Bleibauf Der Sonnenseite

Bleibauf Der Sonnenseite

Wandern im Wilden Kaiser BLEIB AUF DER SONNENSEITE Keep on the sunny side of life – das fällt leicht, wenn man auf dem Wilder-Kaiser-Steig unter den Südwän- den des Kaisergebirges entlangwandert. Abwechslungsreiche Bergwege, freie Ausblicke und gemütliche Einkehrmöglichkeiten versprechen ein rundes Wandervergnügen. Text und Fotos von Andi Dick an könnte meinen, es reg­ klamm ist die Luft am frühen Morgen. zurück, füllt als weiße Watte den Tal­ net: Dicke Tropfen fallen Zwanzig Minuten später ist der Spuk grund, darüber strahlt die Sonne auf den ins Haar, von den Ästen der vorbei: Am Waldrand zerfasert der Ne­ Wanderweg zur Ackerlhütte. mächtigen Buchen aus dem bel, gibt den Blick frei auf bleiche Fels­ An einem solchen Tag erscheint es un­ MNebel gekämmt, die Blätter auf dem Bo­ türme über tauglitzernden Wiesen. Noch umstößlich, dass der Herbst die schöns­ den sind vollgesogen mit Feuchtigkeit, ein paar Schritte, und der Nebel bleibt te Zeit ist, um im Wilden Kaiser zu wan­ 100 DAV 2/2013 Wilder Kaiser REPORTAGE Spieglein, Spieglein … wer die schönsten Gipfel hat? Na klar, Herr Kaiser, Sie sind das. Das beweist der Treffauer überm Hintersteiner See. Kaisergebirge? Wilder Kaiser? Nicht verwirren lassen! Kaisergebirge heißt der gesamte Bergstock, der aus zwei pa­ rallelen Ketten besteht: dem südlichen „Wilden Kaiser“, der unter Kletterern be­ rühmten Aufreihung von Felsriffen und ­zähnen, und dem nördlichen „Zahmen Kaiser“, nicht ganz so hoch und steil, doch auch reichlich felsig. Kaiserbach­ und Kaisertal teilen den Gebirgsstock in zwei Hälften. Zwischen den Felsen fin­ den sich 940 Blumenarten, 38 Farne und 400 Moose, dazu Salamander, Kreuzot­ ter, Rötelmaus, Kolkrabe, Raufußkauz und jede Menge weiterer rarer Tiere wie der „Grüne Regenwurm“ (Allobobopho­ BLEIB AUF DER SONNENSEITE ra smaragdina). Und trotz des reichlich vorhandenen, legendär steilen Wetter­ steinkalks können auch Wanderer auf gepflegten Wegen diese Landschaftsrei­ dern. Wenn über einem Meer von und von Gipfel zu Gipfel überschreiten, ze erleben. Schaum der Doppelgupf des Glockners jeden Tag über einen neuen Kamm die Man könnte gleich bei Going im Osten grüßt. Wenn der große Andrang nach­ Gebirgsseite wechselnd – und abends anfangen: Dort beim Badesee startet der lässt und die wahre „stade Zeit“ im Ge­ lange vor der Hütte den Blick ins Abend­ Themenweg „Moor & More“ zu den sump­ birge beginnt. Wenn man sich über die rot genießend. Und im Frühsommer, figen Eiszeit­Überbleibseln mit ihren spe­ letzten geschenkten spätsommerlichen wenn sich der Schnee nur noch in den ziellen Tieren und Pflanzen. Wen es aber Tage freut, bevor der Winter einzieht. schattigsten Karen hält, frisches Grün bergsteigerisch nach oben drängt, auf Aber auch zu anderen Jahreszeiten den Fels belebt und Soldanellen, Aurikel, den wartet hier eine großzügige Sonnen­ trägt der „Koasa“ seinen Adelsnamen zu Enzian ihre Farbtupfer dazwischenset­ und Aussichtswanderung auf dem Wil­ Recht. Im Hochsommer können gelän­ zen, wird man verstehen, warum das der­Kaiser­Steig entlang der Kaiser­Süd­ detüchtige Berg(steiger­)wanderer das Kaisergebirge schon seit fünfzig Jahren seite, mit diversen einfacheren