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SWR2 Musikstunde

„Maestro ohne Mythos“ Die junge, neue Dirigentengeneration

Teil 3: Emmanuelle Haim und Kristiina Poska

Von Ines Pasz

Sendung: Mittwoch, 12. März 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler

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Musikstunde: „Maestro ohne Mythos“ Die neue Dirigentengeneration Teil 3: Emmanuelle Haim und Kristiina Poska

Ich begrüße Sie herzlich zur Musikstunde hier auf SWR2, mein Name ist Ines Pasz und der Titel in dieser Woche lautet „Maestro ohne Mythos“, die neue Dirigentengeneration, heute mit zwei Maestra, müsste man sagen, Emmanuelle Haim und Kriistina Poska.

Titelmusik ca.15 Sekunden

Zwei Dirigentinnen also stehen heute hier in der Musikstunde im Rampenlicht, Emmanuelle Haim, Leiterin des Ensemble „Le Concert Astree“ und Kristiina Poska, erste Kapellmeisterin eines der größten Opernhäuser Deutschlands, der Komischen Oper Berlin. Beide haben es geschafft im männerdominierten Metier, die eine an einem öffentlich städtischen Betrieb, die andere Emmanuelle Haim mit ihrem eigenen Ensemble, für das sie dann neben künstlerischen auch noch unternehmerische Fähigkeiten braucht. Aber mit ihrer Energie, ihrer Kraft stemmt sie alles bravourös und sieht dabei auch noch fantastisch aus, nicht unwichtig heutzutage. Mit ihren langen roten Locken, ihren großen dunklen Augen, ihrem ausdrucksstarken Gesicht zieht sie alle Blicke auf sich, „reines Dynamit“, nennt sie ein Musikmagazin, „geballte Frauenpower“ und die kann man, wenn sie dirigiert, in sublimierter Form auch hören. 55

Musik 1: Monteverdi: Orfeo Toccata M0083785 001 1’37

Aus der Geburtsstunde der Oper, der „Orfeo“ von , daraus der Anfang, die Toccata mit Le Concert d'Astrée unter Emmanuelle Haim.

„Knackfrisch und dramatisch“ nennt der Spiegel in einer Rezension Monteverdis „Orfeo“ unter dem Taktstock von Emmanuelle Haim, ach 3 nein, kein Taktstock, sie dirigiert ohne, wie die meisten ihrer Kollegen in der Alten Musik. Ihre Leidenschaft ihr Feuer versprüht sie dabei mit ihrem ganzen Körper, sie brennt für die Musik und alle lodern mit. Diejenigen, die es noch nicht wissen überzeugt la Maestra persönlich. Als sie 2005 zum ersten Mal bei den Festspielen in Glyndebourne dirigiert zieht sie vor dem Konzert durch die Straßen und drängt wildfremden Menschen Freikarten auf, "sogar einer Kellnerin und einer Putzfrau" erzählt sie stolz. Mit Erfolg, abends ist die Bude voll und angeblich entdeckt Emmanuelle Haim dabei im Publikum auch ihre „special guests“.

Geboren wird Emmanuelle Haim in Paris, mitten hinein in eine Musikerfamilie Sie studiert Klavier, Orgel und dann Cembalo. Lebhaft ist sie schon als kleines Mädchen, intelligent und ungemein frech. Als sie mal wieder ohne Unterlass redet und damit massiv den Unterricht stört bindet die genervte Lehrerin sie an einem Stuhl fest und klebt ihr den Mund zu. Das kann ihr heute nicht mehr passieren, wenn sie etwas sagt, dann hören alle zu und parieren. Autoritär findet sie sich trotzdem nicht, nein, das sei auch gar nötig, meint sie, sie platze einfach vor lauter musikalischer Ideen und möchte sie einfach nur umsetzen. 1„30

Musik 2: Caldara: Arie des Serse M0270195 013 2‘47

Philippe Jaroussky mit der Arie des Serse aus der „Temistocle“ von Antonio Caldara, zusammen mit Emmanuelle Haim und ihrem Orchester Le Concert d‟Astrée.

