„I Shot a Man in Reno, Just to Watch Him Die“*

„I Shot a Man in Reno, Just to Watch Him Die“*

„I Shot a Man in Reno, Just to Watch Him Die“ * Überlegungen zum Verhältnis von Strafrecht und Musik, vertieft am Beispiel zeitgenössischer Po- pulärmusik von Johnny Cash Von Dr. Florian Knauer , Berlin I. Einführung Der Beitrag befasst sich in erster Linie mit dem Verhält- Das Verhältnis von Recht und Musik ist – anders als etwa die nis von Strafrecht und zeitgenössischer Populärmusik, insbe- Darstellung des Rechts in der schönen Literatur und im Film sondere der von Johnny Cash . Das schließt nicht aus, dass vereinzelt auch auf das allgemeine Verhältnis von Recht und – im (straf-)rechtlichen Schrifttum bislang nur selten genauer 2 untersucht worden. 1 Eine nähere Beschäftigung mit dem Musik Bezug genommen wird. Der Begriff des Strafrechts Thema drängt sich daher bereits aus allgemeinen Erwägun- gen auf. Konkreter Anlass für die nachfolgenden Überlegun- 2 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die rechtswissenschaftli- gen ist der Umstand, dass Johnny Cash in diesem Jahr acht- che Auseinandersetzung um das Verhältnis von Gesetzgeber zig Jahre alt geworden wäre. Denn in den Liedern von John- und Richter. Nach Hirsch (ZRP 2006, 161) entspricht das von ny Cash , aber auch in seinem persönlichen Leben und Wir- Heck geprägte Bild vom Richter als Diener des Gesetzgebers ken abseits der Bühne, spielte das Strafrecht stets eine beson- nicht mehr unserer Verfassungswirklichkeit. Besser passe das ders große Rolle. Es gibt wohl keinen anderen Musiker, des- Bild des Richters als Pianisten und des Gesetzgebers als sen Name so eng mit den Themen Straftat, Strafe und Straf- Komponisten (vgl. zum Bild des Gesetzgebers als Komponis- vollzug verbunden ist wie der von Johnny Cash . Dies recht- ten auch schon Haltern [Fn. 1], S. 651 [S. 652, 698] m.w.N. fertigt es, seine Person und sein Werk im Rahmen der nach- zur Herkunft des Bildes aus dem amerikanischen Recht). Der folgenden Ausführungen zu Strafrecht und Musik in besonde- Richter interpretiere wie der Pianist die Vorgaben, mehr oder rem Maße zu würdigen. Der Beitrag verfolgt daher folgende weniger virtuos, er habe Spielräume, dürfe das Stück aber Ziele. Zum einen möchte er mit einigen allgemeinen Überle- nicht verfälschen. Das Bild passe auch insoweit, als bestimm- gungen dazu anregen, dem Themenkreis „Strafrecht und te Medien mitunter auf den Pianisten schießen würden, ob- Musik“ künftig mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen (dazu wohl sie eigentlich auf den Komponisten zielen müssten. II.). Zum anderen untersucht er die Rolle des Strafrechts für Schwöbbermeyer (ZRP 2007, 66) hält dieses Verständnis für die Person und das Werk Johnny Cashs (III.). Anschließend zutreffend und baut es weiter aus. Zur Vollständigkeit des werden einige Folgerungen für das Verhältnis von Strafrecht Bildes gehöre auch, dass dem Pianisten oft kein vollständiges und Musik gezogen (IV.). oder überhaupt kein Notenblatt zur Verfügung stehe. Gleich- wohl könne er vor erwartungsfreudigem Publikum nicht * Der Beitrag ist Prof. Klaus Marxen gewidmet. darauf warten, bis der Komponist ihm ein in allen Details 1 Vgl. Haltern , in: Epping u.a. (Hrsg.), Brücken Bauen und ausgearbeitetes Musikwerk zur Verfügung stelle. Er müsse Begehen, Festschrift für Knut Ipsen zum 65. Geburtstag, auf Grundlage des zur Verfügung stehenden Materials sein 2000, S. 651 (S. 652): „Die Musik […] leidet unter konse- Konzert geben und fehlende Vorgaben des Komponisten in quenter Nichtbeachtung der Juristen. […] Das ist […] bedau- schöpferischer Interpretation ergänzen. Roellecke (FAZ v. erlich, denn die Musikwissenschaft hätte das Zeug, die […] 30.1.2007, S. 34) hält das Bild für nicht schlecht, obwohl es Rechtswissenschaft […] zu befruchten.“ Vgl. allerdings zum überrasche. Es widerspreche den Standesinteressen der Rich- Thema „Recht und Musik“ neben Haltern auch die Beiträge ter, die sich darauf verlassen können müssten, dass sie jeder- in: Weber (Hrsg.), Literatur, Recht und Musik, 2007; Groß- zeit hinter dem Gesetz in Deckung gehen könnten. Es deku- feld , Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 109 vriere die deutsche justizstaatliche Tradition, die sich daran (2010), 379; Schild , Staat und Recht im Denken Richard gewöhnt habe, das Paradox der Gesetzesbindung einfach zu Wagners, 1994; Groll , Musik, Insel der Glückseligen?, Zum ignorieren. Schließlich ärgere es die Demokraten, die mein- Musikverständnis in einer verrechtlichten Welt, 1994; Zak , ten, alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus und die hinter der Musik als „Ehr und Zier“ im mittelalterlichen Reich, Studien Rechtsprechung das Volk nicht mehr sehen würden. Hirschs zur Musik im höfischen Leben, Recht und Zeremoniell, 1979. Metapher hat aber auch heftigen Widerspruch gefunden. Die Redaktion der NJW hat 