Konfuzianismus in Aktion: Der Kreismagistrat Li Laizhang Und Sein Programm Zur ‚Zivilisierung‘ Der Bapai-Yao, 1704–1709

Konfuzianismus in Aktion: Der Kreismagistrat Li Laizhang Und Sein Programm Zur ‚Zivilisierung‘ Der Bapai-Yao, 1704–1709

Konfuzianismus in Aktion: Der Kreismagistrat Li Laizhang und sein Programm zur ‚Zivilisierung‘ der Bapai-Yao, 1704–1709 Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg vorgelegt von Christian Textor aus Oldenburg (Oldb) Hamburg, Juni 2013 1. Gutachter: Prof. Dr. Michael Friedrich 2. Gutachter: Prof. Dr. Hans Stumpfeldt Datum der Disputation: 25. Nov. 2013 Danksagung Die Ursprünge dieser Arbeit reichen zurück bis in meine Zeit am Südasien-Institut in Heidelberg, wo mich Frau Prof. Dr. Gita Dharampal-Frick für die Geschichte Südasiens und insbesondere die britische Kolonialgeschichte in Indien zu faszinieren vermochte. Ihre eindrücklichen Vorlesungen werden mir immer als Beispiel für die Kraft und die Möglichkeiten des wissenschaftlichen Geis- tes im Gedächtnis bleiben. Am Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg gelang es Herrn Prof. Dr. Michael Friedrich, mein Interesse am Konflikt zwischen staatlicher Macht und nach Eigenständigkeit stre- benden Gruppen innerhalb der Bevölkerung auf die chinesische Geschichte und speziell die Yao während der Zeit der Qing-Herrschaft zu lenken. Für die Erfahrung seiner kritischen Wachsam- keit während der Betreuung meiner Dissertation und für seine stets vertrauensvolle und aufmun- ternde Haltung bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Ebenso möchte ich Herrn Prof. Dr. Wang Weijiang danken, der mich während meines Forschungsaufenthaltes an der Akademie für Sozialwissenschaften in Shanghai in jeder Hinsicht wohlwollend unterstützt und beraten hat. Mit Freude und Dankbarkeit denke ich auch an die Begegnungen mit den Nachfahren von Li Laizhang in Xiangcheng und den Angestellten der dortigen Kulturbehörde zurück, wie auch an die Yao in der Umgebung von Liannan, die mir ihre Gegend und ihre alten Dörfer gezeigt haben, in denen noch viele Spuren aus dem 17. Jahrhundert erhalten sind. Ihre selbstlose Gastfreundschaft und gutherzige Hilfsbereitschaft sind in unserer heutigen, auf den persönlichen Nutzen ausgerichteten Gesellschaft zur Seltenheit geworden. Darüber hinaus gilt mein Dank der Universität Hamburg für die finanzielle Unterstützung der Promotion und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für die Finanzierung meines Forschungsaufenthaltes in China. Zuletzt denke ich in besonderer Dankbarkeit an meine Frau und meine Familie, die mir stets hilfsbereit zur Seite standen. 3 Inhaltsverzeichnis EINLEITUNG 7 TEIL I: LI LAIZHANG: DER BIOGRAPHISCHE HINTERGRUND 15 I.1 Der geschichtliche Hintergrund des 17. Jahrhunderts 16 I.2 Die Familie Li und ihr Ahnherr Li Min 25 I.3 Li Laizhang: Jugend und Begegnung mit Li Yong 32 I.4 Li Laizhangs Weg in die Welt und sein Lehrer Sun Qifeng 37 I.5 Prüfungsleid, Dichterfreuden und Aussicht auf Karriere 50 I.6 Exkurs: Wiederaufbau und Aufschwung der Songyang-Akademie 58 I.7 Eine Karriere als Akademie-Lehrer 67 I.8 Li Laizhang wird Kreismagistrat von Lianshan 75 TEIL II: DIE BAPAI-YAO IN GUANGDONG IM 17. JAHRHUNDERT: EINE GESCHICHTE IHRER UNTERWERFUNG 81 II.1 Gegenstand und Quellenlage 82 II.2 Hintergrund: Die Yao in Guangdong vor dem 