Nr. 39 | 2020

WirÄlteren in den Gewerkschaften in undBremerhaven

ABGESAGT! dion b Wesersta onstration a 1 0:30 D em m Domshof ebung auf de 1 2:00 K undg Düring :A nnette n Begrüßung des D GBB reme Vorsitzende ack lke Hann GBB und Hauptrede E zende des D stellv. Vorsit Verkehr n, ver .di FB Franz Har tman d DGB-Jugen

AufPlatt: Kinderarbeit für DerKampfgegen Macrons Interview mit Christine unsere Smartphones > 9 „Rentenreform“> 11 Koschnick (Teil 2) > 16

Wir39-2020| 1 Liebe Leserin, lieberLeser, Editorial wirleben in schweren Zeiten. SARS-CoV-2 undderKampfgegen dasVirusbestimmen unserLeben in einem Maße, das sich beiRedaktionsschluss im Märzerstabzuzeichnen begann. Zwarwarschon bekannt, dassdieDemonstrationen undKundgebungen zum 1. Maiabgesagtwerden mussten (siehe aiuch Rückseite). Dennoch: Die WIR kann nichtso aktuellsein, wie sich dies vielleichtmanche*r wünschen würde. Trotzdem haben wiruns entschlossen, in dieserAusgabezuderSeucheStellungzu nehmen. Vergessen hatdie WIR aberkeinesfalls die Klimakrise, die soziale Spaltung derGesellschaft, Kriege undAufrüstung, Rassismus undMenschenfeindlichkeit– Probleme, die unabhängig von Corona aufunsererTagesordnung stehen bleiben müssen.

Wirwünschen uns, dasswirgemeinsam möglichstunbeschadetdurch diese Krise kommen. Wirhoffen, dass auch in derZeitderverordneten räumlichen Isolation derGedanke derSolidarität, derMitverantwortung fürunsere Mitmenschen, fürunsere Nachbar*innen überlebtundvielleicht sogargestärktdaraus hervorgeht. Wirwünschen denen, die erkranktsind, eineguteBesserung und allen anderen, dasssiegesundbleiben.

Die Redaktion

Leserbriefeundandere Reaktionen sindnach wie vorhochwillkommen > [email protected]

3 Oh Corona! 16 ChristineKoschnick(2):Ichbinbisheute Inhalt Wolfgang Bielenberg MitgliedundwerdeesbisanmeinEndesein ReinerMeissner,UdoSchapals 5 Glosse:DasCoronavirus-oderwiedie„ältere Generation“geschütztwerden soll 18 Impressum Marita Froese-Sarimun 20 UnsereFrauen–einechter 6 StoppDefender:Nein zu Kriegsmanövern Glücksfall derGeschichte Marita Froese-Sarimun Wolfgang Schröder 7 SchauenSiegenauhin!Rüstungsausgaben 21 MitDir.FürAllle.Gegen sozialeKälte. sind nichtgleich Rüstungsausgaben DerSozialverband Deutschland SoVD Wolfgang Bielenberg Gastautor: Joachim Jung 9 KinnermaaktsikdenPuckel 23 AdA–Antidiskriminierungin derArbeitswelt förmien Smartphonekrumm Aretta Mbaruk HolgerZantopp 25 BSAG-Tarife:DieZonengrenzemussweg 11 Diespinnen,dieFranzosen? UdoHannemann „Rentenreform“in Frankreich 26 Verkehrspolitik: AufIrrwegen Traudel Kassel Gastbeitrag derDeutschen Umwelthilfe 14 Hanau:DerTäterist 27 LeserbriefundTermine ausderMittederGesellschaft Orhan Çalışır 28 Solidaritätheißt:Abstandhalten! Reinhard Hoffmann 2 |Wir39-2020 Wolfgang Bielenberg

Oh Corona!

Vorweg: Der Redaktionsschluss dieser WIR war Mitte März – die Zeitung erscheint Ende April. Insofern kann der folgende Artikel nicht aktuell sein – fast täglich verändert sich die Lage und neue Entscheidungen werden getroffen. Ob diese alle angemessen, rechtzeitig und ausreichend sind oder waren, wird sich – glaube ich – erst rückblickend beurteilen lassen. Trotzdem will die WIR zu dem Thema nicht schweigen.

Es ist Freitag, der 13. (!) März. Die Nach- ckelte sich im Januar zu einer Epidemie in richten überschlagen sich. In den letzten China. Das Virus verbreitete sich schnell. Tagen werden Veranstaltungen mit über Am 11. März erklärte die Weltgesund- (und unter) 1000 Teilnehmern abgesagt, heitsorganisation (WHO) die Krankheit schließen Theater, Werder spielt nicht offiziell zu einer Pandemie – eine Epide- mehr. Heute beschließt die Bremer Lan- mie, die über alle Grenzen geht. desregierung, den Unterricht in den Schulen ab Montag einzustellen, die Kin- Es sind vor allem drei Gründe, die das dergärten zu schließen. Coronavirus so gefährlich machen:

Nicht nur in Bremen. Grenzen werden ge- • Es kann eine schwere Lungenentzün- schlossen, Flüge, Kongresse, Tagungen dung hervorrufen, die lebensgefährlich und andere Veranstaltungen gestrichen, ist. der Tourismus kommt zum Erliegen. In • Es handeltsich um ein neuartiges China werden Millionenstädte isoliert. Virus, mit dem das menschliche Im- Die USA rufen den Notstand aus. In Itali- munsystem noch keine Erfahrung ge- en (zum heutigen Zeitpunkt innerhalb macht hat. Das heißt, dass es noch Europas besonders betroffen) schließen keine Abwehrstoffe entwickelt hat. Bars, Restaurants, Hotels, öffentliche Ein- Auch Impfstoffe gibt es momentan richtungen sowie Geschäfte, die nicht le- noch nicht. bensnotwendige Waren verkaufen. • Die Infektionsgefahr ist hoch. Die An- Spanien und Frankreich stellen ihre Län- zahl der Infizierten wächst exponenti- der unter Quarantäne – man darfdas ell – etwa alle drei Tage verdoppelt sich Haus nur noch für den Weg zur Arbeit die Zahl. In Deutschland rechnet man oder zum Einkaufdes täglichen Bedarfs damit, dass sich über 60 % der Bevöl- verlassen. Undsoweiter. kerung infizieren wird.

Der Schuldige ist das Coronavirus (heißt Diese drei Punkte veranlassen Regierun- offiziell SARS-CoV-2), welches die Atem- gen und Verwaltungen zu Maßnahmen, wegserkrankung COVID-19 (COrona- die zum Ziel haben, den gefürchteten VIrus-Disease 2019) auslösen kann. Ihr massenhaften Ausbruch zu verlangsamen. Ausbruch Ende Dezember 2019 in der Dadurch soll das Gesundheitssystem ent- chinesischen Großstadt Wuhan entwi- lastet werden, das bei einer Massener- Wir39-2020| 3 krankung – mangels Kapazitäten - über- Fragen drängen sich auf: fordert wäre (siehe Grafik oben, nach wi- kipedia.org/wiki/SARS-CoV-2). • Wieso ist unser teilprivatisiertes Ge- sundheitssystem so heruntergefahren Und die Maßnahmen sind tiefgreifend. In worden, dass es für eine solche Krise ihren Folgen gehen die Börsenkurse run- nicht besser gewappnet ist? ter, die Wirtschaft schlittert in eine Rezes- • Was passiertin undmitden Staaten, sion. Unser Gesundheitssystem – schon deren Gesundheitssysteme noch weit heute krank gespart durch klamme Haus- unter unserem Niveau liegen? halte der öffentlichen und Gewinnorien- • Wie wird mit Impfstoffen umgegangen tierung der privaten Einrichtungen – sieht – wenn sie entwickelt sind? Werden die sich schon jetzt an der Grenze des Mögli- Nutzungsrechte ihrer Patente weltweit chen. Kanzlerin Merkel hat sich einge- freigegeben und damit der Allgemein- schaltet und ruft im Rahmen der heit zugänglich gemacht oder bleiben Solidarität auf, soziale Kontakte zu mei- sie aus Profitinteresse in privater den, ein striktes Kontaktverbot wird erlas- Hand? sen. Solidarität – vor allen mit • Warum ist bei dieser kurzfristigen Vorerkrankten und (uns) Älteren, für die Krise ein drastisches Handeln möglich, der Krankheitsverlaufbesonders gefähr- während es bei der langfristigen Kli- lich ist. Aber was heißt das in Konse- makrise fehlt? quenz? Mich für die nächste Zeit (noch • Und wie kann Protest aussehen, wenn freiwillig) einsperren zu Hause, verzichten Demonstrationen ausfallen müssen? aufden direkten Kontakt mit den Men- schen, die mir lieb sind? Was mache ich? Ich habe kein Fieber, keinen trockenen Husten, keine Hals- Die Situation ist surreal. Ich kann die Ge- schmerzen – mögliche Anzeichen einer fahr nicht greifen. In den letzten zwei Mo- Erkrankung. Aber ich ertappe mich dabei, naten schwanke ich zwischen Verdrängen dass ich mich beobachte, ob sich nicht („China ist weit weg“, „das wird schon doch irgendwelche Anzeichen einstellen - nicht so schlimm werden“, „mir wird keine besonders gesundheitsfördernde schon nichts passieren“) und Sorge. Die Beschäftigung. Ich habe mir noch nie im Sorge wird täglich ge- Leben so oft die Hände gewaschen. (Ok– speist durch das Trom- meine persönliche Hygiene hat Luft nach melfeuer der Medien, die oben.) Mein Kopfsagt mir, nicht mehr zu über immer drastischere Veranstaltungen zu gehen – sofern sie lokale wie weltweite überhaupt stattfinden. Ich gebe nur noch Maßnahmen berichten. selten die Hand, lasse niemanden (außer Das Virus ist ständiger meiner Frau) näher an mich heran. Aber Gesprächsstoff. Ich (und ich lasse mich nicht vereinsamen, treffe mein Umfeld) sind mich – allerdings stark eingeschränkt - (noch?) weit weg von mit Freunden. Und ich schaue, ob und einer Panik. Ich habe wie ich meinem Nachbarn helfen kann, noch keine Hamsterkäu- ohne mich selbst zu gefährden. Doch ich fe getätigt, meine Vorräte weiß nicht, wie die Situation sich weiter- an Toilettenpapier sind entwickelt. Ich hoffe, dass ich gesund blei- ausreichend. be. 4 |Wir39-2020 GLOSSE Marita Froese-Sarimun DasCoronavirus-oderwie die„ältereGeneration“geschütztwerden soll

