WISSENSCHAFT PLANUNG VERTREIBUNG Der der Nationalsozialisten

Eine Ausstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft „ ... wenn einmal Grund und Boden in deutscher Hand sind.“

Aus dem Generalplan Ost vom Juni 1942:

„Die Eindeutschung wird als vollzogen angenommen, wenn einmal der Grund und Boden in deutsche Hand überführt worden ist, zum anderen, wenn die beruflichen Selbständigen, die Beamten, Angestellten, die gehobenen Arbeiter und die dazugehörenden Familien deutsch sind. Aufgrund der in den Raumordnungsskizzen niedergelegten Zielplanung wird die ländliche Bevölkerung rund 2,9 Millionen Menschen, die städtische etwa 4,3 Millionen Menschen betragen. Für die Eindeutschung wird auf dem Lande eine Bevölkerungszahl von rund 1,8 Millionen, in der Stadt von etwa 2,2 Millionen deutscher Menschen für erforderlich gehalten.“ (über annektierte westpolnische Gebiete)

„Die Durchdringung der großen Räume des Ostens mit deutschem Leben stellt das Reich vor die zwingende Notwendigkeit, neuen Besiedlungsformen zu finden, die die Raumgröße und die jeweils verfügbaren deutschen Menschen miteinander in Einklang bringen.“ (über deutsche Siedlungsstützpunkte)

„Da auf die Mitarbeit der in den Gebieten jetzt bodenständigen Bevölkerung nicht verzichtet werden kann, muß die zu schaffende Volksordnung im Ostraum auf eine Befriedung der dortigen Einwohner abzielen. Die Befriedung wird dadurch erreicht, daß die nötige Bereitstellung von Siedlungsland für die Ansetzung deutscher Menschen nicht wie bisher durch Evakuierungen, sondern durch Umsetzung der bisherigen Bewohner auf anderes Kolchose- und Sowchose-Land mit gleichzeitiger Verleihung von Bodenbesitzrecht erfolgt. Diese Umsetzung muß gebunden sein an eine sinnvolle Auslese nach dem Leistungsprinzip und mit einem sozialen Aufstieg der positiven Kräfte des fremden Volkstums Hand in Hand gehen.“ (über Siedlungen in Ostpolen, dem Baltikum, der Sowjetunion) Isabel Heinemann, Willi Oberkrome, Sabine Schleiermacher, Patrick Wagner

WISSENSCHAFT PLANUNG VERTREIBUNG

Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten

Katalog zur Ausstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Katalog zur Ausstellung WISSENSCHAFT, PLANUNG, VERTREIBUNG Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten mit Beiträgen von Isabel Heinemann, Willi Oberkrome, Sabine Schleiermacher, Patrick Wagner Koordination: Patrick Wagner Recherche: Ray Brandon, Tobias Eiselen Beratung: Guido Lammers Redaktion, Ausstellungsdesign und Layout: Dieter Hüsken Architektur: Sepp Rößle Lektorat: Stephanie Henseler, Angela Kügler-Seifert Tafelherstellung und Satz: Sander, Köln Katalogdruck: Köllen, Druck und Verlag, Bonn

© Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2006

Die Ausstellung ist im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Geschichte der Deut- schen Forschungsgemeinschaft (DFG) entstanden. Das Vorhaben untersucht in derzeit 20 Einzelprojekten die Geschichte der DFG zwischen 1920 und 1975. Geleitet wird das Gesamtprojekt von Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch () und Prof. Dr. Ulrich Herbert (Freiburg).

Abbildungen: Bundesarchiv (Koblenz/Berlin); Archiv der Max-Planck-Gesellschaft (Berlin); Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (); Yad Vashem (Jerusalem); Instiytut Pamieci Narodowi (Warszawa); Ullstein Bilderdienst (Berlin); Stadtarchiv Nürnberg; V. G. Liulevicius: Kriegsland im Osten, 2002; H. F. K. Günther: Rassenkunde des deutschen Volkes, München 1930; Deutsche Agrarpolitik 1943; K. Meyer: Landvolk im Werden, Berlin 1941; Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums (Hg.): Planung und Aufbau im Osten, Berlin 1942.

Ausgewählte Literaturhinweise: Aly, Götz: „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt am Main 1998 • Aly, Götz u. Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt am Main 1993 • Burleigh, Michael: Turns Eastwards: A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988 • Fahlbusch, Michael: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volks- deutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden 1999 • Haar, Ingo: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 2002 • Heinemann, Isabel: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003 • Heinemann, Isabel u. Patrick Wagner (Hg.): Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungs- politik im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006 (= Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1) • Madajczyk, Czeslaw (Hg.): Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan, München 1994 • Mai, Uwe: Rasse und Raum, Agrarpolitik. Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn 2002 • Pyta, Wolfram: „Men- schenökonomie“. Das Ineinandergreifen von ländlicher Sozialraumgestaltung und rassenbiologischer Bevölkerungspolitik im NS-Staat, in: Historische Zeitschrift 273, 2001, S. 3–94 • Rössler, Mechtild u. Sabine Schleiermacher (Hg.): Der „Generalplan Ost“: Hauptlinien der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, Berlin 1993 • Rössler, Mechtild: Wissenschaft und . Geographische Ost- forschung im Nationalsozialismus, Berlin 1990 • Wasser, Bruno: Himmlers Raum- planung im Osten. Der Generalplan Ost in Polen 1940–1944, Basel 1993

2 Inhalt

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und ihre Vergangenheit...... S. 15 Der Nationalsozialismus und die Skrupellosigkeit der Experten...... S. 16

WISSENSCHAFT Völkische „Ost“-Visionen in Kaiserreich und Erstem Weltkrieg...... S. 17 Von „Schmachfrieden“ und „Unrechtmäßigkeit“...... S. 18 Rassenforschung auf dem Weg zur Leitwissenschaft ...... S. 10 Die DFG: bereitwillig und anpassungsfähig...... S. 11 Forschung für die Politik der Nationalsozialisten ...... S. 13 Der „erbgesunde Bauer“ als „Blutsquell des Volkes“...... S. 14 Der wissenschaftliche Multifunktionär ...... S. 16 Konrad Meyer, Umsiedlungsplaner der SS ...... S. 17

PLANUNG Neuer „Lebensraum“ im Osten Europas ...... S. 18 Die Entwicklung des Generalplans Ost ...... S. 21 Die Umsetzung einer rassistischen Utopie...... S. 23 Eine leistungsfähige Agrargesellschaft als Ziel...... S. 23 „Deutsche“ Dörfer für die „Germanisierungszonen“ ...... S. 25 Grundlagenforschung für den Generalplan Ost ...... S. 26 Akademische Beflissenheit und verbrecherische Politik .... S. 27

VERTREIBUNG Vertreibung und Mord im besetzten Polen ...... S. 28 Die Umsiedlung der Volksdeutschen...... S. 29 Auf der Suche nach „deutschem Blut“...... S. 30 Dynamik des Scheiterns – Dynamik der Vernichtung...... S. 32 Die Schoah: Umsiedlung in den Tod...... S. 32

Nach 1945: Freispruch für die NS-Planer...... S. 34

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Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und ihre Vergangenheit

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist die zentrale Förderor- ganisation für die Forschung in Deutschland. Ihre Kernaufgabe besteht in der Finanzierung von Forschungsvorhaben von Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftlern in Universitäten und Forschungsinstituten und in der Auswahl der besten Projekte im Wettbewerb. Ihren zen- tralen Auftrag, den Dienst an der Wissenschaft in allen ihren Zweigen, erfüllt die DFG als Selbstverwaltungsorganisation der deutschen Wis- senschaft. Organisatorisch ist sie ein privatrechtlicher Verein. Ihre Mit- glieder sind die meisten deutschen Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wissenschaftliche Verbände sowie die Akademien der Wissenschaften. Die DFG erhält ihre Mittel von Bund und Ländern, die in allen Entscheidungsgremien vertreten sind, wobei die Wissenschaftler die Mehrheit haben.

