kuenstler b1|a40 12.06.13 18:21 KONZEPTION B1|A40 DIE SCHÖNHEIT DER GROSSEN STRASSE ABSTRACT Entlang der A40 hat sich im Schatten der Kernstädte ein eigenwilliger Stadtraum generiert, der durch das Verschmelzen der Ruhrstädte zur Metropole unvermittelt vom problematischen Verkehrsraum zum Boulevard der Ruhrmetropole wird. B1| A40 untersucht diesen neuen Stadtraum im interdisziplinären Dialog mit Künstlern, Planern, Architekten und Wissenschaftlern. Die Ergebnisse dieser Arbeit manifestieren sich in einer Ausstellung entlang der A 40 zur Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Sie findet vom 12.06.2010 - 08.08.2010 auf der A 40 von Duisburg bis Dortmund an verschiedenen Spielorten statt. B1|A40 EINE STADT ENTWIRFT SICH SELBST Entlang der A40, als der zentralen Verkehrsachse des Ruhrgebiets, hat sich im Schatten der Kernstädte zwischen Duisburg und Dortmund ein eigenwilliger Stadtraum generiert. Er wird durch das prognostizierte Verschmelzen der Ruhrstädte zur Metropole unvermittelt von der Peripherie zum Zentrum werden. In dieser einmaligen Umkehrung wird die „Große Straße“ vom problematischen Verkehrsraum zum Boulevard der Ruhrmetropole. Analog dazu erscheinen Räume und Strategien im Umgang mit urbanen Situationen im Fokus, die sich dezentral im Schatten des öffentlichen Interesses entwickelt haben und bisher kaum beschrieben wurden. Nicht nur transitorische Räume prägen dabei einen neuen Typus von Stadt zwischen Mobilität, Dezentralität und Ort. Strategien der individuellen Raumaneignung und selbstregulierte soziokulturelle Biotope in den Zwischenräumen von Stadt und Verkehrsinfrastruktur sind nur einige Phänomene, die diesen Raum umschreiben. Schrebergärten und Einkaufsmeilen, Kulturproduktion und Schattenwirtschaft, Fischzucht und Tunertreff – sie alle nutzen die große Straße als Infrastruktur, Plattform, breiten Rücken. Das Projekt „B1|A40“ befragt diese Raumgefüge auf ihre Strukturen und deren Bedingungen hin: Wie generieren sich Räume jenseits zielgerichteter Planungsinteressen und Nutzungszuordnungen? Welche Räume entstehen unter den Bedingungen weitgehender Unsichtbarkeit und relativer Selbstverantwortung ihrer Protagonisten? Wie wirkt sich das Fehlen politischer Aufmerksamkeit auf die Gestaltung von Räumen aus? Entwickeln sich andere Ökonomien unter diesen speziellen „klimatischen“ Bedingungen? Bieten selbstregulierte Räume auch übertragbare Lösungsvorschläge für die Planung und welche Vermittlungsleistungen sind hier notwendig? B1|A40 untersucht diese Fragen im interdisziplinären Dialog mit Künstlern, Planern, Architekten, Wissenschaftlern und den Anliegern vor Ort direkt im Kontext des Stadtraums A40. Das Projekt zeigt durch künstlerische Interventionen und interdisziplinäre Projekte Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten auf, die in einen stadtplanerischen Diskurs einmünden sollen, der progressive Entwicklungen für diesen problematischen Raum produziert. Die Ergebnisse dieser Arbeit manifestierten sich in einer Ausstellung im öffentlichen Raum der A40 von Duisburg bis Dortmund an sechs verschiedenen Orten zur Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 vom 12.06.2010 - 08.08.2010 mit umfangreichem Programmteil. Das nun vorliegende Buch dokumentiert nicht nur diese Arbeit und ihre nahezu fünf Jahre lange Genese vom Leitprojekt der Kulturhauptstadtbewerbung bis zur Ausstellung, sondern setzt sie in Beziehung zu theoretischen wie faktischen Arbeiten, in deren Umfeld sich das Projekt sieht. Um dem Großraum A40 trotz der knappen Mittel in seiner Komplexität gerecht zu werden, wurden an sechs Orten in fünf Städten solche Typologien gewählt, die exemplarisch für das gelten müssen, was B1|A40 diskutieren wollte: als „Neue Landschaften“ im Duisburger Autobahnkreuz Kaiserberg, als neue Ökonomien unter dem Titel „Globalokal“ im Rhein-Ruhr Zentrum Mülheim, den Umgang mit Historie unter dem Dach der „Neuen Geschichte“ am Wasserturm in Essen und dem Westfalendamm in Dortmund und als kulturelle Schnittstellen im Fokus transitorischer Räume unter dem Titel „Roadmovie Ruhr“ in Bochum. Die Bemühung, die Ausstellung gut sichtbar zu machen, führte zu einer Konzentration verschiedener Arbeiten an diesen Orten – gleich Ausstellungen in der Ausstellung. Im Bereich „A40 Spezial“ integrierte das Projekt Orte, Entwürfe und Bauten der Anwohner auf Augenhöhe in die Ausstellung. RUHRSCHNELLWEG Verkehrsräume wie die der A40, die unter dem Namen „Ruhrschnellweg“ berühmt-berüchtigt sind, gehen nicht aus einer langfristigen Gesamtplanung hervor, sondern entwickeln sich langsam entlang der städtischen Bedürfnisse. Wo niemand eine Autobahn direkt durch das engmaschige Herz der Städte schlagen würde, hat sich die ehemalige B1 als die Städte verbindende Landstraße und alter Handelsweg „Hellweg“ langsam zur Autobahn ausgewachsen. Dies begründet ihre