Am Freitag, dem 13., hörte ich es Da läuftdoch was, ich wartete ge- morgens im Radio, die Schulen und spannt aufdie Argumentation meines Kindergärten werden bis aufweiteres Sohnes. Er führte dann aus, dass er es geschlossen und die leidgeprüften El- mit dem Kind besprochen habe und es tern sollen davon absehen, die Kinder ihm überlassen wolle, ob es gerne bei bei den Großeltern einzuquartieren. der Oma bleibe. Dankbar vernahm ich die Worte und Das wollte der Kleine, er hätte auch fühlte mich umsorgt. Die Politik tut alle seine Schulsachen dabei und man kund und alle die damit verwoben hat ihm noch ganz viele Aufgaben sind, sorgen sich um uns. Wir sind auf mitgegeben, nur am Wochenende hat einmal nicht mehr die „Happy Gene- er keine Lust dazu. Sein Vater hat ration“ mit einem hohen Freizeitan- ihm wegen a) eines guten Zeugnisses spruch und einer viel zu hohen und b) der Unterhaltung noch ein Lebenserwartung. Ja, so soll es bitte neues Spiel für seine Spielkonsole ge- sein! schenkt. Dann kam mirin den Sinn, es istei- Ich musste das alles erst einmal ver- gentlich mein Oma-Wochenende, das dauen. Mein hoch agiler Enkel auf heißt, mein Enkel hält Einzug und unbestimmte Zeit, Schularbeiten bis kommandiert seinen Hofstaat, also zum Abwinken und als besonderer mich. Stressfaktor ein neues elektronisches Aber mein Sohn hört auch Nachrich- Spiel - das sich bei der Erledigungvon ten und wird über diese Situation be- Schularbeiten noch nie als sehr moti- stimmt mit der Kindesmutter vierend gezeigt hat. Dann fiel mir gesprochen haben und beide werden dankenswerter Weise ein, dass mir sich sicherlich dem Aufruffür die mein Sohn in der Vorwoche berichte- schützenswerten Älteren anschließen. te, seine Firma stelle es den Mitarbei- ter*innen frei, ob sie wegen der Meine Sorgen ließen etwas nach, aber drohenden Pandemie Homeoffice ich kenne auch meine Familie und machen wollen. überlegte dann, wie die beiden Kinds- eltern es wohl anstellen werden mich Mein Hinweis darauf, dass es diese mit einzubinden. Ich ging also mei- großartige Möglichkeit gäbe, Arbeit nem normalen Tagewerk nach, ließ und Kinderbetreuung unter einen Hut hübsch die Finger von Handy und zu bringen, wurde mir ablehnend be- WhatsApp.Ich wollte nichts heraufbe- schieden, das ginge gerade nicht, zu schwören, was ich in Folge bereuen viel zu tun. könnte. Übrigens, in der Nachbarschaft tum- Der Freitagnachmittag kam und es meln sich auch die Enkel. klingelte Sturm, wie es nur mein Enkel beherrscht. Freudestrahlend Wissen Sie was, das Coronavirus und stand er vor der Tür, überreichte mir die besondere Schutzbedürftigkeit der ein Blumentöpfchen und eine Schach- älteren Generation – ich lach‘ mich tel Pralinen, nachträglich zum Ge- tot. Wenn es nicht so furchtbar ernst burtstag! wäre.

Wir39-2020| 5 STOPP DEFENDER 2020

Nein zu Kriegsmanövern!

Zum Entsetzen vieler Bürger*innen in immer die schrecklichen Bilder der mo- Marita Bremen und Bremerhaven plant die dernen Kriegsführung in den Sinn. Nu- Froese-Sarimun NATO das größte Manöver in Europa seit kleare Sprengköpfe (weltweit ca. 13.800) 25 Jahren. Auch über den Hafen in Bre- sind in wenigen Stunden einsatzbereit mit merhaven wird u. a. schweres Kriegsgerät unvorstellbaren Auswirkungen. Trotzdem umgeschlagen und bis nah an die pol- werden noch Panzer durch halb Europa nisch-russische Grenze transportiert. gekarrt.

Trotz des heftigen Sturms und ständiger Wie hat sich die kriegerische Auseinan- Regenschauer trafen sich ca. 200 Men- dersetzung „verfeinert“ durch den Einsatz schen nach einem Aufrufdurch von Drohnen? Töten aus der Ferne mit Friedensinitiativen, Gewerkschaften und Beobachtung durch Kameras. Da ist die Parteien. Mit ihren Spruchbändern und Verantwortung leichter abzuschieben auf Fahnen vor der großen Kirche zeigten sie technisches Gerät. Die Militärs vermeiden mit den Rednern ihren Protest und stell- so blutige Hände und lassen die Welt auch ten Forderungen nach einer Entspan- noch an ihren Tötungserfolgen teilhaben. nungspolitik mit Konfliktlösungen und Abrüstung auf. Das geplante Manöver sei Nie wieder Krieg? eine Militärstrategie und provoziere die russischen Militärs. Der Demonstrations- Was ist aus dieser Forderung angesichts zug führte durch die Innenstadt zum Ro- machtbesessener Männer geworden, die tersand, einer der Einfahrten zum Hafen. weiter Krieg als Mittel der Politik ansehen Der lokale Fernsehsender Bremens be- und die Leid und Tod vieler Menschen gleitete die Demonstranten und zeichnete hinnehmen? einige Interviews auf. Defender 2020 Nie wieder Krieg? Ich bitte da noch um eine Erklärung. De- Bei dieser Zurschaustellung militärischen fender ist gleichbedeutend mit Verteidi- Materials und Soldaten innerhalb eines gung, warum ist eine Provokation eine halbjährigen Zeitraums kommen mir Verteidigung?

US-Bürger seien, sagt das Protestplakat in Bremer- Corona bleibt Sieger! haven, willkommen, miltitärische Drohgebär- Letzte Nachricht vom 16. März (NDR): Die US-Militärübung „Defender Europe den hingegen nicht. 20“ wird wegen der Corona-Epidemie „kontrolliert eingestellt“. Abgesagt seien von deutscher Seite „alle aktiven Übungsanteile“.

6 |Wir39-2020 Schauen Sie genau hin! Wolfgang Bielenberg Gönnen Sie sich einen Augenblick. Was sehen Sie?

SZ vom 15./16.02.2020

Was Staaten für Rüstung ausgeben! Russ- der Marke von 2 %, die die NATO von land ganz viel – Deutschland ganz wenig. ihren Mitgliedsstaaten einfordert. Und Haben wir doch immer schon gewusst! diese 2 % sind ja nur die Hälfte der Aus- gaben, die Russland tätigt! Sehen wirgenauerhin: Resümee: Russland gibt viel Geld für Rüs- Die Balken der aufgeführten sieben Län- tung aus, Deutschland viel zu wenig. der stellen den Anteil der Rüstungsausga- Richtig? ben am Bruttoinlandsprodukt dar, also dem Anteil am Gesamtwert aller Waren Lesen wir das Kleingedruckte: In Klam- und Dienstleistungen, die in einem Jahr in mern sind die absoluten Ausgaben der dem Land hergestellt wurden. Und da hat Länder in US-Dollar angegeben. Wenn Russland den längsten Balken. Deutsch- man daraus ein Diagramm erstellt, ergibt land hat den kürzesten, liegt noch unter sich plötzlich ein ganz anderes Bild:

WB nach SZ.

Wir39-2020| 7 Die USA führen in den Ausgaben mit Russland und China. Das gedruckte Dia- großem Abstand, vor China und Russ- gramm – neben dem Artikel mit der land, Deutschland folgt aufPlatz fünf. Al- Überschrift „Vor finsteren Zeiten“- stützt lein die vier NATO-Staaten (ohne die diese Auffassung vor allem für den ober- USA) geben zusammen mehr aus als flächlichen Leser voll und ganz. Freundli- Russland, zusammen mit den USA fast cherweise ergänzte die SZ die Balken das sechsfache! durch die absoluten Rüstungsausgaben – allerdings nur im „Kleingedruckten“ und Welches ist das „richtige“Diagramm? damit optisch im Hintergrund …

Keines der beiden ist mathematisch Was die Sache aber aufdie Spitze treibt „falsch“. Das erste Diagramm druckte die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 15./16. Fe- Journalistisch korrekt gibt die SZ die bruar aufihrer Titelseite. Anlass war die Quelle des selbst erstellten Diagramms an: Tagung der Münchner Sicherheitskonfe- Das Stockholm International Peace Rese- renz, ein jährliches internationales Treffen arch Institute (SIPRI). Aufdessen Inter- von hochrangigen Politikern mit Militärs netseiten1) findet man die Liste der und Lobbyisten der Rüstungsindustrie. Veröffentlichungen und Stellungnahmen Deren mehrheitliche Forderung: Höhere sowie das zugehörige Datenmaterial. Rüstungsausgaben (vor allem von Deutschland) und ein „robustes“ Eintre- Nach ausgiebiger Recherche bin ich dort ten für die eigenen Interessen - gegen aber aufganz andere Zahlen gekommen:

WB vgl. 2) Die Angaben unterscheiden sich mit Aus- bauen, aufzurüsten und Konflikte bis hin nahme der USA von denen der Süddeut- zu kriegerischen Auseinandersetzungen schen deutlich, für China und Russland zu verschärfen. Die weltweiten Militär- gravierend. (So gibt die Süddeutsche für ausgaben stiegen in 2018 aufüber 1,822 China fast das Doppelte, für Russland das Billionen US-Dollar. Eine kaum vorstell- 2,5fache an!) bare Zahl mit 12 Nullen – 239 US-Dollar für jeden Menschen, jedes Kind aufder Aufmeine Anfrage an die Redaktion wer- Erde. Diese Ausgaben erhöhen nicht nur den mir die Unterschiede mit einer die Gefahr von Kriegen, sie fehlen drin- „Kaufkraftbereinigung“ erklärt: In diesem gend an anderen Stellen: Der Bekämpfung Verfahren werden Währungen im Ver- des Klimawandels, von Armut, Hunger hältnis zum US-Dollar mit einem von der und Krankheiten. Weltbank gesetzten Faktor multipliziert. So soll die Kaufkraft des Dollars ver- Unsere Aufgabe ist es, hellwach zu blei- gleichbar zur lokalen Kaufkraft gerechnet ben, kritisch zuzuhören und zu lesen, werden. Ein wirtschaftswissenschaftlich nachzufragen und auch einmal eine Re- nicht unumstrittenes – da durchaus inter- dakteur*in daraufhinzuweisen, dass es essengesteuertes - Verfahren … auch andere Meinungen gibt. Leserbriefe sind dann eine angemessene Antwort. Was lehrtuns das? 1) https://sipri.org Zahlen lügen nicht. Aber sie werden aus- 2) Interessant auch die Angaben über die gewählt, gewichtet oder weggelassen, um Zunahme bzw. Abnahme der Rüstungs- politische Aussagen zu tätigen. So arbeitet ausgaben von 2017 auf2018: China - verstärkt seit den 90er Jahren - eine (+5%), USA (+4,6%), Deutschland Lobby daran, nationale Interessen in den (+1,8%), Großbritannien (+1%), Frank- Mittelpunkt zu stellen, Feindbilder aufzu- reich (-1,4%) Russland (-3,5%) 8 |Wir39-2020 PLATT Kinnermaaktsikden Puckel förmien Smartphonekrumm