Die DFG fördert wissenschaftliche Exzellenz durch Wettbewerb: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder die Universitäten stellen ihre Projekte in Anträgen dar. Gutachterinnen und Gutachter beurteilen als Grundlage für die Förderentscheidungen die Qualität der Vorhaben. Als Stimme der Wissenschaft im politischen und gesellschaftlichen Diskurs berät und begleitet sie politische Entschei- dungsprozesse mit wissenschaftlichem Sachverstand. Die DFG setzt Impulse für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit: In allen ihren Förderprogrammen unterstützt sie die Kooperation von Forscherinnen und Forschern in Deutschland mit ihren Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland. Ihr besonderer Einsatz gilt dem Zusammenwirken der Wissenschaft in Europa.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde 1920 als „Notgemein- schaft der deutschen Wissenschaft“ gegründet. Schon damals ver- stand sich die DFG als Instrument der Forschungsförderung in den Händen der Wissenschaftler selbst. Ihre Schwerpunkte und das poli- tische Profil ihrer Gremien spiegeln seitdem die jeweils dominante Strömung innerhalb der deutschen Wissenschaft: Während der Weimarer Republik beherrschten jene nationalkonservativen Profes- soren die DFG, die auch die Universitäten prägten. Im Nationalsozia- lismus mobilisierte die DFG ihre Ressourcen mit derselben Bereit- willigkeit für das Regime, mit der sich überhaupt die große Mehrheit

Der „Warthegau“, die Region um Posen und Lodz, sollte vorrangig „germanisiert“ werden. Unser Bild zeigt Menschen, die von deutscher Polizei aus ihren Dörfern im Umland von Gniezno (Gnesen) zum Bahnhof Czerniejwo (Schwarzenau) getrieben wurden.

5 der Wissenschaftler für den NS-Staat engagierte. Und nach der Neu- gründung im Jahr 1949 schließlich suchte und fand die DFG ihren Platz in einer pluralistischen Demokratie – so wie es auch die Profes- sorenschaft insgesamt tat.

Seit Ende der 1990er Jahre hat das Präsidium der Deutschen Forschungsgemeinschaft mehrere Initiativen ergriffen, um die Geschichte der DFG umfassend aufzuarbeiten. Eine Forschergruppe unter Leitung der Historiker Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch (Berlin) und Prof. Dr. Ulrich Herbert (Freiburg) beschäftigt sich mit diesem Thema. Die Ausstellung „Wissenschaft, Planung, Vertreibung – Der Gene- ralplan Ost der Nationalsozialisten“ ist Teil der Bemühungen der DFG, sich mit ihrer Geschichte verantwortlich auseinander zu setzen.

Der Nationalsozialismus und die Skrupellosigkeit der Experten

Im Juni 1942 übersandte der Agrarwissenschaftler Konrad Meyer dem Reichsführer SS eine Denkschrift. Dieses Dokument ist unter der Bezeichnung „Generalplan Ost“ bekannt geworden. Es steht für den verbrecherischen Charakter der national- sozialistischen Politik und für die Skrupellosigkeit der beteiligten Ex- perten. Der „Generalplan Ost“ sah vor, fünf Millionen Deutsche im annektierten Polen und im Westen der zu erobernden Sowjetunion anzusiedeln. Millionen slawischer und jüdischer Bewohner sollten versklavt, vertrieben oder ermordet werden.

Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Ausstellung die Rolle von Wissenschaftlern und der DFG. Sie zeigt, dass die Pläne des NS- Regimes zur völkischen Neuordnung Europas auf der Zuarbeit einer Vielzahl wissenschaftlicher Experten basierten. Die Deutsche For- schungsgemeinschaft hat diese Forschung finanziert. Zugleich skiz- ziert die Ausstellung längere Kontinuitätslinien: Seit den zwanziger Jahren hatten Forscher die Grundlagen für die spätere Expansions- und Rassenpolitik gelegt. Und die DFG war auch hier eine der wichtigsten Geldquellen.

Die Ausstellung stellt das Thema in drei Abteilungen vor: Die erste Abteilung skizziert die Vorgeschichte des „Generalplans Ost“ und beleuchtet die Rolle der Wissenschaft. Abteilung zwei zeigt die Pla- nungen für eine ethnische Neuordnung Osteuropas während des Zweiten Weltkriegs, und die dritte Abteilung wirft einen Blick auf die Realitäten von Umsiedlung, Vertreibung und Völkermord zwischen 1939 und 1945.

6 W I S S E N S C H A F T

Völkische „Ost“-Visionen Der in der Karte dargestellte Frontver- lauf im Sommer 1918 lässt die „Ost“- in Kaiserreich Vision zum Greifen nahe erscheinen. In und Erstem Weltkrieg den besetzten Regionen des Zarenreichs träumten die deutschen Eroberer Die nationalsozialistische Ost- 1917/18 von künftigem „Volksboden“ planung folgte ideologischen im „Osten“. Leitbildern: Das von verschiede- nen Völkern bewohnte Ostmit- teleuropa sollte ethnisch homo- kung“ verband sich die Hoff- genisiert werden – vor allem un- nung, einen deutsch besiedelten ter Ausschluss des jüdischen Be- Osten zum Ausgangspunkt einer völkerungsanteils. Mit diesem Erneuerung des deutschen „Vol- Projekt gewaltsamer „Umvol- kes“ zu machen.

7 Solche Visionen besaßen eine lan- Wissenschaft eine Revision des T

F ge Vorgeschichte. Die politische Versailler Friedensvertrags von

A Kultur Deutschlands hatte sich be- 1919. Sie bemühte sich, die

H reits im Kaiserreich einem Den- Unrechtmäßigkeit der Gebiets-

C ken in völkischen Kategorien ge- abtretungen vor allem im Osten

S öffnet. Den Hintergrund bildete des Reiches nachzuweisen.

N die ungestüme Modernisierungs-

E dynamik um 1900. Sie hatte In der Opposition gegen den S Lebensformen, Alltagsgewohn- „Schmachfrieden“ sahen sich S

I heiten und Werte mit beispielloser vor allem die geistes- und sozial- Wucht verändert und Sorgen vor wissenschaftlichen Fächer zu an- W einer „Entartung“ des „deut- wendungsorientierten Diszipli- schen Wesens“ geweckt. Die nen aufgewertet. Ihnen oblag „Rettung“ vor dieser irritierenden es im akademischen „Grenz- Umbrucherfahrung schien in der kampf“, die historische, geogra- Wiederbesinnung auf die „ewi- phische, rechtliche und ökono- gen“ Werte eines bäuerlichen mische Zugehörigkeit der um- „Volkstums“ zu liegen. strittenen Territorien zu Deutsch- land herauszustellen. In der Kriegszieldiskussion des Ers- ten Weltkriegs konkretisierten sich Die 1920 gegründete DFG enga- solche Visionen. Stellungnahmen gierte sich von Beginn an auf wie jene des liberalen Historikers diesem Feld. Sie unterstützte For- Meinecke („Kann nicht auch Kur- schungen, die die Konturen eines land ... für uns brauchbar werden deutschen „Volks- und Kulturbo- als bäuerliches Kolonisationsland, dens“ in Polen, in der Tschecho- wenn wir die Letten nach Rußland slowakei, im Baltikum usw. nach- abschieben? Früher hätte man zeichneten. Sie finanzierte Studi- das für phantastisch gehalten, en, die eine generelle Überlegen- und doch ist es nicht unausführ- heit der Deutschen über die sla- bar.“) waren im Gegensatz zur wischen Bevölkerungen behaup- späteren NS-Politik weder antise- teten. Und sie ermutigte politisch mitisch noch vernichtungspoli- exponierte „volksdeutsche“ Wis- tisch aufgeladen. Sie zeigten aber, senschaftler zur Antragstellung, wie ernsthaft man im deutschen das heißt außerhalb der Grenzen Bürgertum darüber nachdachte, des deutschen Reiches lebende, neuen „Volksboden“ im Osten zu aber aufgrund ihrer Abstammung schaffen. als „deutsch“ geltende Forscher.

