Kunstfehler Holländisches Denken, Denn Die Idee Bau- Te Auf Dem Gedanken Auf, Dass Räume Flexible Größen Seien

Kunstfehler Holländisches Denken, Denn Die Idee Bau- Te Auf Dem Gedanken Auf, Dass Räume Flexible Größen Seien

Sport Football, „totaalvoetbal“, das bedeutete permanente Offensive, Schnelligkeit und Kreativität, Total Football war eine Idee, Kunstfehler holländisches Denken, denn die Idee bau- te auf dem Gedanken auf, dass Räume flexible Größen seien. Architektonischer Über Jahrzehnte verklärten Hollands Fußballer ihre Niederlagen Fußball oder: die Erschaffung von Raum. Die Holländer tauschten die Positionen. und pflegten den Glauben an die eigene Erhabenheit. Nun soll Sie fächerten sich auf, wenn sie den Ball eine postideologische Ära Titel bringen. Von Klaus Brinkbäumer hatten, und vergrößerten das Spielfeld; wenn die anderen den Ball hatten, zogen nd alles begann in Hiltrup. Diese Johan Cruyff. Er schrieb auf dem Park- die Holländer sich zusammen und nahmen Mythen und Legenden, die Ver- platz Autogramme: raumgreifend, schnell, dem Gegner den Platz weg. Wie verwegen: Uschwörungsgeschichten und Ver- er schrieb, wie er spielte. Für Hiltruper Tore zu schießen war eine Möglichkeit, klärungen, diese ganze niederländische Jungs war es nicht einfach, im Sommer ’74 aber nicht der Sinn – das Ziel des Spiels war Selbstzerstörung, die Marco van Basten an für Deutschland zu sein, denn Holland in seine Schönheit, es war das erste Mal, dass diesem Sonntag in Rotterdam mit ruhigem Hiltrup, das war eine Verheißung. Cruyff, Fußball eine Kunstform wurde. Gab es je Blick „Gequatsche“ nennt, das alles fing in Neeskens, Rep, Rensenbrink waren die ein holländischeres Team als jenes von einem weiß gekachelten Schwimmbecken Besten der Welt, und leider wussten sie es. 1974? Niederländer leben ja so: Raum ver- in Hiltrup an. „Total Football“ hieß ihr Versprechen. knappen, Raum gewinnen, nur so wächst Hiltrup ist nicht so bekannt. Es gibt eine Die Kinder von ’74 verstanden es nicht, ein Land unter dem Meeresspiegel. Marktallee dort und das Eiscafé Martini, Erwachsene von heute können es nachle- Allen anderen waren sie ein paar Jahre Hiltrup hat den Dortmund-Ems-Kanal, die sen: Der britische Fußballerklärer David voraus, sie hätten die WM 1974 und noch Kapitän Cruyff im WM-Finale 1974 Europameister van Basten, Gullit 1988 METELMANN / KICKER / IMAGO (L.);LACI PERENYI (R.) (L.);LACI / KICKER IMAGO METELMANN Holländische Fußballhelden der letzten 34 Jahre: Es gibt immer noch Menschen in Holland, die sagen, dass der 7. Juli 1974, die Niederlage Polizeiführungsakademie, das Waldhotel Winner erzählt, dass die Niederlande bis viel mehr gewinnen müssen. Sie siegten Krautkrämer und den Sportplatz Hiltrup- 1965 ein mittelmäßiges Land mit miesem 4:1 gegen Bulgarien, 4:0 gegen Argentinien, Ost, der heute erstaunlicherweise Glasurit- Fußball waren, dann kamen Rock’n’Roll 2:0 gegen die DDR und 2:0 gegen Brasilien, Arena heißt. Kein Mensch jenseits des und die Drogen und die Freiheit, und Ams- sie schossen im Finale gegen die Deutschen Münsterlands kennt Hiltrup. terdam wurde die Hauptstadt von Humor nach 120 Sekunden das 1:0, sie spielten die Aber Cruyff und die Holländer ver- und Leichtigkeit*. Das war die Saat. Deutschen 20 Minuten lang wund und brachten die WM ’74 in Hiltrup. Im Wald- Es folgten Cruyff und Rinus („Die wirr, und dann verloren sie. hotel Krautkrämer. Es ist 34 Jahre her, Sphinx“) Michels. Der Spieler und sein Es lag, das sagten die Holländer hinter- Cruyff hatte