17. Jahrhundert 87 II.3 Die Situation zu Ende der Ming-Dynastie 93 II.4 Lianyang während der Zeit der Mandschu-Eroberung 102 II.5 Chinesen und Pai-Yao in der frühen Qing-Zeit 107 II.6 Der Auftakt zur endgültigen Unterwerfung der Pai-Yao 1701 bis 1704 114 II.7 Die Eskalation des Konfliktes und Rückschläge des Qing-Militärs 122 II.8 Die Militärkampagne zur Unterwerfung der Pai-Yao 1702 126 II.9 Die politisch-militärische Neuordnung der Yao-Gebiete 1702 bis 1704 132 4 Inhaltsverzeichnis 5 TEIL III: LI LAIZHANG ALS MAGISTRAT IN LIANSHAN UND SEINE POLITIK GEGENÜBER DEN BAPAI-YAO 138 III.1 Li Laizhang beschreibt seine Amtszeit: Das Lianyang Bapai fengtuji 139 III.2 Lis ideologische Sicht auf die Yao 148 III.3 Analyse der politischen Maßnahmen Lis: Methodisches Vorgehen 157 III.4 Die Maßnahmen Lis im Spiegel der Verwaltungsvorgaben 164 III.5 Lis Erziehungsmaßnahmen 173 III.6 Landwirtschaftspolitik 187 III.7 Steuereinziehung und Kampf gegen Korruption 192 III.8 Rechtsprechung und Bemühen um Gerechtigkeit 197 III.9 Lokale Sicherheit 207 III.10 Spezielle Maßnahmen 217 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 221 ANHANG 229 Glossar 230 Übersicht der von Li Laizhang verfassten Werke 237 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen 239 Literaturverzeichnis 240 Verzeichnis der Karten 1: Übersicht über Nordchina 26 2: Übersicht der Provinz Henan 56 3: Das Siedlungsgebiet der Bapai-Yao in Lianyang 83 4: Historische Karte der Yao-Siedlungen und Militärposten in Lianyang 135 6 Einleitung Territoriale Expansion war ein wesentliches Merkmal der Geschichte des chinesischen Qing- Reiches (1644–1911). In der Geschichtsschreibung fand dieser Faktor jedoch lange Zeit nur wenig Beachtung, weil der Fokus auf dem Eindringen des Westens in China während des 19. Jahrhunderts und dem zeitgleichen Verfall und Machtverlust des chinesischen Reiches lag. Die langfristigen historischen Auswirkungen des vorhergehenden 18. Jahrhunderts, in dem China von einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte sowie von staatlicher Stärke und Expansion geprägt war, erschienen aus diesem Blickwinkel weniger bedeutend.1 Der Umfang der staatlichen Expansion unter der Mandschu-Herrschaft der Qing-Dynastie war allerdings bemerkenswert. Gegenüber der vorherigen Ming-Dynastie (1368–1644) vergrößerte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Größe des Reichsgebietes auf nahezu das Doppelte. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung seit dem späten 17. Jahrhundert stetig an und drang vermehrt in die Peripherie des Reiches und die neu gewonnenen Landesteile vor. Die Gebietsansprüche und das Selbstverständ- nis der heutigen Volksrepublik China basieren in großem Maße auf den Ergebnissen dieser expansiven Entwicklung des Qing-Reiches.2 Ob es gerechtfertigt ist, bei dieser Expansion von Kolonialismus zu sprechen, ist unter Historikern umstritten. Insbesondere von Seiten nationalistischer Geschichtsschreibung, wie sie in der Volksrepublik und in Taiwan weit verbreitet ist, wird Ablehnung geäußert. Aus diesen Krei- sen heißt es, die staatliche Erweiterung sei nicht durch Eroberung gekennzeichnet, sondern durch eine gewollte Vereinigung aller Völker unter dem Banner der Qing-Herrschaft. Gleichzeitig wird die Anziehungskraft der chinesischen Kultur auf benachbarte Völker hervorgehoben. Unter west- lichen Historikern hingegen setzt sich vermehrt die Auffassung durch, dass es gerechtfertigt und sinnvoll ist, den Begriff und das Konzept des Kolonialismus auch auf die Qing-Herrschaft anzu- 1 Erst mit der Erforschung der Institutionen des chinesischen Kaiserreichs seit den 1960er Jahren wurde der Sinologie die Effizienz der chinesischen Verwaltung bewusst, und das Verständnis der Qing-Dynastie spe- ziell im 18. Jahrhundert begann sich langsam zu wandeln. 