Von „Schmachfrieden“ Die Notgemeinschaft/DFG entschied auf der Grundlage von Gutachten über die und „Unrechtmäßigkeit“ Förderung von Projekten. Das abge- bildete Gutachten argumentiert mit der Im Einklang mit der öffentlichen „nationalpolitischen“ Bedeutung volks- Meinung erstrebte die deutsche kundlicher Ostforschung.

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Auf Betreiben ihres Präsidenten die Rassenpolitik des Regimes. T

F Friedrich Schmidt-Ott förderte Eine präzise und einheitliche

A die DFG vor allem das „Hand- Definition von „Rasse“ existierte

H wörterbuch des Grenz- und Aus- nicht.

C landsdeutschtums“ als interdiszi-

S plinäre „Gemeinschaftsarbeit“ Rassenforschung fragte nach ei-

N von mehreren hundert Wissen- nem Zusammenhang von „Ras-

E schaftlern – ein Monumental- se“ und „Lebensraum“. Nach S projekt des „Grenzkampfs“. Ansicht des von der DFG geför- S

I derten Rassenkundlers Hans F. K. Günther ließen das äußere Er-

W Rassenforschung auf dem Weg zur Leitwissenschaft scheinungsbild, geistig-seelische und kulturelle „Werte“ auf eine Seit 1900 entwickelten sich Ras- senanthropologie und Eugenik/ Rassenhygiene auf nationaler Aus Sicht der Rassenkundler setzte sich und internationaler Ebene zu die deutsche Bevölkerung aus Trendwissenschaften. Im Natio- unterschiedlichen „Rassentypen“ zu- nalsozialismus avancierten sie zu sammen. Hans F. K. Günthers „Rassen- kunde des deutschen Volkes“ von 1930 Leitwissenschaften und lieferten visualisierte holzschnittartig ver- Methodik wie Legitimation für meintliche Rassenmerkmale.

10 „Hochwertigkeit“ der „nordi- chungen bis hin zur Paläoanthro- W schen Rasse“ schließen. Daher pologie. I S

sei „Rassenmischung“ zu unter- S

binden, um eine „Degenera- Rassenforschung wurde als an- E tion“ zu verhindern. Erbbiologen gewandte Wissenschaft verstan- N erarbeiteten Methoden, um ver- den. Wissenschaft und Politik S meintlich „schlechte“ Anlagen wurden hier in besonderer Weise C beim Menschen zu definieren, aufeinander bezogen; Forscher H die Betroffenen zu erfassen und wirkten als Experten im Sinne A auszusondern. wissenschaftlicher Politikbera- F tung. T Das Anfang des 20. Jahrhun- derts noch vage Thema „Ras- senforschung“ eröffnete weite Die DFG: bereitwillig Forschungsfelder, auf denen me- und anpassungsfähig thodisch vielfältig gearbeitet wurde. Das Forschungsspektrum Die Deutsche Forschungsge- reichte von genealogischen Stu- meinschaft hatte 1933 wenig dien, Zwillings- und Blutgrup- Probleme, sich an das national- penforschung, rassenmorpholo- sozialistische Regime anzupas- gisch-erbbiologischen Untersu- sen. Ein Großteil der in der DFG

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tonangebenden Wissenschaft- DFG-Präsident Rudolf Mentzel – hier ler begrüßte den autoritären 1941 bei der Vorstellung des von der DFG geförderten Zentralasien-Atlas – und nationalistischen Kurs der wurde 1933 an der Universität Greifs- neuen Regierung. Einige dem wald als Chemiker habilitiert, ohne dass Nationalsozialismus besonders die Fakultät seine Habilitationsschrift genehme Forschungsrichtun- hatte einsehen dürfen. Die Arbeit galt aufgrund ihres Themas – dem mili- gen – wie Rassenhygiene und tärischen Einsatz von Giftgasen – als Agrarwissenschaften – konnten geheim. nun ihren Anteil an den DFG- Fördermitteln deutlich erhöhen. Auf anderen Feldern führte man 1937 wurde der „Reichsfor- etablierte Forschungslinien wei- schungsrat“ (RFR) gegründet. Er ter. übernahm von der DFG die Förde- rung der Agrar-, Natur- und Tech- Die große Mehrheit der Wissen- nikwissenschaften, die gezielt in schaftler wurde nicht „gleich- den Dienst der Rüstungs-, Kriegs- geschaltet“ oder „missbraucht“, und Rassenpolitik gestellt werden sondern mobilisierte sich selbst sollten. In seiner Alltagsarbeit be- aus freien Stücken für das NS- diente sich der RFR der Strukturen Regime. Im Rahmen eines radi- und Ressourcen der DFG, die Füh- kalnationalistischen Grundkon- rungsebenen beider Institutionen senses ließen die Machthaber waren stark verwoben. Der seit im Interesse einer für ihre Ziele 1936 als DFG-Präsident amtieren- effizienten Forschung eine große de Rudolf Mentzel kontrollierte Vielstimmigkeit zu. Die Spiel- zugleich den Verwaltungsapparat räume der Wissenschaftler blie- des RFR. Mentzel gehörte der ben unter der Diktatur beträcht- NSDAP schon seit 1925 und der lich. SS seit 1932 an.

12 Forschung für die Politik Kaiser-Wilhelm-Instituten, die in W

die nationalsozialistische Expan- I der Nationalsozialisten S

sionspolitik eingebunden waren. S

Der „Generalplan Ost“ steht für Während die Agrarforschung Teil E eine enge Verbindung von aka- der nationalsozialistischen Au- N demischer Forschung, rationaler tarkiepolitik war, stellte die S

Planung und nationalsozialisti- Rassenforschung Methoden und C scher Eroberungs- und Vernich- wissenschaftliche Legitimation H tungspolitik. Detailkenntnisse für „Rassenhygiene“ und „Ju- A

über den zu gestaltenden ost- denpolitik“ in Deutschland so- F europäischen Raum lieferten den wie für Selektion, Umsiedlung T Planern unter anderem Agrar- und Vernichtung großer Teile der und Raumforscher, Soziologen, Bevölkerung Osteuropas zur Ver- Geographen, Historiker, Demo- fügung. Bewusst strebten Wis- graphen wie Rassenforscher. senschaftler danach, ihre For- Nach 1933 förderte die Deut- schungsergebnisse in die Ost- sche Forschungsgemeinschaft politik des Regimes einfließen zu Projekte an Universitäten und lassen.

Von der DFG zwischen 1934 und 1945 Josef Umlauf, Berlin, geförderte Projekte für die Festigung deutschen Volkstums, Hauptabteilung Planung und Boden, 1942: Dr. Heinz Knorr, Universität Berlin, Seminar Untersuchungen über den künftigen für Staatenkunde und historische Geo- graphie, 1934: Untersuchungen der Siedlungsaufbau im Osten slawischen Siedlungsverteilung in Heinz Brücher, Lanach bei Graz, Institut für Ost-Deutschland seit dem Auftreten Pflanzengenetik (SS-Stiftung „“), der Slawen bis zum Beginn der 1943: Züchtung erblich widerstands- ostdeutschen Kolonisation fähiger, frostresistenter und dürrefester Dr. Richard Korherr, Würzburg, Statistisches Formen von Kulturpflanzen für den Amt der Stadt, 1937: Volk und Raum Ostraum Dr. Robert Beck, Universität Berlin, Prof. Dr. (Hans F. K.) Günther, Universität Psychologisches Institut, 1939: Untersu- Freiburg, Anstalt für Rassenkunde, chungen auf d. Gebiet d. Umvolkung im Völkerbiologie und ländliche Soziologie, jetzt deutschen Bereich Oberschlesiens 1943/44: Rassenkundliche Untersuchun- gen bei osteuropäischen Völkern Prof. Dr. Georg Blohm, Technische Hoch- schule Danzig, 1940/41: Richtlinien für Prof. Dr. Ottmar Freiherr von Verschuer, die Betriebsförderung und Wirtschafts- Berlin, Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthro- beratung der volksdeutschen Umsiedler pologie, 1943/44: Erforschung der Erb- bedingtheit der Augenfarbe als Grund- Dr. Herbert Morgen, Universität Berlin, lage für Rassen- und Abstammungs- Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik, untersuchungen 1942: Untersuchungen über Einfluß der Siedlungsformen auf das Wirtschafts- Prof. Dr. Loeffler, Universität Wien, Ras- und Sozialgefüge des Dorfes senbiologisches Institut, 1944: Vergleichen- de anatomische und anthropologische Dr. Erhard Mäding, Berlin, Planungsamt Untersuchungen an Kriegsgefangenen des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums, 1941: Die Festigung fremder Rassen (in Zusammenarbeit mit des deutschen Volkstums als landes- Prof. Pernkopf) kulturelles Problem (Auswahl)