lange Haare und guckte stolz. Trainer. Cruyff und Michels ernteten nicht, her, an „Bild“. Es lag am Schiedsrichter Siebenjährige Hiltruper Jungs verbrachten sie säten noch ein wenig nach. Für die Ern- und an Bernd Hölzenbeins Schwalbe vor jenen verregneten Sommer ’74 vor dem te war immer noch Zeit. Dachten sie. dem 1:1, es lag an Gott, den Deutschen, an Waldhotel und auf dem Sportplatz Hiltrup- Fußball wurde ein anderes Spiel Anfang Pech und der Welt, und auf gar keinen Fall Ost, wo sie die Trainingsbälle aus dem der Siebziger. Bis dahin hatten alle Mann- lag es an ihnen, den Holländern. Wäldchen fischten, und auf Wiesen, wo sie schaften mit festen Positionen gespielt, „Bild“ hatte damals von einer „Nackt- Hollands Siege nachspielten. Die Nummer jeder Mann an seinem Platz, Ajax Ams- party“ im Pool des Waldhotels geschrie- 14 nannten sie „König Johan“, und der terdam und die holländische National- ben, Hiltruper Mädchen sollen bei Cruyff trug nur zwei Streifen auf dem Trikot und mannschaft erfanden das Spiel neu. Total und den anderen gewesen sein; Hollands nicht drei, weil er auch ein Rebell war. Mythen wollen es so, dass Cruyff vor dem Johan Cruyff sagte scharfe Sachen: Finale nicht schlafen konnte, weil die ganze * David Winner: „Oranje brillant – Das neurotische Genie „Wenn ich gewollt hätte, dass Sie’s verste- des holländischen Fußballs“. Verlag Kiepenheuer und Nacht lang seine Gattin Danny am Telefon hen, hätte ich’s besser erklärt“, so redete Witsch, Köln; 368 Seiten, 7,95 Euro. war. Die Mythen besagen, dass „Bild“ 140 der spiegel 24/2008 Holland auch gleich die WM 1978 versau- lächelt dazu. Marco van Basten ist kein ses Trio soll Holland durch die Vorrun- te, weil Cruyff wegen Danny zurücktreten Schwärmer, er ist auch kein Narziss wie dengruppe mit Italien, Frankreich und musste und Holland 1978 zwar wieder ins Cruyff und war nie ein Egomane wie der Rumänien tragen und weiter zum Titel. Endspiel kam, aber wieder verlor und mit alte Kamerad Ruud Gullit: „Guter Fußball Gegen Wales siegten sie 2:0. „Viva Co- Cruyff natürlich gewonnen hätte. ist erfolgreicher Fußball“, das ist das ro- lonia“ lief vom Band, so laut, dass kein Die Legende will es so, dass Holland mantischste Van-Basten-Zitat, das man Fan mehr singen konnte. Es war schwer eigentlich immer besser ist als die ande- nach 45 Minuten im Diktiergerät hat. orange und ganz schön deutsch. ren, aber die anderen spielen Panzerfuß- Hans Meyer, der deutsche Trainer, kennt Wer sich ein wenig in Amsterdam und ball oder gewinnen im Elfmeterschießen, den holländischen Fußball gut, er sagt, dass Rotterdam aufhält, um mit Holländern oder sie treten die großartigen Hollän- die Idee, immer schön, „mooi“, zu spielen, über Fußball zu sprechen, wer dann weiter der kaputt oder kaufen den Schiedsrich- mit den sieglosen Jahrzehnten zur Ideolo- fährt ins EM-Quartier in Lausanne, der ter. Es tritt bei der EM in Österreich und gie versteinert sei. Ähnlich war’s mit dem trifft noch immer eine Menge Menschen, der Schweiz keine zweite Nationalmann- 4-3-3-System, einst moderne Lehre, nach die sagen, dass der 7. Juli 1974 ein natio- schaft an, die in ihrer Vergangenheit Nie- all den Turnieren ohne Titel aber nur noch nales Trauma ausgelöst habe. Es sei ein derlagen so umgedeutet hätte zu Bewei- Dogma, talibanistische Taktik. „lebendiger Schmerz, wie ein ungesühntes sen wahrer Überlegenheit. Schizophren? Die Welt ist holländischer geworden: Verbrechen“, schrieb die Psychoanalytike- Manisch? Gute Nachwuchsschulen wie Amsterdams