen haltmacht, zumindest den Umgang und die die Intention des Bundesgesetzes überhaupt aufzugreifen. effiziente Bekämpfung erschwert. Da hätte die Chance bestanden, mit anderen Ministerien Synergieeffekte auszuloten; denn zum Tierwohl gehören Empfehlungen zum Personalbedarf, die es aus dem neben der Tiergesundheit noch das Haltungssystem, das Ministerium immer wieder gegeben hat, sind nicht bin- betriebliche Management und das Tierverhalten. Die dend, und damit kann auch die Angemessenheit der Tiergesundheit spielt also auch eine Rolle bei Fragen der Ausstattung der Ämter nicht von der Fachaufsicht der EU-Förderung. Landesdirektion eingefordert werden. In diesem Fall hätte auch im Zusammenhang mit dem heute vorliegenden Nach Cross Compliance kontrollieren heute schon die Gesetz durchaus das Gesetz des öffentlichen Gesund- Veterinärämter auf Kreisebene das Tierwohl. Routinemä- heitsdienstes novelliert werden können. Dort hätten ßig sind das weniger als 5 %. Häufiger jedoch wird konkrete Zahlen zur Angemessenheit der Ausstattung anlassbezogen kontrolliert. Diese Kontrolle hätte die hineingeschrieben werden können. Chance zum ressortübergreifenden Denken und auch zum Bürokratieabbau gegeben. Der zweite Kritikpunkt am heutigen Gesetz ist die Quali- Seit 1. Januar 2014 verpflichtet darüber hinaus § 11 tät bei der Umsetzung dieses Tiergesundheitsgesetzes. Abs. 8 des Tierschutzgesetzes die Nutztierhalter zur Hierzu gehört unter anderem die nicht erfolgte Regelung Eigenkontrolle. Abs. 8 lautet: „Wer Nutztiere zu Erwerbs- zu den Tiergesundheitskontrolleuren in § 4 Abs. 6. Der zwecken hält, hat durch betriebliche Eigenkontrollen Gesetzentwurf hätte die Möglichkeit geboten, dort Min- sicherzustellen, dass die Anforderungen des § 2 Tier- destqualifikationen festzulegen. Diese gibt es nicht, und schutzgesetz eingehalten werden. Insbesondere hat er zum ich frage mich, warum das Ministerium diese Chance Zwecke seiner Beurteilung, dass die Anforderungen nicht genutzt hat, um auf eine qualitativ gute Ausführung der Aufgaben zu drängen. erfüllt sind, geeignete tierbezogene Merkmale, Tier- schutzindikatoren, zu erheben und zu bewerten.“ Gleiches gilt für die Auswahlkriterien der Dienstleister, die im Falle des Ausbruchs einer Tierseuche einzubezie- Ich frage mich, wie die Tierhalter dieser Eigenkontrolle hen sind. Hier bedarf es dringend einer Präzisierung nachkommen. Hat das SMS bzw. das Landwirtschaftsmi- hinsichtlich der Qualifikation des Personals und Einhal- nisterium die Halter über diese neue Aufgabe überhaupt tung des Tierschutzes. Auch da kann man sich nicht damit informiert, und wer überprüft das eigentlich? Prüfen also herausreden, dass die Landkreise schon die entsprechen- verschiedene Ministerien oder im Auftrag verschiedener den Dienstleister binden werden. Wenn es die vor Ort Ministerien verschiedene Menschen die Einhaltung des Tierwohls? nicht gibt, muss das Ministerium zum Beispiel über Weiterbildungsangebote dafür sorgen, dass eine angemes- Im Gesetz wurde die Möglichkeit, verpflichtende Kon- sene qualitative Aufgabenausführung gewährleistet ist. trollen in Ställen und vor allen Dingen auch von Tier- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Sozialministerium transportern zu regeln, nicht genutzt. Es gibt immer mehr hat keinen Paradigmenwechsel vorgenommen. Es ist in Faktorenerkrankungen. Das heißt, da kommen mehrere dem alten Muster geblieben. Damit bleibt die Prävention Faktoren zusammen, bis ein Krankheitsgeschehen sicht- auf der Strecke. bar wird. Dem kann man mit verpflichtenden Kontrollen durchaus entgegentreten. Das sagt auch der 26. Deutsche Vielen Dank. Tierärztetag. (Beifall bei den GRÜNEN)

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3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Die Nochmals: Die Erhaltung der Tiergesundheit ist für NPD-Fraktion hat keinen Redebedarf angemeldet. Dann unsere Nutztiere wichtig und damit auch mittelbar für uns verfahren wir so. Das war die erste Runde der allgemei- Menschen. Außerdem erhält sie die wirtschaftlichen nen Aussprache. Werte, für die wir uns als Staatsregierung einsetzen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Meine Damen und Herren, mir liegt keine Wortmeldung für eine zweite Runde vor. Ich frage die Abgeordneten Vielen Dank. trotzdem, ob es eine Wortmeldung gibt. – Das ist nicht der (Beifall bei der CDU und der FDP) Fall. Die Staatsregierung? – Frau Staatsministerin Clauß, Sie möchten dazu sprechen? – Dazu haben Sie jetzt 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und Gelegenheit. Frau Clauß. Herren, damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich schlage Ihnen vor, dass wir Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und abschnittsweise vorgehen. Gibt es dagegen Widerspruch? Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine – Das ist nicht der Fall. sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ja, Tierseuchen und Tierkrankheiten gab es schon immer, Aufgerufen ist das Sächsische Ausführungsgesetz zum aber mit dem weltweiten Handel und auch dem Reisever- Tiergesundheitsgesetz. Wir stimmen auf der Grundlage kehr können sich diese heute ganz anders ausbreiten. Das der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales hat nicht nur Auswirkungen auf die Tierbestände, sondern und Verbraucherschutz in der Drucksache 5/14742 ab; es das hat auch wirtschaftliche Folgen für die betroffenen liegen keine Änderungsanträge vor. Regionen. Der Bundesgesetzgeber hat mit Wirkung vom Ich beginne mit der Überschrift: Wer die Zustimmung 1. Mai 2014 das Tierseuchengesetz novelliert, um die geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt Überwachung, Verhütung und Bekämpfung von Tierseu- es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei wenigen chen und Tierkrankheiten rechtssicher an die aktuellen Stimmen dagegen und einer ganzen Reihe von Stimment- Bedarfe anzupassen. Folgerichtig – auch das haben wir haltungen ist dennoch der Überschrift mit Mehrheit gehört – lautet das Gesetz jetzt Tiergesundheitsgesetz; zugestimmt. denn die Erhaltung und Förderung der Tiergesundheit gehört in den Fokus der staatlichen Überwachung. Zur Inhaltsübersicht: Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das Ihnen nun vorliegende Änderungsgesetz ist die Auch hier gibt es das gleiche Abstimmungsverhalten. Der rechtssichere Anpassung der sächsischen Regelungen zur Inhaltsübersicht wurde mit Mehrheit zugestimmt. Tierseuchenüberwachung. Es ist wichtig, die zuständigen Behörden mit den entsprechenden Aufgaben zu betrauen Abschnitt 1, Zuständigkeit und Aufgaben: Wer gibt die und den hierzu notwendigen Kompetenzen auszustatten. Zustimmung? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das tun wir mit diesem Gesetz. Auch hier gibt es Stimmenthaltungen und Gegenstimmen. Dennoch wurde Abschnitt 1 mit Mehrheit zugestimmt. Dafür, dass die beteiligten Ausschüsse mit einer zügigen Beratung die heutige Schlussabstimmung möglich ge- Abschnitt 2, Tierseuchenkasse: Wer gibt die Zustimmung? macht haben, sage ich nochmals ausdrücklich Dank. Denn – Die Gegenstimmen, bitte? – Stimmenthaltungen? – im Änderungsgesetz schaffen wir zum Beispiel die Auch hier gibt es wieder das gleiche Abstimmungsverhal- Möglichkeit, dass im Fall einer Tierseuche die Tierseu- ten. Abschnitt 2 wurde mit Mehrheit zugestimmt. chenbekämpfungszentren arbeitsfähig sind. Der Freistaat Abschnitt 3, Schlussbestimmungen: Wer gibt die Zustim- Sachsen stellt sich dieser Aufgabe, indem wir eine Task mung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Stimmenthaltun- Force einrichten. Diese wird eine Krisenplanung vorneh- gen? – Auch hier gibt es einige Gegenstimmen und eine men und im Fall einer Tierseuche die Tierseuchenbe- Reihe von Stimmenthaltungen. Abschnitt 3 wurde mit kämpfungszentren unterstützen. Mehrheit zugestimmt. Wir halten zugleich an Bewährtem fest. Die Tierseuchen- Wir kommen jetzt zur Gesamtabstimmung. Wer möchte kasse und die LUA sind weiterhin mit wichtigen Aufga- die Zustimmung geben? – Die Gegenstimmen, bitte? – ben betraut. Die Tierseuchenkasse wird weiterhin mit Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und ihrem Tiergesundheitsdienst die Tierhalter unterstützen Gegenstimmen wurde der Entwurf mit Mehrheit als und eventuelle Entschädigungsansprüche der Tierhalter Gesetz beschlossen. abwickeln. Die LUA untersucht die Proben und stellt die Ergebnisse bei Tierseuchen für die Diagnostik zur Verfü- Meine Damen und Herren, damit ist dieser Tagesord- gung. Darüber hinaus fördern wir die Zusammenarbeit nungspunkt beendet. – Noch einmal zurück: Mir liegt ein von Behörden, Tierseuchenkasse und LUA, zum Beispiel, Antrag auf unverzügliche Ausfertigung dieses Gesetzes indem die erhobenen Daten allen zur Verfügung gestellt vor. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der werden; das Bundesgesetz hat umfangreiche Regelungen Fall. Dann verfahren wir so. Jetzt kann ich den Tagesord- für den Datenaustausch getroffen, die wir nun umsetzen. nungspunkt schließen.

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Erklärung zu Protokoll

Hanka Kliese, SPD: Die SPD-Landtagsfraktion wird sich Daran ändert es auch nichts, wenn das SMS am 25. April in der Abstimmung der Stimme enthalten, da wir einer- 2014 durch eine Informationsveranstaltung und einem seits die Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes Erlass versucht, die Landkreise und kreisfreien Städte anerkennen, der vorliegende Entwurf jedoch Mängel und vom Gegenteil zu überzeugen. Die Zweifel und damit das Unsicherheiten enthält, die sich nicht zuletzt auch für den finanzielle Risiko bleiben für den Freistaat. Haushalt des Freistaates nachteilig auswirken könnten. Ob die von der Staatsregierung vorgebrachte Meinung, Um dies zu verstehen, müssen wir etwas tiefer in die dass zwischen dem Auslaufen der alten Regel zum 1. Mai Materie eindringen. Mit dem Inkrafttreten des Bundes- 2014 und dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Tiergesundheitsgesetzes zum 1. Mai 2014 und dem damit Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte durch verbundenen Außerkrafttreten des Bundes-Tierseuchen- das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst gesetzes bedurfte es eines neuen Sächsischen Ausfüh- erhalten bleibt, erscheint zumindest fraglich. rungsgesetzes zum Tiergesundheitsgesetz. Über dieses Noch an weiteren Stellen bestehen finanzielle Risiken. reden wir heute. Wer in den Kalender sieht, wird sich aber Stichwort: EU-konforme Beihilfen. Die geplante Leis- zu Recht fragen, warum das Gesetz erst heute behandelt tungssatzung der Tierseuchenkassen und auch das Aus- wird und nicht so rechtzeitig, dass es in Sachsen pünktlich führungsgesetz selbst sehen explizit die Zahlung von zum 1. Mai 2014 in Kraft treten konnte. Das zugrunde Beihilfen vor. Die Tierseuchenkasse wiederum erhält auch liegende Bundes-Tierseuchengesetz wurde bereits am Zuwendungen des Freistaates Sachsen. Damit besteht 27. Mai 2013 verkündet und dennoch dauerte es nochmals aber die Gefahr einer wettbewerbsverzerrenden EU- bis zum 18. März 2014, bis das jetzt vorliegende Ausfüh- rechtswidrigen Beihilfe. Die Freistellung hierfür durch die rungsgesetz in den Sächsischen Landtag eingebracht Europäische Kommission erfolgt bei wesentlichen Ände- wurde. rungen auf Antrag, ansonsten turnusgemäß alle 2. Es wird Als Folge gibt es in Sachsen seit dem 1. Mai 2014 kein sich also erst zeigen müssen, ob also eine Freistellung Ausführungsgesetz zum Bundes-Tiergesundheitsgesetz durch die Kommission tatsächlich erfolgt oder eine und dadurch erhebliche rechtliche Unsicherheit. Es unzulässige Beilhilfezahlung vorliegt. besteht nämlich die ernst zu nehmende Gefahr, dass sich Hinzukommen die schon von meinen Vorrednerinnen die zuständigen Landkreise und kreisfreien Städte auf den genannten Mängel. Angesichts der sehr komplexen Standpunkt stellen, dass mit dem Außerkrafttreten des Materie, wäre es eigentlich geboten gewesen, den Gesetz- Bundes-Tierseuchengesetzes auch Regelungen in Sachsen entwurf noch eingehender zu prüfen und entsprechend zu entfallen wären, weshalb nun keine Pflichtaufgabe mehr verbessern. Stattdessen erscheint er stellenweise mit der bestünde und mit dem Inkrafttreten des vorliegenden heißen Nadel gestrickt und ist dementsprechend Fehler neuen Ausführungsgesetzes eine neue Pflichtaufgabe behaftet. begründet würde, für die der Freistaat Sachsen aus- gleichspflichtig sei. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich rufe auf

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Tagesordnungspunkt 6 Abschlussbericht sowie abweichende Berichte (Band I und II) zu Drucksache 5/8497, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 54 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen zum Thema: „Untersuchung möglicher Versäumnisse und etwaigen Fehlverhaltens der Staatsregierung und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterliegenden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Behörden im Freistaat Sachsen beim Umgang mit der als ‚Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)‘ bezeichneten neonazistischen Terrorgruppe, deren personell-organisatorischem Umfeld und etwaigen Unterstützernetzwerken, insbesondere im Hinblick auf ihre Entstehung, Entwicklung und ihr Agieren in bzw. von Sachsen aus sowie bei der Aufklärung, Verfolgung und Verhinderung der Terrorgruppe ‚NSU‘ und ggf. den mit ihr verbundenen Netzwerken zurechenbaren Straftaten und der Schlussfolgerungen hieraus (Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen)“ Drucksache 5/14688, Unterrichtung durch den 3. Untersuchungsausschuss der 5. Wahlperiode

Gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen: Dieser vom Ich hoffe und wünsche, dass auch der Verlauf der Aus- Landtag im März 2012 eingesetzte Untersuchungsaus- sprache zum Abschlussbericht diesen Aspekten Rechnung schuss unterscheidet sich von anderen Untersuchungsaus- trägt. schüssen wesentlich. Anlass waren grausame, konkrete Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, dass Mordtaten, begangen von Tätern, die jahrelang in unse- der Abschlussbericht aus zwei Bänden besteht. Band 1 rem Freistaat unerkannt Unterschlupf gefunden hatten. enthält den Verfahrensteil, den Sachbericht und die Am 23. November 2011, kurz nach Bekanntwerden dieser Stellungnahmen der CDU- und der FDP-Fraktion, die Mordserie, nahm der Landtag mit großer Mehrheit einen vom Ausschuss mehrheitlich beschlossen worden sind. Entschließungsantrag von fünf Fraktionen dieses Hauses an. Ich möchte daraus zitieren: Der abweichende Bericht der Fraktionen DIE LINKE, SPD und GRÜNE sowie der ebenfalls abweichende „Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer, die geliebte Bericht der NPD-Fraktion wurden vom Ausschuss zur Menschen verloren haben. Die Unbegreiflichkeit des Kenntnis genommen; sie sind im Band 2 zusammenge- Geschehenen, die jahrelange Ungewissheit über Täter und fasst. ihre Motive waren und sind eine schwere Belastung für die Betroffenen. Wir sind zutiefst beschämt, dass nach Für die Aussprache ist das Präsidium auf Vorschlag der den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Fraktionen davon ausgegangen, dass je Fraktion die für Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land Anträge zur Verfügung stehende Zeit plus fünf Minuten eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervor- benötigt werden. Dabei möge beachtet werden, dass dies bringt.“ unter Anrechnung auf die eingangs erwähnte Gesamtrede- zeit für den heutigen Tag erfolgt. Die Gelegenheit der heutigen Behandlung ist mir Anlass, dieses Mitgefühl gegenüber den Opfern und ihren Ange- Ich beginne mit der ersten Runde. Es beginnt die CDU. hörigen nochmals zu bekräftigen. Wir haben uns damals Danach folgen DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE, NPD folgende Aufgabe gestellt – ich zitiere wieder –: „Wir sind und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. entschlossen, sowohl die politisch-gesellschaftliche (Zuruf von der CDU: Der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Ausschussvorsitzende ist Berichterstatter!) Verbündeten vertieft fortzusetzen als auch die unabding- baren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehör- Der Vorsitzende des 3. Untersuchungsausschusses, Herr den rasch zu ziehen. Dazu ist eine umfassende Fehlerana- Schreiber, erhält als Berichterstatter ebenfalls das Wort. lyse unverzichtbar. Aus Fehlern müssen die richtigen (Christian Piwarz, CDU: Zu Beginn bitte!) Schlüsse gezogen und umgesetzt werden.“ – Also beginnen wir mit dem Berichterstatter. Ich erteile Der erwähnte Entschließungsantrag schließt mit den Herrn Schreiber das Wort. Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten Patrick Schreiber, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Ge- Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Im März walt.“ bzw. April 2012 hat der Sächsische Landtag den 3. Unter- suchungsausschuss NSU eingesetzt. Nach Auffliegen des

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NSU-Terrortrios am 4. November 2011 war dies eine wegen der Vielzahl der oftmals parallel zu behandelnden Maßnahme des Sächsischen Landtages, um schlussend- Vorgänge und der großen Anzahl der zu bearbeitenden lich auch über die Dinge Aufklärung zu bringen, die hier Unterlagen, vor allem der als Verschlusssache eingestuf- in Sachsen dazu geführt haben sollen, dass sich die NSU- ten Unterlagen, war eine flexible und sachgerechte Zuar- Verbrecher Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Sachsen beit und Beratung der Ausschussmitglieder durch das aufhalten konnten und in Gemeinschaftsarbeit mit ande- Ausschusssekretariat und die parlamentarischen Berater ren Bundesländern eben nicht ausfindig gemacht wurden. der Fraktionen erforderlich. Der 3. Untersuchungsausschuss der 5. Wahlperiode hatte Ein erheblicher Teil der nicht öffentlichen Sitzungen des folgenden Auftrag: „Untersuchung möglicher Versäum- Ausschusses diente zum einen der Beratung und Be- nisse und etwaigen Fehlverhaltens der Staatsregierung schlussfassung über Beweisanträge, zum anderen der und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht unterlie- Beratung von Verfahrensfragen. Die Mitglieder des genden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Ausschusses berieten und beschlossen insgesamt 158 Behörden im Freistaat Sachsen beim Umgang mit der als Beweisanträge, davon 40 Anträge auf Übergabe von Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Unterlagen und 118 Anträge auf Zeugenladungen. bezeichneten neonazistischen Terrorgruppe, deren perso- Die Sitzungen dauerten insgesamt circa 186 Zeitstunden, nell-organisatorischem Umfeld und etwaigen Unterstüt- davon entfielen circa 133 Zeitstunden auf die Beweiser- zernetzwerken, insbesondere im Hinblick auf ihre Entste- hebungen. hung, Entwicklung und ihr Agieren in bzw. von Sachsen aus sowie bei der Aufklärung, Verfolgung und Verhinde- Darüber hinaus fiel in den Fraktionen und in der Land- rung der der Terrorgruppe NSU und gegebenenfalls den tagsverwaltung erheblicher Zeitaufwand für Zuarbeiten, mit ihr verbundenen Netzwerken zurechenbaren Strafta- Beratung und Aufsicht bei der Akteneinsichtnahme an, ten und der Schlussfolgerungen hieraus (Neonazistische der nicht im Einzelnen erfasst wurde. Terrornetzwerke in Sachsen)“. In der Geschäftsstelle des Ausschusses wurden insgesamt Als Ausschussvorsitzender möchte ich mich im Namen 696 Vorgänge als Ausschussdrucksachen erfasst. des gesamten Untersuchungsausschusses zuerst beim Es wurden insgesamt 34 Zeugen vernommen. Circa 83 Ausschusssekretariat und beim Juristischen Dienst des bereits beschlossene Zeugenvernehmungen konnten aus Landtages sehr herzlich für die Vorbereitung, Durchfüh- verschiedenen Gründen – aber vor allem aus Zeitgründen rung und Nachbereitung der Sitzungen bedanken. – nicht mehr durchgeführt werden. (Beifall bei der CDU und der FDP) Für die insgesamt 36 Sitzungen des Ausschusses wurden Nur wenn man einmal selber Mitglied in einem Untersu- jeweils 36 nicht öffentliche Protokolle der Beratungssit- chungsausschuss gewesen ist, kann man einschätzen, wie zungen des 3. Untersuchungsausschusses, 45 öffentliche viel Arbeit das Ausschusssekretariat und der Juristische stenografische Protokolle und 3 nicht öffentliche steno- Dienst des Landtages mit der Begleitung eines Untersu- grafische Protokolle der Zeugenvernehmungen sowie 4 chungsausschusses geleistet haben. Das sehr öffentlich- geheime stenografische Protokolle angefertigt. keitswirksame Thema brachte es mit sich, dass sehr viele Die bestätigten Protokolle der Sitzungen des Ausschusses Akten von unterschiedlichsten Behörden angefordert sowie die öffentlichen stenografischen Protokolle konnten werden mussten. Aber auch Akten aus Thüringen und durch die Mitglieder des Ausschusses in einem gesonder- Berlin wurden zur Klärung des Untersuchungsauftrages ten Netzlaufwerk des Landtags, die nicht öffentlichen angefordert. Für die Mitarbeiter bedeutete dies, viele stenografischen Protokolle in der Geschäftsstelle des Hunderte von Ordnern zu sichten, einzuordnen und den Ausschusses und die geheimen Protokolle in der Ver- Abgeordneten zur Verfügung zu stellen. Auch bei der schlussregistratur eingesehen werden. Abfassung eines Abschlussberichtes erfolgte von den Nach Abschluss des Untersuchungsausschusses können Mitarbeitern des Landtages sehr viel und sehr engagierte die Niederschriften über öffentliche Sitzungen gemäß Arbeit. Die Mitarbeiter des Landtages hatten nicht nur die § 12 Abs. 3 Satz 2 Untersuchungsausschussgesetz von Aufgabe, einen eigenen Bericht über den Ablauf der jedermann eingesehen werden. Im Übrigen entscheidet Einsetzung, den Auftrag und das Verfahren anzufertigen, der Präsident des Sächsischen Landtages über die Weiter- sondern sie hatten auch die Aufgabe, den Sachbericht und gabe von Protokollen und über die Einsichtgewährung. die Bewertungen der einzelnen Fraktionen inhaltlich zu prüfen. Der Untersuchungsausschuss wurde in rechtlichen Fragen durch den Juristischen Dienst der Landtagsverwaltung Um Ihnen den Zeit- und Arbeitsaufwand darzustellen, betreut. Gemäß Nr. 2.1 der Verfahrensgrundsätze für die zitiere ich aus dem Abschlussbericht, Seite 21: Arbeit und die Beweisaufnahme des Untersuchungsaus- „Die vom Untersuchungsausschuss zu ermittelnden schusses der 5. Legislaturperiode prüfte der Juristische Sachverhalte haben während des gesamten Verlaufs des Dienst die eingereichten Beweisanträge vor der Be- Untersuchungsverfahrens erhebliche zeitliche Anforde- schlussfassung im Ausschuss auf ihre rechtliche Zulässig- rungen an die Mitglieder des Ausschusses, die Berater keit. Zahlreiche Rechtsfragen von Ausschussmitgliedern und auch die Landtagsverwaltung gestellt. Insbesondere wurden in den Sitzungen mündlich beantwortet. Daneben

10558 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 erstellte der Juristische Dienst eine Vielzahl rechtlicher herausfordernde Aufgabe der Leitung des Untersuchungs- Stellungnahmen und Schriftsätze.“ – Ende des Zitats. ausschusses angetragen hat. Es war für mich persönlich Allein die Auflistung dieser Daten zeigt, wie sehr wir den trotz des sehr schwierigen, weil nicht nur öffentlichkeits- Mitarbeitern des Landtages zu Dank verpflichtet sind, wirksam, sondern vor allem emotional beladenen Themas damit trotz des großen Arbeitsaufwands die Tätigkeit des immer wieder eine neue Herausforderung, mit allen 3. Untersuchungsausschusses ungestört bewältigt werden Wünschen und Dingen umzugehen. Aber es war auch eine konnte. positive Erfahrung, dass man, wenn man gemeinsam an einem Strick zieht, gemeinsam ein Thema bearbeiten Es muss noch hinzugefügt werden, dass wegen der kann, auch wenn am Ende vielleicht in der einen oder zahlreichen Zeugen eine Sondersitzungswoche durchge- anderen Nuance unterschiedliche Ergebnisse stehen. führt wurde. An den Sitzungstagen der Sondersitzungs- Ein Letztes möchte ich bei aller Behandlung des Themas woche wurden jeweils mehrere Zeugen gehört. Dies zu bedenken geben, auch wenn es mir vielleicht in dem stellte an die Aufnahmefähigkeit aller anwesenden Mit- Maße als Ausschussvorsitzender nicht zustehen mag: Wir glieder des Ausschusses sowie an die Mitarbeiterinnen diskutieren über ein Thema, bei dem wir heute aufgrund und Mitarbeiter des Landtages erhebliche Anforderungen. dessen, was wir wissen, in der Lage sind, von oben auf Auch wenn vereinzelt der Ruf nach weiteren Sondersit- dieses sogenannte Netz herunterzuschauen und die Fäden zungswochen laut wurde, muss bei der Abwägung be- des Netzes zu erkennen. Wenn wir also darüber sprechen, rücksichtigt werden, dass alle Mitglieder des Untersu- wenn wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verwal- chungsausschusses in weiteren Fraktionsarbeitskreisen und Ausschüssen des Landtages arbeiten. tung, Institutionen, Polizei, Juristerei für das, was sie in den Jahren von 1998 bis 2011 getan oder was sie nicht Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich aber getan haben, kritisieren oder loben, dann sollten wir auch insbesondere bei den Ausschussmitgliedern für die immer daran denken, wie die Strukturen zum Zeitpunkt X meist kollegiale Zusammenarbeit bedanken. Auch wenn waren und ob es tatsächlich so ist, dass es dem einen oder sich natürlich die Interessen der Opposition teilweise von anderen „kleinen Polizeibeamten“, der sich mit Banküber- den Interessen der Regierungsfraktionen unterscheiden, fällen beschäftigt hat, möglich war, ein Netz zu erkennen, haben wir dennoch fast immer einen gemeinsamen Weg das es scheinbar irgendwo gab, um die möglichen Schlüs- zur Lösung anstehender Probleme gefunden. se daraus zu ziehen. Ein weiterer Dank gilt den Regierungsbeauftragten. Falls Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. es bei der Aktenübersendung oder anderen Fragen zu Problemen kam, so waren sie stets bereit, zu einer kon- (Beifall bei der CDU, den LINKEN, struktiven Lösung beizutragen. der SPD, der FDP und der Staatsregierung) Die Ergebnisse des 3. Untersuchungsausschusses beruhen 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die Fraktion unter anderem auch auf dem vorläufigen Abschlussbericht DIE LINKE spricht Frau Abg. Köditz. der Parlamentarischen Kontrollkommission des Sächsi- (Zurufe aus den Fraktionen) schen Landtages im Zusammenhang mit dem Tatkomplex NSU unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Günther Schneider, Es ist normalerweise so, dass nach der CDU eine andere MdL, vom 27. Juni 2012. Sie beruhen auch auf dem Fraktion – – vorläufigen Abschlussbericht des Sächsischen Staatsmi- (Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU) nisteriums des Innern zum Fallkomplex Nationalsozialis- tischer Untergrund vom 25. Juni 2012. Herr Schreiber steht bei mir noch einmal als CDU. Ich kann jetzt nur das wiedergeben, was mir hier vorliegt. In diesen beiden Berichten wurde vonseiten der Legislati- ve und der Exekutive eine vorläufige Einschätzung des (Patrick Schreiber, CDU: Herr Wuttke Sachverhaltes und eine entsprechende Bewertung vorge- hat mich heute extra angerufen!) nommen. Der Untersuchungsausschuss hatte die Aufgabe, Frau Köditz, Entschuldigung. Darf ich Sie bitten, dass Sie auch diese Berichte in die Abarbeitung des Untersu- chungsauftrages einfließen zu lassen. als zweite Fraktion sprechen? – Herr Hartmann, bitte. Alles kein Problem. Wie Sie aus den oben genannten Zahlen der Zeugenla- dungen entnehmen können, sind nicht alle geladenen Christian Hartmann, CDU: Frau Präsidentin! Meine Zeugen gehört worden. Wie angekündigt, beabsichtigt die sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Schrei- Opposition, sich in der kommenden Legislaturperiode ber für den Ausschuss gesprochen hat, würde ich jetzt weiterhin dem Untersuchungskomplex NSU mithilfe gerne für die CDU-Fraktion als Obmann der CDU zu eines Untersuchungsausschusses zu widmen. Dem neuen Ihnen sprechen. Landtag bleibt es vorbehalten zu entscheiden, ob der Der 3. Untersuchungsausschuss der 5. Wahlperiode des 3. Untersuchungsausschuss NSU der 5. Wahlperiode in Sächsischen Landtages hatte die Aufgabe, mögliche der 6. Wahlperiode seine Fortsetzung findet. Versäumnisse und etwaiges Fehlverhalten staatlicher und Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und dem kommunaler Behörden des Freistaates Sachsen beim Sächsischen Landtag ganz persönlich, dass er mir die Umgang mit der nationalsozialistischen Terrorzelle NSU 10559 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 zu untersuchen. Dabei sollten der Terrorgruppe NSU Wir haben allerdings die Überzeugung gewonnen, dass gegebenenfalls verbundene Netzwerke sowie deren die Auswahlpraxis der V-Leute durch das Sächsische mögliche zurechenbare Straftaten untersucht werden. Landesamt für Verfassungsschutz mit der erforderlichen Sehr geehrte Damen und Herren! Ich zitiere jetzt aus dem Sorgfalt erfolgte. Aus unserer Sicht ist es Kernbereich Abschlussbericht der Opposition, Seite 261: „Der Unter- exekutiver Eigenverantwortung, ob im Staatsschutzbe- suchungsausschuss hat nach seiner zweijährigen Tätigkeit reich Vertrauenspersonen eingesetzt werden oder nicht. zwar keine Erkenntnisse gewonnen, die auf eine Unter- Sollte das Innenministerium des Freistaates Sachsen seine stützung des Trios, beim Untertauchen und Verbergen des Entscheidung überdenken wollen, so obliegt es dem Trios sowie beim Begehen von Verbrechen und Verschlei- Ministerium allein, eine derartige Entscheidung zu tref- ern der Täterschaft durch Behörden des Freistaates fen. Auch die Regelungen zu G-10-Maßnahmen sind so Sachsen hindeuten.“ genau gefasst, dass jederzeit eine große Kontrolle durch die beteiligten Stellen erfolgen kann und bisher auch Liebe Frau Köditz! Ich weiß, dass das Zitat noch weiter- erfolgt ist. geht, aber dazu komme ich später. Der Untersuchungsaus- Ich möchte darauf hinweisen, dass im Freistaat Sachsen schuss hat sich ein umfassendes Bild über den Untersu- bereits frühzeitig eine Sonderkommission „Rechtsextre- chungsgegenstand gemacht. Er hat zu Beginn seiner mismus“ eingerichtet wurde. Dem Kampf gegen rechts Arbeit sachverständige Zeugen zum Thema Extremismus, wurde vonseiten der Staatsregierung zu Recht eine wich- insbesondere Rechtsextremismus, gehört. Außerdem hat tige Rolle eingeräumt. Auch wenn sich die personelle er Zeugen sowohl aus Sachsen als auch aus Thüringen Besetzung zwischenzeitlich verändert hat, so ist doch von und Berlin gehört. Das Ergebnis dieser Experten- und dem gehörten Zeugen, dem ehemaligen Landespolizeiprä- Zeugenbefragungen ist im Sachbericht des 3. Untersu- sidenten des Freistaates Sachsen, Bernd Merbitz, über- chungsausschusses des Sächsischen Landtages vom zeugend dargelegt worden, dass die Aufgaben und deren Bundesanwalt a. D. Dr. Volkhard Wache zusammenge- Bewältigung zu keiner Zeit aus den Augen verloren und fasst. Herr Wache hat an dem Gutachten zum Verhalten deren Lösung mit der erforderlichen Sorgfalt vorangetrie- Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der ben wurde. Verfolgung des Zwickauer Trios, dem sogenannten Schäfer-Bericht, mitgewirkt. Wir haben uns ein umfängliches Bild von der Zusammen- arbeit zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz Die Regierungsfraktionen können sich die in dem Bericht und dem Landeskriminalamt Sachsen gemacht. Wir sind von Herrn Wache enthaltenen Ergebnisse sowie dessen zu der Überzeugung gekommen, dass alle Beteiligten Schlussfolgerungen und Bewertungen zu eigen machen. nicht immer mit der notwendigen Gewissenhaftigkeit dem Der Sachbericht des Abschlussberichtes von Bundesan- gegenseitigen Informationsaustausch nachgekommen walt Wache stimmt weitgehend mit dem vorläufigen sind. Es ist Aufgabe der beteiligten Behörden, die aufge- Abschlussbericht der Parlamentarischen Kontrollkommis- tretenen Schwachstellen abzustellen und die Kommunika- sion des Sächsischen Landtages im Zusammenhang mit tionsstrukturen zu verbessern. dem Tatkomplex NSU unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Günther Schneider vom 27. Juni 2012 überein. Es steht aus Sicht des Untersuchungsausschusses zweifel- Er stimmt auch weitgehend mit dem vorläufigen Ab- los fest, dass vonseiten der sächsischen Behörden keine schlussbericht des Sächsischen Staatsministeriums des Unterstützungsleistungen zugunsten des Trios erfolgt Innern zum Fallkomplex Nationalsozialistischer Unter- sind. Zahlreiche Zeugenbefragungen haben ergeben, dass grund vom 25. Juli 2012 überein. die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Wir sind daher der Ansicht, dass an der Sicherheitsstruk- sowie insbesondere die Mitarbeiter des Landeskriminal- tur des Freistaates Sachsen keine grundsätzlichen Ände- amtes des Freistaates Sachsen von ihren Kollegen aus rungen erforderlich sind. Es gibt genaue Aufgabenzutei- Thüringen nur sehr unvollständig bei der Durchführung lungen und Aufgabenabgrenzung innerhalb der sächsi- verschiedener Maßnahmen informiert wurden. Sympto- schen Behörden. Änderungen bieten sich aus unserer matisch hierfür ist aus unserer Sicht die mangelnde Sicht derzeit nicht an, sind sicherlich aber für die Zukunft Einbeziehung des Landeskriminalamtes Sachsen in nicht ausgeschlossen. Absprachen über Maßnahmen im Zusammenhang mit der „Kripo live“-Sendung vom 22. Februar 1998 und Mai Was allerdings zu verbessern ist, sind die Kommunikati- 2000. An dieser Tatsache lässt sich nach unserer Auffas- onsstrukturen in und vor allen Dingen zwischen den sung nicht zweifeln. Behörden. Wir sind der Ansicht, dass der Bericht von Die Zeugenaussagen vor dem 3. Untersuchungsausschuss Herrn Wache zu Recht auf das Problem des Einsatzes von des Sächsischen Landtages haben allerdings auch erge- Vertrauensleuten hinweist. Bei der Auswahl von V-Leuten ben, dass eine größere Eigeninitiative bei der Beschaffung ist eine sehr große Sorgfalt an den Tag zu legen. Wenn von Informationen durch Mitarbeiter des Landesamtes für diese Sorgfalt verletzt werden sollte, könnte es durch Verfassungsschutz durchaus im Bereich des Möglichen staatliche Finanzierung zu einem ungewollten Kreislauf, gewesen wäre. Angesichts der tragischen Ereignisse im zur Information des V-Mannes und Geldzahlung des Staates kommen. Zusammenhang mit der Ermordung von Menschen – mutmaßlich begangen durch das NSU-Trio – hat ein

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Umdenken beim Landesamt für Verfassungsschutz lichen Begehren verschließen, uns in der kommenden Sachsen und auch bei den Polizeibehörden des Freistaates Legislaturperiode erneut mit dem Fallkomplex NSU zu Sachsen stattgefunden. Größere Eigeninitiative bei der beschäftigen. Dieses Vorgehen ist seitens der Regierungs- Verfolgung verdächtiger Sachverhalte walten zu lassen fraktionen kein Misstrauen gegenüber der staatlichen und die dringend erforderliche Stärkung von Analysefä- Verwaltung, sondern Respekt gegenüber den Rechten der higkeit sind Erkenntnisse aus der Beurteilung der voran- Opposition, mithilfe eines weiteren Untersuchungsaus- gegangenen Ereignisse. schusses die aus Ihrer Sicht noch offenen Fragen zu klären. Bereits die Parlamentarische Kontrollkommission hat in ihrem Abschlussbericht zutreffend formuliert, dass für das Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen die Koordinie- (Beifall bei der CDU) rungsdefizite, die auf mangelnder Informationsübermitt- lung seitens der Thüringer Kollegen beruhten, zum 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die Fraktion damaligen Zeitpunkt nicht erkennbar waren. Dieser DIE LINKE Frau Abg. Köditz, bitte. Schlussfolgerung können wir uns nur anschließen. Kerstin Köditz, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsi- Hinsichtlich des Problems der Löschung von Dateien und dentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich Aussonderung von Akten hat der 3. Untersuchungsaus- außergewöhnlich, wenn ausgerechnet ich, noch dazu schuss des Sächsischen Landtages festgestellt, dass die gleich zu Beginn meiner Rede, ausdrücklich die Koaliti- staatlichen Behörden im Umgang und bei der Aufbewah- onsfraktionen in diesem Haus lobe. Ich will den großen rung und Löschung von Dateien im Zusammenhang mit Mut von CDU und FDP würdigen. Es muss nämlich als extremistischen Straftaten weiterhin große Sensibilität walten lassen wollen. ausgesprochen mutig bezeichnet werden, wenn beide Fraktionen in ihren Abschlussstellungnahmen zum Unter- Die vom Sächsischen Staatsministerium des Innern suchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in angekündigten umfassenden Maßnahmen zur Verbesse- Sachsen“ zu der durchaus kühnen Einschätzung gelangen, rung der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz dass sächsischen Behörden im Zusammenhang mit dem und der Polizeibehörden sind zum großen Teil bereits NSU keine Vorwürfe gemacht werden könnten. umgesetzt. Diese 14 Maßnahmen erscheinen geeignet, die Es wird gefolgert, dass – Zitat – „an der Sicherheitsstruk- Gefahren extremistischer, besonders rechtsextremistischer tur im Freistaat Sachsen keine Änderungen erforderlich Taten zukünftig zu minimieren. Dazu gehören insbeson- sind“. Schuld am NSU-Desaster habe schließlich Thürin- dere die Verbesserung der Führungsstrukturen, das Vier- gen. Zudem habe das sächsische Innenministerium längst Augen-Prinzip, die interne Kontrolle, der Informations- alles getan, um – Zitat – „die Gefahren rechtextremisti- austausch innerhalb des Amtes, die bessere Anbindung scher Taten künftig zu minimieren“. der Behörden untereinander, die Veränderung der internen Arbeitsstrukturen, insbesondere der Registraturen, die Ich warne allerdings vor zu viel Mut. Eine solche Feststel- bessere Einbindung der Staatsanwaltschaften, die Auswei- lung ist derart mutig, dass sie sehr eng an Leichtsinn tung der Teamarbeit und als wesentlicher Punkt die grenzt. Verbesserung der Fortbildung. Der Untersuchungsausschuss hat uns genügend Beispiele Wir haben die Überzeugung, dass den Mitarbeitern der für solch gefährlichen Leichtsinn geliefert. Denken wir staatlichen Behörden bei der Mithilfe zur Aufklärung der nur an das Landesamt für Verfassungsschutz. Dieses hat Straftaten des NSU-Trios keine Vorwürfe zu machen sind. über Jahre felsenfest behauptet, dass Rechtsterrorismus Eine derartige Serie von Verbrechen war bisher nicht überhaupt nicht existiere. Es hat zudem behauptet, dass vorstellbar. Mit den dargelegten 14 Maßnahmen wurden „Blood & Honour“ lediglich ein „Musiknetzwerk“ sei. die richtigen Schlüsse gezogen und teilweise schon Auch diese Behauptungen waren ausgesprochen mutig, umgesetzt. vor allen Dingen waren sie aber vollkommen falsch. Jetzt, liebe Frau Köditz, komme ich zu dem zweiten Zitat Mir ist vollkommen schleierhaft, wie jemand darauf aus Ihrem Votum: kommen kann, dass keine Fehler begangen worden seien. Meine eigene Fantasie stößt an eine Grenze, wenn ausge- „Allerdings kann diese Bewertung nur vorläufig sein, rechnet auf der Grundlage uneingestandener Fehler eine solange die begründete Annahme besteht, dass Behörden- Verbesserung des Handelns versprochen wird. Die Bot- handeln im Zusammenhang mit der Fahndung nach dem schaft, die ich hier höre, ist ein einziger paradoxer Wider- Trio bislang keineswegs vollständig bekannt geworden spruch: Alles wird besser, weil alles so bleibt, wie es ist. und daher auch nicht abschließend zu bewerten ist.“ In den beiden vorangegangenen Jahren wurden zahlreiche Meine Damen und Herren! Das funktioniert nicht. Ich Zeugen gehört. Es gibt vonseiten der Opposition aber fürchte, Sie lehnen sich wirklich zu weit aus dem Fester. noch eine lange Liste von weiteren Zeugen. Es ist das Solange es dabei nur um die Gefahr geht, dass Sie selbst Recht der Opposition, in diesem Zusammenhang Fragen aus dem Fenster fallen, ist das allein Ihr Risiko. Ihre zu stellen und deren Beantwortung einzufordern. Aus Wette aber, die Gefahren rechtsextremistischer Taten diesem Grund werden wir uns auch nicht Ihrem mutmaß- seien durch ein Fingerschnippen zu minimieren, kann im Ernstfall wieder zulasten der Opfer rechter Gewalt gehen. 10561 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Diese Wette einzugehen ist nicht nur mutig, sondern Bestätigung des „Vorläufigen Abschlussberichtes“, den zynisch. Innenminister Ulbig im Jahr 2012 vorgelegt hat. Das nenne ich gewagt, sehr gewagt. Ich bedauere es, dass das Fazit von CDU und FDP der zweijährigen Arbeit des Untersuchungsausschusses in Wir dagegen sind überzeugt, dass uns der Ausschuss jeder Hinsicht auf wackligen Beinen steht, und das nur, so wesentlich weitergeführt hat. Hätten wir den Bericht aus mein Eindruck, um eilig und möglichst unbeschadet einen dem Jahr 2012 für der Weisheit letzten Schluss gehalten, Schlussstrich unter die Aufklärung zum NSU-Komplex wüssten wir bis heute nicht, dass in die Fahndung nach ziehen zu können. dem Trio auch die sächsische Zielfahndung eingegriffen hat, wenn auch erfolglos. Wir wüssten weiterhin nicht, Dieses Vorgehen verwundert mich aber wiederum auch dass auch sächsische Beamte nichts unternahmen, nach- nicht. Ich erinnere mich noch gut, wie wir hier vor etwas dem eine Person mit großer Ähnlichkeit zu U- mehr als zwei Jahren beisammensaßen und über die we Böhnhardt in Chemnitz gesichtet wurde. Wir wüssten Einsetzung des Untersuchungsausschusses debattiert ebenfalls nicht, dass sächsische Observanten tatenlos haben. Es war von Anfang an klar, dass Sie von CDU und zuschauten, als ihre Zielperson Unterlagen auf einen Grill FDP diesen Ausschuss nicht wollten. Sie haben sich packte und verbrannte. ausgerechnet hinter der NPD versteckt und von einem „NPD-Informationsausschuss“ gesprochen. Dass der Wir wüssten auch nicht, dass der sogenannte Verfassungs- Einwand unsinnig war, liegt inzwischen nachweisbar auf schutz in Sachsen trotz aller Defizite, Schwächen und der Hand. Erkenntnislücken immerhin gut genug im Bild war, um die Entwicklung des Trios hin zu Rechtsterroristen zu- Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, sind mindest zu erahnen, und das bereits im Jahr 1998, also Ihrem Kurs trotzdem mutig treu geblieben. Sie haben noch vor Beginn der Mordserie. Ihren mangelnden Willen zur parlamentarischen Aufklä- rung bis zum Ende durchgehalten. Erlauben Sie mir die Wir wüssten immer noch nicht, dass die gleiche Behörde Bemerkung, dass man das Ihrem Ausschussbericht auch trotzdem keinen Drang hatte, dagegen einzuschreiten. deutlich ansieht. Stattdessen behielt man wesentliche Informationen für Es ist nicht einmal besonders verwunderlich, dass nun- sich und gab sie nicht an die Strafverfolgungsbehörden mehr am Ende der Arbeit zwei sehr unterschiedliche weiter. Das ist äußerst erklärungsbedürftig. Eine plausible Begründung dafür steht noch immer aus. Berichte vorliegen. Es sind tatsächlich derart viele Fragen offen, dass ein einhelliges Fazit schwer zu ziehen ist und Es zeichnet sich aber Folgendes ab: Bei der Suche nach eine abschließende Beurteilung schon gar nicht getroffen dem untergetauchten Trio in Sachsen wurde dieses nicht werden kann. an einer kurzen, sondern an einer sehr, sehr langen Leine gehalten. Das waren ganz klare Fehler, und diese Fehler Bedauerlich und regelrecht beschämend ist in meinen waren nicht die Schuld von Thüringen, sondern hausge- Augen, dass bezüglich der angebrachten und notwendigen macht. Hätte es diese Fehler nicht gegeben, so wäre es Konsequenzen aus dem NSU-Komplex keine Einigkeit durchaus möglich gewesen, die untergetauchten Bomben- der demokratischen Fraktionen in diesem Haus besteht. bauer aus Jena in Chemnitz festzusetzen. Dafür hätten Im Bundestag und in Thüringen haben sich die Regie- sächsische Behörden, so wie es ihre Aufgabe ist, den rungsfraktionen zu den dortigen Ausschüssen bekannt und nötigen Fahndungsdruck aufbauen müssen. Das ist jedoch sie von Anbeginn aktiv mitgetragen. In Sachsen war aber nicht passiert. Wer das bedauert, sollte die Ursache auch das Gegenteil der Fall. Das ist weder vor dem Hinter- beim Namen nennen: Behördenversagen. Nein, der NSU grund der außerordentlichen Tragweite des Themas noch war den Behörden als solcher mit dem Namen noch nicht vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Untersuchungs- ausschusses zu rechtfertigen. bekannt, aber es hätte trotzdem nachgefasst werden müssen. Es hatte fatale Folgen, dass man darauf verzichtet Dass sich der NSU ausgerechnet in Sachsen versteckt hat, obwohl die Gefährlichkeit der geflüchteten Neonazis hielt und ein Dutzend Jahre unentdeckt blieb, ist allge- bekannt war und obwohl ab dem Jahr 1998 die Annahme mein bekannt. bestand, dass sich das Trio in Chemnitz versteckt hält. Blicken wir zurück in den November 2011, kurz nach der Wir wissen heute nicht, warum die Suche nach dem Trio Enttarnung des NSU. Es gab einen gemeinsamen Ent- derart schiefgelaufen ist. Dem Untersuchungsausschuss schließungsantrag – Frau Präsidentin, Sie hatten bereits ist es immerhin gelungen, viele Details zu klären, aber darauf hingewiesen – aller demokratischen Fraktionen im damit kann und darf die Aufklärung, die wir im Novem- Sächsischen Landtag. Er beinhaltete das ausdrückliche ber 2011 gemeinsam versprochen haben, nicht beendet Versprechen, für Aufklärung zu sorgen. Doch als es sein. Wir haben 34 Zeugen gehört, aber mehr als darum ging, tatsächlich aufzuklären, waren CDU und 80 Zeugen nicht mehr befragen können. Einige Themen- FDP plötzlich nicht mehr an Bord. Das war und ist ein komplexe, auf deren Behandlung sich der Ausschuss fatales Zeichen. verständigt hatte, konnten wir gar nicht erst anfangen. Dieser Mangel an Aufklärungswillen war ebenso eine Trotzdem war das, was wir bisher geschafft haben, jede Konstante wie Ihr Mut zum Irrtum. Sie sehen in den Mühe wert. Ergebnissen des Untersuchungsausschusses lediglich eine 10562 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Meine Damen und Herren, zu der Zeit, als der Ausschuss Wir sehen dringenden Bedarf, diesen Fragen weiter eingesetzt wurde, standen gegen Behörden des Freistaates nachzugehen. Die Aufklärung muss fortgesetzt werden, Sachsen äußerst schwerwiegende Vorwürfe im Raum. Es gerade hier in Sachsen. Nach dem jetzigen Stand der war richtig und notwendig, solchen Behauptungen kon- Dinge sollte daher erneut ein Untersuchungsausschuss zentriert nachzugehen. So ist es jetzt möglich, über einmal eingesetzt werden. Das ist die erste und zentrale Empfeh- begangene Fehler auf der Grundlage der Fakten zu reden, lung des abweichenden Berichtes der demokratischen auch wenn es davon nur einige in den Bericht von CDU Opposition. Wir drängen darauf, dass insbesondere das und FDP geschafft haben. Landesamt für Verfassungsschutz die Möglichkeiten der Ich möchte die Koalition noch einmal daran erinnern, weiteren Aufklärung nicht dadurch unterminieren kann, woran es lag, dass der Ausschuss unerlässlich war. Wir als indem erneut Akten vernichtet werden. Das ist keine Abgeordnete haben nach dem 4. November 2011 unsere böswillige Unterstellung. Das LfV hat auch noch Akten Informationen zumeist aus der Presse beziehen müssen vernichtet, als der Ausschuss bereits eingesetzt war. und sie nicht etwa vom Innenminister, von Ihnen, Herr Niemand kann nachträglich feststellen, ob diese Akten Ulbig, bekommen. Ich sage das, weil CDU und FDP in einen NSU-Bezug hatten oder nicht. Sie sind unwieder- bringlich zerstört. ihrem Ausschussbericht selbst zwar nicht von Fehlern, aber immerhin von gewissen Defiziten bei der Kommuni- Meine Damen und Herren, wir sind fest davon überzeugt: kation und Koordination der Behörden sprechen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen kann nach alledem nicht mehr weiter bestehen. Es hat seine Da- Die Staatsregierung selbst sollte sich das dringend zu seinsberechtigung schlicht verspielt. Herzen nehmen. Denn, was immer sie ab November 2011 auch tat, eine proaktive Informationspolitik gab es durch (Beifall bei der NPD) sie nicht. Der medialen und gesellschaftlichen Reichweite Unser Bericht zeigt nämlich auch, wie umfangreich es bei des Themas war die Staatsregierung nicht gewachsen. Wir der Suche nach dem Trio versagt hat. Das LfV hat sich bekamen die Fakten scheibchenweise oder gar nicht auf den Tisch. nicht als „Frühwarnsystem“ bewährt. Es bot der Demo- kratie auch keinen Schutz. Der entstandene Schaden ist Dass die Einrichtung parlamentarischer Gremien zur kaum wiedergutzumachen. Ich sehe keinen Anlass mehr, weiteren Aufarbeitung so vehement abgelehnt wurde, hat an eine Besserung zu glauben. Solche Versprechen gab es selbstverständlich den Eindruck genährt, dass hier in in der Vergangenheit immer wieder. Man denke an den bekannter Manier versucht wurde, ein unangenehmes „Sachsen-Sumpf“ oder auch an das Beyer-Irrgang- Thema abzumoderieren. Das ist zum Glück nicht gelun- Gutachten. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir feststellen gen. müssen: Nein, das LfV ist nicht mehr reformierbar. Es ist, Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss was es ist: Ein Geheimdienst, und zwar ein inkompeten- ist darauf gestoßen, dass bei Polizei und Verfassungs- ter. Er ist kein Teil der Lösung, er ist ein Teil des Prob- schutz in Thüringen und in Sachsen sehr frühzeitig lems. Hinweise vorlagen, wo sich das Anfang 1998 unterge- (Christian Piwarz, CDU: Aber morgen geht es tauchte Trio verborgen halten könnte. Man kannte die wieder in die andere Richtung oder was?) Namen von Helfern, die nach heutigem Wissen als mut- maßliche Unterstützer gelten. Diese Personen entstamm- Er steht einer demokratischen Gesellschaft nicht gut zu ten insbesondere dem „Blood & Honour“-Netzwerk. Dass Gesicht. Die Auflösung des LfV ist dagegen das kleinere man dieses Netzwerk offenbar unterschätzt hat, ist die Übel, wenn es sich überhaupt um ein Übel handeln sollte. eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass man trotzdem Der bessere Weg ist es, die Aufklärung und Verfolgung wusste, um welche konkrete Personengruppe es ging: um politischer Straftaten durch die Polizei zu stärken. Es ist militante Neonazis. Wir haben im Ausschuss hoch versier- daher auch der richtige Weg, die frühere Arbeit der SoKo te Ermittler kennengelernt, die diese Szene im Detail „Rex“ durch das Operative Abwehrzentrum auf einer kannten. An Informationen hat es diesbezüglich nicht breiteren Personalbasis fortzusetzen. Das ist aber nicht gemangelt. nur eine Frage der Quantität. Man muss es auch bei einem polizeilichen Staatsschutz dieser Art ermöglichen, dass er Rückblickend stellen sich zwei Fragen: Wie kam man sich auf den Bereich der politisch motivieren Kriminalität denn seinerzeit auf diese unterstützenden Personen? rechts spezialisieren kann. Dass das OAZ die politisch Keiner der Zeugen bisher konnte uns das schlüssig motivierte Kriminalität links bearbeitet, läuft dieser erklären. Und – zweite Frage – warum ist man dann nicht notwendigen Spezialisierung völlig zuwider. konsequent gegen diese Personen vorgegangen? Unser Bericht zum Untersuchungsausschuss zeigt gerade, Im größten Teil des damaligen Fahndungszeitraumes von dass die Vermischung von Aufgabenbereichen und der 1998 bis 2003 geschah in Sachsen nämlich überhaupt Wechsel des zuständigen Personals offenbar nicht zu einer nichts, was als Fahndung bezeichnet werden könnte. Die besseren Ermittlungsarbeit und auch nicht zu einer besse- Leine zum Trio war nicht nur sehr lang, sondern man hat ren Analyse beigetragen haben. Gerade weil dem polizei- es auch versäumt, daran zu ziehen. lichen Staatsschutz eine entscheidende Rolle zukommt, muss immer daran gedacht werden, seine weitgehenden

