Bachelorthesis Populäre Kultur als Selbstthematisierungsform einer Gesellschaft Erinnerungsmotive im postmodernen japanischen Anime Absolvent: Emanuel Schwarz Ostendstraße 61, 72574 Bad Urach [email protected], 0170 4419045 Erstbetreuung: Prof. Dr. Stefan Selke Zweitbetreuung: Robert Eikmeyer Matrikelnummer: 227211 Fachbereich: OnlineMedien an der Fakultät Digitale Medien Einreichung: 31. August 2010 ii Abstract Die japanische Populärkultur erfährt durch die digitale Vernetzung eine zuneh- mende Verbreitung auch außerhalb Japans. Der Anime, japanischer Zeichentrick- film, stellt hierbei eine authentische kulturelle Ausdrucksform dar. Das zunehmende Auftreten des Erinnerungsmotivs in unterschiedlicher Form wird dabei in Bezug auf Gedächtnisfunktionen von Individuum und Gesellschaft betrachtet. Im Anime vermit- teln visuelle Konzepte japanischer Ästhetiklehre, Kontext von Erinnerung und kollek- tives Bildgedächtnis die Wechselwirkung von Erinnerung und Vergessen. Gedächtnis stellt kommunikative Sinnhaftigkeit bereit; es konstruiert aus dem Unter- schied von Erinnerung und Vergessen eine Realität als Handlungsgrundlage. Die moderne Gesellschaft bezeichnet ihr Gedächtnis mit dem Begriff der Kultur. Individualität ist ein Merkmal der Moderne, der Wunsch abzuweichen vom Allge- meinen und Vorgegebenen und auf die Ausdifferenzierungen einer modernen Ge- sellschaft zu reagieren. Die Notwendigkeit dies zu reflektieren führt zur Selbstthematisierung. Es gibt keine übergeordnete Ordnungsinstanz mehr auf die sich die Identität stützen kann. Das Populäre erfüllt für die Gesellschaft dabei es- senzielle Aufgaben in Bezug auf Selbstthematisierung und Realitätskonstruktion. Als Kurzzeitgedächtnis einer postmodernen Gesellschaft schafft es temporären, kom- munikativen Kontext. Dem Individuum bietet es „Material für die Suche und Reflek- tion einer eigenen ‚Identität‘. iii iv Erklärung Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Thesis selbständig und ohne unzulässige fremde Hilfe angefertigt habe. Alle verwendeten Quellen und Hilfsmittel sind angegeben. Emanuel Schwarz, Bad Urach den 31. August 2010 v vi Inhaltsverzeichnis 1. Populäre Kultur ............................................................................................... 1 1.1. Inspiration und Motivation ...................................................................... 1 1.2. Japans Popkultur .................................................................................... 3 1.3. Methodik und Selektion der Quellen ........................................................ 8 2. Funktion von Erinnern und Vergessen in der digitalen Gesellschaft .................... 10 2.1. Vom Medium zum Gedächtnis .............................................................. 10 2.2. Vergessen in der digitalen Welt ............................................................. 12 2.3. Erinnern in der digitalen Welt ............................................................... 14 2.4. Individuum und Kollektiv ....................................................................... 15 2.5. Wechselwirkung von Digitalisierung und Gedächtnis .............................. 17 2.6. Die Rolle der Zeit ................................................................................. 19 3. Erinnerungsmotive des japanischen Animationsfilms ........................................ 22 3.1. Visuelle Konzepte ................................................................................. 22 3.2. Wiederkehrende Motive ....................................................................... 23 3.3. Visuelle Metaphern in 5 Centimeters Per Second ..................................... 25 3.4. Kollektives Gedächtnis in Dennō Coil ..................................................... 26 3.5. Kontextualität von Erinnerung in „Pale Cocoon“ ...................................... 30 4. Wechselbeziehungen zwischen „Kurzzeit-“ und „Langzeit-Gedächtnis“ der Gesellschaft ....................................................................................................... 34 4.1. Kultur und Gedächtnis nach Luhmann .................................................... 34 4.2. populäre Kultur als „Kurzzeitgedächtnis“ der Gesellschaft ....................... 35 5. Selbstthematisierung einer Gesellschaft ........................................................... 38 5.1. Die Ankunft des Individuums in einer modernen Gesellschaft ................... 38 5.2. Selbstthematisierung als gesellschaftlicher Trend ..................................... 39 5.3. Identität in einer postmodernen Gesellschaft ........................................... 40 6. Popkultur im Kontext von Selbstthematisierung ................................................. 41 Literaturverzeichnis ............................................................................................ 