Weiße Bruderschaft Und Delphische Idee: Esoterische Religiosität In

Weiße Bruderschaft Und Delphische Idee: Esoterische Religiosität In

Weiße Bruderschaft und Delphische Idee: Esoterische Religiosität in Bulgarien und Griechenland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Dissertation Zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt vorgelegt von Thomas Heinzel Erfurt Erfurt 2013 Erstes Gutachten: Prof. Dr. Vasilios Makrides (Universität Erfurt) Zweites Gutachten: Privatdozent Dr. Stamatios Gerogiorgakis (Universität Erfurt) Datum der Promotion: 08. Mai 2013 urn:nbn:de:gbv:547-201300483 Inhaltsverzeichnis Vorwort 11 I. Einleitung 13 1. Umriss des Untersuchungsgegenstands 13 2. Der historische Kontext: Strukturwandel, religiöse Pluralisierung, Krisenbewältigung 14 3. Erkenntnisinteresse 20 II. Theorie und Methodik 23 1. Pierre Bourdieus Theorie sozialer Felder 23 2. Martin Riesebrodts handlungstheoretisches Religionsverständnis 28 3. Höheres Wissen als Kapital: Esoterische Religiosität 31 3.1 Historischer Umriss und Definition von Esoterik 31 3.2 Esoterik in der „entzauberten Welt“: Die Theosophische Gesellschaft und ihr Einfluss 38 4. Vorgehensweise 41 III. Forschungsstand und Quellenlage 45 1. Petăr Dănov und die Weiße Bruderschaft 45 2. Angelos Sikelianos und die Delphische Idee 47 IV. Manifestationen esoterischer Religiosität in Bulgarien und Griechenland 49 1. Petăr Dănov und die Weiße Bruderschaft 49 1.1. Biographisch-historischer Überblick 49 1.2 Das Selbstbild Dănovs und seiner Anhänger 58 1.3 Zentrale Punkte in Dănovs Lehre 64 1.3.1 Die Verwirklichung der göttlichen Liebe 64 1.3.2 Das Streben nach Einklang mit der Natur 69 1.3.3 Das Kommen der Sechsten Rasse und das Erwachen des kollektiven Bewusstseins 73 1.3.4 Die Mission des Slawentums 79 1.4 Die Weiße Bruderschaft im politischen Kontext 86 1.4.1 Gesellschaftsethische Ideale und politische Implikationen 86 1.4.2 Der Fall Ljubomir Lulčev 98 1.5 Weiße Bruderschaft und Orthodoxes Christentum 104 1.5.1 Dănovs Positionierung gegenüber der Orthodoxie 104 1.5.2 Kirchliche Reaktionen und Stellungnahmen 113 1.6 Ritualisierung: Die Paneurhythmie 128 1.6.1 Entstehung und historischer Kontext 128 1.6.2 Ausübungspraxis, Struktur und Symbolik 131 1.6.3 Zugesprochene Funktionen und Effekte 134 2. Angelos Sikelianos und die Delphische Idee 136 2.1 Biographisch-historischer Überblick 136 2.2 Sikelianos’ Welt- und Selbstbild 146 2.3 Die Delphische Idee 153 2.3.1. Das Erbe des „Delphischen Griechenlands“ 153 2.3.2 Eine neue „Geistesaristokratie“ 161 2.3.3 Die Delphische Universität 165 2.3.4 Fürsprecher und Anhänger des Vorhabens im politischen Kontext 171 2.3.5 Intellektuelle und kulturjournalistische Kritik 178 2.4 Sikelianos nach 1936 und das Erbe der Delphischen Idee 187 2.5 Delphische Idee und Orthodoxes Christentum 194 2.5.1 Sikelianos’ Positionierung gegenüber der Orthodoxie 194 2.5.2 Orthodoxe Stellungnahmen zur Delphischen Idee 210 2.6 Inszenierungen im Rahmen der Delphischen Idee 222 2.6.1 Der historische Kontext 222 2.6.2 Die Delphischen Festspiele 226 2.6.2.1 Aufführungspraxis und religiöse Deutung 226 2.6.2.2 Nationalistische Inszenierung und internationalistische Vision 231 2.6.3 Das Mysterienspiel Der letzte orphische Dithyrambus 234 V. Vergleichend-analytische Betrachtungen 243 1. Soziale Beglaubigung und Mobilisierung 243 2. Esoterik und Orthodoxie 262 3. Ritualisierung und Inszenierung 269 VI. Abschließende Bemerkungen 277 VII. Literaturverzeichnis 279 Vorwort Die Anfänge meiner Beschäftigung mit esoterischer Religiosität in Südosteuropa liegen im Jahr 2007, als ich auf der Suche nach einem Thema für meine Masterarbeit in einem wissenschaftlichen Bulgarien-Handbuch auf den Begriff Weiße Bruderschaft stieß. Die darauffolgenden Recherchen vermittelten mir nicht nur Kenntnisse über eine in Deutschland so gut wie unbekannte religiöse Bewegung, sondern richteten meine Aufmerksamkeit zum ersten Mal auf das Forschungsfeld der sogenannten Esoterik. Die eher randständige Position dieses Arbeitsgebietes innerhalb der deutschsprachigen Religionswissenschaft und die äußerst überschaubare Anzahl von empirischen kultur- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten zur Weißen Bruderschaft bzw. zu esoterischer Religiosität im Balkanraum motivierten mich dazu, mich dieses Themas auch in meiner Dissertation anzunehmen und so einen entsprechenden wissenschaftlichen Beitrag zu leisten. Neben eine im Vergleich zu meiner Masterarbeit deutlich vertiefte und erweiterte Beschäftigung mit der bulgarischen Bewegung sollte dabei die Untersuchung einer weiteren südosteuropäischen Manifestation esoterischer Religiosität treten: der Delphischen Idee des griechischen Literaten Angelos Sikelianos, deren spezifischer religiöser Gehalt ebenfalls noch kaum in ausreichendem Maße Gegenstand wissenschaftlicher Analysen geworden ist. In einer