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Befugnisse und Instrumente sachgerecht, effizient und Es sind doch gerade die selbstorganisierten Initiativen vor rechtsstaatsgemäß einzusetzen. Deswegen denken wir an Ort, die Problemlagen in den jeweiligen Regionen früh- die Einrichtung eines parlamentarischen Kontrollgremi- zeitig erkennen und flexibel gegensteuern können. Es ist ums für den polizeilichen Staatsschutz. Ein solches richtig, dass es gegen antidemokratische Tendenzen in Gremium dient nicht der Gängelung des Staatsschutzes, Sachsen ein funktionierendes Frühwarnsystem gibt. Das sondern seiner Konsolidierung und der Rechtssicherheit ist nicht der sogenannte Verfassungsschutz, sondern es ist sowie der notwendigen Transparenz. die Zivilgesellschaft. Sie schafft Angebote für demokrati- Ich möchte daran erinnern, dass nach dem Auffliegen des sche Teilhabe und tritt damit antidemokratischen Tenden- zen ganz konkret entgegen. NSU zunächst kein polizeiliches Lagebild existierte, aus dem hervorgegangen wäre, inwieweit sogenannte legale (Vereinzelt Beifall bei den LINKEN) Schusswaffen in der extremen Rechten verbreitet sind. Wir haben das mühselig über Anfragen thematisiert, deren Dafür ist nicht nur die unsägliche Extremismusklausel Antworten uns nicht immer konsistent erschienen. hinderlich, sondern der Extremismusbegriff an sich schadet. Dort, wo von „Extremisten“ gesprochen wird, Die Entwaffnung der Nazi-Szene wurde durch Innenmi- geht es um deren Verhältnis zum demokratischen Verfas- nister Ulbig vollmundig angekündigt. Sie ist aber noch sungsstaat. Die tatsächliche Gefährdung durch die extre- immer nicht erfolgt. Wir erwarten nun, dass künftig im me Rechte lässt sich mit dem Extremismusbegriff, wie Einzelfall gezielt geprüft wird, ob eine Handhabe besteht, ihn insbesondere das Landesamt für Verfassungsschutz waffenrechtliche Erlaubnisse für Angehörige der extre- strapaziert, überhaupt nicht messen. Wie grundfalsch der men Rechten zu versagen oder sie ihnen zu entziehen. Wir Begriff wirklich ist, zeigen uns die Erkenntnisse zum erwarten außerdem, dass darüber künftig dem Innenaus- NSU. Die Rechtsterroristen machten sich nicht den schuss des Sächsischen Landtages regelmäßig Bericht demokratischen Verfassungsstaat zum Opfer, sondern sie erstattet wird. töteten zunächst neun Migranten und hatten es durch Die Bekämpfung der extremen Rechten – das steht außer Bombenanschläge darauf angelegt, weitere Menschen zu Frage – ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufga- töten. Diese Taten waren ganz klar rassistisch motiviert. be. Wir meinen, dass diese Aufgabe durch aktuelle wis- Ich bin der Meinung, dass es auch der Respekt vor den senschaftliche Expertisen wesentlich unterstützt werden Opfern des NSU gebietet, das Problem beim Namen zu kann. Sie kann Auskunft geben über aktuelle Tendenzen nennen. Dieses Problem heißt: Rassismus. der extremen Rechten sowie über die Verbreitung antide- Das ist keine Floskel, denn dass der NSU den Behörden mokratischer und menschenfeindlicher Einstellungen im Freistaat Sachsen. durchs Raster rutschte, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass das Begehen einer rassistischen Mordserie offenbar Der sogenannte Verfassungsschutzbericht erfüllt diese nicht für möglich gehalten wurde. Man ging von einem Aufgabe in keiner Weise. Was wir brauchen, ist ein Zerrbild namens „Extremismus“ aus und nicht von den Monitoringbericht mit empirisch abgesicherten Erkennt- tatsächlichen Feindbildern und Opfergruppen gewaltbe- nissen. Die analytische Ausbeute eines solchen Projektes reiter Neonazis und Rassisten. Dass dieses Zerrbild sehr könnte umgekehrt die Arbeit der Sicherheitsbehörden im langlebig ist, ist zum einen daran zu erkennen, dass sich Freistaat Sachsen bereichern. Sachsen mit der Anerkennung der Opfer rechter und Selbst konservative Wissenschaftler wie die Professoren rassistischer Gewalt immer noch schwertut, zum anderen Backes und Jesse haben in einer Anhörung des Innenaus- haben es die CDU und die FDP in ihrer Stellungnahme schusses einen solchen regelmäßigen Bericht als sinnvoll zum Untersuchungsausschuss geschafft, erachtet. Die Sicherheitsbehörden sind aber nur eine Seite (Andreas Storr, NPD: Was ist mit der Medaille. Die andere Seite ist die Zivilgesellschaft in linker Gewalt und der Linkspartei?) Sachsen, sind das bürgerschaftliche Engagement in den Kommunen und das solidarische Eintreten für die Opfer den NSU mit der RAF zu vergleichen. Selbst Autoren, die rechter Gewalt. den sogenannten Verfassungsschutzbehörden unheimlich nahestehen, raten dringend von diesem Vergleich ab. In Noch immer begegnet die Staatsregierung der Zivilgesell- Ihrem Text heißt es – ich zitiere –: „Auch die RAF-Morde schaft im Freistaat mit erheblichem Misstrauen. Noch führten in den Siebzigerjahren der damaligen Bundesre- immer sorgt die Staatsregierung nicht für eine ausreichen- publik Deutschland zu einem Umdenken der staatlichen de Förderung der Zivilgesellschaft. Es irritiert mich Sicherheitsbehörden. Gleiches sollte auch für die Sicher- zutiefst, dass man Projekte, die sich für die Demokratie- heitsbehörden im Freistaat Sachsen gelten.“ – Das war entwicklung im Land einsetzen, an einer kurzen Leine aus dem Abschlussbericht von CDU und FDP. hält und sie unter einen regelrechten Generalverdacht stellt. Dass die Staatsregierung nicht den Bundestrend Ich möchte einmal beiseite lassen, dass manche Resultate genutzt und die unsägliche Extremismusklausel abge- dieses Umdenkens in der alten Bundesrepublik auf heftige schafft hat, spricht leider für sich. Diesen Sonderweg Bedenken einer damals noch liberalen Partei namens FDP kann sich Sachsen nicht leisten, denn er richtet erhebli- gestoßen sind. Falls Sie Ihren Vergleich wirklich ernst chen Schaden an. Auch dieser Fehler sollte sofort korri- meinen, dann müssen wir leider damit rechnen, dass noch giert werden. viele Jahre des Rechtsterrorismus vor uns liegen. 10564 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Tatsächlich ist diese Gefahr nicht gebannt; denn ein Zeugen vernehmen noch alle Fragen klären. Unser vorläu- Handlungskonzept bietet die Koalition nicht. Sie erkennt figes Fazit nach den Sitzungen des Untersuchungsaus- keine Fehler, sieht keinen Bedarf für Reformen, sie schusses lautet: Wir haben keine Hinweise für ein vorsätz- bevorzugt den Schlussstrich. Das ist es, was ich Leicht- liches Handeln sächsischer Behörden erkennen können. sinn nenne. Dadurch wird die Tragweite des Themas Wir haben nirgendwo Hinweise darauf – ich sage es jetzt völlig verfehlt. Vor allem ist diese Einstellung ein Rück- einmal ganz einfach –, dass jemand in der sächsischen fall zu dem Konsens, den die demokratischen Fraktionen Polizei oder im Verfassungsschutz genau wusste, was des Sächsischen Landtages im November 2011 erreicht Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt tun, wo sie sind und wie hatten. man sie kriegen könnte, es aber unterlassen hat, dem nachzugehen. Solche Hinweise haben wir nicht. Damals hieß es – ich zitiere –: „Wir erwarten, dass die Morde zügig aufgeklärt werden. Das sind wir den Opfern, Sie wissen auch, dass das ein Fazit ist, was man ange- ihren Familien und Freunden schuldig. Die jetzt bekannt sichts geschredderter Akten nur mit einer gewissen gewordenen Zusammenhänge dieser unmenschlichen Einschränkung ziehen kann. Wir haben auf der anderen Verbrechen belegen auf traurige Weise, dass die Struktu- Seite aber durchaus viele Erkenntnisse darüber, dass es ren der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebe- Versäumnisse im Handeln sächsischer Behörden und ne dringend überprüft werden müssen.“ Fehlverhalten gab. Wir, meine Damen und Herren, stehen zu diesem An- Einzelne Beispiele sind schon genannt worden. Ich will spruch. Wir wollen ihn einlösen, und wenn es nicht anders sie einmal zusammenfassen: Worum geht es? Was haben geht, dann eben mit einem neuen Untersuchungsaus- sächsische Behörden 1998 bis 2011 falsch gemacht? Sie schuss. haben einen ganz großen Fehler begangen: Sie haben sich für nicht zuständig gehalten. Vielen Dank für Ihres Aufmerksamkeit. Diese Nichtzuständigkeit, dieses Empfinden, das haben (Beifall bei den LINKEN, wir nach dem November 2011 auch hier im Plenum sehr der SPD und den GRÜNEN) oft gehört. Wenn Sie sich erinnern, so gab es viele ver- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Abg. Friedel schiedene Versuche, Aufklärungsinstrumente aufzulegen. für die SPD-Fraktion, bitte. Es gab viele Versuche zu sagen: Wie schaffen wir es denn jetzt, dass wir in Sachsen unseren Beitrag zur Aufklärung Sabine Friedel, SPD: Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- leisten? nen und Kollegen! Ich will Ihnen, Frau Präsidentin, sehr Wir haben zum einen vorgeschlagen, dass eine sächsische herzlich dafür danken, dass Sie am Anfang wichtige Teile Untersuchungskommission eingesetzt wird, analog der aus dem gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU, Schäfer-Kommission in Thüringen. Wir haben zum LINKE, SPD, GRÜNE und FDP vom November 2011 anderen vorgeschlagen, bei der Schäfer-Kommission in zitiert haben. Das war etwas, was uns in der Sitzung des Thüringen mitzuarbeiten. Es gab den Vorschlag eines Landtages geeint hat. Wir alle waren sehr bestürzt und Sonderermittlers. All das wurde immer sowohl von der betroffen und haben es uns zur Aufgabe gemacht dahin- Staatsregierung als auch auch von der Koalition abgelehnt terzukommen, wie es passieren konnte, dass fast zwölf mit dem Verweis darauf, dass wir in Sachsen ja nicht Jahre lang ein Trio von – man kann es nicht anders sagen zuständig seien und dass es ein thüringisches Trio war, – mordenden Menschen in Sachsen einen sicheren Hei- dass alle Morde woanders passiert sind und dass wir in mathafen gefunden hat. Sachsen daher gar nicht so richtig etwas beitragen kön- Das war ein wichtiger Moment in diesem Landtag. Es nen. Eine Bund-Länder-Kommission solle dann Aufklä- wäre schön gewesen, wenn wir diesen wichtigen Moment rung schaffen. auch heute mit einem gemeinsamen Antrag hätten noch Wir haben uns dann dazu entschlossen, von dem Recht einmal deutlich machen können. Immerhin ist das In- Gebrauch zu machen, was uns als Opposition bleibt: die Erinnerung-Rufen schon ein wichtiger Punkt gewesen. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ich will Die Aufgaben des Untersuchungsausschusses sind schon mich an dieser Stelle sowohl beim Vorsitzenden des genannt worden. Ich will sie noch einmal praktisch und Ausschusses als auch beim Obmann der CDU-Fraktion handfest zusammenfassen. Wir hatten die Aufgabe zu bedanken. Trotz dieser Nichtzuständigkeitsrhetorik am klären: Haben die sächsischen Behörden Versäumnisse Anfang hier im Plenum haben sie genauso wie wir ein und Fehlverhalten gezeigt? Sind Fehler in der Zeit ab Interesse daran gehabt, diesen Ausschuss arbeiten zu Untertauchen des Trios 1998 bis zur Selbstenttarnung lassen, für diesen Ausschuss Erkenntnisse zu gewinnen. 2011 gemacht worden? Wir haben in dem Untersuchungs- Sie haben Fragen gestellt. Das war oftmals von großer auftrag auch die Frage formuliert: Gab es neben Fehlern Hilfe für den Fortgang der Beratungen im Ausschuss. und Versäumnissen ein bewusstes Unterstützen, ein Dort habe ich diese Unzuständigkeitsvermutung nicht Decken, ein Vertuschen, die diese Verbrechen möglich entdecken können. Vielen Dank dafür. gemacht haben? Worin hat sich die Nichtzuständigkeit der sächsischen Zum Fazit nach den Untersuchungsausschusssitzungen. Behörden geäußert? Wir haben nie einen Zeugen gehört, Es ist schon deutlich geworden: Wir konnten weder alle der sagte: Ja, da haben wir uns selbst dahintergeklemmt. 10565 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Überall, wo wir gefragt haben, ob es die einzelnen Poli- System vorhanden sind und mit dem, was die Staatsregie- zeidienststellen waren, ob es die SoKo „Rex“ war, ob es rung als Schlussfolgerung schon vor zwei Jahren vorge- das Landesamt für Verfassungsschutz war – überall gab es legt hat, nicht behoben werden. das gleiche Erklärungsmuster. Es lautete: Die drei sind in Das eine Thema wurde schon angesprochen: Wie viel Thüringen untergetaucht. Thüringen hat sie zur Fahndung Erfahrungswissen kann man ansammeln, wenn man heute ausgeschrieben. Thüringen ist die fahndungsleitende für diesen, morgen für jenen und übermorgen für einen Dienststelle. Wir in Sachsen helfen, wenn Thüringen uns ganz anderen Phänomenbereich zuständig ist? Wie viel um etwas bittet. Erfahrungs- und Netzwerkwissen lässt sich ansammeln, So war es dann auch: Wenn Thüringen darum gebeten hat, wenn Beamte im Zweijahresrhythmus von Dienststelle zu dass Adressen ermittelt werden sollen, dann hat Sachsen Dienststelle versetzt werden? Die Art und Weise, wie wir Adressen ermittelt und sie nach Thüringen gegeben. Wenn Wissensmanagement in der sächsischen Polizei betreiben, Thüringen darum gebeten hat, dass bei einer Observation wie wir die Strukturen momentan haben, lässt darauf geholfen werden soll, dann hat Sachsen bei einer Obser- schließen, dass weder die Ansammlung von Wissen noch vation geholfen und die Ergebnisse nach Thüringen zur die Ausbildung geregelter Kommunikationsnetzwerke Auswertung geschickt. Wenn Thüringen um nichts gebe- wirklich stattfinden kann. Das ist ein Fehler im System. ten hat, dann hat Sachsen auch nichts gemacht – selbst Zweiter Fehler im System: Frau Kollegin Köditz hat dann nicht, als sich die Hinweise verdichtet haben, dass darauf hingewiesen, dass schon frühzeitig Informationen die drei sogar in Sachsen, im Raum Chemnitz, unterge- vorlagen, dass das Trio in Sachsen untergetaucht sein taucht sein könnten. könnte, dass Waffen besorgt werden sollen und dass ein Diese Nichtzuständigkeit ist ein ganz großes Problem, ein Überfall geplant ist. Doch dieses Wissen ist nie zur Versäumnis, ein Fehler, den man zugeben muss, wenn Polizei gekommen. Dieses Wissen gab es im Landesamt man über die Rolle der sächsischen Behörden spricht. für Verfassungsschutz. Es ist nicht nur eine Nachlässigkeit Man hört ja immer das, was man hören will. Ich habe es von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesem Amt, bei Herrn Hartmann auch gehört; es war etwas anders dass das Wissen nicht weitergegeben wird, sondern es ist formuliert. Da wurde gesagt: Eine größere Eigeninitiative ein strukturelles Problem. Das Wissen wird nicht geteilt, wäre im Rahmen des Möglichen gewesen. Nichts anderes weil es aus V-Personen-Quellen kommt und der Quellen- heißt es, wenn wir sagen: Es war falsch, sich nicht zu- schutz höher wiegt als das Interesse, solche Straftaten zu ständig zu fühlen. verhindern. Das ist ein strukturelles Problem. Der zweite große Punkt: Unwissenheit. Neben der Nicht- Wer ein Landesamt für Verfassungsschutz ernsthaft zuständigkeit war die Unwissenheit in vielen Punkten ein reformieren will, der kommt nicht umhin, sich die Frage Problem. Frau Köditz hat es angesprochen: die unzu- zu stellen: Kann ich in diesem Bereich überhaupt V-Leute reichende Kenntnis der rechtsextremen Szene in Sachsen, einsetzen oder ist der Preis an Strafvereitelung, den ich Fehleinschätzungen zur Qualität von „Blood & Honour“ dafür zahle, nicht viel zu hoch und wesentlich höher als oder anderen Bewegungen. Einzelinformationen, die der Nutzen, den ich durch den Einsatz solcher Quellen zweifelsohne überall vorlagen, zu einem Gesamtbild bekomme? Wir meinen, der Preis ist zu hoch. Wir mei- zusammenzutragen, sich somit einen Überblick zu ver- nen, man sollte in dem Bereich auf die Führung von V- schaffen über ein sehr dichtes, gleichzeitig flexibles Personen verzichten. Netzwerk in ganz Sachsen, das hat keine Dienststelle in Was lernen wir aus diesem Ausschuss? Was lernen wir Sachsen geschafft – weder die zuständigen Polizeieinhei- aus den Versäumnissen und Fehlern bei sächsischen ten noch das Landesamt für Verfassungsschutz. Behörden? Ich sage es mal ganz einfach: dass man sich Diese Nichtzuständigkeit, diese Unwissenheit sind unse- nicht unzuständig fühlen darf. Das ist eine Erfahrung, die rer Ansicht nach die beiden größten Versäumnisse, die nicht nur wir und nicht nur die Kollegen von LINKEN sächsische Behörden im Zusammenhang mit dem Unter- und GRÜNEN und nicht nur die Zivilgesellschaft, son- tauchen des NSU begangen haben. dern viele in Sachsen seit Jahrzehnten gemacht haben: dass der Rechtsextremismus als Problem verkannt worden Nun liest sich der Bericht von CDU und FDP etwa so: Es ist; dass die Gefahr Rechtsextremismus als wenig gefähr- wurden Fehler in der Kommunikation gemacht, und wenn lich, zum Teil als Dumme-Jungen-Streiche eingestuft man das besser macht, dann ist alles wieder gut. Das wird, und zuständig sind dafür eigentlich auch die Schu- allein erklärt unserer Ansicht nach zu wenig. Das ver- len, die mehr Bildung machen müssen. schiebt die Verantwortung allein auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden. Sie haben schlecht Das ist eine alte Klage, das ist jetzt auch nichts Neues, da kommuniziert und das müssen sie künftig besser machen hätten wir eigentlich keinen Untersuchungsausschuss – das ist ein unzureichender Blick. gebraucht, um das herauszufinden. Die Quittung für das lange Untätigsein des Freistaates hatten wir alle miteinan- Die Frage ist: Gibt es denn auch Fehler im System? Wie der 2004 hier bekommen. passiert es? Welche strukturellen Hürden sind vorhanden, und wie muss man sie abbauen, damit Wissen angesam- Trotzdem ist es wichtig, das zu sagen. Etwas aus dem, melt, ausgetauscht wird und man sich zuständig fühlen was in den letzten Jahrzehnten passiert ist, zu lernen, das kann? Wir haben den Eindruck, dass diese Fehler im ist unsere Art und Weise, den Opfern, den Angehörigen 10566 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 und all denen, die beteiligt sind, Respekt zu zollen mit freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen unserer Arbeit. wollen, Staatsknete bekommen, dann finde ich das unter aller Sau. Was bleibt, sind natürlich Fragen, die die Staatsregierung beantworten können muss. Wie wollen Sie künftig sicher- (Beifall bei der FDP und der CDU – stellen, Herr Staatsminister, dass so etwas nicht wieder Zurufe von den LINKEN) passiert? Wie wollen Sie künftig sicherstellen, dass Wissen geteilt wird? Wie wollen Sie künftig sicherstellen, Meine Damen und Herren, vor etwas mehr als zwei dass sich sächsische Behörden zuständig fühlen? Wie Jahren hat der Sächsische Landtag auf Initiative der wollen Sie künftig sicherstellen, dass das Landesamt sagt, Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE was es weiß? Und wie wollen Sie künftig sicherstellen, GRÜNEN die Einsetzung dieses Untersuchungsausschus- dass solches Untertauchen nicht mehr möglich ist in ses mehrheitlich beschlossen. Es sollte insbesondere Sachsen? Das sind die Fragen, die bleiben. geklärt werden, ob es mögliche Versäumnisse oder Fehl- verhalten der Staatsregierung und deren nachgeordneter Wir glauben nicht, dass der Abschlussbericht des Innen- Sicherheitsbehörden gegeben haben soll, was dort ge- ministeriums von vor zwei Jahren Antworten auf diese macht wurde und welches Wirken es gegeben hat, die es Fragen gibt. Wir glauben, dass noch nicht alle Fragen ermöglicht haben, dass dieses Trio hier so lange uner- wirklich gestellt worden sind. Wir haben uns auch dafür kannt bleibt. ausgesprochen, in der nächsten Legislatur weiterzuma- Wir haben uns im Untersuchungsausschuss mit Vertretern chen, weil wir Eindrücke von dem bekommen haben, was von Polizei und Verfassungsschutz beschäftigt, wir haben die Polizei und das Landesamt getan haben. Wir möchten viele Zeugen vernommen und Sachverständige angehört. gern wissen, was in der Justiz in den letzten Jahrzehnten Wir haben den Innenminister gehört und namhafte Reprä- unternommen worden ist, um Strafverfolgung, Verfol- sentanten vernommen, die damals für die Bekämpfung gungsdruck aufzubauen. Und wir möchten ein genaueres des Rechtsradikalismus im Freistaat Sachsen zuständig Gefühl dafür bekommen, wie die Strukturen in den waren. Kommunen ausgeprägt gewesen sind, um die Zusammen- arbeit zwischen dem Land, zwischen den Sicherheitsbe- Wir haben teilweise in geheimer Sitzung Akten studiert, hörden und den Kommunen, um die Gefahr Rechtsextre- wir haben uns sehr intensiv mit den Vorgängen im Verfas- mismus richtig einschätzen zu können. sungsschutz beschäftigt und wir haben dort jederzeit Auskunft bekommen. Das sind Fragen, denen sich der Ausschuss noch nicht widmen konnte – weder in Zeugeneinvernahmen noch Ich möchte hier betonen: Ich hatte an keiner Stelle den mithilfe von Akten –, und die wollen wir auf jeden Fall in Eindruck, dass die Staatsregierung einschließlich des der nächsten Legislaturperiode klären. Wir hoffen, dass Landesamtes für Verfassungsschutz versucht hat, die dann zumindest das Wissen über das, was es jetzt teilwei- Arbeit des Untersuchungsausschusses zu behindern, ganz se an Erkenntnisinteresse auch aus den Reihen der Koali- im Gegenteil. Ich möchte Ihnen, Herr Staatsminister tion gab, im nächsten Landtag noch breiter wird, damit Ulbig, ausdrücklich danken, mit welcher Offenheit Sie das gemeinsame Problem auch tatsächlich gemeinsam diesen Untersuchungsausschuss unterstützt haben. Es gab gelöst wird. ganz andere Untersuchungsausschüsse hier im Freistaat Vielen Dank. Sachsen, bei denen der Untersuchungsausschuss mühselig jede Akte, die er haben wollte, einklagen musste. Das (Beifall bei der SPD, Gegenteil war hier der Fall: Was an Akten vorhanden war, den LINKEN und den GRÜNEN) das haben wir auch zügig bekommen.

1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die FDP- (Beifall des Abg. Benjamin Karabinski, FDP – Fraktion Herr Abg. Biesok, bitte. Beifall bei der CDU)

Carsten Biesok, FDP: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Auch als die Aufklärung gewesen ist, habe ich das eine Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möch- oder andere kritisiert, was an Informationspolitik vom te Ihnen, Frau Präsidentin, danken, dass Sie gleich am Ministerium gekommen ist und dass wir teilweise von der Anfang der Aussprache zu dem Bericht an die Opfer des Presse Informationen bekommen haben und wir als NSU erinnert haben. Während wir darüber diskutieren, Abgeordnete erst danach darüber unterrichtet worden sind. wenn wir politisch bewerten, was hier passiert ist, ob es ein Staatsversagen gegeben hat oder nicht, haben diese Aber einem möchte ich auch entgegentreten: dass hier Menschen ihren Vater, ihre Kinder oder ihren Ehemann Informationen nur scheibchenweise geflossen seien. Das verloren, und das sollten wir berücksichtigen, wenn wir war in der Natur der Sache begründet. Wenn der Staats- uns hier darüber streiten, was schiefgegangen ist. minister des Innern nach dem Auffliegen des NSU-Trios in seine Behörden gegangen wäre und dort einen Akten- Ehrlich gesagt, Frau Köditz, wenn Sie sich in Anbetracht schrank, wo „NSU“ draufstünde, mit einem vollständigen der zehn Morde hier in diesem Zusammenhang tatsäch- Akteninhalt hätte, den er hätte herausnehmen können, lich hinstellen und die Extremismusklausel ansprechen, dann hätten wir es in der Tat mit einem Staatsversagen zu damit weiterhin linksextreme Gruppen, die sich nicht zur

10567 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 tun gehabt; dann hätte man nämlich die Zusammenhänge noch nicht davon ausgehen, dass es sich um ein rechtsext- erkannt und hätte nicht gehandelt. Man musste sich aber remistisches Terrornetzwerk handelt; sondern man ist erst erst einmal die Zusammenhänge erschließen. einmal davon ausgegangen, dass man Einzeltaten hat, Es ist einfach, mit dem Wissen von heute zu sagen, wo dass man Banküberfälle und Mordfälle hat und dass es ein die Zusammenhänge gewesen sind. Wenn man erst einmal Trio gab, das vor sehr langer Zeit in Thüringen abgetaucht ist. die Zusammenhänge erkennen muss, dann findet man etwas, was man vielleicht bei der ersten Suche nicht Völlig abwegig und ungeheuerlich sind die Ausführun- gefunden hat – so bedauerlich das manchmal auch ist. gen, die wir hier teilweise von der NPD-Fraktion zu dem Thema gehört haben, wo von einem geheimdienstlichen Frau Köditz, wenn Sie hier die Untersuchungsarbeit Terrornetzwerk gesprochen und versucht wird, dem Staat aufgreifen, die wir im Untersuchungsausschuss geleistet anzuhängen, dass er dieses Netzwerk praktisch erfunden haben, möchte ich betonen: CDU und FDP haben alle Ihre habe, um hier die Bekämpfung von Rechtsradikalismus zu Beweisanträge mitgetragen. Wir haben uns enthalten. Wir legitimieren. haben es bei keinem Beweisantrag weggestimmt. (Holger Szymanski, NPD: (Jürgen Gansel, NPD: Auch bei unseren?) Das übersteigt Ihre Vorstellungen!) Wir haben bei keinem Antrag von Ihnen dafür gesorgt, Auch dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte, auch wenn dass er so verschoben wird, dass wir ihn nicht behandeln Sie das stets wiederholen. konnten, weil wir jederzeit Ihre Rechte, die Sie als Oppo- sition in einem Untersuchungsausschuss haben, gewahrt (Arne Schimmer, NPD: Das waren haben. Wir haben uns in Obleuterunden, die manchmal sehr viele, das wissen Sie ganz genau!) nicht ganz erfreulich waren von ihrer Dauer und von – Nein, das gibt es nicht. ihrem Ablauf her, darauf verständigt, wie wir möglichst schnell vorankommen und wie wir die Zeugen dann Meine Damen und Herren, eine Erkenntnis zieht sich für hören. mich wie ein roter Faden durch die Ausschussarbeit und wird immer wieder erneuert von Zeugenaussagen von (Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE) Mitarbeitern des Verfassungsschutzes und der Polizei: Bei Und – das muss man hierbei auch einmal sagen – wir der jahrelangen Suche nach dem Aufenthaltsort der drei haben hier ein Verfahren gewählt, mit dem wir jeder Gesuchten fand nur eine ungenügende Zusammenarbeit Fraktion so viel Raum zum Fragen gegeben haben, wie der verschiedenen Polizei- und Verfassungsschutzbehör- sie gern fragen möchte. Sie haben davon ausführlich den statt. Eine zentrale Koordination der Maßnahmen hat Gebrauch gemacht, Frau Köditz, und darin liegt auch zum es nicht gegeben. Informationen wurden nicht oder nur Teil begründet, dass wir einige Zeugen nicht mehr hören ungenügend ausgetauscht und erst recht nicht zusammen- konnten. Wenn wir uns auf ein Verfahren verständigt geführt. hätten, wie es beispielsweise der Bundesuntersuchungs- Es gab vielfach die Situation, dass Behörden nur ein ausschuss gemacht hat, dann hätten wir ein ganzes Stück- kleines Puzzleteilchen eines Mosaiks vorlag und sie chen mehr bewältigen können, aber dann hätten wir deshalb nicht das Gesamtbild erkennen konnten. Dies vielleicht mal das eigene „Hobby“ nicht ganz so weit hatten wir allerdings schon in dem Abschlussbericht der ausleben können. PKK festgestellt. Für mich als Obmann meiner Fraktion gibt es zwei Anhaltspunkten wurde in Teilen nicht mit der genügenden wesentliche Schlussfolgerungen, die aus der Arbeit im Gründlichkeit nachgegangen; vor allem wurde das Unter- NSU-Untersuchungsausschuss zu ziehen sind: Behörden stützerumfeld des Trios aus dem Netzwerk „Blood & des Freistaates Sachsen haben dem NSU-Trio keine Honour“ oder der „Kameradschaft Weißes Erzgebirge“ Unterstützung beim Untertauchen und beim Verbergen nicht erkannt. Das sind Versäumnisse, die damals aufge- oder sogar beim Begehen und Vertuschen von Mordtaten treten sind. Heute können wir das erkennen, weil wir den geleistet. Gesamtzusammenhang sehen. Zweitens. Anders als Sie, Frau Köditz, möchte ich mir in Es gab noch andere Versäumnisse. Meine Vorredner der Gesamtschau des Materials nicht anmaßen, zu der haben sie teilweise schon angesprochen, aber auch ich Feststellung zu kommen, dass es frühzeitig möglich möchte sie ausdrücklich noch einmal nennen, weil wir gewesen wäre, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in sonst in dem Verdacht stehen, die Sachen nicht klar genug Sachsen zu fassen. Es gibt nicht die Entscheidung, die die aufzudecken. Behörden hätten anders treffen können oder müssen, und alles wäre anders gekommen. Das LKA Sachsen war nicht über die Observationsmaß- nahmen im Hinblick auf die Fahndung im Zusammen- Wir müssen heute aufpassen – und da wiederhole ich hang mit den „Kripo live“-Sendungen von 1998 und 2000 mich gern –, dass wir nicht mit dem Wissen von heute das informiert. Informationen des Verfassungsschutzes Thü- Wissen der Vergangenheit bewerten. Das Trio war damals ringen, dass die Untergetauchten kein Geld mehr benötig- unbekannt – bis zu dem Selbstaufdecken, als in Zwickau ten, wurden nicht nach Sachsen weitergegeben, obwohl die Explosionen waren. Die Behörden mussten damals

10568 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 hierdurch Verbindungen zu den Banküberfällen in Chem- die Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz, nitz und Zwickau hätten erkannt werden können. da die Forschungseinrichtung ohne nachrichtendienstliche Ebenfalls flossen keine Informationen, wenn eine Behör- Mittel arbeiten würde. Das funktioniert meines Erachtens nicht. de auf dem Territorium eines anderen Bundeslandes tätig gewesen ist. Man hat denjenigen, die dort unterwegs Diese Vorschläge sind als Konsequenzen aus den Ver- waren, einfach nicht gesagt, welche Erkenntnisse man säumnissen in der NSU-Affäre nicht tauglich. Was wir selbst hatte. hier brauchen, sind eine viel stärkere Analysefähigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz sowie eine verstärkte Neben diesen Problemen, die in einigen Berichten schon föderale Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden. aufgetaucht sind, möchte ich einen persönlichen Eindruck Genau diese Maßnahmen finden sich derzeit schon in den aus der Zeugeneinvernahme durch den Untersuchungs- Empfehlungen der sogenannten Harms-Kommission; sie ausschuss vortragen. Wenn ich in Erinnerung rufe, was in werden entsprechend umgesetzt. einer Zeugenaussage über die Personalrekrutierung im Landesamt für Verfassungsschutz Anfang der Neunziger- Lassen Sie es mich an dieser Stelle wiederholen – ich jahre gesagt wurde, dann brauchen wir uns nicht zu habe es im letzten Plenum schon gesagt –: Ich bin sehr wundern, was wir als Ergebnis erhalten haben. Wenn ich froh darüber, was sich in den letzten Monaten im Landes- mir einige vernommene Polizeibeamte in Erinnerung rufe, amt für Verfassungsschutz an Umstrukturierungsmaß- dann frage ich mich, ob diese ihren Fähigkeiten und ihrer nahmen ergeben hat, wie dieses Amt jetzt arbeitet und Eignung entsprechend eingesetzt wurden. dass es offen kommuniziert. Was sind nun die Schlussfolgerungen aus diesen festge- Maßnahmen wie die Schaffung eines bundesweiten stellten Mängeln? Die einsetzende Opposition unterbreitet Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechts oder eines Ge- bekanntlich Vorschläge. So will DIE LINKE das Landes- meinsamen Informations- und Analysezentrums von amt für Verfassungsschutz als „unreformierbar“ abschaf- Landeskriminalamt und Verfassungsschutz sind in Arbeit fen; wir haben es gerade eben wieder gehört. Dafür gab es bzw. werden bereits umgesetzt. Auch das ist eine Konse- nur Applaus von der NPD – die wissen, warum –, nicht quenz aus dem, was wir hier an Versäumnissen erkannt einmal von Ihrer eigenen Fraktion. haben. Diesen Vorschlag hatten Sie bereits im Laufe der letzten Ich persönlich würde noch einen Schritt weitergehen und Haushaltsverhandlungen unterbreitet. Sie werfen dem dazu auffordern, zu überdenken, ob es heute noch sinnvoll Verfassungsschutz vor, sein Wirken könne niemals trans- ist, 16 selbstständige Landesämter für Verfassungsschutz parent sein. Zugegeben: Vollkommene Transparenz des zu haben oder ob man diese nicht zusammenführen sollte, Verfassungsschutzes werden wir nie haben. Das verträgt und zwar auch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz sich auch nicht mit dessen Aufgabe. Aber, meine Damen und dem Militärischen Abschirmdienst. und Herren, wir haben eine wehrhafte Demokratie. Einer Meine Damen und Herren! Extremisten machen nicht an wehrhaften Demokratie müssen wir Mittel in die Hand den Grenzen von Bundesländern halt. Das haben wir auch geben, damit sie sich schützen kann. Dazu gehört nun im NSU-Komplex gesehen. Es war denen egal, ob sie in einmal die Beobachtung von Extremismus. Thüringen oder in Sachsen waren. Aber es haben zwei Ich möchte es noch einmal deutlich sagen: Das ist nicht Behörden ganz unterschiedlich gearbeitet, und man hat nur eine Frage des Extremismus von rechts. Wir müssen die Erkenntnisse nicht zusammenführen können. weiterhin auch auf dem linken Auge wachsam sein. Wir Wünschenswert ist für mich auch die Stärkung der parla- dürfen nicht den Fehler machen, der teilweise in der alten mentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes. Dies – Bonner – Republik gemacht wurde: nur auf den Links- wird auch in dem Harms-Bericht kurz angesprochen. Wir terrorismus zu sehen und auf dem rechten Auge blind zu täten gut daran, wenn wir in der nächsten Legislaturperio- sein. Wir dürfen jetzt nicht komplett umschwenken und de darüber nachdenken würden, wie wir die parlamentari- uns nur noch „rechts“ anschauen. sche Kontrolle besser bewerkstelligen können. Ich erinnere daran: Aus der 68er Bewegung sind sowohl Abschließend möchte ich eines bemerken: Wir sollten die GRÜNEN als auch die RAF hervorgegangen. nicht darüber spekulieren, ob das Vorliegen einer vorbild- (Unruhe bei den LINKEN und den GRÜNEN – lichen bundesweiten Zusammenarbeit, länderübergreifen- Eva Jähnigen, GRÜNE: Früher gab der Information und ausgebauter Kontrolle dazu geführt es noch Liberale! Das ist lange her!) hätte, dass dieses Trio hätte ergriffen werden können. Das wäre Spekulation; daran möchte ich mich nicht beteiligen. Deshalb muss man genau nachschauen, ob es auch in anderen Bereichen Bestrebungen gibt, die sich extremis- Ich danke Ihnen. tisch entwickeln können. (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU) Auch der Vorschlag der GRÜNEN, das Landesamt für Verfassungsschutz zumindest teilweise durch ein Institut 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die Fraktion für Demokratieforschung zu ersetzen, kommt mir sehr der GRÜNEN Herr Abg. Jennerjahn, bitte. bekannt vor. Aber auch das ist letztlich nichts anderes als

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Miro Jennerjahn, GRÜNE: Sehr geehrte Frau Präsiden- Zweitens. Herr Biesok, Sie sagen, Thüringen habe nicht tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesok, zwei ausreichend informiert. Noch einmal: Das sächsische LfV kurze Vorbemerkungen zu Ihnen: Ich glaube, die Ge- hatte ausreichende Informationen darüber, was geschehen schichte der 68er Bewegung arbeiten wir gesondert auf; könnte. Spätestens am 17. September 1998 wusste das ich schaffe es nicht in zehn Minuten, so viel Unwissenheit LfV, dass das Trio auf der Suche nach einer Waffe ist, um zu heilen. damit weitere Überfälle zu begehen. (Beifall bei den GRÜNEN, Ich habe intensiv nachgefragt. Diese Information ist vom den LINKEN und der SPD) Verfassungsschutz Sachsen definitiv nicht an die sächsi- sche Polizei weitergegeben worden. Die zweite Vorbemerkung: Sie haben der Kollegin Köditz vorgeworfen, sie sei gegen die Extremismustheorie, damit (Patrick Schreiber, CDU: Warum denn?) linksextremistische Organisationen im Freistaat Sachsen Das ist nun einmal ein zentrales Versagen des sächsischen weiterhin Staatsknete in Empfang nehmen könnten. Sie LfV, weil ich mir auch sicher bin, dass die sächsische wissen genauso gut wie ich – das hat der Innenminister im Polizei mit dieser Information ganz andere und vor allem Sächsischen Landtag auf meine mündliche Anfrage hin eigenständige Maßnahmen zum Auffinden des Trios protokollfest bestätigt –, dass im Freistaat Sachsen zu ergriffen hätte. keinem Zeitpunkt Fördermittel an linksextremistische Organisationen geflossen sind. (Beifall bei den GRÜNEN) (Jürgen Gansel, NPD: Nein, Der nächste Punkt: Auch eine weitere Einschätzung des überhaupt nicht! Unvorstellbar!) LfV wurde der sächsischen Polizei nicht mitgeteilt. Im Jahr 2000 begründete das LfV eine G-10-Maßnahme Was Sie hier behauptet haben, entspricht schlichtweg gegen das Trio und gegen Unterstützer mit folgenden nicht der Wahrheit. Ich finde es unwürdig, dass Sie im Worten: „Das Vorgehen der Gruppe ähnelt der Strategie Rahmen der Befassung mit diesem Abschlussbericht diese terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen Unwahrheit noch einmal explizit in den Raum gestellt gemeinsamen Zweck verfolgen. Zweck der Vereinigung haben. ist es, schwere Straftaten zu begehen. Außerdem ist bei (Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN) dem Trio eine deutliche Steigerung der Intensität bis hin zu schwersten Straftaten feststellbar.“ Kollegin Köditz hat gegen die Extremismustheorie geredet, weil sie wissenschaftlich nicht haltbar ist. Das ist In den Vernehmungen durch den Untersuchungsausschuss wissenschaftlicher Konsens, jedenfalls soweit man sich sagten die Zeugen Boos und Vahrenhold demgegenüber außerhalb des Territoriums des Freistaates Sachsen begibt. aus, das LfV habe zum damaligen Zeitpunkt keine bzw. keinerlei Anhaltspunkte für die Existenz rechtsextremisti- Aber kommen wir zu dem vorliegenden Bericht. Wir scher oder rechtsterroristischer Gruppierungen in Sachsen haben zwei Jahre lange intensiv gearbeitet. Es ist eines gehabt. Wegen dieser Aussage habe ich Strafanzeige sehr deutlich geworden: Die Staatsregierung hat seit wegen des Verdachts der falschen uneidlichen Aussage Anbeginn des Auffliegens des NSU immer wieder das erstattet. Bild gemalt, die sächsischen Behörden hätten im Grunde alles richtig gemacht. Die Schuld sei in Thüringen zu Es gibt noch eine zweite Version: Möglicherweise liegt suchen, weil die dortigen Behörden nicht ausreichend eine bewusste Täuschung der G-10-Kommission vor, die informiert hätten. Auch Herr Biesok hat gerade wieder über die Maßnahme zu entscheiden hatte. Im Raum steht versucht, diese Behauptung ein Stück weit hochzuziehen. der Verdacht, dass dieser G-10-Antrag künstlich aufgebla- sen wurde, um die Genehmigung zu erhalten. Ich kann dazu nur sagen: Nach zwei Jahren Ausschussar- beit ist eindeutig: Dieses Bild ist nicht aufrechtzuerhalten. Der vierte Punkt: Dass es im Zusammenhang mit der Ich will einige Beispiele nennen. Aufklärung der Verbrechen des NSU bundesweit zu Aktenvernichtungen gekommen ist, ist an sich schon ein Erstens. Sächsische Behörden hätten aufgrund eigener unglaubliches Phänomen, und auch in Sachsen waren wir Zuständigkeit nach dem Trio fahnden müssen. Das gilt für damit konfrontiert. Die Sächsische Staatsregierung betont den Verfassungsschutz wie für die Polizei. Nach dem in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis des Untersuchungs- Sächsischen Verfassungsschutzgesetz lag die Zuständig- ausschusses, dass der Datenschutzbeauftragte, der ehema- keit für die Suche nach dem Trio beim Sächsischen lige Präsident des LfV, Herr Boos, und die Harms- Verfassungsschutz. Alle Behörden hatten starke Hinweise Kommission keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden darauf, dass das Trio in Sachsen untergetaucht ist. Die hätten, dass Akten mit NSU-Bezug vernichtet wurden. Übernahme wurde aber nach allem, was wir wissen, durch das LfV Sachsen abgelehnt. Dass eigenständige Ermitt- Ich möchte das an dieser Stelle noch einmal klarstellen: lungspflichten sächsischer Behörden bestanden, wurde Bis auf diejenigen, die die Akten vernichtet haben, weiß uns auch von den Sachverständigen Prof. Wolff und keiner, was in den vernichteten Akten stand, und sich auf Prof. Gusy ziemlich zu Beginn des Untersuchungsaus- die Täter als Zeugen zu berufen, das macht nicht einmal schusses ausdrücklich bestätigt. ein Jurastudent im 1. Semester. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir können es bis heute nicht aus-

10570 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 schließen, dass nach dem 4. November 2011 Akten mit heutigen Regierungserklärung auf das Thema NPD und NSU-Bezug durch das LfV vernichtet wurden. Rechtsextremismus eingegangen sind. Aber auch da ging In der Zusammenschau ist deutlich geworden, dass es immer nur um das Image Sachsens. Es geht bei diesem sächsische Behörden ein erhebliches Maß an Verantwor- Thema aber nicht vordergründig um das Image Sachsens, es geht hier um Menschenleben. tung dafür tragen, dass der sogenannte NSU nicht früher enttarnt und an seinem Verbrechen gehindert wurde. Das Herr Ulbig, Sie sind für Ihren Ministerpräsidenten zumin- ist auch die Verantwortung, der wir uns gemeinsam dest zum Teil eingesprungen. Sie haben im Landtag, aber stellen müssen. auch in Zwickau gesprochen und haben versucht, Fragen zu beantworten. Aber auch Sie sind letztlich passiv Das ist auch der Punkt, wo ich noch einmal auf einen geblieben. Wirklich eigenständige Aufklärungsbemühun- anderen Punkt eingehen möchte: Als der Bundestagsun- gen seitens der Staatsregierung, wie es sie zum Beispiel in tersuchungsausschuss im vergangenen September den Thüringen gegeben hat, waren hier nicht zu verzeichnen. Abschlussbericht zur nationalsozialistischen Terrorgruppe Der im Juni 2012 vom Innenminister vorgelegte vorläufi- vorgelegt und beraten hat, wurde insbesondere in den ge Abschlussbericht zum Fallkomplex Nationalsozialisti- einleitenden Worten von Bundestagspräsident Dr. Norbert scher Untergrund wurde nie zu einem Abschlussbericht. Lammert das tief empfundene Mitgefühl mit den zehn Er wurde auch nach dem Auffinden von Unterlagen im Mordopfern und ihren Angehörigen deutlich. Dem möch- LfV nie ergänzt. Es wurde schlicht nicht weiter aufgear- te ich auch heute noch einmal Ausdruck verleihen. Ich beitet. danke an dieser Stelle auch der Frau Präsidentin, dass sie zu Beginn der Sitzung nochmals darauf eingegangen ist. Auch wenn es jetzt hart klingen mag: Genau diese Hal- tung, Verantwortung für neonazistisches Wirken und Im Bundestag ist aber auch eines deutlich geworden, Denken in Sachsen von sich zu schieben, neonazistische nämlich der unbedingte Wille, über alle Parteigrenzen Umtriebe allenfalls als Imageproblem zu sehen, Rechts- hinweg aufzuklären, warum es deutschen Behörden nicht extreme reflexhaft immer in einem Atemzug mit Links- gelungen ist, die über Jahre geplanten und ausgeführten extremen zu nennen und Fehler bei Behörden außerhalb Verbrechen des NSU rechtzeitig aufzuklären und zu Sachsens zu suchen, auch um möglicherweise von eige- verhindern. Ich sage das auch noch einmal deutlich: Ich nen Fehlern abzulenken, genau diese Haltung Sachsens ist bedaure es außerordentlich, dass es in Sachsen nicht es, die es dem NSU-Trio leicht gemacht hat, hier unterzu- möglich war, diesen großen demokratischen Konsens im tauchen. Sinne der Aufklärung herzustellen, und dass es nicht möglich war, einen von den fünf demokratischen Fraktio- (Beifall bei den GRÜNEN, nen getragenen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Das den LINKEN und der SPD) hat sich in der Konsequenz auch in der Arbeit des Aus- Dass diese oder auch die nächste Staatsregierung eigene schusses bemerkbar gemacht. Wir sind deutlich langsamer Aufklärungsinstrumente zu den Fehlern und Versäumnis- vorangekommen als die Untersuchungsausschüsse im sen sächsischer Behörden bei der Suche nach dem Trio Bundestag, in Thüringen und in Bayern mit der Konse- oder bei der Bekämpfung neonazistischer Bestrebungen quenz, dass aus Sicht der demokratischen Opposition ein neuer Untersuchungsausschuss notwendig wird. einsetzt, wage ich nicht zu hoffen; denn die Staatsregie- rung schreibt in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis der Herr Ministerpräsident, Herr Innenminister, Herr Justiz- Beweisaufnahme des NSU-Untersuchungsausschusses, minister, wie wichtig wäre es für die Mordopfer der dass mit den eingeleiteten Maßnahmen der Sächsischen neonazistischen Terrorgruppe gewesen, wenn Sachsen, Staatsregierung, der verantwortlichen Stellen anderer wo sich das Trio mithilfe eines polizei- und verfassungs- Länder und des Bundes – ich zitiere – „die Voraussetzun- schutzbekannten Netzwerkes über 14 Jahre lang unbehel- gen dafür geschaffen wurden, dass sich ein Phänomen wie ligt hat aufhalten können, Vorreiter in der Aufklärung der nationalsozialistische Untergrund nach menschlichem gewesen wäre. Ermessen künftig nicht wiederholen wird.“ Herr Tillich, Sie haben es nach dem Auffliegen des Na, da ist ja alles gut. Nein, ist es nicht! Es kann einfach nationalsozialistischen Untergrundes leider versäumt, in so nicht weitergehen. Wir brauchen in diesem Lande ein diesem Hohen Haus das Wort an die Opfer und ihre Umdenken. Rassismus muss endlich als das Problem Angehörigen zu richten, von einer Initiative zur Aufarbei- ernst genommen werden, das es ist. Ihm ist in allen tung etwaiger Fehler und Versäumnisse sächsischer gesellschaftlichen Bereichen entgegenzutreten. Dazu Behörden ganz zu schweigen. Im Gegenteil, Ihnen ging es gehört die Aufklärung aller Straftaten, die mit rassisti- in erster Linie um das Image Sachsens. Ich zitiere: „Das schen Motiven begangen wurden. Staatsanwaltschaft und ist nicht Ausdruck dessen, was Sachsen eigentlich bedeu- Polizei müssen sich entsprechend spezialisieren. tet. Es schmälert die Leistung der Menschen. Das ist Und auch das gehört zur Wahrheit: Das LfV hat in dieser unfair. Wir Sachsen werden für etwas verantwortlich Hinsicht komplett versagt und ist daher abzuschaffen. Zu gemacht, wo wir das Gegenteil unter Beweis gestellt haben, zum Beispiel mit vielen Initiativen.“ einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesem Thema gehört dann aber auch, Rassismus in der Mitte der Gesell- Diese Worte stammen aus dem Dezember 2011 in einem schaft zu erkennen und vor allem auch zu bekämpfen. Das Interview zum Terrortrio. Es ist schön, dass Sie in Ihrer 10571 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 muss unsere oberste Zielstellung sein, und zu diesem dieses Zwickauer Skinhead- und V-Mannes ist dazu Zweck müssen zivilgesellschaftliche Initiativen und geeignet, den gesamten NSU-Komplex in seinen Grund- bürgerschaftliches Engagement ohne Extremismusklausel festen zu erschüttern. Marschner wurde von 1992 bis gefördert und unterstützt werden. 2002 als V-Mann im Bereich des Rechtsextremismus Ich danke für die Aufmerksamkeit. eingesetzt und wohnte nach dem Umzug des Trios von Chemnitz nach Zwickau im Juli 2000 in unmittelbarer (Beifall bei den GRÜNEN, Nähe der Zwickauer Polenzstraße, wo auch Mundlos, den LINKEN und der SPD) Böhnhardt und Zschäpe wohnten. Obwohl V-Mann „Primus“ als absolute Topquelle galt, über die gesamte 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die NPD- rechte Szene in Westsachsen ausführlich berichtete und Fraktion Herr Abg. Schimmer. Bitte. Hunderte von Konzertbesuchern von Skinhead-Konzerten Arne Schimmer, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen identifizierte, soll er angeblich im Rahmen seiner V- und Herren! „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen Mann-Tätigkeit nie über das Trio berichtet haben, obwohl betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Dieses eine Zeugenaussage vorliegt, dass Beate Zschäpe in einem seiner Läden in Zwickau Stammgast war. Zitat aus dem Epilog von Bertolt Brechts Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan“ passt perfekt zur bisheri- Dieser V-Mann „Primus“ war Ralf Marschner, besaß in gen Aufarbeitung des sogenannten NSU-Komplexes. Zwickau aber nicht nur zwei Szeneläden, sondern auch Dieses Zitat passt deshalb so perfekt, weil nicht nur die eine Baufirma. Genau von jener Firma mit dem Namen Liste der Widersprüche, offenen Fragen und Ungereimt- „Bauservice Marschner“ wurde vom 13. Juni 2001, heiten in der offiziellen Darstellung dieser Verbrechensse- 18 Uhr bis zum 14. Juni 2001, 18 Uhr ein Lieferwagen rie geradezu unvorstellbar lang ist, sondern auch die angemietet, also genau für das kurze Zeitfenster, in dem starke Verdunklungsbereitschaft staatlicher Organe zeigt, sich in Nürnberg der zweite Mord der sogenannten Česka- dass der gesamte NSU-Komplex eine Staatsaffäre dar- Mordserie ereignete. stellt, in der Aufklärung unerwünscht ist. Das hat sich Aber damit nicht genug. Obwohl sowohl Marschners auch hier im Freistaat Sachsen gezeigt. Läden als auch sein Baugeschäft schlecht laufen und die (Beifall bei der NPD) Anmietung größerer Fahrzeuge deshalb eine absolute Ausnahme bleibt, wird über die Baufirma des V-Mannes Die Linie, auf die sich die sächsischen Behörden festge- „Primus“ auch für den 29. August 2001 ein Fahrzeug legt haben, lässt sich mit zwei Sätzen zusammenfassen. angemietet, weil sich in München der vierte Mord der Der erste lautet: Nicht in Sachsen, sondern nur in Thürin- sogenannten Ceska-Serie an dem Gemüsehändler Habil gen wurden Fehler gemacht. Der zweite lautet: Die Arbeit Kilic ereignet. des Landesamtes für Verfassungsschutz darf nie grund- sätzlich infrage gestellt werden. Ja, meine Damen und Herren, so ist das eben im NSU- Komplex. Was in einem normalen kriminalistischen Eine auch nur ansatzweise Aufklärung des NSU- Verfahren als brennend heiße Spur gelten würde, wird Komplexes ist so natürlich nicht möglich. Aber sie ist hier bagatellisiert, denn im NSU-Verfahren sind die schließlich auch gar nicht erwünscht, obwohl es gerade in Regeln eines normalen Verfahrens auf den Kopf gestellt. Sachsen sehr viel aufzuklären gäbe, denn schließlich Alles, jedweder noch so gravierende, noch so zum Him- haben sich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe mel schreiende Widerspruch wird hier entweder zur Mundlos in der fast 14-jährigen Zeit ihres Untertauchens Panne oder zum Zufall erklärt, und niemand soll es doch fast ausschließlich auf dem Gebiet des Freistaates Sach- wagen, Fragen zu offensichtlichen Widersprüchen zu sen aufgehalten. stellen, denn dann ist man doch ein Verschwörungstheore- Auch das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz tiker oder ein Spinner. war ständig dran am allerengsten NSU-Umfeld. Schon am Die völlig aus dem Rahmen fallenden Fahrzeuganmietun- 29. Juli 2000 observierte das LfV Sachsen unter dem gen über Marschners Baufirma sind hier in der zynischen Fallnamen „Steiger“ ein Treffen in Johanngeorgenstadt Lesart, die auch vom Innenminister geteilt wird, also ein zur Vorbereitung eines Konditionsmarsches, an dem auch Zufall. Die Vernichtung von Marschners V-Mann-Akten André Eminger teilnahm. Seit dem Sommer 2000 also schon vor dem Ende der Löschfrist ist natürlich nichts war der letzte Kontaktmann von Beate Zschäpe, also anderes als eine Panne. Mit dieser völlig selbstreferenziel- André Eminger, im Visier des Landesamtes und blieb dort len und redundanten Art und Weise der Argumentation auch für die folgenden Jahre. Mal gab es wie im wird der eigentliche Untersuchungsgegenstand hermetisch März 2003 Überlegungen, ihn als V-Mann zu gewinnen, vor jedweder Aufklärung abgeschirmt, und man kann mal gab es wie im Dezember 2006 weitere Observationen dennoch – wenn auch mehr schlecht als recht – eine Art unter dem fantasievollen Namen „Grubenlampe“. pseudorechtsstaatliche Fassade mit Mühe und Not auf- Noch viel unglaublicher ist der Fall des V-Mannes rechterhalten. „Primus“ alias Ralf Marschner, der von allen seinen Gleichzeitig wird gebetsmühlenartig und argumentations- Freunden nur „Manole“ gerufen wurde und im Auftrag los ständig das Mantra wiederholt, dass der sogenannte des Bundesamtes für Verfassungsschutz spitzelte. Der Fall Verfassungsschutz doch tolle Arbeit leistet und den

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Rechtsextremismus bekämpft, wie es beispielsweise der Thüringer Geheimdienst immer weiter wächst und der Kollege Biesok hier anlässlich unserer Aktuellen Debatte Zielfahnder Wunderlich dann in einem Vermerk die mehr zum Thema, die im Juni stattfand, erklärt hat. Dieses von als naheliegende und nachvollziehbare Überlegung Herrn Biesok angesprochene Bekämpfen darf man sich äußert, dass Beate Zschäpe eine V-Frau des Verfassungs- dann wahrscheinlich so wie in Thüringen vorstellen, als schutzes sei? Das zieht sich doch wie ein roter Faden der V-Mann Tino Brandt als Anführer des „Thüringer durch die gesamten Bemühungen, das untergetauchte Trio Heimatschutzes“ mit 200 000 D-Mark Staatsknete aus festzunehmen. Hinter dem ganzen aufgesetzten Aktivis- dem Säckel des sogenannten Verfassungsschutzes erst im mus, der wie ein großes Alibi wirkt, kommt gähnendes großen Maßstab politisch handlungsfähig gemacht wurde Desinteresse – mehr noch: der regelrechte Wille – zur und nebenbei noch Straftaten am Fließband begehen bewussten Sabotage der eigenen Bemühungen zum konnte, wobei die zugehörigen Ermittlungsverfahren Vorschein, wenn Festnahmen möglich sind, und das ist immer niedergeschlagen wurden. doch die Schweinerei gewesen. Oder man darf sich dieses Bekämpfen wie hier im Frei- (Beifall bei der NPD) staat Sachsen vorstellen, als der V-Mann „Primus“ dick im Vertrieb illegaler „Landser“-CDs mitmischte. Dieser So liegt mittlerweile auch die bemerkenswerte Zeugen- Vertrieb war sogar, wie man heute rückblickend feststel- aussage eines Jenaer Polizisten vor. Die Polizist bekam len kann, in weiten Teilen in der Hand von V-Leuten zwei Wochen vor der Verjährungsfrist im Juni 2003 einen diverser Geheimdienste. Hinweis von einem alten Freund Uwe Böhnhardts, dass sich Böhnhardt wieder in Jena aufhalte, woraufhin dieser (Zuruf von der NPD: Seltsam!) Polizist wiederum bald darauf einen Anruf des Thüringer Aber nicht nur die Umstände des Untertauchens des Trios Polizeipräsidenten, Werner Jackstat, bekam, der anwies, in Zwickau sind bemerkenswert, sondern auch das zwei- zwar rauszufahren, ein bisschen zu suchen, aber bitte doch nichts zu finden. einhalbjährige Untertauchen in Chemnitz vom Januar 1998 bis zum Juli 2000 ist durch diverse Merkwürdigkei- (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) ten gekennzeichnet. Das gesamte "Blood & Honour"- Netzwerk in Chemnitz der Jahrtausendwende, das das Diese Aussage wurde mittlerweile von einem anderen Trio beim Untertauchen unterstütze, war – das wissen wir Beamten, nämlich Marko Grosa, dem damaligen Chef des heute besser als noch vor zwei Jahren – durchweg von V- Staatsschutzdezernats Jena, vor dem Thüringer NSU- Leuten durchsetzt, wurde akribisch von diversen Geheim- Untersuchungsausschusses bestätigt und nochmals mit diensten überwacht und war Gegenstand zahlreicher G- einer eidesstattlichen Versicherung bekräftigt. Meine 10-Maßnahmen. Allein im Jahr 2000 führte das Sächsi- Damen und Herren, was ist das denn nun? Ein Zufall oder eine Panne? sche Landesamt für Verfassungsschutz mehr als ein halbes Dutzend Observationsoperationen in Chemnitz Ähnliches spielte sich im August 1998 ab, als der wegen unter der Bezeichnung „Terzett“ durch. Parallel dazu versuchten Mordes vorbestrafte V-Mann „Piato“ – alias observierte das Thüringer Landesamt die Strukturen der Carsten Szczepanski – die Quellenmeldung lieferte, nach Skinhead-Vereinigung "Blood & Honour" in der Stadt. der sich drei wegen Sprengstoffdelikten gesuchte Unter- getauchte im Großraum Chemnitz aufhielten und nun Die bemerkenswerteste dieser Observationen wird sich drauf und dran wären, sich zu bewaffnen. Eine Anfrage am 6. Mai 2000 in Chemnitz zutragen. Dort fotografierte wegen des Waffenkaufs, die berühmte „Hallo, was ist mit 19:10 Uhr eine Observationsstreife Uwe Böhnhardt vor dem Bums?“-SMS, ging tatsächlich auf ein auf den der Bernhardstraße 11 und machte dann – wie immer – Brandenburger Verfassungsschutz zugelassenes Handy nichts. Uwe Böhnhardt kann in dieser Nacht wohl noch ein. Es muss auch nicht weiter betont werden, dass mutmaßlich in der Bernhardstraße 11 übernachten, aber selbstverständlich auch diese Quellenmeldung versandete. eine Festnahmeeinheit wird nicht benachrichtigt und damit wieder einmal eine einmalige Möglichkeit vertan. Der Zielfahnder Sven Wunderlich ärgert sich noch heute, dass man ihn und seine Kollegen nicht darüber informier- Das Ganze geht dann komischerweise genauso schlecht te, dass sich das Trio möglicherweise bewaffnet habe und und dilettantisch weiter. Die Fotos bleiben erst einmal man so von den Inlandsgeheimdiensten in Lebensgefahr wochenlang liegen, bevor das BKA mit Blick auf alte gebracht wurde, und zog im Oktober 2013 vor dem Fotos von Böhnhardt zu der Feststellung kommt – ich Thüringer Untersuchungsausschuss nochmals das Resü- zitiere -: „Die bei einem allgemeinen Vergleich festge- mee – ich zitiere -: „Wir sollten das NSU-Trio nicht stellten optischen Übereinstimmungen deuten darauf hin, kriegen.“ – So der Zielfahnder Sven Wunderlich. dass es sich bei der auf den betreffenden Aufnahmen Jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen – das ist abgebildeten Person um ein und dieselbe Person handelt.“ noch einmal sehr interessant –: Was ist denn eigentlich – Der Zielfahnder Sven Wunderlich wird über Böhnhardts aus dem damaligen V-Mann-Führer „Piato“ geworden, Sichtung vor dem Haus von Mandy Struck geschlagene neun Tage später informiert. der dieses wirklich gigantische, unvergleichliche Total- versagen zu verantworten hat? Meine Damen und Herren, wollen wir uns wirklich darüber wundern, dass die Wut der Kripobeamten auf den (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