Dat weer mal wedder sowiet. Mien Fründ laat. Wat dat leeg weer? Iksegg, nee, dat Holger Zantopp Hannes is an en Sünnavend to Besöök maakt nix. kamen, üm düchtig wat to fröhstücken. Sowatt maakt wi jümmers mal wedder, wi He kiekt op den Kökendisch un seggt ver- wesseln uns af, tokamen Mal bün ik denn wunnert, wat hest Du dat wedder fien bi em to Gast. Wi snackt hele Tieden henkregen! He weer so richtig smachtig. Plattdüütsch, wi hebbt uns doran wennt. Ik wull weten, hest Du to Huus nix to eten kregen? Nee, seggt Hannes, ik mutt jo Ik bün denn fröh an´n Morgen losgahn, jümmers allens alleen maken. Faken hett üm groot wat intoköpen. Hannes is een he avers keen Lust dorto. Dorüm hett he vun de Lüüd, de mehrstendels toveel in sik bannig freit, bi mi so richtig wat eten sien Magen rinproppt. Avers ik will em to könen. Denn man to, heffikseggt, laat den Gefallen doon. Ik harr allens Di dat goot smecken. opschreven, de List weer lang: Eier, Schin- ken, Wust, Kees, Marmelaad, Joghurt, Dat Klingeln stöört bi´t Fröhstück Eerdberen, Kaffe (keen Muckefuck!), ün- nerscheedliche Rundstücken - villicht ok He weer jüst dorbi, in en vun de Rund- noch Fleesch? Denn warrt dat so´n richti- stücken rintobieten, dor pingelt sien gen Brunch. Mag ween, he blifft den gan- Plietschfon - dat is dat plattdüütsche zen Dagbi mi. Smartphone. Is mien Süster, seggt Han- nes. Ikweer denn still un heffen beten As de Klock halv twölfweer, dor heffik to mitkregen, wat in sien Familie so aflöppt. mi sülvst seggt, nu warrt dat Tiet, dat he Geiht mi jo nix an. Acherna hebbt wi över an Land kummt. Hett denn nich lang "Gott un de Welt" snackt, över Krieg un duert un Hannes kloppt an de Döör. He sä Freden. He is okeen vun de olen Gewark- toeerst: Deit mi leed, ik bün en beten to schaftsliddmaten, de sik bannig över den Wir39-2020| 9 bauen, aufzurüsten und Konflikte bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu verschärfen. Die weltweiten Militär- ausgaben stiegen in 2018 aufüber 1,822 Billionen US-Dollar. Eine kaum vorstell- bare Zahl mit 12 Nullen – 239 US-Dollar für jeden Menschen, jedes Kind aufder Erde. Diese Ausgaben erhöhen nicht nur die Gefahr von Kriegen, sie fehlen drin- gend an anderen Stellen: Der Bekämpfung des Klimawandels, von Armut, Hunger und Krankheiten.

Unsere Aufgabe ist es, hellwach zu blei- ben, kritisch zuzuhören und zu lesen, nachzufragen und auch einmal eine Re- dakteur*in daraufhinzuweisen, dass es auch andere Meinungen gibt. Leserbriefe sind dann eine angemessene Antwort.

1) https://sipri.org 2) Interessant auch die Angaben über die Zunahme bzw. Abnahme der Rüstungs- ausgaben von 2017 auf2018: China (+5%), USA (+4,6%), Deutschland (+1,8%), Großbritannien (+1%), Frank- reich (-1,4%) Russland (-3,5%)

Kapitalismus un över nee´e Nazis opregen kann.

Na üm un bi teihn Minuten gung dat wedder los. Hannes sien Ex-Frue harr an- ropen. He sä to mi, dat duert blots en Ogenblick. Vunwegen! Acht oder negen Minuten harrn se jümehr Gedanken uttu- uscht. Ik bün mehrstendeels liedsam un harr op em töövt. Hannes weer na dat Snacken mit sien fröhere Frue teemlich still. Ikharr em blots fraagt, hett se Di den geven. De Kinner, ok Sövenjöhrige, kriegt Kopp wedder trechtdreiht? - ümrekent - blots bet to twee US-Dollar för den ganzen Dag. Ehr dat he sien Antwoort geven kunn, hett dat Plietschfon wedder pingelt. Sluss, Üm un bi 40.000 Kinner rackert sikin´n vun nu afan mutt dat ophören, heffikem Kongo in Minen af. Se buddelt mit Spa- denn anblafft. Wi köönt ja gor nich mite- dens oder mit blanke Hannen, ahn nanner snacken, wenn dat so wiedergeiht. Schutztüüch. De Afbo vun den Rohstoff Ik weer so richtig füünsch. Wat mi afsün- Kobalt is gräsig, de Arbeit is arg. Dag för nerlich opregen deit, dat woll vele Min- Dag kaamt Kinner dör de Plackeree üms schen nich ahn Plietschfon leven köönt. Leven. In´n Kongo is Kinnerabeit egent- Okay, ik bün ok mit so´n Ding utstaffeert. lich verbaden, nüms scheert sik avers Ik versöök avers, Platz to schaffen för Tie- dorüm. Segg mal Hannes, hest Du dat den, de free sünd vun düsse Oort vun wusst? Ik nich. Snackeree. Wat maakt wi nu, heffik fraagt. An´n 12. Plackeree förSmartphones in´n Kongo Juni gifft dat elkeen Johr den Weltdag gegen Kinnerarbeit. Ik heffhöört, op de Denn heffik Hannes vertellt, wat anner- hele Welt maakt siküm un bi 168 Millio- letzt in de Zeitung över de Produkschoon nen Kinner as billige Daglöhner den Pu- vun Akkus för Smartphones to lesen weer. ckel krumm. Un wokeen maakt den Dorför mutt Kobalt afboot warrn, to alle- Profit? Dat sünd grote Ünnernehmen, ok reerst in´n Kongo. Ok för Batterien, Tafel- düütsche Autokonzerne. Se hebbt wat reekners un Elektro-Fohrtüüch bruukt dorvun, dat Kinner op düsse Oort un een Kobalt. Un wokeen maakt dat, wo- Wies utnutzt warrt. keen boot Kobalt af? Dat sünd vele Kin- ner, de sikin Minen afplackt, üm wat to Laatuns gegen Kinnerarbeitangahn verdenen, üm jümehr Familien Stütt to Wi kunnen oder schullen gegen Kinner- arbeit op de Straat gahn, gegen dat Utpo- vern vun Minschen, gegen Lüüd, de dorvun profiteert! Maakst Du mit, Han- nes? He hett denn sien Kopp na links un rechts dreiht un wuss nich so recht, wat he eenfach so seggen schull. Ik heffdenn an- tert, dat is afsluuts in Ordnung. Tokamen Mal köönt wi mit de Utspraak wiederma- ken. Villicht, seggt he.

As Hannes denn weggahn is, hett he noch meent, dat gifft Mööglichkeiten, ole Plietschfons to´n Bispill in Mobilfunk- Geschäften trüchtogeven. Mag ween, een kriggt ok Geld dorför. Se köönt denn dat Material as Dele to´n Uttuschen bruken. Düsse Infall is goot. För´t Eerste heffik mi avers vörnahmen, mi nich mehr vun mien Smartphone afhangig to maken.

Kinderarbeit - nicht Ik heffdenn to´n Sluss seggt, Hannes, dat selten die Kehrseite weer vundaag en gode, avers ok en sware Tiet. Op jeden Fall hebbt wi uns een den von „Geiz ist geil“. annern wat bibröcht. Maak dat goot, mien Fründ. Holl Di fuchtig! 1 0 |Wir39-2020 „Métro - boulot- dodo“,hieß es bei unseren Nachbarn ehedem zum tägli- chen Hamsterrad aus Metro, Job und Schlafen. Jetzt sagt die Protestbewe- gung Nein danke! zu „Metro, Arbeit, Grab“.

„Die spinnen, die Franzosen ...“

Oderdoch nicht?– DerKampfgegen die Renten„reform“in Frankreich

Dass die Franzosen mal wieder wochen- stimmter Berufsgruppen sprechen, ist der Traudel Kassel lang am Streiken waren, wird in gängigen Bezug zu den entsprechenden „Privilegi- deutschen Medien vom „Weser Kurier“ bis en“ bzw. Unterschieden im Rentensystem zu den so genannten „Leitmedien“ FAZ, in Deutschland. Machen sie sich stark ZEIT, Spiegel, Süddeutsche u.ä. sowie in gegen die Ungleichbehandlung zwischen Fernsehbeiträgen zwar berichtet, aber nur Rentner*innen, Gutverdienenden über in wenigen Medien wird ein Bild aus Sicht der Sozialversicherungsgrenze und Pen- der Streikbewegung gezeichnet. Das Ma- sionär*innen, Knappschaftsangehörigen gazin Cicero überschrieb einen Artikel: oder Versorgungswerken von Ärzt*innen, „Die spinnen, die Franzosen“. Vor allem Apotheker*innen, freiberuflichen Archi- von Krawallen und Ausschreitungen ist tekt*innen, Anwält*innen u.a. hierzulan- die Rede, aber über die Gründe für das de? Handeln der Menschen wird entweder gar nicht berichtet oder einfach die Lesart der Macrons Rentenkonzept: Kürzungen, Regierung übernommen: So soll „das jet- Kürzungen, Kürzungen zige Rentensystem so nicht mehr finan- zierbar sein. Ein ‚Flickenteppich‘ von 42 Für die Beschäftigten in Frankreich reiht unterschiedlichen Rentenregelungen, die sich das Rentenkonzept in eine Reihe einige Beschäftigtengruppen privilegieren massiver Verschlechterungen ihrer Le- und andere benachteiligen, soll verein- bensbedingungen ein: Angriffe aufdie heitlicht werden und so mehr Gerechtig- Rente von 1993, 2010 und 2013/14, deren keit unter den Rentner*innen hergestellt Auswirkungen erst nach und nach greifen werden.“ werden. Beispielsweise wurde die erfor- derliche Beitragsdauer zum Erlangen der Was unsere Medien in ihren Beiträgen zu vollen Rente immer weiter verlängert. der Auseinandersetzung in Frankreich Dazu kamen die Arbeitsgesetze von durchweg ausblenden, wenn sie von be- 2016/17, die Rechte der Beschäftigten rechtigtem Abbau von „Privilegien“ be- massiv beschnitten haben, sowie die Er- Wir39-2020| 1 1 höhung der Benzinsteuer, die Auslöser für ■ Es wird ein Punktesystem – ähnlich die Proteste der „Gelbwesten“ seit Novem- wie in Deutschland – eingeführt. Für ber 2018 waren und die immer noch an- die Berechnung wurden bis 1993 die dauern. Während sich diese Proteste zehn Jahre mit dem besten Verdienst, spontan und unorganisiert entwickelt hat- seitdem die 25 besten Jahre herangezo- ten, wird der Widerstand gegen die Ren- gen – mit Unterschieden zwischen Öf- ten“reform“ von den Gewerkschaften fentlichem Dienst und geführt, bezieht aber auch viele der Privatwirtschaft. Nun soll die gesamte „Gelbwesten“ ein, deren Probleme sich Erwerbsdauer berücksichtigt werden. weitgehend mit denen der von Renten- kürzungen betroffenen Menschen decken. Alles zusammen bedeutet Rentensenkun- gen von 25 bis 40 Prozent. Die wichtigsten Faktoren: Besonders betroffen sind alle prekär und ■ Das Regel-Renteneintrittsalter wird nicht durchgehend erwerbstätigen Be- von 62 auf64 Jahre angehoben. schäftigten, darunter vor allem Frauen ■ Nach dem Konzept werden zukünftig wegen ihrer häufig unterbrochenen Er- statt bisher 41,5 Jahre 43 Jahre Bei- werbsbiografien. Wenn sie die Mindest- tragszahlung erforderlich sein, um die beitragsdauer von 43 Jahren nicht volle Rente zu erhalten. erreichen, sind die Abschläge von der Rente gravierend. Für Mütter gilt, dass die bisherige Anrechnung von Kindererzie- hungszeiten aufeine für sie ungünstigere Basis gestellt wird.

