Wertheim, Rosy Rosy Wertheim Orte und Länder * 19. Februar 1888 in Amsterdam, Niederlande Rosy Wertheim arbeitete zunächst als Musiklehrerin in † 27. Mai 1949 in Laren, Niederlande Amsterdam. Sie lebte mehrere Jahre in Paris, wo sie Schülerin von Louis Aubert u.a. war und als Komponis- Komponistin, Musiklehrerin, Pianistin, Chorleiterin tin und als Korrespondentin wirkte. Nach Aufenthalten in Wien und in den USA ging sie 1937 zurück nach Ams- „Tijdens de oorlog zijn er composities van mij hier in het terdam. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht land uitgevoerd, di ik natuurlijk niet kon bijwonen; ook in die Niederlande musste sie untertauchen. Sie überleb- in Amerika wird ik gespeeld. De Duitsers hebben mijn be- te die deutsche Besatzung im Versteck in Laren, wo sie zitting en al mijn boeken gerooft – maar nu zijn zij weg 1949 starb. en ik tracht van mijn leven terecht te brengen war er nog Biografie van te maken is.“ Rosy Wertheim, geboren am 19. Februar 1888 in Amster- „Während des Krieges fanden in diesem Land noch Auf- dam, wuchs in einer wohlhabenden und gesellschaftlich führungen meiner Kompositionen statt, bei denen ich angesehenen Familie assimilierter Juden auf und erhielt natürlich nicht anwesend sein konnte, auch in Amerika früh Klavier- später auch Kompositionsunterricht. Sie wurde ich gespielt. Die Deutschen haben meinen ganzen studierte an der Königlich Niederländischen Tonkünstler- Besitz und alle meine Bücher geraubt – aber nun sind sie vereinigung (Koninklijke Nederlandse Toonkunstenaars weg und ich versuche von meinem Leben in Ordnung zu Vereniging) in Amsterdam zunächst Klavier und schloss bringen, was davon noch übrig geblieben ist.“ daran - als eine der ersten Frauen in den Niederlanden (Rosy Wertheim 1948 in einem Interview mit Kate de überhaupt - ein Kompositionsstudium bei Bernard Ridder in „De vrouw en haar huis“, 1948, S. 254. Mathias Zweers (1854-1924) und Sem Dresden (1881-1957) an. Lehmann/Sophie Fetthauer) Durch ihre Familie finanziell abgesichert, konnte sie 1929 ihre nach dem Studium aufgenommene Arbeit als Profil Musiklehrerin aufgeben, um sich ausschließlich dem Als Deutschland im Mai 1940 die Niederlande besetzte, Komponieren zu widmen. Zwischen 1929 und 1935 lebte war die Komponistin Rosy Wertheim 52 Jahre alt. Sie sie in Paris, wo sie u.a. Unterricht bei Louis Aubert nahm hatte viele Jahre in Paris, Wien und New York gelebt und und Kontakte und Freundschaften zu zahlreichen Kom- gearbeitet. Ihr Werkverzeichnis umfasste zu diesem Zeit- ponisten und Musikern in Paris schloss. Anschließend punkt bereits annähernd 100 Kompositionen, die nicht führten sie Studien und Konzertätigkeit nach Wien und nur aufgeführt, sondern zum Teil auch verlegt wurden. in die USA. 1937 kehrte sie wieder nach Amsterdam zu- Ihre Familie gehörte seit Generationen zu den wohlha- rück. bendsten und angesehensten Familien Amsterdams. Nie Als die Niederlande 1940 von Deutschland besetzt wur- war Rosy Wertheim bis zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf de, hatte Rosy Werthein an die 100 Werke komponiert, ihre jüdische Herkunft, die für sie und ihre Familie ohne- von denen viele mit großem Erfolg aufgeführt wurden hin eine sehr untergeordnete