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Wurde dieser V-Mann-Führer – was man eigentlich umfangreichen eigenen Recherchen zum Mord an seinem erwarten kann – vielleicht entlassen? Wurde er strafver- Vater einen Namen weit über die wissenschaftliche setzt? – Nein, dieser V-Mann-Führer heißt Gordian Fachwelt hinaus, in der er wirkt, gemacht hat. In einem Meyer-Plath, sitzt mittlerweile in der Neuländer Straße in Leserbrief unter dem Titel „NSU und RAF“ in der Dresden beim Landesamt für Verfassungsschutz und ist „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 5. Mai 2014 der Chef vom ganzen Laden. So sehen in Sachsen die schreibt Prof. Buback – ich zitiere –: „Was bringt es, über Konsequenzen aus, die aus dem NSU-Komplex gezogen Beate Zschäpe zu schreiben? Die Einzige, die sagen wurden. könnte, wie es war, schweigt beharrlich. Soll das heißen, die Justiz benötigt die Unterstützung von Angeklagten, (Beifall bei der NPD) um Verbrechen aufzuklären? Angeklagte sind nicht Man wird doch einmal die Frage stellen dürfen, was verpflichtet, sich zu belasten. Es gibt keine Alternative zur Gordian Meyer-Plath eigentlich neben seinem Totalversa- konsequenten Arbeit der zuständigen Ermittler und gen im NSU-Komplex so richtig gemacht hat, dass er Strafverfolger. Im ausführlichen Beitrag zum NSU- nun, nach dem Auffliegen des NSU, Behördenchef Verfahren wird nicht auf die vielfältigen Parallelen zum geworden ist. kürzlich beendeten Stuttgarter RAF-Prozess hingewiesen. Auch in Sachsen wird beschönigt und gemauert, was das Auch beim Karlsruher Attentat wurde über sehr lange Zeit Zeug hält. Man muss bloß einmal einen Blick in die nicht gegen dringend Tatverdächtige vorgegangen. Akten Beweiswürdigung von CDU und FDP und auch in den verschwanden oder wurden vernichtet, und es gab Kon- leider recht dürftigen Sachbericht des Bundesanwalts takte zwischen terroristischem Bereich und Geheimdienst. a. D. Volkhard Wache werfen, um zu folgendem Ergebnis Der Stuttgarter Senat konnte seine Aufklärungspflicht zu kommen: Im Grunde genommen sind die vielen Worte nicht erfüllen und die Karlsruher Mörder nicht nennen. in beiden Berichten das Papier nicht wert, auf dem sie Beim NSU-Komplex sind Ermittler und Strafverfolger gedruckt wurden. Es hätte auch gereicht, die Grundaussa- erst nach dem Tode von zwei Tatverdächtigen überzeugt, ge in 15 Worten zu komprimieren, die da lauten: Es sind dies seien die Mörder gewesen, da die Tatwaffe in ihrem alles bloß Zufälle und Pannen, und Fehler wurden ohne- Bereich gefunden wurde. Beim Karlsruher Attentat zog hin bloß in Thüringen gemacht. die Bundesanwaltschaft den umgekehrten Schluss: Die zwei Personen, die bei ihrer Ergreifung die Tatwaffe mit Die NPD-Fraktion hofft jedenfalls, dass die Staatsregie- sich führten, seien nicht die Tatausführenden gewesen, da rung mit dieser Linie in den nächsten fünf Jahren, in eine solch brisante Waffe an Dritte weitergegeben wurde. denen es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit einen neuen Was gilt denn nun? Die Verbrechensaufklärung wird Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex geben soll, offensichtlich schwer, wenn es ein Zusammenwirken nicht mehr weiter durchkommen wird. Dazu ist dann im geheimdienstlicher Stellen mit Personen im terroristi- neuen Untersuchungsausschuss, der von der NPD unter- schen Bereich gegeben hat. Die weisungsgebundene stützt werden wird, mehr Bissigkeit zu wünschen. Stefan Bundesanwaltschaft stößt an ihre Grenzen. Wie soll die Aust, der Co-Autor der bahnbrechenden Arbeit „Heimat- Aufklärung der NSU-Morde durch die Befragung von schutz. Der Staat und die Mordserie des NSU“ hat es in Ferienfreunden und ehemaligen Nachbarn des Trios einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk am vorangebracht werden, wenn ein Verfassungsschützer, der 16. Juni 2014 auf den Punkt gebracht, indem er sagte – ich zitiere -: in Kassel zur Tatzeit am Tatort war, nichts bemerkt hat? Wenn Geheimdienste im Spiel sind, kommt man nicht „Jetzt sind alle Leute der Meinung, das sind zwei Leute weiter, sagte mir ein kenntnisreicher Beobachter zu gewesen, die glücklicherweise tot sind. Und jetzt können Beginn des Prozesses. Dies wollte ich nicht glauben. Wer wir den Deckel zumachen. Das ist, glaube ich, nicht der Angehörige durch ein politisch motiviertes Verbrechen Fall. Jeder, der auch nur Fragen stellt, wird irgendwie verloren hat, bei dem die Täterschaft in einer Grauzone schon als Verschwörungstheoretiker in Frage gestellt. Das liegt, muss sehr viel hinnehmen und auf Auskunft über ist das Problem.“ Tat und Täter verzichten, die nicht nur ehemalige Terro- Ja, meine Damen und Herren, das ist tatsächlich das risten geben könnten.“ – Prof. Dr. Michael Buback, Problem. Diejenigen, die mit den Maßstäben der krimina- Göttingen. listischen und allgemeinen Logik an den NSU-Komplex Meine Damen und Herren! Sollten diese zutiefst pessi- herangehen, werden zu Verschwörungstheoretikern und mistischen Zeilen, in denen immer noch die spürbare Spinnern erklärt, während diejenigen, die zu mauern und Fassungslosigkeit darüber nachschwingt, dass es in beschönigen versuchen, sich selbst den Anschein des Deutschland offenbar doch rechtsstaats- und aufklärungs- Seriösen geben, was auch in den Debatten zu diesem freie Zonen gibt, tatsächlich das letzte Wort im NSU- Thema in diesem Haus ständig der Fall ist. Komplex sein? Hören Sie eine andere Stimme, nämlich Aber lassen wir noch jemanden zu Wort kommen, dem die von Kanzlerin Angela Merkel, die beim Staatsakt für man schon aufgrund seiner persönlichen Biografie eine die Opfer des NSU, der am 23. Februar 2012 in Berlin gewisse Autorität zubilligen wird, nämlich Prof. Micha- stattfand, ausführte – ich zitiere –: „Als Bundeskanzlerin el Buback, Sohn des von der RAF ermordeten früheren der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Generalbundesanwalts Siegfried Buback, der sich mit Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfers-

10574 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 helfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer (Jürgen Gansel, NPD: Durch gerechten Strafe zuzuführen.“ Aktenvernichtung! Stellen Sie sich doch nicht „döfer“ an, als Sie ohnehin sind!) (Jürgen Gansel, NPD: Da lügt jemand!) – Frau Präsidentin! „Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck.“ – Ende des Zitats. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Gansel, bitte Meine Damen und Herren! Wenn die angesprochenen mäßigen Sie sich! Aufklärungsbemühungen weiterhin im gleichen Stil Kerstin Köditz, DIE LINKE: Dass die NPD das nicht laufen wie bisher, dann waren diese Worte von Frau Merkel wohl eine der ekelhaftesten politischen Lügen in kann, liegt in der Natur der Sache. Denn das, was wir von der gesamten Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- ihr hier vorgesetzt bekommen, ist gerade nicht die Dar- land. stellung und Bewertung von Tatsachen, sondern eine klassische Verschwörungstheorie. Sie lebt nicht von (Jürgen Gansel, NPD: Davon gibt es viele!) Fakten, sondern von Dünkel. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Wie es sich für jede dumpfe Verschwörungstheorie gehört, werden diejenigen, die ihr nicht leichtfertig (Beifall bei der NPD) glauben, kurzerhand zum Teil der Verschwörung gemacht: 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und Angeblich hätten die einsetzenden Fraktionen gar keine Herren! Wir gehen in die zweite Runde. Ich frage die Aufklärung gewollt, sondern wollten sie – Zitat – „aktiv CDU-Fraktion, ob sie Redebedarf hat. – Das ist nicht der vermeiden“. Die NPD unterstellt dem Ausschuss – Zitat – Fall. Wie sieht es bei der Fraktion DIE LINKE aus? – „eine freiwillige Selbstgleichschaltung“. Dazu sage ich Frau Abg. Köditz, bitte! nichts; denn eine Partei wie die NPD weiß selber am besten, was sie meint, wenn sie das Wort „Gleichschal- Kerstin Köditz, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsi- tung“ in den Mund nimmt. Dennoch frage ich mich, ob dentin! Meine Damen und Herren! Das, was wir eben das etwa bedeuten soll, dass auch das NPD-Mitglied im gehört haben, Untersuchungsausschuss gleichgeschaltet war. Anhand des NPD-Berichts entsteht nämlich der falsche Eindruck, (Jürgen Gansel, NPD: ... wahre Aufklärung!) als habe die NPD mit dem Ausschuss nichts zu tun und das, was man im Minderheitenvotum der NPD zum gehabt. Tatsächlich aber hat Herr Schimmer hin und NSU-Untersuchungsausschuss lesen muss, lässt sich wieder Fragen gestellt. Immerhin. eigentlich sehr leicht auf den Punkt bringen; denn der (Jürgen Gansel, NPD: Das ist ja unerhört!) Abschlussbericht ist nicht lang, und er enthält nichts aus der Ausschussarbeit. Genauso wie in den Ausführungen Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass Herr eben, wird auf den Prozess in München verwiesen. Es Schimmer jemals nach einem „tiefen Staat“ oder nach wird auf Literatur verwiesen, zum Beispiel auf viele einem „geheimdienstlichen Terrornetzwerk“ gefragt hätte. Bücher, die erst kürzlich und nach dem Ende der Aus- (Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD) schussarbeit erschienen sind. Manche davon sind durch- aus lesenswert, nur haben sie mit der Arbeit des Aus- Das tat er nicht einmal ansatzweise. Im Gegenteil: Seine schusses und seinem Einsetzungsauftrag nicht viel zu tun. Fragezeit hat Herr Schimmer in der Regel nicht ausge- schöpft. Ab und zu hat er erklärt, keine Fragen mehr zu Die NPD behauptet in ihrem Abschlussbericht – in diesem haben, weil die spannenden Fragen schon durch andere dünnen Papierchen –, es existiere ein „tiefer Staat“ und Ausschussmitglieder gestellt worden seien. ein „geheimdienstliches Terrornetzwerk“. Die Behaup- tung ist im Grunde schon dadurch erledigt, dass dafür (Patrick Schreiber, CDU: Oder kein einziger Beleg angeführt wird, nicht ein einziger. Die er hat Geschichten erfunden!) NPD behauptet zwar, dass ihr starke Indizien vorlägen. Das steht natürlich in einem krassen Gegensatz zu den Man kann den NPD-Bericht aber drehen und wenden, wie weitgehenden Anschuldigungen, die die NPD jetzt gegen man will, sie hat offenbar ganz vergessen, auch nur alle anderen Ausschussmitglieder erhebt. irgendwelche Indizien zu benennen. Ich möchte Ihnen dazu eine kleine Denksportaufgabe (Zuruf von der NPD) mitgeben. Die notwendige Voraussetzung einer Verschwö- Wir haben es eben auch wieder gehört: Die angeblich rung, wie sie der NPD vorschwebt, wären außerordentlich spektakulären Indizien seien ohnehin – so heißt es im intelligente, zuverlässige und auf ihrem Gebiet kompeten- NPD-Bericht gleich zu Beginn – nicht mehr darstellbar. te Protagonisten. Sonst funktioniert eine solche Ver- Der Beweis für den angeblich tiefen Staat besteht also schwörung nicht. Der Untersuchungsausschuss hat darin, dass man diesen nicht beweisen kann. Logik à la bekanntlich einige Zeugen vernommen, die durchaus als NPD. problematisch zu bezeichnen wären. Ich denke beispiels- weise an die Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Berlin, die wir zum Teil mehrfach angehört haben. Sie hatten von

10575 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 ihrem Dienstherrn die kinderleichte Aufgabe bekommen, 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Dafür bekommen den Namen eines V-Mann-Führers auf keinen Fall in einer Sie jetzt einen Ordnungsruf von mir, Herr Gansel. öffentlichen Sitzung zu sagen. Aber was passierte dann? – Drei von vier Berliner Beamten platzt dieser angeblich Arne Schimmer, NPD: Denken wir an die Kölner Keup- topgeheime Name nebenbei heraus. Es gab auch nachträg- straße, wo das Phantombild, das von dem Täter, der die lich keine Beanstandungen gegen das Protokoll, in dem Bombe abgelegt hat, gemacht wurde, weder Uwe Mund- der Name jetzt für jedermann nachzulesen ist. los noch Uwe Böhnhardt zeigt. Denken wir an den Fall „Manole“ Marschner, genau dieses V-Mannes, der hier in Um es kurz zu machen: An einigen Angaben dieser Sachsen, in Zwickau, Fahrzeuge an den Tattagen gemietet Zeugen haben wir ganz erhebliche Zweifel. Aber kann hat. Denken wir weiterhin an den Juni 2000, an die man mit diesen Menschen wirklich eine Verschwörung Bernhardstraße 11. Damals wird Uwe Böhnhardt von aufbauen? Denken wir wirklich, dass man mit diesen einer Observationseinheit fotografiert, und die Festnah- Menschen überhaupt dazu in der Lage wäre? meeinheit wird nicht verständigt. Hier drängt sich doch Meine Damen und Herren! Zu jeder dumpfen Verschwö- wirklich der Verdacht auf, dass das kein Zufall ist, son- rungstheorie gehört die Frage „Cui bono – wem nutzt dern ein Muster. Und der Zufall bildet nun mal eben keine es?“. Muster. (Jürgen Gansel, NPD: Unter anderem den Wenn das alles leichtfertig als Verschwörungstheorie fanatischen Antistaatskämpfern, die noch abgetan wird, Frau Köditz, dann sind Sie nicht mehr auf mehr Staatsknete herausholen wollen!) dem Stand der momentanen Aufarbeitung des NSU- Komplexes durch Autoren wie Stefan Aust und Dirk Wem nutzt es also? Labst und wie auch ihre Kollegen in Thüringen, die sehr (Jürgen Gansel, NPD: Dir!) wohl jetzt auch danach fragen wollen, wie das denn am 4. November 2011 in Eisenach mit den beiden Leichen im Überlegen wir es uns. Wem nutzt es also, wenn die NPD Wohnwagen war. rundweg in Abrede stellt, dass es mutmaßliche Neonazis waren, die eine jahrelange rassistische Mordserie ausge- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Redezeit ist führt haben? Die Beweggründe dafür, stattdessen wildeste abgelaufen. Verschwörungsgerüchte zu bedienen, können sehr vielfäl- tig sein. Arne Schimmer, NPD: Sie, Frau Köditz, tun denjenigen einen Bärendienst, die es hier verschleiern wollen, und (Andreas Storr, NPD: Das ist jetzt das muss man ganz objektiv feststellen. aber Ihre Verschwörungstheorie!) Ich danke für die Aufmerksamkeit. Im vorliegenden Fall gehe ich aber definitiv von einer gewissen Portion Eigennutz aus. (Beifall bei der NPD) Ich danke den Vertreterinnen und Vertretern der demokra- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich frage noch tischen Parteien für die Aufmerksamkeit. einmal die Fraktionen, ob noch Redebedarf besteht. – Das (Beifall bei den LINKEN, ist nicht der Fall. Dann frage ich die Staatsregierung. – Herr Minister Ulbig, bitte. der SPD und den GRÜNEN) Markus Ulbig, Staatsminister des Innern: Sehr geehrte 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Eine Kurzinter- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und vention. – Einen Moment, Herr Schimmer, ich muss das Mikrofon erst einschalten. Herren Abgeordneten! Am 23. November 2011 haben wir uns hier zum ersten Mal mit diesem Thema befasst, und Arne Schimmer, NPD: Ich möchte gern auf die Ausfüh- ich habe damals schon meine Bestürzung über die furcht- rungen von Frau Köditz antworten. – Frau Köditz, ich bare Verbrechensserie der Terrorzelle NSU zum Ausdruck kann nicht nachvollziehen, wie Sie in Abrede stellen gebracht. Ich habe damals angekündigt, dass wir den wollen, dass es tatsächlich sehr starke Indizien für eine Ursachen auf den Grund gehen werden, und es galt, die massive staatliche Verstrickung in den NSU-Komplex uns alle drängende wichtige Frage zu beantworten: Wie gibt. konnte es dazu kommen, dass diese Mörderbande etliche Jahre unerkannt in Sachsen wohnte und – wie wir heute (Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE) wissen – mehrere Raubüberfälle beging? Wir haben viel Man muss doch nur zwei und zwei zusammenzählen. unternommen, um genau diese Frage zu klären. Das war Denken wir an Kassel. nicht immer einfach. Das haben auch gerade die Redebei- träge gezeigt. Auch ich habe hier schon mehrfach dazu Dass der Mann zufällig dort war, kann er vielleicht berichtet. seinem Friseur erzählen. Denken wir an Heilbronn, wo viele Zeugenaussagen vorliegen, die mehr als drei Täter Wir haben die Arbeit des Untersuchungsausschusses gesehen haben wollen. unterstützt, ebenso wie wir die Aufklärungsbemühungen vor allem des Bundestagsuntersuchungsausschusses nach (Jürgen Gansel, NPD: Du rote Kröte!) Kräften unterstützt haben. Aus heutiger Sicht kann man 10576 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 sagen: Ja, es wurden beim Bund, in anderen Bundeslän- Sechstens wurde das Operative Abwehrzentrum einge- dern und auch in Sachsen Fehler gemacht. Der ehemalige richtet. Es dient dazu, Druck speziell auf die rechtsextre- Bundesinnenminister Friedrich hat in der Bundestagsde- mistische Szene aufzubauen und den Sachverstand und batte von einer kollektiven Fehleinschätzung der Sicher- die Ermittlungskompetenzen zu bündeln. Das alles hat heitsbehörden auf allen Ebenen gesprochen. den Zweck, die Täter, die aufgegriffen werden, schnell Ich habe die Defizite bezogen auf Sachsen benannt. Es und konsequent zu verurteilen. Gerade an dieser Stelle, wurde zu wenig zwischen den Sicherheitsbehörden in Frau Friedel, wird Wissen gebündelt, und hier werden die Sachsen kommuniziert. Es wurde zu wenig mit den Mitarbeiter nicht nach zwei Jahren an eine andere Stelle versetzt. Sicherheitsbehörden von Bund und anderen Ländern kommuniziert. Man hat sich darauf verlassen, dass die Siebentens und letztens: Für das Landesamt für Verfas- fahndungsleitende Polizei in Thüringen schon alles richtig sungsschutz habe ich eine Expertenkommission mit den macht, und man hat nie darauf gedrängt, einmal alle Ihnen bekannten Mitgliedern eingesetzt. Sie hat die Fakten zusammenzutragen, um ein umfassendes Lagebild Arbeitsabläufe und die Organisationsstrukturen im Lan- zu erstellen. desamt für Verfassungsschutz evaluiert, und – das kann ich hier noch einmal wiederholen – sämtliche Empfeh- Diese Fehler sind bekannt. Das haben unsere eigenen lungen, die in den Zuständigkeitsbereich der Sächsischen Untersuchungen ergeben. Das hat der Bundestagsuntersu- Staatsregierung fielen, sind mittlerweile umgesetzt. chungsausschuss festgestellt, und das hat jetzt auch der Dadurch konnten zugleich auch angemahnte wesentliche Landtagsuntersuchungsausschuss festgestellt. Diese und länderübergreifende Reformschritte realisiert werden. Fehleranalyse war wichtig und richtig; denn sie bietet die Basis für notwendige Änderungen und Anpassungen – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das waren aus auch von Strukturen. Die Maßnahmen mussten ergriffen meiner Sicht die wichtigsten Informationen und Punkte. werden, um dafür zu sorgen, dass die Fehler, die gemacht Die Grundbotschaft hierzu ist klar: Polizei und Verfas- wurden, sich möglichst in Zukunft nicht mehr wiederho- sungsschutz haben ihre Lehren gezogen. Sie bringen sich len. engagiert ein, und das will ich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klar sagen: Sie nehmen die ihnen übertra- Deshalb möchte ich an dieser Stelle ein paar wesentliche genen Aufgaben ernst, und das ist auch einmal anzuer- Maßnahmen benennen: Erstens: Es wurde das bundeswei- kennen. te Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eingerichtet und inzwischen zum Gemeinsamen Extremismus- und Herzlichen Dank. Terrorabwehrzentrum erweitert. Sachsen beteiligt sich (Beifall bei der CDU, der FDP daran mit Personal von Polizei und Verfassungsschutz. und der Staatsregierung) Hier ist das Ziel, den Informationsaustausch und die Analysefähigkeit in personen- und fallbezogener Hinsicht 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und zu stärken. Herren! Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag auf. Wird Zweitens: Die Standards für die Werbung und die Füh- die Einbringung gewünscht? – Bitte, Herr Abg. Jenner- rung von V-Personen werden bundesweit einheitlich neu jahn. geregelt. Hier bringt sich Sachsen intensiv über die IMK Ich muss noch hinzufügen, dass der Entschließungsantrag in die Gremien ein. von den Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/ Drittens: Die Empfehlungen des Bundestagsuntersu- DIE GRÜNEN entstanden ist. chungsausschusses werden umgesetzt. Soweit die Innen- Miro Jennerjahn, GRÜNE: Frau Präsidentin! Liebe ressorts betroffen sind, geschieht das im Rahmen der IMK Kolleginnen und Kollegen! Der Entschließungsantrag, der und der Untergremien. Die Empfehlungen werden umge- setzt, auch hier in Sachsen. jetzt vorliegt, ist, wie die Frau Präsidentin angekündigt hat, von den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN Viertens: Weiterhin wurde die bundesweite Verbunddatei eingebracht worden. Ich bedauere ausdrücklich, dass es „Rechtsextremismus“ errichtet. Der verbesserte Informa- sich nur um einen Entschließungsantrag der demokrati- tionsaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendienst ist schen Oppositionsfraktionen handelt. Wir hatten vor drei hier das Ergebnis. Auch daran beteiligt sich Sachsen. Wochen noch einmal den Versuch unternommen, auf die Fünftens: In Sachsen haben wir die Gemeinsame Informa- Koalition zuzugehen und trotz aller inhaltlicher Differen- tions- und Analysestelle zwischen LKA und LfV einge- zen bei der Bewertung dessen, was im Untersuchungsaus- richtet. Hier werden alle relevanten Informationen zum schuss passiert ist, zumindest – ich will es einmal so Extremismus und zur politisch motivierten Kriminalität formulieren – den kleinsten gemeinsamen Nenner zu zusammengetragen und analysiert. Mit diesem DIAS wird definieren, um hier zu einer gemeinsamen Entschließung Sachsen intern die Zusammenarbeit von Polizei und zu kommen. Verfassungsschutz intensivieren und insbesondere die In der letzten Woche wurde uns leider beschieden, dass Dokumentation und die Nachvollziehbarkeit des Informa- das nicht möglich sein wird. Den Entschließungsantrag tionsaustausches und der getroffenen Absprachen verbes- haben Sie heute Morgen in Ihrem Postfach gefunden. Da sern. dieser möglicherweise jetzt nicht allen auf dem Tisch

10577 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 vorliegt, will ich noch einmal ganz kurz auf die Punkte Vielen Dank. eingehen: (Beifall bei den GRÜNEN, Im Punkt I sprechen wir noch einmal den zehn Todesop- den LINKEN und der SPD) fern des NSU und deren Angehörigen unsere Anteilnahme aus. Auch wenn das durch die Frau Präsidentin eingangs 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wer möchte sich zu dieser Debatte erfolgt ist, halten wir es für notwendig, zu dem Entschließungsantrag äußern? – Herr Abg. Hart- das nach zweijähriger Tätigkeit des Untersuchungsaus- mann, bitte. schusses noch einmal per Landtagsbeschluss zu bekräfti- Christian Hartmann, CDU: Sehr geehrte Frau Präsiden- gen, weil in den zwei Jahren doch eine Reihe von Fehlern tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sächsischer Behörden bekannt geworden ist. Es wäre in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal, das noch einmal als (Sebastian Scheel, DIE LINKE: Beschluss zu bekräftigen. … stimmen dem gern zu!) Weiterhin formulieren wir in Punkt I den Anspruch, der werden dem vorliegenden Entschließungsantrag nicht sich auch an uns richtet, eine Verpflichtung für uns ist und zustimmen. Ich denke, dass auch in den vergangenen uns in die Verantwortung nimmt, Neonazismus entschie- Jahren und Monaten immer wieder deutlich geworden ist, den entgegenzutreten und für ein weltoffenes Sachsen wie betroffen uns die Opfer dieser Gewalttaten gemacht einzutreten. Ich denke, das sind die beiden Punkte, die, haben und dass sie uns eine Verpflichtung sind, uns mit wenn man so will, ein gemeinsamer Kern sein können, dem Thema auseinanderzusetzen und dafür Sorge zu der von allen demokratischen Fraktionen in diesem tragen, dass sich so etwas in Zukunft nicht wiederholen Hohen Hause unterstützt werden kann. kann. In Punkt II stellen wir fest, dass der Untersuchungsaus- (Beifall des Abg. Steffen Flath, CDU) schuss nur einen Teil seiner Arbeit hat abarbeiten können. Wir richten einen Prüfauftrag an den Landtagspräsidenten Es ist auch klar, dass wir uns gegen jegliche terroristische mit dem Ziel, einen Weg zu finden, dass die Protokolle und extremistische Gewalttaten stellen und dass wir die der öffentlichen Zeugeneinvernahmen doch noch im ungeheuerlichen Verbrechen, die durch das NSU-Trio EDAS veröffentlicht werden können. Dem stehen bislang vorgenommen worden sind, ablehnen und verabscheuen. noch Geschäftsordnungsregelungen entgegen. Das ist ein Die Feststellungen, die in den acht Punkten formuliert Thema, über das im 6. Sächsischen Landtag sicherlich werden, beziehen sich auf Themen, über die wir zum Teil noch einmal debattiert werden muss. miteinander diskutiert haben, zum Teil aber noch diskutie- In Punkt III finden sich dann noch einmal die acht ren müssen. Ich bedaure zutiefst, dass Sie diesen Ent- Schlussfolgerungen und Empfehlungen, die wir auch in schließungsantrag heute Morgen eingebracht haben. Es ist dem abweichenden Votum zum Abschlussbericht ausführ- aber ganz klar, wir brauchen ihn in dieser Form nicht, lich dargestellt haben. Frau Köditz ist darauf ausführlich weder für das Gedenken noch für den ernsthaften Um- eingegangen. Deshalb würde ich das nicht noch einmal im gang und die künftige Auseinandersetzung mit dem Einzelnen darstellen. Thema. Meine Damen und Herren! Mir ist bewusst, dass der Herzlichen Dank. vorliegende Entschließungsantrag sicherlich kein Kon- (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) sens-Entschließungsantrag ist, sondern im Wesentlichen in den Punkten II und III die Auffassung der den Untersu- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es weiteren chungsausschuss einsetzenden Fraktionen widerspiegelt. Bedarf, zum Entschließungsantrag zu sprechen. – Wenn das nicht der Fall ist, dann komme ich jetzt zur Abstim- Ich denke aber, Punkt I, die Anteilnahme gegenüber den mung. Opfern und ihren Angehörigen sowie die Selbstverpflich- tung für ein weltoffenes Sachsen einzustehen, sind Aspek- Ich beginne mit der Abstimmung über Punkt I des Ent- te, die konsensfähig sein müssten. Ich bitte daher CDU schließungsantrages. Wer möchte dem seine Zustimmung und FDP noch einmal eindringlich, vielleicht doch über geben? – Die Gegenstimmen, bitte? ihren Schatten zu springen und dem zuzustimmen. Ich (Kerstin Köditz, DIE LINKE: Peinlich!) bitte daher die Frau Präsidentin um punktweise Abstim- mung über die Punkte I bis III. Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei einer ganzen Reihe So weit zu dem Entschließungsantrag. Ich denke, ein von Stimmen dafür ist Punkt I dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden. solcher gemeinsamer Beschluss wäre auch noch einmal ein wichtiges Signal, das von den Angehörigen der Opfer Ich rufe Punkt II auf. Wer möchte dem seine Zustimmung wie auch den Vertretern der Nebenklage im Münchener geben? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimment- NSU-Prozess wie auch den Vertretern der sächsischen haltungen? – Ohne Stimmenthaltungen und bei einer Initiativlandschaft, die sich gegen Rechtsextremismus ganzen Reihe von Stimmen dafür ist Punkt II dennoch mit engagiert, wahrgenommen würde. Es wäre wichtig, dieses Mehrheit abgelehnt worden. Zeichen zu setzen.

10578 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Ich rufe Punkt III auf. Wer möchte dem seine Zustim- der Fraktionen, der Landtagsverwaltung, der Staatsregie- mung geben? – Die Gegenstimmen, bitte? – rung und auch den zusätzlich benötigten Honorarkräften Stimmenthaltungen? – Das gleiche Abstimmungsverhal- für ihre Arbeit zu danken. ten. Bei Stimmen dafür ist Punkt III dennoch mit Mehr- (Beifall bei allen Fraktionen) heit abgelehnt worden. Damit erübrigt sich die Gesamtab- stimmung. Gleiches gilt natürlich auch den Sachverständigen und Meine Damen und Herren! Mit dem Ende der Aussprache Zeugen, die sich geduldig, manche auch an mehreren zum Abschlussbericht ist auch die Arbeit des 3. Untersu- Tagen, den Fragen der Abgeordneten gestellt und nach chungsausschusses der 5. Wahlperiode beendet. Ich bestem Wissen und Gewissen zur Wahrheitsfindung beigetragen haben. denke, ich spreche im Namen des ganzen Hauses, wenn ich die Gelegenheit nutze, dem Vorsitzenden und seinem Meine Damen und Herren! Ich kann den Tagesordnungs- Stellvertreter, allen Mitgliedern und stellvertretenden punkt schließen. Mitgliedern des Ausschusses, den beteiligten Mitarbeitern Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 7 Effektive und vernetzte Hilfe für traumatisierte Opfer ermöglichen! Drucksache 5/12677, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es Im Ermittlungsverfahren und im Strafprozess steht zu beginnt die CDU. Danach folgen FDP, DIE LINKE, SPD, Recht die Aufklärung, steht der Täter im Mittelpunkt. Das GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es Opfer bleibt mit seinen Schäden, mit seinem Trauma oft wünscht. Ich erteile dem Abg. Herrn Mackenroth das allein, es ist bloßes Objekt im Verfahren. Wer hilft dem Wort. Opfer, um im Anschluss an das Erlebte ohne Ängste weiterleben zu können? (Präsidentenwechsel) Diesen Fragen widmen wir uns, die Fraktionen der CDU Geert Mackenroth, CDU: Herr Präsident! Meine sehr und der FDP, mit dem vorliegenden Antrag. Nach unserer geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Einschätzung gibt es in diesem Bereich trotz der unbe- Kollegen! „Du Opfer“ – mit dieser Formulierung be- streitbar von der Staatsregierung und den Opferverbänden schimpfen sich nicht selten Jugendliche. Sie steht oft am bereits entfalteten umfangreichen Bemühungen nach wie Anfang von Aggressivität, macht den Tätern Mut und vor einiges zu verbessern. erniedrigt das potenzielle Opfer schon vorab. Diese Als Landesvorsitzender des Weisser Ring e. V. kann ich Formulierung hat das Zeug zum Unwort des Jahres, weil aus erster Hand berichten. Gleichzeitig bin ich damit es klar den Stellenwert der Opfer in unserer Gesellschaft Vertreter der bedeutendsten Opferschutzorganisation in zeigt. Die Opfer sind allein, die Täter stehen im Vorder- grund. Deutschland. Auch in dieser Eigenschaft möchte ich vorab allen, die sich zum großen Teil auch ehrenamtlich Meldungen darüber, dass und wie Menschen zu Opfern für die Verbesserung der Situation der von Straftaten werden, nehmen wir als Unbeteiligte oft nur bestürzt zur Betroffenen einsetzen, meinen ausdrücklichen Dank Kenntnis. Wir wenden uns ab. Im besten Fall sind wir aussprechen. betroffen und geschockt. Dabei ist der Schritt von der einen zur anderen Seite wirklich klein. Jeder von uns kann (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP) morgen ein Opfer von Krankheit, von Schicksalsschlägen Ohne das Ehrenamt in diesem Bereich, ohne deren Unter- oder eben auch von Straftaten sein. stützung wäre die Verarbeitung geschehenen Unrechts für Wenn wir uns also – nicht ganz so uneigennützig – um die die Betroffenen größtenteils nicht, jedenfalls aber deutlich Opfer kümmern, dann leisten wir ein Stück soziale Wie- schwerer möglich. dergutmachung und helfen gleichzeitig den in Not gerate- Einige Zahlen: Zwar erholen sich mehr als 50 % der nen Mitmenschen und lindern Leid, eine Grundhaltung traumatisierten Menschen innerhalb weniger Stunden von Menschlichkeit und Solidarität, die ich als kulturelle oder Tage, bei etwa 15 % der Traumatisierten verbleiben Leistung unserer Gesellschaft kennzeichne und die nach jedoch psychische Folgeschäden, zum Beispiel posttrau- meinem Menschenbild unsere Gesellschaft prägen sollte. matische Belastungsstörungen. Nimmt man allein Ge- Versetzen wir uns in die Opferrolle. Wie geht es Men- waltdelikte, so liegt das Risiko bleibender psychischer schen, die solche Taten unmittelbar erleben? Wer küm- Schäden sogar bei 56 %. Symptome wie Angstzustände, mert sich um sie? Wie ergeht es Menschen, die Opfer von Albträume oder eine große Schreckhaftigkeit sind zum Gewalt, Raub, Vergewaltigung und dergleichen geworden Teil so stark, dass es zu dauerhaften Einschränkungen im sind? alltäglichen Leben kommt. 10579 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Betroffene sind nur bedingt und zum Teil gar nicht mehr gungsgesetz, haben Opfer vorsätzlicher Straftaten unter in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Zu den durch die bestimmten Voraussetzungen Ansprüche auf Heilbehand- Traumata verursachten Zuständen kommen gegebenen- lung und Versorgung auch psychischer Schädigungsfol- falls Existenzängste, Versagensängste, das Gefühl der gen. Dieses Gesetz soll eigentlich die Finanzierung der Hilflosigkeit. Ergebnis fehlender Traumaverarbeitungen Versorgungsleistungen durch die Traumaambulanzen sind gar nicht so selten dauerhafte Krankheit, Arbeitsun- sicherstellen. Jedoch gibt es nach meiner Kenntnis kaum fähigkeit, Verrentung. Auf die dadurch entstehenden einen Rechtsbereich, in dem Anspruch und Wirklichkeit enormen Kosten für unsere Volkswirtschaft will ich nur so weit auseinanderfallen. Im Vollzug und in der prakti- am Rande hinweisen. Die Wissenschaft jedenfalls belegt: schen Umsetzung des OEG bestehen nach meiner Ein- Für traumatisierte Opfer ist nur schnelle Hilfe auch gute schätzung deutliche Defizite. Das liegt zum Teil daran, und nachhaltige Hilfe. dass das OEG noch immer selbst bei Behörden und Meine Damen und Herren, eine zeitnahe Versorgung der Anwälten nicht ausreichend bekannt ist. Deshalb erhalten Betroffenen verringert die Wahrscheinlichkeit einer nur wenige Betroffene eine spürbare Hilfe bei der Bewäl- posttraumatischen Belastungsstörung entscheidend. tigung körperlicher, seelischer oder wirtschaftlicher Deshalb begrüßen wir als Koalitionsfraktion ausdrücklich Tatfolgen. Um das zu ändern, bedarf es einer geeigneten den von der Staatsregierung eingeleiteten Aufbau der Öffentlichkeitsarbeit, zu deren Grundvoraussetzungen die sogenannten Traumaambulanz. Hier erhalten Opfer einer ebenfalls mit unserem Antrag geforderte Vernetzung bestehender Einrichtungen der Opferhilfe zählt. Straftat schnelle und professionelle Hilfe, damit sich ihr Leiden nicht verschlimmert. Ihnen helfen nämlich nur Andererseits hält das OEG selbst genügend Unwägbarkei- niedrigschwellige und professionelle Angebote, die sie ten bereit. Sehr strenge Nachweis- und Dokumentations- auch erreichen. Werden unerkannte Traumafolgestörun- pflichten sowie lange Verwaltungs- und Sozialgerichts- gen schnell und fachgerecht behandelt, dann können sie verfahren stehen den notwendigen schnellen Hilfeleistun- vollständig ausheilen. Der Zeitfaktor ist entscheidend. Die gen oft konträr gegenüber und erschweren den Leistungs- Wartezeit für eine langfristige psychosoziale Nachsorge bezug nach dem OEG für die Betroffenen ungemein. Sie liegt aber derzeit bei mehreren Monaten bis hin zu einem führen gelegentlich sogar zu einer weiteren Traumatisie- halben Jahr. Noch einmal: Die Wissenschaft sagt unmiss- rung. Der Zeitfaktor ist zwar im Grundsatz nachvollzieh- verständlich: Werden Traumata innerhalb von 14 Tagen bar, da durch das Gesetz nur die Folgen vorsätzlicher erstbehandelt, vermindert sich das Risiko dauerhafter Straftaten behandelt und entschädigt werden sollen. Bis Schäden um weit über 50 %. zur endgültigen, oft mit Sachverständigenhilfe Jahre dauernden Klärung der Frage, ob Krankheitsbilder Folgen Mein ausdrücklicher Dank gilt in diesem Zusammenhang der Straftat sind oder nicht, erhalten Opfer gar keine oder auch der Staatsregierung. Unsere Sozialministerin und nur vorläufige Leistungen. Dies gilt es nach Meinung der ihre Staatssekretärin ganz persönlich haben sich des einbringenden Fraktionen in geeigneter Weise zu ändern. Themas Traumaambulanzen intensiv und beherzt ange- Wir wollen mit unserem Antrag einen Beitrag dazu nommen, nachdem der Weiße Ring es zum Schwerpunkt- leisten, die Möglichkeiten für Opfer vorsätzlicher Strafta- thema des Tages der Kriminalitätsopfer im Jahr 2011 ten zu verbessern. Deren psychische Belastungen müssen erklärt hatte. Sachsen hat als eines der ersten Bundeslän- frühzeitig erkannt werden. Ihre zeitnahe ärztliche Versor- der vorbildlich das Projekt Traumaambulanzen umgesetzt. gung ist sicherzustellen. Übermorgen feiern wir zusammen mit dem Verein „Traumanetz seelische Gesundheit“ an der TU Dresden (Beifall bei der CDU, der FDP und die Eröffnung der flächendeckenden Traumaambulanz für des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE – den Freistaat in neuen Räumen. Der Klinikvorstand Beifall bei der Staatsregierung) konnte von der Notwendigkeit einer solchen Ambulanz Meine Damen und Herren! Es ist richtig, in der Opferar- überzeugt werden, sodass dort Beratung und Behandlung beit bleibt insgesamt noch viel zu tun. Die Polizei muss mit mehr Personal angeboten werden kann. Gute weiter- beispielsweise noch mehr als bisher strukturiert dazu führende Gespräche gibt es für ähnliche Aktivitäten bereits in Görlitz und in anderen Orten in Sachsen. angehalten werden, schon bei der Aufnahme von Strafan- zeigen und Zeugenvernehmungen Opfer auf die zahlrei- Noch einmal: Am 11. Juli werden die neuen Räume der chen Hilfsmöglichkeiten nicht nur des Weißen Ringes Traumaambulanz in der Dresdner Lukasstraße eröffnet. hinzuweisen. Auch in diesem Punkt sind wir im Dialog Dies, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen mit der Staatsregierung und auf gutem Wege. Ein guter und Kollegen, ist in jedem Fall ein guter Tag für die Opfer Anfang ist im Freistaat mit den Traumaambulanzen von schweren Straftaten. allemal gemacht. (Beifall bei der CDU, der FDP und des Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich auf Abg. Horst Wehner, DIE LINKE – den hiermit eingebrachten Änderungsantrag hinweisen, Beifall bei der Staatsregierung) mit dem die Frist zur Berichterstattung durch die Staats- regierung bis zum 31. August verlängert wird. Ein zweites und nicht minder wichtiges Thema, dem sich dieser Antrag widmet, ist das Recht auf materielle Opfer- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustim- entschädigung. Nach dem OEG, dem Opferentschädi- mung zu unserem Antrag.

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(Beifall bei der CDU, der FDP lich müssen die Finanzierung und die Koordinierung und der Staatsregierung) sichergestellt werden.

Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die einbringende Niemand, der ein Opfer von Gewalt ist und Anspruch auf Fraktion der CDU sprach gerade Kollege Mackenroth. eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz Für die FDP-Fraktion schließt sich jetzt Frau Kollegin hat, sollte sich angesichts der leidvollen Erfahrungen und Jonas an. in seiner psychischen und emotionalen Lage noch mit zusätzlichen komplizierten Anträgen auseinandersetzen Anja Jonas, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine oder lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. sehr geehrten Kollegen Abgeordneten! Der Schutz, die (Beifall des Abg. Geert Mackenroth, CDU) Hilfe und die Unterstützung von Opfern von Gewalt ist eine der zentralen Aufgaben unserer Gesellschaft. Arti- Er muss schnell und einfach Hilfe bekommen. kel 1 und 2 des Grundgesetzes implizieren eben nicht nur Was können wir tun? Mit unserem Antrag unterbreiten die Verbrechensprävention und die Kriminalitätsbekämp- wir zwei konkrete Änderungs- und Verbesserungsvor- fung, sie stehen auch für die notwendige Fürsorge und schläge. Zum einen brauchen wir jene vernetzte Opferver- Unterstützung. sorgung, zum anderen brauchen wir die Kliniken mit Es mag bezeichnend für unser Gemeinwesen sein, wenn ihren entsprechend ausgestatteten traumatherapeutischen die Strafverfolgung eine hohe Aufklärungsquote nachwei- Ambulanzen, die vom Opfer direkt oder über die Vermitt- sen kann, sich die Leidtragenden aber nicht trauen, als lung der Opferhilfe aufgesucht werden können, in welcher Opfer öffentliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die der oder die Betroffene unmittelbar untersucht und Zahlen sprechen hier leider eine sehr deutliche Sprache. gegebenenfalls behandelt werden kann. Laut Kriminalitätsstatistik 2013 wurden im Freistaat Doch dazu bedarf es aus unserer Sicht nur Kooperations- Sachsen 38 308 Opfer registriert, davon 3 552 Kinder und vereinbarungen zwischen den beispielsweise im Trauma- 2 645 Jugendliche. Dennoch haben nur 1 500 Betroffene netzwerk Sachsen arbeitenden Kliniken, niedergelassenen das Angebot einer Beratung der Opferhilfe Sachsen in Psychotherapeuten und den für die Opferentschädigung Anspruch genommen. Das sind – da werden Sie mir zuständigen Versorgungsträgern. Dass das möglich ist, sicher zustimmen – nur sehr wenige im Vergleich zur haben uns Beispiele auch aus anderen Bundesländern Gesamtopferzahl. Daher ist es unsere Aufgabe, unsere gezeigt. Hilfsstrukturen in diesem sensiblen Bereich fortwährend zu überdenken und so weit wie möglich zu verbessern. Zum anderen sehen wir einen Verbesserungsbedarf beim Dies ist keine leichte Aufgabe angesichts der vielfältigen Opferentschädigungsgesetz. Hierzu ersuchen wir die psychologischen, sozialen, strukturellen und auch finanzi- Staatsregierung, die Verfahren zu vereinfachen und zu ellen Probleme, in denen sich Opfer, Angehörige, Leis- entbürokratisieren. Warum das wichtig ist, hatte ich Ihnen tungsträger und der Staat gegenüberstehen. Diese Bedin- und auch mein Kollege schon deutlich gesagt. gungen entbinden uns jedoch nicht von dieser Aufgabe, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was hier reali- sondern fordern vielmehr dazu auf, gemeinsam und vor siert werden soll, ist nicht die begleitende und unterstüt- allem vernetzt vorzugehen. zende Beratung und Hilfeleistung, sondern es ist die An dieser Stelle richte ich meinen Dank an den sächsi- medizinisch-psychotherapeutische Behandlung des schen Justizminister und die Sozialministerin für ihre Opfers einer Straftat. Mit unserem Antrag regen wir an, bisher geleistete Arbeit. dass über diese Kooperationsvereinbarung die Behörden und Einrichtungen des Opferschutzes in Sachsen noch (Beifall bei der FDP und der CDU) enger zusammenarbeiten und eine flexible, bedarfsgerech- Die Unterstützung der Opferberatungsstellen oder – um te Leistung für traumatisierte Opfer zur Verfügung stellen. nur ein Beispiel zu nennen – der Beschluss der jüngsten Ich bitte Sie daher, auch im Namen meiner Fraktion und Justizministerkonferenz zum Anspruch auf psychosoziale der einbringenden Fraktion, diesen Antrag zu unterstüt- Prozessbegleitung und die erklärte Absicht, intensiv daran zen. zu arbeiten, dass Opferrechte in übersichtlicher Form zur Vielen Dank. Verfügung stehen, sind wichtige Maßnahmen, um dieses Hilfssystem effektiver zu machen, und die ersten richtigen (Beifall bei der FDP und der CDU) Schritte nach vorn. Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die FDP-Fraktion Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit unserem war das Frau Kollegin Jonas. Für die Fraktion DIE Antrag möchten wir ein wichtiges Feld aus dem Bereich LINKE spricht jetzt Frau Kollegin Gläß. der Opferhilfe herausgreifen und damit konkret einen Verbesserungsvorschlag unterbreiten. Es geht um eine Heiderose Gläß, DIE LINKE: Herr Präsident! Liebe effektive und vernetzte Hilfe für traumatisierte Opfer. Ziel Kolleginnen und Kollegen! Liebe Koalitionsfraktionen, muss sein, traumatisierte Opfer von Straftaten als solche mit Ihrem Antrag fordern Sie die Staatsregierung auf, eine schnell zu erkennen und erforderlichenfalls rasch eine effektive und vernetzte Hilfe für traumatisierte Opfer von traumatherapeutische Behandlung aufzunehmen. Natür- Gewalt zu ermöglichen. Neben der üblichen Berichterstat-

10581 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 tung werden sehr wichtige Forderungen an die Staatsre- ämter, Sozialämter, ehrenamtliche Opferberatungsstellen gierung gerichtet, zum Beispiel, dass von Straftaten wie der Weiße Ring oder die Opferberatung der RAA, die traumatisierten Opfern ein Zugang zu Anlaufstellen Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt, auch Frau- vermittelt wird, in denen traumatherapeutisch ausgebilde- enschutzeinrichtungen oder das Antidiskriminierungsbüro te Fachkräfte verfügbar sind, dass Kooperations- und in Sachsen müssen vernetzt zusammenarbeiten. Koordinationsdefizite zwischen den öffentlichen und Die Eröffnung der Traumaambulanz der Uniklinik Dres- privaten Hilfseinrichtungen der Opferhilfe vermieden den am Freitag ist ein wichtiger Schritt bei der Umset- werden müssen und dass eine vernetze Opferversorgung zung des heute zu beschließenden Antrags. Die Ambulanz durch Kooperationsvereinbarung erreicht werden muss. ist ein spezialisiertes Angebot der Diagnostik, der Bera- Diese Forderungen sind richtig, denn vieles steht bis jetzt tung, der Unterstützung und der Behandlung von Men- nur auf dem Papier oder im Internet, wenn man zum schen, die unter psychischen Folgen von extremen Belas- Beispiel ins „Traumanetzwerk seelische Gesundheit“ tungserfahrungen leiden. Die Kosten für die Leistungen schaut. Ich glaube, ein traumatisiertes Gewaltopfer hat oft der Traumaambulanz – so ist es auf der Internetseite zu nicht die Kraft, sich im Internet sachkundig zu machen. lesen – werden in der Regel von den Krankenkassen Warum aber, liebe Mitglieder der Fraktionen von CDU übernommen. Es kommt für alle traumatisierten Opfer und FDP, wurde es von Ihrer Staatsregierung bis jetzt darauf an, dass solche Krankenkassenangebote – wie soll noch nicht getan? Eine Berichterstattung bis zum 31.08. man es sagen? – barrierefrei sind, also nicht erst Überwei- an den Sächsischen Landtag kann man eigentlich nur als sungen eingeholt oder andere Zugangsvoraussetzungen Witz ansehen. vorhanden sein müssen. Dabei ist es im Freistaat enorm wichtig, die Hilfen für Für Opfer von Gewaltdelikten übernimmt nach einer Gewaltopfer auszubauen und zu vernetzen. Wir brauchen neuen Vereinbarung der Kommunale Sozialverband Angebote für Frauen und Kinder, die Gewalt in der Sachsen auf der Basis des Opferentschädigungsgesetzes Familie erlebt haben, für Opfer rechter Gewalt, besonders die Kosten. Wie aber im Antrag richtig begründet und hier für Opfer mit Migrationshintergrund, wir brauchen Hilfe schon gesagt, muss das den Behörden und Rechtsanwäl- für Betroffene von Zwangsprostitution und Menschen- ten bekannt sein, denn nur so ist für Betroffene eine handel, aber auch für traumatisierte Flüchtlinge. Hierfür spürbare Hilfe bei der Bewältigung körperlicher, seeli- sind Dolmetscher ebenso notwendig, sowohl in den scher und wirtschaftlicher Tatfolgen möglich. Großstädten, aber auch in den grenznahen Gebieten. Die Traumaambulanz in Dresden und die angesprochenen Traumatisierte Opfer von Gewalttaten – gleich welcher Ambulanzen in anderen Städten oder zumindest die im Art – bedürfen sofortiger Hilfe, eines Ansprechpartners Aufbau begriffenen sind nur ein erster Schritt. Angebote vor Ort und vor allem niederschwelliger Angebote. Auch in weiteren Städten und besonders im ländlichen Raum das wurde schon von meinen Vorrednern betont. Oftmals müssen folgen. ist die erste Anlaufstelle der Hausarzt; dieser kann zwar Zum Schluss noch eines: Für den im Antrag geforderten Erste Hilfe leisten, aber die Opfer brauchen die Hilfe von Ausbau der Beratungsangebote und die Vernetzung Spezialisten. müssen die notwendigen Finanzen unbedingt bereitge- Psychotherapeuten, besonders für Kinder und Jugendli- stellt werden. Sie müssen im neuen Haushaltsplan einge- che, sind in Sachsen fast „Mangelware“, könnte man plant werden. Denn nur so ist die Umsetzung der im sagen, und schon heute überfordert. Wartezeiten von Antrag aufgemachten Forderungen – wenn diese nicht einem halben Jahr und länger sind keine Seltenheit. Das wieder nur auf dem Papier stehen sollen und ernst ge- geht bei traumatisierten Gewaltopfern überhaupt nicht. meint sind – möglich. Unsere Fraktion wird diesem Eine Übergangslösung wäre vielleicht eine Art Not- Antrag zustimmen. sprechstunde, ähnlich der Sprechstunde für Schmerzpati- (Beifall bei den LINKEN und enten beim Zahnarzt. des Abg. Geert Mackenroth, CDU) Oft verhindern Scham und Schuldgefühl, dass sich Opfer sofort Hilfe suchen. Meist liegt es daran, dass sie die Präsident Dr. Matthias Rößler: Auf Frau Kollegin Gläß, psychischen Folgen der Tat zunächst nicht einschätzen Fraktion DIE LINKE, folgt jetzt Frau Kollegin Neukirch, können. Aber auch dann ist eine sofortige Hilfe notwen- SPD-Fraktion. dig. Hierfür müssen auch Polizistinnen und Polizisten Dagmar Neukirch, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! sensibilisiert werden. Es müssen Angebote gemacht Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der vorliegende werden. Oftmals reicht vielleicht sogar ein kleines Kärt- chen mit einer Telefonnummer oder einer Adresse. Antrag in seiner Begründung feststellt, dass derzeit eine professionelle und flächendeckende Versorgung schwer Besonderes Augenmerk – ich betonte es schon – muss auf traumatisierter Opfer, vor allem Kinder und Jugendlicher, Kinder und Jugendliche gelegt werden. Bei ihnen können nicht gewährleistet ist, dann ist das eine unbefriedigende, schwere, bleibende Schäden entstehen. Somit sind auch aber eine durchaus zutreffende Feststellung. Pädagoginnen und Pädagogen, Einrichtungen der Jugend- Wer noch die März-Plenarsitzung im Kopf hat und sich an hilfe oder entsprechende Informationen in der Ausbildung den Antrag der Fraktionen DIE LINKE und der SPD zu von Lehrerinnen und Lehrern notwendig. Polizei, Jugend- 10582 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 den Hilfen für Opfer häuslicher Gewalt erinnert, wird sich CDU durchgezogene, ich möchte sagen wirklich schäbige wundern, weil in dieser Debatte weder Herr Krauß noch Kürzung der Mittel für die Beratungsstelle KobraNet, der Frau Schütz oder Frau Clauß einen Handlungsbedarf Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel. Zum sahen. Man wundert sich dann schon, wenn man trotzdem Glück wurde die Arbeit dieser Beratungsstelle noch weiter in der Begründung zum vorliegenden Antrag liest: gerettet, weil das Ministerium dafür Mittel zur Verfügung „Es fehlt im Freistaat Sachsen ein integriertes, vernetztes gestellt hat. Aber das war wirklich kein Glücksgriff von und vor allem flächendeckendes Opferhilfenetzwerk, das CDU und FDP. eine schnelle und adäquate Hilfe gewährleistet. Die (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) traumaspezifische Versorgungssituation ist nicht befriedi- gend.“ Diese Dinge gehören genauso zum Thema Opferschutz Das ist alles richtig. Man fragt sich nur, wer in den ver- und zur Hilfe für traumatisierte Opfer. Wir werden dem gangenen Jahren in diesem Land die Verantwortung für Antrag dennoch zustimmen und in den nächsten Monaten die Gestaltung dieses Bereiches getragen hat. und spätestens zur nächsten Haushaltsberatung daran erinnern. (Beifall bei der SPD, den Vielen Dank. LINKEN und den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und Warum sich der Antrag auf die traumatherapeutischen vereinzelt bei den LINKEN) Versorgungsangebote und die psychosoziale Betreuung konzentriert, kann ich mir mit der Eröffnung der Präsident Dr. Matthias Rößler: Frau Kollegin Neukirch Traumaambulanz in Dresden am Freitag erklären, inhalt- sprach für die SPD-Fraktion. Nächste Rednerin ist Frau lich ist es jedoch bei dem Thema zu kurz gegriffen. Kollegin Jähnigen für die GRÜNEN. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, um Frau Eva Jähnigen, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsident! Dr. Schellong und ihrem Team für den Start der Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Opferschutz zu Traumaambulanz in Dresden und für die weitere Arbeit alles Gute zu wünschen. stärken, das ist wirklich ein wichtiges Ziel. Jedoch der konkrete Antrag, den Kollegin Jonas angekündigt hat, ist (Beifall bei der SPD und vereinzelt Ihnen leider nicht gelungen. bei den LINKEN und den GRÜNEN) Es beginnt mit Punkt 1, der Forderung, den Opferschutz Aber zurück zum Antrag. Es wäre nicht nur wünschens- zu stärken. Er bleibt leider unkonkret und man kann wert, sondern notwendig gewesen, wenn der Antrag auch darüber rätseln, was Sie sich darunter vorstellen. Sind es andere Akteure stärker ins Blickfeld genommen hätte. vielleicht Videokameras? Diese fänden wir als Opfer- Denn wenn man sich anschaut, mit welchen Stellen sich schutz nicht hilfreich. Oder meinen Sie damit, dass die Frauen, Männer und Kinder, die Opfer einer Straftat Sensibilität in Regierung und Landesverwaltung erhöht geworden sind, regelmäßig als Erstes konfrontiert sehen, werden soll? Das fänden wir hilfreich, aber dann muss dann sind das nicht die Opferberatungsstellen oder Ein- man es auch sagen. richtungen wie Traumaambulanzen, sondern es sind Ich zum Beispiel habe kritisiert, dass der Innenminister staatliche Stellen. Regelmäßig sind es Polizeibeamtinnen mit der „Bild“-Zeitung die Folterkiste einer vergewaltig- oder Polizeibeamte oder sonstige Mitarbeiter der Strafver- ten, entführten, schwer traumatisierten Frau, die noch folgungsbehörden, mit denen die Opfer als Erstes in heute hier in Dresden mit ihrer Familie lebt, öffentlich Kontakt kommen. präsentiert hat. So etwas muss nicht sein. Das gehört auch Kümmern Sie sich bitte auch um diese, indem Sie die EU- zum Opferschutz und da sollte man Klartext reden. Opferschutzrichtlinie möglichst zügig und nicht erst Ende (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) 2015 umsetzen. Auch das ist die Voraussetzung dafür, dass wir eine flächen- und vor allem institutionenüber- Sie fordern einen Versorgungsbericht über die Traumaver- greifende Kooperation in Sachen Opferschutz bekommen. sorgung und -behandlung der Opfer. Ja, Traumaambulan- Ich hoffe dann, ähnlich wie Frau Gläß, dass der Antrag zen sind ein wichtiges Thema. Aber welche Vorstellungen auch haushaltsrelevante Folgen hat. Die Forderung nach und konkreten Ziele haben Sie denn zur Weiterentwick- einem flächendeckenden Angebot der Traumaambulanz lung? Die schwache Finanzierung ist von meinen Vorred- steht ja nur in der Begründung und mit den derzeit einge- nerinnen schon benannt worden. Ich füge hinzu: Seit dem stellten 100 000 Euro werden Sie da nicht so weit kom- 15.05. gibt es das Kompetenzzentrum, aber auch das ist men. Ich verweise auch auf die nicht ausreichende Förde- nur bis Ende des Jahres finanziert. Soll es fortgesetzt rung der bestehenden Beratungs- und Hilfsangebote vor werden? Was haben die Leute zu erwarten? Sagen Sie es doch bitte den Opfern und denen, die ihnen helfen sollen. allem im Bereich häusliche Gewalt, weil dort seit 2007 die Förderhöhen trotz steigender Inanspruchnahme nicht Zu den Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz. verändert worden sind. Entbürokratisieren und Beschleunigen – das klingt immer gut. Es handelt sich größtenteils um Bundesrecht, aber es Ich möchte auch an dieser Stelle an die letzte Haushalts- beratung erinnern und an die von den Fraktionen FDP und