Von enormen Verlusten bei der Rente be- troffen sind also nicht „einige privilegierte Berufsgruppen“, sondern fast alle Er- werbstätigen. Es ist das Verdienst der Ge- werkschaften und der sozialen Bewegungen, dass sie mit einer riesigen Aufklärungskampagne über die drohen- den Einschnitte zu wochenlangen Streiks und zahlreichen Aktionstagen mobilisie- ren konnten.

Was besonders zu deren Wut beiträgt ist die Tatsache, dass ihnen als Ersatz kapitalgedeckte Zusatzversicherungen aufgedrückt werden sollen. Versiche- rungskonzerne und andere finanzkapita- listische Akteure stehen schon in den Startlöchern und warten darauf, dass ihnen auch in Frankreich satte Gewinne aus Rentenfonds zufließen. Das Verlustri- siko liegt dagegen bei den Beschäftigten. Die weltgrößte Vermögensverwaltungsge- sellschaft Blackrock gehört zu den Bera- tern in Sachen Renten“reform“.

Schon im Januar scherte aber die sozial- partnerschaftlich ausgerichtete Gewerk- schaft CFDT aus der Streikfront aus, indem sie ein geringes Zugeständnis der Regierung in Bezug aufeine Verschiebung des Renteneintrittsalters als Riesenerfolg verkaufte und damit den Streikenden in den Rücken fiel.

Auch wenn die Streiks auch mangels Die ganze Rentenreform mitsamt ihrem Urheber in die Tonne Streikgeld am Ende nicht durchgehalten knicken möchte die Gewerkschaft CGT. Macron hatte die Reform werden konnten und die Regierung ihr als weder veränder- noch verhandelbar bezeichnet Konzept schließlich durchgesetzt hat, ist (niamendable, ninégociable). der Protest noch nicht zu Ende. Noch am 1 2 |Wir39-2020 Aktionstag am 20. Februar fanden Aktio- ihre Lage wird dazu führen, dass sie die zu nen in Hunderten von Städten und Ge- erwartenden weiteren Angriffe aufihren meinden statt. Das Bewusstsein großer Lebensstandard auch künftig nicht wider- Teile der arbeitenden Bevölkerung über standslos hinnehmen werden.

Die CoViD-19-Seuche verhinderte im März weitere Proteste. Immerhin, Präsident Macron verfügte mit den Ausgangssperren auch politisch eine Atempause: Die Rentenreform wurde vorläufig aufEis gelegt.

Und bei uns in Deutschland?

In Deutschland fand mit der Renten“re- einzelner Verbesserungen in ihrer form“ 2001 der Einstieg in die Privatisie- Summe zu zunehmender Altersarmut rung der Altersvorsorge statt – verbunden führen. Um die wichtigsten zu nennen: mit einer Senkung der gesetzlichen Rente. Das damals propagierte und bis heute ■ Umstellung der Rentenanpassung von gültige „3-Säulen-Modell“ aus gesetzli- Bruttolöhnen auf Nettolöhne cher, betrieblicher und privater Altersvor- ■ Anhebungen der Altersgrenzen in sorge (mit staatlichen Zuschüssen für mehreren Schritten bis auf67 Jahre, Riester- und Rürup-Rente) bedeutete die für Schwerbehinderte auf63 Jahre Abkehr vom seit Jahrzehnten bewährten ■ Senkung bei Hinterbliebenen- und Umlageverfahren, bei dem die jeweils Witwenrenten jüngere Generation die Rente der Älteren ■ volle Pflege- und Krankenversiche- erwirtschaftet. DGB-Bundesvorstands- rungsbeiträge mitglied Annelie Buntenbach 2017 dazu ■ Absenkung des Rentenniveaus im Interview mit dem Infomagazin Senio- ■ stetig steigende Versteuerung der renbedarf: „Das Umlageverfahren ist Renten nicht nur sinnvoll, es ist sogar die verläss- lichste und solidarischste Form der Al- Mit einigen Reformen in den letzten Jah- terssicherung. Durch die private ren, z.B. besserer Anerkennung von Erzie- Altersvorsorge ist die Rente weder billiger hungszeiten, Rente mit 63 für langjährig oder sicherer geworden. Die Kosten wur- Versicherte oder Verbesserungen für den lediglich von den Arbeitgebern auf Mini-Jobber*innen versucht die Regie- die Beschäftigten verlagert. Und der de- rung einige Schieflagen abzumildern. Zu- mographische Wandel ist nicht neu, es letzt hat die Große Koalition auch eine gibt ihn schon seit ungefähr 150 Jahren. Grundrente für bestimmte Versicherten- Trotzdem konnten wir uns einen besseren gruppen beschlossen, aber keine Grund- und gerechteren Sozialstaat leisten.“ rente für alle. Unstetig Beschäftigte bleiben erneut außen vor. Während früher Unternehmen und Be- schäftigte zu gleichen Teilen die Renten- Auch in Deutschland hat es gewerkschaft- beiträge entrichteten, zahlen seit der liche Warnungen und Proteste, z.B. gegen Reform 2001die Unternehmen nur noch den Einstieg in die Privatisierung und 9,3 %, die Beschäftigten mit der Riester- später die Rente mit 67 Jahren gegeben. Zusatzversicherung 13,3 %. Dazu tragen Eine machtvolle Mobilisierung und Auf- letztere auch noch das Risiko von Kurs- klärung der Betroffenen oder gar Streiks verlusten. Zwischen 1992 und heute hat es wie in Frankreich hat es allerdings nicht zwölfRentenreformen gegeben, die trotz gegeben. Wir39-2020| 1 3 DerTäterist aus der HanauMitte der Gesellschaft

Der Hanauer Terrorist ist keine Rander- durchsetzen und damit die SPD/Grüne Orhan Çalışır scheinung, er kommt aus der Mitte der Mehrheit im Bundesrat kippen. Gesellschaft. Er ist ein Produkt der jahr- zehntelangen rassistischen Diskursbil- Seit den 1970er Jahren gibt es in Deutsch- dung durch Politik und Medien. Ein land rassistische Kampagnen bei den Produkt der Dämonisierung des Anderen. Wahlen. Parallel dazu entsprechende Be- richterstattung in den Medien - nicht nur 1998/1999 initiierten in der Boulevardpresse, sondern in allen und Wolfgang Schäuble eine Kampagne großen Zeitungen und öffentlich-rechtli- gegen die Reform der deutschen Staats- chen Anstalten. bürgerschaft. Die Kampagne richtete sich eigentlich gegen die Türk*innen, die sich Als 1989 zum „hundertsten Geburtstag einbürgern lassen konnten und gegen des Führers“ die Neonazis Flugblätter ver- deren hier geborene Kinder, die durch die teilten und den „Kanaken“ mit einer Geburt automatisch die deutsche Staats- „zweiten Kristallnacht“ drohten, gab es bürgerschaft bekommen sollten. kaum politische Empörung und entspre- chende Maßnahmen gegen die Neonazis, Besonders aggressiv wurde die Kampagne sondern lediglich einen Aufruf, dass die von geführt, der damals „ausländischen Mitbürger“ ihre Kinder an CDU-Kandidat für den Posten des hessi- dem Tag zu Hause lassen sollen. schen Ministerpräsidenten war. Beim Landtagswahlkampfim Frühjahr 1999 Nach dem Mauerfall 1989 gab es eine wurden an den CDU-Informationsstän- qualitative und quantitative Steigerung den Unterschriftenlisten ausgelegt. In des Rassismus. Vor allem der antitürki- manchen Orten wurden diese Infotische sche und der antimuslimische Rassismus fast überrannt, weil viele „gegen die Tür- wurde in den Massenmedien immer wie- ken“ unterschreiben wollten, wie es in den der produziert und reproduziert. Schon Presseberichten hieß. Mit Hilfe dieser vor der Verbreitung des Internet wurden Kampagne konnte Roland Koch sich entsprechende (Feind-) Bilder in Medien gegen den SPD-Kandidaten geschaffen und verbreitet.

Wer kann sich an einen türkischen oder muslimischen Mann im Fernsehen erin- nern, der einfach neutral / normal war, geschweige denn gut? Vor allem in Talk- Shows konstruierte man die Feinde. Die Protagonisten des rassistischen Diskurses wie Sarrazin und Broder, um nur zwei zu nennen, wurden von Programm zu Pro- gramm weitergereicht. Wenn das nicht genug war, schoben Redaktionen und Po- litiker die „Hofkanak*innen“ wie Kelek, Abdel Samed, Çileli u.a. aufdie Bühne. Sie sagten dann das, was man selber nicht sagen konnte, aber gerne hören wollte.

