Sir Arthur Conan Doyle Der Hund von Baskerville DER AUTOR Sir Arthur Conan Doyle wurde am 22. Mai 1859 in Edinburgh/Schottland geboren. Nach Abschluss seines Medizinstudiums praktizierte er als Arzt, widmete sich aber auch zunehmend der Schriftstellerei. Von 1887 bis 1917 entstanden und erschienen seine weltberühmten Detektivgeschichten von Sherlock Holmes und Dr. Watson, die mittlerweile viele Male verfilmt und in unzählige Sprachen übersetzt wurden. Für seine Verdienste im Burenkrieg geadelt, starb Conan Doyle hoch angesehen am 7. Juli 1930 in Crowborough/Südengland. Sir Arthur Conan Doyle Der Hund von Baskerville OMNIBUS ist der Taschenbuchverlag für Kinder in der Verlagsgruppe Random House www.omnibus-verlag.de Band 21410 Umwelthinweis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. 1. Auflage Erstmals als OMNIBUS Taschenbuch März 2005 Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform © 2005 OMNIBUS, München Alle Rechte vorbehalten. Der Roman erschien ursprünglich unter dem Titel: The Hound of the Baskervilles, London 1902 Lektorat und Überarbeitung: Sibylle Hentschke Umschlagillustration: Jörg Asselborn Umschlaggestaltung: Basic-Book-Design, Karl Müller-Bussdorf at · Herstellung: CZ Satz: Barbara Rabus, Sonthofen Druck: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 3-570-21410-9 Printed in Germany Inhalt 1. Mr Sherlock Holmes . 7 2. Der Fluch der Baskervilles . 20 3. Das Problem . 39 4. Sir Henry Baskerville . 56 5. Drei zerrissene Fäden . 78 6. Baskerville Hall . 96 7. Die Stapletons aus Merripit House . 113 8. Der erste Bericht von Dr. Watson . 137 9. Der zweite Bericht von Dr. Watson . 150 10. Auszug aus dem Tagebuch von Dr. Watson . 179 11. Der Mann auf dem Berg . 197 12. Tod im Moor . 218 13. Das Netz zieht sich zu . 240 14. Der Hund von Baskerville . 261 15. Ein Rückblick . 279 1. Kapitel Mr Sherlock Holmes Sherlock Holmes, der morgens meist sehr spät auf- stand, wenn er nicht, was häufig vorkam, die ganze Nacht auf gewesen war, saß am Frühstückstisch. Ich stand auf dem Kaminvorleger und nahm den Stock in die Hand, den unser Besucher gestern Abend zurück- gelassen hatte. Es war ein schönes, dickes Stück Holz mit rundem Knauf – ein so genannter Knotenstock. Unmittelbar unter dem Knauf befand sich ein fast zollbreiter silberner Reif mit der Inschrift: Für James Mortimer, M. R. C. S., von seinen Freunden vom C. C. H. 1884. Es war ein Stock, wie altmodische Hausärzte sie be- nutzten: würdig, fest und Vertrauen erweckend. »Nun, Watson, was schließt du daraus?« Holmes saß mit dem Rücken zu mir, ich hatte 7 Der Hund von Baskerville nichts getan, woraus er auf meine Beschäftigung hät- te schließen können. »Woher wusstest du, was ich tue? Ich glaube, du hast Augen im Hinterkopf.« »Das nicht, aber ich habe eine blitzblanke silberne Kaffeekanne vor mir«, antwortete er. »Sag mir, Wat- son, was kannst du mit dem Stock unseres Besuchers anfangen? Da er uns unglücklicherweise nicht ange- troffen hat und wir keine Ahnung haben, was er von uns will, so erhält dieses zufällig hier gebliebene An- denken eine gewisse Bedeutung. Lass mal hören, wie du dir nach dem Spazierstock den Mann vorstellst.« So gut ich konnte, ging ich nach der Methode vor, die mein Freund bei seinen Untersuchungen an- wandte. »Ich denke«, sagte ich, »Dr. Mortimer ist ein älterer Arzt mit guter Praxis. Er ist ein angesehener Mann, da seine Bekannten ihm ein solches Zeichen ihrer Wertschätzung schenken.