außergewöhnliche Form, die tief in das urbane Geflecht der Ruhrstädte einschneidet und in ihrem Umfeld mannigfaltig problematische Nachbarschaften produziert. Wo Menschen nur wenige Meter hinter der Schallschutzwand leben, wo Abfahrten im 100-Meter-Takt die große Straße von Nowgorod nach Brügge kurzfristig zur Stadtautobahn machen, wo die Härte globalen Transits auf sympathisches Lokalkolorit trifft, entwirft sich ein urbaner Raum außergewöhnlicher Heterogenität. In der Anbauverbotszone leben hier Abertausende, befinden sich Geschäfte, Kindergärten und Kneipen, Schrebergärten und Wagenburgen, die Hochhäuser der Hochfinanz wie Fischteiche und Tierfriedhöfe, Kirchen und Rotlichtmilieu, alles in trauter Eintracht. Die Autobahn ist eine Zäsur, ein tiefer Schnitt, an deren Rändern sich die Stadtlandschaft auftut und ungewöhnliche wie schmerzhafte Einblicke erlaubt, die mit Lärmschutzwänden mühsam kaschiert werden. Noch heute vertilgt sie gerade aktuell durch den dreispurigen Ausbau ihr Umfeld. Entlang der großen Straße manifestiert sich auf über 70 Kilometern ein elementarer Interessenskonflikt zwischen transitorisch-temporären Räumen und der Verbindlichkeit des Ortes. Der Transit erzeugt bei den Nutzern der Verkehrskorridore wenig Identifikation mit dem Ort an sich, was ihn als urbanen Raum schnell verwaisen lässt. Er wird meist nur von denjenigen besiedelt, deren Wohnsituation eines Tages unvermittelt mit dem Bau der Autobahn konfrontiert wurde und die ihn hartnäckig als Heimat behaupten. Neben diesen Menschen, die sich in einer Art Selbstverteidigung mit diesem Raum arrangiert haben, beherbergt er gerade solche Nutzungen, die im normalen Gefüge der Stadt nicht vorgesehen sind. So entsteht im Windschatten einer rein auf den Verkehr fokussierten Planung ein Feld heterogenster und teilweise schwierigster Nachbarschaften, das auch die Stadtplanung vor unlösbare Probleme stellt und das ökonomische, öffentliche und politische Interesse gegen Null sinken lässt. Das latente Desinteresse an diesen Räumen erzeugt mitten in der Stadt ein Vakuum an staatlicher Organisation und Präsenz, Perspektive und koordiniertem Gestaltungswillen. Einen Raum also, in dem die Kontrolle teilweise so stark sinkt, dass nahezu rechtsfreie Zonen entstehen, die geduldet werden, um ihn zumindest unter minimaler Besiedlung und unter sozialer Kontrolle zu halten. Positiv gewendet, könnte man solche Räume auch als Labor für selbstverantwortliches Handeln bezeichnen. Überraschenderweise werfen diese sehr unvollständig regulierten Räume nicht die blanke Anarchie aus, sondern eine charmante, oft eher bürgerlich geprägte Selbstregulierung heterogenster Interessensgruppen. INTERESSE Die Ausstellung interessiert sich speziell für solche Orte und Systeme, die jenseits herkömmlicher Planungen Methoden im Umgang mit problematischen Stadträumen finden. Entlang der A40, wo sich aus dem Umstand mannigfacher Diskontinuitäten und Einschnitte ein von http://www.b1a40.de/konzeption/konzeptionpage.htm Seite 1 von 7 kuenstler b1|a40 12.06.13 18:21 Verwerfungen, Falten und Narben geprägter Raum ergeben hat, wird die Autobahn als aktives Subjekt sichtbar, das Stadt generiert. Als ein Subjekt, das auf seiner Rückseite im Schatten politisch-ökonomischer Interessen urbane Sequenzen höchster Heterogenität und Dichte produziert. Entgegen urbanen Objekten, die sich politisch und wirtschaftlich nutzen lassen, entzieht sich der Rückraum der Autobahn durch mannigfach undurchsichtige Vielschichtigkeiten der Objektivierung und Nutzbarmachung in der städtischen Ökonomie. Die vermeintlich zerstörte Landschaft produziert sich als Widerlager, als selbstbeauftragt-autonome Zone der Stadt, die eine neue urbane Zukunft erprobt. Im Unterschied zum Zentrum werden solche Räume von ihren Protagonisten in direkter Interaktion mit den Situationen ausgeworfen. Die Unmittelbarkeit von Reaktion und Aktion widerspricht perspektivischen Organisationsstrategien, zeigt aber unerwartete Erfolge beim Umgang mit problematischem Stadtraum, da sie sich an der Fluktuation und Unbeständigkeit orientiert. Sie bedingt eine neue, lose Formensprache solcher Orte wie auch ihren Einfallsreichtum in der Entwicklung temporärer Lösungen. Sie konstituieren sich aus unzähligen, heterogenen und individuellen Handlungssträngen heraus, die ineinander verflochten zu einem tragfähigen Netzwerk selbstgenerierter Lebensstrategien werden. Dieses lose wie solide Netzwerk der Anlieger wurde zentraler Bestandteil und Boden der Ausstellung. Sie verknüpfte sich mit den Akteuren vor Ort, um sich in einem synergetischen Verhältnis auf Augenhöhe zu treffen, zu informieren, zu inspirieren. Die Entwürfe dieser Landschaft waren Ausgangspunkt, Spiegel und Partner der Projekte, die die Künstler zwischen sie einfügten. ANHALTEN, AUSSTEIGEN, NACHFRAGEN
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