45 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 47 vii viii 1. Populäre Kultur 1.1. Inspiration und Motivation Die Wahrscheinlichkeit, dass ein unbedarfter Zuschauer über den typischen japa- nischen Zeichentrick namens Anime stolpert, ist zum Zeitpunkt dieser Arbeit ver- gleichsweise gering. In den 80er und 90er Jahren wurden diverse Animeserien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgestrahlt. Sie umfassten jedoch fast ausschließ- lich Kinderserien in japanischer Koproduktion. Zum Teil wurden sie aufgrund von Inhalt oder Darstellung unter Protest wieder abgesetzt. Zu den Bekanntesten Serien gehörten beispielsweise Die Biene Maja, Speed Racer oder Wickie und die star- ken Männer. (vgl. ebenso Wikipedia, 2010) Abb. 1 Wiederkehrende Elemente: Heldin und Roboter (Mahoromatic, 2009) Wiederholte Versuche diverser Labels Animeproduktionen auf den deutschen Markt zu bringen lassen sich bis heute beobachten – mit mäßigem Erfolg. Im öf- fentlichen Privatfernsehen wird eine geringe, nicht repräsentative Auswahl an Kin- der- und Jugendserien gesendet, die zum Teil speziell für den ausländischen Markt konzipiert sind oder in modifizierter Fassung ausgestrahlt werden. Ein wenig mehr Auswahl bietet der DVD-Markt. Dieser repräsentiert jedoch ebenfalls nur einen Bruchteil des Verfügbaren. Vereinzelt senden Spartensender wie Arte oder 3sat Anime als Teil von Themenschwerpunkten über die japanische Kultur oder im Nachtprogramm. Nur wenige Serien wie Sailor Moon konnten weltweite Verbrei- tung und Kultstatus erreichen. Sie wurden jedoch ebenfalls inhaltlich modifiziert: 1 Dazu zählt beispielsweise der Schnitt von Sterbeszenen eines Protagonisten eben- so wie Umdeutung homosexueller Beziehungen durch weibliche Synchronisations- stimme. Dem geneigten Fan oder interessierten Zuschauer bleibt schließlich neben dem Import direkt aus Japan oder einem großen Markt wie den USA nur der „Grauimport“ von im Ausland nicht lizenzierten Filmen und Serien über das Inter- net. Der Verfasser dieser Arbeit hat sich nach umfangreichem Konsum japanischer Popkultur insbesondere in Form von Animationsfilmen auf den Weg nach Japan begeben. Natürlich wird nun niemand erwarten, in Japan sprechende Bienen oder auch in Amerika fliegende Menschen anzutreffen. Dennoch erfolgte eine gewisse mentale Distanzierung, um nicht voreingenommen einer neuen Kultur zu begegnen. Zur Überraschung stellte sich jedoch schon bald eine merkwürdige Ambivalenz von Vertrautheit und Fremdheit gegenüber den Normen, Werten und Verhaltens- weisen dieser Gesellschaft ein. Es sollte sich herausstellen, dass ein Großteil der subkommunikativ vermittelten Inhalte von Anime die Kultur durchaus authentisch repräsentiert. Allerdings ist hier die Sprache von postmodernem, kontemporärem Anime und nicht von Biene Maja. Im Anime tritt zunehmend das Erinnerungsmotiv in verschiedenen Formen und Aus- prägungen in Erscheinung. Es stellt sich als eine auffällige Parallele zu den Erfah- rungen des Verfassers in Japan dar, dass Erinnerung und Gedächtnis eine wichtige Rolle auch außerhalb des Anime spielen. Dies zeigte sich am Offensichtlichsten beim Umgang mit Erinnerungsfotos, welche Japaner vergleichsweise häufig anfer- tigten, beispielsweise auf Reisen. Diese Fotos können sie dann mit ihren Daheim- gebliebenen teilen. Denn die japanische Gesellschaft ist gruppen- sowie kontextorientiert. Wenn der Einzelne in den Hintergrund rückt, werden die Umgebung, seine Mit- menschen und der Kontext relevant. Nicht das Erinnerungsfoto selbst ist somit wich- tig, sondern wie es entstand, wo es entstand, mit wem man es ansieht und welche Geschichte es zu erzählen hat. Diese und andere Aspekte der japanischen Kultur werden auch von der Popkultur thematisiert und verbreiten sich mittlerweile zuneh- mend in der ganzen Welt. Was ist der Grund hierfür? Was hat Gedächtnis damit zu tun und welche Rolle spielt die Popkultur für die Gesellschaft im Allgemeinen? 2 Und ist es Zufall, dass dies zu einer Zeit geschieht, da die globale Vernetzung rasant fortschreitet? In welchem Zusammenhang stehen Erinnerung, Popkultur und digitale Vernetzung? Dies sind die Fragen, die sich für den weiteren Verlauf dieser Arbeit stellen und durch die kontextuelle Integration der folgenden Themengebiete beantwortet werden sollen. Das nächste Kapitel vermittelt zunächst einen kompakten Überblick japanischer Popkultur mit Schwerpunkt auf Anime und erläutert die Selektion der filmischen Primärquellen. Das zweite Kapitel untersucht Gedächtnisfunktionen im Zusammen- hang mit Medien und Wahrnehmung in Bezug auf die digitalisierte Gesellschaft, anschließend werden am Beispiel japanischer Anime Erinnerungsmotive aufgezeigt.
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