Die NSU-Morde wurden von der gesam- ten Presse als „Döner-Morde“ bezeichnet. Genauso wie die Sicherheitsbehörden ar- beiteten viele Medien an der Verdunke- lung der Morde statt zu versuchen, zur Aufklärung beizutragen. Der investigative Journalismus, womit man sich selbst 1 4 |Wir39-2020 Der Spiegel, Heft8/2011. Auch das vermeintliche Flagschiffdes deutschen Journalismus wähnte die Täter überall, nur nicht im Nazi-Untergrund.

immer lobte, war kaum zu sehen. Statt- men ihren Lauf. Die faktische fast Straf- dessen sah der Spiegel eine „düstere Par- freiheit für die Täter und vor allem für die allelwelt“ bei den Türken, und Bayerns Hintermänner ermutigt potenzielle Täter. Innenminister Günther Beckstein setzte Und wenn die Täter mal gefasst werden, einen Preis aus, nicht um die Täter zu fin- sind es immer Einzeltäter, die nach offizi- den, sondern um das vermeintliche eller Lesart unorganisiert und geistig ver- „Schweigen der Türken“ zu brechen. wirrt sind. Und wenn es zum Prozess kommt, dann gibt es in den Medien in der Wersolluns vorden Regel eine Täter-Auseinandersetzung. Die Sicherheitsbehörden schützen? Opfer sind nur noch Objekte, über sie redet man kaum. Die NSU-Selbstenttarnung (oder war es anders?) hat vieles um die Mordbande ins Eine Täterauseinandersetzung im Fall Tageslicht gebracht. Aber auch vieles Hanau ist uns nur deshalb erspart geblie- nicht, weil staatliche Stellen es verhin- ben, weil der Rechtsterrorist nicht mehr dern. Genauso wie sie dabei halfen, den am Leben ist. Sonst hätten wir, wie bei Rahmen für die Morde zu setzen, verei- dem NSU-Mitglied Beate Zschäpe, vieles teln sie heute noch die komplette Aufklä- über ihn erfahren: seine Hobbys, wo er rung dieses Verbrechens. Wie entschieden Urlaub macht, welche Tiere er mag. Und sie hier vorgehen, kann man an dem seine Tat hätten manche wegen dessen Schicksal des Ermittlers Mario Melzer* im psychischen Problemen als eine Art Hilfe- NSU-Komplex plastisch sehen. Er war ruf interpretiert. wohl einer der Wenigen, die ihren Job richtig machen wollten. Diese rassistischen Mörder kommen nicht von einem anderen Planeten, sondern aus Nach fast jeder Tat, wo die Täter (noch) der Mitte der Gesellschaft. Sie werden - nicht aufgetaucht waren, erklärten die Po- zynisch gesagt - in dieser Gesellschaft litiker schon am Tatort, dass es sich nicht oder von dieser Gesellschaft gezüchtet, um eine politische Tat handele, so wie indem man den Boden für solche Täter nach dem Anschlag in der Keupstrasse in und Taten vorbereitet. Indem man dem Köln am 9. Juni 2004. Der damalige Bun- rassistischen Gedankengut in der Politik, desinnenminister war einen in den Medien und letztlich in der Gesell- Tag nach dem Attentat vor Ort und sagte, schaft nichts entgegenstellt, sondern es die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden gedeihen lässt. deuteten nicht auf einen terroristischen Hintergrund hin, „sondern aufein krimi- nelles Milieu“. Daraufhin wurden, wie bei *) Zum Fall Mario Melzer wurde vor den anderen NSU-Morden, die Opfer zu kurzem eine gute Reportage veröffent- Verdächtigen gemacht und die Schikanen licht: Der Fall seines Lebens, Zeit- der Sicherheitsbehörden gegen sie nah- Magazin Nr. 8/2020, 13. Februar 2020 Wir39-2020| 1 5 „Ich bin bis heute Mitglied und dasbleibeich auch bis an mein Ende“

Unter dem Titel „Mehr als die Frau des Bürgermeisters“brachte die letzte WIR den ersten Teil eines Gesprächs mit Christine Koschnick. Darin ging es um ihre Kinder- und Jugendjahre. Der Artikel endete mit folgendem Zitat:

Reiner Meissner Christine: „Im März 1947 habe ich dann Christine: „Durch meinen Vater, der be- mein Abitur gemacht. Ich wollte Sozial- reits Kontakte zu den Gewerkschaften ge- Udo Schapals und Staatswissenschaften studieren. Ich funden hatte, wurde ich gefragt, ob nicht hatte den Schein, das Abitur in der Ta- auch gewerkschaftliche Arbeit meinen In- sche, und was nun? teressen entsiprechen würde. Das notwen- dige Rüstzeug könnte vorher durch Die Städte mit ihren Universitäten lagen Lehrgänge und praktische Arbeit vermit- noch weitgehend in Trümmern. Studien- telt werden. Ich war interessiert und plätze waren rar. Da kam der Zufall zur wurde Anfang 1948 ÖTV-Mitglied und Hilfe. erhielt Gelegenheit, in Krefeld, damals Sitz des Hauptvorstandes der ÖTV – die Gewerkschaften waren noch aufZonen- basis organisiert – , einen Lehrgang für sogenannte Jungsekretäre zu besuchen.“

Unterrichtet wurde an der Michael-Rott- Schule u.a. die Geschichte der Arbeiterbe- wegung, Themen waren die Ziele der Ge- werkschaften, das Tarif-und Arbeitsrecht und Organisationsfragen. Um weitere praktische Erfahrungen zu sammeln, er- folgte ein Einsatz von Christine in einer großen Krankenanstalt und in der Orts- bzw. Bezirksverwaltung der ÖTV in Hamburg.

Christine: „Durch den Kontakt mit älte- ren Kollegen erfuhr ich dazu viel über die politischen und gewerkschaftlichen Ver- hältnisse während der Weimarer Repu- blik. Auch darüber, dass der ADGB hinsichtlich der NS-Regierung die Situati- on offensichtlich völlig verkannt hatte: Der 1. Mai 1933 wurde durch die Nazis zum „Feiertag der nationalen Arbeit er- hoben. Am 2. Mai wurden die Gewerk- schaften zerschlagen. Ihr Vermögen floss in die nationalsozialistische Arbeitsfront.“

So begann also im Laufe des Jahres 1948, nicht ganz unvorbereitet, Christines Ar- beit bei der Bezirksverwaltung der ÖTV Niedersachsen in Hannover als Gewerk- schaftssekretärin.

Christine: „Für mich war der Bereich Ju- Mit Stempel und gend und Frauen vorgesehen, wenn es Unterschriftbescheinigt: auch zunächst mehr „learning by doing“ Weiterbildung bei der ÖTV anno 1948. war. Damals waren in der ÖTV auch Poli- zei, Post und Eisenbahn organisiert. Die 1 6 |Wir39-2020 ÖTV brachte die öffentlichen Verwaltun- gen, das Gesundheitswesen und das Hafen-, Transport und Verkehrswesen ein. In allen Bereichen waren Jugendliche beschäftigt, die galt es für die Gewerk- schaft zu interessieren.“

Erste Kontakte waren meistens über die Personal-und Betriebsräte möglich. Wichtig waren für die gewerkschaftliche Jugendarbeit die Jugendsprecher. Durch sie waren meist die Probleme der Jugend- lichen in den Betrieben und Verwaltun- gen zu erfahren. Aufregelmäßigen Sitzungen wurden die Vorstellungen be- sprochen und an die Ortsverwaltungen weitergegeben. Vermittelt wurden aber auch allgemeine aktuelle Gewerkschafts- fragen, wie zu den Lehrlingsvergütungen, zu Fragen des Jugendschutzes und zu Ausbildungsvorschriften. Auch Möglich- keiten von Freizeit und Erholung wurden behandelt. Eine Zusammenarbeit mit dem DGB erfolgte nach Bedarf.

Christine: „Es gab also eine Menge Rüst- zeug für die praktische Arbeit darzustel- len. Wir organisierten auch Sommer- und Winterlager. Die ÖTV besaß z.B. eine Im- mobilie im Harz, genannt „Siegfried- Hütte“. Alles sehr einfach und im Kriege verwohnt. Aber das machte damals nicht viel aus. Es fanden sich genug Skier, so dass wir unter Anleitung eines Skilehrers Kurse veranstalten konnten. Um dazu Mittel vom Land zu bekommen, mussten wir stets ein Schulungsprogramm vorle- gen und die Referenten nachweisen. Die Themen richteten sich nach den gewerk- schaftlichen Zielvorstellungen.“

Nach dem Vereinigungsverbandstag der ÖTV im Januar 1949 gab es in allen Be- zirken hauptamtliche Jugendsekretäre, die sich einmal monatlich in Stuttgart trafen, um die weitere Arbeit zu planen. Überall waren es männliche Kollegen, Christine war die einzige Frau. Sie war auch für den DGB im Vorstand des Deutschen Bundes- jugendringes. 1953 nahm Christine an einer Studienreise nach England und 1954 an einem internationalen Treffen mit Ge- werkschaftern aus Skandinavien, Holland und Österreich in Wien teil.

Christine: „Vorher hatte ich schon an einem Grenzlandjugendtreffen teilge- Das große „E“aufder Fahne, als an die nommen. Da trafen sich junge Gewerk- europäische Union noch gar nicht zu schaftler aus Deutschland und den denken war. Beneluxländern an der deutsch-belgi- schen Grenze. Wir führten eine Europa- Wir39-2020| 1 7 weitgehend unter den Folgen des Krieges. Besonders das Leben der Frauen war dadurch stark beeinflusst. So war es nicht ein- fach, sie auch noch für gewerk- schaftliche Arbeit zu gewinnen. Mit der sich langsam verbes- sernden allgemeinen Lebenssi- tuation waren auch die Frauen für die Gewerkschaften zu inter- essieren. Wir konnten Frauen- ausschüsse bilden und Frauenkonferenzen durchfüh- ren. Im Mittelpunkt der Arbeit standen die Fragen um den Mut- terschutz und um den Hausar- beitstag für Frauen, denn noch gab es keinen freien Sonnabend. Besonders wichtig waren aber damals schon die Forderungen Christine Koschnick war mit Leib und Seele in ihrer Gewerkschaftaktiv, wo sie auch nach Aufstiegschancen und nach dem gleichen Lohn bei gleicher ihren späteren Mann kennen lernte: „Die Zusammenarbeit mit Hans war zunächst Arbeit. Da war manchmal auch nicht sehr erfreulich.“ Überzeugungsarbeit bei Kolle- gen erforderlich.“ Fahne mit uns. Sie zeigte ein großes grü- nes E. Uns erfüllte schon damals die Idee Begegnung mitHans Koschnick von einem vereinten Europa.“ Die ÖTV Niedersachsen war in die Bezir- Außer um die Jugendarbeit hatte sich ke Hannover und Weser-Ems mit Sitz in Christine um die Frauenarbeit der ÖTV Bremen aufgeteilt. im Bezirk Niedersachsen/Hannover zu kümmern. Christine: „Eines Tages sagte der Bundes- jugendsekretär der ÖTV zu mir: „Wir Christine: „Zunächst beschäftigte ich brauchen auch für Weser-Ems einen Ju- mich mit der Geschichte der Frau- gend- und Beamtensekretär. Inzwischen enemanzipation und verschaffte mir haben wir einen jungen und geeigneten Kenntnisse über die Lage der Frauen im Beamten in Aussicht.“ Ich fand das keine Allgemeinen. Die Zeit, in der wir uns da- gute Idee. Einen Beamten als Jugendse- mals befanden (z. B. 1948 war gerade die kretär? Seine Anstellung konnte ich Währungsreform gewesen!) stand noch jedoch nicht verhindern. Die Zusammen- IMPRESSUM DieZeitung wird gefördertdurch EVG Bremen,GEW REDAKTION Bremen,IG Metall Bremen,NGG Bremen und ver.di Wolfgang Bielenberg (GEW), Gerd Bohling, Bremen. Überweitere Mitarbeiter*innen würden wir UdoHannemann,HugoKöser,HermannWilkening unsfreuen.Kritikund Anregungen sind unsimmer (IGM), Cornelia Förster-Bonomo,Wolfgang Schröder willkommen. (NGG),Willi Derbogen,Marita Froese-Sarimun, MarleneHenrici,Traudel Kassel,Bernd Krause, HERAUSGEBER &KONTAKT ReinerMeissner, MargotMüller, GüntherWesemann, Arbeitskreis DGB-Senior*innen Bremen ManfredWeule, BrigitteWilkening, HolgerZantopp c/oGerd Bohling,DGB-HausBremen (ver.di) Bahnhofsplatz22–28,28195 Bremen E-Mail [email protected] V.i.S.d.P. JensTanneberg DRUCK Bildungsvereinigung Arbeitund Leben Wirmachen Druck Tel.0421 /9608912