2000 gründet Emmanuelle Haim ihr eigenes Orchester. Ein freies Ensemble, das von der Begeisterung allein nicht leben kann. Virgin classics bietet einen Plattenvertrag an und die französische Telecom sponsert, ansonsten müssen die Musiker samt ihrer Chefin auf dem umkämpften Markt bestehen. Viele Mitglieder des Orchesters haben außerdem noch einen geregelten Job, der Konzertmeister spielt im 4

Opernhaus von Toulouse, der Cellist ist Jazzer, der Schlagzeuger macht nebenbei indische Musik. Der größte Joker des Orchesters aber ist die Dirigentin selbst, Emmanuelle Haim ist ein echtes Zugpferd, sie hat etwas Magisches. Eine „Verführerische Fee“ nennt sie ein Kritiker, ein „rasant auftreiberisches Zauberweib der Barockmusik“. So etwas würde einem Mann nie passieren, dass man ihn auf Begriffe wie Magie und Erotik reduziert, trotzdem besitzt das Thema Frauen am Dirigentenpult für Emmanuelle Haim keine Relevanz. Wichtig sind ihr nur ihre musikalischen Ideen und deren Umsetzung. Nur an innerbetrieblichen Interna zeigt sich, dass bei diesem Orchester eine Frau regiert. Es gibt eine Kinderkrippe und immer einen Ort zum Stillen, drei Viertel des Orchesters sind weiblich, bei den Streichern fast hundert Prozent. Doch dass Männer die Karriere von Emmanuelle Haim vorangetrieben haben ist unumstritten. Bei William Christie und seinen Talens Lyrique spielt sie zunächst Cembalo, bei darf sie assistieren, einige Monate lang. Studiert hat sie das Dirigieren nie, sie ist Autodidaktin und hat wenn überhaupt nur ab und zu Freunde um Rat gefragt. Die waren allesamt wohl sehr auskunftsfreudig, jedenfalls klappt es bestens. Schlagtechnik sei sowieso nicht so wichtig, findet Emmanuelle Haim, nur die musikalische Vorstellung, die müsse ganz deutlich sein und realisiert werden, zusammen mit den Musikern. „Musik“, so sagt sie „ist immer nur die Wirkung der Menschen, die sie machen“. 2‘15

Musik 3: Monteverdi: Lamento della Ninfa 5‘09 M0323970 002

Die Klage der Nymphe, Lamento della Ninfa von Claudio Monteverdi mit Natalie Dessay, Simon Wall, Topi Lehtipuu und Christopher Purves zusammen mit Le Concert d‟Astrée unter Emmanuelle Haim aus der CD Lamenti.

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Es ist eine ihrer erfolgreichsten Einspielungen auf dem CD Markt, Lamenti, Klagen, womit Emmanuelle Haim im Grunde gegen ihr angeborenes Temperament andirigiert. „Ja, ich weiß“, so die Dirigentin, dass ich manchmal aufbrause und auch musikalisch etwas übers Ziel hinausschieße, aber das ist gut so und kein Fehler“. In der Tat wirken diese Energie, diese Kraft bei ihr ganz natürlich, nie einstudiert oder aufgesetzt. Womit sie ja eines der wesentlichen Kriterien erfüllt, die man von einem Dirigenten erwartet. Dann wären da noch Durchsetzungswille und Autorität, ebenfalls sehr wichtige Eigenschaften in dem Metier. Emmanuelle Haim kommt ohne aus, ihr Durchsetzungswille basiert auf geistiger Überzeugung und man kann sich nicht vorstellen, dass sie irgendeine musikalische Idee gegen das Empfinden ihres Ensembles durchpeitscht. Also kein Maestra-Gehabe weit und breit, und Autorität – die ersetzt sie durch Sturheit, wie sie selber sagt und durch Kompetenz. Autorität wäre bei so einem überschaubar großen Spezialistenteam auch fehl am Platze. Viel mehr als in einem modernen Sinfonieorchester braucht ein Dirigent hier den Teamgeist der ganzen Truppe. Vieles ist in der Alten Musik nicht ausnotiert. Dynamik, Phrasierung, Tempo, Artikulation, fast alles ergibt sich erst während der Probenarbeit. Nicht der Dirigent oder die Dirigentin geben vor, was gemacht wird, sondern gemeinsam entwickelt man ein musikalisches Ergebnis. Nur sollte das dann allerdings schon den Vorstellungen des Dirigenten entsprechen. 1„55