Varianten Tiroler Felsenrevier von Hütte zu Hütte Naturschutzgebiet ist. in niedrigeren Lagen oder anspruchsvol­ DAV 2/2013 101 Gipfel wie Sand am Nebelmeer: Kurz vor der Gruttenhütte öffnet sich der Blick übers Ellmauer Tal auf Tauern und Zillertaler. leren Gipfelausflügen, beliebig ausdehn­ öffnet sich der Blick richtig. Über die Palven genannt, ist vor dem Kaiser nach bar von zwei bis fünf Tagen. weiten Böden der Graspoint Hochalm Süden gerückt und bietet so die um­ Der Weg ist Teilstück des tirolweiten schlendernd, bleibt immer Gelegenheit fassendste Sicht: Alpen vom Dachstein Adlerwegs – und entsprechend hochflie­ für einen Blick zum Hauptkamm der bis zum Brenner, und von der Zackenrei­ gend ist die Aussicht. Nach Überwindung Ostalpen, der sich hier vom Großglock­ he des Wilden Kaisers den größten Teil, eines Felsriegels, zu dem das Ex trem­ ner über den Großvenediger bis zu den von der prallen Maukspitze im Osten klettergebiet Schleierwasserfall (mit den Zillertalern ordentlich aufgereiht be­ über die Türme der Regalmspitze bis zu weltweit schwersten Routen der 1990er wundern lässt. Besonders bequem na­ Treffauer und Ellmauer Halt, den höchs­ Jahre) und die Diebsofenhöhle gehören, türlich von der Bank vor der Ackerlhüt­ ten Kaisergipfeln. te, die als Privathütte der OeAV­Sektion In ihre Richtung geht es gleich weiter. Kitzbühel leider nur am Wochenende Allerdings nicht ohne zur Kenntnis ge­ bewartet ist. Eine Wegstunde später, auf nommen zu haben, dass das „Jägergrab“ dem Baumgartenköpfl, wird das Pano­ am Baumgartenköpfl von der drei Minu­ rama noch um ein gutes Stück ergänzt. ten höher gelegenen „Wildererkanzel“ Dieser kleine Gipfel, auch Brennender überragt wird – symbolträchtig? Nun wird der Weg gebirgig: Die Kletterwände aus Wettersteinkalk ruhen auf einem Durchblick und Durchschlupf: Am Weg zur Ackerlhütte lichten sich die Nebel Sockel aus schwarzem Hauptdolomit, vor Ackerl- und Maukspitze. Der Jubiläumssteig zur Gruttenhütte führt der der Erosion weniger entgegenzuset­ durch einen natürlichen Felstunnel. zen hat; durch tief eingefräste Runsen quert der Weg hinüber zum riesigen Ge­ röllfeld unter dem Ellmauer Tor – auch der Wettersteinkalk zerfällt. Während man stolpernd der Etymologie des Wor­ tes Ge­röll nachsinnt, tröstet (oder lenkt ab) der spektakuläre Blick auf den Plat­ tenpanzer der Karlspitze. Wenn die Kondition passt, lohnt sich ein Abstecher ins Ellmauer Tor oder gar auf die Hintere Goinger Halt (oben mit ein paar Drahtseilen gesichert), von wo der Blick in den Schlund der Steinernen Rinne abstürzen darf, und auf die mas­ sive Fleischbank­Ostwand, die darüber 102 DAV 2/2013 Wilder Kaiser REPORTAGE auf ragt. Sie ist das alpine Geschichts­ Entlang der Kaiser-Sonnenseite buch der Kletter­Marksteine: die „Ost­ TALORTE UND ANFAHRT: Going (773 m) und 2) Gruttenhütte – Kaiser Hochalm (1417 m) wand“ (Dülfer, 1912) mit dem ersten Seil­ Scheffau (745 m) auf der Kaiser-Südseite – Steiner Hochalm (1257 m) – Walleralm zwischen Kufstein und St. Johann; Busverbin- (ca. 1200 m) – Hintersteinersee (882 m): quergang; die „Südostverschneidung“ dung von Kufstein und Wörgl, nach Going auch 520 Hm , 1260 Hm , 5-6 Std. Gipfeloption: (Moser/Weiß, 1944) mit einem der ers­ von Kitzbühel. Ellmauer Halt (2344 m), + 720 Hm, 4 Std. ten Bohrhaken im Kaiser; weiter unten BESTE ZEIT: Anfang/Mitte Juni bis Oktober. 