FrühereWIR-Ausgaben unter>>> https://www.aulbremen.de/index.php?key_nav=002-003-006

1 8 |Wir39-2020 Familie Koschnick am 7. Oktober 1979 bei der Wahl zur Bürgerschaft. Ihre Partei war damals mit 49,7 Prozent noch mit großem Abstand die Nr. 1 in Bremen.

arbeit mit Hans war zunächst nicht sehr Es ist mir schwer gefallen, aber es ging erfreulich.“ nicht anders. Der Junge musste versorgt werden. Kindergärten gab es nur wenige Aufeinem gewerkschaftlichen Jugend- und außerdem wollte ich mein Kind selbst lehrgang kam es dann doch zu einer An- erziehen.“ näherung. Durch die politischen Funktionen, in die Christine: „Wir fanden Gelegenheit, län- Hans Koschnick im Laufe der Zeit hinein- ger miteinander zu reden, und stellten wuchs, ergab sich für Christine ein weites fest, dass wir eine ganze Menge gemeinsa- Feld ehrenamtlicher Betätigung. Nur eini- mer Interessen und Vorstellungen hatten. ge Beispiele: Es wurde erwartet, dem Pro- Und dann nahm das eben seinen Lauf.“ tokoll der Stadt bei verschiedenen Anlässen zur Verfügung zu stehen. Eben- Im Jahr 1954 heirateten Christine Risse so war es selbstverständlich, sich für die und Hans Koschnick. Die Ehe sollte über Arbeit von Vereinen und Organisationen 60 Jahre halten. zu interessieren und tätig zu werden. Christine war z.B. Mitglied im Vorstand Hans Koschnick war nach seiner Ausbil- der Freunde des Focke-Museums. Bremen dung für den gehobenen Verwaltungs- hatte eine Patenschaft mit der Fregatte dienst zwischen 1951 und 1954 als Bremen abgeschlossen. Durch die Mit- Jugend-und Beamtensekretär für die ÖTV gliedschaft in einem Freundeskreis unter- in Bremen tätig. Nach Meinungsverschie- stützte sie den zivilen Kontakt mit den denheiten mit dem ÖTV-Vorsitzenden Soldaten, den Bürgern in Uniform. Beein- Adolph Kummernus ging Hans in den druckt war sie stets von der Mitarbeit im bremischen öffentlichen Dienst zurück. Kuratorium der Bremer Krebsgesellschaft. Freundschaftlich war die Verbindung zum Christine: „ Inzwischen hatten wir unse- Deutschen Hausfrauenbund. Besonders ren Wohnsitz nach Bremen verlegt. Die wichtig war für sie die Arbeit in der ÖTV ermöglichte es mir, von dort aus Deutsch-Polnischen Gesellschaft, zu meine Arbeit zu tun. Hans war inzwi- deren Gründungsmitgliedern sie gehörte. schen auch Mitglied der bremischen Bür- gerschaft geworden, ich seit 1954 Mitglied Christine: „Alles in allem waren meine der SPD. 1957 wurde unser Sohn geboren. Tätigkeiten ein Versuch, nach den Erfah- Ich schied deshalb Ende des Jahres nach rungen der Kindheit und Jugend einen 10 Jahren hauptamtlicher Tätigkeit bei der Beitrag zu leisten, um Wege in eine neue, ÖTV aus. friedliche und freie Zukunft zu finden.“ Wir39-2020| 1 9 ZWISCHENRUF Unsere Frauen – ein echter GlücksfallderGeschichte!

Wolfgang Schröder Sagt selbst ihr Männer: Was wären wir Frauen bekommen im Schnitt 21 Pro- ohne unsere Frauen? Stimmt – wir zent weniger als die Männer! Das hat wären ohne sie gar nicht erst geboren das Statistische Bundesamt aufder worden! Na gut, ein klein wenig tragen Basis von fast zwei Millionen sozialver- wir Männer hinsichtlich der Fortpflan- sicherten Beschäftigten aus allen Bran- zungder Menschheit immerhin ja auch chen und Berufen errechnet. Man nennt noch bei ... diese Lücke beim Lohn zwischen Män- nern und Frauen offiziell „Gender Pay Und was haben die Frauen im Laufe Gap". Das erinnertmich so an die Hin- der Geschichte nicht sonst noch alles weisschilder in englischen Bahnhöfen geleistet! Und leisten es noch heute! mit dem Text „Mind the Gap!" Was frei Nein, ich rede jetzt nicht von der wahr- übersetzt ja „Vorsicht an der Bahnsteig- haftanstrengenden Arbeit als haus- kante" heißt. haltsführende Erzieherin der Kinder. Ich meine die Arbeitin den Büros und Diese Einkommenslücke zwischen den Fabriken, in vielen Kaufhäusern und Geschlechtern muss dringend geschlos- Verkehrsbetrieben, in Bankhäusern und sen werden, denn sie stellt eine eklatan- Versicherungen, in Restaurants, Hotels te Entgeltdiskriminierung dar! Man und Gaststätten, in denen jede Menge könnte sogar aufgrund dieser Zahl ver- Frauen ja Schulter an Schulter mit den muten, dass zahlreiche Arbeitgeber Männern arbeiten. Frauen systematisch und absichtlich weniger bezahlen als vielen Männern in Doch was ist in so einem Falle mit Geld, absolut vergleichbaren Positionen und mit der Bezahlung? Was ist mit dem Berufen. Slogan „Gleicher Lohn für gleiche Ar- beit!" Ich nehme mal folgenden Fall an: Was würden unsere Mütter und auch Männlein und Weiblein, beide 20 Jahre Großmütter wohl zu dieser Ungerech- alt, stehen als gerade neu eingestellte tigkeit sagen? Im Zweiten Weltkrieg, Kräfte in der Packerei eines Industrie- dessen Ende in Europa am 8. Mai 1945 unternehmens – sagen wir mal einer sich in diesem Jahr zum 75. Male jährt, Keksfabrik – nebeneinander, füllen die haben sie zwar alle ja ihren „Mann" Packmaschine während der laufenden gestanden. Aber was hat es denn Produktion auf, beseitigen Fehler ... gebracht? Noch heute werden unsere Was glaubt ihr, wie viel der Mann an starken Frauen in Sachen Lohn diskri- Stundenlohn bekommt und wie viel die miniert! Das muss jetzt umgehend Frau? Ich kann es euch sagen: Die geändert werden!!!

20 |Wir39-2020 Mit dir. Füralle. Gegen soziale Kälte.

Der Sozialverband Deutschland SoVD

Seit mittlerweile mehr als 100 Jahren ver- tisch auch Mitglieder des tritt der Sozialverband Deutschland SoVD. Es ist gut, dass die Ju- (SoVD) e.V. die sozialpolitischen Interes- gend dabei ist, damit auch sen der gesetzlich Sozialversicherten, dort die Ziele des Verbandes Rentnerinnen und Rentner sowie behin- gelebt werden! derter, kranker und pflegebedürftiger Menschen, die soziale Unsicherheit und Weitere Leistungen des Ungerechtigkeit erleben. SoVD für seine Mitglieder

1917 wurde er als "Bund der Kriegsteil- Es werden eigene Berufsbil- nehmer und Kriegsbeschädigten" in Ber- dungswerke für behinderte lin gegründet. Die Entwicklung vom Menschen und Gesellschaften Kriegsopferverband Reichsbund zum mo- unterhalten, z.B. das Berufs- dernen Sozialverband prägt die Arbeit bis bildungswerk Bremen an der GastautorJoachim Jung in die heutige Zeit. Aufbruch und Wandel Universitätsallee. ziehen sich stringent durch die Verbands- geschichte. Ganz im Sinne von Theodor Den Mitgliedern stehen weitgehend bar- Heuss, "Nur wer weiß, woher er kommt, rierefreie Erholungszentren bzw. Hotels in weiß, wohin er geht." Berlin und Büsum in reizvoller Umge- bung zur Verfügung. Dort besteht die Der SoVD begleitet die Entwicklung un- Möglichkeit zu günstigen Konditionen seres Sozialsystems kritisch, aber immer Kuren und Urlaub zu machen. Die Orts- konstruktiv. Die fachpolitische Kompe- und Kreisverbände organisieren vor Ort tenz sorgt nicht nur dafür, dass immer ein vielseitiges Freizeitprogramm. Tages- mehr Menschen beim Sozialverband Un- ausflüge und Urlaubsreisen, Kaffeenach- terstützung suchen, sondern bewirkt mittage, Informationsveranstaltungen auch, dass er kompetenter Ansprechpart- oder Tanz- und Kegelabende sorgen für ner für Politik und Verwaltung aufBun- Abwechslung. des- und Landesebene ist. Er ist gemeinnützig und parteipolitisch unab- Im Land Bremen sind 12.600 Mitglieder, hängig. Ehrenamtlich sowie hauptamtlich davon 6.300 in der Stadt Bremen, organi- Aktive gestalten und prägen den Verband siert. Dieser Landesverband bietet auch aufallen Ebenen partnerschaftlich. Die Warmwasser-Gymnastik im Berufsbil- Mitglieder bilden generationsübergrei- dungswerk Bremen an. Der aktuelle Mo- fend eine starke Gemeinschaft nach dem natsbeitrag beträgt 6,90 €. Es sind jedoch Motto „Gemeinsam statt einsam“. auch günstige Partner- (10,40 €) und Fa- milienbeiträge (11,50 €) möglich. Der Sozialverband hat zwölfLandesver- bände, Sitz der Bundesgeschäftsstelle ist in „Mit dir. Für alle. Gegen soziale Kälte.” Berlin. Für die qualifizierte Beratung und Vertretung in sozialrechtlichen Fragen, In der Öffentlichkeit engagiert sich der z.B. Sozialhilfe, Behinderung, Rente, Sozialverband mit eigenen sozialpoliti- Hartz IV, steht den bundesweit über schen Konzepten und Forderungen, ent- 600.000 Mitgliedern ein dichtes Netz an wickelt auch eigene Lösungsmodelle. Beratungsstellen zur Verfügung. In den 2.000 Ortsverbänden engagieren sich Aktuell engagiert sich der SoVD in ganz 20.000 ehrenamtlich Aktive. Deutschland mit der Kampagne „Mit dir. Für alle. Gegen soziale Kälte.” für mehr Für Nachwuchs ist auch gesorgt. Seit 1971 soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft. gibt es die INTEG-Jugend (INTEGration) im Sozialverband Reichsbund e.V., die In Bremen wird dazu eine Aktion am zurzeit 18.000 Mitglieder umfasst. Diese Freitag, 12.06.2020, aufdem Bremer sind bis zum Alter von 27 Jahren automa- Marktplatz veranstaltet. Wir39-2020| 21 Gleichberechtigung: Es ist auch ein Aus- druck von sozialer Kälte, dass Frauen immer noch nicht gleichberechtigt sind: Frauen verdienen im Durchschnitt immer noch 21% weniger als Männer.