« »Gut«, sagte Holmes. »Ausgezeichnet!« »Außerdem ist er wahrscheinlich Landarzt und macht einen großen Teil seiner Hausbesuche zu Fuß.« »Warum?« »Weil sein Stock, obwohl er ursprünglich sehr schön war, so mitgenommen ist, dass ihn ein Arzt in 8 Mr Sherlock Holmes der Stadt wohl kaum noch verwenden würde. Die Ei- senzwinge ist abgenutzt, also muss der Mann oft mit dem Stock unterwegs gewesen sein.« »Klingt einleuchtend.« »Und weiter: die Freunde vom C. C. H. Das könnte ein örtlicher Hetzjagdverein sein und der Stock eine Anerkennung für ärztliche Behandlung der Mitglie- der.« »Wirklich, Watson, du übertriffst dich selbst.« Hol- mes schob seinen Stuhl zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Ich fühle mich verpflichtet zu sagen, dass du bei den Berichten, in denen du meine be- scheidenen Leistungen so freundlich schilderst, dei- ne eigenen Fähigkeiten weit unterschätzt hast. Du bist vielleicht nicht selber ein großes Licht, aber du bringst anderen Erleuchtung. Es gibt Leute, die, oh- ne selbst Genies zu sein, eine bemerkenswerte Gabe besitzen, das Genie anderer anzuregen. Ich gestehe, mein Lieber, ich bin tief in deiner Schuld.« So etwas hatte er noch nie gesagt, und ich muss zu- geben, dass ich mich sehr freute über seine Worte. Es hatte mich oft ein bisschen verletzt, dass er meine Be- wunderung und meine Versuche, seine Verdienste an die Öffentlichkeit zu bringen, so gleichgültig betrach- 9 Der Hund von Baskerville tete. Und ich war stolz, sein eigenes System so anwen- den zu können, dass es seinen Beifall fand. Holmes nahm mir nun den Stock aus der Hand und unter- suchte ihn ein paar Minuten lang. Dann legte er mit dem Ausdruck großen Interesses die Zigarette weg, trat mit dem Stock ans Fenster und untersuchte ihn noch einmal mit einer Lupe. »Interessant, wenn auch sehr einfach«, sagte er, als er sich wieder in seine Lieblingssofaecke setzte. »Zwei Anhaltspunkte gibt es als Basis für einige Schlussfol- gerungen.« »Ist mir irgendetwas entgangen?«, fragte ich selbst- zufrieden. »Ich denke doch, ich habe nichts von Be- deutung übersehen.« »Ich fürchte, mein lieber Watson, deine Folgerun- gen waren größtenteils falsch. Wenn ich sagte, du regst mich an, so meinte ich damit, um offen zu sein, dass ich durch deine Trugschlüsse gelegentlich auf die Wahrheit gebracht werde. In diesem Fall bist du aber nicht gänzlich auf dem Holzweg. Der Mann ist ein Landarzt. Und er geht viel zu Fuß.« »Also hatte ich Recht!« »Insoweit ja.« »Aber das war doch alles!« 10 Mr Sherlock Holmes »Nein, nein, mein lieber Watson, nicht alles, durch- aus nicht alles. Ich möchte zum Beispiel annehmen, dass ein Arzt ein Geschenk wohl eher von einem Krankenhaus als von einem Hetzjagdverein erhält. Und wenn vor dem H. die Buchstaben C. C. stehen, bietet sich das Charing Cross Hospital an.« »Du könntest Recht haben.« »Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Und wenn wir das als Ausgangspunkt betrachten, dann können wir uns auf dieser Grundlage ein Bild von unserem unbekannten Besucher machen.« »Also angenommen, C. C. H. bedeutet Charing Cross Hospital, was können wir daraus schließen?« »Kannst du nicht selber darauf kommen? Du kennst meine Methoden. Wende sie an.« »Mir fällt bloß die sehr einfache Schlussfolgerung ein, dass der Mann in der Stadt praktiziert hat, bevor er aufs Land zog.