Rolle spielte, diskriminiert und einige sogar in gedruckter Form vorlagen. Trotz der worden. drohenden Verfolgung und Deportation durch die deut- Obwohl sie, um der Deportation in die Vernichtungsla- schen Besatzer entschloss sie sich erst sehr spät (1943) ger der Nazis zu entgehen, 1943 untertauchte und bis zur unterzutauchen. Als eine der wenigen ihrer Familie über- Befreiung durch die Alliierten im Versteck leben musste, lebte sie im Versteck in Laren die Verfolgung durch die war ihr die unmittelbare Gefahr, der sie sich in diesen Nazis. Ihrer kompositorischen Laufbahn wurde aber ein Jahren auch aufgrund einer gewissen Sorglosigkeit im- jähes Ende bereitet. Im Versteck war sie zu Untätigkeit mer wieder aussetzte, wohl nie wirklich bewusst. Allein verurteilt. Bald nach dem Krieg erkrankte sie an Krebs die Vorstellung, jemand könne einzig aufgrund seiner Ab- und starb am 27. Mai 1949 in Laren. Nach ihrem Tod ge- stammung nicht nur diffamiert, sondern verfolgt, depor- rieten ihre Werke lange Zeit in Vergessenheit. Erst in tiert und umgebracht werden, schien für Rosy Wertheim den letzten zehn Jahren ist – vor allem in den Niederlan- undenkbar. - Sie war eine der wenigen aus ihrer Familie, den – wieder eine gewisse Rezeption ihrer Werke zu beo- die die Verfolgung durch die Nazis überlebten. bachten. – 1 – Wertheim, Rosy Nach dem Ende ihres Kompositionsstudiums Anfang der Mehr zu Biografie zwanziger Jahre nahm sie eine Arbeit als Lehrerin am Rosy (eigentlich Rosalie Marie) Wertheim wurde am 19. Amsterdamer Muzieklyceum auf. Sie gab Unterricht in Februar 1888 in Amsterdam geboren. Sie war das erste elementarer Musiklehre und im Klavierspiel. Daneben von vier Kindern von Johann Gustaaf Wertheim und Ad- leitete sie mehrere Chöre, so etwa den Chor des Religiö- riana Roza Wertheim (geb. Enthoven). Ihr Vater leitete sen sozialistischen Verbandes (Religieus Socialistisch ein Geld- und Wertpapiergeschäft, das er bereits von sei- Verbond – R.S.V.) oder auch einen Chor, der aus soge- nem Vater übernommen hatte. Die Familie gehörte zum nannten Inselkindern (Kindern, die aus den ärmsten Großbürgertum Amsterdams, und Rosy Wertheim wuchs Wohnvierteln Amsterdams stammten) bestand. Sie un- in sehr wohlhabenden und behüteten Verhältnissen auf. terstützte zu dieser Zeit auch mehrere Familien finanziell Kunst- und Musikunterricht gehörten zu den für eine und gab Kindern mittelloser Eltern kostenlos Klavierun- „höhere Tochter“ üblichen Beschäftigungen und wurden terricht. auch der jungen Rosy Wertheim zuteil (vgl. Bosland Acht Jahre arbeitete Rosy Wertheim am Musiklyceum 1988, S. 14). als Lehrerin. Aufgrund ihrer Arbeit und ihres sozialen Seit jeher war die Familie Wertheim im sozialen Bereich Engagements kam zu ihrem großen Bedauern ihre Kom- aktiv und stand mit ihrem Engagement in der bei den positionstätigkeit in dieser Zeit viel zu kurz. Während sie Amsterdamer Juden seit dem 19. Jahrhundert sehr stark allein zwischen 1914 und 1919 noch an die dreißig Kom- ausgeprägten Tradition der jüdischen „Zedaka“, der reli- positionen vollendet hatte, waren es zwischen 1920 und giös motivierten Wohltätigkeit mit dem Ziel eines enge- 1928 nur noch sieben. Um sich als Komponistin weiterzu- ren Zusammenhalts der