10583 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 spricht natürlich nichts dagegen. Allerdings werden Sie Schließlich sind Opfer homophober Gewalt für Sie bisher auch hier wieder nicht konkret. überhaupt kein Thema gewesen. Das hat unsere Große Ich möchte konkrete Zahlen nennen: 2012 gab es in Anfrage gezeigt. Auch diese Opfergruppe wird vernach- lässigt. Sachsen 312 406 Straftaten, wovon fast 7 000 Gewaltta- ten waren. Es gab ganze 623 Anträge auf Opferentschädi- Summa summarum: Der Opferschutz ist wichtig. Er muss gung. Davon wurde mehr als die Hälfte, nämlich 361, im Mittelpunkt stehen. Wir werden auch diesem unkon- abgelehnt. Ein Zehntel der Taten führten zu einem Opfer- kreten Antrag zustimmen, aber viel wird er so nicht antrag – offensichtlich sehr wenige. Das ist es auch, was helfen. der Weiße Ring als Opferschutzorganisation immer Danke schön. kritisiert: Zu wenige stellen einen Antrag auf Entschädi- gung. Zu wenige wissen, dass es das überhaupt gibt und (Beifall bei den GRÜNEN) wie man damit umgeht. Die Versorgungsträger gehen zu restriktiv damit um. Präsident Dr. Matthias Rößler: Das war die Abg. Jähnigen für die Fraktion GRÜNE. Von der NPD ist kein Wenn wir über den Versorgungsträger reden, dann kom- Redebedarf angezeigt. Wir könnten eine weitere Rede- men wir natürlich zu dem, was sich in Sachsen tun ließe, runde eröffnen. Gibt es dafür Bedarf aus den Fraktionen? denn Versorgungsträger ist hier wieder die unkontrollierte – Das kann ich nicht feststellen. Damit erhält die Staats- Riesenbehörde Kommunaler Versorgungsverband. Wollen regierung das Wort. Bitte, Frau Staatsministerin Clauß. Sie, dass dort etwas geändert wird? Wollen Sie sich mal nicht hinter der kommunalen Selbstverwaltung verste- Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und cken? Dann sagen Sie aber bitte, was sich ändern soll. Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Was soll sich beim KSV ändern, damit die Opfer besser sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir sind an Entschädigungen herankommen? Wie sollen sie uns einig und das hat man auch in der Debatte gehört: beraten werden? Wie sollen die Verfahren vereinfacht Traumambulanzen helfen schnell und niederschwellig. werden? Oder sind es nur Wortblasen? Das haben die Sie können chronische Belastungen und psychische Betroffenen tatsächlich nicht verdient und das haben auch Spätfolgen vermeiden helfen. Dass Hilfe so schnell und die Leute nicht verdient, die sich dafür engagieren. unkompliziert wie möglich erfolgt, ist besonders wichtig für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch. Wir Ich möchte den Blick auf bestimmte Opfergruppen haben auch gehört, dass es wissenschaftlich erwiesen ist, richten: Erstens. Behinderte, insbesondere Frauen und dass dies in den ersten Wochen von Erfolg sein sollte. Mädchen, aber auch Jungen und Männer sind überpropor- tional von Gewalt betroffen. Das hat die Studie des Wie Herr Kollege Mackenroth schon kundgetan hat, wird Bundesministeriums der Justiz gezeigt. Wir haben bean- Frau Staatssekretärin Fischer am kommenden Freitag die tragt, dass der Situation von behinderten Frauen bei erste Traumaambulanz am Dresdner Uniklinikum eröff- Gewalt und Missbrauchsopfern besonders Rechnung nen. Das ist ein wichtiger Schritt. Über einen Notbereit- getragen wird. Es gab dazu eine interessante Anhörung. schaftsdienst der Dresdner Ambulanz erhalten Opfer ab Sie haben diesen Antrag im Sozialausschuss des Landta- sofort zeitnah einen Termin für fünf sogenannte probatori- ges letztens abgelehnt. sche Sitzungen. Dann klären speziell ausgebildete Ärztin- Zweitens, traumatisierte Flüchtlinge, Flüchtlinge, die nen und Ärzte, ob eine Behandlung angezeigt ist oder Sachsen aus Bürgerkriegsländern erreichen, aus Kriegssi- nicht, und wenn ja, welche sinnvoll ist. Sie führen mit tuationen oder aus persönlicher Verfolgung kommen. Das dem Betroffenen Erstgespräche zur Krisenintervention, ist für Sie offenbar kein Thema. Nach wie vor passieren ermitteln den genauen Sachverhalt, stellen eine Diagnose die Aufnahmen ohne Dolmetscher. Nach wie vor gibt es und entscheiden über weitere Behandlungsmöglichkeiten. keine Versorgung. Gerade bei der Diskussion zu unserem Die Kosten für diese Einstiegsbehandlung werden unbü- Antrag zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge haben wir rokratisch über das Opferentschädigungsgesetz über- gesehen, dass auch die Ausländerbehörde und der Innen- nommen, und zwar – dies möchte ich betonen –, noch minister davon ausgehen, dass dort nur eine minimale bevor ein Antrag auf Opferentschädigung genehmigt worden ist. medizinische Versorgung stattfinden soll; denn eine normale medizinische Betreuung müssten dann die Meine Damen und Herren Abgeordneten, die schnelle und Angehörigen bezahlen. Wir glauben, dass unsere Solidar- unbürokratische Versorgung von Gewaltopfern steht für gemeinschaft in der Lage ist, verfolgten Flüchtlingen auch uns im Mittelpunkt. Erstmalig für Sachsen haben wir das medizinisch zu helfen. Aber das haben wir schon disku- durch einen Vertrag zwischen dem Uniklinikum und dem tiert, und leider spielt es auch hier wieder keine Rolle. Kommunalen Sozialverband geregelt; denn bisher war eine schnelle Versorgung von Gewaltopfern auf der Drittens, Opfer rassistischer Gewalt. Beim Tagesord- Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes kaum nungspunkt nach dem Bericht des NSU-Untersuchungs- möglich. Bei niedergelassenen Traumatherapeuten – auch ausschusses sollte dieses Thema nicht ausgeblendet darüber haben wir hier schon diskutiert – gibt es Warte- werden. Auch hier ist die Förderung der Beratungsstelle eingestellt worden. zeiten, aber das wird jetzt auch im Koalitionsvertrag beschleunigt werden.

10584 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Die Antragstellung über das Opferentschädigungsgesetz Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind jetzt beim ist langwierig und kompliziert und wird bislang nur selten Schlusswort. Das Schlusswort erhält die einbringende wahrgenommen; aber eine rechtzeitige Versorgung von Fraktion der CDU; Herr Mackenroth, gleich vom Mikro- traumatisierten Gewaltopfern darf nicht an bürokratischen fon 5 aus; bitte. Hürden scheitern. Das ist uns wichtig. Ab jetzt genügt ein einfacher Kurzantrag des Opfers, damit die Traumaexper- Geert Mackenroth, CDU: Vielen Dank, Herr Präsident! ten mit den ersten fünf Sitzungen beginnen können. Wenn Ich danke für die Debatte, die wieder ein Stück gesell- die Ärzte entsprechende Symptome feststellen, dann ist schaftliche Sensibilisierung für Opferbelange gebracht eine anschließende Akutbehandlung mit bis zu zehn hat. Und sei der Schritt auch noch so klein – jeder Schritt Sitzungen möglich. Auf diese Weise gewährleisten wir für die Opfer ist ein guter Schritt. Gewaltopfern einen schnellen Zugang zur therapeutischen Kollegin Gläß, Sie haben darauf hingewiesen, dass Hilfe. Um das Modell finanziell abzusichern, stellt das Therapeuten Mangelware sind. Richtig, wir müssen sicher Sozialministerium zusätzliche Mittel bereit. Das sind mit denjenigen reden, die den Versorgungsauftrag haben. 50 000 Euro pro Jahr, die auch im kommenden Doppel- Das ist nicht die Staatsregierung, aber dass etwas zu tun haushalt sehr wohl veranschlagt sind. ist, ist richtig. Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen solche Die Vertreterin der SPD hat darauf hingewiesen, dass die Traumaambulanzen nicht nur in Dresden, sondern in ganz Einführung der EU-Opferschutzrichtlinie ansteht. Auch Sachsen. Ich bin überzeugt, dass dieses Angebot Schule das wird bei der Verbesserung der Opferrechte eine machen wird, und wir stehen unterstützend weiter zur wichtige Etappe sein. Seite. Bei der flächendeckenden Etablierung werden wir mithelfen. Frau Jähnigen, Sie haben uns vorgeworfen, dass der Antrag unkonkret ist. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, haben wir das Ihre Kritik am KSV, die ich in Einzelfällen teile, war mir Projekt „Kompetenzzentrum Traumaambulanzen in wiederum zu unkonkret. Wenn und sobald etwas Konkre- Sachsen“ ins Leben gerufen, das ebenfalls von meinem tes herauskommt und konkrete Einzelfälle nicht sachge- Ministerium gefördert wird. Ziel dieses Projektes ist es, recht behandelt werden, würde ich einfach darum bitten, Konzepte, Qualitätsstandards und Finanzierungsmodelle mit dem KSV zu sprechen. Meine Erfahrungen sind nicht für die Therapie von seelisch Traumatisierten zu erarbei- so schlecht wie die Erfahrungen anderer. Aber dass etwas ten. Der Vertrag über die Erbringung von Leistungen zu tun ist, erkenne ich ebenfalls. durch Traumaambulanzen für Opfer von Gewalttaten, der Insgesamt sind wir auf dem richtigen Weg. Ich bitte noch am Freitag unterzeichnet wird, ist dazu ein wichtiger einmal um Zustimmung zu unserem Antrag. Schritt. Auch diese Traumaambulanzen werden den Opfern der SED-Diktatur und deren Angehörigen selbst- (Vereinzelt Beifall bei der CDU verständlich offenstehen. Das ist aber neu und ist auch bei und der Staatsregierung) den Vertretern der Opferverbände auf reges Interesse gestoßen. Dieser Vertrag kann zugleich ein Mustervertrag Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr für die Arbeit weiterer Traumaambulanzen sein. Kollege Mackenroth. Mein Dank geht deshalb ausdrücklich an den KSV, das Meine Damen und Herren, mir liegt ein Änderungsantrag Universitätsklinikum Dresden und den Weißen Ring, die der einbringenden Fraktionen CDU und FDP in der hier alle drei wieder einmal Pionierarbeit geleistet haben. Drucksache 5/14806 vor, den Kollege Mackenroth bereits Wie erfolgreich das ist, sieht man allein schon an den eingebracht und begründet hat. Wir können also darüber Rückmeldungen, die wir aus Berlin erhalten. Es wurde abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustim- schon erwähnt, dass im Koalitionsvertrag eine Neuord- mung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – nung des Rechts der sozialen Entschädigung und der Vielen Dank. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltun- Opferentschädigung vorgesehen ist. Ich werde mich dafür gen? – Auch keine. Damit ist der Änderungsantrag in der einsetzen, dass dabei auch ein schneller und unbürokrati- Drucksache 5/14806 angenommen. scher Zugang von Gewaltopfern zu diesen Traumaambu- Meine Damen und Herren, ich stelle nun die Drucksa- lanzen mitgeregelt wird, denn Dresden soll nicht die che 5/12677 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung einzige Ambulanz bleiben. um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Vielen Dank. Keine. Stimmenthaltungen? – Ebenfalls keine. Damit ist diese Drucksache einstimmig angenommen und der (Beifall bei der CDU, der Tagesordnungspunkt 7 beendet. FDP und der Staatsregierung) Meine Damen und Herren, wir treten ein in den Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Frau Staatsministerin Clauß.

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Tagesordnungspunkt 8 Entwicklung des Hortes als Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe und Betreuung nach § 16 SächsSchulG Drucksache 5/13728, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringerin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE; der Hort ist bildungspolitisch seit vielen Jahren das fünfte Frau Kollegin Klepsch ergreift das Wort. Rad am Wagen. Daran hat weder die Handlungsempfeh- lung von Minister Steffen Flath und Ministerin Helma Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Sehr geehrter Herr Orosz aus dem Jahr 2006 etwas geändert noch die Richt- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Horte sind linie über die Förderung von Ganztagsangeboten, die eine Kindertageseinrichtungen, die von schulpflichtigen Kooperationsvereinbarung zwischen Grundschule und Kindern bis zur Vollendung der 4. Klasse besucht werden Hort voraussetzt. Es mutet seltsam an, wenn das Kultus- können. Sie können auch an Grundschulen errichtet und ministerium auf die Frage antwortet, man gehe davon aus, betrieben werden“, heißt es in § 1 des Sächsischen Kita- dass alle Grundschulen mit einem Hort kooperierten. Das Gesetzes. heißt im Umkehrschluss: Man weiß es nicht genau. Was aber so nebensächlich und nach Freiwilligkeit klingt, Die Sächsische Staatsregierung muss sich aus der Sicht das sind gegenwärtig fast 130 000 betreute Kinder allein der LINKEN entscheiden: Will man die Ganztagsschule, in Sachsen im Hort. Im Jahr 2012 waren es 21,4 % und muss die Rolle des Hortes perspektivisch neu geklärt damit mehr als ein Fünftel der über 2 800 Kitas – ein werden – das ist auch Ergebnis einer Fachtagung, die im Schulhort für Kinder an einer Grundschule. vergangenen September stattfand –, um die pädagogische Das Paradoxe daran ist, dass der individuelle Rechtsan- Einheit von Schule und Hort zu erreichen. In Sachsen spruch auf Kindertagesbetreuung in Sachsen mit dem streiten an vielen Grundschulen immer noch Lehrkräfte Schuleintritt endet, laut Sächsischem Kita-Gesetz aber der und Horterzieher, wer zum Beispiel die Kinder während örtliche öffentliche Träger der Jugendhilfe verpflichtet ist, des Essens beaufsichtigt oder wer die Kinder – in der für alle Kinder bis zur Vollendung der 4. Klasse ein Pause nach dem Unterricht – betreut, die zwar die GTA- bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten. Angebote nutzen, nicht jedoch in den Hort gehen. Diese feine Differenzierung mag verwundern, wird Politiker aller Parteien und Ebenen verweisen gern auf die jedoch gerade in den größeren Städten mit vollgestopften notwendige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Erst der Grundschulen wie in Leipzig oder Dresden zum Problem; Hort an den Grundschulen ermöglicht diese Vereinbarkeit denn zusätzliche Plätze in Grundschulklassen bedeuten in Sachsen für berufstätige Eltern jüngerer Schulkinder. nicht automatisch zusätzliche Plätze in der Hortbetreuung. Mit 78,7 % besuchen mehr als drei Viertel der Sechs- bis Elfjährigen in Sachsen einen Schulhort. In den drei Vor einer Woche standen Eltern und Schüler der Großstädten Chemnitz, Dresden und Leipzig sind es sogar 68. Grundschule Dresden hier vor dem Landtag, weil ihr 87 bzw. 88 %. Hort gerade nicht mit der Schule mitwachsen kann. Das Geld, das die Eltern für die Hortbetreuung ihrer Schauen wir ins Nachbarland Thüringen – ich zitiere: Kinder aufbringen müssen, weist interessanterweise große „Für Grundschulkinder besteht ein Rechtsanspruch auf Unterschiede auf, obwohl die Betriebskosten annähernd Förderung in Kindertageseinrichtungen von montags bis gleich sein müssten. Während man in der Gemeinde freitags mit einer täglichen Betreuungszeit von zehn Triebel im Vogtlandkreis im Jahr 2012 für eine sechsstün- Stunden unter Anrechnung der Unterrichtszeit. Dieser dige Betreuung monatlich 39,90 Euro bezahlen musste, Anspruch gilt mit der Förderung an Horten in Grundschu- waren es in Chemnitz 65,92 Euro und in Dresden sogar len als erfüllt.“ – So weit in Thüringen. 79,32 Euro, also die doppelte Summe wie in der Gemein- Während sich die sächsische Landesregierung gern für de Triebel. Ich frage mich: Wie kommt das zustande? ihre Ganztagsschulen lobt, obwohl Sachsen keine Ganz- Paradox, um nicht zu sagen komisch wird es in der tagsschulen hat, sondern nur ausgedünnte Ganztagsange- Antwort auf Frage 18 zur Betreuung der Schulkinder auf bote im konzeptionellen Wildwuchs, ist der Hort an den dem Weg zum Hort. Die Eltern sind nach Auffassung des Grundschulen seit einigen Jahren das eigentliche Er- Kultusministeriums für die Aufsicht während des Weges folgsmodell – jedoch nicht allein aufgrund der engagier- der Kinder von der Schule zum Hort verantwortlich. ten Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch, Dabei nutzen die Eltern in den meisten Fällen die Hortbe- weil Eltern berufstätig sein wollen oder ganztätig berufs- treuung gerade deshalb, weil sie am Mittag oder frühen tätig sein müssen, um ihre Existenz zu bestreiten. Nachmittag aufgrund von Erwerbstätigkeit eben nicht für Hortbetreuung in Sachsen – das ist der Unterschied zur ihre Kinder sorgen können. Ganztagsschule – ist der Tagesabschnitt im sächsischen Ärgerlich ist es deshalb auch, wenn die Staatsregierung Schulalltag, den die Eltern mit Gebühren bezahlen, und keine Kenntnis darüber hat, wie weit insbesondere im

10586 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 ländlichen Raum die Entfernungen zwischen dem Schul- die Horte in früheren Jahren eigene Räume in den Grund- standort und dem jeweiligen Hort sind. Es gibt Grund- schulen beziehen, weil die Schülerzahl zurückging, so hat schulen, die mit mehreren Horten kooperieren. Aber das sich die Situation zumindest in den Großstädten komplett Kultusministerium weiß nicht, wie viele und welche das gewandelt. Bis an das Dach vollgestopfte Grundschulen sind. Das Kultusministerium weiß zudem nicht, wie viele haben insbesondere in den Großstädten keine eigenen Integrationsschüler auch einen Hort besuchen. Horträume mehr. Unterricht und Nachmittagsbetreuung finden vielmehr in Doppelnutzung statt. Angesichts des politischen Anspruchs, Horte als Teil der Kindertagesbetreuung anzusehen – wegen der viel geprie- Das hat Auswirkungen auf die pädagogische Konzeption. senen schulischen Ganztagsbetreuung sind sie auch Ein Klassenraum, der Sitzplätze für 28 Schülerinnen und Bildungseinrichtungen –, macht es sich aus der Sicht der Schüler bereithalten muss, ist nur mühsam jeden Tag LINKEN die Staatsregierung zu einfach, wenn sie vieles umzuräumen und in einen gemütlichen Gemeinschafts- nicht weiß. Weil sie es nicht wissen will! raum für den Nachmittag umzuwandeln, in dem sich Kinder auch in der Freizeit wohlfühlen. Der im Juni erschienene Vierte Sächsische Kinder- und Jugendbericht, auf den wir morgen noch zu sprechen Damit sind wir bei den Platzzahlen. Völlig unklar ist mir, kommen werden, enthält auch Aussagen zur Kindertages- wie es sein kann, dass laut Antwort auf Frage 9 der betreuung, da diese und der Hort Angebote der Kinder- Großen Anfrage im Jahr 2013 130 838 Kindern im Alter und Jugendhilfe darstellen. Leider ist den Autoren des von sechs bis zehn Jahren nur 87 062 genehmigte Hort- Berichts nicht aufgefallen, dass die größte Zunahme der plätze gegenüberstanden. Laut Statistischem Landesamt Zahl betreuter Kinder seit 2006 trotz Krippenausbaus besuchten aber 108 423 Schulkinder eine Kindertagesein- nicht in der Kinderkrippe, sondern – mit mehr als richtung. Wie kommt die Differenz von 20 000 Hortplät- 30 000 Kindern auf 126 000 betreute Kinder – im Hortbe- zen zustande? reich zu verzeichnen ist. Was folgt daraus? Wir als LINKE sehen Nachbesserungs- Die Stellungnahme der Staatsregierung zum Vierten bedarf in der Kinder- und Jugendhilfestatistik des Frei- Kinder- und Jugendbericht hält auf 36 Seiten immerhin staates, wie er auch in der kritischen Stellungnahme zum eine halbe Seite für den Kitabereich bereit. Allein, der Vierten Kinder- und Jugendbericht angemahnt wird. Begriff „Hort“ taucht dort nicht auf, erst recht nicht die Dennoch möchte ich an dieser Stelle dem Referat Kinder- Fragestellungen, die sich neu ergeben. Angesichts dessen tagesbetreuung des Kultusministeriums und dem Landes- sage ich: Da hat das Kultusministerium seine Hausaufga- jugendamt meinen Dank für die mühevolle Beantwortung ben nicht gemacht. der Großen Anfrage aussprechen. Ich hoffe, dass die Ich möchte an dieser Stelle aus der Fortschreibung des Antwort vor allen Dingen in den Fachreferaten als Grund- Fachplanes Kindertageseinrichtungen für die Landes- lage für weitere fachliche Überlegungen genommen wird. hauptstadt Dresden zitieren, in der der Wunsch nach Lassen Sie uns gemeinsam die Große Anfrage zum Anlass kontinuierlichem fachlich-inhaltlichem Austausch zwi- nehmen, den Hort in Sachsen zwischen Grund- und schen der Sächsischen Bildungsagentur und dem Dresd- Förderschule und Ganztagsangeboten nicht aus dem Blick ner Eigenbetrieb Kita als öffentlichem Träger der Jugend- zu verlieren, sondern auch nach der Landtagswahl weiter- hilfe zum Ausdruck kommt. Ich zitiere: „Derzeit reagieren zuentwickeln. Schule und Hort mit unterschiedlichen Strategien und inhaltlichen Ausrichtungen auf Anforderungen, wie große Aus der Sicht der LINKEN wäre ein erster wesentlicher Heterogenität in Gruppen bezüglich Lernstand, hohe Schritt die Verbesserung des Betreuungsschlüssels; denn Schülerzahlen in Klassen, Verhaltenskreativität von derzeit steht nicht einmal eine volle Stelle für eine Klasse Kindern etc.“ bzw. Hortgruppe zur Verfügung. Ein weiterer Schritt wäre die Ausweitung des individuellen Rechtsanspruchs der Entgegen der Auffassung der Staatsregierung sehen die Kindertagesbetreuung auf den Hort. Schließlich dürfen Fachleute, die die kritische Stellungnahme der Wissen- wir die Aus- und Weiterbildung der pädagogischen schaft zum Vierten Kinder- und Jugendbericht verfasst Fachkräfte nicht vernachlässigen. Wir müssen die Erzie- haben, durchaus politischen Handlungsbedarf. Ich darf herinnen und Erzieher besser auf die Arbeit mit behinder- zitieren: „Der stärkste Zuwachs an betreuten Kindern ten Kindern vorbereiten, um der Pflicht zur Umsetzung zwischen den Jahren 2006 und 2012 ist für den Hort zu der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung zu verzeichnen. Dieser Bereich, der infolge der Strategie für tragen. ganztägige schulische Angebote lange am Rande der fachlichen Aufmerksamkeit lag, ist stark gewachsen und Und: Wir müssen für Lehrkräfte und Horterzieher gezielt bedarf wieder mehr qualitativer Entwicklung.“ gemeinsame Fortbildungen anbieten, damit das Verständ- nis für den anderen wächst und die konzeptionelle Zu- Diese Botschaft möchte ich Ihnen, Frau Kurth, heute noch sammenarbeit besser funktioniert. Hier sind aus meiner einmal mitgeben. Wenn die Anzahl der betreuten Hort- Sicht das Landesjugendamt und das Sächsische Bildungs- kinder aber in wenigen Jahren um ein Drittel gestiegen ist, institut gemeinsam gefordert. Denn für alle Bildungsorte stellt das die freien und die öffentlichen Träger der Horte von Kindern gilt: Auf den Anfang kommt es an. Das gilt vor neue personelle und auch räumliche Herausforderun- auch und gerade in der Grundschule und im Hort. gen. Die Raumfrage wird zunehmend wichtiger. Konnten 10587 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Vielen Dank. von Millionen in den Mund hineinversprechen und dafür logischerweise Applaus ohne Ende ernten, aber mit keiner (Beifall bei den LINKEN, Silbe sagen, wie Sie das finanzieren wollen. Frau Stange der SPD und den GRÜNEN) hat das gestern ansatzweise getan, indem sie sagte, dass Präsident Dr. Matthias Rößler: Für die Einbringerin, man sich, wenn man bei der frühkindlichen Bildung etwas die Fraktion DIE LINKE, sprach Frau Kollegin Klepsch. mehr investieren will, dafür entscheiden muss, keine Straßen mehr zu bauen oder keine Wirtschaftsförderung Jetzt beginnen wir mit der ersten Rederunde. Für die mehr zu betreiben. Das war schon ein Fortschritt. CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schreiber. Fakt ist doch eines: Wenn wir das Kind betrachten, Patrick Schreiber, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! müssen wir es in Gänze betrachten. Ich frage mich, wann Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich war es so wir heute oder morgen noch über das Thema Hochschule gedacht, dass ich meine Rede ganz schnell beende. Ich reden, denn das gehört dann auch noch dazu. wollte mich nämlich bei der Staatsregierung für die sehr Jetzt komme ich auf den Hort. Frau Klepsch, Sie stellen umfassende Beantwortung der Großen Anfrage bedanken sich hier hin und behaupten, man wolle das alles nicht und es damit bewenden lassen. Dass jede Fraktion für sich wissen. Sie, Frau Klepsch, haben es mit dem Titel Ihrer aus den Antworten der Staatsregierung auch Schlüsse für Großen Anfrage, nämlich „Entwicklung des Hortes als die Zukunft zieht, ist sicherlich selbstverständlich. Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe …“, schon Frau Klepsch hat aber wieder zum allgemeinen bildungs- getroffen. Da sind wir beim gleichen Thema wie gestern. politischen Rundumschlag ausgeholt. Erst gestern wieder Es ist doch so, dass die Betreuung in der Kindertagesstätte durften wir gemeinsam an einem Forum der Liga der und die Betreuung im Hort zuallererst einmal eine kom- Freien Wohlfahrtsverbände teilnehmen. Was ich dort munale Pflichtaufgabe ist. erlebt habe, in welche Wahlkampfrhetorik man dort (Widerspruch bei den LINKEN und der SPD) mittlerweile verfallen ist, schlägt schon fast dem Fass den Boden aus. – Gut, die „Pflicht“ lasse ich beim Hort weg. Es gibt in Sachsen einen Rechtsanspruch auf den Besuch eines In der vergangenen Woche habe ich gemeinsam mit der Hortes nicht. Das ist richtig. Wenn Sie diesen Rechtsan- Kultusministerin sowie mit Frau Stange, Frau Falken, spruch auf den Besuch eines Hortes einführen wollen – Herrn Bläsner und Frau Hermenau – Frau Giegengack wir kommen ja dann noch zu Ihrem Entschließungsantrag war nicht dabei – an einem Forum der Freien Schulen –, aber selbst vorhin gesagt haben, dass 130 000 Kinder in teilgenommen. Frau Hermenau ließ sich dort zu der Sachsen eine Horteinrichtung besuchen – und da sind wir Behauptung herab, die Staatsregierung habe in den bei einer Abdeckung von mehr als 70 % der Kinder, die in vergangenen Jahren die Freien Schulen um eine halbe Sachsen einen Hort besuchen könnten, Tendenz steigend Milliarde Euro beschissen – ich sage das einfach so –, dann sagen Sie doch bitte auch, wie Sie das Geld für deutlich –, und es sei ja wohl ganz logisch, dass man in diesen Rechtsanspruch neben dem Geld für die freien den nächsten Jahren bei der Finanzierung der Freien Schulen, neben der Absenkung des Kita-Personal- Schulen von jetzt 240 Millionen Euro auf mindestens schlüssels, neben den 500 zusätzlichen Lehrerstellen 500 Millionen Euro hochgehen müsse. Das gebe letzten aufbringen. Dann sagen Sie doch wenigstens – und da Endes das Urteil des Verfassungsgerichtshofes vor. Das wiederhole ich mich immer wieder, das werden Sie immer wurde logischerweise von Frau Stange und von Frau wieder hören –, woher Sie das Geld nehmen wollen. Falken unterstützt. Wie gesagt, gestern saßen wir im Kita-Forum der Liga der (Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD) Freien Wohlfahrtsverbände. Dort ging es wieder einmal – Nein, nein, Frau Stange, ich kann noch bis vorgestern um den Betreuungsschlüssel. Ich muss deutlich sagen, das denken. war eine ganz finstere Veranstaltung – und dann auch noch in den Räumen der Dresdner Dreikönigskirche, wo Frau Dr. Stange, da reichen Ihre 275 Millionen Euro, die es natürlich auch um Geld ging. Sie über die nächsten zehn Jahre aufbringen und in all diese Bereiche von Bildung – die Hochschulen habe ich (Zurufe von den LINKEN und der SPD) noch gar nicht genannt – stecken wollen, überhaupt nicht aus. Ja, wir reden über den Anfang, und auf den Anfang kommt es an. Wir reden über die Betreuung unserer (Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD – Weitere Kinder im Vorschulbereich, im Schulbereich und in dem Zurufe von den LINKEN und der SPD) Bereich, in dem die Kinder nach dem täglichen Schulall- tag sind, nämlich im Hort oder im Ganztagsangebot. – Ja, Herr Dulig, wieder im Parlament anwesend, herzlich Darüber reden wir hier, Frau Klepsch. willkommen zurück! Es ist schon spät. Aber Fakt ist, Ihre Theatralik von „Ihr Sachsen“ von heute Morgen ist ein Sie wollen nicht akzeptieren, dass ich einmal diesen wunderschöner Traum, den Sie zeichnen. Aber seien Sie Bogen spanne aus all diesen Bereichen, die Sie in den doch irgendwann einmal verantwortungsvoll und sagen letzten Monaten hoch- und runterbeten, wobei Sie jedem Sie den Menschen draußen, wie Sie Ihren Traum finanzie- dort, wo Sie gerade sitzen, Millionen, teilweise Hunderte ren wollen!

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(Anhaltende Unruhe bei der SPD) Arbeit machen. Natürlich machen sie die, aber sie begrei- fen sich zum Teil eben nicht als Bestandteil eines Schul- – Nein, das machen Sie nicht. Sie machen schöne Bilder, alltags, sondern sie begreifen sich als ein Extrabonbon. die Sie dann bei Facebook veröffentlichen. Aber Sie Das ist das Problem, warum es zu Konflikten kommt. sagen mit keiner Silbe, aus welchem gesellschaftlichen Bereich Sie das ganze Thema finanzieren wollen. Der nächste Konfliktpunkt, den Sie ansprechen, ist der zwischen Ganztagsangeboten und Horten. Man muss sich Damit komme ich zurück zum Hort; denn auch im Hort fragen, warum es diesen Konflikt eigentlich gibt. Sie lernt man zum Beispiel den Umgang und das Miteinander reden von ausgedünnten Ganztagsangeboten und konzep- in der Solidargemeinschaft. Schon im Hort lernt man – tionellem Wildwuchs. Haben Sie sich einmal mit der vielleicht schon viel früher –, dass man den Euro, den Frage beschäftigt, warum das Ganze so ist, wo das eigent- man hat, nur einmal ausgeben kann. Sie sind das Beispiel liche Versagen liegt, bevor Sie es der Staatsregierung dafür, dass Sie an dieser Stelle unehrlich agieren. vorwerfen? (Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD) (Zuruf der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE) – Ja, ist alles gut, Herr Pecher, wenn Sie den Sachsen- Auf der einen Seite wollen Sie, dass immer alle schön für bankfonds und den Generationenfonds hinzunehmen. ihren Bereich mitbestimmen und machen können – ich Nehmen Sie den Beamten des Freistaates Sachsen ihre drücke das jetzt etwas platt aus –, was sie wollen und was Pensionen weg und stecken Sie sie in den Hort! Machen sie für richtig halten. Wenn es dann aber darum geht, Sie das. Dann frage ich mich, wenn Sie zehn Jahre mit in tatsächlich zu schauen, was vor Ort passiert, schreien Sie der Regierung sitzen, nach zehn Jahren, wenn alle Rück- permanent nach staatlicher Regulierung. Da sage ich lagen aufgebraucht sind mit Ihren lächerlichen Verspre- Ihnen ganz deutlich: Ich lehne es ab, in jeden Hort, in chungen, wie Sie dann diese Dinge weiter finanzieren jedes Ganztagsangebot, in jede Schule hineinzuregulieren. wollen. Aber wahrscheinlich sind Sie spätestens dann Die Schulen im Freistaat Sachsen sind sehr wohl in der wieder in der Opposition gelandet und können hier mit Lage, Konzepte für ihre Ganztagsangebote zu machen. dem Finger auf andere zeigen. Das ist unehrlich, das ist unseriös. (Beifall des Abg. Tino Günther, FDP) (Beifall bei der CDU – Zuruf Dort, wo es Probleme gibt, die es unbestritten gibt, das ist des Abg. Mario Pecher, SPD) gar keine Frage – ich könnte Ihnen noch ganz andere Bereiche nennen, in denen es Probleme gibt –, müssen Ich komme zurück zum Hort. diese Probleme gelöst werden. Wenn die Schule sie selbst (Zuruf der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE) nicht lösen kann mit den Akteuren, dann muss staatliche Verantwortung eingreifen, aber eben erst dann. Sie ver- – Frau Klepsch, es ist eben nicht nur Schublade und langen von vornherein à la Pionier- und Freundschaftslei- Schublade. ter und was weiß ich nicht alles, dass wir jetzt an den (Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD) Schulen auch noch das alte Denken einführen. Nein, danke! – Ach so? Also, wir stellen hier keine Anträge! Heute ist es der Hort, morgen ist es der Kita-Schlüssel, übermorgen (Anhaltende Unruhe bei ist es die freie Schule. den LINKEN und der SPD) (Anhaltende Unruhe bei Und dann sind wir beim nächsten Punkt, Frau Klepsch. den LINKEN und der SPD) Sie bemängeln als Nächstes das Fehlen der eigenen Räume in Schulen. Dann sehen Sie es doch einmal in Gänze! (Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Kommen wir zurück zum Hort. Sie bemängeln den Streit Ja, die kommen doch nicht!) zwischen Lehrern und Horterziehern. Ich könnte Ihnen da noch ganz andere Streitpunkte nennen, zum Beispiel auch Ich sage Ihnen eines dazu: Ich verstehe die Kritik gerade den Streit zwischen Schulsozialarbeitern und Lehrern. in Leipzig und in Dresden sehr gut, dass diese Räume Fragen Sie sich doch irgendwann einmal, warum dieser nicht mehr da sind. Diese Kritik dauert ja nun schon Streit überhaupt existiert, ob das tatsächlich, so wie Sie einige Jahre an. Stellen wir uns doch aber einmal die tun, immer nur an den bösen Lehrern liegt, die nicht Frage, seit wann die eigenen Räume nicht mehr da sind akzeptieren wollen – – und zu welcher Zeit sie im Freistaat Sachsen da gewesen sind. Diese Räume hat doch niemand zugemauert. Es ist (Zuruf der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE) in den Jahren 2010 und 2011 keiner gekommen und hat in – Na ja, heute und hier vielleicht nicht, Frau Klepsch. Dresden und in Leipzig angefangen, die Türen der Hort- Aber wir sind ja nun schon einige Jahre beieinander auch räume zuzumauern. Warum sind die Räume denn nicht in Unterausschüssen des Landesjugendhilfeausschusses mehr da, und warum waren sie in den Jahren 2004 und und im Landesjugendhilfeausschuss selbst. Es sind immer 2005 noch da? die Lehrer, die nicht akzeptieren wollen, dass die armen Sozialpädagogen an den Schulen auch eine ganz wichtige 10589 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

(Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Da hatte (Beifall bei der CDU und der FDP) man die Schulen noch nicht geschlossen!) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Frau Klepsch, Sie – Das hat überhaupt nichts mit dem Schließen von tau- wünschen das Wort? send Schulen zu tun, Frau Klepsch. Das hat überhaupt nichts damit zu tun. Der Punkt ist einfach, dass die Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Herr Präsident! Ich baulichen Voraussetzungen für diese Massen von Kin- bitte um eine Kurzintervention auf die Worte des Herrn dern, die jetzt Gott sei Dank im Freistaat Sachsen wieder Schreiber. beschult werden, in den kleinen Schulen eben nicht ausreichen. Und es gibt Grundschulbezirke. Das wissen 2. Vizepräsident Horst Wehner: Sie haben jetzt die Sie ganz genau. Das Problem in der 68. Grundschule in Gelegenheit dazu. Dresden ist doch nicht, dass diese Räume nicht da sind. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Ich möchte auf den Natürlich sind die Räume nicht da. letzten Punkt eingehen. Ich glaube, Herr Schreiber hat in (Lachen bei den LINKEN und der SPD) den Haushaltsverhandlungen in den Jahren 2010 und 2012 nicht aufgepasst. Ansonsten hätte er nämlich die Aber warum sind sie nicht da? Wo ist denn das eigent- Änderungsanträge der Fraktion DIE LINKE zur Kenntnis liche Problem? Das Problem ist zum Beispiel, dass ich für genommen. die Beschulung eines Schulkindes, Frau Klepsch, 1,8 Quadratmeter ansetze und für ein Hortkind 2,5 Quad- (Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU) ratmeter vorgeschrieben sind. Er hätte wahrgenommen, dass wir durchaus für alle (Petra Köpping, SPD: Das ist eine Sollvorschrift!) Änderungsanträge – auch für eine Besserstellung des Betreuungsschlüssels in den Kindertageseinrichtungen – – Das ist eine Sollvorschrift. – Genauso wäre es schön, Deckungsvorschläge für die Finanzierung unterbreitet wenn nur 25 Kinder in der Klasse sitzen würden, natür- haben. Insofern haben wir auch finanzpolitisch konse- lich. Aber soll die Schule diese Kinder am Ende irgendwo quent gehandelt und unsere Forderungen immer unter- anders hinschicken? Ist es nicht eigentlich unsere Aufga- setzt, ohne dafür Schulden aufnehmen zu müssen. be, auf solche Engpässe zu reagieren? Ist es nicht unsere Aufgabe, an solchen Stellen – wie gesagt, in Verantwor- (Beifall bei den LINKEN – tung der Stadt; die Stadt, die Kommunen sind in der Zuruf von den LINKEN: Genau!) Verantwortung – diese Dinge zu organisieren und zu regeln? Das müssen Sie einmal deutlich sagen. Es ist 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Schreiber, möch- unsere Aufgabe, in solchen Konfliktfällen nach Lösungen ten Sie erwidern? – auch nach kurzfristigen – zu suchen und nicht perma- (Patrick Schreiber, CDU: Nein! Ich kriege nent mit der Allgemeinschelte durchs Land zu ziehen. ja keine Antworten auf meine Fragen!) Jetzt sind wir beim letzten Punkt, den ich ansprechen – Das ist nicht der Fall. – Frau Herrmann. möchte – das passt wieder wunderbar ins Bild, wie gesagt, ich könnte noch auf ganz viele andere Dinge hier Elke Herrmann, GRÜNE: Ich möchte auch die Mög- eingehen, Frau Klepsch –, lichkeit einer Kurzintervention nutzen.

(Zurufe von den LINKEN) 2. Vizepräsident Horst Wehner: Bitte sehr. das ist der Betreuungsschlüssel: Elke Herrmann, GRÜNE: Der Kollege Schreiber hat (Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Na endlich!) gesagt, dass alle Dinge gemeinsam berücksichtigt werden Ich erwarte in der zweiten Runde von Ihnen – spätestens, müssen und dass Frau Klepsch Anträge stellt, die sie wenn Sie Ihren Entschließungsantrag einbringen – ganz finanziell nicht untersetzen kann. Ich finde es schade, dass konkrete Zahlen zum Betreuungsschlüssel, den Sie von es nicht möglich ist, Sachthemen zu diskutieren und angeblich 0,9 : 20 auf 1 : 17 verändern wollen. Dann gemeinsam eine Lösung für bestimmte Dinge zu finden, möchte ich hier bitte die Zahlen hören, und ich möchte obwohl wir alle ganz genau wissen, dass zum Beispiel von Ihnen heute und persönlich hier hören, fehlende Angebote der Hortbetreuung für manche Kinder dazu führen, dass sie auf der Straße leben und dass uns (Oh! bei den LINKEN) das später sehr wohl Kosten verursacht, die sich aber in anderen Haushaltsstellen niederschlagen. aus welchem Bereich Sie dieses Geld nehmen. Das ist dann wenigstens das erste und einzige Mal in dieser Deshalb bin ich der Meinung, dass man nicht alles, was Legislatur, dass Sie eine Mehrforderung, die Sie perma- man sich wünscht, sofort umsetzen kann, aber gemeinsam nent, in jeder Plenarsitzung hier in den Raum stellen, nach einer Strategie und Möglichkeiten suchen sollte, wie finanziell unterlegen. Machen Sie es doch wenigstens in man die Situation verbessern kann und wie man zum der vorletzten Sitzung des 5. Sächsischen Landtags, wenn Beispiel die fehlende Hortbetreuung oder die fehlende Sie es schon fünf Jahre nicht getan haben. qualitative Betreuung in der Kita bei einem schlechten Vielen Dank. Personalschlüssel schrittweise verändern kann, und zwar 10590 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 gemeinsam. Es muss unser gemeinsames Anliegen sein, sowie Horten. Ich denke, dafür bieten die Fragen und das Geld später nicht in einer JVA oder anderswo auszu- Antworten eine Reihe von Hinweisen. geben, sondern in der frühkindlichen Bildung, um den Ich möchte dennoch einen Schritt zurückgehen. Ein Teil Kindern damit Chancen zu eröffnen. der Abgeordneten hier im Haus kann sich vielleicht noch Vielen Dank. erinnern – man kann es auch recherchieren –, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass der Hort von der (Beifall bei den GRÜNEN, Schule getrennt worden ist. Meines Wissens war es 1993, den LINKEN und der SPD) also kurz bevor die Förderschulen von anderen Betreu- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Herr Schreiber, Sie ungsmaßnahmen getrennt wurden, als der Hort von der möchten erwidern? – Bitte. Grundschule getrennt wurde. Als im Jahre 2004 die Ganztagsangebote durch das Patrick Schreiber, CDU: Vielen Dank, Frau Herrmann. Bundesprogramm dazukamen, hatten wir sozusagen einen Ich glaube, Frau Herrmann weiß sehr genau – auch Frau Grundstock in allen östlichen Bundesländern. Nur in Klepsch weiß das sehr genau –, dass ich jemand bin, der Thüringen ist es damals gelungen, den Hort beim Kul- für Diskussionen und Vorschläge immer offen ist. Ich bin tusministerium bzw. beim Bildungsministerium zu belas- es aber irgendwann leid, wenn man immer nur mit ir- sen und damit auch die Personalhoheit über die Erziehe- gendwelchen Anträgen durch die Arena geführt wird, die rinnen und die Lehrerinnen und Lehrer und die Ge- nur öffentlichkeitswirksam sein sollen, weil Wahlkampf samtstruktur in einer Hand zu behalten, was es Thüringen oder Zwischenwahlkampf oder sonst irgendetwas ist. heute leichter macht, Ganztagsschulen zu organisieren: (Martin Dulig, SPD: Schon weil sie nämlich das eine mit dem anderen gut kombinie- schwierig mit der Demokratie!) ren konnten. – Nein, Herr Dulig, das hat nichts mit Demokratie zu tun. Das war in Sachsen – auch in den anderen neuen Bundes- ländern – nicht mehr so ohne Weiteres möglich. Dennoch (Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD) war der Hort immer – das vergessen einige, wenn wir – Nein. Das hat überhaupt nichts mit richtig zu tun. Frau unsere positive Bilanz bei GTA im bundesweiten Ver- Herrmann hat gesagt, sie wünscht sich, dass das möglich gleich darstellen – der Grundstock für das, was wir heute ist. Frau Herrmann weiß aus unserer alltäglichen Arbeit, so positiv darstellen. dass dies möglich ist. Aber es wird eben nicht praktiziert. Was mich ein wenig ärgert – bzw. was die Anfrage noch Es wird nicht gesagt: Lasst uns da einmal hinsetzen, wir einmal deutlich gemacht hat –, ist: Wir sind leider stehen unterbreiten jetzt einmal einen gemeinsamen Vorschlag, geblieben. Wir haben es nicht geschafft, die Möglichkei- wie man das machen kann. – Nein, es werden Anträge mit ten, die wir haben – auf der einen Seite der Hort über die Forderungen gestellt, Kinder- und Jugendhilfe, auf der anderen Seite die Schule (Zurufe von den LINKEN und der SPD) und die kostenfreien GTA-Angebote –, miteinander zu verzahnen und ein einheitliches Konzept daraus zu bezüglich derer Frau Klepsch ganz genau weiß, dass das machen. Es ist heute der Kooperationsbereitschaft der so, wie sie es aufschreibt, populistisch und unrealistisch verschiedenen Partner geschuldet, ob es gelingt, eine gute ist. Sie führt andere durch die Arena, die sich darüber Kooperationsvereinbarung im Interesse der Förderung Gedanken machen müssen, woher das Geld am Ende und Entwicklung der Kinder hinzubekommen oder nicht. kommt. Das ist so. Es ist der guten Hortleiterin, die mit der Schulleiterin gut (Zurufe von den LINKEN und der SPD) kooperieren und kommunizieren kann, geschuldet. Leider hat uns die Antwort der Staatsregierung nicht 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und aufzeigen können, wie das mit den Kooperationsvereinba- Herren, in der Aussprache geht es weiter mit der SPD- rungen aussieht. Es gibt zwar grundsätzlich den An- Fraktion. Frau Abg. Dr. Stange, Sie haben das Wort. spruch, dass sie auf den Weg gebracht werden sollen; wie Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Sehr geehrter Herr Präsi- viele es aber tatsächlich gibt, wissen wir nun leider nicht. dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möch- Es wäre schön, wenn man das einmal nachschieben te mich ganz herzlich bei den LINKEN für diese Große könnte. Anfrage bedanken, weil wir auf diese Art und Weise eine Wir sind also halbherzig geblieben. Wir haben einen Reihe von Antworten zu einem Bereich bekommen haben, Bildungsplan geschaffen, der sich erfreulicherweise nicht der bisher wenig beleuchtet worden ist: nämlich den nur auf den frühkindlichen Bereich konzentriert, sondern Horten. Auch wenn die Antworten teilweise sehr lücken- so, wie es auch die Experten vorgeschlagen haben, bis haft sind und darauf hinweisen, dass wir einen dringenden zum zwölften Lebensjahr reicht. Nur leider wurde bei der Erkenntnisbedarf in diesem Bereich haben, so ist es doch, Evaluierung des Bildungsplans und bei der Schulung der denke ich, eine wichtige Grundlage zur notwendigen Erzieherinnen und Erzieher übersehen, dass der Bereich Weiterentwicklung in dieser Trias zwischen Grundschu- der Horte in diesen Bildungsplan einzubeziehen ist. Das le/Förderschule als Schulseite und Ganztagsangeboten heißt, es gibt keine gemeinsamen Schulungen für den

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Hort, die Grundschule und – übrigens – die Förderschule Seite und dem Landesetat auf der anderen Seite zu orga- in dem Bereich. nisieren. Das ist uns nicht gelungen. Thüringen hat es Es gibt auch keine Evaluierung für den Hort. Der Evaluie- gemacht. Wir haben es nicht geschafft. Es wurde nicht rungsbericht zum Bildungsplan hat den Hort ausgeschlos- gesagt, dass es falsch gewesen ist, das miteinander zu sen. In der nachfolgenden Beratung und auch in der verbinden. Von daher sollten wir uns daran erinnern, dass Stellungnahme der Staatsregierung ist ausdrücklich darauf wir eine Grundlage haben, an die man anknüpfen kann, wenn wir eine Ganztagsschule entwickeln. hingewiesen worden, dass die Evaluierung der Umset- zung des Bildungsplans für den Hort noch nachgeholt Lassen Sie mich einen allerletzten Punkt nennen. Das hat werden muss. Es wäre wichtig, dass dieser Auftrag noch mich wirklich ein wenig geärgert, weil ich dazu in den folgt. letzten Monaten immer wieder etwas auf dem Tisch hatte. Wir reden über das Thema Umsetzung der UN-Behinder- Das Gleiche gilt für die gemeinsame Fort- und Weiterbil- tenrechtskonvention. Im Hort scheint das keine Rolle zu dung von Horterzieherinnen und -erziehern auf der einen spielen. Genau zwei Modelleinrichtungen sind derzeit in Seite und Lehrerinnen und Lehrern auf der anderen Seite. die Umsetzung der Inklusion einbezogen. Es gibt keine Dringend notwendig ist, dass beide ein gemeinsames Konzepte, wie wir den Hort selbst bei integrativen Schul- Verständnis von der Entwicklung von Kindern haben. konzepten, die dem vorgelagert sind, in diesen Prozess Sinn und Zweck war es, Bildungspläne vom ersten oder einbeziehen. Hier ist dringender Handlungsbedarf gege- vom nullten bis zum zwölften Lebensjahr zu schreiben. In ben, noch mehr als im Schulbereich selbst. den skandinavischen Ländern reichen sie sogar bis zum 18. Lebensjahr. Man hat ein gemeinsames Verständnis für Absurd wird das Ganze, wenn wir Kinder an der Sprach- alle, die in den Bildungseinrichtungen „am Kind arbei- förderschule in zwei Kategorien einteilen, wie in Dresden ten“, um es einmal ganz technokratisch auszudrücken. Da und Chemnitz geschehen, nämlich die Kinder, die unter gibt es ein gemeinsames Bildungsverständnis und keine SGB XII fallen und eine Eingliederungshilfe erhalten – Hierarchisierung zwischen Lehrerin, Erzieherin und sie werden früh abgeholt, nachmittags nach Hause ge- Sozialpädagogen oder Schulpsychologen. Unabhängig schafft und können auch in den Ferien den Hort kostenfrei davon, ob man es als „Sonderbonbon“ bezeichnet oder besuchen –, und die Kinder, die nicht unter SGB XII nicht, ist das eine Hierarchisierung in unserem heutigen fallen, aber durch das Kultusministerium bzw. die SBA System. Man braucht ein gemeinsames Verständnis. Hier einen Bescheid für die Förderschule Sprachförderung besteht dringender Handlungsbedarf. bekommen haben, also dort sein müssen, und einen kostenpflichtigen Hort besuchen, aber nicht in den Ferien Ich will noch einen Punkt aufnehmen – Annekatrin und nicht so, dass sie ihn tatsächlich selber erreichen Klepsch hat schon ganz viel genannt –, der heute noch können oder von diesem Hort abgeholt werden. Das ist nicht geklärt ist und den wir beim Thema der Schülerbe- wirklich absurd. förderung schon einmal angesprochen haben. Der Hort ist eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, ein freiwil- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) liges Angebot, und gehört somit nicht zur Schülerbeförde- Dafür gibt es bis heute leider keine Lösung. rung. Die Schülerbeförderung endet in dem Moment, in dem der Regelunterricht endet. Das heißt, die Eltern Ich komme zum Schluss. Die Anfragen waren gut. Sie müssen zusehen, wie sie ihre Kinder zum Hort bringen. haben die Defizite aufgezeigt. Nutzen wir die Chance, aus Sicherlich gelingt das einigen Landkreisen ganz gut. Aber den Horten, die wir noch flächendeckend haben, unseren es gibt auch diejenigen, in denen es zunehmend zum Ganztagsangeboten und gemeinsam mit den Grund- und Problem wird, wie Kinder von der Schule zum Hort Förderschulen endlich ein gemeinsames Konzept zu kommen. Wir reden immerhin von Sechs- bis Zehnjähri- erstellen, das einer Ganztagsschule Rechnung tragen gen. Hier gilt es, dringend nachzuarbeiten. kann. Mit unserem Bildungsticket, in das man das mit einbezie- Danke. hen kann, haben wir einen Vorschlag gemacht. Besser (Beifall bei der SPD, wäre es – damit bin ich beim letzten Punkt –, wenn wir in den LINKEN und den GRÜNEN) Sachsen – wir haben eine gute Situation, was die Zeit- spanne der Ganztagsbetreuung anbelangt – aus der Trias 2. Vizepräsident Horst Wehner: Für die FDP-Fraktion Schule, GTA und Hort endlich eine Ganztagsschule und hat Frau Abg. Schütz das Wort. ein Gesamtkonzept machten. Kristin Schütz, FDP: Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr (Beifall bei der SPD – Oh! von der CDU) geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meiner Rede voran- Wir hatten die Grundlagen dazu. Auch 1993, als das stellen möchte ich, dass wir stolz darauf sein können: geändert wurde, habe ich niemanden gehört, der gesagt Sachsen ist in Vergleichen mit anderen Bundesländern häte, die Verbindung zwischen Grundschule und Hort sei stets spitze, was Bildung insgesamt angeht. Auch hin- falsch und politisch gesetzt gewesen. Sie ist getrennt sichtlich der Qualität und der Anzahl der Betreuungsan- worden, weil es nicht gelungen ist, eine gemeinsame gebote in den Kindertageseinrichtungen im frühkindli- Finanzierung aus dem Sozialgesetzbuch auf der einen chen wie auch im schulischen Bereich schneiden wir

10592 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 immer wieder hervorragend ab. Um die Anzahl und die Die Große Anfrage hat uns in den Fragen 25 und 26 aber Qualität der Angebote in der Ganztagsbetreuung an auch gezeigt, dass es auch im Schulalter nicht so einfach Schulen beneiden uns zahlreiche andere Bundesländer. ist, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich zu Dabei spielen nicht nur die Kindertageseinrichtungen leben; denn nur in Dresden und Leipzig bieten Hortein- inklusive der Horte eine herausragende Rolle, sondern richtungen eine Betreuung nach 17 Uhr an. Das ist eine letzten Endes auch die pädagogischen Ganztagsangebote große Schwierigkeit. Das mag für den Viertklässler im an unseren sächsischen Grundschulen. Übergang zur Oberschule sicherlich möglich sein. Einem Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schule und Hort Erst- oder Zweitklässler ist es aber nicht zumutbar, sich tragen gemeinsam mit den Eltern die Verantwortung für dort nach 17 Uhr allein bewegen zu müssen, da nun Bildung und Erziehung unserer Kinder. Gerade die einmal die Berufstätigkeit unserer Mütter und Väter im Grundschule schafft mit der Vermittlung grundlegender Freistaat eine solch große Rolle spielt. Sie sind es, die in Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen die Form von Steuern Mehrwert für unseren Freistaat schaf- Grundlagen für ein erfolgreiches weiterführendes Lernen. fen, um letzten Endes wieder Sozialausgaben tätigen zu können. Sie ist leistungsorientiert und richtet sich nach den Fähig- keiten des einzelnen Schülers. Gerade die ersten Jahre Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch sind eine große Herausforderung. Das ist nicht nur bei der auf das Thema Integration eingehen und nicht verschwei- Schule so, sondern letzten Endes auch bei dem Übergang gen, dass diese bei allen wirklich ernsthaften Bemühun- in den Hort. gen der Staatsregierung hinsichtlich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention weiter fortgesetzt und Deswegen brauchen wir die hochwertige Hortbetreuung, intensiviert werden muss. Inwiefern hier spezielle Weiter- die uns in der großen Anfrage auch bescheinigt ist. Dabei bildungsangebote des Freistaates für die sächsischen ist die enge Zusammenarbeit zwischen Kindertagesein- Erzieherinnen und Erzieher zu einer Verbesserung beitra- richtungen, der Grundschule und den Eltern erforderlich. gen können, werden wir in den kommenden Jahren prüfen Neben der organisatorischen Vernetzung von Horteinrich- müssen. tung und Grundschule muss auch die inhaltliche Zusam- menarbeit zukünftig weiter gestärkt werden. Denn Grund- Frau Stange, ich muss Ihnen an dieser Stelle leider wie- lage für die erfolgreiche Arbeit mit dem Kind muss neben dersprechen – wir haben die integrativen Horte, auch der pädagogischen Professionalität ein kooperatives wenn wir sie jetzt nicht explizit plakativ aus der Großen Miteinander aller an der Bildung und Erziehung unserer Anfrage heraushören. Mein Sohn besucht eine Schule, in Kinder beteiligten Personen und Einrichtungen sein. der eine Grundschule und das Förderschulzentrum Spra- che integriert sind, und die Kinder begegnen sich am An dieser Stelle muss ich leider konstatieren, dass die Nachmittag im Hort. Dort haben wir Synergien, die für Möglichkeiten zur Kooperation, zum Zusammenwirken beide Seiten sehr erfolgreich sind. Das Sozialgesetz- von Lehrerinnen und Erzieherinnen im Hort verbesse- buch XI ist tatsächlich keine sächsische Angelegenheit, rungswürdig sind; denn noch immer begegnen sich nicht sondern eine Frage, die auf Bundesebene zu regeln ist. alle Akteure im Bildungsprozess der Kinder auf Augen- Dafür haben Sie jetzt die besten Voraussetzungen in der höhe. Hier müssen die Bemühungen der Staatsregierung Regierungsverantwortung in Berlin. noch viel stärker ansetzen. Nur durch die verbesserte Zusammenarbeit der Einrichtungen wird es möglich sein, Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den wir uns für die die Qualität der Bildung und der Erziehung weiter zu Zukunft mit vornehmen müssen. Es steht außer Frage, verbessern. Man kann zwar die Bemühungen der Staats- Kindertageseinrichtungen müssen von Bürokratie befreit regierung in den letzten Jahren als sehr groß bezeichnen, werden. Es kann nicht sein, dass wir Berichtspflichten aber wir dürfen an dieser Stelle nicht nachlassen und und andere bürokratische Aufwendungen haben, denen müssen die Kooperation zwischen Schule und Hort weiter sich Erzieherinnen und Erzieher noch nebenbei widmen verbessern. müssen, ohne ihren eigentlichen pädagogischen Auftrag Frau Kurth, gestatten Sie mir auch im Namen meiner erledigen zu können. Hier wollen und müssen wir mehr zeitliche Freiräume für unsere Kinder schaffen. Kollegen zu sagen, dass wir uns an dieser Stelle von der Neuressortierung des Kitabereiches in das Kultusministe- Bei allem, was sicherlich noch zu verbessern ist, sollten rium tatsächlich mehr versprochen haben, mehr Engage- wir nicht vernachlässigen, dass die sächsischen Erziehe- ment und Wertschätzung der Kindertageseinrichtung als rinnen und Erzieher einen tollen Job machen, denn es ist Bildungseinrichtung, und zwar auch mit finanzieller zum großen Teil ihr Verdienst, dass Sachsen bei den Untersetzung. Bildungsvergleichen auf Spitzenplätzen abschneidet. Denn für PISA in der 6. Klasse wurden die Grundsteine Der Hort ist Lebens- und Lernort für die Kinder. Mit ihrer bis zum sechsten Lebensjahr gelegt. täglichen Arbeit entwickeln die Erzieherinnen in Sachsen die Persönlichkeiten unserer Kinder mit. Diese Arbeit der Für die ehrliche und sehr ausführliche Beantwortung der Erzieherinnen und Erzieher in Sachsen kann man an Großen Anfrage möchte ich mich bei Ihnen, Frau Staats- dieser Stelle gar nicht hoch genug schätzen. ministerin Kurth, noch einmal sehr ausdrücklich bedan- ken. Es gibt einen sehr guten Einblick und Überblick über (Beifall bei der FDP) die Situation in unseren sächsischen Horteinrichtungen.

