Category a (Short Poems) Sarah Kirsch: „Schlehen“ (1969

Category a (Short Poems) Sarah Kirsch: „Schlehen“ (1969

Category A (Short Poems) Sarah Kirsch: „Schlehen“ (1969) Ahornfarben das Haar im September Schlehen reiß ich und Brombeeren süß Vom Strauch ab für seinen Mund, und in Die Haut treib ich Dornen Joseph von Eichendorff: „Der Abend“ (1826) Schweigt der Menschen laute Lust: Rauscht die Erde wie in Träumen Wunderbar mit allen Bäumen, Was dem Herzen kaum bewusst, Alte Zeiten, linde Trauer, Und es schweifen leise Schauer Wetterleuchtend durch die Brust. Johann Wolfgang von Goethe: „Meeresstille“ (1796) Tiefe Stille herrscht im Wasser, Ohne Regung ruht das Meer, Und bekümmert sieht der Schiffer Glatte Fläche ringsumher. Keine Luft von keiner Seite! Todesstille fürchterlich! In der ungeheuern Weite Reget keine Welle sich. Category B (Mid-length Poems) Marie Luise Kaschnitz: „Am Strande“ (1935) Heute sah ich wieder dich am Strand Schaum der Wellen dir zu Füßen trieb Mit dem Finger grubst du in den Sand Zeichen ein, von denen keines blieb. Ganz versunken warst du in dein Spiel Mit der ewigen Vergänglichkeit Welle kam und Stern und Kreis zerfiel Welle ging und du warst neu bereit. Lachend hast du dich zu mir gewandt Ahntest nicht den Schmerz, den ich erfuhr: Denn die schönste Welle zog zum Strand Und sie löschte deiner Füße Spur. Zehra Çirac: „Doppelte Nationaltätsmoral“ (1961) Die Socken rot mit weißem Stern in Sichelmond die Schuhe schwarz rot gold für viele ist es wie ein warmer Fuß im kalten Schuhwerk für andere ein Doppelknoten in einem nur schnürsenkellangen Leben aber das auf heißem Boden Paul Celan: „Ich kann dich noch sehen“ (1967) Ich kann Dich noch sehn: ein Echo, ertastbar mit Fühl- wörtern, am Abschieds- grat. Dein Gesicht scheut leise, wenn es auf einmal lampenhaft hell wird in mir, an der Stelle, wo man am schmerzlichsten Nie sagt. Category C (Longer Poems) Rainer Maria Rilke: „Blau Hortensie“ (1907) So wie das letzte Grün in Farbentiegeln sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh, hinter den Blütendolden, die ein Blau nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln. Sie spiegeln es verweint und ungenau, als wollten sie es wiederum verlieren, und wie in alten blauen Briefpapieren ist Gelb in ihnen, Violett und Grau; Verwaschnes wie an einer Kinderschürze, Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht: wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze. Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen in einer von den Dolden, und man sieht ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen. Heinrich Heine: „Aus alten Märchen winkt es“ (1822/23) Aus alten Märchen winkt es Hervor mit weißer Hand, Da singt es und da klingt es Von einem Zauberland: Wo große Blumen schmachten Im goldnen Abendlicht, Und zärtlich sich betrachten Mit bräutlichem Gesicht; - Wo alle Bäume sprechen Und singen, wie ein Chor, Und laute Quellen brechen Wie Tanzmusik hervor; - Und Liebesweisen tönen, Wie du sie nie gehört, Bis wundersüßes Sehnen Dich wundersüß betört! Ach, könnt ich dorthin kommen, Und dort mein Herz erfreun, Und aller Qual entnommen, Und frei und selig sein! Ach! jenes Land der Wonne, Das seh ich oft im Traum; Doch kommt die Morgensonne, Zerfließts wie eitel Schaum. Irmgard Keun: „Die fremde Stadt“ (1947) Fremde Stadt, Ich liebe dich um deiner Fremdheit willen. Du könntest das Verlangen nach Verlorenem in mir stillen, Nach dem, was ich verließ. Laß mich vollenden, was ich einst verhieß, Einmal als Kind. Laß mich noch einmal sein, wie Kinder sind, Die eines Menschen Fuß noch nicht getreten hat, Fremde Stadt. Berge mich hinter deinen Mauern, Fremde Stadt. Laß mich in deiner Sicherheit trauern, Fremde Stadt, Nur eine Stunde, Nur kurze Zeit. Hunger und Hunde Jagen das Leid, Jage nicht du mich auch, fremde Stadt. Laß mich ruhn unter deines Himmels Regen, Fremdes Land. Gott gab dir den Himmel, mir gab er den Segen Für dich, fremdes Land. Nur eine Stunde, nur kurze Zeit Wärme uns Arme die Ewigkeit: Der Himmel über dir, fremdes Land. .

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