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Der „erbgesunde Bauer“ Reichsbauernführer und Landwirt- schaftsminister Richard Walther Darré als „Blutsquell des Volkes“ (2. v. l.) besuchte 1939 mit Himmler Das nationalsozialistische Projekt (1. v. l.) die „Grüne Woche“. „Stoßtrupp gegen die Landflucht“ war 1943 eine einer Neuordnung des europä- NS-Propaganda in der Zeitschrift ischen Ostens war mit dem Vor- „Deutsche Agrarpolitik“ überschrieben. haben verknüpft, die agrarischen Besitzverhältnisse in Deutschland radikal zu verändern. Diese Strukturreform sollte zum einen kische Überzeugungen nahtlos der „Landflucht“ einen Riegel kombinierten. Die von der DFG vorschieben. Zum anderen soll- großzügig geförderten Agrar- ten die kleinen Bauernstellen soziologen plädierten seit den Südwestdeutschlands zu größe- zwanziger Jahren dafür, den ren, effizienteren Betriebseinhei- mittelgroßen „Hufenbauernhof“ ten zusammengefasst werden. zur Norm einer angemessenen Die dabei „freigesetzten“ Bau- ländlichen Existenz zu machen. ernfamilien galten als ideale Die Hufenbauern sollten auf- „Siedlerreserve“ für die „neuen grund ihrer „Überlieferungs- Ostgebiete“. treue“ und ihres „rassischen“ Wertes zum „Jungbrunnen“ des Solche Konzepte gingen auf „Deutschtums“ werden. Die agrarsoziologische Studien zu- nationalsozialistische Landvolk- rück, die exakte Empirie und völ- soziologie hat an dieser Vorstel-

14 Mit frischem Mut geht es an das Tagewerk lung festgehalten. Das Hufen- Morgen – arbeiteten während des T

F bauerntum galt ihr als „Blutsquell Kriegs zusammen mit Meyer un-

A des Volkes“. Dies fand 1933 Aus- mittelbar am „Generalplan Ost“.

H druck in dem vom Reichsbauern-

C führer Richard Walther Darré in- Der wissenschaftliche S itiierten Erbhofgesetz: Nur „erb- Multifunktionär

N gesunde Arier“ durften fortan

E Bauern sein. Der Berliner Agrarwissenschaftler S Konrad Meyer war die Schlüssel- S

I Für das eroberte Osteuropa emp- figur der deutschen Ostraum- und fahl der Berliner Agrarwissen- Germanisierungsplanungen. Be- W schaftler Konrad Meyer allerdings reits in den dreißiger Jahren hatte auch Großbetriebe, die den „ar- er sich durch die Kombination von beitstechnischen Erfordernissen wissenschaftlicher Expertise, wis- des 20. Jahrhunderts“ gerecht senschaftspolitischen Ambitionen werden müssten. Abstriche an und einem herausragenden Or- der völkischen Verklärung des ganisationsgeschick ausgezeich- „Bauernstandes“ waren mit die- net. So gelang es ihm bis 1939, sem Orientierungswandel nicht eine beträchtliche Machtposition verbunden. Einige Agrarsozio- in der deutschen Forschungsland- logen – wie zum Beispiel Herbert schaft zu errichten.

Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums

16 W Die Karriere des Konrad Meyer 1936-1939 Leiter der Reichsarbeits-

15.5.1901 geboren in Salzderhelden bei gemeinschaft für Raumforschung, Heraus- I S Hannover geber der Zeitschrift „Raumforschung und Raumordnung“ (1937-1939) S 1921-1930 Studium der Landwirtschaft, Universität Göttingen, Diplomlandwirt, 1938-1945 Herausgeber der Zeitschrift E Promotion, Habilitation „Neues Bauerntum“ N 1939-1945 Mitglied der Preußischen in der NSDAP S Akademie der Wissenschaften 1. 2. 1932 Eintritt in die Partei C in der DFG 1932 Parteiredner, später Führer der H 1936 Vizepräsident Dozentenschaft an der Universität Göttingen 1937-1945 Leiter der Fachsparte „Landbau- A 1933 NS-Stadtverordneter Göttingen

wissenschaften und Allgemeine Biologie“ F im Staatsdienst (ab 1944 „Landbauwissenschaften“) des T 1933 Referent im Preußischen Kultus- Reichsforschungsrates ministerium in der SS 1934-1938 Hochschulreferent im 20.6. 1933 Eintritt in die SS als ehren- Reichserziehungsministerium amtliches Mitglied, SS-Nr. 74.695 1934 Lehrstuhl für „Acker- und 1933-1935 SS-Schulungsleiter bei der Pflanzenbau“ an der Universität Jena 51. SS-Standarte in Göttingen 1934 Lehrstuhl für „Agrarwesen und 1935-1939 Mitarbeiter im Rasse- und Agrarpolitik“ und Leiter des gleichnamigen Siedlungshauptamt der SS (RuSHA) in Berlin, Instituts an der Friedrich-Wilhelms-Univer- Führer beim Stab des RuSHA sität, Berlin 1939-1945 Chef der Hauptabteilung 1935 Obmann und Herausgeber (bis 1945) „Planung und Boden“ des Reichskommissars des „Forschungsdienstes“ der Reichsarbeits- für die Festigung deutschen Volkstums gemeinschaften der Landbauwissenschaft (RKF), Führer beim Persönlichen Stab des 1936-1939 Ehrenamtlicher Mitarbeiter des Reichführers SS, ab 1941 Führer im Stabs- Stabsamtes des Reichsernährungsministers hauptamt RKF und bis 1945 Mitglied des Reichsbauern- 1944-1945 Einsatz bei der Waffen-SS, rates Junkerschule Kienschlag bei Prag

Konrad Meyer, arbeitete Konrad Meyer an der Umsiedlungsplaner der SS Verbreitung der ideologischen Grundlagen des „schwarzen Or- Als der Reichsführer SS Heinrich dens“: rassische Auslese und Himmler den Wissenschaftler ländliche Siedlung. Doch erst mit Konrad Meyer im Oktober 1939 Kriegsbeginn avancierte er zum zum Chef-Umsiedlungsplaner verantwortlichen Chefplaner der berief, verfügte die SS bei der SS-Umsiedlungspolitik. Als Leiter Neugestaltung des deutsch be- der Planungsabteilung des RKF setzten Europa über die größten projektierte er im so genannten Machtmittel. Himmler wählte „Generalplan Ost“ von 1942 die mit Meyer nicht nur einen Germanisierung Osteuropas durch renommierten Wissenschaftler, Vertreibung und Neuansiedlung – sondern auch einen langjährigen auf der Grundlage von Millionen SS-Führer. Opfern. Auch als SS-Führer machte der Wissenschaftler Kon- Bereits während seiner ehren- rad Meyer Karriere: Ab 1942 amtlichen Tätigkeit als Schulungs- bekleidete Meyer den Dienstrang leiter und Mitarbeiter des Rasse- eines SS-Oberführers der All- und Siedlungshauptamtes der SS gemeinen SS (= Generalmajor).