« »Ich denke, wir dürfen uns in unseren Schlüssen ruhig ein bisschen weiter wagen. Betrachte mal den Fall vom folgenden Standpunkt aus: Bei welcher Ge- legenheit wird so ein Geschenk vermutlich überreicht worden sein? Wann haben sich seine Freunde zusam- mengetan, um ihm damit ihre Dankbarkeit zu zeigen? 11 Der Hund von Baskerville Vermutlich dann, als Dr. Mortimer das Krankenhaus verließ und sich eine eigene Praxis einrichtete. Wir wissen, ein Geschenk ist gemacht worden. Wir glau- ben, der Mann ist von einer städtischen Klinik zu ei- ner Landarztpraxis gewechselt. Gehen wir denn also in unseren Mutmaßungen zu weit, wenn wir sagen, es war ein Abschiedsgeschenk?« »Es klingt einleuchtend.« »Dir wird klar sein, dass er kaum zum festen Perso- nal gehört hat. Das kann nur ein Arzt mit einer ange- sehenen Praxis in London. Der aber würde nicht aufs Land ziehen. Wenn er jedoch zur Klinik und nicht zum Ärztestab gehörte, dann kann er nur Assistent gewesen sein, etwas mehr als ein Student im Prakti- kum. Vor fünf Jahren ging er weg – das Datum steht auf dem Stock. So löst sich dein Hausarzt reiferen Al- ters in Luft auf, mein lieber Watson. Stattdessen er- scheint ein junger Mann unter dreißig, liebenswür- dig, ohne Ehrgeiz, zerstreut und Besitzer eines ge- liebten Hundes, der größer als ein Dackel und kleiner als eine Dogge ist.« Ich lachte ungläubig, während Sherlock Holmes sich auf seinem Sofa zurücklehnte und kleine Rauch- ringe in die Luft blies. 12 Mr Sherlock Holmes »Letzteres kann ich kaum nachweisen«, sagte ich. »Aber es dürfte nicht schwierig sein, etwas über das Alter des Mannes und seine berufliche Laufbahn he- rauszufinden.« Ich nahm das Branchenverzeichnis für Medizin aus dem Regal und schlug es auf. Es gab mehrere Mortimers, aber nur einer kam infrage. Ich las vor: Mortimer, James, M. R. C. S., 1882, Grimpen, Dart- moor, Devonshire. Von 1882 bis 1884 Assistenzarzt am Charing Cross Hospital. Erhielt den »Jackson- Preis für vergleichende Pathologie« für seine Abhand- lung: »Ist Krankheit ein Rückschlag?« Korrespon- dierendes Mitglied der Schwedischen Pathologischen Gesellschaft. Veröffentlichungen: »Missbildung und Vererbung« (Lancet, 1882), »Machen wir Fortschrit- te?« (Journal of Psychology, März 1883). Gemeinde- arzt in Grimpen, Thorsley und High Barrow. »Von dem Hetzjagdverein steht nichts drin, Watson«, sagte Holmes mit einem boshaften Lächeln. »Aber Landarzt ist er, wie du scharfsinnig geschlossen hast. Mir scheint, meine Annahmen finden sich völlig bestätigt. Nun zum Charakter unseres Mannes! Ich 13 Der Hund von Baskerville sagte, wenn ich mich nicht irre, er sei liebenswürdig, ohne Ehrgeiz und zerstreut. Meine Erfahrung lehrt mich, dass auf dieser Welt nur ein liebenswürdiger Mensch solche Freundschaftsgaben empfängt, dass nur einer ohne Ehrgeiz London verlässt, um aufs Land zu gehen, und dass nur ein Zerstreuter statt ei- ner Visitenkarte seinen Spazierstock zurücklässt, nachdem er eine Viertelstunde gewartet hat.« »Und der Hund?« »Hat die Gewohnheit gehabt, seinem Herrn den Stock nachzutragen. Da der Stock schwer ist, hat der Hund ihn fest an der Mitte gepackt. Die Eindrücke seiner Zähne sind deutlich sichtbar. Der Kiefer des Hundes ist, nach dem Abstand der Zahnspuren zu schließen, zu breit für einen Dackel und nicht breit genug für eine Dogge. Es könnte – nein, bei Gott, es ist ein lockiger Spaniel!« Holmes war während des Sprechens aufgestanden und im Zimmer auf und ab gegangen.
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