Der SoVD engagiert sich als Gegenpol zur sozialen Kälte: ▶ Er wirkt an einer sozialeren Politik und einer sozialeren Gesetzgebung mit. ▶ Er setzt sich dafür ein, soziale Miss- stände in der Gesellschaft aufzuheben. ▶ Er wirkt mit seiner Gemeinschaft gegen Vereinsamung.

Auch im Bereich der sozialen Medien ist SoVD-Vertreter Claus der SoVD stark vertreten. Über die Inter- netseite www.sovd.de sind alle Informa- Möhle (li.) bei einem Beispiele für soziale Kälte gibt es einige: tionen rund um die Uhr verfügbar. Die Meeting der Bremer Einsamkeit: Soziale Ausgrenzung ist nicht Onlinekommunikation über Facebook, verd.i-Senior*innen. sicht- und hörbar. Viele ältere und pflege- Twitter, Instagram oder SoVD-TV (You- bedürftige Menschen sind vom gesell- Tube) hat sich in den letzten Jahren sehr schaftlichen Leben abgehängt. positiv entwickelt. Als digitales Produkt Ehrenamtliches Engagement wird dort publiziert der Verband regelmäßig ein immer wichtiger. So liegt zum Beispiel Online-Magazin. Selbstverständlich gibt bei der Kranken- und Pflegeversicherung es auch noch die monatlich erscheinende sehr viel im Argen. Um sie zukunftsfest zu gedruckte Mitglieder-Zeitung "Soziales im gestalten und viele Menschen zu entlas- Blick", in der über die Anliegen des SoVD ten, ist eine Pflegevollversicherung erfor- und das Verbandsleben berichtet wird. derlich. Für den SoVD stellt sich auch die Frage, Altersarmut und Rente: Seit Jahren nimmt ob neben dem überragenden Thema Kli- die Altersarmut zu – Bezieher von mawandel auch die Sozial- und Senioren- Grundsicherung im Alter und bei Er- politik weiter eine Rolle spielen wird? Bei werbsminderung: 12/2003 etwa 260.000 aller Dramatik, die für die Zukunft aufer- Personen; 12/2018 etwa 560.000 Personen. legt wird – ein würdevolles Leben sollte Es gibt grundsätzlich drei Ansatzmöglich- jedem zugestanden werden. Das kann und keiten, um der Altersarmut wirksam zu muss unsere Gesellschaft auch leisten. Die begegnen und eine ordentliche Rente auf- Leitplanken sind Soziale Gerechtigkeit, zubauen. Erstens: Die Gehälter im Ar- Bildungsgerechtigkeit und Chancen- beitsleben müssen so sein, dass davon gleichheit, an denen der SoVD nicht nur eine gute gesetzliche Rente aufgebaut wer- festhalten, sondern die er einfordern wird. den kann. Zweitens: Das Rentenniveau Ansichten und Ideen dazu werden einge- muss bei mindestens 50 Prozent stabili- bracht. siert und schnell wieder aufdas lebens- standardsichernde Niveau von 53 Prozent Zur Verwirklichung gemeinsamer sozial- angehoben werden. Rentenabschläge darf und gesellschaftspolitischer Ziele und öf- es nicht mehr geben. Drittens: Die Aus- fentlich wirksamer Aktionen muss sich gleichselemente für beitragsfreie bzw. - der Sozialverband aus meiner Sicht mit geminderte Zeiten müssen wieder einge- dem DGB, den einzelnen Gewerkschaften führt werden. und Sozialverbänden noch mehr austau- schen. Eine Grundrente ist jetzt aufden Weg ge- bracht. Allerdings wird sie den Anstieg Der Sozialverband wird sich einmischen: der Altersarmut nicht stoppen, weil viele DGB, seine Einzelgewerkschaften und der Menschen die notwendigen 33 oder 35 SoVD Seite an Seite. Gemeinsam kann Jahre Beitragszeiten nicht erfüllen kön- dadurch mehr für die Schwächeren in un- nen. Es wird weiterhin aufGewerkschaf- serer Gesellschaft bewegt werden!! ten, Sozialverbände und andere wesentliche Player ankommen und dar- KONTAKT auf, welcher Druck gemacht wird. Es Sozialverband Deutschland kommt aufjeden von uns an! Öffentlich Breitenweg 10 - 12, 28195 Bremen, müssen wir uns gemeinsam für gesetzli- Tel.:0421/1638490 che Renten einsetzen, die den Lebensstan- [email protected] | www.sovd-hb.de dard sichern. 22 |Wir39-2020 AdA Antidiskriminierung in der Arbeitswelt

AdA setzt sich seit über 10 Jahren für dis- auch die institutionelle Ebene und die Aretta Mbaruk kriminierungsärmere Strukturen in Bre- strukturelle Dimension von Diskriminie- men ein. Als Projekt ist AdA bei Arbeit rung sichtbar zu machen. und Leben Bremen e.V. im Gewerk- schaftshaus angesiedelt und berät und Das juristische Verständnis definiert Dis- begleitet Menschen, die sich z. B. am Ar- kriminierung als eine Benachteiligung beits- oder Ausbildungsplatz diskrimi- von Menschen(gruppen) aufgrund eines niert fühlen. AdA bietet Schulungen und schützenswerten Merkmals ohne sachli- Infoformate zum Allgemeinen Gleichbe- che Rechtfertigung. Wenn also eine junge handlungsgesetz (AGG) an, berät Unter- Frau wegen ihres Kopftuches bei ihrer Be- nehmen und Betriebsrät*innen zu werbung als medizinische Fachangestellte innerbetrieblichen Beschwerdestellen und abgelehnt wird, ist das Diskriminierung. bietet Empowerment1)-Workshops an. Außerdem tritt AdA mit Veranstaltungen Diskriminierung kann uns in unter- wie z. B. Vorträgen und Fachtagen an die schiedlichen Lebensbereichen begegnen, Öffentlichkeit heran, um z. B. Fach- und z. B. am Arbeitsplatz, bei Behördengän- Führungskräften, Personaler*innen und gen, bei der Wohnungssuche oder in der Ausbilder*innen, betroffenen, solidari- Discothek. Auch die Gründe, weswegen schen und neugierigen Menschen die Menschen diskriminiert werden können, Möglichkeit des Austauschs und der Wei- variieren: z. B. aufgrund des Geschlechts, terbildung zu Themen wie Antidiskrimi- der Religion, der Herkunft, der Sprache, nierung, Rassismus, Sexismus, Integration des Aussehens, der sexuellen Orientie- und Teilhabe zu bieten. Ziel ist es hierbei rung, einer Behinderung, des Alters oder wegen des Aufenthaltsstatus. Manchmal 1) Empowerment (engl.) - Stärkung, Befähigung, werden Menschen auch wegen mehrerer Ermächtigung Gründe gleichzeitig diskriminiert – so Wir39-2020| 23 etwa werden Frauen mit Kopftuch nicht Religion oder Weltanschauung, einer Be- nur wegen ihrer Religion diskriminiert, hinderung, des Alters oder Ihrer sexuellen häufig spielt auch ihr migrantischer Hin- Identität oder wegen rassistischer Vorur- tergrund oder ihr Geschlecht eine Rolle. teile benachteiligt oder diskriminiert? Sind Sie sich nicht sicher, wie Sie vorge- Sich gegen Diskriminierung zu wehren ist hen sollen, um sich gegen Benachteiligung oft deshalb so schwer, weil Diskriminie- zu wehren und was Ihre nächsten Schritte rung immer eine Kränkung und eine In- sein könnten? Dann melden Sie sich bei fragestellung des Wertes einer Person ist, uns. Wir helfen Ihnen gerne, sich gegen unabhängig davon, ob die Diskriminie- Benachteiligung und Diskriminierung zu rung beabsichtigt war oder ob der diskri- wehren. minierenden Person die Kränkung bewusst ist oder nicht.

In der Antidiskriminierungsberatung bei Sprechzeiten AdA werden Personen beraten und unter- stützt, die Anfeindung, Ausgrenzung, se- Aufgrund der Ansteckungsgefahr mit xualisierte Belästigung, Ausschluss oder dem Coronavirus Covid-19 findet die Be- andere Formen der Benachteiligung er- ratung bei AdA bis aufWeiteres aus- fahren. Das kann in der Ausbildung, im schließlich telefonisch statt. Sie erreichen Bewerbungsprozess, am Arbeitsplatz oder uns Momtag bis Dommerstag von 10:00 – aufdem Weg in den Ruhestand gesche- 15:00 und Freitag von 10:00 – 13:00 Uhr. hen. Ein wichtiges Gesetz in der Beratung Sonst Montag bis Donnerstag von 9:00 bis ist das Allgemeine Gleichbehandlungsge- 16:00 Uhr, Freitag von 9:00 bis 13:00 Uhr. setz (AGG). Dieses relativ junge Gesetz verbietet Diskriminierung aufGrund eines zugeschriebenen Geschlechts, der Kontakt sexuellen Orientierung, der ethnischen Herkunft, des Alters, einer Behinderung Wenn Sie eine Beratung wünschen, neh- oder der Religion oder Weltanschauung. men Sie bitte telefonisch oder per E-Mail Das Gesetz ermöglicht Betroffenen auch mit uns Kontakt auf. die Option der Beschwerde und Klage (0421) 9608914 oder 9608919 - Fax: und verpflichtet Arbeitgeber zur Einrich- (0421) 9608920 tung und der Zugänglichkeit von innerbe- [email protected] trieblichen Beschwerdestellen. www.AdA-bremen.de www.facebook.com/AdABremen Die Beratungsangebote von AdA sind grundsätzlich kostenlos, vertraulich und Anschrift parteilich. AdA vermittelt auch Kontakte zu anderen Beratungsstellen, Rechtsan- Arbeit und Leben Bremen wält*innen, Gewerkschaften, Thera- DGB-Haus Bremen (5. Etage) peut*innen oder Selbsthilfegruppen. Bahnhofsplatz 22 – 28 28195 Bremen Werden Sie im Arbeitsumfeld wegen Ihrer ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der

24 |Wir39-2020 30 Jahre Mauerfallin Deutschland Die Zonengrenze muss weg !