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Ich hoffe, dass wir auf diesem Weg erfolgreich weiterge- me des Hortes. So gibt es angeblich keine Informationen, hen können. wie viele Schüler einer Schule in mehreren Horten betreut Herzlichen Dank. werden, wie der Transfer dieser Schüler geregelt ist, wie weit die Entfernungen zwischen den Standorten sind, wer (Beifall bei der FDP) die Aufsichtspflicht trägt – das wurde schon genannt – und wie die Finanzierung geregelt ist. Die Staatsregierung 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und weist in diesem Zusammenhang einfach darauf hin, dass Herren! Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es zu den jeweiligen Verantwortungsbereichen Grenzen spricht Frau Abg. Giegengack. Sie haben das Wort, bitte. gibt. Dass dazwischen aber eine Lücke entsteht, scheint kein großes Problem für sie darzustellen. Annekathrin Giegengack, GRÜNE: Danke, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von Annekat- Das ist vielleicht mit ein Punkt, weshalb der Hort bei uns rin Klepsch und Eva-Maria Stange schon viel zu den in Sachsen weder Fisch noch Fleisch ist. Ich denke, die Inhalten und auch zu den Kritikpunkten gesagt worden, Etablierung der Ganztagsangebote hat diese Problematik was die Große Anfrage angeht. Deshalb würde ich gern noch verschärft. Auch wenn mir im Ausschuss immer nur noch zwei Dinge ansprechen, die mir besonders am widersprochen wurde, wenn ich die Problematik ange- Herzen liegen. sprochen habe, die an uns herangetragen wurde, dass Horterzieherinnen zunehmend zu Dispatchern degradiert Obwohl der Bereich Kindertagesstätten – und der Hort werden, die Kinder zu irgendwelchen Ganztagsangeboten gehört dazu, das haben wir auch schon gehört – beim schicken, ist es eine Tatsache, dass der Hort häufig gar Kultusministerium angesiedelt ist und das Landesjugend- nicht die Möglichkeiten hat, die Bildungsarbeit zu betrei- amt beim Sozialministerium, existieren nach meiner ben, die er eigentlich betreiben soll. Hort ist bei uns im Meinung wenig fundierte Daten und Einschätzungen zur Bildungsplan vorgesehen. Ich glaube, dass wir im Frei- Situation und möglichen Problemlagen beim Hort. Das hat mich sehr erschreckt. staat unbedingt die Rolle des Hortes zwischen Grund- schule und Ganztagsschule neu bestimmen müssen, dass Ich habe unabhängig von der Großen Anfrage im Dezem- wir sozusagen nicht den Problemen hinterherlaufen ber 2013 angefragt, für welche Horte in Sachsen Anträge können. Wenn wir uns mit dem Bildungsplan selber ernst auf Betriebserlaubnis gestellt wurden und wo es zu nehmen wollen, dann ist es eigentlich unsere Pflicht. Ausnahmegenehmigungen gekommen ist, weil die Platz- Vielen Dank. kapazität überschritten wurde. Die Antwort lautete nach zwei Monaten – ich bin noch einmal gebeten worden zu (Beifall bei den GRÜNEN, warten –, dass man mir keine Auskunft darüber geben den LINKEN und der SPD) kann. Ich muss sagen, das finde ich sehr erschreckend. Auch in der Großen Anfrage wird das Thema angespro- 2. Vizepräsident Horst Wehner: Für die NPD-Fraktion chen. Dort heißt es: „Die Unterlagen lassen eine Auswer- Herr Abg. Löffler. Sie haben das Wort. tung in dieser Detailliertheit nicht zu.“ Eine Behörde, die Mario Löffler, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und unmittelbar einem Ministerium unterstellt ist und Be- Herren! Lassen Sie mich bitte zu Beginn meiner Ausfüh- triebserlaubnisse erteilt, kann nicht sagen, wie viele rungen festhalten, bevor ich auf die Große Anfrage Betriebserlaubnisse sie erteilt. Ich finde, das geht über- haupt nicht! eingehe, dass es uns wichtig ist, dass die Familien in Sachsen die Wahlfreiheit haben und selbst entscheiden (Beifall bei den GRÜNEN) können, wie sie ihre Kinder erziehen und betreuen wollen. Derzeit erleben wir, dass der Lebensentwurf vieler Fami- Allein die Zahl der laufenden Verfahren lässt die Dimen- lien und insbesondere der unserer sächsischen Frauen von sion erahnen, um die es geht. So liegen dem Landesju- linken Gender-Ideologen verächtlich gemacht wird. Ja, gendamt inzwischen 3 421 Anträge vor. 2013 gab es in wir müssen dafür sorgen, dass es in Sachsen flächende- zwei von drei Kindertageseinrichtungen Veränderungen ckend ein qualitativ gutes Angebot an Kinderbetreuung bezüglich Personal, Kapazität oder der Räume. Neben den gibt. Wir müssen Familien aber auch die Möglichkeit neun Personen des Amtes, die mit der Bearbeitung betreut bieten, selbst zu entscheiden. sind, sind zusätzlich vier Personen bis Jahresende befristet eingestellt, um diesen Verfahrensstau zu beseitigen. Das bedeutet auch, die Erziehungs- und Lebensleistung Allerdings – und das ist die Krux, deshalb konnte man von Frauen endlich anzuerkennen und nicht ständig mir nichts sagen – weiß man nicht, wie viele Horte dabei herabzusetzen. Der Hort ist ein bewährtes und unterstüt- sind, weil Kindertagesstätten eben Krippen, Kindergärten zenswertes Betreuungsinstrument. Wir werden dennoch und Horte sind. Ich finde, man sollte vielleicht doch noch weiterhin dafür werben, den Wunsch vieler sächsischer einmal versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen, Frauen zu unterstützen, um auch über die frühkindliche damit man selbst auch durchblickt, worum es geht. Bildung hinaus eine Erziehung in der Familie zu ermögli- chen und anzuerkennen. Die fehlenden Daten sind das eine. Ich finde, die Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage dokumentiert Unsere Initiativen und Konzepte für die intensivere und manchmal fast ein gewisses Desinteresse für die Proble- realitätsnahe Unterstützung von Frauen und Familien

10594 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 kennen Sie bereits und wissen, dass wir gern mehr tun Antworten eingefordert. Ich bin natürlich bereit, diese wollen. Uns als NPD-Fraktion geht es nicht nur um Antworten zu geben. finanzielle Unterstützung, sondern auch um eine Aner- Ich will mich aber zunächst für die weitgehend sachlich kennung durch Politik und Gesellschaft. Auch aus diesem geführte Diskussion über unsere Große Anfrage bedan- Grund hätten wir uns gewünscht, dass DIE LINKE bei ken. ihrer Fragestellung in der vorliegenden Großen Anfrage etwas konsequenter gewesen wäre. Zu den Fragen von Herrn Schreiber. Ich sage ganz klar, ich will heute keine Finanzdebatte führen. Wir haben die Die Frage nach der Verbesserung der Betreuungsschlüssel Große Anfrage gestellt, um der fachlichen Weiterentwick- wollte und musste die Staatsregierung nicht beantworten. lung des Horts im Gefüge zwischen Schule und Ganz- Dabei ist dies für alle Bereiche der Kinderbetreuung die tagsangeboten neue Impulse zu verleihen. entscheidende Frage der nächsten Jahre. Wir hätten gern mehr über mögliche Konzepte zur kostenfreien Kinderbe- Was die Debatte über den Betreuungsschlüssel betrifft: treuung erfahren. Hier bleibt die Große Anfrage leider zu Natürlich spielt sie hinein, aber wir sagen ehrlich, dass die oberflächlich. schrittweise Verbesserung, die wir wollen, für den ganzen Kitabereich, also für alle Kinder bis zum elften Lebens- Uns hätte auch interessiert, welche Konzepte vorgesehen jahr, 90 Millionen Euro pro Jahr kosten würde. Wir sind, um die Löhne und Gehälter der Erzieherinnen und wissen, das Geld ist da. Erzieher zu verbessern. DIE LINKE hat viele richtige Fragen zur Aus- und Weiterbildung gestellt. Doch was Warum wollen wir einen Rechtsanspruch? – Es geht um fehlt, ist die Thematisierung der derzeitigen Abwanderung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn ich als von Fachkräften aufgrund der besseren Arbeitsbedingun- Staat die Frauen und Männer ganztägig als Arbeitskräfte gen in andere Bundesländer. gewinnen will, dann muss ich die Betreuung der Kinder absichern. Das ist am besten mit einem individuellen Was nützt es dem Freistaat, in eine gute Ausbildung Rechtsanspruch zu regeln. unserer Fachkräfte zu investieren und diese immer weiter zu spezialisieren, wenn wir sie nicht im Land halten Jetzt hat Patrick Schreiber kritisiert und weit ausgeholt, können? Hierzu hätten uns genauere Fragen interessiert, dass wir für die freien Schulen und für andere Dinge mehr die sicherlich auch Einfluss auf die weiteren Fragestel- Geld haben wollten. Dazu sage ich zwei Dinge: Erstens. lungen und auf die Antworten der Staatsregierung ge- Die freien Schulen haben ihre Existenz über das Grundge- nommen hätten. setz und über die sächsische Landesverfassung garantiert. Auch in diesem Themenbereich hat DIE LINKE ihre (Unruhe – Glocke des Präsidenten) eigenen Ansätze nicht konsequent zu Ende gedacht. Zweitens. Warum wird es so teuer? – Es wird unter Schockiert, aber leider nicht überrascht waren wir, dass anderem deshalb so teuer, weil der Zulauf zu den freien Gender- und Inklusionsideologen auch unsere Hortkinder Schulen durch die CDU-Schulschließungspolitik der ins Visier nehmen, wie aus der Fortbildungsübersicht des letzten 25 Jahre bedingt ist. Hätten wir nicht so viele Landesjugendamtes hervorgeht. Was unseren Kindern Schulen im ländlichen Raum geschlossen, wären nicht so durch realitätsfremde Dogmatiker zugemutet wird, ist viele freie Schulen aus dem Boden geschossen. Wäre die erschreckend. Man kann nur auf die Vernunft vieler staatliche Schulpolitik des Landes etwas offener, auch Erzieherinnen und Erzieher vertrauen, nicht jeden von konzeptionell offener, würden sich nicht so viele Eltern oben verordneten Blödsinn mitzumachen. für alternative pädagogische Ansätze an freien Schulen Lassen Sie mich abschließend sagen, dass auch die entscheiden. – Das nur zu den Punkten von Patrick Hortbetreuung nicht nur im ländlichen Raum ein Stand- Schreiber. ortfaktor ist. Die Qualität der Kinderbetreuung ist heute Worüber reden wir eigentlich? – Wir reden über die Rolle einer der wichtigsten Gründe für junge Menschen, wenn des Hortes. Der Hort ist in Sachsen in einer Zwitterrolle. es darum geht, verschiedene Regionen miteinander zu Das ist historisch bedingt. Man muss wissen, als das vergleichen. Kinder- und Jugendhilfegesetz in den Achtzigerjahren Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. geschrieben wurde, war der Hort in der West-Bundes- republik eine Nischenerscheinung für Kinder, deren (Beifall bei der NPD) Eltern beide ganztägig berufstätig waren. Man ist nicht 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und davon ausgegangen, dass es eine flächendeckende Ein- Herren, das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für richtung sein könne, wie sie schon im Jahr 1911 das erste eine weitere Runde? – Für die Fraktion DIE LINKE Frau Mal angedacht war, wie es sie in der DDR gab und wie Abg. Klepsch. Bitte. auch wir sie heute noch haben. Damit haben wir eine Zwitterrolle, weil zwei Systeme aufeinandertreffen: die Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Sehr geehrter Herr Schule als System und der Hort als System der Kinder- Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte es und Jugendhilfe. eigentlich bei einer Runde bewenden lassen, aber der Nun ist es aus unserer Sicht die Aufgabe von Politik und Kollege Schreiber hat eine Reihe von Fragen gestellt und auch von einer Kultusministerin, die Konflikte zwischen

10595 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 diesen beiden Systemen, die aufeinandertreffen – wobei also ein sozialpädagogisch geprägtes Fachkräfteangebot, die Schule naturgemäß das stärkere System ist, weil es das seinesgleichen in den anderen Bundesländern sucht. mit mehr Ressourcen ausgestattet ist –, zu moderieren. Unsere Horte kooperieren eng mit den Grundschulen. Ich bin dem Landesjugendamt dankbar, dass es im ver- Jede Grundschule, die Ganztagsangebote anbietet, gangenen September eine Tagung durchgeführt hat zur schließt mit dem jeweiligen Hort einen Kooperationsver- Arbeit im Hort, zur Standortbestimmung für den Hort. trag ab, der das Zusammenspiel zwischen den Ganztags- Dort war es so, dass ein Drittel der Interessentinnen angeboten und dem Hort regelt. Das sollte, auch der weggeschickt werden musste, weil viel zu viele Tagungs- Situation vor Ort geschuldet, individuell geregelt und anmeldungen eingegangen waren. Es wäre wünschens- nicht bis in die letzte statistische Ecke erhoben werden. wert gewesen, wenn die Kultusministerin die Ergebnisse Dafür gibt es je nach der konkreten Situation vor Ort dieser Tagung als Impuls aufgegriffen und von sich aus individuelle Möglichkeiten. gesagt hätte: Ja, wir sehen Diskussionsbedarf. Wir wollen In den meisten Fällen befindet sich der Hort an oder in es weiterentwickeln. Wir nehmen es uns als bildungspoli- unmittelbarer Nähe der Grundschule. Etwas weniger als tische Aufgabe vor. – Das ist nicht passiert. Deswegen die Hälfte der Horte sind einer Kindertageseinrichtung stehen wir heute hier. Deswegen gab es die Große Anfra- angegliedert. ge. Wir werden das Thema weiter verfolgen. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Vielen Dank. vorliegende Große Anfrage – mit übrigens 110 Einzel- (Beifall bei den LINKEN – Unruhe) fragen – liefert eine umfangreiche Datensammlung zu verschiedenen Aspekten der Arbeit im Hort. Mein Haus 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und hat diese auf mehr als 80 Seiten zusammengetragen. Eine Herren, gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen Frage, die darin immer wieder gestellt wird, ist die nach der Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage zentralen und verbindlichen Regelungen für die Hortar- die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – beit. Meine Damen und Herren, diese Regelungen gibt es. Jawohl. Frau Staatsministerin Kurth, Sie haben das Wort. Die Grundlagen dafür habe ich eben genannt. Brunhild Kurth, Staatsministerin für Kultus: Sehr Wenn nun dennoch weitere Regulierungen, wie wir eben geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren hörten, vor allem für die Zusammenarbeit zwischen Abgeordnete! In Sachsen haben die Horte eine lange Grundschule und Hort gefordert werden, dann muss ich Tradition. Es existiert ein dichtes Netz an verlässlichen Ihnen sagen, für uns ist die Situation vor Ort entschei- Angeboten für unsere Schulkinder in den Klassenstufen 1 dend. bis 4. Etwa 130 000 Schülerinnen und Schüler besuchten Ich möchte im Zusammenspiel von Grundschule und Hort im Jahr 2013 einen Hort in Sachsen. keine weitere Einengung der Akteure, keine weiteren (Anhaltende Unruhe – Regelungen. Wir haben bewusst Spielräume gelassen, Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Jawohl!) nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass der Hort nach wie vor in kommunaler Verantwortung liegt und sich Es wurde bereits erwähnt, dass der Hort seit dem Jahr dieses Modell der kommunalen Verantwortung bewährt 1993 im Freistaat Sachsen als eigenständiges Angebot der hat. Daran werde ich, werden wir nicht rütteln: an der Kinder- und Jugendhilfe ausgestaltet ist. Die Betreuungs- kommunalen Verantwortung. Wir werden das Zusammen- quote im Bereich der Sechs- bis Elfjährigen ist in den spiel zwischen Grundschule und Hort weiter pflegen und vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Lag sie im Jahr ausbauen. 2006 noch bei zwei Dritteln der Kinder in dieser Alters- gruppe, so nahmen im Jahr 2013 bereits vier von fünf Danke schön. Kindern eine Hortbetreuung in Anspruch. Das zeigt mir, (Beifall bei der CDU, der FDP dass das Angebot des Horts angenommen wird, auch und der Staatsregierung) wenn die Ganztagsangebote möglicherweise von einigen als Konkurrenz betrachtet werden. 2. Vizepräsident Horst Wehner: Meine Damen und Herren! Als Drucksache 5/13728 liegt Ihnen ein Ent- Meine Damen und Herren! Die Rahmenbedingungen und schließungsantrag der Fraktion DIE LINKE vor, über den die Qualitätsanforderungen für die Arbeit im Hort sind im wir jetzt noch zu beraten und abzustimmen haben. Frau Sächsischen Gesetz zur Förderung von Kindern in Kin- Abg. Klepsch, Sie haben jetzt Gelegenheit, den Antrag dertageseinrichtungen festgehalten. Die Ziele und Metho- einzubringen. Sie haben das Wort. den der pädagogischen Arbeit sind im Sächsischen Bil- dungsplan beschrieben, der für die Arbeit in der Krippe, Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Vielen Dank, Herr im Kindergarten und im Hort gleichermaßen eine Grund- Präsident! Ich erlaube mir vor die Einbringung voranzu- lage ist. stellen, dass ich mir heute doch etwas konkretere Aussa- Für den Hort gilt ebenso wie für die Krippe und für den gen seitens des Kultusministeriums gewünscht hätte und Kindergarten die Sächsische Qualifikationsverordnung, nicht nur Allgemeinplätze zur Zustandsbeschreibung. Umso besser ist es, dass wir einen Entschließungsantrag haben, mit dem wir ein paar Vorschläge machen, wie und 10596 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 in welche Richtung es weitergehen soll und kann. Wie gack angesprochen wurde. Darüber müssen wir in den gesagt, wir sehen die Große Anfrage als Anregung, als Haushaltsdebatten reden. Mit dem Entschließungsantrag Impuls für noch zu führende Fachdebatten auf Landes- ging es uns heute vor allem um fachliche Fragen bezüg- ebene. Ich sage auch, dass man die Kommunen nicht lich des Hortes. immer alleinlassen und alles auf die kommunale Selbst- Ein letzter Punkt ist die Frage der Fortbildung. Wir verwaltung schieben kann. glauben, es ist notwendig, dass sich nicht nur Lehrerinnen Was fordern wir nun? Zum einen gehen wir in Punkt 1 und Lehrer, sondern auch Erzieherinnen im Hort kosten- ganz klar neben dem Rechtsanspruch – das hatte ich frei fortbilden können, und zwar über Angebote des schon erwähnt – auf die Frage Betreuungsschlüssel ein. Landes. Hier sollen das Landesjugendamt und das Sächsi- Es geht uns nicht darum, dass ab 2015 alles sofort viel, sche Bildungsinstitut gemeinsam entsprechende Angebote viel besser wird, sondern wir wünschen uns einen Stufen- unterbreiten, um die Fachkräfte, die an einem Ort in plan. Wir glauben aber, dass man erst einmal den ersten Schule und Hort gemeinsam arbeiten, auch gemeinsam Schritt tun muss, um auch im Hort die Erzieherinnen und fortzubilden. Das wäre ein erster kleiner Schritt, um das Erzieher etwas zu entlasten. Ganze zu harmonisieren und diese Arbeit zu unterstützen. Zweitens glauben wir – das ist ja bei allen Kollegen zum Vielen Dank. Ausdruck gekommen –, dass es einer besseren Datenlage (Beifall bei den LINKEN, bedarf, um zu wissen, an welchen Stellschrauben auch am der SPD und den GRÜNEN) Hort seitens des Landes etwas gedreht werden muss. Wir sehen eine Handlungsnotwendigkeit hinsichtlich der 2. Vizepräsident Horst Wehner: Vielen Dank, Frau Harmonisierung der Raumfrage zwischen Horten und Klepsch. Grundschulen, wenn es denn verstärkt zu einer Doppel- nutzung der Räumlichkeiten kommt. Meine Damen und Herren! Gibt es hierzu Wortmeldun- gen? – Die kann ich nicht erkennen. Ich lasse abstimmen Ganz wichtig ist das Thema Inklusion, dabei auch hier über die Drucksache 5/14811. Wer zustimmen möchte, den Hort auf den Weg zu bringen, die Kommunen und die zeigt das jetzt bitte an. – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – örtlichen Träger der Jugendhilfe dabei zu unterstützen, die Danke sehr. Gibt es Enthaltungen? – Vielen Dank. Bei UN-Behindertenrechtskonvention und die Betreuung von wenigen Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen Integrationskindern auch im Hort zu verbessern. dafür hat dieser Entschließungsantrag dennoch nicht die Das sind einige Punkte, die wir vorschlagen. Es ist nicht erforderliche Mehrheit gefunden. allumfassend. Beispielsweise ist die Frage Personal im Meine Damen und Herren! Die Behandlung der Großen Landesjugendamt, das auch die Aufsicht über die Be- Anfrage ist beendet. triebserlaubnisse hat und aus meiner Sicht völlig überlas- tet ist, durch uns nicht thematisiert worden. Ich bin aber Ich rufe auf dankbar, dass es noch einmal von Annekathrin Giegen-

Tagesordnungspunkt 9 Landesinitiative Demenz Drucksache 5/14539, Antrag der Fraktion der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Meine Damen und Herren! Wir beginnen mit der Aus- „Menschenunwürdiges Siechtum“, „Leben mit Demenz sprache. Die Reihenfolge: SPD, CDU, LINKE, FDP, ist kein Leben mehr“. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, NPD und die Staatsregie- Sie wird als bösartige Krankheit klassifiziert. Diese rung, wenn sie das Wort wünscht. Für die SPD beginnt Beschreibungen bewirken in allererster Linie eines: Sie Frau Abg. Neukirch. Sie haben das Wort, Frau Neukirch. machen Angst. Dagmar Neukirch, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Fest steht aber auch: In unserer Gesellschaft werden Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Hauptsache klar im immer mehr Menschen mit Demenz leben. Immer mehr Kopf“ – das ist wohl die häufigste Formulierung, wenn Menschen werden mit dem Thema Demenz in Berührung sich Menschen zum Thema Altwerden äußern. Wenn der kommen, sei es als Angehöriger, als beruflicher Helfer Körper nachlässt, ist das nicht schön. Aber damit kann oder als Arbeitskollege, als Nachbar oder als Polizist, der man sich abfinden. Aber die Abnahme der geistigen gerufen wird, wenn eine scheinbar hilflose Person nachts Fähigkeiten, der Gedächtnisverlust, ist für viele die verwirrt angetroffen wird. zentrale Bedrohung im Alter. Was wir brauchen, ist eine andere Anerkennung der In den Medien wird Demenz häufig so beschrieben: Demenz als Teil des Lebens. Wir müssen die Demenz als „Geißel unserer Tage“, „Pest des 21. Jahrhunderts“,

10597 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 eine andere Möglichkeit, das Alter zu erleben, anerken- che und künstlerische Möglichkeit, sich mit solchen nen. Menschen zu beschäftigen. Aber dazu brauchen wir Menschen mit Demenz sind ebenso ganzheitlich zu andere Unterstützungsstrukturen als bisher. Wir brauchen betrachten wie alle anderen und eben nicht nur auf den vor allen Dingen die Wissenden und Erfahrenen in dem Status des Kranken zu reduzieren. Bereich, die ihre Erkenntnisse weitergeben können, und zwar in einem neuen Rahmen. (Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE) Der Umgang mit Demenzerkrankten ist keine rationale Demenz ist damit nicht nur eine Angelegenheit der Angelegenheit. Egal ob Professioneller oder Laie, jeder Gesundheits- und pflegerischen Versorgung. Demenz benötigt hierzu Erfahrungen und den Erfahrungsaus- entwickelt sich vor unseren Augen zu einer bedeutenden tausch. Nur wenn wir diesen Austausch anregen, unter- sozialen, politischen, ökonomischen und humanitären stützen und fördern, kann das in die Gesellschaft hinein- Herausforderung. Wir müssen ein neues soziales Zuhause wachsen. Dann reden wir positiv von einem kulturellen bauen. Das ist die Lehre aus den vergangenen Jahren, Wandel. wenn wir uns die Lage von Menschen mit Demenz und Leider passen die dazu notwendigen Unterstützungsstruk- ihrer Angehörigen, aber auch zunehmend der professio- turen nicht in die vorhandene aktuelle Förderlandschaft, nell Pflegenden und der medizinisch Betreuenden an- die, wie wir wissen, von befristeten Projekten und nicht schauen. unbedingt von Nachhaltigkeit geprägt ist. Aber es wäre Beispielsweise leben in einer Stadt in der Größenordnung eine Chance, sich darauf einzulassen. Information, Auf- wie Leipzig circa 10 000 Menschen mit Demenz. Werden klärung, Beratung über die individuellen und gesellschaft- diese in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Die Antwort lichen Möglichkeiten bewirken auch mehr gesellschaftli- vieler Angehöriger und Betroffener lautet: Nein. Sie leben ches und nachbarschaftliches Engagement, das wir so zu 30 % in Pflegeeinrichtungen und zu 70 % in der dringend brauchen, aber nicht im Sinne einer Förderricht- Abgeschlossenheit von privaten Wohnungen und privaten linie, sondern als Menschen, die sich um ihre Mitmen- Pflegebeziehungen. schen kümmern. Es kann nicht genügen, ein paar lose Maßnahmen zu (Beifall bei den LINKEN, ergreifen. Nein, wir brauchen dafür eine neue soziale der SPD und den GRÜNEN) Versorgungsdimension. Die Demenz verwandelt die Wo Angst und Verzweiflung herrschen, lässt sich nicht gut Stärken unserer modernen Gesellschaft in ihr Gegenteil. leben, und wo Menschen mit Demenz der Status eines Aus den Möglichkeiten von Milliarden Speicherbits wird Kranken und Opfers eines unbarmherzigen Schicksals Gedächtnisschwäche und aus Individualisierung wird zugeschrieben wird, kann die Gemeinschaft im besten Persönlichkeitsverlust. Die Selbstverwirklichungs- und Fall Mitleid oder wohlwollende Fürsorge spenden. Das ist Eigenverantwortungsdiskurse haben hier ihre ganz klare nicht das, was wir mit unserem Antrag wollen. Wir wollen Begrenzung. Wir müssen uns der Frage stellen: Was ist mit den Menschen, die das für sich nicht mehr können? dieses Schema durchbrechen. Uns geht es um das soziale Einbezogensein, das nicht Anpassung und Unterordnung Wir müssen uns der zivilgesellschaftlichen Herausforde- bedeutet. Wir wollen die Akzeptanz der Andersartigkeit rung stellen und eine Kultur des Helfens entwickeln und befördern. befördern. Die Inklusionsidee hilft auch hier weiter. Jeder Mensch ist als wichtiges Mitglied der Gesellschaft wert- Mit unserem Antrag machen wir dazu Vorschläge, wie zuschätzen, unabhängig von seinen individuellen Mög- man sich seitens der Landespolitik diesem weitergehen- lichkeiten und Einschränkungen. Das muss der Ansatz den und vielschichtigen Thema widmen kann – nicht sein. Nicht die Nützlichkeit oder Eigenverantwortung mehr, aber auch nicht weniger. Wir wollen auch nicht steht im Zentrum, sondern der Mensch mit seinen noch sagen, dass die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen vorhandenen Fähigkeiten und seinen sozialen Beziehun- allein diesen beschriebenen Wandel bewirken können. gen. Das wäre tatsächlich eine Überforderung von Landespoli- tik. Jedoch ist es aus unserer Sicht auf der anderen Seite Ich sage: Mit Demenz leben zu lernen ist möglich. Jeder notwendig, eine Landesinitiative zum Thema Demenz von uns muss sich in Beziehung zu dem setzen, was anzugehen und nicht lapidar auf zwei lose Förderrichtli- Demenz bedeutet. Das ist keine medizinische und pflege- nien und ein Bundesmodellprojekt zu verweisen, wie es in rische Herausforderung, das ist eine kulturelle Herausfor- der Stellungnahme heißt. derung. Wir wissen doch, dass die kommunalen Netzwerke mit Es gibt viele Ansätze, Demenz anders zu deuten und der vorhandenen Ausstattung derzeit nicht in der Lage anders zu gestalten. Beispielsweise öffnet die Betrachtung sind, die von mir beschriebenen gesellschaftspolitischen von Demenz als Transformation von kognitiven, rationa- Herausforderung mit den entsprechenden vernetzten len Fähigkeiten zu sinnlichen Erfahrungen, wie man es Hilfe- und Unterstützungsstrukturen zu untersetzen. häufig in Berichten von Angehörigen, beispielsweise im Demenzfreundliche Kommunen und Gemeinden sind Buch von Arno Geiger über seinen Vater, findet, eine neue zwar das Ziel, das heißt aber nicht, dass das Land an der Herangehensweise und Handlungsspielräume. Neben den Stelle außen vor ist. Funktionseinschränkungen des Gehirns gibt es die sinnli- 10598 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Warum sollte es nicht möglich sein, eine Landesinitiative gungsbedarf rund um die Uhr verbunden sind. Demenz – meinetwegen auch beginnend im Landespflegeaus- führt neben einer Verschlechterung der Lebensqualität des schuss – mit den Kommunen gemeinsam auf den Weg zu Kranken zu erheblichen Belastungen für die Betreuenden. bringen und konkrete Verbesserungen, vor allem für Meine Damen und Herren! Hinter dieser allgemeinen Angehörige und Pflegende, zu bewirken? Man kann auch Beschreibung und den eingangs genannten Zahlen steht in Sachsen auf viele positive Beispiele zurückgreifen. das Schicksal eines Menschen, der sein Leben nicht mehr Mir wäre es wichtig, mit der heutigen Debatte aus dem allein organisieren kann und ab einem gewissen Zeitpunkt Plenum heraus ein Zeichen zu setzen und den klaren auf fremde Hilfe angewiesen ist – angewiesen auf Hilfe Anspruch zu formulieren, dass wir als Landtag, als von der Familie oder von Freunden, aber auch auf ein Landespolitik dieses Thema federführend bearbeiten und soziales Umfeld, das ihn auffängt und eine Teilhabe am als eine wichtige Aufgabe angehen, damit die Menschen gesellschaftlichen Leben ermöglicht. vor Ort, ob Angehörige, beruflich damit Beschäftigte oder Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion greift dieses auch Kommunalverantwortliche, das als positives Zeichen auf und versucht mithilfe einer Landesinitiative Demenz und als Unterstützung ihrer Arbeit vor Ort ansehen nicht nur den Betroffenen und den Angehörigen zu helfen, können. sondern auch eine stärkere Sensibilisierung zu erreichen. Vielen Dank. Dies unterstützen wir ausdrücklich, sehen aber nicht die Notwendigkeit der Forderungen im vorliegenden Antrag. (Beifall bei der SPD, den So ist durchaus festzustellen, dass das Thema Demenz LINKEN und den GRÜNEN) immer mehr in der Öffentlichkeit angekommen ist, was 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Für die auch medial in verschiedenen Sendungen von MDR und CDU-Fraktion spricht Frau Dietzschold. Rundfunk sowie Presseveröffentlichungen zum Ausdruck kommt. Hannelore Dietzschold, CDU: Sehr geehrter Herr Es ist vermehrt festzustellen, dass es im Familien-, Landtagspräsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bekannten- oder Freundeskreis einen Betroffenen gibt, Demenzerkrankungen sind eine große Herausforderung und das wirft einen neuen Blickwinkel auf die Krankheit unserer alternden Gesellschaft. In den letzten Jahren ist und den Umgang damit. vermehrt festzustellen, dass diesem Thema eine immer größer werdende Aufmerksamkeit zukommt. Meine Damen und Herren! Seitens der Bundesebene wurden Leistungsverbesserungen im Rahmen des Pflege- Bereits im Jahr 2005 hat sich das Robert-Koch-Institut im neuausrichtungsgesetzes in Höhe von rund einer Milliarde Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes Euro besonders für Demenzkranke bereitgestellt. Auch ausführlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Dabei auf Landesebene sind in den vergangenen Jahren umfang- wurde deutlich, dass die Demenz zu den häufigsten und reiche Anstrengungen unternommen worden, um den folgereichsten psychiatrischen Erkrankungen im höherem Betroffenen und deren Angehörigen zu helfen. Dies ist in Alter gehört. In Deutschland litten im Jahr 2005, bezogen der Antwort des Sozialministeriums zum Antrag darge- auf die 65-Jährigen und Ältere, nahezu eine Millionen stellt worden. Menschen an einer Demenz. Die Anzahl der Neuerkran- kungen betrug im Laufe eines Jahres fast 200 000. Aktuell So sind an dieser Stelle beispielhaft das Geriatrie-Kon- ist von circa 1,4 Millionen Menschen auszugehen. zept, der 5. Bericht zur Lage von Menschen mit Behinde- rungen sowie der 2. Sächsische Landespsychiatrieplan zu Mit zunehmendem Alter steigt die Häufigkeit demenziel- nennen, welcher sich explizit im Kapitel zur Versorgung ler Erkrankungen stark an – von weniger als 2 % bei den gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen auch mit dem 65- bis 69-Jährigen auf über 30 % bei den 90-Jährigen Thema Demenz auseinandersetzt und viele Punkte, die und älter. Dabei sind über zwei Drittel aller Demenzkran- der vorliegende Antrag fordert, ebenfalls benennt. Dies ken Frauen. Fast die Hälfte der Pflegebedürftigen in umfasst unter anderem die Schulung von pflegenden Privathaushalten hat eine Demenz, wobei mit zunehmen- Angehörigen im Umgang mit Demenzkranken, Fort- und der Pflegestufe der Anteil stark ansteigt. Gleichzeitig ist Weiterbildungsmaßnahmen von Hausärzten oder die die Demenz der mit Abstand wichtigste Grund für eine Etablierung von Netzwerken. Heimaufnahme, und der Anteil demenzerkrankter Heim- bewohner hat in den letzten Jahren kontinuierlich zuge- An dieser Stelle sind auch die Nachbarschaftshelfer sowie nommen. die Betreuungsangebote nach § 45 SGB XI zu nennen, welche besonders im niedrigschwelligen Bereich eine Meine Damen und Herren! Das sind erst einmal nur die große Entlastung und Unterstützung anbieten. reinen Zahlen, aber was ist das Schlimme an einer de- menziellen Erkrankung? Demenz zeichnet sich bereits im Schlussendlich ist auch noch die wichtige Arbeit der frühen Erkrankungsstadium infolge kognitiver Einbußen Selbsthilfegruppen zu nennen, deren Mitgliedern ich an durch die Einschränkung in der selbstständigen Lebens- dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Sie führung aus. Bei fortgeschrittener Erkrankung sind leisten eine sehr wichtige Aufgabe, um sowohl den generalisierte kognitive Funktionseinbußen feststellbar, Betroffenen als auch den Angehörigen helfend zur Seite die mit umfassender Pflegebedürftigkeit und Beaufsichti- zu stehen. Ebenso ist hier beispielhaft die Zusammenar-

10599 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 beit mit der Alzheimer-Gesellschaft in Sachsen zu erwäh- Dinge. Sie verlieren die Orientierung, sie verlieren die nen. Fähigkeit, sich anzuziehen, zur Toilette zu gehen, zu essen Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Die und zu trinken. Damit einher gehen Persönlichkeitsverän- Versorgung von demenziell Erkrankten und die Unterstüt- derungen. Der oder die Demenzkranke hat zunehmend Angst, wird unruhig, vielleicht sogar aggressiv. zung ihrer Angehörigen ist eine zunehmend wichtigere Aufgabe, die der Freistaat aber bereits erkannt und ent- Mit all diesen Dingen müssen sich pflegende Angehörige sprechend darauf reagiert hat. Des vorliegenden Antrages auseinandersetzen. Wie kommen sie damit zurecht? Wir bedarf es daher nicht. Wir werden den Antrag ablehnen. wissen es nicht. Ja, wir wissen nicht einmal, wie viele Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Menschen es wirklich betrifft. Seit dem 1. Januar 2013, meine Damen und Herren, bekommen Personen ohne (Beifall bei der CDU und Pflegestufe Leistungen von der gesetzlichen Pflegeversi- vereinzelt bei der FDP) cherung, wenn sie aufgrund ihrer geistigen Einschränkun- gen ihren Alltag nicht meistern können und einen hohen 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Herr Betreuungsbedarf haben. Der Medizinische Dienst der Wehner für die Fraktion DIE LINKE. Krankenkassen beurteilt die Schwere der Einschränkun- gen der Alltagskompetenz anhand von 13 Kriterien, zum Horst Wehner, DIE LINKE: Sehr geehrter Herr Präsi- Beispiel das unkontrollierte Verlassen der Wohnung oder dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus. Dietzschold, ich finde es sehr schade, dass Sie den Antrag ablehnen. Den Antrag finden Sie sehr gut, sagen dann Je nach Schwere erhalten Demenzkranke ohne Pflegestufe aber, dass es eines solchen Antrages nicht bedürfe. Das 100 oder 200 Euro im Monat. Das Geld ist eine Kostener- kann niemand verstehen. Wenigstens zum Ende der stattung für Betreuungsleistungen, das heißt, dahinter Legislaturperiode könnten Sie sich doch einmal durchrin- steckt auch ein Problem: Die pflegenden Angehörigen gen, meine Damen und Herren von der Koalition, und müssen die Rechnungen bei der Kasse einreichen. Wird einen Antrag der Opposition, der wirklich gut ist, zu die Pflege allein durch Angehörige besorgt, gibt es mög- unterstützen. licherweise keine Rechnung und folglich auch kein Geld. (Beifall bei den LINKEN, Aber kommen wir zum Antrag und zur Antwort der der SPD und den GRÜNEN) Staatsregierung. Der Antrag selbst lässt keine Wünsche offen. Alles, was nur möglich ist, soll unterstützt, vernetzt Frau Neukirch, ich bedanke mich ausdrücklich für diesen und gefördert werden. Maßnahmen sollen gebündelt und Antrag. Es ist ein wichtiger Antrag. Es bedarf auch einer Konzepte gestärkt werden. Mit Pflegestützpunkten wäre entsprechenden Initiative. Sie haben Arno Geiger er- das eventuell leistbar gewesen. Wenn dies jetzt Service- wähnt. Ich möchte ihn auch gern zitieren: „Für uns alle ist stelle Demenz heißen soll, dann ist das auch gut. Frau die Welt verwirrend, und wenn man es nüchtern betrach- Dietzschold, es braucht diese Initiative. tet, besteht der Unterschied zwischen einem Gesunden und einem Kranken vor allem im Ausmaß der Fähigkeit, (Zuruf der Staatsministerin Christine Clauß) das Verwirrende an der Oberfläche zu kaschieren. Darun- Aber der Name allein macht es natürlich nicht und damit ter tobt das Chaos.“ sind wir auch schon beim Problem. Der Antrag zielt vor Dieses Zitat stammt aus dem Buch „Der alte König in allem auf die Einbeziehung von ehrenamtlich pflegenden seinem Exil“ von dem bereits erwähnten Arno Geiger. Angehörigen, Nachbarschaftshelfern und deren Selbsthil- Eines Tages müssen er und seine Geschwister feststellen, feorganisationen ab. Da soll beraten, informiert, qualifi- dass sein Vater, der schon immer ein wenig kauzig war, ziert werden. So etwas kostet vor allem Zeit, die sich inzwischen nicht nur vergesslich, sondern ernsthaft krank pflegende Angehörige vermutlich nicht so ohne Weiteres ist. Sein Vater hat Alzheimer. Die Krankheit löst langsam nehmen können, egal, wie wichtig und hilfreich derlei seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegen- Angebote aller Wahrscheinlichkeit nach wären. Vergessen wart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger wir nicht: Schon die lokalen hauptamtlichen Partner erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater arbeiten am Limit. Menschen, die ehrenamtlich einen schließt und ihn viele Jahre begleitet. demenzkranken Menschen pflegen, können nicht auch Wie die übergroße Mehrheit der demenz- und alzheimer- noch Netzwerkarbeit leisten, ohne sich hoffnungslos zu überfordern. erkrankten Menschen, wird auch dieser Vater so lange wie möglich zu Hause versorgt. Arno Geiger legt in seinem Damit kommen wir zu dem Punkt, was pflegende Ange- Buch das Augenmerk nicht auf die Situation der Angehö- hörige wirklich brauchen: Sicher kein zusätzliches Ehren- rigen. Ich hingegen möchte das jetzt tun. amt in einem Netzwerk, sondern vielmehr brauchen sie personelle Unterstützung bei der Betreuung durch die Menschen mit Demenz sind nicht einfach nur vergesslich. ausgebildeten Fachkräfte. Um diese Hilfe zu bekommen, Sie lassen nicht einfach mal ihre Schlüssel liegen und dürften selbst 200 Euro im Monat schwerlich ausreichen. erinnern sich dann nicht, wo sie sind, so wie wir das hin und wieder tun. Menschen mit Demenz verlernen im Damit sind wir beim nächsten Punkt: Wie sehen denn die Laufe ihrer Krankheit die in unseren Augen einfachsten Rahmenbedingungen in der Pflege generell aus? Bislang

10600 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 greift die Ausbildungsoffensive nicht ausreichend. Das Sachsen trifft die Verdoppelung der Anzahl für unseren Thema Schulgeld in der Pflegeausbildung ist immer noch Freistaat genauso zu. Ich selbst, Jahrgang 1975, werde nicht vom Tisch, obwohl seit 2013 versprochen. Die 2050 mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 7 an Demenz Anzahl der Pflegefachkräfte soll um 10 % erhöht werden. erkrankt sein. Auch hier sind wir noch nicht weiter. Diese Zahlen allein verdeutlichen, welche Herausforde- Meine Damen und Herren! Natürlich wissen wir, dass das rungen auf uns, auf die betroffenen Familien und auf Thema Demenz und Pflege wesentlich durch die Bundes- Sachsen insgesamt zukommen. Gleichzeitig signalisiert es ebene bestimmt wird. Aber das Gesetzgebungsverfahren den zukünftigen überdurchschnittlichen Bedarf an benö- auf Bundesebene zu den neuen Pflegestärkungsgesetzen tigten examinierten und Laien-Pflegekräften. zieht nicht. Seit Jahren kämpfen wir um Begrifflichkeiten. Um hierfür die geeigneten Rahmenbedingungen zu Zahlreiche Änderungsideen werden angekündigt, aber schaffen, bedarf es verschiedener Instrumente. Die umgesetzt werden sie kaum. Immerhin fördert der Bund Hauptaufgabe jedoch besteht darin, die gesellschaftliche Projekte im Rahmen der lokalen Allianz für Menschen Verantwortung für Demenzkranke zu stärken. Deshalb ist mit Demenz. Die lokalen Partner sollen auf kommunaler die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Krankheit Ebene Einfluss nehmen. In Sachsen werden bislang selbst, die Sensibilisierung über die Erscheinungsformen sieben Projekte gefördert. Das ist gut, aber ich frage: der Krankheit und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Reicht das aus? Wir meinen, es reicht nicht aus. Betroffenen dringend notwendig. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, dass es meine Des Weiteren ist es wesentlich für Kranke und Angehöri- Fraktion für völlig daneben hält, wenn wieder einmal nur ge zu wissen, wo sie eine korrekte Diagnostik bekommen die Kommunen und Ehrenamtlichen aufgefordert werden und welche Möglichkeiten es zur Unterstützung im sollen, Leistungen zu erbringen, die einer hohen Fach- Pflegebereich gibt. Nicht nur für professionelle Pflege- kompetenz bedürfen und die damit zu Recht Geld kosten. dienste ist eine Aus- und Fortbildung unverzichtbar. Aber die Staatsregierung ist leider nicht bereit, weiterhin Geld dafür auszugeben. Sehr geehrte Damen und Herren! Aufgrund der unter- schiedlichsten Bedürfnisse und des Wunsches vieler, zu (Beifall bei den LINKEN, Hause versorgt zu werden, wird es zunehmend neue der SPD und den GRÜNEN) Modelle der Versorgung geben müssen. Die Einführung Sehr geehrte Frau Staatsministerin Clauß, Ihr Projekt der Pflegestufe 0 zum 01.01.2013 durch die schwarz- Nachbarschaftshelfer in allen Ehren, aber welche Dimen- gelbe Bundesregierung war deshalb ein wichtiger und sionen soll das denn bei prognostizierten 100 000 De- wesentlicher Punkt. Diese vor allem liberale Verantwor- menzerkrankten im Jahr 2025 annehmen, tung für Menschen mit Demenz, aber ohne Pflegebedarf kann nicht hoch genug wertgeschätzt werden. (Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE) (Beifall des Abg. Carsten Biesok, FDP, und zumal diese qualifizierten Laien auch in anderen Berei- des Staatsministers Dr. Jürgen Martens) chen eingesetzt werden wollen? Ebenso unstrittig ist, dass die Betreuung und Unterstüt- Demenz ist ein Thema, das uns in den kommenden Jahren zung von Betroffenen eine große finanzielle Belastung für noch viel mehr als bisher beschäftigen wird. Dieser das Solidarsystem Pflegeversicherung wie auch für Bund Antrag ist ambitioniert und geht schon einen recht or- und Länder insgesamt darstellt. Im Freistaat Sachsen ist dentlichen Schritt in die richtige Richtung. Der Antrag deshalb die schwarz-gelbe Landesregierung schon seit geht uns zwar noch nicht weit genug, dennoch werden wir Jahren darum bemüht, Rahmenbedingungen zu schaffen, uns diesem wichtigen Anliegen nicht verschließen und dass Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf durch dem Antrag zustimmen. Frau Dietzschold, ich fordere Sie qualifizierte Laien betreut werden. Dies ermöglicht den nochmals auf, darüber nachzudenken und Ihre Haltung zu professionellen Pflegekräften, sich auf die pflegeintensi- ändern und dem Antrag ebenfalls zuzustimmen. ven Fälle zu konzentrieren. Mithilfe von engagierten Vielen Dank. Nachbarschaftshelfern ist die Beteiligung an der Betreu- ung von demenziell erkrankten Menschen erstmals (Beifall bei den LINKEN, möglich. Diese Helfer werden durch den Freistaat und die der SPD und den GRÜNEN) Pflegekassen gefördert unter der Voraussetzung der 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau gemeinsamen Organisation und Betreuung ihrer Betreu- Schütz für die FDP-Fraktion als nächste Rednerin. ungstätigkeit. Innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung tragen die Kristin Schütz, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr Landkreise und kreisfreien Städte dafür Sorge, dass die geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute sind in notwendige Infrastruktur geschaffen bzw. vorgehalten Deutschland bis zu 1,4 Millionen Menschen von Demenz wird. Sie legen die dafür benötigten Kriterien selbst fest. betroffen. Für das Jahr 2030 wird bereits jetzt mit einer Unterstützt werden die Kommunen bei dieser Aufgabe knappen Verdoppelung der Anzahl Demenzkranker von Bund und Land. gerechnet. Nach Angaben der Alzheimer Gesellschaft

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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Detail sind 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Frau die einzelnen Maßnahmen der Staatsregierung und hier Herrmann für die GRÜNEN, bitte. besonders des Sozialministeriums in der Antwort auf den Antrag der SPD dargestellt. Ich möchte an dieser Stelle Elke Herrmann, GRÜNE: Herr Präsident! Liebe Kolle- nur eine herausgreifen, die mir persönlich als eine der ginnen und Kollegen! Ich bin meiner Kollegin Dagmar wichtigsten erscheint, nämlich Hilfe zur Selbsthilfe. Über Neukirch außerordentlich dankbar, dass sie die kulturelle das Bundesprojekt „Lokale Allianz für Menschen mit und gesellschaftliche Dimension von Demenz in den Demenz“ wird die lokale Vernetzung von Partnern vor Ort Mittelpunkt ihrer Rede gestellt hat. gefördert. Diese Allianz nimmt auf kommunaler Ebene Wenn wir hören, dass derzeit in Sachsen circa Einfluss und sorgt dafür, dass Demenzkranke sowie deren 80 000 Patientinnen und Patienten mit dieser Krankheit pflegende Angehörige nicht ausgegrenzt werden. leben und dass die Alzheimer-Gesellschaft davon ausgeht, Ein konkretes Beispiel aus dem Programm möchte ich dass es im Jahr 2025 mindestens 100 000 Menschen sein Ihnen an dieser Stelle kurz vorstellen. In Görlitz ist mit werden, dann stellt sich in erster Linie die Frage, was der SAPOS gemeinnützige GmbH ein Integrationsunter- diese Zahlen in uns auslösen. Zahlen, Pressemitteilungen nehmen ansässig. Es ist ein erfahrener Projektträger bei oder Berichte in Medien führen oft dazu, dass Ängste Netzwerken verschiedener Themen. Die Neisse Galerie geschürt werden und dass man sich der wirklichen Di- der SAPOS gGmbH ist ein anerkanntes sozialkulturelles mension nicht bewusst werden kann. Zentrum für niederschwellige Publikation von Schwer- Ich bin deshalb auch ganz froh, dass es Selbsthilfeorgani- punktthemen unter anderem für Menschen mit körperli- sationen von Menschen, die von der Krankheit betroffen cher oder geistiger Einschränkung. Hier werden nieder- sind, gibt, die uns etwas darüber mitteilen können, wie sie schwellige Betreuungsleistungen im Sinne des § 45b diese Krankheit erleben und was für sie im Leben wichtig SGB XI angeboten und es erfolgt ein ehrenamtliches ist. Engagement in der lokalen Allianz für Menschen mit Demenz in Görlitz. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu dem Thema Demenz spielt auch immer wieder eine Rolle, ob Schwerpunkte in deren Arbeit finden sich in der Koopera- es eine Krankheit ist, die sich auf physiologische Verän- tion von Anbietern für die Betreuung von Menschen mit derungen beziehen kann, oder ob es etwas damit zu tun Demenz, indem Spezialisten anderer Netzwerke und hat, wie wir unsere Welt erfahren, wie wir Ruhepausen letztlich auch die Sozialverwaltung einbegriffen sind, in einlegen können. Stellen wir uns doch überhaupt mal die der Erfassung von bestehenden Angeboten für Menschen Frage, ob der Verlust von kognitiven Fähigkeiten im Alter, mit Demenz, in der Entwicklung zusätzlicher, zum Bei- der Rückzug gewissermaßen in die Person selbst, eine spiel niederschwelliger, Angebote – für Menschen mit Folge unseres Lebensstils sein könnte. beginnender Demenz eine schwer einzuschätzende Schwelle, die da beschritten wird –, in dem möglichst (Beifall des Abg. Michael Weichert, GRÜNE) frühzeitigen Erkennen von Menschen mit demenzieller Wenn wir über dieses Thema sprechen, hat es etwas damit Veränderung durch die Betreffenden selbst, deren Ange- zu tun, dass wir nicht in erster Linie nur über Hilfe und hörige und das Lebensumfeld und in Information und Unterstützung sprechen sollten – das ist sicher auch Schulung, zum Beispiel für Angehörige des sozialen wichtig, insbesondere für die Angehörigen –, sondern Umfeldes und interessierte Berufsgruppen sowie Dienst- dass wir darüber sprechen müssen, was Betroffene – und leister. damit meine ich die Erkrankten selbst – für ein Lebensge- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Beispiel fühl haben und was sie sich für ihr Leben vorstellen, zeigt genau auf, was mit der Vernetzung unterschiedlicher welche Wünsche und Bedürfnisse sie haben. Wir beurtei- Träger öffentlicher Hand, von Leistungserbringern und len mit unseren Möglichkeiten als gesunde Menschen bürgerschaftlichen Initiativen gemeint ist. Dies ist auch eine Krankheit, von der wir in der Regel nicht viel Ah- der richtige Weg hin zur Bewältigung der vor unserer nung haben. Gesellschaft stehenden Aufgaben. Die SPD schlägt eine Landesinitiative Demenz vor, die In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der die Chance bietet, Ansätze, die es an den verschiedenen SPD-Fraktion, sind viele Punkte enthalten, die es wert Stellen gibt, zu verbinden, neue Forschungsergebnisse sind, weiter verfolgt zu werden, aber auch viele, die einzubeziehen und aktuelle Diskussionen aufzugreifen, bereits Bestandteil existierender Pläne sind. Als Beispiel zum Beispiel zu Demenzdörfern als Möglichkeit für das möchte ich hier nur den Landespsychiatrieplan und das Leben im Alter. Wir haben ja erlebt, dass mit dem BeWoG Geriatriekonzept im Freistaat nennen und auf die Exper- zum Teil die Chance verbaut worden ist, Wohnmöglich- tise der Nationalen Demenzstrategie verweisen. keiten im Alter zu schaffen, die auch für Menschen mit Demenz andere Dimensionen eröffnen, weil das BeWoG Insofern werden wir heute Ihren Antrag ablehnen. bestimmte Kriterien, bestimmte Voraussetzungen hat, die Herzlichen Dank. dazu führen, dass man eine Bundesförderung dann nicht in Anspruch nehmen kann. (Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

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Ich finde, dass eine Servicestelle, wie sie in Nordrhein- Meine Damen und Herren Abgeordneten der SPD- Westfalen schon seit vielen Jahren eingerichtet ist, eine Fraktion, Ihre Forderungen sind durchaus nachvollzieh- Möglichkeit sein kann, Wege zu finden, mit dieser bar; aber wir haben das meiste, was Ihren Antrag anbe- Krankheit umzugehen, Betroffene dabei in den Mittel- langt, in Sachsen bereits auf den Weg gebracht. Ich punkt zu stellen, Angehörige zu unterstützen und auch verweise auf unser Pflegenetz und die vernetzte Pflegebe- Fachkräfte so weiterzubilden bzw. ihnen überhaupt die ratung vor Ort – die Allianz wurde bereits genannt –, aber Chance zu geben, sich im Alltag dieser Krankheit zu auch auf das GeriNet als trägerübergreifendes geriatri- stellen. sches Versorgungsnetzwerk. Wir haben das Informations- Ich möchte noch darauf hinweisen, dass es natürlich auch und Qualifizierungsangebot verbessert bzw. erweitert, etwas mit dem Pflegebedürftigkeitsbegriff zu tun hat. Die was Punkt 3 anbelangt. Damit haben wir zugleich Ange- Pflegestufe 0 wurde eingeführt, sodass auch Menschen bote zu kleinräumiger Strukturentwicklung und Netz- mit demenzieller Erkrankung Leistungen erhalten können. werkarbeit verbessert und ausgeweitet – Punkt 6 – und Trotzdem wurde immer wieder angemahnt, dass wir einen dies alles selbstverständlich auch für Demenzkranke und ihre Angehörigen untersetzt. neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff brauchen. In der ver- gangenen Woche ist bei der Diskussion im Bundestag Wir unterstützen Betroffene und Angehörige in ihrer beim Pflegestärkungsgesetz deutlich geworden, dass diese Lebens- und Wohnsituation, zum Beispiel mit unserem Reform wieder verschoben worden ist – auf 2015 – und Solidarmodell der Alltagsbegleiter. Diese fördern wir über dass durch diese zeitliche Verzögerung gerade auch für den ESF und zusätzlich über ein eigenes Landespro- Menschen mit demenziellen Erkrankungen Verbesserun- gramm. Das weitere Solidarmodell, die Nachbarschafts- gen, die im Alltag wirksam werden können, auf die lange helfer, sind hier ebenfalls ein wichtiges Element. Sie Bank geschoben sind. kümmern sich bereits heute – auch ohne Geld! – sehr einfühlsam um ihre Mitmenschen. Jetzt bekommen sie Auch für Menschen mit Demenz gilt: Die UN-BRK stellt dafür eine Aufwandsentschädigung von bis zu 10 Euro die Menschen in den Mittelpunkt und fragt in erster Linie pro Stunde. Sie dürfen maximal zwei demenzkranke danach, was Menschen sich wünschen, wie ihr Leben Menschen betreuen. aussehen sollte. Dafür sollten wir die Voraussetzungen schaffen. Es ist für Demenzpatienten eine Gnade, Der Antrag ist eine gute Möglichkeit dazu; wir werden (Dagmar Neukirch, SPD: Eine Gnade?) ihm zustimmen. wenn sie Menschen um sich haben, denen sie vertrauen Vielen Dank. können, die sie kennen und mit denen sie letzten Endes (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD auch eine Beziehung aufbauen, die sicherlich eine andere und vereinzelt den LINKEN) ist als die, die wir uns vorstellen können. Eine Koordinie- rungsstelle in Chemnitz, die wir vor Jahren aufgebaut 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine haben, betreut und berät alle diese Projekte. Damen und Herren, die NPD hat auf ihren Redebeitrag Ein drittes Solidarmodell haben wir in dieser Legislatur- verzichtet. Damit ist die erste Runde beendet; mir liegt periode von der reinen Theorie in die Praxis geholt: die keine Wortmeldung für eine zweite Runde vor. Ich frage Seniorengenossenschaften. In Sachsen werden aktuell trotzdem die Abgeordneten, ob jemand das Wort wünscht. Gründungen solcher Senioren- bzw. Generationsgenos- – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung. – senschaften vorbereitet. Wir sind mit unseren Solidarmo- Frau Staatsministerin Clauß, Sie haben das Wort, bitte. dellen das eine oder andere Mal wieder Vorreiter. So hat Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und der Bund unser Konzept der Nachbarschaftshelfer und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Alltagsbegleiter in sein erstes Pflegestärkungsgesetz sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Demenz aufgenommen. Hier werden die Rahmenbedingungen für ist ein zunehmend wichtiges Thema in unserer Gesell- weitere Möglichkeiten geschaffen. Wir sind als Mitglied schaft. Es ist aber auch ein Thema, das wir gern ausblen- in die Arbeitsgruppe „Kommune und Pflege“ aufgenom- den, denn es konfrontiert uns mit bohrenden Fragen nach men worden. Auf Arbeitsebene hat die Tätigkeit bereits begonnen; die Ministerebene wird folgen. unserem Selbstverständnis: Woran macht sich Men- schenwürde fest? – An intellektuellen oder körperlichen Ab Januar können Pflegebedürftige, die keine einge- Fähigkeiten? Was ist ein Mensch wert, der rund um die schränkte Alltagskompetenz haben, auch diese Leistungen Uhr Betreuung braucht und der vergessen hat, was er mit in Anspruch nehmen. Es soll eben nicht nur der reine einer Zahnbürste anfangen soll? Wird es uns gelingen, Pflegebedarf abgedeckt werden. Betreuung und Hilfe im auch Menschen mit dieser schweren Erkrankung ein Haushalt sind für ein selbstständiges Leben in den eige- würdevolles Altern zu ermöglichen und ihre pflegenden nen vier Wänden genauso wichtig. Soziale Teilhabe ist Angehörigen vor Erschöpfung zu bewahren? mehr als Schrankwand, Sessel und Fernseher. Auch unser BeWoG lässt sehr wohl Förderungen zu, gerade im Diese Fragen müssen wir stellen, aber wir müssen auch Kontext von Demenzwohngruppen. Antworten finden im Kontext unserer Werte.