jüdischen Gemeinde. Rosy Wert- entwickeln, entschloss sie sich 1929, ihre Lehrtätigkeit heim kümmerte sich seit ihrer Jugend in besonderem aufzugeben und die im Bereich der modernen Musik im- Maße um die Kinder aus den Armenvierteln Amster- mer noch rückständigen Niederlande für ein halbes Jahr dams, bezog ihr Engagement dabei aber nie allein auf jü- zu verlassen, um sich ausschließlich auf das Komponie- dische Kinder. Obwohl sie nach dem Abschluss der Mäd- ren zu konzentrieren (vgl. De Ridder 1948, S. 253). Finan- chenoberschule gerne eine Schule für Sozialarbeit be- ziell unterstützt wurde sie in diesem Vorhaben von ihrer sucht hätte, wurde ihr dies von ihrer Familie untersagt - Familie, so dass sie sich trotz der Aufgabe ihrer Arbeit nicht zuletzt aus dem Grund, „weil […] man dort solch als Lehrerin um ihren Lebensunterhalt keine Sorgen ma- elende Sachen zu hören kriegte!“, wie Rosy Wertheim chen musste. Wohl vor allem aufgrund ihrer Vorliebe für später berichtete (vgl. De Ridder 1948, S. 253). Statt des- den französischen Impressionismus wählte sie Paris als sen wurde sie auf ein Internat in Neuilly in der Schweiz Auslandsaufenthalt. Statt sechs Monate blieb sie sechs geschickt. Jahre. Sie nahm Unterricht bei dem Komponisten Louis Dort entstand der Wunsch, Musikerin zu werden. Nach Aubert (1877-1968), einem Schüler Gabriel Faurés. Am Beendigung ihrer Internatszeit setzte sie diesen Wunsch bestimmendsten für diese Zeit waren aber die vielen per- in die Tat um: Sie studierte an der Königlich Niederländi- sönlichen Kontakte zu zahlreichen bedeutenden Musi- schen Tonkünstlervereinigung (Koninklijke Nederlandse kern und Komponisten. Ihr Haus in Paris war ein sehr Toonkunstenaars Vereniging) in Amsterdam Klavier bei angesehener Treffpunkt. Vor allem niederländische Ulfert Schulz und machte dort 1912 ihr Diplom. Dass Ro- Künstler, aber auch so bekannte französische Komponis- sy Wertheim danach ihre Ausbildung mit einem Kompo- ten wie Jacques Ibert, André Jolivet, Olivier Messiaen sitionsstudium bei Bernard Zweers (1854-1924) fortsetz- und Darius Milhaud zählten oft zu ihren Gästen. Eine en- te, ist bemerkenswert. In den konservativ eingestellten ge Freundin wurde ihr die französische Komponistin El- Niederlanden war es für eine Frau noch sehr unüblich, si- sa Barraine (1910-1999), mit der sie auch noch lange ch in dieser „Männerdomäne“ zu bewegen. Rosy Wert- nach den Pariser Jahren einen intensiven Briefwechsel heim gehörte zu der ersten Generation niederländischer aufrecht erhielt. Komponistinnen überhaupt. Dennoch nahm Bernard 1935 verließ Rosy Wertheim Paris, um in Wien bei Karl Zweers sie bereitwillig als Schülerin auf, und es gibt kei- Weigl (1881-1949) Kontrapunkt zu studieren. Auch woll- nerlei Hinweis darauf, dass sie sich als Frau während ih- te sie die deutsche und österreichische Musik von Bach, res Kompositionsstudiums diskriminiert fühlte. Nach ei- Mozart, Mahler, aber auch der Zweiten Wiener Schule nigen Studienjahren wechselte Rosy Wertheim zu Sem um Arnold Schönberg genauer kennen lernen. Den Höhe- Dresden (1881-1957), bei dem sie ihr Studium abschloss. punkt ihrer internationalen Anerkennung
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages10 Page
-
File Size-