vergleichenden Untersuchung sollten diese beiden Phänomene – so die Zielstellung des Projekts – in einem gemeinsamen historischen Kontext verortet und das gesellschaftliche Handeln der jeweiligen Akteure in einer Zusammenschau beleuchtet werden, um auf diese Weise länderübergreifende religions-, ideen- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge herauszuarbeiten. Das Graduiertenkolleg 1412 der DFG, das sich der interdisziplinären Erforschung Südosteuropas widmet, bildete den idealen Rahmen für mein Unterfangen, das unter der Betreuung von Prof. Dr. Vasilios Makrides (Professur Orthodoxes Christentum der Universität Erfurt) schließlich Gestalt annahm. Mein herzlicher Dank gilt meiner Familie für ihre unerschütterliche Unterstützung und Zuversicht, und meiner Lebensgefährtin Astrid Willenbacher, M.A., für ihren liebevollen Rückhalt, ihre unentbehrliche Hilfe bei der Korrektur und Formatierung des Textes sowie viele fruchtbare Gespräche über das Thema der Dissertation. Erfurt, im August 2013 Thomas Heinzel I. Einleitung 1. Umriss des Untersuchungsgegenstands Während der krisengeschüttelten 1920er Jahre treten in Bulgarien und Grie- chenland zwei Männer ins Rampenlicht, die sich als Werkzeuge des Göttlichen verstehen; beide verkünden den Anbruch eines neuen Zeitalters des dauerhaften Friedens und der Harmonie sowie die Schaffung bzw. Entstehung des „Neuen Menschen“, der im Einklang mit Natur und kosmischer Ordnung lebt. Im bulga- rischen Fall handelt es sich um den studierten methodistischen Theologen Petӑr Dănov (1864–1944), der als geistlicher Führer und spiritistisches Medium bereits um 1900 einen kleinen Anhängerkreis um sich sammelt, bevor er nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner religiösen Bewegung Weiße Bruderschaft breitere gesellschaftliche Präsenz und Relevanz gewinnt. In Griechenland tritt der Dichter Angelos Sikelianos (1884–1951), der sich durch seine lyrischen Werke bis dato ein hohes literarisches Renommée erworben hat, mit der Delphischen Idee an die Öffentlichkeit: Die Gründung eines spirituellen Zentrums in Delphi, an dem eine geistige Elite die Erlösung der Menschheit zu Wege bringen soll. Beide Phänomene sind Manifestationen eines religiösen Denkens und Handelns, das sich als Alternative zu den offiziellen Glaubenssätzen und traditio- nellen Frömmigkeitsformen des damals in Griechenland wie Bulgarien verfas- sungsmäßig „vorherrschenden“ Orthodoxen Christentums konstituiert und sich außerhalb kirchlicher Strukturen entfaltet. Dănov und Sikelianos sind Vertreter einer Religiositätsform, deren vielfältige Ausprägungen von der heutigen For- schung zumeist mit dem Sammelbegriff Esoterik bezeichnet werden. Die eso- terische Religiosität, deren geistige Wurzeln vor allem in den spätantiken philo- sophisch-religiösen Strömungen des Neoplatonismus und Gnostizismus liegen, ist durch den Anspruch auf ein höheres, erlösendes Wissen über das Sein gekenn- zeichnet, also eines Heils, das unabhängig von religiösen Institutionen in einer individuellen „Selbstermächtigung“ gewonnen wird. Die Begründer respektive Initiatoren der Weißen Bruderschaft und der Delphischen Idee proklamieren einen derartigen Anspruch, mit dem sie antreten, ihre jeweiligen Völker aus der Krisen- situation der Zwischenkriegszeit in eine strahlende Zukunft zu führen und den Grundstein für die spirituelle Vervollkommnung der gesamten Menschheit zu legen. Auf der Basis eines esoteriktypischen holistischen Weltbildes predigen beide die universale Verbrüderung und Vereinigung der in ihren Augen geistig, politisch und religiös zersplitterten Menschheit (sie sehen sich im Besitz einer Wahrheit, die diese Differenzen transzendiert), die Überwindung eines einseitigen rationalistischen und materialistischen Paradigmas der Naturwissenschaften zugunsten einer tieferen Wahrheit über das Dasein, und die Harmonisierung des Menschen mit der mütterlichen, als göttlich beseelter Organismus gedeuteten Natur, um so eine „naturgemäße“, für die Höherentwicklung des Menschen- 14 Einleitung geschlechts unabdingbare Ganzheit des Lebens (wieder-)herzustellen. Dănov und Sikelianos, die um 1900 religiös und intellektuell sozialisiert wurden, sind zutiefst von den seit dieser Zeit in ganz Europa und Nordamerika aufkeimenden alter- nativ-religiösen, lebensreformerischen und antimodernistischen Diskursen und Strömungen beeinflusst, die zu einem großen Teil Ausdruck einer auflebenden esoterischen Religiosität sind. 2. Der historische Kontext: Strukturwandel, religiöse Pluralisierung, Krisenbewältigung Seit der Mitte des 19. Jahrhundert vollzieht sich in Europa ein fundamentaler Wandlungsprozess, den man als „Übergang in die industriegesellschaftliche Moderne“ bezeichnen kann.1 Seine Kennzeichen sind Urbanisierung, Indus- trialisierung, Technisierung und Verwissenschaftlichung, die

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