17 Neuer „Lebensraum“ nehmen und die dort lebenden G im Osten Europas Menschen als billige Arbeitskräf- N te nutzen. Vielmehr sollte der U Bereits vor Beginn des Zweiten verplante Raum in jeder Bezie-

N Weltkriegs entwarfen verschie- hung gestalterisch erobert wer-

A dene Institutionen Eroberungs- den. Das schloss die Deportation L und Umsiedlungspläne für eine und Umsiedlung von Millionen P Erweiterung des Deutschen Rei- Menschen ein. ches nach Osten. Ton und Rich- tung hatte in „Mein Mit der Eroberung Polens im Kampf“ vorgegeben, als er er- September 1939 übernahm die klärte, die Deutschen hätten die SS die Schlüsselrolle in Planung Pflicht, sich den „Lebensraum“ und Ausführung der Umsied- kulturell und „rassisch“„minder- lungen. Einen Tag, nachdem er wertiger Völker“ anzueignen. in einer Reichstagsrede eine umfassende „ethnische Neuord- Von Anbeginn stellten die auf nung“ Osteuropas angekündigt Osteuropa gerichteten Planun- gen ein Novum dar. Großräumi- ge Planungen hatte es bis dahin nur für überseeische Kolonien Umsiedlungskommissar Heinrich gegeben. Nun wurden diese ko- Himmler begrüßt in Przemysl, im be- setzten Polen, 1940 einen „volks- lonialen Vorstellungen auf Euro- deutschen“ Umsiedler aus Galizien. In pa übertragen und konsequent seinem Buch „Landvolk im Werden“ pro- radikalisiert. Neu waren Totalität pagierte Konrad Meyer die deutsche Be- und Detailliertheit der Planung. siedlung des „neuen Ostens“. Was auf der bunten Karte eher kitschig-idyllisch Man wollte nicht nur Land und wirkte, bedeutete in der Realität Ver- Rohstoffe einer Region in Besitz treibung und Massenmord.

18

G N U N A L P

hatte, übertrug Hitler am 7. Ok- Nach der Eroberung Polens kündigte tober 1939 Himmler die Verant- Adolf Hitler am 6. Oktober 1939 vor dem Reichstag die „ethnische Neuord- wortung für die „Germanisie- nung“ Europas an. rung“ der annektierten polni- schen Westgebiete. Diese Kom- petenz wurde später auch auf die anderen eroberten Gebiete ausgedehnt.

Himmler selbst wählte für sich den Titel „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volks- tums“ (RKF).

20 passt, eilten diesen aber auch P Die Entwicklung L des Generalplans Ost voraus. Schließlich wurden die A

Pläne zum „Generalsiedlungs- N

Zwischen 1940 und 1943 ließ plan“ ausgeweitet, in den nun U Heinrich Himmler insgesamt fünf auch westeuropäische Regionen N Varianten zur gewaltsamen Um- als deutsche Siedlungsgebiete G gestaltung Osteuropas entwer- einbezogen worden waren. fen, zusammen bildeten sie den Selbst angesichts der absehbaren Planungskomplex „Generalplan militärischen Niederlage wurden Ost“. Vier davon stammten aus die Planungen mit großem Auf- dem Apparat des „Reichskom- wand weiterverfolgt. missars für die Festigung deut- schen Volkstums“ (RKF), eine aus Neben den genannten waren dem Reichssicherheitshauptamt weitere Institutionen beteiligt, so (RSHA). zum Beispiel das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, das Im Zentrum der Arbeiten stand Reichsministerium für die be- die Hauptabteilung Planung und setzten Ostgebiete, die Reichs- Boden des RKF, als deren Leiter Himmler 1939 Konrad Meyer Bei der Eröffnung der Ausstellung berufen hatte. Hinsichtlich der „Planung und Aufbau im Osten“ am Dimensionen des verplanten Ter- 20.März 1941 in Berlin hielt Konrad ritoriums wurden die Pläne, den Meyer (r.) eine Ansprache an führende raumgreifenden Okkupationen Funktionäre (v. l.): Hitlers Stellvertreter Heß, Himmler, Reichsleiter Bouhler, der Wehrmacht folgend, immer Reichsminister Todt und der Chef des wieder überarbeitet und ange- Reichssicherungshauptamtes, Heydrich.

21 stelle für Raumordnung und Der „Generalplan Ost“ Konrad P L

Konrad Meyers Institut für Meyers vom Juni 1942 setzte an- A

Agrarwesen und Agrarpolitik der dere Akzente: Die Einheimischen N

Berliner Universität. Die Planer sollten nun nicht mehr gewalt- U konnten auf Statistiken, Karten sam deportiert, sondern inner- N und Literatur zurückgreifen, die halb der eroberten Gebiete auf G seit langem von verschiede- Kolchoseland „umgesetzt“ wer- nen Organisationen der Ostfor- den. Aber auch dieser Plan sah schung und Volkstumswissen- die Dezimierung der Bevölkerung schaft sowie von Interessen- durch immense Zwangsarbeits- verbänden gesammelt worden projekte und forcierte „Entstädte- waren. rung“ vor. In der Konsequenz ging es darum, einen Großteil der Bevölkerung zu ermorden oder Die Umsetzung verhungern zu lassen. einer rassistischen Utopie Schließlich sollten einige Millio- Die Neuordnung Osteuropas nen Deutsche sowie „Germa- wurde konsequent nach rassen- nen“ aus Westeuropa in den ideologischen Prämissen konzi- annektierten Gebieten angesie- piert. So stand am Anfang delt werden. Sie sollten die ein- fast aller Planungsvarianten die heimische Bevölkerung „biolo- Überlegung einer „Totalerfas- gisch“ verdrängen. sung“, „rassischen Durchmuste- rung“ oder „Selektion“ der einheimischen Bevölkerung. Für Eine leistungsfähige die „Wiedereindeutschungsfä- higen“ und „rassisch erwünsch- Agrargesellschaft als Ziel ten Fremdvölkischen“ wurde Den Varianten der Planung die Möglichkeit der „Eindeut- war neben ihrem rassistischen schung“ oder „Rückvolkung“ Grundkonzept gemeinsam, dass vorgesehen. Die Ermordung der sie eine Agrargesellschaft an- jüdischen Bevölkerung wurde in strebten. Die Planer entwarfen den Plänen als gar nicht mehr zu die Vision eines leistungsfähigen erörternde Frage schlicht voraus- Agrarraums mit dezentralisierten gesetzt. Industrie- und Siedlungsstruktu- ren. Neben der Umgestaltung Nach den Planungen des RSHA der Bevölkerungsstruktur betra- vom November 1941 sollten fen die Planungen eine Vielzahl 31 Millionen „fremdvölkische weiterer Bereiche: Menschen“ nach Osten depor- tiert oder ermordet werden. Für • die Infrastruktur. Die Verkehrs- 14 Millionen „Fremdvölkische“ und Erschließungswege sollten plante man eine Zukunft als neu organisiert werden (Eisen- Arbeitssklaven. bahn, Autobahn, Wasserstraßen)

23 • die Siedlungsstruktur. Orte und teiligt, wie zum Beispiel Geo- G Städte sollten umgebaut oder logie, Klimatologie, Verkehrs-, N neu eingerichtet werden Landschafts- und Stadtplanung, U Architektur, Statistik, Medizin, • die Ökonomie. Anbauflächen N Biologie, Veterinärmedizin, Ge- sollten neu zugeschnitten und A netik, Agronomie, Anthropolo-

L die Agrarproduktion gesteigert gie, Soziologie, Jura und Sprach- P werden; die industriellen Pro- wissenschaften. Die Wissen- duktionseinheiten sollten ent- schaftler nahmen nicht nur zur flochten werden Kenntnis, worauf sich die Inter- • die Verwaltungsstruktur. Sie essen des nationalsozialistischen sollte nach dem Ideal eines Staa- Staates richteten, sondern sie tes mit „Führerprinzip“ und ras- selbst formulierten diese. sistischen Hierarchien völlig neu gestaltet werden. Diesem Planungsprofil entspre- Heinrich Himmler erklärt Rudolf Heß, dem Stellvertreter Adolf Hitlers, am chend waren ganz verschiedene 20. März 1941 anhand von Modellen wissenschaftliche Disziplinen be- seine Siedlungspläne.