Musik 4: Händel: Quartett aus Il Trionfo 4‘09 M0314984 027

Georg Friedrich Händel liebt Emmanuelle Haim besonders, wegen seiner Dramatik, sagt sie. Deshalb hat sie auch insgesamt drei CDs mit Werken von ihm veröffentlicht, hier das Quartett aus dem Oratorium „Trionfo del tempo e del disinganno, Der Triumph von Zeit und Desillusion“ mit Natalie Dessay, Ann Hallenberg, Sonia Prina, Pavol Breslik und dem Ensemble Le Concert d‟Astrée.

Vokalmusik, das ist die Leidenschaft der Emmanuelle Haim, die menschlichen Stimme und ihr Zusammenspiel mit den Instrumenten. 6

Entscheidend sind für Haim dabei die Gefühle der Figuren, die benutzt sie als Leitfaden. Wie passt der Moment einer Arie zu dem Charakter der Rolle, ist er schlüssig, oder ein Ausbruch und wie wird er musikalisch umgesetzt. Glaubwürdig muss eine Stimme sein, sie muss eine Strahlkraft entwickeln, eine Partie leuchten lassen. Aus diesem Grund engagiert sie auch Rolando Villazon für ihre CD „Lamenti“. Rolando Villazon auf einer Barock-CD, das ist eine Überraschung, noch dazu zusammen mit einer Spezialistin der historisch informierten Aufführungspraxis. „Warum nicht?“ fragt Emmanuelle Haim, „ich kenne keine Spezialisten, nur Stimmen die passen und eben nicht passen“. Villazón muss sie allerdings erst mal überreden. Sie braucht nur 2 Minuten, er ist sofort fasziniert von ihr. „Ich hätte für sie auch Heavy Metal gesungen“ bekennt er, aber Barockmusik reicht ihr und dafür braucht er sich noch nicht einmal zu verrenken. Emmanuelle Haim will ihn grad so wie er ist, mit seiner ureigenen, unverstellten Stimme. Er soll und darf alle Emotionen ausleben, genauso wie in der romantischen Oper. Zuletzt wird die Produktion „Combattimento“ ein sensationeller Erfolg, für beide. Alle Welt staunt, wie gut der Operntenor und Monteverdi harmonieren.

Am beeindruckendsten ist Villazon dann in Monteverdis „Combattimento di Tancredi e Clorinda“ nach einer Szene aus Torquato Tassos berühmtem Kreuzfahrerepos. Als Erzähler singt und agiert Villazon die eigentlichen Hauptdarsteller Tancredi und Clorinde glatt an die Wand. Dazu die kleine, aber expressive Streicher- und Continuobegleitung, mit aggressiv hämmernden Akkorden. Sie begleiten den tödlichen Zweikampf der beiden Kontrahenten, die sich mit herunter geklapptem Visier als Fremde gegenüber stehen. Erst als Tancredi der sterbenden Clorinde den Helm abnimmt erkennt er die Frau, die er liebt. 2„30

Musik 5: Monteverdi: Combattimento M0063449 001 ab 10‘00 7’45

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Eine tragisches Ende, Tancredi tötet seine geliebte Clorinde, Patrizia Ciofi und Topi Lehtipuu als das unglückliche Paar und Rolando Villazon als Erzähler in Claudio Monteverdis “Comabattimento di Tancredi e Clorinde”, begleitet von Le concert d‟Astrée unter Emmanuelle Haim.