3) Scheffauer (2111 m) – Steiner Hochalm – ANSPRUCH: Leichte bis mittelschwere Scheffau (745 m): 1230 Hm , 1370 Hm , Aussichtswanderung. Die Abschnitte zur 7-8 Std.; Busrücktransfer per „KaiserJet“, Gruttenhütte über den Jubiläumssteig kostenlos für Besitzer der Wilder Kaiser (umgehbar über das „Klamml“) und der GästeCard. Scheffauer (optional) sind schwer, ebenso KAISER-KRÖNUNGS-TRIP Auf grüner Kanzel rastet die Gipfeloptionen Hintere Goinger Halt und Schwere Durchquerung mit allen Gipfeln Ellmauer Halt (Klettersteig B). man gut, in der Hütte 1) Going (830 m) – Ackerlhütte – Maukspitze KARTE: AV-Karte 1:25.000, Nr. 8, Kaisergebirge. (2231 m) – Ackerlspitze (2329 m) – Griesner wartet der Schweinsbraten. HÜTTEN- UND TOURIST-INFO: Tourismusver- Alm (988 m) 2) Steinerne Rinne – Hintere band Wilder Kaiser, Dorf 35, A-6352 Ellmau, Goinger Halt (2192 m) – Jubiläumssteig – Tel.: 0043/(0)50/509, [email protected]. Gruttenhütte (1620 m) 3) Gamsängersteig – Wandertipps: wilderkaiser.info -> Urlaubs- Ellmauer Halt (2344 m) – Kaiserschützensteig themen -> Wandern – Hans-Berger-Haus (936 m) 4) Kufsteiner die „Pumprisse“ (Kiene, 1977), die erste WILDER-KAISER-STEIG Klettersteig oder Güttlersteig – Sonneck (2260 m) – Treffau/Jagerwirt (900 m) 5) Treffauer 1) Going (Hüttling, ca. 830 m) – Ackerlhütte Route des Siebten Grades, und „Des Kai­ (2304 m) – Jagerwirt 6) Scheffauer (2111 m) (1456 m) – Baumgartenköpfl (1572 m) – Grut- sers neue Kleider“ (Glowacz, 1994), da­ – Widauersteig – Kaindlhütte – Walleralm tenhütte (1620 m): 1040 Hm , 250 Hm , – Hintersteinersee mals eine der schwersten Alpenrouten. 6-7 Std. Gipfeloption: Hintere Goinger Halt Der normale Weg führt allerdings ein (2192 m), + 600 Hm, 3 Std. Mehr Infos und Bildergalerie unter alpenverein.de/panorama Stück unter diesen historischen Brenn­ punkten durch und bietet dafür selbst zu erlebendes alpines Abenteuer. Der „Jubi­ nach durch, wenn man aus der Erosions­ ten Nachtruhe seinen Schweinsbraten läumssteig“ (der sich über das „Klamml“ wüste hinaustritt auf die Blumenterras­ aus dem Holzofen serviert. auch umgehen lässt) führt durch ein se in Sichtweite der Gruttenhütte. Auf Wenn am nächsten Morgen die aufge­ wild zerfetztes Felsgewirr aus Hauptdo­ grüner Kanzel hoch überm Tal ruht es hende Sonne die Gletscherberge des lomit, zersägte Türme, Zacken und Spal­ sich gut, das Tagwerk ist so gut wie voll­ Hauptkamms zum Leuchten bringt, ten. Drahtseile und eine Leiter führen in bracht. Freilich kann man auch gleich lockt ein Abstecher auf die Ellmauer regem Auf und Ab durch die Zinnen des noch die letzten fünf Minuten hinüber­ Halt, die Höchstgestellte im kaiserlichen Kaiserschlosses. Wer nicht für diese hal­ marschieren zur exponiert dastehenden Hofstaat. Blumengeschmückte Wiesen­ be Stunde die Klettersteigausrüstung Hütte mit den rot­weißen Fensterläden hänge leiten ins schuttgefüllte Hoch­ mittragen will, muss sich gehörig kon­ und den holzverkleideten Nebengebäu­ grubachkar, einen beliebten Gams­Ein­ zentrieren. Umso freier atmet man da­ den, wo der

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