24 P L A N U N G

„Deutsche“ Dörfer für die In Broschüren und Modellen wurde die Anlage deutscher Musterdörfer im „Germanisierungszonen“ Osten dargestellt. Damit warben die Planer um Konrad Meyer für ihre Die Planungen für die deutsche Visionen. Besiedlung des eroberten „Os- tens“ gingen bis ins letzte De- tail. Am Reißbrett entwarfen die Schwimm- und Sportstätten, Planer ideale Musterdörfer und Strom- und Telefonleitungen nicht -städte, die künftig die Topogra- verzichtet werden. phie des eroberten Raums prä- gen sollten. Im Großen und Ganzen orien- tierten sich die Planer am Leitbild Man versuchte, ein Erscheinungs- eines „rassisch werthaften Neu- bild, das vormoderne „Boden- bauern“, dem es möglich sei, ständigkeit“ und „Naturnähe“ seinen Hof „zwar mit Fleiß und ausdrücken sollte, mit Kriterien Tüchtigkeit, aber ohne überlan- moderner Funktionalität zu ver- ge Arbeitszeiten, ohne die heu- binden. Äußerlich sollten die neu- tige Überbeanspruchung von en Dörfer dem jeweiligen „Hei- Weib und Kind so zu bewirt- matstil“ jener Regionen nach- schaften, daß er eine angemes- gebildet werden, aus denen die sene Lebenshaltung gewährt“. deutschen Siedler kamen. Aber Insgesamt galt die Schaffung zugleich musste hinter diesen „deutscher“ Dorfanlagen und Fassaden Platz für eine effiziente, „artgerechter“ Landschaften in auf Maschineneinsatz gestützte den östlichen „Germanisierungs- Hochleistungslandwirtschaft sein. zonen“ als Beitrag zur „Volks- Die Silhouetten der neuen Orte tumspflege“. Sie sollte in das sollten der Zeit „vor 1850“ nach- „Altreich“ zurückstrahlen und gebildet, aber auf Parteihäuser, dort zur Eindämmung der HJ-Heime, Vortragssäle, moderne „Landflucht“ beitragen.

25 Grundlagenforschung für jährlichen Zuwendungen wurde G den Generalplan Ost ihm direkt zugewiesen (zwischen N 60 000 und 70 000 RM jährlich). U Die Umsiedlungsplanungen des Der Rest stand für Einzelanträge

N Reichskommissars für die Festi- von Wissenschaftlern zur Ver-

A gung deutschen Volkstums, der fügung, die Meyer zunächst L „Generalplan Ost“ von 1942 selbst prüfte und dann der DFG P und der „Generalsiedlungsplan“ zuleitete. von 1942/43, wurden in be- trächlichem Ausmaß durch die Konrad Meyer war sich der Praxis- Deutsche Forschungsgemein- relevanz seiner von der DFG ge- schaft finanziert. Von 1941 bis förderten Grundlagenforschung 1945 wurden insgesamt 510 000 durchaus bewusst. Bereits in Reichsmark für „Planungswissen- seinem Antrag an die DFG für schaftliche Arbeiten zur Festigung das Rechnungsjahr 1942/43 vom deutschen Volkstums“ bereit- 13.April 1942 verwies er darauf, gestellt. Weitere 100 000 Reichs- dass mit den erweiterten Kom- mark für das Jahr 1945/46 wur- petenzen des RKF auch der Bedarf den noch bewilligt, aber nicht an vorbereitender Grundlagen- mehr ausgezahlt. Zum Vergleich: forschung massiv gestiegen sei. Der Gesamtetat der DFG lag 1941 Meyer beantragte demgemäß bei sechs Millionen Reichsmark. eine Erhöhung seines Forschungs- etats auf 150 000 Reichsmark im Konrad Meyer wirkte hierbei als Jahr – und erhielt alsbald die Projektkoordinator. Ein Teil der Bewilligung.

DFG-geförderte Projekte im Umfeld DFG-geförderte Projekte in Fortführung des Generalplans Ost 1941/42 der Arbeiten am Generalsiedlungsplan 1943/44 Dr. Erhard Mäding, RKF Berlin: „Statistische Dr. jur. habil. Horst Bartholomeyczik, Breslau: und verwaltungsrechtliche Untersuchungen „Erforschung der rechtlichen Voraussetzun- über die Gliederung der Ostgebiete“ gen und der Rechtsform der Ostsiedlung“ Prof. Dr. Max Rolfes, Institut für landwirt- Prof. Dr. Reinhard Höhn, Universität Berlin: schaftliche Betriebslehre, Universität Gießen: „Auswertung der Erfahrungen der Siedlungs- „Untersuchungen zur Agrarpolitik und Be- politik der Preußischen Ansiedlungskommis- triebslehre“ sion auf dem Gebiete der Kirche, der Schulen und des Sprachenwesens“ DFG-geförderte Projekte für den Generalsiedlungsplan 1942/43 DFG-geförderte Projekte in Fortführung der Arbeiten am Generalsiedlungsplan Dipl.-Volkswirt Arthur von Machui, RKF 1944/45 Berlin: „Volksbiologische und volksgemein- Prof. Dr. Felix Boesler, Universität Jena: schaftliche Voraussetzungen des ländlichen „Untersuchung zu Problemen des Ostauf- Aufbaus im neuen deutschen Osten“ baus, laufende Forschungsaufträge des RKF“

Dr. Erhard Mäding, RKF Berlin: „Aufstellung Dr. Franz Doubek, RKF Berlin: „Die Bedeu- von Grundsätzen zur ländlichen Neuordnung tung der Donau und Alpenreichsgaue für die des Altreiches im Hinblick auf die Aufgaben Neusiedlung und ihre Stellung in der künfti- gen ländlichen Neuordnung des Reiches“ der Festigung deutschen Volkstums in den neuen Siedlungsgebieten“ (jeweils Auswahl)

26 P

Akademische Beflissenheit L

und verbrecherische Politik A N

Manche Wissenschaftler boten U sich ungefragt und auf eigene N Initiative als Experten für den G „Osten“ an. So übergab der angesehene Anthropologe und Ethnologe Otto Reche (Bild Mit- te), Direktor des Instituts für Ras- sen- und Völkerkunde der Uni- versität Leipzig, Ende September 1939 einer SS-Stelle aus eigener „akademischer Beflissenheit“ heraus „Leitsätze zur bevölke- rungspolitischen Sicherung des deutschen Ostens“.

Reche wollte seine „rassischen und rassenhygienischen Über- legungen“ in die Ostraumpolitik einbezogen wissen: „Ich würde es für eine Pflichtverletzung mei- nerseits halten, wenn ich mich jetzt nicht meldete, um mich auf diesem Gebiet nützlich zu ma- chen; es steckt in meinen Gedan- kengängen zudem ja ein erheb- licher Teil meiner Lebensarbeit“.

Auch Eugen Fischer (oben) und Fritz Lenz (unten) vom Kaiser- Wilhelm-Institut für Anthropolo- gie, menschliche Erblehre und Eugenik erstellten im Rahmen des „Generalplans Ost“ Gutachten zur Ansiedlung „deutscher Men- schen“, und ihr Kollege Wolf- gang Abel dachte in seiner Unter- suchung an russischen Kriegs- gefangenen schon über die Liqui- dierung des russischen Volkes nach, da dieses „unter rassischen Gesichtspunkten eine Gefahr für die Deutschen“ darstelle.