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Wir brauchen keine „Landesinitiative Demenz“. Initiativ Pflegestufen beantragt werden müssen sowie soziale sind wir schon lange; denn dieses Thema treibt uns um, Betreuung zu organisieren ist, brauchen Angehörige und und dieses Thema treibt uns an. Wir brauchen nicht noch Betroffene Lotsen und Beratungen. Mir wurde zudem mehr Pläne. Wir brauchen Verknüpfungen von der Alten- mitgegeben, dass die Verbesserung der Diagnosemöglich- hilfe zur Gerontopsychiatrie, weitere Forschung und in keiten über einen Ausbau der Gedächtnisambulanzen den medizinischen und pflegerischen Berufen – ganz erfolgen soll. Gewünscht werden ein Unterstützungsnetz- gleich, ob Altenhilfe oder Krankenhilfe – Weiterbildung werk als kommunale Verpflichtung, eine Leitstellende- auf allen Gebieten. Wir brauchen neben den professionel- menzhilfe, die Finanzierung unabhängiger Einrichtungen len Helfern – was sie dort leisten, ganz gleich, ob ambu- zur Beratung und Begleitung der Familien. Nicht zuletzt lant oder stationär, kann man nicht hoch genug schätzen – geht es um die soziale Absicherung pflegender Angehöri- Menschen, die Brücken zu den professionellen Pflege- ger von Menschen mit Demenz und um die Verbesserung diensten bauen, die sich engagieren, die Strukturen der Hilfen für die Sicherstellung der Vereinbarkeit von nutzen, die bestehende Netzwerke ausbauen und mit Pflege und Beruf – ein Punkt, der hier noch dazugehört Leben füllen. hätte. Wir werden auch weiterhin neben den professionellen Das würde ich Ihnen gern noch mitgeben, auch wenn Sie Pflegediensten die ehrenamtliche Pflegehilfe stärken, dem Antrag heute leider nicht zustimmen können. Tun Sie Engagement fördern und nachhaltig unterstützen; ich etwas! Bündeln Sie das, was Sie bereits tun! Entwickeln verweise auf unser Positionspapier „Pro Pflege Sachsen“. Sie es weiter! Dann werden wir in Sachsen auch in Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das ist Zukunft in Würde alt werden können. unsere Aufgabe. Die Fragen, die ich eingangs stellte, Vielen Dank. müssen wir gesamtgesellschaftlich beantworten, um ein Altern in Würde auch in Zukunft selbstverständlich sein (Beifall bei der SPD, den zu lassen. LINKEN und den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Es gibt (Beifall bei der CDU, der FDP noch eine Wortmeldung der Staatsministerin Clauß. Frau und der Staatsregierung) Staatsministerin, Sie haben natürlich das Recht zu reden.

3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Wir Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und kommen jetzt zum Schlusswort. Für die einreichende Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Fraktion Frau Neukirch. sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich kann das, was Frau Neukirch in ihrem Schlusswort gesagt hat, Dagmar Neukirch, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! so nicht stehen lassen. Auch wenn ich jetzt Schärfe in die Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der gesamten Debat- Diskussion hineinbringe, möchte ich doch Folgendes te habe ich mich gefragt, warum Sie den Antrag ablehnen betonen: Ich habe nicht von „Gnade“ in dem von Frau müssen, obwohl er gut ist. Aber während der Rede von Neukirch intendierten Sinne gesprochen. Ich habe von Frau Clauß ist mir deutlich geworden, worin der Unter- „Gnade“ gesprochen, wenn Demenzkranke Menschen um schied besteht. Für uns sind die Hilfen und die Unterstüt- sich herum haben, denen sie vertrauen können und die sie zung für diese Menschen keine Gnade. Für uns haben verstehen. Nichts anderes habe ich gemeint. Sie brauchen diese Menschen einen Anspruch auf Hilfe und Unterstüt- keine Gnade, was ein Gesetz anbelangt. zung. Das ist ein fundamentaler Unterschied. (Lebhafter Beifall bei der CDU, (Beifall bei den LINKEN, der SPD und den der FDP und der Staatsregierung) GRÜNEN – Staatsministerin Christian Clauß: Sie drehen mir das Wort im Munde herum!) 3. Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Schmalfuß: Meine Damen und Herren! Ich stelle nun den Antrag in der Frau Staatsministerin, Sie sagten, wir setzten das alles Drucksache 5/14539 zur Abstimmung und bitte bei schon um. Ich war am Montag bei einer Selbsthilfegruppe Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Die Gegenstimmen? Angehöriger zu Besuch und möchte vortragen, was man – Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen mir dort für die Debatte mitgegeben hat: Sie wünschen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist der Antrag in der sich eine Demenzstrategie mit dem Schwerpunkt auf Drucksache 5/14539 mehrheitlich nicht beschlossen sozialer Daseinsvorsorge, unabhängig von wirtschaftli- worden. chen Voraussetzungen. Sie wünschen sich ein Netzwerk für die Versorgung von Menschen mit Demenz, die noch Der Tagesordnungspunkt ist beendet. nicht pflegebedürftig sind. In der Zeit, in der gesetzliche Meine Damen und Herren! Wir kommen zu Betreuung zu organisieren ist, Diagnosen eingeholt und

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Tagesordnungspunkt 10 Ermittlung des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Freistaat Sachsen Drucksache 5/14034, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wie Sie sehen, gen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine unterstützen uns zu diesem Thema wieder Gebärdendol- Diskriminierung von Menschen mit Behinderung darstel- metscher, die ich hiermit im Sächsischen Landtag herzlich len.“ willkommen heiße. Mit unserem Antrag fordern wir die Staatsregierung auf, (Beifall) eine Expertise in Auftrag zu geben, in der das Landesrecht des Freistaates daraufhin untersucht wird, welcher gesetz- Die Fraktionen können zu dem Antrag Stellung nehmen. geberischer Handlungsbedarf, gemessen am Maßstab der Die Reihenfolge in der ersten Runde: GRÜNE, CDU, DIE UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behin- LINKE, SPD, FDP, NPD; Staatsregierung, wenn ge- derung, besteht. wünscht. Wenn Sie jetzt fragen, warum das notwendig ist, dann Ich erteile für die einreichende Fraktion Frau Herrmann erinnern Sie sich an die Diskussion zur UN-BRK in dieser das Wort. Legislaturperiode. Es ist notwendig, weil Sachsen gelten- Elke Herrmann, GRÜNE: Herr Präsident! Liebe Kolle- des Recht zum Teil einfach ignoriert. ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass durch den Die Staatsregierung hat sich gegen die systematische Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern auch die Umsetzung der UN-Konvention mittels eines Aktions- Menschen, die an den Fernsehern diese Debatte zur und Maßnahmenplans entschieden. Das, liebe Kollegin- Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in nen und Kollegen, hat eben auch zur Folge, dass bisher Sachsen verfolgen wollen, die Möglichkeit dazu haben. keine umfängliche Prüfung des Landesrechts hinsichtlich Ich gehe davon aus, dass wir alle hier im Hohen Haus die seiner Vereinbarkeit mit der Konvention stattgefunden Erarbeitung und Verabschiedung der UN-Behinderten- hat. rechtskonvention begrüßen, dass wir uns nach Kräften Diese systematische Prüfung ist jedoch erforderlich, da bemühen, sie auch in Sachsen umzusetzen, und dass wir die Ursache von Benachteiligung von Menschen mit die Ratifizierung als Meilenstein für die Rechte von Behinderung häufig auch in sächsischen Gesetzen liegt. Menschen mit Behinderung in Deutschland ansehen. Verwiesen werden kann exemplarisch auf das Schulge- setz, auf das Wahlgesetz oder auch auf das PsychKG, das (Beifall bei den GRÜNEN, wir morgen novellieren werden. Durch das Nichthandeln den LINKEN und der SPD) seitens der Staatsregierung wird Menschen mit Behinde- Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die durch die UN- rung Teilhabe vorenthalten, und es wird jeweils dem oder BRK anfänglich ausgelöste Euphorie sichtlich zurückge- der Einzelnen aufgebürdet, im Klageweg die Ansprüche gangen ist – leider auch in Sachsen. Ich frage mich, durchzusetzen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum dem so ist. halte ich nicht für hinnehmbar. Eine Erklärung – zumindest für Sachsen – ist, dass die (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Staatsregierung offenbar nicht weiß, was es für einen Unterzeichnerstaat bedeutet, eine Konvention zu ratifizie- Würde die Staatsregierung die UN-BRK ernst nehmen, ren. Der Weltvertrag, den die UN-Konvention darstellt, dann hätten wir sicher alle schon einmal etwas von erlangt den Rang eines einfachen Bundesrechts, also den unserer staatlichen Anlaufstelle für die UN-BRK, die Rang eines Gesetzes. An dieses Gesetz ist auch der beim SMS angesiedelt ist, gehört. Ich wusste nichts Freistaat Sachsen gebunden, und das ohne Einschränkung. davon, und ich nehme an, das geht den allermeisten von Ihnen ganz genauso. Ich konnte aber im 5. Bericht zur In diesem Gesetz heißt es – jetzt komme ich zum Anlie- Lage von Menschen mit Behinderung nachlesen, dass es gen unseres Antrags –: „Die Vertragsstaaten verpflichten diese Stelle bei der Staatsregierung gibt. Dort steht dann sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und auch, dass im Freistaat Sachsen kein staatlicher Koordi- Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderung ohne nierungsmechanismus eingerichtet worden ist. jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck ver- (Martin Dulig, SPD: Hört, hört!) pflichten sich die Vertragsstaaten, a) alle geeigneten Genau das ist das Problem. Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkann- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) ten Rechte zu treffen und b) alle geeigneten Maßnahmen Die Staatsregierung hat kein Konzept für eine strukturier- einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Ände- te und koordinierte Umsetzung der UN-Konvention. rung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnun- 10605 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Bereits im Jahr 2010 hatten wir im Plenum mit einem agentur verwies den Schüler dann unter Hinweis auf die Antrag die Erarbeitung eines Aktionsplanes gefordert. Ich Schulintegrationsverordnung auf eine Förderschule. Auch erinnere mich noch ziemlich genau an die Worte der die Bereitschaft der Mutter, selbst die Schulassistenz zu Ministerin damals: Wir brauchen keinen Aktionismus! – übernehmen, hat nicht zu einer Änderung geführt. Aktionismus wollten auch wir nie. Uns ging es vielmehr Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist einfach nicht um ein planvolles und abgestimmtes Handeln, und das ist länger hinnehmbar. Wir diskutieren seit zwei Legislatur- das Gegenteil von Aktionismus. perioden über Integration und Inklusion, und immer (Beifall bei den GRÜNEN, wieder erreichen uns solche Petitionen. den LINKEN und der SPD) Das Landeswahlgesetz, das Kommunalwahlgesetz, die Der Freistaat Sachsen ist mittlerweile das einzige Bundes- Landeswahlordnung: Liebe Kolleginnen und Kollegen, land, in dem es einen solchen Plan nicht gibt. Das, liebe wir hatten dazu schon im letzten Plenum diskutiert. Die Kolleginnen und Kollegen, ist eine eindeutige Fehlent- gegenwärtigen wahlrechtlichen Vorschriften, die insbe- scheidung. sondere Menschen mit Behinderung die Wahlausübung ermöglichen sollen, greifen in Sachsen zu kurz. Die Auch deshalb fragt aktuell der UN-Fachausschuss, vor Vorschriften zur Barrierefreiheit der Wahlräume entfalten dem die Bundesrepublik Deutschland zum Umsetzungs- keine ausreichende Wirkung. Die gegenwärtigen Vor- stand der UN-Konvention Rede und Antwort stehen wird, schriften, die zum Beispiel die Unterstützung durch Dritte bei zahlreichen Themen nach, für die die Länder zustän- beim Wahlvorgang vorsehen, sind restriktiv formuliert dig sind. Dieser Fachausschuss hat Aufklärungsbedarf und berücksichtigen vor allem nicht, dass es über das signalisiert und 25 Fragen aufgelistet. Ich möchte zwei Nicht-Lesen- bzw. Nicht-Schreiben-Können hinaus auch davon hier zitieren. andere Verständnisprobleme geben kann, die eine weitere Der Fachausschuss hat Deutschland aufgefordert, für Unterstützung an der Wahlurne erforderlich machen. jedes der 16 Bundesländer „Informationen über das Zu nennen wären auch noch das PsychKG – darüber Verständnis und die Erfüllung ihrer rechtlichen Verpflich- werden wir uns morgen umfassend auseinandersetzen – tungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen und Vorschriften der Bauordnung. In § 50 sind die Regeln über die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihre zur Barrierefreiheit festgelegt. Dort wird aber nach wie Aktionspläne zur Umsetzung einschließlich darüber, wie vor nicht ausreichend geprüft, sodass beispielsweise den Menschenrechten der am stärksten marginalisierten Anforderungen an Wohngebäude regelmäßig nicht einge- Gruppen, zum Beispiel der in Einrichtungen lebenden halten werden. Menschen, Rechnung getragen wird, zu geben.“ Das war eine Frage. Zum Bauplanungsrecht: In Bauleitplanungen werden die Themen des Umweltschutzes sehr umfänglich behandelt, (Beifall bei den GRÜNEN) die Belange der Barrierefreiheit finden dagegen regelmä- Eine weitere Frage war: „Bitte erläutern Sie, welche ßig keine bzw. nur wenig Beachtung. Da Bebauungspläne Maßnahmen ergriffen wurden, um sicherzustellen, dass zu vereinfachten Baugenehmigungsregeln führen, ist die sowohl bestehende als auch neue Rechtsvorschriften das Durchsetzung der Bauordnung nicht mehr möglich. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte Beim Brandschutz existieren in Sachsen keine vertieften von Menschen mit Behinderung einhalten. Wie haben die Regelungen zur Evakuierung von Rollstuhlbenutzern. Bundesregierung und die Länderregierungen ihre beste- Maßgebend ist allein die Bauordnung. Das führt dazu, henden Gesetze und neuen Gesetzentwürfe mit den dass dieses Thema in Brandschutzkonzepten regelmäßig Verpflichtungen aus dem Übereinkommen in Einklang zu kurz kommt. gebracht?“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte hier noch Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Antworten, die viele andere Gesetze aufführen. Das sind nur einige hierzu auch der Freistaat Sachsen liefern muss, werden Beispiele. Um den gesamten gesetzgeberischen Hand- sicherlich nicht glanzvoll sein. Ich möchte Ihnen das lungsbedarf zu ermitteln, soll die Monitoring-Stelle zur anhand einiger Beispiele verdeutlichen. UN-Behindertenrechtskonvention ein Gutachten für Zum Schulgesetz und zur Schulintegrationsverordnung: Sachsen erstellen. Für diesen Weg hat sich auch das Land Bis heute wird auf die diskriminierende Schulintegrati- Berlin entschieden. Dann würden wir hier Bescheid onsverordnung und das Schulgesetz verwiesen, um wissen, an welcher Stelle Regelungsbedarf besteht, und Kindern mit Förderbedarf den Schulbesuch an einer wir könnten uns einen Aktionsplan vornehmen, wie wir Regelschule zu verweigern. Die Mitglieder des Petitions- diesem Regelungsbedarf nachkommen wollen. ausschusses wissen, dass uns erst kürzlich dazu wieder Vielen Dank. eine Petition erreichte. Ein Schüler, der bis zur 4. Klasse integrativ an einer Regelschule unterrichtet wurde, wollte (Beifall bei den GRÜNEN, ab der Klasse 5 gemeinsam mit seinen Freunden lernen. den LINKEN und der SPD) Die zuständige Behörde lehnte jedoch die Finanzierung 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die CDU- eines Schulassistenten ab und die Sächsische Bildungs- Fraktion spricht Herr Abg. Krasselt. Bitte.

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Gernot Krasselt, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behin- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns in dieser derungen – einschließlich Kindern mit Behinderungen – Legislaturperiode mehrfach mit der UN-Konvention über über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultati- die Belange von Menschen mit Behinderungen und deren onen und beziehen diese selbstverständlich aktiv mit ein. Umsetzung auseinandergesetzt, und ich denke, das war Meine Damen und Herren, gesetzliche Regelungen, die auch gut so. Menschenrechte betreffen, haben in Deutschland bereits Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am einen sehr hohen Entwicklungsstand erreicht. So hat die 13. Dezember 2006 sowohl das Übereinkommen der deutsche Gesetzgebung bereits vor längerer Zeit einen Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Paradigmenwechsel vollzogen. Danach werden Menschen Behinderungen als auch das Fakultativprotokoll zum mit Behinderungen nicht mehr als Objekte der staatlichen Übereinkommen verabschiedet. Am 26. März 2009, Fürsorge angesehen. In der Gesetzgebung setzt sich die 30 Tage nach Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde bei Erkenntnis durch, dass Menschen mit Behinderungen den Vereinten Nationen, ist die UN-Behindertenrechts- Anspruch auf gleichberechtigte Behandlung durch alle konvention als deutsches Recht in Kraft getreten. staatlichen Stellen haben, dass sie die gleichen Rechte haben wie Menschen ohne Behinderungen und alle ihre Ziel der Konvention ist es, dass Menschen mit Behinde- Rechte auch selbst ausüben und einfordern können und rungen gleichberechtigt mit anderen von den Menschen- sollen. 1994 wurde ins Grundgesetz das ausdrückliche rechten Gebrauch machen können. Dieses ausdrücklich Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung erklärte Ziel der Konvention fußt auf der weltweiten aufgenommen; auch die Ausgestaltung des SGB IX Erkenntnis, dass Menschen wegen einer Beeinträchtigung verdeutlicht diesen Paradigmenwechsel. stärker in der Wahrnehmung ihrer Rechte eingeschränkt sein können als Menschen ohne Behinderung. Gleichwohl gilt es zu schauen, wie weit mit der Ratifizie- rung der UN-Behindertenrechtskonvention die Vorgaben Dieses Ziel ist ausdrücklich zu begrüßen und verpflichtet der Konvention über Regelungen der sächsischen Gesetze natürlich alle Beteiligten zur schrittweisen Verwirkli- hinausgehen und Handlungsbedarf besteht. Der vorlie- chung der in der Konvention festgelegten Rechte. So gende Antrag sieht dies vor und fordert die Einbeziehung verpflichten sich die Vertragsstaaten nach Artikel 4 der der Monitoring-Stelle hinsichtlich der Überprüfung aller Konvention, die volle Verwirklichung aller Menschen- bestehenden landesrechtlichen Normen. Sicher, das ist rechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behin- eine Möglichkeit. Aber was sollte das im Ergebnis brin- derungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von gen? Denn gleichzeitig ließen sich nicht alle möglichen Behinderungen zu gewährleisten und zu fördern. Zu Veränderungen umsetzen. diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten unter anderem, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- (Horst Wehner, DIE LINKE: und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Immer wieder dieselbe Leier!) Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen, alle – Hören Sie doch erst einmal bis zum Ende zu! geeigneten Maßnahmen – einschließlich gesetzgeberi- scher Maßnahmen – zur Änderung oder Aufhebung (Zuruf von den LINKEN: bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Wir kennen das Ende schon!) Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Men- Dabei geht es insbesondere darum, die vorhandenen schen mit Behinderungen darstellen, den Schutz und die Möglichkeiten, die bei uns genutzt werden, weiter auszu- Förderung der Menschenrechte von Menschen mit Behin- bauen und umzusetzen. Sie sind aus meiner Sicht in den derungen in allen politischen Konzepten und allen Pro- letzten Jahren sehr positiv umgesetzt worden. Diesbezüg- grammen zu berücksichtigen, Handlungen oder Praktiken, lich mögen wir unterschiedlicher Auffassung sein, aber die mit diesen Übereinkommen unvereinbar sind, zu ich denke, das ist das Recht der Opposition: dies immer unterlassen und dafür zu sorgen, dass die staatlichen wieder zu beklagen und zu sagen, was nicht erreicht Behörden in öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit wurde. diesem Übereinkommen handeln. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen (Zuruf von der SPD: Stimmen Sie jetzt zu?) Rechte verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, unter Aus- Dabei gilt es, dass neue Gesetze und Verordnungen schöpfung seiner verfügbaren Mittel – und erforderlichen- bereits im Stadium ihrer Vorbereitung an den Maßstäben falls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit –, der UN-Behindertenrechtskonvention gemessen werden Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle und dass die Beteiligung der Verbände von Menschen mit Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen, unbeschadet Behinderungen sichergestellt wird. Überdies wird der derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, Beauftragte der Staatsregierung für Belange von Men- die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Bei der schen mit Behinderungen bei allen Gesetzen, Verordnun- Ausarbeitung der Umsetzung von Rechtsvorschriften und gen und anderen Vorhaben einbezogen, sofern entspre- politischen Konzepten zur Durchführung dieses Überein- chende Fragestellungen aufkommen. Diesen Weg halten kommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in wir für sinnvoller und werden daher Ihrem Antrag nicht Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, folgen.

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Danke. dass bei circa 60, also drei Vierteln davon, mit großer Sicherheit Änderungen vorzunehmen sein werden. (Beifall bei der CDU) Dabei ist der jeweils erforderliche Änderungsumfang sehr 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die Linksfrak- unterschiedlich. Sehr großer Änderungsbedarf besteht – tion spricht Herr Abg. Wehner. wie Frau Herrmann schon zu Recht ausgeführt hat – bei dem Sächsischen Schulgesetz, der eigentlich eine Neufas- Horst Wehner, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsi- sung des Gesetzes erfordert. Andere Gesetze wiederum dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr weisen vor allem sprachlichen Änderungsbedarf auf, Krasselt, es überrascht nicht wirklich – auch zum Schluss wobei als diskriminierend aufzufassende und veraltete der 5. Legislatur nicht –: Immer wieder diese Leier. Begriffe durch diskriminierungsfreie und zeitgemäße zu Meine Damen und Herren, die Fraktion BÜNDNIS 90/ ersetzen wären. Ein Beispiel ist das Straßenverkehrszu- DIE GRÜNEN bittet die Staatsregierung zu Recht, den ständigkeitsgesetz, in dem von körperlich Behinderten gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Umsetzung der anstelle von Menschen mit Behinderungen die Rede ist. UN-Behindertenrechtskonvention im Freistaat Sachsen zu Auch Formulierungen, die auf Fehler der Sinnesorgane ermitteln. Als wir, meine Damen und Herren – damit und wahrnehmbare Anlagen zu chronischen Krankheiten meine ich die Abgeordneten und Mitarbeiter der Fraktio- abstellen, wie sie in mehreren Verordnungen des Sächsi- nen SPD und DIE LINKE –, Ende 2011 bzw. Anfang schen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit zu 2012 mit der Erarbeitung des Gesetzentwurfs für ein finden sind, sind mit der UN-BRK nicht vereinbar. Sächsisches Inklusionsgesetz begannen, stellten wir schnell fest, dass der gesetzliche und untergesetzliche Wirklich bedenklich finde ich allerdings, dass sich selbst Novellierungsbedarf hinsichtlich der Umsetzung des in Gesetzen, die in diesem Jahr geändert wurden, der Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte Begriff „Gebrechen“ findet. Das steht so im Heilberufe- von Menschen mit Behinderungen, also der UN-BRK, kammergesetz, im Sächsischen Wahlgesetz und auch im sehr hoch ist. Kommunalwahlgesetz. Trotzdem haben wir uns damals entschieden, uns zu- Meine Damen und Herren! Das ist unwürdig im Jahr fünf nächst mit der grundlegenden Überarbeitung des Sächsi- nach der Ratifizierung der UN-BRK und muss unbedingt schen Integrationsgesetzes zu befassen und somit den und zeitnah geändert werden. Rahmen für weitere Rechtsanpassungen zu stecken. Unser (Beifall bei den LINKEN, Gesetzentwurf hätte als Grundlagengesetz das Sächsische der SPD und den GRÜNEN) Integrationsgesetz ablösen sollen. Vor allem aber hätte es den Blick auf Menschen mit Behinderungen im Sinne der In diesem Sinne begrüßen wir den Antrag der Fraktion UN-BRK geändert – wirklich geändert, Herr Krasselt. Ich Bündnis 90/DIE GRÜNEN, dem wir sehr gern zustimmen will das hier nicht weiter ausführen, denn über das Inklu- werden. sionsgesetz aus Drucksache 5/11841 wurde hier im Hohen Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, dass ich mich Hause an verschiedenen Stellen lange beraten, bevor es an dieser Stelle persönlich an Frau Kollegin Elke schließlich im April dieses Jahres von der Regierungs- Herrmann wende. Sie wird für eine neue Legislatur des mehrheit abgelehnt wurde. Die Fraktion BÜNDNIS 90/ Sächsischen Landtags nicht mehr zur Verfügung stehen. DIE GRÜNEN beantragt nach unserem Verständnis eine Ich will die Gelegenheit nutzen, um mich auch im Namen Normenprüfung in Auftrag zu geben, wie sie die Monito- meiner Fraktionskollegen sehr herzlich für ihr Engage- ring-Stelle zur UN-BRK, die beim Deutschen Institut für ment – für dein Engagement, liebe Elke – gerade im Menschenrechte angesiedelt ist, für das Land Berlin Bereich der Sicherung der Teilhabe und selbstbestimmten bereits durchgeführt hat. Lebensführung von Menschen mit körperlichen, geisti- Die Kurzdarstellung des Ergebnisses ist übrigens auf der gen, seelischen bzw. Sinnesbeeinträchtigungen im Frei- Internetseite der Monitoring-Stelle abrufbar. Ich möchte staat Sachsen zu bedanken. hier nicht weiter darauf eingehen. (Beifall bei den LINKEN, Im Zuge unserer Arbeit am Inklusionsgesetz haben wir der SPD und den GRÜNEN) uns zahlreiche sächsische Fachgesetze angesehen, um die Von Ihnen sind viele Impulse gegeben worden, nicht nur Gesamtdimension des Novellierungsbedarfs zur Rechts- für die parlamentarische Arbeit, sondern auch für die anpassung im Freistaat Sachsen an die UN-BRK zu Arbeit in den Selbsthilfegruppen und Behindertenverbän- erfassen. Das will ich Ihnen kurz darlegen. den. Wir stimmten nicht in allen Detailfragen überein. Zunächst filterten wir alle Fachgesetze heraus, bei denen Das ist auch nicht schlimm. Aber in den wesentlichen wir aufgrund unserer fachlichen Kenntnisse und Erfah- Positionen, vor allem, wenn es darum ging, die Würde des rungen Novellierungsbedarf infolge der BRK vermuteten. Menschen zu wahren, gab es Übereinstimmungen. Aus dem damals aktuellen Fundstellennachweis für Vielen Dank, liebe Elke Herrmann. Ich freue mich schon Gesetze und Verordnungen ergab sich, dass circa 80 auf weitere Begegnungen in der behindertenpolitischen Dokumente von Gesetzesrang infrage kommen. Die Arbeit auch außerhalb des Parlaments. Dir persönlich haben wir uns angesehen. Im Ergebnis stellten wir fest, alles Gute und vor allem beste Gesundheit!

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Meine Damen und Herren! Stimmen Sie dem Antrag zu! dargestellt. Was Sie dargestellt haben und was wir teil- weise erleben, ist Aktionismus. Ich werde das nachher (Beifall bei den LINKEN, noch einmal anhand des Bildungsbereichs verdeutlichen, der SPD und den GRÜNEN) ohne mich hier zu wiederholen. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die SPD- Ich rate den Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, Fraktion spricht jetzt Frau Dr. Stange; bitte. insbesondere aus der CDU, einmal nach Bayern zu fahren. Das hat offenbar auch bei dem fraktionsübergrei- Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Sehr geehrte Frau Präsi- fenden Antrag vor einigen Jahren geholfen, um die dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für Expertenkommission beim Kultusministerium auf den die Gebärdensprachübersetzung, damit ich auch zu Weg zu bringen. Denn man hat gesehen, dass es das verstehen bin. Eigentlich ist alles gesagt. Wir sind sehr Musterland Bayern offenbar geschafft hat, das Thema dankbar für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE Umsetzung der Behindertenrechtskonvention fraktions- GRÜNEN, der das Thema, mit dem wir uns über die übergreifend auf den Weg zu bringen und daraus einen ganzen fünf Jahre immer wieder an den verschiedensten Aktions- und Maßnahmenplan nicht nur für den Bil- Stellen auseinandergesetzt und bei dem wir Anstöße dungsbereich, sondern für das gesamte Land zu entwi- gegeben haben, zum Ende dieser Legislaturperiode noch ckeln. Auch hier hilft vielleicht der Blick über die Grenze. einmal so präsent auf die Tagesordnung gesetzt hat. Unter Sozialpädagogen würde man sagen: Dieser Antrag ist ein Mittlerweile haben so gut wie alle Bundesländer einen niedrigschwelliges Angebot, das man annehmen sollte. Aktions- und Maßnahmenplan. Rheinland-Pfalz ist eines der ersten Länder, das bereits in die Handlungsumsetzung (Beifall bei der SPD, den gegangen ist. LINKEN und den GRÜNEN) Natürlich ist so ein Plan nur die eine Hälfte. Die andere Denn es erfordert nichts anderes, als eine Expertise Hälfte, Herr Krasselt – da stimme ich Ihnen zu –, sind die einzuholen, um dann anschließend zu handeln. ganz konkreten Maßnahmen zur Umsetzung. Aber zu- Herr Krasselt, wir arbeiten nicht so häufig zusammen, nächst einmal sollte man sich Gedanken darüber machen, aber Ihre Argumentation konnte ich beim besten Willen was man überhaupt tun will. nicht nachvollziehen. Lassen Sie mich nun einen Blick auf den Bildungsbereich (Einzelbeifall bei der SPD) werfen, auch wenn Elke Herrmann dazu bereits einige Aussagen getroffen hat. Dort sind wir nun in der Situati- Sie tragen uns zunächst fast wortgetreu die UN-Behinder- on, dass eine Expertenkommission des Kultusministeri- tenrechtskonvention vor und sagen anschließend, dass es ums entsprechende Empfehlungen ausgesprochen hat. Es für uns keinen Handlungsbedarf gibt. Diese Logik er- gibt den Entwurf eines Aktions- und Maßnahmenplans, schließt sich nicht nur einem Mathematiker nicht. der eigentlich fortgeschrieben werden sollte, nachdem die (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN Expertenkommission ihre Empfehlungen vorgelegt hat. und vereinzelt bei den LINKEN) Fast anderthalb Jahre, nachdem diese Empfehlungen auf den Tisch gelegt wurden, haben wir immer noch keine Selbstverständlich müssen bei der Erarbeitung eines Fortschreibungen dieses Aktions- und Maßnahmenplans. Aktions- und Maßnahmenplans, wie es auch in anderen Wir haben lediglich Aktionismus. Kurz vor Beginn des Bundesländern geschehen ist, die Menschen mit Behinde- neuen Schuljahres müssen Eltern wieder über Verfahren rung einbezogen werden. Es ist also keine Argumentation, gegen die Bildungsagentur, gegen die Entscheidung des zu sagen, man hat keinen Handlungsbedarf. Staates, gegen ihren Willen einklagen, dass ihre Kinder nicht in eine Förderschule, sondern in eine integrative 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine Unterrichtung gehen. Eine der zentralen Empfehlungen Zwischenfrage? der Expertenkommission war es, das Schulgesetz an Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Bitte. dieser Stelle so zu ändern, dass echte Wahlfreiheit exis- tiert. Bis heute, anderthalb Jahre danach, ist das nicht 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Krasselt, geschehen. bitte. Meine Damen und Herren! Im Bereich der Schule ist es Gernot Krasselt, CDU: Sehr geehrte Frau Stange, sogar noch schlimmer. Wir fallen immer weiter hinter das vielleicht haben Sie gehört, dass ich ganz bewusst die zurück, was in der Integrationsverordnung eigentlich Behindertenproblematik aus Sicht der UN-Konvention bereits geschrieben steht. Wir fallen hinter bereits begon- dargestellt habe. Das haben Sie richtig bemerkt. Dann nene Schritte der Integration zurück, weil sich die Bedin- habe ich unseren Weg aufgezeigt. Das scheint Ihnen gungen immer weiter verschlechtern. Aktuell vor Beginn entgangen zu sein. Ist das so? dieses Schuljahres stehen wir vor der Situation, dass Kinder nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Aus meiner Sicht ist das ländlichen Raum nicht mehr integrativ beschult werden nicht so. Elke Herrmann hat vorhin den Unterschied können, weil die Aufnahmekapazität der Klassen er- zwischen Aktionismus und einem Aktionsplan sehr schön schöpft ist und die Schulen zu Recht sagen, mit 28 Kin-

10609 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 dern in der Klasse sind sie nicht in der Lage, vernünftige auch der Schutz der Persönlichkeit, Beratungsmöglichkei- Integrationsarbeit zu leisten. Also, wir fallen an dieser ten und kulturelle Angebote. Ich möchte Ihnen auch Stelle sogar hinter einen Weg zurück, den wir schon sagen, warum ich das noch einmal so ausdrücklich beto- glaubten eingeschlagen zu haben. ne: Es ist mir wichtig; denn aus der geforderten Zusam- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir bleibt nur menstellung des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs zu sagen: Nehmen Sie dieses niedrigschwellige Angebot allein erwächst keine Umsetzung der UN-Behinderten- rechtskonvention. an! Handeln Sie endlich, wie es in anderen Bundesländern der Fall ist! Es wird von Ihnen nichts Unzumutbares Diese muss in jedem Gesetz einzeln erfolgen. Das neue verlangt, liebe Staatsregierung, liebe Frau Clauß, denn Sie E-Government-Gesetz setzt zum Beispiel die Vorgaben sind für die Koordinierung zuständig. Sie sollen nur das der Inklusion um, wenn es auf der Barrierefreiheit im umsetzen, was die Landesregierung unterschrieben hat, Internet besteht. Das Integrationsgesetz schreibt nicht nur nämlich ein Bundesgesetz, das Landesgesetz bricht. Wir die Bestandsaufnahme, sondern auch den Bericht zur müssen nicht erst warten, bis die ersten Klagen ausgeklagt Lage der Menschen mit Behinderung vor. Er enthält sind, und das Land und die Kommunen verpflichten, darüber hinaus Vorschläge, wie die Benachteiligung von bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, weil Sie bis heute Menschen mit Behinderung beseitigt, ja auch grundsätz- nicht gehandelt haben. lich verhindert werden kann. Im Rahmen dieser Vorschlä- ge wird konkret aufgezeigt, wie die gleichberechtigte Auch ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Elke Herrmann bedanken, die durch ihre sachlichen und Gesellschaft gewährleistet werden soll. konstruktiven Anstöße, die sie im Zusammenhang nicht nur mit der UN-Behindertenrechtskonvention, sondern in Sehr geehrte Damen und Herren! Uns alle eint das Ziel, sozialen Fragen insgesamt, hier ins Plenum eingebracht dass wir allen Menschen in der Gesellschaft eine selbstbe- hat, in vielen Positionen mit der SPD in Übereinstimmung stimmte Lebensführung ermöglichen wollen. Dieses Ziel ist. Man merkt ihr an, dass sie das mit Engagement und ist in der Politik allgegenwärtig. Es ist in Artikel 7 der mit sehr viel Überzeugung macht. Ich hoffe, dass diese Sächsischen Verfassung festgeschrieben; denn darin Überzeugung auch irgendwann einmal auf eine Regie- bekennt sich der Freistaat dazu, Menschen mit Behinde- rungskoalition überspringt, wie wir sie heute haben, damit rung zu unterstützen und auf die Gleichwertigkeit der das, was du hier vorträgst, liebe Elke, auch Früchte trägt. Lebensverhältnisse hinzuwirken. Dieses Ziel finden wir Ich wünsche dir von unserer Seite alles, alles Gute und auch im Grundgesetz, ebenso in den Sozialgesetzbüchern, hoffe, dass du uns noch an anderen Stellen deine Rat- und es findet seinen Ausdruck im bereits erwähnten schläge mit auf den Weg gibst. Integrationsgesetz. Vielen Dank. Für den Freistaat ist es eine ressortübergreifende Aufgabe, diese Ziele umzusetzen. Das Sozialministerium arbeitet (Beifall bei der SPD) hier als Koordinierungsstelle. Es tauscht sich mit den 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die FDP- staatlichen Anlaufstellen auf Bundesebene sowie mit den Fraktion Frau Abg. Schütz, bitte. verantwortlichen Stellen in anderen Bundesländern aus, und es gewährleistet den Informationsaustausch mit den Kristin Schütz, FDP: Sehr geehrte Frau Präsidentin! anderen Ministerien und die Koordinierung ressortüber- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! greifender Aktivitäten. Es informiert die Öffentlichkeit und leitet die Anliegen von Bürgern an die Verbände und (Die Rednerin gebärdet.) Organisationen der Menschen mit Behinderung weiter. Ist „Guten Tag!“ zu sagen um diese Uhrzeit noch ange- Die Staatsregierung hat einen Beauftragten für die Belan- bracht? – Ich hoffe doch. ge von Menschen mit Behinderung eingesetzt. Diese Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am tägli- Funktion halte ich für sehr wichtig. Er prüft bei allen chen Leben ist der Staatsregierung und auch den demo- Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorha- kratischen Fraktionen im Parlament ein sehr wichtiges ben, ob Fragen der Integration von Menschen mit Behin- Anliegen. Die Vorstellung des Fünften Berichts zur Lage derung behandelt werden, darin berührt sind, und er der Menschen mit Behinderung durch das Sozialministe- macht auch selbst seine Änderungsvorschläge. Das, was rium in der letzten Sitzung des Landtages hat die Ernst- die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, wird an haftigkeit der Anstrengungen noch einmal deutlich unter- diesen Stellen umgesetzt, sicherlich noch nicht so allum- mauert. Die wesentlichen Schritte hin zu einer Gesell- fassend, wie wir es uns an vielen Stellen wünschen und schaft mit einer Teilhabe für alle Menschen wurden darin vorstellen. Hier gibt es noch Möglichkeiten einer Verbes- nachgezeichnet. serung – wie in allen Lebensfragen. Hier gilt es, weiter daran zu arbeiten. Aber diesem Regelungsfeld der spezifi- Aber ich möchte es noch einmal kurz in Erinnerung rufen: schen Forderung nach Teilhabe kommen wir damit nach. Dazu zählen der Trend zum eigenen Wohnen, zum ambu- lanten Wohnen, die Förderung in allen Altersklassen, allen Aber Ihr Antrag, so sehr er jetzt schon gelobt wurde, sehr Lebensaltersstufen. Das Initiativprogramm will Investiti- geehrte Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/ onen in die Barrierefreiheit. Dazu gehören darüber hinaus DIE GRÜNEN, liebe Elke Herrmann, schafft letztlich nur

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Papier. Er bringt uns an der Stelle nicht weiter; denn Ich zitiere mich einmal kurz selber aus der damaligen Papier kann nicht handeln. Rede: „Mich verwundert auch das Verhalten der CDU. Wurde dieser Antrag mitgetragen, um schlimmere Aus- (Zuruf des Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE) wüchse zu verhindern, um sich noch ein wenig Spielraum Das Parlament und die Regierung werden weiter alles zu lassen, um das funktionierende System der Förderschu- daransetzen, diese Gesellschaft zu schaffen, die allen len nicht völlig aufzugeben, wie es auch schon im Raum Menschen eine Teilhabe bietet. Dafür werden wir den stand?“ Insbesondere im Bildungsbereich, aber auch bereits jetzt sehr erfolgreichen Weg weitergehen, nicht darüber hinaus wurde das Thema Inklusion mit missiona- ohne die vor uns liegenden Aufgaben dabei fest im Blick rischem Eifer vorangetrieben. Fast alle diese Errungen- zu haben. schaften haben aber zur realen Absenkung des Leistungs- niveaus geführt. Inzwischen sind die negativen Auswir- (Zuruf der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE) kungen aus Bundesländern wie allgemein be- Diesen Antrag werden wir jedoch ablehnen. kannt, und man tut im Freistaat Sachsen gut daran, vor- Herzlichen Dank. sichtig mit diesem Thema umzugehen, zumal für eine Inklusion nach Ihren Vorstellungen nach wie vor weder (Beifall bei der FDP, der CDU genügend Personal noch genügend Geld zum Beispiel für und der Staatsregierung) Schulhausumbau zur Verfügung steht.

1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die NPD- Noch behutsamer sollte man bei arbeitsmarktpolitischen Fraktion Frau Abg. Schüßler, bitte. Maßnahmen vorgehen. Man sollte nicht vergessen, es gibt seit Jahrzehnten bewährte Hilfen zur Eingliederung. Es ist Gitta Schüßler, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen aber auch eine Tatsache, dass diese zumeist finanziellen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN wird genauso Hilfen in ihrer Wirksamkeit an Grenzen stoßen. Daran abgelehnt werden wie der Antrag 5/14140, der die werden auch Plakat- oder Verständniskampagnen wenig „Vorlage eines fortgeschriebenen Aktions- und Maß- ändern. Sie gehen einfach unter in der Flut von Werbung, nahmenplanes zur zielgerichteten Umsetzung von Arti- die den Bürger täglich erreicht. kel 24 UN-Behindertenrechtskonvention“ und die „umge- Es ist wirklich nicht so, dass ich mir eine derartige Ent- hende Schaffung von Rahmenbedingungen für eine wicklung wünsche, aber ein Blick über den deutschen inklusive Bildung im Freistaat Sachsen“ zum Ziel hatte. Gartenzaun würde der Opposition von links in dieser Völlig zu Recht, muss ich sagen; denn wenn man sich Sache nicht schaden. Ein Blick nach China, Indien oder diese Monitoringstelle einmal objektiv betrachtet, kommt Brasilien – alles Unterzeichner der UN-BRK – könnte man zu dem Schluss, dass hier staatliches Verwaltungs- auch Erkenntnisse bringen. Wem das zu exotisch ist, der handeln durch Empfehlungen, Parallelberichte und schaut vielleicht einmal in Richtung USA oder in die Prüfungen ausgehebelt werden soll. europäischen Nachbarländer. Ganz nebenbei: Die Es ist mir nicht entgangen, dass diese Monitoringstelle Schweiz hat bis heute die UN-BRK nicht unterzeichnet. eingerichtet werden musste. Mit der Unterzeichnung der Wollen Sie mir ernsthaft erzählen, dass die Behinderten in UN-BRK hat sich die BRD wie alle anderen Staaten dazu der Schweiz deshalb benachteiligt oder vernachlässigt verpflichtet. Trotzdem bleibt ein merkwürdiger Beige- würden? schmack, wenn hier demokratisch legitimierte Personen, Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen eine Frage stellen, Politiker, und Institutionen von einer Stelle kontrolliert auf die Sie in Ihrem Antrag nicht eingegangen sind, und geprüft werden, die eben nicht demokratisch legiti- nämlich die Frage nach den Kosten. Wie teuer käme dem miert, sondern am Institut für Menschenrechte angesiedelt Freistaat eine solche Expertise, wie in dem Antrag gefor- ist. Aber, meine Damen und Herren, wie heißt es so dert, und aus welchem Töpfchen sollte das bezahlt wer- schön: Wie im Kleinen, so im Großen, und bei Ihrer den? Begeisterung für alle möglichen Sorten von Beauftragten auf jeder Ebene sollten Sie sich nicht wundern, wenn Sie Wir werden den Antrag ablehnen. dann auch von solcher Art Monitoringstelle geprüft und Danke. bewertet werden. (Beifall bei der NPD) Unter der Nummer 5/6861 wurde im Jahr 2011 ein Antrag unter der Überschrift „Integration und Inklusion im 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und sächsischen Schulwesen“ von CDU, FDP, SPD, GRÜ- Herren, wollen wir jetzt in eine zweite Runde eintreten? NEN und LINKEN beschlossen. Ich kann mir schon Wünschen die Fraktionen noch einmal das Wort zu vorstellen, wie frustrierend es sein muss, wenn man als nehmen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann gebe demokratische Opposition gemeinsam mit der Koalition ich jetzt der Staatsministerin das Wort. Frau Ministerin einen Antrag aushandelt und beschließt und dann den Clauß, bitte. Eindruck gewinnen muss, dass man hingehalten wird. Dass der Gruppenantrag diesen Weg nehmen wird, habe Christine Clauß, Staatsministerin für Soziales und ich Ihnen schon damals im Jahr 2011 gesagt. Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wenn auch nur

10611 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 kurz, aber einiges kann hier nicht unwidersprochen stehen der verschiedenen Abgeordneten vor allen Dingen der bleiben. Entgegen Ihrer Behauptung hat sich die Staatsre- Koalition gesprochen hat – deshalb schaue ich dort gierung bereits im Frühjahr 2012 mit dem Stand der hinüber –, hin zu einer Politik der Rechte. Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention be- Rechte, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in Gesetzen schäftigt. Der Beschluss hat das verfassungsgemäße verbrieft. Deshalb müssen wir die sächsischen Gesetze Ressortprinzip bekräftigt. Jedes Ressort ist dafür zustän- daraufhin ansehen, ob sie die Rechte von Menschen mit dig, seine eigenen Gesetze auf die Konformität mit der Behinderungen in sächsisches Recht übersetzen. UN-Behindertenrechtskonvention zu prüfen, um auch eventuelle Änderungen vorzubereiten. Zum Schluss möchte ich Ihnen den Brief einer Behinder- tenbeauftragten einer großen sächsischen Stadt vorlesen. Natürlich wäre ein generelles Normenscreening eine Sie hat mir geschrieben: „Ich finde es sehr richtig, dass Möglichkeit, aber es ist ein sehr aufwendiges Verfahren, von gesetzgeberischer Seite über den Handlungsbedarf das per se noch keine Verbesserungen für Menschen mit zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Behinderungen bringt. Außerdem sehe ich auch die nachgedacht werden soll und muss. Wir brauchen für Monitoring-Stelle als ersten Anlaufpunkt. Das andere unsere Städte und Gemeinden eine einheitliche Hand- können die Ministerien auch selbst oder mithilfe von lungsstrategie. Wir reden über Inklusion und haben Instituten oder Hochschulen tun. teilweise noch nicht einmal die Integration erreicht. Aus meiner Sicht ist es viel wichtiger, den Handlungsbe- Einige Kommunen verfügen bereits über Inklusionspläne. darf zu erkennen und direkt Änderungen an den bestehen- Ich habe … den Versuch unternommen, über einen den Gesetzen zu prüfen und Änderungen in die Wege zu Inklusionsplan nachzudenken und mit der Erfassung der leiten; denn das kommt direkt bei den Menschen mit Istsituation begonnen. Da es aber keine Vorgaben des Behinderungen an. Auch dazu dient der Fünfte Bericht Gesetzgebers gibt, musste ich meinen Ansatz wieder in von Menschen mit Behinderungen. die Schublade legen. Ich glaube, um wirklich Inklusion zu erreichen, müssen wir neue Wege finden.“ Dieser Bericht beinhaltet eine umfassende Bestandsauf- nahme zur Lebenssituation behinderter Menschen. Er Unser Antrag sollte dazu eine Möglichkeit bieten. stellt damit eine Grundlage dar, um die Teilhabemöglich- Vielen Dank. keiten behinderter Menschen zu verbessern. Darin steht übrigens auch, dass die Staatsregierung einen ressortüber- (Beifall bei den GRÜNEN, greifenden Maßnahmenplan erarbeiten wird – als weiteren den LINKEN und der SPD) Punkt und als Aufgabe in unserer Agenda Inklusion, um den Weg in unsere inklusive Gesellschaft weiterzugehen. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen Vielen Dank. zur Abstimmung. (Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der Ich stelle nun den Antrag in Drucksache 5/14034 zur FDP und Beifall bei der Staatsregierung) Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzei- chen. – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthal- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich darf zum tungen? – Bei einer ganzen Reihe von Stimmen dafür ist Schlusswort aufrufen. Frau Abg. Hermann, bitte. der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden. Elke Herrmann, GRÜNE: Frau Präsidentin! Liebe Ich darf mich noch einmal sehr herzlich bei den Gebär- Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Redebeiträge dendolmetschern bedanken. Das ist eine große Bereiche- einiger Abgeordneter möchte ich noch einmal darauf rung für uns im Parlament. hinweisen, dass es sich bei der UN-BRK um geltendes Recht handelt. (Beifall des ganzen Hauses) (Beifall bei den GRÜNEN, Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt ist damit beendet. den LINKEN und der SPD) Ich rufe auf Nehmen wir diese UN-BRK ernst, dann kann das die Grundlage für eine neue Gesellschaftspolitik sein, weg von einer Politik der Fürsorge, wie sie aus den Beiträgen

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Tagesordnungspunkt 11 Heimat statt Zuwanderung – Grundlegende Reform des Asyl- und Ausländerrechts statt unkontrollierter Einwanderung Drucksache 5/14724, Antrag der Fraktion der NPD