2 Für einen Aufruf zur stärkeren Erforschung der Grenzgebiete der Qing-Zeit und einen Überblick über die Entwicklung dieses Forschungsbereiches in China und dem Westen siehe James A. Millward: „New Pers- pectives on the Qing Frontier“, in: Gail Hershatter et al.: Remapping China: Fissures in Historical Terrain, Stanford: Stanford University Press, 1996. Millward weist darauf hin, dass seinem Eindruck nach in der Forschung bisher vor allem die Auswirkungen der Kombination von territorialer und demographischer Expansion unterschätzt wurden, die mit denen der Entwicklung in den USA und Russland im 17. und 18. Jahrhundert vergleichbar seien. Zum Selbstverständnis Chinas als ein Vielvölkerstaat, das stark von der Expansion der Qing-Dynastie unter der Mandschu-Herrschaft geprägt ist, siehe Anne Csete: „China’s Eth- nicities: State Ideology and Policy in Historical Perspective“, in: Grant H. Cornwell, Eve Walsh Stoddard (Hrsg.): Global Multiculturalism: Comparative Perspectives on Ethnicity, Race, and Nation, Lanham: Rowman & Littlefield Publishers, 2001, 287-307. 7 Einleitung 8 wenden.3 Eines der wichtigsten Argumente hierfür ist, dass die Expansion entgegen nationalisti- scher Interpretationen mit großem militärischen Aufwand und zu hohen finanziellen Kosten vorangetrieben wurde. Ein Vergleich mit anderen Kolonialmächten derselben Epoche offenbart zudem eine Reihe wesentlicher Parallelen und verspricht fruchtbare Erkenntnisse über das Wesen des Qing-Reiches und seine Stellung in der Weltgeschichte.4 Darüber hinaus wird in den letzten Jahrzehnten die Vorstellung einer rein auf kulturellen Werten beruhenden Anziehungskraft des chinesischen Reiches vermehrt kritisch hinterfragt. 5 Ein Problem bei der Verwendung des Begriffs Kolonialismus ist jedoch, dass dieser stark auf den Imperialismus der europäischen Mächte im 19. und frühen 20. Jahrhundert bezogen wird, der sich insbesondere aufgrund der Industrialisierung von früheren Formen staatlicher Expansion unterscheidet.6 Als Vergleichsfälle bieten sich aber auch andere ehemalige Großmächte wie das Osmanische Reich, das zaristische Russland oder das indische Mogulreich an. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der geringe Kennt- nisstand über die Expansion des Qing-Reiches eines der hauptsächlichen Hindernisse zur adäqua- ten Behandlung dieser „Kolonialismus-Frage“. Immerhin ist das Interesse der Wissenschaft an der Expansion und den Entwicklungen in den Randgebieten des chinesischen Qing-Reiches in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen und hat eine Reihe beachtenswerter Studien hervorgebracht.7 Diese Arbeiten behandeln meist einzelne Regionen des chinesischen Reiches, da die Politik der Qing-Herrschaft trotz einiger einheitlicher Grundsätze jeweils an die regionalen Bedürfnisse angepasst

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