27 G N U B I E R T R E V

Vertreibung und Mord Im März 1940 mussten die jüdischen Bewohner von Lodz ihre Wohnungen im besetzten Polen verlassen und wurden von den NS- Behörden im neu errichteten Ghetto auf Der „Generalplan Ost“ wurde engstem Raum zusammengepfercht. nie Realität. Er war eine Vision für die Zeit nach dem deutschen • wurden etwa 800 000 nicht-jü- „Endsieg“. Doch unter den Be- dische Polen aus ihren Wohn- dingungen des Kriegs gingen die orten vertrieben, um Platz für die Nationalsozialisten einige kon- deutschen Siedler zu schaffen, krete Schritte, die sie als erste • wurden etwa 1,7 Millionen Etappen auf dem Weg zu ihrem Menschen als Zwangsarbeiter Ostimperium sahen. Im besetz- „ins Reich“ verschleppt, ten Polen beispielsweise, das den Schwerpunkt dieser „völkischen • wurden zwischen 20 000 und Flurbereinigung“ bildete, 50 000 Kinder verschleppt, um sie im „Reich“ als Deutsche auf- • wurden zwischen 1940 und wachsen zu lassen. 1944 über 700 000 Deutsche in jenen Regionen angesiedelt, die In ganz Polen wurden drei Millio- vom Deutschen Reich direkt nen Menschen jüdischer Her- annektiert worden waren (das kunft zunächst in Ghettos einge- heißt, in Westpreußen, dem „War- pfercht und schließlich ermor- thegau“ und Oberschlesien), det.

28 Es waren nicht die wissenschaft- Die Umsiedlung V lichen Experten selbst, die umsie- E der Volksdeutschen R

delten, deportierten und ermor- T

deten. Aber ihre Denkschriften Im Hitler-Stalin-Pakt vom 23. Au- R und Vorträge halfen den Tätern gust 1939 grenzten Deutschland E I

vor Ort, sich als Vollstrecker eines und die Sowjetunion ihre Inter- B

„common sense“ der deutschen essensphären voneinander ab. U

Eliten zu sehen. Vertreibung und Nun begannen die National- N sozialisten, die seit Jahrhunder-

Massenmord konnten so als not- G wendige Mittel für die planvolle ten über Osteuropa verstreut sie- Gestaltung einer für die Deut- delnden Deutschen „heim ins schen glänzenden Zukunft ver- Reich“ zu holen. Das Regime standen werden; moralische wollte diese „Volksdeutschen“ Hemmschwellen konnten über- dazu benutzen, die westlichen wunden werden. Regionen des besetzten Polens zu „germanisieren“. Die Mehr- heit dieser Menschen sollte als Bauern in Westpreußen und im „Warthegau“ angesiedelt wer- Hunderttausende „Volksdeutsche“ den. aus Osteuropa wurden ab 1939 „heimgeholt“ – allerdings zumeist ins Im Januar 1944 lebten in den besetzte Polen. Das Bild der NS-Propa- annektierten Teilen Westpolens ganda aus dem Jahr 1941 zeigt die 353 000 Volks- und 370 000 aufwändig inszenierte Ankunft von Litauendeutschen im ostpreußischen Reichsdeutsche. Infolge des deut- Grenzort Eydtkuhnen. schen Rückzugs aus der Sowjet-

29 union wurden dann bis Ende Auf der Suche G 1944 weitere 250 000 „Russ- nach „deutschem Blut“ N landumsiedler“ in den Warthe- U transportiert, zumeist in von Die Auslese jener Menschen, die B

I der SS organisierten Trecks. nach dem Willen der National-

E sozialisten im eroberten Ost-

R Auch innerhalb der Bevölkerung europa eine „rassisch“ homo- T Polens suchten die Nationalsozialis- gene Gesellschaft aufbauen soll- R ten nach „deutschem Blut“. Bis ten, übernahmen Experten des E 1944 kategorisierten sie 2,8 Millio- Rasse- und Siedlungshauptamtes V nen Menschen in den vier Katego- der SS. Mit anthropologischen rien der „Deutschen Volksliste“ und rassekundlichen Diagnose- als mehr oder minder „eindeut- methoden untersuchten sie schungsfähig“. Da nur „gutras- „Volksdeutsche“ wie Polen. sige“ Individuen als deutsche Sied- Mit wissenschaftlicher Präzision ler in Frage kamen, überprüften wollten sie „unerwünschten Be- die Rasseexperten der SS bis völkerungszuwachs“ von einer Ende 1944 in ganz Europa et- Verwendung als Ostsiedler aus- wa 1,2 Millionen „Volksdeutsche“ schließen und zugleich alle „ras- sowie 1,5 Millionen „Fremdvölki- sche“ auf ihren „rassischen Wert“. Auf dieser Grundlage wurde dann Die Ankunft „volksdeutscher“ Umsiedler aus Ostpolen in ihrem neuen Dorf im an- und umgesiedelt, vertrieben „Warthegau“ im Mai 1940, wo sie auf und nicht selten auch gemordet. die Bauernhöfe verteilt wurden.

30 V E R T R E I B U N G

sisch hochwertigen“ Individuen In einem aufwändigen Verfahren re- herausfiltern. gistrierte die SS alle einreisenden „Volksdeutschen“. So hatten auch die Mitglieder der Familie Gliebe aus Fiel das „Rasseexamen“ bei Per- Slowenien eine „staatsbürgerliche“, sonen nicht-deutscher Herkunft „rassische“ und „gesundheitliche“ positiv aus, so erklärten die Ras- Prüfung über sich ergehen zu lassen, bevor sie die Einbürgerungsurkunden senexperten dies mit „verloren erhielten. gegangenen deutschen Wur- zeln“. Als Anzeichen deutscher Erbanlagen galten unter anderen ner und -praktiker nun leichter große, schlanke Statur, gerade zugreifen konnten. Zugleich gab Nasen, hohe Wangenknochen, der Verweis auf die Erkenntnisse helle Haut, blaue Augen und der Anthropologie und Rassen- blonde Haare. kunde den Experten eine Legi- timation für ihre Maßnahmen Generell gilt, dass das Verfahren vom Umsiedeln bis zum Töten an der rassischen Auslese die Indivi- die Hand. duen auf ihren angeblichen ras- sischen Wert reduzierte. Durch Eine im Jahr 1941 von den die vermeintlich rationale Klassi- Nationalsozialisten zu Propagan- fikation wurden die Menschen in dazwecken angefertigte Foto- zahlreiche Untergruppen einge- serie zeigt die Arbeit der SS-Ras- teilt, auf welche die national- senprüfer am Beispiel einer sozialistischen Umvolkungspla- „volksdeutschen“ Familie.

31 Dynamik des Scheiterns – Typisch für den Nationalsozialis- G Dynamik der Vernichtung mus war, dass seine Eliten nie N bereit waren, ihre Ziele den U Kennzeichnend für die Umsied- Realitäten anzupassen. Vielmehr B

I lungs- und Deportationspolitik reagierten sie auf jedes Schei-

E der Nationalsozialisten war der tern mit noch monströseren

R schnelle Wechsel widersprüch- Plänen und noch brutaleren T licher, aber stets als „endgültig“ Praktiken. Die so in Gang ge- R gedachter Projekte. Sollten zu- haltene Dynamik der Vernich- E nächst alle „Volksdeutschen“ aus tung endete erst mit der totalen V dem „Generalgouvernement“ Niederlage Deutschlands im Jahr nach Westpolen verpflanzt wer- 1945. den, so begann man 1942 damit, im ostpolnischen Kreis Zamosc 13 000 Deutsche anzusiedeln. Im Die Schoah: März 1941 wurden die 45 000 in Umsiedlung in den Tod Litauen lebenden Deutschen nach Westpolen transportiert, aber ab Die Pläne zur „völkischen Flurbe- Juli 1942 siedelte man 22 000 von reinigung“ Osteuropas und die ihnen wieder „zurück“. Nicht nur konkreten Probleme der Ansied- die „Volksdeutschen“ erschienen lung „Volksdeutscher“ gehörten den Organisatoren als willkürlich zu jenen Faktoren, die zwischen verschiebbare Masse: Aus dem 1940 und 1942 zur Radikalisie- Kreis Zamosc wurden mindestens rung der Judenpolitik beitrugen. 50 000 Polen vertrieben, und in Nachdem die Ermordung von Litauen verloren 22 000 Men- sechs Millionen europäischen Ju- schen ihre Bauernhöfe, um Platz den in Gang gesetzt war, blieb für die deutschen Siedler zu ma- sie auf mehrfache Weise mit den chen. Umsiedlungen und Vertreibun- gen verwoben: Die Organisatoren der Umsied- lungen scheiterten immer wie- • Die Schoah war nicht zuletzt der an mangelnden Ressourcen, ein millionenfacher Raubmord: Kompetenzkämpfen, ihren un- Die Täter eigneten sich Häuser, realistischen Zielen und be- Mobiliar, ja selbst die Kleider der schränkten Fähigkeiten. Von Opfer an. Ein Teil dieser Beute den 511 000 bis März 1942 diente ihnen zur Versorgung der aus Osteuropa „heimgeholten“ deutschen Umsiedler. Deutschen beispielsweise hatten 287 000 Wohnsitze im an- • In ihrer internen Kommuni- nektierten Westpolen erhalten, kation dienten den Tätern Be- und 93 000 lebten inzwischen griffe aus den Wortfeldern von im „Altreich“. Aber immerhin „Umsiedlung“ und „Wande- 131 000 „siedelten“ noch im- rung“ als Tarnbegriffe für den mer in „Durchgangslagern“. Genozid.