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es eines gutherzigen Reflexes, der sich allerdings verdächtig beginnt die einreichende Fraktion. Herr Abg. Schimmer, oft mit einer grimmigen Ablehnung der eigenen Kultur Sie haben das Wort. verbindet, vielleicht nachvollziehbar. Dieser Gedanke ist jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt und Arne Schimmer, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen würde im Fall seiner Realisierung nicht nur den sofortigen und Herren! Bundespräsident Gauck hat es wieder einmal Zusammenbruch der Sozialsysteme, sondern auch die getan. Am 30. Juni forderte er in einer Grundsatzrede im Auslöschung der eigenen Kultur bedeuten. Französischen Dom in Berlin einmal mehr einen besseren Zugang für Flüchtlinge nach Europa und die Schaffung (Beifall bei der NPD) dauerhafter Lebensperspektiven im Zufluchtsland. Vergegenwärtigen wir uns: Im Tschad und in Liberia Schon in seiner Weihnachtsansprache des Jahres 2013 leben 80 % der Einwohner unter der Armutsgrenze. In hatte sich der Bundespräsident zur Flüchtlings- und ganz Afrika sind es mehr als die Hälfte der Einwohner, Asylpolitik geäußert und es damals zu einer reinen Her- also rund 600 Millionen Menschen. Gerade in den ärms- zenssache erklärt, wie viele Flüchtlinge Deutschland ten Ländern Afrikas wächst die Bevölkerung rasant und aufnehme. verdoppelt sich alle 30 bis 40 Jahre. Ganz gleich, wie viele Zuwanderer Deutschland aufnehmen würde, der In beiden Reden des Bundespräsidenten wird die klare Bevölkerungsdruck und der Zustrom weiterer Zuwanderer Forderung erhoben, die Grenzen im Grunde genommen wird anhalten. für jedermann ohne Rücksicht auf die eigenen Haushalte und Sozialsysteme zu öffnen. Natürlich sind die Bedingungen, unter denen viele Afri- kaner von Schlepperbanden nach Europa gebracht wer- In beiden Reden werden dann natürlich auch mit keinem den, grausam und lebensgefährlich, und wir Nationalde- Wort die zahlreichen Probleme der Zuwanderung er- mokraten haben gar nicht vor, das in Abrede zu stellen. wähnt, weder die Probleme bei der Unterbringung von Aber die Konsequenz daraus kann doch dann nicht darin Asylbewerbern noch das Problem des massenhaften bestehen, das kriminelle Geschäftsmodell dieser Banden Asylmissbrauchs oder das Problem der Kriminalitätsbe- auch noch zu belohnen, indem man jeden Zuwanderer lastung durch Asylbewerber. dann auch noch tatsächlich nach Europa einwandern lässt. Wie jeder Verfechter einer Heilsideologie blendet Herr Nur so können diese Banditen ihr Geschäft betreiben. Gauck das Unangenehme und Unpassende einfach aus. Hören wir doch auf das, was der Gründer der Organisati- Europa solle ein Einwanderungskontinent werden, der on Cap Anamur, Rupert Neudeck, zur gegenwärtigen alle eigenen Traditionen und die eigene Kultur hinter sich Lage in seinem Buch „Die Flüchtlinge kommen – Warum lässt, um alle Beladenen und Bedürftigen dieser Welt sich unsere Flüchtlingspolitik ändern muss“ sagt – ich aufzunehmen. Ausgeblendet wird dabei, dass alle Viel- zitiere –: „Der Asylgedanke der ersten 50 Jahre der völkerstaaten dieser Welt mit massiven inneren Konflik- Geschichte der Bundesrepublik war trügerisch. Er gab uns ten zu kämpfen hatten und daran in der Regel auch das Gefühl, überall auf der Welt, wo es Probleme gab mit zugrunde gingen. Verfolgungen, mit Vertreibung, mit Hunger, mit ritueller Die Bemühungen von Staaten, sich ein passendes Volk zu Beschneidung und Vergewaltigung, gefragt zu sein. suchen, führten zu schockierenden, vor Gewalt triefenden Diesen großspurigen Anspruch konnten wir nur deshalb Resultaten, wie die Beispiele der Sowjetunion und Jugo- aufrecht erhalten, weil wir wussten: Die können sowieso slawiens zeigten. nicht alle zu uns kommen.“ Gegenwärtig wird durch das Auseinanderbrechen der Dies – so Neudeck weiter – ändere sich aber angesichts Vielvölkerstaaten Ukraine und Irak einmal mehr deutlich, steigender weltweiter Mobilität, die zu neuen Lösungen in dass das historisch eigentlich schon längst widerlegte der Asylpolitik führen müsse. Neudeck schlägt die Errich- Modell Vielvölkerstaat schnell in eskalierende Bürger- tung von Auffangzentren in Nordafrika vor, wo geprüft kriegs- und Konfliktszenarien umkippen kann, wenn in wird, wer Anspruch auf Asyl in Europa hat. Das würde einer wirtschaftlichen Krisensituation die sozialen Inte- zum einen verhindern, dass Afrikaner versuchen, sich auf ressen der breiten Massen nicht mehr erfüllt werden lebensgefährlichen Wegen über das Mittelmeer durchzu- können. schlagen, und zum anderen könnte frühzeitig abgeklärt Der Gedanke, die Probleme Afrikas und des Nahen werden, wer überhaupt einen Rechtsanspruch auf Asyl hat. Ostens auf europäischem Boden lösen zu wollen, ist zwar möglicherweise, wenn man großzügig ist, als Ausfluss

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Auch ein Rupert Neudeck hat inzwischen also erkannt, derungsbegrenzungen in eine Minderheitenposition dass das im Grundgesetz festgeschriebene Grundrecht auf drücken möchte – so sagt er zumindest –, atmen für uns Asyl mittlerweile leider als Alibi für jede Form der als NPD keinen humanitären Geist, sondern erinnern an Migration missbraucht wird und deshalb durch eine Bevölkerungsverschiebungspläne, wie sie zuletzt vor 70 Asylgesetzgebung ersetzt werden sollte, die endlich oder 80 Jahren in Europa umgesetzt wurden. wieder dem Kern des Asylgebungsgedankens, nämlich Eine vernünftige und menschenfreundliche Asylpolitik, dem Schutz von politisch Verfolgten, zum Durchbruch wie die NPD sie anstrebt, schafft der kleinen Minderheit verhelfen würde. der politisch wirklich Verfolgten eine Zufluchtsmöglich- (Beifall bei der NPD) keit und setzt sich gleichzeitig entschlossen für den Schutz des Rechts auf Heimat für das eigene Volk ein, das Ein weiterer wichtiger Punkt, meine Damen und Herren, nicht durch groß angelegte Bevölkerungsverschiebungs- ist die ungleiche Verteilung der Lasten bei der Aufnahme pläne zur Minderheit im eigenen Land gemacht werden von Zuwanderern. So führte Schwedens Minister für darf. Migration und Asylpolitik, Tobias Billström, erst gestern anlässlich eines EU-Innenministertreffens in Mailand aus, (Beifall bei der NPD) dass von den 28 EU-Mitgliedern nur 13 Länder bei der In einer weiteren Debattenrunde wird mein Fraktionskol- Aufnahme von Flüchtlingen über das UN-Flüchtlings- lege Andreas Storr weitere Ausführungen zum Thema hilfswerk mitmachen, während 15 eben nicht dabei sind. machen. Noch krasser – darauf lenkte Herr Billström auch den Blick – ist das Verhältnis bei der Aufnahme syrischer Ich bedanke mich derweil für die Aufmerksamkeit. Kriegsflüchtlinge. Hier nehmen Deutschland und Schwe- (Beifall bei der NPD) den sage und schreibe zwei Drittel aller syrischen Kriegs- flüchtlinge auf. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die CDU- (Kerstin Köditz, DIE LINKE: Fraktion, bitte. – CDU-Fraktion? – Die FDP-Fraktion? – Für die Koalition, sagen wir es so. Das glauben Sie doch selber nicht!) (Andreas Storr, NPD: Biesok muss – Das sagt ein schwedischer Minister, Frau Köditz. Ich kann es nicht ändern. wieder einmal ran! – Zuruf von der NPD: Eine undankbare Aufgabe!) (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE) Carsten Biesok, FDP: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kurz bevor der Wahlkampf – Frau Köditz, hören Sie bitte zu. Wenn Sie eine Frage beginnt, hat sich die NPD noch einmal entschieden, die haben, dann gehen Sie ans Mikrofon. Sachsen vor der angeblich bevorstehenden Überfremdung Für die NPD hingegen steht fest, dass die Asylpolitik in und einem drohenden Vielvölkerstaat zu warnen. Jetzt Europa wieder zur Grundlage der im Jahr 2003 in Kraft haben wir sogar gehört, es gäbe Völkerverschiebungs- getretenen Dublin-II-Verordnung zurückkehren muss, pläne. Das ist die neueste Variante, um noch einen wonach jeder Asylsuchende nur Anspruch auf ein Asyl- obendrauf zu setzen. Dabei haben wir hier in Sachsen verfahren in dem EU-Staat hat, dessen Boden er zuerst einen verschwindend geringen Ausländeranteil von betreten hat. Dieses völkerrechtliche Abkommen wird ungefähr 2 %. Aber mit der Angst vor Überfremdung leider in letzter Zeit beispielsweise faktisch durch den kann man in Ihrer Klientel Stimmung machen, man kann massenhaften Zuzug von tschetschenischen Asylbewer- Ängste schüren und versuchen, eine Stimmung aufzubau- bern außer Kraft gesetzt, die über das Staatsgebiet von en, die von Ihnen für die Wahlkämpfe einsetzbar ist. Polen nach Deutschland einreisen. Es wird auch dadurch Wir Demokraten werden Ihnen aber niemals den Gefallen ausgehöhlt, dass Griechenland wegen systematischer tun, auf diesen Leim zu gehen. Wir werden nicht aufhö- Mängel im Asylwesen nun eben nicht mehr als sicheres ren, Ihre menschenverachtenden und rassistischen The- Drittland gilt. Nach dieser Logik muss ein Aufnahmestaat men immer wieder aufs Neue anzuprangern und zurück- seine Asylbewerber nur schlecht genug behandeln, damit zuweisen. ein anderer Staat alle Lasten übernehmen muss. Im konkreten Fall von Griechenland stellt sich die Frage, (Jürgen Gansel, NPD: Was inwieweit Europa wirklich die viel beschworene Werte- sind denn das für Plattitüden?) gemeinschaft ist, wenn ein EU-Mitglied wie Griechenland Das, was Sie hier gerade vorgetragen haben, Herr nicht einmal mehr als sicherer Drittstaat gilt. Schimmer, ist unterstes Niveau gewesen. Sie wissen Nein, meine Damen und Herren, wer die innere Sicherheit überhaupt nicht, wovon Sie reden. Sie wollen hier einfach und die soziale Stabilität in Deutschland erhalten möchte, nur Stimmung machen. der muss die Zuwanderung wirksam begrenzen. Megalo- (Beifall bei der Staatsregierung) mane Fantasien wie die des Sächsischen Ausländerbeauf- tragten, Dr. Martin Gillo, der die autochthonen Sachsen Sie haben es wieder auf das Asylrecht abgesehen, das für schon in zwei Jahrzehnten durch das Öffnen aller Zuwan- Sie ein absolutes Grundübel ist. Die Unterschiede zwi-

10614 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 schen Menschen, die bei uns Asyl suchen, und solchen, 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die Linksfrak- die zu uns kommen, weil sie beispielsweise als Fachkräfte tion Frau Abg. Köditz, bitte. gebraucht werden, versuchen Sie gar nicht erst herauszu- arbeiten. Für Sie sind alle bei uns lebenden Menschen Kerstin Köditz, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsi- nichtdeutscher Herkunft Asylbetrüger. Dabei ist es Ihnen dentin! Meine Damen und Herren! Zu später Stunde – egal, dass unsere Wirtschaft teilweise händeringend man möchte etwas anderes tun – Fachkräfte sucht oder dass wir Menschen bei uns haben, (Zuruf von der CDU: Genau! – die vor Bürgerkrieg, Verfolgung und menschenverachten- Heiterkeit bei den Fraktionen) den Systemen fliehen. nun dieser NPD-Antrag. Das von Ihnen verachtete Grundübel des Asylrechts möchten Sie abschaffen. Das steht zwar nicht in Ihrem Der Antrag wird umrahmt von völkisch determinierten Antrag, aber eine Novellierung mit Streichung der Ein- Beschreibungen wie „Heimat statt Zuwanderung“, „gegen klagbarkeit und die damit bezweckte Degradierung des unkontrollierte Einwanderung“; Angst vor einem „Viel- Asylrechts zu einem reinen Gnadenrecht käme einer völkerstaat“ wird geschürt. Aber die Staatsregierung wird Abschaffung gleich. Sagen Sie doch deutlich, was Sie dann im Antrag hauptsächlich zum Thema Asyl zum wollen, und vertreten Sie das hier, damit man weiß, woran Handeln aufgefordert – eine Bundesratsinitiative zur man bei Ihnen ist. Abschaffung des einklagbaren Grundrechts auf Asyl nach Artikel 16a –, das Wort „Grundgesetz“ wird allerdings im Es schert Sie auch nicht, dass das Menschen- und Grund- Antrag schon mal weggelassen. Haben Sie wirklich recht des Asyls in Artikel 16a des Grundgesetzes unter die solche Probleme mit dem Grundgesetz? DIE LINKE wird Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Abs. 3 des Grundgeset- auf jeden Fall niemals zustimmen, dass es beim Asylrecht zes fällt, weitere Einschränkungen gibt. (Jürgen Gansel, NPD: Für politisch Verfolgte!) Weiter im Antrag: „Unterbindung von Kirchenasyl“. Dazu also schlichtweg gar nicht so verändert werden kann, dass sagen wir als LINKE ganz klar Danke: Danke an alle von diesem Grundrecht nicht mehr der Kernbestand übrig Kirchengemeinden, die sich so engagiert für Flüchtlinge bleibt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in Not einsetzen. sich damals aus gutem Grund dafür entschieden, das (Beifall bei den LINKEN, Asylrecht so hoch anzuhängen und so weit zu schützen. der SPD und den GRÜNEN) Sie hatten noch allzu gut in Erinnerung, dass das Wirken Ihrer geistigen Väter viele Menschen dazu gezwungen Und dann im Antrag die Forderung nach Abschaffung der hat, Deutschland zu verlassen und bei anderen Schutz zu Härtefallkommission. Nicht einmal Härtefällen gibt die suchen, weil sie nämlich politisch von einer Partei ver- NPD irgendeine Chance – einfach unmenschlich, ein folgt wurden, die Ihnen sehr nahesteht. Die Mütter und anderes Wort fällt mir dafür nicht ein. Die NPD will Väter des Grundgesetzes hatten die Vision eines anderen stattdessen einen reinrassigen Ein-Volk-Staat, und dafür Deutschlands vor Augen, eines Landes, das politisch müssen zuerst die Schwächsten herhalten: die Geflüchte- verfolgten Menschen einen Schutzraum bietet. Sie woll- ten und die Asylsuchenden. Sie werden beschimpft, ten verhindern, dass die geistigen Erben dieser Verbrecher beleidigt, bedroht, gejagt und geschlagen, und mit solchen auch nur die minimale Chance erhalten, dieses Recht Anträgen wird genau das Klima dafür geschaffen und, auszuhöhlen. meine Damen und Herren, dafür ist der NPD auch jedes Argument recht. Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass es Das einklagbare Grundrecht auf Asyl ist ein fester Be- nun doch etwas Gutes für die NPD hat, dass Polen zur EU standteil unseres Gemeinwesens. Als Demokraten werden gehört? Dort können nämlich jetzt die tschetschenischen wir nicht nachlassen, dieses kostbare Erbe zu verteidigen. Flüchtlinge bleiben. Nur gut, dass Deutschland keine EU- Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede noch einige Außengrenze, außer zur Schweiz, hat, Worte zur Einwanderung sagen. (Andreas Storr, NPD: Aber sie bleiben Wer unsere Werte akzeptiert, wer sich an unsere Regeln doch nicht dort! – Jürgen Gansel, NPD: hält, wer für seinen Unterhalt sorgt und sich um seine Die kommen doch trotzdem wieder!) Familie kümmert, den fragen wir nicht, woher er kommt, und es ist wirklich widerlich, dass das aktuelle menschli- den möchten wir fragen, wohin wir gemeinsam mit ihm che Leid in der Ukraine und im Irak als Begründung für gehen können. diesen menschenverachtenden Antrag herhalten muss. (Jürgen Gansel, NPD: Da (Beifall des Abg. Heiko Kosel, DIE LINKE) bleiben aber nicht viele übrig!) Diese NPD-Argumentationskette Asyl = Vielvölkerstaat = Ich danke Ihnen. Katastrophe ist nicht nur widerlich, sondern verkennt (Beifall bei der FDP, der CDU, den LINKEN, der auch historische Zusammenhänge. So etwas Unverschäm- SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung) tes kann man nur ablehnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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(Beifall bei den LINKEN, der SPD von CDU/CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode des und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE – Deutschen Bundestages folgende Aussage – Zitat –: Holger Szymanski, NPD: „Migranten leisten einen bedeutenden Beitrag zum Wir haben nichts anderes erwartet!) Wohlstand und zur kulturellen Vielfalt unseres Landes. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die NPD hatte Deutschland ist ein weltoffenes Land. Wir begreifen noch eine Wortmeldung. Herr Abg. Storr, bitte. Zuwanderung als Chance. Wir werden die Willkommens- und Anerkennungskultur unseres Landes stärken. Dies Andreas Storr, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und steigert und Herren! Laut Migrationsbericht der Bundesregierung zugleich die Attraktivität unseres Landes für ausländische ist die Nettozuwanderung nach Deutschland im Jahr 2012 Fachkräfte, die wir brauchen. Zuwanderung und Integra- mit 370 000 Personen auf den höchsten Stand seit 1995 tion müssen von Anfang an Hand in Hand gehen. Bei gestiegen. Auch die Asylbewerberzahlen haben 2013 den Neuzuwanderern wollen wir deshalb Vorintegrationsmaß- höchsten Stand seit 14 Jahren erreicht. nahmen schon im Herkunftsland verstärken.“ Nach Angaben des Bundesinnenministeriums beantragten (Jürgen Gansel, NPD: Ist das einfältig! – im vergangenen Jahr rund 127 000 Personen politisches Gitta Schüßler, NPD: Doppelte Staatsbürgerschaft! Asyl in Deutschland. Das sind 65 % mehr als im – Staatsminister Frank Kupfer: Jahr 2012. Allerdings wurden mit Stand vom Okto- Sie betonen das falsch!) ber 2013 lediglich 1,1 % der Asylbewerber tatsächlich als Ausländer als Kultur- und Wohlstandsbringer – stimmt politisch Verfolgte im Sinne des Artikels 16 a Grundge- dieses Bild denn wirklich? Schauen Sie sich doch bitte setz anerkannt. einmal in den ausländischen Wohnghettos westdeutscher Im laufenden Jahr soll es zu einem weiteren Anstieg der Großstädte um. Ihnen wird sich dort ein völlig entgegen- Asylbewerberzahlen kommen. Bis zu 160 000 Anträge gesetztes Bild der Wirklichkeit erschließen. werden für 2014 erwartet. Allein dafür würden nach Der geistige Wahnsinn in dieser Koalitionsvereinbarung seriösen Schätzungen Kosten in Höhe von 1,6 Milliarden offenbart sich auch, wenn man einmal die Verteilung von Euro anfallen. Viele Asylbewerber können sich auch nach Rechten und Pflichten betrachtet. Die Zuwanderer sind Ablehnung ihres Antrages dank Duldungs- und Härtefall- Anspruchsträger, die ihre Rechte voraussetzungslos regelung weiterhin in Deutschland aufhalten. Ende 2013 einfordern können. Die einheimischen Bürger haben hielten sich hier immer noch 131 598 Personen auf, deren dagegen die Pflicht, eine sogenannte Anerkennungs- und Asylantrag bereits rechtskräftig abgelehnt worden ist. Willkommenskultur zu pflegen und auch noch finanziell Diese Zahlen, die ich mir nicht einfach ausgedacht habe, für Integrationsmaßnahmen aufzukommen. Dem Recht sondern die regierungsamtlichen Quellen entstammen, auf Einwanderung steht die Pflicht zur Duldung durch die verdeutlichen einmal mehr, dass die NPD mit ihrem einheimische Bevölkerung gegenüber. Perverser, meine heutigen Antrag genau richtig liegt. Das bundesdeutsche Damen und Herren, kann man das Recht eigentlich gar Asylrecht stellt allerdings in seiner jetzigen Form einen nicht mehr gegen das eigene Volk wenden. Anachronismus dar, der den Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht wird. (Beifall bei der NPD) (Beifall bei der NPD) Genauso verhält es sich mit dem Asylrecht. Die Normen der Asylgesetzgebung werden unterlaufen und ausgehe- Wir Nationaldemokraten sehen uns nämlich mit einer belt. Es wird eben nicht, so wie es die Gesetzeslage wahren Migrationsflut konfrontiert. Schätzungen zufolge bestimmt, konsequent abgeschoben, sondern mit Sonder- werden die Zuwanderungsströme nach Europa in Zukunft bestimmungen werden die gesetzlichen Konsequenzen nicht nur nicht abreißen, sondern sich weiter verstärken. unterlaufen. Das Asylrecht ist nur eine Zuwanderungs- So befinden sich derzeit 18 Millionen Afrikaner auf schleuse, bei der es immer weniger darauf ankommt, wer Wanderungsbewegung, zumeist in Richtung Europa. Die asylberechtigt ist und wer nicht. Bundesrepublik Deutschland garantiert gemäß Arti- Wir Nationaldemokraten fordern, dass eine konsequente kel 16 a Grundgesetz allen politisch Verfolgten Asyl und Rückführung abgelehnter Asylbewerber als eine von droht – so warnen auch Fachleute – von diesem Ansturm vielen Einzelmaßnahmen zur Zuwanderungsverhinderung komplett überrollt zu werden, vor allem, weil andere sinnvoll, aber allein nicht ausreichend ist. Notwendig Länder Europas ein derart großzügiges Asylrecht nicht wäre vielmehr ein Konzept, wie überhaupt die massenhaf- kennen und auch, was die sozialen Transferleistungen te Einreise nach Europa verhindert werden könnte. Es betrifft, weitaus weniger spendabel sind. greift nämlich zu kurz, schlichtweg zu glauben, man Die Einwanderung schafft ganz reale Probleme, aber die könne Flüchtlinge von einer Einreise nach Europa abhal- Probleme – und noch weniger die wirklichen Folgen – ten, indem man deutlich macht, dass sie nur kommen werden öffentlich kaum thematisiert. Stattdessen wird die dürfen, wenn sie aus politischen, religiösen oder rassi- Einwanderung mit substanzlosen Behauptungen schönge- schen Gründen verfolgt werden. quatscht. So findet sich zum Beispiel im Koalitionsvertrag

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Die aktuellen Regelungen berücksichtigen nicht, dass Heinsohn hat in einem Artikel in der „Frankfurter Allge- Zuwanderer mittlerweile bereit sind, interkontinentale meinen Zeitung“ vom 25.6.2010 mit der Überschrift Migration auf sich zu nehmen, um langfristig in einem „Deutschland verschläft den Kampf um Talente“ sehr wohlhabenden Staat einen Neuanfang zu wagen. Sie seien deutlich den Zusammenhang von Zuwanderung und lediglich auf Hilfen für akute Flüchtlinge ausgerichtet und sozialen Ansprüchen aus der staatlichen Fürsorge heraus- böten keine Antwort für den Umgang mit Menschen, die gearbeitet. Mit „den Kampf um Talente“ ist nicht etwa die solchermaßen planvoll an ihrem Eigeninteresse orientiert Anwerbung vermeintlich ausländischer Fachkräfte ge- vorgehen. meint, sondern die Abwanderung deutscher Fachkräfte ins Ausland. Einen Lösungsansatz kann es nur im gesamteuropäischen Rahmen geben, wobei klargestellt werden muss, dass es Nach seinem Resümee sorgen hierzulande Sozial- und für Zuwanderer weder einen Anspruch auf Wohlstand Einwanderungspolitik dafür, dass wir auf Dauer verarmen noch rechtliche Garantien geben kann. Hierzu heißt es in werden, weil das deutsche Sozialsystem falsche Zuwan- der Asylstudie des Instituts für Staatspolitik – Zitat –: derungsanreize schafft und neue Schulden, womit auch „Dieses Problem lässt sich politisch nur dadurch lösen, höhere Steuern nötig sind, um die wachsenden sozialen dass man die Garantie, generell alle politisch Verfolgten Kosten der Zuwanderung überhaupt finanzieren zu aufzunehmen, zurücknimmt und sie durch festgeschriebe- können. ne Kontingente an Flüchtlingen, die sich an der Aufnah- Das sind Tatsachen, die im sogenannten öffentlichen mekapazität des Landes orientieren, ersetzt. Konkret Diskurs nur selten genannt werden und deshalb in der würde dies also für Deutschland eine Streichung des Politik keine Rolle spielen. Die Asyl- und Ausländerlobby Artikels 16 a Grundgesetz bedeuten und die Ausarbeitung dagegen nennt keine Fakten und Tatsachen, sondern eines Asyl- und Flüchtlingsgesetzes auf Bundesebene.“ ausschließlich humanitäre Phrasen, die das Instrument Genau eine solche Streichung des Artikels 16 a Grundge- einer moralischen Erpressung der Deutschen sind. setz fordert die NPD auch mit ihrem heutigen Antrag, und Unser Antrag nimmt die Tatsachen zur Kenntnis und will sie befindet sich damit nicht, wie hier erneut gebetsmüh- deshalb das Asylrecht den Realitäten anpassen. Ich bitte lenartig heruntergeleiert wurde, außerhalb des Verfas- deshalb um Ihre Zustimmung und bedanke mich für Ihre sungsbodens, sondern voll und ganz auf dem Boden des Aufmerksamkeit. Grundgesetzes. Denn zum einen besagt die sogenannte Ewigkeitsklausel, die Herr Biesok schon bemüht hat, in Herzlichen Dank. Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz nur, dass eine Änderung (Beifall bei der NPD) des Grundgesetzes nicht zulässig ist, wenn die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Eine Kurzinter- werden. Hierbei geht es nicht um Artikel 1 und 20, auch vention, bitte; Herr Biesok. der Artikel 16 kann also verändert und gestrichen werden, wenn es die Zeitumstände erfordern. Carsten Biesok, FDP: Ich möchte gern eine Kurzinter- vention machen. Kurz zur Abschaffung des Asylrechts. Zum anderen war es zuerst nicht etwa die NPD, sondern Artikel 79 legt in der Tat fest, dass Artikel 1 und Arti- die CSU in Bayern, die auf einem Parteitag im Novem- kel 20 nicht geändert werden können. In Artikel 1 Abs. 3 ber 2000 ein Thesenpapier mit dem Titel „Deutschland steht aber drin: „Die nachfolgenden Grundrechte binden darf kein Einwanderungsland werden“ beschloss, in dem die staatliche Gewalt.“ Somit ist klargestellt, dass diese es hieß – ich zitiere –: „Um den Asylmissbrauch einzu- Grundrechte nicht abgeschafft werden können, weil sie schränken, ist das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16 a ebenfalls von der Ewigkeitsgarantie umfasst sind. Abs. 1 Grundgesetz in eine institutionelle Garantie umzuwandeln.“ (Beifall bei der FDP, der CDU, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN) (Beifall des Abg. Holger Szymanski, NPD) Während es sich bei der CSU jedoch wieder einmal um 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und eine reine Ankündigungsrhetorik handelte, der keine Herren! Mir liegen vonseiten der Fraktionen keine Wort- Taten folgten, fordert die NPD-Fraktion genau dies mit meldungen mehr vor – auch nicht von der Staatsregie- ihrem heutigen Antrag. Wir sagen: Deutschland darf nicht rung. Deshalb bitte ich, wenn es noch gewünscht wird, zum Eldorado für Wohlstandsflüchtlinge aus aller Herren jetzt das Schlusswort zu halten. Die NPD-Fraktion, Herr Länder verkommen. Wir wollen Heimat statt Zuwande- Schimmer, bitte. rung und keine westdeutschen Verhältnisse. Deswegen (Zuruf von der CDU: Muss das sein? – Andreas müssen wir das Asylrecht so anpassen, dass unser Land Storr, NPD: Es ist eben doch ein wichtiges Thema! nicht von der Asylwalze überrollt und plattgemacht wird. – Gitta Schüßler, NPD: Das müsst ihr aushalten!) Wer Deutschland zum Paradies für Armutszuwanderer Arne Schimmer, NPD: Danke, Frau Präsidentin. – Dann erklärt, betreibt nicht nur die Ausplünderung unserer gehe ich in der verbleibenden Zeit noch auf die Vorredner Sozialkassen, sondern versündigt sich auch schwer an ein. kommenden Generationen. Der Soziologe Gunnar

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Herr Biesok, Sie haben gerade gesagt, ich würde hier Gleichberechtigung der Frau, Gewaltenteilung. Das geben etwas von Völkerverschiebungsplänen fantasieren. Lesen wir alles auf, letzten Endes zugunsten des Risikos der Sie doch bitte einmal das, was der Ausländerbeauftragte Schaffung einer Monokultur, indem wir uns nur noch als der Sächsischen Staatsregierung, Dr. Gillo, gesagt hat. Ich Einwanderungskontinent definieren, der keine eigenen zitiere: „Ab 2035 beginnt ein neues Zeitalter. Es wird ein Werte mehr vertritt, keine eigene Kultur mehr hat, Zeitalter sein, in dem wir Herkunftsdeutschen in unserem (Zurufe von der CDU) Land die Minderheit darstellen werden.“ Da frage ich mich: Wie soll das in 20 Jahren gehen, dass sondern wir haben nur noch das Recht, alle Flüchtlinge dieser Welt aufzunehmen und dazu zu schweigen. man die vier Millionen deutschgeprägten Sachsen in eine Minderheit bringen will? Das ist ein Irrsinnsplan, und ich (Zuruf von der CDU: Das ist doch Quatsch!) bleibe dabei: Das erinnert an die totalitäre Phase im 20. Jahrhundert mit groß angelegten Bevölkerungsver- – Nein, das ist kein Quatsch. – Noch einmal zu Herrn schiebungen. Ich weiß nicht, wie Dr. Gillo zu dieser Biesok: Das Asylrecht wurde in der Anfangszeit nur von irrsinnigen Aussage kam. politisch Verfolgten in Anspruch genommen. 1953 gab es nur 1 106 Anträge auf Asyl. Heute hat sich das geändert. (Zuruf von der CDU) Heute wird vermischt, indem jeder Wirtschaftsflüchtling Angeblich verbreiten wir hier menschenverachtende erst einmal einen Antrag auf Asyl stellt. Das ist doch die Thesen. eigentliche Vermischung. Nicht wir vermischen hier Themen, sondern die Lage hat sich so geändert, dass das (Antje Hermenau, GRÜNE: Asylrecht das Grundgesetz völlig ausgehöhlt hat und Ja! – Zurufe von der CDU) Wirtschaftsflüchtlinge oder andere Migranten, interkonti- Aber es ist doch so: Ein Blick in den Irak und in die nentale Flüchtlinge, einfach erst einmal dieses Asylrecht Ukraine zeigen, dass derjenige, der fahrlässig eine Multi- in Kauf nehmen oder missbrauchen, um erst einmal in Deutschland bleiben zu können. ethnisierung des Gemeinwesens in Kauf nimmt oder herbeiführt, große Risiken in Kauf nimmt: am Ende das 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte zum Schluss Risiko des Staatsverfalls, das Risiko, dass soziale Kon- kommen. flikte irgendwann in ethnische Konflikte und in Grausam- keiten umschlagen und das Risiko, dass ein Staat an Arne Schimmer, NPD: Das ist nicht rechtens und kann innerer Stabilität verliert. Das bedenken Sie eben nicht. deshalb keinen Bestand haben. Humanismus ist immer ein halber. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Sie denken, die Deutschen sollen immer nur zahlen, (Beifall bei der NPD) sollen immer mehr aufnehmen, aber sie hätten kein Recht darauf, ihre eigene Kultur zu bewahren. Das ist ein 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und Irrweg. Wenn wir diesen Irrweg weiter beschreiten, dann Herren! Ich lasse jetzt abstimmen über den Antrag. Wer bekommen wir am Ende keine Multikultur, sondern eine möchte dem NPD-Antrag seine Zustimmung geben? – Monokultur, wie wir das heute schon in vielen Großstäd- Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? ten Großbritanniens sehen, in vielen Vierteln Londons – Bei wenigen Stimmen dafür und keinen Stimmenthal- oder Manchesters. Dort wird die Scharia wieder einge- tungen ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Ich führt, da wird all das zurückgenommen, was wir uns im schließe diesen Tagesordnungspunkt. Abendland in einem jahrhundertelangen Prozess an emanzipatorischen Freiheiten erkämpft haben: Ich rufe auf (Zurufe von der SPD)

Tagesordnungspunkt 12 Nachträgliche Genehmigungen gemäß Artikel 96 Satz 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungen Drucksache 5/13894, Unterrichtung durch das Sächsische Staatsministerium der Finanzen

Drucksache 5/14522, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Es ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht dennoch (Jens Michel, CDU: Nein, danke!) ein Abgeordneter das Wort? – Das ist nicht der Fall. Wünscht der Berichterstatter, Herr Michel, das Wort? Das ist auch nicht der Fall. – Ich lasse nun abstimmen über die Beschlussempfehlung des Haushalts- und Fi-

10618 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 nanzausschusses. Ich bitte bei Zustimmung um Ihr Hand- empfehlung zugestimmt worden. Auch dieser Tagesord- zeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? nungspunkt ist beendet. – Einige Stimmenthaltungen. Damit ist der Beschluss- Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 13 – Jahresbericht 2013, Band I Haushaltsplan, Haushaltsvollzug und Haushaltsrechnung, Staatsverwaltung Drucksache 5/13000, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof

Drucksache 5/14717, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses – Jahresbericht 2013, Band II Kommunalfinanzen, Ergebnisse der überörtlichen Kommunalprüfung Drucksache 5/13131, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof

Drucksache 5/14718, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Das Präsidium hat dafür eine Redezeit von zehn Minuten schen Rechnungshof und seinen Mitarbeiterinnen und je Fraktion festgelegt. Es wird angeregt, die Reden zu Mitarbeitern sehr herzlich. Protokoll zu geben. Den Rest der Rede gebe ich zu Protokoll. (Sebastian Scheel, DIE LINKE: Was?) (Beifall bei den LINKEN und der CDU) – Das steht bei mir so auf dem Zettel. 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Danke schön. – (Christian Piwarz, CDU: Das ist völlig richtig!) Die SPD-Fraktion, bitte; Herr Abg. Pecher. Ich wollte Ihnen das jetzt empfehlen. Die Staatsregierung (Martin Dulig, SPD: Zwei Minuten!) ist schon mit gutem Beispiel vorangegangen. Ich habe die Rede schon zu Protokoll bekommen. Die Reihenfolge der Mario Pecher, SPD: Dann lege ich jetzt los. Redner, die sprechen möchten, wäre: CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn (Heiterkeit) gewünscht. Wer möchte gern sprechen? – Bitte sehr, die Nein. – Danke an den Sächsische Rechnungshof auch von CDU-Fraktion. uns. Näheres steht dazu in unserer Rede, die wir jetzt zu Protokoll geben. Jan Löffler, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich im Namen der (Beifall bei der SPD) CDU-Fraktion beim Präsidenten des Sächsischen Rech- nungshofes, Herrn Prof. Binus, und seinen Mitarbeitern 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Danke sehr. – Die ganz herzlich für die beiden übersendeten Bände zu FDP-Fraktion; Herr Prof. Schmalfuß. bedanken. In den 26 Fällen im Band 1 und in 11 Punkten Prof. Dr. Andreas Schmalfuß, FDP: Sehr geehrte Frau im Band 2 haben er und seine Mitarbeiter uns viele Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde auch Informationen und Anregungen gegeben. Um sie nachzu- meine Rede zu Protokoll geben und danke Herrn Binus lesen und die Stellungnahmen der CDU damit zur Kennt- und seinen Mitarbeitern für die angenehme Zusammenar- nis zu nehmen, gebe ich meine Rede zu Protokoll. beit in den vergangenen fünf Jahren. (Beifall bei der CDU und der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU) 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Linksfraktion, 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Abg. bitte; Herr Scheel. Hermenau für die GRÜNE-Fraktion. Sebastian Scheel, DIE LINKE: Frau Präsidentin! Meine (Antje Hermenau, GRÜNE, schreitet lachend zum sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit der Prüfung Rednerpult: Soll ich das jetzt unbedingt machen?) durch den Sächsischen Rechnungshof wird dem Landtag Jahr für Jahr Gelegenheit gegeben, sich kompetent und – Einer macht den Anfang. unabhängig mit der Arbeit der Sächsischen Staatsregie- (Heiterkeit im Saal) rung auseinanderzusetzen. Dafür danken wir dem Sächsi-

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Antje Hermenau, GRÜNE: Frau Präsidentin! Meine schafft es der Sächsische Rechnungshof, viele Schwach- Damen und Herren Kollegen! Drei Themen waren für die stellen der öffentlichen Verwaltung aufzudecken. Er ist GRÜNEN besonders interessant: die kritische Betrach- eine besonders wertvolle Institution unseres Freistaates, tung der Abgabenerhöhung für die Bergbaukonzession, aber auch ich möchte angesichts der fortgeschrittenen Zeit die Prüfung der Kammern nach dem Sächsischen Heilbe- unsere Rede zu Protokoll geben. rufekammergesetz sowie die Ausführungen zur Wirt- (Beifall bei der NPD) schaftsführung der Handelshochschule Leipzig. Aber ich erspare Ihnen die Details und gebe die Rede ebenfalls zu 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wünschen die Protokoll. Berichterstatter noch das Wort? – Das ist nicht der Fall. Allerdings möchte ich anmerken: Herr Binus, ich danke Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Be- Ihnen für die Arbeit, die Sie und Ihre Kollegen leisten. schlussempfehlungen. Das ist immer wieder wertvoll und ich weiß, Sie machen Wir stimmen zuerst ab über die Drucksache 5/14717. Wer sich nicht allzu viele Freunde damit. Aber das schätze ich seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das dann besonders. Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält Vielen Dank. sich der Stimme? – Einige Stimmenthaltungen. Der Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit zugestimmt (Beifall bei den GRÜNEN, der CDU worden. und vereinzelt bei den LINKEN) Ich rufe auf die Drucksache 5/14718. Wer seine Zustim- 1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die NPD- mung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Fraktion. Herr Schimmer, bitte. Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Auch hier gibt es wieder Stimmenthaltungen. Dennoch Arne Schimmer, NPD: Frau Präsidentin! Auch ich ist mit Mehrheit zugestimmt. möchte mich ganz herzlich beim Sächsischen Rechnungs- hof für die hervorragende Arbeit bedanken. Jedes Jahr Meine Damen und Herren! Auch diesen Tagesordnungs- punkt haben wir abgearbeitet.

Erklärungen zu Protokoll

Jan Löffler, CDU: In seinem Jahresbericht 2013 hat der deln der Regierung steckten. So mancher klar wirkende Sächsische Rechnungshof in Band I in 26 Einzelpunkten Fall entpuppt sich dann doch als recht komplex. die Arbeit der Regierung geprüft. Ich möchte noch kurz zu Band II kommen. Der Sächsi- Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass der Rech- sche Rechnungshof hat in elf Punkten finanzrelevante nungshof in seinem Bericht ausdrücklich die Verankerung kommunale Sachverhalte geprüft. Auch hier hat der des Neuverschuldungsverbotes in der Sächsischen Verfas- Sächsische Rechnungshof eine sehr hilfreiche Analyse der sung begrüßt. Schön, dass der Sächsische Rechnungshof Lage im Allgemeinen ebenso wie in prägnanten Einzelfäl- den im Sächsischen Landtag beschrittenen Weg begrüßt len abgegeben. Ich bin mir sicher, dass der Band II nicht und unterstützt. nur von der Staatsverwaltung, sondern ebenso von der kommunalen Ebene gelesen und analysiert wird. Gleichzeitig weist der Sächsische Rechnungshof darauf hin, dass eine langfristige Konsolidierungsstrategie Nicht immer teilt die CDU-Fraktion die Meinung des ebenso wie die Pflicht zur Rücklagenbildung bei Steuer- Sächsischen Rechnungshofes. Ich darf mich aber herzlich mehreinnahmen unabdingbar sind. Ich darf mich an dieser beim Herrn Rechnungshofpräsidenten Prof. Binus für den Stelle für diese klaren Worte des Rechnungshofes bedan- Bericht und die Hinweise bedanken. Bitte richten Sie ken. Egal, in welcher Regierungskonstellation ab Herbst diesen Dank auch an Ihre Mitarbeiter aus. Die Diskussion weiter regiert wird – an dieser Wahrheit wird niemand der Jahresberichte des Rechnungshofes ist ein wichtiger vorbeikommen. Eigentlich sind dies Selbstverständlich- Bestandteil unserer demokratischen Parlamentskultur und keiten, aber wenn ich an die jüngsten Äußerungen der wir messen ihr einen sehr hohen Stellenwert zu. Opposition zur Haushaltsführung der Regierung denke, Der Ausschuss schlägt schließlich die Entlastung der dann habe ich Zweifel, ob es für diese Selbstverständlich- Staatsregierung vor. Die Einzelthemen wurden bereits im keiten einen Konsens gibt. Haushalts- und Finanzausschuss und für Band II auch im Wie so oft, gibt es auch in diesem Jahresbericht Fälle, die Innenausschuss beraten. Ich bitte um eine entsprechende einer gewissen Skurrilität nicht entbehren. So zum Bei- Zustimmung zur Beschlussempfehlung. spiel, wenn für ein Gebäude zwar ein Treppenhaus in ein drittes Stockwerk, nicht aber das dazugehörige Stockwerk Sebastian Scheel, DIE LINKE: Mit der Prüfung durch an sich errichtet worden ist. Trotzdem hat uns als CDU- den Sächsischen Rechnungshof wird dem Landtag Jahr Fraktion, in jedem Einzelfall interessiert, welche Hinter- für Jahr die Gelegenheit gegeben, sich kompetent und gründe hinter dem vom Rechnungshof kritisierten Han- unabhängig mit der Arbeit der Sächsischen Staatsregie-

10620 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 rung auseinanderzusetzen. Dafür danken wir dem Sächsi- geworfen und wird bis heute vor sich her getragen, ohne schen Rechnungshof und seinen Mitarbeiterinnen und dass damit ein Konzept oder auch nur der Versuch eines Mitarbeitern herzlich. Konzeptes verbunden war und ist. Die Unruhe, die Parlamentarische Kontrolle der Regierung benötigt dadurch seit Jahren in den öffentlichen Dienst gebracht Informationen, die durch den Rechnungshof aufgearbeitet wird, sorgt für Motivationsverlust, das Gefühl mangelnder und mit denen Problemstellungen und Fehlentwicklungen Akzeptanz der Arbeit der Beschäftigten im öffentlichen transparent gemacht werden. Auch und gerade im Hin- Dienst und eine mangelnde Realitätsnähe dieser Staatsre- gierung. blick auf die nachlaufende Prüfung danken wir dem Rechnungshof auch für seine nachhaltige und dauerhafte Zum Langläuferthema Doppik der Kommunen im mahnende Rolle bei der Bewirtschaftung der öffentlichen Freistaat hält der Rechnungshof fest: „Der Umstellungs- Gelder. In den letzten Jahren hat sich der Rechnungshof prozess wurde generell unterschätzt.“ In zehn Jahren ist es durch diverse Sonderberichte und Beratende Äußerungen nicht ausreichend gelungen, die Umstellung des Rech- in tagesaktuelle Auseinandersetzungen eingeschaltet. nungswesens der Kommunen zielgerichtet und professio- nell zu begleiten, was im Ergebnis Ausnahmeregelungen So wurden in dieser Legislaturperiode unter anderem die und Fristenverlängerungen notwendig machte, ohne dass Sonderberichte nach § 99 SäHO mit den Titeln „Prüfung das Grundproblem der mangelnden Finanzkraft zur der Maßnahmen zur Konjunkturbelebung und Auswir- Darstellung der Abschreibungen gelöst wäre. kungen der Finanzkrise im Freistaat Sachsen“, „Prüfung der Fischereiabgabe“, „Notwendigkeit einer gemeinsamen Hinzu kommt ein Abarbeitungsstau, der die Kommunen Justizvollzugsanstalt der Freistaaten Sachsen und Thürin- angesichts noch flächendeckend nicht festgestellter gen?“ und „Personalwirtschaftliche Konzepte in der Eröffnungsbilanzen vor weitere Arbeit stellt. sächsischen Staatsverwaltung“ vorgelegt. Zu danken ist dem Rechnungshof auch für sein jahrelan- Darüber hinaus legte der Sächsische Rechnungshof die ges Mahnen vor den spekulativen Geschäften der Kom- Beratenden Äußerungen gemäß § 88 Abs. 2 SäHO zu den munen mit Zinsderivaten. Hier wäre ein frühzeitigeres Themen „VOB-Vergaben im Unterschwellenbereich – Einschreiten der Rechtsaufsicht geboten gewesen. Die zu Hinweise und Empfehlungen an Kommunen“, „Transpa- spät erfolgte Klarstellung hat den Schaden für die Kom- renz, Haushaltsflexibilisierung, Budgetrecht – Schritte zu munen leider nicht abwenden können. einer neuen Haushaltswirtschaft – Teil II“, „Organisati- Zum Abschluss können wir nur intensiv mahnen, dass onsempfehlungen für sächsische Landkreise zur mittel- sich nachfolgende Feststellungen nicht wiederfinden fristigen Umsetzung bis zum Jahr 2020“, „Empfehlungen lassen: „Ungerechtfertigte Prüfungsverzögerungen waren zu strategischen Förderkonzepten und Förderinstrumenten desgleichen bei der Prüfung der Haushalts- und Wirt- sowie zur künftigen Rolle der Sächsischen Aufbaubank schaftsführung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur (SAB)“, „Nachhaltigkeit und Reduzierung der Bewirt- Meißen oder der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsregierung schaftungs- und Bauunterhaltsausgaben des Freistaates zu kritisieren.“ Sachsen“ sowie „Transparenz, Haushaltsflexibilisierung, Budgetrecht – Schritte zu einer neuen Haushaltswirt- Sie sind nicht nur nicht hinnehmbar, sondern ein Armuts- schaft“ vor. zeugnis für die amtierende Staatsregierung. In Zukunft ist sicherzustellen, dass die Arbeit des Rechnungshofes die Insbesondere die Berichte zur Haushaltswirtschaft und größtmögliche Unterstützung durch die Staatsregierung den fehlenden personalwirtschaftlichen Konzepten haben erhält und angesichts des Streits um die Verlegung des intensive Debatten ausgelöst und bleiben dauerhafte Sitzes des Rechnungshofes nach Döbeln mehr Respekt Aufgabenstellungen auch für den neu zu wählenden mit dieser unabhängigen Prüfungsbehörde an den Tag Landtag. gelegt wird. Am Ende dieser Legislaturperiode darf ich dem Rech- Lieber Herr Präsident Prof. Binus, bitte nehmen Sie nungshof auch dafür danken und ihn ermutigen, diese unseren Dank für die unermüdliche Arbeit Ihres Hauses begleitende Tätigkeit fortzusetzen. mit. Zum vorliegenden Jahresbericht 2013 selbst. Aus der Vielzahl der Prüfungsfeststellungen möchte ich exempla- Mario Pecher, SPD: Ich möchte mich zunächst einmal risch zwei Aussagen herausgreifen: „Der Freistaat lässt ein beim Präsidenten des Rechnungshofes und seinem Team tragfähiges Personalkonzept, um steigenden Personalaus- für die vorgelegten Berichte des Jahres 2013 bedanken. gaben und Versorgungslasten entgegenzuwirken, vermis- Bereits zum dritten Mal erfolgte die Berichterstattung in sen.“ zwei Bänden, wobei sich der zweite Band ausschließlich Angesichts der Aussagen des amtierenden Ministerpräsi- den Ergebnissen der überörtlichen Kommunalprüfung denten zu Beginn der Legislatur im Jahr 2020, 70 000 widmet. Beschäftigte auf der Landesebene erreichen zu wollen, Der Rechnungshof bescheinigt der Staatsregierung hinterlassen diese Aussage und die Reaktionen der Staats- unbeschadet der Prüffeststellungen im Einzelfall eine regierung nur Kopfschütteln. Offensichtlich wurde eine insgesamt ordnungsgemäße Haushalts- und Wirtschafts- durch nichts gestützte Zielzahl in den politischen Raum

10621 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 führung für das Jahr 2011. Das klingt nach einer knappen Die SPD-Fraktion trägt die Bemühungen mit, den Staats- Zwei. haushalt zukunftsfest zu gestalten. Es muss jedoch auch Und dies hat nach unserer Ansicht verschiedene Gründe. weiterhin dem Parlament überlassen bleiben, welchen Weg wir diesbezüglich gehen. So waren für das Haushaltsjahr 2011 Einnahmen in Höhe von 15 506 109 400 Euro geplant. Tatsächlich betrugen Dass Politik jedoch ein Aushandlungsprozess verschiede- die Einnahmen jedoch 16 819 349 753,48 Euro. Damit ner Interessen ist und dass in Sachsen keine Märchen- waren die Einnahmen um 1 313 240 353,48 Euro höher schlösser gebaut werden, sieht man am Musterschülersta- als ursprünglich veranschlagt. Das waren 8,4 % mehr als tus des Freistaates. Sparen allein ist jedoch keine Politik. geplant. Würde der Finanzminister nicht nach jeder Sparen an der falschen Stelle führt oftmals zu immensen Steuerschätzung zum Teil abenteuerliche Abschläge Mehrausgaben im pflichtigen Bereich. Ich nenne an dieser vornehmen, käme man dem Prinzip der Haushaltsklarheit Stelle als Beispiele die Kürzung der Jugendpauschale und auch ein Stück näher. Mehrausgaben im Bereich Hilfen zu Erziehung. Alle, die auch ein Mandat im Kreistag wahrnehmen, werden mit Leider ist es die Haushaltsklarheit, die in den vergange- dieser Problematik vertraut sein. nen Jahren immer mehr verloren gegangen ist, und dies, obwohl der Sächsische Rechnungshof nicht müde wird, Es ist vor allem die Ausgabenseite, die immer wieder darauf hinzuweisen. Dazu würde aus Sicht meiner Frakti- angemahnt wird. Doch durch Sparen allein wird bei- on beispielsweise gehören, die regionalisierten Steuer- spielsweise eine Steuerdeckungsquote von aktuell 63,3 % schätzungen ohne Abschläge in die Haushaltsplanung zu nicht steigen. Forderungen nach höheren Löhnen oder nehmen, so wie dies andere Bundesländer tun, die nicht nach einem Konjunkturprogramm, die eine solche Quote unbedingt für negative Jahresergebnisse bekannt sind. Der steigern würden, konnte ich im Bericht allerdings nicht Freistaat Bayern ist hier ein Beispiel. lesen. Es sind zudem auch die unzähligen Rücklagen, Sonder- Zum Abschluss möchte ich Herrn Prof. Binus und seinem vermögen und Fonds, die nicht unbedingt zur Haushalts- Team für die geleistete Arbeit in der vergangenen Legisla- klarheit beitragen, und dies ist nur ein Teil der Neben- turperiode danken. Und natürlich wünsche ich ihm, dass haushalte. Im Jahr 2011 flossen 12,9 % der Gesamtausga- er im nächsten Jahresbericht weniger Gründe für Bean- ben an sogenannte Nebenhaushalte und die Zahl der standungen vorfindet. Sondervermögen wächst. Im Jahr 2013 kam beispielswei- se der Zukunftssicherungsfonds hinzu. Prof. Dr. Andreas Schmalfuß, FDP: Nachdem sich der Haushalts- und Finanzausschuss in den vergangenen Es ist mittlerweile auch für den Rechnungshof kaum noch Monaten sehr intensiv mit dem Jahresbericht 2013 befasst nachzuvollziehen, wo sich Sparbüchsen befinden und wie hat, liegt er nun dem Plenum zur Beschlussfassung vor. viel Geld sich darin befindet. Ein lesbarer Gesamthaushalt ist gegenwärtig Wunschdenken. Und wenn ich vernehme, Bedanken möchte ich mich beim Sächsischen Rech- dass die Staatsregierung geplant hat, für den neuen nungshof dafür, dass er der Staatsregierung eine insge- Doppelhaushalt das Stellensoll A insoweit zu vermischen, samt ordnungsgemäße Haushalts- und Wirtschaftsführung als sich künftig dahinter sowohl befristete als auch unbe- bescheinigt. Davon ausgenommen sind natürlich die fristete Stellen befinden, dann weiß ich, dass es der einzelnen Beiträge des dargestellten Prüfergebnisses. umfangreichen Prüfungsmitteilungen des Sächsischen Aber diese werden, wie in den vergangenen Jahren, in den Rechnungshofes auch in den kommenden Jahren bedarf, jeweiligen Ressorts und in den Reihen der Regierungsko- auch wenn der Haushaltsvorentwurf der schwarz-gelben alition zum Anlass genommen, den Anmerkungen des Staatsregierung nie und nimmer den Charakter eines Rechnungshofes nachzugehen und, wenn notwendig, Gesetzentwurfes erlangen wird. Regierungshandeln zu korrigieren. An einer anderen Stelle sind jedoch die Anmerkungen des Es ist auch der ständigen Kontrolle des Sächsischen Sächsischen Rechnungshofes nicht nachzuvollziehen. So Rechnungshofes zu verdanken, dass mit den zur Verfü- merkt er an, dass steigende Steuereinnahmen den Rück- gung stehenden Mitteln in den einzelnen Ressorts und den gang der Solidarpaktmittel nicht ausgleichen könnten. sächsischen Kommunen so sorgsam umgegangen wird, Selbst die Staatsregierung, die nicht für den großzügigen wie es das Ziel einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik Umgang mit Geld bekannt ist, geht davon aus, dass die im Freistaat Sachsen vorgibt. Auch dafür möchte ich steigenden Steuereinnahmen den Rückgang der Solidar- Ihnen, Herr Prof. Binus, stellvertretend für den Sächsi- paktmittel kompensieren. Beide stellen jedoch nicht die schen Rechnungshof, danken. entscheidenden Fragen: Ist ein Rückgang der Solidar- Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir paktmittel nicht gleichzeitig mit einem Rückgang der in der heutigen vorletzten Sitzung des Hohen Hauses noch Ausgaben verbunden? Sind die Mittel nicht zur Schlie- einmal Danke zu sagen. Wir haben in dieser Legislaturpe- ßung einer sogenannten Infrastrukturlücke zu verwenden? riode Großes erreicht: Wir haben ein Neuverschuldungs- Ist diese Lücke nicht eventuell 2020 geschlossen? An verbot in die Sächsische Verfassung aufgenommen. Für dieser Stelle werden die Sparabsichten mal wieder über- diese große Leistung möchte ich mich bei allen Verhand- kompensiert. lungspartnern, bei Herrn Dulig und Herrn Panter von der SPD, bei Frau Hermenau und Frau Jähnigen von den

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GRÜNEN, aber auch bei Herrn Scheel und Herrn Bartl Wir sind der Ansicht, dass die Staatsregierung hier Klien- von der Linksfraktion und natürlich Herrn Schiemann und telpolitik mit einer zukunftssichernden Wirtschaftspolitik Jens Michel von der CDU-Fraktion bedanken. Über alle verwechselt. Und wir sind uns sicher einig, dass nur ideologischen Grenzen hinweg haben wir ein Neuver- Letztere in Sachsens Interesse liegt. schuldungsverbot realisiert, das die Generationengerech- Der dritte Punkt: Die Prüfung der Kammern nach dem tigkeit in der Verfassung festschreibt. Werte Kollegen, Sächsischen Heilberufekammergesetz war für den Rech- darauf können wir stolz sein. nungshof sicherlich nicht ganz einfach, da einige Kam- Ein besonderer Dank gilt aber meinem CDU-Kollegen mern erst einmal abstritten, dass sie sich vom Rechnungs- Jens Michel und Herrn Staatsminister Prof. Unland. Die hof prüfen lassen müssen. Das zeigt: Ein Prüfer braucht Zusammenarbeit in allen haushalts- und finanzpolitischen einiges Durchsetzungs- und Beharrungsvermögen! Das ist Fragen war in den vergangenen fünf Jahren eine stets sicherlich nicht immer eine einfache Aufgabe. Wir GRÜ- konstruktive und sehr vertrauensvolle. Wir haben gemein- NE halten es für richtig, dass Kammern, die ja Aufgaben sam zwei Doppelhaushalte verhandelt und verabschiedet. von öffentlichem Interesse wahrnehmen und sich aus Die Haushaltspolitik im Freistaat bleibt seiner Tradition Pflichtbeiträgen finanzieren, vom Rechnungshof geprüft treu: Die Schuldenfreiheit steht und gleichzeitig werden werden. die richtigen Prioritäten gesetzt. Deshalb Jens Michel, Und es gab schließlich auch Feststellungen, wie zum Staatsminister Unland: Vielen Dank für die gute Zusam- Beispiel die Nichtanwendung des Vergaberechts und eine menarbeit! übermäßige Vermögensbildung – man könnte auch sagen: In diesem Sinne freue ich mich auf weitere fünf Jahre eine übermäßige Hortung von Einnahmen aus Pflichtbei- vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit trägen. Außerdem wurden Pflichtbeiträge dazu verwandt, Ihnen. dass hochpreisige Kunstgegenstände angeschafft wurden. Wir begrüßen es, dass die Kammern aufgrund des Rech- Antje Hermenau, GRÜNE: Der Sächsische Rechnungs- nungshofberichts zu ihrer Wirtschaftsführung öffentlich hof prüft die Rechnung sowie die gesamte Haushalts- und Stellung nehmen müssen. Wirtschaftsführung des Landes. So steht es in der Sächsi- schen Verfassung. Auch der Jahresbericht 2013 war Bezogen auf die Handelshochschule Leipzig haben wir wieder erhellend; schließlich kann der Rechnungshof aus dem Rechnungshofbericht erfahren, dass ihr der Einblick in staatliche Behörden nehmen, deren Innenle- Freistaat Zuschüsse in Höhe von 1,1 Millionen Euro ben uns Parlamentariern ansonsten verschlossen bliebe. bereitgestellt hat. Damit sollte sie eigentlich die Koopera- tion mit der Universität Leipzig intensivieren. Doch ein Drei Themen waren für uns GRÜNE politisch besonders Teil des Fördergeldes wurde offensichtlich nicht zweck- interessant: die kritische Betrachtung der Abgabenerhe- entsprechend verwendet. Nach unseren Informationen aus bung für Bergbaukonzessionen, die Prüfung der Kam- der Universität Leipzig ist bis heute mehr als unklar, in mern nach dem Sächsischen Heilberufekammergesetz welcher Weise die angestrebte Kooperation tatsächlich sowie die Ausführungen zur Wirtschaftsführung der mithilfe der Landeszuschüsse vorangetrieben wurde. Die Handelshochschule Leipzig. vagen Verweise auf eine Zusammenarbeit der HHL mit Durch die zahlreichen Befreiungstatbestände bei der der Universitätsmedizin halten wir jedenfalls für unzu- Erhebung der Feldes- und Förderabgabe lässt sich der reichend. Freistaat ohne Not Geld entgehen. Schon heute verzichtet Insgesamt hat auch der Jahresbericht 2013 mit seinen der Freistaat hier jährlich auf 3,9 Millionen Euro Einnah- Darstellungen politische Debatten angestoßen und ver- men. Von diesem Geld könnte das eine oder andere sachlicht. Leider hatte die Befassung manchmal einen nützliche Projekt finanziert werden. eher kusorischen Charakter, da die Tagesordnungen des Wir finden die Subventionierung der Bergbauindustrie Haushalts- und Finanzausschusses aufgrund der in einigen durch die Staatsregierung aus vielerlei Gründen unsolida- Wochen endenden Legislatur prall gefüllt waren. risch und kurzsichtig. Zum einen ist es gegenüber der Sehr geehrter Herr Prof. Binus, meine Fraktion BÜND- Gesellschaft, welche von der privatwirtschaftlichen NIS 90/DIE GRÜNEN dankt dem Sächsischen Rech- Ausbeutung der Rohstoffvorkommen kaum profitiert, nungshof für sein Bemühen nach mehr Wirtschaftlichkeit unsolidarisch. Zweitens ist der Verzicht auch gegenüber und Sparsamkeit in der sächsischen Staatsverwaltung. den Geberländern im Länderfinanzausgleich unsolida- risch, da diese die freiwilligen Mindereinnahmen des Arne Schimmer, NPD: Das Vorwort von Prof. Binus Freistaates durch höhere Zuweisungen kompensieren zum Jahresbericht 2013, Band 1, verstehe ich in erster müssen. Und zu guter Letzt ist der Verzicht kurzsichtig, Linie als Warnung an die Politik, die vordergründig recht da knappe – und endliche – Rohstoffe durch den Freistaat positiven Haushaltszahlen nicht zum Anlass für Sorglo- verbilligt werden. Dies schadet der Wettbewerbsfähigkeit sigkeit zu nehmen, sondern vielmehr im Auge zu behal- der sächsischen Wirtschaft, da sie weniger Anreize hat, ten, dass die weitere zeitliche Perspektive des Freistaates innovative Verfahren zur rohstoffarmen Produktion zu Sachsen bis 2020 und darüber hinaus alles andere als entwickeln. rosig aussieht.