1985 ein Sonderheft zum Thema Möllers (FAZ v. 26.10.2006, S. 37) etwa meint, in einem „Musik und Recht“ herausgegeben, das unter anderem den Land, in dem der eine Richter Horowitz und der andere Ru- Beitrag von Seidel , NJW 1985, 2126 („O sancta justitia! – binstein sein möchte, in dem sich auch die einfachen Gerichte Juristen in der Oper“), enthält. Aus dem englischsprachigen dazu berufen fühlten, frei auf der Klaviatur der Gerechtigkeit Schrifttum vgl. Manderson , Songs without Music, Aesthetic zu spielen, in einem solchen Land seien die Richter für die Dimensions of Law and Justice, 2000, sowie die Beiträge von Freiheit eine Bedrohung. Hirsch (ZRP 2009, 253 [254]) ant- Ball , in: Freeman (Hrsg.), Law and Popular Culture, 2005, wortete auf die Frage, was der Pianist, der Richter, mache, S. 303, und Tetzlaff , in: Freeman (a.a.O), S. 316. Weitere wenn der Komponist, also der Gesetzgeber, in der Partitur Hinweise zu englischsprachiger Literatur finden sich bei weiße Flecken gelassen habe, wie folgt: Der große Pianist Großfeld a.a.O. sowie in den dort nachgewiesenen Beiträgen Horowitz habe einmal einem Pianisten ins Stammbuch ge- von Long , Washington and Lee Law Review 64 (2007), 531, schrieben, dass das Klavierspiel aus Vernunft, Herz und und Pearce/Danitz/Leach , Widener Law Journal 14 (2005), technischen Mitteln bestehe. Alles solle gleichermaßen ent- 907; vgl. ferner Lee , Widener Law Journal 14 (2005), 719. wickelt sein. Ohne Vernunft sei der Pianist ein Fiasko, ohne _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für das Juristische Studium – www.zjs-online.com 413 VARIA Florian Knauer ist im Folgenden weit zu verstehen. Er umfasst nicht allein haupt mit dem Verhältnis von Strafrecht und Musik befas- die kriminalrechtliche Beurteilung menschlichen Verhaltens, sen? Die juristische Methodenlehre stellt das Handwerkszeug sondern auch das strafrechtlich relevante menschliche Ver- bereit, um beispielsweise Gesetze auszulegen. Welche Ziele halten, also die Straftat selbst. Das Verständnis von Musik, aber hat die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Strafrecht das dem Beitrag zugrunde liegt, schließt mit ihr eng verbun- und Musik? dene, beigeordnete Kunstformen wie insbesondere Musikvi- Man liegt möglicherweise nicht ganz falsch, ein Ziel darin deos und Texte auf den Schallplattenhüllen oder in den Be- zu vermuten, dass sich Juristen ganz schlicht auch gerne ein- gleitheften zu einer CD, sog. Liner Notes, ein. mal zu Themen äußern, die außerhalb ihrer spezifisch juristi- schen Tätigkeit liegen. Auf Seiten der (juristischen?) Leser- II. Allgemeine Überlegungen zum Verhältnis von Straf- schaft dürfte das korrespondierende Interesse der Wunsch recht und Musik nach Unterhaltung und Abwechslung bei der Lektüre sein – Die vorstehend festgestellte Vernachlässigung des Verhält- man denke etwa an die jährlichen Literaturhefte der NJW. nisses von Strafrecht und Musik im juristischen Schrifttum Ein weiteres Ziel eines Aufsatzes über Recht und Musik – überrascht insbesondere deswegen, weil sich rasch eine Viel- wie auch eines Beitrags etwa zu Recht und Literatur – von zahl von Anknüpfungspunkten finden lässt, anhand derer sich Seiten des Autors mag sein, sein Wissen und seinen über das Juristische hinausgehenden Bildungshorizont mit anderen zu das Verhältnis von Strafrecht und Musik vertiefen ließe. 6 Überträgt man etwa die Systematisierung von Weber 3 zu teilen. Schließlich mag die Beschäftigung mit dem Verhält- möglichen Annäherungen an das Thema „Recht und Litera- nis von Strafrecht und Musik dazu dienen, neue Perspektiven tur“ auf die Musik, so wäre wenigstens an die folgenden für den eigenen Blick auf das Strafrecht zu gewinnen oder Varianten zu denken: Musik als Gegenstand des Rechts (dazu sich darüber zu vergewissern, wie der eigene Berufsstand in 2.), Recht als Gegenstand der Musik (dazu 3.), Prozesse um der Öffentlichkeit wahrgenommen und künstlerisch reflek- Musikstücke und Prozesse in Musikstücken (dazu 4.) sowie tiert wird. Musiker als Juristen und Juristen als Musiker (dazu 5.). 4 Über Mustert man diese Ziele durch, so erfordert keines von die von Weber genannten Perspektiven hinaus wird auch ihnen eine spezielle, ausdifferenzierte Methodenlehre, wie noch den Fragen nach Musikern als Tätern und Opfern von wir sie im juristischen Arbeitsalltag bei der Gesetzesausle- Straftaten sowie Tätern und Opfern von Straftaten als Musi- gung gebrauchen. Dies spricht dagegen, bei der Beschäfti- kern nachgegangen (dazu 6.). Vorangestellt werden einige gung mit dem Verhältnis von Strafrecht und Musik methodi- methodische Vorüberlegungen (dazu 1.). schen Fragen zu große Bedeutung beizumessen und die Fan- tasie von an dem Thema interessierten Autoren unnötig zu 1. Methodische Vorüberlegungen begrenzen. Daher soll auch hier keine spezifische Arbeits-

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