32 • Wenn die Täter die Ermordung Ein Dokument dieser Verschrän- V der Juden als „Umsiedlung“ kung von Genozid und Sied- E R

bezeichneten, bedienten sie sich lungsvisionen ist die Fotoserie, T

nicht einfach eines zynischen die zwei SS-Männer im Ver- R

Euphemismus. Vielmehr war in nichtungslager Auschwitz an- E I

ihrem Denken die Besiedlung legten. Sie dokumentierten in B

Osteuropas durch deutsche Er- Form eines Albums (Foto) die U

oberer tatsächlich untrennbar mit Ankunft und Selektion unga- N

dem Judenmord verbunden. In rischer Juden am 26. Mai 1944, G ihren eigenen Augen erfüll- die Vorbereitungen zu ihrer Er- ten die Mörder eine schwe- mordung und die Plünderung re, aber „notwendige“ Aufgabe ihrer Habseligkeiten – all dies für die Zukunft des eigenen Vol- unter dem Titel „Umsiedlung kes. der Juden aus Ungarn“.

33 Nach 1945: Freispruch für die NS-Planer

Was geschah nach dem Krieg mit den Verantwortlichen? Konrad Meyer (Fotos rechts) und andere Umsiedlungsfunktionäre mussten sich 1947/48 in einem der Nürnberger Kriegsverbrechertribunale ver- antworten. In dem Verfahren gelang es Meyer und seinen als Zeugen geladenen früheren Mitarbeitern, die amerikanischen Richter von der vermeintlichen Harmlosigkeit der Umsiedlungspläne zu überzeugen. In einer eidesstattlichen Erklärung versicherte zum Beispiel der Agrarwissenschaftler Herbert Morgen den Nürnberger Richtern: „Ich bin als Wissenschaftler überzeugt, daß viele Forschungsergebnisse von Prof. Meyer einen bleibenden Wert haben; sie sind auch unter den gegebenen Verhältnissen zeit- und lebensnah.“ Der Landesplaner Erhard Mäding erläuterte, der „Generalplan Ost“ habe „eine be- deutende Aufwertung der fraglichen Gebiete und damit eine wesentliche Verbesserung des Lebensstandards der Bewohnerschaft einschließlich der darin verbliebenen polnischen Volksteile bedeutet.“

Konrad Meyer wurde in den wesentlichen Anklagepunkten frei- gesprochen. Lediglich wegen seiner Mitgliedschaft in der SS wurde er verurteilt, die Haftstrafe galt jedoch als mit der Internierungszeit verbüßt, und Meyer verließ das Gericht als freier Mann. Die Einschät- zung, bei den Umsiedlungsplänen habe es sich um unpolitische Grundlagenforschung gehandelt, wurde in der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte akzeptiert. Auch die Deutsche For- schungsgemeinschaft sah lange keine Veranlassung, sich mit ihrer ei- genen Rolle bei der Förderung der wissenschaftlichen Begleit- forschung zum „Generalplan Ost“ zu beschäftigen.

Vielen nationalsozialistischen Wissenschaftlern gelang es, in der jun- gen Bundesrepublik ihre Karrieren unangefochten fortzusetzen.

Konrad Meyer beschäftigte sich nach der Entlassung aus alliierter Haft als Mitarbeiter auf der Domäne Voldagsen mit Problemen der Pflanzenzucht. 1956 wurde er Professor und Institutsdirektor an der Technischen Hochschule Hannover, zunächst für Landbau und Landesplanung, dann für Landesplanung und Raumforschung. Er wurde Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landes- planung in Hannover und des Wissenschaftsrates des Instituts für Raumforschung in Bad Godesberg.

Während der fünfziger Jahre wurde Meyer in bescheidenem Ausmaß erneut von der DFG gefördert. Die Forschungsstation Voldagsen, an

34 der Meyer zunächst arbeitete, erhielt in den fünfziger Jahren mehr- fach Fördergelder. Als Professor in Hannover erhielt Meyer 1958 DFG-Mittel für ein Forschungsvorhaben über die „Veränderung der Bodennutzung und sozialräumlichen Struktur einer wachsenden Großstadt“.

Herbert Morgen, vor 1945 einer der engsten Mitarbeiter Meyers, wurde später Professor für Agrarwirtschaftslehre an der Pädago- gischen Hochschule für landwirtschaftliche Lehre in Wilhelmshaven. Zwischen 1966 und 1970 amtierte er als Präsident der Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover. Als Teilnehmer an einer „Sammeluntersuchung über die Lebensverhältnisse von Klein- bauern/soziale Sicherung auf dem Lande“ profitierte Morgen 1954 von Fördergeldern der DFG.

Heinrich Wiepking-Jürgensmann, vor 1945 Himmlers Fachmann für die östliche Landschaftsgestaltung, baute nach dem Krieg die gartenwissenschaftliche Fakultät der TH Hannover auf. 1956 holte er seinen alten Kollegen Meyer auf den Lehrstuhl für Landbau und Landesplanung an die TH Hannover. Als „Vorkämpfer der grünen Menschenrechte“ (Lennart Bernadotte, 1971) erhielt Wiepking zahlreiche Ehrungen bundesdeutscher Naturschützer

„In Wahrheit haben weder Raumordnung noch Raumforschung ... mit dem Nationalsozialismus auch nur das geringste zu tun.“

Festschrift der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover, 1960

36 „ ... und dann eines Tages heißt es, wir werden weiter irgendwo reisen.“

„Im Januar mußten wir raus aus unserer Wohnung. Aber nicht nur wir, da waren tausend andere Familien, die raus müssen. Und das war eine Fabrik, und da waren wir ungefähr vier Wochen. Aber gar keine Matratzen, gar nichts, nur auf dem Fußboden geschlafen. Tausende Menschen. Polen, die aus ihren Wohnungen vertrieben waren. Und dann eines Tages heißt es, wir werden weiter irgendwo reisen. Ein bestimmter Ort wurde uns nicht gesagt, aber irgendwie wir sollten in ein Dorf fahren. Und dann sollen die Leute uns aufnehmen und betreuen. Natürlich sind wir in diesen Güterzügen gefahren, gar keine Personenzüge, alles in Güterzügen. Wieder tausend Menschen in einem Waggon. Alles Toilette, wie das schon üblich war. Und ungefähr nach drei Tagen, in der Nacht, da kommen die Deutschen, ja, hier ist unsere Endstation. Morgens kommen die Leute vom Dorf, die werden uns übernehmen. Und tatsächlich war das so. Und wir haben hinten im Dorf ein kleines Häuschen bekommen. Kam aber drinnen – kein Essen und gar nichts, kein Holz, kalt.“

Frau X., 1925 als Tochter eines polnischen Offiziers geboren, in einem Interview vom März 1993 über ihre Vertreibung aus Lodz im Jahr 1940