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Allein das Auslaufen von Solidarpakt II bedeutet, dass bis Bankier vorbildlich zu verwalten, kann aber nicht sagen, 2020 kumulativ jährlich 200 Millionen Euro weniger pro wo sie Substanz aufgebaut hat. Jahr zur Verfügung stehen, sodass für die Zeit danach ein Sie haben richtig gehört, meine Damen und Herren. Denn jährlicher Einnahmenrückgang gegenüber heute von ich zähle die verlängerten Werkbänke der Mikrochip- 1 Milliarde Euro ins Haus steht. Ein anderer Einnahmen- oder der Automobilindustrie nur bedingt zur Substanz. Sie rückgang hängt mit dem Bevölkerungsrückgang in Ver- können in der heutigen globalisierten Wirtschaft genauso bindung mit dem Finanzausgleich zusammen, also mit der schnell wieder weg sein, wie sie gekommen sind. Und die Umsatzsteuerverteilung, dem Länderfinanzausgleich und vielen sanierten Häuser lassen unsere Städte natürlich den Bundesergänzungszuweisungen. Wenn ich mich nicht netter aussehen als zu DDR-Zeiten. Aber – Hand aufs täusche, erhält Sachsen ungefähr 2 500 Euro pro Einwoh- Herz! – ersetzen sie die Menschen, die nicht mehr darin ner. Ein Einwohnerrückgang von 200 000 Einwohnern bis wohnen? 2020, was ungefähr den Prognosen entspricht, würde also ab 2020 eine halbe Milliarde weniger Finanzausgleich pro Fabrikhallen, in denen die modernsten Maschinen stehen, Jahr als heute bedeuten. schauen natürlich eher nach Reichtum und Prosperität aus als die von pfiffigen Betriebsschlossern bis zum Geht- Das ist allein schon eine Größenordnung von 1,5 Milliar- nichtmehr geflickten Altmaschinen der DDR-Industrie. den weniger Einnahmen pro Jahr. Die reicht – unabhängig Aber trotzdem muss – apropos Betriebsschlosser – gefragt von den Details – sicher aus, um uns in Erinnerung zu werden: Wo sind die vielen qualifizierten und im Verhält- rufen, dass wir ein Problem haben, meine Damen und nis zu heute auch zahlreichen Facharbeiter und Ingenieure Herren. Prof. Binus mahnt angesichts dieses Problems der DDR geblieben? Wo sind die fast eine Million hier Verhandlungen über weitere Transferzahlungen nach 2020 ansässigen Sachsen, die es 1990 mehr als heute gab? Wie an, was aus der Sicht der Haushalts- und Finanzpolitik konnte es dazu kommen, dass uns die Hälfte der Kinder sicherlich mehr als nur sinnvoll ist. Es dürfte für den abhanden gekommen ist? Was wird aus den vielen Hun- sächsischen Finanzminister eine schiere Notwendigkeit dert geschlossenen Schulen, aus den verfallenen Bahnhö- sein. Das ist sozusagen der finanzoperative Aspekt. Es fen, in denen früher ein Kommen und Gehen herrschte, muss einfach sowohl in der Finanzpolitik als auch in der heute aber die Hasen sich gute Nacht sagen? Was ist aus Verwaltung etwas unternommen werden, damit der Städten, wie zum Beispiel Neugersdorf in der Oberlausitz, sächsische Haushalt auch nach 2020 noch darstellbar geworden, in denen früher das Leben pulsierte und die bleibt: hier Einnahmeverbesserungen, dort Einsparungen. Jugend samstags zum Tanzen ging, während man heute Aber, meine Damen und Herren, ich möchte gern – dem auf gähnenden Straßen kaum jemanden unter 50 sieht? Hauptaugenmerk der Nationaldemokraten folgend – die Alles das ist – oder war – Substanz, Substanz, die wir Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken: Was bedeuten verloren haben, meine Damen und Herren. Dass unser die Zahlen für den Zustand und die Zukunft von Volk und Land keinen ausreichenden Nachwuchs hat, ist das Land in Sachsen? deutlichste Zeichen dafür, dass wir versäumt haben, in Zunächst natürlich, dass wir nicht nachhaltig leben. Das unsere wirkliche Substanz zu investieren, und dass diese ist normalerweise die Konsequenz aus der Erkenntnis, sich deswegen nicht mehr regeneriert, sondern stirbt. dass es so nicht weitergeht. Das zeigt uns schon ein Blick Ökonomisch ausgedrückt stirbt damit die sozioökonomi- auf die Steuerdeckungsquote, also den Anteil der durch sche Grundlage unseres Landes, wie in allen zehn sächsi- Steuern – sprich: eigene Einnahmen – gedeckten Ausga- schen Landkreisen sehr anschaulich zu besichtigen; denn ben. Dazu enthält der Jahresbericht ein Diagramm, aus Nachwuchs bedeutet nicht zuletzt ökonomische Stabilität. dem hervorgeht, dass diese Quote 2012 63,3 % betrug Kinder sind zum Beispiel auch Konsumenten, sie brau- und in diesem Jahr – 2014 – 57,7 %. Im Jahr 2016 soll sie chen eine ganze Dienstleistungsgesellschaft, von Kinder- wieder auf 63 % steigen. Demnach dümpelt sie also um nahrung, Klamotten etc., bis hin zu Lehrern, Schulhaus- 60 % herum. meistern und Busfahrern. Sie schaffen Jobs und machen ihre Eltern sesshaft. 6 von 10 Euro, die der Freistaat Sachsen für Verwaltung, Investitionen, Fördermaßnahmen etc. ausgibt, kommen Wenn ich heute von den jahrelangen riesigen Transferleis- also von Einnahmen, die in Sachsen selbst verdient sind. tungen in die neuen Bundesländer lese und von der Die anderen 4 Euro kommen von außen. Das muss nicht Torschlusspanik angesichts des absehbaren Versiegens unbedingt nur schlecht sein, vor allem nicht in einer dieser Geldströme, dann denke ich als Politiker, insbeson- Aufbauphase, in der die energetische Bilanz so aussieht, dere als Finanzpolitiker, nicht nur an die haushaltspoliti- dass mehr Energie aufgenommen wird, als zur Aufrecht- schen Folgen im engeren Sinne, nicht nur an die Frage, erhaltung der Lebensfunktionen benötigt wird. Der Rest wie dies alles rein haushalterisch noch darzustellen sein wird in die Substanz investiert. wird. Hier muss ich aber, was Sachsen betrifft, ein großes Nein, viel wichtiger erscheint mir die Erkenntnis, dass Fragezeichen machen. Der Freistaat hat nun über zwei das, was an Finanzmitteln in dieses Land hineingepumpt Jahrzehnte lang Milliardenbeträge über Milliardenbeträge worden ist, nicht zur Erhaltung oder zur Herstellung einer erhalten, um Substanz aufzubauen. Die Staatsregierung selbsttragenden, auf einem lebendigen, virulenten Volks- rühmt sich heute vor allem, dieses Geld wie ein guter tum beruhenden Sozioökonomie eingesetzt worden ist,

10624 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 sondern um Kulissen aufzubauen, derweil die echte In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal Substanz kaputtgegangen ist. wichtige Kennzahlen des Haushaltsjahres 2011 ins Ge- dächtnis rufen: Niemand weiß besser als der sächsische Finanzminister, Prof. Unland, und der oberste sächsische Rechnungsprü- Im Haushaltsjahr 2011 konnte der Freistaat nach den fer, Prof. Binus, dass es in den kommenden Jahren gigan- angespannten Jahren 2009 und 2010 wieder von Steuer- tische Probleme mit dem sächsischen Haushalt geben mehreinnahmen profitieren. Ist-Ausgaben von 16,5 Milli- wird. Auch mich als Finanzpolitiker betrübt dies selbst- arden Euro standen Einnahmen von rund 16,8 Milliar- verständlich. Aber mir ist es wichtig, diese Problematik den Euro gegenüber. Der Haushalt 2011 schloss mit nicht als ein isoliertes finanztechnisches Problem zu einem kassenmäßigen Überschuss in Höhe von 317,2 Mil- sehen und darzustellen, sondern als das finanzpolitische lionen Euro ab. Die Verwendung der Steuermehreinnah- Abbild einer verfehlten Politik, die wiederum in einem men diente vornehmlich der Risiko- und Zukunftsvorsor- falschen Grundverständnis von Land und Volk, Lebens- ge, aber auch investiven Zwecken. kultur, Lebenskraft, Wirtschaft, Arbeit und Sozialökono- Die Verschuldung konnte in 2011 wie geplant um weitere mie wurzelt. In diesen Kategorien, die leider in den 75 Millionen Euro zurückgeführt werden. Die haushalte- letzten 20 Jahren nicht auf-, sondern abgebaut worden rische Pro-Kopf-Verschuldung blieb damit in etwa kon- sind, steckt die Zukunft Sachsens – nicht in irgendwel- stant bei 2 839 Euro pro Einwohner. Damit nimmt Sach- chen illusorischen Versprechen auf internationale Ge- sen in den neuen Bundesländern eine Spitzenposition ein. schäfte. Die Investitionsausgaben konnten auf hohem Niveau, Die künftigen Haushaltsprobleme, die Prof. Binus im nämlich 19,0 %, weitergeführt werden. Sachsen hält Jahresbericht 2013 des Rechnungshofes anspricht, sind damit die höchste Investitionsquote im Ländervergleich. für mich in erster Linie das Menetekel – das Zeichen an Insgesamt zeigt sich, dass die solide und nachhaltige der Wand – dafür, dass Sachsens politische Führung dies Haushaltspolitik für Sachsen auch 2011 fortgesetzt wurde. in der Vergangenheit nicht erkannt hat und leider heute An dieser Nachhaltigkeit halten wir fest. noch nicht zu verstehen scheint. Gerade unter Beachtung des in der Sächsischen Verfas- Wir Nationaldemokraten der Sächsischen NPD-Fraktion sung seit 1. Januar 2014 verankerten Neuverschuldungs- haben nun zehn Jahre lang hier im Landtag auf dieses verbotes stehen wir vor der Aufgabe, gemeinsam zu- fatale Dilemma hingewiesen. Auch wenn Sie uns dafür kunftsfähige Haushaltspolitik zu gestalten. Der Freistaat wenig Verständnis entgegengebracht haben, meine Damen Sachsen verzichtet jedoch bereits seit 2006 auf eine und Herren, in den kommenden zehn Jahren wird auch Nettokreditaufnahme. der Letzte von Ihnen erkennen, dass wir recht hatten. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät. Durch die Prüfung von unabhängiger Seite erhalten wir wertvolle Anregungen, um den vom Parlament beschlos- Prof. Dr. Georg Unland, Staatsminister der Finanzen: senen Haushaltsplan ordnungsgemäß zu vollziehen und Der Sächsische Rechnungshof hat – entsprechend seinem sparsam und zielorientiert mit den vorhandenen Mitteln verfassungsmäßigen Auftrag – als unabhängige Staatsbe- zu wirtschaften. Der Rechnungshof zeigt Einsparmög- hörde die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung des lichkeiten auf und gibt uns Hinweise für ein effizienteres Freistaates für das Haushaltsjahr 2011 geprüft. Der Handeln der Verwaltung. Vielen Dank für die konstrukti- Jahresbericht 2013 enthält wieder zahlreiche Anregungen ve Begleitung unserer Tätigkeit! und Impulse, unter anderem zur Effizienz des Verwal- Im Namen der Staatsregierung möchte ich die Gelegen- tungshandelns, die die Staatsregierung bei ihrer weiteren heit nutzen, auch an die Mitglieder des Haushalts- und Arbeit unterstützen. Finanzausschusses meinen herzlichen Dank für die gute Der Jahresbericht 2013 stellt hinsichtlich der Haushalts- und konstruktive Zusammenarbeit in Zusammenhang mit rechnung 2011 eine wichtige Entscheidungsgrundlage für dem Jahresbericht 2013 zu richten. Durch die zeitversetz- die Entlastung der Staatsregierung durch den Landtag dar te Veröffentlichung der beiden Teile des Jahresberichtes und beinhaltet eine Analyse der Haushaltssituation des standen wir alle vor organisatorischen Herausforderun- Freistaates Sachsen. Er enthält neben Ausführungen zu gen. Einzelprüfungen die Darlegungen zum Haushaltsplan, Der Rechnungshof bescheinigt der Staatsregierung im zum Haushaltsvollzug und zur Haushaltsrechnung des Jahresbericht eine ordnungsgemäße Haushalts- und Haushaltsjahres 2011. Trotz Beanstandungen in Einzelfäl- Wirtschaftsführung. Ich bitte Sie deshalb, sich dem Votum len wird der Staatsregierung eine insgesamt ordnungsge- des Haushalts- und Finanzausschusses anzuschließen und mäße Haushalts- und Wirtschaftsführung bescheinigt. der Staatsregierung die Entlastung zu erteilen.

1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wir kommen zu

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Tagesordnungspunkt 14 – Entlastung der Staatsregierung gemäß § 114 Abs. 2 SäHO zu Haushalts- und Vermögensrechnung 2011 Drucksache 5/10957, Unterrichtung durch den Staatsminister der Finanzen – Jahresbericht 2013, Band 1 Drucksache 5/13000, Unterrichtung durch den Sächsischen Rechnungshof Drucksache 5/14719, Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses

Es ist keine Aussprache vorgesehen. Ich frage dennoch in Gegenstimmen, eine ganze Reihe von Stimmenthaltun- die Runde, ob eine Aussprache gewünscht wird. – Das ist gen, dennoch mit Mehrheit zugestimmt. nicht der Fall. Dann stimmen wir ab über die Beschluss- Damit ist der Beschlussempfehlung des Haushalts- und empfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses in der Finanzausschusses zugestimmt und die Staatsregierung Drucksache 5/14719. Wer seine Zustimmung geben hinsichtlich der Haushaltsrechnung für das Jahr 2011 möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer entlastet. ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Wenige Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 15 – Tätigkeitsbericht des Rates für sorbische Angelegenheiten im Freistaat Sachsen für das Jahr 2013 Drucksache 5/14291, Unterrichtung durch den Rat für sorbische Angelegenheiten

Drucksache 5/14690, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien – Bericht der Sächsischen Staatsregierung zur Lage des sorbischen Volkes Drucksache 5/14418, Unterrichtung durch die Sächsische Staatsregierung

Drucksache 5/14691, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien

Das Präsidium hat dafür eine Redezeit von 10 Minuten Schulen, an Schulen mit sorbischem Unterricht sicherge- pro Fraktion festgelegt. Wer wünscht das Wort? – Herr stellt wird. Abg. Schiemann, CDU-Fraktion. (Beifall der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE) Marko Schiemann, CDU: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Das Gleiche trifft für die Sicherstellung an den Kindergär- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst danke ten zu; denn die Sprache eines Volkes ist die Grundlage ich der Staatsregierung für den Bericht zur Lage des für die Existenz eines Volkes. sorbischen Volkes ganz herzlich. In den Dank schließe ich natürlich die Arbeit des Rates für sorbische Angelegenhei- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe meine ten ein. Würdigen möchte ich aber auch die Arbeit all weitere Rede zu Protokoll und komme zum Schluss. derer, die sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung Sprache ist nicht allein ein Verständigungsmittel. Mutter- der sorbischen Sprache und Kultur und der Lebensgrund- sprache ist die Seele, die Kultur, die Identität und die lage des sorbischen Volkes engagieren. Existenzsicherung eines Volkes. Deshalb bitte ich Sie herzlich, die Arbeit der Sorben beim Ringen um den Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme zum Erhalt der Sprache und Kultur weiterhin wohlwollend zu Schluss, gebe den Rest meiner Rede zu Protokoll und unterstützen. Nur mit Unterstützung, Wohlwollen und möchte darauf hinweisen, dass dieser Bericht etwas Toleranz seitens der Mehrheitsbevölkerung werden die Besonderes und entsprechend zu würdigen ist, weil es um Sorben eine Zukunft haben. Um diese Zukunft, meine die Lebensgrundlage eines kleinen Volkes geht. An Damen und Herren, bitte ich Sie herzlich. allererster Stelle steht die Sicherstellung des Schulsys- tems. Das heißt, dass ich von der Staatsregierung erwarte, Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. dass an allen Schulen – Grund- und Oberschulen sowie (Beifall bei der CDU, der FDP Gymnasien – der notwendige Lehrerbedarf an sorbischen und der Staatsregierung)

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1. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Fraktion DIE Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr LINKE, bitte. Herr Kosel. Kollege Tippelt.

Heiko Kosel, DIE LINKE: Sehr geehrte Frau Präsiden- (Beifall bei der FDP und der CDU – tin! Meine Damen und Herren! Wir sehen es als höchst Christian Piwarz, CDU: So geht das!) problematisch an, dass ein für das sorbische Volk so GRÜNE? – Nicht. NPD? – Nicht. Die Staatsregierung? – wichtiger Bericht jetzt – man kann fast sagen – zu nächt- Bitte, Frau Staatsministerin. licher Stunde behandelt werden muss. Wir kritisieren, dass er stets am Ende der Legislaturperiode vorgelegt Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, Staatsministerin wurde, somit keine wirklichen Wirkungen entfalten kann, für Wissenschaft und Kunst: Sehr geehrter Herr Präsi- sondern seine Wirkungen eher ungenutzt verpuffen. dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordne- Es ist nach Lage der Dinge schwerlich möglich, noch eine ten! Ich möchte allen danken, die an diesem wichtigen substanzielle Auseinandersetzung zu führen, wenn ich mir Bericht der Staatsregierung zur Lage des sorbischen das Hohe Haus in seiner Müdigkeit so anschaue. Deshalb Volkes beteiligt waren. Ich möchte auch ausdrücklich dem werde auch ich meine Rede zu Protokoll geben. Rat für sorbische Angelegenheiten für seine Arbeit dan- ken. (Christian Piwarz, CDU: Dann dürfen Sie In der Tat ist die Sprache, die Kultur des sorbischen nicht so viel Redezeit in der Fraktion Volkes ein zentrales Anliegen. Das haben wir an vielen vermehren, dann wären wir viel eher fertig!) Stellen auch in dieser Legislatur nicht nur gesehen, – Ich kann es mir auch noch überlegen. – Aus den ge- sondern auch aufgegriffen und umgesetzt. Insofern ist das nannten Gründen werde ich meinen Redebeitrag zu auch ein Beitrag dazu, dass der Freistaat Sachsen mit Protokoll geben, den ich unter die Überschrift gestellt seinen Bemühungen um nationale Minderheiten in habe „Wjele kćena, mało sadu“ – zu Deutsch: „Viele Deutschland und in Europa wahrgenommen wird. – Blüten, wenig Frucht“. Das ist auch meine Bewertung des Meinen Bericht gebe ich zu Protokoll. Berichtszeitraumes. Jedoch muss ich feststellen, dass wir Vielen Dank. eine Ausgangslage hatten, die eigentlich zu Hoffnungen Anlass gegeben hat. Wir hatten von Beginn der Legisla- (Beifall bei der CDU, der FDP turperiode an einen Ministerpräsidenten sorbischer und der Staatsregierung) Nationalität. Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Frau Wir hatten so viele sorbische Landtagsabgeordnete wie Staatsministerin. – Wünscht der Berichterstatter des fast nur noch in der 1. Legislaturperiode. Wir hatten eine Ausschusses, Herr Mann, das Wort? – Das ist nicht der Staatsministerin, die zuständig war für Sorbenfragen, der Fall. man Sympathie und Interesse für die Sorben durchaus nicht absprechen kann. Und wir hatten einen Koalitions- Meine Damen und Herren! Wir kommen zu den Abstim- vertrag, in dem zumindest von der Quantität her zu den mungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschus- Sorben mehr gesagt worden ist als bisher. Das alles war ses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien. die Ausgangslage; umso enttäuschender ist das Ergebnis. Als Erstes stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung Ich habe es in meiner Rede niedergelegt, und ich gebe sie in der Drucksache 5/14690 und ich bitte bei Zustimmung zu Protokoll. um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Eine ganze Anzahl von Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Stimmenthaltungen. Damit ist der Beschlussempfehlung (Beifall bei den LINKEN) in Drucksache 5/14690 zugestimmt. Als Zweites stimmen wir ab über die Beschlussempfeh- Präsident Dr. Matthias Rößler: Vielen Dank, Herr lung in der Drucksache 5/14691. Ich bitte bei Zustim- Kollege Kosel. – Die SPD? – Kein Redebedarf. FDP? – mung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstim- Bitte. men? – Keine. Stimmenthaltungen? – Eine große Anzahl Nico Tippelt, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine von Stimmenthaltungen. Damit ist der Beschlussempfeh- sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich gebe lung Drucksache 5/14691 zugestimmt. Der Tagesord- meine Rede zu Protokoll – ohne Prolog, einfach so. nungspunkt ist beendet.

Erklärungen zu Protokoll

Marko Schiemann, CDU: Der Freistaat Sachsen hat chen Grundlagen sollen künftig noch stärker mit Leben bisher solide Rahmenbedingungen für die Entwicklung ausgefüllt, genutzt und umgesetzt werden. des sorbischen Volkes geboten. Die verfassungsrechtli-

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Der Bericht zeigt, dass sich die Staatsregierung ihrer dass die Berichte zur Lage des sorbischen Volkes in Verantwortung bewusst ist. Für die CDU-Fraktion ist es Sachsen jeweils – im wahrsten Sinne des Wortes – am besonders wichtig, dass ohne Abstriche der Unterricht an Ende der Legislaturperiode gegeben werden. Dies ist aus sorbischen Schulen und an Schulen mit Sorbischunterricht Sicht meiner Fraktion eindeutig zu spät. Auf diese Weise von der Grundschule, der Oberschule bis hin zum Gym- verpufft Wirkungspotenzial dieser Berichte ungenutzt. In nasium gesichert wird. Brandenburg wird deshalb der Sorbenbericht jetzt zur Dies betrifft auch das besondere Bildungskonzept 2plus. Mitte der Legislaturperiode gehalten. Diese Anregung Einst als Kompromiss zwischen dem Freistaat Sachsen sollten wir in Sachsen aufgreifen. Außerdem ist in Bran- und den sorbischen Vertretern festgelegt, soll es jetzt in denburg folgende Berichtsstruktur gesetzlich vorgeschrie- allen Schularten genutzt werden. In die Unterrichtssiche- ben: erstens Bestandsaufnahme, zweitens Wirksamkeits- rung beziehe ich die Berufsausbildung mit ein. analyse der Fördermaßnahmen und drittens Vorhaben der Regierung. Ein zweiter Punkt erscheint mir sehr wichtig. Wir gehen Gerade die schwache Wirksamkeitsanalyse der Förder- davon aus, dass die Staatsregierung alles dafür tun wird, maßnahmen ist ein wesentliches Manko der sächsischen dass es in den Kindergärten und Schulen im sorbischen Sorbenberichte. Auch hier sollten wir daher von Branden- Siedlungsgebiet keinen Mangel an sorbischen Erziehern burg lernen. und Lehrern geben wird. Wir brauchen deshalb ein Konzept zur langfristigen Sicherung der nötigen Fach- Wenn ich von „versäumten Chancen“ spreche, werden Sie kräfte mit Sprachbefähigung Sorbisch. vielleicht fragen: Gab es denn am Beginn der aktuellen Legislaturperiode überhaupt besondere sorbenpolitische Sprache, Kultur und Brauchtum können aber nur gepflegt Chancen in Sachsen? Ich glaube, ja. So stand bereits seit werden, wenn das wirtschaftliche Umfeld dies ermöglicht. Beginn der Legislaturperiode an der Spitze unseres Die Rahmenbedingungen haben sich dabei deutlich Freistaates ein Ministerpräsident sorbischer Nationalität. verbessert, sodass es sich lohnt, weiter in das Witaj- Die Zahl der sorbischen Landtagsabgeordneten erreichte Konzept zu investieren und dieses Projekt weiter auszu- fast wieder den Wert des 1. Sächsischen Landtages. Die bauen. Arbeit, gute Betreuungsplätze in Kindergärten, Zuständigkeit für sorbische Angelegenheiten innerhalb eine solide Schulausbildung, Sicherung des nötigen des Kabinetts fiel an eine Staatsministerin, der – anders Lehrerbedarfs sind die wichtigsten Grundlagen zum als bei manchem ihrer Vorgänger – persönliches Interesse Erhalt und zur Entwicklung der sorbischen Sprache, der Kultur und des Brauchtums. und persönliche Sympathie für die Sorben und deren Probleme nicht abgesprochen werden können. Die junge Generation nutzt so, wie es alle anderen Ju- gendlichen tun, elektronische Kommunikationsmöglich- Schließlich waren die sorbenpolitischen Versprechen des keiten. Hier gibt es noch eine riesige Aufgabe zu lösen, aktuellen Koalitionsvertrages doch weiter gefasst, als man diese Kommunikation auch vollständig in sorbischer das bisher aus Koalitionsverträgen bzw. Regierungserklä- Sprache nutzbar zu machen. rungen alleinregierender CDU-Ministerpräsidenten in diesem Lande gewöhnt war. Also, eine Ausgangslage, in Ich danke der Staatsregierung nochmals für den sehr der sich durchaus sorbenpolitisches Potenzial vermuten umfassenden Bericht und Ihnen, Frau Staatsministerin, für ließe. Oder war dies alles nur Zufall oder Fassade? Ihre sehr wohltuende und engagierte Begleitung der sorbischen Anliegen. Wenn man unterstellt, die von mir eben genannten Punkte hätten wirklich sorbenpolitisches Potenzial, dann ergibt Heiko Kosel, DIE LINKE: Zunächst zum Tätigkeitsbe- sich natürlich die Frage, zur Erreichung welcher konkre- richt des Rates für sorbische Angelegenheiten. Hier ten Ziele dieses Potenzial hätte eingesetzt werden müssen möchten wir dessen ehrenamtlich tätigen Mitgliedern und wer diese Ziele definiert. Aus meiner Sicht ist es nahe ausdrücklich für ihr Engagement danken, auch wenn ich liegend, durch die Sorben selbst bzw. ihre Interessenver- einige Bewertungen zum Brandenburger Sorbengesetz tretung aufgestellte Zielvorgaben heranzuziehen. Als nicht teile. Ich hoffe, dass die Rechte des Sorbenrates – Grundlage hierfür bietet sich der bereits etwa ein Jahr auch in diesem Parlament – gestärkt werden und dass es nach Beginn des Berichtszeitraumes von der 15. Haupt- ermöglicht wird, die Legitimation durch eine Direktwahl versammlung der Domowina aufgestellte Forderungskata- zu erhöhen. log an, der folgende Punkte enthält: Nun zur politischen Bewertung des 4. Berichts zur Lage Erstens, Erweiterung der politischen Vertretungsrechte des sorbischen Volkes. Wer sich hierbei an der bekannten des sorbischen Volkes, zweitens Wahl der Mitglieder der Weisheit von Sprichwörtern orientieren möchte, dem sei Räte für sorbische Angelegenheiten durch die Sorben das sorbische Sprichwort: „Wjele kćenja, mało sadu“ selbst, drittens Entscheidung über die Verteilung der angeboten – auf Deutsch etwa: Viele Blüten, wenig staatlichen Fördermittel allein durch sorbische Vertreter Frucht. und Beschränkung der Zuwendungsgeber auf die Prüfung der Mittelverwendung nach geltendem Recht, viertens Meine etwas weniger blumige Bewertung des Berichts- nach dem Beispiel Gewährleistung eines zeitraums ließe sich mit „Zeit der versäumten Chancen“ ständigen Sitzes für einen sorbischen Vertreter im MDR- beschreiben. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, Rundfunkrat, fünftens gesetzliche Sicherung der Mitbe-

10628 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 stimmungsrechte in allen Angelegenheiten des sorbischen gar nichts unternommen worden zu sein. Ein Beispiel Schulwesens einschließlich zum Beispiel der Rahmenbe- hierzu: Seit dem 1. Sorbenbericht im Jahr 1998 wird die dingungen, damit das sorbische Volk selbst die Planung Aufnahme eines Minderheitenartikels ins Grundgesetz als des sorbischen Schulnetzes durchführen und die Träger- Aufgabe benannt. Die Staatsregierung übersieht zwar in schaft sorbischer Bildungseinrichtungen übernehmen ihren Darstellungen regelmäßig, dass genau das 1993 an kann, sechstens unter den gleichen Bedingungen wie der aus CDU und FDP bestehenden Mehrheit im Bundes- unter Punkt 5 Trägerschaft sozialer Einrichtungen und tag gescheitert ist. Das sehen wir Ihnen aber nach, da wir kultureller Institutionen durch das sorbische Volk, sieb- das Ziel eines solchen grundgesetzlichen Minderheiten- tens Klagerecht – soweit Bundesrecht nicht entgegensteht schutzartikels unterstützen. – in allen Angelegenheiten, die Interessen des sorbischen Allerdings enttäuscht es uns dann umso mehr, dass die Volkes betreffen. Staatsregierung in all den bisher abgelaufenen Berichts- Von diesen sieben Forderungen ist im Freistaat Sachsen zeiträumen seit 1998 keine erkennbare Initiative für die im Berichtszeitraum keine einzige erfüllt worden. In Aufnahme eines solchen Minderheitenschutzartikels ins Brandenburg unter einer rot-roten Landesregierung Grundgesetz unternommen hat. Auch auf meine Nachfra- immerhin – sagen wir – dreieinhalb. ge, ob seit dem Redaktionsschluss des jetzigen Sorbenbe- richts eine entsprechenden Initiative unternommen wurde, Gern lasse ich mich aber auch auf die von der Staatsregie- erhielt ich leider eine verneinende Antwort. Und so rung selbst beschriebenen sorbenpolitischen Ziele als kommt an diesem Punkt bestenfalls die Erinnerung an den Maßstab ein. Dieser ergibt sich logischerweise aus dem Film „Und ewig grüßt das Murmeltier“ auf bzw. vorangegangenen 3. Bericht zur Lage des sorbischen schlimmstenfalls das Gefühl, nicht ernst genommen oder Volkes. Dort werden insgesamt acht Aufgaben benannt. hintergangen zu werden. Davon tauchen allerdings sechs auch in der Aufgabenliste des jetzigen Berichtes zur Lage des sorbischen Volkes auf, Meine Damen und Herren der Koalition und der Staatsre- da sie in der Zwischenzeit nicht erfüllt wurden. Aber auch gierung, wenn Ihnen die Messlatte des 3. Sorbenberichts bezüglich der beiden Aufgabenstellungen, die in dem zu hoch ist, so will ich dann eben Ihren Koalitionsvertrag jetzigen Bericht nicht mehr auftauchen, lohnt es sich, als Maßstab anlegen, aus dem sich fünf sorbenpolitische genau hinzuschauen, ob sie denn wirklich erfüllt wurden. Aufgabenstellungen herauslesen lassen. Ich konzentriere Da ist zunächst die Aufgabe „wirtschaftliche Stärkung der mich hierbei auf wesentliche Punkte. Lausitz“, da aufgrund der wirtschaftlichen Situation viele Hierzu gehört die Verpflichtung zur Erarbeitung einer sorbische Jugendliche ihre Ausbildung bzw. ihren Ar- Konzeption zur Ermutigung und zur Belebung des Ge- beitsplatz außerhalb der Lausitz suchten und suchen. brauchs der sorbischen Sprache und die Förderung deren Nun hat sich zwar die Situation auf dem Ausbildungs- Umsetzung. Dazu hat die Staatsregierung am 24. April und Arbeitsmarkt auch in der Lausitz – vor allem aus 2012 einen entsprechenden Maßnahmenplan beschlossen. demografischen Gründen – etwas entspannt, aber das Ich habe diesen seinerzeit auch öffentlich begrüßt und in Problem ist nicht vom Tisch. Auch aktuell hat die Frage, ihm einen positiven Impuls gesehen. In der sorbischen ob die Lausitz als „abgehängte Region“ endet oder eine Öffentlichkeit gab es damals auch Wortmeldungen, die Politik zur notwendigen Stärkung dieser Region betrieben diesen Plan kritischer bewerteten. Gerade diese kritischen wird, erhebliche sorbenpolitische Brisanz. Positionen und Fragen aus der sorbischen Öffentlichkeit Die zweite Aufgabe, die im jetzigen Bericht nicht mehr sollte die Staatsregierung ernst nehmen, insbesondere die auftaucht, ist die der Verbesserung der öffentlichen Kritik, dass die Staatsregierung Aufgaben im Bereich der Kommunikation zum Sinn und Zweck der Förderung der Sorbenpolitik an die Kommunen und andere Partner sorbischen Sprache und Kultur. Ich hoffe sehr, dass die übertrage, ohne die Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel. Staatsregierung nicht glaubt, dass sich diese Aufgabe erledigt habe oder gar erfüllt worden sei. Hierzu muss Doch betrachten wir uns jetzt – reichlich zwei Jahre nach nicht einmal auf die immer wieder vorkommenden Beschluss des Maßnahmenplanes – seine konkrete Um- sorbenfeindlichen Straftaten verwiesen werden, sondern setzung. Hier gibt es einige Maßnahmen, die inzwischen es reicht der Blick auf sorbenfeindliche Leserbriefe realisiert sind. So wurde zum Beispiel der Zejler-Preis als regionaler Medien, widerliche Äußerungen gegenüber Preis der sorbischen Sprache erstmals ausgelobt und sorbischen Fußballmannschaften, die fast an jedem einem würdigen Preisträger in würdigem Rahmen verlie- Wochenende zu hören sind, oder Ausdrücke dumpfer hen. Andererseits harren viele der von der Staatsregierung Sorbenfeindlichkeit in so manchem Stammtischgespräch. vorgeschlagenen Maßnahmen noch ihrer Verwirklichung. Folglich ist davon auszugehen, dass es der jetzigen Aus Zeitgründen hierzu nur ein Beispiel: Mit der Maß- Staatsregierung nicht gelungen ist, die im 3. Sorbenbe- nahme 2.4 wollte die Staatsregierung das Recht auf den richt benannten Aufgaben wirklich zu erfüllen. Bemer- öffentlichen Gebrauch der sorbischen Sprache zum kenswert ist dabei, dass einige der Aufgabenstellungen Beispiel auch in Gemeinderatssitzungen durch die Bereit- sich quasi durch die gesamte Geschichte der Berichter- stellung von Dolmetschern und Übersetzungstechnik stattung zur Lage des sorbischen Volkes seit 1998 ziehen. stärken. Bereits bei Verkündung des Maßnahmenplans Zu ihrer Realisierung scheint allerdings relativ wenig bis irritierte mich aber die in diesem Punkt enthaltene Formu-

10629 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014 lierung – ich zitiere –: „Diese Maßnahme ist hinsichtlich die Aufgabenstellungen der Sächsischen Staatsregierung der Finanzierung und der praktischen Durchführung ein aus dem 3. Bericht zur Lage des sorbischen Volkes oder ergebnisoffenes Verfahren.“ Es verwundert daher nicht, der aktuell gültige Koalitionsvertrag herangezogen wird: dass ein Vertreter der Staatsregierung in der letzten Der jetzige Berichtszeitraum stellt einen Zeitabschnitt der Sitzung des federführenden Ausschusses erklären musste, sorbenpolitisch versäumten Chancen dar. Dass dieses dass „bis dato in keinem Fall ein Antrag auf Beschaffung Fazit trotz der eingangs skizzierten hoffnungsvollen von Technik für Simultanübersetzungen in Gemeinderats- Rahmenbedingungen gezogen werden muss, macht sitzungen gestellt worden sei. Seitens der Gemeinden deutlich, dass es auch bezüglich der sächsischen Sorben- habe es auch diesbezüglich keine Anfragen bei der Staats- politik eines grundsätzlichen Politikwechsels bedarf. Ob regierung gegeben.“ Wenn es also der Staatsregierung die Mehrheit der derzeitigen Koalitionspolitiker und ernst ist mit der Ermutigung und Belebung des Gebrauchs -politikerinnen dazu allerdings in der Lage ist, darf nach der sorbischen Sprache, dann muss sie ihrerseits auf die der Lage der Dinge bezweifelt werden. Gemeinden zugehen und insbesondere Klarheit in der Dennoch gilt: Egal wer nach dem 31. August dieses Frage der Finanzierung schaffen. Jahres die Regierung im Freistaat Sachsen stellt, ein Im Koalitionsvertrag ist des Weiteren festgelegt, dass Verschenken von sorbenpolitischen Chancen darf es nicht allen Kindern im sorbischsprachigen Raum eine aktive mehr geben. Wir brauchen dringend – um das eingangs sorbisch-deutsche Zweisprachigkeit in Kindergärten und zitierte Sprichwort aufzugreifen – mehr konkrete sorben- Schulen ermöglicht werden soll. Dass diese Aufgabe politische Früchte und nicht nur einige bunte Blüten. vollständig erfüllt wurde, kann leider nicht festgestellt werden, da zum Beispiel in Panschwitz-Kuckau in jedem Nico Tippelt, FDP: Uns liegen heute zu später Stunde die in den aktuellen Berichtszeitraum fallenden Schuljahr Beschlussempfehlungen und Berichte des Ausschusses für Schülerinnen und Schüler, die die dortige Sorbische Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien zu Grundschule besuchten, nach Schließung der im selben zwei Berichten, die das sorbische Volk betreffen, vor. Es Gebäude befindlichen Sorbischen Mittelschule nichtsorbi- handelt sich dabei um den „Tätigkeitsbericht des Rates für sche Schulen besuchten. Der höchste Wert einer solchen sorbische Angelegenheiten im Freistaat Sachsen für das Abwanderung von Absolventen der Sorbischen Grund- Jahr 2013“ sowie den „Bericht der Sächsischen Staatsre- schule Panschwitz-Kuckau aus dem sorbischen Bildungs- gierung zur Lage des sorbischen Volkes“. gang wurde im Schuljahr 2010/2011 mit 48 % erreicht. In beiden Fällen wird dem Landtag eine Kenntnisnahme Im laufenden Schuljahr beträgt er 20 %. empfohlen. Lassen Sie mich dennoch kurz auf das Thema Vor diesem Hintergrund kann nicht mehr davon gespro- eingehen. Auch wenn es in der Ausschusssitzung viele chen werden, dass allen Kindern eine aktive sorbisch- Detailfragen gab – was für das große Interesse an der deutsche Zweisprachigkeit in Kindergärten und Schulen Lage des sorbischen Volkes spricht – begrüße ich, dass es ermöglicht worden wäre. In diesem Zusammenhang bei diesem wichtigen Thema fraktionsübergreifende erscheint es mir auch notwendig, die Staatsregierung Einigkeit gibt. dringend zu ersuchen, alle Akteure im Bereich der Sorbi- Auch werden die Lage des sorbischen Volkes sowie die schen Oberschule Radibor beim Erhalt der dortigen Zusammenarbeit der Landespolitik mit dem Rat für aktiven sorbisch-deutschen Zweisprachigkeit zu unter- sorbische Angelegenheiten als sehr gut beschrieben – und stützen. Aufgrund der Schließung von nichtsorbischen das nicht nur von der Staatsregierung, sondern auch vom Schulen im regionalen Umfeld von Radibor kam es zu der Rat selbst. Einzig am Verfahren bezüglich des Berichts Situation, dass gegenwärtig nur noch ein Siebtel der der Staatsregierung wurde seitens der Linksfraktion Kritik Schüler Sorbisch als Muttersprache spricht. Daher steht dahin gehend geübt, dass der Bericht zu spät erscheine. auch die Staatsregierung hier in der Pflicht. Wir als FDP erklären uns diesbezüglich gern kompro- Eine weitere wesentliche sorbenpolitische Aufgabenstel- missbereit und können uns eine Änderung vorstellen, die lung aus dem Koalitionsvertrag lautet wie folgt: „Wir den Bericht in der Mitte der Legislatur vorsieht. sehen die angemessene finanzielle Ausstattung der Stif- Wir als FDP haben uns stets zur sorbischen Minderheit tung als Rechtspflicht der Bundesrepublik, der Länder bekannt und dies spiegelt sich auch im Doppelhaushalt Brandenburg und Sachsen und werden uns für deren und unserem parlamentarischen Handeln wider. Nach dauerhafte Absicherung einsetzen.“ Hier möchte ich der dem Willen der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP Staatsregierung ausdrücklich bescheinigen, dass sie den im Sächsischen Landtag wurde der gesamte Landkreis versprochenen Einsatz gezeigt hat, wenn auch das anvi- Görlitz im Sächsischen Sorbengesetz als sogenannter sierte Ziel noch nicht erreicht wurde. Dies soll aber an Heimatkreis der sorbischen Bevölkerung definiert. Dies dieser Stelle nicht als Kritik – denn das wäre unredlich –, gibt Sorben die Möglichkeit, auch dort die sorbische sondern als Ansporn für weitere gemeinsame Anstrengun- Sprache vor Gericht und bei Behörden zu verwenden. Ein gen gelten. entsprechender Antrag zur Änderung des Sächsischen Sehr geehrte Damen und Herren, dennoch ist als Fazit Sorbengesetzes wurde durch uns eingebracht. festzustellen, egal, welchen Maßstab man anlegt, ob die Die Möglichkeit für Bürger, die sorbische Sprache vor Forderungen der Interessenvertretung der Sorben selbst, Behörden und Gerichten zu verwenden, wird durch die

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Änderung erheblich gestärkt. Durch die zusätzliche Dies nehme ich zum Anlass, um an dieser Stelle meine Benennung des Landkreises Görlitz als Heimatkreis der ausdrückliche Anerkennung für die Arbeit des Rates für sorbischen Bevölkerung ist auch dort die Benutzung des sorbische Angelegenheiten auszusprechen. In dem Bericht Sorbischen als Gerichts- und Behördensprache möglich. des Rates finden Sie die breite Palette von Themen, mit Die Gesamtfläche der zu Heimatkreisen ernannten Lan- denen sich die ehrenamtlich arbeitenden Ratsmitglieder desteile verdoppelte sich hierdurch. Zusätzlich konnte allein im Jahr 2013 befasst haben. Herzlichen Dank allen erreicht werden, dass beim Landgericht Bautzen eine Mitgliedern des Rates für ihre engagierte Arbeit, die mit Kammer für Handelssachen und eine solche für Strafvoll- dazu beiträgt, dass der Freistaat Sachsen mit seinen streckung eingerichtet werden. Die sorbische Sprache und Bemühungen für die nationalen Minderheiten als positi- Kultur sind ein unverzichtbarer Bestandteil unseres ves Beispiel in Deutschland und in Europa wahrgenom- men wird. Freistaates. Wir werden auch weiterhin alles daransetzen, diese zu bewahren und zu unterstützen. Der des Weiteren vorliegende Bericht der Sächsischen Staatsregierung zur Lage des sorbischen Volkes wurde am Mit dem 2012 beschlossenen Standortegesetz sind wir 13. Mai 2014 vom Kabinett zur Kenntnis genommen. Der dem Ziel der Staatsmodernisierung ein großes Stück Redaktionsschluss des breit abgestimmten Berichtes nähergekommen. Mit dem Konzept ist es gelungen, trotz datiert vom 30. Dezember 2013. der Schwierigkeiten des demografischen Wandels und der zurückgehenden finanziellen Mittel eine leistungsfähige Mit Anschreiben vom 13. Mai 2014 an den Präsidenten und bürgernahe Verwaltung im Freistaat Sachsen zu des Sächsischen Landtages wurden zudem die wesent- erhalten. Durch die erfolgten Änderungen wurde auch das lichsten aktuellen Entwicklungen seit Redaktionsschluss langfristige Weiterbestehen des Landgerichtsstandortes mitgeteilt. An der Erarbeitung des Berichtes wurden Bautzen gesichert. neben allen Sächsischen Staatsministerien die Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V., die Stiftung für das sorbi- Die damals in den Medien und in den parlamentarischen sche Volk, der Rat für sorbische Angelegenheiten sowie Stellungnahmen vom Rat für sorbische Angelegenheiten das Evangelische Büro Sachsen und das Katholische Büro vorgetragene Kritik ging offensichtlich von einem fal- Sachsen beteiligt. schen Sachverhalt aus. Weder wurde ein Gericht in Bautzen geschlossen noch nach Görlitz verlagert. Die Allen, die an der Erstellung des Berichtes mitgewirkt Landgerichtsstandorte in Bautzen und Görlitz stehen nun haben, an dieser Stelle meinen ganz herzlichen Dank! lediglich unter einer gemeinsamen Leitung eines Ge- Danken möchte ich weiterhin diesem Hohen Haus, das richtspräsidenten mit Sitz in Görlitz. sich sowohl in den zuständigen Ausschüssen als auch hier im Plenum intensiv mit den Inhalten befasst hat. In Bautzen ist weiterhin ein Landgerichtsstandort vorhan- den, an dem fast alle Prozesse verhandelt werden. Dies Der Bericht ist gemäß § 7 des Sorbengesetzes einmal in wurde von der Koalition ausdrücklich gesetzlich geregelt. der Legislaturperiode vorzulegen. Wenngleich der Bericht Nur die Große Strafkammer, die für Mord und Totschlag erst am Ende der Legislaturperiode vorgelegt wurde, so zuständig ist, ging nach Görlitz. Die sorbische Minderheit kann und sollte er doch darüber hinaus ausgewertet und kann sich am Gerichtsstandort Bautzen weiter ihrer erörtert werden und Anstöße zum weiteren Handeln Sprache bedienen. Die Koalition hat zusätzlich dafür geben. Unabhängig davon wird das SMWK die Anregung gesorgt, dass auch vor dem Landgericht Görlitz künftig aus dem federführenden Ausschuss für eine frühere Sorbisch gesprochen werden kann. So werden vielmehr Vorlage aufgreifen. die Rechte der Sorben gestärkt und sie haben weiter Besonders erfreulich ist die zwischenzeitlich allgemein Zugang zu einem Landgericht in Bautzen. öffentlich bekannte Nachricht, wonach infolge der Ent- Das hat auch das Verfassungsgericht in Karlsruhe deutlich scheidung des Deutschen Bundestages der Zuschuss des gemacht. Die Rechte der Sorben wurden durch das Bundes an die Stiftung für das sorbische Volk im Jahr Standortegesetz deutlich gestärkt. 2014 um 500 000 Euro auf 8,7 Millionen Euro erhöht wird. Dafür meinen ausdrücklichen Dank allen, die sich Auch über die aktuelle Legislaturperiode hinaus wollen hierbei engagiert haben, insbesondere den Abgeordneten wir die Unterstützung des sorbischen Volkes weiterführen, des Deutschen Bundestages; denn diese Erhöhung ent- um den Erhalt der sorbischen Kultur, ihrer Traditionen spricht zugleich der Forderung des Freistaates Sachsen. und vor allem der Sprache zu gewährleisten. Wir werden uns auch künftig für eine angemessene Berücksichtigung Sachsen hat hierfür bereits die notwendigen Komplemen- der Interessen der sorbischen Minderheit starkmachen. tärmittel in Höhe von 6,21 Millionen Euro im laufenden Haushalt 2014 vorgesehen. Wir werden uns weiter dafür Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, Staatsministerin einsetzen, dass der Betrag vom Bund in Höhe von für Wissenschaft und Kunst: Zusammen mit dem 8,7 Millionen Euro jährlich ebenfalls in den folgenden Bericht der Staatsregierung zur Lage des sorbischen Jahren zur Verfügung gestellt wird. Darin sind wir uns Volkes liegt Ihnen der Tätigkeitsbericht des Rates für auch mit dem Land Brandenburg einig. sorbische Angelegenheiten für das Jahr 2013 vor. Doch zurück zum vorliegenden Bericht zur Lage des sorbischen Volkes. Bei der Vielzahl von Themen in dem

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Bericht sind als Schwerpunkt immer wieder alle Bemü- Sie hat hier ihre Wurzeln, sie dient hier der Kommunika- hungen um den Erhalt und die Fortentwicklung der tion und der Sozialisation, sie ist Ausdruck des geistigen sorbischen Sprache hervorzuheben. Die sorbische Sprache und kulturellen Reichtums unseres Landes. Zudem schafft dient maßgeblich der Identitätsbildung und ist unverzicht- Zweisprachigkeit interkulturelle Kompetenzen wie bar zur Stärkung und Sicherung des sorbischen Lebens im Toleranz, Akzeptanz und Rücksichtnahme. Damit sind die Alltag. Sorben auch ein wichtiges Bindeglied zu unseren Nach- Die Sprache anwenden und auch an die nächsten Genera- barn in Polen und Tschechien – UND: Wenn der Ge- tionen weitergeben, dass muss natürlich von den Sorben brauch einer Minderheitensprache im Herzen Europas selbst gewollt sein, aber unsere Aufgabe ist es, dies zu selbstverständlich ist, dann ist dies ein wichtiger Akzent ermöglichen. Die Sorben beherrschen Sorbisch und und ein starkes Signal gegen fremdenfeindliche und rechtsextremistische Tendenzen. Deutsch, sie sind zweisprachig. Das führt oft dazu, dass die Minderheitensprache vor allem in Gegenwart Wichtig ist deshalb die abschließende Erkenntnis in dem Deutschsprechender aus Höflichkeit nicht angewendet Bericht, wonach die Sächsische Staatsregierung davon wird. Zu dem Verständnis für das sorbische Volk gehört ausgeht, dass die Zukunft des sorbischen Volkes durch deshalb in hohem Maße das Verständnis für den Gebrauch den Willen der Sorben als Minderheit und den Willen der der sorbischen Sprache. Auch wenn ich selbst nicht Mehrheitsbevölkerung gemeinsam entschieden wird. Sorbisch spreche und verstehe, so habe ich doch großes Die Angehörigen des sorbischen Volkes benötigen für den Verständnis und Sympathie dafür, dass Sorbisch gespro- Fortbestand ihrer eigenen Identität im Alltag Verständnis chen, gehört, geschrieben und gelesen wird – selbstver- und Hilfe von der sie umgebenden Mehrheitsbevölkerung. ständlich auch in meiner Gegenwart. Die sorbische Sprache ist hier zu Hause, in der Lausitz, in Präsident Dr. Matthias Rößler: Meine Damen und Sachsen und in Brandenburg, in Deutschland, in Europa. Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 16 Entwurf des „Kooperationsprogramms INTERREG Polen – Sachsen“ sowie Entwurf des „Kooperationsprogramms Freistaat Sachsen – Tschechische Republik“ für die Förderperiode 2014 – 2020 Drucksache 5/14653, Unterrichtung durch den Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft

Drucksache 5/14722, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Meine Damen und Herren! Es ist keine Aussprache Europaausschusses in der Drucksache 5/14722 ab, und ich vorgesehen. Wünscht dennoch ein Abgeordneter das bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Wort? – Das ist nicht der Fall. Wünscht die Berichterstat- Dank. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – terin des Ausschusses, Frau Kallenbach, das Wort? – Das Einige Stimmenthaltungen. Damit ist der Beschlussemp- ist auch nicht der Fall. fehlung zugestimmt und den Tagesordnungspunkt können wir abschließen. Meine Damen und Herren, wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Meine Damen und Herren, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 17 Wesentliche Ergebnisse der Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der ARTE Deutschland TV GmbH, Baden-Baden, durch die Rechnungshöfe der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Drucksache 5/14637, Unterrichtung durch die Sächsische Staatsregierung

Drucksache 5/14692, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien

Es ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht trotzdem Berichterstatter des Ausschusses, Herr Dr. Gerstenberg – ein Abgeordneter das Wort? – Das ist nicht der Fall. Der schüttelt mit dem Kopf. 10632 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Meine Damen und Herren, wir stimmen nun über die Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Beschluss- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft empfehlung zugestimmt und der Tagesordnungspunkt und Hochschule, Kultur und Medien in der Drucksa- beendet. che 5/14692 ab und ich bitte bei Zustimmung um Ihr Ich rufe auf den Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Keine.

Tagesordnungspunkt 18 Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse zu Anträgen – Sammeldrucksache – Drucksache 5/14755

Wird das Wort gewünscht? – Das ist offensichtlich nicht halten im Ausschuss fest. – Der Tagesordnungspunkt ist der Fall. Gemäß § 102 Abs. 7 der Geschäftsordnung stelle damit beendet. ich hiermit zu den Beschlussempfehlungen die Zustim- Meine Damen und Herren, ich rufe auf den mung des Plenums entsprechend dem Abstimmungsver-

Tagesordnungspunkt 19 Beschlussempfehlungen und Berichte zu Petitionen – Sammeldrucksache – Drucksache 5/14756

Zunächst frage ich, ob der Berichterstatter zur mündlichen Weil wir noch eine kleine Prüfung haben, muss ich Ihnen Ergänzung der Berichte das Wort wünscht. – Das ist nicht vorschlagen, dass wir den Tagesordnungspunkt auf der Fall. Da kein Verlangen nach Aussprache vorliegt, morgen vertagen. Ich verspreche Ihnen, dass er genauso kommen wir sogleich zur Abstimmung. schnell abgehandelt werden kann wie heute. Bis morgen Meine Damen und Herren, zu verschiedenen Beschluss- wird geprüft, wo die abweichenden Voten der SPD sind. empfehlungen haben einige Fraktionen ihre abweichende Wir vertagen also den Tagesordnungspunkt 19 und ordnen ihn morgen nochmals ein. Meinung bekundet. Die Informationen, welche Fraktionen und welche Beschlussempfehlungen dies betrifft, liegen Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung der Ihnen zu der genannten Drucksache ebenfalls schriftlich 100. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages ist abgearbei- vor? tet. Das Präsidium hat den Termin für die 101. Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 10. Juli 2014, 10:00 Uhr, (Zurufe von den LINKEN – festgelegt. Die Einladung und die Tagesordnung dazu Christian Piwarz, CDU: Sie werden noch verteilt! liegen Ihnen vor. Die 100. Sitzung des 5. Sächsischen Weitermachen! – Der Präsident hält Landtages ist damit geschlossen. Rücksprache mit dem Präsidium.)

Ich weise noch darauf hin, dass die abweichenden Mei- nungen der SPD-Fraktion in der verteilten Drucksache bisher nicht enthalten sind. Wir können es jetzt nicht (Schluss der Sitzung: 22:40 Uhr) prüfen.

10633 Sächsischer Landtag 5. Wahlperiode – 100. Sitzung 9. Juli 2014

Sächsischer Landtag, Bernhard-von-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden

Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter www.landtag.sachsen.de

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