Wie viele ihrer Kollegen in der Barockmusik ist auch Emmanuelle Haim wissenschaftlich ambitioniert. Sie stöbert in alten Archiven, liest vergilbte Manuskripte und untersucht historische Autographen. Trotzdem versucht sie immer der oft Jahrhunderte alten Musik frisches Leben einzuhauchen. Einen blassen, konstruierten Klang sucht man bei ihr vergebens, es sei denn als bewusst gewähltes Stilmittel. Aber ansonsten brummt hier das pralle Leben. Schwieriger wird es wenn Emmanuelle Haim mal vor einem normalen Sinfonieorchester steht um den Musikern die Kunst der authentischen Aufführungspraxis nahezubringen, wie bei den Berliner Philharmonikern mit Rameau, da ziehen nicht alle komplett mit. Mehr Erfolg hat sie dann beim Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks in der Reihe Barock plus, da sind Publikum, Presse und vor allem die Musiker schlichtweg begeistert. 1„10

Musik 6: Rameau: aus Nais 2‘52 4706346 032

Das hr-Sinfonieorchester mal historisch informiert, mit einem Ausschnitt aus der Suite zur Oper „Nais“ von Jean Philippe Rameau, dirigiert von Emmanuelle Haim.

Julia Jones, Anu Tali, Christine Rückwardt und vor allem Simone Young, die populärste unter den Dirigentinnen, sie alle sind es ziemlich leid, das ewige Thema Frauen am Dirigentenpult. Lieber möchten sie nach ihren musikalischen Ideen befragt werden, nach ihrer Arbeit mit dem Orchester, den Sängern, mit der Realisierung von Klangvorstellungen und nicht danach, ob sie im Konzert lieber ein Kleid mit oder ohne Schlitz tragen oder doch lieber einen Hosenanzug. Wenn sie sich umblicken, dann sehen Dirigentinnen ein inzwischen sehr 8 weiblich besetztes Orchester. Die Strippenzieher aber, die Agenten, Orchesterintendanten, die Kulturmanager, die sind häufig Männer. „Old boys network“, nennt das ein Artikel in der Zeit. In die Führungspositionen, eben auch die musikalischen hievt dieses Netzwerk eben in erster Linie Männer. 2008 waren von 133 Chefposten in deutschen Orchestern gerade mal drei mit Frauen besetzt. Nirgendwo sonst in der künstlerischen Berufswelt hinkt die Emanzipation so hinterher wie hier. Warum ist das so? Wahrscheinlich hat es immer noch mit dem Image des Dirigenten zu tun, das wir unbewusst alle abgespeichert haben: Willenskraft, Energie, Kraft, Durchsetzungsfähigkeit. Angeblich typisch männliche Eigenschaften und Eigenschaften, die ein Dirigent unbedingt braucht. Eine Studie aus dem Jahr 2009 zeigt, dass immerhin 14 Prozent der Orchestermusiker, darunter übrigens auffallend viele Frauen lieber unter einem männlichen Kapellmeister spielen. Frauen bevorzugen auch eher eine autoritäre Arbeitsweise, empfinden sie als künstlerisch motivierend, wohingegen Männern eine gute Kommunikation wichtiger ist und der Gestaltungswille ihres Dirigenten. Immerhin füllen sich die Dirigierklassen in den Musikhochschulen allmählich immer mehr mit Frauen, ein Drittel ist inzwischen weiblich, wie viele davon nachher mal vor einem Orchester stehen, noch dazu als Chef, ist allerdings fraglich. Geschafft hat es Kristiina Poska, sie ist erste Kapellmeisterin an der Komischen Oper in Berlin und ist sehr glücklich darüber, obwohl sie weiß, dass nicht alle Orchestermitglieder für sie gestimmt haben. Sie weiß auch, dass sie als Frau dreimal besser sein muss als ein Mann um diesen Posten zu ergattern und das macht sie auch wieder stolz. 2„35

Musik 7: Haydn: 1. Satz aus der Sinfonie Nr.60 6‘06 M0309952 003

Kristiina Poska und die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern mit dem 1. Satz aus Joseph Haydns Sinfonie Nr.60 „Il Distratto, Der Zerstreute“, ein Livemitschnitt aus dem Jahr 2012.