Bremen hatFußgängerzonen, Parkzonen, Tarifgebiete undeine Zonengrenze …

Schon mit 18 Jahren habe ich meinen stufe S“ darfich nur in der „Zone 100“ Führerschein gemacht. Und der erste „Ge- fahren. Und natürlich in der „Zone 219“ Udo Hannemann brauchte“ wurde angeschafft. Das war da- (Lilienthal), weil ich die dazu gebucht mals so … Nun bin ich in einem Alter, da habe. Deshalb der Name „MiaPlus - ist es besser die „Öffentlichen Verkehrs- Preisstufe S“. Bremen Nord ist aber „Tarif- mittel“ zu nutzen. Bremen ist da ja ganz zone 101“. Und noch viel schlimmer: gut aufgestellt (… und in Zukunft soll es noch besser werden …) ▶ Die „Zonengrenze“ ist, wenn man mit der Eisenbahn fährt, am „BahnhofOs- AufAnraten meiner Frau haben wir uns lebshausen“!!! die „Mia-Plus-Karte“ der BSAG für Bre- ▶ Bei einer Fahrt mit dem Bus Ist die men gekauft. Und noch die Zusatzzone „Zonengrenze“ an der (219) bis Falkenberg dazugebucht. Das Haltestelle „Gröpelin- nennt sich dann „MiaPlus - Preisstufe S“ gen“ bzw. an der Halte- stelle „Ritterhuder Das war leicht erklärbar: An der Wümme, Heerstraße“! am „Borgfelder Landhaus“ (Linie 4, Hal- testelle „Truper-Deich“) ist Schluss mit Es gab einen Strafzettel – Bremen. In Lilienthal gilt die „Zone 219“. 60 € waren fällig. Umge- Mit der „Mia-Plus“ kann ich in ganz Bre- rechnet für mich etwa die men und nach 19:00 Uhr, an Sams- Rentenerhöhung für 2 Mo- tag/Sonntag und an Feiertagen sowie an nate !!! Richtige wäre ge- Heiligabend und Silvester mit Frau Kind wesen, ich hätte für meine und Hund im gesamten BSAG Netz fah- „MIAPlus -Preisstufe S“ ren. Der sonst erforderliche „Nachtzu- schlag“ war (bis Ende 2019) auch bereits A) für3,50 €ein„An- enthalten. Das hat mir sehr gefallen. schlussticket für Mia“ kau- fen müssen, das dann ab Seitdem nutze ich die Mia und fahre in BahnhofOslebshausen das Bremen, ohne mir darüber Gedanken zu Fahren in Bremen Nord machen, ob ich schon „abgestempelt“ ermöglicht, oder habe. Die BSAG bucht monatlich ab und B) für 2,85 € ein Einzel- ich habe ein gutes Gewissen. ticket kaufen müssen, dass dann sowohl in der „Tarif- Und nun dies: Ausnahmsweise musste ich zone 100 und 101“ Gültig- nach Vegesack. Eine kleine Weltreise. Erst keit hat.(Ersparnis also mit der Bahn zum Bahnhof. Dort in den immerhin 0,70 €). Tja, Nahverkehrszug nach Vegesack und dann nicht gerade einfach zu noch drei Stationen mit dem Bus. Alle verstehen ... Fahrten in Bremen! Aber ich habe ja „MIA- Bremen“ gebucht. - Also kein Pro- Die Konsequenz, die ich blem - dachte ich. daraus gezogen habe:

Der Herr von der Fahrkartenkontrolle ▶ Ich habe mein „MiaPlus – Tarifzone S“ klärte mich auf: Mit der „MiaPlus - Preis- in eine einfache „MiaPlus“-Karte um- gewandelt und kann nun sorglos in Bremen und Bremen Nord fahren. ▶ Für einen Besuch in Lilienthal, fahre ich bis zur Haltestelle „Truper Deich“. Dort löse ich dann ein Einzelticket für die Weiterfahrt in Lilienthal.

Meine Forderung nach diesem Erlebnis: „Die Zonengrenze in Bremen muss weg!“

Ein genervter Rentner ... Wir39-2020| 25 Gastbeitrag Verkehrspolitik: Auf Irrwegen

Die Autoindustrie ignoriert das wagen lässt wissen, dass man die teuer - nicht allein für die Herstel- europäische Regelwerk für den Modellpalette im SUV-Segment ler, sondern vor allem für die Klimaschutz und verpasst zu- erweitern und den Anteil an den Steuerzahler. Denn dann muss kunftstaugliche Entwicklungen. Neuverkaufen von derzeit 30 auf Deutschland Emissionsrechte kau- Während dessen bleibt die Bun- 50 Prozent erhöhen möchte. Diese fen. desregierung ihrer Politik der Fahrzeuge werden voraussichtlich Fehlanreize treu. Geländewagen als Plug-In-Modelle aufden Markt In die richtige Richtung steuern und SUV lassen die Kassen der kommen - mit einer extern auflad- Konkrete Vorschläge für eine zu- Hersteller kräftig klingeln. In die- baren Batterie. Die Technik glänzt kunftsfähige Autopolitik haben die sem Segment erzielt die Autobran- mit niedrigen CO2-Angaben in DUH und andere Verbände längst che die höchsten Gewinnmargen. den Verkaufsprospekten. Im Fahr- erarbeitet. Die Kfz-Steuer muss so Entsprechend bringt sie immer betrieb wirkt sie sich hingegen mit gestaltet werden, dass sie Anreize mehr solcher übergroßen Modelle drastisch erhöhten Spritverbrau- für besonders emissionsarme aufden Markt - befördert mit mil- chen aus, wenn das Fahrzeug über- Fahrzeuge setzt; sinnvoll wäre liardenschweren Werbekampa- wiegend mit seinem ineffizienten zudem eine Zulassungssteuer, wie gnen. Verbrennungsmotor bewegt wird. sie in vielen europäischen Nach- barländern seit Jahren existiert. Mit dieser Strategie konterkariert Wohin lenkt die Politik? Dienstwagen mit hohem Kraft- die Autoindustrie das Klima- Die Bundesregierung agiert so, als stoffverbrauch dürfen keine Steu- schutzziel im Verkehrssektor: Ab hätte sie keine rechtlich bindenden ervorteile erhalten. 2020 verlangt eine europäische Vereinbarungen zum Klimaschutz Verordnung jedem Hersteller einen unterzeichnet, die auch den Ver- Das Instrument einer effektiven Durchschnittswert von 95 Gramm kehrssektor umfassen. Sie unter- CO2-Bepreisung von Kraftstoffen CO2 pro Kilometer für alle ver- stützt die Fehlentwicklung hin zu hat die Bundesregierung mit der kauften Neuwagen ab — zunächst größeren und schwereren Pkw. Be- Einführung eines "Emissionshan- für 95 Prozent der Flotte, im Fol- trügerische Angaben beim Sprit- dels" für den Sektor aus der Hand gejahr dann über die gesamte Flot- verbrauch verfolgt sie nicht. gegeben. Dieser wird kaum einen te. Doch nach einer aktuellen Diesbezügliche Messungen veran- Effekt zur CO2-Minderung im Studie, die der Dachverband lasst sie kaum; die spärlichen Er- Pkw-Bereich erzielen, denn er be- Transport & Environment beauf- gebnisse bleiben unter Verschluss. wirkt nur wenige Cent Preisauf- tragte, sind die Hersteller von den Vielmehr legt die Bundesregierung schlag an der Zapfsäule. Grenzwerten deutlich entfernt. neue Kaufprämien auch für Plug- In-Modelle auf. Die Dienstwagen- Es bleibt abzuwarten, mit welchen Klimaschutz, nein danke? besteuerung vergünstigt sie, ohne Tricks die Hersteller die bald fälli- Um die Ziele der Verordnung ein- Anforderungen an Effizienz oder gen Strafzahlungen umgehen wer- zuhalten und Strafzahlungen abzu- Höchstverbrauch zu stellen. den. Wir haben keinen Zweifel wenden, müssten die Hersteller daran, dass das Verkehrsministeri- ihre jahrelange Ankündigung ein- Die Klimaziele für 2020 hat um und das Kanzleramt der Auto- lösen und mehr Elektroautos auf Deutschland krachend verfehlt. industrie erneut mit Rat und Tat die Straßen bringen. Doch Volks- Wenn es so weitergeht, wird es zur Seite stehen. (ds, jk)

Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V. und Global Nature Fund, DUHwelt-Magazin 4/2019, Seite 21, Foto: DUH

26 |Wir39-2020 LESERBRIEFE

Liebe WIR-Redaktion, Liebe Leute von WIR, mit großem Interesse hatte ich die letzte finde das Heft 38 wieder SEHR gelungen Ausgabe, Nr. 38 eures Magazin gelesen. – alle Artikel hochaktuell, interessant und Besonders der Artikel von Reiner Meiss- informativ. Gut der Hinweis aufdie Aus- ner und Udo Schapals, „Mehr als die Frau stellung im DGB Haus, hätte man sonst des Bürgermeisters“ hat mir sehr gut ge- nicht gewusst. Dann der Text zum Ge- fallen. Schwelgte ich doch in Kindheitser- meinnützigkeitsskandal – prima! innerungen. Damals wohnte ich in Gröpelingen, Pastorenweg und war der Das schöne Interview mit Christine Spielgefährte von Hans Koschnick. Später Koschnick – es ist immer wieder beein- hatte ich dann seine politische Laufbahn druckend, Menschen zuzuhören, die verfolgt und war erfreut ihn so gut ge- „dabei“ waren. kannt zu haben. Gute und die richtigen heftig kritischen Auch die anderen Artikel haben mir gut Aspekte zum Klimaschutz! Zum Kohle- gefallen. Macht weiter so. Ich freue mich ausstieg: Sehr gut die Interessenlagen ge- schon aufdie nächste Ausgabe und somit zeigt, die hinter allem stehen und über die den zweiten Teil über Christine Koschnick sonst nicht gerne geredet wird.

Viele Grüße, Walter Voß Das hier aufdie Schnelle an euch!

Bremen, Januar 2020 Viele Grüße, Renate Richter

Leserzuschriften bitte an [email protected] TERMINE

Alle genannten Termine dergewerkschaftlichen Senior*innen-Gruppen stehen unterVorbehalt. Wann das Corona-bedingte Kontakt- undVersammlungsverbotaufgehoben werden kann, warbei Redaktionsschluss nichtabzusehen. ver.di IG Metall Bremen -Stadt jeden zweiten Donnerstag jeden ersten Mittwoch im Monat im Monatab 14:00Uhr ab 9:00 Uhr Tivoli-Saal (DGB-Haus) DGB-Haus

09. Juli14.00Uhr IG Metall Bremen-Nord MdB Sarah Ryglewski, parlamentarische jeden zweiten Mittwoch im Monat Staatssekretärin im Finanzministerium. ab 10:00 Uhr Arbeitnehmerkammer, 09. Sept. 15.00Uhr Lindenstr. 8 Besuch im Rathaus beim Bürgermeister Dr. , Präsident des IG Metall: Senats. Arbeitskreis Erwerbslose jeden dritten Donnerstag im NGG Monatab15Uhr ErsterMontag im Monat DGB-Haus ab 10:00 Uhr Tivoli-Saal (DGB-Haus) GEW jeden zweiten Dienstag im Monatab10:15Uhr Geschäftsstelle der GEW Bremen im DGB-Haus Wir39-2020| 27 „ Zum ersten Mal in der 130-jährigen Geschichte des Internationalen Tages der Arbeit werden die Gewerkschaften den 1. Mai nicht aufStraßen und Plätzen feiern und bundesweit zu Kundgebungen aufrufen. Die Solidarität, die die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus uns allen abverlangt, zwingt uns auch zu einer historisch einmaligen Entscheidung. Auch dieses Jahr steht der Tagder Arbeit für die Solidarität und das Füreinander-Einstehen der Beschäftigten. Solidarität heißt in diesem Jahr: Abstand halten.

Reiner Hoffmamn, DGB-Vorsitzender, 20. März 2020 “

Wir39-2020| 28