rin Anna Enquist. Jeder, der damals schon War es heilsam, dass die Holländer we- „Die Zukunft“ haben heute alle, und alle denken und fühlen konnte, weiß heute nigstens 1988, wenigstens einmal ja doch verschieben ihre Spieler; die Eroberung noch, wo er war, als Holland die WM ver- Europameister wurden? des Raums ist längst Basis des Spiels. lor. „Wie der 11. September“, sagen sie. Es sah nicht so aus, damals, als Ronald Und Holland ist weltlich geworden. Es Sie sagen aber auch, es sei jetzt endlich Koeman sich mit Olaf Thons Trikot den war eine Ahnung zu bekommen von van mal gut mit den alten Geschichten. Sie ge- Hintern rieb und das halbe Land xenophob Bastens Holland, dem postideologischen ben es sogar zu: Der Elfmeter, mit dem Verlierer Ronald de Boer, Wim Jonk bei der WM 1998 Trainer van Basten bei einem Testspiel in Rotterdam 2008 REUTERS (L.); CEES VAN HOOGDALEM / WITTERS (R.) / WITTERS HOOGDALEM (L.); CEES VAN REUTERS im WM-Finale gegen Deutschland, ein nationales Trauma ausgelöst habe zu grölen begann. Heilsam war, dass dann Holland, Anfang Juni in Rotterdam beim Holland in Führung ging, war kein Elfme- wieder verpasste Weltmeisterschaften ka- Spiel gegen Wales. ter, weil Uli Hoeneß Johan Cruyff vor dem men und irgendwann die Erkenntnis, dass Da stand natürlich Edwin van der Sar im Strafraum foulte; der deutsche Elfmeter die Holländer mit ihrer Überlegenheits- Tor, frisiert wie von Mutti, kein Rock’n’Rol- war eher berechtigt; Deutschland schoss theorie auf den Rest der Welt eher komisch ler, nie gewesen, aber ein Gegentor fing er drei Tore, Gerd Müllers zweiter Treffer wirkten. sich wieder nicht. Es verteidigten Figuren wurde zu Unrecht wegen Abseits abge- Marco van Basten, Held von 1988 und wie Joris Mathijsen, Dienstleistungsfuß- pfiffen – niemand stahl Holland den Sieg, Trainer von 2008, ist kein Mann der Wor- baller, wie sie früher verachtet wurden Cruyff und seine Jungs verhagelten sich te, er spricht nicht von einer Taktik der in niederländischen Arenen. Davor stan- ihre Ernte selbst. Durch Hybris; sie wollten Zukunft und sowieso nicht von Fußball als den zwei defensive Mittelfeldspieler, so- die Deutschen vorführen. Kunst, er will keine Geschichten erzählen genannte Sechser, wie überall im Weltfuß- Nicht mal „Bild“ hatte gelogen, Cruyff auf dem Platz und nicht mal ein National- ball. Es stürmte Ruud van Nistelrooy, Prag- und Rob Rensenbrink und zwei Ersatz- gefühl ausdrücken. Er will Spiele gewin- matiker wie van Basten, vor Monaten noch männer hatten tatsächlich nackt gebadet, nen, ein 1:0 tut’s auch. auf ewig zerstritten mit dem Trainer, und Hiltruper Mädchen waren dabei gewe- Als der Mittelstürmer van Basten wegen pünktlich zum Turnier nun zurück. Was sen. „Bild“ hatte allerdings schon fünf Tage seiner vielen Verletzungen viel zu früh auf- noch holländisch war an Holland, das wa- vor dem Endspiel darüber geschrieben, fair hören musste, musste man sich um ihn sor- ren die drei hinter van Nistelrooy, die Mit- und klein, im Innern des Blattes. gen: so traurig sein Blick, so leer. Heute ist telfeldspieler Arjen Robben, Wesley Sneij- Wahrheit taugt selten für Mythen. In Marco von Basten braungebrannt, er steht der und Rafael van der Vaart, die ständig Wahrheit war es eine Hiltruper Orgie: immer ganz gerade am Spielfeldrand, die ihre Positionen tauschten, dribbelten und kein Verkehr, bloß Schwimmen ohne Bade- Haare kurz rasiert, er redet ganz leise und Freistöße über Mauern schnipselten.

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