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Kristiina Poska ist eine Spätberufene. Mit 17 Jahren hört sie in ihrer estnischen Heimat zum ersten Mal überhaupt ein Sinfonieorchester und weiß schon beim Einstimmen, dass das ihre Bestimmung wird. Heute ist sie Mitte dreißig und steht nun tatsächlich vor einem Orchester. Und zwar nicht vor irgendeinem, sondern vor dem der Komischen Oper Berlin, ein Posten, auf den sich Hunderte von Kandidaten bewerben. Vorher war die blonde Estin mit den strahlenden blauen Augen und der zierlichen Gestalt am Theater in Koblenz und in Brandenburg, ihr bislang größter Erfolg war letztes Jahr der erste Preis beim Deutschen Dirigentenwettbwerb, als erste Frau überhaupt. Wohlgemerkt Dirigenten, nicht Dirigentinnen, da treten also Mann und Frau gleichermaßen an, nicht unwichtig, wenn man die unselige Geschlechterfrage einfach nicht mehr hören kann, sondern sich gerne auf Wesentliches konzentrieren möchte, zum Beispiel auf die Musik: 1‘15

Musik 8: Janacek: aus der Suite zu „das schlaue Füchslein“

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Der Mitschnitt des Dirigierwettbewerbs vom 24.Juni 2013, das Konzerthausorchester Berlin mit einem Ausschnitt aus der Suite zur Oper „das schlaue Füchslein“ von Leos Janacek, Siegerin und hier am Pult: Kristiina Poska.

Dirigieren gelernt hat Kristiina Poska an der Berliner Hanns Eisler Hochschule, hält aber ebenso wie auch Emmanuelle Haim die reine Schlagtechnik nicht für das Wesentliche. Sie übt auch nicht vor dem Spiegel oder sieht sich alte Aufnahmen mit Furtwängler an. Schlagtechnik, die Bewegung an sich, das ist für sie nur ein Werkzeug, entscheidend ist die Botschaft, die dahinter steckt. Ja schön, aber wie teilt die sich mit? Schon mal gar nicht verbal, weiß Kristiina Poska: „Wenn ein Dirigent über das Tempo spricht, hat er schon verloren. Das muss man ausstrahlen“.

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Also doch Charisma und innere Kraft, nach denen jeder Dirigent sucht und um die er immer ringt. Aber vor dem Orchester ist er gnadenlos ausgeliefert. „Man muss Stimmung werden“, behauptet Poska, „Hass, Liebe, Trauer, Glück, dann kommt auch rüber, was man ausdrücken will.“ Trotzdem geht es natürlich nicht ohne Arbeit an der Partitur. Alle musikalischen Absichten trägt sie sich minutiös ein, alle Details fügen sich dann in der Probe wie ein Puzzle zusammen. Zusammen mit dem Orchester, Teamplay, das bedeutet Musik machen für Kristiina Poska, ein gemeinsames musikalisches Erleben, ein Teil des Ganzen sein und in diesem Punkt unterschiedet sie sich maßgeblich vom Dirigenten der Vorzeit, vom Maestro der alten Schule, von denen es ja gerade in Berlin so einige gegeben hat. Wunderbar, wenn es auch miteinander geht, und das Ergebnis trotzdem stimmt. 1„50

Musik 9: Tschaikowsky: Rokoko-Variationen 2’12 M0309952 002

Der Schluss der Rokoko-Variationen von Peter Tschaikowsky mit dem Celllisten Istvan Vardai und der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter Kristiina Poska. Das war die SWR2 Musikstunde mit Ines Pasz, morgen geht in der Sendereihe „Maestro ohne Mythos - die neue Dirigentengenration“ über Daniel Harding und Cornelius Meister.